Maria von Agreda: Leben der jungfraeulichen Gottesmutter Maria: Buch 5+6
Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria
Quelle: MYSTISCHE STADT GOTTES, Wunder seiner Allmacht und Abgrund der Gnade: HEILIGE GESCHICHTE UND LEBEN der jungfräulichen Gottesmutter MARIA Unserer Königin und Herrin, Sühnerin der Schuld Evas und Mittlerin der Gnade, in diesen letzten Zeiten von derselben Königin geoffenbart ihrer Dienerin, DER SCHWESTER MARIA VON JESUS Äbtissin des Konventes der Unbefleckten Empfängnis in der Stadt Agreda, Provinz Burgos, von der regularen Observanz des hl. seraphischen Vaters Franziskus, zur Erleuchtung der Welt, zur Freude der Katholischen Kirche und zum Troste der Sterblichen. Aus dem Spanischen übersetzt von mehreren Priestern aus der Kongregation des allerheiligsten Erlösers, Immaculata Verlag CH-6015 Reussbühl/Luzern (je erste Auflage, Mit kirchlicher Druckerlaubnis, broschiert). Band 5: 1971 (261 Seiten), Band 6: 1972 (429 Seiten). Digitalisiert und ein wenig bearbeitet von Benutzer:Oswald.
Inhaltsverzeichnis
- 1 ZWEITER TEIL DES LEBENS UND DER GEHEIMNISSE DER KÖNIGIN DES HIMMELS
- 1.1 FÜNFTES BUCH
- 1.1.1 ERSTES HAUPTSTÜCK: Maria wird geprüft und auf neue Gnaden vorbereitet
- 1.1.2 ZWEITES HAUPTSTÜCK: Der Herr tröstet seine heiligste Mutter und beginnt sie zu unterrichten
- 1.1.3 DRITTES HAUPTSTÜCK: Maria und Joseph gehen dem Gesetze gemäß alle Jahre nach Jerusalem und nehmen den Jesusknaben mit sich
- 1.1.4 VIERTES HAUPTSTÜCK: Jesus bleibt im Tempel zurück
- 1.1.5 FÜNFTES HAUPTSTÜCK: Maria und Joseph finden nach drei Tagen den Jesusknaben im Tempel unter den Lehrern
- 1.1.6 SECHSTES HAUPTSTÜCK: Maria empfängt eine besondere Vision
- 1.1.7 SIEBENTES HAUPTSTÜCK: Warum und wie der Herr seine Mutter unterrichtet
- 1.1.8 ACHTES HAUPTSTÜCK: Wie Maria die Lehre des Evangeliums im Werk ausübt
- 1.1.9 NEUNTES HAUPTSTÜCK: Maria wird über die Glaubensartikel unterrichtet
- 1.1.10 ZEHNTES HAUPTSTÜCK: Maria wird über die Zehn Gebote unterrichtet
- 1.1.11 ELFTES HAUPTSTÜCK: Kenntnis der seligsten Jungfrau von den sieben heiligen Sakramenten, sowie von den fünf Geboten der Kirche
- 1.1.12 ZWÖLFTES HAUPTSTÜCK: Jesus und Maria setzen ihr Bitten und Flehen für uns fort
- 1.1.13 DREIZEHNTES HAUPTSTÜCK: Maria ernährt Jesus und den hl. Joseph durch Händearbeit. Sie vollendet das 33. Lebensjahr
- 1.1.14 VIERZEHNTES HAUPTSTÜCK: Krankheiten des hl. Joseph
- 1.1.15 FÜNFZEHNTES HAUPTSTÜCK: Tod des hl. Joseph in Gegenwart Jesu und Mariä
- 1.1.16 SECHZEHNTES HAUPTSTÜCK: Privilegien des hl. Joseph
- 1.1.17 SIEBZEHNTES HAUPTSTÜCK: Lebensweise Mariä nach dem Tod des hl. Joseph
- 1.1.18 ACHTZEHNTES HAUPTSTÜCK: Fortsetzung
- 1.1.19 NEUNZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus beginnt sein Lehramt. Mitwirkung Mariä
- 1.1.20 ZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Luzifer schmiedet Pläne gegen das Erlösungswerk
- 1.1.21 EINUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Der hl. Johannes der Täufer empfängt durch Maria große Gnaden. Er wird gerufen zu predigen
- 1.1.22 ZWEINUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Maria opfert ihren Sohn auf. Jesus geht in die Wüste
- 1.1.23 DREIUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Beschäftigungen mariä während der Abwesenheit Jesu
- 1.1.24 VIERUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Taufe Jesu am Jordan
- 1.1.25 FÜNFUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Jesus in der Wüste
- 1.1.26 SECHSUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Fortsetzung: Versuchung Jesu
- 1.1.27 SIEBENUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Jesus wirkt in Judäa. Mitwirken Mariä
- 1.1.28 ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL: Jüngerberufung und Predigtamt
- 1.1.29 NEUNUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Rückkehr Jesu nach Nazareth. Taufe der Jungfrau
- 1.2 SECHSTES BUCH
- 1.2.1 ERSTES HAUPTSTÜCK: Hochzeit zu Kana
- 1.2.2 ZWEITES HAUPTSTÜCK: Maria begleitet Jesus während der Zeit seines Lehramtes. Ihr Wirken
- 1.2.3 DRITTES HAUPTSTÜCK: Maria übt und lehrt die Demut
- 1.2.4 VIERTES HAUPTSTÜCK: Enthauptung des hl. Johannes
- 1.2.5 FÜNFTES HAUPTSTÜCK: Ehrfurcht der Apostel vor der Mutter Jesu =
- 1.2.6 SECHSTES HAUPTSTÜCK: Verklärung Christi. Salbung durch Magdalena
- 1.2.7 SIEBENTES HAUPTSTÜCK: Einzug Christi in Jerusalem
- 1.2.8 ACHTES HAUPTSTÜCK: Beratungen der bösen Geister und der jüdischen Hohenpriester gegen Jesus
- 1.2.9 NEUNTES HAUPTSTÜCK: Abschied Jesu von seiner heiligsten Mutter. Maria folgt ihrem Sohn nach Jerusalem
- 1.2.10 ZEHNTES HAUPTSTÜCK: Das Letzte Abendmahl und die Fußwaschung
- 1.2.11 ELFTES HAUPTSTÜCK: Einsetzung des heiligsten Altarsakramentes. Kommunion der heiligsten Jungfrau
- 1.2.12 ZWÖLFTES HAUPTSTÜCK: Jesus am Ölberg
- 1.2.13 DREIZEHNTES HAUPTSTÜCK: Gefangennahme Jesu
- 1.2.14 VIERZEHNTES HAUPTSTÜCK: Flucht der Apostzel. Verdammung des Judas. Verwirrung der Hölle
- 1.2.15 FÜNFZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Annas. Verleugnung des Petrus
- 1.2.16 SECHZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Kajaphas. Abermalige Verleugnung des Petrus
- 1.2.17 SIEBZEHNTES HAUPTSTÜCK: Weitere Leiden des Herrn. Die Schmerzen Mariä
- 1.2.18 ACHTZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Pilatus
- 1.2.19 NEUNZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Herodes
- 1.2.20 ZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Geißelung und Dornenkrönung
- 1.2.21 EINUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Verurteilung Jesu zum Tod. Wortlaut es Urteils
- 1.2.22 ZWEIUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Kreuzigung. Die sieben Worte. Maria unter dem Kreuz. Das Testament des Herrn
- 1.2.23 DREIUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Christi Sieg am Kreuz über den Teufel und den Tod. Ratsversammlung in der Hölle
- 1.2.24 VIERUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Christi Seitenwunde. Kreuzabnahme. Begräbnis
- 1.2.25 FÜNFUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Die heiligste Jungfrau tröstet Petrus und die übrigen Apostel. Ihre Weisheit
- 1.2.26 SECHSUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Auferstehung des Herrn. Er erscheint seiner heiligen Mutter
- 1.2.27 SIEBENUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Der Herr erscheint den frommen Frauen und den Aposteln
- 1.2.28 ACHTUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Ereignise während der vierzig Tage nach der Auferstehung
- 1.2.29 NEUNUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Himmelfahrt Jesu. Seine heiligste Mutter wird dabei wunderbar in den Himmel entrückt
- 1.1 FÜNFTES BUCH
- 2 Literatur
ZWEITER TEIL DES LEBENS UND DER GEHEIMNISSE DER KÖNIGIN DES HIMMELS
FÜNFTES BUCH
ERSTES HAUPTSTÜCK: Maria wird geprüft und auf neue Gnaden vorbereitet
Der Herr bereitet die heiligste Jungfrau Maria während ihres Aufenthaltes in Nazareth zu weiteren Gnaden vor, indem er sie mit einer gewissen Strenge behandelt und ihr den Trost entzieht. Absichten des Herrn bei dieser Prüfung.
712. Jesus, Maria und Joseph ließen sich nun zu Nazareth bleibend nieder, wodurch das arme, bescheidene Häuschen, das sie bewohnten, in einen zweiten Himmel verwandelt wurde. Um aber die erhabenen Geheimnisse zu beschreiben, welche zwischen dem Jesusknaben und seiner reinsten Mutter statthatten bis zu jener Zeit, da Jesus das zwölfte Lebensjahr vollendete, und sodann bis er sein Predigtamt antrat, wären gar viele Bücher und Kapitel vonnöten. Und wenn ich auch alle diese Bücher schriebe, so wäre das, was ich sagte, immerhin nur wenig wegen der unermesslichen Erhabenheit des Gegenstandes einerseits, und wegen meiner Unfähigkeit andererseits, da ich ja eine unwissende Frau bin. Ich werde darum mit dem Beistand des von der großen Herrin mir verliehenen Lichtes wenigstens einiges sagen und das meiste von dem, was sich sagen ließe, immer mit Stillschweigen übergehen. Denn alles zu erfassen, ist in diesem Leben weder möglich noch angemessen. Dies ist für jenes Leben vorbehalten, das wir erwarten.
713. Wenige Tage nach der Ankunft zu Nazareth beschloss der Herr, seine heiligste Mutter in ähnlicher Weise zu prüfen, wie er es während ihrer Kindheit getan, und wie ich es im zweiten Buch des ersten Teiles (Hauptstück 17) beschrieben habe. Freilich war jetzt die Liebe Mariä stärker und ihre Weisheit vollkommener; allein die Macht des Herrn ist unendlich, die Gaben, die er in göttlicher Liebe spenden will, sind ohne Maß, und die Befähigung der himmlischen Königin, solche Gaben zu empfangen, war größer als die aller übrigen Geschöpfe. Darum beschloss unser Herr, sie in einen noch höheren Stand von Verdienst und Heiligkeit zu erheben. Hierbei hatte der Herr, als der wahre Lehrer des geistlichen Lebens, zugleich die Absicht, eine Schülerin zu bilden, welche so weise und vortrefflich wäre, dass sie später die vollendete Lehrerin und das lebendige Musterbild der Lehre ihres Meisters sein könnte. Und dies war auch Maria in der Tat nach der Himmelfahrt ihres Sohnes, wie im dritten Teil beschrieben werden wird. Zudem war es für die Ehre Christi, unseres Erlösers, geziemend, ja notwendig, dass die wirksame Kraft seiner evangelischen Lehre, auf welche er das so heilige und unbefleckte Gesetz der Gnade gründen wollte, sich dadurch zeigte und bewährte, dass er ein bloßes Geschöpf bildete, in welchem sich die Wirkungen seiner Lehre in vollkommener und erschöpfender Weise offenbarten. Dieses Geschöpf sollte in dieser Hinsicht das vollkommenste sein, damit alle übrigen unter ihm stehenden Geschöpfe an ihm eine Richtschnur und ein Muster hätten. Es war aber ganz natürlich, dass dieses Geschöpf kein anderes sei als die allerseligste Jungfrau Maria, weil sie dem Lehrmeister und Herrn der Heiligkeit als Mutter am nächsten stand.
714. Es war also der Wille des Allerhöchsten, dass die himmlische Herrin die erste Schülerin seiner Schule sei, die Erstgeborene des neuen Gesetzes der Gnade, das vollendete Abbild des göttlichen Urbildes, der wohlvorbereitete Stoff, in welchem wie in einem weichen Wachs das Siegel seiner Lehre und Heiligkeit ausgeprägt werde, damit auf diese Weise Sohn und Mutter die beiden lebendigen Tafeln des neuen Gesetzes bildeten, welches der Welt zu verkünden er gekommen war. Um nun dieses erhabenste, von der göttlichen Weisheit gesetzte Ziel zu erreichen, offenbarte unser Herr seiner heiligsten Mutter alle Geheimnisse des Evangeliums und seiner Lehre; über alles besprach er sich mit ihr während jener Zeit, die von der Rückkehr aus Ägypten bis zum Antritt seines öffentlichen Lehramtes verstrich, wie wir im folgenden sehen werden. Dreiundzwanzig Jahre hindurch, also die ganze Zeit, welche sie zu Nazareth zubrachten, waren das menschgewordene Wort und seine heiligste Mutter mit diesen großen Geheimnissen beschäftigt. Weil aber alle diese Vorgänge hauptsächlich die göttliche Mutter betrafen, so haben die Evangelisten, welche ja nicht das Leben Mariä geschrieben haben, dieselben mit Stillschweigen übergangen, ausgenommen den Verlust des zwölfjährigen Jesusknaben zu Jerusalem, welchen der heilige Lukas (Lk 2, 43 ff) berichtet und von welchem später auch hier die Rede sein wird (unten Nr. 747 ff).Während jener ganzen Zeit war also Maria die einzige Schülerin ihres eingeborenen Sohnes. Zu den unaussprechlichen Gaben der Gnade und Heiligkeit, welche er ihr bisher verliehen hatte, fügte er nun ein neues Licht hinzu. Er ließ sie teilnehmen an seinem göttlichen Wissen, indem er ihrem Herzen das ganze Gesetz der Gnade und die ganze Lehre einprägte, welche er bis zum Ende der Welt in der Katholischen Kirche verkündigen wollte. In welch erhabener Weise dies geschehen ist, lässt sich nicht mit Worten aussprechen. Doch so groß war die Weisheit und Wissenschaft unserer Königin, dass sie genügt hätte, viele Welten zu erleuchten, falls es solche gäbe.
715. Damit nun dieses geistliche Gebäude im reinsten Herzen seiner heiligsten Mutter alles überrage, was nicht Gott ist, legte unser Herr selbst die Fundamente desselben, indem er die Stärke ihrer Liebe und aller anderen Tugenden erprobte. In dieser Absicht ließ er sie seine Abwesenheit fühlen, indem er ihr jenes Schauen in seine Seele entzog, in welchem sie sonst beständig die höchste geistige Freude gefunden hatte. Ich sage nicht, der Herr habe sie verlassen, denn er blieb bei ihr und in ihr durch eine Überfülle von Gnade und auf unaussprechliche Weise. Aber er verbarg ihrem Blick seine Seele und entzog ihr damit die süße Wonne, die sie in jenem Schauen genossen hatte. Dabei blieb es der himmlischen Herrin verborgen, wie und warum dies geschehe, denn unser Herr offenbarte ihr nichts hierüber. Überdies zeigte er sich ihr gegenüber, ohne irgendeine Erklärung zu geben, ernster als gewöhnlich und erfreute sie seltener durch seine Gegenwart. Denn er zog sich oftmals zurück, sprach mit ihr nur wenige Worte, und zwar mit großem Ernst und großer Majestät. Am meisten betrübte sie das Verschwinden jener Sonne, die ihr bisher in der heiligsten Menschheit wie in einem Kristallspiegel geleuchtet hatte, in welchem sie die Akte seiner reinsten Seele schaute. Jetzt konnte sie sie nicht mehr sehen, um sie, wie bisher, in sich als einem lebendigen Abbilde abzuprägen.
716. Diese unerwartete Änderung war der Feuerofen, in welchem das reinste Gold der heiligen Liebe unserer Königin erneuert und noch mehr geläutert wurde. Verwundert über das, was gegen alles Vermuten ihr geschehen war, suchte sie den Erklärungsgrund zunächst in der geringen Meinung, die sie von sich hatte. Sie hielt sich der Anschauung des Herrn, der sich ihr verborgen hatte, für unwürdig und schrieb die Schuld des Ganzen einem Mangel an Dankbarkeit und Erkenntlichkeit zu, indem sie glaubte, den Gnaden, die sie aus der freigebigsten Hand des Allerhöchsten, des Vaters der Erbarmungen empfangen hatte, nicht in gebührender Weise entsprochen zu haben. Nicht darüber war die weiseste Königin betrübt, dass sie der süßen Tröstung des Herrn entbehrte, die sie bisher für gewöhnlich genossen hatte, sondern die Furcht, ihm missfallen oder in seinem Dienst etwas vernachlässigt zu haben, diese war der schmerzliche Pfeil, der ihr unschuldigstes Herz durchbohrte. Die Liebe kann ja nicht anders denken, wenn sie so wahr und edel ist, wie die der seligsten Jungfrau. Denn die Liebe strebt nur danach, dem Geliebten Freude zu machen, sein Wohl ist ihre ganze Sorge. Wenn sie nun denkt, der Geliebte habe diese Freude nicht oder wenn sie fürchtet, er sei unzufrieden, so weiß sie keine Ruhe zu finden, bis der Geliebte wieder begütigt und befriedigt ist. Diese Liebesängste der göttlichen Mutter waren für ihren heiligsten Sohn ein Gegenstand des höchsten Wohlgefallens. Denn sie verdoppelten seine Liebe, und die zarten Anmutungen seiner Einzig-Auserwählten verwundeten sein Herz (Hld 4, 9). Allein durch einen zarten Kunstgriff der Liebe zeigte er sich, so oft die süße Mutter ihn suchte (Hld 3,1) und ihn zu sprechen verlangte, immer streng und verbarg seine Liebe. Durch diese geheimnisvolle Strenge loderte dann das Liebesfeuer ihres reinsten Herzens noch heller auf, wie das Feuer einer Schmiedeesse oder eines Scheiterhaufens, wenn es genetzt wird.
717. Hierbei erweckte die unschuldige Taube heldenmütige Akte aller Tugenden: sie erniedrigte sich unter den Staub, sie betete ihren heiligsten Sohn mit tiefster Ehrfurcht an, sie pries den Vater, dankte ihm für seine wunderbaren Werke und Gnaden und unterwarf sich seiner göttlichen Anordnung und seinem Wohlgefallen. Sie erforschte seinen heiligen, vollkommenen Willen, um ihn in allem zu erfüllen; sie entbrannte in Liebe, in Glaube und Hoffnung, so dass sie, der wohlriechendsten Narde gleich, beständig den lieblichsten Wohlgeruch für den König der Könige verbreitete, welcher in ihrem Herzen wie in einem lieblich duftenden Blumenbeetchen (Hld 1,11 u. 15) ruhte. Sie verharrte in beständigen Bitten, unter Tränen und Seufzern, die ununterbrochen dem Innersten ihres Herzens entquollen. Sie schüttete ihr Gebet aus vor dem Angesicht des Herrn und gab Seiner göttlichen Majestät ihre Trübsal kund (Ps 142, 3). Oftmals sprach sie sich auch mündlich in Worten unaussprechlicher Zärtlichkeit und schmerzlicher Liebe vor dem Herrn aus.
718. «O du Schöpfer des Weltalls», sprach sie, «ewiger, allmächtiger Gott, unendlich in Weisheit und Güte, unbegreiflich in der Wesenheit und in den Vollkommenheiten, wohl weiß ich, dass mein Seufzen deiner Allwissenheit nicht verborgen ist und dass du, o höchstes Gut, die Wunde kennst, die mein Herz durchbohrt. Habe ich es, als unnütze Dienerin, in deinem Dienst an etwas fehlen lassen, habe ich dir Missfallen bereitet, warum, o du Leben meiner Seele, warum strafst du mich nicht lieber mit allen Peinen dieses sterblichen Lebens, damit ich nicht die Strenge deines Angesichtes sehen müsse, was derjenige verdient, der dich beleidigt hat? Alle anderen Leiden wären geringer. Aber dich erzürnt zu sehen, dies kann mein Herz nicht ertragen, denn du allein, o Herr, bist mein Leben, mein Gut, meine Ehre und mein Schatz ! Alle Dinge, welche du geschaffen hast, sind meinem Herzen gleichgültig. Die Gedanken an sie finden in meiner Seele nur Zutritt, um deine Größe zu preisen und dich als den Schöpfer und Herrn aller Dinge anzuerkennen. Was soll ich also tun, mein Herr und mein höchstes Gut, wenn mir fehlt das Licht meiner Augen, das Ziel meiner Wünsche, der Führer meiner Pilgerfahrt, wenn mir fehlt das Leben, welches mir mein Dasein gibt, ja wenn mir alles fehlt, was mich belebt und erhält? Wer gibt meinen Augen eine Tränenquelle (Jer 9, 1), dass ich es beweine, so viele Güter nicht benützt und mit so geringem Dank sie erwidert zu haben? Mein Herr, mein Licht, mein Führer, mein Weg, mein Meister, der du meine unvollkommenen Taten durch deine höchst vollkommenen Werke leitest: wie soll ich mein Leben nach deinem Wohlgefallen einrichten, wenn du mir jenes Muster verbirgst? Wer wird mir Sicherheit bieten in diesem dunklen, fremden Land? Was soll ich tun, an wen mich wenden, wenn du mir deinen Schutz entziehst?»
719. Doch bei all diesen Herzensergüssen fand die seligste Jungfrau keine Ruhe. Dem verwundeten Hirsch (Ps 42, 2) gleich, dürstete sie nach den reinsten Wasserquellen der Gnade. Sie wandte sich darum auch an ihre heiligen Engel und pflog mit ihnen lange Unterredungen. «Erhabene Fürsten», sagte sie, «vertraute Freunde des höchsten Königs und meine Beschützer, bei der Seligkeit, die ihr ewig genießt. indem ihr beständig sein göttliches Angesicht in dem unzugänglichen Licht schaut, bitte ich euch: sagt mir, ob und warum er mir zürnt? Legt auch Fürspache vor seinem göttlichen Thron, für mich ein, damit er auf eure Bitten mir verzeihe, wenn ich ihn etwa beleidigt habe. Erinnert ihn, meine Freunde, dass ich Staub bin, obwohl von seinen Händen gebildet (Job 10, 9) und mit seinem Bild besiegelt. Er möge also dieser Armen nicht vollends vergessen, da sie ihn demütig preist und verherrlicht (Ps 74,19). Bittet, er möge meine Furcht beruhigen und mir das Leben geben, da ich, ohne ihn zu lieben, nicht leben kann. Sagt mir, wie ich ihm gefallen und die Huld seines Angesichtes verdienen kann?» Die Engel antworteten ihr: «Unsere Königin und Herrin, dein Herz ist groß genug, um nicht von der Trübsal überwältigt zu werden. Auch weiß niemand so gut wie du, dass der Herr nahe ist den Betrübten, die ihn anrufen (Ps 145,18). Ohne Zweifel achtet er auf dein Verlangen. Deine liebevollen Seufzer verachtet er nicht. In ihm wirst du immer einen gütigen Vater und in deinem Eingeborenen einen mitleidsvollen Sohn finden, der mit Liebe auf deine Tränen schaut.» «Wäre es etwa vermessen», erwiderte die liebevollste Mutter, «zu ihm zu gehen? Wäre es große Verwegenheit, zu seinen Füßen hingeworfen ihn um Verzeihung zu bitten, wenn ich ihn etwa durch einen Fehler betrübt habe? Was soll ich tun, um meiner Not abzuhelfen?» Die Himmelsfürsten antworteten: «Unser König verschmäht niemals ein demütiges Herz (Ps 51,19); vielmehr sieht er es liebevoll an, und niemals missfallen ihm die flehentlichen Bitten eines Herzens, das ihn liebt auch in den Prüfungen, die er aus Liebe sendet.»
720. Durch solche Unterredungen und Antworten spendeten die heiligen Engel ihrer Königin und Herrin einigen Trost, indem sie dabei in allgemeinen Worten auf die besondere Liebe und das besondere Wohlgefallen hinwiesen, mit welchem der Allerhöchste auf ihre Liebesängste schaute. Nähere Erklärungen aber gaben sie ihr nicht, denn der Herr wollte an diesen Ängsten sein Wohlgefallen haben. Ihr heiligster Sohn wurde als wahrer Mensch vermöge der natürlichen Liebe, die er ihr als seiner Mutter und seiner ausschließlichen Mutter schuldete und wirklich auch schenkte, oftmals innigst gerührt und von Mitleid ergriffen, wenn er Maria in solcher Betrübnis und so voll Tränen sah, jedoch verbarg er sein Mitleid unter dem Ernst seines Angesichtes. Zuweilen kam es vor, dass, wenn die liebevolle Mutter ihren Sohn zur Mahlzeit rief, er zögerte, oder dass er, wenn er auch kam, sie keines Wortes würdigte. Bei allen diesen Anlässen vergoss die große Herrin gar viele Tränen. Sie stellte auch ihrem heiligsten Sohn die Liebesschmerzen ihres Herzens vor, allein sie tat dies mit solcher Ruhe und Mäßigung und unter Gebärden, die von solcher Weisheit zeugten, dass, wenn bei Gott eine Verwunderung möglich wäre - was freilich nicht denkbar ist -, ihr göttlicher Sohn verwundert gewesen wäre, in einem bloßen Geschöpf eine solche Fülle von Heiligkeit und Vollkommenheit zu finden. Der Jesusknabe empfand in seiner menschlichen Natur eine besondere Freude und ein besonderes Wohlgefallen darüber, die Wirkungen seiner göttlichen Liebe und Gnade in seiner jungfräulichen Mutter so wohl angebracht zu sehen. Die heiligen Engel verherrlichten und priesen den Herrn mit neuen Lobliedern, die sie ihm zu Ehren eines so staunenswerten und unerhörten Wunders von Tugend darbrachten.
721. Als Schlaf- und Ruhestätte hatte die liebevolle Mutter dem Jesusknaben eine vom heiligen Patriarchen Joseph verfertigte Bettstelle hergerichtet, auf welche sie nichts anderes als eine einfache Decke legte. Denn von der Zeit an, da Jesus die Wiege verlassen hatte, was während des Aufenthaltes in Ägypten geschah, wollte er kein anderes Bett und keine andere Bedeckung mehr annehmen. Und selbst dieser Bettstelle bediente er sich nicht immer in der Weise, dass er sich darauf niederlegte, sondern oftmals lehnte er sich, auf seinem rauen Lager sitzend gegen ein ärmliches Kopfkissen aus Wolle, das ihm unsere Herrin verfertigt hatte. Und als die göttliche Mutter ihrem heiligsten Sohn ein besseres Lager herrichten wollte, sagte er, sein Ruhebett, auf dem er sich ausstrecken müsse, sei nur das Kreuz, denn er wolle die Welt durch sein Beispiel lehren, dass man zur ewigen Ruhe nicht durch jene Bequemlichkeiten eingehe, wie Babylon, d. h. die Welt, sie liebt, sondern dass in diesem sterblichen Leben das Leiden Erquickung sei. Von da an ahmte die Himmelskönigin ihren Sohn mit größter Sorgfalt in dieser Art zu ruhen nach. War die Zeit zur Ruhe gekommen, so pflegte die himmlische Lehrmeisterin der Demut sich vor ihrem heiligsten Sohn, der sich auf seiner Ruhestätte befand, niederzuwerfen. Hier bat sie ihn jeden Abend um Verzeihung, dass sie den Tag hindurch nicht sorgfältiger gewesen sei in seinem Dienst und nicht dankbar genug für seine Wohltaten, Sie dankte ihm aufs neue für alles, bekannte ihn unter vielen Tränen als den wahren Gott und Erlöser der Welt und erhob sich nicht eher vom Boden, als bis ihr göttlicher Sohn es ihr gebot und ihr den Segen gab. Ein Gleiches tat sie am Morgen; sie bat den göttlichen Meister, er möge ihr anweisen, was sie den ganzen Tag hindurch in seinem Dienste zu tun habe, und der göttliche Heiland tat dies auch mit großer Liebe.
722. Während der Zeit dieser strengen Prüfung aber war das Verhalten Jesu ein ganz anderes. Wenn die unschuldigste Mutter kam, um ihm wie gewöhnlich ihre Ehrfurcht und Anbetung zu bezeigen, so antwortete er ihr mit keinem Worte, wiewohl ihre Tränen reichlicher waren als sonst und ihre Seufzer aus dem tiefsten Grunde ihres Herzens kamen. Er hörte sie nur mit Ernst an und befahl ihr dann, sich zu entfernen. Welchen Eindruck es auf das reinste Herz der liebevollen Mutter machte, ihren Sohn, der zugleich ein wahrer Gott und wahrer Mensch war, in seinem Verhalten ganz geändert, in seinen Mienen so ernst, an Worten so karg und überhaupt in seinem Äußern so ganz anders als früher zu sehen, lässt sich weder aussprechen noch begreifen. Die göttliche Mutter erforschte ihr Inneres und alle ihre Handlungen nach der Ordnung, Beschaffenheit und den Umständen. Immer und immer wieder durchsuchte sie mit größter Aufmerksamkeit das Heiligtum ihrer Seele und ihrer Seelenkräfte, konnte aber keinen einzigen dunklen Fleck darin entdecken, denn alles in ihr war Licht, Heiligkeit, Reinheit und Gnade. Da sie aber wusste, dass nach den Worten Jobs (Job 15,15 u. 25, 5) vor dem Angesicht Gottes sogar die Himmel und die Sterne nicht rein seien, und dass er auch in seinen Engeln Fehler finde (Job 4,18), so fürchtete die große Königin, der Herr sehe an ihr vielleicht einen Fehler, den sie selbst nicht kenne. Diese Furcht verursachte ihr wahre Liebesohnmachten, denn die Liebe ist stark wie der Tod (Hld 8, 6) und verursacht unsägliche Leiden, wenn auch ihr Eifern noch so edel und voll Weisheit ist.
Diese Prüfung unserer Königin dauerte geraume Zeit. Ihr heiligster Sohn hatte indessen unaussprechliches Wohlgefallen an ihr. Er erhob sie dann zum Stand einer Lehrmeisterin aller Geschöpfe und belohnte ihre treue und zarte Liebe mit einer Gnadenfülle, die reicher und überfließender war als all die Gnaden, die sie bisher schon in so reichem Maß besessen hatte. Was hernach erfolgte, werde ich im nächsten Hauptstück erzählen.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
723. Meine Tochter, was du gesehen und beschrieben hast, hat in dir das Verlangen erregt, gleichfalls die Schülerin meines heiligsten Sohnes zu sein, wie ich es war. So sollst du denn zu deinem Trost wissen und erfahren, dass der Sohn Gottes dieses Amt eines Lehrmeisters nicht bloß einmal ausgeübt hat, während der Zeit nämlich, da er in Menschengestalt seine in den Evangelien und in der Kirche niedergelegten Lehren verkündete. Nein, er übt dieses Amt immerfort an den Seelen aus und wird es ausüben bis zum Ende der Welt, indem er sie ermahnt und ihnen das Vollkommenste und Heiligste eingibt, damit sie es in die Tat umsetzen. Er tut dies zwar an allen ohne Ausnahme, aber nach seinem göttlichen Willen oder nach der Disposition und Aufmerksamkeit einer jeden Seele empfängt die eine mehr, die andere weniger Licht. Hättest du dir diese Wahrheit immer zunutze gemacht, so wüsstest du jetzt durch lange Erfahrung, dass der höchste Herr es nicht verschmäht, der Lehrmeister der Armen, der Verachteten, ja der Sünder zu sein, wenn sie nur auf seine innerliche Lehre merken wollen. Weil du nun zu wissen begehrst, welche Disposition er von dir verlangt, so will ich es dir im Namen des Herrn selbst sagen und dir versichern, dass, wenn er dich wohlbereitet findet, er als wahrer und weiser Lehrer seine Weisheit, sein Licht, seine Lehre in großer Fülle in deine Seele ausgießen wird.
724: Fürs erste musst du ein reines, lauteres, ruhiges und zufriedenes Gewissen haben und beständig auf der Hut sein, damit du niemals in einen Fehler oder eine Unvollkommenheit fällst, in welcher Lage du dich immer befinden magst. Zugleich musst du dich von allem Irdischen losmachen, und zwar in dem Grad, dass, wie ich dich bereits früher ermahnt habe, keine Vorstellung und keine Erinnerung an etwas Menschliches und Sichtbares in dir verbleibe, sondern dass dein Herz ganz rein, ruhig und klar sei. Und wenn dein Inneres in besagter Weise losgeschält, wenn es von Finsternis und von dem, was solche Finsternis hervorruft, nämlich von den irdischen Gedanken frei ist, dann musst du auf den Herrn aufmerken und dein Ohr zu ihm neigen (Ps 45,11), als liebste Tochter, welche das Volk des eitlen Babylon und das Haus ihres Vaters Adam vergisst und alle Überbleibsel der Schuld abstreift. Ich versichere dir, dass dann der Herr Worte des ewigen Lebens zu dir sprechen wird. Du musst ihn aber mit Ehrfurcht und demütiger Dankbarkeit anhören, seine Lehre nach Gebühr hoch schätzen und sie mit aller Pünktlichkeit und Sorgfalt befolgen: denn nichts kann diesem großen Lehrmeister der Seelen verborgen bleiben, und er zieht sich mit Missfallen zurück, wenn das Geschöpf den Gehorsam und den Dank für eine so große Wohltat vernachlässigt. Die Menschen dürfen aber nicht meinen, wenn sich der Allerhöchste von ihnen zurückzieht so geschehe dies immer aus demselben Grund, wie es bei mir geschehen ist. Bei mir geschah es ohne eine Verschuldung von meiner Seite, und ich zeigte in der Prüfung eine überaus große Liebe. Bei den übrigen Menschenkindern aber, die so voll sind von Sünden und Unarten, so voll von Undankbarkeit und Nachlässigkeit, pflegen solche Prüfungen eine wohlverdiente Strafe und Züchtigung zu sein.
725. Beachte jetzt, meine Tochter, was du gefehlt und versäumt hast bezüglich der schuldigen Hochachtung für die Lehre und das Licht, welches du auf besondere Weise vom göttlichen Meister sowie durch meine Ermahnungen erhalten hast. Mäßige von nun an deine ungeordnete Furcht und hege nicht mehr Zweifel, ob es wirklich der Herr sei, der zu dir spricht. Denn die Lehre selber ist es, welche von ihrer Wahrheit Zeugnis gibt und über ihren Urheber und dich vergewissert. Sie ist ja heilig, rein, vollkommen und ohne Makel. Sie leitet dich zum Vollkommensten an. Sie weist dich zurecht wegen eines jeden, auch des geringsten Fehlers, und überdies ist sie von deinen geistlichen Führern gutgeheißen. Ferner ist es mein Wille, dass du es dir nach meinem Beispiel zur unverbrüchlichen Regel machst, jeden Abend und jeden Morgen zu mir, deiner Lehrmeisterin, zu kommen, mir demütig deine Fehler zu sagen und mit vollkommenem Reueschmerz sie zu bekennen, damit ich deine Fürsprecherin sei bei dem Herrn und als Mutter dir Verzeihung erlange. Solltest du eine Sünde oder Unvollkommenheit begehen, so bekenne und beweine sie ohne Verzug und bitte, mit dem ernsten Verlangen dich zu bessern, den Herrn um Verzeihung. Wenn du diese meine Weisungen getreu befolgst, so wirst du, wie du es begehrst, meine und des Allerhöchsten Schülerin sein. Denn der Gnadenstand und die Reinheit der Seele sind die beste und vollkommenste Disposition zur Aufnahme des himmlischen Lichtes und der eingegossenen [Wissenschaft]], welche der Erlöser der Welt denen mitteilt, die seine wahren Schüler sind.
ZWEITES HAUPTSTÜCK: Der Herr tröstet seine heiligste Mutter und beginnt sie zu unterrichten
Die heiligste Jungfrau Maria sieht wieder die inneren Akte der Seele ihres Sohnes und alles, was ihr sonst noch verborgen worden war. Der Herr fängt an, sie im Gesetz der Gnade zu unterweisen.
726. Große und weitläufige Erwägungen hat der menschliche Geist angestellt über die Natur und die Eigenschaften, über die Ursachen und Wirkungen der Liebe. Sollte ich aber die heilige und göttliche Liebe unserer Königin, der heiligsten Jungfrau Maria, beschreiben, so müsste ich zu allem dem, was über diesen Gegenstand, nämlich über die Liebe gesagt und geschrieben worden ist, gar vieles hinzufügen. Denn nächst der heiligsten Seele Christi, unseres Herrn, besaß und besitzt niemand unter allen Menschen und Engeln eine so edle und erhabene Liebe als die Himmelskönigin, da sie verdiente, die Mutter der schönen Liebe genannt zu werden (Sir 24, 24). Der Gegenstand der heiligen Liebe ist zwar bei allen derselbe, da alle Gott um seiner selbst willen und die Geschöpfe um Gottes willen zu lieben haben; allein die Personen, welchen diese Liebe mitgeteilt wird, die Ursachen, durch die sie entsteht und die Wirkungen, die sie hervorbringt, sind sehr verschieden. Unsere große Königin erreichte aber nach allen diesen Gesichtspunkten den höchsten Grad der Liebe, der für ein bloßes Geschöpf möglich ist. Die Reinheit des Herzens, der Glaube, die Hoffnung, die heilige, kindliche Furcht, die Wissenschaft und Weisheit, die Gnadenauszeichnungen des Herrn, die beständige Betrachtung und Hochschätzung derselben, kurz alles, was geeignet ist, die heilige und göttliche Liebe zu erwecken, alles fand sich in Maria in unermesslich hohem Grad. Dieses Feuer der göttlichen Liebe wird nicht in der Weise entzündet, wie die törichte, blinde Liebe angefacht wird. Letztere geht in die Seele ein durch den unverständigen Gebrauch der Sinne, und ist sie eingegangen, so hat damit auch das vernünftige Handeln ein Ende. Die heilige Liebe dagegen geht in die Seele ein mittels der alleredelsten Erkenntnis, durch die Kraft ihrer unermesslichen Güte und unaussprechlichen Süßigkeit. Da nämlich Gott Weisheit und Güte zugleich ist, so will er, dass die Liebe zu ihm nicht bloß mit Süßigkeit, sondern auch mit Weisheit und mit Erkenntnis des Geliebten verbunden sei.
727. Indes haben die genannten zwei Arten der Liebe einige Ähnlichkeit miteinander, jedoch mehr in Bezug auf die Wirkungen als auf die Ursachen. Beide sind nämlich schwer aus dem Herzen zu verbannen, wenn sie sich einmal ihrer bemächtigt haben. Und daher kommt dann der Schmerz, den das menschliche Herz fühlt, wenn es bei der geliebten Person Abneigung, Kälte oder Mangel an Gegenliebe findet, da dies soviel heißt, als es verpflichten, der Liebe zu entsagen. Diese hat sich aber des Herzens ganz bemächtigt und lässt sich nicht leicht aus demselben verbannen, wenn auch manchmal die Vernunft letzteres verlangt. Darum erleidet das Herz eine überaus harte Gewalt, welche Todesschmerzen verursacht. Alles dieses ist Torheit bei der blinden, weltlichen Liebe, bei der göttlichen Liebe aber ist es höchste Weisheit. Denn wo kein Grund vorliegen kann, der Liebe zu entsagen, ist es höchste Klugheit, Gründe zu suchen, um inniger zu lieben und den Geliebten zu gewinnen. Da aber der Wille alle seine Freiheit zu diesem Zweck verwendet so steht es ihm, je freier er das höchste Gut liebt, desto weniger frei, dieser Liebe zu entsagen. Und so wird in diesem glorreichen Streit der Wille, obwohl er der Herr und König der Seele ist, in glücklicher Weise der Sklave seiner eigenen Liebe. Er will und kann sich gleichsam dieser freien Knechtschaft nicht entziehen. Findet er aber dann bei dem höchsten Gut, das er liebt, Kälte oder Misstrauen, so leidet er durch jenen freigewollten Zwang Todespeinen, da ihm der Gegenstand des Lebens fehlt. Denn er lebt nur dadurch, dass er liebt und der Gegenliebe versichert ist.
728. Hieraus kann man einigermaßen entnehmen, was das reinste und liebeglühendste Herz unserer Königin durch die Abwesenheit des Herrn gelitten hat, da dieser, der Gegenstand all ihrer Liebe, sich ihr verbarg und sie so lange Zeit der Befürchtung überließ, ihm missfallen zu haben. Denn da sie ein Inbegriff, und zwar ein beinahe unermesslicher Inbegriff der Demut und Gottesliebe war und dabei den Grund dieser Strenge und Kälte ihres geliebten Sohnes nicht kannte, so litt sie ein zwar süßeres, aber auch grausameres Martertum, als je ein menschlicher oder engelhafter Verstand zu begreifen vermochte. Nur Maria, welche als «Mutter der heiligen Liebe» den höchsten Grad der Liebe, der bei einem bloßen Geschöpf möglich ist, erreicht hat, nur sie war weise und stark genug, ein solches Martertum zu erdulden, ein Martertum, das alle Pein der Märtyrer und alle Bußübungen der Bekenner an Größe des Schmerzes übertraf. An der Himmelskönigin ging in Erfüllung, was der Bräutigam im Hohenlied gesagt hat: «Gäbe auch ein Mensch alle Habe seines Hauses für die Liebe, für nichts würde er es achten (Hld 8, 7).» Denn alles Sichtbare und Erschaffene, ja ihr eigenes Leben vergaß sie während dieser Zeit und achtete es für nichts, bis sie die Gnade und Freundschaft ihres heiligsten Sohnes und Gottes, die sie zwar immer besaß, aber verloren zu haben fürchtete, wieder gefunden hatte. Welche Sorgfalt und Umsicht, welche Mühe und Anstrengung sie anwandte, um die Huld ihres süßesten Sohnes und die Gunst des himmlischen Vaters wieder zu gewinnen, lässt sich nicht mit Worten beschreiben.
729. Dreißig Tage gingen vorüber, bis dieser Kampf ein Ende nahm. Es waren aber Jahrhunderte für Maria, welche nicht einen Augenblick lang leben zu können glaubte, ohne ihre Liebe und den Gegenstand ihrer Liebe befriedigt zu sehen. Aber auch das Herz unseres Jesusknaben konnte sich, menschlich zu reden, länger nicht mehr halten. Es konnte der Gewalt der Liebe, die es zur süßesten Mutter trug, länger nicht mehr widerstehen, denn auch dem Herrn selbst kostete es eine unbegreifliche, aber sanfte Gewalt. Maria in solcher Betrübnis und Furcht zu lassen. Da geschah es eines Tages, dass die demütige Königin zu ihrem göttlichen Kind eintrat. Unter Tränen und Seufzern, die aus der Tiefe ihres Herzens kamen, warf sie sich ihm zu Füßen und redete es mit folgenden Worten an: «Meine süßeste Liebe, mein höchstes Gut, was bin doch ich, elender Staub und Asche, im Vergleich zu deiner unermesslichen Macht? Was vermag ein Geschöpf mit all seinem Elend vor deiner unendlichen Güte? In allem bist du über unsere Niedrigkeit erhaben. In dem unermesslichen Meere deiner Barmherzigkeit verschwinden alle unsere Unvollkommenheiten und Gebrechen. Wenn ich dir, wie ich es bekenne, nicht nach meiner Pflicht gedient habe, so strafe meine Nachlässigkeiten und verzeihe sie mir, aber lass mich doch, o mein Sohn und mein Herr, die Freude deines Angesichtes wieder sehen, in der mein Heil besteht. Lass mich wieder sehen das ersehnte Licht, welches mir Leben und Bestand gab. Sieh hier die Arme in den Staub gebeugt. Ich werde mich von deinen Füßen nicht erheben, bis ich den Spiegel wieder klar sehe, in welchem meine Seele sich beschaute.»
730. Diese und andere Worte voll Weisheit und glühendster Liebe sprach unsere große Königin, während sie vor ihrem heiligsten Sohn auf den Knien lag. Und da der Sohn Gottes noch sehnlicher begehrte, sie an seinen Wonnen wieder teilnehmen zu lassen, als Maria selbst es begehrte, so gab er ihr mit großem Wohlwollen zur Antwort: «Meine Mutter, erhebe dich!» Dieses Wort, gesprochen vom Wort des ewigen Vaters, war so wirksam, dass die göttliche Mutter augenblicklich umgewandelt und in eine sehr hohe Ekstase verzückt wurde, in welcher sie auf abstrakte Weise die Gottheit schaute. In dieser Vision empfing sie der Herr mit den zärtlichsten Liebesbeweisen und mit den Worten eines Vaters und Bräutigams, so dass sie von den Tränen zum Jubel, vom Leid zur Freude, von der Bitterkeit zur lieblichsten Süßigkeit überging. Seine göttliche Majestät offenbarte ihr große Geheimnisse über seine hohen Absichten in Bezug auf das Gesetz des Neuen Bundes. Und damit es seinem ganzen Inhalt nach in ihr reinstes Herz eingeschrieben würde, bezeichnete und bestimmte die allerheiligste Dreifaltigkeit Maria als die Erstgeborene und als die erste Schülerin des menschgewordenen Wortes. Das ewige Wort sollte in ihr das Muster- und Vorbild schaffen, nach welchem sich alle heiligen Apostel, Martyrer, Kirchenlehrer, Bekenner, Jungfrauen und alle übrigen Gerechten der neuen Kirche und des Gnadengesetzes bilden sollten, welches er, der Erlöser des Menschengeschlechtes, gründen wollte.
731. Auf dieses Geheimnis bezieht sich alles dasjenige, was, gemäß der Auslegung der heiligen Kirche, die göttliche Mutter im vierundzwanzigsten Hauptstück des Buches Sirach unter dem Bild der göttlichen Weisheit von sich selbst aussagt. Ich will mich aber nicht länger bei Erklärung dieses Hauptstückes aufhalten, denn wenn man das Geheimnis, das ich eben beschreibe, kennt, so versteht man auch, wie alles, was der Heilige Geist dort im Namen Mariä sagt, auf unsere Königin passt. Einige Stellen genügen, damit alle wenigstens einen Teil dieses wunderbaren Geheimnisses verstehen. «Ich bin,» sagt U. L. Frau, «aus dem Munde des Allerhöchsten hervorgegangen als die Erstgeborene vor aller Schöpfung: ich bewirkte am Himmel die Schöpfung des immerwährenden Lichtes und bedeckte wie mit einem Nebel die ganze Erde. Meine Wohnung ist in der Höhe und mein Thron auf den Säulen der Wolke. Ich allein habe den Umkreis des Himmels umgangen, habe die Tiefen des Abgrundes durchdrungen und bin auf den Fluten des Meeres gewandelt. Ich bin auf der ganzen Erde gestanden und habe die Herrschaft unter allen Völkern und unter allen Nationen geübt, ich habe mächtig aller Großen und Niedrigen Herzen bezwungen. Bei diesen allen sah ich mich um, wo ich wohnen könnte. Da wollte ich bleiben unter dem Erbe des Herrn. Dann gebot und sprach zu mir der Schöpfer aller Dinge, und der mich erschuf, in meiner Hütte wohnte, er sprach zu mir: In Jakob sollst du wohnen, in Israel dein Erbe haben und in meinen Auserwählten Wurzel schlagen. Im Anfang und vor aller Zeit ward ich erschaffen und werde bis in alle Ewigkeit nicht aufhören, in der heiligen Wohnung diente ich vor ihm. Und so bekam ich eine feste Wohnung auf Sion, in der heiligen Stadt einen Ruheort und so herrschte ich zu Jerusalem. Ich fasste Wurzel bei einem geehrten Volk, bei dem Anteil meines Gottes, der sein Erbe ist, in der vollen Gemeinde der Heiligen ist mein Aufenthalt (Sir 24, 5 ff).»
732. Der weise Sirach fügt noch andere Erhabenheiten Mariä bei, indem er also fortfährt: «Wie eine Terebinthe breitete ich meine Zweige aus, und meine Zweige sind herrlich und lieblich. Wie ein Weinstock trug ich wohlriechende, liebliche Früchte, und meine Blüten sind ein herrliches und ehrliches Gewächs. Ich bin die Mutter der schönen Liebe und Furcht der Erkenntnis und heiligen Hoffnung. Bei mir ist alle Gnade des Wandels und der Wahrheit, bei mir alle Hoffnung des Lebens und der Tugend. Kommet her zu mir alle, die ihr mein begehret und sättigt euch von meinen Früchten. Denn mein Geist ist süßer als Honig, und mein Besitz über den süßesten Honigseim. Mein Andenken dauert immer und ewig. Die mich essen, hungern immer, und die mich trinken, dürsten immer. Wer auf mich hört, wird nicht zuschanden, und wer in mir seine Werke tut sündigt nicht. Die mich ins Licht setzen, erhalten das ewige Leben (Sir 24, 22 ff).» In diesen Worten des heiligen Sirach wird ein frommes Herz eine Fülle von Geheimnissen der seligsten Jungfrau Maria finden. Es wird durch die verborgene Kraft zu Maria, der Mutter der Gnade, hingezogen, die unbeschreibliche Größe und Erhabenheit fühlen, zu welcher Unsere Liebe Frau nach dem Beschluss der heiligsten Dreifaltigkeit durch die Lehre ihres heiligsten Sohnes gelangt ist. Diese erhabene Himmelsfürstin ist die wahre Bundeslade des Neuen Testamentes, und aus dem Überfluss ihrer Weisheit und Gnade strömt wie aus einem unermesslichen Meer alles, was die anderen Heiligen empfangen haben und noch empfangen werden bis zum Ende der Welt.
733. Nachdem die göttliche Mutter von der Verzückung zurückgekommen war, betete sie aufs neue ihren heiligsten Sohn an und flehte, er möge ihr verzeihen, wenn sie in seinem Dienst einer Nachlässigkeit sich schuldig gemacht habe. Unser Herr hob sie von der Erde auf und antwortete ihr: «Meine Mutter, ich habe großes Wohlgefallen an deinem Herzen und seinen Gefühlen. Es ist mein Wille, dass du dein Herz erweiterst und bereitest, um meine Zeugnisse darin aufzunehmen. Ich werde den Willen meines Vaters erfüllen und die Lehre des Evangeliums, welche ich der Welt zu verkündigen komme, in dein Herz schreiben. Du aber, meine Mutter, wirst dieselbe nach meinem Verlangen ausüben.» Die reinste Königin antwortete: «Mein Sohn und Herr, möge ich Gnade finden in deinen Augen, leite alle Kräfte meiner Seele auf den geraden Wegen deines Wohlgefallens! Rede, mein Herr, denn deine Dienerin hört, sie wird dir folgen bis in den Tod!» Bei dieser Unterredung wurde der göttlichen Mutter die heiligste Seele Jesu Christi mit all ihren Tätigkeiten wiederum sichtbar, und zwar genoss sie diese Gnade von da an in höherem Grad, sowohl von ihrer Seite, als von Seiten des göttlichen Heilandes. Denn sie selbst erhielt ein höheres und helleres Licht, und in ihrem göttlichen Sohn schaute sie das neue Gesetz des Evangeliums mit all seinen Geheimnissen, Sakramenten, seiner Lehre so, wie sein göttlicher Stifter als Lehrer und Erlöser der Menschen den Plan desselben in seinem Geist entworfen und in seinem Willen beschlossen hatte. Abgesehen von dieser wunderbaren Mitteilung, welche der seligsten Jungfrau ausschließlich eigen war, belehrte unser Herr Maria auch noch mündlich: er eröffnete ihr das «Verborgene seiner Weisheit (Ps 51, 8)», und was allen Menschen und Engeln unbekannt war. Und wie die reinste Jungfrau Maria diese Weisheit ohne Falsch erlernt hatte, so teilte sie dieselbe auch ohne Neid mit (Weish 7,13), sowohl vor, als insbesondere nach der Himmelfahrt unseres Herrn Jesu Christi.
734. Ich weiß wohl, dass in dieser Geschichte alle die tiefen Geheimnisse mitzuteilen wären, welche zwischen der göttlichen Mutter und ihrem heiligsten Sohn während des Knabenalters und der Jugendzeit Jesu bis zu seinem öffentlichen Lehramt vorgingen; denn alle diese Geheimnisse wurden an der göttlichen Mutter vollzogen und geschahen zu ihrer Belehrung. Allein was ich schon oben (Nr. 712) ausgesprochen habe, bekenne ich hier neuerdings, dass dies nämlich eine Aufgabe wäre, welche nicht bloß mein Vermögen, sondern auch das aller vernünftigen Geschöpfe überstiege. Denn um solches zu beschreiben, müsste man alle Geheimnisse der Heiligen Schrift, die ganze christliche Lehre, die Tugenden, sämtliche Überlieferungen der heiligen Kirche, die Widerlegung der Irrtümer und der Ketzereien, die Entscheidungen aller heiligen Kirchenversammlungen, alles, was die Kirche aufrecht erhält und sie bis zum Ende der Welt erhalten wird, alles dieses müsste man beschreiben und außerdem noch andere große Geheimnisse aus dem Leben und der Glorie der Heiligen. Denn alles dieses wurde in das reinste Herz unserer großen Königin eingeschrieben. Auch was der göttliche Heiland getan hat, damit die Erlösung und Lehre in seiner Kirche überreich sei, alles, was die Evangelisten, Apostel, Propheten und alten Väter geschrieben, was in der Folge alle Heiligen gewirkt haben, die Erleuchtung der Kirchenlehrer, die Leiden der Märtyrer und Jungfrauen sowie die Gnaden, welche sie dazu erhielten: alles dieses und noch viel mehr, was auszusprechen nicht möglich ist, erkannte die heiligste Jungfrau Maria im einzelnen mit dem tiefsten Verständnis, mit großer Weisheit und mit großer Klarheit. Für alles sagte sie Dank, für alles brachte sie, soweit es einem bloßen Geschöpf möglich ist dem ewigen Vater als dem Urheber dieser Werke, und seinem eingeborenen Sohn, als dem Haupt der Kirche, den gebührenden Lobpreis dar. Von allem werde ich später mitteilen, was mir möglich sein wird.
735. Obwohl aber die göttliche Mutter, auf ihren Sohn und Meister schauend, diesen Werken mit aller erforderlichen Vollkommenheit oblag, so vernachlässigte sie darum doch niemals die Dienste und Sorgen für das leibliche Leben Jesu und des heiligen Joseph. Auf alles war sie bedacht an nichts ließ sie es fehlen. Sie bereitete ihnen das Essen und bediente sie. Ihren heiligsten Sohn bediente sie nicht anders als kniend und mit unaussprechlicher Ehrfurcht. Sie sorgte auch dafür, dass der Jesusknabe seinem Nährvater allen Trost bereitete, den ein Kind seinem leiblichen Vater verschaffen kann. Der göttliche Knabe aber gehorchte hierin pünktlich seiner Mutter und blieb oft lange Zeit bei dem hl. Joseph, während dieser im Schweiß seines Angesichtes für den Unterhalt des Sohnes Gottes und dessen heiligster Mutter unermüdlich arbeitete. Als aber der göttliche Knabe größer geworden war, half er manchmal, soweit es sein Alter gestattete, dem hl. Joseph bei seiner Arbeit. Und wenn letztere seine natürlichen Kräfte überstieg, so half er auch das eine oder andere Mal durch ein Wunder, um dem hl. Joseph bei seiner Arbeit einige Erleichterung zu verschaffen, denn derartige Wunder geschahen nur im Kreis der Heiligen Familie selbst.
LEHRE DER HEILIGSTEN JUNGFRAU MARIA
736. Meine Tochter, ich lade dich aufs neue ein, von jetzt an als meine Schülerin und Freundin die himmlische Lehre auszuführen, welche mein göttlicher Sohn in den heiligen Evangelien und den übrigen heiligen Büchern seiner Kirche hinterlassen hat. Du sollst dein Herz mit neuem Eifer vorbereiten, damit es als auserwählte Erde den lebendigen und heiligen Samen des göttlichen Wortes aufnehme und hundertfältige Frucht bringe. Achte aufmerksam auf meine Worte. Lies beständig die heiligen Evangelien und erwäge deren Lehre und Geheimnisse. Höre auf die Stimme deines Meisters und Bräutigams. Alle lädt er ein und ruft sie zu seinen Worten des ewigen Lebens. Allein die Verblendung in diesem sterblichen Leben ist so groß, dass nur sehr wenige Seelen hören und verstehen wollen, welches der Weg des Lichtes ist. Viele folgen den Vergnügungen, welche ihnen der Fürst der Finsternis bietet, «wer aber in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wohin er geht (Joh 12, 35).» Dich ruft der Herr auf den Weg des wahren Lichtes. Folge diesem, indem du mich nachahmst und du wirst dein Verlangen erreichen. Entsage allem Irdischen. Denke nicht daran, betrachte, verlange es nicht. Vermeide, bekannt zu werden. Gestatte den Geschöpfen keinen Raum in deinem Herzen. Bewahre dein Inneres, deinen Schatz vor der Verblendung der Menschen und bösen Geister. Alles dieses wird dir gelingen, wenn du als meine und meines göttlichen Sohnes Schülerin die Lehre des Evangeliums, in welcher wir dich unterrichten, mit schuldiger Vollkommenheit ausübst. Und um dich zum Streben nach einem so hohen Ziel anzuspornen, habe immer vor Augen, welch große Wohltat der Herr dir erwiesen hat indem er dich berief, nach Verhältnis deiner Kräfte Novizin und Professin in Nachahmung meines Lebens, meiner Lehre und meiner Tugenden zu sein und in meine Fußstapfen zu treten. Von diesem Stand sollst du dann übergehen zu dem höheren Noviziate und zu der vollkommenen Profession der katholischen Religion, indem du die Lehre und das Beispiel des Erlösers der Welt befolgst und dem Geruch seiner Salben nachgehst auf den geraden Pfaden seiner Wahrheit. In dem ersten Stand, als meine Schülerin, musst du dich vorbereiten, die Schülerin meines heiligsten Sohnes zu werden. Beide Stände aber sollen dir dazu dienen, den letzten zu erreichen, nämlich die Vereinigung mit der unwandelbaren Wesenheit Gottes. Alle diese drei Stände sind Wohltaten von unaussprechlichem Wert. Sie stellen dir zur Aufgabe, vollkommener zu werden als die hocherhabenen Seraphim. Die Hand des Herrn hat dir aber diese Wohltaten zu dem Zweck gespendet, damit du dadurch bereitet, befähigt und tauglich werdest, die Lehre, Unterweisung und Erleuchtung zu empfangen über mein Leben, mein Wirken. meine Tugenden und meine Geheimnisse und Gnadenvorzüge, auf dass du all dies beschreibst. Diese Barmherzigkeit hat dir der Herr ohne dein Verdienst, auf meine Fürbitte erwiesen. Ich habe diese in kräftiger Weise für dich eingelegt zur Belohnung dafür, dass du deinen furchtsamen Sinn dem Willen Gottes und deiner Oberen unterworfen hast, welche dir wiederholt aufgetragen haben, meine Lebensgeschichte zu schreiben. Der für deine Seele vorteilhafteste Lohn besteht in den genannten drei geistlichen, geheimnisvollen Ständen oder Wegen, die sehr erhaben, der Klugheit des Fleisches verborgen, Gott aber sehr wohlgefällig sind. Sie sind, wie dir aus Erfahrung bekannt ist, von den reichlichsten Belehrungen begleitet, damit du ihr Ziel erreichst. Schreibe diese Belehrungen in einer besonderen Abhandlung nieder, es ist dies der Wille meines heiligsten Sohnes. Gib ihr den Titel, welchen du in der Einleitung dieser Geschichte angekündigt hast, nämlich: «Gesetze der Braut, erhabene Grundsätze ihrer keuschen Liebe und Früchte, gesammelt vom Lebensbaum dieses Buches.»
DRITTES HAUPTSTÜCK: Maria und Joseph gehen dem Gesetze gemäß alle Jahre nach Jerusalem und nehmen den Jesusknaben mit sich
737. Wenige Tage nachdem sich die Heilige Familie in Nazareth niedergelassen hatte, kam die Zeit, in welcher das Gesetz des Moses die Israeliten verpflichtete, sich vor dem Herrn in Jerusalem darzustellen. Diese Vorschrift verpflichtete, wie aus dem Buch Exodus und Deuteronomium (Ex 23,14 ff; Dtn 16,1 ff) ersichtlich ist, dreimal im Jahr, jedoch nur die Männer, nicht aber die Frauen. Diesen war es weder geboten noch verboten, sie konnten also aus Frömmigkeit hingehen oder dies auch unterlassen. Die Himmelskönigin und ihr Bräutigam besprachen sich darüber, was sie in diesen Fällen tun sollten. Der Heilige war geneigt seine Braut und den Jesusknaben mitzunehmen, um ihn dem ewigen Vater aufs neue aufzuopfern, wie er dies immer im Tempel tat. Auch die reinste Mutter fühlte sich durch ihre Frömmigkeit und ihren Eifer für die Ehre des Herrn dazu hingezogen. Da sie aber in solchen Fällen nicht leicht ohne den Rat ihres göttlichen Lehrmeisters handelte, so befragte sie ihn auch hierüber. Es wurde entschieden, dass Joseph zweimal im Jahr allein nach Jerusalem gehe, das dritte Mal aber alle drei zusammen. Die Feste, zu welchen die Israeliten zum Tempel gingen, waren: das Laubhüttenfest, das Fest der Wochen oder Pfingsten und das der ungesäuerten Brote oder Ostern. Auf letzteres gingen Jesus, Maria und Joseph zusammen. Es dauerte sieben Tage, und dabei fiel vor, was ich im folgenden Hauptstück erzählen werde. Zu den beiden anderen Festen ging der hl. Joseph allein.
738. Die beiden Pilgerfahrten, bei welchen der heilige Joseph allein war, machte er für sich, für seine heilige Braut und im Namen des menschgewordenen Wortes. Durch die Belehrungen und Begnadigungen von Seiten des Jesusknaben mit Gnade, Andacht und himmlischen Gaben bereichert, ging er dann hin, um dem ewigen Vater das Opfer darzubringen, das er gleichsam zur Verwahrung zu Hause zurückließ, bis die Fülle der Zeit gekommen war. Unterdessen verrichtete er als Stellvertreter des Sohnes und der Mutter, die auch für ihn beteten, im Tempel zu Jerusalem geheimnisvolle Gebete und brachte Gott das Opfer seiner Lippen dar. Weil er aber dabei Jesus und Maria darstellte und aufopferte, so war sein Opfer dem himmlischen Vater wohlgefälliger als alle Opfer des gesamten israelitischen Volkes. Wenn jedoch das menschgewordene Wort und die jungfräuliche Mutter den hl. Joseph zum Osterfest begleiteten, dann war die Reise wunderbarer sowohl für ihn, als für die himmlischen Geister. Denn dann bildeten Jesus, Maria und Joseph jene mehrfach erwähnte, höchst feierliche Prozession mit den zehntausend Engeln, welche in sichtbarer und menschlicher Gestalt in strahlender Schönheit mitgingen, um ihrem Schöpfer und ihrer Königin mit tiefer Ehrfurcht zu dienen, wie sie dies auch bei früher erwähnten Reisen taten. Der Weg von Nazareth nach Jerusalem betrug dreißig Stunden. Auf dem Hin- und Rückweg beobachteten die heiligen Engel dieselbe Ordnung und leisteten dieselben Dienste, je nachdem es nötig und vom göttlichen Heiland angeordnet war.
739. Bei diesen Pilgerfahrten gingen Jesus, Maria und Joseph verhältnismäßig langsamer als bei früheren Reisen. Seitdem sie nämlich aus Ägypten nach Nazareth zurückgekehrt waren, wollte der Jesusknabe dabei zu Fuß gehen. Und so gingen also alle drei zu Fuß, der Sohn und die heiligsten Eltern. Darum war es auch notwendig, langsam zu gehen, denn der Jesusknabe wurde auf diesen Wegen, die er im Gehorsam gegen den himmlischen Vater und zu unserem Heil zurücklegte, bald müde. Von seiner Allmacht aber wollte er keinen Gebrauch machen, um sich von den Mühsalen des Gehens zu befreien. Er machte vielmehr den Weg als leidensfähiger Mensch und gab daher den natürlichen Ursachen sozusagen Erlaubnis und Gelegenheit, die ihnen eigentümlichen Wirkungen auch an ihm hervorzubringen, so dass er durch die Beschwerde des Gehens ermüdet und geschwächt wurde. Das erste Mal erleichterten zwar die göttliche Mutter und ihr Bräutigam dem göttlichen Knaben die Reise in etwas, indem sie ihn auf ihre Arme nahmen, doch geschah dies nur sehr kurze Zeit. In der Folge ging er immer zu Fuß. Die liebevollste Mutter hinderte ihn daran nicht, denn sie wusste, dass er leiden wollte: sie führte ihn aber gewöhnlich an der Hand, und manchmal tat dies auch der hl. Joseph. Oftmals geschah es, dass die heiligste Mutter, wenn sie ihr Kind ermüdet und erhitzt sah, vor Mitleid weinte. Sie fragte es dann, ob es müde sei und trocknete sein göttliches Angesicht ab, welches schöner war als der Himmel mit seinen Gestirnen. Dies tat die Himmelskönigin immer kniend und mit tiefster Ehrfurcht. Der göttliche Knabe antwortete dann freundlich, dass er diese Mühen zur Ehre seines himmlischen Vaters und zum Heil der Menschen mit Freuden annehme. Mit solchen Unterredungen und himmlischen Lobgesängen zum Preise Gottes brachten die drei heiligsten Wanderer, wie schon bei früheren Gelegenheiten erzählt wurde, einen großen Teil der Reise zu.
740. Hierbei schaute die Himmelskönigin einerseits die innerlichen Akte ihres heiligsten Sohnes und andererseits die Vollkommenheit seiner mit der Gottheit vereinigten Menschheit, deren Schönheit und Wirksamkeit, in welcher sich seine göttliche Gnade offenbarte. Ferner die Art und Weise, wie er als wahrer Mensch im Wachstum und Handeln sich entwickelte. Alles dieses erwog die weiseste Mutter in ihrem Herzen, verrichtete dabei heroische Akte aller Tugenden und entbrannte in der Liebe zu Gott. Sie betrachtete aber ihr Kind auch als den Sohn des ewigen Vaters, als den wahren Gott. Und ohne dass der Mutterliebe Eintrag geschah, war Maria auch auf die Ehrfurcht, welche sie ihm als ihrem Gott und Schöpfer schuldete, sorgsam bedacht. Alle diese Gefühle waren in ihrem reinsten Herzen im Einklang. Manchmal spielte unterwegs der Wind mit den Haaren des Jesusknaben (dieselben wuchsen nicht länger, als es nötig war, und er verlor keines, bis die Henkersknechte ihm dieselben ausrissen). Dieser Anblick erregte in der liebevollen Mutter Affekte voll Zartheit und Weisheit. Überhaupt war sie in ihrem ganzen innerlichen wie äußerlichen Verhalten ein Gegenstand der Bewunderung für die Engel und des Wohlgefallens für ihren heiligsten Sohn und Schöpfer.
741. Bei allen diesen Reisen zum Tempel verrichteten der Sohn und die Mutter große Werke zum Heil der Seelen. Sie brachten viele zur Erkenntnis des Herrn, zogen sie aus dem Stand der Sünde und führten sie auf den Weg der Tugend und des ewigen Lebens. Doch all dies geschah auf verborgene Weise, denn für den Lehrmeister der Tugend war die Zeit noch nicht gekommen, sich zu offenbaren. Da die göttliche Mutter wusste, dass dieses die «Werke» seien, welche der ewige Vater ihrem heiligsten Sohn aufgetragen hatte und dass dieselben im Verborgenen geschehen müssten, so wirkte sie bei denselben als Werkzeug des Willens des Welterlösers mit, doch gleichfalls im Verborgenen. Um in allem mit höchster Weisheit zu handeln, fragte die Lehrmeisterin der Weisheit bei diesen Reisen immer das göttliche Kind um Rat, was sie tun, in welche Herbergen sie gehen sollten. Denn sie wusste, dass ihr heiligster Sohn in seinen Entscheidungen immer jene Mittel anordnete, welche zur Ausführung der von ihm vorgesehenen und vorherbeschlossenen Wunderwerke die geeignetsten waren.
742. An den Orten, wo sie die Nacht zubrachten, was in den Herbergen und einige Male auch unter freiem Himmel geschah, trennten sich das göttliche Kind und seine reinste Mutter nie voneinander. Maria betrachtete allezeit die Handlungen ihres Sohnes und Lehrmeisters, um sie in allem nachzuahmen. Ebenso schaute sie im Tempel die Gebete, welche das menschgewordene Wort an den himmlischen Vater richtete. Sie sah, wie er in seiner Menschheit nach welcher er unter dem himmlischen Vater stand, sich selbst verdemütigte und wie er mit tiefster Ehrfurcht für die Gaben dankte, die er von der Gottheit empfangen hatte. Zuweilen vernahm die seligste Mutter auch die Stimme des ewigen Vaters, welche sprach: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe (Mt 17, 5).» Andere Male schaute die große Königin, wie ihr heiligster Sohn für sie zum ewigen Vater betete und ihm sie als seine wahre Mutter vorstellte, was ihr unaussprechliche Freude bereitete. Sie sah auch, wie er für das ganze Menschengeschlecht betete und seine Werke und Mühen für alle diese erhabenen Zwecke aufopferte. Sie schloss sich dann allen diesen Bitten an und ahmte dieselben nach.
743. Manchmal sangen auch die Engel dem menschgewordenen Worte Loblieder in lieblichster Harmonie, sowohl beim Eintritt in den Tempel, als auch während der Reise. Die glückliche Mutter hörte sie und verstand alle diese Geheimnisse. Dann wurde sie mit neuem Licht erfüllt, ihr reinstes Herz entbrannte in der Liebe zu Gott. Der Allerhöchste aber verlieh ihr neue Gnaden, welche meine beschränkten Worte nicht zu schildern vermögen. Der Herr wollte sie dadurch auf die künftigen Leiden vorbereiten. Denn oftmals wurden ihr nach solch wunderbaren Gnaden wie in einem Umriss alle Beschimpfungen und Schmerzen vor Augen gestellt welche ihr heiligster Sohn in der Stadt Jerusalem leiden sollte. Dabei pflegte dann der göttliche Heiland, damit sie alles desto deutlicher, aber auch um so schmerzlicher in ihm sähe, in ihrer Gegenwart zu beten. Und da sie ihn dabei im Licht der himmlischen Weisheit betrachtete und ihn als ihren Gott und zugleich als ihren wahren Sohn liebte, so wurde ihre Seele vom Schwert der Schmerzen durchbohrt welches Simeon ihr geweissagt hatte. Sie vergoss schon zum voraus zahllose Tränen über die Beschimpfungen, die Leiden und den schmählichen Tod, welche ihrem süßesten Sohn bevorstanden. Sie weinte, dass er, der Schönste unter den Menschenkindern, mehr verunstaltet werden sollte, als ein Aussätziger, und dass ihre Augen all dies mitansehen sollten. Um ihren Schmerz etwas zu lindern, wandte sich ihr göttlicher Sohn öfters an sie und sagte, sie solle ihr Herz und ihre Liebe zum Menschengeschlechte erweitern und ihre beiderseitigen Schmerzen dem ewigen Vater für die Erlösung der Menschen aufopfern. Beide brachten dann miteinander dieses Opfer zum Wohlgefallen der heiligsten Dreifaltigkeit dar. Sie wendeten es den Gläubigen zu, in besonderer Weise den Auserwählten, welche die Verdienste und die Erlösung des menschgewordenen Wortes sich zunutze machen würden. Mit solchen Beschäftigungen brachten Jesus und Maria die Tage zu, an welchen sie zum Tempel nach Jerusalem gingen.
LEHRE, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gab
744. Meine Tochter, wenn du die Größe deiner Verpflichtungen aufmerksam und ernstlich erwägst, so wird dir die Mühe, welche ich dir wiederholt auflege, nämlich die Gebote und das heilige Gesetz des Herrn zu erfüllen, sehr leicht und süß erscheinen. Dieses muss der erste Schritt deiner geistlichen Wanderschaft sein, denn es ist der Anfang und das Fundament aller christlichen Vollkommenheit. Ich habe dich aber oftmals belehrt, dass man die Gebote des Herrn nicht mit Launigkeit und Kälte, sondern mit allem Eifer und mit vollkommener Hingabe erfüllen soll. Diese Hingabe wird dich anspornen, ja nötigen, dich nicht mit einer gewöhnlichen Tugend zu begnügen, sondern auch freiwillig manche Werke der Übergebühr zu verrichten und aus Liebe zu tun, was Gott dir nicht als Pflicht auferlegt. Denn in seiner Weisheit wählte er diesen Weg, um sich seinen wahren Dienern und Freunden gleichsam zum Schuldner zu machen, wie er es gegen dich sein will. Bedenke, meine Tochter, dass der Weg dieses sterblichen Lebens zum ewigen Leben lang, mühevoll und gefährlich ist. Lang wegen der Entfernung, mühevoll wegen der Schwierigkeiten, gefährlich wegen der Gebrechlichkeit des Menschen und der Arglist der Feinde. Zudem ist die Zeit kurz - das Ende ist ungewiss, entweder überaus glücklich oder im höchsten Grad unglücklich - das eine wie das andere aber unabänderlich. Seit der Sünde Adams hat das sinnliche, irdische Leben große Macht über diejenigen, die sich ihm hingeben. Die Bande der Leidenschaften sind stark, der Streit der Leidenschaften ist ein beständiger. Was Vergnügen bietet, das ist den Sinnen gegenwärtig und blendet sie gar leicht. Die Tugend dagegen ist in ihren Wirkungen mehr verborgen und liegt darum auch der Erkenntnis ferner. Alles dieses zusammen bewirkt, dass die Pilgerfahrt dieses Lebens voll Gefahren und Schwierigkeiten und ihr Ende ein unsicheres ist.
745. Unter allen Gefahren aber, denen die menschliche Gebrechlichkeit ausgesetzt ist, ist eine der größten die, welche von der Begehrlichkeit des Fleisches herrührt. Eben weil der Mensch gebrechlich, das Fleisch aber ein Feind ist, welcher niemals schläft und zudem im Innern wohnt, darum gehen gerade durch diesen Feind gar viele Menschen der Gnade Gottes verlustig. Das kürzeste und sicherste Mittel. ihn zu besiegen, ist für dich, wie für alle, das Leben in Bitterkeit und Schmerz hinzubringen, den Sinnen keine Ruhe und kein Vergnügen zu gestatten und mit ihnen den unverbrüchlichen Vertrag zu schließen, dass sie nichts beanspruchen und verlangen dürfen, als was die Notwendigkeit und die Vernunft erlauben. Zu dieser Sorge musst du noch die andere fügen, immer mit Eifer nach dem größeren Wohlgefallen Gottes zu streben und nach dem letzten Ziel, welches du zu erreichen begehrst. Zu diesem Zweck musst du immer darauf bedacht sein, mir nachzufolgen. Ich lade dich dazu ein, weil ich verlange, dass du die Fülle der Tugend und Heiligkeit erreichst. Erwäge also, wie pünktlich und eifrig ich so vieles getan, nicht weil der Herr es mir geboten hatte, sondern weil ich wusste, dass es zu seinem größeren Wohlgefallen diene. Verrichte viele feurige Tugendakte, Andachten und geistliche Übungen; und bei allen richte beständig Gebete zum ewigen Vater für das Heil der Menschen. Suche überdies durch dein Beispiel und durch Ermahnungen den Menschen zu Hilfe zu kommen, soviel du nur kannst. Tröste die Traurigen, ermutige die Schwachen, hilf den Gefallenen und biete für alle, wenn es nötig wäre, Blut und Leben zum Opfer dar. Danke überdies meinem heiligsten Sohn, dass er die schändliche Undankbarkeit der Menschen mit solcher Nachsicht erträgt und dieselben trotzdem erhält, ja mit Wohltaten überhäuft. Denke an die unüberwindliche Liebe, welche er für sie gehegt hat und noch hegt, wie auch daran, dass ich diese seine Liebe teilte und zur Stunde noch teile. Ich will, dass du in einer so erhabenen Tugend deinem süßen Bräutigame und mir, deiner Lehrmeisterin, folgst.
VIERTES HAUPTSTÜCK: Jesus bleibt im Tempel zurück
Der Jesusknabe geht im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern nach Jerusalem. Er bleibt ohne ihr Wissen im Tempel zurück.
746. Wie bereits gesagt wurde, gingen Jesus, Maria und Joseph alljährlich auf das Osterfest in den Tempel. Dieser ihrer Gewohnheit gemäß, pilgerten sie nun auch damals nach Jerusalem, als der Jesusknabe sein zwölftes Lebensjahr erreicht hatte und die Zeit gekommen war, dass er die Strahlen seines unzugänglichen göttlichen Lichtes allmählich hervorleuchten ließ (Lk 2, 42 ff). Das Fest der ungesäuerten Brote dauerte nach der Vorschrift des Gesetzes sieben Tage (Dtn 16, 8), unter welchen der erste und der letzte die feierlichsten waren. Darum verblieben unsere erhabenen, himmlischen Pilger diese sieben Tage hindurch zu Jerusalem und feierten das Fest mit Gottesdienst und Gebet, wie auch die übrigen Israeliten zu tun pflegten, obwohl sie durch das in ihnen verborgene Geheimnis von letzteren so weit verschieden waren. Die glückliche Mutter und ihr heiliger Bräutigam erhielten, beide in verhältnismäßigem Grad, während dieser Tage vom Herrn Gnaden, die alle menschliche Vorstellung übersteigen.
747. Nachdem der siebente Tag des Festes vorüber war, begaben sie sich auf den Rückweg nach Nazareth. Beim Herausgehen aus der Stadt Jerusalem verließ der göttliche Knabe seine Eltern, ohne dass sie es bemerken konnten. Er hielt sich verborgen, während sie ihre Reise fortsetzten, ohne dass sie eine Kenntnis davon hatten. Um dies zu ermöglichen, benützte der Herr den damaligen Brauch und den großen Volkszulauf. Da nämlich letzterer bei diesen Feierlichkeiten so groß war, pflegten die Scharen der Fremden sich zu teilen, indem die Frauen der Sittsamkeit wegen abgesondert von den Männern gingen. Die Kinder aber, welche man zu dem Fest mitnahm, begleiteten unterschiedslos entweder den Vater oder die Mutter, denn hierin lag keine Gefahr für die Sittsamkeit. Darum konnte der heilige Joseph denken, der Jesusknabe gehe mit seiner heiligsten Mutter, bei welcher er sich gewöhnlich aufhielt. Dass Maria ohne das göttliche Kind gehe, konnte er nicht vermuten, da sie es mehr als alle Menschen und Engel liebte und kannte. Die Himmelskönigin hatte zwar keine so starken Gründe zu meinen, dass ihr heiligster Sohn mit dem hl. Joseph gehe, aber unser Herr selbst lenkte durch andere, heilige und himmlische Gedanken ihre Aufmerksamkeit ab, so dass sie anfangs seine Abwesenheit nicht gewahrte und später, da sie sich allein, ohne ihren geliebten und süßesten Sohn sah, dachte sie, der hl. Joseph habe ihn bei sich und der Herr des Himmels wolle ihn zu seinem Trost begleiten.
748. In dieser Meinung legten Maria und Joseph, wie der hl. Lukas erzählt, eine ganze Tagreise zurück. Die Fremden verließen die Stadt auf verschiedenen Wegen und später traf jeder mit seiner Frau oder Familie zusammen. So kamen auch die heiligste Jungfrau und ihr Bräutigam am ersten Abend nach der Abreise am bestimmten Ort zusammen. Da erst sah die Himmelskönigin, dass das göttliche Kind nicht mit dem hl. Joseph kam, wie sie geglaubt hatte, und der hl. Joseph fand dasselbe nicht bei ihr. Beide waren darob vor Schrecken und Verwunderung stumm und konnten lange Zeit kein Wort hervorbringen. Und da beide nach Maßgabe ihrer tiefsten Demut urteilten, so gab ein jedes von ihnen sich selbst die Schuld, durch Nachlässigkeit das göttliche Kind aus dem Auge verloren zu haben. Denn das Geheimnis und die Art, wie der Herr dies bewerkstelligt hatte, war beiden unbekannt. Darauf schöpften sie etwas Atem und berieten mit höchstem Schmerz, was zu tun sei. Die liebevolle Mutter sprach zum hl. Joseph: «Mein Bräutigam und Gebieter, mein Herz wird keine Ruhe finden, wenn wir nicht zurückkehren, um meinen heiligsten Sohn mit größter Sorgfalt zu suchen.» So taten sie und begannen die Nachfrage bei Verwandten und Bekannten. Jedoch niemand konnte ihnen Nachricht von ihm geben oder ihren Schmerz erleichtern, vielmehr wurde er noch viel größer durch die Antwort, dass sie ihn auf dem ganzen Weg von Jerusalem an nie gesehen hätten.
749. Nun wandte sich die betrübte Mutter an ihre heiligen Engel. Diejenigen, welche die Inschrift des heiligsten Namens Jesus trugen, wovon oben beim Bericht über die Beschneidung die Rede war (oben Nr. 523), waren bei unserem Herrn geblieben. Die übrigen begleiteten seine reinste Mutter, denn so geschah es immer, wenn beide sich trennten. Die Königin der Engel sprach nun zu den zehntausend Engeln, die bei ihr waren: «Meine Freunde und Begleiter, ihr kennt wohl den gerechten Grund meines Schmerzes. Ich bitte euch, seid mein Trost in diesem bitteren Leid und gebt mir Kunde von meinem geliebten Sohn, damit ich ihn suche und finde. Erleichtert ein wenig mein betrübtes Herz, welches, von seinem Gut und Leben geschieden, sich meiner Brust entwinden will, um ihn zu suchen.» Die Engel wussten, dass der Herr seiner heiligsten Mutter Gelegenheit geben wolle zu den größten Verdiensten, und dass die Zeit noch nicht gekommen sei, ihr das Geheimnis zu offenbaren. Obwohl sie darum ihren Schöpfer und unseren Erlöser niemals aus den Augen verloren, so sagten sie doch der göttlichen Mutter damals noch nicht, wo ihr heiligster Sohn war und womit er sich beschäftigte, sondern trösteten sie durch andere Gründe. Diese Antwort und die dadurch erregten neuen Zweifel vermehrten aber die Besorgnis, den Schmerz und die Tränen und Seufzer der weisesten Königin und ihre Sorgfalt, nicht eine verlorne Drachme, wie jene Frau im Evangelium, sondern den ganzen Schatz des Himmels und der Erde zu suchen.
750. Die Mutter der Weisheit dachte bei sich nach und gab sich verschiedenen Vermutungen hin. Die erste war, dass etwa Archelaus über den Jesusknaben Kunde erhalten und ihn, die Grausamkeit seines Vaters Herodes nachahmend, gefangen genommen habe. Sie wusste zwar durch die Heilige Schrift sowie durch Offenbarungen und durch die Lehre ihres heiligsten Sohnes, dass die Zeit für sein Leiden und Sterben noch nicht gekommen sei, und dass man ihm also das Leben noch nicht nehmen werde, aber sie fürchtete, dass man ihn ins Gefängnis geworfen habe und dort misshandle. In tiefster Demut dachte sie auch, dass er vielleicht, mit ihrer Gesellschaft und ihrem Dienst nicht zufrieden, sich in die Wüste zu seinem künftigen Vorläufer, dem hl. Johannes, zurückgezogen habe. Dann wendete sie sich wieder an ihren abwesenden Sohn und sprach: «O du süßeste Liebe, du Ruhe meiner Seele, bei deiner unermesslichen Liebe und deinem Verlangen, für die Menschen zu leiden, wirst du keine Mühe, kein Leiden scheuen. Ich fürchte im Gegenteil, dass du, mein Herr, dieselben absichtlich suchst. Wo werde ich dich finden, o Licht meiner Augen? Willst du, dass der Schmerz, von dir getrennt zu sein, mir das Leben nehme? Doch ich wundere mich nicht, dass du diejenige durch deine Abwesenheit strafst, welche das Glück deiner Gesellschaft nicht zu benützen verstand. Aber warum, mein Herr, hast du mir die süßen Tröstungen deiner Kindheit so reichlich geschenkt, wenn ich so frühzeitig deiner liebenswürdigen Gegenwart und Lehre beraubt werden sollte? Doch wehe mir! Ich konnte nicht verdienen, dich zum Sohn zu haben und mich deiner während jener Zeit zu erfreuen, und darum muss ich dir danken, dass du mich gütigst als deine Dienerin angenommen hast. Darf ich aber, da ich, obwohl unwürdig, deine Mutter bin, mich auf diesen Titel stützen, um dich als meinen Gott und mein höchstes Gut zu suchen, so erlaube mir, o Herr, dies zu tun: ersetze, was mir abgeht, damit ich würdig sei, dich zu finden: denn mit dir will ich in der Wüste und wo auch immer leben, in Mühen, Leiden und Trübsal. Meine Seele verlangt, dass du durch Schmerzen und Peinen mich einigermaßen verdienen lassest, entweder zu sterben, falls ich dich nicht finde, oder aber in deinem Dienste und deiner Gesellschaft zu leben. Als deine Gottheit sich meinem Inneren verbarg, blieb mir doch die Gegenwart deiner liebenswürdigen Menschheit; und zeigte sich diese auch streng und weniger zärtlich als gewöhnlich, so fand ich doch deine Füße, um mich vor ihnen niederzuwerfen. Jetzt aber entbehre ich auch dieses Glückes. Die Sonne, welche mich erleuchtete, ist für mich ganz und gar verschwunden, nichts ist mir geblieben, als Ängste und Seufzer. Ach, du Leben meiner Seele, die tiefsten Seufzer meines Herzens kann ich wohl zu dir senden, aber sie sind deiner großen Milde nicht würdig, denn ich erhalte keine Kunde, wo meine Augen dich finden können.»
751. So brachte die unschuldigste Taube drei volle Tage in Seufzern und Tränen zu, ohne zu ruhen, zu schlafen oder Speise zu genießen. Die zehntausend Engel waren zwar in sichtbarer, menschlicher Gestalt an ihrer Seite und sahen ihren großen Schmerz und ihre Betrübnis: allein sie sagten ihr nicht, wo sie das verlorne Kind finden könnte. Da beschloss die Himmelskönigin am dritten Tag, in die Wüste zu gehen und ihn dort bei dem hl. Johannes zu suchen, denn sie neigte mehr zur Meinung hin, ihr göttlicher Sohn befinde sich dort, da sie keine Anzeichen fand, dass Archelaus ihn gefangen genommen habe. Doch da sie sich auf den Weg machen wollte, hielten die heiligen Engel sie davon ab und sagten, sie solle nicht zur Wüste gehen, denn der göttliche Heiland sei nicht dort. Sie wollte auch nach Bethlehem gehen und schauen, ob er etwa in der Grotte der Geburt sich aufhalte. Auch davon mahnten die heiligen Engel sie ab, indem sie sagten, der Herr sei nicht so fern. Obwohl die heiligste Mutter aus diesen Erklärungen der himmlischen Geister sah, dass ihnen der Aufenthaltsort des Jesusknaben wohl bekannt sei, fragte sie doch in ihrer außerordentlichen Demut und Klugheit nicht weiter, wo sie ihn finden könne, denn sie dachte, Gott habe ihnen befohlen, ihr dies zu verheimlichen. Mit solcher Hochachtung und Ehrfurcht behandelte die Königin der Engel die Geheimnisse des Allerhöchsten und seine Diener und Gesandten. Dies war einer jener Vorfälle, in denen sie den königlichen Edelmut ihres Herzens in seiner ganzen Größe zeigen konnte.
752. Der Schmerz, den die heiligste Jungfrau Maria bei diesem Anlass litt, war größer als der aller Märtyrer. Aber auch ihre Geduld und Ergebung waren ohne gleichen und mussten dies sein, denn in ihrem göttlichen Sohn hatte sie ja mehr verloren als die ganze Welt und sie kannte, liebte und schätzte ihn weit über alle menschliche Vorstellung. Ihre Ratlosigkeit war überaus groß und, wie gesagt, sie kannte den Grund dieser Prüfung nicht. Überdies ließ der Herr sie während dieser drei Tage in dem gewöhnlichen Zustand der Gnade, ohne die besonderen Begünstigungen und Tröstungen, welche er ihr häufig verlieh, denn diese hob er damals auf, ausgenommen den Anblick und die Unterhaltung der Engel. Aus all dem ersieht man wenigstens zum Teil, wie groß der Schmerz der liebenden, heiligsten Mutter gewesen sein mag. Und doch wurde - o Wunder der Heiligkeit, Klugheit, Stärke und Vollkommenheit bei diesem unerhörten Schmerz, bei diesem maßlosen Leid die seligste Jungfrau nicht verwirrt. Sie verlor weder die innere, noch die äußere Ruhe. Es kam ihr weder ein Gedanke des Zornes und Unwillens, noch eine Aufregung, sie hatte weder ein Wort der Ungeduld, noch eine ungeordnete Traurigkeit oder Kümmernis, wie es bei andern Kindern Adams in großen Leiden gewöhnlich der Fall ist. Und selbst wenn die Leiden nicht groß sind, pflegen bei den übrigen Menschenkindern alle Leidenschaften und alle Seelenkräfte in Aufregung und Verwirrung zu geraten. Die Königin der Tugenden aber handelte so, dass alle ihre Kräfte in himmlischer Harmonie, in himmlischem Frieden verblieben. Wohl hatte der Schmerz ihr das Herz durchbohrt, wohl war ihr Schmerz ohne Maß. Allein in allen ihren Handlungen herrschte vollkommene Ordnung: sie hörte nicht auf, den Herrn zu ehren und zu lobpreisen, sie unterbrach keinen Augenblick ihre Gebete und Fürbitten für das Menschengeschlecht, noch auch ihr Flehen um die Gnade, ihren allerheiligsten Sohn wiederzufinden.
753. Mit solch himmlischer Weisheit und höchster Sorgfalt suchte Maria ihren Sohn volle drei Tage lang. Sie ging umher auf den Plätzen und in den Straßen der Stadt, fragte viele Personen und beschrieb den Töchtern Jerusalems die Merkmale ihres geliebten Kindes, so dass hier in Erfüllung ging, was Salomon im Hohenlied von dieser großen Königin gesagt hatte.
Einige Frauen fragten sie nämlich, an welchen Merkmalen man ihr einziges, verlorenes Kind erkenne. Darauf nannte sie die Merkmale, welche die Braut in ihrem Namen angegeben hatte: «Mein geliebter Sohn ist weiß und rot, auserkoren aus Tausenden (Hld 5,10 ff; 3, 2; 5, 9.10).» Dies hörend, sagte unter anderen eine Frau: «Dieses Kind hat gestern an meiner Türe um Almosen gebeten, und ich habe es ihm gegeben. Seine Anmut und Schönheit haben mir das Herz geraubt und während ich ihm das Almosen gab, wurde mein Herz von einer süßen Gewalt und von Mitleid ergriffen, ein so liebes Kind arm und verlassen zu sehen.» Dies war die erste Nachricht, welche die schmerzvolle Mutter zu Jerusalem über ihren Eingebornen erhielt. Sie atmete in ihrem Schmerz ein wenig auf, setzte die Nachforschungen fort und erfuhr von einigen anderen Personen ungefähr Dasselbe. Auf diese Angaben hin lenkte sie ihre Schritte zum Spital der Stadt; denn sie dachte, der Bräutigam und Lehrmeister der Armut werde sich bei den Armen, als seinen eigentlichen Brüdern und Freunden, befinden. Diese antworteten auf ihre Fragen, das Kind, welches sie beschreibe, sei während dieser drei Tage zu ihnen gekommen, habe ihnen einige Almosen gebracht und großen Trost in ihren Leiden gespendet.
754. Alle diese Angaben erregten in dem liebevollsten Herzen der Himmelskönigin die zartesten Anmutungen, welche sie ihrem verborgenen, göttlichen Sohn zusandte. Nun kam ihr der Gedanke, da er nicht bei den Armen sei, werde er ohne Zweifel im Tempel, als in dem Haus Gottes und dem Haus des Gebetes, zu finden sein. Die heiligen Engel erwiderten auf diesen Gedanken: «Unsere Königin, dein Trost ist nahe. Bald wirst du das Licht deiner Augen sehen, beschleunige deine Schritte, eile zum Tempel !» Gleichzeitig traf auch der hl. Joseph mit seiner Braut zusammen, denn um die Sorgfalt zu verdoppeln, hatte er das göttliche Kind auf einem anderen Weg gesucht und auch ihm hatte ein Engel gesagt, er solle zum Tempel gehen. Sein Schmerz war während dieser Tage unbeschreiblich groß gewesen. Er lief von einem Ort zum andern, bald mit seiner heiligen Braut, bald ohne sie, immer in der äußersten Betrübnis. Sein Leben wäre offenbar in Gefahr gekommen, wenn der Herr ihn nicht gestärkt und die weiseste Königin ihn nicht getröstet und nicht dafür gesorgt hätte, dass er einige Speise zu sich nahm und von seiner großen Ermüdung etwas ausruhte. Denn seine aufrichtige und zarte Liebe zu dem göttlichen Knaben flößte ihm solch glühenden Eifer ein, ihn zu suchen, dass er an Nahrung und Ruhe gar nicht mehr dachte. Auf diese Weisung der Himmelsfürsten gingen nun Maria und Joseph zum Tempel. Dort geschah, was ich im folgenden Hauptstück erzählen werde.
LEHRE, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gab
755. Meine Tochter, durch vielfache Erfahrung ist es den Sterblichen bekannt, dass man nicht ohne Schmerz verliert, was man liebt und mit Freude besitzt. Diese so bekannte und erprobte Wahrheit sollte den Kindern der Welt zu ihrer eigenen Beschämung die Einsicht beibringen, wie groß ihre Lieblosigkeit gegen ihren Gott und Schöpfer ist. Denn während es deren so viele sind, die ihn verlieren, sind es nur sehr wenige, die sich über diesen Verlust betrüben, weil sie niemals verdienten, durch die Wirksamkeit der Gnade ihn zu lieben und zu besitzen. Und weil der Verlust eines Gutes, das sie nicht lieben und nicht besaßen, ihnen keinen Schmerz bereitet, so kümmern sie sich auch nicht darum, es zu suchen, nachdem sie es verloren haben. Es besteht indes ein großer Unterschied zwischen den verschiedenen Arten, wie man das wahre Gut verliert oder wie es sich der Seele entzieht. Denn etwas anderes ist es, wenn sich Gott der Seele verbirgt zur Prüfung ihrer Liebe und zur Vermehrung der Tugenden und etwas anderes, wenn sich Gott von ihr entfernt zur Strafe für ihre Sünden. Das erstere ist ein Kunstgriff der göttlichen Liebe, mittels dessen sich der Herr einer Seele in reichlicherem Maß mitteilen will, falls die Seele danach Verlangen trägt und dessen würdig ist. Das letztere aber ist eine gerechte Strafe des erzürnten Gottes. Bei der ersten Abwesenheit des Herrn demütigt sich die Seele in heiliger Furcht, in kindlicher Liebe und in ihrer Ungewissheit über die Ursache dieser Abwesenheit. Macht ihr auch das Gewissen keinen Vorwurf, so erkennt doch das schuldlose, liebevolle Herz die Gefahr, es fühlt den Verlust und ist, wie der Weise sagt (Spr 28,14), glückselig, weil es immer in Furcht ist wegen dieses Verlustes. Denn der Mensch weiß nicht, ob er der Liebe oder des Hasses Gottes würdig sei, sondern alles wird als ungewiss für das Ende aufbehalten (Koh 9, 1.2). Unterdessen aber ist das Los des Gerechten in diesem sterblichen Leben gewöhnlich nicht verschieden von dem des Sünders.
756. Dies ist aber, wie der weise Mann sagt (Koh 9, 3), das Gefährlichste und Schlimmste von allem, was unter der Sonne geschieht. Denn das Herz der Gottlosen wird voll der Bosheit und verhärtet sich in falscher Sicherheit, da sie sehen, dass es ihnen ergeht wie den anderen, und dass man nicht mit Sicherheit wissen kann, ob jemand auserwählt ist oder verloren geht, ob jemand Gottes Freund oder Feind, gerecht oder Sünder, der Liebe oder des Hasses würdig ist. Allein wenn die Menschen ohne Leidenschaft und Vorurteil ihr Gewissen befragen wollten, so würde es einem jeden die Wahrheit sagen, die er zu wissen braucht. Denn wenn das Gewissen Sünden vorhält, die man begangen hat, so wäre es die schändlichste Torheit, Übel und Leiden nicht sich selbst zuzuschreiben und nicht einzugestehen, dass man der Gnade beraubt ist und mit ihr das höchste und beste Gut verloren hat. Wäre die Vernunft frei, so müsste ein solcher den deutlichsten Beweis seines schlimmen Zustandes darin erblicken, dass er über den Verlust oder den Abgang der geistlichen Freude und der Wirkungen der Gnade keinen tiefen Schmerz empfindet. Denn wenn eine Seele, die doch für die ewige Seligkeit erschaffen und bestimmt ist, hierüber keinen Schmerz empfindet, so ist dies ein starkes Anzeichen, dass sie jene Seligkeit nicht liebt und nicht verlangt. Denn sonst würde sie sie mit allem Fleiß suchen und zwar so lange, bis sie, soweit dies dem sterblichen Leben möglich ist, zu einer vernünftigen Hoffnung oder Überzeugung gelangt ist, dass sie das höchste Gut nicht durch eigene Schuld verloren habe.
757. Was mich betrifft, so hatte ich nur die körperliche Gegenwart meines Sohnes verloren, und die Hoffnung, ihn zu finden, war mir geblieben. Trotzdem ließen mir die Liebe und die Ungewissheit über den Grund seiner Abwesenheit keine Ruhe, bis ich ihn wiedergefunden hatte. Dieses mein Beispiel, liebe Tochter, musst du nachahmen, wenn du den Herrn verlieren solltest, mag dies nun geschehen durch deine Schuld oder durch liebevolle Fügung Gottes. Damit es aber nicht zur Strafe geschehe, musst du wohl auf der Hut sein und alle Kraft aufbieten, dass weder Trübsal noch Angst, weder Not noch Gefahr, weder Verfolgung noch Schwert, weder Höhe noch Tiefe von deinem höchsten Gute dich scheiden (Röm 8, 35 ff). Denn wenn du dem Herrn die schuldige Treue bewahrst und ihn nicht verlieren willst, so werden weder Engel, noch Mächte, noch Gewalten, noch ein anderes Geschöpf (Röm 8, 38.39) imstande sein, dich des höchsten Gutes zu berauben. So fest ist das Band der göttlichen Liebe, so stark sind ihre Ketten, dass niemand sie zu sprengen vermag, als nur der eigene Wille des Menschen.
FÜNFTES HAUPTSTÜCK: Maria und Joseph finden nach drei Tagen den Jesusknaben im Tempel unter den Lehrern
758. Im vorausgehenden Hauptstück habe ich wenigstens teilweise einen Zweifel beantwortet, welcher manchem aufsteigen könnte, nämlich wie unsere himmlische Königin ihren heiligsten Sohn aus den Augen verlieren konnte, da sie ihn doch stets mit größter Aufmerksamkeit begleitete und bediente. Freilich würde die Antwort genügen: Gott konnte dies so fügen: ich will hier jedoch etwas ausführlicher erklären, in welcher Weise es ohne jede freiwillige Unachtsamkeit der liebevollen Mutter geschehen ist. Es ist gewiss, dass der Jesusknabe, abgesehen von dem Volkszulauf, noch ein anderes, übernatürliches Mittel angewendet hat. Es war dies gewissermaßen notwendig, um die Aufmerksamkeit seiner besorgten Mutter abzulenken, denn sonst hätte sich die Sonne, welche alle ihre Schritte lenkte, nicht unbemerkt von ihr entfernen können. Der Hergang war folgender. Als sich, wie bereits bemerkt wurde, die Männer von den Frauen trennten, verlieh der Allmächtige seiner heiligsten Mutter eine intellektuelle Vision der Gottheit. Dadurch wurde ihr Inneres ganz eingenommen. Sie wurde von Liebe entflammt und von den Sinnen derart abgezogen, dass sie sich ihrer nur bedienen konnte, um ihren Weg eine große Strecke weit fortzusetzen. Im übrigen war sie in den süßen Trost dieser Anschauung ganz versunken. Der hl. Joseph hatte den oben erwähnten Grund, sich zu beruhigen, doch wurde auch er innerlich zu einer sehr erhabenen Beschauung entrückt, infolge deren er leichter annahm, der Knabe sei bei seiner Mutter. Auf diese Weise entfernte sich der Jesusknabe von beiden und blieb in Jerusalem. Als dann die Himmelskönigin eine große Strecke des Wegs zurückgelegt hatte und sich ohne ihren heiligsten Sohn sah, meinte sie, Jersus sei bei seinem Nährvater.
759. Diese Trennung geschah ganz nahe bei den Stadttoren. Hier kehrte der Jesusknabe um und ging durch die Straßen. In seinem göttlichen Wissen schaute er alles, was ihm dort später begegnen sollte, und opferte dies seinem ewigen Vater für das Heil der Seelen auf. Er bat während dieser drei Tage um Almosen, um von dort an, diese demütige Verrichtung, als die erste Tochter der heiligen Armut, zu adeln. Er besuchte auch die Armen in den Spitälern, tröstete sie alle und teilte mit ihnen das Almosen, welches er empfangen hatte. Einigen verlieh er heimlich die Gesundheit des Leibes, vielen aber die Gesundheit der Seele, indem er sie innerlich erleuchtete und auf den Weg des ewigen Lebens zurückbrachte. Dieselben Wunder wirkte er mit noch größerer Fülle von Licht und Gnade an einigen Wohltätern, die ihm Almosen gaben. So begann er schon damals das Versprechen zu erfüllen, welches er später seiner Kirche gegeben hat, dass, wer einen Propheten aufnehme im Namen eines Propheten und einen Gerechten im Namen eines Gerechten, des Propheten und Gerechten Lohn empfangen werde (Mt 10,41 - 2).
760. Nachdem der göttliche Knabe durch solche und ähnliche Werke den Willen seines ewigen Vaters vollbracht hatte, ging er zum Tempel. An dem von dem heiligen Evangelisten Lukas (Lk 2, 46) bezeichneten Tag versammelten sich die Rabbiner, welche die Gesetzeslehrer waren, an einem Ort, an welchem man verschiedene Zweifel sowie Stellen der Heiligen Schrift zu besprechen pflegte. An jenem Tag disputierte man über die Ankunft des Messias; denn infolge der Wunder und ungewöhnlichen Ereignisse, welche man in jenen Jahren seit der Geburt des Täufers und der Ankunft der morgenländischen Könige erfahren hatte, wurde das Gerücht immer mehr unter den Juden verbreitet, dass die Zeit bereits erfüllt und der Messias, wenn auch unbekannt, schon in der Welt sei. Alle Rabbiner saßen an ihren Plätzen mit dem Ansehen, welches sich diejenigen zu geben pflegen, die sich für gelehrt halten. Da trat der Jesusknabe in ihre ansehnliche Versammlung. Er, der König der Könige, der Herr der Herren (Off 19,16), die unendliche Weisheit selbst (1 Kor 1, 24), der Leiter der Weisen (Weish 7,15), erschien vor diesen irdischen Lehrern als demütiger Schüler und gab zu erkennen, dass er gekommen sei, um zu hören, was man bespreche, und um sich darüber zu unterrichten. Es handelte sich aber um die Frage, ob der Messias schon gekommen oder die Zeit seiner Ankunft erschienen sei.
761. Die Meinungen der Gelehrten über diese Frage waren sehr verschieden. Die einen antworteten im bejahenden, die anderen im verneinenden Sinne. Diejenigen, welche nein sagten, führten einige Zeugnisse aus der Heiligen Schrift an, welche sie in jenem plumpen Sinn auslegten, von dem der Apostel sagt, dass der Buchstabe ohne den Geist tötet (2 Kor 3, 6). Denn diese Lehrer, weise in ihren eigenen Augen, behaupteten, der Messias müsse mit königlicher Majestät und Größe kommen, um sein Volk durch seine große Macht von aller zeitlichen Knechtschaft der Heiden zu erlösen und ihm so die Freiheit zu geben, von dieser Macht und Freiheit sehe man aber nichts, da es den Israeliten noch unmöglich sei, das Joch der Römer abzuschütteln. Diese Meinung fand bei jenem fleischlich gesinnten, blinden Volk großen Anklang. Denn die Juden fassten die Majestät und Größe des Messias und die Erlösung, welche er mit seiner göttlichen Macht seinem Volk bringen sollte, in dem Sinne auf, dass sie wähnten, sie gelte nur ihnen und die Erlösung sei eine zeitliche und irdische. Sind ja doch die Juden durch die «Decke, welche auf ihrem Herzen liegt (2 Kor 3,15)», heute noch so blind, dass sie eine irdische Erlösung erhoffen. Heute noch wollen sie nicht einsehen, dass die Herrlichkeit, Majestät und Macht unseres Erlösers sowie die Freiheit, welche er der Welt zu bringen gekommen ist, keineswegs eine irdische, zeitliche und vergängliche ist, sondern eine himmlische, geistige und ewige, und dass die Erlösung nicht allein für die Juden geschah, obwohl sie ihnen zuerst angeboten wurde, sondern für das ganze Menschengeschlecht, für alle Nachkommen Adams ohne Ausnahme.
762. Jesus, der Lehrer der Wahrheit, sah, dass man der Frage diese irrige Lösung geben werde, denn nur wenige neigten sich zur entgegengesetzten Ansicht, und auch diese wurden durch das Ansehen und die Gründe der andern überwältigt. Und da seine göttliche Majestät in die Welt gekommen war, um von der Wahrheit, die er selber war, Zeugnis zu geben, so wollte er bei dieser Gelegenheit, wo das Bekenntnis der Wahrheit so überaus wichtig war, nicht zulassen, dass der Irrtum und die Täuschung durch das Ansehen der Weisen bekräftigt werde. Es war für seine unermessliche Liebe unerträglich, solche Unwissenheit über seine Werke und seine erhabensten Absichten bei den Lehrern zu finden, welche geeignete Diener der wahren Liebe hätten sein sollen, um das Volk auf den Weg des Lebens und auf den Urheber des Lebens, unseren Erlöser, hinzuweisen. Der göttliche Knabe näherte sich also den Sprechenden, um die Anmut zu offenbaren, welche über seine Lippen ausgegossen war. Mit unbeschreiblicher Majestät und Schönheit trat er in ihre Mitte, wie jemand, der einen Zweifel vorbringen will. Sein anmutiges Äußeres erregte in jenen Gelehrten das Verlangen, ihn zu hören.
763. Der göttliche Knabe öffnete den Mund und sprach: «Ich habe die behandelte Frage über die Ankunft des Messias sowie deren Lösung vollständig gehört. Um meine Einwendungen gegen letztere vorzubringen, gebe ich zu, dass die Propheten sagen, der Messias werde mit großer Macht und Majestät kommen, dies ist aus den angeführten Beweistellen ersichtlich. Denn Jesajas sagt, er werde unser Gesetzgeber und König sein und sein Volk erretten. An einer anderen Stelle erklärt er, derselbe komme von ferne mit großem Zorn. So sagt auch David, dass er alle seine Feinde vernichten werde. Daniel sagt, dass ihm alle Stämme und Völker dienen werden. Der Sirach schreibt, die volle Versammlung der Heiligen werde mit ihm kommen. Kurz, die Propheten und alle Heiligen Bücher sind voll von ähnlichen Verheißungen, durch welche sie ganz deutlich Anzeichen von der Ankunft des Messias geben, wenn man sie nur aufmerksam betrachtet. Aber der Zweifel gründet sich auf andere Aussprüche der Propheten, welche den obigen gegenüberstehen. Es müssen doch alle gleich wahr sein, obwohl sie sich scheinbar widersprechen. Man muss sie also in Einklang bringen, indem man jedem von ihnen einen Sinn gibt, welcher sich mit den anderen Stellen verträgt. Wie werden wir sonst verstehen, was Jesajas sagt, der Messias werde kommen, <von der Lebenden Land>, und <wer kann sein Geschlecht erklären»? Er werde mit Schmach gesättigt werden; wie ein Schaf zur Schlachtbank, werde er zum Tod geführt, ohne den Mund zu öffnen? Jeremias erklärt, die Feinde des Messias werden sich vereinigen, um ihn zu verfolgen, sein Brot zu vergiften und seinen Namen von der Erde zu vertilgen, obgleich es ihnen nicht gelingen werde. David sagt vorher, derselbe werde sein der Leute Spott, die Verachtung des Volkes, wie ein Wurm, mit Füßen getreten. Zacharias sagt, er werde kommen sanftmütig und demütig, sitzend auf einem unansehnlichen Tier. Und auch alle übrigen Propheten sprechen sich über die Kennzeichen des verheißenen Messias im gleichen Sinn aus!»
764. «Wie können wir nun», fuhr der Jesusknabe fort, «diese Prophezeihungen in Einklang bringen, wenn wir annehmen, der Messias werde mit bewaffneter Macht und Majestät kommen, um durch Gewalt und Blutvergießen alle Könige zu besiegen? Da er zweimal kommen muss, das eine Mal, um die Welt zu erlösen, das andere Mal, um sie zu richten, so kann man nicht leugnen, dass die Weissagungen auf die eine oder die andere Ankunft bezogen werden müssen und jeder zuzuordnen ist, was ihr zukommt. Wie aber beide dem Zweck nach verschieden sind, so werden sie es auch den Umständen nach sein; denn sein Amt wird in beiden ganz verschieden sein. Bei seiner ersten Ankunft muss er den Satan überwinden und ihm die Herrschaft entreißen, welche dieser durch die erste Sünde über die Seelen errungen hat. Darum muss der Messias zuvor Gott für das ganze Menschengeschlecht Genugtuung leisten. Sodann den Menschen durch Wort und Beispiel den Weg zum ewigen Leben zeigen. Er muss sie belehren, wie sie ihre Feinde überwinden können und wie sie ihrem Schöpfer und Erlöser dienen und ihn anbeten sollen; wie sie sich für seine Gaben und Wohltaten dankbar erzeigen und von ihnen einen guten Gebrauch machen sollen. Allen diesen Zwecken muss sein Leben und seine Lehre bei der ersten Ankunft entsprechen. Das zweite Mal dagegen wird er kommen, um beim allgemeinen Gericht von allen Menschen Rechenschaft zu fordern, einem jeden den Lohn für seine guten oder schlechten Werke zu geben und seine Feinde mit heftigem Zorn zu strafen. Dies sagen die Propheten von der zweiten Ankunft.»
765. «Nehmen wir aber an, er komme schon das erste Mal mit Macht und Majestät, er werde, wie David sagt, von einem Meer zum andern herrschen und sein Reich werde glorreich sein, wie andere Propheten sagen; so darf man dies nicht sinnlich verstehen, nämlich von einer irdischen Herrschaft, von äußerlicher Pracht; man muss es vielmehr verstehen von einem neuen, geistlichen Reich, welches er in einer neuen Kirche stiften wird, die sich über die ganze Welt ausbreitet mit Majestät, Macht und Reichtum an Gnade und Tugend gegen den Satan. So ausgelegt stimmen alle Heiligen Schriften überein, anders aber nicht. Dass das Volk Gottes unter der römischen Herrschaft steht und seine Freiheit nicht erringen kann, ist nicht nur kein Zeichen, dass der Erlöser noch nicht gekommen ist, sondern ist vielmehr ein unfehlbarer Beweis, dass er bereits in die Welt gekommen ist. Denn unser Patriarch Jakob hat seinen Nachkommen dies Zeichen gegeben, um denselben zu erkennen; wenn sie den Stamm Juda ohne den Zepter und ohne die Herrschaft in Juda sähen. Nun gebt ihr aber zu, dass gegenwärtig weder dieser noch ein anderer Stamm die Herrschaft innehat oder zu erwerben hofft. Dasselbe beweisen auch die Worte Daniels, denn sie müssen schon erfüllt sein. Wer Gedächtnis hat, wird sich zudem erinnern, dass man, wie ich gehört habe, vor wenigen Jahren zu Bethlehem einen großen Lichtglanz um Mitternacht erblickt hat; dass einigen armen Hirten verkündet wurde, der Erlöser sei geboren, und dass darauf gewisse Könige vom Morgenland, von einem Stern geleitet, gekommen sind, um den König der Juden zu suchen und anzubeten. Dies alles war von den Propheten vorhergesagt. Der König Herodes, des Archelaus Vater, hat es für unfehlbar gewiss gehalten und hat deswegen so viele Kinder ermordet, bloß zu dem Zweck, um unter ihnen den neugebornen König zu töten, weil er fürchtete, dieser werde ihm auf dem Thron von Israel folgen.»
766. Solche und ähnliche Worte redete der Jesusknabe, und zwar mit einer Kraft, wie sie nur ihm eigen war, der da, während er Fragen stellte, mit göttlicher Vollmacht lehrte. Alle Schriftgelehrten verstummten, schauten einander an und fragten mit großer Verwunderung: «Was ist doch das für ein Wunder ! Welch wunderbarer Knabe ! Woher kommt er ? Wem gehört er ?» Allein bei dieser Verwunderung blieben sie stehen und kamen nicht zur Erkenntnis, ja nicht einmal zur Vermutung, wer derjenige sei, welcher sie über eine so wichtige Wahrheit belehrt und erleuchtet hatte. Noch ehe der göttliche Knabe seine Rede vollendet hatte, kamen seine heiligste Mutter und der keuscheste Bräutigam Joseph, so dass sie die letzten Worte noch vernehmen konnten. Die Besprechung wurde geschlossen, und alle Gesetzeslehrer, von Staunen und Verwunderung erfüllt, erhoben sich. Da näherte sich die göttliche Mutter, in ein Meer von Wonne versenkt, ihrem liebevollsten Sohn und sprach vor allen Umstehenden zu ihm, was der heilige Lukas berichtet: «Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht (Lk 2, 48).»
Die göttliche Mutter brachte diese liebevolle Klage mit ebenso viel Ehrfurcht als Zärtlichkeit vor, indem sie den Jesusknaben als Gott anbetete und ihm, als ihrem Sohn, ihren Schmerz vorstellte. Unser Herr antwortete: «Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich mich in dem beschäftigen muss, was meines Vaters ist?»
767. Maria und Joseph verstanden, wie der Evangelist sagt (Lk 2, 50), den geheimnisvollen Sinn dieser Worte nicht. Er war ihnen damals verborgen, und zwar aus zwei Gründen: fürs erste waren sie von der inneren Freude, die sie nach einer tränenvollen Aussaat nun ernteten und die beim Wiederfinden ihres reichen Schatzes gewiss sehr berechtigt war, ganz eingenommen. Fürs zweite waren sie nicht zeitig genug gekommen, um zu verstehen, welchen Gegenstand man behandelt hatte. Für unsere weiseste Königin lag noch ein dritter Grund vor: das Innere ihres heiligsten Sohnes, in welchem sie alles erkannt hätte, war ihr noch durch einen Schleier verhüllt, welcher erst nachher weggenommen wurde. Die Gesetzesgelehrten entfernten sich, während sie sich gegenseitig die Verwunderung ausdrückten, von der sie beim Anhören der ihnen freilich noch verborgenen ewigen Weisheit erfüllt worden waren. Als nun die göttliche Mutter mit ihrem heiligsten Sohn fast allein war, umarmte sie ihn mit mütterlicher Zärtlichkeit und sagte zugleich: «O mein Sohn, gestatte meinem verschmachtenden Herzen, seinen Schmerz und seine Qual zu offenbaren, damit der Schmerz mir nicht das Leben raube, falls dieses zu deinem Dienst nützlich ist. Verstoße mich nicht von deinem Angesicht, nimm mich an als deine Dienerin. Und habe ich dich durch Nachlässigkeit aus den Augen verloren, so verzeihe mir. Mache mich deiner würdig und strafe mich nicht durch deine Abwesenheit.» Der göttliche Knabe empfing seine Mutter voll Liebe und gab ihr das Versprechen, ihr Lehrmeister und unzertrennlicher Begleiter zu sein bis zur geeigneten Zeit. So wurde das makellose, liebeglühende Herz der Himmelskönigin beruhigt, und nun machten sie sich auf den Weg nach Nazareth.
768. Da sie ein wenig außerhalb der Stadt Jerusalem und auf dem Weg allein waren, warf sich Unsere Liebe Frau auf die Erde nieder, betete ihren allerhöchsten Sohn an und bat ihn um seinen Segen, da sie dies im Tempel in Gegenwart des Volkes noch nicht getan hatte. So aufmerksam war sie besorgt, keine Gelegenheit zu verlieren, um mit der ganzen Fülle ihrer Heiligkeit zu handeln. Der Jesusknabe hob sie von der Erde auf und redete sie mit freundlichem Angesicht und mit überaus süßen Worten an. Dann nahm er den Schleier weg und zeigte ihr wieder seine heiligste Seele und ihre Akte, und zwar mit größerer Klarheit als vorher. Da erkannte die göttliche Mutter alles, was unser Herr während dieser drei Tage seiner Abwesenheit getan, was im Tempel bei jener Besprechung der Lehrer vorgefallen war; was der Jesusknabe zu ihnen gesagt und warum er sich nicht deutlicher als den wahren Messias zu erkennen gegeben hatte. Auch viele andere tiefe Geheimnisse offenbarte er seiner jungfräulichen Mutter. Sie war ja gleichsam die Schatzkammer, in welcher alle Schätze des menschgewordenen Wortes niedergelegt wurden, damit sie dem Urheber so großer Wunder den schuldigen Tribut der Ehre und Lobpreis darbringe. Und dies tat sie auch zum höchsten Wohlgefallen und zur Freude des Herrn. Dann bat sie ihren göttlichen Sohn, auf freiem Feld ein wenig zu ruhen und Nahrung zu sich zu nehmen. Der Jesusknabe nahm sie aus den Händen der Himmelskönigin an, welche als Mutter der Weisheit für alles besorgt war.
769. Während der Weiterreise besprach sich die göttliche Mutter mit ihrem liebsten Sohn über die Geheimnisse, welche er ihr betreffs der Disputation der Gesetzeslehrer in seinem Innern geoffenbart hatte. Der himmlische Lehrmeister unterrichtete sie nun mündlich über das, was er sie geistig hatte schauen lassen, und sagte ihr insbesondere, jene Schriftgelehrten hätten ihn deshalb nicht als den Messias erkannt, weil sie auf ihr eigenes Wissen stolz gewesen seien. Die Finsternis des Hochmutes hatte nämlich ihren Verstand umdüstert, so dass sie das göttliche Licht, welches ihnen der Jesusknabe so hell leuchten ließ, nicht aufnahmen. Seine Gründe wären hinreichend gewesen, sie zu überzeugen, wenn ihr Wille durch Demut und Verlangen nach der Wahrheit dafür empfänglich gewesen wäre. Da sie aber ein Hindernis entgegensetzten, erfassten sie die Wahrheit nicht, die doch klar vor ihren Augen stand.
Unser Herr führte während dieser Reise viele Seelen auf den Weg des Heils. Da seine heiligste Mutter zugegen war, so wählte er sie zum Werkzeug dieser Wunder, d. h. er erleuchtete durch Vermittlung ihrer weisesten Worte und heiligen Ermahnungen die Herzen aller derer, mit welchen die Himmelskönigin sprach. Sie heilten auch viele Kranke, trösteten die Betrübten und versäumten keine Gelegenheit, um allerwärts Gnade und Barmherzigkeit zu spenden. Da ich jedoch bei der Erzählung anderer Reisen solche Wunder im besonderen berichtet habe, so beschreibe ich hier keine neuen, denn um alle zu erzählen, wären viele Hauptstücke und viel Zeit notwendig. Zudem nehmen mich andere Ereignisse in Anspruch, welche notwendiger in diese Geschichte gehören.
770. So kam die heilige Familie nach Nazareth zurück. Womit sie sich dort beschäftigte, wird im Nachstehenden erzählt werden. Der heilige Evangelist Lukas hat seinen Bericht über diese Geheimnisse in die kurzen Worte zusammengefasst: «Der Jesusknabe war ihnen. d. h. Maria und Joseph, untertan. Und seine Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen. Jesus aber nahm zu an Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen (Lk 2, 51+52).» Was ich hierüber geschaut habe, werde ich später mitteilen. Für jetzt beschränke ich mich darauf zu sagen, dass die Demut und der Gehorsam unseres göttlichen Meisters für die Engel ein Gegenstand höchster Bewunderung waren, ebenso aber auch die erhabene Würde seiner heiligsten Mutter, welche verdiente, dass der menschgewordene Gott sich ihr hingab und unterwarf, damit sie unter dem Beistand des hl. Joseph ihn leite und über ihn als über ihr Eigentum verfüge. Freilich war diese gehorsame Unterwürfigkeit gleichsam eine natürliche Folge ihrer wahren Mutterschaft. Allein um von ihrem mütterlichen Rechte in Leitung ihres Sohnes Gebrauch zu machen und in dieser Hinsicht gewissermaßen seine Vorgesetzte zu sein, hatte sie eine andere Art von Gnade nötig, als jene war, deren sie zu seiner Empfängnis und Geburt bedurft hatte. Und diese Gnade, welche für ihre verschiedenen Dienstleistungen und Ämter angemessen und entsprechend war, empfing Maria nach ihrem ganzen Umfang. Sie besaß eine solche Gnadenfülle, dass aus ihrer Fülle auch auf den hl. Joseph Gnade überströmte, wodurch er ein würdiger Nährvater des süßesten Jesus und ein würdiges Haupt der Heiligen Familie wurde.
771. Der gehorsamen Unterwürfigkeit Jesu gegen sie als seine Mutter entsprach Maria ihrerseits durch Ausübung heldenmütiger Tugendwerke. Unter anderen erhabenen Tugenden besaß sie eine sozusagen unfassbar große Demut und eine im höchsten Grade sich hinopfernde Dankbarkeit dafür, dass Seine Majestät sich herabließ, in ihrer Gesellschaft zu sein und aufs neue bei ihr zu weilen. Sie betrachtete dies als eine ganz neue Wohltat, deren sie unwürdig sei, so dass dadurch in ihrem treuesten Herzen die Liebe und der Eifer, ihrem göttlichen Sohn zu dienen, noch gesteigert wurden. Sie war so unermüdlich, ihm zu danken, so pünktlich, aufmerksam und besorgt, ihm zu dienen, und zwar immer auf den Knien und in den Staub gebeugt, dass sie die höchsten Seraphim mit Bewunderung erfüllte. Zudem war sie voll Eifer, alle Handlungen ihres Sohnes nachzuahmen; alle ihre Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, diese zu beobachten und dann nach Kräften auszuführen. Durch diese Fülle der Heiligkeit verwundete sie das Herz unseres Herrn und hielt ihn, nach menschlicher Vorstellungsweise, mit Ketten unüberwindlicher Liebe gebunden. Da er ihr als wahrer Gott und als wahrer Sohn so eng verbunden war, so fand zwischen Sohn und Mutter eine wechselseitige Mitteilung und ein Kreislauf von Lieben und Wirken statt, welcher allen erschaffenen Verstand übersteigt. Denn die gewaltigen Ströme der Gnaden und Vollkommenheiten des menschgewordenen Wortes ergossen sich sämtlich in den unermesslichen Ozean des Herzens Mariä; dieser aber strömte nicht über, da er geräumig genug war, alle Ströme aufzunehmen. Doch kehrten diese zu ihrem Ursprung zurück, indem die Mutter der Weisheit sie dorthin zurücksandte, damit sie sich aufs neue ergössen (Koh 1, 7), gerade als fände diese geistige Ebbe und Flut einzig zwischen dem göttlichen Sohn und seiner Mutter statt. Dies ist das Geheimnis, warum die Braut im Hohenlied so oft mit demütiger Dankbarkeit wiederholt: «Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein: er weidet unter den Lilien, bis der Tag anbricht und die Schatten sich neigen. Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein. Ich gehöre meinem Geliebten, und sein Verlangen geht nach mir (Hld 2,16+17; 6, 2; 7,10).»
772. Das Feuer der göttlichen Liebe, welches im Herzen unseres Heilands brannte und welches er auf Erden zu entzünden gekommen war, fand in dem reinsten Herzen seiner Mutter den besten und empfänglichsten Stoff. Deshalb musste es in Herzen Mariä die höchste Tätigkeit entfalten und solch unbegrenzte Wirkungen hervorbringen, dass nur der Herr, der diese Wirkungen hervorbrachte, sie auch zu erkennen vermochte. Ich bemerke nur eines, worüber ich erleuchtet wurde. Der göttliche Heiland bemaß die äußeren Beweise seiner Liebe gegen seine heiligste Mutter nicht nach seiner natürlichen kindlichen Zuneigung zu ihr, sondern nach dem Stand ihrer Pilgerschaft, in welchem sie Verdienste zu sammeln hatte; denn hätte er ihr diese Beweise und Tröstungen in dem Maß verliehen, welches seine kindliche Liebe zu einer solchen Mutter verlangte, so hätte er sie durch diesen beständigen wonnevollen Verkehr mit ihm gehindert, alle Verdienste zu erwerben, welche sie erwerben sollte. Aus diesem Grund hielt unser Herr in genannter Hinsicht den seiner Menschheit natürlichen Drang zurück und ließ zu, dass seine göttliche Mutter, obwohl so heilig, doch handelte, verdiente und litt ohne jenen beständigen süßen Lohn, welchen sie durch die sichtbaren Liebesbeweise ihres heiligsten Sohnes erhalten hätte. Deswegen beobachtete der Jesusknabe in seinem Umgang gewöhnlich mehr Ernst und Zurückhaltung. Wiewohl die umsichtigste Herrin so besorgt war, ihm zu dienen und alles Nötige mit unaussprechlicher Ehrfurcht vorzusehen und ihm zu reichen, so legte doch der göttliche Heiland seine Zufriedenheit darüber nicht in der Weise an den Tag, wie die Sorgfalt seiner Mutter es verlangt hätte.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
773. Meine Tochter, alle Werke meines göttlichen Sohnes, wie auch die meinigen sind reich an geheimnisvollen Lehren, wenn man sie mit Aufmerksamkeit und Ehrfurcht betrachtet. Unser Herr zog sich von mir zurück, damit ich mit Schmerz und Tränen ihn suche und dann mit Freude und geistigem Nutzen ihn finde. In diesem Geheimnis sollst du meinem Beispiel folgen. Auch du sollst den Herrn mit bitterem Schmerz suchen, und dieser Schmerz soll dich zu einer ununterbrochenen Sorgfalt antreiben, so dass du in deinem ganzen Leben nicht ruhst, bis du ihn gefunden, um ihn zu halten und nimmer zu lassen (Hld 3, 4). Damit du das Geheimnis des Herrn besser verstehst, so wisse: seine unendliche Weisheit leitet die Seelen in der Weise zur ewigen Seligkeit, dass er sie auf den Weg zu ihr stellt. Er zeigt sie ihnen von fern und lässt sie im Zweifel, ob sie die Seligkeit erreichen. Seine Absicht hierbei ist die, dass die Menschen, solange sie noch nicht zum Besitz der ewigen Seligkeit gelangt sind, beständig in Besorgnis und Schmerz leben. Diese Besorgnis aber soll im Menschen eine andauernde Furcht und einen immerwährende Abscheu vor der Sünde erzeugen, da die Sünde allein es ist, durch welche der Mensch die Seligkeit verlieren kann. Sie soll ihn ferner antreiben, dass er sich im Getümmel des gesellschaftlichen Lebens nicht von den sichtbaren, irdischen Dingen umstricken und umgarnen lasse. Dieser Besorgnis gibt sodann der Schöpfer dadurch Nahrung, dass er zur natürlichen Vernunft die Tugenden des Glaubens und der Hoffnung fügt. Diese aber erwecken die Liebe, durch welche man das letzte Ziel sucht und erreicht. Außer diesen und anderen in der Taufe eingegossenen Tugenden sendet der Herr auch Einsprechungen und Gnadenhilfen. Durch diese mahnt und weckt er die Seele, dass sie, solange sie seiner liebenswürdigen Gegenwart entbehrt, weder ihn noch sich selbst vergesse, sondern ihre Laufbahn fortsetze bis zum ersehnten Ziel, an welchem sie all ihr Verlangen und Sehnen erfüllt sehen wird.
774. Hieraus magst du erkennen, wie groß die Blindheit der Sterblichen ist und wie gering die Zahl derer, welche sich Zeit nehmen, die wunderbare Ordnung ihrer Erschaffung und Rechtfertigung sowie die auf dieses erhabene Ziel hingerichteten Werke des Allerhöchsten mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Die Folge dieser Vergessenheit sind alle die zahllosen Übel, denen die Sterblichen unterworfen sind, indem sie von den irdischen Gütern und trügerischen Freuden Besitz ergreifen, gleich als wären diese ihre Seligkeit und ihr letztes Ziel. Dies ist aber die ärgste Verkehrtheit gegen die von Gott gewollte Ordnung: die Menschen wollen in diesem kurzen, vergänglichen Leben das Irdische genießen, als wäre es ihr letztes Ziel, während sie sich der Geschöpfe bedienen sollten, um das höchste Gut zu erreichen, nicht aber um es zu verlieren. Betrachte also wohl, meine Tochter, die Gefahr, welcher die menschliche Torheit sich aussetzt. Halte all ihre Vergnügungen und Freuden für Trug, ihr Lachen für Verirrung (Koh 2, 2): sage zur sinnlichen Befriedigung, dass sie sich umsonst täuschen lässt, dass sie die Mutter der Torheit ist, das Herz berauscht und alle wahre Weisheit vernichtet. Lebe beständig in heiliger Furcht das ewige Leben zu verlieren, und erfreue dich nicht außer im Herrn, bis du die Seligkeit erlangt hast. Fliehe den Umgang mit den Menschen. Fürchte dessen Gefahren. Und wenn du zuweilen aus Gehorsam, nach Gottes Willen und zu seiner Ehre mit den Menschen verkehren musst, so sollst du zwar auf Gottes Schutz vertrauen, darum aber nicht nachlässig und säumig sein in Anwendung der nötigen Vorsicht. Überlasse dich nicht deiner natürlichen Neigung zur Freundschaft und zum Verkehr mit den Menschen. Hierin liegt für dich die größte Gefahr, denn der Herr hat dir ein dankbares und weiches Gemüt gegeben, damit du seinen Werken desto leichter dich fügst und seine Wohltaten zu seiner Liebe verwendest. Gibst du aber der Liebe zu den Geschöpfen Zutritt, so werden sie dich ganz gewiss mit sich fortreißen und von dem höchsten Gute entfernen. Damit würdest du die Ordnung und die Werke seiner unendlichen Weisheit verkehren. Es ist aber ein unwürdiges Verhalten, wenn man das kostbarste Geschenk der Natur nicht auf den edelsten Gegenstand richtet. Erhebe dich über alles Erschaffene und über dich selbst: richte die Kräfte deiner Seele samt ihrem Wirken nach oben. Gib ihnen das edelste Ziel, nämlich die Wesenheit Gottes, die Vollkommenheiten meines geliebten Sohnes, deines Bräutigams, der schön ist vor allen Menschenkindern (Ps 45, 3). Ihn liebe aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Gemüt (Mt 22, 37).
SECHSTES HAUPTSTÜCK: Maria empfängt eine besondere Vision
Bericht über eine Vision, welche der Jesusknabe im Alter von zwölf Jahren seiner heiligsten Mutter verlieh zum Zweck, sie immer mehr in dem Gesetz des Evangeliums zu unterrichten und dasselbe in ihr auszuprägen.
775. Was ich im ersten und zweiten Hauptstück dieses Buches begonnen habe, werde ich in diesem und den folgenden fortsetzen, jedoch nicht ohne Furcht, ich möchte wegen meiner ungenügenden Ausdrucksweise und noch mehr wegen der Lauheit meines Herzens nicht in gebührender Weise die Geheimnisse behandeln, welche zwischen dem göttlichen Heiland und seiner heiligsten Mutter stattfanden in den achtzehn Jahren, die sie nach ihrer Rückkehr von jener Disputation der Gesetzeslehrer bis zum öffentlichen Auftreten unseres Herrn im Alter von 30 Jahren in Nazareth verlebten. Furchtsam und verwirrt stehe ich am Rand dieses Meeres von Geheimnissen und flehe zum höchsten Herrn mit aller Inbrunst meiner Seele, er möge doch einem Engel befehlen, die Feder zu ergreifen, damit dieser erhabene Gegenstand nicht herabgewürdigt werde oder er selber möge in seiner Allmacht und Weisheit durch mich sprechen, mich erleuchten und meine Seelenkräfte regieren, so dass sie, von seinem göttlichen Licht geleitet, ein reines Werkzeug seiner Wahrheit und seines Willens seien, und die menschliche Gebrechlichkeit, wie sie sich in einer unwissenden und kurzsichtigen Frau zeigt, keinen Teil daran habe.
776. Es ist bereits oben in den angeführten Hauptstücken gesagt worden, dass die Himmelskönigin in ihrer Weise die einzige und erste Schülerin ihres heiligsten Sohnes war: sie war unter allen Geschöpfen auserwählt, das Gesetz des Evangeliums in sich als in einem Musterbild auszuprägen und in der christlichen Kirche das eine Muster- und Vorbild zu sein, nach welchem alle übrigen Heiligen gestaltet und in welchem alle Wirkungen der Erlösung geoffenbart werden sollten. Unser göttlicher Heiland handelte hierbei wie ein ausgezeichneter Maler, welcher seine Kunst in jeder Hinsicht vollkommen versteht und unter vielen Werken seiner Hand eines mit der höchsten Vollkommenheit und Kunst anfertigen will, damit es seinen Ruf begründe und die Größe des Meisters verkünde: kurz, damit es sein Meisterwerk sei. Es ist gewiss, dass alle Heiligkeit und Herrlichkeit der Heiligen das Werk der Liebe Jesu Christi und seiner Verdienste war, und diese Werke seiner Hände waren an sich sehr vollkommen. Allein mit der Größe Mariä verglichen erscheinen sie alle als klein und gleichsam als bloße Versuche in der Kunst: denn an allen Heiligen war etwas Mangelhaftes. Nur an Maria, diesem lebendigen Abbild ihres Eingeborenen, fand sich nichts Mangelhaftes. Schon beim ersten Pinselstrich, der im Augenblick der Erschaffung ihr gegeben wurde, war sie von wunderbarerer Schönheit als die höchsten engelhaften Geister und als die höchsten Heiligen in ihrer Vollendung. Sie ist das Vorbild aller Heiligkeit und aller Tugend für die andern: sie ist der Gipfelpunkt, welchen die Liebe Jesu Christi in einem bloßen Geschöpf erreicht hat. Denn keinem Geschöpf wurde eine Gnade oder Herrlichkeit verliehen, welche Maria nicht empfangen konnte. Sie aber erhielt alle Gnade, welche den andern nicht geschenkt werden konnte: ihr gebenedeitester Sohn verlieh ihr alle Gnade und Glorie, welche sie zu fassen und er ihr zu geben imstande war.
777. Die Mannigfaltigkeit der Heiligen in ihren verschiedenen Stufen ist eine stillschweigende Verherrlichung des Urhebers aller Heiligkeit: die kleinen oder niedriger stehenden lassen nämlich die großen noch größer erscheinen, alle zusammen aber sind eine Verherrlichung der heiligsten Jungfrau Maria. Denn von der unaussprechlichen Heiligkeit Mariä sind sie alle glorreich übertroffen, und sie teilen ihre Seligkeit in dem Maß und in der Weise, wie sie Maria ähnlich sind, indem sie sich diesem Musterbild nähern, dessen Vollkommenheit auf alle anderen überströmt. Und wenn Maria die höchste ist, in welcher die Rangordnung der Gerechten den Gipfelpunkt erreicht, so ist sie folgerichtig auch die wirkende Ursache und das Ziel der Glorie, welche alle Heiligen in ihren verschiedenen Graden einnehmen. Um aber die Vollkommenheit dieses Abbildes der Heiligkeit unseres Herrn, wenn auch nur von ferne, aus der Art und Weise zu ersehen, wie er das Abbild schuf, so müssen wir beachten, wie viel Sorgfalt unser Herr auf Maria, und wie viel er auf die übrige Kirche verwendet hat. Um die Kirche zu stiften und zu bereichern, um die Apostel zu berufen, dem Volk zu predigen, das neue Gesetz des Evangeliums zu begründen, hierfür genügte ein Lehramt von drei Jahren: in dieser Zeit vollbrachte er in Überfülle das vom ewigen Vater ihm aufgetragene Werk, alle Gläubigen zu rechtfertigen und zu heiligen. Um aber das Bild seiner Heiligkeit in seiner seligsten Mutter auszuprägen und zu vollenden, dazu verwandte er nicht bloß drei Jahre, sondern dreimal zehn Jahre, und während dieser Zeit war er mit aller Macht seiner Liebe ununterbrochen tätig, um von Stunde zu Stunde in ihr Gnade auf Gnade, Gabe auf Gabe, Heiligkeit auf Heiligkeit zu häufen. Und dabei blieb Maria immer noch imstande, eine neue und letzte Vollendung zu erhalten durch jene Gnaden, welche sie, wie im dritten Teil gesagt werden wird, nach der Himmelfahrt Christi, ihres allerheiligsten Sohnes, empfangen hat. Die Vernunft gerät in Verwirrung, das Denken steht still, wenn wir diese große Herrin betrachten: sie war ja «auserlesen wie die Sonne (Hld 6, 9)», und kein Auge, weder das eines Erdenpilgers, noch das eines anderen Geschöpfes ist imstande, ihren Strahlenglanz unverwandten Blickes anzuschauen.
778. Diesen seinen Willensentschluss begann unser göttlicher Erlöser, wie bereits gesagt wurde, an seiner heiligsten Mutter auszuführen, sobald sie aus Ägypten zurückgekehrt waren, und er fuhr damit beständig fort, indem er als Lehrmeister sie unterwies und als allmächtiger Gott ihr neue Erkenntnisse über die Geheimnisse der Menschwerdung und Erlösung verlieh. Nach der Rückkehr von Jerusalem im zwölften Lebensjahr Jesu hatte die große Königin eine geistige Vision der Gottheit, die zwar nicht intuitiv, sondern durch Erkenntnisbilder vermittelt, aber immerhin sehr erhaben war und eine Fülle von neuen Gnadeneinflüssen der Gottheit und von Erkenntnissen über die geheimen Ratschlüsse des Allerhöchsten mitteilte. Insbesondere erkannte Maria die Ratschlüsse Gottes bezüglich des Gesetzes der Gnade, welches der göttliche Heiland zu gründen hatte, und die Gewalt, die ihm von der allerheiligsten Dreifaltigkeit hierzu verliehen war. Sie sah, wie der ewige Vater seinem menschgewordenen Sohn zu diesem Zweck jenes mit sieben Siegeln versiegelte Buch übergab, von welchem der hl. Johannes im fünften Kapitel der Apokalypse sagt, dass niemand, weder im Himmel noch auf Erden, dasselbe öffnen oder dessen Siegel lösen konnte, bis das Lamm durch sein Leiden und Sterben, durch seine Lehre und seine Verdienste dieses tat. Damit hat der Evangelist den Menschen den geheimnisvollen Inhalt dieses Buches angedeutet und erklärt. Der Inhalt war nämlich kein anderer als das gesamte neue Gesetz des Evangeliums und der Kirche, welche zugleich mit ihm auf Erden gegründet werden sollte.
779. Die Himmelskönigin sah, wie sie nach dem Ratschluss der allerheiligsten Dreifaltigkeit unter allen Menschen die erste sein sollte, welche dieses Buch lese und verstehe: ihr göttlicher Sohn sollte ihr das Buch öffnen und vollständig kundgeben, sie selbst aber dessen Inhalt zur Ausführung bringen. Sie sollte dem ewigen Wort, dem sie menschliches Fleisch gegeben, als erste Begleiterin folgen und unmittelbar nach ihm ihren rechtmäßigen Platz einnehmen auf dem Weg zum Himmel, den er in diesem Buch den Menschen offenbare. Dieses Testament sollte in ihr, als seiner wahren Mutter, verwahrt werden. Sie sah, wie ihr und des ewigen Vaters Sohn diesen Beschluss mit höchstem Wohlgefallen annahm, und wie er seiner Menschheit nach sich ihm unterwarf, mit unbeschreiblicher Freude darüber, dass sie seine Mutter sei. Der ewige Vater aber wandte sich an die reinste Jungfrau und sprach:
780. «Meine Braut, meine Taube, bereite dein Herz, damit wir nach unserem Wohlgefallen dich teilnehmen lassen an der Fülle unseres Wissens und damit das Neue Testament, das heilige Gesetz meines Eingeborenen, in deine Seele geschrieben werde. Entflamme die Glut deines Verlangens und richte deinen Geist auf die Erkenntnis und Ausführung unserer Lehre und unserer Gebote. Empfange die Gaben unserer freigebigen Macht und unserer Liebe zu dir. Damit du uns aber den schuldigen Dank abstattest, so wisse: Nach dem Ratschluss unserer unendlichen Weisheit haben wir bestimmt, dass mein Eingeborener nach seiner Menschheit, die er von dir angenommen hat, in einem bloßen Geschöpf ein möglichst ähnliches Abbild seiner selbst haben soll. Dieses Abbild soll die volle Wirkung und die vollkommen entsprechende Frucht seiner Verdienste sein. In ihm soll sein heiliger Name mit würdiger Danksagung verherrlicht und gepriesen werden. Wisse also, meine auserwählte Tochter, dass hierzu von deiner Seite eine große Vorbereitung erfordert wird. Darum bereite dich vor auf die geheimnisvollen Werke unserer Allmacht.»
781. Die demütigste Jungfrau antwortete: «Ewiger Herr, unermesslicher Gott, vor dem Thron deiner göttlichen Majestät werfe ich mich nieder und erkenne angesichts deiner unendlichen Größe meine Niedrigkeit und mein Nichts. Ich bekenne deine Größe und meine Geringfügigkeit. Ich finde mich unwürdig, deine Magd zu heißen und für die Güte, mit welcher du mich angesehen hast, opfere ich dir die Frucht meines Leibes, deinen Eingeborenen, auf und bitte ihn, dass er für seine unwürdige Mutter und Dienerin antworte. Mein Herz ist bereit, voll des Dankes für deine unendlichen Erbarmungen ergießt es sich in Anmutungen, da es sein glühendes Verlangen nicht verwirklichen kann. Habe ich aber Gnade gefunden in deinen Augen, so will ich, o Herr, vor dir sprechen, nur um deine Majestät anzuflehen, an deiner Dienerin alles zu tun, was du verlangst und befiehlst. Denn niemand vermag solches zu wirken außer dir, o Herr und allerhöchster König ! Verlangst du von meiner Seite ein losgeschältes und unterwürfiges Herz, siehe, ich biete es dir an, um zu leiden und deinem Willen zu gehorchen bis in den Tod.» Nun wurde die Himmelskönigin mit neuen göttlichen Gnadenergüssen erfüllt. Sie wurde erleuchtet, gereinigt, vergeistigt und mit einer größeren Fülle des Heiligen Geistes ausgerüstet, als dies bisher geschehen war. (Die hier erwähnte Reinigung ist nicht als Befreiung von einer Unvollkommenheit, sondern als Erhöhung der Reinheit und Vollkommenheit zu verstehen. Ähnlich spricht der hl. Thomas von einer purgatio, quae non fuit ab aliqua impuritate culpae, sed mentem magis in unum colligens et a multitudine sustollens. Nam et angeli purgari dicuntur, in quibus nulla impuritas invenitur. [P. 3. q. 27. a. 3. ad 3.] Der Herausgeber). Es war dies eine für die erhabene Himmelskönigin höchst denkwürdige Gnadenausrüstung. Freilich waren alle ihr verliehenen Gnaden erhaben, beispiellos und derart, dass sich bei den übrigen Geschöpfen keine gleichen fanden, weswegen eine jede derselben als das Höchste und Unübertrefflichste erschien�. Allein in Bezug auf die Mitteilung der göttlichen Vollkommenheiten gibt es auf Seiten Gottes keine Beschränkung, wofern nur die Fassungskraft des Geschöpfes nicht mangelt. Da nun bei der Himmelskönigin die Fassungskraft groß und zugleich mit den Gnadengaben in stetem Zunehmen begriffen war, so waren die einen, an sich schon großen Gnaden für sie die Vorbereitung auf andere, noch größere. Und da die göttliche Allmacht in Maria kein Hindernis fand, das ihr im Weg gestanden wäre, so gab der Herr alle seine Reichtümer hin, um sie in dem getreuesten Herzen Mariä, unserer Herrin, als in einer sicheren Schatzkammer, niederzulegen.
782. Als die heiligste Jungfrau aus dieser hohen Vision getreten war, begab sie sich zu ihrem heiligsten Sohn, warf sich ihm zu Füßen und sprach: «Mein Herr, mein Licht und mein Lehrer! Siehe hier deine unwürdige Mutter, sie ist bereit, deinen heiligen Willen zu vollbringen. Nimm mich aufs neue als Schülerin und Dienerin an: gebrauche mich als Werkzeug deiner Weisheit und deines Willens! Vollbringe an mir, was dem ewigen Vater und dir wohlgefällig ist!» Der göttliche Heiland nahm seine Mutter mit dem Ansehen und der Majestät eines Lehrmeisters auf und gab ihr eine überaus erhabene Belehrung. Er erklärte ihr mit tiefen, kräftigen Worten den Wert und die tiefe Bedeutung der geheimnisvollen Werke, welche ihm der ewige Vater zur Erlösung der Menschen, zur Stiftung der neuen Kirche und des evangelischen Gesetzes nach dem göttlichen Ratschluss aufgetragen hatte. Er erklärte ihr aufs neue, dass sie die Erstlinge der Gnade empfangen und bei Ausführung dieser erhabenen Geheimnisse seine Genossin und Gehilfin sein solle. Zu diesem Zwecke müsse sie ihm in seinen Mühsalen und Leiden bis zu seinem Tod am Kreuz zur Seite stehen und ihm mit einem bereitwilligen, großmütigen, standhaften, unüberwindlichen und weiten Herzen folgen. Dann gab er ihr noch eine himmlische Lehre, wie sie sich vorbereiten müsse, um das ganze Gesetz des Evangeliums in sich aufzunehmen, zu verstehen, zu durchschauen und seine Gebote und Räte mit höchster Vollkommenheit auszuführen. Diese und andere große Geheimnisse über die Werke der Welterlösung offenbarte der Jesusknabe bei dieser Gelegenheit seiner heiligsten Mutter. Maria aber bot sich zu allem an mit einem Herzen voll tiefer Demut, voll Gehorsam, Ehrfurcht, Dankbarkeit und voll feuriger, glühender Liebe.
LEHRE, welche mir Unsere Liebe Frau gab
783. Meine Tochter, ich habe dich oftmals in deinem Leben, namentlich seit der Zeit, da du mein Leben beschreibst, ermahnt und aufgefordert, mir nachzufolgen soweit es dir mit Gottes Gnade nur immer möglich ist. Ich erinnere dich jetzt aufs neue an diese deine Pflicht, da Gottes Güte dir ein so klares Verständnis über das Geheimnis verliehen hat, welches er in meinem Herzen wirkte, indem er in ihm das ganze Gesetz der Gnade, die ganze Lehre seines Evangeliums einschrieb. Du hast auch gesehen, welche Wirkung diese Gnade in mir hervorbrachte und wie ich mich durch treue und vollkommene Nachfolge meines allerheiligsten Sohnes und Lehrers für diese Gnade dankbar und erkenntlich zeigte. Die Erkenntnis, welche dir hierüber mitgeteilt wurde, sollst du als eine der größten Gnaden betrachten, welche Gottes Majestät dir verliehen hat. Denn du wirst in derselben, wie in einem überaus hellen Spiegel die Summe und den Inbegriff der größten und höchsten Vollkommenheit finden: es werden vor deinem Geiste offen die Pfade des göttlichen Lichtes daliegen, auf denen du mit Sicherheit wandeln kannst, ohne in die Finsternis der Unwissenheit gehüllt zu sein, welche die übrigen Sterblichen umnachtet.
784. Komm also, meine Tochter, komm und folge mir nach ! Damit du mich aber nachahmst, wie ich es verlange, mit erleuchtetem Verstand und aufwärts gerichtetem Geist, mit bereitwilligem Herzen und eifrigem Willen, so mache dich frei und schäle dich los von allem, wie dein Bräutigam es verlangt. Entsage allem Irdischen, lass alle Geschöpfe, verleugne dich selbst, verschließe deine Sinne für den Trug der Welt und des Teufels. Wenn jedoch dieser Feind dich versucht, so lass dich dadurch nicht verwirren, nicht niederschlagen, denn wenn es ihm gelingt, dich im Voranschreiten aufzuhalten, so hat er damit schon einen großen Sieg über dich errungen, und du wirst in der Vollkommenheit nicht erstarken. Achte also auf den Herrn, er verlangt sehnsüchtig, deine Seele schön zu sehen, freigebig will er ihr diese Schönheit verleihen. Er ist mächtig, um die Schätze seiner Weisheit in ihr niederzulegen, und eifrig besorgt, um dich zur Annahme zu bewegen. Lass ihn das göttliche Gesetz seines Evangeliums in dein Herz einschreiben. Studiere und erwäge es bei Tag und bei Nacht. Es sei der Gegenstand deiner Gedanken, es sei die Nahrung und das Leben deiner Seele, es sei der Himmelstrank, aus dem du geistige Wonnen schöpfst. Auf diese Weise wirst du erreichen, was der Allerhöchste von dir verlangt, was ich von dir will, und wonach du selber begehrst.
SIEBENTES HAUPTSTÜCK: Warum und wie der Herr seine Mutter unterrichtet
Ausführlichere Darlegung der Endzwecke, welche der Herr bei Unterweisung seiner heiligsten Mutter Maria im Auge hatte, sowie der Art und Weise, wie er dabei vorging.
785. Eine jede Ursache, welche mit Freiheit und mit Erkenntnis dessen, was sie tut, wirkt, muss bei allem, was sie wirkt, notwendig ein Endziel und Beweggründe haben, durch deren Erkenntnis sie zum Wirken bestimmt und bewogen wird. Auf die Erkenntnis der Endziele folgt dann die Beratung oder Auswahl der Mittel, welche zum Ziel führen. Diese Ordnung leuchtet am deutlichsten hervor bei den Werken Gottes. Gott ist die höchste und erste aller Ursachen: er ist eine Ursache von unendlicher Weisheit. In seiner Weisheit ordnet er alles an und führt alles aus, indem er, wie der Weise spricht (Weish 8,1), von einem Ende zum andern mächtig und lieblich wirkt. Nirgends will er Untergang und Tod, vielmehr schafft er alles zum Sein und Leben (Weish 1,13 f). Je wunderbarer nun ein Werk des Allerhöchsten ist, desto spezieller und erhabener sind die Endziele, die er dabei erreichen will. Das letzte Endziel ist zwar bei allen dasselbe, nämlich die Ehre Gottes und die Offenbarung seiner Herrlichkeit (Spr 16, 4): allein wie bei einer Kette ein Glied an das andere sich anreiht, so findet auch bei den Geschöpfen eine von der unendlichen Weisheit Gottes festgesetzte Rangordnung statt, angefangen von dem untersten Geschöpf bis hinauf zum höchsten, welches Gott, dem Urheber und Endziel aller Geschöpfe, unmittelbar am nächsten steht.
786. Alles, was sich über die Heiligkeit unserer hehren Königin Großes sagen lässt, ist darin eingeschlossen, dass der Herr sie zum lebendigen Abbild und Gleichnis seines allerheiligsten Sohnes gemacht hat und zwar zu einem Abbild, an Gnade und Wirksamkeit dem Urbild so ähnlich und gleichförmig, dass sie durch Mitteilung und Gnade ein zweiter Christus zu sein schien. Es fand in dieser Hinsicht zwischen Sohn und Mutter ein wunderbarer und in seiner Art einziger Austausch statt. Sie gab ihm die Gestalt und Wesenheit der menschlichen Natur, der Herr aber gab ihr eine geistige Wesenheit, eine Wesenheit der Gnade, damit auch in dieser Hinsicht eine beziehungsweise Ähnlichkeit zwischen beiden stattfinde, wie eine solche stattfand in Bezug auf ihre menschliche Natur. Die Endziele, welche der Allerhöchste dabei im Auge hatte, waren eines so außerordentlichen Wunderwerkes würdig, eines Werkes sage ich, welches unter allen, die der Herr an einem bloßen Geschöpfe wirkte, das größte war. Ich habe bereits oben, im ersten, zweiten und sechsten Hauptstück dieses Buches teilweise gesagt, dass solches sich geziemte, damit die Ehre unseres Erlösers Jesu Christi gewahrt und die Wirksamkeit seiner Lehre und seiner Verdienste beglaubigt werde. Zu dieser Beglaubigung war es nämlich gewissermaßen notwendig, dass die Heiligkeit und Reinheit der Lehre, welche Christus unser Herr verkündete, sowie die Wirksamkeit des evangelischen Gesetzes und die Frucht der Erlösung in Maria, der heiligsten Mutter Jesu, zutage trete, damit die Ehre, welche dem Herrn für seine Werke gebührte, ganz und gar auf ihn zurückfalle. Diese Absicht Gottes wurde in Maria allein in vollkommenerer Weise verwirklicht als in der Gesamtheit der übrigen Kirche und in allen anderen Auserwählten.
787. Der zweite Endzweck, welchen der Herr bei diesem Werk im Auge hatte, bezieht sich gleichfalls auf sein Amt als Erlöser. Die Werke der Welterlösung sollten zu den Werken der Weltschöpfung in entsprechender Beziehung stehen: die Rettung von der Sünde sollte der Art und Weise entsprechen, wie die Sünde in die Welt eingeführt wurde. Nun hatte aber der erste Adam in der Schuld eine Genossin, unsere Mutter Eva. Diese war Gehilfin und zugleich Ursache, dass er sie beging und in Adam ist, als in dem Haupt, das ganze Menschengeschlecht in das Verderben geraten. Damit also bei Wiedergutmachung so großen Unheils die gebührende Gleichförmigkeit beobachtet würde, geziemte es sich, dass auch der zweite, himmlische Adam, Christus unser Herr, eine Gefährtin und Gehilfin bei der Erlösung habe, seine reinste Mutter. Sie sollte zur Rettung beitragen und mitwirken, wiewohl übrigens die Kraft und die Ursache der allgemeinen Erlösung ganz und vollkommen auf Christus, unserem Haupt, allein beruht. Damit dieser geheimnisvolle Plan in würdiger Weise ausgeführt werde, war es notwendig, dass an Christus unserem Herrn und seiner heiligsten Mutter
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Maria in Erfüllung ging, was der Allerhöchste bei Erschaffung der Stammeltern gesprochen hat: «Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein sei. Lasst uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm ähnlich sei �(Gen 2,18).» Und dies hat der Herr getan, wie er es zu tun vermochte, so dass er als zweiter Adam sprechen konnte: «Das ist nun Bein von meinen Beinen und Fleisch von meinem Fleische! Man soll sie Männin heißen, weil sie vom Mann genommen ist (Gen 2, 23).» Ich will mich indes nicht länger bei der Erklärung dieses Geheimnisses aufhalten, denn für eine vom Glauben und vom göttlichen Lichte erleuchtete Vernunft ist es an sich klar, und die Ähnlichkeit zwischen Jesus und seiner heiligsten Mutter springt von selbst in die Augen.
788. Noch ein dritter Grund wirkte zur Ausführung dieses Geheimnisses mit. Ich führe denselben hier zwar an dritter Stelle auf, weil er der Ausführung nach der dritte war, der Intention oder der Absicht nach war er aber der erste, denn er bezieht sich auf die ewige Vorherbestimmung Christi unseres Herrn, wovon im ersten Teil dieses Werkes die Rede war. Der erste Beweggrund nämlich, warum das ewige Wort in diese Welt kam und Fleisch annahm, war kein anderer, als um das Vorbild und der Lehrmeister der Menschen zu sein.(Um die Menschen zum Heil zu führen, war es vor allem nötig, sie von der Unwissenheit, dem Irrtum und der Verblendung zu erlösen. Insofern kann gesagt werden, der erste Zweck der Menschwerdung sei gewesen, dass der Sohn Gottes Lehrer und Muster der Menschen werde. Der Herausgeber). Dieser Beweggrund nun musste mit der Größe eines solchen Wunderwerkes im Verhältnis und Einklang stehen: war ja doch das Werk der Menschwerdung das größte aller Werke Gottes und der unmittelbare Zweck, auf welchen alle übrigen sich bezogen. Damit nun diese Ordnung und dieses Verhältnis gemäß dem Plan der göttlichen Weisheit gewahrt werde, war es geziemend, dass unter allen bloßen Geschöpfen eines sich finde, welches dem Willen und Ratschluss Gottes, wonach er in die Welt kommen wollte, um unser Lehrmeister zu sein und uns durch seine Lehre und seine Gnade zur Würde seiner Adoptivkinder zu erheben, vollkommen entspreche. Wenn nun Gott Maria nicht erschaffen und sie nicht vor allen anderen Geschöpfen zu dem Grad von Heiligkeit vorherbestimmt hätte, auf welchem sie das Abbild der Menschheit ihres heiligsten Sohnes wurde, so hätte Gott dem Herrn der Beweggrund gefehlt, durch welchen er, um nach unserer plumpen Ausdrucksweise zu sprechen, seinen Ratschluss vor den Augen der Welt begründet, entschuldigt und gerechtfertigt hat, seinen Ratschluss nämlich, in der von seiner Allmacht uns kundgegebenen Weise Mensch zu werden. Ich denke hierbei an die beiden Gesetzestafeln des Moses, welche von Gottes Finger geschrieben waren. Als Moses das Volk Abgötterei treiben sah, zertrümmerte er die Tafeln (Ex 31,18; 32,19; 34,1), weil er jene Abtrünnigen einer solchen Wohltat für unwürdig erachtete. Allein nachher wurde das Gesetz auf andere Tafeln geschrieben, die von Menschenhand verfertigt waren, und diese wurden auf Erden bewahrt. So nun wurden auch die ersten (lebendigen) Tafeln, die Gott mit seiner Hand geformt und in welche er sein Gesetz eingeschrieben hatte, durch die erste Sünde gebrochen, und wir hätten das Gesetz des Neuen Bundes nicht erhalten, wenn wir nicht in Christus und Maria zwei neue Tafeln erhalten hätten, die auf andere Weise gebildet waren, Maria auf gewöhnlichem Wege, Christus durch Mitwirkung des Willens Mariä und aus ihrer Substanz. Hätte also die heiligste Jungfrau zur Mitteilung dieses Gesetzes nicht in würdiger Weise mitgewirkt und beigetragen, so hätten wir Sterbliche das Gesetz des neuen Bundes nicht erhalten.
789. Alle diese erhabenen Endzwecke hatte unser Heiland Jesus Christus in der Fülle seiner göttlichen Weisheit im Auge, als er seine heiligste Mutter über die Geheimnisse des neutestamentlichen Gesetzes unterrichtete. Maria sollte aber nicht bloß von allen diesen Geheimnissen selbst, sondern auch von den verschiedenen Arten, sie zu verstehen, Kenntnis haben. Sie sollte eine so weise Schülerin sein, dass sie befähigt würde, nochmals die vollendete Lehrmeisterin und Mutter der Weisheit zu sein und darum bediente sich der Herr verschiedener Mittel, sie zu erleuchten. Bald tat er es vermittelst einer abstrakten Vision der Gottheit, deren sich Maria während dieser Zeit häufiger als sonst erfreute. Bald geschah es vermittelst einer Art intellektueller Vision, welche ihr blieb, wenn sie der ersteren entbehrte und diese letzte Vision war weniger klar, aber andauernder als die erste. In beiden aber schaute Maria deutlich die ganze streitende Kirche in ihrem ganzen Verlauf seit dem Beginn der Welt bis zur Menschwerdung und von da bis zum Ende der Welt sowie das Fortbestehen der Kirche in der ewigen Seligkeit. Diese Erkenntnis war so klar, deutlich und umfassend, dass Maria alle Heiligen und Gerechten und alle, die sich in der Kirche besonders auszeichnen sollten, klar vor Augen hatte: die Apostel, die Märtyrer, die Ordensstifter, die Kirchenlehrer, die Bekenner und Jungfrauen und zwar schaute sie einen jeden im einzelnen samt seinen Werken und Verdiensten. Sie sah die Gnade, die ein jeder sich erwerben und die Glorie, die ihm dafür zuteil werden sollte.
790. Unsere Liebe Frau erkannte auch die Sakramente, welche ihr göttlicher Sohn in seiner heiligen Kirche einsetzen wollte. Sie sah, welche Wirkungen die Sakramente in den Empfängern hervorbringen würden, je nach dem Grad der Empfänglichkeit der letzteren und wie alle diese Wirkungen aus der Heiligkeit und den Verdiensten ihres göttlichen Sohnes, unseres Erlösers, fließen sollten. Ebenso erhielt die klare Erkenntnis der ganzen Lehre, welche Jesus Christus verkündigen sollte. Sie erkannte die Heiligen Schriften, sowohl die des Alten Bundes, als die, welche im Neuen Testament folgen würden. Sie schaute alle Geheimnisse, welche darin enthalten sind und zwar nach ihrem vierfachen Sinne, dem buchstäblichen, moralischen, allegorischen und analogischen. Sie wusste auch alles, was die Ausleger darüber schreiben würden. Und noch viel mehr wurde diese heilige Schülerin inne. Überdies erfuhr sie auch den Zweck, zu dem ihr diese Wissenschaft mitgeteilt wurde, damit sie nämlich die Lehrmeisterin der heiligen Kirche werde, wie sie es nach dem Hingang und der Himmelfahrt ihres heiligsten Sohnes wirklich auch gewesen ist. Die ersten Kinder der Kirche, die in der Gnade neugeborenen Gläubigen (Petr 2, 2), sollten an der Himmelskönigin eine liebevolle, treubesorgte Mutter haben, welche sie an ihrer Brust tragen und mit der süßesten Milch ihrer Lehre als mit der geeignetsten Speise der Kinder ernähren sollte. Darum geschah es, dass die heiligste Herrin während dieser achtzehn Jahre, welche sie mit ihrem göttlichen Sohn zubrachte, die Substanz des Evangeliums, d. i. die Lehre unseres Erlösers Jesu Christi, von ihm selbst empfing, dieselbe in sich aufnahm und gleichsam in ihr eigenes Fleisch und Blut übergehen ließ. Und nachdem sie dieselbe gekostet und ihre Kraft erfahren, zog sie aus ihr jene süße Nahrung, mit der sie die erste Kirche speiste, deren Gläubige noch zart und nicht stark genug waren für die kräftigere Speise der Lehre und vollkommenen Nachahmung ihres Meisters und ihres Erlösers. Da ich aber über diesen Punkt im dritten Teil dieser Geschichte als an seiner eigentlichen Stelle reden werde, so will ich mich hier nicht weiter darüber verbreiten.
791. Abgesehen von den oben genannten belehrenden Vsionen erhielt Unsere Liebe Frau auch von ihrem allerheiligste Sohn in seiner menschlichen Natur Lehre und Unterricht und zwar auf zwei Arten, von denen ich schon früher zu wiederholten Malen gesprochen habe. Fürs erste schaute sie die heiligste Seele Jesu mit ihren inneren Akten, wie einen Spiegel, wodurch sie in gewisser Weise an der Erkenntnis, die er selbst von allen Dingen hatte, teilnahm. Hierdurch wurde sie also auf eine andere als die bisher genannte Weise über die Pläne und Ratschlüsse unterrichtet, welche der Erlöser, der Urheber der Heiligkeit, in Bezug auf alles dasjenige hatte, was er sowohl in eigener Person, als vermittelst seiner Diener in der Kirche wirken wollte. Die zweite Art der Belehrung war der äußere mündliche Unterricht. Unser Herr besprach nämlich mit seine würdigen Mutter alle die Dinge, welche er ihr teils in seiner heiligsten Seele, teils in der Gottheit gezeigt hatte. Alles, was die Kirche betraf, vom Höchsten bis zum Geringsten, teilte er ihr mit. Und nicht nur dies. Er zeigte ihr auch alles das, was im Verlauf der Zeiten unter den Heiden und falschen Sekten vorfallen würde, sofern es auf die Geschicke der Kirche Bezug hatte. Alles dieses teilte der göttliche Heiland seiner hehren Schülerin, unserer Lehrmeisterin, mit. So war also die heiligste Jungfrau Maria, schon ehe unser Herr zu predigen begann, in seine Lehre vollkommen ausgebildet und hatte sie auch bereits mit höchster Vollkommenheit ausgeübt. Denn ihre Handlungen entsprachen vollkommen ihrer unermesslichen Weisheit und Wissenschaft. Diese war aber so tief und so klar, dass ihr nichts unbekannt blieb und dass sich, wie in ihren Vorstellungen, so auch in ihren Worten kein Irrtum fand. Niemals fehlte ihr das nötige Wort, niemals sagte sie ein überflüssiges, niemals verwechselte sie das eine mit dem anderen, sie hatte nicht nötig lange nachzudenken, um zu sprechen und die dunkelsten Geheimnisse der Heiligen Schrift zu erklären, wenn dies für die neugegründete Kirche notwendig war (Es ist nicht zu verwundern, dass Maria, die «Mutter des Wortes», die Gabe des Wortes in unvergleichlich höherem Grad besaß als irgendein anderer Heiliger. Es war dies nötig, damit sie in würdiger Weise die «Lehrmeisterin der Apostel und Evangelisten» sein konnte, was sie nach der Lehre des hl. Augustin, Ildephons, Bonaventura, Antonius von Padua, Albert des Großen und anderen in Wirklichkeit war. Zu jeder Zeit war und ist Maria, wie Papst Pius IX. sagt. «der Sitz der Weisheit, um die Seelenhirten mit der Gabe des Verstandes zu bereichern - Ipsa Sapientiae Sedes est ad replendos Pastores disciplina intellectus.» [Allocutio de die 22. Febr. 1867]. Im dritten Teil dieses Werkes wird hiervon ausführlich die Rede sein. Man vergleiche indes S. Antonin. Summ. p. 4. tit. 15. c. 19. - Suarez. de Incarn. II. disp. 19. Der Herausgeber).
LEHRE, welche mir die göttliche Mutter gab
792. Meine Tochter, der Allerhöchste, welcher aus reiner Liebe und Güte allen Geschöpfen das Dasein verliehen hat und noch verleiht und keinem einzigen seine liebevolle väterliche Vorsehung verweigert, spendet auch in treuester Liebe allen Seelen sein Licht, damit sie zu seiner Erkenntnis und dadurch auf den Weg des ewigen Lebens gelangen, wenn nur die Seele selbst nicht durch ihre Sünden dieses Licht abweist und verdunkelt und auf den Erwerb des Himmelreichs verzichtet. Doch zeigt Gott sich freigebiger gegen jene Seelen, welche er nach seinen verborgenen Ratschlüssen in seine Kirche beruft. Denn in der Taufe gießt er ihnen mit der heiligmachenden Gnade auch die Tugenden ein, die man teils «wesentlich eingegossen» nennt und welche niemand durch sich selbst erwerben kann, teils «akzidentell eingegossen», welche nämlich eine Seele auch durch eigene Tätigkeit erwerben kann. Gott verleiht ihr dieselben zum voraus, damit sie desto williger und eifriger sei, sein heiliges Gesetz zu beobachten. Anderen Seelen verleiht er in seiner Güte außer diesem gewöhnlichen Licht des Glaubens besondere übernatürliche Gaben, nämlich höhere Erkenntnis. um die Geheimnisse des evangelischen Gesetzes zu verstehen und größere Kraft, um danach zu handeln. Diese Gnaden hat Gott dir freigebiger verliehen als tausend anderen. Dadurch hat er dich verpflichtet, dass auch du dich in der schuldigen Liebe und Dankbarkeit auszeichnest und allezeit in tiefster Demut und Selbsterniedrigung verharrst.
793. Damit du aber von allem unterrichtet seist, will ich dir als Lehrmeisterin mit mütterlicher Liebe und Sorgfalt zeigen, mit welcher Arglist der Satan die Werke des Herrn zu zerstören trachtet. Von der Stunde an, da eine Seele zum Gebrauch der Vernunft gelangt, folgt ihr eine Menge böser Geister mit Aufmerksamkeit auf dem Fuße nach. Zur Zeit also, da die Seelen ihren Geist zur Erkenntnis Gottes erheben und die in der Taufe eingegossenen Tugenden zu üben beginnen sollten, trachten diese bösen Geister mit unglaublicher Wut und Arglist jenen göttlichen Samen auszureißen oder wenigstens zu verhindern, dass er Frucht bringe, indem sie die Menschen zu sündhaften, unnützen, eitlen Handlungen verleiten. Durch diese gottlosen Pläne suchen sie die Seelen zu zerstreuen, damit sie von dem Glauben, der Hoffnung und den anderen (eingegossenen) Tugenden keinen Gebrauch machen, sich nicht erinnern, dass sie Christen sind und um die Erkenntnis Gottes, der Geheimnisse der Erlösung und des ewigen Lebens sich nicht kümmern. Überdies flößt der böse Feind den Eltern eine grobe Nachlässigkeit oder aber eine blinde weltliche Liebe für ihre Kinder ein. Die Lehrer dagegen treibt er zur Gleichgültigkeit an, dass sie die schlechte Erziehung nicht bemerken und es geschehen lassen, wenn die Kinder verdorben werden, viele schlechte Gewohnheiten annehmen, dagegen die Tugenden und guten Neigungen verlieren und so auf dem Wege des Verderbens wandeln.
794. Doch der erbarmungsvollste Herr lässt nicht nach, dieser Gefahr entgegenzuwirken. Er gibt neues, inneres Licht durch heilige Einsprechungen und neue Gnadenhilfen, durch den kirchlichen Unterricht von Seiten der Prediger und Priester, durch den Gebrauch der heiligen Sakramente und durch andere Mittel, welche er gebraucht, um die Seelen auf den Weg des Lebens zurückzubringen. Wenn nun trotz so vieler Hilfsmittel die wenigsten auf den Weg des Heils zurückkehren, so liegt die Ursache hiervon hauptsächlich in den Lastern und bösen Gewohnheiten, welche sie in ihrer Kindheit mit der Muttermilch eingesogen haben. Denn wahr ist der Ausspruch im Deuteronomium: «Wie die Tage deiner Jugend, so dein Alter (Dtn 33, 25).» Dadurch gewinnen die bösen Geister größere Keckheit und gewaltsamere Herrschaft über die Seelen, denn sie denken: haben wir sie beherrscht, solange deren Sünden weniger und kleiner waren, so wird uns dies noch leichter sein, wenn sie ohne Scheu vieler und größerer sich schuldig machen. Zu solchen Sünden reizen sie dann auch die Menschen an und flößen ihnen eine immer blindere Verwegenheit ein. Durch jede Sünde verliert dann die Seele mehr geistige Kraft und wird dem bösen Feind untertäniger. Dieser Tyrann aber, vollständig Herr geworden, wirft die Seele durch Sünde und Elend bis unter die Füße seiner Bosheit und schleppt sie, wohin er will, von einem Sturz zum anderen, von einem Abgrund zum andern: eine wohlverdiente Strafe für den, der sich durch die erste Sünde dem bösen Feinde unterworfen hat. Durch diese Mittel hat Luzifer eine Unzahl Seelen in die Hölle gestürzt und er tut es noch jeden Tag, indem er sich in immer größerem Stolz gegen Gott erhebt. Auf diese Weise ist er Herr geworden in der Welt und hat bewirkt, dass man die letzten Dinge des Menschen, Tod, Gericht, Hölle und Himmel, vergisst. Auf diesem Weg hat er so viele Nationen von Abgrund zu Abgrund fortgerissen, bis sie in die blinden, tierischen Irrtümer gerieten, wie man sie unter den Ketzern und bei den falschen Sekten der Ungläubigen findet. Darum achte, meine Tochter, auf diese schreckliche Gefahr. Lass niemals die Gebote Gottes aus deinem Gedächtnis schwinden, die Lehren des Evangeliums, die katholischen Wahrheiten. Lass keinen Tag vorübergehen, ohne lange Zeit darüber nachzudenken. Denselben Rat gib auch deinen Nonnen und allen, die auf dich hören. Denn ihr Widersacher, der Satan, ist unaufhörlich bemüht, ihren Verstand zu verdunkeln, damit er das göttliche Gesetz vergesse und den Willen, dieses an sich blinde Seelenvermögen, nicht zu den Werken des Heiles antreibe, welches man nicht anders erlangt, als durch lebendigen Glauben, feste Hoffnung, glühende Liebe und durch ein zerknirschtes, gedemütigtes Herz.
ACHTES HAUPTSTÜCK: Wie Maria die Lehre des Evangeliums im Werk ausübt
Art und Weise, wie unsere Königin die von unserm Herrn ihr mitgeteilte Lehre des Evangeliums im Werk ausübte.
795. Unser Heiland, der nun die Jahre der Kindheit überschritten hatte, nahm zu, wie an Alter, so auch in seinem Wirken. In allem vollbrachte er, was ihm der ewige Vater zum Heil der Menschen aufgetragen hatte. Er predigte zwar nicht öffentlich und wirkte auch damals in Galiläa keine so augenscheinlichen Wunder, wie er sie später wirkte und wie er sie früher einige Male in Ägypten gewirkt hatte. Im verborgenen aber wirkte er allezeit Großes, indem er vielen sowohl der Seele, als dem Leib nach Rettung und Hilfe brachte. Er besuchte die Armen und Kranken, tröstete die Traurigen und Betrübten und führte diese und viele andere auf den Weg des ewigen Heils zurück, indem er sie durch guten Rat erleuchtete und durch innere Einsprechungen und Gnadenhilfen antrieb, mit dem Satan zu brechen, den Weg des Todes zu verlassen und sich zu Gott zu bekehren. Mit solchem Wohltun war er beständig beschäftigt und oftmals veließ er zu diesem Zweck das Haus der heiligsten Mutter. Die Menschen wurden freilich gewahr, dass sie durch die Worte und die Gegenwart Jesu bewegt und umgewandelt wurden. Da sie aber das Geheimnis nicht kannten, schwiegen sie verwundert und wussten nichts weiter, als dass sie diese Gnaden Gott zuschreiben müssten. Die Königin der Welt sah alle diese Wunderwerke ihres göttlichen Sohnes in dem Spiegel seiner allerheiligsten Seele und noch auf andere Weise und wenn sie dann mit ihm allein war, so brachte sie ihm kniefällig ihre Anbetung und ihre Danksagungen dafür dar.
796. Die übrige Zeit brachte Jesus mit seiner heiligsten Mutter zu. Er betete mit ihr, unterrichtete sie und sprach mit ihr über die Sorgen, welche er als guter Hirte für seine teure Herde trug, über die Verdienste, welche er zu ihrem Nutzen erwerben und über die Mittel, welche er zu ihrem Heil anwenden wollte. Die weiseste Mutter war auf alles aufmerksam. In ihrer himmlischen Weisheit und Liebe wirkte sie dabei mit und nahm Teil an den Ämtern, welche ihr göttlicher Sohn auszuüben begann als Vater, Bruder, Freund, Lehrer, Fürsprecher, Beschützer und Erlöser der Menschen. Diese Besprechungen hielten sie entweder mündlich oder vermittelst innerer Mitteilung: denn Jesus und Maria besprachen und verstanden sich auch auf diese Weise. Der göttliche Heiland sagte zu ihr: «Meine Mutter, die Frucht meiner Werke, auf welche ich die Kirche gründen will, soll eine Lehre sein, welche denen, die sie glauben und üben, Leben und Heil bringt. Ein heiliges Gesetz, wirksam und mächtig, um das tödliche Gift auszutilgen, welches Luzifer durch die erste Sünde in die Herzen der Menschen eingeträufelt hat. Ich will, dass die Menschen mittelst meiner Gebote und Räte vergeistigt werden. Sie sollen sich zur Vereinigung und Gleichförmigkeit mit mir erheben, sie sollen schon im sterblichen Fleisch lebende Gefäße meiner Gnadenschätze sein und danach zur Teilnahme an meiner ewigen Herrlichkeit gelangen. Ich will das Gesetz, das ich dem Moses gegeben, in neuer, vollkommenerer Form der Welt geben: es soll neues Licht und neue Kraft in sich schließen und nicht bloß Gebote, sondern auch Räte enthalten.»
797. Von allen diesen Absichten des Lehrmeisters des Lebens erhielt Maria, seine heiligste Mutter, die tiefste Erkenntnis. Ebenso groß war aber auch die Liebe, mit welcher sie diese Absichten des Herrn im Namen des ganzen Menschengeschlechtes voll Ehrfurcht und Dankbarkeit aufnahm. Und während ihr der Herr diese großen Geheimnisse sowohl im ganzen als im einzelnen mehr und mehr enthüllte, erfuhr sie auch, welche Kraft und Wirksamkeit der Herr diesen Geheimnissen, insbesondere dem Gesetz und der Lehre des Evangeliums, verleihen werde. Sie wusste, welche Wirkungen dieses Gesetz in jenen Seelen hervorbringen werde, die es beobachten und welchen Lohn sie dafür erhalten werden. Und in allem beobachtete sie schon zum voraus dieses Gesetz, als ob sie es für jeden einzelnen Menschen zu vollbringen hätte. Sie erhielt auch die deutlichste Erkenntnis aller vier Evangelien samt den Worten, Ausdrücken und Geheimnissen, welche die Evangelisten niederschreiben würden. Sie erkannte die Lehre aller vier Evangelisten in sich selbst durch unmittelbare Anschauung. Ihre Erkenntnis der Evangelien war vollkommener als die der heiligen Verfasser selbst und sie hätte in Erklärung der Evangelien die Lehrmeisterin sein können, ohne dass sie dabei auf die Worte derselben zu achten gehabt hätte. Ferner ward Maria inne, dass diese ihre Erkenntnis gleichsam die Kopie der Erkenntnis Jesu Christi war und dass damit die künftigen Evangelien als die Tafeln des Gesetzes in ihrem Herzen als in der Bundeslade niedergelegt und verwahrt worden seien, damit sie allen Heiligen und Gerechten, welche im Gesetz der Gnade leben sollten, als die wahren und eigentlichen Musterbilder dienen könnten. Denn alle Heiligen müssen ihre Heiligkeit und Tugendhaftigkeit nach derjenigen bilden, welche in Maria als der Schatzkammer der Gnade sich findet.
798. Der göttliche Lehrmeister ließ seine Mutter auch erkennen, welche Verpflichtung er ihr auferlege, diese ganze Lehre mit der höchsten Vollkommenheit im Werke zu befolgen und auszuführen, damit die hocherhabenen Zwecke, die er bei so außerordentlichen Gnadenauszeichnungen im Auge hatte, erreicht würden. Diese ihre Verpflichtung erfüllte denn auch unsere große Herrin und Königin und zwar auf eine so tadellose und vollkommene Weise, dass, wenn ich es hier beschreiben sollte, ihr ganzes Leben in diesem Hauptstück erzählt werden müsste. Denn ihr ganzes Leben war nichts anderes als ein Inbegriff des Evangeliums, gebildet nach dem Leben ihres Sohnes und Lehrers. Man sehe nur, was diese Lehre gewirkt hat in den Aposteln, Märtyrern, Bekennern und Jungfrauen und überhaupt in allen Heiligen und Gerechten, welche bisher gelebt haben und noch leben werden bis zum Ende der Welt. Niemand außer dem Herrn allein vermag dies auszusprechen und noch weniger zu begreifen. Nun müssen wir aber bedenken, dass alle Heiligen und Gerechten in Sünde empfangen waren und der Gnade wenigstens einigermaßen Hindernisse in den Weg legten. Und konnten sie auch an Tugend, Heiligkeit und Gnade wachsen, so ließen sie doch für die Gnade immer noch freien Raum. Bei unserer himmlischen Königin aber fanden sich keine derartigen Fehler und Mängel bezüglich der Heiligkeit. Sie, und nur sie war ein vollkommen geeignetes Objekt, an welchem der allmächtige Arm Gottes ohne jegliches Hindernis wirken und dem er seine Gaben ungehindert mitteilen konnte. Sie war es, welche den gewaltigen Strom der Gottheit der ihr durch ihren wahren Sohn und Gott zuströmte, ohne Hindernis und Widerstand in sich aufnahm (Ps 46, 5). So werden wir verstehen, dass wir erst in der klaren Anschauung des Herrn, in der ewigen Glückseligkeit des Himmels die gebührende Vorstellung erhalten werden von der Heiligkeit und Größe Mariä, dieses Wunderwerkes der göttlichen Allmacht.
799. Wenn ich also jetzt, obgleich nur im allgemeinen und der Hauptsache nach, einiges von dem, was mir geoffenbart wurde, beschreiben will, so finde ich keine Ausdrücke, um es zu sagen. Denn unsere Königin beobachtete die Gebote und Räte des Evangeliums nach Maßgabe der tiefen Erkenntnis, welche sie darüber erhalten hatte. Wie weit aber diese Wissenschaft und Erkenntnis der Lehre Christi bei der Mutter der Weisheit reichte, kann niemand erfassen und das wenige, was wir davon verstehen, übersteigt unsere Worte. Wir wollen hier als Beispiel die Lehre anführen, welche unser Herr Jesus Christus seinen Jüngern in der Bergpredigt gab und welche der hl. Matthäus im 5. Kapitel berichtet. Sie ist ein kurzer Inbegriff der evangelischen Vollkommenheit, auf welche der Herr seine Kirche gründete, indem er alle diejenigen selig pries, welche diese Lehre befolgen würden.
800. «Selig sind die Armen im Geiste», sprach unser Herr und Meister, «denn ihrer ist das Himmelreich.» Dies ist der erste feste Grundstein des ganzen christlichen Lebens. Wohl hatten die heiligen Apostel und mit ihnen unser heiliger Vater Franziskus ein tiefes Verständnis dieser Worte, doch die heiligste Jungfrau Maria allein erkannte vollkommen, was es Großes um die Armut im Geiste ist. Und dieser Erkenntnis und Hochachtung entsprechend, übte sie sie mit der höchstmöglichen Vollkommenheit. Keine Vorstellung von irdischen Gütern, keine Neigung dazu fand Zutritt zu ihrem Herzen. Und liebte sie auch diese Dinge als Geschöpfe Gottes, so verabscheute sie doch dieselben insofern, als sie der Liebe Gottes gefährlich und hinderlich waren. Sie bediente sich derselben mit der größten Einschränkung und nur insoweit, als diese Dinge ihr halfen, den Schöpfer zu verherrlichen. Durch diese vollkommenste, wunderbare Armut verdiente sie, zum gebührenden Lohn den Himmel und alle Geschöpfe als Königin zu besitzen. Alles. was ich hier sagte, ist wahr. Aber alles ist wenig im Vergleich zu der Vollkommenheit, mit welcher unsere große Königin die Armut des Geistes, diesen Schatz, welcher die erste der acht Seligkeiten ausmacht, in Wirklichkeit kannte, schätzte und übte.
801. Die zweite Seligpreisung heißt: «Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen.» In Ausübung dieser Lehre übertraf die seligste Jungfrau Maria durch ihre mildeste Sanftmut nicht nur alle Menschen wie Moses hierin seine Zeitgenossen übertraf (Num 12, 3), sondern sogar die Engel und Seraphim. Denn diese unschuldigste Taube war im sterblichen Fleisch freier von jeder inneren Aufregung und Erbitterung als die reinen Geister, welche unsere Empfindlichkeit nicht teilen. Wie sie aber in unerklärbarem Grad Herrin war über alle Fähigkeiten ihrer Seele und über alle Tätigkeiten ihres sterblichen Leibes, so war sie es auch über die Herzen aller derjenigen, welche mit ihr verkehrten, in jeder Hinsicht hatte sie das Erdreich in Besitz, das ihrer milden Gewalt sich gerne unterwarf.
Die dritte Seligpreisung lautet: «Selig sind die Trauernden. denn sie werden getröstet werden.» Besser als eine Zunge es aussprechen kann, verstand die heiligste Jungfrau Maria. wie kostbar und wertvoll die Tränen sind, wie töricht und gefährlich dagegen die Freuden und das Lachen der Welt (Ps 126, 5; Spr 14,13). Denn während alle Kinder Adams. in der Erbsünde empfangen und nachher durch wirkliche Sünden besudelt, sich dem Lachen und Vergnügen hingeben, erkannte die göttliche Mutter, allzeit frei von jeder Sünde, dass das sterbliche Leben dazu bestimmt ist, über die Abwesenheit des höchsten Gutes zu trauern und zu weinen über die Sünden, durch welche dieses Gut beleidigt worden ist und noch beleidigt wird. Und sie beweinte diese Sünden bitterlich im Namen aller Menschen. Diese unschuldigsten Tränen verdienten ihr die Tröstungen und Gnadenauszeichnungen, die sie vom Herrn empfing. Ihr reinstes Herz war beim Anblick der Beleidigungen, die ihrem einzig geliebten Gute, dem ewigen Gott zugefügt wurden, beständig unter der Kelter, welche ihr die Tränen auspresste, die von ihren Augen rannen. Es war ihre «Speise bei Tag und bei Nacht» (Ps 42, 4), die Undankbarkeit der Sünder gegen ihren Schöpfer und Erlöser zu beweinen. Kein bloßes Geschöpf, ja nicht einmal alle miteinander haben mehr geweint als die Königin der Engel. Und doch hätten sie Ursache zu jammern und zu weinen über die Schuld gleichwie Maria Ursache hatte sich zu freuen und zu frohlocken über die Gnade.
802. Die vierte Seligpreisung heißt: «Selig sind die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden!» Das Geheimnis dieses Hungers und Durstes nach Gerechtigkeit hatte unsere große Königin vollkommen erfasst. Der Hunger nach Gerechtigkeit war bei ihr größer, als der Ekel dagegen bei allen Feinden Gottes je gewesen ist und sein wird. Denn obwohl sie zum Gipfelpunkt der Gerechtigkeit und Heiligkeit gelangt war, so dürstete sie doch immer danach, für die Gerechtigkeit noch mehr zu tun. Und diesem Durst entsprach die Fülle von Gnade, mit welcher der Herr sie sättigte, indem er den Strom seiner Schätze und Wonnen in sie ergoss. Hinsichtlich der fünften Seligpreisung: «Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen», ist zu bemerken, dass Maria die Barmherzigkeit in einem so erhabenen Grad besaß, wie er nur bei ihr möglich war. Darum wird sie auch «Mutter der Barmherzigkeit» genannt, gleichwie Gott «Vater der Barmherzigkeit» (2 Kor 1, 3) heißt. Obwohl sie ganz frei war von jeder Sünde, für welche sie zu Gott um Barmherzigkeit hätte flehen müssen, so war sie doch im höchsten Grad voll von Barmherzigkeit für das ganze Menschengeschlecht und kam darum diesem zu Hilfe. Und da sie über die Erhabenheit diese Tugend die höchste Erkenntnis besaß, so hat sie niemals die Barmherzigkeit verweigert und wird sie auch niemals verweigern, wenn man sie darum bittet. Sie ahmt hierin auf das vollkommenste Gott den Herrn nach, wie sie auch darin ihn nachahmt, dass sie den Armen und Hilfsbedürftigen zuvorkommt und gleichsam entgegeneilt, um ihnen ihre Hilfe anzubieten.
803. Auch in der sechsten Seligkeit: «Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen», findet die heiligste Jungfrau Maria ihresgleichen nicht. Sie war ja «auserwählt wie die Sonne» und glich der wahren «Sonne der Gerechtigkeit». Sie gleicht aber auch der materiellen. körperlichen Sonne, welche uns erleuchtet, ohne durch etwas Unreines und Irdisches befleckt zu werden. Denn in das Herz und den Geist unserer reinsten Königin kam niemals eine Vorstellung oder ein Bild von etwas Unreinem. Sie war hierzu gewissermaßen ganz unfähig wegen der unaussprechlichen Reinheit ihrer heiligsten Gedanken, welche sie befähigte, schon im ersten Augenblick ihres Lebens und wie im Verlauf dieser Geschichte gesagt wird, später noch öfter die Anschauung Gottes, wenn auch nicht bleibend, so doch nach dem Stand der Pilgerschaft vorübergehend zu genießen.
Die siebente Seligkeit: «Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden», wurde unserer Königin mit wunderbarer Weisheit verliehen, wie sie deren bedurfte, um den Frieden ihres Herzens und die Ruhe ihrer Seelenvermögen zu bewahren mitten in den Schrecknissen und Trübsalen, welche das Leben, Leiden und Sterben ihres göttlichen Sohnes über sie brachte. In allen diesen und anderen Erlebnissen war sie das lebendige Abbild der inneren Ruhe unseres Herrn. Niemals geriet sie in ungeordnete Verwirrung. Die größten Peinen wusste sie mit tiefstem Seelenfrieden zu ertragen und erwies sich so stets als vollkommene Tochter des himmlischen Vaters. Und dieser Titel einer «Tochter des ewigen Vaters» gebührte ihr hauptsächlich auch deswegen. weil sie den Frieden in so ausgezeichnetem Grad besaß.
Die achte Seligkeit endlich: Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, denn ihrer ist das Himmelreich», erreichte in der heiligsten Jungfrau den höchstmöglichen Grad. Denn dass man ihrem göttlichen Sohn, dem Herrn der Welt, Ehre und Leben raubte, weil er den Menschen die Gerechtigkeit predigte und dass man dies auf eine Weise tat, wie es eben bei diesem Werk der Ungerechtigkeit der Fall war, das haben nur Maria und Gott selbst mit einer gewissen Gleichförmigkeit ertragen. Sie war ja die wahre Mutter des göttlichen Heilandes, wie Gott dessen Vater war. Sie allein folgte Gott nach im Ertragen dieser Verfolgung, überzeugt, dass sie bis zu diesem Punkt die Lehre ihres göttlichen Meisters ausüben müsse.
804. Auf diese Weise vermag ich einiges von dem zu erklären, was mir über die Weisheit mitgeteilt wurde, mit welcher die Himmelskönigin die Lehre des Evangeliums verstanden und ausgeübt hat. Und was ich von den acht Seligkeiten gesagt habe, das könnte ich auch von den übrigen Geboten und Räten sowie von den Gleichnissen des Evangeliums sagen, so z. B. von dem Gebote, die Feinde zu lieben. Widrigkeiten zu verzeihen, die guten Werke im verborgenen oder ohne Eitelkeit zu verrichten, die Heuchelei zu fliehen, ferner von allen Räten der Vollkommenheit, sodann von den verschiedenen Parabeln: vom verborgenen Schatz, von der Perle, von den Jungfrauen, von dem Samenkorn, von den Talenten und überhaupt von allen anderen Gleichnissen der vier Evangelien. Alle diese Gleichnisse verstand Unsere Liebe Frau samt der Lehre, welche sie enthalten und den erhabenen Zwecken, welche der göttliche Meister dabei im Auge hatte. Maria wusste, wie alles auf das Heiligste und in vollkommenster Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen zu tun sei und auf diese Weise führte sie es auch aus, ohne einen Buchstaben oder auch nur ein Tüpfelchen daran zu unterlassen. Deshalb kann man von der Himmelskönigin sagen, was Christus unser Herr von sich selbst gesagt hat: «Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben. sondern zu erfüllen (Mt 5,17).»
LEHRE DER HEILIGSTEN HIMMELSKÖNIGIN MARIA
805. Meine Tochter, für den wahren Lehrmeister der Tugend geziemt es sich, dass er lehre, was er tut, und dass er tue, was er lehrt. Sagen und Tun sind die beiden Obliegenheiten des Lehramtes. Die Worte sollen belehren, das Beispiel aber soll bewegen und das Gelehrte beglaubigen, damit man es annehme und ausführe. Alles dieses hat mein allerheiligster Sohn beobachtet (Apg 1,1), und nach seinem Beispiel auch ich. Weil aber weder Seine Majestät noch ich immer in der Welt verbleiben wollten, so beschloss der Herr, als einen Abriss seines und meines Lebens die heiligen Evangelien zu hinterlassen, damit die Kinder des Lichtes durch den Glauben an die Lehre des Evangeliums und durch die Befolgung derselben ihr Leben nach dem Leben ihres Meisters einrichten. In dem Evangelium ist die Lehre, in welcher der Herr mich unterwiesen und zu deren Beobachtung er mich angehalten hat, gleichsam lebendig vor Augen gestellt. Daraus siehst du aber auch, welchen Wert die heiligen Evangelien haben, wie hoch du dieselben schätzen und wie sehr du sie verehren sollst. Ich sage dir, dass es meinem göttlichen Sohn und mir zur großen Ehre und Freude gereicht, wenn seine göttlichen Worte und die Beispiele seines Lebens bei den Menschen die gebührende Hochachtung und Ehrfurcht finden. Dagegen betrachtet es der Herr als eine große Kränkung, wenn die Kinder der Kirche seine Evangelien und seine Lehre vergessen. Und doch gibt es so viele Kinder der Kirche, welche für diese Wohltat weder Verständnis, noch Aufmerksamkeit, noch Dankgefühl haben und nicht einmal daran denken, wie wenn sie Heiden wären oder des Glaubenslichtes entbehrten.
806. Was dich betrifft, so bist du in dieser Hinsicht zum größten Dank verpflichtet, denn dir hat der Herr zu erkennen gegeben, welche Verehrung und Hochschätzung ich für die Lehre des Evangeliums gehabt habe und welche Anstrengung ich mich kosten ließ, sie ins Werk zu setzen. Zwar hast du diese meine Erkenntnis und mein Verhalten nicht nach dem ganzen Umfang verstehen können, denn dies übersteigt deine Fassungskraft, soviel jedoch ist gewiss, dass ich, was diese Gnade betrifft, gegen niemand so gütig und freigebig gewesen bin, wie gegen dich. Sei also sorgfältig darauf bedacht, diese Gnade zu benützen und die Liebe, welche dir für die Heilige Schrift, besonders für die Evangelien und ihre himmlische Lehre eingeflößt worden ist, nicht zu vernachlässigen. Diese Lehre muss die Leuchte deines Herzens, mein Leben muss das Muster und Vorbild sein, nach welchem du das deinige einrichtest. Bedenke, wie wichtig es ist und wie viel daran liegt, dass du hierauf alle Sorgfalt verwendest, bedenke nur, dass du dadurch meinem Sohn und Herrn Freude machst und dass ich dafür aufs neue die Verpflichtung auf mich nehme, deine Mutter und Lehrmeisterin zu sein. Zittere vor der Gefahr, in welcher sich derjenige befindet, der die Einsprechungen Gottes nicht achtet. Zahllose Seelen gehen verloren, weil sie sie nicht beachten. Und weil die Einsprechungen, welche von der freien Güte des Allmächtigen dir zukommen, so zahlreich und wunderbar sind, so würde eine Missachtung ihrer von deiner Seite eine strafwürdige Undankbarkeit und ein Gegenstand des Abscheues sein für den Herrn, für mich und für alle Heiligen Gottes.
NEUNTES HAUPTSTÜCK: Maria wird über die Glaubensartikel unterrichtet
Von der Kenntnis, welche die heiligte Jungfrau von den Glaubensartikeln besaß, und von dem Nutzen den sie daraus zog.
807. Das unerschütterliche Fundament unserer Rechtfertigung und die Wurzel aller Heiligkeit ist der Glaube an die Wahrheiten, welche Gott seiner heiligen Kirche geoffenbart hat. Auf diesen festen Grund hat der Herr seine Kirche gebaut als ein höchst weiser Baumeister, der sein Haus auf festen Felsen baut, damit die tobenden Wogen einer Überschwemmung es nicht erschüttern können. Dies ist die unüberwindliche Festigkeit der Kirche des Neuen Bundes, welche nur eine ist, nämlich die römisch-katholische. Einig ist sie durch die Einheit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, welch letztere auf dem Glauben beruht. Einig ist sie ohne Spaltung und Widerspruch, wie solche in allen Synagogen des Satans (Offb 2, 9) sich finden. d. h. bei allen falschen Sekten, Irrlehren und Ketzereien. Diese sind ja so voll Finsternis und Verblendung, dass nicht nur die eine der andern und alle miteinander der Vernunft widerstreiten, sondern dass auch jede mit sich selbst im Widerspruch steht, indem sie Dinge behaupten und glauben, welche sich vollkommen widersprechen. Die eine dieser Sekten stürzt und überwältigt die andere. Gegen alle insgesamt aber steht allezeit unbesiegbar da unser heiliger Glaube, die Pforten der Hölle vermögen nicht das Geringste gegen ihn (Mt 16,18), wiewohl der Satan alle Gewalt gebraucht hat und noch braucht, um, wie der Lehrmeister des Lebens seinem Stellvertreter, dem hl. Petrus, und in ihm allen seinen Nachfolgern gesagt hat, ihn zu sieben und zu rütteln wie den Weizen (Lk 22, 31).
808. Damit unsere Königin und Herrin eine vollkommen entsprechende Wissenschaft von der gesamten Lehre des Evangeliums und von dem ganzen Gesetz der Gnade empfange, war es notwendig, dass in diesen Ozean von Wundern und Gnaden die Erkenntnis aller derjenigen katholischen Wahrheiten einströme, welche von den Gläubigen im Neuen Bund geglaubt werden sollten, insbesondere von den Glaubensartikeln, welche den Ursprung und die Quelle der übrigen Glaubenswahrheiten bilden. Ein solches Wissen überstieg keineswegs die Fassungskraft Mariä und ihrer unaussprechlichen Weisheit konnte alles anvertraut werden, auch diejenigen Artikel, welche sie selbst betrafen und in Bezug auf sie geglaubt werden müssen. Alles dieses erfuhr sie, wie später gesagt werden wird (Nr. 812), mit den Umständen der Zeit, des Ortes, der Art und Weise, wie in den kommenden Jahrhunderten alles nach Bedürfnis sich entwickeln sollte. Um nun die seligste Mutter hierüber und insbesondere über die Glaubensartikel zu unterrichten, verlieh ihr der Herr eine abstrakte Vision der Gottheit, wie sie solche schon öfter gehabt hatte. In dieser Vision wurden ihr die tiefsten Geheimnisse der unerforschlichen Ratschlüsse Gottes und seiner Vorsehung geoffenbart. Sie sah, mit welch unendlicher Güte Gott der Herr die Gnade des heiligen eingegossenen Glaubens bereitet hatte, damit die der Anschauung Gottes entbehrenden Menschen auf kurzem und leichtem Weg zur Erkenntnis Gottes gelangen, und zwar alle ohne Unterschied, ohne Verzug, und ohne diese Erkenntnis durch natürliche Wissenschaft, die nur sehr wenigen und auch diesen nur in sehr beschränktem Maß zugänglich ist, erforschen zu müssen. Denn unser katholischer Glaube führt uns vom ersten Vernunftgebrauch an ohne weiteres zur Erkenntnis nicht bloß der Gottheit in drei Personen, sondern auch der Menschheit Christi unseres Herrn sowie der Mittel, durch welche das ewige Leben erlangt wird. Wahrheiten, welche die leeren, unfruchtbaren menschlichen Wissenschaften nicht zu erreichen vermögen, wenn sie nicht durch den Einfluss und die Kraft des göttlichen Glaubens gehoben werden.
809. Alle diese Geheimnisse schaute unsere große Königin in der genannten Vision und zwar in ihrer ganzen Tiefe und nach ihrem ganzen Inhalt. Sie sah, wie die heilige Kirche von ihrem Ursprung an die vierzehn Artikel des katholischen Glaubens besitzen und wie sie später zu verschiedenen Zeiten manche Lehrsätze und Wahrheiten als Glaubensdogmen definieren werde, welche in jenen Artikeln und in der Heiligen Schrift wie in ihrer Wurzel eingeschlossen sind, die, wenn sie gehegt wird, ihre Frucht bringt. (Es könnte auffallen, dass die ehrwürdige Verfasserin an dieser Stelle vierzehn Glaubensartikel unterscheidet, da doch das Glaubensbekenntnis gewöhnlich, ja fast ausschließlich, in 12 Artikel eingeteilt wird. Indes ist die Einteilung in 14 Artikel innerlich gleichfalls begründet und in der Scholastik gar wohl bekannt. Der heilige Thomas von Aquin führt eben diese Abteilung in seiner Summa [2. 2. q. 1. a. 8.] an und begründet sie. In dem Opusculum IV [In articulos fidei, ab init. - Edit. Rom. VII.] sagt der hl. Kirchenlehrer: «Scire oportet, quod tota fides christiana circa divinitatem et humanitatem Christi versatur ... Circa utrumque autem horum a quibusdam sex, a quibusdam septem articuli distinguuntur et sic omnes articuli secundum quosdam duodecim, secundum quosdam quatuordecim esse dicuntur.» Man vergleiche übrigens, was im dritten Teil dieses Werkes (Nr. 217) über die Entstehung des apostolischen Glaubensbekenntnisses gesagt wird. Man sehe auch Eusebius Nieremberg [Obras, tom. I. Practica deI Catecismo, Parte primera, leccion II.]. Der Herausgeber).
Nachdem Maria alles dieses in Gott geschaut hatte, kam sie aus der genannten Vision zurück und schaute nun alles mittelst einer gewöhnlichen, schon öfters besprochenen Anschauung, nämlich in der heiligsten Seele Christi. Sie sah, wie dieses ganze Lehrgebäude im Geiste des göttlichen Meisters dem Plane nach entworfen war. Dann besprach sie mit ihrem göttlichen Sohn mündlich, wie alles in der Praxis auszuführen sei. Die Himmelskönigin erfuhr, wie sie die erste sei, welche im einzelnen und auf vollkommene Weise den Glaubensakt zu erwecken habe. Und dies tat sie denn auch der Reihe nach bei jedem einzelnen Glaubensartikel.
Was den ersten der sieben auf die Gottheit bezüglichen Glaubensartikel betrifft, so erkannte Maria durch den Glauben, dass nur ein wahrer Gott ist: unabhängig, notwendig, unendlich in seinen Eigenschaften und Vollkommenheiten unermesslich, unveränderlich und ewig. Sie sah, wie pflichtgemäß, gerecht und notwendig es für die Menschen ist, dass sie diese Wahrheit glauben und bekennen. Sie sagte ihrem heiligsten Sohn für die Offenbarung dieses Artikels Dank und bat ihn, er möge diese Wohltat an dem Menschengeschlecht weiter fortsetzen und allen Menschen die notwendigen Gnaden verleihen, um diesen Artikel anzunehmen und zur Erkenntnis der wahren Gottheit zu gelangen. In diesem untrüglichen, wenngleich dunklen Licht erkannte sie auch die Bosheit der Abgötterei, welche diese Wahrheit nicht kennt. Sie vergoss darüber in unaussprechlichem Schmerz bittere Tränen und setzte dieser Sünde großartige Akte des Glaubens und der Ehrfurcht gegen den einen wahren Gott entgegen und viele andere Akte all der Tugenden, welche diese Erkenntnis fordert.
810. Dann erweckte Maria den Akt des Glaubens an den zweiten Artikel: dass Gott Vater ist. Sie sah, wie dieser Glaubensartikel gegeben werde, damit die Sterblichen von der Erkenntnis der Gottheit zur Erkenntnis der Dreiheit der Personen in Gott fortschreiten, sowie zur Erkenntnis der übrigen Glaubensartikel, welche die Dreifaltigkeit näher erklären und voraussetzen. Die Menschen sollten dadurch zur vollkommenen Erkenntnis ihres letzten Zieles, wie sie es in der ewigen Seligkeit genießen sollen, sowie zur Erkenntnis der Mittel, die dahin führen, gelangen. Maria erkannte, wie die Person des Vaters nicht erzeugt sein und nicht von einer anderen Person ausgehen kann, wie sie der Ursprung von allem ist und wie ihr darum die Schöpfung des Himmels und der Erde und aller darauf befindlichen Kreaturen zugeschrieben wird, als jener Person, welche selbst ohne Ursprung, dagegen der Ursprung alles dessen ist, was existiert. Für diesen Glaubensartikel sagte unsere himmlische Frau im Namen des ganzen Menschengeschlechtes Dank und erweckte überhaupt alle die Akte, welche diese Wahrheit verlangt.
Den dritten Artikel, dass ein Sohn ist, glaubte die Mutter der Gnade mit einer ganz besonderen Erleuchtung über das gegenseitige Verhältnis der drei göttlichen Personen untereinander (processiones ad intra). Das erste «nach der Ordnung des Ursprungs» (in ordine originis, nicht temporis) ist in dieser Hinsicht die ewige Zeugung des Sohnes. Der Sohn ist und war von Ewigkeit her vom Vater und nur von ihm, durch die Wirksamkeit des Verstandes gezeugt. Er steht aber dem Vater nicht nach, sondern ist ihm gleich in der Gottheit, Ewigkeit, Unendlichkeit und in allen Vollkommenheiten.
Der vierte Artikel betrifft den Glauben an den Heiligen Geist. Auch diesen Artikel glaubte und verstand Maria. Sie erkannte, dass die dritte Person, nämlich der Heilige Geist, vom Vater und vom Sohn als einem Prinzip ausgehe und zwar durch den Akt des Willens. Sie erkannte, dass der Heilige Geist den beiden andern Personen gleich sei und dass überhaupt unter den göttlichen Personen kein anderer Unterschied stattfinde als der persönliche, welcher sich auf das unendliche Ausgehen vom Verstand und Willen (emanationes sive processiones) gründet.
Über dieses Geheimnis hatte die seligste Jungfrau zwar schon bei anderen Gelegenheiten hohe Erkenntnisse mittelst Visionen erhalten, von denen früher bereits die Rede war. Allein bei dieser Gelegenheit wurden diese Erkenntnisse erneuert und zwar mit besonderer Rücksicht auf den Umstand, dass die genannten Wahrheiten in der zu gründenden Kirche Glaubensartikel sein sollten. Überdies wurden ihr dieses Mal auch die Ketzereien gezeigt, welche Luzifer gegen diese Glaubensartikel aussäen werde und die er gleich nach seinem Sturz, sobald er von der Menschwerdung des Wortes Kenntnis erhielt, in seinem Kopf ausgesponnen hatte. Gegen alle diese Irrtümer erweckte die heiligste Königin in der bereits beschriebenen Weise heldenmütige Tugendakte.
811. Ferner glaubte die heiligste Jungfrau Maria den fünften Artikel, dass Gott Schöpfer ist. Sie erkannte, dass die Erschaffung aller Dinge, obwohl sie dem Vater zugeschrieben wird, doch allen drei Personen gemeinschaftlich ist, insofern sie nur ein allmächtiger, unendlicher Gott sind. Sie erkannte, wie von ihm allein alle Dinge in ihrem Dasein und Fortbestehen abhängen und wie kein Geschöpf, wäre es auch ein Engel, ein anderes erschaffen. d. h. aus nichts hervorbringen kann, sollte dies auch nur ein Wurm sein, denn nur er, der in seinem Wesen unabhängig ist, kann auch ohne Abhängigkeit von einer über oder unter ihm stehenden Ursache wirken. Die göttliche Mutter erkannte, wie notwendig dieser Artikel in der heiligen Kirche gegen die Betrügereien Luzifers ist, damit Gott als der Urheber aller Geschöpfe erkannt und verehrt werde.
Den sechsten Artikel, dass Gott Erlöser ist, durchschaute die seligste Jungfrau aufs neue nebst allen Geheimnissen, die darin eingeschlossen sind. Sie sah die Vorherbestimmung, Berufung und Rechtfertigung der Auserwählten sowie den Verlust der ewigen Seligkeit für jene, welche von den geeigneten Mitteln, die der barmherzige Gott ihnen anbietet, keinen Gebrauch machen und darum ewig verloren gehen. Die Königin der Gläubigen erkannte auch, inwiefern die Erlösung den drei göttlichen Personen überhaupt, insbesondere aber der Person des menschgewordenen Wortes zugeschrieben werde, nämlich insofern, als das menschgewordene Wort sich als Lösepreis hingeben, die Gottheit aber denselben annehmen solle zur Genugtuung für die Erbsünde, wie für die aktuellen Sünden. Auf alle diese Sakramente und Geheimnisse, welche die heilige Kirche empfangen und glauben sollte, richtete die hehre Königin ihre Aufmerksamkeit. Und dieser Erkenntnis entsprechend, erweckte sie heldenmütige Akte verschiedener Tugenden.
Ferner verstand Maria den siebenten Artikel, nämlich dass Gott Seligmacher ist. Sie erkannte alles, was dieser Glaubensartikel für die sterblichen Menschen in sich begreift, die Seligkeit, welche ihnen in der beseligenden Anschauung und im Genuss Gottes bereitet ist. Sie sah, von welcher Wichtigkeit es für die Sterblichen sei, dass sie an diese Wahrheit glauben, damit sie sich zur Erreichung der Seligkeit befähigen. Sie sollen sich nicht als Erdenbürger, sondern als Erdenpilger und als Bürger des Himmels betrachten. Der Glaube an den Himmel und die Hoffnung auf ihn sollen ihren Trost bilden während der Zeit ihrer Verbannung auf Erden.
812. In gleicher Weise erkannte unsere große Königin jene sieben Glaubensartikel, welche sich auf die Menschheit unseres Herrn beziehen. Die Erkenntnis derselben brachte in ihrem reinsten und demütigen Herzen neue Wirkungen hervor. Was den ersten Glaubensartikel betrifft, dass nämlich ihr heiligster Sohn als Mensch durch Wirkung des Heiligen Geistes empfangen ist, so wusste sie wohl, dass dieses Geheimnis in ihrem jungfräulichen Schoß vollzogen worden war. Da sie nun erfuhr, dass diese Wahrheit nebst den weiteren damit zusammenhängenden Wahrheiten zu einem Glaubensartikel in der streitenden Kirche erhoben werde, so waren die Gefühle, welche die weiseste Herrin infolge dieser Erkenntnis in ihrem Herzen empfand, ganz wunderbar. Sie demütigte sich unter alle Geschöpfe, ja bis in die Abgründe der Erde. Sie drang noch tiefer ein in die Erkenntnis, dass sie aus nichts geschaffen sei. Sie öffnete sozusagen neue Gräben, um das Fundament der Demut für das hocherhabene Gebäude zu legen, welches der Allmächtige in seiner heiligsten Mutter mehr und mehr aufführte, indem er ihr die Fülle der eingegossenen Wissenschaft und der ausgezeichnetsten Vollkommenheit mitteilte. In ihrem Namen und im Namen des ganzen Menschengeschlechts brachte sie dem Allmächtigen Lob und Dank dafür dar, dass er ein so wunderbares und mächtiges Mittel erwählt hatte, um die Herzen aller Menschen an sich zu ziehen und dass er zugleich die Menschen verpflichtete, mittelst des Glaubens es immer vor Augen zu haben.
Ein Gleiches tat sie beim zweiten Artikel, dass Christus unser Herr geboren ist aus Maria, der Jungfrau vor, in und nach der Geburt. Die Himmelskönigin erkannte das Geheimnis ihrer unversehrten Jungfrauschaft, die sie so hoch geschätzt hatte. Sie sah, wie der Herr sie auf diese Weise unter allen Menschen zu seiner Mutter erwählt und wie sowohl die Ehre des Herrn als ihre eigene Ehre es forderte, dass sie durch dieses Vorrecht ausgezeichnet wurde. Sie sah, wie die heilige Kirche diese Wahrheit mit der Festigkeit des katholischen Glaubens werde für wahr halten müssen. Alles dieses und anderes erkannte und glaubte die große Königin. Unmöglich aber ist es, mit Worten zu schildern, welch erhabene Tugendakte sie dabei übte. Einem jeden dieser Geheimnisse brachte sie in höchster Vollkommenheit den gebührenden Tribut der Verherrlichung, Verehrung, Unterwerfung, Lobpreis und Dankbarkeit dar und zwar in stets wachsender Demut, denn in dem Grad, als sie erhöht wurde, trachtete sie sich zu verdemütigen und in den Staub zu erniedrigen.
813. Der dritte Artikel besagt, dass Christus unser Herr gelitten hat und gestorben ist. Der vierte, dass er hinabgestiegen ist zur Vorhölle und die Seelen der heiligen Väter, welche dort seine Ankunft erwarteten, erlöste. Der fünfte, dass er von den Toten auferstanden ist. Der sechste, dass er aufgefahren ist in den Himmel und sich gesetzt hat zur Rechten des ewigen Vaters. Der siebente, dass er von dort kommen wird, um beim allgemeinen Gericht die Lebendigen und die Toten zu richten und jedem den Lohn seiner Werke zu geben. Diese und alle anderen Glaubenswahrheiten glaubte, erkannte und verstand Maria nach ihrem Wesen, nach ihrem Zusammenhang und nach ihren Gründen. Sie sah auch, wie notwendig der Glaube daran für die Sterblichen sei. Und sie allein ergänzte, was die Menschen an diesem Glauben fehlen lassen und leistete Ersatz für alle, welche nicht geglaubt haben und nicht glauben werden. Sie ersetzte auch die Lauheit, die wir durch mangelhaften Glauben an diese göttlichen Wahrheiten und durch Nachlässigkeit dafür uns zuschulden kommen lassen. Die ganze Kirche preist unsere Königin selig und glücklich, nicht nur, weil sie dem Abgesandten des Himmels glaubte, sondern auch, weil sie später die Artikel jener Geheimnisse glaubte, welche im Heiligtum ihres jungfräulichen Schoßes vollzogen wurden. Und sie glaubte sie nicht bloß in ihrem Namen, sondern auch für alle Kinder Adams. Sie war die Lehrmeisterin des göttlichen Glaubens. Sie hat vor den Augen der himmlischen Geister das Banner der Gläubigen in der Welt aufgepflanzt. Sie war die erste katholische Königin der Welt, wie es eine zweite nicht geben wird. Und alle wahren Katholiken werden in ihr eine zuverlässige Mutter finden. Schon um dieses Titels «Katholiken» willen sind sie ihre Kinder, wenn sie Maria anrufen, denn es ist kein Zweifel, dass diese mitleidsvolle Mutter und Heerführerin des katholischen Glaubens mit besonderer Liebe auf diejenigen blickt, welche ihr in dieser großen Tugend folgen und nach ihrem Beispiel den Glauben verbreiten und verteidigen.
814. Es wäre aber zu weitläufig, wenn ich alles beschreiben würde, was mir über den Glauben der Himmelskönigin und über ihre vollkommene Erkenntnis eines jeden der vierzehn Artikel und der darin enthaltenen Wahrheiten mitgeteilt worden ist. Die Unterredungen, die sie hierüber mit ihrem göttlichen Lehrmeister Jesus gepflogen, die Fragen, welche sie mit unaussprechlicher Demut und Klugheit an ihn richtete, die Antworten, welche ihr süßester Sohn ihr gegeben, die tiefsten Geheimnisse, welche er ihr aufs liebevollste offenbarte und überhaupt alle die verehrungswürdigen Geheimnisse, welche bloß dem Sohn und der Mutter bekannt waren: all dies vermag ich nicht zu beschreiben, denn ich finde keine Worte für so göttliche Dinge. Auch wurde mir zu verstehen gegeben, dass es sich nicht ziemt, sämtlich die Geheimnisse in diesem sterblichen Leben zu offenbaren. Allein dieses ganze, neue und göttliche Testament wurde in der heiligsten Jungfrau Maria verwahrt. Und sie allein bewahrte es auf das Treueste, um zur rechten Zeit aus diesem Schatz mitzuteilen, was die Bedürfnisse der heiligen Kirche erheischten und noch erheischen. O glückselige Mutter !
Wenn ein weiser Sohn die Freude seines Vaters ist (Spr 10,1), wer wird dann zu beschreiben vermögen, welche Freude diese große Königin empfunden hat, als ihr in den Wahrheiten des heiligen katholischen Glaubens gezeigt wurde, welche Ehre dem himmlischen Vater aus den Werken der Erlösung erwachse, die sein und ihr Eingeborener vollbringen sollte !
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
815. Meine Tochter, im sterblichen Leben ist es unmöglich, die Gefühle und Akte zu begreifen, zu welchen ich angeregt wurde durch den Glauben und die eingegossene Erkenntnis der Artikel, welche mein heiligster Sohn für die heilige Kirche bereitete. Es ist nicht anders möglich, als dass die Worte dir fehlen, um auszusprechen, was du verstanden hast, denn alle Worte, welche ein im Fleisch lebender Mensch zu erreichen vermag, sind unzureichend, um von diesem Geheimnis eine Vorstellung zu geben oder es zu erklären. Was ich dir aber auftrage und befehle und was du mit der göttlichen Gnade auch zu leisten vermagst, ist dies, dass du den gefundenen Schatz der Erkenntnis und Wissenschaft so ehrwürdiger Geheimnisse mit aller Ehrfurcht und Sorgfalt bewahrst. Denn als Mutter sage ich dir und tue dir kund, dass deine Feinde mit grausamer Arglist darauf ausgehen, dir diesen Schatz zu rauben. Trage also Sorge und sei voll Umsicht, dass sie dich mit «Kraft umgürtet» und deine «Hausleute». d. h. deine Sinne und Seelenkräfte «doppelt gekleidet» finden, nämlich durch innere und äußere Wachsamkeit gegen die Stürme der Versuchungen. Die Angriffswaffen, welche dir zum Sieg über alle, die dich bekriegen, verhelfen, seien die Artikel des katholischen Glaubensbekenntnisses. Das beständige, lebendige Andenken, der feste Glaube daran und das aufmerksame Betrachten der Artikel erleuchtet die Seelen, zerstreut die Irrtümer, deckt die Betrügereien des Satans auf und macht sie verschwinden, wie die Strahlen der Sonne ein leichtes Wölkchen. Überdies ist es eine geistige Nahrung und Speise, welche die Seelen stark macht, um die Schlachten des Herrn zu schlagen.
816. Wenn die Gläubigen diese und andere, noch größere und wunderbarere Wirkungen des Glaubens nicht an sich erfahren, so ist die Schuld nicht auf Seiten des Glaubens, als ob dieser die Kraft nicht hätte, solche Wirkungen hervorzubringen, sondern sie ist auf Seiten der Gläubigen, von denen die einen den Glauben vergessen und vernachlässigen, andere aber einem fleischlichen und tierischen Leben sich blindlings hingeben, die Gnade des Glaubens ganz unbenützt lassen und kaum daran denken, vom Glauben Gebrauch zu machen, als ob sie ihn nie empfangen hätten. Sie sehen doch, dass die Heiden diese Gnade nicht haben und bedauern, wie es ganz natürlich ist, deren unglücklichen Zustand; und doch sind sie viel schlechter als die Heiden, weil sie eine so große und himmlische Gabe mit so entsetzlicher Undankbarkeit und Verachtung behandeln.
Von dir aber, meine liebste Tochter, verlange ich, dass du mit tiefer Demut und feuriger Inbrunst für den Glauben dankst, durch unablässige und heldenmütige Akte ihn übst und die Geheimnisse, welche er dich lehrt, allezeit betrachtest, damit du, von allem Irdischen frei, der überaus süßen und göttlichen Wirkungen teilhaftig werdest, die er hervorbringt. Diese Wirkungen werden aber in dir um so mächtiger und stärker sein, je lebendiger und klarer die Erkenntnis ist, welche der Glaube dir gibt. Wenn du aber deinerseits den gehörigen Fleiß anwendest, so wird das Licht zunehmen, du wirst eine immer tiefere Erkenntnis erhalten über die erhabenen und wunderbaren Geheimnisse des Glaubens. z. B. über die Wesenheit des dreieinigen Gottes, über die persönliche Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur, über das Leben, den Tod und die Auferstehung meines allerheiligsten Sohnes und über alle seine Werke. Auf diese Weise wirst du die Süßigkeit des Glaubens kosten und reiche Früchte an Verdiensten sammeln. welche dich der ewigen Ruhe und Seligkeit würdig machen.
ZEHNTES HAUPTSTÜCK: Maria wird über die Zehn Gebote unterrichtet
Die heiligste Jungfrau Maria erhält neues Licht über die zehn Gebote. Benützen dieser Gnade.
817. Gleichwie die Artikel des Glaubens die Akte des Verstandes angehen, dessen Gegenstand sie sind, so gelten die Gebote den Akten des Willens. Nun sind zwar alle freien Akte sämtlicher Tugenden, sowohl der eingegossenen, als der erworbenen, von dem Willen abhängig, allein sie gehen doch nicht alle in gleicher Weise vom Willen aus. Die Akte des freigewollten Glaubens gehen nämlich unmittelbar vom Verstand aus. Dieser ist es, welcher sie hervorbringt, vom Willen aber hängen sie nur insofern ab, als dieser sie aus reiner, heiliger, frommer und ehrfurchtsvoller Gesinnung gebietet. Denn die dunkeln Wahrheiten des Glaubens zwingen den Verstand keineswegs, dass er sie glaube, ohne den Willen zu befragen und darum wartet er die Entscheidung des Willens ab. Bei den übrigen Tugenden dagegen ist der Wille durch sich selbst tätig. Er verlangt vom Verstand bloß dies, dass er ihm das Licht vortrage und ihm vorstelle, was zu tun ist. Der Wille ist derart frei, Herr und Meister, dass er sich vom Verstand nicht befehlen und überhaupt von niemand Zwang antun lässt. So hat es der allerhöchste Herr angeordnet, damit, wie der Apostel sagt (2 Kor 9, 7), niemand mit Traurigkeit oder aus Zwang, genötigt oder gezwungen ihm diene, sondern dass man ihm diene in ungezwungener Freiheit und mit freudigem Herzen.
818. Nachdem die heiligste Jungfrau Maria auf eine so göttliche Weise über die Wahrheiten und Artikel des katholischen Glaubens erleuchtet war, sollte sie auch in der Erkenntnis der zehn Gebote des Dekalogs vervollkommnet werden. Zu diesem Zweck erhielt sie wieder eine Vision der Gottheit und zwar in derselben Weise, wie es im vorigen Hauptstück (Nr. 808) beschrieben worden ist. In dieser Vision wurden ihr mit größter Fülle und Klarheit alle Geheimnisse der göttlichen Gebote geoffenbart, wie diese im Geist Gottes beschlossen waren, um die Sterblichen zum ewigen Leben zu führen und wie sie dem Moses auf zwei Tafeln gegeben worden waren: auf der ersten Tafel die drei Gebote, welche die Verehrung Gottes betreffen, auf der zweiten jene, welche sich auf das Verhalten gegen den Neben menschen beziehen. Sie sah, wie der Erlöser der Welt, ihr allerheiligster Sohn, diese Gebote in den Herzen der Menschen erneuern werde und wie die deren Beobachtung nach ihrem ganzen Umfang in ihr, der Königin und Herrin der Menschen, den Anfang nehmen müsse. Maria erkannte auch, in welchem Zusammenhang diese Gebote miteinander stehen und wie notwendig sie seien, damit die Menschen zur Teilnahme an der Gottheit gelangen. Sie erhielt eine klare Erkenntnis von der Güte, Weisheit und Gerechtigkeit, womit diese Gebote durch den göttlichen Willen vorgeschrieben waren. Sie sah, wie sie ein «heiliges, unbeflecktes, mildes, leichtes, reines, wahres» und für die Menschen passendes Gesetz bilden (1), ein Gesetz, so gerecht und der vernünftigen Natur so angepasst, dass die Menschen es mit Hochschätzung und Freude umfangen müssten. Sie sah auch, wie der Urheber dieses Gesetztes die Gnade bereit halte, um die deren Beobachtung zu erleichtern. Diese und viele andere hocherhabene, den Zustand der heiligen Kirche betreffende Geheimnisse schaute unsere große Königin. Sie schaute zum voraus diejenigen Kinder der Kirche, welche die göttlichen Gebote beobachten würden, aber auch jene, welche sie nicht annehmen, nicht beobachten und nicht anerkennen und eben damit verachten und mit Füßen treten würden.
819. Als die reinste Jungfrau aus dieser Vision heraustrat, war sie ganz Feuer, ganz Licht, ganz Eifer für das göttliche Gesetz. Sie begab sich alsbald zu ihrem heiligsten Sohn und schaute nun in seinem Innern das Gesetz nochmals, so, wie er es in den Ratschlüssen seiner Weisheit und seines Willens entworfen hatte, um es im Gesetz der Gnade zu erneuern. Sie sah in überströmendem Licht, wie Seine Majestät wolle und wünsche, dass sie das lebendige Vorbild in Bezug auf alle Gebote des neuen Gesetzes sei. Freilich besaß die große Königin, wie bereits öfters gesagt wurde, eine bleibende und ununterbrochene Erkenntnis aller dieser Geheimnisse, um allezeit davon Gebrauch machen zu können. Allein diese bleibenden Gaben (habitus) wurden in ihr täglich erneuert und nahmen mit jedem Tag an innerer Stärke zu. Und da, was den Umfang und die Tiefe betrifft, die Gegenstände gleichsam unermesslich waren, so bildeten sie sozusagen ein unendlich weites Feld, auf welchem sich der Blick ihres Geistes immer weiter ausdehnen und immer neue Geheimnisse entdecken konnte. Bei dieser Gelegenheit teilte ihr der göttliche Meister viele neue Geheimnisse mit. Er zeigte ihr sein heiliges Gesetz und seine Gebote in der Ordnung und Weise, in welcher sie der streitenden Kirche des Neuen Bundes gegeben werden sollten. Er verlieh ihr reichliche Erkenntnis über jedes einzelne dieser Gebote mit neuen Umständen. Unserer beschränkten Fassungskraft sind freilich so hocherhabene Geheimnisse unerreichbar, der Himmelskönigin aber blieb keines verborgen. Ihre tiefe Erkenntnis darf eben nicht mit dem Maßstab unseres kurzen Verstandes bemessen werden.
820. Voll Demut und Bereitwilligkeit bot sich Maria ihrem allerheiligsten Sohn an, ihm in der Beobachtung seiner Gebote Gehorsam zu leisten. Sie bat, er möge sie belehren und mit seiner göttlichen Gnade stärken, damit sie alles, was er in denselben befehle, ins Werk setze. Ihr göttlicher Sohn antwortete hierauf und sprach: «Meine Mutter, die du durch meinen Willen und meine Weisheit von Ewigkeit her auserwählt und vorherbestimmt bist, in den Augen meines Vaters, der in der Gottheit eins mit mir ist, der Gegenstand der größten Freude und des höchsten Wohlgefallens zu sein: Unsere ewige Liebe, die uns bewogen hat, den Menschen unsere Gottheit mitzuteilen und sie zur Teilnahme an unserer Herrlichkeit und Seligkeit zu erheben, unsere Liebe hat dieses heilige und reine Gesetz angeordnet, damit die Sterblichen dadurch das Ziel erreichen, für das sie von unserer Güte geschaffen sind. Dieses unser Verlangen wird in dir, meine Taube, meine Freundin, seine Ruhe finden. Wir wollen unser göttliches Gesetz mit solcher Stärke und Klarheit in dein Herz einschreiben, dass es von nun an in alle Ewigkeit nie mehr verdunkelt oder ausgelöscht werden kann. In dir soll seine Wirksamkeit kein Hemmnis finden, kein Pünktchen davon soll in dir unerfüllt bleiben wie bei den übrigen Adamskindern. Siehe, Sulamitis, Freundin, dieses Gesetz ist ganz unbefleckt und rein. Wir wollen es darum aufbewahren in einem unbefleckten, höchst reinen Geschöpf, in welchem unsere Gedanken und unsere Werke verherrlicht werden sollen.»
821. Diese Worte, welche in der göttlichen Mutter bewirkten, was sie besagten, hatten zur Folge, dass Maria sowohl in der Erkenntnis, als in der Beobachtung der zehn Gebote Gottes und aller einzelnen darin enthaltenen Geheimnisse erneuert und vergöttlicht wurde. Den Geist auf das himmlische Licht, das Herz auf den Gehorsam gegen ihren göttlichen Meister gerichtet, erfasste Maria das erste und größte Gebot: «Du sollst Gott lieben über alles, aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus allen deinen Kräften», wie die Evangelisten es später aufzeichneten und Moses schon vorher im Deuteronomium niedergeschrieben hatte neben den näheren Bestimmungen, welche Gott beifügte: dass man dieses Gebot im Herzen bewahren. dass die Eltern es ihre Kinder lehren, dass alle es beachten sollten zu Hause und außerhalb des Hauses, mögen sie sitzen oder gehen, sich niederlegen oder aufstehen und dass es ihnen beständig vor den Augen des Geistes stehen solle. Wie aber unsere Königin dieses Gebot der Liebe Gottes vollkommen erfasste, so erfüllte sie es auch mit aller Vollkommenheit und Kraft, die der Herr von ihr verlangte. Und wenn kein Menschenkind in diesem Erdenleben es vermocht hat, dieses Gebot mit aller Vollkommenheit zu erfüllen, so hat doch Maria dies getan. indem sie schon im sterblichen Leben Gott mehr liebte als die höchsten, von Liebe glühenden Seraphim, mehr als die Heiligen und Seligen des Paradieses es tun. Ich will mich jedoch an dieser Stelle nicht weiter hierüber beschäftigen, weil ich schon im ersten Teil von der Liebe dieser großen Königin gesprochen habe, da von ihren Tugenden die Rede war. Ich bemerke hier nur, dass Maria bei der Gelegenheit, von der wir hier reden, mit bitterem Schmerz die Sünden beweinte, welche gegen dieses große Gebot auf der Welt begangen werden. Sie nahm es auf sich, durch ihre Liebe die Mängel und Fehler zu ersetzen, deren sich die Sterblichen in dieser Hinsicht schuldig machen würden.
822. Auf das erste Gebot, das die Liebe betrifft, folgen die beiden andern: das zweite, welches verbietet, den Namen Gottes durch eitles Schwören zu entheiligen und sodann das dritte, welches befiehlt, durch Beobachtung und Heilighalten der Festtage Gott zu ehren. Diese Gebote erfasste die Mutter der Weisheit in ihrer ganzen Tiefe. Sie legte die Gebote in ihr demütiges und frommes Herz und erfüllte sie durch die vollkommenste Anbetung und Verehrung der Gottheit. Sie wusste auch nach Gebühr zu beurteilen, welche Beleidigung ein Mensch der unwandelbaren Wesenheit und unendlichen Güte Gottes zufügte, wenn er eitel oder falsch bei Gott schwört oder durch Lästerung gegen die Verehrung sündigt, die wir Gott in seiner Person und in seinen Heiligen schuldig sind. Voll Schmerz über die Sünden, welche die Menschen aller Zeiten gegen dieses Gebot zu begehen sich erfrechen, bat sie ihre heiligen Engel, alle einzelnen Schutzengel der katholischen Christen in ihrem Namen. d. h. im Namen der großen Königin, zu beauftragen, dass sie ihre betreffenden Schützlinge von derartigen Beleidigungen Gottes abhalten. Zu diesem Zweck sollten sie die Schützlinge teils durch Einsprechungen und Erleuchtungen, teils auf andere Weise mit der Furcht Gottes durchbohren und einschüchtern, damit sie doch nicht durch eitles Schwören oder Lästern den heiligen Namen Gottes entehren. Überdies sollten sie den Allerhöchsten bitten, er möge die Segnungen der Süßigkeit reichlich über jene ausgießen, welche sich des eitlen Schwörens enthalten und die unwandelbare Wesenheit Gottes gebührend verehren. Diese Bitte stellte auch Maria selbst mit großer Andacht und Inbrunst an den Herrn.
823. Was das Heilighalten der Festtage betrifft, welche den Gegenstand des dritten Gebotes bildet, so erhielt die Königin der Engel in diesen Visionen Kenntnis nicht nur von allen Festtagen, welche in der heiligen Kirche geboten würden, sondern auch von der Art und Weise, wie sie zu halten und zu feiern sein würden. Maria hatte, wie ich an seiner Stelle sagte (oben Nr. 687), schon in Ägypten angefangen, die Feste, welche sich auf bereits erfüllte Geheimnisse bezogen, zu feiern. Allein von nun an feierte sie auch andere Feste. wie z. B. das Fest der heiligsten Dreifaltigkeit, die Feste ihres heiligsten Sohnes und die Feste der Engel. Zur Feier dieser und aller anderen Feste, welche die heilige Kirche in der Folge anordnete, lud Maria die Engel ein und brachte an jedem der Feste dem Herrn Lob- und Danklieder dar. Diese dem Dienst Gottes in besonderer Weise geweihten Tage brachte sie ausschließlich mit Werken der Gottesverehrung zu, nicht als hätten die körperlichen Arbeiten ihre wunderbare innere Sammlung gestört oder ihren Geist niedergedrückt, sondern sie wollte eben alles das wirklich tun, wovon sie wusste, dass es zur Feier der Festtage des Herrn vorgeschrieben sein würde. Sie blickte in die Zukunft, auf das Gesetz der Gnade und wollte als erste Schülerin des Welterlösers in heiligem Wetteifer und freiwilligem Gehorsam alles das schon im voraus erfüllen, was im Gesetz der Gnade geboten sein würde.
824. Die gleiche Erkenntnis und Wissenschaft erhielt die heiligste Jungfrau in entsprechendem Maß auch von den übrigen sieben Geboten, welche den Nebenmenschen betreffen und unser Verhalten gegen ihn regeln. In Bezug auf das vierte Gebot, welches befiehlt, die Eltern zu ehren, wusste sie genau, wer unter dem Ausdruck «Eltern» begriffen ist. Sie sah, wie die Ehre, welche die Kinder ihren Eltern schulden, den ersten Rang nach der Ehre einnimmt, die man Gott schuldig ist. Sie erkannte, auf welche Weise die Kinder ihre Eltern ehren und unterstützen müssen. Andererseits erkannte sie aber auch die Pflichten der Eltern gegen ihre Kinder. In Bezug auf das fünfte Gebot: «Du sollst nicht töten» erkannte die mildeste Mutter, wie groß dieses Gebot ist, weil Gott, der Urheber des menschlichen Lebens, das Recht über unser Leben nicht uns abgetreten habe und noch viel weniger das Recht über das Leben des Nächsten, so dass wir ihm dasselbe nehmen oder ihm daran schaden dürften. Und weil das Leben das erste der natürlichen Güter ist und die Grundlage für das Leben der Gnade, so lobpries unsere große Königin den Herrn, dass er dieses Gebot zum Besten der Menschen gegeben hatte. Sie betrachtete die Menschen als Geschöpfe Gottes, welche seiner Gnade und Glorie fähig sind, als den Preis des Blutes, welches ihr göttlicher Sohn für dieselben hinopfern sollte. Darum verrichtete sie viele und feurige Gebete, dass dieses Gebot in der Kirche beobachtet werden möge. Die Bedeutung des sechsten Gebotes schaute unsere reinste Königin nach Art der Seligen welche die Gefahr der menschlichen Schwäche nicht in sich selbst, sondern in den Sterblichen erblicken und dieselbe erkennen, ohne selbst davon bedroht zu sein. Maria schaute aber diese Gefahr von einem noch höheren Stand der Gnade aus als selbst die Seligen. Sie hatte nicht einmal den Zunder der Sünde (fomes peccati) und konnte ihn sich nicht zuziehen, weil sie unbefleckt empfangen war. Die Inbrunst, mit welcher die große Verehrerin der Keuschheit diese Tugend liebte und die Sünden der Menschen gegen sie beweinte, war so groß, dass sie das Herz Gottes aufs neue verwundete und, nach unserer Weise zu sprechen, ihren göttlichen Sohn tröstete für die vielen Sünden, welche die Sterblichen gegen dieses Gebot begehen. Da sie erkannte, dass im Neuen Bund die Beobachtung der Keuschheit sich so weit ausdehne, dass ganze Genossenschaften von gottgeweihten Jungfrauen und Ordensmännern errichtet würden, welche sie zur Bewahrung der Keuschheit durch ein Gelübde verpflichten, so bat sie den Herrn, dass er ihnen seinen Segen zusichern möge. Die göttliche Majestät tat dies auf die flehentlichen Bitten seiner Mutter und sicherte den Ordensleuten die besondere Belohnung jungfräulicher Reinheit zu, (Nach der Lehre der Theologie erhalten diejenigen, welche aus Liebe zu Jesus Christus die jungfräuliche Reinheit bewahren, im Himmel außer der wesentlichen Belohnung noch eine außerordentliche, die aureola virginum, Vgl. S. Thomas von Aquin, Suppl. q. 96. 8. 1. und Hl. Alphons Maria von Liguori, «Abhandlungen über die letzten Dinge», 9. Abh. § 7. Der Herausgeber). weil sie in dieser Tugend derjenigen nachfolgen, welche Jungfrau und zugleich Mutter des Lammes war. Maria aber brachte im Jubel ihres Herzens dem Herrn den innigsten Dank dafür dar, dass nach ihrem Vorbild diese Tugend so weite Verbreitung im Gesetz des Neuen Bundes finden sollte. Ich will indes die Hochschätzung, welche Maria gegen diese Tugend trug, nicht weiter beschreiben, da ich schon im ersten Teil und auch bei anderen Gelegenheiten (Teil 1. Nr. 433 und oben Nr. 133 und 347) hiervon gesprochen habe.
825. Was die übrigen Gebote betrifft, so lautet das siebente: «Du sollst nicht stehlen», das achte: «Du sollst kein falsches Zeugnis geben», das neunte: «Du sollst nicht begehren eines anderen Frau», das zehnte: «Du sollst nicht begehren eines andern Gut». Über jedes einzelne dieser Gebote wurde Maria ebenso unterrichtet wie über die vorausgehenden. Bei jedem einzelnen Gebot erweckte sie heldenmütige Akte der Unterwerfung und des Lobpreises des Herrn. Im Namen des ganzen Menschengeschlechtes sagte sie dem Herrn Dank, dass er die Menschen so weise und mächtig ihrer ewigen Seligkeit entgegenführe durch ein Gesetz, welches zum Heil der Menschen so gut angeordnet ist. Denn wenn die Menschen es beobachteten, so würden sie sich nicht bloß die verheißene ewige Seligkeit sicherstellen, sondern sie könnten schon im gegenwärtigen Leben einen Frieden und eine Ruhe genießen, welche sie in gewisser Weise selig machen würde. Würden alle vernünftigen Geschöpfe dem milden göttlichen Gesetz sich fügen, würden sie sich entschließen, es zu beobachten und seine Vorschriften zu halten, sie würden eine Seligkeit genießen, so süß und so lieblich, wie es das Zeugnis eines guten Gewissens ist. Alle Freuden der Welt können nicht in Vergleich kommen mit dem Trost, den man erhält, wenn man dem Gesetz treu ist im Kleinen wie im Großen. Es ist dies eine Gnade, die wir in ganz besonderer Weise unserem Erlöser Jesus Christus verdanken, denn er hat an das tugendhafte Leben schon auf Erden Zufriedenheit, Ruhe, Trost und eine Menge Freuden geknüpft. Wenn wir nicht aller dieser Freuden teilhaftig werden, so kommt dies daher, weil wir seine Gebote nicht beobachten. Und was die öffentlichen Drangsale, Geißeln und Unglücksfälle betrifft, so sind dieselben sozusagen die unzertrennlichen Folgen der Unordnungen, welche unter den Sterblichen herrschen. Jeder von uns trägt seinen Teil dazu bei, und dennoch sind wir so unverständig, dass wir, wenn wir in eine Not geraten, sofort die Schuld auf einen anderen zu schieben suchen, während doch jeder die Ursache in sich selbst finden könnte.
826. Wer vermöchte die unseligen Folgen zu schildern, welche schon in diesem Leben das ungerechte Aneignen fremden Gutes und überhaupt die Übertretung des siebenten Gebotes nach sich zieht ! Jeder sollte mit seinem Los zufrieden sein und dabei auf den Beistand des Herrn vertrauen, der die Vögel des Himmels nicht verachtet und das geringste Würmchen nicht vergisst. Wie viel Elend und Trübsal hat das christliche Volk nicht zu leiden, weil die Fürsten sich nicht begnügen mit den Ländern, welche der höchste König ihnen angewiesen hat ! Sie wollen ihre Macht vergrößern und ihre Herrschaft ausdehnen, ohne Rücksicht auf Ruhe und Friede, auf Vermögen und Leben, ja auf die unsterblichen Seelen der Menschen. Die Lügen und falschen Zeugnisse, welche die höchste Wahrheit beleidigen und den menschlichen Verkehr beeinträchtigen, richten nicht weniger Schaden und Zwistigkeiten an. Dadurch geht den Sterblichen der Friede und die Ruhe des Herzens verloren. Das eine wie das andere aber macht sie unfähig, Wohnstätten und Tempel ihres Schöpfers zu sein, wie der Herr es von ihnen verlangt. Wie zahlreich sind endlich die Übel, welche das ungerechte Verlangen nach der Frau des Nächsten und der Ehebruch, sowohl öffentlich als im Geheimen, unter den katholischen Christen verursacht hat und noch verursacht. Ist ja diese Sünde eine Verletzung des heiligen Gesetzes der Ehe, welches unser Herr Jesus Christus durch ein Sakrament bekräftigt und geheiligt hat. Viele dieser Übel sind zwar vor den Augen der Welt verborgen - gebe Gott, sie wären es noch weit mehr ! Den Augen Gottes können sie nicht verborgen sein. Und er ist ein höchst gerechter und strenger Richter, der sie schon in diesem Leben nicht ungeahndet lässt. Im anderen Leben aber wird die Strafe um so strenger sein, je nachsichtiger Seine Majestät hier gewesen ist. Denn der Herr straft diese Sünde jetzt deshalb nicht nach Gebühr, weil er die christlichen Staaten nicht vernichten will.
827. Von allen diesen Wahrheiten war unsere große Königin Zeuge, denn sie schaute sie im Herrn. Wohl sah sie das schmähliche Benehmen der Menschen, welche so leichtsinnig und um nichtswürdiger Dinge willen allen Anstand und selbst die Ehrfurcht gegen Gott preisgeben, wiewohl der Herr durch so viele Gesetze und Gebote ihrer Not zum voraus gütigst abgeholfen hatte. Allein trotzdem ärgerte sich die weiseste Herrin keineswegs über die menschliche Gebrechlichkeit, noch wunderte sie sich über unsere Undankbarkeit. Vielmehr trug sie als zärtliche Mutter Mitleid mit allen Sterblichen und wünschte mit feurigster Liebe ihr Bestes. Sie dankte an ihrer Statt dem Allerhöchsten für seine Werke, ersetzte ihre Übertretungen des evangelischen Gesetzes und bat flehentlich für alle um die Gnade, dasselbe vollkommen zu beobachten.
Die seligste Jungfrau erkannte ferner aufs deutlichste, wie sämtliche zehn Gebote in den beiden Geboten der Liebe begriffen sind, nämlich in den zwei Geboten, Gott über alles, den Nächsten aber wie sich selbst zu lieben. Sie sah, wie in dem rechten Verständnis und der wirklichen Beobachtung dieser beiden Gebote die Summe der wahren Weisheit besteht. Denn der Herr selbst hat im Evangelium gesagt, wer sie hält, sei nicht fern vom Reiche Gottes (Mk 12, 30 ff). Ihre Beobachtung ist kostbarer und vorzüglicher als Schlachtopfer und Brandopfer. Die Lehre dieses heiligen Gesetzes führte unsere große Lehrmeisterin nach dem Grad der Erkenntnis, die sie davon hatte, in der Praxis aus, gerade so, wie es in den Evangelien enthalten ist. Sie beobachtete alle Gebote und Räte des Evangeliums, ohne auch nur das Geringste davon zu unterlassen. Diese himmlische Königin allein führte die Lehre des Welterlösers, ihres heiligsten Sohnes, vollkommener aus als alle heiligen und gläubigen Kinder der heiligen Kirche zusammen.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
828. Meine Tochter, der Sohn Gottes ist aus dem Schoß des ewigen Vaters niedergestiegen, um in meinem Schoß Mensch zu werden und in seiner Menschheit das Menschengeschlecht zu erlösen. Er ist gekommen, um diejenigen, welche in Finsternis und Todesschatten saßen (Lk 1, 79), zu erleuchten und zur Seligkeit zu führen die sie verloren hatten. Darum war es notwendig, dass er ihr Licht, ihr Weg, ihre Wahrheit und ihr Leben wurde. Es war notwendig, dass er ihnen ein Gesetz gebe, so heilig, dass es sie rechtfertigt, so klar, dass es sie erleuchtet; so sicher, dass es ihnen Zuversicht gibt, so mächtig, dass es sie bewegt, so wirksam, dass es ihnen hilft; endlich so wahr, dass es allen, welche es beobachten, Freude und Weisheit verleiht. Nun hat das unbefleckte Gesetz des Evangeliums in seinen Geboten und Räten wirklich die Kraft, alle die genannten und noch andere wunderbare Wirkungen hervorzubringen. Es leitet und ordnet die vernünftigen Geschöpfe in einer Weise, dass in der deren Beobachtung allein ihr ganzes geistiges und leibliches, zeitliches und ewiges Wohl besteht. In Anbetracht dieser Wahrheit magst du auch erkennen, in welcher Verblendung die Sterblichen dahinleben, und wie sehr sie von ihren Todfeinden betrogen und bezaubert sind. Sie alle haben einen mächtigen Drang und ein Verlangen nach der eigenen Glückseligkeit und doch sind es nur wenige, welche dazu gelangen. Der Grund ist der, weil sie die Glückseligkeit nicht da suchen, wo sie allein zu finden ist, im göttlichen Gesetz.
829. Da du nun dieses weißt, so mache dein Herz bereit, damit der Herr sein heiliges Gesetz in dasselbe schreibe, wie er es in das meinige geschrieben hat. Reiß dich los von allem Sichtbaren und Irdischen und schlage es dir so sehr aus dem Sinne, dass alle deine Seelenkräfte von irdischen Gedanken und Vorstellungen frei und ledig seien und nur diejenigen Gedanken sich darin finden, welche der Finger des Herrn in deine Seele einprägt, die Gedanken an den Willen Gottes und an die Lehre des Herrn, wie sie in den Wahrheiten des Evangeliums enthalten ist. Damit aber dein Verlangen nicht eitel und unfruchtbar bleibe, so flehe unablässig, bei Tag und bei Nacht, zum Herrn, dass er dich dieser Gnade und Verheißung meines allerheiligsten Sohnes würdig mache. Betrachte mit Aufmerksamkeit, dass eine Nachlässigkeit in dieser Hinsicht an dir weit verwerflicher wäre als bei anderen Menschen; denn keinen von ihnen hat der Herr mit solcher Macht und durch solche Wohltaten zu seiner göttlichen Liebe gerufen und angetrieben wie dich. Diese deine Verpflichtung und die Eifersucht des Herrn musst du dir von Augen halten sowohl am Tag des Überflusses, als in der Nacht der Versuchung und Trübsal, damit weder die Gnaden dich erheben, noch die Leiden und Trübsale dich niederdrücken. Dies wirst du erreichen, wenn du dich im einen wie im anderen Zustand an das deinem Herzen eingeschriebene Gesetz Gottes hältst, um es unverletzlich, ohne Lauheit und Sorglosigkeit, mit aller Vollkommenheit und Aufmerksamkeit zu beobachten.
Was die Nächstenliebe betrifft, so musst du immer jene oberste Regel, welche den Maßstab der Nächstenliebe bildet, in Anwendung bringen und befolgen, nämlich dem Nächsten zu wünschen, was du dir selber wünschst. Willst und verlangst du, dass die Nebenmenschen Gutes von dir denken und reden und Gutes dir tun, so tue ein Gleiches deinen Brüdern. Fühlst du es schmerzlich, wenn andere in einer auch noch so unbedeutenden Sache dich beleidigen, so hüte dich, anderen auf solche Weise lästig zu fallen. Und missfällt es dir an anderen, wenn sie ihre Nebenmenschen betrüben, so tue du dies nicht auch selbst, denn du weißt ja, dass dieses der oben erwähnten Regel sowie dem Gebot des Herrn widerstreitet. Beweine auch deine und deiner Mitmenschen Sünden, weil sie eine Beleidigung Gottes und eine Verletzung seines heiligen Gesetzes sind. Es ist dies eine sehr gute Übung der Liebe sowohl gegen den Herrn als gegen die Mitmenschen. Trauere über fremde Leiden, wie über die deinen, und folge auch in dieser Art der Liebe meinem Beispiel.
ELFTES HAUPTSTÜCK: Kenntnis der seligsten Jungfrau von den sieben heiligen Sakramenten, sowie von den fünf Geboten der Kirche
830. Um die Schönheit und die Reichtümer der heiligen Kirche voll zu machen, war es angemessen, dass ihr Stifter, unser Erlöser Jesus Christus, in ihr die sieben Sakramente einsetzte, welche sie besitzt. In ihnen sollten wie in einer gemeinsamen Vorratskammer die unendlichen Schätze seiner Verdienste niedergelegt werden. Ja er selbst, der Urheber dieser Gnaden, wollte auf unaussprechliche, aber wahre und wirkliche Weise darin gegenwärtig bleiben, damit seine gläubigen Kinder nicht nur von seinen Gütern zehren, sondern auch seiner Gegenwart sich erfreuen, als eines Unterpfandes jener Gegenwart, welche sie in seiner ewigen, unverhüllten Anschauung zu genießen hoffen. In gleicher Weise war es, um die Wissenschaft und Gnade Mariä voll zu machen, notwendig, dass alle jene Geheimnisse und Gnadenschätze in ihr weites und liebeglühendes Herz niedergelegt werden, damit so das ganze Gesetz der Gnade, soweit möglich, in diesem Herzen verwahrt und ausgeprägt sei, wie in dem ihres heiligsten Sohnes. Denn nach dem Hingang Jesu Christi sollte sie die Lehrmeisterin der Kirche sein, um deren erstgeborene Kinder zu unterweisen, mit welchem Ernst und mit welcher Gewissenhaftigkeit man alle diese Sakramente ehren und empfangen müsse.
831. Alles dieses wurde der großen Königin in der Seele ihres heiligsten Sohnes gezeigt und zwar so, dass sie jedes einzelne dieser Geheimnisse im besonderen deutlich erkannte. Fürs erste ward sie inne, dass das alte Gesetz der Beschneidung gleichsam mit Ehren begraben werden sollte, und dass an seine Stelle das liebliche, wunderbare Sakrament der Taufe trete. Sie erfuhr, welches die Materie dieses Sakramentes sein werde, nämlich reines, natürliches Wasser. Ebenso, welches die Form sein werde, nämlich die Worte der Einsetzung, in denen die Namen der drei göttlichen Personen, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ausgedrückt werden, damit die Gläubigen dadurch den Glauben an die allerheiligste Dreifaltigkeit ausdrücklich bekennen. Maria erkannte auch, welche Kraft unser Herr Jesus Christus der Taufe als ihr Urheber mitteilen werde, die Kraft, von allen Sünden aufs vollkommenste zu reinigen und von deren Strafen zu befreien. Sie sah, welch wunderbare Wirkungen dieses Sakrament in den Empfängern hervorbringen werde. Sie sah, wie es sie zu Adoptivkindern Gottes erzeuge und wiedergebäre, wie es sie zu Erben des Reiches ihres Vaters mache und ihnen die Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe nebst vielen anderen Tugenden eingieße. Sie sah, wie durch die Kraft der Taufe den Seelen der übernatürliche, geistliche Charakter gleichsam wie ein königliches Siegel eingeprägt werde, um sie als Kinder der heiligen Kirche zu bezeichnen. Dieses und überhaupt alles, was dieses hochheilige Sakrament und seine Wirkungen betrifft, wurde der heiligen Jungfrau Maria geoffenbart. Sie aber stellte alsbald an ihren heiligsten Sohn mit feurigster Inbrunst die Bitte, dieses Sakrament seinerzeit empfangen zu dürfen. Der Herr sagte ihr dies zu und erteilte ihr, wie am betreffenden Ort gesagt werden wird (unten Nr. 1030), später wirklich die Taufe.
832. Die gleiche Erkenntnis erhielt die große Königin von dem zweiten Sakrament, nämlich von der Firmung. Sie ward inne, wie in der heiligen Kirche die Firmung nach der Taufe gespendet werde, denn durch die Taufe als das erste Sakrament werden die Kinder der Gnade geboren, durch das Sakrament der Firmung aber werden sie gestärkt und gekräftigt, um den in der Taufe empfangenen Glauben zu bekennen. Überdies wird durch die Firmung die erste Gnade vermehrt und eine besondere, dem eigentümlichen Zweck dieses Sakramentes entsprechende Gnade hinzugefügt. Unsere Liebe Frau erkannte die Materie, die Form, die Spender dieses Sakramentes, seine Gnadenwirkungen und den Charakter, welchen es der Seele eindrückt. Sie wusste, dass durch die Materie, d. h. durch den Chrisam, der aus Balsam und Öl besteht, das Licht der guten Werke und der Wohlgeruch Christi (2 Kor 2,15) vorgestellt werde, welchen die Gläubigen durch solche Werke und durch das Bekenntnis Christi verbreiten. Sie wusste, dass die Worte der Form das nämliche in ihrer Art besagen. Bei allen diesen Erleuchtungen erweckte unsere große Königin aus dem Grunde ihres Herzens heroische Akte des Lobes und Dankes neben feurigen Bitten, dass doch alle Menschen kommen möchten, um aus diesen Quellen des Heilandes Wasser zu schöpfen (Jes12, 3) und so unaussprechlicher Gnadenschätze sich teilhaftig zu machen, indem sie Jesus als ihren wahren Gott und Erlöser erkennen und bekennen. Sie weinte bitterlich über den bejammernswerten Untergang so vieler, welche trotz des Lichtes des Evangeliums so kräftiger Heilmittel wegen ihrer Sünden entbehren sollten.
833. Bei dem dritten Sakramente, nämlich der Buße, erkannte die Himmelskönigin, wie angemessen und notwendig dieses Mittel sei, um die Seelen wieder in den Stand der Gnade und Freundschaft Gottes zu versetzen, welcher bei der menschlichen Gebrechlichkeit so oft verloren wird. Sie erkannte die Teile und die Ausspender dieses Sakramentes sowie die Leichtigkeit, mit welcher die Kinder der heiligen Kirche es empfangen und seiner wunderbaren Wirkungen sich teilhaftig machen können. Als wahre Mutter der Barmherzigkeit und als Mutter der Gläubigen brachte sie dem Herrn für diese Wohltat ganz besondere Danksagungen dar, unter unaussprechlichem Jubel ihres Herzens darüber, dass wir gegen die so oft wiederkehrenden Krankheiten, wie die täglichen Sünden es sind, ein so leicht zugängliches Heilmittel erhalten sollten. Sie warf sich zur Erde nieder, um im Namen der Kirche den heiligen Richterstuhl der Beichte anzunehmen und zu verehren, in welchem durch die unaussprechlich liebevolle Anordnung des Herrn die für die Seelen so hochwichtige Angelegenheit entschieden werden sollte, nämlich die Rechtfertigung und das ewige Leben, oder aber der Tod und die Verdammnis. Denn der Herr stellte es dem Urteil der Priester anheim, die Lossprechung von Sünden zu erteilen oder zu verweigern.
834. Eine ganz besondere Erkenntnis erhielt die weiseste Herrin über das höchst erhabene Geheimnis und Sakrament der Eucharistie, Sie durchschaute in diesem Wunderwerke mehr Geheimnisse als die höchsten Seraphim; denn es wurde ihr geoffenbart, auf welch übernatürliche Weise die Menschheit und die Gottheit ihres heiligsten Sohnes unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig sein würden. Sie erkannte die Kraft der Worte, um den Leib und das Blut unseres Herrn zu konsekrieren, wobei eine Substanz in die andere übergeht und verwandelt wird, während die Akzidentien ohne Träger bleiben. Sie sah, wie ihr göttlicher Sohn zu gleicher Zeit an so vielen verschiedenen Orten zugegen sein werde, und wie das hochheilige Geheimnis der Messe eingesetzt werden solle, um zu konsekrieren und den Sohn Gottes dem ewigen Vater aufzuopfern bis ans Ende der Welt. Sie sah, wie das heiligste Sakrament in der heiligen katholischen Kirche in so vielen Tempeln der ganzen Welt verehrt und angebetet werden sollte. Sie erkannte, welche Wirkungen es in den Empfängern hervorbringe, die mit größerer oder geringerer Vorbereitung es würdig empfangen, welch schreckliche Folgen dagegen dessen unwürdiger Empfang nach sich ziehe. U. L. Frau schaute den Glauben der Katholiken sowie die Irrtümer der Häretiker bezüglich dieses unvergleichlichen Gnadengeschenkes, vor allem aber die unermessliche Liebe, mit welcher ihr göttlicher Sohn beschlossen hatte, sich einem jeden Menschen als Speise für das ewige Leben zu geben.
835. Während die heiligste Jungfrau solche erhabene Erleuchtungen über das hochwürdigste Sakrament empfing, wurde ihr keuschestes Herz mehr, als irgendein Mensch sich vorstellen kann, von neuer Liebesglut entzündet. Sie hatte zwar jedes Mal, sooft sie über einen Glaubensartikel oder über ein Sakrament erleuchtet wurde, dem Herrn eigene Lobgesänge dargebracht. Allein bei diesem großen Geheimnis erweiterte sie ihr Herz noch viel mehr. Zur Erde niedergeworfen, bezeigte sie dem Herrn auf außergewöhnliche Weise ihre Liebe, Verehrung, Lobpreis und die demütigste Danksagung für ein so großes Geschenk. Sie erweckte aber auch die Gefühle tiefsten Schmerzes über jene, welche diese Gabe zu ihrer eigenen Verdammnis missbrauchen würden. Ihr Herz entbrannte in glühender Begierde, dieses Sakrament eingesetzt zu sehen und wenn die Kraft des Allerhöchsten sie nicht gestärkt hätte, so würde die Macht ihrer Gefühle ihr leibliches Leben verzehrt haben. Der Anblick ihres allerheiligsten Sohnes stillte indes den Durst ihrer Sehnsucht und war ihr gleichsam Ersatz während der Zeit die bis zur Einsetzung noch verstreichen sollte. Schon jetzt aber bat sie ihren göttlichen Sohn zum voraus, er möge ihr das Sakrament seines heiligsten Leibes reichen, wenn die Stunde seiner Konsekration gekommen sein würde. Sie sprach: «Mein allerhöchster Herr, wahres Leben meiner Seele, wird wohl dieser elende Erdenwurm, dieser Auswurf der Menschen gewürdigt werden, dich in seinem Herzen zu empfangen? Werde ich so glücklich sein, dich aufs neue in meinen Leib und meine Seele aufzunehmen? Soll mein Herz deine Wohnung, dein Tabernakel sein, in welchem du ruhst und ich dich festhalte, um mich der innigsten Vereinigung mit dir zu erfreuen, gleichwie auch du, mein Geliebter, an der Liebe deiner Dienerin dein Gefallen findest !»
836. Der göttliche Lehrmeister antwortete ihr: «Meine Mutter, meine Taube, sehr oft wirst du mich im Sakrament empfangen und wenn ich einmal gestorben und in den Himmel aufgefahren sein werden, wird dies dein Trost sein. In der Ruhe deines lautersten und liebevollen Herzens wird mein beständiger Aufenthalt sein, denn ich habe dein Herz zur Wohnung erkoren, an der ich meine Freude und mein Wohlgefallen finde.» Auf diese Verheißung des Herrn demütigte sich die große Königin aufs neue, und in den Staub erniedrigt, dankte sie dafür unter dem Staunen des Himmels. Von dieser Stunde an zielte sie in all ihren Anmutungen und Werken darauf hin, sich auf den einstigen Empfang der heiligen Kommunion vorzubereiten, und nie vergaß oder unterbrach sie diese Akte des Willens während der vielen Jahre, die bis dahin noch verstrichen. Denn ihr Gedächtnis war, wie ich früher schon gesagt habe, treu wie das eines Engels. Ihre Erkenntnis aber war erhabener als die aller Engel und wie sie immer an dieses und die übrigen Geheimnisse dachte, so handelte sie auch beständig gemäß dieser ihrer Erkenntnis und Erinnerung. Auch richtete sie von dieser Zeit an die inbrünstigsten Bitten an den Herrn, er möge die Sterblichen erleuchten, damit sie dieses erhabenste Sakrament erkennen, verehren und würdig empfangen. Sind wir manchmal so glücklich, dasselbe mit dieser Disposition zu empfangen, wollte Gott, dass es immer so geschehe! - so verdanken wir dies nächst den Verdiensten unseres Herrn den Tränen und flehentlichen Bitten dieser himmlischen Mutter, welche diese Gnade uns erworben und verdient hat. Wenn aber jemand die furchtbare Verwegenheit hat, dieses Sakrament im Stand der Todsünde zu empfangen, so möge er wissen, dass er, abgesehen von dem sakrilegischen Unrecht, das er seinem Gott und Erlöser zufügt, auch dessen heiligste Mutter beleidigt, indem er ihre Liebe, ihr zärtliches Verlangen, ihre Gebete, ihre Tränen und Seufzer verachtet und vereitelt. Tragen wir darum Sorge, ein so schreckliches Verbrechen von uns fernzuhalten !
837. Beim fünften Sakramente, nämlich der letzten Ölung, erhielt Maria Erleuchtung über den wunderbaren Zweck dieses Sakramentes, sowie über die Materie, die Form und den Ausspender des Sakramentes. Sie ward inne, dass die Materie geweihtes Olivenöl sein werde, als das Sinnbild der Barmherzigkeit, die Form aber werde aus den Bittgebeten bestehen, welche während der Salbung der Sinne, mit denen wir sündigen, gesprochen werden, der Ausspender endlich werde ausschließlich ein Priester sein. Ferner erkannte sie auch die Zwecke und Wirkungen dieses Sakramentes. Diese bestehen nämlich darin, dass die Gläubigen, wenn sie krank sind und in nahe Todesgefahr kommen, gegen die Fallstricke und Versuchungen des bösen Feindes, die in jener letzten Stunde zahlreich und schrecklich sind, Hilfe und Beistand erhalten.
Durch dieses Sakrament wird nämlich dem Kranken, der es würdig empfängt, Gnade verliehen, die durch die Sünden geschwächten geistigen Kräfte wieder zu erlangen. Zuweilen, wenn es seinem Heil zuträglich ist, wird ihm zu diesem Zweck auch in seinem körperlichen Befinden Erleichterung zuteil. Ferner wird das Herz zu neuer Andacht und zum Verlangen nach der Anschauung Gottes angeregt. Die lässlichen Sünden werden nachgelassen und einzelne Überbleibsel und Wirkungen der Todsünden werden getilgt. Der Leib des Kranken wird, wenn auch nicht mit einem eigentlichen Charakter, so doch mit einer Art Siegel bezeichnet, damit der Satan sich fürchte, dem Leibe zu nahen, in welchem der Herr durch die Gnade und durch das Sakrament wie in seinem Tabernakel gewohnt hat. Durch letzeres, dem Sakrament der letzten Ölung eigene Vorrecht wird dem Luzifer die Gewalt und das Recht, die er infolge der Erbsünde und der aktuellen Sünden über uns erlangt hat, genommen. Der Leib des Gerechten wird besiegelt und geschützt, um bei der Auferstehung sich mit seiner Seele wieder zu vereinigen und mit ihr an dem seligen Genuss Gottes teilzunehmen. Alles dieses schaute unsere treueste Mutter und Herrin, und für alles dankte sie im Namen der Gläubigen.
838. Was das sechste Sakrament, die Priesterweihe, betrifft, so erkannte die allerseligste Jungfrau, wie ihr heiligster Sohn, der Urheber der Gnade und Stifter der Kirche, vermöge seiner weisesten Vorsehung in eben dieser Kirche Diener anstellen wollte, welche geeignet wären, die von ihm eingesetzten Sakramente zu spenden. Durch die Sakramente sollten sie den geheimnisvollen Leib Christi, d. h. die Gläubigen heiligen, und überdies den wirklichen Leib Christi und sein Blut konsekrieren. Und um ihnen diese Würde, welche die Würde aller anderen Menschen, ja selbst die der Engel übersteigt, mitteilen zu können, setzte der Herr eben dieses neue Sakrament ein, nämlich die Ordination oder Priesterweihe. Zugleich mit dieser Erkenntnis wurde der heiligsten Jungfrau eine außerordentlich hohe Ehrfurcht gegen die Priester und ihre Würde eingeflößt. Sie schätzte und ehrte sie von Stunde an in tiefster Demut. Auch bat sie den Allerhöchsten, sie zu würdigen Dienern und zu vollkommen tauglichen Verwaltern ihres Amtes zu machen, die übrigen Gläubigen aber zu erleuchten, damit sie die Priester ehren. Sie beweinte die Beleidigungen Gottes, welche sich die einen wie die anderen durch Versäumnis ihrer jeweiligen Pflichten zuschulden kommen lassen. Da ich aber von der großen Ehrfurcht, welche unsere erhabene Königin gegen die Priester trug, an anderen Orten bereits gesprochen habe und noch sprechen werde (Teil 1, Nr. 465. Oben Nr. 532 und 602. Unten Nr. 1455. Teil 3. Nr. 92 und 151 usw.), so will ich mich für jetzt nicht länger hierbei aufhalten. Was endlich die Materie und Form, sowie die Wirkungen und Ausspender dieses Sakramentes betrifft, so wurde Maria hierüber gleichfalls unterrichtet.
839. Was endlich das siebte und letzte Sakrament, die Ehe, betrifft, so wurde die göttliche Mutter vor allem über die hohen Endzwecke unterrichtet, welche der Welterlöser bei Einsetzung dieses Sakramentes im Auge hatte, nämlich die Fortpflanzung der Gläubigen zu segnen und zu heiligen, und überdies das Geheimnis der geistlichen Vermählung Christi mit der heiligen Kirche (Eph 5, 32) ausdrucksvoller, als es bisher geschehen war, darzustellen und zu versinnbilden. Sie erkannte, wie dieses Sakrament forterhalten werden sollte. Sie wusste, welches die Form und Materie desselben sei und welch große Güter dadurch den Kindern der heiligen Kirche zufließen werden, überhaupt alles, was sich auf die Wirkungen, die Notwendigkeit und die Kraft dieses Sakramentes bezieht. Für alles brachte sie dem Herrn im Namen jener Katholiken, welche dieser Güter teilhaftig werden sollten, Lob- und Danklieder dar.
Dann wurden ihr die heiligen Zeremonien und Riten gezeigt, nach welchen sich in zukünftigen Zeiten die heilige Kirche beim Gottesdienste und zur Aufrechterhaltung der guten Sitten richten würde. Ebenso erfuhr sie alle Gesetze, welche die Kirche zu diesem Zweck aufstellen werde, insbesondere die fünf Kirchengebote, nämlich das Gebot, an Sonn- und Feiertagen die Heilige Messe zu hören, zu gehöriger Zeit zu beichten und das allerheiligste Sakrament des Altars zu empfangen, die vorgeschriebenen Fasttage zu halten und endlich von den Feldfrüchten, die der Herr spendet, Zehnten und Erstlinge zu reichen.
840. Bei allen diesen Kirchengeboten erkannte Maria sehr hohe Geheimnisse in Bezug auf deren Gerechtigkeit und Vernünftigkeit. Sie sah, welche Wirkungen sie unter den Gläubigen hervorbringen und wie notwendig sie in der Kirche des Neuen Bundes sein werden. So sollten die Kinder der Kirche durch Beobachtung des ersten dieser Gebote bestimmte Tage haben, an denen sie Gott suchen und dem hochheiligen Geheimnis des Messopfers, das für Lebende und Verstorbene dargebracht wird, anwohnen. Dabei sollen sie das Bekenntnis des Glaubens und das Andenken an das Leiden und Sterben Christi, durch das wir erlöst sind, erneuern; ja soweit es in ihrer Macht steht, sollen sie zur würdigen Feier und zur Darbringung eines so erhabenen Opfers beitragen, um aus ihm jene großen und zahlreichen Früchte und geistlichen Güter zu ziehen, wie sie eben durch das hochheilige Messopfer der Kirche zufließen. Ferner erkannte Maria, wie notwendig es sei, unserer Schwachgläubigkeit und Saumseligkeit eine Verpflichtung aufzuerlegen, dass wir es nicht zu lange verschieben, die Gnade und Freundschaft Gottes durch die sakramentale Beichte wieder zu erwerben und durch die heilige Kommunion zu befestigen. Denn diejenigen, welche im Empfang dieser beiden Sakramente gleichgültig und saumselig sind, setzen sich nicht bloß großer Gefahr aus und schädigen ihre Seele, sondern sie fügen auch dem Urheber dieser Sakramente eine Kränkung zu, indem sie sein sehnliches Verlangen und die Liebe vereiteln, mit welcher er sie zu unserem Heil eingesetzt hat. Da aber so etwas ohne große Verachtung, sei sie nun stillschweigend oder ausdrücklich, nicht geschehen kann, so ist es klar, dass die Übertreter dieses Gebotes eines sehr schweren Unrechtes sich schuldig machen.
841. Ebenso wurde Maria über die zwei letzten Kirchengebote erleuchtet, nämlich über das Gebot zu fasten und den Zehnten zu entrichten. Sie sah, wie überaus notwendig es sei, dass die Kinder der heiligen Kirche sich Mühe geben, die Feinde ihrer Seele zu überwinden. Denn diese hindern sonst die Erlangung der ewigen Seligkeit, wie dies wirklich bei so vielen Unglücklichen und Nachlässigen der Fall ist, weil sie ihre Leidenschaften nicht abtöten und bezähmen. Die Leidenschaften aber werden gewöhnlich genährt durch das Laster des Fleisches, dieses aber wird durch das Fasten abgetötet. Im Fasten hat uns besonders der Lehrmeister des Lebens ein Beispiel gegeben, wiewohl er nicht, wie wir, den Zunder der Sünde zu überwinden hatte.
Was die Entrichtung des Zehnten betrifft, so erkannte die heiligste Jungfrau, wie es ein ausdrückliches Gebot des Herrn ist, dass die Kinder der heiligen Kirche ihm von den Früchten der Erde diesen Tribut darbringen, um ihn als den höchsten Herrn und als Schöpfer aller Dinge anzuerkennen und ihm zu danken für die Früchte, welche seine Vorsehung ihnen zur Erhaltung des Lebens spendet. Diese dem Herrn dargebrachten Zehnten sollen aber zum Unterhalt der Priester und Diener der Kirche verwendet werden, damit diese dem Herrn, von dessen Tische sie so reichlich gespeist werden, um so dankbarer seien und um so besser ihre Pflicht einsehen, allezeit für das geistliche Wohl und die Anliegen der Gläubigen besorgt zu sein. Denn der Schweiß des Volkes wird deshalb zu ihrem Unterhalt geopfert, damit sie ihr ganzes Leben zum Dienst Gottes und zum Wohl der heiligen Kirche verwenden.
842. Bei dieser gedrängten Beschreibung der tiefen und großartigen Geheimnisse, welche in dem liebeglühenden, weiten Herzen unserer himmlischen Königin gewirkt wurden, während der Allerhöchste sie über das Gesetz und die Kirche des Neuen Bundes unterrichtete, habe ich mich ganz kurz gefasst. Es hat mich nämlich die Besorgnis zurückgehalten, ich möchte zu weitläufig werden. Noch mehr aber hemmte mich die Furcht, ich könnte bei Eröffnung meines Innern und bei Darlegung der mir geoffenbarten Geheimnisse irren. Das Licht des heiligen Glaubens, den wir bekennen, wird, wenn es von christlicher Klugheit und Frömmigkeit geleitet ist, der Führer sein für ein jedes katholische Herz, welches sich der Betrachtung und Verehrung so hoher Geheimnisse widmet und mit lebendigem Glauben die wunderbare Harmonie der Gesetze, Sakramente, Lehren und Geheimnisse betrachtet, welche die katholische Kirche in sich schließt und kraft welcher sie seit ihrem Anbeginn wunderbar regiert worden ist und fest und standhaft regiert werden wird bis zum Ende der Welt.
Alles dieses war auf wunderbare Weise in dem Herzen unserer Herrin und Königin eingeschlossen. In diesem Herzen machte Jesus Christus, der Heiland der Welt, menschlich gesprochen, den ersten Versuch, um sich auf die Gründung der heiligen Kirche vorzubereiten. In seiner reinsten Mutter legte er sozusagen die ganze Kirche zum voraus nieder. Maria sollte als die erste seine Gnadenschätze in Überfülle genießen und im Genuss derselben für alle anderen Sterblichen wirken, lieben, glauben, hoffen und danken. Sie sollte die Sünden der Menschen beweinen, damit der Strom der zahllosen Erbarmungen, welche der Herr dem Menschengeschlechte zuwenden wollte, durch diese Sünden nicht aufgehalten werde. Maria sollte gleichsam die Urkunde bilden, in welcher alles geschrieben stünde, was Gott zur Erlösung der Menschen tun wollte, und welche ihn sozusagen verpflichtete es auch auszuführen. Sie sollte hierbei seine Gehilfin sein und in ihrem Herzen das Verzeichnis all der Wunder tragen, die er zu wirken beschlossen hatte.
LEHRE DER HIMMELSKÖNIGIN
843. Meine Tochter, ich habe dir schon oft vorgestellt, wie beleidigend es für den Allerhöchsten und wie gefährlich es für euch Menschen ist, wenn ihr die Wunderwerke vergesst und gering achtet, welche er in unendlicher Güte zu euerem Heil vollbracht hat. Die Mutterliebe treibt mich an, das Andenken daran und den Schmerz über ein so beklagenswertes Verderben aufs neue in dir anzuregen. Wo ist doch Sinn und Verstand der Menschen, dass sie ihr ewiges Heil und die Ehre ihres Schöpfers und Erlösers zu ihrer eigenen größten Gefahr gering schätzen ? Die Pforten der Gnade und Glorie stehen weit offen, sie aber wollen nicht eintreten, ja wenn ihnen von dort Licht und Leben entgegenkommt, so verschließen sie ihre Türen, damit dasselbe nicht eindringe in ihre Herzen, die voll Finsternis und Tod sind. O mehr als unmenschliche Grausamkeit des Sünders ! Deine Krankheit ist tödlich, die gefährlichste unter allen, und du willst das Heilmittel nicht annehmen, das aus reiner Gnade dir angeboten wird ! Welcher Tote würde sich nicht zum Dank verpflichtet glauben, wenn man ihm das Leben wiedergäbe? Welcher Kranke würde nicht dem Arzt danken, der ihn von schmerzlicher Krankheit befreit ? Wenn nun die Menschenkinder dies einsehen und jenen dankbar zu sein wissen, welche ihnen Gesundheit und Leben des Leibes geben, das sie doch bald verlieren müssen und durch welches sie nur neuen Gefahren und Mühen ausgesetzt werden, wie töricht und hartherzig sind sie dann, da sie keine Dankbarkeit und keine Erkenntlichkeit gegen denjenigen tragen, welcher ihnen das Heil der Seele und ein Leben ewiger Ruhe geben und sie erlösen will aus Peinen, welche kein Ende nehmen und an Größe jede Fassungskraft übersteigen !
844. O meine liebste Tochter, wie kann ich diejenigen als meine Kinder anerkennen, die auf solche Weise meinen einzigen und liebevollsten Sohn und Herrn verachten und seine freigebige Güte gering schätzen ? Die Engel und Heiligen des Himmels kennen diese Güte und staunen über den Stumpfsinn und die Undankbarkeit der Erdenpilger und über die gefährliche Lage, in welcher diese sich befinden. Sie sehen es, wie sehr das gerechte Verfahren Gottes begründet ist. Ich habe dir im Verlauf dieser Geschichte schon vieles über diese Geheimnisse mitgeteilt. Jetzt sage ich dir noch mehreres darüber, damit du im Schmerz meine Nachfolgerin und Begleiterin seist. Weine auch du bitterlich über ein so unseliges Elend, dass Gott der Herr so ungemein beleidigt worden ist und noch beleidigt wird. Ich wünsche, dass du keinen Tag vorübergehen lassest, ohne Seiner Majestät demütig dafür zu danken, dass er die heiligen Sakramente eingesetzt hat und den deren Missbrauch von Seiten der schlechten Christen geduldig erträgt. Empfange du sie mit tiefer Ehrfurcht, mit lebendigem Glauben und mit festem Vertrauen. Und da du das heilige Sakrament der Buße sehr liebst, so trachte, ihm mit der Vorbereitung und mit Beobachtung aller der Bedingungen zu nahen, welche die heilige Kirche und ihre Lehrer zum fruchtreichen Empfang desselben verlangen. Empfange es täglich mit reumütigem und dankbarem Herzen und sooft du einen Fehler an dir findest, wende ohne Verzug das Heilmittel dieses Sakramentes an. Wasche und reinige deine Seele, denn es ist eine schreckliche Nachlässigkeit, wenn man sich mit einer Sünde bemakelt sieht und, ich will nicht sagen lange Zeit, auch nur einen Augenblick verstreichen lässt, um sich von dem Schmutz der Seele zu reinigen.
845. Ganz besonders aber wünsche ich, dass du einsiehst, wie groß der Zorn des allmächtigen Gottes gegen diejenigen ist, welche in wahnsinniger Frechheit und Verwegenheit die heiligen Sakramente und insbesondere das allerheiligste Sakrament des Altares unwürdig empfangen. Freilich wird es dir nicht möglich sein, diesen Zorn nach seiner ganzen Größe vollkommen zu fassen. O Seele, wie schwer wiegt diese Verschuldung in den Augen des Herrn und seiner Heiligen ! Allein nicht bloß der unwürdige Empfang der heiligen Kommunion ist so schuldbar, es sind auch die Unehrerbietigkeiten, welche in den Kirchen vor den Augen der göttlichen Majestät begangen werden, sündhaft. Wie können die Kinder der Kirche behaupten, einen lebendigen und ehrfurchtsvollen Glauben an das allerheiligste Sakrament des Altars zu haben, wenn sie, obwohl der Herr an so vielen Orten darin gegenwärtig ist, ihn dennoch nicht nur nicht besuchen und anbeten, sondern in seiner Gegenwart Sakrilegien begehen, wie sie nicht einmal die Heiden bei ihrem Götzendienste sich erlauben ! Das ist eine Sache, über welche gar vieles zu sagen und viele Bücher zu schreiben wären. Ich sage dir aber, meine Tochter, dass die Menschen in der gegenwärtigen Zeit die Gerechtigkeit des Herrn gar sehr erzürnt haben, so dass ich ihnen nicht einmal sagen kann, was ich in meiner Barmherzigkeit ihnen zu ihrem Heil sagen möchte. Was sie aber jetzt wissen müssen, ist dies, dass ihr Gericht furchtbar und ohne Erbarmen sein wird. da sie als böse und untreue Knechte aus ihrem eigenen Mund verurteilt werden ( Lk 19, 22). Du kannst dies allen, welche auf dich hören wollen, mitteilen und allen den Rat geben, womöglich jeden Tag eine Kirche zu besuchen, in welcher das allerheiligste Altarssakrament aufbewahrt wird, um es ehrerbietig anzubeten. Auch mögen sie trachten, die Heilige Messe täglich mit Ehrfurcht anzuhören, denn die Menschen wissen nicht, wie viel sie durch Nachlässigkeit in diesem Punkt verlieren.
ZWÖLFTES HAUPTSTÜCK: Jesus und Maria setzen ihr Bitten und Flehen für uns fort
Der göttliche Heiland setzt sein Bitten und Flehen für uns fort. Seine heiligste Mutter nimmt daran teil und erhält neue Erleuchtungen.'
846. So sehr wir auch unseren beschränkten Verstand anstrengen, um die geheimnisvollen Werke unseres Erlösers Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter zu offenbaren und zu verherrlichen, immer wird derselbe zu schwach sein und weit hinter der Größe dieser Geheimnisse zurückbleiben, denn sie sind, wie Jesus Sirach sagt (Sir 43, 33), größer als all unser Lob. Niemals haben wir sie gesehen, niemals werden wir sie begreifen. Soviel wir auch darüber sagen, immer werden noch andere, größere Dinge verborgen bleiben, denn nur sehr wenige vermögen wir zu erreichen, und diese wenigen sind wir nicht würdig zu verstehen und was wir verstehen, vermögen wir nicht auszusprechen. Selbst der Verstand des höchsten Seraphs ist unzureichend, um die Geheimnisse zu ergründen und zu würdigen, welche zwischen Jesus und Maria in jenen Jahren stattfanden, da beide miteinander lebten, zumal in eben diesen Jahren, von denen ich spreche, und in welchen der Lehrer des Lichtes seine heiligste Mutter unterrichtete. Er belehrte sie über alles, was er zur Zeit des Gnadengesetzes tun wollte. Er zeigte ihr alles, was in der heiligen Kirche geschehen sollte während des gegenwärtigen, sechsten Zeitalters der Welt, welches die ganze Zeit des evangelischen Gesetzes umschließt und bis zum Ende der Welt dauern wird. Er zeigte ihr, was geschehen in den tausendsechshundertsiebenundfünfzig Jahren, die bisher verflossen sind, und was in der uns dunklen Zukunft noch geschehen wird bis zum Tag des Gerichtes. Alles dies erfuhr unsere himmlische Königin in der Schule ihres allerheiligsten Sohnes. Der göttliche Heiland erklärte ihr alles und besprach alles mit ihr. Er zeigte ihr die Zeiten, die Orte, die Königreiche und Länder und alles, was während der Dauer der Kirche darin geschehen sollte. Er zeigte es ihr mit solcher Klarheit, dass, wenn die große Herrin jetzt noch im sterblichen Fleisch leben würde, sie alle einzelnen Glieder der heiligen Kirche nach Person und Namen kennen würde, gerade so wie sie jene kannte, welche sie in ihrem Leben sah und mit welchen sie verkehrte. Wenn diese das erste Mal vor ihr Angesicht traten, so lernte sie dieselben bei dieser Gelegenheit bloß noch durch die Sinne kennen, und diese Erkenntnis entsprach der inneren Erkenntnis, die sie schon vorher von ihnen besaß.
847. Wenn Maria, die Mutter der Weisheit, die vorgenannten Geheimnisse in der Seele ihres allerheiligsten Sohnes und in den Akten seiner Seelenkräfte schaute, vermochte sie nicht so tief zu blicken, wie die Seele Christi selbst, denn diese war persönlich mit der Gottheit vereinigt und im Zustand der Beseligung. Maria dagegen war ein bloßes Geschöpf und nicht durch eine andauernde Anschauung Gottes beseligt. Auch sah Maria nicht immer die rein geistigen Erkenntnisbilder und das Glorienlicht der beseligten Seele Christi. Diese sah sie nur dann, wenn sie sich der klaren Anschauung der Gottheit erfreute. Bei den übrigen Visionen, in denen sie die Geheimnisse der streitenden Kirche schaute, sah sie nur die imaginären. d. h, in der Einbildungskraft haftenden, Erkenntnisbilder der Seele Christi unseres Herrn. Dabei sah sie dann, wie diese Erkenntnisakte Christi von seinem heiligsten Willen abhängig waren, und wie er für einen jeden derselben Zeit, Ort und Veranlassung festgesetzt und geordnet hatte. Auf eine ähnliche Weise erkannte sie, wie der menschliche Wille des Heilandes seinem göttlichen sich gleichförmig machte, und wie der erstere in allem, was er beschloss und verfügte, von letzterem geleitet war. Diese ganze göttliche Harmonie ging dann auf die Himmelskönigin über, indem sie den Willen und überhaupt alle Seelenkräfte Mariä in Tätigkeit setzte und sie bewog, mit dem menschlichen Willen Christi und mittels dessen mit dem göttlichen Willen mitzuwirken. Auf solche Weise bestand zwischen den heiligsten Personen Jesus und Maria eine unaussprechliche Gleichförmigkeit und Maria war die Mitarbeiterin und Gehilfin Christi bei Gründung des Gesetzes der Gnade und beim Aufbau der heiligen Kirche.
848. Alle diese tief verborgenen Geheimnisse gingen für gewöhnlich in dem bescheidenen Betkämmerchen der Himmelskönigin vor sich in welchem auch das höchste aller Geheimnisse gefeiert worden war, die Menschwerdung des ewigen Wortes im jungfräulichen Schoß Mariä. Wohl war dieses Kämmerchen sehr eng und arm. Es bestand ja nur aus bloßen Wänden, und auch diese waren eng, aber es fasste in sich die unendliche Größe des unermesslichen Gottes. Von diesem Kämmerchen ging alles aus, was heutzutage die reichsten Tempel des Erdkreises und die zahllosen Heiligtümer der Welt an Majestät und Gottheit in sich schließen. In diesem «Allerheiligsten» betete für gewöhnlich der oberste Hohepriester des Neuen Bundes, Jesus Christus, unser Herr, und den Inhalt seines beständigen Gebetes bildeten die heißen Bitten, die er für die Menschen an seinen Vater richtete. Außerdem aber besprach er mit seiner jungfräulichen Mutter alle Werke der Erlösung, sowie die reichen Gaben und Gnadenschätze, die er in der Kirche des Neuen Bundes bleibend niederlegen und dadurch den Kindern des Lichtes, den Kindern der heiligen Kirche, übermitteln wollte. Oftmals betete er zum himmlischen Vater, dass doch die Sünden der Menschen und ihr grausamer Undank ihre Erlösung nicht hindern möge. Und da Christus unser Herr die Sünden des Menschengeschlechtes und den Untergang so vieler Seelen, welche für die Erlösung nicht dankten, allezeit in seinem Geiste voraussah und gleichsam vor Augen hatte, so versetzte ihn das Bewusstsein, dass er auch für diese sterben sollte, in eine beständige, bittere Todesangst, welche ihm oft blutigen Schweiß auspresste. Zwar erwähnen die Evangelisten nur eine einzige Todesangst des Herrn, nämlich jene, welche seinem leiden unmittelbar voranging - sie haben ja nicht alle Ereignisse seines heiligsten Lebens berichten wollen -; es ist jedoch nicht daran zu zweifeln, dass der Herr oftmals Blut schwitzte, und zwar vor den Augen seiner heiligsten Mutter. Es ist mir dies in mehreren Gesichten mitgeteilt worden.
849. Die Stellung betreffend, in welcher unser Meister und unser höchstes Gut, Jesus Christus, zu beten pflegte, so lag er bald auf den Knien, bald mit dem Angesicht auf der Erde und die Arme in Kreuzesform ausgespannt: zuweilen war er in die Luft erhoben, gleichfalls mit ausgespannten Armen, denn er hatte eine große Vorliebe für diese Stellung. Wenn er betete, so pflegte er in Gegenwart seiner heiligsten Mutter also zu sprechen: «O glückseliges Kreuz, wann werde ich mich in deinen Armen befinden, wann wirst du die meinen aufnehmen, damit sie, an dich genagelt, offen stehen, um alle Sünder zu umfangen. Ich bin ja vom Himmel herabgekommen, um sie zu meiner Nachfolge und zur Teilnahme an meiner Seligkeit zu rufen, deshalb sind meine Arme allzeit geöffnet, um alle zu umarmen und alle zu bereichern. So kommt denn, ihr Blinden alle, kommt zum Licht ! Kommt, ihr Armen, zu den Schätzen meiner Gnade ! Kommt, ihr Kindlein, zu den Liebkosungen eures wahren Vaters ! Kommt, ihr Betrübten und Ermüdeten, ich will euch trösten und erquicken. Kommt, ihr Gerechten, ihr seid mein Besitztum und mein Erbe ! Kommt, ihr Kinder Adams alle, denn alle rufe ich. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14, 6) und niemand werde ich es verweigern, der es annehmen will. O ewiger Vater, sie sind ja deiner Hände Werk. Verschmähe sie nicht, denn ich opfere mich für sie auf zum Tod des Kreuzes, damit sie, wenn sie nur wollen, als Gerechtfertigte und Erlöste der Schar deiner Auserwählten beigezählt und deinem himmlischen Reiche einverleibt werden zur Verherrlichung deines Namens.»
850. Bei diesen Vorgängen war die liebevolle Mutter gegenwärtig. Das Licht ihres göttlichen Sohnes strahlte dann in ihrer reinen Seele wie in einem ungetrübten Kristall wieder. Dem Echo gleich wiederholte sie die inneren und äußerlichen Worte Jesu und schloss sich allen seinen Gebeten und Bitten an, und zwar in derselben Haltung, welche der göttliche Heiland beobachtete. Als sie ihn zum ersten Mal Blut schwitzen sah, wurde ihr liebevolles Mutterherz von Schmerz durchbohrt. Mit Staunen schaute sie, welche Wirkung die Sünden der Menschen in unserem Herrn hervorbrachten, und wie sehr ihn deren Undank schmerzte, den er voraussah und den auch sie kannte. In schmerzvoller Beklommenheit wandte sie sich an die Menschen und sprach: «O Menschenkinder, ihr versteht wenig, wie hoch der Schöpfer sein Bild und Gleichnis in euch schätzt, denn er bietet zum Preis eurer Erlösung sein Blut an. Er schätzt euch höher als sein Blut, da er es für euch vergießt. O hätte ich doch euern Willen in meiner Macht, um euch zur Liebe und zum Gehorsam gegen Ihn zurückzuführen ! Gesegnet seien von seiner Hand die Gerechten und Dankbaren, welche treue Kinder ihres himmlischen Vaters sein werden ! Mit seinem Licht und mit seinen Gnadenschätzen mögen diejenigen erfüllt werden, welche dem glühenden Verlangen meines Herrn nach ihrem ewigen Heil entsprechen ! Könnte ich doch die niedrige Dienerin der Kinder Adams sein, um sie durch meine Dienste zu bewegen, dass sie ihren Sünden und ihrem eigenen Verderben ein Ziel setzen. O mein Herr, du Licht und Leben meiner Seele, wer mag doch so harten Herzens und in solchem Grade sein eigener Feind sein, dass er sich durch deine Wohltaten nicht verpflichten und gewinnen lässt? Wer mag so undankbar und unerkenntlich sein, dass er von deiner glühendsten Liebe nichts wissen will? Wie soll mein Herz es ertragen, dass die Menschen, von deinen Händen mit Wohltaten überhäuft, sich gegen dich empören? O ihr Kinder Adams, kehrt doch eure unmenschliche Grausamkeit gegen mich ! Peinigt mich, verachtet mich, wenn ihr nur meinem geliebten Herrn die Liebe und Ehrfurcht beweist, welche ihr seiner Zärtlichkeit schuldet. Du, mein Sohn und mein Herr, du bist das Licht vom Licht, der Sohn des ewigen Vaters, das Ebenbild seines Wesens (Hebr 1, 3), ewig und unendlich wie er. Du bist ihm gleich im Wesen und in den Vollkommenheiten, denn du bist mit ihm ein Gott und eine höchste Majestät. Du bist auserwählt unter Tausenden (Hld 5,10), der Schönste unter den Menschenkindern. Du bist heilig, unschuldig (Hebr 1, 26), ohne jeden Fehler. Wie ist es doch möglich, o ewiges Gut, dass die Menschen den edelsten Gegenstand ihrer Liebe nicht kennen, dass sie den Ursprung nicht kennen, von dem sie ihr Sein erhalten, und das Ziel und Ende, in welchem ihre wahre Glückseligkeit besteht ! O könnte ich sie doch durch das Opfer meines Lebens aus dieser Verblendung reißen !»
851. Noch viele andere Worte sprach U. L. Frau. Doch das Herz bricht mir, und die Worte fehlen mir, um die Gefühle dieser unschuldigsten Taube zu schildern. Beseelt von dieser Liebe und mit tiefster Ehrfurcht trocknete sie dann den blutigen Schweiß ihres göttlichen Sohnes ab. Zuweilen aber traf sie den Herrn in ganz entgegengesetztem Zustand, nämlich voll Glorie und Glanz und verklärt, wie er es später auf dem Berg Tabor war. Dann umgab ihn eine große Schar Engel, welche in menschlicher Gestalt ihn anbeteten und ihm, dem menschgewordenen Sohn des Vaters, mit wohlklingenden, süßen Stimmen Hymnen und neue Loblieder sangen. Solche himmlische Musik hörte unsere Herrin in nächster Nähe auch noch in anderen Fällen, wenn Christus unser Herr nicht verklärt war. Der göttliche Wille fügte es nämlich zuweilen, dass die Menschheit des Wortes diese Tröstung der Sinne nicht bloß im Zustand der Verklärung empfing, wobei die Glorie der Seele auf den Leib überströmte, sondern auch in anderen Fällen, denn die Verklärung kam nur selten vor. Sooft aber die göttliche Mutter ihren Sohn in verklärtem Zustand traf und schaute, oder wenn sie sonst die Musik der Engel vernahm, wurde sie dieser himmlischen Wonne und Freude in so überströmender Fülle teilhaftig, dass, wenn sie nicht von so starkem Geist gewesen und überdies von ihrem Sohn und Herrn gestärkt worden wäre, alle ihre natürlichen Kräfte unterlegen wären. Auch die heiligen Engel brachten ihr in den Liebesohnmachten, die sie in solchen Fällen leiblich zu erleiden pflegte, Stärkung und Hilfe. (Es war dies die Erfüllung der Worte, welche die Braut im Hohenlied spricht: «Fulcite me floribus, stipate me malis, quia amore langueo». (Cant. 2, 5.).
852. Oftmals geschah es auch, dass, wenn ihr heiligster Sohn in einem der genannten Zustände, sei es der Angst oder der Freude, zum himmlischen Vater betete und die erhabensten Geheimnisse der Erlösung mit ihm besprach, die Person des Vaters antwortete und die Bitten seines Sohnes zum Heil der Menschen genehmigte und gewährte, oder auch die geheimen Ratschlüsse der Auserwählung einzelner und der Verwerfung anderer der heiligsten Menschheit Christi vorstellte. Alles dieses hörte und vernahm unsere große Königin und Herrin, wobei sie sich bis in den Staub demütigte. Mit unaussprechlicher Ehrfurcht betete sie den Allmächtigen an, schloss sich den inbrünstigen Bitten ihres Eingeborenen und den Danksagungen, die er dem himmlischen Vater für seine Großtaten und für seine Liebe zu den Menschen darbrachte, an und pries seine unerforschlichen Gerichte.
Alle diese tiefen Geheimnisse erwog die weiseste Jungfrau in ihrem erleuchteten Geist und bewahrte sie im Heiligtum ihres großen Herzens. Alles war für sie Antrieb und Stoff, um das Feuer des Heiligtums, das in ihrem Innern brannte, noch mehr anzufachen und zu erhalten. Keine von den Gnaden und verborgenen Auszeichnungen, die sie empfing, war in ihr müßig und fruchtlos. Allen entsprach sie zum höchsten Wohlgefallen und zur höchsten Freude des Herrn. Alles tat sie auf das vollkommenste und in einer Weise, wie es sich gebührte, damit die Absichten des Allerhöchsten erfüllt und, soweit es von Seiten eines bloßen Geschöpfes möglich war, alle seine Werke erkannt und mit Dank aufgenommen würden.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
853. Meine Tochter, einer der Gründe, warum die Menschen mich Mutter der Barmherzigkeit nennen müssen, ist die mitleidsvolle Liebe, mit welcher ich innigst verlange, dass alle Sterblichen dazu gelangen, gesättigt zu werden von dem Strom der Gnade und die Süßigkeit des Herrn zu kosten (Ps 34, 9), wie ich sie gekostet habe. Alle lade ich ein, alle rufe ich, dass sie voll Durst mit mir kommen zu den Gewässern der Gottheit. Es mögen kommen die Ärmsten und Betrübtesten, wenn sie mir nur gehorchen und folgen, so biete ich ihnen meinen mächtigen Schutz und Schirm an. Ich werde ihre Mittlerin sein bei meinem Sohn und das «verborgene Manna» ihnen erflehen, das ihnen Nahrung und Leben verleiht. Komme du, meine Freundin, komme, nähere dich, meine liebe Tochter, und folge mir, damit du den «neuen Namen» erhaltest, den niemand kennt, als wer ihn empfängt (Offb 2,17). Erhebe dich aus dem Staub, schüttle ab und wirf alles Irdische und Vergängliche weg und nähere dich dem Himmlischen ! Verleugne dich selbst und alle Werke der menschlichen Gebrechlichkeit. Und da du im Licht der Wahrheit die Werke erkennst, welche mein heiligster Sohn verrichtet hat und welche auch ich nach seinem Beispiele verrichtet habe, so betrachte dieses Vorbild und beschaue dich in diesem Spiegel, damit du die Schönheit erlangst, welche der allerhöchste König in dir zu sehen verlangt und begehrt (Ps 45,12).
854. Und weil dieses das mächtigste Mittel ist, um zur ersehnten Vollkommenheit in deinem ganzen Tun und Lassen zu gelangen, so wünsche ich, dass du als Regel aller deiner Handlungen die Mahnung in dein Herz einschreibst, die ich dir jetzt geben will: Sooft du irgendeine Handlung vornehmen willst, sei es eine innere oder eine äußere, so gehe zuvor mit dir selbst zu Rate und erwäge, ob auch mein allerheiligster Sohn und ich das sagen oder tun würden, was du sagen oder tun willst und mit welch gerader Meinung wir es auf die Ehre des Allerhöchsten und auf das Wohl unserer Mitmenschen beziehen würden. Erkennst du, dass wir es getan haben, oder dass wir es in solcher Meinung tun würden, so tue es, um uns gleichförmig zu werden. Findest du aber das Gegenteil, so warte und tue es nicht. Es ist das eine Lehre, welche ich meinem Herrn und Meister gegenüber selbst befolgt habe, wiewohl ich kein Widerstreben gegen das Gute hatte wie du, sondern im Gegenteil sehnlich begehrte, ihm auf das vollkommenste nachzufolgen. Diese Nachfolge des Herrn ist es, welche eine fruchtreiche Teilnahme an seiner Heiligkeit verleiht, denn sie gibt Anweisung und Antrieb, um in allem das Vollkommenste und Gott Wohlgefälligste zu tun.
Überdies ermahne ich dich, dass du von heute an kein Werk tust, kein Wort redest und keinen Gedanken hegest, ohne mich um Erlaubnis zu bitten, bevor du dich dazu entschließt. Gehe mit mir darüber zu Rate, als mit deiner Mutter und Lehrmeisterin. Und wenn ich dir antworte, so sage dem Herrn dafür Dank, wenn ich dir aber nicht antworte und du verharrst dennoch treu in dieser Übung, so gebe ich dir die Versicherung und das Versprechen von Seiten des Herrn, dass er dich einsehen lassen wird, was seinem vollkommensten Willen am meisten entspricht. Indes musst du alles dieses im Gehorsam gegen deinen geistlichen Vater tun. Vergiss niemals diese Übung !
DREIZEHNTES HAUPTSTÜCK: Maria ernährt Jesus und den hl. Joseph durch Händearbeit. Sie vollendet das 33. Lebensjahr
Die heiligste Jungfrau Maria vollendet ihr dreiunddreißigstes Lebensjahr. Ihr jungfräulicher Leib bleibt von da an in dem nämlichen Zustand. Sie entschließt sich ihrem göttlichen Sohn und dem hl. Joseph durch die Arbeit ihrer Hände den Unterhalt zu verschaffen.
855. Mit den heiligen Übungen und Geheimnissen, die ich im bisherigen nicht so sehr beschrieben, als angedeutet habe, war unsere große Königin und Herrin namentlich seit der Zeit beschäftigt, da ihr heiligster Sohn sein zwölftes Lebensjahr überschritten hatte. Zu der Zeit nun, da unser Heiland als Jüngling sein achtzehntes Jahr vollendete, wurde seine heiligste Mutter, wie aus der oben angeführten Berechnung der Menschwerdung und Geburt erhellt (oben Nr.138 und Nr. 476), volle dreiunddreißig Jahre alt. Hiermit hatte sie das vollkommene Alter erreicht. Ich sage «das vollkommene Alter». Man teilt nämlich das menschliche Lebensalter gewöhnlich in verschiedene Altersstufen ein, bald in sechs, bald in sieben. Das Alter von dreiunddreißig Jahren ist die Stufe, auf welcher das körperliche Wachstum vollendet ist und der Mensch das jugendliche Mannesalter beschließt wie die einen sagen, oder, nach der Berechnung der andern, es antritt. Mag man nun die Altersstufen auf die eine oder die andere Weise abteilen, immerhin ist das natürliche Wachstum, wenigstens für gewöhnlich, mit dem dreiunddreißigsten Jahr vollendet. Der Zustand der Vollkommenheit dauert aber nur sehr kurze Zeit, denn bald beginnt die hinfällige Natur, die ja «nie in einem Stand bleibt (Job 14, 2)», wieder abzunehmen, wie der Mond, wenn er die ganze Größe erreicht hat. In der Zeit dieses Abnehmens, das mit dem Anfang des mittleren Mannesalters beginnt, wächst der Leib nicht nur nicht mehr in die Länge, sondern auch eine etwaige Zunahme am Umfang ist keine Vervollkommnung, sondern gewöhnlich ein Gebrechen der Natur.
Aus dem eben angeführten Grunde wollte Christus unser Herr erst nach vollendetem dreiunddreißigsten Lebensjahre sterben. In seiner glühendsten Liebe wollte er warten, bis sein heiligster Leib die natürliche Vollendung und Ausbildung erreicht und das vollkommene Ebenmaß erlangt hätte, damit er seine heiligste Menschheit mit allen Gaben der Natur und Gnade für uns hinopfern könnte, nicht als hätte die Gnade in ihm zugenommen, sondern die Natur sollte mit der Gnade sozusagen gleichen Schritt halten, damit ja nichts fehle, was er für das Menschengeschlecht hingeben und opfern könnte. Aus dem gleichen Grund hat auch der Allerhöchste unsere Stammeltern Adam und Eva, wie man sagt, im Vollalter von dreiunddreißig Jahren erschaffen. Freilich mussten, wenn man das menschliche Lebensalter in ungefähr sechs oder sieben Altersstufen abteilt, in jenem ersten Zeitalter der Welt und auch noch im zweiten, wo das Leben länger dauerte, auf jede einzelne Stufe weit mehr Jahre treffen als jetzt, wo nach dem Wort Davids zum Greisenalter siebzig Jahre gehören (Ps 90,10).
856. Maria, die Beherrscherin des Himmels, erreichte also ihr dreiunddreißigstes Lebensjahr. Bei dessen Vollendung hatte ihr jungfräulicher Leib die natürliche Vollkommenheit erreicht. Er war von solchem Ebenmaß und solcher Schönheit dass nicht nur die Menschen, sondern selbst die englischen Geister mit Bewunderung erfüllt waren. Er war sowohl der Größe, wie der Natur und dem Umfange nach an allen seinen Gliedern ebenmäßig gewachsen und hatte die höchste Vollkommenheit erreicht, die bei einem menschlichen Wesen möglich ist. Maria war das Abbild ihres heiligsten Sohnes in seinem dreiunddreißigsten Lebensjahr. Im Angesicht und in der Farbe waren sie einander höchst ähnlich, mit dem Unterschiede, dass Christus der vollkommenste Mann, seine Mutter die vollkommenste Jungfrau war.
Bei den übrigen Sterblichen nimmt, wie gesagt, in diesem Alter die Abnahme und der Nachlass der natürlichen Vollkommenheit ihren Anfang. Die ursprünglichen Säfte (humidum radicale) und die natürliche innere Wärme nehmen nach und nach ab. Dadurch verlieren die Säfte überhaupt ihr Gleichgewicht und diejenigen herrschen vor, welche mehr von der Erde an sich haben. Die Haare werden allmählich grau, das Gesicht bekommt Runzeln, das Blut wird kälter und die Kräfte sinken etwas. So geht der ganze Leib, trotz aller Bemühungen, es zu verhindern, dem Alter und der Auflösung entgegen. Bei der heiligsten Jungfrau Maria aber war es nicht so. Ihr wunderbar vollkommener und kräftiger Körperbau blieb in demselben Zustand, den sie mit dreiunddreißig Jahren erreicht hatte, ohne Verringerung und Abnahme. Und als sie ihr siebzigstes Lebensjahr erreichte - so lange lebte sie nämlich, wie ich an geeigneter Stelle (Teil 3, Nr. 736) sagen werden -, war sie noch ebenso vollkommen wie mit dreiunddreißig Jahren. Ihr jungfräulicher Leib besaß noch dieselben Kräfte und dasselbe Ebenmaß wie damals.
857. Die Himmelskönigin kannte dieses von Gott ihr verliehene Vorrecht und dankte ihm dafür. Sie wusste auch, dass ihr das Recht verliehen sei, damit sie der Menschheit ihres göttlichen Sohnes auch in natürlicher Hinsicht immerfort gleiche, wenngleich mit dem Unterschied im Alter, da der Herr sein Leben mit dreiunddreißig Jahren opfern wollte, sie aber länger leben sollte. Der heilige Joseph war damals, als die Königin der Welt dreiunddreißig Jahre zählte, noch nicht sehr alt. Allein seine Körperkräfte waren schon bedeutend gesunken, Die Sorgen, die Reisen und die beständigen Arbeiten, denen er sich unterzog, um seiner Braut und dem Herrn der Welt den Lebensunterhalt zu verschaffen, hatten ihn mehr geschwächt als das Alter. Auch wollte ihm der Herr Gelegenheit bieten zum Fortschritt in der Geduld und in anderen Tugenden. Darum ließ er, wie ich im folgenden Hauptstück erzählen werde, Leiden und Krankheiten über ihn kommen, die ihn vielfach an der körperlichen Arbeit hinderten. Seine weiseste Braut gewahrte dies. Und da sie den heiligen Joseph allzeit mehr geschätzt, geliebt und sorgsamer bedient hatte, als irgendeine andere Gemahlin dies je ihrem Gatten gegenüber getan hat, so sprach sie zu ihm: «Mein Bräutigam und Gebieter, ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, weil du immer so treu für mich gesorgt und gearbeitet hast. Im Schweiße deines Angesichtes hast du bis jetzt deine Dienerin und meinen heiligsten Sohn, den wahren Gott ernährt. In dieser Sorge hast du deine Kräfte, deine Gesundheit und deine besten Jahre geopfert, um mein Leben zu schützen und zu erhalten. Von der Hand des Allerhöchsten wirst du den Lohn für diese Mühen empfangen und «die Segnungen der Süßigkeit (Ps 21, 4)», die du verdienst. Ich bitte dich aber, mein Gebieter, ruhe jetzt von der Arbeit aus. Deine schwachen Kräfte sind ihr nicht mehr gewachsen. Ich möchte mich dir dankbar zeigen und für dich arbeiten, so lange Gott uns das Leben gibt.»
858. Bei diesen Worten seiner teuersten Braut vergoss der Heilige die reichlichsten Tränen demütiger Dankbarkeit und süßen Trostes. Zwar brachte er noch einige dringende Bitten vor, sie möge ihn seine Arbeit immer fortsetzen lassen, doch zuletzt gab er ihren Bitten nach und gehorchte seiner Braut, der Königin der Welt. Er gab also von da an die Handarbeit auf, mit welcher er den Unterhalt für alle drei gewonnen hatte. Das Zimmermannswerkzeug verschenkten sie als Almosen, damit sich nichts Überflüssiges in ihrem Hause befinde. Dieser Sorge enthoben, verlegte sich nun der heilige Joseph gänzlich auf die Betrachtung der ihm anvertrauten Geheimnisse und auf die Übung der Tugenden. Da ihm das hohe Glück beschieden war, die menschgewordene göttliche Weisheit und Maria, die Mutter der Weisheit, vor Augen zu haben und mit ihnen umzugehen, so erreichte der Mann Gottes eine so hohe Stufe innerer Heiligkeit, dass er in dieser Hinsicht nächst seiner himmlischen Braut alle anderen überragte, oder dass wenigstens niemand ihn überragte. Und da die Himmelskönigin selbst mit ihrem göttlichen Sohn dem überglücklichen Mann in seinen Krankheiten mit so großer Sorgfalt beistand, ihn bediente, tröstete und ermutigte, so lässt sich nicht beschreiben, zu welcher Demut, Ehrfurcht und Liebe das unschuldige und dankbare Herz des heiligen Joseph durch diese Wohltaten angeregt wurde. Ohne Zweifel war es ein Gegenstand der Bewunderung und Freude für die Engel und des innigsten Wohlgefallens für den Allerhöchsten.
859. So nahm es also die Königin der Welt auf sich, fortan durch Arbeit ihrem göttlichen Sohn und ihrem Bräutigam den Lebensunterhalt zu verdienen. Es geschah dies nach Anordnung der ewigen Weisheit. Maria sollte in jeder Art von Tugend und Verdienst den Gipfelpunkt erreichen und allen Söhnen und Töchtern Adams und Evas zum beschämenden Beispiel dienen. Der Herr hat uns Maria als Muster vorgestellt, sie, diese «starke Frau, das mit Anmut und Stärke bekleidet war». Der Herr hatte sie in jenem Alter mit Kraft umgürtet und ihre Arme gestärkt, damit sie ihre Hände nach dem Dürftigen ausstrecke, einen Acker kaufe und einen Weinberg pflanze von der Frucht ihrer Hände. Es vertraute auf sie, wie es im Buch der Sprichwörter heißt (Spr 31,10 ff), das Herz ihres Mannes, d. h. nicht bloß das Herz ihres Bräutigams Joseph, sondern auch das Herz ihres gottmensch lichen Sohnes, des Lehrmeisters der Armut, des Ärmsten unter den Armen. Und ihr Vertrauen wurde nicht getäuscht. Denn die große Königin begann nun noch mehr zu arbeiten. Sie spann und wob Linnen und Wolle und erfüllte so auf geheimnisvolle Weise alles, was Salomon im einunddreißigsten Kapitel der Sprichwörter von ihr gesagt hat. Doch ich habe dieses Hauptstück bereits am Ende des ersten Teiles erklärt. Darum finde ich nicht für nötig, es hier zu wiederholen, obgleich manches von dem dort Gesagten gerade auf diese äußerlichen Arbeiten der seligsten Jungfrau sich bezieht.
860. Wohl hätte es dem Herrn nicht an Mitteln gefehlt, sein menschliches Leben und das seiner heiligsten Mutter und des heiligen Joseph auch sonst zu erhalten. Der Mensch lebt und zehrt ja, wie der Herr selbst gesagt hat (Mt 4, 4), nicht allein vom Brot. Er hätte durch sein bloßes Wort sie erhalten können. Auch hätte er durch ein Wunder die tägliche Nahrung herbeischaffen können. Aber dann hätte die Welt eines erhabenen Beispiels entbehrt. Sie hätte nicht gesehen, wie die heiligste Mutter Gottes, die Herrin der ganzen Schöpfung, arbeitete, um die Speise zu verdienen. Der Jungfrau selbst aber wäre der Lohn entgangen, den sie durch ihre Verdienste sich erworben hat. Alles dies hat der Lehrmeister unseres Heiles in wunderbarer Vorsehung so angeordnet, zur Ehre der großen Königin und zu unserer Belehrung. Unmöglich aber ist es, mit Worten zu beschreiben, wie fleißig und sorgsam die weiseste Jungfrau auf alles bedacht war. Sie arbeitete viel. Und weil sie stets in stiller Zurückgezogenheit blieb, so kam jene beglückte Frau aus der Nachbarschaft, von welcher früher schon die Rede war, um die Arbeiten der großen Königin auszutragen und das Nötige herbeizuschaffen. Wenn Maria dieser Frau sagte, was sie tun oder bringen sollte, so tat sie dies nie in Form eines Befehls, sondern in Form einer Bitte. Sie bat in tiefster Demut und suchte zuvor den Willen der Frau auszuforschen. Um aber diesen zu erfahren, sagte sie zu ihr, ob sie nicht dieses oder jenes gerne tun möchte.
Jesus und Maria aßen niemals Fleisch. Ihre Nahrung bestand ausschließlich aus Fischen, Obst und Gemüse, und auch dieses genossen sie mit bewunderungswürdiger Mäßigkeit und Enthaltsamkeit. Dem heiligen Joseph aber bereitete Maria Fleischspeisen. Und wenn auch aus den bereiteten Speisen die Dürftigkeit und Armut hervorleuchtete, so wusste doch die Himmelskönigin durch die Sorgfalt, mit der sie dieselben bereitete, durch die Schmackhaftigkeit, die sie ihnen gab, und durch die Liebe und Freundlichkeit, mit der sie alles darreichte, das Mangelnde zu ersetzen. Die emsige Herrin schlief nur wenig. Oft brachte sie einen großen Teil der Nacht mit Arbeiten zu, und der Herr gestattete ihr dies in ausgedehnterer Weise, als er es ihr, wie ich früher erzählte (oben Nr 658), in Ägypten erlaubt hatte.
Manchmal kam es vor, dass der durch Händearbeit erworbene Verdienst nicht ausreichte, um die nötigen Einkäufe zu machen, denn der hl. Joseph bedurfte jetzt sowohl an Nahrung wie an Kleidung einer besseren Pflege als in seinem früheren Leben. In solchen Fällen trat dann die Allmacht Christi ein, indem er entweder den Hausvorrat vermehrte oder den Engeln befahl, das Nötige herbeizubringen. Meistens aber wirkte er diese Wunder durch seine heiligste Mutter, indem er es so fügte, dass sie in kurzer Zeit viel zustande brachte, und dass die Frucht der Arbeit unter ihren Händen sich vermehrte.
LEHRE, welche Maria, die heiligste Himmelskönigin, mir gab
861. Meine Tochter, was du in Bezug auf meine Arbeiten geschrieben hast, bietet dir eine sehr erhabene Lehre, wie du in der Führung deines Amtes meinem Beispiel folgen sollst. Damit du aber nicht alles vergissest, will ich dir die ganze Lehre in folgende Hauptpunkt zusammenfassen. Du sollst mich besonders in drei Tugenden nachahmen, die du dem Gesagten gemäß an mir wahrgenommen hast, in der Klugheit, in der Liebe und in der Gerechtigkeit. Es sind das Tugenden, welche von den Sterblichen wenig beachtet werden. Vermöge der Klugheit musst du auf die Bedürfnisse deines Nächsten und auf die Art und Weise, wie du ihm deinem Stand gemäß abhelfen kannst, zum voraus bedacht sein. Die Liebe muss dir Eifer und Hingebung einflößen, um wirkliche Abhilfe zu treffen. Die Gerechtigkeit aber sagt dir, dass es Pflicht ist anderen das zu tun, was du für dich selbst verlangen könntest und was die Not des Dürftigen erheischt. Dem Blinden musst du Auge sein (Job 29,15) und dem Tauben Ohr, dem, der keine Hände hat, müssen deine Hände dienen, d. h. du musst für ihn arbeiten. Das ist eine Mahnung, welche du deinem Amt gemäß in geistlichen Dingen beständig ausführen musst. Du sollst sie aber in treuester Nachahmung meines Beispiels auch in Hinsicht auf das Zeitliche befolgen. Ich bin den Bedürfnissen meines Bräutigams zuvorgekommen und habe alles getan, ihm zu dienen und den Lebensunterhalt zu verschaffen, weil ich dies für meine Pflicht hielt. Und ich habe dies mit innigster Liebe getan, indem ich bis zu seinem Tod Handarbeit verrichtete. Der Herr hatte mir den hl. Joseph gegeben, damit er mir den Lebensunterhalt verschaffe. Dies hat er mit größter Treue getan, so lange seine Kräfte es zuließen. Als aber seine Kräfte schwanden, war die Verpflichtung auf meiner Seite. Mir hat der Herr die Kräfte dazu gegeben und es wäre ein großer Fehler gewesen, wenn ich nicht mit treuer Liebe seinem Willen entsprochen hätte.
862. Dieses Beispiel wird von den Kindern der Kirche nicht beachtet. Darum hat unter ihnen ein ganz schlimmer, unchristlicher Gebrauch eingerissen, welcher den gerechten Richter nötigt, mit strengen Züchtigungen gegen sie einzuschreiten. Während doch alle Menschen zur Arbeit geboren werden (Job 5, 7), und dies nicht erst infolge des Sündenfalls, wodurch ihnen die Arbeit zur Strafe geworden ist, sondern überhaupt seit Erschaffung des ersten Menschen, so wird doch die Arbeit nicht auf alle verteilt, sondern die Mächtigeren, Reicheren und überhaupt alle jene, welche von der Welt «Herren» und «Hochgeborne» genannt werden, suchen sich diesem allgemeinen Gesetze zu entziehen. Die Arbeit soll den Niedrigen und Armen im Staate aufgebürdet sein. Diese letzteren müssen mit ihrem Schweiß den Luxus und die Hoffart der Reichen unterhalten. Der Schwache und Gebrechliche muss dem Starken und Mächtigen dienen. Bei vielen Kindern der Hoffart hat diese schlimme Gewohnheit so sehr überhand genommen, dass sie meinen, man sei ihnen solche Dienste schuldig, und in dieser Anschauung bedrücken und verachten sie die Armen und treten sie mit Füßen. Sie beanspruchen, dass die Armen nur für sie leben, damit sie sich dem Müßiggang hingeben, die Vergnügungen dieser Welt genießen und ihrer Güter sich erfreuen können. Ja sie bezahlen nicht einmal den geringen Lohn, den der Arme für seine Arbeit verdient. Was diesen Punkt betrifft, dass die Armen und Dienenden nicht erhalten, was ihnen gehört, könntest du, wie überhaupt in vielen anderen Dingen, die dir gezeigt wurden, gar schwere Ungerechtigkeiten aufzählen, welche gegen die Ordnung und den Willen des Allerhöchsten begangen werden. Es genügt aber zu wissen, dass, wie sie Recht und Gerechtigkeit verkehren und an der Arbeit der Menschen nicht teilnehmen wollen, so einstens die Ordnung der Barmherzigkeit, welche den Geringen und Verachteten gewährt wird, bei ihnen in das Gegenteil umschlagen wird. Alle, welche aus Hoffart trägem Müßiggang sich hingegeben haben, werden gezüchtigt werden mit den bösen Geistern, deren Beispiel sie hierin nachgeahmt haben.
863. Öffne, liebe Tochter, deine Augen, damit du eine solche Täuschung einsiehst. Allezeit sollst du «eine Arbeit vor dir haben (Ps 23,16)», aber auch mein Beispiel soll dir immer vor Augen schweben. Halte dich fern von den Kindern Belials (2 Chr 13, 7), welche in ihrem Müßiggang den Prunk der Eitelkeit suchen und «umsonst arbeiten (Ps 127,1 f)». Betrachte dich nicht als Vorsteherin und Oberin deiner Untergebenen, sondern als ihre Dienerin, besonders den Schwächeren und Niedrigsten gegenüber. Überhaupt diene allen ohne Unterschied als fleißige Magd. Hilf ihnen und arbeite, um ihnen nötigenfalls den Lebensunterhalt zu verschaffen. Bedenke wohl, dass dir dies nicht bloß obliegt, weil du Oberin bist, sondern auch, weil jede Klosterfrau deine Schwester ist, eine Tochter deines himmlischen Vaters und ein Geschöpf deines Herrn und Bräutigams. Und da du aus seiner freigebigen Hand mehr als alle anderen empfangen hast, obwohl du es am wenigsten verdientest, so bist du auch verpflichtet, mehr als irgendeine andere zu arbeiten, Kranke und Schwache enthebe der körperlichen Arbeit und nimm sie auf dich. Weit entfernt, die Arbeit, welche dir möglich ist und dir zukommt, anderen aufzubürden, sollst du vielmehr die Arbeit aller, soweit es möglich ist, auf deine Schultern nehmen, als die Magd und Geringste von allen, denn als solche musst du dich betrachten und anerkennen. Weil du aber nicht alles selbst tun kannst, sondern die Handarbeiten unter deine Untergebenen verteilen musst, so tue dies mit Gerechtigkeit und im rechten Verhältnisse. Trage denjenigen, welche aus Demut weniger Schwierigkeit machen oder schwächlicher sind, nicht die schwerere Arbeit auf, vielmehr will ich, dass du gerade jene demütigst, welche stolzen und hochfahrenden Geistes sind und ungern an die Arbeit gehen. Indes darfst du diese nicht durch Rauheit und Strenge reizen, vielmehr sollst du die Lässigen und überhaupt alle, welche schwierigen Charakters sind, durch bescheidenen Ernst und Klugheit dazu bringen, dass sie sich unter das Joch des Gehorsams beugen. So erweist du ihnen die größtmögliche Wohltat und handelst zugleich nach Pflicht und Gewissen. Sorge aber, dass sie dies einsehen. All dies wird dir gelingen, wenn du keinen Unterschied der Person machst, sondern unparteiisch einer jeden die Arbeit anweist, welche sie verrichten kann, ihr aber auch gibst, was sie für sich nötig hat. Besonders aber werden sie sich dadurch zur Flucht des Müßigganges und der Nachlässigkeit angetrieben und verpflichtet fühlen, wenn sie sehen, wie du das Schwerste der Arbeit als die erste auf dich nimmst, Hierdurch wirst du eine mit Demut gepaarte Freiheit erlangen, ihnen zu befehlen. Was du aber selbst tun kannst, trage keiner anderen auf. Auf solche Weise wirst du die Frucht und den Lohn der nach meinem Beispiel verrichteten Arbeit ernten und zugleich meinen Mahnungen und Weisungen Gehorsam leisten.
VIERZEHNTES HAUPTSTÜCK: Krankheiten des hl. Joseph
Leiden und Krankheiten des hl. Joseph in seinen letzten Lebensjahren. Seine Braut, die Himmelskönigin, dient ihm während derselben.
864. Wir alle, die wir zum Licht und zum Bekenntnis des heiligen Glaubens und zur Schule und Nachfolge Christi, unseres höchsten Gutes, berufen sind, begehen insgesamt die Unklugheit, dass wir unsern Herrn zwar suchen als den Erlöser von unseren Sünden, nicht aber als den Lehrmeister im Leiden. Wir alle wollen die Frucht der Erlösung genießen und wünschen, dass die Pforten der Gnade und Glorie uns geöffnet werden, Allein dem Herrn auf dem Weg des Kreuzes zu folgen, auf welchem er in seine Herrlichkeit einging und auf welchem er uns zu unserer Herrlichkeit eingeladen hat, darauf sind wir gar wenig bedacht (Mt 16, 24; Lk 24, 26). Freilich hat diese Handlungsweise bei uns Katholiken ihren Grund nicht in dem törichten Irrtum der Ketzer. Wir bekennen, dass ohne Arbeit kein Lohn und ohne Mühseligkeit keine Krone zu erwarten ist. Wir bekennen, dass es ein arges Sakrileg und eine Gotteslästerung ist, der Verdienste Christi unseres Herrn sich bedienen zu wollen, um ohne Furcht und Scheu zu sündigen. Trotzdem, dass wir alle diese Wahrheit bekennen, wollen doch manche Kinder der heiligen Katholischen Kirche, was die Ausübung der dem Glauben entsprechenden Werke betrifft, sich von den Kindern der Finsternis nicht gar sehr unterscheiden. Sie fliehen die Werke der Buße und überhaupt die verdienstlichen Werke so sehr, als wären sie der Ansicht, sie könnten auch ohne dieser Werke ihrem Meister folgen und zur Teilnahme an seiner Herrlichkeit gelangen.
865. Diesen praktischen Irrtum wollen wir aufgeben. Wir wollen fest überzeugt sein, dass das Leiden nicht bloß für Christus unsern Herrn bestimmt war, sondern dass es auch für uns bestimmt ist. War er Erlöser der Welt, der als solcher Leiden und Tod erduldet hat, so war er auch Lehrer und hat als solcher uns gelehrt und eingeladen, sein Kreuz auf uns zu nehmen. Das Kreuz hat er allen seinen Freunden gegeben, und zwar in der Weise, dass er den meisten Anteil daran seinen auserwählten und vertrautesten Freunden zukommen ließ. Indes ist noch niemand, der überhaupt den Himmel verdienen konnte, in ihn eingegangen, ohne ihn durch Werke verdient zu haben. Von der heiligsten Mutter Christi angefangen sind alle, die Apostel. Märtyrer, Bekenner und Jungfrauen, auf dem Weg des Leidens gegangen, und wer edelmütiger gelitten, hat auch reicheren Lohn und eine herrlichere Krone empfangen. Wir erkühnen uns zwar, dem lebendigsten, wunderbarsten Beispiel unseres Herrn gegenüber zu sagen, wenn er auch als Mensch gelitten habe, so sei er doch zugleich allmächtiger Gott gewesen und diene der menschlichen Schwäche mehr zur Bewunderung als zur Nachahmung. Allein diese Ausrede schneidet der Herr uns ab durch das Beispiel seiner Mutter, unserer reinsten und unschuldigsten Königin, sodann durch das Beispiel ihres heiligsten Bräutigams Joseph und endlich durch das Beispiel so vieler Männer und Frauen, welche schwach gewesen sind wie wir, wenn auch nicht so schuldbar, und dennoch dem Herrn auf dem Weg des Kreuzes gefolgt sind. Unser Herr hat nicht gelitten, um von uns bloß bewundert zu werden, sondern um für uns ein bewunderungswürdiges Vorbild zu sein, das wir nachahmen sollen. Dass er aber wahrer Gott gewesen ist, hat ihn nicht gehindert zu leiden und die Schmerzen zu empfinden, im Gegenteil, seine Schmerzen waren größer und seine Peinen empfindlicher, weil er unschuldig und sündelos war.
866. Auf diesem königlichen Weg des Kreuzes führte unser Herr auch den Bräutigam seiner reinsten Mutter, den hl. Joseph. Der Sohn Gottes liebte ihn mehr als alle anderen Menschenkinder. Damit nun seine Verdienste vermehrt und seime Krone um so herrlicher werde, schickte ihm der Herr in den letzten Jahren seines Lebens verschiedene Krankheiten, wie Fieber, heftige Kopfschmerzen und peinliche Gichtleiden, welche seine Kräfte bedeutend schwächten. Außer diesen Krankheiten hatte der Heilige noch ein anderes Leiden, das zwar süßer, aber dennoch sehr schmerzlich war, und das seinen Grund in nichts anderem hatte als in der innigen und glühenden Liebe, welche den Heiligen beseelte. Diese Liebe war nämlich so heftig, dass er oft Verzückungen und Ekstasen hatte, und zwar so mächtige und starke, dass sein reinster Geist die Fesseln des Leibes gebrochen hätte, wenn ihm nicht derselbe Herr, der diese Gnaden spendete, auch Beistand, Kraft und Stärke verliehen hätte, um dem Schmerz nicht zu unterliegen. Seine Majestät überließ aber den Heiligen der süßen Gewalt dieser Liebesschmerzen so lange, als die bestimmte Zeit dauerte. Bei der natürlichen Schwäche seines abgezehrten und erschöpften Körpers war für den glückseligen hl. Joseph diese Prüfung eine Quelle unaussprechlicher Verdienste, nicht bloß wegen ihrer Wirkungen, nämlich der Schmerzen, sondern auch wegen der Ursache, aus der diese Schmerzen entstanden, nämlich wegen der Liebe.
867. Unsere große Königin, die Braut des Heiligen, war Zeugin aller dieser Geheimnisse. Sie durchschaute ja, wie ich bereits an anderen Orten gesagt habe (oben Nr. 368. 381. 394. 405.), das Innere des hl. Joseph, damit ihr die Freude nicht mangle, einen so heiligen, von Gott so sehr geliebten Bräutigam zu haben. Sie schaute die Unschuld und Reinheit seiner Seele, seine glühenden Liebesanmutungen, seine erhabenen, himmlischen Gedanken, die Geduld und Taubensanftmut seines Herzens in Krankheiten und Schmerzen. Sie kannte deren Heftigkeit und sah, wie er bei all seinen Leiden und Nöten niemals klagte, niemals seufzte, niemals Erleichterung verlangte. Denn der große Patriarch ertrug alles mit unaussprechlicher Ergebung und Seelengröße. Da nun die heiligste Jungfrau dieses alles kannte und nach Gebühr schätzte, so hegte sie für den hl. Joseph eine Verehrung, die nicht auszusprechen ist. Sie arbeitete darum mit unglaublicher Freude, um ihn zu pflegen und zu erquicken, wiewohl die größte Erquickung, die sie ihm bereiten konnte, darin bestand, dass sie mit ihren jungfräulichen Händen ihm die Speise schmackhaft bereitete und darreichte. Allein der himmlischen Frau schien alles zu gering im Vergleich zu dem Bedürfnis ihres Bräutigams, und noch mehr im Vergleich zu ihrer Liebe. Darum machte sie einige Male von ihrer Gewalt als Königin und Herrin aller Geschöpfe Gebrauch und gebot den Speisen, welche sie für den kranken Heiligen bereitete, ihn in besonderer Weise zu stärken und durch Wohlgeschmack zu erquicken. Es handelte sich ja um die Erhaltung des Lebens jenes Heiligen und Gerechten, den der Allerhöchste sich auserwählt hatte.
868. Alles geschah nach dem Befehl der großen Königin, da alle Geschöpfe ihr gehorchten. Wenn dann der heilige Joseph die so reich gesegneten Speisen zu sich nahm und deren Wirkung fühlte, pflegte er zu sagen: «Meine Herrin und Braut, was ist doch dies für eine Lebensspeise ? Sie belebt mich, erquickt den Geschmack, erneuert meine Kraft und erfüllt meine ganze Seele mit ungewöhnlicher Freude!» Die Herrin des Himmels reichte dem Heiligen die Speise kniend und in derselben Haltung nahm sie ihm auch die Fußbekleidung ab, wenn er schwächer und leidender war. Auch stützte sie ihn mit ihren Armen. Zwar machte der demütige Heilige große Anstrengungen, um seiner Braut einige dieser Mühen zu ersparen. Doch war es nicht möglich, sie daran zu hindern, da sie nicht nur alle Schmerzen des glückseligsten Mannes kannte, sondern auch wusste, wann die rechte Stunde, die rechte Zeit und Gelegenheit gekommen war, ihm Hilfe zu bringen. Darum war dann die himmlische Krankenwärterin augenblicklich bei der Hand, um dem Kranken die nötigen Dienste zu leisten. Als Lehrmeisterin der Weisheit und Tugend sprach sie dem Kranken auch Worte ungewöhnlichen Trostes zu. In den letzten drei Jahren seines Lebens aber, da die Krankheiten schwerer wurden, stand U. L. Frau dem Heiligen Tag und Nacht bei, ausgenommen wenn sie beschäftigt war, ihrem göttlichen Sohn zu dienen. Doch auch unser Herr half ihr, ihren heiligen Bräutigam zu pflegen, soweit er nicht anderen Werken obliegen musste. Niemals gab es einen Kranken und niemals wird es einen solchen geben, der so gut bedient und gepflegt worden wäre, wie Joseph. So groß war das Glück und das Verdienst dieses Mannes Gottes, weil er allein würdig war, diejenige zur Braut zu haben, welche die Braut des Heiligen Geistes war.
869. Allein die Liebe der Himmelskönigin für den heiligen Joseph war durch die genannten Dienste noch nicht befriedigt. Sie suchte noch andere Mittel, ihm Trost und Linderung zu verschaffen. Manchmal bat sie den Herrn mit glühendster Liebe, die Schmerzen ihres Bräutigams ihr zu geben und ihm sie abzunehmen. Sie glaubte nämlich, dass sie als das letzte aller Geschöpfe auch alle Leiden verdiene, und dies war es, was die Mutter und Lehrmeisterin der Heiligkeit vor Gott geltend machte. Sie stellte ihm vor, dass ihre Schuld größer sei als die aller Menschen, und dass sie seine Wohltaten nicht mit gebührendem Dank erwidere. Darum opferte sie ihm ihr Herz auf, bereit zu Leiden und Schmerzen aller Art. Ferner berief sie sich auf die Heiligkeit ihres leidenden Bräutigams, auf seine Reinheit und Unschuld sowie auf das Wohlgefallen, welches sein nach dem Herzen Gottes gestaltetes Herz Seiner Majestät bereitete. Sie bat um reiche Segnungen für den hl. Joseph und dankte Gott, dass er einen Mann geschaffen habe, der seiner Gnaden so würdig und so voll von wahrer Heiligkeit sei. Sie lud auch die Engel ein, Gott dafür zu loben und zu preisen. Und indem sie die Herrlichkeit und Weisheit dieser Werke Gottes bei sich erwog, verherrlichte sie dafür den Herrn mit neuen Lobliedern. Einerseits schaute sie nämlich die Leiden und Schmerzen ihres geliebten Bräutigams, und dies erregte in ihr das innigste Mitleid. Anderseits kannte sie seine Verdienste und seine Geduld sowie das Wohlgefallen, welches der Herr daran hatte, und das war für sie Anlass, sich zu freuen und den Herrn zu preisen. Bei allen diesen Vorgängen verrichtete die Himmelskönigin gemäß des ihr verliehenen Lichtes die verschiedensten Akte und Übungen der Tugenden, wie sie eben jenen Vorgängen entsprachen. Und alle diese Akte verrichtete sie auf eine so außerordentlich erhabene Weise, dass sie die englischen Geister mit Bewunderung erfüllte. Noch mehr aber sollten wir unwissende Menschen staunen, wenn wir sehen, wie ein menschliches Geschöpf so viele Dinge zugleich mit höchster Vollkommenheit verrichtet, ohne dass, dabei die geschäftige Sorgfalt Marthas die ruhige Beschauung Marias stört. Die heiligste Jungfrau war hierin den himmlischen Geistern, unseren Schutzengeln ähnlich, welche uns begleiten und beschützen, ohne dabei Gott aus dem Auge zu verlieren. Ja die reinste Jungfrau Maria übertraf die Engel an Aufmerksamkeit auf Gott, obwohl sie zugleich mit den leiblichen Sinnen tätig war, welche den Engeln fehlen. Sie war zwar eine Tochter Adams und Erdenpilgerin, zugleich aber war sie ein himmlischer Geist, dem höheren Teile der Seele nach in Übung der Liebe zu Gott erhoben, während sie dem niederen Teile nach die Liebe zu ihrem heiligen Bräutigam übte.
870. Zuweilen geschah es auch, dass die mitleidsvolle Königin, beim Anblicke der heftigen und großen Schmerzen des hl. Joseph von Mitleid gerührt, mit demütigst erbetener Erlaubnis ihres göttlichen Sohnes den Krankheitsanfällen und ihren natürlichen Ursachen gebot, ihre Wirksamkeit einzustellen und den vom Herrn geliebten Gerechten nicht so heftig zu peinigen. Da alle Geschöpfe ihrer großen Königin gehorchten, so ward der heilige Bräutigam dadurch befreit und erhielt Ruhe, bald für einen Tag, bald für längere Zeit, bis das Leiden nach dem Willen Gottes aufs neue begann. Zu anderen Malen gab Maria als Königin der Engel den himmlischen Geistern, zwar nicht in Form eines Befehls, sondern einer Bitte den Auftrag, dem hl. Joseph in seinen Schmerzen Trost und Stärke zu bringen, soviel seine natürliche Gebrechlichkeit bedurfte. Darauf zeigten sich die Engel dem glücklichen Kranken in sichtbarer, menschlicher Gestalt voll Schönheit und Glanz und sprachen mit ihm von Gott und dessen unendlichen Vollkommenheiten. Manchmal machten sie ihm mit überaus lieblichen und harmonischen Stimmen himmlische Musik und sangen ihm Hymnen und Loblieder zur Ehre des Allerhöchsten vor, so dass Joseph dem Leibe nach erquickt, in seiner reinsten Seele aber von neuer Liebe zu Gott entflammt wurde. Damit die Heiligkeit und der Jubel des glückseligsten Mannes noch erhöht würde, empfing er auch ganz besondere und klare Erleuchtungen, nicht bloß über die ihm selbst verliehenen himmlischen Gnadengaben, sondern auch über die Heiligkeit seiner jungfräulichen Braut, über die Liebe, die sie zu ihm trug, über die innere Freude und Bereitwilligkeit, mit der sie ihn pflegte und bediente, sowie über andere Gnadenauszeichnungen und Vorzüge der großen Herrin der Welt. Dieses alles zusammen brachte im Herzen des hl. Joseph solche Wirkungen hervor und erhob ihn auf eine so hohe Stufe von Verdiensten, dass keine Zunge es auszusprechen und kein menschlicher Verstand, wenigstens in diesem sterblichen Leben, es zu fassen und zu begreifen imstande ist.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
871. Meine Tochter, die Übungen der Liebe zu den Kranken ist eines der gottgefälligsten und für die Seelen fruchtbringendsten Tugendwerke. Durch diese Übung erfüllt man nämlich einen großen Teil jenes vom Naturgesetz auferlegten Gebotes, dass ein jeder seinem Bruder das tue, was er will, dass man ihm tue. Dieser Liebesdienst wird im Evangelium als einer jener Gründe aufgezählt, welche der Herr geltend machen wird, um die Gerechten ewig zu belohnen (Mt 25, 34 ff). Umgekehrt aber wird die Nichterfüllung dieses Gebotes als einer der Gründe angeführt, um derentwillen die Verworfenen verdammt werden. Das Evangelium gibt dort auch den Grund an, warum es also geschehen wird. Weil nämlich alle Menschen Kinder eines und desselben himmlischen Vaters sind, darum betrachtet Gott der Herr alles, was man seinen Kindern und Ebenbildern Gutes oder Böses tut, so, als hätte man es ihm selbst getan, findet ja auch unter den Menschen ein ähnliches Verhältnis statt. Außer dieser allgemeinen Pflicht der Nächstenliebe hast du deinen Ordensschwestern gegenüber noch andere, besondere Verpflichtungsgründe. Du bist ihr Mutter und sie sind Bräute Christi, meines göttlichen Sohnes und Herrn, wie du, haben aber weniger Wohltaten empfangen als du, und darum bist du durch zahlreichere Gründe verpflichtet, ihnen zu dienen und in ihren Krankheiten für sie zu sorgen. Deshalb habe ich dir bereits anderwärts (oben Nr. 671) befohlen, dich als die Krankenwärterin aller zu betrachten, weil du die geringste von allen bist und am meisten Verpflichtungen hast. Du musst aber für diesen Befehl sehr dankbar sein, denn ich übertrage dir damit ein Amt, welches hohe Achtung verdient und groß ist im Hause Gottes. Um diesem Amte nachzukommen, sollst du anderen im Krankendienste nichts auftragen, was du selbst tun kannst. Und was du wegen deiner anderweitigen Beschäftigungen als Oberin nicht tun kannst, das lege dringend denjenigen ans Herz, welchen dieser Dienst vom Gehorsam aufgetragen ist. Abgesehen von diesem Grunde der allgemeinen Nächstenliebe, welche hierbei geübt wird, besteht den Ordensfrauen gegenüber noch ein anderer Grund, sie in Krankheiten mit aller möglichen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu verpflegen, damit sie nämlich nicht aus Traurigkeit und Entbehrung Augen und Herz der Welt zuwenden und an das elterliche Haus zurückdenken. Glaube mir, dass sich auf diesem Weg große Übelstände in Ordensgemeinden einschleichen. denn der Mensch ist von Natur aus dem Leiden so abhold, dass er, wenn er krank ist und dabei des Nötigen entbehren muss, seinen schwersten Verpflichtungen untreu wird.
872. Die Liebe, welche ich meinem Bräutigam Joseph in seinen Krankheiten erwies, soll dir als Sporn und Muster dienen, diese Lehre in allen Stücken gut auszuüben. Die Liebe und auch die Höflichkeit ist recht träge, wenn sie wartet, bis der Notleidende um das, was ihm abgeht, bittet. Ich habe dies nicht abgewartet, sondern habe geholfen, ehe mich Joseph um das Nötige bat. Mit Geist und Herz bin ich der Bitte zuvorgekommen und habe ihn so nicht bloß durch meinen Dienst, sondern auch durch meine liebevolle Aufmerksamkeit getröstet. Ich fühlte das innigste Mitleid mit seinen Schmerzen, trotzdem lobte ich dabei Gott und dankte ihm für die Wohltat, welche er seinem Diener erwies. War ich bemüht, ihm Linderungen zu verschaffen, so geschah dies nicht, um ihm die Gelegenheit zum Leiden zu entziehen, sondern ich leistete ihm Hilfe, damit er dadurch zu fernerem Leiden ermutigt werde und den Urheber alles Guten und Heiligen preise. Zu diesen Tugenden habe ich ihn auch ausdrücklich ermuntert. Mit solcher Zartheit soll man die so edle Tugend der Liebe üben, dass man soviel wie möglich dem Bedürfnis des Kranken und Schwächlichen zuvorkommt, ihm durch mitleidsvolle Ermunterung Mut einflößt und ihm diese Wohltat von Herzen wünscht, ohne dass er dadurch das noch größere Gut des Leidens einbüßt. Lasse dich nicht durch die natürliche Liebe verwirren, wenn deine Schwestern krank werden, wären es auch jene, welche dir am meisten notwendig oder lieb sind. Denn auf solche Weise verlieren gar viele Seelen, sowohl in der Welt als im Kloster, das Verdienst ihrer Bemühungen, wenn sie nämlich Freunde oder Verwandte krank oder gar in Gefahr sehen, so verlieren sie vor Schmerz und falschem Mitleid die Fassung und wollen gewissermaßen die Anordnungen des Herrn tadeln, indem sie sich denselben nicht fügen. In allen diesen Dingen habe ich den Menschen ein Beispiel gegeben, und von dir verlange ich, dass du es vollkommen nachahmst.
FÜNFZEHNTES HAUPTSTÜCK: Tod des hl. Joseph in Gegenwart Jesu und Mariä
Das höchst selige Hinscheiden des hl. Joseph. Einzelne Vorgänge dabei. Unser Heiland Jesus Christus und unsere heiligste Herrin Maria stehen ihm im Tode bei.
873. Die Krankheiten und Leiden des überglücklichen heiligen Joseph hatten bereits acht Jahre gedauert. Seine edelmütige Seele war im Feuerofen der Geduld und Liebe zu Gott von Tag zu Tag reiner geworden, sein Körper aber wurde mit der Zunahme des Alters und der damit verbundenen Gebrechen immer schwächer, seine Kräfte nahmen mehr und mehr ab, und so nahte denn das unvermeidliche Ziel des Lebens, an welchem alle Kinder Adams den Sold des Todes bezahlen müssen. Aber auch die Himmelskönigin war immer sorgfältiger bedacht, ihren Bräutigam mit unermüdlicher Aufmerksamkeit zu pflegen und da sie in ihrer hohen Weisheit wusste, dass seine letzte Stunde sehr nahe sei, begab sie sich zu ihrem göttlichen Sohn und sprach zu ihm: «Allerhöchster Herr und Gott, Sohn des ewigen Vaters, Heiland der Welt ! Durch dein göttliches Licht erkenne ich, dass die von deinem ewigen Willen festgesetzte Todesstunde deines Dieners Joseph herannaht. Bei deiner unendlichen Güte und bei den Erbarmungen, die du von jeher uns erwiesen hast, bitte ich dich, ihm in jener Stunde mit deinem allmächtigen Arme beizustehen, damit sein Tod kostbar sei in deinen Augen (Ps 116, 6), wie sein tugendhaftes Leben dir so wohlgefällig gewesen ist. Möge er im Frieden scheiden, mit der sicheren Hoffnung auf die ewigen Belohnungen für jenen Tag, da du allen Gläubigen die Pforte des Himmels eröffnen wirst. Mein Sohn, sei eingedenk der Liebe und Demut deines Dieners, seiner überaus hohen Verdienste und Tugenden, seiner treuen Sorge für mich. Sei eingedenk, dass der Gerechte deine Majestät und mich, deine geringe Dienerin, im Schweiße seines Angesichtes ernährt hat!»
874. Unser Heiland erwiderte: «Meine Mutter, deine Bitten sind mir wohlgefällig, und die Verdienste Josephs stehen vor meinem Geist. Ich werde ihm jetzt beistehen. Einstens aber werde ich ihm unter den Fürsten meines Volkes einen so erhabenen Sitz anweisen, dass Engel und Menschen darüber staunen und Gott preisen werden. Für niemand werde ich gleiches tun, wie für deinen Bräutigam.» Die große Königin dankte ihrem süßesten Sohn für dieses Versprechen. Während der neun Tage, welche dem Tod des hl. Joseph unmittelbar vorausgingen, waren Jesus und Maria Tag und Nacht an seiner Seite. Nie war er allein, immer war entweder Jesus oder Maria bei ihm. Auf Befehl unseres Herrn machten die heiligen Engel dem glückseligen Kranken an jedem dieser Tage dreimal himmlische Musik, mit Lobliedern zur Ehre Gottes und unter Lobpreisungen des Heiligen. Überdies verbreitete sich in dem armen, aber verehrungswürdigen Hause ein höchst lieblicher und wunderbarer Wohlgeruch, welcher nicht nur dem hl. Joseph, sondern auch allen denjenigen Stärkung bereitete, welche von außen herzukamen - und deren waren es viele -, um sich daran zu erquicken.
875. Am Tage vor seinem Tod hatte der hl. Joseph, durch die genannten Gnaden schon ganz glühend von Liebe zu Gott, noch eine sehr hohe Verzückung. Diese dauerte vierundzwanzig Stunden, während welcher ihm der Herr durch ein Wunder Kräfte und Leben erhielt. In dieser großartigen Verzückung sah er in klarer Anschauung die Wesenheit Gottes. Er schaute nun unverhüllt und ohne Schleier alles, was er bisher im Glauben erkannt hatte, sowohl in Bezug auf die unfassbare Wesenheit Gottes, als über das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung sowie über die streitende Kirche und die ihr anvertrauten Sakramente. Die allerheiligste Dreieinigkeit bestimmte ihn zum Vorläufer des göttlichen Heilandes bei den heiligen Vätern und Propheten der Vorhölle. Sie trug ihm auf, denselben aufs neue ihre Erlösung anzukündigen und sie auf den Besuch des Herrn vorzubereiten, welcher kommen werde, um sie aus dem Schoß Abrahams zur ewigen Ruhe und Seligkeit zu führen. Alles dieses schaute die heiligste Jungfrau Maria in der Seele ihres heiligsten Sohnes auf dieselbe Weise, wie sie die übrigen Geheimnisse schaute. Sie wusste alles, was in ihrem liebevollsten Bräutigam vorging, und für alles brachte die große Königin dem Herrn würdige Danksagung dar.
876. Als der hl. Joseph von dieser Verzückung zurückkam, strahlte sein Gesicht von Schönheit und wunderbarem Glanz. Seine Seele aber war durch die Anschauung der göttlichen Wesenheit ganz in Gott umgewandelt. Dann bat er seine heiligste Braut um ihren Segen. Diese aber bat ihren gebenedeiten Sohn, ihn zu segnen, und unser Herr tat es. Nun kniete die große Königin, die Lehrmeisterin der Demut nieder und bat den hl. Joseph, er möge auch sie als ihr Bräutigam und Haupt segnen. Der Mann Gottes gab, nicht ohne göttlichen Antrieb, der weisesten Braut zum Abschied seinen Segen, um sie zu trösten. Sie aber küsste die Hand, mit welcher er sie gesegnet hatte und bat ihn, in ihrem Namen die heiligen Väter der Vorhölle zu grüßen. Der hl. Joseph, so groß in der Demut, wollte das Testament seines Lebens auch mit dem Siegel dieser Tugend beschließen. Er bat also seine himmlische Braut um Verzeihung für alles, was er als schwacher, irdischer Mensch in ihrem Dienst und in ihrer Hochachtung versäumt habe. Auch bat er, sie möge ihm in dieser Stunde ihren Beistand und ihre Fürsprache nicht entziehen. Ihrem heiligsten Sohn sagte der heilige Bräutigam gleichfalls Dank für alle Gnaden, die er sein ganzes Leben hindurch, insbesondere während der letzten Krankheit, aus seiner freigebigen Hand empfangen hatte. Die letzten Worte, welche Joseph an Maria richtete, lauteten: «Du bist gebenedeit unter allen Frauen, auserkoren unter allen Geschöpfen. Die Engel und Menschen mögen dich loben ! Alle Geschlechter mögen deine Würde kennen und verherrlichen ! Der Name des Allerhöchsten werde durch dich erkannt, erhöht und angebetet in allen künftigen Jahrhunderten ! Ewig sei er gelobt, dass er dich erschaffen hat, so schön in seinen Augen und so schön in den Augen aller seligen Geister ! Ich hoffe, im himmlischen Vaterland deines Anblickes mich zu erfreuen.»
877. Darauf wandte sich der Mann Gottes an unsern Herrn. Er hätte sich gerne auf den Boden niedergekniet, um in dieser Stunde mit tiefster Ehrfurcht zu seinem Gott zu sprechen. Doch der gütigste Jesus kam zu ihm und nahm ihn in seine Arme. Der hl. Joseph aber, sein Haupt auf die Arme Jesu stützend, sprach: «Mein Herr, allerhöchster Gott, Sohn des ewigen Vaters, Schöpfer und Erlöser der Welt, gib deinem Diener, dem Werke deiner Hände, deinen ewigen Segen! Mildester König, verzeihe die Sünden, die ich Unwürdiger in deinem Dienste und in deiner Gesellschaft begangen habe. Ich bekenne und preise dich und sage dir aus dem Grunde meines Herzens ewigen Dank, dass du in deiner unendlichen Güte mich aus allen Menschen auserwählt hast zum Bräutigam deiner wahren Mutter. Mögen deine eigene Majestät und Herrlichkeit mein Dank sein für alle Ewigkeit !» Der Erlöser der Welt gab ihm den Segen und sprach: «Mein Vater, ruhe in Frieden, in der Gnade meines himmlischen Vaters und in meiner Gnade! Bringe meinen Propheten und Heiligen, die dich in der Vorhölle erwarten, die frohe Botschaft, dass ihre Erlösung bereits naht.» Bei diesen Worten Jesu Christi hauchte der höchst beglückte heilige Joseph in den Armen des Heilandes seine Seele aus. Der Sohn Gottes drückte ihm die Augen zu. In demselben Augenblick stimmten die Engelscharen, welche ihren König und ihre Königin umgaben, mit himmlisch schönen und wohlklingenden Stimmen süße Loblieder an. Dann geleiteten sie die heiligste Seele Josephs auf Befehl des Herrn zur Vorhölle der Altväter und Propheten. Dort erkannten alle an dem Glanz der unvergleichlichen Gnadenfülle in ihr den Nährvater und großen Vertrauten des Erlösers der Welt, der deswegen ganz besonderer Verehrung würdig war. Er aber brachte ihnen dem Auftrag des Herrn gemäß die frohe Botschaft, dass ihre Erlösung nahe, und erregte dadurch in der unzählbaren Schar jener Heiligen unnennbare Freude.
878. Es darf nicht mit Stillschweigen übergangen werden, dass der kostbare Tod des hl. Joseph, obwohl ihm langdauernde und schmerzliche Krankheiten vorangingen, doch nicht eine ausschließliche Wirkung der letzteren gewesen ist. Denn bei all seinen Krankheiten hätte er natürlicherweise noch länger leben können, wenn nicht die Wirkungen jenes glühendsten Liebesfeuers, welches in seinem Herzen brannte, hinzugekommen wären. Damit nämlich dieser höchst selige Tod mehr ein Triumph der Liebe als eine Strafe der Sünde sei, hob der Herr die besondere und wunderbare Gnadenwirkung auf, durch welche er die natürlichen Kräfte seines Dieners gegen die verzehrende Gewalt der Liebe bisher geschützt hatte. Sobald diese Gnadeneinwirkung aufhörte, unterlag die Natur. Das Band, welches die heiligste Seele im sterblichen Leib gefangen hielt, zerbrach, und in dieser Trennung besteht ja der Tod. Die Liebe war also die letzte der oben beschriebenen Krankheiten des heiligen Joseph, aber auch die größte und glorreichste, denn mit ihr ist der Tod ein Schlaf für den Leib, für die Seele aber der Anfang des unvergänglichen Lebens.
879. Als die Himmelskönigin ihren Bräutigam tot sah, bereitete sie seinen Leib zur Beerdigung. Sie bekleidete ihn nach damaliger Sitte, ohne dass andere Hände ihn berührten als die ihrigen und die der Engel, welche ihr in sichtbarer Gestalt dabei halfen. Damit die züchtigste Sittsamkeit der jungfräulichen Mutter in nichts verletzt würde, umgab unser Herr den Leichnam des hl. Joseph mit wunderbarem Glanz, der ihn ganz bedeckte, so dass nur das Gesicht sichtbar blieb und die reinste Braut nichts von dem Leib sah, obwohl sie ihn bekleidete. Der von ihm ausgehende Wohlgeruch zog manche Leute an, und sie alle waren höchst erstaunt, ihn so wohlriechend, so schön und biegsam zu finden. Dann wurde der heilige Leib des glorreichen hl. Joseph unter Begleitung von Verwandten und Bekannten und vieler anderer, vor allem aber unter Begleitung des Erlösers der Welt, seiner heiligsten Mutter und einer großen Menge Engel zur allgemeinen Begräbnisstätte getragen.
Bei allen diesen Anlässen und Handlungen bewahrte die weiseste Königin ihre würdige Fassung unverändert. In ihren Zügen und Gebärden war nichts zu bemerken, was eine ungeordnete, unmännliche Erregtheit geoffenbart hätte. Der Schmerz hinderte sie nicht, für alles Vorsorge zu treffen, was zur Beerdigung ihres hingeschiedenen Bräutigams und zur Bedienung ihres heiligsten Sohnes erforderlich war. Alles dies fand Raum genug in dem großen, königlichen Herzen der Beherrscherin der Völker, Dann sagte sie ihrem Sohn, dem wahren Gott, Dank für alle Gnadenvorzüge, die er ihrem heiligen Bräutigam verliehen hatte. Und um die Demut in ihrer ganzen Vollkommenheit und Schönheit zu üben, warf sie sich ihrem allerheiligsten Sohn zu Füßen und sprach: «Herr und Gebieter meines ganzen Wesens, mein wahrer Sohn und Meister ! Die Heiligkeit meines Bräutigams Joseph hat es vermocht, dich bis zur Stunde zurückzuhalten und zu bewegen, deiner ersehnten Gesellschaft uns würdig zu machen. Allein da dein geliebter Diener nunmehr gestorben ist, muss ich fürchten, eine Gnade zu verlieren, deren ich nicht würdig bin. Möge doch, o Herr, deine eigene Güte dich bewegen, mich nicht zu verlassen ! Nimm mich aufs neue als deine Dienerin an und sieh gnädig auf das demütige, ängstliche Verlangen eines Herzens, das dich liebt !» Der Erlöser der Welt nahm diese neue Hingabe seiner heiligsten Mutter gütigst an. Er versprach ihr auch, sie nicht allein zu lassen, bis der Zeitpunkt gekommen sei, wo er im Gehorsam gegen den himmlischen Vater sein Predigtamt anzutreten habe.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
880. Meine liebste Tochter, es ist nicht ohne besonderen Grund geschehen, dass dein Herz mit einem außergewöhnlichen Mitleiden für die Sterbenden und einem besonderen Verlangen, denselben in der Todesstunde beizustehen, erfüllt worden ist. Denn es ist wahr, wie du gesehen hast, dass die Seelen in jener Stunde unglaublichen Nöten und Gefahren ausgesetzt sind, teils von Seiten der bösen Geister, welche sie bestürmen, teils von der eigenen Natur, teils von den Dingen der Welt. Der Tod ist jener Augenblick, in welchem die Akten des Lebens geschlossen und das Endurteil gefällt wird, ein Urteil, welches entscheidet, ob ewiges Leben oder ewiger Tod, ob immerwährende Qual oder unvergängliche Herrlichkeit das Los des Menschen sein werde. Der Allerhöchste, welcher dir dieses Verlangen eingeflößt hat, will dir die Gnade geben, dasselbe tatsächlich auszuführen. Und darum bestärke auch ich dich in eben diesem Verlangen und ermahne dich, mit Aufbietung aller deiner Kräfte mit der Gnade mitzuwirken und hierin sowohl dem Herrn als mir gehorsam zu sein.
So wisse denn, meine Freundin: Sobald Luzifer und die übrigen Knechte der Finsternis aus den Krankheitszuständen eines Menschen und aus anderen natürlichen Ursachen ersehen, dass sich jemand in einer lebensgefährlichen Krankheit befindet, so waffnen sie sich augenblicklich mit all ihrer Bosheit und Hinterlist, um den armen, arglosen Kranken anzufallen und womöglich durch mannigfache Versuchungen zum Fall zu bringen. Und da den bösen Geistern die Frist, in der sie die Seele versuchen können, ausgeht, so trachten sie durch ihre Wut das Fehlende zu ersetzen und durch erhöhte Bosheit zu ergänzen, was ihnen an Zeit gebricht.
881. Zu diesem Zweck kommen sie, heißhungrigen Wölfen gleich, zusammen, um den Zustand des Kranken, sowohl was seine natürlichen Anlagen, als was seine erworbenen Fertigkeiten betrifft, noch einmal auszukundschaften. Sie erforschen seine Neigungen, Gewohnheiten und Sitten und suchen in Bezug auf die Leidenschaften seine schwache Seite zu entdecken, um dann ihre heftigsten Angriffe auf diesen Punkt hinzurichten. Diejenigen, welche eine ungeordnete Anhänglichkeit an das Leben haben, sucht der Satan zu bereden, es sei keine so große Gefahr, oder er verhindert, dass man ihnen die Wahrheit sage. Jene, welche lau und nachlässig im Empfang der hl. Sakramente gewesen sind, macht er auch jetzt lau und gleichgültig und legt ihnen noch größere Hindernisse und Schwierigkeiten in den Weg, damit sie entweder ohne Sakramente sterben oder sie fruchtlos und in schlechter Verfassung empfangen. Anderen flößt er falsche Scham ein, dass sie ihr Gewissen nicht aufdecken und ihre Sünden verschweigen. Andere hält er ab, etwaige Verpflichtungen, die sie noch auf sich haben, einzugestehen, damit so ihr Gewissen nicht in Ordnung komme. Andere, welche die Eitelkeit lieben, sucht er zu bewegen, dass sie selbst in jener letzten Stunde noch mancherlei unnütze und eitle Anordnungen treffen in Bezug auf das, was nach ihrem Tod geschehen soll. Jenen, welche dem Geiz oder der Sinnlichkeit huldigten, sucht er heftige Neigungen zu dem Gegenstand ihrer blinden Liebe einzuflößen. Und so benützt dieser grausame Feind alle bösen Gewohnheiten und Neigungen, um die Sterbenden auf die Dinge der Welt hinzulenken und ihnen die Anwendung der Heilmittel zu erschweren oder unmöglich zu machen. Alle sündhaften Handlungen, welche der Sterbende in seinem Leben begangen und wodurch er sich schlimme Gewohnheiten zugezogen hat, sind für den Feind der Seelen ebenso viele Handhaben oder Waffen, mit denen er in jener fürchterlichen Stunde den Menschen anfällt und bestürmt. Durch jede böse Neigung, die man befriedigte, hat man dem Satan einen Weg gebahnt und einen Pfad eröffnet, auf dem er in die Burg. d. h. in die Seele, eindringen kann. Und hier, im Innern der Seele, strömt er dann seinen Pesthauch aus und erregt dichte Finsternis, - und das ist es eben, was er zu bewirken sucht -, damit die Sterbenden die göttlichen Einsprechungen nicht achten, ihre Sünden nicht wahrhaft bereuen und für ihr schlimmes Leben nicht Buße tun.
882. Im allgemeinen richten die bösen Geister in jener Stunde dadurch große Verheerungen an, dass sie den Kranken die trügerische Hoffnung beibringen, sie würden noch länger leben und könnten dann mit der Zeit jene guten Einsprechungen befolgen, welche ihnen der Herr jetzt durch die Engel zukommen lässt: in dieser Hoffnung werden die getäuscht und gehen verloren. Groß ist ferner die Gefahr in jener Stunde auch für diejenigen, welche in ihrem Leben das Heilmittel der heiligen Sakramente gering geschätzt haben. Diese Geringschätzung, welche sowohl für den Herrn als für die Heiligen sehr beleidigend ist, wird von der göttlichen Gerechtigkeit gewöhnlich damit bestraft, dass solche Seelen sich selbst überlassen werden. Denn weil sie das geeignete Heilmittel nicht zur rechten Zeit angewendet, vielmehr es verachtet haben, so verdienen sie, dass nach den gerechten Gerichten Gottes auch sie in jener letzten Stunde verachtet werden, auf welche sie in törichter Vermessenheit die Sorge um das ewige Heil verschoben haben. Sehr gering ist die Zahl der Gerechten, welche in jener letzten Not nicht mit unglaublicher Wut von der alten Schlange angefallen werden. Wenn aber der Satan in jener Stunde sogar große Heilige zu stürzen versucht, was werden dann erst die Lasterhaften, die Gleichgültigen und jene zu erwarten haben, welche Sünde auf Sünde gehäuft und ihr ganzes Leben damit zugebracht haben, die Gnade und Hilfe Gottes von sich zu stoßen ! Was werden jene zu erwarten haben, welche leer sind an Werken, die sie dem bösen Feind entgegenhalten könnten !
Mein heiliger Bräutigam Joseph war einer von den Bevorzugten, welche in der Todesstunde den Satan nicht sahen und nicht gewahrten: denn als die bösen Geister es versuchten, ihm zu nahen, fühlten sie gegen sich eine große Gewalt, welche sie fern hielt. Überdies wurden sie auch von den heiligen Engeln verjagt und in die Tiefe geschleudert. Da sie sich nun so unterdrückt und um nach deiner Vorstellungsweise zu sprechen, zu Boden geschmettert sahen, waren sie ganz verwirrt, ratlos und außer Fassung. Dies gab die Veranlassung, dass Luzifer eine Versammlung oder ein Konziliabulum hielt, um diesen Vorfall zu beraten, worauf er die Welt durchstreifte, um auszukundschaften, ob etwa der Messias schon gekommen sei. Hiervon wirst du aber später reden (unten Nr. 933 ff).
883. Aus dem Gesagten magst du sehen, wie überaus groß die Gefahr ist, welche der Tod mit sich bringt und wie viele Seelen in jener Stunde verloren gehen, in welcher sowohl die Verdienste wie die Sünden zu wirken beginnen. Ich sage dir nicht, wie viele verloren gehen, denn wenn du von wahrer Liebe zum Herrn beseelt bist, so würdest du vor Schmerz sterben, wenn du es erführst. Die allgemeine Regel aber ist diese, dass auf ein gutes Leben auch ein guter Tod folgt. Ausnahmen sind zweifelhaft, selten und zufällig. Das sichere Mittel aber ist dies, dass man den Anlauf schon von weitem nimmt. Darum ermahne ich dich, täglich schon beim ersten Morgengrauen zu bedenken, dieser Tag könne der letzte für dich sein. Tue dann, wie wenn er es wirklich wäre, denn du weißt nicht, ob er es nicht sein wird. Bereite deine Seele so, dass du den Tod, falls er käme, mit freudigem Angesicht aufnehmen könntest. Verschiebe es keinen Augenblick, deine Sünden zu bereuen und den Vorsatz zu fassen, sie, falls du solche auf dir hast, zu beichten und selbst die geringste Unvollkommenheit zu verbessern. Lasse keinen einzigen Fehler in deinem Gewissen, den man dir vorwerfen könnte und den du noch nicht bereut hättest. Wasche dich ab im Blut meines allerheiligsten Sohnes Jesu Christi und setze dich instand, vor dem gerechten Richter erscheinen zu können, welcher dich über den geringsten Gedanken und über die geringste Regung deiner Seelenkräfte erforschen und richten wird.
884. Damit du aber deinem Verlangen gemäß denjenigen, welche sich in dieser äußersten Gefahr befinden, helfen könnst, mache ich dich auf folgendes aufmerksam: Fürs erste erteile allen, bei denen es dir möglich ist, die gleichen Ratschläge, die ich dir gegeben habe. Sage, sie sollen während ihres Lebens für ihre Seele besorgt sein, wenn sie eines seligen Todes sterben wollen. Überdies musst du jeden Tag ohne Ausnahme in dieser Absicht besondere Gebete verrichten. Flehe mit glühender Andacht und starkem Rufen zum Allmächtigen, dass er die Täuschungen, mit welchen die bösen Geister die Sterbenden und in Todesgefahr Schwebenden bedrücken, zerstreue, ihre Fallstricke vernichte, ihre Pläne vereitle und mit seinem göttlichen Arme alle bösen Geister zuschanden mache. Du weißt: dass ich in dieser Weise für die Sterbenden gebetet habe, und ich will, dass du mich hierin nachahmst. Und damit du den Sterbenden noch wirksamere Hilfe bringen kannst, trage ich dir auf, den bösen Geistern die strengsten Befehle zu erteilen, dass sie sich von ihnen entfernen und sie nicht mehr belästigen. Von dieser Gewalt kannst du gar wohl Gebrauch machen, auch wenn du bei den Sterbenden nicht gegenwärtig bist; ist ja doch der Herr gegenwärtig, in dessen Namen und zu dessen größerer Ehre und Verherrlichung du den bösen Geistern zu befehlen und sie zu verjagen hast.
885. Was deine Schwestern betrifft, so belehre sie, wenn sie in diese Lage kommen, was sie zu tun haben, jedoch ohne sie zu verwirren. Ermahne sie und sei ihnen behilflich, dass sie sich ohne Verzug mit den heiligen Sakramenten versehen lassen und sie überhaupt immer häufig empfangen. Trachte, sie zu ermutigen und zu trösten, indem du mit ihnen von Gott, von göttlichen Dingen und von der Heiligen Schrift redest, damit sie gute Gefühle und Begierden erwecken und für die himmlischen Erleuchtungen und Einflüsse sich bereiten. Befestige sie in der Hoffnung, stärke sie gegen die Versuchungen, zeige ihnen, wie sie denselben siegreich widerstehen sollen, und trachte ihre Versuchungen zu entdecken, noch ehe sie dir diese mitteilen. Gelingt es dir nicht, so wird Gott dich erleuchten, damit du sie erkennst und für eine jede das passende Heilmittel anwendest, denn geistliche Krankheiten sind schwer zu erkennen und schwer zu heilen. Alle diese Ermahnungen musst du als meine teuerste Tochter Gott zuliebe ausführen. Dann werde ich dir von Seiner Majestät verschiedene Vorrechte erlangen sowohl für dich, als für die, welchen du jener schrecklichen Stunde beizustehen verlangst. Sei nicht karg in der Liebe, denn du wirkst hierbei nicht durch deine Kraft, sondern durch die Kraft des Allerhöchsten, welcher selbst in dir wirken will.
SECHZEHNTES HAUPTSTÜCK: Privilegien des hl. Joseph
Alter der Himmelskönigin beim Tod des hl. Joseph. Einige Privilegien des hl. Bräutigams.
886. Die ganze Lebenszeit des glückseligsten aller Männer, des hl. Joseph, betrug sechzig Jahre und einige Tage. Er hatte sich nämlich im Alter von 33 Jahren mit der heiligsten Jungfrau vermählt und etwas mehr als 27 Jahre hatte er in ihrer Gesellschaft gelebt. Bei seinem Tod stand die Himmelskönigin im Alter von 41 und ungefähr einem halben Jahr, denn im Alter von 14 Jahren war sie, wie im 22. Hauptstück des zweiten Buches gesagt wurde, mit dem hl. Joseph vermählt worden. Diese vierzehn Jahre machen mit den 27 Jahren ihres Zusammenlebens 41 Jahre. Dazu kommt noch die Zeit vom achten September bis zum seligen Tode des heiligen Joseph, Die Himmelskönigin besaß damals noch die nämliche körperliche Beschaffenheit und Vollkommenheit wie mit 33 Jahren, denn wie im 13. Hauptstück dieses Buches gesagt wurde, fand bei Maria von jener Zeit an weder eine Abnahme noch ein Altern statt. Sie blieb immer in demselben Zustande der höchsten Vollkommenheit.
Über den Tod des hl. Joseph empfand Maria einen großen natürlichen Schmerz; denn sie liebte ihn nicht bloß als ihren Bräutigam, sondern auch als einen Heiligen von ausgezeichneter Vollkommenheit und als ihren Wohltäter und Beschützer. Dieser Schmerz der weisesten Herrin war geordnet und höchst vollkommen, allein darum doch nicht gering. War ja die Liebe groß, und um so größer, weil Maria die hohe Stufe der Heiligkeit kannte, welche ihr Bräutigam unter den höchsten Heiligen, die im Buch des Lebens und im Geiste Gottes eingeschrieben sind, einnahm. Wenn man nicht ohne Schmerz verliert, was man von Herzen liebt, so ist der Schmerz offenbar um so größer, wenn man etwas verliert, das man sehr geliebt hat.
887. Es gehört nicht zum Plan dieser Geschichte, die erhabene Heiligkeit des hl. Joseph eigens zu beschreiben. Auch habe ich keinen Auftrag dies zu tun, außer soweit es im allgemeinen hinreicht, um die Würde seiner Braut in helleres Licht zu stellen, denn alle Gaben und Gnaden, welche Gott dem glorreichen Patriarchen verliehen hat, sind nächst den Verdiensten Jesu Christi denen der heiligsten Jungfrau Maria zuzuschreiben. Und wenn die Himmelskönigin auch nicht die Verdienstursache oder die werkzeugliche Ursache der Heiligkeit ihres Bräutigams gewesen wäre, so war sie doch jedenfalls der unmittelbare Endzweck. Denn die ganze Fülle von Tugenden und Gnaden, welche der Herr seinem Diener Joseph verliehen hatte, war diesem zugeteilt worden, damit er ein würdiger Bräutigam und Beschützer derjenigen sei, welche der Herr selbst zu seiner Mutter erwählt hatte. Diese Bestimmung des hl. Joseph, sowie die Liebe und Hochschätzung, welche der Herr zu seiner heiligsten Mutter trug, sind der Maßstab, nach welchem die Heiligkeit des hl. Joseph zu bemessen ist. Nach dem, was mir hierüber geoffenbart wurde, muss ich sagen: hätte es auf der Welt einen anderen, vollkommneren und geeigneteren Mann gegeben, so würde der Herr diesen für seine Mutter zum Bräutigam erkoren haben. Da er ihr aber den heiligen Patriarchen Joseph gab, so muss dieser unstreitig der beste gewesen sein, den Gott auf Erden hatte. Und da er ihn zu so hohen Endzwecken erschaffen und vorherbestimmt hatte, so ist kein Zweifel, dass seine allmächtige Hand ihn auch tauglich gemacht und mit Gaben ausgerüstet hat, welche zu seiner Bestimmung im Verhältnisse standen. Diese Verhältnismäßigkeit der Gnadenausrüstung aber, wenn ich mich so ausdrücken darf, musste sich erstrecken auf seine Heiligkeit, seine Tugenden, seine Gaben und Gnaden, sowie auf seine eingegossenen und natürlichen Neigungen.
888. Hinsichtlich der Gnadengeschenke fand ich zwischen diesem großen Patriarchen und den übrigen Heiligen einen Unterschied. Vielen Heiligen wurden nämlich einzelne Gnaden und Vorrechte verliehen, die nicht auf ihre eigene Heiligkeit abzielten, sondern den Zweck hatten, andere Menschen zum Dienste Gottes zu bewegen. Es waren also, wie man sich ausdrückt, «umsonst verliehene Gnaden» (gratiae gratis datae) oder Gaben, welche zur Heiligkeit nicht in unmittelbarer Beziehung standen. Was aber unseren gebenedeiten Patriarchen betrifft, so schlossen alle ihm verliehenen Gaben eine Vermehrung seiner Tugend und Heiligkeit in sich, weil das Amt, worauf jene Gaben abzielten, eine Sache der Heiligkeit und des eigenen Wirkens war. Je heiliger, je engelgleicher er war, um so mehr war er geeignet, der Bräutigam der heiligsten Jungfrau Maria und der Bewahrer des Schatzes und der Geheimnisse des Himmels zu sein. Er musste also ganz und gar ein Wunder der Heiligkeit sein, und er ist dies in der Tat gewesen. Dies Wunder begann schon mit der Bildung seines Leibes im Schoß seiner Mutter. Er wurde durch eine besondere Vorsehung Gottes mit voller Gleichheit der vier Elemente, mit wohlgeordnetem Temperament und den ausgezeichnetsten Eigenschaften gebildet, damit er alsbald einem gesegneten Land gleiche und eine gute Seele mit Neigung zur Tugend bekomme (Weish 8,19). Joseph wurde im Schoß seiner Mutter im siebenten Monate nach seiner Empfängnis geheiligt. Dabei wurde die böse Begierlichkeit (fomes peccati) für die ganze Zeit seines Lebens gebunden, so dass er niemals eine unreine oder ungeordnete Regung hatte. Bei dieser ersten Heiligung erhielt er zwar den Vernunftgebrauch nicht, er wurde nur von der Erbsünde gereinigt. Aber seine Mutter empfand damals eine ungewöhnliche Freude des Heiligen Geistes. Ohne das Geheimnis vollkommen zu verstehen, erweckte sie große Tugendakte und dachte, ihr Kind werde wunderbar sein vor Gott und den Menschen. (Dass der hl. Joseph schon vor der Geburt von der Erbsünde gereinigt wurde, lehren zahlreiche Theologen, wie Carthagena [t. 2. 1. 4. Dom. 3]; A. Soto [De S. Jos. c. 10.]; Salmeron (De inst. Salv. tr. 30. sq.); Bernhardin von Bustis [Marial. p. 4. s. 12]; Gerson usw. Der Herausgeber).
889. Bei seiner Geburt war der hl. Joseph in natürlicher Hinsicht sehr vollkommen und schön. Er erregte bei seinen Eltern und Verwandten eine außerordentliche Freude, ähnlich wie dies bei der Geburt des Täufers der Fall war. Doch war die Ursache davon noch verborgener. Schon im dritten Jahr verlieh ihm der Herr den vollkommensten Gebrauch der Vernunft nebst der eingegossenen Wissenschaft (scientia infusa) und einer Vermehrung der Gnade und der Tugenden. Von da an begann das Kind, Gott durch den Glauben zu erkennen. Aber auch durch den natürlichen Verstand erkannte es ihn als die erste Ursache und den Urheber aller Dinge. Es hatte ein tiefes Verständnis von allem, was man über Gott und dessen Werke sagte. Auch ward es schon von dieser Zeit an hoch erhoben im Gebete der Beschauung und wunderbar in Übung aller Tugenden, welche sein kindliches Alter zuließ. So war denn der heilige Joseph im Alter von sieben Jahren, mit welchem andere den Gebrauch der Vernunft zu erlangen pflegen, in Hinsicht auf Verstand und Heiligkeit bereits ein vollkommener Mann. Er war sanften Charakters, liebevoll, freundlich, aufrichtig. Er zeigte in allem nicht nur heilige, sondern engelhafte Neigungen, wuchs beständig in der Tugend und Vollkommenheit und erreichte so in tadellosem Wandel das Alter, in welchem er sich mit der heiligsten Jungfrau Maria vermählte.
890. In dieser Zeit wurden aber seine Gnadengaben noch vermehrt und verstärkt durch die Fürbitte der Himmelskönigin. Denn Maria flehte inständig zum Allerhöchsten, er möge, wenn er ihr befehle, sich zu vermählen, ihren Bräutigam Joseph heiligen, damit er ihren keuschesten Gedanken und Wünschen zustimme. Der Herr erhörte sie, und seine Allmacht brachte, mit Wissen der heiligsten Jungfrau, in dem Geiste und den Seelenkräften des hl. Joseph so göttliche Wirkungen hervor, dass sie sich nicht in Worten ausdrücken lassen. Er goss ihm die vollkommensten Fertigkeiten aller Tugenden und Gaben ein, ordnete aufs neue alle seine Seelenvermögen, erfüllte ihn mit Gnade und befestigte ihn in ihr auf wunderbare Weise. In der Tugend und Gabe der Keuschheit wurde der hl. Bräutigam über den höchsten der Seraphim erhoben, denn die Reinheit, welche diese ohne Leib besitzen, war ihm im irdischen Leib und im sterblichen Fleisch verliehen, und niemals fand eine unreine Vorstellung von etwas Irdischem und Sichtbarem in seinem Geist Zutritt. Über alles dieses erhaben, unschuldig wie die Tauben, ja wie die Engel, war er würdig vorbereitet, um in der Nähe und Gesellschaft der reinsten unter allen Kreaturen zu verweilen, denn ohne dieses Vorrecht wäre er zu einer so hohen Würde und wunderbaren Auszeichnung nicht tauglich gewesen.
891. In den übrigen Tugenden war der hl. Joseph in ähnlicher Weise bewunderungswürdig und ausgezeichnet, insbesondere in der Liebe. Er befand sich ja an der Quelle, um von dem lebendigen Wasser zu trinken, welches ins ewige Leben hinüberströmt (Joh 4,14), Er war dem Feuerherd der Liebe ganz nahe und empfänglich, von diesem Feuer ohne jeden Widerstand ergriffen zu werden. Das höchste Lob aber, welches der Liebe des seraphischen hl. Joseph gespendet werden kann, ist in dem enthalten, was im vorausgehenden Hauptstück gesagt wurde. Die Liebe Gottes war es nämlich, welche ihn krank machte, sie war das Instrument, das seinen Lebensfaden abschnitt. Sie war es, welche seinen Tod zu einem bevorzugten machte. Denn die süßen Peinen der Liebe übertrafen oder verschlangen sozusagen die Peinen der Natur. Die letzteren vermochten weniger als die ersteren. Und da der Heilige den Gegenstand seiner Liebe, nämlich Christus unsern Herrn und seine heiligste Mutter, so nahe hatte und zu beiden in weit innigerem Verhältnisse stand, als irgendein Sterblicher stehen konnte und stehen kann, so war es unausbleiblich, dass dieses lauterste und treueste Herz in den Anmutungen und Wirkungen einer so wunderbaren Liebe sich auflöste. Gepriesen sei der Urheber so großer Wunder ! Gepriesen sei auch der hl. Joseph, der glücklichste unter den Sterblichen, an welchem sich alle diese Wunder auf würdige Weise vollzogen; er verdient von allen Geschlechtern und Völkern genannt und geehrt zu werden, denn an keinem anderen hat Gott so große Dinge gewirkt, keinem anderen hat er seine Liebe in solcher Weise geoffenbart.
892. Was die Visionen und himmlischen Offenbarungen betrifft, mit denen der hl. Joseph begnadigt wurde, so habe ich im Verlaufe dieser Geschichte bisher manches hierüber berichtet. Es waren aber deren weit mehr, als sich beschreiben lässt. Seine größten Gnadenauszeichnungen sind darin eingeschlossen, dass er der Vertraute der Geheimnisse Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter war, dass er in ihrer Gesellschaft so viele Jahre gelebt, dass er endlich der vermeintliche Vater unseres Herrn und der Bräutigam der Himmelskönigin war. Es sind mir auch einige Privilegien oder Vorrechte geoffenbart worden, welche der Allerhöchste dem hl. Joseph um seiner Heiligkeit willen verliehen hat, zugunsten derjenigen, welche ihn in geziemender Weise als ihren Fürsprecher anrufen. Es sind folgende:
1. Auf seine Fürbitte erlangt man die Tugend der Keuschheit und den Sieg in den Gefahren der sinnlichen Versuchungen.
2. Durch ihn erhält man mächtige Gnadenhilfen, um den Stand der Sünde zu verlassen und zur Freundschaft Gottes zurückzukehren.
3. Durch seine Vermittlung erhält man die Gunst der allerseligsten Jungfrau Maria und eine wahre Andacht zu ihr.
4. Durch ihn erlangen wir die Gnade eines guten Todes und Schutz gegen den Satan in der Todesstunde.
5. Die bösen Geister zittern, wenn sie den Namen Joseph hören.
6. Durch ihn kann man Gesundheit des Leibes und Hilfe in verschiedenen Nöten erhalten.
7. Seine Fürbitte erlangt den Segen der Nachkommenschaft in Familien.
Diese und andere Gnaden verleiht Gott denen, welche ihn durch die Vermittlung des hl. Joseph, des Bräutigams unserer Königin, in gebührender und geziemender Weise darum anflehen. Ich aber möchte alle gläubigen Kinder der heiligen Kirche bitten, große Verehrer des hl. Joseph zu sein. Dann werden sie diese Gnaden an sich selber erfahren, wenn sie auf deren Empfang sich würdig vorbereiten.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
893. Meine Tochter, du hast zwar geschrieben, dass mein Bräutigam Joseph unter den Heiligen und Fürsten des himmlischen Jerusalem einen überaus hohen Rang einnimmt. Jedoch, weder du bist jetzt imstande, seine hocherhabene Heiligkeit zu schildern, noch sind die Sterblichen vermögend, dieselbe zu erkennen, bevor sie zur Anschauung Gottes gelangt sind. Dann werden sie zu ihrer Verwunderung und unter Lobpreis des Herrn dieses Geheimnis schauen. Am jüngsten Tag aber, wenn über alle Menschen Gericht gehalten wird, werden die unseligen Verdammten bitterlich weinen, dass sie ein so mächtiges und wirksames Mittel des Heils, wie es die Fürsprache des hl. Joseph ist, um ihrer Sünden willen nicht gekannt und sich dessen nicht nach Kräften bedient haben, um die Freundschaft des gerechten Richters zu erlangen. Alle Kinder der Welt sind in tiefer Unwissenheit über die Privilegien und Vorrechte, welche der allerhöchste Herr meinem heiligen Bräutigam verliehen hat und über die Macht seiner Fürbitte bei der göttlichen Majestät und bei mir. Ich versichere dir aber, meine liebste Tochter, dass er im Himmel einer der innigsten Vertrauten des Herrn ist und gar viel vermag, um die Strafen der göttlichen Gerechtigkeit von den Sündern abzuhalten.
894. Über dieses Geheimnis hast du große Erkenntnisse und Erleuchtungen erhalten, und es ist darum mein Wille, dass du dem Herrn für diese Gnade recht dankbar seist. Aber auch mir sollst du für diese Wohltat, die ich dir in dieser Hinsicht erweise, dankbar sein. Trachte von heute an, die ganze Zeit deines Lebens hindurch in der Andacht und herzlichen Liebe zu meinem heiligen Bräutigam zuzunehmen. Preise den Herrn, dass er ihn so freigebig mit Gnaden bereichert und mir die Freude gewährt hat, dies zu wissen. In allen deinen Nöten wende dich an seine Vermittlung und bemühe dich, ihm zahlreiche Verehrer zu gewinnen. Insbesondere sollen deine Ordensschwestern sich hierin auszeichnen. Denn um was mein Bräutigam im Himmel bittet, das gewährt der Allerhöchste auf Erden. Große, ja außerordentliche Gnaden sind seinen Bitten und Worten zum Heil der Menschen zugesichert, wenn nur diese sich derselben nicht unwürdig machen. Alle diese Vorrechte stehen im innigen Zusammenhang mit der Unschuld und Vollkommenheit dieses wunderbaren Heiligen und mit seinen großartigen Tugenden. Denn zu diesen hat die göttliche Güte sich herabgeneigt. Um ihrerwillen hat der Herr mit freigebigster Liebe ihn angesehen und hat ihm wunderbare Erbarmungen zugewendet, sowohl für sich, als für alle jene, die seiner Fürsprache sich teilhaftig machen.
SIEBZEHNTES HAUPTSTÜCK: Lebensweise Mariä nach dem Tod des hl. Joseph
Beschäftigungen der seligsten Jungfrau nach dem Tode des hl. Joseph. Einige Ereignisse bezüglich ihrer Engel.
895. Die ganze Vollkommenheit des christlichen Lebens lässt sich auf zwei verschiedene Lebensweisen zurückführen, welche beide in der Kirche anerkannt sind, nämlich auf das aktive oder tätige, und auf das kontemplative oder beschauliche Leben. Zum tätigen Leben gehören die äußeren, körperlichen und überhaupt alle jene Beschäftigungen, welche in den zahlreichen und mannigfachen Verhältnissen des menschlichen Lebens dem Nächsten gegenüber geübt werden. Alle diese Beschäftigungen des tätigen Lebens fallen in das Gebiet der sittlichen Tugenden und empfangen von diesen die ihnen eigene Vollkommenheit. Zum beschaulichen Leben dagegen gehören die inneren Tätigkeiten, d. h. die Tätigkeiten des Verstandes und Willens. Ihr Gegenstand ist höchst edel, geistig und den intellektuellen, vernunftbegabten Geschöpfen eigen. Aus diesem Grund ist das beschauliche Leben vorzüglicher als das tätige. Es ist aber auch an und für sich schon anziehender als dieses, weil es ruhiger, freudenvoller und schöner ist und weil es sich dem letzten Ziel, welches Gott ist, mehr nähert. Es besteht ja in der vollkommensten Erkenntnis und Liebe Gottes und hat darum auch mehr Ähnlichkeit mit dem ewigen Leben im Jenseits, welches ein rein beschauliches ist. Diese beiden Lebensweisen sind versinnbildlicht durch die beiden Schwestern Martha und Maria. Die eine war ruhig und voll innerer Freude, die andere geschäftig und in Unruhe (Lk 10, 41.42). Ferner sind sie versinnbildlicht durch die beiden Schwestern und Bräute Lea und Rachel. Die eine war fruchtbar, aber hässlich und krank an den Augen. Die andere war schön und anmutig, aber anfangs unfruchtbar (Gen 29. 17). So ist nämlich auch das tätige Leben fruchtbarer, aber durch viele und mannigfache Beschäftigungen geteilt und verwirrt. Auch sind seine Augen nicht klar genug, um mit durchdringendem Blick die erhabenen, göttlichen Dinge zu schauen. Das beschauliche Leben dagegen ist sehr schön, wenn auch im Beginn nicht so fruchtbar. Es bringt seine Frucht erst später, mittelst des Gebetes und des verdienstlichen Wirkens, was einen hohen Grad der Vollkommenheit und Freundschaft Gottes voraussetzt, damit der Herr bewogen werde, seine Freigebigkeit auch auf andere Seelen auszudehnen. Seine Früchte aber sind Früchte sehr reichlicher und kostbarer Segnungen.
896. In der Vereinigung dieser beiden Lebensweisen besteht der Gipfelpunkt der christlichen Vollkommenheit. Allein diese Vereinigung ist sehr schwer, wie man an Martha und Maria, an Lea und Rachel sieht. Diese waren nämlich nicht eine, sondern je zwei verschiedene Personen und jede stellte nur die ihr eigene Lebensweise vor. Aber keine vermochte beide zugleich darzustellen, eben weil es schwierig ist, dass eine und dieselbe Person zu gleicher Zeit und in vollkommenem Grad beide Lebensweisen in sich vereinige. Die Heiligen haben es sich viele Mühe kosten lassen, dieses Ziel zu erreichen. Demselben Zweck dienen auch die Anweisungen der Geisteslehrer. Denselben Zweck haben auch die Unterweisungen gelehrter, apostolischer Männer sowie die Beispiele der Apostel und Ordensstifter. Sie alle haben es versucht, die Beschauung mit der Tätigkeit zu verbinden, soweit es ihnen mit der Gnade Gottes möglich war. Allein sie haben immer erkannt, dass das tätige Leben durch seine vielfachen Beschäftigungen mit niedrigeren Gegenständen das Herz zerstreut und beunruhigt, wie ja der Herr zu Martha gesagt hat. So sehr man sich auch bemüht, um sich in Ruhe zu sammeln und zu den erhabensten Gegenständen der Beschauung emporzuschwingen, so kann man dies doch im tätigen Leben nur mit großer Schwierigkeit und bloß für kurze Zeit erreichen, ausgenommen, wenn Gott ein besonderes Privilegium verleiht. Darum haben diejenigen Heiligen, welche sich ganz der Beschauung hingaben, absichtlich Einöden und Wüsteneien aufgesucht, weil diese sich zur Beschauung besonders eignen. Die anderen Heiligen, welche sich zugleich dem tätigen Leben widmeten und durch Predigt und Unterricht am Heile der Seelen arbeiteten, setzten einen Teil der Zeit fest, wo sie sich von den äußeren Beschäftigungen ganz zurückzogen. Zu den übrigen Zeiten teilten sie die Stunden des Tages ab, so dass sie die einen zur Beschauung, andere zur Arbeit verwendeten. Und indem sie beides auf vollkommene Weise taten, erwarben sie auch das Verdienst und den Lohn, welcher beiden Lebensweisen entspricht und dessen Grund und Hauptursache keine andere ist als die Liebe und Gnade,
897. Die seligste Jungfrau Maria allein vereinigte diese beiden Lebensweisen im höchsten Grad der Vollkommenheit. Bei ihr war die erhabenste und glühendste Beschauung durch die äußeren Handlungen des tätigen Lebens nicht im mindesten gestört. In ihr fand sich die Sorgfalt Marthas, aber ohne Verwirrung, ebenso die Ruhe Marias, jedoch ohne äußerliche Untätigkeit. Sie besaß die Schönheit der Rachel und die Fruchtbarkeit der Lea, ja unsere große, weiseste Königin allein verwirklichte, was jene Schwestern vorstellten. Sie diente zwar ihrem kranken Bräutigam und erhielt ihn durch ihre Arbeit. Dasselbe tat sie, wie schon gesagt wurde, ihrem heiligsten Sohn gegenüber. Allein bei diesen Beschäftigungen wurde ihre erhabenste Beschauung niemals unterbrochen, niemals gestört. Sie hatte niemals nötig, eine Zeit zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit zu suchen, um ihr friedvolles Herz zu beruhigen und sich über die höchsten Seraphim zu erheben. Trotzdem richtete sie nach dem Tod des hl. Joseph ihr Leben so ein, dass sie sich nur mit Übungen der inneren Liebe beschäftigte. Sie sah nämlich in dem Inneren ihres göttlichen Sohnes, es sei sein Wille, dass sie die Handarbeit, welche sie bis dahin Tag und Nacht zur Pflege des heiligen Kranken verrichtet hatte, mäßige und statt dessen an den erhabensten Gebeten und Werken des Herrn teilnehme.
898. Der Herr gab ihr auch zu erkennen, es sei zur Beschaffung des mäßigen Lebensunterhaltes, dessen sie fortan bedürften, genügend, wenn sie nur eine kurze Zeit des Tages Handarbeit verrichte. Denn von nun an sollten sie nur einmal und zwar am Abend Speise zu sich nehmen. Aus Liebe zum hl. Joseph hatten sie nämlich bisher eine andere Ordnung eingehalten, indem sie sich in Bezug auf Zeit und Stunde des Essens nach dem Heiligen richteten, um ihm eine Freude zu machen. Von jetzt an aber aßen der Sohn Gottes und seine heiligste Mutter nur einmal, nämlich abends sechs Uhr. Ihre Mahlzeit bestand oft aus bloßem Brot. Sonst fügte die Himmelskönigin auch Früchte, Gemüse oder etwas Fisch hinzu, und letzteres war dann das köstlichste Mahl, welches der König des Himmels und der Erde und seine Mutter einnahmen. Ihre Mäßigkeit war zwar jederzeit sehr groß und ihre Enthaltsamkeit bewunderungswürdig gewesen. Seitdem sie aber allein waren, gingen sie hierin noch weiter und ließen keine Milderung eintreten, außer in Bezug auf die Art der Speisen und die Stunde des Essens. Wenn sie eingeladen waren, so aßen sie, jedoch in geringer Quantität, von dem, was ihnen vorgesetzt wurde, ohne etwas zurückzuweisen, und so befolgten sie schon damals den Rat, welchen der Herr damals den Jüngern gab, als er sie zum Predigen aussandte (Lk 10, 8). Wenn die große Herrin ihrem allerheiligsten Sohn das ärmliche Mahl darreichte, so warf sie sich auf die Knie nieder und bat um Erlaubnis, ihn bedienen zu dürfen. Bisweilen beobachtete sie diese ehrfurchtsvolle Stellung auch dann, wenn sie die Speisen bereitete, waren sie ja dazu bestimmt, dem Sohn Gottes, dem wahren Gott zum Lebensunterhalt zu dienen.
899. Die Gegenwart des hl. Joseph hatte zwar die weiseste Mutter nicht gehindert, ihrem heiligsten Sohn die höchste Ehrfurcht zu bezeigen und, ohne auch nur ein Tüpfchen fehlen zu lassen, alles zu tun, was damals gebührend und angemessen war. Allein dessen ungeachtet verrichtete die große Herrin ihre gewohnten Fußfälle und Kniebeugen nach dem Tod des Heiligen noch öfter als früher. Denn in der bloßen Gegenwart der Engel gestattete sie sich in dieser Beziehung größere Freiheit, als wenn auch ihr Bräutigam, der eben ein Mensch war, sich in ihrer Gegenwart befand. Gar oft lag Maria auf ihrem Angesicht auf der Erde, bis ihr der Herr befahl, sich zu erheben. Sehr oft küsste sie ihm die Füße, zuweilen die Hand, und dies tat sie fast immer unter Tränen tiefster Demut und Ehrerbietigkeit. Überhaupt waren in der Gegenwart Seiner göttlichen Majestät ihre Gebärden und ihre ganze Haltung von der Art, dass dadurch der Geist der Anbetung und der glühendsten Liebe, wovon sie beseelt war, zutage trat. Immer war sie in Abhängigkeit von dem göttlichen Willen ihres Sohnes, immer war sie aufmerksam auf sein Inneres, um ihn nachzuahmen. Sie ließ sich freilich im Dienste und in der Liebe ihres anbetungswürdigen Sohnes keinen Fehler, kein Versehen, keine Unvollkommenheit zuschulden kommen. Gleichwohl befand sie sich ihrem Herrn gegenüber ununterbrochen in einer Haltung, ähnlich derjenigen, oder besser gesagt vollkommener als diejenige, welche der Prophet beschreibt, wenn er sagt, dass die Augen des besorgten Knechtes und der besorgten Magd auf die Hände ihrer Gebieter gerichtet seien, um von ihnen die erwünschte Gnade zu erlangen (Ps 123, 2). Unmöglich ist es, dass ein menschlicher Geist sich die himmlische Weisheit vorstelle, mit welcher unsere Königin so viele und so wunderbare Werke in Gesellschaft des menschgewordenen Wortes verrichtete, während der Jahre, da sie miteinander allein waren, ohne andere Gesellschaft als die der Engel. Diese allein waren Augenzeugen und priesen Gott mit größtem Staunen, da sie sahen, wie ein bloßes Geschöpf zu so hoher Heiligkeit gelangt und ihnen an Weisheit und Reinheit so weit überlegen war. Denn Unsere Liebe Frau allein verrichtete die Werke der Gnade mit der ganzen Fülle der Vollkommenheit.
900. In Betreff der alltäglichen demütigen Verrichtungen, welche im Dienst des menschgewordenen Wortes und in Besorgung des armen Hauswesens vonnöten waren, fand in dieser Zeit zwischen der Königin des Himmels und den heiligen Engeln oft ein anmutiger Wettstreit statt. Denn in diesem Haus war ja niemand, welcher diese Geschäfte hätte verrichten können, außer der himmlischen Herrin und ihren edlen, treuen Untertanen und Dienern, den Engeln, welche voll Bereitwilligkeit und Eifer, in allem behilflich zu sein, ihre Königin in menschlicher Gestalt umstanden. Die große Königin hätte alle demütigen Geschäfte, wie z, B. das Auskehren, das Herrichten der armen Hausgeräte, das Abspülen der Schüsseln und Geschirre, die Besorgung des Hausbedarfs usw. gerne eigenhändig verrichtet, allein die Fürsten des himmlischen Hofes pflegten ihrer Königin hierbei zuvorzukommen. Denn sie waren eben in vollem Sinne «höflich» und, wenn auch nicht demütiger, so doch schneller in der Arbeit als Maria. Zuweilen - und zeitweise auch oft - kam es vor, dass die Himmelskönigin die Engel antraf, wie sie eben jene Arbeiten, die sie selbst tun wollte, bereits verrichteten, weil sie ihrer Herrin zuvorgekommen waren. Allein auf ein Wort ihrer Königin zeigten sich die Engel gehorsam und ließen sie in Ausübung ihres demütigen und liebevollen Verlangens gewähren. Damit aber die Engel diesem ihrem Verlangen nicht entgegentreten möchten, pflegte Maria mit folgenden Worten sie anzureden: «lhr Diener des Allerhöchsten, ihr reinsten Geister, von denen das Licht ausstrahlt, durch welches Gott mich erleuchtet, diese niedrigen Knechtsdienste ziemen eurem beseligten Zustand und eurer Natur nicht. Sie stehen mir zu, Ich bin ein irdisches Geschöpf und nicht nur dies, sondern auch die geringste aus allen Sterblichen, die am meisten dienstpflichtige Dienerin meines Herrn und Sohnes. Überlasst also, meine Freunde, mir die Dienste, die mir zukommen. Denn ich kann dabei Verdienste sammeln, die ihr eurer Würde und eures Standes wegen nicht erwerben könnt. Ich kenne den Wert dieser knechtlichen Arbeiten, welche die Welt geringschätzt. Gott hat mir aber dieses Licht nicht deshalb gewährt, damit ich diese Arbeiten anderen überlasse, sondern damit ich selbst sie verrichte.»
901. «Unsere Königin und Gebieterin,» antworteten hierauf die Engel, «allerdings haben diese Arbeiten in Gottes Augen den hohen Wert, welchen du ihnen beilegst. Allein wenn du auch durch solche Verrichtungen die kostbare Frucht deiner unvergleichlichen Demut einsammelst, so bedenke doch, dass wir gegen den Gott schuldigen Gehorsam fehlen, falls wir dir nicht dienen, wie die höchste Majestät es uns befohlen hat. Auch bist du unsere rechtmäßige Herrin und darum würden wir überdies auch die Gerechtigkeit verletzen, wenn wir einen Dienst versäumten, welcher uns von Gott aus diesem Grund erlaubt ist. Das Verdienst aber, welches dir, o Königin, durch Unterlassung dieser knechtlichen Arbeiten entgeht, wird leicht ersetzt durch die Abtötung, welche es für dich ist, sie nicht verrichten zu können, sowie durch das glühende Verlangen, welches du nach denselben trägst!» Doch die weiseste Mutter entgegnete: «Nein, ihr höchsten, himmlischen Geister es soll dem nicht so sein. Denn achtet ihr euch streng verpflichtet, mir als Mutter eures großen Herrn, dessen Geschöpfe ihr seid, zu dienen, so beachtet auch, dass der Herr mich zu dieser Würde aus dem Staub erhoben hat. Meine Schuld für diese Wohltat ist größer als die eure. Darum muss auch meine Gegenleistung größer sein. Und wollt ihr meinem Sohn dienen, weil ihr von seiner Hand erschaffen seid, so bin ich aus demselben Grunde schuldig, ihm zu dienen. Da ich aber außerdem seine Mutter bin, so muss ich ihn auch als meinen Sohn bedienen. Darum werdet ihr allezeit finden, dass ich mehr Gründe habe als ihr, mich in den Staub zu erniedrigen und je derzeit demütig und dankbar zu sein.»
902. Solcher und ähnlicher Art war der süße und wunderbare Wettstreit, welcher zwischen Maria und ihren Engeln stattfand. Die Palme der Demut blieb aber immer in den Händen der Königin, der Lehrmeisterin der Demut. Von solcher Geheimnissen weiß freilich die Welt nichts und es ist das vollkommen gerecht, denn die Eitelkeit und Hoffart macht sie dessen unwürdig. Möge immerhin die törichte Anmaßung solche demütige und knechtliche Arbeiten und Beschäftigungen für niedrig und verächtlich ansehen, die Fürsten des Himmels schätzen sie hoch, weil sie ihren Wert kennen. Ja die Königin des Himmels und der Erde hat sie gesucht, weil sie dieselben zu schätzen wusste. Doch lassen wir jetzt die Welt mit ihrer Unwissenheit oder ihren Ausflüchten. Sie möge tun, was sie will, denn Demut ist nicht für die, welche stolzen Herzens sind. Das Verrichten niedriger Dienste verträgt sich nicht mit Purpur und feiner Leinwand. Kehren und Spülen geht nicht zusammen mit kostbaren Juwelen und Brokaten. Auch stehen die kostbaren Perlen der Tugenden nicht allen ohne Unterschied an. Wenn aber die Pest weltlicher Hoffart sich auch in die Schule der Demut und Verachtung. d. h. in die Klöster einschleichen sollte, wenn man auch hier jene Übungen der Demut als Schande betrachten sollte, dann können wir nicht umhin zu sagen, dass dies eine schändliche und höchst verwerfliche Hoffart wäre. Wenn wir Ordensleute derlei Handarbeiten und Geschäfte verachten und gleich Weltleuten es für eine Erniedrigung ansehen, sie zu verrichten, wie können wir dann noch den Mut haben, vor den Engeln zu erscheinen ! Wie werden wir es wagen, vor die Augen unserer und ihrer Königin zu treten, welche es sich zur höchsten Ehre rechnete, Werke zu verrichten, welche wir als etwas Verächtliches, Niedriges und Schmähliches ansehen!
903. Meine Schwestern, Töchter dieser großen Königin, zu euch rede ich, die ihr zur Nachfolge Mariä berufen und eingeführt seid in das Haus des Königs unter Freude und wahrem Frohlocken (Ps 45,16) ! Entartet doch nicht von dem glorreichen Titel der Kinder einer solchen Mutter ! Sie, die Königin der Engel und Menschen, hat sich zu diesen geringen und niedrigen Arbeiten herabgelassen, sie kehrte und leistete die niedrigsten Dienste! Was mag dann vor ihren Augen und vor dem Auge Gottes eine Dienerin gelten, welche eitel und hoffärtig ist und die Demut geringschätzt? Ferne sei von unserer Gemeinde solche Verblendung! Lassen wir dieselbe Babylon und seinen Bewohnern ! Ehren wir uns mit dem, was unsere Königin als ihre Ehrenkrone betrachtete. Dagegen gelte es uns als die größte Schande und Schmach, wenn unter uns nicht derselbe Wetteifer stattfindet, welcher zwischen Maria und den Engeln stattfand, wer nämlich in der Demut Sieger bleibe. Drängen wir uns um die Wette zu geringen, knechtlichen Arbeiten, so dass auch wir in unsern heiligen Engeln und getreuen Begleitern jenen Wettstreit anregen, welcher unserer großen Königin und ihrem heiligsten Sohn, unserem Bräutigam, so wohlgefällig ist.
904. Und damit wir einsehen, dass es ohne wahre und gründliche Demut eine Verwegenheit ist, sich an geistlichen und fühlbaren, aber wenig zuverlässigen Tröstungen weiden zu wollen und dass es törichte Vermessenheit wäre, danach Verlangen zu tragen, so lasset uns hinblicken auf unsere himmlische Lehrmeisterin, welche das vollendete Vorbild eines heiligen und vollkommenen Lebens ist. Die demütigen. niedrigen Handarbeiten waren es, mit denen die himmlischen Gnaden und Tröstungen bei der großen Königin abwechselten.
Wenn Maria mit ihrem heiligsten Sohn sich einsam im Gebete befand, so geschah es oftmals, dass die heiligen Engel mit süßen Stimmen und in lieblichen Weisen ihnen zu Ehren jene Hymnen und Loblieder sangen, welche Maria zur Verherrlichung der unendlichen Wesenheit Gottes und zur Ehre des Geheimnisses der Menschwerdung verfasst hatte. Dann pflegte die Himmelskönigin die Engel aufzufordern und zu bitten, ihrem Herrn und Schöpfer zu Ehren diese Lieder zu wiederholen und von Vers zu Vers, chorweise mit ihr abwechselnd, neue Lieder hinzuzufügen. Die Engel gehorchten, voll Verwunderung über die hohe Weisheit ihrer großen Königin, welche immer Neues verfasste und hinzufügte. Wenn sich sodann ihr heiligster Sohn zurückzog und zur Ruhe begab oder wenn er Speise zu sich nahm, pflegte Maria, welche als Mutter ihres Schöpfers liebevoll bemüht war, ihm Freude zu machen, den Engeln den Auftrag zu geben, ihm in ihrem Namen himmlische Musik zu spielen. Der Herr aber ließ dies geschehen, sooft seine weiseste Mutter es anordnete, denn er wollte der glühenden Liebe und tiefsten Ehrfurcht, mit der sie ihm besonders in diesen Jahren diente, keine Schranke setzen. Sollte ich darstellen, was mir hierüber geoffenbart worden ist, so müsste ich nicht bloß sehr weitläufig sein, sondern müsste auch mehr Verstand haben, als ich wirklich besitze. Das wenige, was ich hier angedeutet habe, mag genügen, um sich wenigstens einigermaßen eine Vorstellung von diesen großen Geheimnissen zu bilden und davon Anlass zu nehmen, diese große Herrin und Königin zu verherrlichen und zu preisen. Mögen alle Nationen sie erkennen und bekennen als die Gebenedeite unter allen Geschöpfen und als die würdigste Mutter des Schöpfers und Erlösers der Welt !
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
905. Meine Tochter, bevor du zur Beschreibung anderer Geheimnisse übergehst, musst du zuerst die geheimnisvolle Bedeutung alles dessen verstehen, was mir der Allerhöchste hinsichtlich meines heiligen Bräutigams Joseph aufgetragen hatte. Als ich mich mit ihm vermählte, befahl mir der Herr, meine Lebensordnung hinsichtlich der Mahlzeit und anderer äußerer Werke zu ändern und mich in die Lebensweise des hl. Joseph zu fügen. Denn er war das Haupt und in gewöhnlichen Dingen war ich ihm untergeben. Ganz dasselbe wie ich, tat auch mein heiligster Sohn, der doch wahrer Gott war. Er wollte im äußeren demjenigen untertan sein, den die Welt für seinen Vater hielt. Als aber der hl. Joseph gestorben und wir wieder allein waren, fiel der genannte Grund weg und so kehrten wir wieder zu unserer früheren Ordnung in Bezug auf Essen und Arbeiten zurück. Seine Majestät wollte nicht, dass der hl. Joseph sich nach uns richte, sondern dass wir uns nach ihm richteten, denn so verlangte es meine Stellung nach der gewöhnlichen Ordnung der Dinge. Auch wollte sich der Heiland keiner Wunder bedienen, so dass er sich den gewöhnlichen Geschäften entzogen und der Nahrung enthalten hätte. Der Herr wollte vielmehr in allem als Lehrmeister der Tugenden handeln und alle, Eltern wie Kinder, Kirchenvorsteher und Klosterobere wie Untergebene, die höchste Vollkommenheit lehren. Die Eltern lehrte er, dass sie ihre Kinder lieben, ihnen helfen, sie ernähren, ermahnen, zurechtweisen und mit unermüdlichem Eifer zum Heil führen sollen, die Kinder, dass sie ihren Eltern als den Urhebern ihres Lebens und Daseins Liebe, Hochachtung und Ehrfurcht zeigen und ihnen pünktlich gehorchen sollen. Denn auf diese Weise befolgen die einen wie die anderen das natürliche, göttliche Gesetz, welches gleichfalls diese Vorschriften gibt. Das Gegenteil aber ist etwas Unnatürliches und ein abscheuliches, schreckliches Vergehen. Die Kirchenvorsteher und Klostervorstehenden müssen ihre Untergebenen lieben und sie wie ihre Kinder regieren. Die Untergebenen aber müssen ohne Widerrede gehorchen, auch wenn sie von höherem Stand waren und ausgezeichnetere Eigenschaften besäßen als ihre Vorgesetzten, denn in der Würde steht immer der Vorgesetzte höher, weil er vermöge dieser die Stelle Gottes vertritt. Indes muss die wahre Liebe bewirken. dass alle eins sind.
906. Damit du dir diese große Tugend erwirbst, musst du dich deinen Schwestern und Untergebenen gleichförmig machen und darfst dich nicht durch steifes Verhalten oder andere äußere Unvollkommenheiten verfehlen. Im Verkehr mit ihnen sei offen und einfältig wie die Tauben. Bete, wann sie beten. Iß oder arbeite, wann sie ein gleiches tun. Die Zeit der Erholung bringe bei ihnen zu. Denn die höchste Vollkommenheit in Ordensgemeinden gründet sich darauf, dass man dem Geist des betreffenden Ordens folgt. Tust du dies, so wirst du vom Heiligen Geiste geleitet sein, denn er ist es, welcher wohlgeordnete Kommunitäten regiert. Auf Grund dieser Ordnung magst du dann, was die Enthaltsamkeit betrifft, etwas über das Gewöhnliche tun, indem du dir zwar bei Tisch das gleiche vorsetzen lässt wie die übrigen, allein weniger davon genießest als sie. Was du dir aus Liebe zu deinem Bräutigam und zu mir versagen willst, das versage dir, aber tue es unbemerkt und ohne Aufsehen. Bei den gemeinschaftlichen Übungen sollst du niemals fehlen, außer wenn eine schwere Krankheit dich daran hindert oder wenn der Gehorsam gegen deine Vorgesetzten dich bisweilen anderwärts beschäftigt. Diese Übungen sollst du mit außergewöhnlicher Ehrfurcht, Aufmerksamkeit und Andacht mitmachen, denn bei ihnen wirst du oft der Heimsuchungen des Herrn gewürdigt werden.
907. Dieses Hauptstück soll dir ferner zur Lehre dienen, dass du die guten Werke, welche du zu verrichten vermagst, mit ängstlicher Sorgfalt verbirgst. Folge hierin meinem Beispiel. Ich hätte nicht die geringste Gefahr zu befürchten gehabt, auch wenn ich sie alle in Gegenwart meines heiligen Bräutigams Joseph verrichtet hätte. Allein nichtsdestoweniger wollte ich sie auch in diesem Punkte nach den Vorschriften der Klugheit und Vollkommenheit verrichten, denn das Verborgensein macht die Werke schon an und für sich lobenswerter. Was aber die gemeinschaftlichen und pflichtschuldigen Werke betrifft, so ist bei diesen die genannte Rücksicht nicht zu beobachten. Bei diesen musst du vielmehr ein gutes Beispiel geben und dein Licht leuchten lassen, denn Fehler in diesem Punkte könnten Ärgernis geben und wären ohnedies tadelnswert. Es gibt aber noch viele andere Werke, welche man im Verborgenen, und ohne dass ein menschliches Auge sie bemerkt, verrichten kann. Diese freilich darf man nicht der Gefahr des Bekanntwerdens und der Prahlerei aussetzen. So kannst du, wenn du allein bist, oftmals deine Knie beugen, wie ich es getan habe. Du kannst dich auf dein Angesicht niederwerfen und in den Staub gebeugt die unendliche Majestät des Allerhöchsten anbeten, damit auch der sterbliche Leib, welcher die Seele beschwert (Weish 9,15), als ein wohlgefälliges Opfer Gott dargebracht werde zur Genugtuung für die ungeordneten Regungen, die er gegen Vernunft und Gerechtigkeit sich zuschulden kommen ließ. Ohnedies soll nichts an dir sein, was nicht dem Dienst deines Schöpfers und Bräutigams geopfert und geweiht wäre. Auch soll der Leib durch solche Übungen einigen Ersatz dafür leisten, dass er durch seine irdischen Neigungen und Gebrechen die Seele vielfach beschwert und ihr manche Verluste verursacht hat.
908. In dieser Absicht trachte den Leib immer in strenger Zucht zu halten. Was man ihm gewährt, soll nur dazu dienen, ihn in der Dienstbarkeit der Seele zu erhalten, nicht aber um seine Gelüste und Neigungen zu befriedigen. Töte ihn ab und kasteie ihn, indem du allem sinnlichen Wohlbehagen so sehr abstirbst, dass selbst die Befriedigung der alltäglichen und zum Leben nötigen Bedürfnisse ihm eher Pein als Behagen, eher Bitterkeit als gefährliches Vergnügen bereite. Ich habe dir zwar schon bei anderen Gelegenheiten manches gesagt über den Wert solcher Demütigung und Abtötung, jetzt aber wird dich mein Beispiel noch besser darüber aufklären, wie hoch du jeden Akt der Demut und Abtötung anschlagen sollst. Ich mache es dir jetzt zur Pflicht, dass du keinen solchen Akt versäumst oder gering achtest, vielmehr musst du jeden als ein unschätzbares Kleinod betrachten und dich nach Kräften um es bewerben. Hierin musst du gierig und geizig sein und wie ich es dir früher schon gesagt habe, dich vordrängen, wenn es sich um Verrichtung niedriger Geschäfte handelt. wie z. B. um das Auskehren und Scheuern des Hauses, um die Besorgung der verächtlichsten Geschäfte im ganzen Haus und um den Dienst der Kranken und Notleidenden. Bei allen diesen Verrichtungen sollst du mich als Muster vor Augen haben.Dder Eifer, den ich in solcher Selbstdemütigung an den Tag legte, wird dir zum Sporn sein, so dass du es als eine Freude ansiehst, mich nachzuahmen und als eine Schande, hierin nachlässig zu sein. Wenn diese Fundamentaltugend bei mir so notwendig war, um in den Augen des Herrn, dem ich in meinem ganzen Leben nie ein Missfallen bereitet, nie eine Beleidigung zugefügt habe, Gnade und Wohlgefallen zu finden. Wenn ich mich demütigen musste, um von seiner göttlichen Hand erhöht werden zu können, wie viel mehr wirst dann du nötig haben, dich in den Staub zu beugen und in dein Nichts dich zu versenken, du, die du in Sünde empfangen bist und den Herrn oftmals beleidigt hast ! Versenke dich bis in das Nichts und bekenne, dass du das Dasein, welches der Allerhöchste dir gegeben, schlecht angewendet hast. Auf diese Weise wird dir selbst das Dasein als Mittel dienen, dich tiefer zu demütigen, um den Schatz der Gnade zu finden.
ACHTZEHNTES HAUPTSTÜCK: Fortsetzung
Fortsetzung. Weitere Geheimnisse und Beschäftigungen unserer großen Königin und ihres allerheiligsten Sohnes zu jener Zeit, da sie vor Beginn des öffentlichen Lehramtes Jesu miteinander allein lebten.
909. Viele von den verborgenen Geheimnissen und verehrungswürdigen Mysterien, welche zwischen Jesus und seiner heiligsten Mutter Maria stattfanden, werden, wie bereits anderwärts gesagt wurde (oben Nr. 57. 536. 694. 712), den Auserwählten erst im ewigen Leben zu ihrer akzidentellen Freude geoffenbart werden. Die höchsten und wunderbarsten derselben geschahen in jenen vier Jahren, während welcher Jesus und Maria im Haus zu Nazareth allein miteinander lebten, d. h. in der Zeit, welche vom seligen Tod des hl. Joseph bis zum öffentlichen Auftreten Jesu verstrich. Es ist unmöglich, dass irgendein sterbliches Geschöpf so tiefe Geheimnisse vollkommen durchschaue, um wie viel mehr wird es also mir in meiner Kurzsichtigkeit unmöglich sein, das, was ich darüber geschaut habe, zu offenbaren. Was ich aber darüber sagen werde, wird den Grund davon erkennen lassen.
Die Seele unseres Herrn Jesu Christi war ein überaus klarer, fleckenloser Spiegel, in welchem, wie bereits gesagt wurde, seine heiligste Mutter alle jene wunderbaren Geheimnisse schaute, welche Jesus Christus als Haupt und Stifter der heiligen Kirche, als Wiederhersteller des ganzen Menschengeschlechtes, als Lehrer des ewigen Heils und als Engel des großen Rates ausführte. Er war es, welcher alles, was im Rat der allerheiligsten Dreieinigkeit von Ewigkeit her festgesetzt war, erfüllte und ins Werk setzte.
910. Mit der Ausführung dieses vom ewigen Vater ihm aufgetragenen Werkes war unser Heiland die ganze Zeit seines Lebens, die er auf Erden verweilte, beschäftigt, hatte ihm ja sein ewiger Vater befohlen, es mit der höchsten Vollkommenheit, die er als wahrer Gottmensch ihm geben konnte, auszuführen. Je mehr sich nun unser Heiland seinem Ziel näherte, je mehr die Vollendung eines so erhabenen Geheimnisses herannahte, um so größer war auch die Kraft und Wirksamkeit, mit welcher er seine Weisheit und Macht betätigte.
Die Augenzeugin aller dieser Geheimnisse war unsere große Königin und Herrin Maria: ihr Herz war die sicherste Schatzkammer der Geheimnisse. Bei allen wirkte sie mit ihrem heiligsten Sohn mit als seine Gehilfin in den Werken der Erlösung. Wenn man sich also von der Weisheit der göttlichen Mutter und von den Werken, welche sie gemäß dieser ihrer Weisheit beim Vollzug der Geheimnisse der "Erlösung verrichtete, eine vollkommen richtige Vorstellung machen wollte, müsste man auch alles das verstehen, was unser Heiland Jesus Christus in seiner Weisheit umfasste. Man müsste auch alle seine Werke begreifen und die Liebe und Weisheit verstehen, mit welcher er alle geeigneten Mittel zur Erreichung so erhabener Endzwecke in Anwendung brachte. Bei allem also, was ich über das Wirken der göttlichen Mutter sagen werde - was aber freilich nur wenig ist im Verhältnis zur Wirklichkeit -, muss ich immer die Werke ihres heiligsten Sohnes voraussetzen. Sie war ja seine Gehilfin bei diesen Werken, indem sie ihn dabei als ihr Muster und Vorbild nachahmte.
911. Der Heiland der Welt stand nunmehr im Alter von sechsundzwanzig Jahren. Gleichwie seine heiligste Menschheit in der natürlichen Entwicklung fortschritt und dem Ziel sich näherte, so offenbarte sich auch in wunderbarem Einklang hiermit mehr und mehr die Größe seiner Werke, je näher er der Vollendung des Erlösungswerkes kam. Dieses ganze Geheimnis hat der heilige Evangelist Lukas in jenen Worten zusammengefasst, mit denen er sein zweites Kapitel beschließt: «Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gnade bei Gott und den Menschen (Lk 2, 52).» Unter letzteren ist aber vor allem seine heiligste Mutter zu nennen. Sie sah und begleitete das Zunehmen und Fortschreiten ihres allerheiligsten Sohnes, ohne dass irgend etwas, was der Gottmensch ihr als einem bloßen Geschöpfe mitteilen konnte, vor ihr verborgen geblieben wäre. So schaute unsere große Herrin in dieser Zeit, wie ihr Sohn, der wahre Gott, vom Thron seiner Weisheit herabsah und nicht nur in seiner unerschaffenen Gottheit, sondern auch mit seiner heiligsten menschlichen Seele über alle Sterblichen hinblickte, denen er, wenigstens in zureichendem Maß, die Erlösung erwirken wollte. Er überdachte bei sich selbst die Kraft der Erlösung und den Wert, welchen sie in der Annahme und Schätzung des ewigen Vaters habe. Er bedachte, wie er vom Himmel herabgestiegen war und das bitterste Leiden und den Tod erdulden wollte, um dadurch die Pforten der Hölle den Sterblichen zu verschließen und sie zum ewigen Leben zurückzuführen. Wie dagegen die Sterblichen ungeachtet des Kreuzestodes, den er zu ihrem Heil erdulden wollte, in ihrer Torheit und Herzenshärte die Pforten des Todes mit aller Gewalt wieder öffnen und die Tore der Hölle weiter als vorher aufreißen werden, ganz und gar blind gegen die furchtbare Größe der schrecklichen Qualen, welche die Hölle in sich schließt.
912. In dieser Anschauung und Erwägung empfand die Menschheit unseres Herrn Jesu Christi tiefe Betrübnis und große Beängstigung. Es kam so weit, dass der Herr, wie schon früher gesagt wurde (oben Nr. 695. 848), Blut schwitzte. Der göttliche Meister aber verharrte mitten unter diesen Kämpfen in seinem Gebet für alle, welche erlöst werden sollten. Aus Gehorsam gegen den ewigen Vater verlangte er mit glühendster Liebe, sich als wohlgefälliges Opfer für die Erlösung der Menschen hinzugeben. Denn sollten seine Verdienste und sein Blut auch nicht an allen wirksam werden, so sollte dadurch doch der göttlichen Gerechtigkeit genuggetan, die Beleidigung Gottes gutgemacht und die Strafen gerechtfertigt werden, welche für die Ungläubigen und Undankbaren von Ewigkeit her bereitet sind. Unsere Liebe Frau schaute und erwog diese Geheimnisse mit ihrer hohen Weisheit. Sie nahm teil an der Betrübnis ihres heiligsten Sohnes und fügte dazu ihr mütterliches, schmerzvolles Mitleid, da sie die Frucht ihres jungfräulichen Schoßes so tief betrübt sah. Ja oftmals, während der göttliche Heiland Blut schwitzte, vergoss sie, die sanfteste Taube, blutige Tränen und war von unvergleichlichem Schmerz durchbohrt. Denn nur diese weiseste Königin und ihr göttlicher Sohn vermochten vollkommen nach der Waage des Heiligtums abzuwägen, was es heißt: Gott stirbt an einem Kreuz, um die Hölle zu schließen und auf der andern Seite sind die Sterblichen so verblendeten und harten Herzens, dass sie sich mit Gewalt dem ewigen Tod überliefern.
913. Bei diesen Ängsten erlitt die liebevollste Mutter Ohnmachten, die ohne Zweifel tödlich gewesen wären, wenn Gott sie nicht gestärkt und am Leben erhalten hätte. Zur Belohnung für dieses treue, liebevolle Mitleiden befahl unser gütigster Heiland den Engeln, seine Mutter zu stützen und zu trösten. Manchmal befahl er ihnen auch, ihr himmlische Musik zu machen und jene Loblieder zu singen, welche sie selbst zu Ehren seiner Gottheit und Menschheit verfasst hatte. Zuweilen hielt der Herr selbst seine Mutter in den Armen und ließ sie in neuem Licht erkennen, dass das unheilvolle Gesetz der Sünde samt deren Wirkungen auf sie keine Anwendung finde. Manchmal wurde sie, während sie in den Armen ihres Sohnes ruhte und die Engel ihr voll Verwunderung Loblieder sangen, in hohe Ekstasen versetzt, in denen sie neue und gewaltige Gnadeneinflüsse der Gottheit empfing. Da war denn nach den Worten des Hohenliedes (Hld 2, 5-7) die Einzig-Auserwählte, die Vollkommene, auf die Linke, d. h. auf die Menschheit ihres Sohnes gelehnt und von der Rechten seiner Gottheit umfasst. Da beschwor ihr liebevollster Sohn und Bräutigam die Töchter Jerusalems, seine Geliebte nicht aus dem Schlaf aufzuwecken, bis sie selbst wolle, von diesem Schlaf, welcher ihre Liebeskrankheit heilte. Da staunten die höchsten Geister, als sie sahen, wie Maria, auf ihren geliebten Sohn gelehnt (Hld 8, 5) über sie alle erhoben wurde. Und während sie im bunten Gewand (Ps 45,10) dieser Auszeichnungen zu seiner Rechten stand, verherrlichten sie Maria als die Gebenedeite unter allen Geschöpfen.
914. Bei anderen Gelegenheiten erfuhr die große Königin sehr erhabene Geheimnisse betreffs der Vorherbestimmung der Auserwählten kraft der Verdienste der Erlösung. Sie sah, wie dieselben von Ewigkeit her im Geist ihres göttlichen Sohnes eingeschrieben waren, wie er ihnen seine Verdienste zuwendete und für sie betete, damit der Preis der Erlösung in ihnen wirksam werde, wie endlich die Liebe und Gnade, deren sich die Verworfenen unwürdig machen, den Auserwählten sie je nach ihrer Disposition zugute komme. Sie sah, wie der Herr seine weise Fürsorge besonders auf jene seiner Auserwählten richtete, welche er zu seinem Apostolat und zu seiner Nachfolge berufen sollte. Sie sah, wie er dieselben gemäß seinen tief verborgenen Ratschlüssen um die Fahne seines Kreuzes sammelte, damit sie später dieselbe Fahne durch die ganze Welt hintrügen. Gleichwie nämlich ein guter Oberfeldherr, wenn er eine schwierige Eroberung oder eine gefährliche Schlacht vorhat, in seinem Geist zuvor den Plan entwirft, wie er die verschiedenen militärischen Ämter und BefehlshabersteIlen verteilt und mit Rücksichtnahme auf die Befähigung der einzelnen die tapfersten und tauglichsten seiner Soldaten zu diesen Stellen auswählt und einem jeden den rechten Posten anweist. Ebenso hat auch unser Heiland Jesus Christus getan, als er im Begriff stand, sich die Welt zu erobern und den Satan seiner Gewaltherrschaft zu abzusetzen. Er hat von der Höhe seiner Gottheit herab die neue Armee geordnet, die er sich anwerben wollte. Er erwog, wie er die verschiedenen Ämter, Rangstufen und Würden unter seine tapfersten Kriegshauptleute verteilen und welchen Posten er einem jeden anweisen wolle. Diesen ganzen Kriegsplan mit allen seinen Einzelheiten hatte der Herr in seiner Weisheit und in seinem heiligsten Willen gerade so entworfen, wie er ihn später zur Ausführung brachte.
915. Alles dieses lag klar und offen vor den Augen der weisesten Mutter. Überdies wurden ihr gar viele einzelne Auserwählte mittelst eingegossener Erkenntnisbilder gezeigt, so besonders die Apostel und Jünger und überdies eine große Anzahl derer, welche sowohl am Anfang als im Verlauf der Zeit in die Kirche berufen wurden. Als ihr daher später die Apostel und andere zu Gesicht kamen, waren sie ihr durch die übernatürliche Kenntnis, vermöge welcher sie diese in Gott geschaut hatte, schon bekannt, bevor sie noch mit ihnen redete. Und gleichwie der göttliche Meister, bevor er sie berief, für sie gebetet und ihnen die Gnade der Berufung erfleht hatte, so hatte auch die große Herrin in gleicher Weise für sie gebetet und gefleht. Auf diese Weise trug Maria, die Mutter der Gnade, ihren Teil bei zu all den besonderen Gnadenhilfen, welche die Apostel, bevor sie ihren Meister kannten und hörten, zur Vorbereitung auf ihre Berufung zum Apostelamt empfingen. Und gleichwie unser Heiland in diesen letzten, seinem öffentlichen Auftreten unmittelbar vorausgehenden Jahren mit größerer Inbrunst für die Apostel betete und ihnen höhere und stärkere Erleuchtungen zukommen ließ, so waren in dieser Zeit auch die Bitten der himmlischen Herrin nach Verhältnis inbrünstiger und wirksamer. Und wenn dann nachher die Jünger und andere Berufene zu ihr kamen und ihrem Sohn sich anschlossen, pflegte Maria zu sagen: «Siehe da, mein Sohn und Herr, die Frucht deiner Gebete und deines heiligen Willens.» Dann brachte sie dem Herrn Lob- und Dankgesänge dafür dar, dass sie sein Verlangen erfüllt und diejenigen, welche er von der Welt auserwählt hatte, in seine Schule eintreten sah.
916. Bei Betrachtung und Erwägung solcher Wunder pflegte unsere große Königin von unaussprechlichen Gefühlen der Bewunderung und Lobpreis hingerissen zu werden. Im Jubel ihres Geistes erweckte sie heldenmütige Akte der Liebe und betete die geheimen Ratschlüsse des Allerhöchsten an. Ganz umgewandelt und verzehrt von jenem Feuer, welches von der Gottheit ausströmte, um sich über die ganze Welt zu verbreiten und sie zu entzünden, pflegte Maria bald innerhalb ihres liebeentzündeten Herzens, bald mit lauter und vernehmlicher Stimme also zu sprechen: «O unendliche Liebe ! O Wille von unaussprechlicher, unermesslicher Güte ! Warum kennen dich die Menschen nicht ? Warum verachten und vergessen sie dich ? Warum soll deine Güte so schlecht vergolten werden ? O ihr Mühsale, ihr Leiden, ihr Seufzer, ihr flehentlichen Gebete, Wünsche und Bitten meines geliebten Sohnes, ihr seid kostbarer als alles Gold und Edelgestein, kostbarer als alle Schätze der Welt ! Wer wird so undankbar, so unglücklich sein, dass er euch gering schätzen sollte? O ihr Kinder Adams, wie gerne wollte ich für jeden von euch sterben und zwar mehr als einmal, um eurer Unwissenheit die Augen zu öffnen, euer hartes Herz zu erweichen und euer Unglück zu verhüten !» Nach solch glühenden Anmutungen und Gebeten sprach die glückselige Mutter mit ihrem Sohn mündlich über diese Geheimnisse. Der König der Könige aber tröstete sie und erweiterte ihr Herz, indem er sie wiederum darauf hinwies, welch hohen Wert die Gnade, die Glorie und die großen Verdienste der Auserwählten in den Augen des Allerhöchsten haben, wenn man sie mit der Undankbarkeit und Herzenshärte der Verworfenen vergleicht. Insbesondere stellte er ihr die Liebe vor Augen. welche, wie sie wohl wusste, er selbst und die ganze allerheiligste Dreieinigkeit zu ihr, der himmlischen Herrin, trug und das Wohlgefallen, welches ihre treue Mitwirkung und unbefleckte Reinheit ihm bereitete.
917. Zu anderen Malen belehrte der Herr seine Mutter über das Verhalten, welches sie zu beobachten habe, wenn er einmal sein Lehramt antrete. Er sagte ihr, wie sie mit ihm mitwirken und ihm in allen seinen Werken, besonders in der Regierung der neuen Kirche, zur Seite stehen müsse, wie sie die Fehler der Apostel. z. B. die Verleugnung des Petrus, die Ungläubigkeit des Thomas, die Verräterei des Judas und andere ihr zum voraus bekannten Ereignisse ertragen müsse. Von dieser Zeit an machte sich die besorgte Königin zum Vorsatz, für die Bekehrung des genannten verräterischen Jüngers sich alle Mühe zu geben und sie tat es auch, wie seiner Zeit gesagt werden wird Dass Judas diese Gnaden verachtete und gegen die Mutter der Gnade Hass und Abneigung fasste, dies war der Anfang seines Verderbens.
Über alle diese Geheimnisse wurde die himmlische Herrin von ihrem allerheiligsten Sohn unterrichtet. So groß war die himmlische Weisheit und Wissenschaft, welche der Heiland in ihr niederlegte, dass alles, was man darüber sagen kann, gering ist. Denn nur die Erkenntnis des Herrn konnte größer sein als die Erkenntnis Mariä, während letztere die Weisheit aller Cherubim und Seraphim übertraf.
Nun müssen wir aber bedenken, dass unser Heiland Jesus Christus und seine heiligste Mutter alle diese Gaben der Wissenschaft und Gnade zum Heil der Sterblichen verwendet haben: wir müssen bedenken, dass ein einziger Seufzer Christi unseres Herrn von unschätzbarem Werte für alle Menschen gewesen ist. Und was die Seufzer seiner würdigen Mutter betrifft, so hatten sie freilich so hohen Wert nicht, weil sie die Seufzer eines bloßen Geschöpfes und nicht so unaussprechlich erhaben waren, allein sie galten doch in der Annahme des Herrn mehr als die aller übrigen Geschöpfe. Rechnen wir nun zusammen, was Sohn und Mutter für uns getan haben: den Tod. den unser Heiland nach unerhörten Martern am Kreuz erduldet hat. Dann seine Bitten, seine Tränen, den blutigen Schweiß, den er so oftmals vergossen hat. Ferner alles das, was Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, als Gehilfin und Gefährtin ihres Sohnes sowohl bei den genannten, als bei andern uns unbekannten Geheimnissen vollbracht hat und dies alles für uns ! - O Undank der Menschen! O Herzen von Fleisch, die ihr härter seid als Diamant ! Wo ist unser Verstand ? Wo ist unsere Vernunft ? Wo ist das Mitleid, wo die Dankbarkeit einer Natur, welche, angesteckt und verdorben wie sie ist, von sinnenfälligen Dingen sich hinreißen lässt zur höchsten Hochschätzung dessen, was ihr Verderben und ewigen Tod bringt, dagegen die größte Wohltat, die Wohltat der Erlösung, vergisst und für das Leiden des Herrn, welches ihr ewiges Leben und ewige Ruhe verdient hat, weder Mitgefühl noch Teilnahme kennt ?
LEHRE DER HIMMELSKÖNIGIN
918. Meine Tochter, würdest du, ja würden alle Menschen die Sprache der Engel reden, so könntet ihr doch die Gnaden und Auszeichnungen nicht beschreiben, welche ich in den letzten Jahren, die mein göttlicher Sohn bei mir zubrachte, von der Hand des Allerhöchsten erhalten habe. Diese Werke des Herrn sind gewissermaßen unbegreiflich und darum sind sie auch unaussprechlich für dich, wie für alle Menschen. Da dir aber eine außerordentliche Kenntnis von diesen Geheimnissen verliehen ist, so musst du auch den Allmächtigen loben und preisen für das, was er an mir getan: dass er mich zu unaussprechlicher Würde, zu unaussprechlichen Gnaden aus dem Staub erhoben hat. Allerdings musst du meinen Sohn und Herrn mit Freiheit lieben, als treueste Tochter und liebevolle Braut, nicht eigennützig und gezwungen wie eine Dienerin. Gleichwohl aber sollst du, das will ich, deine Schwäche und dein Vertrauen beleben, indem du dich daran erinnerst, wie süß es ist, Gott zu lieben und «wie süß der Herr» (1 Petr 2, 3) für jene ist, die mit kindlicher Liebe ihn fürchten. O meine liebste Tochter, wenn die Sünden der Menschen der unendlichen Güte Gottes nicht im Weg stünden, die Menschen würden ohne Maß der Tröstung und Gnaden des Herrn sich erfreuen ! Du musst dir, um nach deiner Vorstellungsweise zu reden, denken, der Herr sei gleichsam mit Gewalt zurückgehalten und traurig, dass die Sterblichen dem unermesslichen Drang seiner Liebe widerstehen. Und dies tun sie auch, und zwar in einer Weise, dass sie sich nicht bloß daran gewöhnen, der Süßigkeiten und Tröstungen des Herrn aus eigener Schuld zu entbehren, sondern dass sie es nicht einmal glauben wollen, wenn andere dieser Gnaden teilhaftig werden, die doch der Herr allen ohne Ausnahme mitteilen möchte.
919. Sei also dankbar für alles, was mein göttlicher Sohn beständig für die Menschen getan und gelitten hat, und was ich, wie du gesehen hast, mit ihm getan und gelitten habe. Die Katholiken denken zwar ziemlich oft an das Leiden und Sterben des Herrn, weil die heilige Kirche sie daran erinnert, allein wenige sind bedacht, sich dankbar zu erzeigen, und noch wenigere achten auf die übrigen Werke, welche mein Sohn und ich vollbracht haben. Keine Stunde. keinen Augenblick hat er vorübergehen lassen, ohne seine Gnaden zum Heil der Menschen zu verwenden, um alle von der ewigen Verdammnis zu erretten und sie seiner Glorie teilhaftig zu machen. Diese Werke meines Herrn, des menschgewordenen Gottes, werden namentlich am Tag des Gerichts Zeugnis ablegen gegen die Undankbarkeit und Hartherzigkeit der Gläubigen. Wenn aber du, die du vom Herrn besonders erleuchtet und von mir belehrt bist, dich undankbar erweisest, so wird deine Schuld eine schwerere und deine Schande eine größere sein. Du sollst dankbar sein nicht bloß für so viele Wohltaten, welche Gott dir wie allen anderen erweist, sondern auch für so viele besondere Gnaden, welche du alltäglich empfängst. Hüte dich also von Stunde an vor einer so gefährlichen Undankbarkeit. Entsprich diesen Gnaden als meine Tochter und Schülerin und zögere keinen Augenblick, das Gute und Beste zu tun, sobald du es tun kannst. Achte in allem auf das innere Licht sowie auf die Weisungen der Oberen, der Diener des Herrn. Denn wenn du die einen Gnaden benützest, so darfst du versichert sein, dass der Allerhöchste seine allmächtige Hand auftun wird, um dir andere, noch größere zu verleihen und dich mit seinen Reichtümern und Schätzen zu erfüllen.
NEUNZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus beginnt sein Lehramt. Mitwirkung Mariä
Unser Herr Jesus Christus beginnt allmählich sein Lehramt. Er erteilt einzelne Belehrungen, dass der Messias bereits gekommen sei. Das Mitwirken seiner heiligsten Mutter. Die Hölle wird nach und nach unruhig.
920. Das Feuer der göttlichen Liebe, welches in dem Herzen unseres Erlösers und Lehrmeisters brannte, war bis zur vorherbestimmten, geeigneten Zeit, da es das Gefäß seiner heiligsten Menschheit durchbrechen und durch seine Predigt und die vor den Augen der Menschen gewirkten Wunder sich offenbaren sollte, sozusagen gewaltsam eingeschlossen. Allerdings kann, wie Salomon sagt (Spr 6, 27), niemand Feuer in seiner Brust verbergen, ohne dass seine Kleider brennen und so offenbarte auch unser Erlöser jederzeit jenes Feuer, das er in seinem Herzen trug, denn in allen seinen Werken, die er vom Augenblick seiner Menschwerdung an vollbrachte, drangen wenigstens einige Funken und Strahlen des Feuers aus seinem Herzen hervor. Indes war es doch im Vergleich zu dem, was er seinerzeit zu wirken hatte und im Vergleich zu der unermesslichen Liebesflamme, welche er bis dahin verborgen hielt, immerhin noch gleichsam eingeschlossen und wie zugedeckt. Nun aber war der menschgewordene Gott in das vollkommene Mannesalter eingetreten und hatte sein siebenundzwanzigstes Lebensjahr erreicht. Da schien es, um nach unserer Anschauungsweise zu reden, als sei es ihm nicht mehr möglich, zu widerstehen und die Gewalt seiner Liebe, sowie das Verlangen, im Gehorsam gegen seinen Vater und in der Heiligung der Menschen sich zu offenbaren länger zurückzuhalten. Er litt viel, betete und fastete und ging öfters an die Öffentlichkeit, um mit den Menschen zu verkehren. Oft brachte er ganze Nächte auf Bergen im Gebet zu und war zuweilen zwei oder drei Tage von Hause entfernt, bis er wieder zu seiner heiligsten Mutter zurückkehrte.
921. Während der Herr vom Hause abwesend war, fühlte seine weiseste Mutter mehr und mehr, dass die Zeit seiner Mühsale und Leiden immer näher heranrücke. Ihre Seele und ihr Herz waren schon jetzt von dem Schmerzensschwert durchbohrt, das ihre mitleidsvolle, fromme Liebe ihr bereitete. Vom Feuer der göttlichen Liebe ergriffen, entbrannte sie in zärtlichsten Liebesanmutungen zu ihrem geliebtesten Sohn. Zu jenen Zeiten, da ihr Sohn abwesend war, standen ihr ihre Diener und Untertanen, die heiligen Engel, in sichtbarer Gestalt zur Seite. Die große Herrin drückte ihnen ihren Schmerz aus und sandte sie zu ihrem Sohn und Herrn, damit sie ihr Nachricht bringen möchten über seine Beschäftigungen und Übungen. Die heiligen Engel gehorchten ihrer Königin, und auf die Nachrichten, die sie ihr brachten, nahm Maria von ihrem einsamen Kämmerchen aus an all den Gebeten, Bitten und Übungen teil, welche der allerhöchste König Jesus Christus, verrichtete. Wenn dann der Erlöser nach Hause zurückkehrte, nahm ihn Maria, mit dem Angesicht auf der Erde liegend, auf, betete ihn an und dankte ihm für die Gnaden, die er den Sündern erwiesen hatte. Sie bediente ihn, suchte ihn mit mütterlicher Liebe zu erquicken und bereitete ihm ein ärmliches Mahl, dessen er als wahrer, leidensfähiger Mensch bedurfte. Denn oft kam es vor, dass er zwei, ja drei Tage ohne Ruhe, ohne Schlaf, ohne Nahrung zubrachte. Der heiligsten Mutter waren die Mühsale des Heilandes wohl bekannt. Sie erfuhr sie teils auf die vorhin genannte Weise, teils war es ihr heiligster Sohn selbst, welcher ihr davon Mitteilung machte. Er sagte ihr auch, welche Vorbereitungen er getroffen und welche Gnaden er zahlreichen Seelen, die er über die Gottheit und über das Geheimnis der Erlösung erleuchtet hatte, im Verborgenen mitgeteilt habe.
922. Darauf sprach die große Königin zu ihrem göttlichen Sohn: «Mein Herr, wahres und höchstes Gut der Seelen, Licht meiner Augen, ich sehe, dass deine glühendste Liebe zu den Menschen ohne Rast und Ruhe für ihr ewiges Heil tätig ist. Das ist das eigentliche Amt deiner Liebe, das Werk, das dir vom ewigen Vater auferlegt ist. Deine Worte und Werke sind von unschätzbarem Wert. Sie müssen notwendig die Herzen gar vieler anziehen. Allein, o meine süßeste Liebe, mein Verlangen wäre, dass sich alle Menschen zu dir hinziehen ließen und dass sich alle deine Bemühungen und deine zärtliche Liebe zunutze machten. Siehe hier, o Herr, deine Dienerin. Sie ist von Herzen bereit, sich ganz deinem größeren Wohlgefallen zu weihen und nötigenfalls ihr Leben zu geben, damit in allen Seelen das Verlangen deiner glühendsten Liebe erfüllt werde, welche alles aufbietet, sie zu deiner Gnade und Freundschaft zurückzuführen.» Zu dieser Aufopferung an ihren heiligsten Sohn war die Mutter der Barmherzigkeit angetrieben durch die Gewalt ihrer brennenden Liebe. Denn diese Liebe trieb sie an, zu wünschen und zu sorgen, dass die Werke und die Lehre unseres wahren Heilandes und Lehrmeisters ihre Frucht brächten. Sie, die weiseste Herrin, wusste diese Werke gebührend zu schätzen. Sie kannte ihren Wert und darum hätte sie gewünscht, dass sie an keiner Seele verloren gingen, sondern von allen mit gebührender Danksagung aufgenommen würden. In dieser unaussprechlichen Liebe sehnte sie sich, dem Herrn, oder besser gesagt, den Seelen, welche sein göttliches Wort hören und seine Werke vor Augen sehen sollten, zu helfen, dass sie diese Gnade benützen und das dargebotene Heil nicht verscherzen. Auch wünschte sie, dem Herrn für die Wunderwerke, die er zum Heil der Seelen wirkte, die gebührende Danksagung und Lobpreis darzubringen, was sie in Wirklichkeit auch tat, damit doch alle diese Erbarmungen und Gnaden, sowohl jene, welche wirksam wurden, als auch jene, welche aus Schuld der Menschen unwirksam blieben, mit Dank anerkannt und aufgenommen würden. Die Verdienste, welche unsere große Herrin auf diese Weise sich erwarb, waren ebenso verborgen, als wunderbar. Denn an allen Werken unseres Herrn Jesu Christi hatte sie den innigsten Anteil, nicht allein hinsichtlich der Ursache, weil sie mit dieser in der Kraft ihrer Liebe mitwirkte, sondern auch hinsichtlich der Wirkungen, weil sie im Namen jeder einzelnen Seele in einer Weise wirkte, als ob sie selbst die Gnade empfangen hätte. Doch hiervon wird im dritten Teil ausführlicher die Rede sein.
923. Auf das Anerbieten der liebevollen Mutter antwortete ihr heiligster Sohn: «Meine Mutter und Freundin. Die Zeit ist gekommen, da ich nach dem Willen meines ewigen Vaters einzelne Herzen vorbereiten soll, dass sie das Licht meiner Lehre aufnehmen. Sie sollen erfahren, dass die zum Heil der Menschen vorherbestimmte, gelegene Zeit erschienen ist. Es ist mein Wille, dass du bei diesem Werk meine Gefährtin und Begleiterin seist. Flehe zu meinem Vater, dass er die Herzen der Menschen mit seinem göttlichen Licht leite und anrege, damit sie die Nachricht von der Ankunft ihres Erlösers und Lehrmeisters, die ich ihnen jetzt geben werde, mit gutem Willen aufnehmen.» Diesem Willen unseres Herrn gemäß bereitete die glückseligste Mutter sich vor, ihn auf seinen Reisen zu begleiten und sie tat dies von da an fast jedes Mal wenn er Nazareth verließ. (Der h!. Epiphanius sagt von der allerseligsten Jungfrau: «Fuit perpetua Christi comes, nec ab ejus consortio divulsa.» Der hl. Bernardin von Siena: «Comes individua, nullo fere abfuit itinere.»)
924. Solche Reisen machte der Herr besonders häufig in den drei Jahren, welche dem Antritt seines Lehramtes, also der Zeit, wo er die Taufe empfing und einsetzte, unmittelbar vorausgingen. In dieser Zeit wanderte er oftmals in Begleitung unserer großen Königin durch die Umgegend von Nazareth und gemäß der Weissagung des Propheten Jesajas ���(Jes 9,1), teilweise auch durch das Gebiet des Stammes Nephthali und anderer Stämme. Er verkehrte mit den Menschen und brachte ihnen die Erkenntnis bei, dass der Messias bereits in der Welt erschienen sei und zwar im Reich Israel. Er offenbarte jedoch nicht, dass er selbst der Erwartete sei, denn das erste Zeugnis, dass er der Sohn Gottes sei, war jenes, welches ihm sein Vater am Jordan öffentlich gegeben hat mit den Worten: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe (Mt 3,17).» Also ohne seine Würde im besonderen zu erkennen zu geben, sprach der göttliche Heiland nur im allgemeinen davon, als von einer Sache, die er gewiss wisse. Er wirkte auch keine öffentlichen Wunder und Zeichen, begleitete aber seine Lehren mit innerlichen Eingebungen und Gnaden und bereitete so die Herzen derjenigen, zu welchen er sprach, durch diesen allgemeinen Glauben vor, dass sie später den Glauben im besonderen um so leichter annahmen.
925. Er knüpfte Unterredungen mit denjenigen an, von welchen er in seiner göttlichen Weisheit wusste, dass sie fähig, bereit oder doch nicht ganz indisponiert seien, das Samenkorn der Wahrheit aufzunehmen. Die Unwissendsten erinnerte er an jene Zeichen der Ankunft des Messias, welche allgemein bekannt waren. z. B. an die Ankunft der Könige aus dem Morgenland, den Tod der unschuldigen Kinder und dergleichen mehr. Für die Gelehrten fügte er die Zeugnisse der Propheten bei, die bereits erfüllt waren und erklärte ihnen diese Wahrheit als ihr einziger und wahrer Lehrmeister. Durch all dies bewies er, dass der Messias bereits in Israel sei und so verkündete er das Reich Gottes und den Weg, zu diesem zu gelangen. Da man an seiner heiligsten Person so große Schönheit, Anmut, Güte und Sanftmut, in seinen Worten solche Lieblichkeit gewahrte und da überdies seinen Worten eine verborgene, lebendige Kraft innewohnte und all dies von der Wirksamkeit seiner inneren Gnadenhilfen begleitet war, so war die Frucht dieser wunderbaren Lehren sehr groß. Viele entsagten der Sünde, andere besserten ihr Leben und viele waren über wichtige Geheimnisse unterrichtet, insbesondere darüber, dass der erwartete Messias sich bereits in ihrem Reich befinde.
926. Zu diesen Werken seiner großen Barmherzigkeit fügte unser göttlicher Lehrmeister noch viele andere hinzu. Er tröstete die Traurigen, verschaffte den Bedrückten Erleichterung, besuchte die Kranken und Leidenden, ermunterte die Kleinmütigen, gab den Unwissenden heilsamen Rat, stand den Sterbenden bei, gab vielen im verborgenen die Gesundheit wieder, half großen Nöten ab und leitete alle auf den Weg des Lebens und des wahren Friedens. Alle, die zu ihm kamen oder ihn mit frommem Sinn und unbefangenem Gemüt anhörten, erhielten von ihm eine Fülle von Licht und Gnaden. Kurz, die wunderbaren Werke, welche unser Heiland in diesen drei Jahren vor seiner Taufe und vor seinem öffentlichen Auftreten wirkte, lassen sich weder aufzählen, noch in gebührender Weise schätzen. Indes tat er dies alles ganz im verborgenen, so dass er sehr viele Seelen zum Heil führte, ohne merken zu lassen, dass er der Urheber davon sei. Die heiligste Jungfrau aber war beinahe bei allen diesen Wundern als Zeugin und treueste Gehilfin unseres Herrn zugegen. Und da ihr alles bekannt war, so wirkte sie auch in allem mit und dankte dafür im Namen der von Gottes Barmherzigkeit begnadigten Menschen. Sie brachte dem Allmächtigen Lobgesänge dar und betete für die Seelen, da sie deren Zustand und Nöte kannte. Und diese ihre flehentlichen Bitten waren es, wodurch sie denselben jene Gnaden erlangte. Sie erteilte aber auch persönlich Rat und Ermahnung, ermunterte viele, die Lehre ihres göttlichen Sohnes zu hören und sprach mit ihnen von der Ankunft des Messias. Sie tat dies jedoch mehr bei den Frauen als bei den Männern, sowie sie auch an den Frauen die Werke der Barmherzigkeit ausübte, welche ihr göttlicher Sohn den Männern erwies.
927. Während dieser drei Jahre folgten nur wenige Personen dem göttlichen Heiland und seiner jungfräulichen Mutter nach. Die Zeit war noch nicht gekommen, jemand zur Nachfolge zu berufen. Darum ließ der Herr diejenigen, die er durch göttliches Licht erleuchtet und gebessert hatte, zu Hause zurück. Dagegen waren die heiligen Engel die gewöhnlichen Begleiter Jesu und Mariä. Als treueste Untertanen und besorgte Diener waren sie ihnen allezeit zu Diensten. Zwar kehrten Jesus und Maria bei diesen Wanderungen oft in ihr Haus zu Nazareth zurück. Wenn sie auswärts blieben, waren sie der Dienstleistungen der Himmelsfürsten mehr als sonst bedürftig, denn nicht selten brachten sie die Nacht unter freiem Himmel in ununterbrochenem Gebet zu. Und in diesen Fällen bildeten die Engel über ihnen eine Art Schutzdach, um sie gegen die Ungunst der Witterung einigermaßen zu beschützen. Zuweilen brachten sie ihnen auch einige Nahrung. Manchmal erbaten sich der Herr und seine heiligste Mutter ihre Nahrung als Almosen, wobei sie aber nur eigentliche Lebensmittel, nicht Geld oder sonstige Gaben als Geschenk annahmen. Wenn sie sich auf einige Zeit trennten, indem unser Herr in die Spitäler, Unsere Liebe Frau aber zu kranken Frauen ging, war Maria immer von zahllosen Engeln in sichtbarer Gestalt begleitet. Durch diese Engel verrichtete sie verschiedene Liebeswerke und erhielt durch sie auch Nachricht von den Liebeswerken ihres allerheiligsten Sohnes. Indes will ich die Wunder, die sie wirkten, nicht im einzelnen erzählen, auch nicht die Mühsale und Beschwerden, welche sie auf Reisen, in Herbergen und bei mancherlei Gelegenheiten, in denen der böse Feind sie zu hindern suchte, ausgestanden haben. Es genügt zu wissen, dass der Lehrmeister des Lebens und seine heiligste Mutter arme Pilger waren, dass sie den Weg des Leidens wählten und für unser Heil keine Mühe scheuten.
928. Der göttliche Lehrmeister und seine heiligste Mutter teilten ihre Belehrungen über die Ankunft des Messias in der genannten verborgenen Weise zwar allen Personen ohne Unterschied mit. Indes waren die Armen in dieser Hinsicht bevorzugt, indem ihnen das Evangelium ganz besonders verkündet wurde. Die Armen sind in der Regel besser disponiert. Sie haben gewöhnlich weniger Sünden und größeres Licht und da ihr Geist von Sorgen frei und losgeschält ist, so sind sie der Belehrung zugänglicher. Auch sind sie demütiger und an die Unterwerfung des Verstandes und Willens sowie an andere Tugendwerke mehr gewöhnt. Da nun unser Herr in diesen drei Jahren noch nicht öffentlich predigte und seine Macht noch nicht durch Wunder offenbarte, so näherte er sich mehr den Armen und Demütigen, welche die Wahrheit mit weniger Schwierigkeit annehmen, auch wenn sie nicht mit so großer Kraft der Rede vorgetragen wird. Trotzdem war die alte Schlange auf viele dieser Werke, welche Jesus und Maria verrichteten, sehr aufmerksam. Denn nicht alle diese Werke waren dem Satan verborgen, wenn ihm auch die Macht, mit der sie gewirkt wurden, unbekannt blieb. Er wurde gewahr, dass durch die Ermahnungen Jesu und Mariä viele Sünder sich bekehrten, ihr Leben besserten und sich von seiner tyrannischen Herrschaft lossagten und dass andere große Fortschritte in der Tugend machten. Überhaupt bemerkte er bei allen, welche den Lehrmeister des Lebens hörten, eine große, ungewöhnliche Veränderung.
929. Was aber den Satan am meisten erzürnte, war seine Ohnmacht gegen die Sterbenden, die er auf dem Totenbett noch zu Fall bringen wollte. In jener letzten Stunde nämlich fällt diese grausame und arglistige Bestie die Seelen mit erhöhter Wut an. Nun geschah es aber oft, dass, wenn sich der grausame Drache bei einem Kranken befand, entweder Christus unser Herr oder seine heiligste Mutter dazukam. Dann fühlte der Satan eine gewaltige Kraft, welche ihn samt allen seinen höllischen Genossen in die Tiefe der höllischen Abgründe schleuderte. Wenn aber Jesus und Maria schon vor ihm in das Zimmer des Kranken gekommen waren, so konnten sich die bösen Geister dem Zimmer nicht nahen und vermochten darum dem beglückten Sterbenden nichts anzuhaben. Da nun der Drache die göttliche Kraft gegen sich fühlte, die Ursache derselben aber nicht kannte, so geriet er in eine furchtbare Wut und Raserei und schickte sich an, der Sache abzuhelfen. Was er zu diesem Zweck getan hat, werde ich im nächstfolgenden Hauptstück erzählen, damit das gegenwärtige nicht allzu groß werde.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
930. Meine Tochter, da ich dich über meine und meines allerheiligsten Sohnes geheimnisvolle Werke unterrichte, bist du, wie ich sehe, verwundert, dass so viele derselben bisher unbekannt waren, obwohl sie so mächtig sind, die Herzen der Menschen zu rühren. Aber nicht darüber sollst du dich wundern, dass die Menschen diese Geheimnisse nicht wissen, sondern darüber, dass sie so viele Geheimnisse des Lebens und Wirkens meines und ihres Herrn, die ihnen gar wohl bekannt sind, so sehr vergessen und missachten. Wären sie nicht so schweren Herzens und würden sie mit Interesse die göttlichen Wahrheiten betrachten, dann hätten sie an dem, was sie aus meinem und meines Sohnes Leben wissen, Beweggründe genug, dankbar zu sein. Die Artikel des heiligen katholischen Glaubens und die zahlreichen göttlichen Wahrheiten, wie die heilige Kirche sie lehrt und zu glauben vorstellt wären mächtig genug, um viele Welten zu bekehren. Vermöge dieser Wahrheiten wissen ja die Menschen, dass der eingeborene Sohn des ewigen Vaters sich mit sterblichem Fleisch bekleidet und Knechtsgestalt angenommen hat, um sie durch einen schmählichen Tod am Kreuz zu erlösen. Sie wissen, dass er um den Preis seines eigenen irdischen Lebens ihnen das ewige Leben verdient und von dem Tod der Hölle sie errettet hat. Würde man diese Wohltat zu Herzen nehmen, würden die Sterblichen gegen ihren Gott und Erlöser nicht so undankbar und gegen sich selbst nicht so grausam sein. Kein Einziger würde das ihm dargebotene Heil verschmähen und der ewigen Verdammnis sich überliefern. Darum staune nur, meine Tochter, weine und wehklage ohne Aufhören über den furchtbaren Untergang so vieler Toren, so vieler Undankbaren, welche weder an Gott, noch an ihre Verpflichtung gegen ihn, noch an sich selbst denken !
931. Ich habe dir schon bei einer anderen Gelegenheit (oben Nr. 883) gesagt, dass die Zahl der Unglücklichen, welche verloren gehen, so groß, dagegen die Zahl derer, welche gerettet werden, so klein ist, dass es nicht angeht dir hierüber nähere Aufschlüsse zu geben. Denn wenn du es wüsstest, so müsstest du, falls du eine wahre Tochter der Kirche und eine wahre Braut Christi, meines Sohnes und Herrn bist, vor Schmerz über ein solches Unheil sterben. Dies aber magst du wissen: das ganze Verderben der Seelen und all das Unglück, von welchem das christliche Volk sowohl hinsichtlich seiner Regierung, als hinsichtlich einzelner Missstände heimgesucht ist, mag es nun die Häupter oder die Glieder dieses mystischen Leibes, mag es geistliche oder weltliche Personen betreffen, all dies kommt daher, weil man das Leben Christi und die Geheimnisse der Erlösung vergisst und missachtet. Würde man in dieser Hinsicht Abhilfe treffen und das Andenken an diese Geheimnisse wieder auffrischen und die Dankbarkeit dafür wieder beleben, würden alle Christen als treue und dankbare Kinder ihres Schöpfers und Erlösers sich betragen, würden sie sich mir, ihrer Mittlerin, dankbar erzeigen. Dann würde der Zorn des gerechten Richters besänftigt, dem allgemeinen Verderben würde gesteuert, die Geißeln, von denen die Katholiken getroffen sind, würden abgewendet und der ewige Vater, welcher für die Ehre seines Sohnes gerechterweise eifert und jene Knechte, die den Willen des Herrn kennen, aber nicht erfüllen, mit größerer Strenge züchtigt (Lk 12,47), würde versöhnt werden.
932. Die Kinder der heiligen Kirche sprechen gar viel von der Sünde, welche die ungläubigen Juden begangen haben, als sie ihrem Gott und Herrn das Leben nahmen. Allerdings war diese Sünde sehr schwer und verdiente die Züchtigungen, von denen dieses undankbare Volk heimgesucht ist, gar wohl. Allein die Katholiken sollten bedenken, dass ihre Sünden in gewisser Hinsicht noch ärger sind als die der Juden. Die letzteren waren doch in der Unwissenheit, wenn auch ihre Unwissenheit eine verschuldete war. Auch hat sich der Herr damals freiwillig überliefert, indem er die Mächte der Finsternis wirken ließ, von denen die Juden, freilich aus eigener Schuld, eingenommen waren. Die heutigen Katholiken aber können sich nicht mit Unwissenheit entschuldigen. Sie sind vielmehr mitten im Licht und in diesem Licht erkennen sie deutlich genug die göttlichen Geheimnisse der Menschwerdung und Erlösung. Die heilige Kirche ist gegründet, überall verbreitet und durch Wunder, durch Heilige und durch die Heiligen Schriften erleuchtet. Sie kennt und bekennt Wahrheiten, welche andere nicht zu erkennen vermochten. Und trotz dieser Fülle von Gnaden und Wohltaten, von Licht und Erkenntnis leben dennoch viele wie Ungläubige, oder als hätten sie vor ihren Augen nicht so viele Beweggründe, welche sie aufrütteln und anspornen, so viele Strafgerichte, welche sie schrecken sollten. Wie können sie sich bei dieser Sachlage noch einbilden, die Sünden anderer seien größer und schwerer als die ihrigen? Warum fürchten sie nicht, dass ihre Strafe noch jammervoller sein werde als die Strafe anderer? O meine Tochter, erwäge ernstlich diese Lehre und durchdringe dich mit heiliger Furcht. Demütige dich vor dem Allerhöchsten bis in den Staub und erkenne dich als das geringste aller Geschöpfe. Betrachte die Werke deines Erlösers und Meisters. Opfere sie unter Schmerz und Buße über deine Sünden zu deiner Heiligung auf. Folge meinem Beispiel, wie du es in göttlichem Licht erkennst. Arbeite nicht nur für dich selbst, sondern auch für deine Mitmenschen. Bete für sie, leide für sie, erteile, soweit du kannst, liebevolle Ermahnungen und ersetze so durch Liebe, was die strenge Gerechtigkeit nicht von dir verlangt. Besonderen Eifer zeige für das Wohl derer, die dich beleidigen. Ertrage alle. Erniedrige dich unter die Geringsten und sei eifrigst besorgt, mit feuriger Liebe und festem Vertrauen den Sterbenden Hilfe zu bringen, wie dir aufgetragen worden ist (oben Nr. 884 f).
ZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Luzifer schmiedet Pläne gegen das Erlösungswerk
Luzifer beruft eine Versammlung in der Hölle, um zu beraten, wie die Werke Christi unseres Erlösers und seiner heiligsten Mutter verhindert werden könnten.
933. Seit der Menschwerdung des göttlichen Wortes konnte Luzifer seine tyrannische Herrschaft auf der Welt nicht mehr so ungestört ausüben, wie in den früheren Jahrhunderten. Schon in jener Stunde. da der Sohn des ewigen Vaters vom Himmel herabstieg und im jungfräulichen Schoß Mariä Fleisch annahm, fühlte dieser stark Bewaffnete (Lk 11, 21) eine andere, stärkere Macht, die ihn, wie an seinem Ort gesagt wurde (oben Nr. 130), überwältigte und niederschmetterte. Dasselbe war ihm später widerfahren, als das Jesuskind und seine Mutter in Ägypten einzogen, wie gleichfalls erwähnt wurde (oben Nr. 643). Und noch bei vielen anderen Gelegenheiten war der höllische Drache von unserer großen Königin durch übernatürliche Macht überwunden worden. Zu diesen Ereignissen kamen nun die ungewöhnlichen Werke unseres Herrn, von denen im vorausgehenden Hauptstück die Rede war. Dies alles zusammen flößte der alten Schlange unsägliche Angst und Besorgnis ein, es möchte sich eine andere große Macht auf Erden befinden. Allein das Geheimnis der Erlösung war dem Luzifer so verborgen, dass er, in seiner Wut verblendet, die Wahrheit nicht entdecken konnte, wiewohl er seit seinem Sturz vom Himmel immer in Unruhe und auf der Lauer gewesen war, um auszuforschen, wann und wie das ewige Wort Fleisch annehmen würde. Denn dieses Wunderwerk war es, das seinem Stolz am meisten Furcht einflößte. Diese Furcht hatte ihn bewogen, so oftmals Ratsversammlungen zu halten. wie im Verlaufe dieser Geschichte bereits berichtet wurde und noch berichtet werden soll.
934. Ganz bestürzt über das, was ihm und seinen Dienern von Seiten Jesu und Mariä begegnet war, dachte der böse Feind bei sich selbst nach, mit welcher Macht diese ihn zurückgeworfen und überwältigt hätten, wenn er Sterbende zu verführen suchte oder bei anderen Gelegenheiten, bei denen die Himmelskönigin gegenwärtig war. Allein er vermochte das Geheimnis nicht zu ergründen. Darum beschloss er, seine höchsten, in Bosheit und Arglist am meisten hervorragenden Diener der Finsternis zu Rate zu ziehen. Er ließ darum ein ganz furchtbares Gebrüll in der Hölle vernehmen, das Zeichen, wodurch die bösen Geister sich gegenseitig verständlich machen. Dadurch rief er alle als seine Untergebenen zusammen, und nachdem alle versammelt waren, hielt er an sie folgende Ansprache: «Meine Diener und Gefährten, die ihr allzeit meiner gerechten Partei gefolgt seid. Ihr wisst wohl, dass wir in dem ersten Stand, in welchen der Schöpfer aller Dinge uns versetzte, ihn als den Urheber unseres Daseins anerkannten und ehrten. Da er aber mit Hintansetzung unserer gottähnlichen Schönheit und Erhabenheit uns das Gebot gab, die Person des Wortes in der menschlichen Gestalt, die es annehmen wollte, anzubeten und ihr zu dienen, da haben wir uns seinem Willen widersetzt. Ich wusste zwar wohl, dass diese Ehre ihm als Gott gebühre. Da er aber zugleich Mensch sein sollte, von einer so geringen, tief unter uns stehenden Natur, so konnte ich es nicht ertragen, ihm, unterworfen zu sein und mir verweigert zu sehen, was Gott für diesen Menschen tun wollte. Und nicht nur hat uns Gott geboten, diesen Menschen anzubeten, sondern auch als Herrin eine Frau anzuerkennen, die ein bloßes irdisches Geschöpf und seine Mutter sein sollte. Diese so beleidigende Hintansetzung habe ich und ihr mit mir tief empfunden. Wir haben uns derselben widersetzt und beschlossen, diesem Befehl zu widerstehen. Dafür wurden wir mit dem unglücklichen Zustand und den Qualen gestraft, die wir jetzt tragen. Wir kennen diese Wahrheiten und bekennen sie hier unter uns mit Beben. Allein vor den Menschen dürfen wir dies nicht tun, dies verbiete ich euch, damit sie nicht unsere Unwissenheit und Schwäche erfahren.»
935. «Wenn aber jener Gottmensch und seine Mutter uns Verderben bringen sollen, so muss ihre Ankunft in der Welt offenbar unsere größte Qual und unser größtes Unglück sein. Darum muss ich all meine Macht dagegen aufbieten, um sie zu vernichten, müsste dabei auch die ganze Welt zugrunde gehen. Ihr wisst wie unüberwindlich meine Macht bis jetzt gewesen ist, da ein so großer Teil der Welt mir gehorcht und meinem arglistigen Willen unterworfen ist. Allein seit einigen Jahren habe ich gesehen, dass ihr bei vielen Gelegenheiten überwunden wurdet und eure Kräfte geschwächt sind. Ich selbst fühle eine höhere Macht die mich gleichsam bindet. Ich habe bereits einige Male mit euch die ganze Welt durchstreift, um zu sehen, ob in ihr etwas Neues zu finden sei, dem unsere Niederlage zuzuschreiben wäre, oder ob etwa der dem auserwählten Volke Gottes verheißene Messias gekommen sei. Allein nicht bloß konnten wir ihn auf der ganzen Erde nicht finden. Wir entdeckten nicht einmal sichere Anzeichen seiner, Ankunft, nämlich die Pracht und das Aufsehen, womit er unter den Menschen auftreten wird. Trotzdem befürchte ich, die Zeit möchte nahe sein, da er vom Himmel auf die Erde kommen wird. Wir müssen uns deshalb mit großer Wut anstrengen, um ihn samt der Frau die er zu seiner Mutter erwählen wird, zu vernichten. Wer hierin mehr leistet, dem werde ich zum Dank auch größere Belohnungen erteilen. Bis jetzt finde ich an allen Menschen Sünden und Wirkungen der Sünde. Nirgends entdecke ich die Majestät und Größe, in welcher sich der menschgewordene Gott den Menschen offenbaren wird, um sie zu bewegen, ihn anzubeten und ihm Opfer darzubringen. Dies wird das unfehlbare Zeichen seiner Ankunft in der Welt sein. An diesem Zeichen werden wir ihn erkennen, aber auch daran werden wir ihn erkennen, dass er frei ist von Sünde sowie von den Wirkungen, welche die Sünden in den sterblichen Kindern Adams hervorbringen.»
936. «Eben darum», fuhr Luzifer fort, «ist jetzt meine Verwirrung um so größer. Denn wenn das ewige Wort noch nicht in die Welt gekommen ist, so weiß ich die Ursache der außerordentlichen Dinge, die wir erfahren, nicht zu finden. Ich weiß nicht, von wem die Kraft ausgeht, die uns niederschmettert. Wer hat uns aus ganz Ägypten verjagt? Wer hat die Tempel und Götzenbilder dieses Landes umgestürzt, in denen wir von allen Bewohnern angebetet wurden? Wer überwältigt uns jetzt in Galiläa und der Umgegend und hindert uns, manche Sterbende ins Verderben zu bringen? Wer bewirkt, dass sich so viele von der Sünde und unserer Herrschaft losmachen und dass andere tugendhafter werden und vom Reich Gottes sprechen? Geht es so fort, so kann durch diese unbekannte Macht großes Verderben über uns kommen. Wir müssen dem vorbeugen und aufs neue nachforschen, ob es in der Welt einen großen Propheten oder Heiligen gibt, der uns zu vernichten beginnt. Allein ich entdecke keinen, dem solche Kraft zuzuschreiben wäre. Nur gegen jene Frau, unsere Feindin. trage ich tödlichen Hass, besonders seit wir sie im Tempel und später in ihrem Haus zu Nazareth verfolgt haben. Denn immer wurden wir von der sie schützenden Kraft besiegt und niedergeschmettert. Unserer Bosheit überlegen, hat sie uns unüberwindlichen Widerstand geleistet. Niemals gelang es mir, ihr Inneres zu durchschauen oder ihrer Person etwas anzutun. Sie hat einen Sohn und als dessen Vater starb, stand sie mit diesem ihrem Sohn dem Sterbenden bei. Wir alle aber konnten ihnen nicht nahen. Es sind arme, verachtete Leute. Sie ist eine unbekanntes, schwaches Frauchen. Doch steht mir zweifellos fest, dass Sohn und Mutter gerecht sind, denn ich wollte sie immer zu den gewöhnlichen Lastern der Menschen verleiten. Allein ich konnte bei ihnen niemals die geringste ungeordnete Neigung zustande bringen, während solche bei den Menschen so natürlich und gewöhnlich sind. Ich sehe wohl, dass der allmächtige Gott mir den Stand dieser beiden Seelen, ob sie nämlich gerecht oder Sünder sind, verbirgt. Und diesem Umstand liegt sicher irgendein Geheimnis gegen uns zugrunde. Allerdings ist uns dasselbe auch bei einigen anderen Seelen begegnet, dass uns nämlich ihr Stand verborgen blieb. Allein es geschah doch sehr selten und niemals in dem Grad wie diesmal. Wenn aber auch dieser Mensch der Messias nicht ist, so sind sie jedenfalls Gerechte und unsere Feinde. Und dies ist Grund genug, dass wir sie verfolgen und alles aufbieten, um sie zu Fall zu bringen und zu entdecken, wer sie sind. Folgt mir alle zu diesem Unternehmen mit großem Mut, denn ich werde im Kampf gegen sie der erste sein.»
937. Mit dieser Aufforderung schloss Luzifer seine lange Rede. Er hatte noch andere boshafte Ratschläge erteilt. Allein es ist nicht nötig, dieselben hier anzuführen, da ohnedies im Verlauf dieser Geschichte noch mehreres hierüber gesagt wird, um die Arglist dieser giftigen Schlange aufzudecken. Der Fürst der Finsternis verließ alsbald die Hölle und unzählige Legionen böser Geister folgten ihm. Sie verbreiteten sich über die ganze Welt und durchstreiften dieselbe zu wiederholten Malen. Mit ihrer arglistigen Bosheit forschten sie die Gerechten aus und versuchten jene, welche sie als solche erkannten, indem sie diese wie auch andere Menschen zu den Missetaten reizten, welche sie in ihrer Bosheit ausgesonnen hatten. Allein Christus. unser Herr, die ewige Weisheit, verbarg sich und seine heilige Mutter lange Zeit vor dem hoffärtigen Luzifer, so dass dieser sie nicht eher sehen konnte, als bis der göttliche Heiland in der Wüste war, wo er nach seinem langen Fasten die Versuchung zuließ. Hier war es, wo Luzifer den Herrn versuchte, wie ich an seinem Orte sagen werde (unten Nr. 995).
938. Während in der Hölle dieses Afterkonzil gehalten wurde, richtete unser göttlicher Lehrmeister Jesus Christus, welchem nichts davon entgehen konnte, gegen die Bosheit des Drachen ein eigenes Gebet an den Vater. Unter anderen flehentlichen Bitten brachte der Herr dabei auch die folgenden vor. Er sprach: «Ewiger. allerhöchster Gott, mein Vater! Ich bete dich an und preise deine unendliche und unveränderte Wesenheit. Ich bekenne dich als den Unermesslichen und als das höchste Gut. Deinem göttlichen Willen biete ich mich zum Opfer an, um die höllischen Mächte zu überwinden und zu zertreten und die Pläne der Bosheit, die sie gegen meine Geschöpfe geschmiedet haben, zu vereiteln. Ich will für die Menschen kämpfen gegen meine und ihre Feinde. Durch meine Werke und Siege über den Drachen werde ich den Menschen Kraft zum Kampf verdienen und ihnen ein Beispiel geben, wie sie gegen den Satan kämpfen sollen. Die Macht des Satans wird geschwächt werden, so dass er diejenigen, die mir von Herzen dienen, nicht mehr mit der gleichen Bosheit angreifen kann, wie zuvor. Mein Vater, schütze die Seelen vor den Täuschungen und der Grausamkeit der alten Schlange und ihrer Anhänger. Verleihe den Gerechten die allmächtige Kraft deiner Rechten, auf dass sie durch meine Fürsprache und meinen Tod den Sieg über die gefährlichen Versuchungen Satans erringen.» Unsere große Königin und Herrin erhielt zu gleicher Zeit von den boshaften Ratschlägen Luzifers Kenntnis. In ihrem allerheiligsten Sohn schaute sie alle Vorgänge und auch das Gebet, das der Herr verrichtete. Als seine Gefährtin in diesen Triumphen richtete auch sie dasselbe flehentliche Gebet zugleich mit ihm an den ewigen Vater. Der Allerhöchste aber erhörte dieses Gebet und so erlangten Jesus und Maria bei diesem Anlass große Gnadenhilfen und Belohnungen für alle, welche unter Anrufung ihrer heiligsten Namen gegen den Satan streiten. Der himmlische Vater gab das Versprechen, diese Gnaden erteilen zu wollen, so dass also jeder, der die Namen Jesus und Maria mit Ehrfurcht und Glauben ausspricht, die höllischen Feinde überwältigen kann. Er wird sie in die Flucht schlagen und von sich abhalten in Kraft des Gebetes, welches unser Heiland Jesus Christus und seine heiligste Mutter verrichtet und in Kraft der Siege und Triumphe, welche sie errungen haben. Da nun Jesus und Maria ihren Schutz gegen den stolzen Riesen uns zugesichert und die nötige Kraft uns verdient haben und da uns überdies der Herr in seiner heiligen Kirche noch viele andere besondere Gnadenmittel zu diesem Zweck hinterlassen hat, so haben wir keinerlei Entschuldigung, wenn wir nicht gesetzmäßig und tapfer streiten und das siegreiche Beispiel unseres Heilandes nach Kräften nachahmend, den Satan als einen Feind des ewigen Gottes und als unseren Feind überwinden.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
939. Meine Tochter, beweine allezeit mit bitteren Tränen die Blindheit und Verstocktheit der Sterblichen, welche nicht einsehen und verstehen wollen, welch liebevollen Schutz sie in allen ihren Nöten und Bedürfnissen bei meinem süßesten Sohn und bei mir finden könnten. Mein Herr hat keine Mühe gescheut und keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um ihnen unaussprechliche Schätze zu verdienen. Er hat für sie die unendlichen Reichtümer seiner Verdienste, die wesentliche Frucht seines Leidens und Sterbens in der heiligen Kirche niedergelegt. Er hat ihnen die sicheren Unterpfänder seiner Liebe und seiner Glorie, nämlich leichte und höchst wirksame Mittel der Gnade hinterlassen, damit alle an diesen Gütern teilnehmen und sie zu ihrem Nutzen und ewigen Heile verwenden. Überdies bietet er ihnen seinen und meinen Schutz an. Er liebt sie wie seine Kinder. Er liebkost sie wie seine Freunde. Er ruft sie durch Einsprechungen. Er ladet sie ein durch Wohltaten und wahre Reichtümer. Als gütigster Vater erwartet er sie. Als ihr Hirte sucht er sie. Als Allmächtiger beschützt er sie. Als ein unendlich reicher Herr belohnt er sie. Als mächtiger König regiert er sie. Alle diese und unzählige andere Gnaden, über welche der Glaube sie belehrt, bietet die heilige Kirche ihnen an, sie haben dieselben vor Augen. Aber alle vergessen und verachten sie. Blind, wie sie sind, lieben sie die Finsternis und überliefern sich der rasenden Wut so grausamer Feinde, wie sie dir gezeigt wurden. Sie hören auf ihre Vorspiegelungen, gehorchen ihrer Bosheit, schenken ihren Lügen Glauben und überlassen sich ruhig dem unersättlichen und glühenden Hass dieses Feindes, der auf ihren ewigen Tod ausgeht. Denn dieser grausame Drache hasst sie, weil sie Geschöpfe des Allerhöchsten sind, von dem er besiegt und niedergeschmettert ist.
940. O meine liebe Tochter, schau hin auf eine so beklagenswerte Verblendung der Menschenkinder. Sammle alle deine Geisteskräfte, um zu erwägen, welcher Unterschied sei zwischen Christus und Belial. Er ist größer, als der Abstand zwischen Himmel und Erde. Christus ist das wahre Licht, der Weg und das ewige Leben (Joh 14, 6). Die ihm folgen, die liebt er mit unwandelbarer Liebe. Er bietet ihnen den Himmel an, wo sie seiner Anschauung und Gesellschaft sich erfreuen und einer ewigen Ruhe und Seligkeit teilhaftig werden, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und die in keines Menschen Herz gekommen ist. Luzifer dagegen ist die Finsternis, Lüge, Täuschung, Unseligkeit, ja der Tod selbst. Die ihm folgen, die hasst er und treibt sie, soviel er nur kann, zu allem Bösen an. Das Ende davon wird nichts Geringeres sein als ewige Gluten und grausame Peinen.
Nun mögen die Sterblichen sagen, ob ihnen diese Wahrheiten unbekannt sind. Die heilige Kirche belehrt sie darüber und stellt sie ihnen tagtäglich vor Augen. Wenn sie aber diese Wahrheiten glauben und bekennen, wo ist dann ihr Verstand? Wer hat sie betört? Wer lässt sie auf die Liebe zu sich selbst vergessen? Wer macht sie so grausam gegen sich selbst? O Torheit der Kinder Adams, die du niemals genügend geschildert noch beweint werden kannst! Ihr ganzes Leben lang mühen sich die Menschen ab, in ihre Leidenschaften sich zu verstricken, in den Eitelkeiten sich zu verlieren und dem unauslöschlichen Feuer, dem ewigen Tod und ewigen Untergang sich zu überliefern, gleich als wäre mein heiligster Sohn nicht vom Himmel gekommen, um am Kreuz zu sterben und ihnen dadurch die Erlösung zu verdienen. O möchten sie doch an den Preis der Erlösung denken, dann würden sie begreifen, wie viel das wert ist, was Gott den Herrn soviel gekostet hat, ihn, der in der Wertschätzung sich nicht täuschen kann !
941. Wenn die Heiden und Götzendiener diesem höchst unseligen Irrtum verfallen, so ist ihre Schuld nicht so schwer, und der Zorn des Allerhöchsten über sie ist nicht so groß, als über die Gläubigen, die Kinder der heiligen Kirche, welche das Glück haben, das Licht dieser Wahrheit zu sehen. Ist aber in gegenwärtiger Zeit dieses Licht gar sehr schnell verdunkelt und vergessen, so mögen die Gläubigen wissen und erkennen, dass dies ihre eigene Schuld ist, weil sie dem Luzifer, ihrem Feinde, die Hand geboten haben. In seiner unersättlichen Bosheit geht der Satan auf nichts so sehr aus, als darauf, den Menschen diesen Zügel zu nehmen. Er macht, dass sie die letzten Dinge und die ewigen Qualen, die ihrer warten, vergessen, damit sie unvernünftigen Tieren gleich sich den sinnlichen Vergnügungen hingeben, an sich selbst nicht denken, ihr ganzes Leben lang eitlen Scheingütern nachjagen und, wie Job sagt (Job 21,13), in einem Augenblick zur Hölle fahren, wie das in der Tat zahllosen Toren begegnet, welche die Erkenntnis dieser Wahrheiten und die Zucht von sich stoßen.
Du aber, meine Tochter, lass dich belehren durch meinen Unterricht und halte dich fern von einem so unheilvollen Irrtum, von einer so allgemeinen Verblendung, wie sie unter den Weltkindern herrschend ist. Immer möge in deinen Ohren ertönen das verzweiflungsvolle Jammergeschrei der Verdammten, welches seinen Anfang nehmen wird am Ende ihres Lebens und beim Beginn ihres ewigen Todes, und welches lauten wird: «Wir Toren hielten das Leben der Gerechten für Unsinn ! Siehe, wie sie unter die Kinder Gottes gezählt sind und ihr Los unter den Heiligen ist ! So haben wir uns also verirrt vom Weg der Wahrheit, und das Licht der Gerechten leuchtete uns nicht ! Wir sind müde geworden auf dem Weg der Bosheit und des Verderbens und wandelten harte Wege. Aber den Weg des Herrn erkannten wir nicht (durch unsere eigene Schuld). Was half uns der Stolz? Was nützte uns des Reichtums Prahlerei? Alles das ging für uns vorüber wie ein Schatten (Weish 5, 4 ff). O wären wir niemals geboren !»
Dies ist es, meine Tochter, was du zu fürchten hast. Dies ist es, worüber du in deinem Herzen nachdenken sollst. Sieh dich vor und bedenke, was du Böses zu meiden und Gutes zu tun hast. Ehedenn du hingehst, wie Job sagt (Job 10, 21), und nicht wiederkehrst, hin in das finstere Land der ewigen Abgründe. Tue jetzt, so lange du noch lebst, und zwar aus Liebe, was die Verworfenen aus Verzweiflung und genötigt durch die Gewalt ihrer Pein aus der Hölle dir zurufen !
EINUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Der hl. Johannes der Täufer empfängt durch Maria große Gnaden. Er wird gerufen zu predigen
Der heilige Johannes empfängt von Maria große Gnaden. Er erhält vom Heiligen Geiste die Weisung, zu predigen. Er sendet vorher Unserer Lieben Frau ein Kreuz, das er bisher hatte.
942. Ich habe in diesem zweiten Teil bereits einige außerordentliche Gnaden namhaft gemacht, welche die heiligste Jungfrau während ihres Aufenthaltes in Ägypten und auch nachher noch ihrer Base Elisabeth und dem heiligen Johannes erwiesen hat, insbesondere damals, als Herodes den Beschluss fasste, die unschuldigen Kinder zu ermorden (oben Nr. 676). Ich habe auch gesagt, dass der Vorläufer unseres Herrn nach dem Tod seiner Mutter in der Einsamkeit der Wüste blieb, bis zu dem von der göttlichen Weisheit festgesetzten Zeitpunkt. Hier in der Wüste führte Johannes ein mehr engelhaftes als menschliches Leben. Er lebte mehr wie ein Seraph, als wie ein Erdenpilger. Sein Verkehr war mit den Engeln und mit dem Herrn alles Erschaffenen. Dies war sein einziger Umgang, seine einzige Beschäftigung. Dabei war er aber niemals müßig. Ununterbrochen übte er die Liebe und jene heldenmütigen Tugenden, deren Übung er schon im Schoß seiner Mutter angefangen hatte. Keinen Augenblick war die Gnade in ihm müßig und untätig, nie fehlte seinen Werken die höchste Vollkommenheit, die er mit Aufbietung aller seiner Kräfte ihnen verleihen konnte. Niemals waren für ihn die Sinne ein Hindernis der Vollkommenheit. Sonst sind nämlich die Sinne gewöhnlich die Fenster, durch welche der Tod, in die trügerische Schönheit der Geschöpfe gekleidet, in die Seele eindringt (Jer 9, 21). Beim hl. Johannes waren die Sinne von den irdischen Dingen abgewendet.
Und da der große Heilige so glücklich war, von dem Licht Gottes früher erleuchtet zu werden als von dem Licht der körperlichen Sonne, so übergab er alles, was letztere ihm darstellen konnte, mit Hilfe des göttlichen Lichtes der Vergessenheit, so dass sein Geistesauge unbeweglich und unverwandt auf den edelsten Gegenstand gerichtet war, den es geben kann, nämlich auf die Wesenheit Gottes und seine unendlichen Vollkommenheiten.
943. Die außerordentlichen Gnaden, welche der hl. Johannes in seiner Einsamkeit von Gott erhielt, übersteigen alle menschliche Vorstellung. Erst wenn wir zur Anschauung Gottes gelangen, werden wir aus dem Lohn, den er empfing, seine Heiligkeit und seine überaus großen Verdienste erkennen. Es ist nicht meine Aufgabe, in diesem Werk zu berichten, was ich über diese Geheimnisse erkannt habe. Zudem haben die heiligen Lehrer und andere Schriftsteller über die großen Vorrechte des heiligen Vorläufers geschrieben. Darum werde ich hier nur sagen, was für meinen Zweck erforderlich ist und was auf Unsere Liebe Frau Bezug hat, durch deren Vermittlung und Fürsprache dieser heilige Einsiedler überaus große Wohltaten erhalten hat. Eine der größten derselben war, dass ihm Maria, wie ich früher schon erzählt habe (oben Nr. 676), oftmals durch die heiligen Engel Speise zuschickte. Dies geschah, bis der kleine Johannes sieben Jahre alt war. Von da an bis zu seinem neunten Jahr sandte ihm Maria nur Brot. Und als er das neunte Jahr vollendet hatte, hörte diese Vergünstigung seitens der Himmelskönigin ganz auf. Maria erkannte nämlich im Herrn, es sei der Wille Gottes und auch das Verlangen des Heiligen, dass er in Zukunft nur Wurzeln, wilden Honig und Heuschrecken genieße. Dies war seine Nahrung, bis er zu predigen begann. Erhielt er aber auch von der Himmelskönigin keine Lebensmittel mehr, so sandte diese ihm doch immer noch ihre Engel, um ihn zu trösten und ihm über ihre Beschäftigungen sowie über die geheimnisvollen Werke des göttlichen Heilandes Nachricht zu bringen. Diese Besuche von Seiten der Engel fanden aber nur einmal in jeder Woche statt.
944. Abgesehen von anderen Gründen, warum dem hl. Johannes diese Gnade zuteil wurde, war sie ihm auch deshalb vonnöten, um das Beschwerliche der Einsamkeit ertragen zu können, nicht als ob die Schrecknisse der Wildnis und seine eigenen Bußwerke dem Heiligen Überdruss bereitet hätten, seine wunderbare Heiligkeit und Gnade reichte hin, um ihm dies alles sehr süß und wünschenswert zu machen. Allein diese Vergünstigung sollte verhüten, dass ihm bei seiner brennenden Liebe zu Jesus und Maria das Fernsein von ihnen und das Entbehren ihres Anblickes und ihres Umganges allzu schwer falle. Denn hiernach verlangte er, eben weil er heilig und dankbar war, und es wäre unzweifelhaft für ihn eine schmerzlichere Abtötung gewesen, diesem Verlangen zu widerstehen, als das raue Wetter, das Fasten, die Bußwerke und die Wildnis der Berge zu ertragen, wenn nicht seine liebevollste Base Maria ihn für diese Entbehrungen entschädigt hätte durch die Botschaften der Engel, die ihm über seinen geliebten Herrn Nachricht brachten. Der große Einsiedler erkundigte sich nach dem göttlichen Sohn und seiner Mutter mit der liebevollen Sehnsucht einer Braut (Hld 1, 6). Er sandte ihnen die innigsten Anmutungen und Seufzer aus seinem durch die Liebe und durch die Abwesenheit Jesu und Mariä verwundeten Herzen. Er bat die Himmelskönigin durch ihre Boten, ihm den Segen ihres göttlichen Sohnes zu erflehen und diesen in seinem Namen mit Demut anzubeten. Johannes selbst betete ihn unterdessen von der Wüste aus im Geiste und in der Wahrheit an und ersuchte darum auch die Engel, welche ihn besuchten, sowie auch die anderen, welche ihm beistanden. Unter diesen Beschäftigungen erreichte der große Vorläufer das vollkommene Alter von dreißig Jahren und wurde von dem allmächtigen Gott zu dem Amt vorbereitet, für welches er erwählt war.
945. Da war die von der ewigen Weisheit festgesetzte angenehme Zeit gekommen, in welcher man die Stimme des menschgewordenen Wortes, die Stimme des «Rufenden in der Wüste», wie Jsaias sagt (Jes 40, 3), d. h. den hl. Johannes, hören sollte. Die Evangelisten berichten: «Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius, unter den Hohenpriestern Annas und Kajaphas, erging das Wort des Herrn an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste. Er kam an das Ufer des Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden (Lk 3,1-3; Mt 3, 3)», um die Herzen zur Aufnahme des seit so vielen Jahrhunderten erwarteten Messias vorzubereiten und mit dem Finger auf diesen hinzudeuten, damit alle ihn erkennen könnten. Dieses «Wort des Herrn» vernahm der hl. Johannes in einer Ekstase, in welcher er durch besonderen Einfluss der göttlichen Allmacht mit einer neuen Fülle von Licht. Erkenntnis und Gnade des Heiligen Geistes ausgerüstet wurde. Er erhielt dabei ein reicheres Verständnis der Geheimnisse der Erlösung und eine zwar nur abstrakte, aber so wunderbare Vision der Gottheit, dass er an Gnade und Heiligkeit wie in ein neues Wesen umgewandelt wurde. In dieser Vision befahl ihm der Herr, die Einsamkeit zu verlassen und der Lehre des menschgewordenen Wortes durch seine Predigt die Wege zu bereiten. Er befahl ihm, das Amt des Vorläufers anzutreten und alles zu tun, was zu dessen Erfüllung gehörte. Und über alles dieses wurde er unterrichtet und mit den überfließenden Gnaden dazu ausgerüstet.
946. Johannes, der neue Prediger, verließ also die Wüste. Er trug ein Kleid von Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel (Mt 3, 4) oder Riemen um seine Lenden. Er ging barfuss. Sein Gesicht war abgezehrt, seine Miene ernst und wunderbar, voll unvergleichlicher Sittsamkeit und ernster Demut. Sein Mut war unüberwindlich groß, sein Herz entflammt von Liebe zu Gott und den Menschen. Seine Worte waren lebendig, ernst, feurig, wie Funken eines Blitzes, den Gottes allmächtiger Arm geschleudert. Er war sanft für die Sanftmütigen, liebenswürdig für die Demütigen, schrecklich für die Stolzen, ein wunderbares Schauspiel für Engel und Menschen, furchtbar für die Sünder, entsetzlich für die bösen Geister: kurz, er war ein Werkzeug des menschgewordenen Wortes und ein Prediger, wie ihn das harte, undankbare und halsstarrige Judenvolk nötig hatte, dieses Volk mit heidnischer Regierung, mit geizigen und stolzen Priestern. Dieses Volk, das ohne Licht, ohne Propheten, ohne Frömmigkeit und, selbst nach so vielen Züchtigungen, die seine Sünden ihm zugezogen hatten, ohne Furcht Gottes dahinlebte. Diesem in so traurigem Zustand befindlichen Volk sollten nun Augen und Herz geöffnet werden, damit es seinen Erlöser und Lehrmeister erkenne und aufnehme.
947. Der heilige Anachoret Johannes hatte seit vielen Jahren ein großes Kreuz zu Häupten seines Lagers. Er bediente sich desselben zu verschiedenen Bußübungen und pflegte, in Kreuzesform darauf hingestreckt, sein Gebet zu verrichten. Diesen Schatz wollte er nicht in der Wüste lassen. Bevor er also die Wüste verließ, sandte er das Kreuz der Königin des Himmels und der Erde, und zwar durch dieselben Engel, welche ihn zu besuchen pflegten. Dabei ließ er Maria sagen, dieses Kreuz sei seine liebste Gesellschaft und seine beste Erholung in der langdauernden Einsamkeit gewesen. Er schicke es ihr als kostbares Kleinod, denn ein solches sei es wegen dessen, was sich an demselben vollziehen sollte. Darum sei es auch gemacht worden. Auch sei ihm von den Engeln gesagt worden, dass ihr heiligster Sohn, der Erlöser der Welt, in seiner Betkammer gleichfalls ein Kreuz habe und oftmals auf demselben ausgestreckt bete. Das Kreuz des hl. Johannes war auf seine Bitte von den heiligen Engeln aus einem Baumstamm der Wüste verfertigt worden, denn der Heilige hatte dazu weder die Kraft, noch die Werkzeuge. Die Engel aber hatten letztere nicht nötig, wegen ihrer Macht über die körperlichen Gegenstände. So kehrten also die Himmelsfürsten mit diesem Geschenk zu ihrer Königin zurück. Maria empfing das Kreuz mit Gefühlen süßen Trostes und bitteren Schmerzes, die sie bei Erwägung der Geheimnisse, welche sich in Bälde an diesem harten Holz vollziehen sollten, in ihrem reinsten Herzen empfand. Sie redete dasselbe zärtlich an, stellte es in die Betkammer und bewahrte es dort ihr ganzes Leben lang mit dem andern Kreuz, das der göttliche Heiland gehabt hatte. Später überließ sie diese Schätze als überaus kostbares Erbe den Aposteln, und diese nahmen dieselben mit sich in einzelne Länder, in welchen sie das Evangelium verkündeten.
948. In Betreff dieses geheimnisvollen Vorganges stieg mir ein Zweifel auf, den ich der Mutter der Weisheit mit folgenden Worten vorlegte: «Königin des Himmels, meine Herrin, Heiligste unter den Heiligen, unter allen Geschöpfen zur Mutter Gottes auserkoren! Als unwissende Frau von langsamer Fassungskraft finde ich in dem, was ich soeben geschrieben habe, eine Schwierigkeit. Wenn du es erlaubst, möchte ich sie dir, o Herrin, vorlegen. Du bist ja die Lehrmeisterin der Weisheit und willst in deiner Güte dieses Amt an mir ausüben, meine Finsternis erleuchten und mich in der Heilslehre des ewigen Lebens unterrichten. Mein Zweifel ist folgender: Ich habe vernommen, dass nicht nur der heilige Johannes, sondern auch du selbst, o Königin, das Kreuz verehrtest, ehe dein göttlicher Sohn an demselben gestorben war. Und doch habe ich immer geglaubt, ehe unsere Erlösung an jenem heiligen Stamm sich vollzog, habe das Kreuz als Richtholz zur Bestrafung der Verbrecher gedient und deswegen als schimpflich und verächtlich gegolten. Auch lehrt uns die heilige Kirche, aller Wert und alle Würde des heiligen Kreuzes stamme daher, dass unser Erlöser dasselbe berührt und an ihm das Geheimnis unserer Erlösung gewirkt hat.
ANTWORT UND LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
949. Meine Tochter, mit Freuden entspreche ich deinem Verlangen und antworte auf deinen Zweifel. Allerdings war das Kreuz, wie du sagst, schimpflich, ehe mein Sohn und Herr dasselbe durch sein Leiden und Sterben ehrte und heiligte. Und dieses Leiden und Sterben ist der Grund, warum man ihm jetzt, jene Anbetung und höchste Ehrfurcht schuldet, welche ihm die heilige Kirche erweist. Hätte nun jemand das Kreuz verehren wollen, bevor das Werk der Erlösung vollzogen war, und ohne dass er die Geheimnisse derselben und die Gründe, die ich und Johannes gehabt haben, gekannt hätte, dann wäre er allerdings der Abgötterei und des Irrtums schuldig gewesen, denn er hätte etwas verehrt, was nach seiner Anschauung einer Verehrung in der Tat nicht würdig gewesen wäre. Wir aber hatten mehrere Gründe, das Kreuz zu verehren. Fürs erste war uns mit unfehlbarer Gewissheit bekannt, was unser Erlöser an demselben vollbringen sollte. Fürs zweite hatte der Herr schon vorher dieses Zeichen der Erlösung berührt und geheiligt, als er sich auf demselben hinstreckte, betete und freiwillig zum Tod sich aufopferte. Der ewige Vater aber hatte dieses Opfer und den vorhergesehenen Tod meines heiligsten Sohnes durch unwiderruflichen Beschluss angenommen. Jeder Akt, jede Berührung des menschgewordenen Sohnes Gottes war von unendlichem Wert und eben dadurch wurde auch das Kreuzesholz geheiligt und verehrungswürdig. Dieses Geheimnis und diese Wahrheit hatten wir, ich und der hl. Johannes, vor Augen, wenn wir das Kreuz verehrten. Wir verehrten aber das Kreuz nicht in sich selbst, d. h. das Stück Holz, denn der Kult der Latria gebührte ihm erst, nachdem die Erlösung daran vollzogen war. Wir hatten die Darstellung des Leidens des menschgewordenen Wortes vor Augen, auf diese zielte unsere Verehrung hin, wie auch noch jetzt die Verehrung, welche die heilige Kirche dem Kreuz erweist, darauf hinzielt. (Nach der Lehre der Theologen ist das wahre Kreuz Christi, an welchem der göttliche Heiland gestorben ist, mit dem Kultus der Latrie zu verehren und zwar erstens, weil es das Bild oder die Repräsentation des Gekreuzigten ist, und zweitens, weil es durch den physischen Kontakt mit dem allerheiligsten Leib Christi geheiligt wurde. Der hl. Thomas von Aquin sagt: ,Si ergo loquamur de ipsa Cruce, in qua Christus crucifixus est utroque modo est nobis veneranda: uno scil. modo in quantum repraesentat nobis figuram Christi extensi in ea; alio modo ex contactu ad membra Christi et ex hoc, quod ejus sanguine est perfusa. Unde utroque modo adoratur eadern adoratione cum Christo, scilicet adoratione Latriae.» [P. 3. q. 25. a. 4] Es liegt aber auf der Hand, dass die Latrie, von welcher hier die Rede ist. nicht die absolute Latrie oder Anbetung ist, welche Gott allein gebührt, sondern die respektive, welche mit Beziehung auf Gott erwiesen wird.
Mit demselben Kult der respektiven Latrie sind auch die Bilder des Gekreuzigten überhaupt zu verehren aus dem ersten der beiden obengenannten Gründe, weil sie Repräsentationen des Gekreuzigten sind. Endlich sind auch die übrigen Leidenswerkzeuge des Herrn: Dornenkrone, Nägel, Lanze usw. sowie einzelne Partikel des wahren Kreuzes durch den Kult der respektiven Latrie zu verehren, und zwar aus dem zweiten der angeführten Gründe, weil sie nämlich durch den Kontakt mit dem Leibe Christi geheiligt sind. Siehe hierüber S. Thom. P. 3. q. 25. a. 4. - S. Bonavent. in 3. d. 9. a. 1. 9. 4. - S. Joan. Damasc. de fide orthodox. 1. 2. c.2. - Salmantic. Theol. moral. tract. 21. c. 10. p. 3 - Marc. lnstitutiones morales Alphonsianae. de I. praec. Decal. Nr. 543. seq. Der Herausgeber).
950. Erwäge nun im Lichte dieser Wahrheit, wie sehr du samt allen Sterblichen verpflichtet bist, das heilige Kreuz hochzuachten und zu verehren. Schon ehe mein göttlicher Sohn an demselben starb, haben ich und sein Vorläufer ihn nachgeahmt in der Liebe und Ehrfurcht für das Kreuz, sowie in den Bußübungen, die wir an diesem heiligen Zeichen verrichteten. Was müssen also die gläubigen Kinder der heiligen Kirche tun, nachdem sie ihren Schöpfer und Erlöser mit den Augen des Glaubens ans Kreuz geheftet sehen und sein Bild mit leiblichen Augen wahrnehmen! Darum wünsche ich, meine Tochter, dass du das Kreuz mit außerordentlicher Hochachtung umfassest, es als ein höchst kostbares Kleinod deines Bräutigams dir erwählst und deine gewöhnlichen Übungen mit demselben niemals freiwillig unterlässt, wenn nicht der Gehorsam dich verhindert. Verrichte diese heiligen Handlungen mit tiefer Ehrfurcht und erwäge dabei das Leiden und Sterben deines Herrn und Bräutigams. Trachte diese Gewohnheit auch bei deinen Mitschwestern einzuführen. Ermahne sie dazu, denn es gibt keine Übung, welche für Bräute Christi in höherem Grad geziemend wäre. Wenn sie mit Andacht und würdiger Ehrerbietung verrichtet wird, ist sie dem Herrn höchst wohlgefällig. Ferner sollst du, wie der Täufer, dein Herz zu allem bereiten, was der Heilige Geist zu seiner Ehre und zum Heil deiner Mitmenschen in dir wirken will. Soviel von dir abhängt, liebe die Einsamkeit und ziehe dich zurück von dem Getriebe der Menschen. Will aber der Herr, dass du mit den Menschen verkehrst, so achte dabei immer auf dein eigenes Verdienst und auf die Erbauung des Nächsten, so dass der Eifer und Geist deines Herzens aus all deinen Unterredungen hervorleuchte. Die hocherhabenen Tugenden, welche du an dem Beispiele des hl. Johannes gesehen hast, sollen dir als Sporn zur Nachahmung dienen. Von diesen und von den Tugenden anderer Heiligen, die zu deiner Kenntnis gelangen, trachte, wie die emsige Biene von den Blumen, den süßesten Honig der Reinheit und Heiligkeit zu sammeln, welche mein göttlicher Sohn von dir verlangt. Beobachte den Unterschied zwischen der Spinne und der Biene. Jene verwandelt ihre Nahrung in schädliches Gift, diese in liebliche und heilsame Erquickung für Lebende und Abgestorbene. So sammle auch du aus den Tugendblumen der Heiligen, die sich im Garten der heiligen Kirche finden, soviel du mit Hilfe der Gnade zu sammeln vermagst. Ahme sie emsig und eifrig nach und sorge, dass alles zum Besten der Lebenden und Abgestorbenen gereiche. Fliehe dagegen das Gift der Sünde, welches allen zum Verderben gereicht.
ZWEINUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Maria opfert ihren Sohn auf. Jesus geht in die Wüste
Die heiligste Jungfrau Maria opfert ihren eingeborenen Sohn dem ewigen Vater für die Erlösung der Menschen auf. Sie erhält zum Lohn für dieses Opfer eine klare Vision der Gottheit. Ihr Abschied von unserem Herrn welcher in die Wüste geht.
951. Die Liebe, welche unsere große Königin und Herrin zu ihrem heiligsten Sohn trug, war der Maßstab, nach welchem die übrigen Affekte und Handlungen sowie die Gefühle von Freud und Schmerz zu bemessen sind, welche die göttliche Mutter in den verschiedenen Wechselfällen des Lebens empfunden hat. Um aber ihre Liebe selbst zu bemessen, dafür findet unser Verstand keinen sicheren Maßstab, ja selbst die Engel können ihn nicht finden, außer in der klaren Anschauung Gottes. Alles, was sich sonst davon sagen lässt in Beschreibungen, Gleichnissen und Bildern, ist nicht der geringste Teil von dem, was dieses Meer himmlischen Feuers in sich enthält. Maria liebte Jesus als den Sohn des ewigen Vaters, als den, der mit dem Vater eins ist in der göttlichen Wesenheit und in den unendlichen göttlichen Vollkommenheiten. Sie liebte ihn als ihren eigenen leiblichen Sohn der in seiner menschlichen Natur ausschließlich nur ihr Sohn und aus ihrem Fleisch und Blut gebildet war. Sie liebte ihn, weil er in eben dieser menschlichen Natur der Heilige der Heiligen (Dan 9,24) und die Verdienstursache aller Heiligkeit war. Er war der Schönste unter den Menschenkindern (Ps 45, 3). Er war der gehorsamste, ergebenste Sohn seiner Mutter, ein Sohn, der sie aufs glorreichste ehrte und ihr größter Wohltäter war. Denn dadurch, dass er ihr Sohn wurde, hatte er sie zur höchsten Würde unter allen Kreaturen erhöht und sie vor allen andern in ganz einziger Weise bereichert mit den Schätzen der Gottheit, mit der Herrschaft über die ganze Schöpfung und mit anderen Auszeichnungen, Gnaden und Gaben, welche einem anderen Geschöpfe geziemenderweise gar nicht verliehen werden konnten.
952. Diese Beweggründe und Antriebe der Liebe waren mit noch vielen anderen, welche nur das klarste Auge Mariä zu durchschauen vermochte, in dem weisesten Herzen der göttlichen Mutter gleichsam niedergelegt und eingeschlossen. Und ihr Herz setzte ihnen kein Hindernis entgegen, denn es war höchst lauter und rein. Maria war nicht undankbar, denn sie war die Tiefste in der Demut, die Treueste in der Erkenntlichkeit. Sie war nicht lässig, denn mit der ganzen gewaltigen Kraft ihres Willens wirkte sie mit der Gnade mit. Sie war nicht säumig, sondern höchst emsig. Sie war nicht sorglos, sondern im höchsten Grade eifrig und besorgt. Sie war nicht vergesslich, denn ihr Gedächtnis war unwandelbar und in steter Erinnerung an die empfangenen Wohltaten sowie an die Beweggründe und Gesetze der Liebe. Sie lebte in der eigentlichen Atmosphäre des Feuers, in der Gegenwart des Objektes der göttlichen Liebe, in der Schule des wahren Gottes der Liebe, in der Gesellschaft ihres allerheiligsten Sohnes, im Angesicht seiner Werke und Handlungen, die sie nach diesem lebendigen Vorbilde in sich nachbildete. Nichts mangelte dieser weisesten Liebhaberin, was ihr dazu dienlich sein konnte, jenes Maß der Liebe zu erreichen, welches im Lieben ohne Maß besteht.
So hatte also dieser schönste Mond seine Fülle erreicht, nachdem er während eines Zeitraumes von beinahe dreißig Jahren der Sonne der Gerechtigkeit von Angesicht zu Angesicht zugekehrt gewesen war. Diese himmlische Morgenröte hatte ihren höchsten Glanz erreicht. Sie war vorangeschritten zur vollen Liebesglut des klarsten Tages der Gnade. Maria war allem Sinnenfälligen entfremdet, in ihren geliebten Sohn umgewandelt und von ihm seinerseits mit Gegenliebe, mit außerordentlichen Gnaden und Liebesbeweisen überhäuft. Und nun, in diesem Zeitpunkt, da ihre Liebe den Höhepunkt erreicht hatte und das Opfer ihr am schwersten sein musste, nun hörte sie eine Stimme des ewigen Vaters, welcher sie in ähnlicher Weise rief, wie er den Patriarchen Abraham vorbildlich gerufen und ihm befohlen hatte (Gen 22, 1 ff) das Unterpfand seiner Liebe und Hoffnung, seinen teuren Isaak ihm zum Brandopfer darzubringen.
953. Der weisesten Mutter war nicht unbekannt, dass die Zeit gekommen sei, ihr süßester Sohn war in das dreißigste Jahr seines Lebens eingetreten. Der Termin, an welchem er die Schuld der Menschen bezahlen sollte, rückte heran. Da sie aber das höchste Gut, welches sie so sehr beglückte, noch besaß, so betrachtete sie dessen Verlust, den sie aus Erfahrung noch nicht kannte, nur wie von ferne. Jetzt aber war die Stunde gekommen. Da sie nämlich eines Tages in einer sehr erhabenen Ekstase sich befand, ward sie inne, dass sie gerufen und vor den königlichen Thron der allerheiligsten Dreieinigkeit gestellt werde. Vom Thron ging eine Stimme aus, welche mit wunderbarer Kraft zu ihr sprach: «Maria, meine Tochter und Braut, bringe mir deinen Eingeborenen zum Opfer !» Diese mächtige Stimme war von Licht begleitet, in welchem Maria den Willen des Allerhöchsten erkannte. Die göttliche Mutter sah, wie nach dem Ratschluss Gottes das Menschengeschlecht erlöst werden sollte durch das Leiden und Sterben ihres allerheiligsten Sohnes. Sie sah auch alles, was von jetzt an geschehen sollte bis zum Beginn des Leidens, den ganzen Verlauf des Predigt- und Lehramtes des Herrn. Bei Erneuerung dieser Erkenntnis erweckte die liebevollste Mutter in ihrem Herzen die mannigfachsten Akte der Ergebung, der Demut, der Liebe zu Gott und den Menschen, des Mitleidens und des zärtlichsten natürlichen Schmerzes über das, was ihr heiligster Sohn leiden sollte.
954. Mit unerschrockenem, großmütigem Herzen antwortete Maria dem Allerhöchsten und sprach: «Ewiger König, allmächtiger Gott von unendlicher Weisheit und Güte ! Alles, was außer dir besteht, hat das Dasein erhalten und erhält es noch von deiner freigebigen Barmherzigkeit und Majestät. Du bist unabhängiger Herr von allem. Warum befiehlst du mir, diesem armen Erdenwurm, dass ich deiner göttlichen Verfügung den Sohn überlasse und aufopfere, den ich von deiner unendlichen Güte erhalten habe ? Er gehört ja dir, o ewiger Gott und Vater, denn in deiner Ewigkeit hast du ihn vor dem Morgenstern gezeugt (Ps 110, 3). Du zeugst ihn immer und wirst ihn zeugen in alle Ewigkeit (Ps 2, 7). Allerdings habe ich ihn in meinem Schoß mit Knechtsgestalt aus meinem Blut bekleidet, ich habe ihn an meiner Brust genährt und als Mutter gepflegt. Doch auch diese heiligste Menschheit gehört ganz dir, wie auch ich selbst dir gehöre, da ich alles von dir erhalten habe, was ich bin und was ich ihm geben konnte. Was bleibt mir also dir zu opfern übrig, das nicht vielmehr dir als mir gehörte? Allerhöchster König, ich bekenne es, du bereicherst die Geschöpfe mit deinen unendlichen Schätzen so freigebig, dass du sogar deinen eingeborenen Sohn, der von deiner Wesenheit erzeugt und das Licht deiner Gottheit ist, als freiwillige Opfergabe von ihnen verlangst, um dich dadurch verpflichten zu lassen. Mit ihm kam alles Gute zugleich zu mir, und unzählbare Geschenke und Ehren empfing ich von seiner Hand (Weish 7,11). Er ist die Kraft meiner Kraft, das Wesen meines Geistes, das Leben meiner Seele, die Seele und Freude meines Lebens. Ein süßes Opfer wäre es mir, wenn ich ihn dir allein hinzugeben hätte, der du seinen Wert kennst. Aber ihn deiner Gerechtigkeit übergeben, damit diese durch die Hände seiner grausamen Feinde sich vollziehe auf Kosten seines Lebens, welches wertvoller ist als das ganze Universum, dies ist, o allerhöchster Herr, ein großes Opfer für die Liebe einer Mutter. Ja, groß ist das Opfer, das du von mir verlangst. Doch nicht mein Wille geschehe, sondern der deine. Die Menschen mögen erlöst, deiner Gerechtigkeit möge Genugtuung geleistet werden ! Deine unendliche Liebe offenbare sich, dein Name werde erkannt und verherrlicht von allen Menschen ! Ich übergebe dir meinen geliebten Isaak, damit er wirklich geopfert werde. Ich bringe den Sohn meines Schoßes zum Opfer, damit er nach deinem unabänderlichen Ratschluss die Schuld bezahle, die nicht er, sondern die Kinder Adams sich zugezogen haben. Alles, was deine Propheten nach deiner Eingebung geschrieben und vorhergesagt haben, möge an ihm in Erfüllung gehen !»
955. Dieses Opfer der heiligsten Jungfrau Maria war in jeder Hinsicht das größte und dem ewigen Vater wohlgefälligste von allen Opfern, welche seit Anbeginn der Welt dargebracht worden waren und bis zum Ende werden dargebracht werden. Jenes allein ausgenommen, welches ihr Sohn, unser Heiland, selbst dargebracht hat. Indes war das Opfer der Mutter mit dem Opfer des Sohnes so enge verbunden, dass es, soweit dies überhaupt möglich war, nur eines mit ihm ausmachte. Wenn es der größte Beweis der Liebe ist, dass jemand sein Leben für seinen Freund hingibt (Joh 15,13), so hat Maria den Menschen gegenüber diesen Gipfelpunkt der Liebe unstreitig überschritten, und zwar um soviel, als ihr das Leben ihres göttlichen Sohnes teurer war als ihr eigenes. Dasselbe war ihr aber unendlich teurer, denn um das Leben ihres Sohnes zu retten, hätte sie ihr Leben so vielmal hingegeben, als es Menschen gibt, ja noch unendlich Mal öfter. Es gibt für uns Geschöpfe keinen anderen Maßstab, mit dem sich die Liebe der Himmelskönigin zu den Menschen bemessen ließe, als die Liebe des ewigen Vaters. Dieser hat, wie unser Herr Jesus Christus zu Nikodemus sagte, die Welt so sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen (Joh 3,16). Dasselbe nun hat, kann man sagen, in ihrer Weise und nach Verhältnis auch unsere Mutter, die Mutter der Barmherzigkeit, getan. Ihr verdanken wir darum auch in diesem Sinne unsere Erlösung. Also hat Maria uns geliebt, dass sie ihren Eingeborenen zu unserem Heil dahingab. Hätte sie ihn damals nicht hingegeben, als der ewige Vater ihn zum Opfer verlangte, so hätte das Werk der Erlösung nicht in Gemäßheit des göttlichen Ratschlusses vollbracht werden können, denn dieser Ratschluss sollte nicht anders ausgeführt werden als durch die Zustimmung der göttlichen Mutter zum Willen des ewigen Vaters. Daraus mögen wir Adamskinder sehen, welche Dankesschuld wir Maria gegenüber haben. (Es ist ausdrückliche Lehre mehrerer Heiligen und Gottesgelehrten, dass Gott nicht nur die Menschwerdung, sondern auch die Erlösung von dem Willen und der Zustimmung der allerseligsten Jungfrau Maria abhängig gemacht hat. Der Allerhöchste wollte dadurch seiner heiligsten Mutter und Braut Gelegenheit geben, ihm das größte Opfer zu bringen, sich selbst unaussprechliche Verdienste zu erwerben und für uns in Wahrheit die Mittlerin aller Gnaden zu werden. Maria hat dieses Opfer wirklich gebracht. Im Gehorsam gegen den himmlischen Vater und aus unermesslicher Liebe zu uns hat sie ihre mütterliche Zustimmung gegeben, dass ihr eingeborener Sohn in das Leiden und den Tod gehe, damit wir erlöst würden. Darum kann man mit dem hl. Bonaventura und dem hl. Alfons von Liguori auch von ihr sagen: «Also hat Maria die Welt geliebt, dass sie ihren eingeborenen Sohn dahingab.» Man vgl. die «Herrlichkeiten Mariä, von dem heiligen Kirchenlehrer Alfons, insbesondere Hauptstück 1. §§ 2 und 3. und die Abhandlungen über die Reinigung Mariä, wo diese Gedanken ausgeführt und durch Belegstellen aus den heiligen Vätern begründet sind. Vgl. ferner das goldene Büchlein des ehrw. P. Eusebius Nieremberg über die Liebe zu Maria. Kap. 14. Der Herausgeber).
956. Nachdem die allerheiligste Dreieinigkeit das Opfer der großen Königin angenommen hatte, empfing Maria zur gebührenden Belohnung dieses Opfers ohne Verzug eine außerordentliche Gnade, durch welche sie in ihrem Schmerz getröstet, für die bevorstehenden Leiden gestärkt und über den Willen des Vaters sowie über die Gründe des ihr gewordenen Auftrages mit größerer Klarheit erleuchtet wurde. Während sich nämlich die göttliche Mutter in der genannten Ekstase befand, wurde sie durch die oben schon (Teil I, Nr. 623 ff) beschriebenen Erleuchtungen und Gnadeneinflüsse bereitet und dann in einen anderen, noch höheren Zustand erhoben. In diesem Zustand nun enthüllte sich ihr die Gottheit in klarer, intuitiver Anschauung. In dem reinen Licht der Wesenheit Gottes erkannte sie wiederum den Drang, welchen das höchste Gut hatte, seine unendlichen Schätze den vernünftigen Geschöpfen mitzuteilen, und zwar mittelst der Erlösung, welche das menschgewordene Wort vollbringen sollte. Sie sah auch, wie sehr durch dieses Wunderwerk der Name des Allerhöchsten bei den Menschen würde verherrlicht werden. Nachdem die göttliche Mutter über diese tief verborgenen Geheimnisse in besagter Weise aufs neue erleuchtet war, brachte sie dem ewigen Vater noch einmal, und zwar mit erhöhtem Jubel das Opfer ihres eingeborenen Sohnes dar. Die Allmacht des Herrn aber stärkte sie mit dem wahren «Brote des Lebens und der Erkenntnis (Sir 15, 3)», damit sie mit unüberwindlichem Mute dem menschgewordenen Worte in den Werken der Erlösung zur Seite stehe und dabei seine Gehilfin und Gefährtin sei in der Weise, wie es von der unendlichen Weisheit festgesetzt war. Und dies hat die große Herrin auch getan, wie aus allem, was in der Folge noch gesagt werden wird, hervorgeht.
957. Dann kam Maria aus der Vision zurück. Die einzelnen Umstände derselben will ich hier nicht des weiteren beschreiben. Sie waren ähnlich wie bei anderen intuitiven Visionen, weiche ich früher besprochen habe. Durch die Kraft und göttlichen Gnadeneinflüsse, die sie in dieser Vision empfing, war Maria bereitet und gestärkt, die Trennung von ihrem allerheiligsten Sohn zu ertragen, denn der Herr wollte sich unverzüglich zur Taufe und dann zum Fasten in die Wüste begeben. Der Herr rief Maria zu sich, redete sie mit der Zärtlichkeit eines liebevollen Sohnes an und sprach unter Kundgebung des innigsten Mitleidens zu ihr: «Meine Mutter, die menschliche Natur, die ich in Wahrheit besitze, habe ich allein aus deiner Substanz und deinem Blut empfangen. Aus ihm habe ich Knechtsgestalt angenommen in deinem jungfräulichen Schoß. Du hast mich sodann an deiner Brust genährt und mit deiner Arbeit und deinen Schweiß mir den Unterhalt erworben. Aus diesen Gründen erkenne ich mich als deinen Sohn und als dein Eigentum, und zwar in höherem Grade, als irgend jemand das Kind und Eigentum seiner Mutter gewesen ist oder sein wird. Erteile mir darum deine Erlaubnis und Zustimmung, dass ich hingehe, den Willen meines ewigen Vaters zu erfüllen. Die Zeit ist gekommen, dass ich deiner süßen Gesellschaft und teuren Nähe entsage und das Werk der Erlösung beginne. Die Zeit der Ruhe ist zu Ende. Es naht die Stunde, da ich mein Leiden beginnen muss, um meine Brüder, die Kinder Adams, zu erlösen. Dieses von meinem Vater mir auferlegte Werk, will ich an deiner Seite vollenden. Ich will, dass du dabei meine Gefährtin und Gehilfin seiest und teilhast an meinen Leiden und an meinem Kreuz. Jetzt muss ich dich zwar allein lassen, doch mein ewiger Segen wird bei dir bleiben, mein liebevoller, mächtiger Schutz wird über dich wachen. Später werde ich zurückkehren, damit du mir in meinen Mühen und Leiden Gesellschaft leistest, denn ich muss sie tragen in der Menschengestalt, welche du mir gegeben hast.»
958. Bei diesen Worten umarmte unser Herr seine zärtlichste Mutter. Beide vergossen zahlreiche Tränen, jedoch mit wunderbarer Majestät und ruhigem Ernst. Sie waren ja die Lehrmeister in der Kunst des Leidens. Die göttliche Mutter warf sich vor ihrem allerheiligsten Sohn auf die Knie nieder und antwortete ihm mit unbeschreiblicher Betrübnis und Ehrfurcht: «Mein Herr und ewiger Gott, du bist wahrhaft mein Sohn. Dir ist alle Liebe, jede Kraft geweiht, die ich von dir erhalten habe. Deine göttliche Weisheit durchschaut das Innerste meiner Seele. Du weißt, dass ich mein Leben gering achten und oftmals hingeben wollte, um das deine zu retten, wenn solches zweckmäßig wäre. Allein der Wille deines Vaters und der deinige müssen erfüllt werden. Ich opfere also gerne den meinigen. Nimm ihn, o mein Sohn, du Herr meines Wesens, als wohlgefälliges Opfer an und lasse mich deines göttlichen Schutzes nicht ermangeln. Die größte Pein wäre es mir, wenn du leiden wolltest, ohne dass ich dich in Pein und Kreuz begleite. Würdige mich dieser Gnade, mein Sohn. Als deine wahre Mutter bitte ich dich darum als Vergeltung für die menschliche Natur, welche ich dir gegeben habe und in welcher du leiden wirst.» Die liebevollste Mutter ersuchte ihn auch, er möge etwas Nahrung vom Haus mitnehmen oder erlauben, dass sie ihm solche schicke. Doch unser Herr nahm für diesmal nichts an und ließ die Mutter erkennen, aus welchen Gründen er dies tue. Sie gingen miteinander bis zur Tür des armen Häuschens. Dort bat Maria ihren Sohn noch einmal kniefällig um seinen Segen und küsste ihm die Füße. Der göttliche Meister segnete sie und begab sich dann auf den Weg zum Jordan, um als guter Hirte das verlorene, verirrte Schäflein zu suchen und auf seinen Schultern auf den Weg des ewigen Lebens zurückzubringen.
959. Unser Herr hatte damals sein dreißigstes Jahr begonnen. Er ging nun geraden Weges an das Ufer des Jordan und empfing von seinem Vorläufer die Taufe, dreizehn Tage, nachdem er das neunundzwanzigste Jahr zurückgelegt hatte, an demselben Tag, an welchem die heilige Kirche dieses Geheimnis feiert.
Den Schmerz der heiligsten Jungfrau bei dieser Trennung sowie das Mitleid unseres Herrn vermag ich nicht in gebührender Weise zu schildern. Denn alle Worte, alle Beschreibungen sind unzureichend, um wiederzugeben, was im Herzen des Sohnes und der Mutter vorging. Dieser Schmerz war ein Teil ihres Leidens, und darum war es nicht passend, den Wirkungen ihrer gegenseitigen natürlichen Liebe Einhalt zu tun. Der Allerhöchste ließ vielmehr zu, dass diese Wirkungen sich in voller Macht zeigten, soweit dies mit der höchsten Heiligkeit beider vereinbar war. Der Schmerz unseres göttlichen Meisters wurde nicht gelindert dadurch, dass er, von seiner unermesslichen Liebe zu unserem Heil gedrängt, seine Schritte beeilte, Aber auch die liebevollste Mutter fand keine Linderung durch ihre Kenntnis von diesem Liebesdrang. Denn hierdurch wurden ihr die Leiden, welche ihren Sohn erwarteten, nur um so gewisser und der Gedanke daran um so schmerzlicher. O meine süßeste Liebe, warum kommen unsere undankbaren und harten Herzen dir nicht entgegen? Warum lässt du dich nicht dadurch aufhalten, dass die Menschen, abgesehen von ihrer Undankbarkeit, für dich unnütz sind? O ewiges Gut. O mein Leben, ohne uns wärest du ja ebenso glückselig, ebenso unendlich in den Vollkommenheiten, in der Heiligkeit und Glorie, wie du es mit uns bist. Nichts können wir zu der Herrlichkeit, die du in dir selbst und unabhängig von den Geschöpfen besitzest, hinzufügen. Warum also, meine Liebe, warum suchst du diese Geschöpfe mit solcher Sorgfalt auf? Warum willst du um den Preis deiner Schmerzen und deines Kreuzes andere glücklich machen? Ohne Zweifel deshalb, weil du in deiner unbegreiflichen Liebe fremdes Glück als dein eigenes ansiehst und nur wir behandeln es so, als ob es weder dich noch uns anginge.
LEHRE, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gab
960. Meine Tochter, die Geheimnisse, welche du eben beschrieben hast, sollst du ernstlich erwägen und sehr hochschätzen, sowohl zum Heil deiner Seele, als auch um mich einigermaßen nachzuahmen. Beachte also, dass ich bei der erwähnten Vision in Gott schaute, wie hoch der Allerhöchste nicht nur die Leiden und den Tod meines Sohnes, sondern auch die Leiden aller derer schätzt, welche dem Heiland auf dem Kreuzwege nachfolgen sollten. Bei dieser Erkenntnis opferte ich nicht nur meinen göttlichen Sohn freiwillig zum Leiden und Sterben auf, sondern ich flehte auch zum Allerhöchsten, er möge mich an allen Schmerzen und Peinen des Erlösers teilnehmen lassen, und der ewige Vater gewährte mir meine Bitte. Darauf bat ich meinen Sohn und Herrn, er möge mir fortan seine inneren Tröstungen entziehen, damit ich ihm auf seinem bitteren Wege zu folgen anfange. Er selbst gab mir diese Bitte ein, denn er wollte, dass ich sie stelle, und die Liebe bewog mich dazu. Die Liebe, welche er als Sohn und als Gott mir schenkte, sowie meine Sehnsucht zu leiden, trieben mich an, die Leiden zu begehren. Und eben weil er mich zärtlich liebte, so gewährte er mir die Leiden, denn diejenigen, die er liebt, die züchtigt er (Spr 3,12). Er wollte, dass mir als seiner Mutter diese Wohltat und Auszeichnung nicht mangle, ihm in demjenigen, was er in dem sterblichen Leben am höchsten schätzte, vollkommen ähnlich zu sein. Dieser Wille des Herrn und meine Bitte wurden alsbald erfüllt. Ich entbehrte von da der gewöhnlichen Tröstungen und er behandelte mich nun nicht mehr mit so großer Zärtlichkeit. Dies war einer der Gründe, warum er mich bei der Hochzeit zu Kana und am Fuße des Kreuzes nicht «Mutter», sondern «Frau» nannte und mich auch bei anderen Gelegenheiten mit Strenge prüfte, indem er mir die zärtlichen Worte entzog. Dieses Verhalten hatte seinen Grund nicht im Mangel an Liebe, vielmehr war es gerade der größte Beweis seiner Liebe, indem er mich dadurch zu seinem Ebenbild machte im Leiden, das er als Erbe und kostbaren Schatz für sich erkoren hatte.
961. Hieraus siehst du, wie sehr die Menschen im Irrtum sind und wie weit sie entfernt sind vom Lichte und vom rechten Weg. Die meisten, ja fast alle bemühen sich, der Mühe zu entgehen. Sie leiden, um nicht zu leiden. Sie hassen den sicheren, königlichen Weg des Kreuzes und der Abtötung. Infolge dieses gefährlichen Irrtums verabscheuen und verlieren sie nicht nur die Ähnlichkeit mit ihrem Vorbild Jesus Christus und mit mir, während doch diese Ähnlichkeit das wahre und höchste Gut auf Erden ist, sondern sie machen dadurch zugleich ihre Heilung unmöglich. Denn sie alle sind krank wegen ihrer vielen Sünden. Das Heilmittel gegen die Sünde kann aber kein anderes sein als das Leiden. Begangen wird die Sünde durch unerlaubtes Vergnügen. Entfernt wird sie durch den Schmerz der Buße, und in der Trübsal gewährt der gerechte Richter Verzeihung. Durch Ertragen von Bitterkeit und Schmerz wird die böse Begierlichkeit bezähmt, werden die ungeordneten Regungen der Leidenschaften gemäßigt und niedergedrückt, der Stolz wird gedemütigt, das Fleisch unterworfen, die Freude am Bösen und am Sinnlichen und Irdischen vergeht. Der Verstand wird erleuchtet und der Wille georrlnet. Es werden alle Seelenkräfte der Vernunft unterworfen und die Leidenschaften gemäßigt und geregelt. Was aber die Hauptsache von allem ist: Gott wird gleichsam genötigt, dem Betrübten, der sein Leiden mit Geduld umfängt oder, um meinem heiligsten Sohn ähnlich zu werden, es aufsucht, seine mitleidsvolle Liebe zuzuwenden. In dieser Wissenschaft ist die ganze Wohlfahrt des Menschen eingeschlossen. Wer diese Wahrheit flieht, ist ein Tor, wer sie nicht kennt, ist ein Unwissender.
962. Bemühe dich darum, meine teuerste Tochter, in dieser Wissenschaft Fortschritte zu machen. Gehe mutig dem Kreuz entgegen, dem menschlichen Trost dagegen sage für immer Lebewohl. Damit du aber in den geistlichen Tröstungen nicht strauchelst und fällst, musst du wissen, dass der böse Feind für solche, die ein geistliches Leben führen, auch in diesen Tröstungen seine Schlingen verbirgt. Da nämlich die Beschauung und der vertraute Umgang mit dem Herrn süße Freuden mit sich bringt und dadurch mehr oder weniger die Seelenkräfte und zuweilen auch der niedere Teil des Menschen mit Wonne und Trost erfüllt werden, so gewöhnen sich einzelne Seelen so sehr an diese Tröstungen, dass sie zu anderen notwendigen Beschäftigungen des menschlichen Lebens, welche die Liebe und der geziemende Verkehr mit anderen erfordert, untauglich werden. Wenn sie pflichtgemäß mit den Menschen verkehren müssen, so fallen sie in ungeordnete Betrübnis, Ungeduld und Verwirrung, verlieren den Frieden und die innere Freude, sind traurig, mürrisch und verdrossen im Umgang mit den Nebenmenschen, ohne wahre Demut und Liebe. Bemerken sie dann ihre Unruhe und ihren geistlichen Schaden, so schieben sie die Schuld auf die äußeren Beschäftigungen, welche Gott ihnen durch den Gehorsam und die Liebe zugewiesen hat. Dagegen wollen sie nicht einsehen und noch weniger zugeben, dass die Schuld in ihrer geringen Abtötung und Unterwerfung unter die Anordnungen Gottes liegt, sowie in ihrem Haschen nach Trost. Der böse Feind aber verbirgt ihnen diese Schlinge, indem er ihnen vorspiegelt, es sei ja etwas Gutes, wenn man sich nach ruhiger Zurückgezogenheit und nach dem Verkehr mit Gott sehne. Hierbei, meinen sie, sei nichts zu fürchten, das sei alles gut und heilig. Das Übel aber liege nur darin, dass man sie hindere, ihr Verlangen zu erfüllen.
963. In diese Fehler bist auch du zuweilen schon gefallen. Hüte dich also in Zukunft davor. Alles hat, wie der Weise sagt (Koh 3,1), seine Zeit, der Genuss der Tröstungen, wie das Entbehren derselben. Es ist aber eine Täuschung der Unvollkommenen und der Anfänger in der Tugend, wenn sie meinen, man könne die Zeit für den vertrauten Verkehr mit dem Herrn selbst bestimmen, oder wenn sie sich über den Mangel der himmlischen Tröstungen allzu sehr betrüben. Damit will ich aber nicht sagen, dass du Zerstreuungen und äußere Beschäftigungen absichtlich suchen und mit Vorliebe daran hängen sollst. Das ist eben das Gefährliche daran. Ich sage nur dies: wenn dir die Obern solche Beschäftigungen befehlen, dann sollst du mit Gleichmut gehorchen. Verlasse dann den Herrn in seiner Tröstung, um ihn in der nützlichen Arbeit und in dem Wohle deines Nächsten wieder zu finden. Ja du sollst dies deiner Einsamkeit und ihren verborgenen Tröstungen vorziehen und nicht allein um letzterer willen die Einsamkeit so sehr lieben. Dies will ich, denn du sollst lernen, bei den einer Oberin obliegenden Geschäften und Sorgen auf vollkommene Weise zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Durch dieses Mittel wirst du den Herrn zu jeder Zeit, an jedem Ort und bei jeder Beschäftigung finden, wie du bereits oft erfahren hast. Niemals darfst du meinen, du seist seinem Blick, seiner süßesten Gegenwart und seinem lieblichen Verkehr fern. Niemals darfst du mit kindlichem Unverstand meinen, du könnest nicht auch außerhalb der Einsamkeit Gott finden und des Verkehrs mit ihm dich erfreuen, denn alles ist voll von seiner Herrlichkeit (Sir 42,16), und es gibt keinen Raum, in dem er sich nicht fände. In ihm lebst, in ihm bist du, in ihm bewegst du dich (Apg 17, 28). Wenn er dich aber zu den genannten Beschäftigungen nicht verpflichtet, dann magst du deiner ersehnten Einsamkeit dich erfreuen.
964. Alles dieses wirst du besser verstehen, wenn du, wie ich verlange, meinem heiligsten Sohn und mir mit edelmütiger Liebe nachfolgst. Das eine Mal sollst du dich mit ihm in seiner Kindheit erfreuen, ein anderes Mal sollst du mit ihm am Seelenheil der Menschen arbeiten. Dann sollst du dich wieder mit ihm in die Einsamkeit zurückziehen, ein anderes Mal sollst du mit ihm verklärt, d. h. in ein neues Geschöpf umgewandelt werden. Dann sollst du wieder mit ihm Leiden und Kreuz umfangen, sollst jenen Weisungen folgen und jene Lehre ausführen, die er als göttlicher Lehrmeister am Kreuz gegeben hat. Mit einem Wort: Die höchste Übung und erhabenste Meinung bestand bei mir darin, dass ich den Herrn zu jeder Zeit und in allen seinen Handlungen nachahmte, Dies war es, was meine höchste Vollkommenheit und Heiligkeit ausmachte. Darum will ich aber auch, dass du mir hierin nachfolgst, soweit es deinen schwachen Kräften mit Hilfe der Gnade möglich ist. Zu diesem Zweck musst du erstens allen Wünschen einer Tochter Adams entsagen und Verzicht leisten auf jedes «Ich will» oder «Ich will nicht», «Ich nehme an oder schlage ab aus diesem oder jenem Grunde». Du weißt ja nicht, was dir zum Besten dient. Dein Herr und Bräutigam aber weiß es. Er liebt dich mehr, als du selbst dich liebst, und er will für dein Bestes sorgen, wenn du dich ganz seinem Willen überlässest. Nur eines erlaube ich dir, nämlich dass du ihn liebst und im Leiden nachahmen wollest. In allem übrigen läufst du Gefahr, von meinem und meines göttlichen Sohnes Willen abzuweichen und dies wird wirklich geschehen, wenn du deinem Willen, deinen Neigungen und Wünschen folgst. Töte sie also ab, bringe sie zum Opfer, erhebe dich über dich selbst und schwinge dich auf zur erhabenen Wohnung deines Herrn. Achte auf seine Erleuchtungen, auf seine Worte der Wahrheit und des ewigen Lebens (Joh 6, 69). Damit du aber zu diesem Leben gelangen wirst, nimm dein Kreuz auf dich (Mt 16, 24), folge den Fußstapfen des Herrn, gehe dem Geruch seiner Salben nach (Hld 1, 3), ruhe nicht, bis du ihn findest und hast du ihn gefunden, so lasse ihn nicht mehr (Hld 3, 4).
DREIUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Beschäftigungen mariä während der Abwesenheit Jesu
Beschäftigungen der jungfräulichen Mutter während der Abwesenheit ihres göttlichen Sohnes. Ihre Unterredungen mit den heiligen Engeln.
965. Nachdem der göttliche Heiland seine liebevollste Mutter verlassen hatte, waren die Sinne der reinsten Jungfrau gleichsam in Finsternis und Schatten gehüllt, weil die leuchtende Sonne der Gerechtigkeit, die ihnen Licht und Freude gegeben hatte, für sie verschwunden war. Dagegen verlor der innere Blick ihrer heiligsten Seele keinen einzigen Grad des göttlichen Lichtes, von welchem sie ganz überströmt und mit einer Liebe entzündet war, welche die Liebe der glühendsten Seraphim übertraf. Während der göttliche Heiland seiner heiligsten Menschheit nach abwesend war, mussten alle Geisteskräfte der seligsten Jungfrau sich hauptsächlich auf die Gottheit, als ihr unvergleichliches Ziel richten. Darum ordnete sie ihre Beschäftigungen in der Weise, dass sie zurückgezogen in ihrem Hause, ohne Verkehr mit den Menschen, sich gänzlich der Betrachtung und dem Lobe des Herrn widmen konnte. Während dieser Übungen verrichtete sie flehentliche Gebete, dass der Same des göttlichen Wortes, welchen der Lehrmeister des Lebens in die Herzen der Menschen ausstreuen sollte, nicht durch deren Undankbarkeit und Hartherzigkeit verloren gehe, sondern reichliche Frucht bringe für das Heil ihrer Seelen und für das ewige Leben. Maria kannte die Absichten des göttlichen Heilandes. Darum wollte auch sie sich des Verkehrs mit den Menschen enthalten, um sein Beispiel im Fasten und in der Einsamkeit der Wüste nachzuahmen, denn in seiner Gegenwart wie in seiner Abwesenheit war sie in allem das lebendige Abbild seiner Werke.
966. Dies waren die Übungen, mit denen sich die göttliche Mutter, einsam in ihrem Hause weilend, beschäftigte, während ihr heiligster Sohn abwesend war. Ihre Gebete waren so inbrünstig, dass sie über die Sünden der Menschen oft blutige Tränen vergoss. Mehr als zweihundertmal des Tages warf sie sich auf die Knie oder auf das Angesicht zur Erde nieder. Es war dies eine Übung, welche sie ihr ganzes Leben lang besonders liebte und oftmals verrichtete, als Zeichen ihrer unvergleichlichen Demut, Liebe und Ehrfurcht gegen Gott. Ich werde noch oft im Verlauf dieser Geschichte darauf zu sprechen kommen. Auf solche Weise wirkte sie mit ihrem abwesenden göttlichen Sohn zum Werk der Erlösung mit, und dieses ihr Wirken war in den Augen des ewigen Vaters so mächtig und wirksam, dass der Herr um der Verdienste der gottesfürchtigsten Mutter und um ihrer Gegenwart auf Erden willen über die Sünden, durch welche sich die Sterblichen der Predigt und Lehre Jesu Christi unwürdig machten, menschlich geredet, hinwegsah. Maria war es, welche durch ihr inbrünstiges Gebet und ihre glühende Liebe dieses Hindernis beseitigte. Sie war die Mittlerin, die uns das Glück verdiente, von unserem Heilande und Meister belehrt zu werden und aus seinem eigenen Munde das Gesetz des Evangeliums zu empfangen.
967. Wenn Unsere Liebe Frau von dieser erhabensten Stufe des Gebetes herabstieg, so brachte sie die übrige Zeit in Unterredungen mit ihren heiligen Engeln zu. Unser Herr hatte diesen aufs neue befohlen, während seiner Abwesenheit der heiligsten Jungfrau in sichtbarer Gestalt zur Seite zu stehen und sie als seinen Tabernakel, als die heilige Stadt seiner Wohnung zu bedienen und zu beschützen. Diese treuesten Diener des Herrn waren in allem gehorsam und dienten ihrer Königin mit wunderbarer Ehrfurcht, wie es sich gebührte. Die Liebe ist aber derart tätig und kann die Abwesenheit des Geliebten so wenig ertragen, dass es für sie keine größere Erleichterung gibt, als von ihrem Schmerz und von dessen gerechten Ursachen zu sprechen und dabei an den Geliebten zu denken und über seine Eigenschaften und Vollkommenheiten zu reden. Dadurch beruhigt sie ihre Qual, lenkt den Schmerz ab und täuscht ihn sozusagen, indem sie an die Stelle des Geliebten das Bild treten lässt, welches er im Gedächtnis hinterlassen hat. Dies war auch der Fall bei der liebevollsten Mutter in Betreff ihres göttlichen Sohnes, des wahren und höchsten Gutes. So lange ihr Geist in das unermessliche Meer der Gottheit versenkt war, fühlte sie den Abgang der körperlichen Gegenwart ihres Sohnes und Herrn nicht. Wenn sie aber zum Gebrauch ihrer Sinne, die an seine so liebenswürdige Gegenwart gewöhnt waren und sich nun derselben beraubt sahen, zurückkehrte, dann fühlte sie alsbald die ungeduldige Macht der Liebe, einer Liebe, welche stärker, reiner und aufrichtiger war, als irgendein Geschöpf sich vorzustellen vermag, denn es wäre der Natur unmöglich gewesen, bei so großem Schmerz am Leben zu bleiben, wenn sie nicht wunderbarerweise gestärkt worden wäre.
968. Um dem Schmerz ihres Herzens Luft zu machen, wendete sich Maria an die heiligen Engel und sprach: «Ihr treuen Diener des Allerhöchsten, ihr Werke der Hand meines Geliebten, meine Freunde und Genossen, gebt mir Kunde von meinem geliebten Sohn und Herrn. Sagt mir, wo er lebt, sagt auch ihm, dass ich sterbe, weil er, mein Leben, abwesend ist. O süßes Gut. O Liebe meiner Seele ! Wo ist deine Gestalt, schön vor den Menschenkindern (Ps 45, 3) ? Wo wirst du dein Haupt anlehnen? Wo wird deine zarteste, heiligste Menschheit von ihren Mühen ausruhen? Du Licht meiner Augen, wer wird dir jetzt dienen? Wie sollen die Tränen meiner Augen versiegen, wenn die klare Sonne nicht scheint, von welcher sie erleuchtet wurden? Wo wirst du, mein Sohn, einige Ruhe finden? Und wo könnte ich sie finden, die ich einem armen, verlassenen Vögelchen gleiche? In welchen Hafen soll dieses Schiffchen einlaufen, welches in der Einsamkeit von den Wogen der Liebe gepeitscht wird? O Ziel meiner Wünsche, deine Gegenwart zu vergessen, ist mir nicht möglich. Wie soll ich aber leben können, wenn ich an sie denke, ohne sie zu besitzen? Was soll ich tun? Wer wird mich trösten und mir Gesellschaft leisten in meiner bitteren Einsamkeit? Doch was suche ich, was könnte ich finden unter den Geschöpfen, wenn du mir fehlst, du mein alles, die einzige Liebe meines Herzens? Ihr himmlischen Geister, sagt mir, was tut mein geliebter Herr? Erzählt mir seine äußeren Handlungen, und bezüglich der inneren verbergt mir nichts von dem, was ihr in dem Spiegel seiner Gottheit schaut. Berichtet mir alle seine Schritte, damit ich denselben folge!»
969. Die heiligen Engel gehorchten ihrer Königin und trösteten sie in ihren schmerzvollen Liebesklagen, indem sie mit ihr von dem Allerhöchsten sprachen und die Vollkommenheiten der heiligsten Menschheit ihres Sohnes durch wunderbare Lobpreisungen verherrlichten. Sie gaben ihr Nachrichten über alle seine Werke und Aufenthaltsorte, indem sie ihren Geist auf die nämliche Weise erleuchteten, wie ein höherer Engel den tiefer stehenden erleuchtet. Dies war die Art und Weise, wie sie mit den Engeln innerlich, ohne Tätigkeit der Sinne verkehrte. So erfuhr Unsere Liebe Frau von den himmlischen Geistern, wann ihr göttlicher Sohn in der Einsamkeit betete, wann er lehrte, wann er die Armen und Kranken besuchte usw. Die Himmelskönigin aber ahmte dieses alles, so weit möglich, in ausgezeichnetster Weise nach, wie in der Folge noch gesagt wird, und beschwichtigte so ihren Schmerz wenigstens zum Teil.
970. Manchmal sandte sie auch die Engel ab, damit sie in ihrem Namen ihren göttlichen Sohn besuchten und ihm ihre Worte voll tiefer Weisheit und ehrerbietiger Liebe überbrächten. Zuweilen gab sie ihnen ein Tuch oder Linnen mit, das sie eigenhändig verfertigt hatte. Die Engel sollten damit das anbetungswürdige Angesicht unseres göttlichen Heilandes abtrocknen, wenn sie ihn während des Gebetes ermüdet und Blut schwitzen sähen. Die heiligste Mutter wusste nämlich, dass er diese Todesangst leide, und zwar um so häufiger, je mehr er sich mit dem Erlösungswerk beschäftigte. Mit unglaublicher Ehrfurcht gehorchten die heiligen Engel ihrer Königin, da sie wussten, es sei so der Wille des Herrn, damit das liebevolle Verlangen seiner Mutter erfüllt werde. Andere Male wurde die heiligste Jungfrau, sei es durch die Engel, sei es durch eine besondere Vision, inne, dass unser Herr auf den Bergen für die Menschen bete, und dann leistete ihm die barmherzigste Königin von ihrem Haus aus Gesellschaft, indem sie dieselben Gebete, in der nämlichen Haltung und mit den nämlichen Worten wie er verrichtete. Einige Male sandte sie ihm auch durch die Engel einige Nahrung, wenn sie wusste, dass sonst niemand dem Herrn der Schöpfung etwas geben werde. Doch tat sie dies nur selten, weil unser Herr ihr nicht erlaubte, es ihrem Verlangen gemäß immer zu tun. Während der vierzigtägigen Fasten aber sandte sie gar nichts, weil der Herr es so haben wollte.
971. Manchmal war die Himmelskönigin damit beschäftigt, entweder allein im Gebet oder abwechselnd mit den heiligen Engeln dem Allerhöchsten Loblieder darzubringen. Diese Loblieder waren alle ebenso erhaben dem Stil, als tief dem Sinn nach. Andere Male half sie nach dem Beispiel ihres Sohnes der Not des Nächsten ab. Sie besuchte die Kranken, tröstete die Betrübten und belehrte die Unwissenden. Alle wurden von ihr gebessert, mit Gnaden und himmlischen Gütern erfüllt. Nur während des Fastens unseres Herrn blieb sie ganz abgeschlossen und verkehrte, wie ich weiter unten sagen werde, mit niemand. Während dieser Zeit, da unsere Königin und himmlische Lehrmeisterin ganz einsam und von allem Verkehr mit den Menschen abgeschlossen lebte, waren ihre Ekstasen häufiger und anhaltender. Sie empfing dabei unaussprechliche Gnaden und Auszeichnungen, denn die Hand des Herrn zeichnete in ihrer Seele, wie der Maler auf der zubereiteten Leinwand, seine unendlichen Vollkommenheiten in wunderbaren Zügen ab. Und alle diese Gnadengeschenke benützte sie dazu, um aufs neue für das Heil der Menschen zu wirken. Alles verwendete sie dazu, um ihren heiligsten Sohn immer vollkommener nachzuahmen und als seine Gehilfin bei den Werken der Erlösung mittätig zu sein. Diese Gnadenerweise des Herrn und der innige Verkehr mit ihm waren allerdings notwendigerweise mit großer Freude und großem Trost im Heiligen Geist verbunden. Allein dem niederen Teile der Seele nach, war sie dennoch zu gleicher Zeit in Leiden versenkt. Sie hatte sich ja dies, wie oben gesagt wurde, erbeten, um ihrem göttlichen Sohn ähnlich zu sein. In diesem Verlangen, dem Herrn im Leiden nachzufolgen, war sie unersättlich. Mit glühendster Liebe flehte sie unablässig zum ewigen Vater um diese Gnade und erneuerte das ihm so wohlgefällige Opfer des Lebens ihres Sohnes sowie das ihres eigenen Lebens, welches sie nach dem Willen des Herrn bereits dargebracht hatte. Dieses ihr sehnliches Verlangen, für den Geliebten zu leiden, war in ihr fast ununterbrochen aktuell und lebendig, so dass sie in Sehnsucht ganz entzündet war und litt, weil sie nicht litt.
LEHRE, welche mir Maria, die heiligste Himmelskönigin, gab
972. Meine teuerste Tochter, die Weisheit des Fleisches hat die Menschen zu Unwissenden, zu Toren und Feinden Gottes gemacht. Denn diese Weisheit ist teuflisch, trügerisch, irdisch und dem Gesetz Gottes nicht unterworfen (Röm 8, 7; 1 Kor 3,19; Jak 3,15). Je mehr sich die Kinder Adams bemühen, je mehr sie auf Mittel ausgehen, um die schlechten Ziele ihrer sinnlichen, tierischen Leidenschaften zu erreichen, desto unwissender werden sie in göttlichen Dingen, und um so unfähiger, zu ihrem wahren und letzten Ziel zu gelangen. Bei den Kindern der Kirche aber ist diese Unwissenheit und fleischliche Klugheit noch beklagenswerter und Gott missfälliger. Auf welchen Grund hin wollen sich denn die Kinder der Welt Kinder Gottes, Brüder Christi und Erben seiner Güter nennen? Ein Adoptivsohn muss doch dem leiblichen Sohn in allem möglichst ähnlich sein. Ein Bruder ist doch nicht von ganz entgegengesetztem Geschlecht und Charakter als der andere. Erbe heißt man nicht, wenn man nur einen beliebigen Teil von den Gütern des Vaters erhält, ohne den Genuss des Vermögens und der Haupterbschaft. Wie sollten also jene Miterben Christi sein, die nur die irdischen Güter lieben, verlangen und suchen und an ihnen ihr ganzes Wohlgefallen finden? Wie sollten jene seine Brüder sein, die von seinen Eigenschaften, seiner Lehre und seinem heiligen Gesetz so weit abweichen? Wie sollten jene ihm ähnlich sein, welche so oft sein Bild in ihrer Seele austilgen und das «Bild der höllischen Bestie» (Offb 16, 2) sich so oft eindrücken lassen?
973. Im göttlichen Licht siehst du, meine Tochter, diese Wahrheiten ein. Du weißt, wie sehr ich mich bemühte, dem Bild des Allerhöchsten, meines Sohnes und Herrn, mich gleichförmig zu machen. Glaube aber nicht, ich habe dir eine so hohe Erkenntnis meiner Werke umsonst gegeben. Mein Verlangen geht vielmehr dahin, dass die Erinnerung daran deinem Herzen eingeprägt bleibe. Stets soll dir meine Lehre vor Augen schweben. Nach ihr sollst du dein Leben ordnen und deine Handlungen während der ganzen noch übrigen Zeit deines Lebens einrichten, das nicht mehr lange dauern kann. Lass dich durch den Umgang und den Verkehr mit den Geschöpfen nicht aufhalten und hindern, mir nachzufolgen. Verlass die Geschöpfe, meide sie, kehre ihnen den Rücken, sofern sie dir hinderlich sein können. Um in meiner Schule Fortschritte zu machen, musst du arm, demütig, verachtet und gedrückt sein und bei alledem eine heitere Miene und ein freudiges Herz haben. Erfreue dich nicht über den Beifall und die Zuneigung irgendeines Menschen. Lasse dich nie von den natürlichen Wünschen eines anderen bestimmen, denn der Herr will an dir keine so unnützen Rücksichten und keine so niedrigen Beschäftigungen, die mit dem Stand, zu welchem er dich beruft, unvereinbar sind. Erwäge mit demütiger Aufmerksamkeit die Liebesbeweise, welche du von der Hand des Herrn empfangen hast. Bedenke, dass er, um dich zu bereichern, große Gnadenschätze aufgewendet hat. Dies ist aber dem Luzifer und seinen Dienern bekannt. Sie sind mit Zorn und Arglist gegen dich bewaffnet und werden alle Hebel in Bewegung setzen, um dich ins Verderben zu stürzen. Den gewaltigsten Kampf werden sie aber gegen dein Inneres führen. Dorthin werden sie die feurigsten Geschosse ihrer Arglist und Bosheit richten. Sei darum wachsam und vorsichtig in deinem Verhalten. Verschließe die Türen deiner Sinne, halte deinen Willen im Zaum und lasse ihn an keine irdische Sache, so gut und ehrbar sie auch scheinen mag, sich hängen. Denn wenn deine Liebe zu Gott auch nur im geringsten hinter dem, was der Herr verlangt, zurückbleibt, so wird diese kleine Lücke die Pforte sein, durch welche deine Feinde eindringen. Das ganze Reich Gottes ist innerhalb dir (Lk 17, 21), dort besitzst du den Herrn, dort wirst du ihn finden, und in ihm die Glückseligkeit, welche du begehrst. Vergiss meine Lehre nicht, bewahre sie in deinem Herzen. Wisse, dass die Gefahr und der Nachteil, welche ich von dir fernhalten will, sehr groß sind. Das höchste Glück aber, welches du dir wünschen kannst, ist dies, dass du mir nachfolgst und mir ähnlich wirst. Mit aller Zärtlichkeit bin ich geneigt, dir dasselbe zu verleihen, wenn du durch erhabene Gedanken und heilige Werke dich dazu bereitest und dich so zu jenem Stand erhebst, für welchen der Allmächtige und ich dich bestimmt haben.
VIERUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Taufe Jesu am Jordan
Unser Heiland Jesus Christus kommt an das Ufer des Jordan und wird dort vom hl. Johannes getauft. Johannes bittet, vom Herrn getauft zu werden.
974. Nachdem unser Erlöser seine liebevollste Mutter ganz einsam, ohne irgendwelche menschliche Gesellschaft, aber beschäftigt mit den genannten Übungen der glühendsten Liebe in ihrem armen Häuschen zu Nazareth zurückgelassen hatte, schlug er den Weg zum Jordan ein, wo sein Vorläufer Johannes predigte und taufte. Es war dies in der Nähe von Bethanien, welches am jenseitigen Ufer des Flusses lag und auch Bethabara hieß. Bei den ersten Schritten, welche unser göttlicher Heiland außerhalb seines Hauses machte, erhob er die Augen zum ewigen Vater und opferte ihm mit glühendster Liebe alles auf, was er aufs neue für die Menschen zu tun und zu leiden im Begriff stand: seine Mühsale, seine Schmerzen, sein Leiden, den Tod am Kreuz, den er im Gehorsam gegen den ewigen Vater für sie erdulden wollte. Er opferte auch den Schmerz auf, den es ihn als wahren und gehorsamen Sohn kostete, seine Mutter zu verlassen und ihrer süßen Gesellschaft zu entsagen, die er während neunundzwanzig Jahren genossen hatte. Der Herr der Welt ging allein, ohne Gepränge, ohne Gesellschaft. Er, der höchste König der Könige, der Herr der Herren (Offb 19,16), war nicht gekannt, nicht geachtet von seinen eigenen Untertanen, obwohl sie dies in solchem Grad sind, dass sie nur durch seinen Willen Dasein und Leben genießen (Offb 4,11). Seine königliche Ausrüstung war die äußerste Armut.
975. Die heiligen Evangelisten haben die eben genannten Handlungen unseres Heilandes samt ihren so beachtenswerten Umständen zwar mit Stillschweigen übergangen, allein deswegen sind sie doch tatsächlich geschehen. Wir aber sind in unserer Blindheit ganz daran gewöhnt, auch diejenigen Werke unseres Herrn, welche die Evangelisten schriftlich aufgezeichnet haben, mit Undank zu vergelten. Darum unterlassen wir es, die Unermesslichkeit der empfangenen Wohltaten und die Unendlichkeit der unschätzbaren und maßlosen Liebe zu bedenken und zu erwägen, in welcher der Herr uns so überflüssig bereichert hat, um uns durch zahllose Liebesbande an sich zu ziehen (Offb 11, 4). O ewige Liebe des Eingeborenen vom Vater! O mein Gut, du Leben meiner Seele! O dass deine glühendste Liebe so wenig gekannt und noch weniger mit Dank vergolten wird ! Warum, o mein Herr und meine süße Liebe, warum wendest du so viele Liebesbeweise, so viele Sorgen und Leiden denjenigen zu, deren du nicht bedarfst und welche deine Wohltaten so wenig eines Dankes oder einer Beachtung würdigen, wie wenn es Fabeln und Märchen wären? O Menschenherz, wilder als das Herz eines Tieres ! Wer verhärtet dich in solchem Grad ? Wer hält dich nieder und macht dich so schwerfällig, dass du den Weg der Dankbarkeit gegen deinen Wohltäter nicht einschlägst? O traurige Verblendung des menschlichen Verstandes ! Welchem Todesschlaf seid ihr Menschen verfallen ! Wer hat so unfehlbare Wahrheiten, so denkwürdige Wohltaten, ja euer eigenes, wahres Glück aus eurem Gedächtnis ausgetilgt? Wenn wir doch von Fleisch und so empfindlich sind, wer hat uns dann härter und unempfindlicher gemacht als tote Felsen und Klippen? Warum wachen wir denn nicht auf, warum kommen wir nicht zur Besinnung, da doch alle Wohltaten unserer Erlösung uns so laut rufen? Tote Gebeine wurden auf das Wort eines Propheten (Ez 37,10) lebendig und bewegten sich. Wir aber widerstehen den Worten und Werken desjenigen, der allem, was da ist, Leben und Dasein spendet. So mächtig ist die irdische Liebe, so mächtig unsere Vergesslichkeit !
976. O mein Herr, du Licht meiner Seele! nimm doch jetzt dieses elende Würmchen an, welches auf der Erde kriechend den schönen Schritten entgegenkommt, welche du tust, um es zu suchen ! Durch diese Schritte gibst du mir die sichere Hoffnung, in dir die Wahrheit, den Weg, die Liebe und das ewige Leben zu finden. Ich kann dir, o mein Bräutigam, nichts zum Dank aufopfern als deine Liebe und Güte, nebst dem Leben, welches ich von deiner Güte erhalten habe. Mit etwas, das nicht so groß ist als du selbst, kann ja das unendlich Große nicht bezahlt werden, das du für mein Heil getan hast. Ich komme dir entgegen, dürstend nach deiner Liebe. O Herr, wende deinen gütigen Blick nicht ab von den Armen, welche du mit liebevoller Sorgfalt aufsuchst ! O du Leben meiner Seele, du Seele meines Lebens ! War mir das Glück nicht beschieden, dich in jenem glückseligsten Jahrhundert mit leiblichen Augen zu sehen, so bin ich doch wenigstens eine Tochter deiner heiligen Kirche, ein Glied deines mystischen Leibes, der heiligen Gemeinschaft der Gläubigen. Ich lebe mitten in Gefahren, in gebrechlichem Fleisch, in einer Zeit voll Elend und Trübsal, aber ich rufe aus der Tiefe und seufze aus dem Innersten des Herzens nach deinen unendlichen Verdiensten. Damit ich aber teil an diesen Verdiensten habe, so verleiht mir der Glaube über dieselben Gewissheit, die Hoffnung gibt mir Zuversicht, die Liebe aber erteilt mir ein Anrecht auf sie. Darum sieh gnädig auf mich niedrige Magd und mache, dass ich für so viele Wohltaten dankbar sei, sanftmütig von Herzen, standhaft in der Liebe, ganz hingegeben in deinen heiligen Willen und dein größeres Wohlgefallen.
977. Auf dem Weg zum Jordan übte unser Herr an verschiedenen Orten seine gewohnte Barmherzigkeit an zahlreichen Hilfsbedürftigen, indem er ihnen wunderbare Wohltaten an Leib und Seele erwies, jedoch stets im verborgenen. Denn vor der Taufe hat kein öffentliches Zeugnis von seiner Allmacht und seiner unendlichen Erhabenheit stattgefunden. Bevor der göttliche Heiland in die Gegenwart des Täufers kam, sandte er dem Herzen dieses Heiligen neues Licht und eine ungewöhnliche Freude, wodurch derselbe im Geist umgewandelt und erhoben wurde. Darob verwundert, sprach der hl. Johannes: «Was für ein Geheimnis ist dies? Welches Vorzeichen meines Glückes? Seitdem ich die Gegenwart meines Herrn im Schoß meiner Mutter erkannt habe, habe ich nie mehr solche Vorgänge in meinem Innern gewahrt. Kommt vielleicht der Erlöser der Welt oder ist er etwa schon nahe bei mir?» - Nach dieser Erleuchtung hatte Johannes der Täufer eine intellektuelle Vision, in welcher er das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes und andere auf die Erlösung sich beziehende Geheimnisse mit größerer Klarheit erkannte. In Kraft dieser Erleuchtung legte er jene Zeugnisse ab, welche der heilige Evangelist Johannes (Joh 1, 36) berichtet, das eine auf die Frage der Juden, während des Aufenthaltes unseres Herrn in der Wüste, das andere nachher, als er Jesus wandeln sah und sagte: «Siehe, das Lamm Gottes!» Freilich hatte der Täufer schon vorher große Geheimnisse erkannt, als ihm nämlich der Herr gebot, zu predigen und zu taufen. Allein durch diese Vision wurden ihm diese Geheimnisse mit größerer Klarheit und Fülle geoffenbart, und er ward inne, dass der Erlöser der Welt zur Taufe komme.
978. Der Sohn Gottes kam nun mit den Übrigen und bat den hl. Johannes, ihn wie einen jeden anderen zu taufen. Doch der Täufer erkannte ihn, warf sich ihm zu Füßen, hielt ihn ab und sprach, wie der hl. Matthäus berichtet: «Ich habe nötig, von dir getauft zu werden, und du, o Herr, kommst und verlangst die Taufe von mir (Mt 3,14) ?» Der göttliche Heiland antwortete: «Lasse mich jetzt tun, was ich verlange, denn so geziemt es sich, dass wir jegliche Gerechtigkeit erfüllen (Mt 3,15).» Indem der Täufer sich weigerte, Christus unsern Herrn zu taufen und ihn bat, von ihm getauft zu werden, gab er zu verstehen, dass er ihn als den wahren Messias erkenne. Hiermit steht aber keineswegs im Widerspruch, was der hl. Evangelist Johannes von dem heiligen Täufer berichtet, dass er nämlich zu den Juden gesagt habe: «Ich kannte ihn nicht, aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, sprach zu mir: Über welchen du sehen wirst den Heiligen Geist herabsteigen und auf ihm bleiben, dieser ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist (Joh 1, 33 u. 34).» Hierin liegt, sage ich, kein Widerspruch mit dem, was der hl. Matthäus sagt. Denn das Zeugnis des Himmels, nämlich die Stimme des Vaters, kam am Jordan über Christus unseren Herrn, als der hl. Johannes die erwähnte Vision hatte, dieser hatte aber bis dahin den göttlichen Heiland noch nicht mit leiblichen Augen gesehen. Darum sagte er, dass er ihn bisher nicht gekannt habe, wie er ihn jetzt kenne. Allein er sah ihn nicht bloß mit leiblichen Augen, sondern auch mit dem Licht der Offenbarung und deshalb warf er sich zu gleicher Zeit zu seinen Füßen nieder und bat ihn um die Taufe.
979. Als der hl. Johannes Christus unsern Herrn getauft hatte, öffnete sich der Himmel. Der Heilige Geist stieg auf sein Haupt herab unter der sichtbaren Gestalt einer Taube, und man hörte die Stimme des Vaters, welche sprach: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe (Mt 3,17).» Viele von den Anwesenden, die dieser Gnade nicht unwürdig waren, hörten die Stimme vom Himmel und sahen auch den Heiligen Geist in der Gestalt, in welcher er auf unsern Herrn herab kam. Dieses Zeugnis für die Gottheit unseres Erlösers war das stärkste, das es geben konnte, und zwar sowohl in Hinsicht auf die Person dessen, der es ablegte, nämlich des ewigen Vaters, welcher Christus als seinen Sohn bekannte, als auch in Hinsicht auf den Inhalt des Zeugnisses, Denn es wurde dadurch geoffenbart, dass Christus wahrer Gott und seinem ewigen Vater in der Wesenheit und in den unendlichen Vollkommenheiten gleich sei. Gott Vater wollte aber der erste sein, welcher die Gottheit Christi, und zwar vom Himmel herab, bezeugte, damit durch sein Zeugnis alle anderen bekräftigt würden, welche später auf Erden gegeben werden sollten. Noch ein anderes Geheimnis lag in diesen Worten des ewigen Vaters. Sie waren nämlich gewissermaßen die Ehrenrettung und Belohnung seines göttlichen Sohnes nach seiner Verdemütigung in der Taufe. Die Taufe war ja ein Mittel zur Tilgung der Sünden. Der menschgewordene Sohn Gottes aber war frei von solchen, da er nicht sündigen konnte.
980. Diesen Akt der Demut, welchen unser Erlöser dadurch übte, dass er die Gestalt eines Sünders annahm und mit solchen, welche wirklich Sünder waren, die Taufe empfing, brachte der göttliche Heiland dem ewigen Vater zugleich mit seinem Gehorsam dar. Durch diese Unterwerfung aber wollte er anerkennen, dass er der menschlichen Natur nach die er mit den anderen Kindern Adams gemein hatte, geringer sei als der Vater. Er wollte dabei auch das Sakrament der Taufe einsetzen, welches die Sünden der Welt in Kraft seiner Verdienste abwaschen sollte. Indem nämlich unser Herr sich zuerst zur Sündentaufe demütigte, erflehte und erlangte er vom ewigen Vater vollständige Verzeihung für alle, welche die Taufe empfangen, damit sie, von der Herrschaft des Satans und der Sünde befreit. wiedergeboren würden zum neuen, geistlichen und übernatürlichen Leben, als Adoptivkinder Gottes und Brüder des göttlichen Heilandes. Die Sünden der Menschen, die vergangenen wie die gegenwärtigen und zukünftigen, standen vor den Augen des allwissenden Gottes diesem so lieblichen und leichten Heilmittel der Taufe hindernd im Weg. Allein Christus unser Herr hat es uns aus Gerechtigkeit verdient, so dass die Gerechtigkeit des Vaters dasselbe annahm, guthieß und sich befriedigt erklärte, obwohl er wusste, dass viele Menschen der gegenwärtigen und zukünftigen Zeit die Taufgnade verscherzen, und dass zahllose andere die Taufe gar nicht empfangen würden. Unser Herr Jesus Christus hat alle diese Hindernisse entfernt. Er leistete Genugtuung für die Sünden der Menschen durch seine Verdienste und durch seine Verdemütigung, indem er, der Unschuldige, durch den Empfang der Taufe als Sünder erscheinen wollte. Alle diese Geheimnisse sind in den Worten enthalten, die er an den Täufer richtete: «Lass mich jetzt tun, was ich verlange, denn so geziemt es sich, dass wir jegliche Gerechtigkeit erfüllen (Mt 3,15).» Um den menschgewordenen Sohn Gottes zu beglaubigen, seine Demut zu belohnen und die Taufe mit ihren Wirkungen gutzuheißen, ertönte die Stimme des Vaters, der Heilige Geist kam herab, Jesus Christus wurde als wahrer Sohn Gottes bekannt. Und so offenbarten sich alle drei göttlichen Personen, in deren Namen die Taufe gespendet werden sollte.
981. Dem großen Täufer Johannes war es beschieden, an allen diesen Wundern und deren Wirkungen den innigsten Anteil zu haben. Er taufte seinen Meister und Erlöser. Er sah den Heiligen Geist und die Kugel himmlischen Lichtes, welche auf unsern Herrn herabstieg. Er sah die unzählbare Menge Engel, welche bei der Taufe zugegen waren. Er hörte die Stimme des himmlischen Vaters und erkannte weitere Geheimnisse in der genannten Vision. Und über all dies wurde er vom göttlichen Heiland selbst getauft. Das Evangelium sagt zwar nur, Johannes habe um die Taufe gebeten (Mt 3, 14), allein damit stellt es nicht in Abrede, dass er sie wirklich empfangen hat und es ist kein Zweifel, dass der Herr, nachdem er getauft war, seinem Vorläufer die verlangte Taufe spendete. Unser Herr setzte ja die Taufe schon damals ein, obwohl er erst später, nach seiner Auferstehung, den Aposteln befahl, sie überall zu verkünden und zu spenden (Mt 28, 19). Wie später gesagt werden wird, taufte unser Herr auch seine heiligste Mutter, ehe er dieses Sakrament promulgierte und dabei dessen Form festsetzte. So war denn, wie mir mitgeteilt wurde, Johannes der Erstgeborene der Taufe Christi und der neuen, auf dieses große Sakrament gegründeten Kirche. Er erhielt dadurch den unauslöschlichen Charakter als Christ und eine große Fülle von Gnaden, obwohl er die Erbsünde nicht mehr auf sich hatte, also auch nicht deren Verzeihung nötig hatte. Der göttliche Heiland hatte ihn ja bereits vor seiner Geburt gerechtfertigt. Mit den Worten: «Lass mich jetzt tun, was ich will, denn so geziemt es sich, dass wir jegliche Gerechtigkeit erfüllen», hat unser Herr ihm die Taufe nicht verweigert, sondern nur aufgeschoben, bis er selbst zuerst getauft war und der Gerechtigkeit in der erklärten Weise Genugtuung geleistet hatte. Darauf taufte er den hl. Johannes, gab ihm seinen Segen und ging in die Wüste. (Auch der hl. Thomas sagt, der hl. Johannes habe von unserem Herrn die Taufe empfangen: «Per hoc, quod Christus Joanni dicenti: Ego a te debeo baptizari, respondit: Sine modo, ostenditur, quod postea Christus baptizavit Joannem.» (P. 3. q. 38. a. 6.1 Oer Herausgeber).
982. Kehren wir jetzt zu unserer großen Königin zurück. Obwohl sie durch göttliches Licht um die Handlungen ihres heiligsten Sohnes wusste, so erhielt sie doch alsbald nach dessen Taufe von allem, was am Jordan geschehen war, durch die Engel, welche unserem Herrn zur Seite standen, Nachricht. Es waren dies solche Engel, von welchen im ersten Teil (Teil 1, Nr. 372) gesagt wurde, dass sie die Sinnbilder des Leidens unseres Heilandes trugen. Die weiseste Mutter brachte dem himmlischen Vater sowie ihrem göttlichen Sohn neue Lob- und Danklieder dar für all diese Geheimnisse der Taufe, welche er empfangen und eingesetzt hatte, sowie für die Bezeugung seiner Gottheit. In seinen Gebeten und Akten der Demut aber ahmte sie den göttlichen Meister durch viele ähnliche Akte nach. Sie betete mit inbrünstiger Liebe für die Menschen, dass sie doch das Sakrament der Taufe sich zunutze machen, und dass dasselbe in der ganzen Welt empfangen werde. Außerdem lud sie auch die himmlischen Geister ein, ihren göttlichen Sohn mit ihr zu verherrlichen für die Verdemütigung in seiner Taufe.
LEHRE, welche mir Maria, die heiligste Himmelskönigin gab
983. Meine Tochter, ich habe dir schon oftmals gezeigt, was mein allerheiligster Sohn zum Heil der Menschen getan hat. Dabei habe ich dir auch gezeigt, wie hoch ich diese Werke geschätzt und wie eifrig ich dafür Dank gesagt habe. Daraus kannst du abnehmen, wie sehr eine dankbare Gesinnung von deiner Seite Gott wohlgefällig ist und welch große Güter in derselben eingeschlossen sind. Du bist zwar arm im Haus des Herrn, eine Sünderin, klein und schwach wie Staub. Aber ich verlange doch, dass du es dir zur Aufgabe machst, meinem göttlichen Sohn unablässig Dank zu sagen für die Liebe, die er zu den Kindern Adams getragen, für das heilige, unbefleckte, gnadenreiche und vollkommene Gesetz, das er ihnen zum Heil gegeben, insbesondere aber für die Einsetzung der heiligen Taufe, durch deren Kraft sie von der Herrschaft des Satans befreit, zu Kindern Gottes wiedergeboren und mit der Gnade ausgerüstet werden, welche sie rechtfertigt und ihnen Kraft gibt, nicht wieder zu sündigen. Freilich ist dies eine Pflicht, welche allen insgesamt obliegt. Allein da die Menschen sie beinahe ganz vergessen, so schärfe ich sie dir ein, damit du nach meinem Beispiel im Namen aller dankst, wie wenn du allein die Dankschuldige wärst. Mit Rücksicht auf einzelne besondere Gnadenerweise des Herrn bist du dies in der Tat, denn gegen niemand ist der Herr so freigebig gewesen wie gegen dich. Bei Gründung des Neuen Bundes und bei Einsetzung der heiligen Sakramente bist du seinem Gedächtnis und seiner Liebe gegenwärtig gewesen, da er dich zu einer Tochter seiner Kirche berufen und auserwählt hat, um als solche mit den Früchten seines Blutes genährt zu werden.
984. Um als weiser Architekt die heilige Kirche zu gründen und den ersten Grundstein dieses Gebäudes durch das Sakrament der Taufe zu legen, hat mein allerheiligster Sohn, der Urheber der Gnade, sich gedemütigt, gebetet, gefleht und alle Gerechtigkeit erfüllt, indem er die Unterordnung seiner heiligsten Menschen unter die Wesenheit Gottes anerkannte. Obgleich wahrer Gott, hat er es nicht verschmäht. sich als Mensch zu dem Nichts zu erniedrigen, aus welchem seine reinste Seele erschaffen und seine Menschheit gebildet war. Wie musst dann aber du dich demütigen! Du hast gesündigt, du bist weniger als Staub und Asche. Bekenne also, dass du aus Gerechtigkeit nur Züchtigung und Zorn von allen Geschöpfen verdienst. Kein Sterblicher, der seinen Schöpfer und Erlöser beleidigt hat, kann mit Wahrheit sagen, es geschehe ihm Unrecht wenn auch alle Leiden und Trübsale vom Anfang an bis zum Ende der Welt über ihn kämen. Nun haben aber alle in Adam gesündigt. Wie sehr müssen sie sich also demütigen und unterwerfen, wenn die Hand des Herrn sie berührt (Job 19, 21) ! Und wenn du auch alle Peinen der Menschen mit demütigem Herzen ertrügst und überdies alle meine Ermahnungen, Belehrungen und Befehle vollkommen beobachtetest, so müsstest du dich dennoch als eine unnütze Magd betrachten (Lk 17,10). Um wie viel mehr musst du dich also aus ganzem Herzen demütigen, wenn du deine Pflicht nicht erfüllst und hinter dem schuldigen Dank weit zurück bleibst ? Ich will, dass du in deinem Namen und im Namen alle anderen diesen Dank abstattest. Nimm also diese Pflicht wohl zu Herzen. Bereite dich dazu, indem du dich bis in den Staub erniedrigst. Leiste keinen Widerstand und gib dich niemals zufrieden, bis Gott dich im himmlischen, triumphierenden Jerusalem als seine Tochter erklärt und zu seiner ewigen Anschauung zugelassen hat.
FÜNFUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Jesus in der Wüste
Unser Erlöser geht nach der Taufe in die Wüste. Er erringt dort durch Übung der Tugenden große Siege über unsere Laster. Seine heiligste Mutter hat von allem Kenntnis und ahmt ihn aufs vollkommenste nach.
985. Durch das Zeugnis, welches die höchste Wahrheit am Jordan von der Gottheit Christi, unseres Erlösers, gegeben hatte, war seine Person und seine Lehre derart beglaubigt, dass er sogleich seine Predigt hätte beginnen und sich zu erkennen geben können sowohl durch seine Lehre, als durch seine Wunder und sein heiliges Leben, damit alle ihn als den wahren Sohn des ewigen Vaters, als den Messias von Israel und den Erlöser der Welt erkannt hätten. Allein der göttliche Lehrmeister der Heiligkeit wollte zuvor über unsere Feinde, die Welt. den Satan und das Fleisch triumphieren, um danach ihren Trug zunichte zu machen. Er wollte uns durch seine heroischen Tugendakte den ersten Unterricht im christlichen und geistlichen Leben geben und uns lehren, wie wir streiten und siegen sollen durch seine Siege. Er hat zuerst durch seine Siege die Kräfte unserer Feinde gebrochen, damit sie für unsere Schwachheit weniger gefährlich seien, sofern nur wir selbst uns nicht ihnen überliefern und durch unseren eigenen Willen ihnen ihre Macht zurückgeben. Allerdings war unser Herr in seiner Gottheit dem bösen Feind unendlich überlegen, und als Mensch war er frei von Betrug und Sünde (1 Petr 2, 22) und besaß die höchste Heiligkeit und die Herrschaft über alle Geschöpfe. Allein er wollte als heiliger, gerechter Mensch die Laster und ihren Urheber überwinden, indem er seine heiligste Menschheit dem Streit der Versuchung aussetzte und zu diesem Ende seine Überlegenheit über die unsichtbaren Feinde verbarg.
986. Durch die Zurückgezogenheit hat unser Herr die Welt besiegt und uns gelehrt, sie gleichfalls zu besiegen. Freilich lässt die Welt gewöhnlich jene beiseite, deren sie zur Erreichung ihrer irdischen Ziele nicht bedarf und wer sie nicht sucht, dem geht sie nicht nach. Dennoch muss derjenige, welcher sie wahrhaft verachtet, dies auch an den Tag legen, indem er sich nicht bloß mit dem Herzen, sondern auch soviel als möglich in der Tat von ihr losreißt und entfernt. Das Fleisch sodann hat unser göttlicher Heiland besiegt und uns gelehrt, dasselbe zu überwinden, indem er seinem unschuldigsten Leib die Buße eines so langen Fastens auferlegte, obwohl sich in demselben weder ein Widerstand gegen das Gute, noch eine Neigung zum Bösen fand. Den Satan endlich hat er, wie ich zeigen werde, durch die Lehre und die Wahrheit überwunden, denn alle Versuchungen des Vaters der Lüge pflegen im Gewande der Lüge und Täuschung zu kommen. Indem der göttliche Heiland nicht eher das Predigtamt antreten und sich der Welt zeigen wollte, als bis er diese Siege errungen hatte, gab er uns noch eine andere Lehre und Warnung. Er hat uns nämlich dadurch belehrt, welch großer Gefahr unsere Gebrechlichkeit ausgesetzt ist, wenn wir die Ehren der Welt, würden sie auch um himmlischer Gaben willen gespendet, annehmen, bevor wir den Leidenschaften abgestorben sind und unsere Feinde überwunden haben. Denn wenn der Beifall der Menschen uns unabgetötet findet, wenn unsere Leidenschaften noch lebendig sind und wir innere Feinde im Herzen tragen, dann haben die Gaben und Gnaden des Himmels in uns wenig Sicherheit, da der Wind der eitlen, weltlichen Ehre selbst die wuchtigsten Berge umzustürzen pflegt. Darum ist es für uns alle von höchster Wichtigkeit, einzusehen, dass wir unseren Schatz in irdenen, zerbrechlichen Gefäßen (2 Kor 4, 7) tragen. Will Gott die Kraft seines Namens in unserer Schwachheit verherrlichen, dann weiß er auch die Mittel, unsere Schwachheit sicherzustellen und seine Werke ans Licht zu setzen. Unsere Sache und Aufgabe ist nur die, uns bescheiden zu verbergen.
987. Nachdem unser Herr sich vom hl. Johannes verabschiedet hatte, ging er unverweilt vom Jordan in die Wüste. Seine einzigen Begleiter waren die Engel, welche ihm als ihrem König und Herrn dienten und ihn mit Lobliedern verherrlichter für die Werke, die er zum Heil der Menschen zu vollbringen im Begriff stand. So kam er an den Ort, den er nach seinem heiligsten Willen sich auserwählt hatte. Es war dies ein ganz einsamer Platz zwischen kahlen Felsen, unter denen sich eine ganz verborgene Höhle befand. Hier stand er still und wählte sich diese Höhle zu seinem Aufenthalt für die Tage seines heiligen Fastens. Mit tiefster Demut warf er sich zur Erde nieder, eine Übung, mit welcher sowohl unser Herr als seine heiligste Mutter allzeit das Gebet zu beginnen pflegten. Der Heiland sagte dem ewigen Vater Lob und Dank für alle seine Werke, insbesondere dafür, dass er ihm diese zur Zurückgezogenheit so geeignete Einöde gegeben, ja er dankte gewissermaßen der Wüste selbst, dass sie ihn aufgenommen, um ihn während der Zeit seines Aufenthaltes dort vor der Welt zu verbergen. Dann setzte er sein Gebet mit ausgespannten Armen fort und flehte zum ewigen Vater für das Heil der Menschen. Dies war seine häufigste Beschäftigung in der Wüste, und nicht selten kam es vor, dass er während des Gebetes Blut schwitzte. Die Gründe, warum er Blut schwitzte, werde ich später angeben, wenn vom Gebet am Ölberg die Rede sein wird.
988. Manchmal ging unser Heiland an jenen einsamen Stätten umher. Dann ließen die Tiere des Waldes, welche mil wunderbarem Instinkt ihn als ihren Schöpfer erkannten, in großer Menge aus der Wüste herbei, um ihm durch Erheben ihrer Stimme und durch allerlei Bewegungen ihre Huldigung darzubringen. Dies taten ganz besonders die Vögel des Himmels. In ganzen Scharen flogen sie dem Herrn zu und legten durch mancherlei süße Lieder ihre Freude an den Tag. Sie verherrlichten in ihrer Weise den Herrn und drückten ihm den Dank dafür aus, dass er an dieser einsamen Stätte ihr Nachbar sein und die Wüste durch seine heilige und göttliche Gegenwart heiligen wolle.
Nun begann der Sohn Gottes sein Fasten. Vierzig Tage lang beobachtete er es, ohne irgendwelche Speise zu genießen. Dieses Fasten opferte er dem himmlischen Vater auf zum Ersatz für die Ausschreitungen und Sünden, welche die Menschen durch die Gaumenlust begehen, ein Laster, das zwar hässlich und gehaltlos, aber dennoch in der Welt sehr häufig ist und selbst offen verherrlicht wird. Und gleichwie der Herr dieses Laster besiegte, so besiegte er auch alle übrigen, indem er die Beleidigungen, welche durch dieselben dem höchsten Gesetzgeber und Richter zugefügt werden, wieder gutmachte. Um sein Amt als Prediger und Lehrmeister anzutreten und das Amt des Mittlers und Erlösers bei dem ewigen Vater auszuüben, hat unser Herr, wie mir mitgeteilt wurde, zuvor alle Laster der Sterblichen überwinden und die darin liegenden Beleidigungen Gottes durch Übung der entgegengesetzten Tugenden gutmachen wollen, wie er unsere Unmäßigkeit durch das Fasten gutmachte. Freilich hat er dies sein ganzes Leben hindurch mit glühendster Liebe getan, doch bestimmte er zu diesem Zweck namentlich die unendlich kostbaren Werke, welche er während seines Fastens in der Wüste verrichtete.
989. Gleichwie ein liebevoller Vater, dessen zahlreiche Kinder große Verbrechen begangen und schwere Strafen verdient haben, sein ganzes Vermögen aufbietet, um für diese schuldbeladenen Kinder Genugtuung zu leisten und sie vor der verdienten Strafe zu bewahren, so hat auch unser liebevoller Vater und Bruder Jesus Christus unsere Schulden bezahlt und Genugtuung dafür geleistet. So hat er zum Ersatz für unsere Hoffart seine tiefste Demut aufgeopfert, für unsere Habgier seine freiwillige Armut und Entblößung von jedem Eigentum, für die schändlichen Vergnügungen der Menschen hat er seine strenge Buße aufgeopfert, für den Zorn und die Rachsucht seine Sanftmut und Feindesliebe, für unsere Trägheit und Nachlässigkeit seine Wachsamkeit und Sorgfalt. Die Falschheit und Missgunst der Menschen hat er gutgemacht durch die lauterste Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Güte in seiner Gesinnung und seinem Umgang. Auf solche Weise hat er den gerechten Richter besänftigt und für die unechten und ungehorsamen Kinder um Erbarmen gefleht. Und nicht nur dies, nicht nur Verzeihung hat er uns erlangt, sondern er hat uns auch neue Gnade, Beistand und Hilfe verdient, damit wir dadurch zu seiner ewig dauernden Gesellschaft im Himmel gelangen und gewürdigt werden, an dem Erbe seiner Herrlichkeit teilzunehmen und sein und seines Vaters Angesicht zu schauen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wohl hätte er alles dieses durch das geringste seiner Werke erreichen können, womit wir uns begnügt hätten. Damit hat er sich aber nicht begnügt. Er ließ seine Liebe in zahllosen Wohltaten überfließen, damit unsere Undankbarkeit und Herzenshärte keine Entschuldigung mehr hätten.
990. Die seligste Jungfrau hätte von allem, was der Heiland tat, hinreichende Kenntnis gehabt durch das göttliche Licht und die beständigen Visionen, deren sie sich erfreute. In ihrer liebevollen Besorgnis jedoch sandte sie ihrem heiligsten Sohn überdies häufige Botschaften durch die Engel zu, und unser Herr wollte es so, damit beide durch Vermittlung so treuer Gesandten auch mit den Sinnen erfahren könnten, was ein jedes von ihnen in seinem Herzen fühlte und dachte. Die Engel vermittelten die Nachrichten über diese inneren Vorgänge, und zwar mit denselben Worten, wie sie für Maria aus dem Munde Jesu und für Jesus aus dem Munde Mariä kamen, obgleich sowohl unser Herr als seine heiligste Mutter sie bereits auf andere Weise erkannt hatten. Sobald Unsere Liebe Frau inne ward, dass unser Heiland in die Wüste ziehe, und welche Absicht er dabei habe, schloss sie alsbald die Türen ihres Hauses, und zwar so, dass niemand ihre Anwesenheit bemerkte. Sie hielt sich so sehr verborgen, dass selbst die Nachbarn dachten, sie habe sich entfernt, wie ihr heiligster Sohn. Maria zog sich in ihr Betkämmerchen zurück, und hier blieb sie nun vierzig Tage und vierzig Nächte lang, ohne es zu verlassen und ohne irgend etwas zu genießen. Sie wusste ja, dass ihr allerheiligster Sohn dasselbe tue. So beobachteten also beide in gleicher Weise das strengste Fasten. Aber auch in den übrigen Beschäftigungen war sie die treueste Nachahmerin und Gefährtin des Herrn. Sie betete, flehte, warf sich auf die Knie und auf das Angesicht nieder, wie er, ohne irgend etwas zu unterlassen und was noch wunderbarer ist, sie tat alles genau zur gleichen Zeit mit ihm, denn um dies tun zu können, enthielt sie sich jeder anderen Beschäftigung. Auch waren ihr die inneren Akte der Seele ihres allerheiligsten Sohnes nicht bloß durch die Botschaften der Engel, sondern auch vermöge des früher schon erwähnten Vorrechtes bekannt, wonach sie immer, mochte ihr Sohn gegenwärtig oder abwesend sein, die Vorgänge in seiner Seele schaute. Was aber die äußeren, körperlichen Handlungen Jesu betrifft, welche Maria zur Zeit ihres Zusammenwohnens mit den Sinnen wahrnahm, so erfuhr sie diese nachher, während seiner Abwesenheit, entweder durch intellektuelle Vision, oder durch die Botschaften der Engel.
991. Der göttliche Heiland pflegte während seines Aufenthaltes in der Wüste jeden Tag dreihundertmal die Knie zu beugen oder auf die Erde hingeworfen zu beten. Ebenso tat seine heiligste Mutter in ihrer Betkammer. Die übrige Zeit verwendete Maria, wie im vorigen Hauptstück gesagt wurde, dazu, mit den Engeln abwechslungsweise Lobeshymnen zu singen. Indem die Himmelskönigin auf diese Weise Christus unseren Herrn nachahmte, wirkte sie bei allen seinen Gebeten mit. Sie errang dieselben Siege über die Laster und machte diese in ihrer Weise gut durch ihre heldenmütigen Tugenden und durch die Triumphe, die sie damit errang. Hat also Christus als Erlöser uns so viele Güter verdient und unsere Schulden nach strengster Gerechtigkeit bezahlt, so hat die seligste Jungfrau Maria als seine Gehilfin und als unsere Mutter ihre barmherzige Fürsprache bei ihm eingelegt und das Amt einer Mittlerin versehen, soweit ein bloßes Geschöpf dies tun konnte.
LEHRE, welche mir unsere Königin und Herrin gegeben hat
992. Meine Tochter, die körperlichen Bußwerke sind dem sterblichen Menschen notwendig und unerlässlich und zwar in dem Grad, dass viele Seelen ewig verloren gegangen sind, einzig und allein deshalb, weil sie diese Wahrheit und diese ihre Schuldigkeit nicht kannten und ihre Verpflichtung, das Kreuz zu umfangen, vergessen und verachtet haben. Viele andere Seelen befinden sich aus dem gleichen Grunde in der Gefahr, demselben Schicksal zu verfallen.
Der erste Grund, warum die Menschen ihr Fleisch kreuzigen und abtöten müssen. ist, weil sie in Sünde empfangen sind. Durch die Sünde ist die ganze Natur des Menschen verdorben, Die Leidenschaften sind widerspenstig gegen die Vernunft und zum Bösen geneigt, sie streiten wider den Geist. Lässt man sie ihren Trieben nachgehen, dann reißen sie die Seele mit sich fort und stürzen sie von einem Laster in das andere. Wird aber dieses wilde Tier, das Fleisch, durch den Zügel der Abtötung und Kasteiung gebändigt und unterjocht, dann verliert es seine Kraft, und die Vernunft gewinnt mit dem Licht der Wahrheit die Oberhand.
Der zweite Grund ist, weil kein Mensch frei ist von Sünden, durch die er den ewigen Gott beleidigt hat. Auf die Schuld aber muss unerlässlich die entsprechende Strafe und Züchtigung folgen, sei es in diesem, sei es im anderen Leben. Und da Leib und Seele miteinander gesündigt haben, so müssen nach voller Gerechtigkeit auch beide gezüchtigt werden. Der innere Schmerz reicht nicht hin, wenn das Fleisch, um nicht leiden zu müssen, der verdienten Strafe auszuweichen sucht. Dazu kommt, dass die Schuld eine sehr große, die Ersatzleistung von Seiten des Schuldigen aber eine sehr beschränkte und kärgliche ist. Und da überdies der Sünder, auch wenn er sein ganzes Leben lang Buße tut, niemals gewiss weiß, ob er dem Richter Genüge geleistet habe, so darf er auch bis zum Ende seines Lebens niemals von der Buße ablassen.
993. Allerdings ist der gütige Gott gegen die Menschen so gnädig, dass er, wenn sie durch die geringe Buße, die sie zu leisten imstande sind, ihre Sünden abzuzahlen sich bemühen, nicht nur die ihm zugefügten Beleidigungen nachsieht, sondern überdies sich durch sein eigenes Wort verbindlich machen wollte, den Menschen für ihre Buße neue Gnaden und ewige Belohnungen zu verleihen. Allein die treuen und klugen Knechte, welche ihren Herrn wahrhaft lieben, lassen es sich angelegen sein, noch freiwillige Werke hinzuzufügen. Denn ein Schuldner, der nur daran denkt, die Schuld zu bezahlen, über das Schuldige hinaus aber nichts leisten will, der mag zwar seine Schuld abzahlen, bleibt aber doch arm und mittellos, wenn er nicht auch etwas erübrigt. Was müssen also diejenigen denken oder erwarten, welche weder ihre Schuld bezahlen, noch freiwillige Werke verrichten?
Der dritte Grund, welcher die Seelen am meisten bewegen sollte, ist der, weil sie ihrem göttlichen Lehrmeister und Herrn nachfolgen sollen. Mein allerheiligster Sohn und ich, wir hatten weder Sünden noch ungeordnete Leidenschaften, und doch haben wir uns zum Leiden hingeopfert. Unser ganzes Leben war eine ununterbrochene Abtötung und Kasteiung des Fleisches, und es geziemte sich. dass der Herr auf diesem Weg in die Glorie seines Leibes und seines Namens einging (Lk 24, 26), und dass ich ihm auf diesem Weg folgte. Wenn nun wir so getan haben, weil es so geziemend war, welches Recht haben dann die Menschen, einen anderen Weg aufzusuchen und ein angenehmes, weichliches, vergnügliches und genußsüchtiges Leben zu führen und alles, was weh tut, Kränkungen, Demütigungen, Fasten und Abtötungen zu verachten und zu verabscheuen? Sind etwa diese Peinen bloß für meinen Sohn und Herrn Jesus Christus und für mich bestimmt gewesen, während die Sünder, die Schuldigen, die, welche die Strafen verdient haben, die Hände in den Schoß legen, den schändlichen Gelüsten des Fleisches sich hingeben und die Seelenkräfte, die sie von meinem Herrn Jesus Christus empfangen haben, um sie zu seinem Dienste und seiner Nachfolge zu gebrauchen, nur dazu verwenden, ihren Vergnügungen zu frönen und dem Satan, der solche eingeführt hat zu dienen? Diese Ungeheuerlichkeit, welche unter den Kindern Adams ganz allgemein herrschend ist, hat den Zorn des gerechten Richters gar sehr gereizt.
994. Es ist wohl wahr, meine Tochter, dass durch die Leiden und Schmerzen meines heiligsten Sohnes ersetzt wurde, was den Menschen an Verdiensten gebrach. Auch hat der Erlöser angeordnet, dass ich, obwohl ein bloßes Geschöpf, gleichsam die Stelle aller übrigen Menschen vertretend, mit ihm gemeinschaftlich wirke und ihn in seinen Leiden und Bußübungen aufs vollkommenste nachahme. Allein dies geschah nicht, um die Menschen der Buße zu entheben, sondern vielmehr um sie zur Buße anzueifern, denn wäre nichts weiter erfordert gewesen, als für die Menschen genugzutun, dann hätte es so vieler und schwerer Leiden nicht bedurft. Auch war es die Absicht meines heiligsten Sohnes, als eines wahren Vaters und Bruders der Menschen, den Werken und Bußübungen aller seiner Jünger Wert zu verleihen, denn alle Werke der Geschöpfe wären vor Gottes Augen von geringem Wert, wenn sie nicht von den Werken meines heiligsten Sohnes Wert bekommen würden. Wenn nun dies von Werken gilt, welche in jeder Hinsicht tugendhaft und vollkommen sind, was wird erst von solchen geIten, welche dem Gegenstand nach zwar gut, aber doch voll Fehler und Mängel sind, wie dies bei euch Adamskindern gewöhnlich der Fall ist? Denn auch an den Werken derer, die im geistlichen Leben weit vorangeschritten und gerecht sind, ist gar vieles zu ergänzen und zu verbessern. Alle diese Lücken nun hat mein Herr Jesus Christus durch seine Werke ausgefüllt, damit der himmlische Vater die Werke der Menschen, mit den Werken Christi vereinigt, wohlgefällig annehme. Wenn nun aber jemand nicht daran denkt, eigene Werke zu verrichten, sondern müßig dasteht und die Hände in den Schoß legt, dann kann er auch die Werke seines Erlösers nicht für sich geltend machen. Bei solchen Menschen gibt es nichts zu ergänzen und zu vervollkommnen, wohl aber gar vieles zu verdammen.
Ich rede jetzt, meine Tochter, nicht mehr von der verabscheuungswürdigen Verirrung jener Gläubigen, welche die Sinnlichkeit und Eitelkeit der Welt sogar in die Übungen der Buße eingeführt haben. Solche verdienen für ihre Buße noch größere Strafe als für ihre übrigen Sünden, da sie mit den Werken der Buße eitle, unvollkommene Absichten verbinden, dagegen die übernatürlichen Zwecke, welche der Buße ihren Wert und der Seele das Gnadenleben verleihen, ganz und gar außer acht lassen. Ich werde hiervon bei einer anderen Gelegenheit reden, falls es nötig sein wird. Für jetzt aber merke dir, dass du eine solche Verblendung beweinen und dich zu Mühsal und Leiden bereit halten sollst. Und würdest du auch soviel leiden, als alle Apostel, Märtyrer und Bekenner gelitten haben, so würdest du damit nur deine Schuldigkeit tun. Kasteie deinen Leib allezeit und trachte in deinem Eifer hierin immer mehr zuzunehmen. Bedenke, dass dir noch vieles mangelt. zumal da das Leben so kurz, deine Leistungsfähigkeit zum Bezahlen aber so gering ist.
SECHSUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Fortsetzung: Versuchung Jesu
Unser göttlicher Heiland lässt sich am Ende seines Fastens von Luzifer versuchen und überwindet ihn. Seine heiligste Mutter hat von allem Kenntnis.
995. Im zwanzigsten Hauptstück dieses Buches ist gesagt worden, dass Luzifer die Abgründe der Hölle verließ, um unseren göttlichen Meister zu entdecken und zu versuchen, dass aber der Herr sich vor ihm verbarg und in die Wüste ging. Nachdem der Heiland hier beinahe vierzig Tage gefastet hatte, gestattete er, wie das Evangelium erzählt (Mt 4, 3), dem Versucher. ihm zu nahen. Satan kam in die Wüste und war hocherfreut, denjenigen, den er suchte, allein zu sehen, ohne seine heiligste Mutter. Luzifer und seine höllischen Knechte nannten nämlich Maria «ihre Feindin», weil sie von ihr schon öfter besiegt worden waren. Mit unserem Heiland dagegen hatten sie noch nicht gestritten, und darum hielt der stolze Drache in Abwesenheit der heiligsten Mutter seinen Sieg über den Sohn für gewiss. Da sie aber ihren Gegner von der Nähe beobachteten, fühlten sie alle eine große Furcht und Zaghaftigkeit, aber nicht, als ob sie ihn als wahren Gott erkannt hätten, an dieses dachten sie gar nicht, weil sie ihn so verachtet sahen, auch nicht, als ob sie schon ihre Kräfte mit ihm gemessen hätten, denn sie hatten diese nur an der Himmelskönigin versucht. Allein sie bemerkten in seinem Äußern so große Ruhe und so hohe Majestät, sie sahen an ihm so vollkommene, heldenmütige Handlungen. Dies war es, was sie in große Furcht und Mutlosigkeit versetzte, denn dies waren keine Handlungen und Eigenschaften, wie sie bei den übrigen Menschen, welche sie versuchten und leicht besiegten, insgesamt zutage traten. Luzifer besprach dies mit seinen Dienern und sagte: «Was ist das für ein Mensch, der so streng ist gegen die Laster, durch die wir die anderen überwinden? Wenn er von der Welt so gänzlich losgeschält ist und sein Fleisch so gezüchtigt und unterworfen hat, von welcher Seite werden wir ihn dann angreifen können? Wie sollen wir auf den Sieg hoffen, wenn er uns die Waffen genommen hat, mit denen wir gegen die Menschen streiten? Ich zweifle sehr am Erfolg dieses Streites.» Da sehen wir, wie viel die Losschälung vom Irdischen und die Abtötung des Leibes vermag. Sie setzt den Satan, ja die ganze Hölle in Schrecken und die Hölle würde sich nicht so stolz erheben, wenn sie nicht schon vor ihren Versuchungen die Menschen jenen unheilbringenden Tyrannen, d. i. der Welt und dem Fleisch, unterworfen sähe.
996. Unser göttlicher Heiland ließ den Luzifer in der irrigen Meinung, er sei ein bloßer Mensch, jedoch sehr gerecht und heilig. Der Herr wollte nämlich, dass der Satan alle seine Macht und Bosheit zum Kampf aufbiete, wie er es zu tun pflegt, wenn er in denen, die er versuchen will, solche Vorzüge gewahrt. Der Drache nahm all seine Kräfte zusammen, und der Zweikampf in der Wüste begann mit größerer Heftigkeit, als man je in der Welt im Kampf zwischen Menschen und bösen Geistern gesehen hat oder sehen wird. Luzifer und seine Verbündeten boten alle ihre Macht und Bosheit auf, voll Zorn und Wut gegen die überlegene Macht, welche sie an unserem Herrn Jesus Christus bemerkten. Und doch mäßigte der König der Könige, als die höchste Weisheit und Güte, seine Handlungen und verbarg den eigentlichen Grund seiner unendlichen Macht. Er offenbarte nur die aus der Heiligkeit seiner Menschheit fließende Stärke, welche allerdings hinreichte, um seine Feinde zu besiegen. Um als Mensch den Kampf zu beginnen, verrichtete der Herr ein Gebet zum himmlischen Vater, und zwar im höheren Teile seiner Seele, wohin die Kenntnis Satans nicht dringen kann. Er sprach: «Mein Vater, ewiger Gott, ich beginne den Kampf mit meinem Feind, um seine Macht und Hoffart niederzuschmettern, womit er sich gegen dich und gegen die mir so teuren Seelen erhebt. Zu deiner Ehre und zu ihrem Heil will ich mich der Verwegenheit Luzifers aussetzen und ihm den Kopf zertreten, damit die Menschen, wenn sie von dieser Schlange versucht werden, ihren Übermut schon besiegt finden, falls sie sich nicht durch eigene Schuld ihr übergeben. Ich flehe zu dir, o ewiger Vater, sei meines Kampfes und Sieges eingedenk, wenn die Menschen von diesem gemeinsamen Feind bedrängt werden. Stärke ihre Schwachheit, damit auch sie triumphieren in Kraft meines Sieges, und damit sie durch mein Beispiel Mut schöpfen lernen, auf welche Weise sie ihren Feinden widerstehen und sie besiegen können.»
997. Die himmlischen Geister waren Zeugen dieses Kampfes. Nach Gottes Willen blieben sie aber dem Luzifer verborgen, damit dieser nicht durch ihre Gegenwart etwas von der göttlichen Macht unseres Herrn bemerke. Alle diese Engel verherrlichten den ewigen Vater und den Heiligen Geist, welche mit Wohlgefallen auf die Wunderwerke des menschgewordenen Wortes schauten. Auch die heiligste Jungfrau sah alles von ihrer Betkammer aus. Die Versuchung begann am fünfunddreißigsten Tage des Fastens unseres Herrn und dauerte bis zum Ende der vierzig Tage, von denen das Evangelium spricht. (Mt 4, 2.3; Lk 4, 2.3 - Man kann mit dem hl. Thomas annehmen, dass Satan bei den Versuchungen der ersten Tage unsichtbar war und nach Ablauf der vierzig Tage in sichtbarer Gestalt zu unserem Herrn trat mit jenen drei Versuchungen, welche im Evangelium berichtet sind: «Hoc intelligendum est non de illis tentationibus visibilibus, quas narrant Matthaeus et Lucas, quae manifeste factae sunt postjejunium, sed de quibusdam aliis impugnationibus, quas forte illo jejunii tempore Christus est a diabolo passus.» S. Thomas (3. p. q. 41. a. 3. ad 2.) Der Übersetzer). Als ob Christus ihn noch nicht gesehen und erkannt hätte, erschien Luzifer in menschlicher Gestalt, umkleidete sich aber mit dem Glanze eines Engels des Lichtes, um seine Absicht zu erreichen. Er dachte, unser Herr sei nach so langem Fasten hungrig, und sprach deshalb zu ihm: «Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.» Er legte diese Frage vor, um zu erfahren, ob der göttliche Heiland Gottes Sohn sei, denn dies verursachte ihm die meiste Besorgnis. Darum verlangte er nach einem Anzeichen, um es zu erfahren. Aber der Heiland der Welt antwortete nur: «Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt.» Unser Herr nahm diese Worte aus dem achten Kapitel des Buches Deuteronomium. Allein der Satan erfasste nicht den ganzen Sinn, welchen der Herr diesen Worten gab. Luzifer verstand sie nämlich so, dass Gott das Leben des Menschen ohne Brot und leibliche Nahrung erhalten könne. Dies ist allerdings richtig und in jenen Worten ausgesprochen. Aber unser Herr gab diesen noch einen höheren Sinn. Er wollte sagen: Dieser Mensch, mit welchem du sprichst, lebt in dem Wort Gottes, d. i. in dem Sohn Gottes, mit welchem er persönlich vereinigt ist. Gerade dies wollte Satan wissen. Aber er verdiente es nicht zu erfahren, weil er unsern Herrn nicht anbeten wollte.
998. Durch die verborgene Kraft dieser Antwort war Luzifer überwältigt, doch wollte er seine Schwäche nicht bemerken lassen und nicht vom Streit Abstand nehmen. Der Herr aber ließ zu, dass er die Versuchung fortsetzte und ihn nach Jerusalem trug, auf die Zinne des Tempels. Von da aus sah man eine große Volksmenge, der Herr selbst wurde jedoch von niemand gesehen. (So sagen auch der hl. Chrysostomus, der hl. Thomas und Suarez. Der göttliche Heiland wollte nicht gesehen werden, «ne aut scandalum aut admirationem ingeneraret aut magus videretur». [Suarez. in 3. p. Disp. 29. sect. 3.1 ] Der Übersetzer). Satan stellte ihm vor, wenn man ihn von dieser Höhe hinabstürzen sehe, ohne dass er eine Verletzung erleide, so werde man ihn für einen großen Wundertäter und Heiligen halten. Er bediente sich gleichfalls der Heiligen Schrift und sagte: «Bist du Gottes Sohn, so stürze dich von da hinab, denn es steht geschrieben: Die Engel sollen dich auf den Händen tragen, wie Gott ihnen befohlen hat und du wirst keinen Schaden nehmen.» Bei diesem Vorgang umgaben die himmlischen Geister ihren König, voll Bewunderung darüber, dass Gott sich körperlich durch Luzifers Hände tragen ließ, einzig wegen des Nutzens, der für die Menschen hieraus ersprießen sollte. Dem Fürsten der Finsternis aber folgten zahllose böse Geister, denn an jenem Tag war die Hölle fast ganz von ihnen verlassen, da sie bei diesem Unternehmen zugegen sein wollten. Der Urheber der Weisheit antwortete: «Es steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.» Der Erlöser der Welt gab diese Antworten mit unvergleichlicher Sanftmut. Er zeigte sich in seiner Majestät und Ruhe dem bösen Feind so überlegen, dass Luzifer, da er solche Würde und ungetrübte Ruhe sah, in seinem unbändigen Stolz sich noch mehr verletzt und aufs neue gequält und überwunden fühlte.
999. Nun versuchte der Feind einen neuen Kunstgriff. Er wollte unseren Herrn durch die Ehrsucht angreifen, indem er ihm einen Teil seiner Herrschaft anbot. Zu diesem Zweck nahm er ihn auf einen hohen Berg, von wo man viele Länder sah, und sprach dann mit verwegener Tücke: «Dies alles, was du siehst, will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.» Ungeheure Anmaßung, mehr als unsinnige Lüge und Betrügerei! Satan verspricht, was er nicht hat und nicht geben kann. Die Erde samt den Himmelskreisen, die Königreiche, Herrschaften, Schätze und Reichtümer, alles dieses gehört ja dem Herrn. Er gibt und nimmt es, wem er will und wann er es für dienlich und geziemend findet. Luzifer dagegen konnte niemals ein Gut versprechen, das ihm gehört hätte, selbst kein irdisches Gut. Darum sind alle seine Versprechen trügerisch. Unser Herr und König antwortete auf dessen Lüge mit gebietendem Tone: «Weiche Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten und ihm allein dienen.» Durch dieses Wort: «Weiche, Satan!» entzog unser Herr dem Feind die Erlaubnis, ihn weiter zu versuchen, und schleuderte denselben samt all seinen Rotten in die tiefste Hölle. Dort mussten sie drei Tage lang unbeweglich in den tiefsten Abgründen wie angeschmiedet liegen bleiben, ohne sich mehr rühren zu können. Als ihnen dann gestattet war, sich zu erheben, und sie sich so machtlos und niedergeschmettert fühlten, begannen sie zu vermuten, ihr Überwinder möchte der menschgewordene Sohn Gottes sein. In dieser Ungewissheit schwankten sie hin und her bis zum Tod des Heilandes, ohne die Wahrheit entdecken zu können. Luzifer aber war wegen des schlechten Ausganges seines Unternehmens im höchsten Grad erzürnt und verzehrte sich in seiner Wut.
1000. Der göttliche Sieger, unser Herr Jesus Christus, pries den ewigen Vater mit Lob- und Dankgesängen für den Sieg, den er ihm über den Feind des Menschengeschlechtes verliehen hatte. Die Engelscharen feierten seinen Sieg mit süßen Liedern und trugen den Heiland auf ihren Händen in die Wüste zurück. Freilich bedurfte unser Herr dessen nicht. Er konnte sich ja seiner eigenen Macht bedienen. Allein dieser Dienst der Engel gebührte ihm gleichsam zum Ersatz dafür, dass Luzifer sich erfrecht hatte, die heiligste Menschheit, in welcher wesentlich und wahrhaft die Gottheit wohnte, auf die Zinne des Tempels und auf jenen Berg zu tragen. Würde das Evangelium dies nicht sagen, kein Mensch könnte auf den Gedanken kommen, dass unser Herr dem Satan eine solche Erlaubnis gegeben hätte. Übrigens weiß ich nicht, was uns in größeres Staunen versetzen muss: ob dies, dass Jesus Christus dem Luzifer, der ihn nicht kannte, Erlaubnis gab, ihn von einem Ort an einen anderen zu tragen, oder dass er sich von Judas, diesem bösen Jünger, verkaufen und im allerheiligsten Sakramente empfangen ließ, wie er sich jetzt noch von so vielen schlechten Christen empfangen lässt, die ihn als ihren Gott und Herrn erkennen und ihn dennoch boshafterweise in ihr Herz aufnehmen. Worüber wir aber ganz gewiss staunen müssen, ist dies, dass er das eine wie das andere zuließ und jetzt noch zulässt. Er tut es um unseres Heiles willen, um uns durch seine liebevolle Sanftmut und Geduld zu gewinnen und an sich zu ziehen. O mein süßester Herr, wie gütig, wie liebevoll, wie barmherzig (Joel 2,13) bist du für die Seelen ! Aus Liebe zu ihnen bist du vom Himmel auf die Erde herabgestiegen, hast gelitten und dein Leben für ihr Heil hingegeben ! Voll Barmherzigkeit erwartest, erträgst, rufst, suchst und nimmst du sie auf, ja du gehst in ihr Herz ein, bist ihnen alles und willst, dass sie dir gehören. Mein Herz bricht vor Schmerz, dass wir vor dir fliehen, während du mit aufrichtiger Liebe uns zu dir ziehen möchtest und dass wir so große Zärtlichkeit mit Undank erwidern. O unermessliche Liebe meines süßesten Herrn, die du so schlecht bezahlt und so schlecht vergolten wirst ! O mein Herr, gib meinen Augen Tränen, damit ich eine Sache beweine, die so sehr beklagt zu werden verdient! Und ihr Gerechten der Erde allesamt, helft mir weinen!
Nachdem unser Herr in die Wüste zurückgekehrt war, kamen, wie das Evangelium sagt. die Engel und dienten ihm (Mt 4,11). Sie brachten ihm nämlich am Ende dieses Fastens und dieser Versuchungen eine himmlische Speise. Der Herr genoss dieselbe, und sie verlieh seinem heiligen Leib neue natürliche Kräfte. Doch nicht bloß die Engel bedienten ihn mit dieser Speise und wünschten ihm Glück, auch die Vögel der Wüste kamen und erquickten die Sinne ihres menschgewordenen Schöpfers durch ihre harmonischen Lieder und ihren anmutigen Flug. Ja selbst die wilden Tiere taten dies auf ihre Art. Sie legten ihre Wildheit ab und ehrten ihren Herrn durch gefälliges Hüpfen und Rufen.
1001. Kehren wir nun nach Nazareth zurück. Die Königin der Engel war in ihrer Betkammer den Kämpfen ihres göttlichen Sohnes mit Aufmerksamkeit gefolgt. Sie schaute ihn im göttlichen Licht und empfing auch beständig Botschaften von ihren Engeln, welche sie zum göttlichen Heiland sandte. Unsere Liebe Frau verrichtete dieselben Gebete, wie ihr göttlicher Sohn, und zwar zur nämlichen Zeit und vom Beginn der Versuchung an. Sie stritt zugleich mit ihm gegen den Drachen, jedoch auf unsichtbare, geistige Weise. Von ihrer einsamen Kammer aus überwand sie den Luzifer und seinen Anhang und sprach das Anathem über ihn aus. Kurz, bei allen Handlungen unseres Herrn wirkte sie zu unserem Heil mit. Als sie sah, wie der Satan den göttlichen Heiland von einem Ort zum anderen trug, weinte sie bitterlich, dass die Bosheit der Sünde den König der Könige, den Herrn der Herren zu einer solchen Erlaubnis und Demütigung nötigte. Alle seine Siege aber feierte sie mit neuen Lobliedern zu Ehren seiner Gottheit und Menschheit. Die Engel sangen dann diese Lieder dem Herrn zu Ehren und überbrachten ihm auch die Glückwünsche der Himmelskönigin zu seinem Triumph und zu der großen, dadurch den Menschen erwiesenen Wohltat. Unser Herr aber tröstete seine Mutter durch Vermittlung derselben himmlischen Boten und wünschte auch ihr Glück zu allem, was sie mit ihm und nach seinem Beispiele gegen Luzifer getan hatte.
1002. Weil Maria als treue Genossin ihres Sohnes sein Leiden und Fasten geteilt hatte, so war es angemessen, dass sie auch an seinem Trost teilnehme. Der göttliche Heiland gab darum als liebevollster Sohn den Engeln den Auftrag, seiner heiligsten Mutter einen Teil von der Speise zu überbringen, welche sie ihm gereicht hatten. Hierbei geschah das Wunderbare, dass eine große Schar jener Vögel, welche zu unserem Herrn gekommen waren, den Engeln nach Nazareth folgte. Ihr Flug war zwar langsamer als der Flug der Engel, doch ging es sehr leicht. Sie kamen in das Haus der Königin des Himmels und der Erde, und während Maria von jener Speise genoss, welche ihr der Herr durch die Engel gesandt hatte, umgaben diese Vöglein ihre Herrin und bezeigten ihr in ähnlicher Weise, wie sie es bei unserem Heiland getan, durch Singen und Zwitschern ihre Freude. Jene himmlische Speise aber war jetzt noch viel schmackhafter geworden, weil sie aus den Händen Jesu Christi kam und von ihm gesegnet war, so dass Unsere Liebe Frau dadurch gestärkt wurde und von den Wirkungen eines so langen und strengen Fastens sich wieder erholte. Sie sagte dem AIImächtigen Dank und demütigte sich aufs tiefste. Maria hatte während des Fastens und der Versuchungen Jesu Christi so viele und so heldenmütige Tugendakte verrichtet, dass unser Verstand dieselben nicht fassen und noch viel weniger unser Wort sie wiedergeben kann. In der Anschauung des Herrn werden wir einst alles dieses sehen. Dann werden wir auch den Herrn verherrlichen und lobpreisen für so unaussprechliche Wohltaten, welche das ganze Menschengeschlecht ihm verdankt.
FRAGE, welche ich an die heiligste Himmelskönigin Maria stellte
1003. Königin des Himmels, Herrin des Weltalls, deine herablassende Güte flößt mir den Mut ein, dir als meiner Meisterin und als der Mutter der Weisheit einen Zweifel vorzulegen, und zwar in Betreff jener himmlischen Speise, welche die heiligen Engel unserem Herrn in der Wüste brachten, wie du mir in diesem und in anderen Hauptstücken durch himmlisches Licht mitgeteilt hast. Ich meine, diese Speise werde von der nämlichen Art gewesen sein, wie jene, welche die Engel deinem göttlichen Sohn und dir manchmal boten, wenn euch nach Gottes Fügung die gewöhnliche irdische Nahrung fehlte. Ich habe sie eine «himmlische Speise» genannt, weil mir kein anderer Ausdruck zu Gebote stand. Ich weiß aber nicht, ob dieser Ausdruck zutreffend ist. Denn ich bin darüber nicht im klaren, woher jene Speise kam und von welcher Beschaffenheit sie war. Im Himmel wird es wohl keine Speisen geben für den Unterhalt des Leibes. Dort hat man ja nicht nötig, sich wie auf Erden zu nähren. Freilich werden bei den Seligen des Himmels auch die leiblichen Sinne eine entsprechende, sinnlich wahrnehmbare Freude empfinden, und darum wird auch der Geschmacksinn eine entsprechende Befriedigung finden. Doch wird dies wohl, wie ich glaube, nicht durch eine Speise geschehen, sondern auf eine andere Weise, indem nämlich die Glorie der Seele auf den Körper überströmt und dieser an der Seligkeit der Seele teilnimmt. Und so werden wohl auch die Sinne des Leibes auf wunderbare Weise an der Seligkeit teilnehmen, und zwar jeder einzelne Sinn gemäß seiner natürlichen Gabe zu empfinden, jedoch so, dass dort von einer Unvollkommenheit und roh sinnlichen Wahrnehmung, wie sie im sterblichen Leben in Bezug auf die Sinnestätigkeiten und ihre Gegenstände stattfindet, keine Rede mehr sein kann. Hierüber wünsche ich von deiner herablassenden, mütterlichen Güte als eine Unwissende belehrt zu werden.
ANTWORT UND LEHRE der Himmelskönigin
1004. Meine Tochter, dein Zweifel ist begründet, denn es gibt in der Tat, wie du gesagt hast, im Himmel keine stoffliche Speise. Trotzdem hast du jene Speise, welche die Engel meinem göttlichen Sohn und mir gebracht haben, ganz richtig eine «himmlische Speise» genannt und ich selbst habe dir diesen Ausdruck gegeben. Denn sie hatte ihre Kraft vom Himmel empfangen und nicht von der Erde, auf welcher alles roh, sinnlich und unvollkommen ist. Damit du aber die Beschaffenheit dieser Speise und die Art verstehst, wie Gottes Vorsehung sie bildet, so wisse: wenn der Herr uns speisen und den Mangel anderer Nahrung durch jene ersetzen wollte, welche er auf wunderbare Weise durch die heiligen Engel uns sandte, dann bediente er sich dabei einer materiellen Sache, und zwar meistens des Wassers, weil dieses klar und einfach ist. Denn der Herr will für diese Wunder keine vielfach zusammengesetzten Stoffe verwenden. Manchmal bediente er sich auch des Brotes oder einiger Früchte. In seiner Allmacht verlieh er dann diesen Dingen solche Kraft und solchen Wohlgeschmack, dass sie alle irdischen Speisen, auch die köstlichsten, so weit übertrafen, als der Himmel die Erde. Ja nichts auf Erden ist denselben zu vergleichen, denn jener himmlischen Speise gegenüber erscheint alles andere als fad und kraftlos. Folgende Beispiele mögen dir zu besserem Verständnisse dienen. Das erste Beispiel liefert der Aschenkuchen, welchen Gott dem Elias gab. Diese Speise war so stärkend, dass Elias in ihrer Kraft bis zum Berg Horeb gehen konnte (1 Kön 19, 6 ff). Das zweite Beispiel ist das Manna, welches auch Brot der Engel genannt wird, weil die Engel es bereiteten, indem sie die Dünste der Erde verdichteten und dann, in Körner verteilt, auf die Erde streuten. Das Manna war von ganz mannigfachem Geschmack und sehr kräftig, um den Leib zu nähren (Ps 78, 25; Weish 16, 20.21; Ex 16,14 ff; Num 11, 7 ff). Das dritte Beispiel ist das Wunder, welches mein heiligster Sohn bei der Hochzeit zu Kana wirkte, indem er Wasser in Wein verwandelte. Er verlieh diesem Wein einen außerordentlichen Wohlgeschmack und eine ungewöhnliche Kraft, wie daraus hervorgeht, dass diejenigen, welche davon kosteten, mit Staunen erfüllt wurden (Joh 2, 7 ff).
1005. Auf diese Weise verlieh Gottes Allmacht dem Wasser wunderbare Kraft und übernatürlichen Wohlgeschmack oder er verwandelte es in ein anderes, überaus süßes und wohlschmeckendes Getränk. Eine gleiche Kraft verlieh er auch dem Brot oder den Früchten, indem er alle diese Dinge verfeinerte oder sozusagen vergeistigte. Eine solche Speise nährte dann den Körper, erquickte die Sinne und stellte die Kräfte auf wunderbare Weise wieder her, so dass die menschliche Schwachheit zu mühsamen Werken stark und gewandt war und darin weder Überdruss noch Beschwerde fand. Von solcher Beschaffenheit war jene Speise, welche die Engel meinem heiligsten Sohn nach dem Fasten brachten, und ebenso jene, welche mein Sohn, ich und der hl. Joseph miteinander manchmal erhielten, denn auch der hl. Joseph ward dieser Gnade gewürdigt. Überdies hat der Allerhöchste auch einigen anderen seiner Freunde und Diener eine solche Freigebigkeit erzeigt und sie durch ähnliche Speisen erquickt. Doch geschah es nicht so häufig und nicht unter so wunderbaren Umständen wie bei uns. - Dies ist die Antwort auf deinen Zweifel. Nun vernimm auch die Lehre, welche zu diesem Hauptstück gehört.
1006. Zum besseren Verständnis dessen, was du geschrieben hast, musst du drei Gründe erwägen, welche unter anderen meinen allerheiligsten Sohn bewogen haben, den Kampf gegen Luzifer und seine höllischen Diener aufzunehmen. Du wirst dadurch höheres Licht und größeren Mut gegen diese Feinde erhalten. Sein erster Beweggrund war die Absicht, die Sünde und den bösen Samen zu zerstören, welchen der Satan durch den Fall Adams in die menschliche Natur ausgesät hatte, nämlich die sieben Hauptsünden: den Stolz, den Geiz, die Unlauterkeit usw.. Diese sind die sieben Köpfe dieses Drachen. Luzifer hatte aber für jede dieser sieben Sünden einen besonderen bösen Geist als Anführer der übrigen aufgestellt, damit alle miteinander, gleichsam die Waffen unter sich verteilend, gegen die Menschen Krieg führen, sie zu den Hauptsünden versuchen und überhaupt in jener verwirrten Ordnung, von der du im ersten Teil gesprochen hast (Teil 1, Nr. 103) gegen die Menschen streiten. Darum hat mein göttlicher Sohn gegen alle diese Fürsten der Finsternis gestritten, sie überwunden und durch die Kraft seiner Tugenden ihre Macht gebrochen. Das Evangelium erwähnt zwar nur drei Versuchungen, weil diese mehr sichtbar waren. Allein der Streit wie der Triumph waren weiter ausgedehnt, denn unser Herr hat alle jene Anführer der höllischen Geister mit ihren Lastern überwunden. Er überwand den Stolz durch seine Demut, den Zorn durch seine Sanftmut, den Geiz durch die Verachtung des Reichtums und in ähnlicher Weise alle übrigen Hauptsünden. Am allermeisten wurden diese Feinde niedergeschmettert und entmutigt, als sie später am Fuße des Kreuzes die Gewissheit erlangten, derjenige, der sie überwunden, sei der menschgewordene Sohn Gottes. Dadurch wurden sie, wie du später berichten wirst (unten Nr. 1419 und 1423), sehr verzagt, so dass sie es kaum wagen würden, die Menschen anzugreifen, wenn sich diese die Kraft und die Siege meines heiligsten Sohnes zunutze machen wollten.
1007. Der zweite Beweggrund, warum mein heiligster Sohn diesen Kampf aufnahm, war der Gehorsam gegen den himmlischen Vater. Dieser hatte ihm nämlich befohlen, nicht bloß für die Erlösung der Menschen zu leiden und zu sterben, sondern auch diesen Kampf mit den bösen Geistern aufzunehmen und dieselben durch die geistige Kraft seiner unvergleichlichen Tugenden zu überwinden.
Der dritte Beweggrund, der aus den zwei ersten hervorgeht, war die Absicht, den Menschen ein Muster und Beispiel zu hinterlassen, wie sie über diese Feinde siegen und triumphieren könnten. Auch deshalb hat der Heiland diesen Kampf übernommen, damit kein Sterblicher sich wundere, wenn er von den bösen Geistern angefochten und verfolgt wird. Alle sollten in ihren Versuchungen und Kämpfen den Trost haben, dass ihr Erlöser und Meister dieselben Kämpfe schon vorher durchgemacht hat. Und wenn diese auch bei unserem Herrn der Art nach verschieden waren, so waren sie doch dem Wesen nach den Kämpfen der anderen Menschen gleich, nur hat der Satan dem Erlöser gegenüber eine größere Anstrengung und Bosheit entwickelt. Mein Herr Jesus Christus ließ zu, dass Luzifer die ganze Macht seiner Bosheit zuerst an ihm versuche, damit auf diese Weise die Macht Satans durch die göttliche Kraft Christi gebrochen und für die Kämpfe, die er in der Folge gegen die Menschen führen sollte, geschwächt würde. Infolgedessen könnten die Sterblichen den Satan gar leicht besiegen, wenn sie sich der Gnaden, die ihnen ihr Erlöser bei seinen Versuchungen verdient hat, zunutze machen würden.
1008. Alle Menschen haben diese meine Lehre nötig, um den Satan zu besiegen, du aber, meine Tochter, bist derselben noch mehr bedürftig als alle andern, denn der Zorn des Drachen gegen dich ist sehr groß, deine Natur aber ist schwach zum Widerstand, wenn du dir nicht meine Lehre und das Beispiel des göttlichen Heilands zunutze machst. An erster Stelle musst du die Welt und das Fleisch überwinden. Das Fleisch, indem du es mit kluger Strenge abtötest, die Welt, indem du sie fliehst und dich von den Geschöpfen zurückziehst in das verborgene Kämmerlein deines Herzens. Beide Feinde wirst du überwinden, wenn du dieses Kämmerlein nie verlässt, wenn du die Gnade und das Licht welches du darin empfängst, nie aus dem Auge verlierst und wenn du endlich nichts Irdisches liebst außer soweit es die wohlgeordnete Liebe gestattet. Damit rufe ich dir das strengste Gebot, welches ich dir so oft schon gegeben habe, in das Gedächtnis zurück, denn Gott hat dir ein Herz geschenkt, welches feurig liebt. Und es ist sein Wille, wie auch der meine, dass es ganz und vollständig unserer Liebe geweiht sei. Keiner einzigen, wenn auch noch so leichten Regung deiner Neigungen darfst du freiwillig zustimmen und deinen Sinnen keine Tätigkeit gestatten, außer zur Ehre Gottes und um Gott zuliebe für des Nächsten Wohl etwas zu tun oder zu leiden. Wenn du mir in allem gehorchst, so werde ich dich gegen den höllischen Drachen beschirmen und stärken, auf dass du die Kämpfe des Herrn kämpfst (1 Sam 25, 28). Tausend Schilde werden an dir hängen (Hld 4, 4), um dich zu verteidigen und den Satan zu überwinden. Sei jedoch allezeit bedacht, dich der Worte der Heiligen Schrift zu bedienen, ohne dich auf viele Worte oder Gründe mit diesem arglistigen Feind einzulassen. Denn schwache Geschöpfe dürfen keine Unterredung mit ihrem Todfeind, dem Vater der Lüge, pflegen, da selbst mein heiligster Sohn, obwohl allmächtig und unendlich weise, dies nicht getan hat, gerade damit die Seelen durch sein Beispiel dieses vorsichtige Verhalten gegen den Satan lernen. Bewaffne dich mit lebendigem Glauben, fester Hoffnung, glühender Liebe und tiefer Demut, denn dies sind die Waffen, um diesen Drachen zu zerschmettern und zu vernichten. Ihnen wagt er nicht die Stirne zu bieten. Er flieht vor ihnen, denn sie sind seinem Stolz überlegen.
SIEBENUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Jesus wirkt in Judäa. Mitwirken Mariä
Der göttliche Heiland verlässt die Wüste und kehrt in die Nähe des heiligen Johannes zurück. Sein Wirken in Judäa bis zur Berufung der ersten Jünger. Die heiligste Jungfrau Maria erkennt alles und ahmt es in ihrer Weise nach.
1009. Nachdem unser Herr Jesus Christus die erhabenen Ziele seines Fastens und seiner Einsamkeit in der Wüste durch den Sieg über den Satan und alle Laster in glorreicher Weise erreicht hatte, beschloss er, die Wüste zu verlassen und die Werke der Erlösung, welche der ewige Vater ihm aufgetragen hatte, fortzusetzen. Im Begriff, sich von der Wüste zu verabschieden, warf er sich zur Erde nieder und sagte seinem himmlischen Vater Lob und Dank für alles, was er durch die heiligste Menschheit zur Ehre der Gottheit und zum Heile der Menschen dort vollbracht hatte. Dann verrichtete er ein inbrünstiges und flehentliches Gebet für alle, welche sich jemals, sei es für ihr ganzes Leben, sei es für einige Zeit, vom Lärm der Welt zurückziehen und in die Einsamkeit begeben würden, um der Betrachtung und anderen heiligen Übungen zu obliegen. Der Allerhöchste gab ihm das Versprechen, dass er dieselben reichlich begnadigen werde, dass er Worte des ewigen Lebens zu ihrem Herzen reden und sie mit besonderen Gnadenhilfen und «Segnungen der Süßigkeit» (Ps 21, 4) überhäufen werde, wofern sie sich nur in den Stand setzen wollten, diese Gnaden aufzunehmen und zu benützen. Nach diesem Gebet bat der göttliche Heiland als wahrer Mensch den himmlischen Vater um die Erlaubnis, die Wüste verlassen zu dürfen. Er verließ sie dann unter Begleitung seiner heiligen Engel.
1010. Nun lenkte der göttliche Meister seine «schönen Schritte» (Hld 7,1; Röm 10,15) zum Jordan hin, wo sein großer Vorläufer Johannes noch taufte und predigte. Unser Herr wollte, dass der Täufer bei seinem Anblick und in seiner Gegenwart noch einmal Zeugnis ablege für seine Gottheit und für sein Amt als Erlöser. Auch wollte er dem liebevollen Verlangen des hl. Johannes, welcher ihn nochmals zu sehen und zu sprechen wünschte, willfahren. Seitdem nämlich Johannes den Herrn bei Gelegenheit seiner Taufe zum ersten Mal gesehen und seiner unmittelbaren Gegenwart sich erfreut hatte, war sein Herz von jener geheimen göttlichen Kraft, welche alles an sich zog, ganz eingenommen und entzündet, Denn je besser ein Herz vorbereitet war - und das Herz des hl. Johannes war aufs beste vorbereitet -, mit um so größerer Kraft und Wirksamkeit griff darin jenes göttliche Liebesfeuer um sich. So kam also der Heiland zum hl. Johannes. Es war dies das zweite Mal, dass sie sich sahen. Sobald der Täufer den Herrn erblickte, sprach er, bevor er ein anderes Wort redete, folgende vom Evangelisten angeführte Worte: «Ecce Agnus Dei, ecce qui tollit peccatum mundi Siehe, das Lamm Gottes, siehe, das da hinwegnimmt die Sünde der Welt!» (Joh 1, 29) Während er dieses Zeugnis ablegte, deutete er auf unsern Herrn Jesus Christus hin. Dann wandte er sich an das Volk, welches versammelt war, um die Taufe zu empfangen und die Predigt zu hören, und fuhr fort: «Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Es kommt ein Mann nach mir, der mehr ist als ich, denn er war eher als ich, und ich kannte ihn nicht. Aber ich bin gekommen, mit Wasser zu taufen, damit er offenbar werde (Joh 1, 30.31).»
1011. Der Täufer sagte dies, weil er unsern Herrn vor seiner Taufe noch nicht gesehen und auch keine andere Offenbarung über seine Ankunft erhalten hatte als jene, die er, wie im vierundzwanzigsten Hauptstück dieses Buches gesagt wurde (Oben Nr. 978), bei eben derselben Gelegenheit erhielt. Er fügte hinzu, er habe den Heiligen Geist auf Christus bei seiner Taufe herabsteigen gesehen und habe bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes sei. Während nämlich unser Herr in der Wüste war, schickten die Juden von Jerusalem Abgesandte an Johannes und ließen ihn fragen, wer er sei. Dabei stellten sie noch andere Fragen, wie der heilige Evangelist Johannes im ersten Kapitel berichtet. Johannes antwortete ihnen: «Ich taufe mit Wasser, aber in eurer Mitte ist derjenige gewesen, den ihr nicht kennt. (Christus war nämlich bei seiner Taufe am Jordan in ihrer Mitte gewesen.) Dieser ist es, der nach mir kommt, und dessen Schuhriemen aufzulösen ich nicht würdig bin (Joh 1, 26.27).» Als darauf der göttliche Heiland aus der Wüste kam, um den Täufer zum zweiten Mal zu sehen, nannte dieser ihn das «Lamm Gottes» und wiederholte das Zeugnis, welches er kurz vorher vor den Pharisäern abgelegt hatte. Außerdem fügte er bei, er habe den Heiligen Geist über Jesu Haupt gesehen, wie ihm dies vorher geoffenbart worden sei. Die heiligen Evangelisten Matthäus (3,17) und Lukas (3, 22) sagen noch, dass man zugleich die Stimme des Vaters vom Himmel gehört habe. Der heilige Evangelist Johannes aber spricht nur von der Erscheinung des Heiligen Geistes in Gestalt einer Taube, weil der Täufer den Juden nichts Weiteres als dieses gesagt hat.
1012. Die Himmelskönigin schaute von ihrem einsamen Betkämmerchen aus diese Vorgänge. Sie sah, mit welcher Treue der Vorläufer bekannte, dass er nicht Christus sei, und wie er die erwähnten Zeugnisse von der Gottheit unseres Herrn ablegte. Darum bat sie ihren göttlichen Sohn, er möge seinen treuesten Diener Johannes dafür belohnen. Der Allmächtige aber tat dies aufs freigebigste. Denn er erhob ihn über alle von einer Frau Geborenen. Und weil Johannes die Ehre, als Messias betrachtet zu werden, von sich abgelehnt hatte, beschloss der göttliche Heiland, ihm alle jene Ehre zu erteilen, die er, ohne Messias zu sein, unter den Menschen empfangen konnte. Auch wurde der große Vorläufer bei dieser Gelegenheit mit neuen Gnaden des Heiligen Geistes erfüllt. Einige der Anwesenden waren von seinem Wort: «Ecce Agnus Dei etc.» betroffen und fragten ihn, wer derjenige sei, von dem er so spreche. Darum ließ ihn der göttliche Heiland seine Zuhörer mit den obigen Worten über die Wahrheit belehren. Er selbst aber ging von dort weg, Jerusalem zu, nachdem er nur sehr kurze Zeit bei dem Täufer gewesen war. Er ging jedoch nicht geraden Weges zur heiligen Stadt, sondern besuchte zuvor eine geraume Zeit hindurch andere kleine Ortschaften. Ohne sich zu erkennen zu geben, belehrte er die Leute, dass der Messias bereits in der Welt sei, leitete sie durch seine Lehre auf den Weg des ewigen Lebens und sandte viele zur Taufe des hl. Johannes, damit sie sich durch die Buße auf die Erlösung vorbereiteten.
1013. Die Evangelisten erzählen nicht, wo sich der göttliche Heiland nach dem Fasten aufgehalten habe, noch auch, welche Werke er in dieser Zeit verrichtet und wie lange er sich damit beschäftigt habe. Es ist mir aber gesagt worden, der Herr habe sich, ohne nach Nazareth zu seiner heiligsten Mutter oder überhaupt nach Galiläa zurückzukehren, ungefähr zehn Monate lang in Judäa aufgehalten, bis er wieder zu dem Täufer kam und dieser zum zweiten Mal sagte: «Ecce Agnus Dei.»Joh 1. 36. - Die obigen historischen Angaben stimmen mit den Zeugnissen mehrerer heiliger Väter und den Berechnungen vieler Experten genau überein. Man sehe Barradius tom. 1. 1. 3. c. 1. - Rubertus in Joan. 2. - S. Bonaventura in Vita Christi c. 17. - Landulph. p. 1. c. 22. und besonders Nicolaus Alberti in Commentar. vitre Christi p. 1. c. 24. n. 242 sqq. Siehe die Akten der Seligsprechung der ehrw. Verfasserin. Respons. ad animadv. 25. n. 60. Der Übersetzer), Bei dieser Gelegenheit war es, wo Andreas und die ersten Jünger, welche diese Worte des Täufers gehört hatten, unserem Herrn nachfolgten und wo er gleich darauf den hl. Philippus berief, wie der heilige Evanglist Johannes berichtet (Joh 1, 43). Der göttliche Heiland verwendete diese zehn Monate dazu, die Seelen zu erleuchten, sie durch seine Lehre und durch außerordentliche Gnaden aus ihrem Schlafe zu erwecken und sie vorzubereiten, damit sie beim Beginn seiner Predigten und Wunder den Glauben an den Erlöser williger annähmen und ihm folgten. Und viele von denen, welche er in dieser Zeit erleuchtete und unterrichtete, taten dies nochmals auch wirklich. Während dieser Zeit sprach unser Herr nicht zu den Pharisäern und den Lehrern des Gesetzes, weil diese nicht geneigt waren, an die Ankunft des Messias zu glauben. Sie nahmen ja diese Wahrheit selbst dann nicht an, als sie durch die Predigt, die Wunder und die deutlichsten Zeugnisse unseres Herrn bekräftigt war. Dagegen sprach er während dieser zehn Monate zu den Niedrigen und Armen (Lk 4,18), denn diese waren wegen ihrer Demut würdig, die «frohe Botschaft» und das Licht des Glaubens zuerst zu empfangen. Ihnen erzeigte der Herr während seines Aufenthaltes in Judäa seine Barmherzigkeit auf das freigebigste, nicht nur durch seine besondere Lehre und durch innerliche Gnaden, sondern auch durch einzelne, im stillen gewirkte Wunder, um derentwillen sie ihn als einen großen Propheten und heiligen Mann betrachteten. Auf diese Weise rührte und bewegte unser Herr die Herzen unzähliger Menschen, dass sie den Stand der Sünde verließen und das Reich Gottes suchten, welches mehr und mehr herannahte. Denn nun wollte der Heiland unverweilt sein öffentliches Lehramt antreten und das Erlösungswerk beginnen.
1014. U. L. Frau verweilte unterdessen immer zu Nazareth. Sie erhielt von allen Werken ihres heiligsten Sohnes Kenntnis, teils durch die oben beschriebene göttliche Erleuchtung, teils durch die Botschaften ihrer tausend Engel, welche ihr während der Abwesenheit des göttlichen Heilands immer in sichtbarer Gestalt zur Seite standen. Um ihren Sohn in allem vollkommen nachzuahmen, verließ sie zur selben Zeit, da unser Herr die Wüste verließ, gleichfalls ihre Einsamkeit. Und gleichwie unser Heiland in der Liebe zwar nicht wachsen konnte, sie aber seit seinem Triumph über den Satan mit größerem Eifer offenbarte, so war auch die heiligste Jungfrau, als sie ihre Einsamkeit verließ, von noch glühenderem Eifer beseelt, die Werke ihres göttlichen Sohnes zum Heil der Menschen nachzuahmen und die Menschen auf sein öffentliches Auftreten vorzubereiten. Sie verließ also ihr Haus zu Nazareth und ging, von ihren Engeln begleitet, in die Nachbarorte. Mit ihrer höchsten Weisheit und ihrer Macht als Königin der Geschöpfe wirkte sie dort viele Wunder, jedoch im verborgenen, geradeso wie ihr göttlicher Sohn in Judäa. Sie belehrte die Menschen, dass der Messias gekommen sei, ohne jedoch zu sagen, wer er sei. Sie zeigte vielen den Weg des Lebens, befreite sie aus dem Stand der Sünde, vertrieb die bösen Geister, verscheuchte die Finsternis der Unwissenheit und des Irrtums und bereitete die Herzen vor, an den Erlöser zu glauben und der Erlösung sich teilhaftig zu machen. Nebst diesen geistlichen Wohltaten spendete U. L. Frau noch viele leibliche, heilte Kranke, tröstete die Betrübten und besuchte die Armen. Solche Liebeswerke übte sie zwar meistens nur bei Frauen, jedoch geschah es oft auch bei Männern, denn wenn sie arm und verachtet waren, so ward auch ihnen das Glück und die Gnade zuteil, von der Königin der Engel und aller Geschöpfe besucht zu werden.
1015. Dies waren die Beschäftigungen der Himmelskönigin, während ihr heiligster Sohn in Judäa weilte. Stets ahmte sie ihn in allem nach, selbst in seinen Reisen zu Fuß. Und wenn sie auch manchmal nach Nazareth zurückkehrte, so setzte sie doch alsbald ihre Reisen wieder fort. Speise genoss sie während dieser zehn Monate sehr wenig, denn durch jene himmlische Speise, welche ihr der göttliche Heiland aus der Wüste zugesandt hatte, war sie so gekräftigt, dass sie nicht nur weite Strecken zu Fuß machen konnte, sondern auch das Bedürfnis nach anderer Nahrung weniger fühlte. Von dem Wirken des hl. Johannes am Jordan, nämlich von seinem Predigen und Taufen, war die heiligste Jungfrau gleichfalls unterrichtet. Sie sandte ihm darum zuweilen auch manche von ihren Engeln zu, damit sie ihn trösteten und zu der Treue, die er seinem Gott und Herrn erzeigt, Glück wünschten.
Bei allen diesen Arbeiten war die liebevolle Mutter in ihrer heiligen und mütterlichen Liebe von der größten Sehnsucht verzehrt ihren göttlichen Sohn wieder zu sehen. Das Herz Jesu war durch diese Inbrunst ihres heiligen und keuschesten Sehnens ganz verwundet. Bevor aber der Sohn Gottes nach Nazareth zurückkehrte, um seine Mutter zu sehen und zu trösten und dann öffentlich zu predigen und Wunder zu wirken, geschah das, was ich im folgenden Hauptstück erzählen werde.
LEHRE, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gab
1016. Meine Tochter, als Lehre dieses Hauptstückes gebe ich dir zwei wichtige Unterweisungen. Für's erste liebe die Einsamkeit. Bewahre sie mit höchster Sorgfalt, damit du der Segnung teilhaftig werdest, welche mein allerheiligster Sohn verdient und verheißen hat, welche in der Liebe zur Einsamkeit seinem Beispiel folgen. Trachte immer allein zu sein, sofern du nicht durch den Gehorsam verpflichtet bist, mit den Menschen zu verkehren. Und wenn du in diesem Fall die äußere Einsamkeit zu verlassen hast, so nimm sie in deinem Herzen mit dir, so dass die äußeren Sinne und deren Gebrauch dich nicht in deiner Sammlung stören. Die äußeren Geschäfte mache wie im Vorbeigehen, sei dagegen beständig in der inneren Einsamkeit und Sammlung. Zu diesem Zweck versage allen Geschöpfen den Zutritt, denn manchmal nehmen diese Bilder den Geist mehr ein als die Sache selbst. Immer aber stören und rauben sie die Freiheit des Herzens. Eine unwürdige Sache aber wäre es, wenn du dein Herz an ein Geschöpf hängen würdest oder wenn eines in deinem Herzen Platz fände. Mein göttlicher Sohn will dein Herz für sich allein, und ich will es gleichfalls.
Die zweite Lehre ist, dass du an erster Stelle deine eigene Seele hochschätzest und dich bemühst, sie in aller Reinheit und Unschuld zu bewahren. Sodann sollst du aber auch für das Seelenheil aller übrigen besorgt und bemüht sein. Ganz besonders aber verlange ich von dir, dass du meinem heiligsten Sohn und mir in der Liebe zu den Armen und zu den von dieser Welt Verachteten ähnlich werdest. Diese Kleinen bitten gar oft um das Brot des Rates und der Unterweisung, finden aber niemand, der es ihnen bräche (Klgl 4, 4), wie man dies für die Großen und Reichen der Welt tut, denen es nicht an Dienern und Ratgebern gebricht. Arme und Verachtete kommen viele zu dir. Nimm sie voll Mitleid auf und tröste sie mit Zärtlichkeit, damit sie das Licht und deinen Rat in ihr aufrichtiges Herz aufnehmen. Den Begabteren jedoch gib deinen Rat auf andere Weise. Trachte diese Seelen zu gewinnen. Denn bei all ihrem zeitlichen Elend sind sie doch kostbar in den Augen Gottes. Bemühe dich für sie ohne Unterlass und sei bereit, nötigenfalls selbst dein Leben zu geben, damit weder an ihnen noch an anderen die Frucht der Erlösung verloren gehe.
ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL: Jüngerberufung und Predigtamt
Berufung und Aufnahme der ersten Jünger Jesu Christi in Gegenwart des Täufers. Unser Erlöser tritt sein Predigtamt an. Der Allerhöchste erteilt der göttlichen Mutter den Auftrag, ihrem Sohn zu folgen.
1017. Der göttliche Heiland hatte die zehn Monate nach seinem Fasten bei dem Volke von Judäa zugebracht und im verborgenen große Wunder gewirkt. Nun beschloss er, sich der Welt zu offenbaren, nicht als ob er bisher die Wahrheit bloß im verborgenen verkündet hätte, allein er hatte sich bisher nicht als den Messias und Lehrmeister des Lebens erklärt. Jetzt war aber die von der ewigen Weisheit hierfür bestimmte Zeit gekommen. Darum kehrte der Sohn Gottes zu seinem Vorläufer Johannes zurück, damit dieser seinem Amte gemäß der Welt von ihm Zeugnis gebe und hierdurch das Licht in der Finsternis zu leuchten beginne (Joh 1,5). Der Täufer wusste durch eine göttliche Offenbarung, dass unser Herr komme, und dass für ihn die Zeit gekommen sei, sich als den Erlöser der Welt und als den wahren Sohn des ewigen Vaters zu erkennen zu geben. Durch diese Erleuchtung vorbereitet, erblickte der hl. Johannes den nahenden Heiland. Da rief er mit wunderbarem Jubel der Seele in Gegenwart seiner Jünger aus: «Ecce Agnus - Dei Siehe, das Lamm Gottes! Dieser ist es (Joh 1,36) !» Dieses Zeugnis setzte nicht nur das früher schon mit denselben Worten abgelegte Zeugnis des Täufers voraus, sondern auch die Lehre, welche er seinen vertrautesten Schülern mehr im besonderen gegeben hatte. Es war, als hätte er zu ihnen gesagt: «Ihr seht das Lamm Gottes, von welchem ich euch angekündigt habe, dass es gekommen ist, um die Welt zu erlösen und den Weg zum Himmel zu eröffnen.» Es war dies das letzte Mal, dass der Täufer unseren Heiland mit leiblichen Augen sah. Denn bei seinem Tod sah er ihn auf andere Weise, wie ich an seinem Ort berichten werde (unten Nr. 1073).
1018. Zwei der ersten Jünger, die bei dem hl. Johannes waren, hörten seine Worte, und in Kraft dieses Zeugnisses sowie der Erleuchtung und Gnade, welche sie innerlich von Christus unserem Herrn erhielten, folgten sie Jesus nach. Jesus aber wandte sich liebevoll um und fragte sie, was sie suchten (Joh 1,38-42). Sie antworteten, dass sie zu wissen wünschten, wo er wohne. Darauf nahm sie Jesus mit sich, und sie blieben, wie der heilige Evangelist Johannes berichtet, denselben Tag bei ihm. Der Evangelist sagt, einer von den beiden sei Andreas, der Bruder des heiligen Petrus, gewesen. Den Namen des anderen gibt er nicht an. Es ist mir aber mitgeteilt worden, dies sei der heilige Evangelist Johannes selbst gewesen, und er habe in seiner großen Bescheidenheit seinen Namen nicht genannt. Wer dieser zweite, nicht genannte Jünger gewesen, wird von den Schriftauslegern nicht mit Bestimmtheit angegeben. Es sprechen aber der hl, Chrisostomus, der hl. Cyrill, Theophilakt und Euthymius die Vermutung aus, es sei der hl. Evangelist Johannes gewesen. Der Übersetzer). Er und Andreas waren also die Erstlinge des Apostolates bei dieser ersten Berufung, denn sie folgten dem göttlichen Heiland zuerst, einzig auf das äußere Zeugnis des Täufers hin, ohne einen anderen äußerlichen Ruf von Seiten unseres Herrn. Darauf suchte der hl. Andreas seinen Bruder Simon und sagte ihm, dass er den Messias - was soviel ist als Christus - gefunden habe und er führte ihn zu Jesus. Jesus aber sah diesen an und sprach: «Du bist Simon, der Sohn des Jonas. Du sollst Kephas heißen, welches übersetzt wird Petrus.» Dies alles geschah an der Grenze von Judäa, und am folgenden Tag beschloss der Herr nach Galiläa zu ziehen. Da fand er den heiligen Philippus und rief ihn, damit er ihm folge. Philippus aber rief den Nathanael, erzählte diesem, was ihm begegnet war und dass sie den Messias gefunden, nämlich Jesus von Nazareth, und führte darauf den Nathanael zu ihm. Nach der Unterredung, welche der heilige Johannes am Schluss des ersten Kapitels seines Evangeliums berichtet, trat Nathanael als der fünfte in die Zahl der Jünger unseres Herrn ein.
1019. Mit diesen fünf Jüngern, den ersten Grundsteinen seiner neuen Kirche, kam nun unser Heiland Jesus Christus nach Galiläa, um öffentlich zu predigen und zu taufen. Es war dies die erste Berufung dieser Apostel. Schon damals, als sie zu ihrem wahren Meister kamen, entzündete der Herr in ihren Herzen ein neues Licht und neues Feuer der göttlichen Liebe und überhäufte sie «mit Segnungen der Seligkeit» (Ps 21, 4).
Unmöglich ist es, in gebührender Weise zu schildern, wie viele Mühe es unseren göttlichen Meister gekostet hat, diese und die übrigen Jünger zu berufen und heranzuziehen, um auf sie die Kirche zu gründen. Er suchte sie mit großer Sorgfalt und Anstrengung. Er berief sie durch zahlreiche, kräftige und wirksame Gnadenhilfen. Er erleuchtete ihre Herzen durch unvergleichliche Gnadengaben. Er nahm sie mit wunderbarer Güte auf, nährte sie mit der süßesten Milch seiner Lehre, ertrug sie mit unüberwindlicher Geduld und behandelte sie so zärtlich wie der liebevollste Vater seine zarten Kleinen. Die menschliche Natur ist schwerfällig und plump für die erhabenen, zarten und geistigen Gegenstände des inneren Lebens. Die Jünger sollten aber gerade darin nicht bloß vollkommene Schüler, sondern vollendete Lehrer werden für die ganze Welt und für die heilige Kirche. Und darum war es eine schwere Aufgabe für unseren Herrn, sie zu bilden und sie durch seine Lehre wie durch sein Beispiel von dem irdischen Leben zu dem himmlischen, göttlichen Leben zu erheben. Durch dieses sein Verhalten hat der göttliche Heiland allen Kirchenvorstehern, allen Fürsten und überhaupt allen Vorgesetzten, welche Untergebene zu leiten haben, eine höchst erhabene Lehre gegeben, wie sie ihre Untergebenen mit Geduld, Sanftmut und Liebe behandeln sollen. Aber auch uns Sündern hat er damit eine ebenso wichtige Lehre gegeben, dass wir nämlich auf seine väterliche Liebe unser Vertrauen setzen sollen. Seine Güte hat sich dadurch, dass er die Fehler und Mängel, die natürlichen Neigungen und Leidenschaften der Apostel und Jünger geduldig ertrug, keineswegs erschöpft. Im Gegenteil, er hat diese seine Güte an seinen Jüngern gerade deshalb in so wunderbarer Größe gezeigt, damit wir Mut fassen und bezüglich der zahllosen Unvollkommenheiten unserer irdischen und gebrechlichen Natur nicht verzagen.
1020. Von allen den wunderbaren Werken, welche unser Heiland bei Berufung der Apostel und Jünger sowie bei seinen Predigten vollbrachte, erhielt die Königin des Himmels auf die wiederholt schon angegebene Weise Kenntnis. Sie brachte dem ewigen Vater für die Auserwählung der ersten Jünger sofort ihren Dank dar, nahm die letzteren innerlich zu ihren geistlichen Söhnen an, wie sie es bereits Christus unserem Herrn gegenüber waren, und opferte sie unter neuen Lobliedern und im Jubel ihres Herzens der göttlichen Majestät auf. Bei diesem Anlass der Berufung der ersten Jünger erhielt U. L. Frau eine besondere Vision. Der Allerhöchste offenbarte ihr in derselben aufs neue seinen heiligen und ewigen Ratschluss bezüglich der Erlösung der Welt, sowie der Art und Weise, wie die Erlösung durch die Predigt seines heiligsten Sohnes begonnen und vollbracht werden sollte. Gott Vater sprach zu Maria: «Meine Tochter, meine Taube, auserkoren unter Tausenden, es ist notwendig, dass du meinen und deinen eingeborenen Sohn in seinen Mühen und Leiden für die Erlösung der Menschen begleitest. Schon naht die Zeit, dass er leide, die Zeit, da ich um seines Leidens willen die Schätze meiner Weisheit und Güte öffne, um die Menschen damit zu bereichern. Durch ihren Erlöser und Lehrmeister will ich sie von der Knechtschaft der Sünde und des Satans befreien. Ich will meine Gnade im Überfluss in alle Herzen ausgießen, die sich bereiten, an meinen menschgewordenen Sohn zu glauben und ihm als ihrem Haupte und Führer zu folgen auf dem Weg zur ewigen Glückseligkeit, welche ich ihnen bereitet habe. Die Armen will ich aus dem Staub erheben und mit Reichtümern erfüllen, die Stolzen will ich stürzen, die Demütigen erhöhen und die Blinden, die in der Finsternis des Todes wandeln (Jes 9, 2), erleuchten. Ich will meine Freunde und Auserwählten verherrlichen und meinen großen, heiligen Namen zu erkennen geben. Du aber, meine Auserwählte, sollst zur Ausführung dieses meines ewigen Ratschlusses mit deinem geliebten Sohn mitwirken, ihn begleiten und ihn nachahmen, denn ich werde mit dir sein in allem, was du tust.
1021. Die heiligste Jungfrau Maria antwortete: «O allerhöchster König des Weltalls, aus dessen Hand alle Geschöpfe Dasein und Fortbestand empfangen, obwohl ich ein armes Würmchen, ja Staub und Asche bin, will ich doch mit deiner gütigsten Zulassung in Gegenwart deiner göttlichen Majestät reden. Allerhöchster Herr, ewiger Gott, nimm das Herz deiner Dienerin an. Ich opfere es dir auf. Es ist bereit zur Erfüllung deines Willens. Nimm hin das Opfer, nicht bloß von meinen Lippen, sondern vom tiefsten Grund meiner Seele. Ich bin bereit, der Anordnung deiner ewigen Weisheit zu gehorchen, welche du deiner Dienerin offenbarst. Siehe mich hier, niedergeworfen vor deiner höchsten Majestät! Dein Wille geschehe vollständig an mir! Wäre es möglich, o Allmächtiger, dass ich leide und sterbe, sei es, um mit deinem und meinem Sohn zu sterben, sei es, um ihn vor dem Tod zu bewahren: O dies wäre die Erfüllung all meiner Wünsche, die Fülle meiner Freude! Ja, das Schwert deiner Gerechtigkeit möge mir die Wunde schlagen, da ich der Sünde näher stehe! Dein und mein Sohn dagegen kann nicht sündigen, seiner göttlichen Natur und Vollkommenheit wegen. Wohl weiß ich, o gerechtester König, dass, weil du durch die Sünde beleidigt bist, deine Gerechtigkeit Genugtuung verlangt von einer Person, welche deiner Majestät gleichsteht. Die Geschöpfe aber stehen insgesamt hinter der Würde einer solchen Person unendlich zurück. Allein es ist auch wahr, dass jedwedes Werk deines menschgewordenen Sohnes mehr als genügend ist, die Welt zu erlösen. Und er hat schon so viele für die Menschen vollbracht. Ist es also möglich, dass ich sterbe, damit er sein unaussprechlich kostbares Leben nicht verliere, so bin ich bereit zu sterben. Ist aber dein Ratschluss unabänderlich, so erlaube wenigstens, mein Vater und höchster Gott, dass ich womöglich mein Leben mit dem seinigen hingebe. Ich werde mich hierin deinem Willen unterwerfen, wie ich auch deinem Befehl gehorche, meinem Sohn in seinen Leiden zu folgen. Dein allmächtiger Arm möge mich unterstützen, damit es mir gelinge, ihn nachzuahmen und hiermit sowohl deinen Willen als mein Verlangen zu erfüllen.»
1022. Es ist mir nicht möglich, das, was mir über diese Geheimnisse geoffenbart wurde, ausführlicher mit Worten wiederzugeben und die heldenmütigen, wunderbaren Akte zu beschreiben, welche unsere große Königin und Herrin aus Anlass des genannten göttlichen Auftrags verrichtet hat. Unmöglich ist es, die feurige Inbrunst zu schildern, mit welcher sie zu leiden und zu sterben sich sehnte, um entweder ihrem heiligen Sohn sein Leiden und Sterben zu ersparen oder um mit ihm zu sterben. Und wenn die feurigen Akte liebevoller Sehnsucht selbst in unmöglichen Dingen Gott so wohlgefällig sind, dass er sie, sofern sie nur aus einem geraden und aufrichtigen Herzen kommen, als einen wirklichen Dienst annimmt und sie gewissermaßen so belohnt, als ob es Werke und Taten wären, was wird dann erst die Mutter der Gnade und der Liebe verdient haben durch die Sehnsucht, mit welcher sie in dieser Stunde ihr Leben zum Opfer darbrachte! Kein menschlicher und kein englischer Verstand ist imstande, ein so großes Geheimnis der Liebe zu fassen. Leiden und Sterben wäre ihr süß gewesen. Dass sie aber mit ihrem Sohn nicht sterben konnte, sondern ihn leiden und sterben sehen und dabei am Leben bleiben musste, dies war ihr ein weit größerer Schmerz. Doch davon werde ich später ausführlicher reden (unten Nr. 1376). Aus dieser Tatsache erkennt man aber auch, wie nahe die heiligste Jungfrau Maria Christus dem Herrn in der Glorie stehen muss, und wie gleichförmig sie ihrem Muster und Vorbild an Gnade und Heiligkeit gewesen ist. Denn sowohl ihre Gnade und Heiligkeit, als ihre Glorie entsprach dem Grad ihrer Liebe, ihre Liebe aber hatte den höchsten Grad erreicht der bei einem bloßen Geschöpfe denkbar ist.
Mit dieser Verfassung trat die Himmelskönigin aus der besagten Vision. Der Allerhöchste erteilte den Engeln aufs neue den Befehl, Maria zu begleiten und ihr in allem, was sie zu tun hatte, zu Diensten zu sein. Als treueste Diener des Herrn vollzogen die Engel diesen Befehl. Sie standen ihrer Königin gewöhnlich in sichtbarer Gestalt zur Seite, begleiteten sie an alle Orte und dienten ihr.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
1023. Meine Tochter, alle Werke meines göttlichen Sohnes geben die Liebe Gottes zu den Menschen kund, zugleich aber auch den Unterschied seiner Liebe von derjenigen, welche die Menschen untereinander hegen. Weil die Menschen so karg, engherzig, eigennützig und träge sind, so lassen sie sich zur Liebe eines andern gewöhnlich nur durch ein Gut bewegen, das sie in demselben voraussetzen. Somit entspringt die Liebe der Menschen aus dem Gut, das sie in dem Gegenstand ihrer Liebe finden. Die Liebe Gottes dagegen hat ihren Ursprung in sich selbst. Und da sie auch bewirken kann, was sie will, so sucht sie das Geschöpf nicht, als ob dasselbe ihrer würdig wäre, sondern sie liebt dasselbe, um es eben durch ihre Liebe würdig zu machen. Deshalb darf keine Seele misstrauisch sein gegen Gottes Güte. Sie darf sich aber auch nicht dem vermessenen Vertrauen hingeben, die göttliche Liebe werde in ihr jene Gnadenwirkungen hervorbringen, deren sie sich unwürdig macht. Denn Gott befolgt in seiner Liebe und in seinen Geschenken eine Ordnung der Gerechtigkeit, welche den Menschen ganz und gar verborgen ist. Er liebt zwar alle Menschen und will, dass alle selig werden (1 Tim 2, 4). Er verweigert niemand die Geschenke seiner Liebe. Allein es gibt doch ein gewisses Maß und Gewicht des Heiligtums, mit welchem sie verteilt werden. Und da der Mensch dieses Geheimnis nicht erforschen kann, so muss er acht haben, dass er die erste Gnade und Einladung nicht verscherze und unbenützt lasse. Denn er weiß nicht, ob er durch ein solch undankbares Verhalten sich nicht der zweiten Gnade unwürdig macht. Er weiß nur soviel, dass, wenn er sich nicht unwürdig macht dieselbe ihm nicht verweigert wird. Diese Wirkungen der göttlichen Liebe in einer Seele beginnen mit einer inneren Erleuchtung, welche dahin zielt, den Menschen seiner Sünden zu überweisen und zur klaren Überzeugung zu bringen, dass er sich in einem schlimmen Zustand befinde und in der Gefahr des ewigen Todes schwebe. Allein der Stolz macht die Menschen so töricht und hartherzig, dass viele diesem Licht widerstehen. Andere sind träge, so dass sie dem Licht niemals folgen und so kommt es, dass sie die erste Wirkung der göttlichen Liebe vereiteln und eben dadurch zu weiteren Wirkungen sich unfähig machen. Ohne den Beistand der Gnade kann aber der Mensch weder das Böse meiden, noch das Gute vollbringen, ja er kann letzteres nicht einmal erkennen. So geschieht es dann, dass die Menschen von einem Abgrund in viele andere stürzen, denn weil sie die Gnade vereiteln und zurückstoßen und sich dadurch neuen Beistandes unwürdig machen, so ist ihr Sturz in neue und immer größere Sünden unvermeidlich.
1024. Achte also, meine Tochter, auf das Licht, welches Gott in seiner Liebe deiner Seele verliehen hat. Hättest du auch nur jenes Licht empfangen, welches dir mein Leben zeigt, so wärest du dafür allein schon zum größten Dank verpflichtet und wenn du es nicht benützest, so bist du vor Gott, vor mir und vor allen Engeln und Menschen strafbarer als jeder andere Mensch. Nimm dir auch ein Beispiel an den ersten Jüngern meines göttlichen Sohnes und an der Bereitwilligkeit, mit welcher sie ihm folgten und ihn nachahmten. Freilich war es eine ganz besondere Gnade, dass er sie ertragen und herangebildet hat. Allein sie haben auch seinen Bemühungen entsprochen und seine Lehre ausgeübt. Und wenn sie auch von Natur schwach waren, so machten sie doch neue, größere Gnaden für sich nicht unmöglich, und ihr Verlangen ging viel weiter, als ihre schwachen Kräfte reichten. Um auf solche Weise aufrichtig und treu die Liebe zu Gott zu üben, musst du mein Verhalten nachahmen, insbesondere mein Verlangen, für meinen göttlichen Sohn oder mit ihm zu sterben, denn zu diesem Zweck habe ich dir dieses Geheimnis geoffenbart. Bereite dein Herz für das, was ich dir ferner noch mitteilen werde über den Tod unseres Herrn und über mein übriges Leben, so wirst du auf das Vollkommenste und Heiligste handeln. Endlich spreche ich dir, meine Tochter, nochmals meine Klage darüber aus, dass die meisten Menschen so wenig an das denken, was mein Sohn und ich für sie getan und gelitten haben. Es liegt ihnen nichts daran, dies zu wissen. Sie geben sich zufrieden, es im allgemeinen zu glauben. Undankbar wie sie sind, nehmen sie es nicht zu Herzen, welchen Nutzen ein jedes unserer Werke ihnen bringt und welchen Dank es verdient. Du wenigstens bereite mir diesen Schmerz nicht. Ich teile dir ja so verehrungswürdige, erhabene Geheimnisse mit, in welchen du Licht und Belehrung sowie die Übungen der höchsten Vollkommenheit findest. Erhebe dich über dich selbst und wirke mit Eifer, damit du Gnade und immer reichere Gnade erlangst und durch deren Benützung zahlreiche Verdienste und ewige Belohnungen erwirbst.
NEUNUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Rückkehr Jesu nach Nazareth. Taufe der Jungfrau
Der göttliche Heiland kehrt mit den ersten fünf Jüngern nach Nazareth zurück. Er tauft seine heiligste Mutter. Einzelne Vorgänge dabei.
1025. Das ganze christliche Gebäude der streitenden Kirche, das bis zur höchsten Höhe der unnahbaren Gottheit emporragt, ist gegründet auf die unerschütterliche Festigkeit des heiligen katholischen Glaubens. Dieser Glaube ist das Fundament, welches unser Erlöser und Lehrmeister als weiser Baumeister in seiner Kirche gelegt hat. Um nun aber die Festigkeit zu einer unerschütterlichen zu machen, hat der göttliche Heiland seine ersten Jünger, welche er in der oben beschriebenen Weise berufen und zu den ersten Grundsteinen seiner Kirche gemacht hat, gleich von Anfang an über die Wahrheiten und Geheimnisse seiner Gottheit und Menschheit unterrichtet. Und weil er sich als den wahren Messias und Erlöser der Welt zu erkennen gab, der aus dem Schoß des ewigen Vaters herabgestiegen war, um menschliches Fleisch anzunehmen und unser Heil zu wirken, so war es sozusagen notwendig und folgerichtig, dass er sie über die Art und Weise seiner Menschwerdung im jungfräulichen Schoß seiner heiligsten Mutter unterrichtete. Überdies war es geziemend, dass die Apostel Maria als wahre, jungfräuliche Mutter des Sohnes Gottes erkannten und verehrten. Und darum belehrte der göttliche Heiland seine Apostel auch über dieses Geheimnis der göttlichen Mutterschaft Mariä, wie er sie überhaupt über die Geheimnisse der persönlichen Vereinigung (der zwei Naturen in Christus) und der Erlösung unterrichtete. Diese himmlische Lehre war die Nahrung der ersten, neugeborenen geistlichen Söhne des göttlichen Heilandes. Noch ehe sie also diese große Königin gesehen, kannten sie schon ihre erhabene Größe und wussten, dass sie Jungfrau war vor, in und nach der Geburt. Zudem flößte ihnen unser Herr Jesus Christus die tiefste Ehrfurcht und innigste Liebe zu ihr ein, so dass sie alsbald verlangten, ein solch wunderbares Geschöpf kennenzulernen und zu sehen. Der Heiland tat dies, weil er für die Ehre seiner Mutter eiferte, und weil es für die Jünger selbst wichtig war, sich mit einer erhabenen Idee von Maria und mit tiefster Verehrung für sie zu durchdringen. Diese himmlische Erleuchtung wurde zwar allen Aposteln zuteil, es zeichnete sich aber vor allen anderen in der Liebe zu Maria der heilige Johannes aus. Sobald er seinen göttlichen Meister von der erhabenen Würde seiner reinsten Mutter sprechen hörte, fasste er eine stets wachsende Liebe und Hochachtung für ihre Heiligkeit. Er war ja ausersehen und vorherbestimmt, im Dienste seiner Königin sich größerer Vorrechte als andere zu erfreuen, wie aus seinem Evangelium bekannt ist und wie wir später erzählen werden.
1026. Diese fünf ersten Jünger baten den Herrn, er möge ihnen den Trost gewähren, seine Mutter zu sehen und ihr ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Um dieser Bitte zu willfahren, ging der göttliche Heiland, nachdem er Galiläa betreten, geraden Weges nach Nazareth, wiewohl er nebenher öffentlich predigte und lehrte und sich als den Lehrer der Wahrheit und des ewigen Lebens zu erkennen gab. Viele begannen ihn zu hören und zu begleiten, angezogen durch die Kraft seiner Lehre sowie durch das Licht und die Gnade. welche er in die empfänglichen Herzen ergoss. Doch berief er damals außer den fünf Jüngern niemand zu seiner Nachfolge. Bemerkenswert ist, dass diese Jünger trotz ihrer glühenden Verehrung für die Himmelskönigin und trotz der klaren Erkenntnis ihrer hohen Würde unter allen Geschöpfen doch sämtlich ihre Gesinnung hierüber verborgen hielten. Es war, als seien sie hinsichtlich dieser hocherhabenen Geheimnisse stumm und unwissend, damit sie ihre Erkenntnisse und Gefühle darüber nicht offenbaren könnten. Es war dies aber eine besondere Anordnung der göttlichen Weisheit weil es sich damals, beim Beginn der Predigt Jesu Christi, nicht geziemte, diese Wahrheiten allen Menschen ohne Unterschied bekannt zu machen. Damals ging nämlich den Seelen die Sonne der Gerechtigkeit auf, und ihr Glanz musste sich über alle Völker verbreiten. Und wenn auch der «schöne Mond» bereits seine Vollkommenheit erreicht hatte, d. h. wenn auch Maria zur vollkommenen Heiligkeit gelangt war, so war es doch geziemend, dass sie einstweilen noch verborgen blieb. Dieser Mond sollte erst in jener Nacht leuchten, welche beim Verschwinden der göttlichen Sonne. d. h. nach der Himmelfahrt unseres Herrn über die Kirche hereinbrach. Und so geschah es auch, denn in jener Zeit war es, wo die große Herrin ihren Glanz verbreitete, wie ich im dritten Teil beschreiben werde. Inzwischen offenbarte sich ihre Heiligkeit und Erhabenheit nur den Aposteln. Diese sollten sie erkennen, verehren und hören als die würdige Mutter des Erlösers der Welt, des Lehrmeisters aller Tugend und Heiligkeit.
1027. Unser Heiland setzte seinen Weg nach Nazareth fort. Dabei unterrichtete er seine neuen Jünger nicht nur in den Geheimnissen des Glaubens, sondern auch in allen Tugenden und zwar durch Wort und Beispiel, wie er dies während der ganzen Zeit seines öffentlichen Lehramtes tat. Zu diesem Zweck besuchte er die Armen und tröstete die Betrübten und Kranken in Spitälern und in Gefängnissen. An allen übte er wunderbare Werke der Barmherzigkeit für Leib und Seele. Indes gab er sich vor der Hochzeit zu Kana, von welcher im nächsten Hauptstück die Rede sein wird, nie als den Urheber eines Wunders zu erkennen. Während unser Herr diesen Weg machte, bereitete sich seine heiligste Mutter dazu vor, ihn mit seinen Jüngern zu empfangen, denn diese große Herrin hatte ja von allem Kenntnis. Sie bereitete für alle ein gastliches Obdach, richtete ihr armes Haus her und versah sich mit den nötigen Lebensmitteln; denn in allem handelte sie mit umsichtigster Klugheit.
1028. Der Heiland der Welt kam unterdessen vor seiner Wohnung an. Seine seligste Mutter erwartete ihn an der Tür. Nachdem er eingetreten, warf sie sich vor ihm nieder, küsste seine Füße und dann seine Hände, betete ihn an und bat um seinen Segen. Darauf verherrlichte sie auf erhabene, wunderbare Weise die heiligste Dreieinigkeit und dann die Menschheit unseres Herrn, und zwar in Gegenwart der neuen Jünger. Dieses höchst weise Verhalten der Himmelskönigin war nicht ohne tiefe, geheimnisvolle Bedeutung. Denn abgesehen davon, dass sie dadurch ihrem heiligsten Sohn die ihm als Gottmenschen gebührende Anbetung erwies, gab sie ihm auch die Lobeserhebung zurück, durch welche er sie vor den Jüngern geehrt hatte. Er hatte unterwegs die Jünger über die Würde seiner Mutter belehrt und über die Ehrfurcht, die man ihr schulde. Geradeso wollte nun die weiseste und treuste Mutter in Gegenwart ihres Sohnes seinen Jüngern zeigen, in welch ehrfurchtsvoller Weise sie mit ihrem Meister als ihrem Gott und Heiland umgehen müssten. Diese Beweise tiefster Demut und Verehrung, mit welchen die große Königin Jesus Christus als den Erlöser empfing, flößten auch in der Tat den Jüngern neue Bewunderung und fromme Ehrfurcht für ihren göttlichen Meister ein, und auch für die Zukunft war sie ihr Muster und Vorbild in der Verehrung des göttlichen Heilandes. So zeigte sich Maria schon im Anfang als geistliche Mutter der Jünger Christi und als ihre Lehrmeisterin in der allerwichtigsten Übung, nämlich im vertrauten Umgang mit ihrem Gott und Erlöser. Dieses Beispiel vermehrte aber auch die Andacht der neuen Jünger für ihre Königin. Sie knieten vor ihr nieder und baten, Maria möge sie als ihre Kinder und Diener annehmen. Der erste, welcher diesen Akt der Aufopferung und Verehrung verrichtete, war der hl. Johannes. Schon damals übertraf er alle anderen Apostel an Hochachtung und Verehrung für die seligste Jungfrau. Aber auch Maria hegte für ihn eine besondere Liebe, denn dieser Heilige war sehr friedfertig, sanftmütig und demütig und besaß überdies den Vorzug der Jungfräulichkeit.
1029. Dann bewirtete die große Königin alle Jünger, bediente sie mit Speise und war dabei stets mit der Sorgfalt einer Mutter und zugleich mit der Sittsamkeit und Majestät einer Königin auf alles bedacht. Denn beides vereinigte sie mit solch unvergleichlicher Weisheit, dass selbst die Engel darüber staunten. Ihren göttlichen Sohn aber bediente sie kniend und mit tiefster Ehrfurcht und während sie in solcher Weise ihre Hingabe offenbarte, richtete sie an die Jünger einige inhaltsschwere Worte über die Majestät ihres Meisters und Erlösers, um sie in der wahrhaft christlichen Lehre zu unterrichten. Nachdem es Nacht geworden und die neuen Gäste sich in ihr Gemach zurückgezogen hatten, ging der göttliche Heiland seiner früheren Gewohnheit gemäß in die Betkammer seiner reinsten Mutter. Die Demütigste unter allen Demütigen warf sich, wie sie früher immer getan hatte, ihrem Sohn zu Füßen. Und wenn sie auch keinen Fehler zu bekennen hatte, so bat sie doch unsern Herrn, ihr zu verzeihen, dass sie so wenig tue, um ihm zu dienen und seine unermesslichen Wohltaten zu erwidern. Denn in ihrer Demut hielt die große Königin alles, was sie tat, für wenig und für etwas Geringes im Vergleich zu der unermesslichen Liebe und den zahllosen Gnaden, welche ihr göttlicher Sohn ihr erwiesen hatte. Und darum bekannte sie, dass sie unnütz sei wie der Staub der Erde. Unser Herr richtete sie vom Boden auf und sprach zu ihr Worte des ewigen Lebens. Er tat es aber voll Majestät und Ernst, denn während dieser Zeit behandelte der Heiland seine Mutter mit mehr Strenge, um ihr Gelegenheit zum Leiden zu geben, wie ich oben bemerkt habe, als von der Abreise des Herrn zur Taufe und in die Wüste die Rede war (oben Nr. 960).
1030. Nun stellte die seligste Jungfrau an ihren allerheiligsten Sohn die Bitte, er möge ihr das Sakrament der Taufe spenden, das er nun eingesetzt und ihr früher schon versprochen hatte (oben Nr. 831). Damit diese Feierlichkeit in einer Weise vor sich gehe, wie sie des Sohnes und der Mutter würdig war, stiegen nach Gottes Willen und Anordnung zahllose Engelscharen in sichtbarer Gestalt vom Himmel hernieder. In ihrer Gegenwart spendete Jesus Christus in eigener Person seiner reinsten Mutter die Taufe. Gleich danach war eine Stimme des ewigen Vaters vernehmbar, welche sprach: «Dies ist meine geliebte Tochter, an der ich mein Wohlgefallen habe.» Der menschgewordene Sohn Gottes sprach: «Dies ist meine vielgeliebte Mutter, die ich auserkoren habe und die mir in allen meinen Werken zur Seite stehen wird.» Eine dritte Stimme endlich, die des Heiligen Geistes, sprach: «Dies ist meine Braut, auserwählt unter Tausenden.» Hierbei fühlte und erhielt die reinste Königin in ihrer Seele so viele und so himmlische Wirkungen der Gnade, dass kein menschlicher Verstand dieselben zu fassen vermag. Sie wurde in der Gnade erneuert, die Schönheit ihrer fleckenlosen Seele wurde vermehrt und zu neuen Stufen der Vollkommenheit erhöht. Sie empfing den Taufcharakter, dieses leuchtende Merkmal, das die Kinder Christi als Glieder seiner Kirche kennzeichnet. Kurz, die allerseligste Jungfrau wurde aller Gnadenwirkungen, welche das Sakrament durch sie selbst hervorbringt teilhaftig, mit Ausnahme der Sündenvergebung, denn Sünden hatte sie nicht auf sich. Überdies erhielt sie noch sehr hohe Gnaden um der Demut willen, welche sie durch den Empfang dieses Sakramentes, das sonst zur Reinigung der Seele bestimmt ist, geübt hatte. Die göttliche Mutter erwarb sich dadurch nach Verhältnis ein ähnliches Verdienst, wie nach dem oben Gesagten (oben Nr. 980) ihr göttlicher Sohn sich erworben hatte. Die Vermehrung der Gnade wurde jedoch nur ihr zuteil, denn bei Jesus Christus konnte eine solche Vermehrung nicht stattfinden. Dann sprach die demütige Mutter im Verein mit den heiligen Engeln ein Loblied für die empfangene Taufe und brachte, auf dem Angesicht liegend, ihrem allerheiligsten Sohn den innigsten Dank für diese Gnade dar.Es ist eine ziemlich allgemeine Lehre der Theologen, dass die allerseligste Jungfrau Maria, obwohl frei von der Erbsünde, das heilige Sakrament der Taufe empfangen habe. Man sehe unter andern den seligen Albert der Große (Super Missus c. 74.1. Suarez. [De Incarn. disp. 18. sect. 3. und disp. 19. sect. 1.]. Salazar [De Concept. c. 24. § 9. n. 116 sqq.]. insbesondere den hl. Antonius, welcher [Summa. tom. 4. tit. 15. c. 10. § 2.] die Gründe dafür entwickelt. Der Herausgeber).
LEHRE, welche mir die heiligste Jungfrau Märia gegeben hat
1031. Meine Tochter, wie ich sehe, blickst du mit heiliger Eifersucht auf das große Glück der Jünger meines heiligsten Sohnes, insbesondere auf das des hl. Johannes, meines Dieners und Liebhabers. Es ist wahr, dass ich ihn in besonderer Weise liebte, weil er ganz rein und unschuldig war wie eine Taube. Er war aber auch dem Herrn sehr wohlgefällig, teils wegen dieser Unschuld, teils wegen seiner Liebe zu mir. Dieses Beispiel soll dir ein Antrieb sein, dem Herrn und mir gegenüber dich so zu verhalten, wie ich es verlange. Du weißt es gar wohl, meine liebste Tochter, dass ich eine sehr gütige Mutter bin und dass ich alle diejenigen, welche mit glühender und frommer Sehnsucht meine Kinder und Diener meines Herrn zu sein wünschen, mit innigster Mutterliebe aufnehme. Mit der ganzen Kraft der Liebe, welche Seine Majestät mir verliehen hat, werde ich sie mit bei den Armen an mich schließen und werde ihre Mittlerin und Fürsprecherin sein. Was aber dich betrifft, so werde ich, je unnützer, ärmer und schwächer du bist, um so mehr Beweggründe in dir finden, meine überaus freigebige Güte an dir zu offenbaren. Darum rufe ich dich und lade dich ein, meine liebste Tochter zu sein, ausgezeichnet vor der ganzen Kirche durch deine Andacht zu mir.
1032. Dieser meiner Verheißung wirst du jedoch nur unter einer Bedingung teilhaftig werden, deren Erfüllung ich von dir verlange. Es ist folgende: Wenn deine Eifersucht auf meine große Liebe zu meinem Sohn Johannes und auf seine heilige Gegenliebe zu mir in Wahrheit eine heilige ist, so musst du diesen Jünger nach dem Maß deiner Kräfte mit aller Vollkommenheit nachahmen. Dies ist es, was du mir versprechen und was du erfüllen musst, ohne irgendwie von meinem Willen abzuweichen. Es ist aber mein Wille, dass du dir alle Mühe geben sollst, dahin zu gelangen, dass die Eigenliebe samt allen Wirkungen der Erbsünde in dir stirbt, dass die mit der Begierlichkeit verbundenen irdischen Neigungen ausgetilgt werden und du zu dem Stande der lautersten Tauben-Unschuld zurückkehrst, der alle Bosheit und Unaufrichtigkeit ausschließt. In allen deinen Handlungen sollst du ein Engel sein, denn in seiner huldvollen Güte gegen dich hat dir der Allerhöchste Licht und Erkenntnis mitgeteilt, wie sie mehr einem Engel als einem menschlichen Geschöpfe eigen sind und ich bin es, welche dir diese großen Gnaden erbittet. Es ist aber angemessen, dass das Wirken mit dem Erkennen gleichen Schritt hält. Darum musst du eine ununterbrochene liebevolle Sorge tragen, mir Freude zu machen und mir zu dienen. Allezeit sollst du auf meine Ratschläge achten und deine Augen sollen stets auf meine Hände gerichtet sein, um meinen Willen zu erfahren und ihn augenblicklich zu vollziehen. Wenn du dies tust, dann wirst du meine wahre Tochter, ich aber werde deine liebevolle Beschützerin und Mutter sein.
SECHSTES BUCH
Hochzeit zu Kana. Maria begleitet Jesus während seines Lehramte. Ihre Demut. Die Verklärung Christi. Einzug in Jerusalem. Christi Leiden und Tod. Seine Auferstehung und Himmelfahrt.
ERSTES HAUPTSTÜCK: Hochzeit zu Kana
Unser Heiland Jesus Christus offenbart sich durch das erste Wunder, welches Er bei der Hochzeit zu Kana auf die Bitte seiner heiligsten Mutter wirkt.
1033. Der hl. Evangelist Johannes berichtet am Schluss seines ersten Kapitels die Berufung Nathanaels, des fünften Jüngers Christi. Dann beginnt er das zweite Kapitel seines Evangeliums mit den Worten: «Und am dritten Tag ward eine Hochzeit gehalten zu Kana in Galiläa und die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit geladen (Joh 2,1 f)». Hiernach scheint es, dass U. L. Frau zu Kana war, ehe ihr göttlicher Sohn zur Hochzeit geladen wurde. Um zu erfahren, wie dies mit dem im vorhergehenden Hauptstück Gesagten übereinstimme und welches jener «dritte Tag» gewesen sei, stellte ich auf Befehl der Obern einige Fragen. Ich erhielt zur Antwort trotz der verschiedenen Ansichten der Ausleger stimme die Geschichte der Himmelskönigin mit dem heiligen Evangelium überein. Die Sache sei so vor sich gegangen: Nachdem unser Herr mit den fünf Jüngern Galiläa betreten hatte, ging Er predigend und lehrend geraden Weges nach Nazareth. Auf diesem Weg brachte Er zwar nur kurze Zeit allein jedenfalls mehr als drei Tage zu. In Nazareth angekommen, taufte Er seine heiligste Mutter und ging dann mit seinen Jüngern in einige Nachbarorte, um zu predigen. U. L. Frau ging unterdessen nach Kana: sie war zu der genannten Hochzeit eingeladen, weil sie von Seiten der hl. Anna mit den Brautleuten im vierten Grade verwandt war. Während sich nun die seligste Jungfrau zu Kana aufhielt, erfuhren die Brautleute, dass der Erlöser der Welt gekommen sei und dass Er bereits Jünger habe. So kam es, dass unser Herr durch Zutun seiner heiligsten Mutter und durch eigene Anordnung, in welcher Er alles zur Erreichung seiner hohen Absichten in verborgener Weise lenkte, samt seinen Jüngern zur Hochzeit geladen wurde.
1034. Der «dritte Tag», an welchem nach dem heiligen Evangelisten die Hochzeit stattfand, war der dritte Wochentag der Juden (D. h. der Dienstag [vom Sabbat an gezählt]. Der Herausgeber). Der Evangelist sagt dies zwar nicht ausdrücklich: allein er sagt auch nicht es sei der dritte Tag nach der Berufung der Jünger oder nach der Ankunft des Herrn in Galiläa gewesen. Hätte er aber dies gemeint so würde er es ausdrücklich gesagt haben. Zudem ist es moralisch unmöglich, dass die Hochzeit am dritten Tage nach der Berufung der Jünger oder nach dem Betreten des galiläischen Bodens seitens des Herrn stattfand. Denn Kana liegt im Gebiet des Stammes Zabulon, und zwar gegen Phönizien hin, nördlich von Judäa in der Richtung gegen den Stamm Aser. Es war also weit entfernt von jenen Gegenden Judäas und Galiläas, durch welche der göttliche Heiland zog. Hätte die Hochzeit am dritten Tage stattgefunden, so wären Ihm nur zwei Tage geblieben, um von Judäa nach Kana zu gelangen, und doch waren es drei Tagereisen. Auch hätte Er in der Nähe von Kana sein müssen, ehe man Ihn einlud, und hierzu war mehr Zeit nötig. Zudem kam man auf dem Weg von Judäa nach Kana in Galiläa zuerst nach Nazareth: denn Kana ist näher bei dem Mittelländischen Meer und grenzt wie gesagt an den Stamm Aser. Der göttliche Heiland hätte also zuerst seine heiligste Mutter besucht, welche um seine Ankunft sicher gewusst. Ihn erwartet und das Haus nicht verlassen hätte, als Er nahte. Wenn aber der Evangelist diese Ankunft unseres Herrn und die Taufe der seligsten Jungfrau mit Stillschweigen übergeht, so tut er dies nicht weil etwa diese Ereignisse nicht stattgefunden hätten, sondern weil er, wie die übrigen Evangelisten, nur dasjenige berichtete, was seinem Zweck entsprach. Eben der hl. Johannes bekannte, dass viele Wunder unseres Herrn übergangen wurden, weil es nicht nötig war, alle aufzuzeichnen (Joh 20, 30). Mittels dieser Erklärung versteht man das Evangelium, und es wird zugleich unsere Geschichte durch die angeführten Worte des Evangeliums bestätigt.
1035. Während also die Königin der Welt bereits zu Kana war, wurde ihr heiligster Sohn mit seinen Jüngern zur Hochzeit geladen. In seiner Güte, welche alles so anordnete, nahm Er die Einladung an und begab sich alsbald dahin, teils um die Ehe zu heiligen und gutzuheißen, teils um zum ersten Mal seine Lehre durch das dort gewirkte Wunder zu bestätigen. indem Er sich jetzt als den Urheber desselben zu erkennen gab. Da Er nämlich durch die Aufnahme der Jünger bereits als Lehrer auftrat, musste Er auch diese in ihrem Beruf befestigen und seine Lehre beglaubigen, damit sie dieselbe gläubig annähmen. Bisher hatte unser Herr wohl im verborgenen Wunder gewirkt. Allein Er hatte sich noch nicht öffentlich als deren Urheber zu erkennen gegeben, wie dies zu Kana geschah. Und deshalb sagt der Evangelist von dem dortigen Wunder: «Diesen Anfang der Wunder machte Jesus zu Kana in Galiläa (Joh 2, 11).» Auch der Herr selbst sagte aus diesem Grund zu seiner heiligsten Mutter, dass seine Stunde bisher noch nicht gekommen sei.
Dieses Wunder fand am ersten Jahrestag der Taufe unseres Herrn statt. Auf denselben Tag war auch die Anbetung der Heiligen Drei Könige gefallen, wie die heilige römische Kirche festhält indem sie diese drei Geheimnisse an einem Tage, am sechsten Januar, feiert. Der göttliche Erlöser hatte sein dreißigstes Lebensjahr vollendet und war seit den dreizehn Tagen vom Jahrestag seiner heiligsten Geburt bis zur Epiphanie in das einunddreißigste getreten.
1036. Der Lehrmeister des Lebens trat in das Hochzeitshaus ein und grüßte dessen Bewohner mit den Worten: «Der Friede des Herrn und sein Licht sei mit euch!» Und dies war in der Tat der Fall, befand sich ja doch Seine Majestät selbst unter ihnen. Dann ermahnte der Herr den Bräutigam mit Worten des ewigen Lebens und belehrte ihn, wie er die Pflichten seines Standes erfüllen müsse, um in demselben vollkommen und heilig zu leben. Dasselbe tat die Himmelskönigin mit der Braut: sie stellte derselben mit überaus freundlichen, aber kräftigen Worten ihre Pflichten vor. Und beide Brautleute erfüllten auch in dem Stande, den sie in Gegenwart des Königs und der Königin Himmels und der Erde anzutreten das Glück hatten, ihre Pflichten in vollkommener Weise. Ich bemerke hier, dass der Bräutigam von Kana nicht der heilige Evangelist Johannes gewesen ist (Der hl. Ignatius, Epiphanius und Hieronymus sind derselben Ansicht. Cont. Cornel. a Lap. in h. I. Der Herausgeber). Indes kann ich mich nicht dabei aufhalten, dies ausführlicher zu beweisen. Es genügt zu wissen, dass Johannes bereits den göttlichen Heiland als Jünger begleitete, wie im vorhergehenden Hauptstück gesagt wurde. Bei dieser Gelegenheit wollte ja der Herr die Ehe nicht auflösen, sondern Er kam zum Hochzeitsfest, um dieselbe gutzuheißen, zu heiligen und zum Sakramente zu erheben. Zu diesem Zweck passte es aber nicht dieselbe alsbald wieder aufzulösen. Auch hatte der heilige Evangelist niemals die Absicht zu heiraten. Der göttliche Heiland aber richtete nach der Belehrung der Brautleute ein inbrünstiges Gebet an den ewigen Vater und bat Ihn, Er möge im neuen Gesetz der Gnade die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes segnen und von da an der Ehe die Kraft verleihen, diejenigen zu heiligen, welche in der heiligen Kirche die Ehe eingehen werden, nachdem sie zu einem Sakramente der Kirche erhoben sein würde.
1037. Die seligste Jungfrau kannte den Willen und das Gebet ihres göttlichen Sohnes gar wohl. Deshalb vereinigte sie sich dabei mit Ihm und wirkte bei diesem wie bei allen übrigen Werken zum Heil des Menschengeschlechtes mit. Da sie zugleich den schuldigen Dank auf sich nahm, den die Menschen für diese Wohltaten nicht abstatten, so richtete sie ein Lob- und Danklied an den Herrn und lud die heiligen Engel ein, sich mit ihr zu vereinigen, was diese auch taten. Dies war jedoch keinem Menschen bekannt als nur unserem göttlichen Heiland, welcher an der Weisheit und den Werken seiner reinsten Mutter sein Wohlgefallen hatte, gleichwie Maria sich an den Werken ihres Sohnes erfreute. Im übrigen unterhielten sie sich mit den Hochzeitsgästen, jedoch mit Weisheit und Überlegung, wie sie ihrer würdig waren. Ihre Worte zielten darauf hin, die Herzen aller Anwesenden zu erleuchten. Die weiseste Königin sprach sehr wenig, und nur wenn sie gefragt wurde oder wenn es unvermeidlich war. Denn sie horchte beständig auf die Worte des Herrn und merkte auf seine Handlungen, um sie in ihrem reinsten Herzen zu bewahren und zu erwägen. Die Handlungen, die Worte und das ganze Verhalten dieser großen Königin waren während ihres ganzen Lebens ein erhabenes Beispiel der Klugheit, Sittsamkeit und Bescheidenheit und zwar in unserem Fall nicht allein für die Ordensfrauen, sondern namentlich für die Frauen in der Welt. Diese sollten es bei allen Anlässen, wie bei Hochzeiten, vor Augen haben, damit sie daraus lernen, wie sie schweigen, sich mäßigen, im Innern eingezogen und in den äußeren Handlungen gemessen sein sollen, ohne Leichtfertigkeit und Ausgelassenheit. Denn niemals ist die Mäßigung notwendiger als dann, wenn die Gefahr größer ist. Und der Frauen höchster Schmuck und schönste Zierde bleibt allzeit das Stillschweigen und die schüchterne Zurückhaltung. Durch diese wird vielen Lastern der Zutritt verwehrt. Sie sind es, welche die Tugenden einer keuschen, ehrbaren Frau krönen.
1038. Bei Tisch genossen der Herr und seine heiligste Mutter von einigen der aufgetragenen Gerichte, jedoch mit äußerster Mäßigkeit aber auch so, dass ihre Enthaltsamkeit nicht bemerkt wurde. Wenn sie allein waren, genossen sie freilich, wie früher schon gesagt wurde, keine derartigen Speisen. Aber als Lehrmeister der Vollkommenheit wollten sie das gewöhnliche Leben der Menschen nicht verwerfen, sondern durch ihr Verhalten vervollkommen. Deshalb fügten sie sich im öffentlichen Leben allen ohne Übertreibung und auffallende Sonderlichkeit, soweit es sich um tadellose, mit der Vollkommenheit vereinbare Dinge handelte. Und wie der Herr dies durch sein Beispiel gezeigt, so hat Er es auch seinen Aposteln und Jüngern als Lehre hinterlassen und ihnen befohlen, wenn sie ausgingen, um zu predigen, von dem zu essen, was ihnen vorgesetzt würde (Lk 10, 8), und nicht den Sonderling zu spielen, wie Unvollkommene und auf dem Weg der Tugend wenig Unterrichtete tun, denn dem wahrhaft Armen und Demütigen kommt es nicht zu, Speisen auszuwählen.
Damit Gelegenheit zu dem Wunder gegeben würde, geschah es durch göttliche Fügung, dass der Wein bei Tisch ausging. Die mitleidsvolle Königin sprach nun zum Heiland: «Herr, der Wein ist bei diesem Mahl ausgegangen.» Unser Herr antwortete: «Frau, was geht dies Mich und dich an? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.» Diese Antwort Jesu Christi enthielt keinen Tadel, sondern ein Geheimnis, denn dass die weiseste Königin und Mutter um das Wunder bat, war keineswegs bloßer Zufall. Sie wusste vielmehr durch göttliche Erleuchtung, es sei die gelegene Zeit gekommen, dass die göttliche Macht ihres heiligsten Sohnes offenbar werde. Wie hätte ihr auch dies unbekannt sein sollen, da sie ja die volle Kenntnis der Werke der Erlösung besaß und genau wusste, welche Ordnung unser Heiland dabei einhalten, zu welchen Zeiten und bei welchen Gelegenheiten Er sie ausführen werde? Auch ist zu beachten, dass der Herr diese Worte nicht mit tadelnder Miene, sondern mit Würde und freundlicher Ruhe gesprochen hat. Allerdings nannte Er die seligste Jungfrau nicht «Mutter», sondern «Frau»: allein dies hatte seinen Grund darin, dass Er, wie oben gesagt wurde (oben Nr. 960), seine Mutter damals überhaupt nicht mit solch zärtlichen Worten anredete.
1039. Der geheimnisvolle Zweck dieser Antwort unseres Herrn war kein anderer, als die Jünger im Glauben an seine Gottheit zu befestigen und überhaupt allen Menschen allmählich seine göttliche Natur zu offenbaren, indem Er an den Tag legte, dass Er wahrer Gott und hinsichtlich seiner göttlichen Wesenheit und seiner Wundermacht keineswegs von seiner Mutter abhängig sei. Aus diesem Grunde nannte Er Maria auch nicht «Mutter», sondern «Frau», da Er sagte: Was geht das dich an, oder was haben wir, du und Ich, hierbei zu tun? Er wollte damit sagen: Die Macht, Wunder zu wirken, habe Ich nicht von dir empfangen, obwohl du mir die menschliche Natur gegeben hast, in welcher Ich dieselben wirken soll. Die Macht, Wunder zu wirken, kommt allein meiner Gottheit zu. Für diese aber ist meine Stunde noch nicht gekommen. So gab unser Herr durch dieses Wort zu verstehen, dass es nicht Sache seiner heiligsten Mutter sei, die Wunder zu bestimmen, sondern Sache des göttlichen Willens, obwohl die weiseste Königin zur passenden Zeit darum gebeten hatte. Zugleich wollte der göttliche Heiland zeigen, dass in Ihm noch ein anderer Wille als der menschliche bestehe, nämlich der göttliche. Dieser aber sei über den Willen seiner Mutter erhaben und darum dem letzteren nicht untergeordnet, vielmehr sei der Wille der Mutter seinem göttlichen Willen unterworfen. Dementsprechend goss unser Herr dem Geist der Jünger zu gleicher Zeit ein neues Licht ein, in weIchem sie erkannten, wie die beiden Naturen in der Person Christi hypostatisch vereinigt seien und dass Er die menschliche Natur von seiner Mutter, die göttliche aber durch die ewige Zeugung von seinem Vater erhalten habe.
1040. Der Königin des Himmels war das ganze Geheimnis vollkommen bekannt. Deshalb sagte sie mit ruhigem Ernst zu den Knechten, welche bei Tisch dienten: «Tut, was mein Sohn anordnen wird.» Diese Worte sind zunächst ein Beweis, dass die weiseste Mutter den Willen Jesu Christi genau kannte. Maria sprach sie aber auch als Lehrmeisterin des ganzen Menschengeschlechtes und gab damit den Sterblichen die Lehre, dass es, um in allen unseren Bedürfnissen und Nöten Hilfe zu finden, von unserer Seite notwendig und genügend sei, alles das zu tun, was der Herr und seine Stellvertreter befehlen. Eine solche Lehre konnte nur von einer solchen Mutter und Fürsprecherin kommen. Maria wünschte ja sehnlich unser Heil und da sie wohl wusste, was die göttliche Allmacht abhält, viele und große Wunder an uns zu wirken, so wollte sie uns das Heilmittel gegen unsere Fehler und unser Unglück lehren, indem sie uns zum Vollbringen des göttlichen Willens anleitete, denn in diesem besteht all unser Glück.
Der Erlöser der Welt befahl nun den Knechten, die Wasserkrüge, welche nach dem Gebrauch der Juden für solche Dienste bereit standen, mit Wasser zu füllen. Nachdem sie alle gefüllt hatten, befahl Er ihnen, daraus den Wein zu schöpfen, in welchen Er das Wasser verwandelt hatte, und denselben dem Speisemeister zu bringen. Dieser, einer der Priester des Gesetzes, war der Vornehmste bei der Tafel und nahm dabei den Ehrenplatz ein. Nachdem er von dem wunderbaren Wein gekostet, rief er erstaunt den Bräutigam und sagte zu ihm: «Jeder verständige Mensch setzt den Gästen zuerst den besten Wein vor, und wenn sie schon hinlänglich getrunken haben, den schlechtern. Du aber hast umgekehrt getan, denn du hast den vortrefflichsten Wein für das Ende des Mahles aufbehalten.»
1041. Der Speisemeister wusste nämlich beim Kosten des Weines von dem Wunder noch nichts. Denn er saß zuoberst am Tisch, während unser Herr mit seiner heiligsten Mutter und den Jüngern unten an den letzten Plätzen saß. So lehrte der Heiland schon jetzt in der Tat, was Er später mit Worten lehrte, dass wir bei Gastmählern nicht die ersten Plätze suchen, sondern, soviel von uns abhängt, den letzten wählen sollen (Lk 14, 8-10).
Nun wurde das Wunder, dass unser Herr Wasser in Wein verwandelt hatte, sogleich bekannt. Es wurde, wie der Evangelist sagt (Joh 2,11), «seine Herrlichkeit offenbar, und seine Jünger glaubten an Ihn.» Sie glaubten nämlich aufs neue und wurden noch mehr im Glauben bestärkt. Aber nicht bloß sie, sondern auch viele andere von den Anwesenden glaubten, dass Jesus der wahre Messias sei. Sie folgten Ihm bis zur Stadt Kapharnaum, wohin sich nach dem Berichte des Evangelisten (Joh 2, 12) unser Herr von Kana aus mit seiner Mutter und seinen Jüngern begab. Dort, sagt der hl. Matthäus (Mt 4, 17), begann Er zu predigen und erklärte sich bereits als der Lehrer der Menschen. Wenn der heilige Johannes sagt, dass der Herr mit diesem Wunder seine Herrlichkeit offenbarte, so leugnet er damit nicht, dass der göttliche Heiland zuvor bereits im verborgenen Wunder gewirkt habe. Er setzt vielmehr voraus und betont, dass Jesus bei diesem Wunder seine Herrlichkeit offenbarte, die Er bei den bisherigen noch nicht geoffenbart hatte. Denn vorher wollte Er noch nicht als Urheber derselben erkannt werden, weil die hierfür gelegene Zeit noch nicht gekommen war. Es ist aber gewiss, dass durch Wirkung unseres Herrn in Ägypten viele wunderbare Dinge geschahen, z.B. der Einsturz der Tempel und Götzenbilder, wovon an seinem Ort die Rede war (oben Nr. 641. ff).
Bei allen diesen Wundern verrichtete die heiligste Jungfrau Maria erhabene Tugendakte, indem sie den Allerhöchsten pries und ihm dafür dankte, dass sich sein heiliger Name mehr und mehr offenbarte. Sie war bedacht die neuen Gläubigen zu trösten und ihrem heiligsten Sohn zu dienen, und alles dieses tat sie mit der ihr eigenen unvergleichlichen Weisheit und dienstfertigen Liebe. Sie übte diese Liebe mit größtem Eifer und flehte zum ewigen Vater, Er möge die Herzen der Menschen bereiten und die Finsternis der Unwissenheit von ihnen verbannen, damit sie durch die Worte und das Licht des menschgewordenen Wortes erleuchtet würden.
LEHRE, welche mir die große Himmelskönigin gab
1042. Meine Tochter, es ist eine bei den Kindern der Kirche zwar allgemein vorkommende, aber unentschuldbare Nachlässigkeit und Sorglosigkeit, dass sie auf die Ausbreitung der Ehre Gottes nicht bedacht sind. Alle insgesamt und jeder einzelne sollten trachten, dass der heilige Name Gottes mehr und mehr erkannt und so die Herrlichkeit allen offenbar werde. Allein dies vernachlässigen sie ganz, und ihre Nachlässigkeit ist schuldbarer, seitdem das ewige Wort gerade zu dem Zweck in meinem Schoß Fleisch angenommen und die Welt belehrt und erlöst hat um die Ehre Gottes zu verbreiten. Zu diesem Zweck hat der Sohn Gottes die heilige Kirche gegründet, zu diesem Zwecke hat Er die Kirche mit geistlichen Gütern und Schätzen bereichert mit Dienern versehen und auch mit zeitlichen Gütern beschenkt. Alles dieses muss nicht bloß dazu dienen, um die Zahl der Kinder der Kirche zu erhalten, sondern auch, um die Kirche zu erweitern und eine immer größere Anzahl von Menschen der Wiedergeburt durch den katholischen Glauben zuzuführen. Zur Erreichung dieses Zieles müssen alle beitragen, damit der Tod ihres Erlösers mehr und mehr Frucht trage. Die einen können es tun durch Bitten, Flehen und heißes Verlangen nach der Ausbreitung der Ehre des göttlichen Namens, andere können es tun durch Almosen, andere durch Wachsamkeit und Ermahnung, wieder andere durch ihre Arbeit und ihren Fleiß. Und wenn auch die Nachlässigkeit und Saumseligkeit, welche sich die Menschen in dieser Hinsicht zuschulden kommen lassen, bei den Unwissenden und Armen weniger schuldbar ist, weil vielleicht niemand sie an diese Pflicht erinnert so sind doch die Reichen und Mächtigen und ganz besonders die Diener und Vorsteher der Kirche, welchen diese Sorge als strenge Pflicht obliegt gar sehr strafbar. Viele von ihnen, ganz uneingedenk der furchtbaren Rechenschaft, welche ihnen bevorsteht suchen anstatt der wahren Ehre Jesu Christi nur ihre eigene, eitle Ehre. Sie verwenden das Patrimonium der Kirche, die Frucht des Blutes des Erlösers, zu Werken und Zielen, die gar nicht genannt zu werden verdienen. Auf ihre Rechnung kommt es, wenn unzählige Seelen, welche durch Anwendung der rechten Mittel für die heilige Kirche gewonnen werden könnten, zugrunde gehen. Zum wenigsten verlieren sie das Verdienst das sie sich hierbei erwerben könnten, der Herr aber entbehrt der Ehre, treue Diener in seiner Kirche zu haben. Die gleiche Rechenschaft steht auch den weltlichen Fürsten und Machthabern bevor. Sie haben aus der Hand Gottes Ehre, Reichtum und andere zeitliche Güter empfangen, um dieselben zur Ehre der göttlichen Majestät zu verwenden. Allein an nichts denken sie weniger als an diese ihre Verpflichtung.
1043. Trauere über diese Misstände und biete alle deine Kräfte auf, damit der Allerhöchste mehr und mehr von allen Völkern erkannt und geehrt werde und dass aus den Steinen Kinder Abrahams erweckt werden (Mt 3, 9), denn der Herr ist mächtig genug, alles dieses zu bewirken. Damit sich aber die Menschen unter das süße Joch des Evangeliums beugen, so flehe, dass der Herr seiner Kirche tüchtige Arbeiter sende, denn die Ernte ist zwar groß, aber der eifrigen und treuen Arbeiter, welche dieselbe einheimsen, sind es nur wenige (Lk 10, 2). Als lebendiges Beispiel diene dir die mütterliche Sorgfalt und Liebe, mit welcher, wie dir geoffenbart worden, ich mit meinem Sohn und Herrn mich bemüht habe, um Ihm Seelen zu gewinnen und dieselben in seiner Lehre und Nachfolge zu erhalten. Die Flamme dieses Liebeseifers erlösche niemals in deinem Herzen! Es ist auch mein Wille, dass das Stillschweigen und die Sittsamkeit welche ich, wie du gesehen, bei der Hochzeit beobachtet habe, dir und deinen Nonnen zur unverbrüchlichen Richtschnur diene, wonach ihr eure äußeren Handlungen regeln sollt. Auch ihr sollt zurückhaltend, gemässigt und in Worten sparsam sein, namentlich in Gegenwart der Männer. Denn diese Tugenden bilden den Schmuck und die Zier einer Braut Christi. Sie bewirken, dass sie Gnade findet in seinen heiligsten Augen.
ZWEITES HAUPTSTÜCK: Maria begleitet Jesus während der Zeit seines Lehramtes. Ihr Wirken
Die heilige Jungfrau begleitet den göttlichen Heiland während seines Lehramtes. Die vielen Mühsale, welche sie dabei aussteht. Ihre Sorge für die Frauen, welche dem Herrn folgen. Die überaus hohe Vollkommenheit welche Maria in ihrem ganzen Verhalten an den Tag legt.
1044. Ich würde zwar vom Plan dieser Geschichte nicht abweichen, wenn ich die Wunder und heroischen Handlungen unseres Herrn beschreiben wollte, denn fast an allen diesen Werken hatte seine heiligste Mutter in irgendeiner Weise tätigen Anteil. Allein ich kann ein so schwieriges Unternehmen, welches über die menschliche Fähigkeit hinausgeht, nicht wagen. Sagt ja doch der heilige Evangelist Johannes, nachdem er so viele Wunder seines göttlichen Meisters niedergeschrieben, am Ende seines Evangeliums, Jesus habe noch vieles andere getan, und wollte man dieses einzeln aufschreiben, so würde die ganze Welt die Bücher nicht fassen (Joh 21, 25). Schien dies dem Evangelisten unmöglich, was könnte sich dann eine unwissende Frau, das unnützer ist als der Staub der Erde, anmaßen? Was zur Gründung und Erhaltung der Kirche notwendig, nützlich, hinreichend, ja mehr als genügend war, das haben alle vier Evangelisten niedergeschrieben, und es ist deshalb nicht nötig, dies in unserem Buch hier zu wiederholen. Um aber diese Geschichte zu vollenden und so große Werke der Himmelskönigin, welche die Evangelisten unerwähnt lassen, nicht mit Stillschweigen zu übergehen, werde ich einiges davon im besonderen berühren müssen. Und mich dünkt, es wird mir zum Trost und zum geistlichen Fortschritt gereichen, dieses aufzuzeichnen und im Gedächtnis zu bewahren. Das übrige, was die Evangelisten in den Evangelien nicht niedergeschrieben haben und was auch ich nicht aufzuzeichnen beauftragt bin, wird für die Anschauung der Seligen aufbewahrt. Dort wird es den Heiligen zu ihrer besonderen Wonne in Gott geoffenbart und sie werden ihn für solch herrliche Werke ewig lobpreisen.
1045. Von Kana begab sich der göttliche Heiland nach Kapharnaum, einer großen, volkreichen Stadt an dem See von Tiberias. Hier brachte Er aber, wie der heilige Evangelist Johannes (Joh 2, 12) sagt nur einige wenige Tage zu, denn die Osterzeit nahte, und deshalb machte Er sich auf nach Jerusalem, um dort am vierzehnten des Märzmondes Ostern zu feiern.
Von dieser Zeit an war die heiligste Jungfrau die beständige Begleiterin ihres Sohnes. Sie verließ ihr Haus zu Nazareth und folgte Ihm während der ganzen Zeit seines Lehramtes bis zu seinem Tod am Kreuz allezeit nach. Nur bei einzelnen Anlässen trennten sich beide für wenige Tage, so z.B., als der Herr auf den Tabor ging oder mit besonderen Bekehrungen, wie derjenigen der Samariterin, beschäftigt war, oder wenn U. L. Frau bei einigen Personen blieb, um dieselben noch vollständiger zu unterrichten. Doch kehrte sie alsbald zur Gesellschaft ihres Sohnes und Meisters zurück und folgte der Sonne der Gerechtigkeit bis zu der Stunde, da sie im Tod unterging. Die Königin des Himmels machte, wie ihr heiligster Sohn, diese Reisen zu Fuß. Wenn nun schon der Herr durch das Gehen ermüdet wurde, wie aus dem Evangelium erhellt (Joh 4, 6), wie beschwerlich musste es dann der reinsten Jungfrau fallen! Wie ermüdend mussten für sie diese häufigen Reisen sein, welche unterschiedslos zu allen Jahreszeiten stattfanden! Mit solcher Strenge behandelte die Mutter der Barmherzigkeit ihren zartesten Leib. Hierdurch allein hat sie für uns so viel Mühen auf sich genommen, dass alle Menschen zusammen ihr niemals den schuldigen Dank abstatten können. Ja, sie litt manchmal durch göttliche Zulassung so große Schmerzen und solche Ermüdung, dass der Herr sie auf wunderbare Weise aufrecht erhalten musste, was Er auch tat. Zuweilen trug Er ihr auf, während einiger Tage irgendwo auszuruhen. Manchmal verlieh Er auch ihrem Leib solche Leichtigkeit, dass sie sich ohne Schwierigkeit wie im Fluge, bewegen konnte.
1046. Die himmlische Lehrmeisterin trug zwar die ganze Lehre des Neuen Bundes in ihrem Herzen eingeschrieben. Allein nichtsdestoweniger hörte sie den Predigten und Lehren ihres göttlichen Sohnes so fleißig und aufmerksam zu, als wäre sie eine erst anfangende Schülerin. Ja, sie hatte ihren heiligen Engeln befohlen, ihr gerade hierbei in besonderer Weise behilflich zu sein und sie, wenn nötig, aufmerksam zu machen, damit sie niemals bei einer Predigt des göttlichen Meisters fehle, außer im Fall ihrer Abwesenheit. Die Himmelskönigin hörte die Predigten oder Lehren des Erlösers stets kniend an, und sie allein bewies Ihm, soweit es nur ihre Kräfte ermöglichten, alle seiner Person und seiner Lehre gebührende Ehrfurcht. Wie wir anderwärts gesehen haben, schaute sie auch allzeit die Tätigkeiten der heiligsten Seele ihres Sohnes. Da nun unser Herr, während Er predigte, zu gleicher Zeit innerlich zum himmlischen Vater betete, dass der Same seiner heiligsten Lehre in gute Herzen fallen und Früchte des ewigen Lebens hervorbringen möchte, so verrichtete die barmherzigste Mutter dieselben Bitten und Gebete für die Zuhörer ihres göttlichen Meisters und erlangte ihnen dieselben Segnungen mit glühendster Liebe und unter Tränen. Auch war ihre tiefe Ehrfurcht und gespannte Aufmerksamkeit für die übrigen eine Lehre und ein Sporn zur schuldigen Hochachtung für die Lehre und die Worte des Erlösers der Welt. U. L. Frau kannte auch das Innere all derer, welche der Predigt ihres heiligsten Sohnes beiwohnten. Sie wusste, ob sie im Stand der Gnade oder der Sünde seien, welche Fehler und Tugenden sie besäßen. Und dieser so reichhaltige, dem Menschengeiste sonst entzogene Einblick brachte in der himmlischen Mutter wunderbare Wirkungen hervor und regte sie zu Akten der höchsten Liebe und der übrigen Tugenden an. Sie erglühte von Eifer für die Ehre des Herrn und von Verlangen, dass die Frucht des Erlösungswerkes an den Seelen nicht verlorengehe. Der gefahrvolle, unglückliche Zustand derer, die in der Sünde lebten, spornte U. L. Frau zum inbrünstigsten Gebete für ihr ewiges Heil an. Sie empfand den durchdringendsten, bittersten Schmerz darüber, dass nicht alle Menschen ihren Gott erkennen, anbeten und Ihm dienen. Und dieser Schmerz stand auf gleicher Stufe mit ihrer tiefen, alle menschliche Vorstellung übersteigenden Erkenntnis der Gründe, welche einen solchen Schmerz veranlassten. Über die Seelen, welche die Gnade Gottes zurückstießen, trauerte sie mit unbeschreiblicher Bitterkeit, denn sie beweinte dieselben mit blutigen Tränen. Was unsere große Königin bei diesem Kummer und diesen Mühen gelitten hat, überstieg ohne Vergleich die Qualen, welche alle Martyrer der Welt erduldet haben.
1047. Alle Jünger, welche von unserem Herrn als solche angenommen wurden und ihm folgten, behandelte die seligste Jungfrau mit unvergleichlicher Weisheit und Klugheit. Insbesondere hegte sie für jene, welche zu Aposteln berufen waren, die größte Ehrfurcht und Hochachtung. Indes sorgte sie für alle als Mutter, half ihnen in allem als mächtige Königin und verschaffte ihnen die Nahrung und die sonstigen Lebensbedürfnisse. Manchmal, wenn anderweitige Abhilfe nicht möglich war, gab sie den Engeln Befehl, den Jüngern und einigen Frauen, für welche sie Sorge trug, Speise zu bringen. Doch ließ sie solche Wunder nur insoweit offenbar werden, als nötig war, um die Jünger im Glauben an den Herrn und in der Frömmigkeit zu befestigen. Für deren Fortschritt im geistlichen Leben gab sie sich größere Mühe, als wir zu fassen vermögen. Nicht nur verrichtete sie allzeit anhaltende, inbrünstige Gebete für dieselben, sondern als weiseste Mutter und Lehrmeisterin nährte und erzog sie dieselben auch durch ihr Beispiel sowie durch den Rat und die Ermahnungen, welche sie ihnen erteilte. Hatten die Apostel und Jünger irgendeinen Zweifel, was im Anfang häufig der Fall war, oder waren sie von einer inneren Versuchung beunruhigt dann nahmen sie ihre Zuflucht zur Himmelskönigin, um durch die unaussprechliche Weisheit und Liebe, die sich an ihr offenbarte, Erleuchtung und Trost zu finden. Und nicht umsonst, durch die Lieblichkeit ihrer Worte wurden sie vollkommen erquickt und getröstet. Durch ihre Weisheit wurden sie erleuchtet und belehrt durch ihre Demut wurden sie demütig und willig, durch ihre Sittsamkeit bescheiden. Kurz, in dieser Werkstätte des Heiligen Geistes, in dieser Schatzkammer seiner Gaben fanden sie alle Güter zugleich. Die seligste Jungfrau aber stattete für alle diese Wohltaten: für die Berufung der Jünger, für die Bekehrung einer jeden Seele, für die Beharrlichkeit der Gerechten sowie für jedes Werk der Tugend und Gnade Gott den gebührenden Dank ab. Jeder Tag der Gnade war für die Himmelskönigin ein Tag festlicher Freude, an dem sie den Herrn mit neuen Lobliedern verherrlichte.
1048. Wie die Evangelisten berichten, folgten dem göttlichen Erlöser während seines Predigtamtes auch einige Frauen aus Galiläa. Nach dem Bericht des hl. Matthäus, Markus und Lukas (Mt 27, 55; Mk 15, 40; Lk 8, 2) folgten und dienten Ihm auch einige Frauen, die Er vom bösen Geist befreit oder von Krankheiten geheilt hatte. Denn der Lehrmeister des Lebens schloss kein Geschlecht von seiner Begleitung, Lehre und Nachfolge aus. Dass Ihm so vom Beginn seines Predigtamtes an einige Frauen folgten, dies ordnete seine göttliche Weisheit auch deshalb an, damit seine heiligste Mutter größerer Sittsamkeit wegen an ihnen Begleiterinnen habe. Die Himmelskönigin trug besondere Sorge für diese heiligen Frauen, sie versammelte, unterrichtete und führte dieselben zu den Predigten ihres heiligsten Sohnes. Die seligste Jungfrau besaß zwar selbst eine überaus hohe Erleuchtung über die christliche Lehre und Weisheit um diese Frauen den Weg des ewigen Lebens zu lehren. Allein sie verbarg wenigstens teilweise ihren kostbaren Schatz und bediente sich immer nur dessen, was alle insgesamt von ihrem göttlichen Sohn gehört hatten. Darauf gründete sie die Ermahungen und Unterredungen für diese und viele andere Frauen, welche an verschiedenen Orten zu ihr kamen, ehe oder nachdem sie den Heiland der Welt gehört hatten. Freilich folgten Ihm nicht alle. Doch die seligste Jungfrau unterrichtete auch diese letzteren in den Geheimnissen des Glaubens, deren Kenntnis ihnen notwendig war. Auf diese Weise führte Maria unzählige Frauen zur Erkenntnis Christi und damit auf den Weg des ewigen Heiles und der christlichen Vollkommenheit. Die Evangelisten sagen allerdings hiervon nichts. Sie begnügen sich zu bemerken, dass einige Frauen unserem Herrn nachfolgten. Für ihren Zweck war es eben nicht notwendig, diese Einzelheiten niederzuschreiben. Die Himmelskönigin vollbrachte Wunderwerke an diesen Frauen. Sie belehrte sie nicht nur durch ihre Worte über den Glauben und die Sitten, sondern leitete sie auch durch ihr Beispiel an, die Mildtätigkeit zu üben, indem sie die Kranken, die Armen, die Spitäler, die Gefangenen und Betrübten besuchte, die Verwundeten eigenhändig pflegte, den Traurigen Trost und den Notleidenden Hilfe brachte. Sollte ich dies alles erzählen, so müsste ich einen großen Teil dieser Geschichte dazu verwenden oder sie erweitern.
1049. Auch die unzähligen und großen Wunder, welche die Himmelskönigin während des Lehrwandels unseres Herrn gewirkt hat sind in den Evangelien und in den übrigen Geschichtsbüchern der Kirche nicht aufgezeichnet. Die Evangelisten haben nur jene Wunder berichtet welche unser Herr gewirkt hat, soweit dies für den Glauben der Kirche erforderlich war. Die Kirche musste schon im Glauben begründet und stark geworden sein, ehe die Herrlichkeiten seiner heiligsten Mutter im einzelnen geoffenbart werden konnten. Nach den Mitteilungen, die ich erhalten habe, ist es aber gewiss, dass U. L. Frau nicht bloß viele wunderbare Bekehrungen bewirkt, sondern auch Tote erweckt, Blinden das Sehen und vielen Kranken die Gesundheit wiedergegeben hat. Es war dies aus vielen Gründen geziemend. Einmal war die seligste Jungfrau die Gehilfin im größten Werk, wegen dessen das Wort des ewigen Vaters Fleisch angenommen hatte auf Erden, nämlich in der Predigt des Evangeliums und in der Erlösung. Dadurch hat Gott die Schätze seiner Allmacht und seiner unendlichen Güte eröffnet und durch das menschgewordene Wort und dessen würdige Mutter seine Macht und Güte geoffenbart. Sodann gereichte es bei diesen Wundern beiden zur Ehre, dass die Mutter dem Sohn ähnlich war und den Gipfelpunkt aller Gnaden und Verdienste, die ihrer Würde und Glorie entsprachen, erreichte. Zudem sollten durch diese Wunderwerke ihr heiligster Sohn und seine Lehre beglaubigt werden. Er sollte von ihr mit höherem Ansehen, größerer Kraft und Auszeichnung in seinem Predigtamt unterstützt werden. Dass aber diese Wunder der heiligsten Jungfrau verborgen blieben, geschah durch die Fügung des Herrn und auf die Bitte der weisesten Mutter. Sie verrichtete sie mit solcher Weisheit und auf so verborgene Weise, dass die Ehre davon einzig auf den Erlöser überging, in dessen Namen und Kraft sie gewirkt waren. Dasselbe Verhalten beobachtete U. L. Frau, wenn sie die Leute unterrichtete. Denn sie lehrte niemals öffentlich, niemals an den Orten, welche für die Lehrer und Diener des göttlichen Wortes bestimmt waren. Es war ihr ja nicht unbekannt, dass das Predigtamt den Frauen nicht zukommt. Allein in Privatunterredungen lehrte die Himmelskönigin mit himmlischer Weisheit Kraft und Klugheit. Durch diese Lehrweise und durch ihre Gebete bewirkte die heiligste Jungfrau größere Bekehrungen, als alle Prediger der Welt gewirkt haben.
1050. Zum besseren Verständnisse des Gesagten ist noch zu beachten, dass U. L. Frau, abgesehen von der göttlichen Kraft ihrer Worte, die Naturanlagen, Neigungen und Gewohnheiten eines jeden kannte sowie die passendste Zeit und Gelegenheit ihn auf den Weg des Lichtes zurückzuführen. Dazu kamen noch ihre Gebete und die Lieblichkeit ihrer weisesten Worte. Dabei war die heiligste Jungfrau stets von jener glühendsten Liebe geleitet mit welcher sie alle Seelen auf den Weg des Heiles zu führen und zum Herrn zu geleiten verlangte. Deshalb musste auch der Erfolg all dieser Bemühungen ein großartiger sein. Zahllose Seelen mussten dadurch erleuchtet bewegt, gerettet werden. Es wurde ihr ja niemals eine Bitte vom Herrn abgeschlagen. Keines ihrer Werke war mangelhaft, ein jedes war mit aller erforderlichen Heiligkeit verrichtet. Die Erlösung ist aber das größte und wichtigste aller Werke. Darum hat Maria auch ohne allen Zweifel dazu in höherem Grad mitgewirkt als wir in diesem sterblichen Leben zu begreifen vermögen. Dabei benahm sich die Himmelskönigin stets mit wunderbarer Sanftmut wie eine unschuldige Taube. Mit äußerster Geduld ertrug sie die Unvollkommenheiten und die Unwissenheit der neuen Gläubigen und belehrte sie, denn in großer Zahl kamen jene zu ihr, welche sich zum Glauben an den Erlöser entschlossen. Sie bewahrte stets die ruhige Würde einer großen Königin, war aber zugleich so milde und demütig, wie nur sie allein diese Vollkommenheiten nach dem Beispiele des Herrn in so hohem Grad vereinigen konnte. Beide behandelten jedermann mit solcher Leutseligkeit und so vollkommener Liebe, dass niemand eine Entschuldigung finden konnte, wenn er sich von solchen Lehrmeistern nicht belehren ließ. Sie scheuten sich nicht, mit den Jüngern und den heiligen Frauen, wenn auch mit entsprechender würdevoller und ernster Haltung, zu reden, zu verkehren und zu essen, damit niemand entfremdet würde oder auf den Gedanken käme, der göttliche Heiland sei kein wahrer Mensch, Er sei nicht wirklich der Sohn der heiligsten Jungfrau. Aus diesem Grund nahm unser Herr auch Einladungen zu anderen Mahlzeiten an und wohnte denselben mit größter Freundlichkeit bei, wie aus den heiligen Evangelien erhellt (Mt 9,10; Joh 12, 2; Lk 5, 29 u. 7, 36).
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1051. Meine Tochter, allerdings habe ich, während ich meinem göttlichen Sohn bis zum Kreuz nachfolgte, mehr gelitten, als die Menschen denken und verstehen. Und auch nach seinem Tod noch waren meine Mühen nicht geringer, wie du später erfahren wirst wenn du den dritten Teil meines Lebens zu schreiben hast. Doch unter diesen Mühen und Beschwerden war es für meine Seele eine unbeschreibliche Freude, zu sehen, wie der menschgewordene Sohn Gottes das Heil der Menschen wirkte und wie Er das mit sieben Siegeln verschlossene Buch der Geheimnisse seiner Gottheit und seiner heiligsten Menschheit allmählich öffnete (Offb 5, 8). Das Menschengeschlecht aber schuldet mir nicht geringeren Dank für meine Freude über das Wohl eines jeden als für die Mühe, mit welcher ich für sein Heil sorgte, denn beide stammten aus derselben Liebe. Hierin musst du mich nachahmen, wie ich dich so häufig ermahne. Freilich hörst du die Lehre, die Stimme und die Predigt meines göttlichen Sohnes nicht mit leiblichen Ohren. Dennoch kannst du mir in der Ehrfurcht nachfolgen, mit welcher ich Ihn hörte, denn derselbe Heiland ist es, der dir zum Herzen spricht und es ist die nämliche Wahrheit seine Lehre ist dieselbe. Deshalb befehle ich dir, dass du, sobald du dieses Licht und diese Stimme deines Bräutigams und Hirten erkennst ehrfuchtsvoll niederkniest um auf Ihn zu hören, Ihn mit Danksagung anzubeten und seine Worte in dein Herz einzugraben. Befindest du dich aber an einem öffentlichen Ort, wo dir diese äußerliche Demütigung unmöglich ist so tue dies wenigstens innerlich und gehorche Ihm in allem, gerade wie wenn du seiner Predigt beiwohntest. Denn wie damals das Anhören ihrer dich nicht selig gemacht hätte, wenn du sie nicht befolgt hättest so wirst du andererseits jetzt glückselig sein, wenn du tust was du zwar nicht körperlich, aber doch geistig hörst. Groß ist deine Verpflichtung, weil die Güte und Barmherzigkeit welche der Allerhöchste und ich dir erweisen, überaus groß sind. Sei darum nicht trägen Herzens und verarme nicht unter so reichen Schätzen des göttlichen Lichtes.
1052. Doch nicht allein auf die innere Stimme des Herrn sollst du mit Ehrfurcht hören, sondern auch auf seine Diener, die Priester und Prediger. Ihre Stimme ist das Echo der Stimme Gottes und der Kanal, durch welchen die gesunde Lehre des Lebens aus der unversieglichen Quelle der göttlichen Wahrheit an die Menschen vermittelt wird. In ihnen spricht Gott, in ihnen lässt Er die Stimme seines göttlichen Gesetzes erschallen. Höre sie darum mit solcher Ehrfurcht an, dass du niemals einen Fehler an ihnen findest und niemals sie richtest. Alle sollen dir als weise und beredt gelten, und in jedwedem sollst du Christus, meinen Sohn und Herrn, hören. So wirst du dich davor bewahren, jener törichten Verwegenheit der Weltkinder zu verfallen, welche mit einer im höchsten Grad verwerflichen und gottverhassten Eitelkeit und Hoffart die Diener und Prediger des Herrn verachten, weil sie nicht nach ihrem verdorbenen Geschmack reden. Solche Weltkinder kommen nicht um die göttliche Wahrheit zu hören. Sie urteilen allein über die Ausdrück und den Stil, als wäre das Wort Gottes nicht lauter und wirksam (Hebr 4, 12) auch ohne diese gezierten Worte, die dem kranken Geschmack der Zuhörer angepasst sind. Schätze diese Mahnung ja nicht gering und achte überhaupt auf alle Lehren, welche ich dir in dieser Geschichte noch geben werde. Ich will dich als Lehrmeisterin unterrichten im Großen und im Kleinen, im Bedeutenden und im Unbedeutenden, denn es ist immer etwas Großes, alles mit Vollkommenheit zu tun. Ebenso ermahne ich dich, dass du die Armen wie die Reichen in gleicher Weise, ohne Unterschied der Person, anhörst. Denn die Nichtbeachtung dieser Regel ist ein anderer, unter den Kindern Adams gleichfalls gewöhnlich vorkommender Fehler. Mein heiligster Sohn aber und ich haben denselben verurteilt und verworfen, indem wir uns gegen alle in gleicher Weise freundlich zeigten, ganz besonders aber gegen die Verachtetsten, Bedrängtesten und Hilfsbedürftigsten. Die menschliche Weisheit sieht auf die Personen und nicht auf die Seelen, sie sieht nicht auf die Tugenden, sondern auf weltliche Größe. Die Weisheit des Himmels dagegen erblickt in allen das Ebenbild Gottes. Endlich soll es dir nicht zuwider sein, wenn deine Brüder und Nebenmenschen bemerken, dass du jenen Gebrechen der Natur, welche eine Folge der Erbsünde sind, wie z.B. den Krankheiten, der Ermüdung, dem Hunger und anderen Armseligkeiten, unterworfen bist. Gar oft ist das Verbergen solcher Gebrechen Heuchelei und Mangel an Demut. Die Freunde Gottes haben einzig die Sünde zu fürchten, und sie sollen verlangen, lieber zu sterben als eine Sünde zu begehen. Alle anderen Mängel aber beflecken das Gewissen nicht und darum ist es auch nicht nötig, sie zu verheimlichen.
DRITTES HAUPTSTÜCK: Maria übt und lehrt die Demut
Die Demut der heiligsten Jungfrau Maria bei den Wundern unseres Heilandes Jesu Christi. Sie lehrt die Apostel, bei den Wundern, die sie in göttlicher Kraft wirkten, demütig zu bleiben. Einige andere Bemerkungen.
1053. Der Hauptgegenstand der ganzen Lebensgeschichte Mariä ist, wenn man dieselbe aufmerksam erwägt eine deutliche Schilderung der Demut dieser großen Königin, der Herrin der Demütigen. Diese Tugend ist an ihr so unaussprechlich, dass sie weder würdig gepriesen noch nach Gebühr geschildert werden kann, denn weder Menschen noch Engel haben je deren Tiefe hinlänglich erfasst. Wie die Lieblichkeit und Süße des Zuckers allen Arzneien und Heilmitteln beigemischt wird und allen den rechten Wohlgeschmack verleiht indem der Zucker zu allen, auch den verschiedenartigsten Mischungen passt ebenso war es bei der allerseligsten Jungfrau Maria die Demut, welche alle ihre Tugenden und Werke durchdrang, vervollkommnete und erhöhte und ihnen vor Gott und den Menschen gleichsam den rechten Wohlgeschmack verlieh. Die Demut war es, um derentwillen die göttliche Majestät Maria angesehen und auserwählt hat, die Demut ist es, um derentwillen alle Völker sie seligpreisen. Die weiseste Königin verlor in ihrem ganzen Leben keinen Augenblick und keine Gelegenheit sondern übte stets alle ihr möglichen Tugenden. Doch ein noch größeres Wunder ist es, dass sie kein einziges Tugendwerk verrichtete, ohne dabei ihre tiefste Demut zu betätigen. Durch diese Tugend wurde sie über alles erhoben, was nicht Gott ist. Ja, wie die heiligste Jungfrau Maria durch ihre Demut alle Geschöpfe besiegte, so hat sie durch die Demut gewissermaßen auch Gott selbst überwunden, indem sie nämlich derart Gnade fand in seinen Augen, dass Er ihr keine Gnade verweigerte, um welche sie für sich und für andere bat. Ich sage, U. L. Frau hat alle Geschöpfe durch Demut überwunden. Im elterlichen Haus hat sie nämlich, wie im ersten Teil gesagt wurde, ihre Mutter, die hl. Anna, und die Diener überwunden, so dass sie ihr gestatteten, die Demut zu üben. Im Tempel übertraf sie alle ihre Gefährtinnen, im Ehestand tat sie es dem hl. Joseph zuvor und in demütigen Dienstleistungen den Engeln. Sie überwand die Apostel und Evangelisten hinsichtlich der ihr zu erteilenden Lobsprüche, so dass sie hierüber schwiegen. Gott den Vater und den Heiligen Geist bewog sie durch ihre Demut dies anzuordnen. Ihren göttlichen Sohn endlich bewog sie, zu bewirken, dass seine Wunder und seine Lehre den Menschen keinen Anlass zu ihrem Lob gaben.
1054. Eine so ausgezeichnete Demut war nur der Demütigsten unter den Demütigen erreichbar. Die übrigen Adamskinder und auch die Engel vermögen eine solche Stufe der Demut nicht zu erreichen. Es ist uns dies schon wegen unserer persönlichen Stellung unmöglich, auch wenn wir nicht aus anderen Gründen in dieser Tugend so sehr zurückblieben. Folgendes wird uns zum Verständnis dieser Wahrheit verhelfen. Durch den Biss der alten Schlange ist das Gift des Stolzes in die übrigen Menschen so tief eingedrungen, dass nach Anordnung der göttlichen Weisheit sogar die Folge der Sünde als Heilmittel zu dessen Beseitigung dienen sollte, d.h. die Erkenntnis unserer eigenen Fehler, die im vollen Sinne des Wortes uns eigen sind, sollte uns zur Erkenntnis unserer Niedrigkeit führen, da wir dies, nicht aus unserem Wesen ersehen. Freilich haben wir eine geistige Seele, aber sie steht offenbar unter den geistigen Wesen auf der niedersten Stufe, da ja Gott auf der höchsten, die Engel aber in der Mitte stehen. Hinsichtlich des Leibes aber sind wir nicht nur aus dem niedrigsten Element, nämlich der Erde, gebildet, sondern auch aus dem unreinsten Teil, nämlich aus Lehm (Gen 2, 7). Dies wurde aber von der Weisheit und Allmacht Gottes nicht ohne Grund, sondern mit weiser Vorsehung so gefügt, damit der «Lehm» immer den letzten Platz als die ihm gebührende Stelle einnehmen und, wenn auch mit Gnaden reich geziert doch auf demselben bleibe, weil sich jene Gnaden in einem zerbrechlichen Gefäße von Lehm und Staub befinden (2 Kor 4, 7). Allein wir alle haben das richtige Urteil verloren und finden uns nicht hinein in diese Wahrheit und in diese von dem Wesen des Menschen so sehr geforderte Demut. Damit wir auf anderen Wege zur Demut veranlasst werden, ist es notwendig, dass wir durch den Zunder der Sünde und durch unsere Leidenschaften und ungeordneten Handlungen innewerden, wie elend und verächtlich wir sind. Und selbst diese alltägliche Erfahrung bringt uns noch nicht zum Verstand und vermag uns noch nicht zu dem Geständnis zu bewegen, dass Verlangen nach Ehre und Auszeichnung eine Ungerechtigkeit und Verkehrtheit für der Menschen ist der seiner Natur nach Staub und Lehm, seiner Werken nach aber selbst dieser so niedrigen irdischen Natur unwürdig ist.
1055. Nur Maria, die heiligste Jungfrau, obwohl unberührt von der Schuld Adams und von ihren traurigen, schmählicher Folgen, verstand die Kunst der Demut und erreichte deren Gipfelpunkt. Sie hat sich allein schon deswegen, weil sie sich als Geschöpf betrachtete, mehr gedemütigt als alle anderen Adamskinder, obwohl diese außer ihrer irdischen Natur noch ihre eigenen Sünden zu betrachten hätten. Und wenn andere Menschen demütig waren, so sind sie es dadurch geworden, dass sie zuvor gedemütigt wurden. Durch die Demütigung haben sie wie gezwungen den Weg der Demut betreten und müssen also mit David bekennen: «Bevor ich gedemütigt ward, hab ich gesündigt», und «Gut ist's mir, dass ich gedemütigt ward, damit ich lerne deine Satzungen (Ps 119, 67.71).» Die Mutter der Demut dagegen wurde nicht durch Demütigung zu dieser Tugend gebracht, vielmehr war sie demütig, ehe sie gedemütigt wurde. Durch Sünden und Leidenschaften wurde sie überhaupt niemals gedemütigt, sondern sie war allzeit demütig mit freiem, edlem Willen. Die Engel können mit den Menschen zwar nicht verglichen werden, weil sie einer höheren Natur und Rangordnung angehören und frei sind von Sünde und Leidenschaft. Gleichwohl konnten diese himmlischen Geister die Demut der heiligsten Jungfrau nicht erreichen, obwohl auch sie sich vor ihrem Schöpfer aus demselben Grund demütigten, weil sie nämlich seine Geschöpfe sind. Denn für die heiligste Jungfrau Maria war die ihr eigene irdische, menschliche Natur ein Beweggrund, es auch den Engeln an Demut zuvorzutun, indem diese durch ihr geistiges Wesen nicht so mächtig angetrieben wurden, sich so tief zu erniedrigen, wie die Himmelskönigin es tat. Dazu kommt noch ihre Würde als Mutter Gottes und als Herrin aller Geschöpfe, selbst der Engel. Kein Engel konnte an sich eine Würde oder Auszeichnung finden, welche die Tugend der Demut an ihm in solchem Grad erhöht hätte, wie dies bei U, L. Frau der Fall war.
1056. In dieser Auszeichnung steht Maria ganz einzig da. Und es war ihr keineswegs verborgen, dass sie die Mutter Gottes und die Königin der ganzen Schöpfung sei. Sie wusste gar wohl, welche Gnadengaben sie empfangen hatte, um würdige Mutter Gottes zu werden, und welche Wunderwerke sie mit Hilfe dieser Gnaden wirkte. Sie wusste gar wohl, dass der Herr alle Schätze des Himmels in ihre Hände gelegt und ihr zur Verfügung gestellt hatte. Allein trotzdem ließ sich ihr Herz weder durch ihre Mutterwürde, noch durch ihre Unschuld, noch durch ihre Macht noch durch ihre Gnadengaben, noch durch ihre Wunderwerke, noch durch die Wunder ihres göttlichen Sohnes jemals bewegen, sich von dem niedrigsten Platz unter allen Geschöpfen zu erheben. O wunderbare Demut ! O Treue, dergleichen man bei den Menschen niemals gesehen ! O Weisheit selbst den Engeln unfassbar ! Wo ist jemand, der, von allen als der Größte anerkannt sich selbst allein nicht kennt und sich als den Kleinsten betrachtet? Wer vermochte vor sich selbst zu verbergen, was alle anderen von ihm verkündeten? Wer hielt sich für verächtlich, da er allen wunderbar erschien? Wer verlor die Niedrigkeit nicht aus dem Auge, da er zur erhabensten Auszeichnung erhoben war? Wer, der auf den ersten Platz geladen wurde, hat je den letzten gewählt und zwar nicht aus Notwendigkeit oder mit Traurigkeit nicht aus Zwang und mit Widerwillen, sondern von ganzem Herzen, in aller Wahrheit und Treue? O Kinder Adams, wie schwerfällig und unwissend sind wir in dieser himmlischen Wissenschaft? Wie oft muss uns der Herr unsere eigenen Güter verbergen oder uns mit denselben ein Gegengewicht auflegen, damit wir nicht alle seine Wohltaten durchkreuzen und Ihm nicht wenigstens heimlich und in Gedanken die Ehre rauben, die Ihm als dem Urheber alles Guten gebührt ! Möchten wir doch einsehen, wie unecht unsere Demut ist und welchen Gefahren sie ausgesetzt ist, selbst in den wenigen Fällen, da wir sie besitzen. Sieht sich ja doch der Herr menschlich gesprochen - genötigt, um der Schwäche und Zartheit unserer Demut willen so große Vorsicht und Behutsamkeit anzuwenden, wenn Er uns eine Gabe oder Tugend anvertraut. Und selten vertraut Er uns seine Geschenke an, ohne dass unsere Unwissenheit etwas von denselben veruntreut, wenigstens durch eitle Selbstgefälligkeit und leichtfertige Freude.
1057. Mit höchstem Staunen sahen die Schutzengel Mariä, wie diese große Herrin bei allen Wundern welche unser Heiland Jesus Christus wirkte, sich so demütig verhielt. Sie waren nicht gewohnt, bei den Menschen und auch nicht in ihrer Mitte eine so tiefe Selbsterniedrigung bei so hoher Auszeichnung und bei so glorreichen Werken zu schauen. Ja, sie staunten nicht so sehr über die Wunder des göttlichen Heilandes, denn sie kannten ja seine Allmacht bereits aus Erfahrung. Sie staunten vielmehr über die unvergleichliche Treue, mit welcher die seligste Jungfrau bei allen diesen Werken die Ehre dem Sohn Gottes gab und sich selbst für durchaus unwürdig hielt, gleich als wäre es für sie eine große Gnade, dass ihr göttlicher Sohn dieselben nicht unterließ, weil sie auf Erden lebte. Und solche Demut übte sie, obwohl fast bei allen Wundern, welche der Heiland wirkte, gerade sie die Mittlerin war, welche durch ihre Bitten Ihn tatsächlich dazu vermochte, ganz abgesehen davon, dass die Welt die Lehre des Evangeliums gar nicht empfangen hätte und sie gar nicht gewürdigt worden wäre, wenn nicht Maria zwischen den Menschen und Christus ins Mittel getreten wäre.
1058. Die Wunderwerke unseres Herrn waren für die Welt etwas ganz Außergewöhnliches, und es war darum nicht anders möglich, als dass seiner heiligsten Mutter Maria um ihrer willen große Ehre und Hochachtung zuteil wurde. Denn sie war nicht bloß den Jüngern und Aposteln bekannt, sondern die neuen Gläubigen kamen beinahe alle zu ihr, anerkannten sie als die Mutter des wahren Messias und wünschten ihr zu den Wunderwerken ihres heiligsten Sohnes vielmal Glück. Solche Vorfälle boten ihr aufs neue Anlass, sich in der Demut zu üben. Denn sie erniedrigte sich dann in ihren Augen bis zum Staub, ja bis zum Nichts und weit über jede Vorstellung hinaus. Bei dieser Selbsterniedrigung aber war sie weit entfernt säumig oder undankbar zu sein, denn während sie sich wegen der Wunder Jesu demütigte, brachte sie dem ewigen Vater für jedes derselben würdigen Dank dar und leistete auf solche Weise Ersatz für die Undankbarkeit der Menschen. Vermöge des verborgenen Verkehrs, welchen ihre reinste Seele mit der heiligsten Seele des Erlösers hatte, veranlasste sie Ihn auch, dass Er die Ehre, welche die Hörer seines göttlichen Wortes ihr erwiesen, von ihr ablenkte. Es geschah dies bei mehreren Gelegenheiten, welche auch von den Evangelisten berichtet werden. So geschah es einmal bei der Heilung des besessenen Stummen (Lk 11,14 ff). Da die Juden diese Heilung dem Teufel zuschrieben, so erweckte der Herr jene gläubige Frau, welche mit lauter Stimme rief: «Selig ist der Leib, der dich getragen hat und selig sind die Brüste, die du gesogen hast (Lk 11, 27) !» Bei diesen Worten bat die demütige, umsichtige Mutter Christus unsern Herrn innerlich, Er möge dieses Lob von ihr ablenken. Der Herr gewährte ihr Verlangen, jedoch so, dass Er ihr ein anderes Lob erteilte, welches damals nicht verstanden wurde. Er sagte nämlich: «Ja, freilich sind selig, welche das Wort Gottes hören und es beobachten (Lk 11, 28).» Mit diesen Worten ließ Er die Ehre, welche der reinsten Jungfrau als seiner Mutter zuerkannt worden war, unbeachtet und verherrlichte dafür ihre Heiligkeit indem Er dabei zugleich seine Zuhörer lehrte, was an der Tugend für alle wesentlich ist. Gerade hierin aber war seine Mutter ganz einzig und wunderbar, obwohl die Zuhörer diesen Sinn damals nicht verstanden.
1059. Ein anderes Mal wurde, wie der hl. Lukas berichtet dem Heiland, während Er eben mit Predigen beschäftigt war, gemeldet seine Mutter und seine Brüder seien gekommen, könnten aber wegen der Volksmenge nicht zu Ihm gelangen. Um nun dem Lob derjenigen, denen sie als Mutter des Herrn bekannt war, auszuweichen, bat sie ihren Sohn, dieses Lob von ihr abzulenken. Der göttliche Heiland tat dies auch durch die Antwort: «Meine Mutter, meine Brüder und Schwestern sind die, welche den Willen meines Vaters tun, sein Wort hören und vollbringen (Lk 8, 21).» Auch durch diese Worte sprach der Herr seiner Mutter die ihrer Heiligkeit gebührende Ehre keineswegs ab, vielmehr war gerade sie vor allen anderen gemeint. Der göttliche Heiland erteilte ihr aber diesen Lobspruch in solcher Weise, dass sie von den Umstehenden nicht gepriesen und so ihr Verlangen, den Herrn allein wegen seiner Werke erkannt und geehrt zu sehen, erfüllt wurde. Ich bemerke, dass es sich hier um zwei verschiedene Begebenheiten handelt, denn so wurde es mir mitgeteilt, und sie fanden an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Gelegenheiten statt, wie der heilige Lukas im achten und elften Kapitel berichtet. Weil der hl. Matthäus, welcher jene wunderbare Heilung des besessenen Stummen im zwölften Kapitel berichtet, im unmittelbaren Anschluss daran erzählt, man habe dem Herrn gemeldet, seine Mutter sei mit seinen Brüdern draußen und wolle Ihn sprechen usw., darum waren einige Schriftausleger der Ansicht, all das Gesagte sei gleichzeitig bei einer und derselben Gelegenheit vorgefallen. Ich habe jedoch im Gehorsam nochmals hierüber gefragt und erhielt zur Antwort: was der hl. Lukas bei jenen verschiedenen Gelegenheiten erzählt, seien zwei verschiedene Begebenheiten, was man auch aus dem den obigen Worten vorausgehenden Inhalte der beiden Kapitel ersehen kann. Denn von jener Frau, welche rief: «Selig ist der Leib» usw., spricht der hl. Lukas nach der wunderbaren Heilung des Besessenen. Den anderen Vorfall dagegen berichtet er im achten Kapitel, nach dem Gleichnis vom Samenkorn, und beide Vorfälle folgten gleich nach dem, was der Evangelist unmittelbar vorher erzählt.
1060. Damit man noch deutlicher erkenne, dass die Evangelisten sich hier nicht widersprechen, und damit man zugleich den Grund erfahre, warum die Himmelskönigin in den genannten Fällen ihren heiligsten Sohn suchte, bemerke ich, dass die göttliche Mutter sich gewöhnlich aus zwei Gründen an die Orte begab, wo unser Herr predigte: einmal, um Ihn zu hören, wie bereits bemerkt wurde, sodann weil eine Notwendigkeit vorlag, den Menschen irgendeine Gnade zu erflehen, z.B. die Bekehrung von Sündern, Heilung von Kranken oder Hilfe für Notleidende. Denn in solchen Anliegen war die gütigste Königin teilnahmsvoll auf Hilfe bedacht, wie sie bei der Hochzeit zu Kana bewies. Aus diesen und anderen edlen Gründen suchte sie also unsern Herrn auf, entweder auf Anweisung der heiligen Engel oder auf Antrieb des inneren Lichtes. Und so war sie zu Ihm auch in den beiden Fällen gekommen, deren die Evangelisten erwähnen. Dies geschah aber nicht bloß einmal, sondern öfters, und der Zudrang des Volkes zur Predigt unseres Herrn war sehr groß. Daher kam es, dass man in jenen zwei Fällen, von welchen die Evangelisten sprechen, und auch in anderen, über welche sie schweigen, unsern Herrn benachrichtigte, seine Mutter und seine Brüder suchten Ihn, und Er gab darauf bei den genannten zwei Gelegenheiten die vom hl. Matthäus und vom hl. Lukas mitgeteilte Antwort. Es darf aber nicht auffallen, dass der göttliche Heiland an verschiedenen Orten dieselben Worte wiederholte. Er hat ja die Worte: «Jeder, der sich selbst erhöht wird erniedrigt und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden», gleichfalls zu wiederholten Malen ausgesprochen, einmal in der Parabel vom Zöllner und Pharisäer, ein anderes Mal im Gleichnis von den zur Hochzeit Geladenen, wie der hl. Lukas im 14. und 18. Kapitel und der hl. Matthäus noch bei einer anderen Gelegenheit berichtet (14,11; 18,14; Mt 23,12).
1061. U. L. Frau war jedoch nicht allein für sich selbst demütig, sie war auch die große Lehrmeisterin der Apostel und Jünger in dieser Tugend. Die Demut musste nämlich in ihnen stark und tief eingewurzelt sein sowohl wegen der Gaben, welche sie empfangen, als wegen der Wunder, welche sie damit wirken sollten, und zwar nicht erst nach Gründung der Kirche, sondern schon mit dem Beginn ihres Predigtamtes. Denn die heiligen Evangelisten (Mk 3,14; Lk 9, 2; 10, 3) erzählen, unser himmlischer Meister habe zuerst die Apostel, sodann die zweiundsiebzig Jünger vor sich her gesandt und ihnen die Macht gegeben, Wunder zu wirken, Kranke zu heilen und die bösen Geister auszutreiben. Darum belehrte und ermahnte sie die große Lehrmeisterin der Demütigen durch ihr Beispiel und durch Worte des Lebens, wie sie sich bei dem Wirken dieser Wunder verhalten sollten. U. L. Frau flößte den Aposteln durch ihre Belehrung und durch ihre Gebete einen neuen Geist tiefer Demut und hoher Weisheit ein, so dass sie deutlich erkannten, sie wirkten jene Wunder nur durch die Kraft des Herrn, und alle Ehre für sie gebühre allein seiner Macht und Güte, da sie selbst nur dessen Werkzeuge seien. Wie der Ruhm des Gemäldes nicht dem Pinsel, der Siegesruhm nicht dem Schwerte zukomme, sondern dem Maler, dem Soldaten oder dem Feldherrn, welcher jene Werkzeuge in Bewegung setzte und leitete, so müssten auch sie alle Ehre und alles Lob für jene Wunder ihrem Herrn und Meister zuweisen, als dem Urheber alles Guten. Es ist wohl zu beachten, dass die Evangelien durchaus nicht erwähnen, der göttliche Heiland habe den Aposteln solche Lehren gegeben, ehe sie ausgingen, um zu predigen, denn die himmlische Lehrmeisterin hat dies getan. Als sodann die Jünger zu ihrem Meister zurückkehrten und Ihm mit großer Freude sagten, auch die Teufel seien ihnen in seinem Namen untertan gewesen, da antwortete der Herr, Er sei es, der ihnen diese Macht gegeben habe, sie sollten sich aber nicht über diese Wunderwerke freuen, sondern darüber, dass ihre Namen im Himmel geschrieben stehen (Lk 10,17-20 ). So zart und schwach ist unsere Demut, dass sie sogar bei den Jüngern des Herrn so vieler Lehren und Vorsichtsmassregeln bedurfte.
1062. Diese Wissenschaft der Demut, welche die Apostel in der Schule unseres Meisters und seiner heiligsten Mutter, erlernten, war ihnen noch notwendiger in der späteren Zeit, als sie die heilige Kirche gründeten, weil sie damals zur Bestätigung des Glaubens und ihrer Predigt in der Kraft des Herrn so viele Wunder wirkten. Die Heiden waren nämlich gewohnt, alles Große und Außerordentliche blindlings als eine Gottheit zu betrachten - als sie deshalb die Wunder der Apostel sahen, wollten sie diese als Götter anbeten. So geschah es dem hl. Paulus und dem hl. Barnabas zu Lykaonien, nachdem sie einen Lahmgeborenen geheilt hatten. Den hl. Paulus nannten die Heiden Mercurius, den hl. Barnabas Jupiter (Apg 14, 9 ff). Ebenso wurde später der hl. Paulus auf der Insel Malta «Gott» genannt, weil er an dem Biss einer Natter, die sonst allen anderen den Tod brachte, nicht starb (Apg 28, 6). Alle diese Geheimnisse und Gründe sah Maria in ihrem umfassenden Wissen vorher und war darum als Gehilfin ihres göttlichen Sohnes in allem, was Werk der Erlösung und die Gründung des Gnadengesetzes betraf, im Verein mit Ihm tätig.
Während der drei Jahre seines Lehramtes begab sich unser Heiland Jesus Christus dreimal zur Osterfeier nach Jerusalem, und jedes Mal begleitete Ihn seine heiligste Mutter. Sie war zugegen, als Er bei dem ersten Besuch die Leute, welche Schafe, Tauben und Ochsen im Tempel verkauften, mit der Geißel aus dem Haus Gottes trieb (Joh 2,15). Bei diesen und den übrigen Werken opferte sich unser Heiland in Jerusalem dem himmlischen Vater auf, namentlich an den Orten, wo Er später leiden sollte. Die Himmelskönigin aber begleitete Ihn mit wunderbaren Gesinnungen erhabenster Liebe und mit allen heroischen Tugendakten, die ihr möglich waren, und zwar verrichtete sie jeden derselben mit der höchsten Vollkommenheit. Ganz besonders aber übte sie die glühendste Liebe, die aus Gott in ihr Herz überströmte. Denn da sie in Gott und Gott in ihr war (1 Joh 4,16), glühte die Liebe des Herrn selbst in ihrem Herzen und spornte sie an, das Heil der Mitmenschen mit Aufgebot all ihrer Kräfte zu befördern.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
1063. Meine Tochter, die alte Schlange hat alle ihre Bosheit und Arglist aufgeboten, um die Wissenschaft der Demut, welche der gütige Schöpfer in dem Herzen der Menschen als heilige Saat niedergelegt hatte, zu vernichten und an deren Statt das gottlose Unkraut des Stolzes darin auszustreuen. Soll nun letzteres ausgerottet und die Seele wieder in den Besitz des verlorenen Schatzes der Demut gesetzt werden, so muss sie sich dazu verstehen, gerne von anderen Geschöpfen gedemütigt zu werden, und überdies muss sie mit beständigem Verlangen und mit aufrichtigem Herzen den Herrn um diese Tugend und um die Mittel zu deren Erwerbung bitten. Allein sehr selten sind die Seelen, welche sich dieser Weisheit befleißen und zur vollkommenen Demut gelangen. Denn dies erheischt vom Menschen eine vollständige und allseitige Selbstüberwindung: diese aber gelingt nur sehr wenigen, selbst unter denen, die der Tugend ergeben sind. Das Gift des Stolzes hat die Geisteskräfte des Menschen derart durchdrungen, dass es sich fast in alle Handlungen einmischt und kaum eine einzige ist frei von diesem Gifthauch des Stolzes, gleichwie auch keine Rose ohne Dornen und kein Getreidekorn ohne Spitze ist. Gerade deswegen schätzt aber Gott die wahrhaft Demütigen so hoch. Er erhöht diejenigen, welche den vollständigen Sieg über den Stolz erringen, Er setzt sie neben die Fürsten seines Volkes (Ps 113, 8), behandelt sie als seine Lieblingskinder und befreit sie von der Macht des bösen Feindes. Der Satan aber ist den Demütigen gegenüber mutlos. Er fürchtet sie, und ihre Siege sind ihm peinlicher als die Flammen des höllischen Feuers.
1064. Meine Tochter, es ist mein Wunsch, dass du zum vollen Besitz dieses unschätzbaren Schatzes der Demut gelangst. Übergib dem Allerhöchsten dein ganzes Herz, und zwar gelehrig und ergeben, damit Er das Abbild meiner demütigen Handlungen leicht und widerstandslos, gleichwie in weiches Wachs, darin eindrücke. Nachdem ich dir so tiefe Geheimnisse über diesen heiligen Gegenstand mitgeteilt habe, bist du streng verpflichtet, meinem Wunsche hierin zu entsprechen und weder einen Augenblick noch eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, ohne dich nach Kräften zu demütigen und in der Tugend der Demut voranzuschreiten. Du weisst ja, dass ich es getan habe, obwohl ich die Mutter Gottes und in allem voll Reinheit und Gnade war. Ja, je mehr Gnaden ich empfing, um so mehr habe ich mich gedemütigt, denn je zahlreicher diese Gnaden waren, um so mehr überstiegen sie, wie ich dafür hielt, meine Verdienste, um so mehr wuchsen meine Verpflichtungen. Ihr Adamskinder aber, ihr seid alle in Sünde empfangen, und keines ist, das nicht überdies noch freiwillig sündigte. Wenn aber niemand diese Wahrheit, dass seine Natur verdorben ist, in Abrede stellen kann, woher soll dann ein Mensch das Recht haben, sich nicht vor Gott und den Menschen demütigen zu müssen? Und mag er sich auch bis zur Erde, bis zum letzten Platz und selbst unter den Staub erniedrigen, so ist das für jemand, der gesündigt hat, noch keine große Demut, denn er hat immer noch mehr Ehre, als ihm gebührt. Der wahrhaft Demütige muss sich zu einem Platz herablassen, welcher niedriger ist als jener, der ihm gebührt. Und wenn alle Kreaturen ihn verachten, verabscheuen und misshandeln und wenn er selbst überzeugt ist, dass er die Hölle verdient hat, so ist das alles nicht so sehr Demut als vielmehr Gerechtigkeit, denn er schreibt sich eben zu, was er verdient hat. Die tiefe Demut aber geht weiter. Sie wünscht eine tiefere Demütigung, als ihm, dem Demütigen, aus Gerechtigkeit gebührt. Darum ist es aber auch ganz gewiss, dass kein Sterblicher den Grad von Demut erreichen kann, den ich gemäß dem, was du geschaut und niedergeschrieben hast, erreicht habe. Indes gibt sich der Allerhöchste zufrieden, wenn sich die Sterblichen wenigstens so weit demütigen, als sie können und von Rechts wegen schuldig sind.
1065. Nun mögen die hoffärtigen Sünder kommen und ihre Abscheulichkeiten betrachten. Sie mögen es einsehen, dass sie Ungeheuer der Hölle sind, wenn sie den Luzifer in seinem Stolz nachahmen. Luzifer war doch schön und mit großartigen Gaben der Natur und Gnade ausgestattet, als er in die Hoffart verfiel. Und wenn er sich auch der empfangenen Gaben wegen aufblähte, so hat er sie doch wenigstens tatsächlich besessen, und sie waren ihm eigen. Der Mensch dagegen ist Staub und Erde. Er hat überdies gesündigt und ist voll von Abscheulichkeit und Gräuel. Will er sich also in Hoffart aufblähen, so ist er ein Ungeheuer und übertrifft in dieser Verkehrtheit selbst den Satan, weil er weder die edle Natur noch die Gnade und Schönheit besitzt, welche Luzifer besaß. Ja, Luzifer mit seinem Anhang verachtet und verspottet jene Menschen, welche trotz ihrer Niedrigkeit noch hoffärtig sind, denn die bösen Geister sehen ein, welch verächtliche Torheit, welche eitle Unsinnigkeit dies ist.
Beachte wohl, meine Tochter, diese Lehre ! Demütige dich unter die Erde, und wenn der Herr entweder selbst oder durch die Geschöpfe dich demütigt, so zeige dich ebenso unempfindlich wie der Erdboden. Glaube nie, es tue dir jemand unrecht. Zeige dich niemals beleidigt und wenn du Eitelkeit und Täuschung in Wahrheit verabscheust, so bedenke, dass das Verlangen nach Ehre und hohen Stellen die größte Täuschung ist. Und wenn Gott entweder dich oder deine Nebenmenschen durch Leiden und Trübsale demütigt, so schreibe dies nicht auf Rechnung der Mitmenschen, das hieße sich über die Werkzeuge beklagen. Es ist dies die Art der göttlichen Barmherzigkeit, die Menschen mit Trübsalen heimzusuchen, damit sie sich vor Ihm demütigen. Dies gilt auch von den Drangsalen, welche die göttliche Majestät heutzutage über diese Reiche kommen lässt. Möchten sie es doch einmal einsehen !
Um den Zorn Gottes zu besänftigen, demütige dich vor Ihm in deinem und deiner Mitmenschen Namen, und zwar so, wie wenn du allein schuldbeladen wärest und noch nie eine Genugtuung geleistet hättest. Denn in der Tat kann im sterblichen Leben niemand wissen, ob er schon Genugtuung geleistet habe. Bemühe dich, den Herrn zu versöhnen, wie wenn du allein Ihn beleidigt hättest. Und was die Gnaden und außerordentlichen Gaben betrifft, welche du entweder schon empfangen hast oder noch empfangen wirst, so zeige dich dafür dankbar wie jemand, der sie am wenigsten verdient und gar große Verpflichtungen hat. Dies muss dir ein Ansporn sein, dich mehr als alle anderen zu demütigen und unaufhörlich dich zu bemühen, der göttlichen Güte, welche sich so freigebig gegen dich gezeigt hat, wenigstens teilweise Genugtuung zu leisten.
VIERTES HAUPTSTÜCK: Enthauptung des hl. Johannes
Der Satan gerät durch die Wunder und die Werke Christi sowie durch jene des hl. Johannes des Täufers in Verwirrung und Irrtum. Herodes lässt den hl. Johannes ins Gefängnis werfen und enthaupten. Ereignisse bei dessen Tod.
1066. Der Erlöser der Welt zog, indem Er fortfuhr zu predigen und Wunder zu wirken, von Jerusalem durch die Landschaft Judäa. Hier verweilte Er einige Zeit und taufte, wie der hl. Johannes im dritten Kapitel berichtet, wobei Er sich seiner Jünger bediente, wie derselbe Evangelist im vierten Kapitel beifügt (Joh 3, 22; 4, 2). Zu gleicher Zeit taufte auch sein Vorläufer Johannes zu Ännon am Ufer des Jordan, nahe bei der Stadt Salim. Aber es war nicht dieselbe Taufe. Denn der Vorläufer taufte nur mit Wasser und spendete nur die Bußtaufe. Der göttliche Heiland dagegen spendete seine eigene Taufe, welche die Rechtfertigung und Verzeihung der Sünden bewirkte, was jetzt noch die Taufe bewirkt durch Eingießung der Gnade und der Tugenden. Zu dieser verborgenen Kraft und Wirkung der Taufe Christi kamen noch die Kraft seiner Worte sowie die großen Wunder, durch welche Er seine Predigt bekräftigte. Darum erhielt unser Herr eine größere Anzahl von Jüngern und Zuhörern als der Täufer, und es bewahrheitete sich also das Wort dieses Heiligen: «Christus muss wachsen, ich aber muss abnehmen (2 Joh 3, 30).» Gewöhnlich wohnte auch die heiligste Jungfrau der Taufe bei. Sie sah dann die göttlichen Wirkungen, welche diese Wiedergeburt in den Seelen hervorbrachte und als wären diese ihr selbst mittels des Sakramentes zuteil geworden, dankte sie dem Urheber desselben mit Lobgesängen und großen Tugendakten, so dass sie bei all diesen Wundern unvergleichliche Verdienste erwarb.
1067. Als nun Gott dem Luzifer und dessen Dienern gestattete, sich von ihrer durch den Triumph Christi in der Wüste erlittenen Niederlage zu erheben, kehrte dieser Drache zurück, um die Werke des menschgewordenen Wortes nochmals auszuspähen. Das Hauptgeheimnis (D. h. die Gottheit Jesu Christi. Der Herausgeber) blieb dem bösen Feinde zwar immer noch verborgen, doch ließ ihn die göttliche Vorsehung so viel entdecken, als zur völligen Besiegung seiner Bosheit dienlich war. Er bemerkte die reiche Frucht der Predigt, der Wunder und der Taufe unseres Herrn und sah, wie infolge derselben unzählige Seelen seiner Herrschaft entrissen wurden, der Sünde entsagten und ihr Leben besserten. Bei der Predigt und Taufe des hl. Johannes machte er verhältnismäßig die nämliche Beobachtung, doch blieb ihm der Unterschied zwischen diesen beiden Lehrern und ihren Taufen verborgen. Von dem Erfolg beider aber fürchtete er den Untergang seiner Herrschaft, falls diese neuen Prediger, Christus unser Herr und der hl. Johannes, ihr Werk fortsetzen würden. Deshalb war Luzifer bestürzt und verwirrt, denn er wusste wohl, dass er zu schwach sei, um der Macht des Himmels, die ihm durch diese beiden Prediger entgegentrat, zu widerstehen. In seinem Stolz verwirrt und beängstigt, hielt er mit den übrigen Fürsten der Finsternis eine neue Beratung und sprach zu ihnen: «Großen, ungewohnten Dingen begegnen wir in gegenwärtigen Zeiten auf Erden, und zwar jeden Tag in höherem Grad, so dass dabei auch meine Furcht sich steigert der Sohn Gottes sei seinem Versprechen gemäß bereits in die Welt gekommen. Doch kann ich denselben nicht entdecken, obwohl ich den ganzen Erdkreis durchstreift habe. Allein diese zwei außerordentlichen Prediger, die mir jeden Tag so viele Seelen rauben, erregen in mir Unruhe und Verdacht. Den einen habe ich in der Wüste niemals überwinden können, der andere hat uns dort völlig niedergeschmettert. Setzen beide ihr begonnenes Werk fort, so werden alle unsere Triumphe in eine schmähliche Niederlage auslaufen. Beide zusammen können der Messias nicht sein: ich weiß aber auch nicht ob es einer von ihnen ist. Sie entreißen jedoch sehr viele Seelen der Sünde: Dies ist aber ein höchst schwieriges Geschäft, das bis jetzt niemandem in der Weise gelungen ist wie ihnen. Dies bekundet eine außerordentliche Kraft, und es ist wichtig für uns, dieselbe zu erforschen und zu wissen, woher sie stammt und wie wir mit diesen zwei Menschen fertig werden können. Folgt mir darum und helfet mir dabei mit all eurer Kraft, List und Verschlagenheit, denn sonst werden alle unsere Pläne vereitelt.»
1068. Auf diese Rede hin beschlossen die Diener der Bosheit, Christus unsern Herrn und seinen großen Vorläufer aufs neue zu verfolgen. Allein da ihnen die in der unerschaffenen Weisheit verborgenen Geheimnisse unbekannt waren, machten sie zwar viele Vorschläge und versprachen sich davon große Folgen, doch alles war albern und haltlos, denn sie wurden irregeführt und kamen nicht ins klare, da sie einerseits so viele Wunder sahen, andererseits die äußeren Anzeichen ganz verschieden waren von der Vorstellung, welche sie sich über die Ankunft des Gottmenschen gebildet hatten. Damit nun Luzifers Bosheit besser zurechtkomme und all seine Verbündeten besser unterrichtet würden über seine Pläne, nämlich die niederschmetternde Kraft zu entdecken, welche er fühlte, ohne zu wissen, woher sie komme, veranstaltete der Fürst der Hölle verschiedene Versammlungen der bösen Geister, damit sie einander mitteilten, was sie gesehen und entdeckt hätten. Er versprach ihnen auch große Belohnungen, nämlich hohe Machtposten im Reich der Bosheit. Der Lehrmeister des Lebens aber ließ zu, dass die bösen Geister von der Heiligkeit des Täufers eine größere Erkenntnis erhielten, damit die Bosheit dieser höllischen Diener in ihrer Wut und Verwirrung noch mehr verwickelt würde. Der hl. Johannes wirkte zwar nicht die Wunder, welche unser Herr wirkte, allein die Anzeichen seiner Heiligkeit waren doch sehr groß und seine äußeren Tugenden waren höchst wunderbar. Auch bewirkte unser Herr, dass einige jener Wunder, welche Er selbst wirkte und welche besonders auffallend waren, dem Drachen verborgen blieben. So kam es, dass der Satan nach dem, was er bemerken konnte, eine große Ähnlichkeit zwischen Christus und Johannes herausfand und deshalb unentschieden blieb, welchem von beiden er die Würde des Messias zuschreiben solle. «Beide», sagte er, «sind große Heilige und Propheten. Das Leben des einen ist außerordentlich, obwohl es der Wunder entbehrt. Der andere wirkt viele Wunder. Ihre Lehre ist so ziemlich die nämliche. Doch beide können der Messias nicht sein. Mögen sie aber sein, was sie wollen, jedenfalls sind sie heilig und meine Feinde, und darum muss ich sie verfolgen, bis ich mit ihnen fertig geworden bin.»
1069. Diese Befürchtungen Satans hatten schon damals ihren Anfang genommen, als er den hl. Johannes in der Wüste ein so wunderbares Leben führen sah. Er dachte sich, eine solche Tugend müsse übermenschlich sein. Andererseits bemerkte er auch in dem Leben Christi Handlungen und Tugenden, welche ebenso wunderbar waren, und dies veranlasste ihn, die Tugenden beider miteinander zu vergleichen. Da jedoch der göttliche Heiland mehr auf gewöhnliche Weise unter den Menschen lebte, forschte Luzifer immer soviel wie möglich aus, wer der hl. Johannes wäre. Zu diesem Zweck trieb er auch die Juden und Pharisäer von Jerusalem an, Priester und Leviten an Johannes zu senden und ihn fragen zu lassen, wer er sei, ob er etwa Christus sei, wie sie durch die Eingebung des bösen Feindes meinten (Joh 1,19). Diese Einflüsterung muss sehr stark gewesen sein, denn die Juden hätten wohl wissen können, dass Johannes der Messias nicht sein könne. Der Täufer war ja bekanntermaßen vom Stamme Levi, der Messias dagegen musste gemäß der Heiligen Schrift vom Stamme Juda sein (Ps 132,11), und als Schriftgelehrten war ihnen dies wohl bekannt. Allein der Satan hatte sie verwirrt und so brachte er sie dazu, dass sie, zur Bosheit Luzifers ihre eigene Bosheit hinzufügend, die genannte Frage stellten. Seine Absicht dabei war, dass Johannes, falls er der Messias sei, dies erkläre, falls er es aber nicht wäre, sollte er auf die Achtung des Volkes, welches ihn dafür hielt, stolz werden, eitles Wohlgefallen daran finden und diese ihm dargebotene Ehre ganz oder teilweise sich anmaßen. Mit dieser boshaften Absicht war Luzifer auf die Antwort des hl. Johannes im höchsten Grad gespannt.
1070. Allein der heilige Vorläufer antwortete mit wunderbarer Weisheit. Er bekannte die Wahrheit, doch so, dass der böse Feind dadurch überwunden und noch verwirrter wurde als zuvor. Er antwortete: «Ich bin nicht Christus.» Die Juden entgegneten darauf, ob er Elias sei, sie waren nämlich so verblendet dass sie zwischen der ersten und zweiten Ankunft des Messias nicht zu unterscheiden wussten. Da aber von Elias geschrieben steht, er werde dem Messias vorhergehen, so fragten sie den Täufer, ob er Elias sei. Johannes antwortete: «Nein, ich bin die Stimme, welche ruft in der Wüste, wie Jesaja gesagt, dass man die Wege des Herrn bereite (Joh 1, 20-23; Jes 40, 3)». Alle diese wiederholten Fragen, welche die Abgesandten stellten, waren ihnen vom bösen Feind eingegeben, denn dieser meinte, wenn Johannes der Gerechte sei, so werde er die Wahrheit sagen: wenn er es aber nicht sei, so werde er deutlich erklären, wer er sei. Als aber Luzifer ihn sagen hörte: «Ich bin die Stimme», kam er wiederum in Verwirrung, denn er dachte sich, Johannes habe damit vielleicht ausdrücken wollen, er sei das ewige Wort. Sein Zweifel wurde noch stärker, da er erwog, Johannes habe absichtlich den Juden nicht deutlich erklären wollen, wer er sei. Dies brachte den Luzifer auf die Vermutung, Johannes habe gerade durch den Ausdruck «Stimme» verborgen, wer er sei. Denn hätte er gesagt: «Ich bin das Wort Gottes», so wäre offenbar gewesen, dass er Gottes Sohn sei, und gerade um dies zu verbergen, habe er sich nicht «Wort», sondern «Stimme» genannt. In solchem Irrtum befand sich Luzifer bezüglich des Geheimnisses der Menschwerdung, während er dachte, die Juden seien getäuscht, war er bei all seiner verkehrten Theologie in noch höherem Grad getäuscht als sie.
1071. Infolge dieser Täuschung nun wurde der Satan gegen den Täufer noch wütender als zuvor. Da er sich aber erinnerte, welch schlechten Ausgang sein Kampf gegen unsern Herrn genommen habe und dass er auch den hl. Johannes in keinen irgendwie bedeutenden Fehler habe stürzen können, so beschloss er, den letzteren auf einem anderen Weg anzufallen. Und in der Tat eröffnete sich ihm ein solcher Weg auf ganz gelegene Weise. Der Täufer hatte nämlich, wie die Evangelisten erzählen (Mk 6,17 ff), den Herodes wegen des schändlichen Ehebruches, in welchem er mit Herodias, der Frau seines eigenen Bruders, lebte, zurechtgewiesen. Herodes wusste, dass Johannes ein gerechter und heiliger Mann sei. Deshalb achtete und fürchtete er ihn und hörte ihn gerne. Allein was der gesunde Verstand dem bösen König eingab, wurde wieder vernichtet durch den maßlosen, fluchwürdigen Zorn der schändlichen Herodias und deren Tochter, die in Sitten ihrer Mutter ähnlich war. Diese Ehebrecherin war von ihrer Leidenschaft und Sinnlichkeit ganz beherrscht und somit völlig geeignet, dem Satan als Werkzeug für jedwede Missetat zu dienen. Sie hetzte den König auf, den Täufer zu enthaupten, war aber selbst zuvor durch den bösen Feind angestachelt, dies durch verschiedene Mittel zu betreiben. Nachdem nun Johannes. «die Stimme Gottes». «der Größte unter den von einer Frau Geborenen», in das Gefängnis geworfen war, kam der gelegene Tag. Herodes feierte den Jahrestag seiner unglückseligen Geburt durch ein Gastmahl mit Tanz für die Beamten und Vornehmsten von Galiläa, wo er König war. Bei diesem Fest führte die sittenlose Herodias ihre Tochter ein, damit sie vor den Gästen tanze. Letztere tat dies zur Zufriedenheit des verblendeten, ehebrecherischen Königs, weshalb dieser zu der Tänzerin sagte, sie solle von ihm begehren, was sie wolle, er werde ihr alles geben, sollte sie auch die Hälfte seines Reiches verlangen. Diese aber, von ihrer Mutter und beide zusammen von der arglistigen Schlange geleitet, verlangte mehr als ein Reich, ja als viele Reiche. Sie verlangte, dass ihr unverzüglich das Haupt des Täufers auf einer Schüssel gegeben werde. Der König befahl dies, weil er es ihr geschworen und sich einer elendem, sittenlosen Weib unterworfen hatte, so dass diese seine Handlungen leitete. Die Männer betrachten es als eine schmähliche Beleidigung, wenn man sie «Weiber» nennt, denn dieser Name spricht ihnen den Vorrang und die Überlegenheit ab, welche ihnen als Männern zukommen. Aber eine noch größere Schande ist es dann, weniger zu sein als ein Weib, indem man sich von den Launen der Weiber beherrschen lässt, denn wer gehorcht, ist ja geringer und niedriger und wer befiehlt, ist der Höhere. Nichtsdestoweniger lassen sich viele zu dieser Erniedrigung herbei und betrachten dies nicht als Schande, da die Schande doch um so größer ist, je elender und abscheulicher ein schamloses Weib ist. Hat ein Weib die Tugend der Schamhaftigkeit verloren, so bleibt ihm nichts, das nicht verächtlich und abscheulich wäre vor Gott und den Menschen.
1072. Während der Täufer auf Betreiben der Herodias eingekerkert war, erhielt er von dem göttlichen Heiland und dessen heiligster Mutter zahlreiche Gnaden mittels der heiligen Engel. Diese besuchten ihn oftmals im Auftrag der Himmelskönigin und brachten ihm einige Male Speisen, welche sie selbst bereitet hatten. Der Urheber der Gnade aber schenkte ihm viele innerliche Gnaden. Der Satan wollte indes, dass es mit dem hl. Johannes ein Ende nehme. Darum ließ er der Herodias keine Ruhe, bis er denselben tot sah und benützte die Gelegenheit des Tanzes. Er trieb den König Herodes zu jenem törichten Versprechen an, welches er der Tochter der Herodias eidlich gab. Darauf verblendete er ihn noch mehr, damit er es gottloserweise als eine Schande betrachte, sein mit einem frevelhaften Eidschwur bekräftigtes Versprechen nicht zu halten. So befahl denn Herodes, den hl. Johannes zu enthaupten, wie aus dem Evangelium bekannt ist. Zu gleicher Zeit erkannte die Königin der Welt in der gewöhnlichen Weise im Innern ihres heiligen Sohnes, dass für den Täufer die Stunde gekommen sei, für die Wahrheit, die er gepredigt hatte, zu sterben. Da warf sich die reinste Mutter unserem Herrn zu Füßen und bat ihn unter Tränen, er möge in dieser Stunde seinem Diener und Vorläufer Beistand, Schutz und Trost verleihen, damit der Tod, den er zur Ehre des Herrn und zur Verteidigung der Wahrheit erleide, in den Augen Seiner Majestät noch kostbarer werde.
1073. Der Herr nahm die Bitte seiner heiligsten Mutter wohlgefällig auf, sagte deren vollständige Erfüllung zu und befahl ihr, Ihm zu folgen. Dann wurden beide durch göttliche Macht und auf unsichtbare Weise in den Kerker versetzt, in welchem sich der Täufer, mit Ketten gebunden und mit Wunden bedeckt, befand. Die gottlose Ehebrecherin hatte nämlich, um ihm ein Ende zu machen, einigen Dienern befohlen, ihn zu geißeln und zu misshandeln. Diese (es waren ihrer sechs bei verschiedenen Gelegenheiten) taten es auch ihrer Herrin zu Gefallen. Auf solche Weise wollte diese Tigerin dem Täufer das Leben noch vor jenem Fest des Herodes nehmen. Der böse Feind aber stachelte diese grausamen Diener an, den hl. Johannes voll Wut zu misshandeln und ihn zugleich mit Schmähungen und Lästerungen über seine Person und Lehre zu überhäufen. Als Diener eines so unglückseligen, ehebrecherischen und ärgerlichen Frau waren nämlich diese Menschen ganz und gar verkehrt. Durch die leibliche Gegenwart Christi und seiner heiligsten Mutter wurde das Gefängnis des hl. Johannes mit Lichtglanz erfüllt und ganz geheiligt, denn eine zahlreiche Engelschar begleitete den König und die Königin des Himmels, während in den Palästen des ehebrecherischen Herodes die unreinen Geister weilten und Diener, welche schuldbeladener waren als alle, die infolge gerichtlicher Verurteilung im Kerker schmachteten.
1074. Der heilige Vorläufer erblickte den Erlöser der Welt und seine heiligste Mutter in großem Lichtglanz. Auch sah er die zahlreichen Engelchöre. Da lösten sich alsbald seine Ketten und seine Wunden wurden heil. In höchstem Jubel warf er sich mit tiefer Demut und wunderbarer Andacht auf die Erde nieder. Auf seine Bitten segneten ihn der Sohn Gottes und dessen jungfräuliche Mutter. Dann brachten sie einige Zeit in himmlischer Unterredung mit ihrem Diener und Freunde zu. Ich gebe diese nicht vollständig wieder, sondern führe nur an, was mein kaltes Herz am meisten ergriffen hat. Der Herr sprach mit freundlicher Miene zu dem Täufer: «Mein Diener Johannes, wie kommst du deinem Meister zuvor, da du zuerst gefangen genommen, gegeißelt und misshandelt wirst und dein Leben gibst für die Ehre meines Vaters, noch ehe Ich leide? Dein Verlangen eilt rasch zum Ziel, da dir so schnell das Glück zuteil wird, zu leiden, und zwar solche Trübsale, wie Ich sie für meine Menschheit bestimmt habe. Doch mein ewiger Vater belohnt dadurch den Eifer, mit welchem du dein Amt als mein Vorläufer ausgeübt hast. Dein inbrünstiges Sehnen werde erfüllt! Biete dein Haupt dem Schwerte hin, denn Ich will es. Empfange auch meinen Segen und meinen Glückwunsch, dass du für meinen Namen leiden und sterben darfst. Ich opfere deinen Tod meinem Vater auf, zugleich mit dem meinigen, den ich erwarte.»
1075. Durch die Kraft und Lieblichkeit dieser Worte war das Herz des Täufers ganz ergriffen und von der Süßigkeit der göttlichen Liebe so sehr eingenommen, dass er eine Zeitlang keine Worte hervorbringen konnte. Doch die göttliche Gnade stärkte ihn und so konnte er mit reichen Tränen seinem Herrn danken für diese unaussprechliche Wohltat, welche unvergleichlich größer war als alle übrigen, die er von dessen freigebiger Hand bisher empfangen hatte. Tief aufseufzend sprach er: «Mein Herr, ewiges Gut, ich konnte keine Leiden verdienen, welche einer solchen Gnade und solchen Trostes würdig wären, dich und deine würdige Mutter, meine Herrin, hier gegenwärtig zu sehen. Ich bin dieser außerordentlichen Gnade unwürdig. Doch erlaube mir, o Herr, zur größeren Verherrlichung deiner grenzenlosen Barmherzigkeit, dass ich vor dir sterbe, damit dein heiliger Name besser gekannt werde. Gewähre auch mein Verlangen, den schmerzlichsten Tod nach langwieriger Pein zu erleiden. Herodes, die Sünden, die Hölle selbst mögen triumphieren über mein Leben, denn mit Freuden gebe ich es hin für dich, mein geliebter Herr ! Nimm dasselbe als ein wohlgefälliges Opfer an. O mein Gott ! Und du, o Mutter meines Erlösers und meine Herrin, wende deine mildesten Augen auf deinen Diener und erhalte mich stets in deiner Gnade als Mutter und Ursache all unseres Heiles. Mein Leben lang habe ich die Eitelkeit verachtet, ich habe das Kreuz geliebt, welches mein Erlöser heiligen soll, ich habe verlangt, mit Tränen zu säen (Ps 126, 5). Doch niemals konnte ich diese Freude verdienen, welche mir meine Qualen versüßt, meine Bande lieblich und selbst den Tod wünschenswerter gemacht hat als das Leben.»
1076. Während der Täufer diese und ähnliche Worte sprach, traten drei Diener des Herodes mit einem Scharfrichter in das Gefängnis. Der unversöhnliche Zorn der grausamen Ehebrecherin drang nämlich auf unverzügliche Vollstreckung des gottlosen Befehles des Herodes. So wurde denn dieser Befehl vollzogen. Der heiligste Vorläufer bot sein Haupt dar und der Scharfrichter schlug es ab. Während des tödlichen Streiches hielt Christus, als Hoherpriester bei diesem Opfer gegenwärtig, den Leib des hl. Johannes in seinen Armen. Die seligste Jungfrau hielt dessen Haupt in ihren Händen und beide brachten dem ewigen Vater dieses neue Opfer auf dem geweihten Altar ihrer heiligsten Hände dar. Dies war aber möglich, weil Jesus und Maria für die Umstehenden unsichtbar waren und weil zudem unter den Dienern des Herodes Streit entstand, wer von ihnen der schamlosen Tänzerin und ihrer gottlosesten Mutter die Freude machen dürfe, ihnen das Haupt des hl. Johannes zu überbringen. Sie vergaßen sich bei diesem Streit so weit, dass einer von ihnen das Haupt, ohne zu wissen woher, aus den Händen der Himmelskönigin nahm, worauf ihm die anderen folgten, um dasselbe auf einer Schüssel der Tochter der Herodias zu überreichen. Die heiligste Seele des Täufers ließ unser Herr durch eine große Engelschar in die Vorhölle geleiten und ihre Ankunft bereitete dort den heiligen Vätern überaus große Freude. Jesus und Maria aber kehrten an ihren früheren Aufenthaltsort zurück.
Über die Heiligkeit und die Auszeichnungen dieses großen Vorläufers ist in der heiligen Kirche vieles geschrieben worden. Doch bleibt immer noch mehr zu sagen übrig und einiges davon ist mir mitgeteilt worden. Allein ich kann es nicht niederschreiben, da ich sonst von meinem Plan abschweifen und diese Geschichte zu weit ausdehnen würde. Nur dies sei gesagt: der glückselige Vorläufer erhielt von Christus, unserm Herrn und dessen heiligsten Mutter sehr große Gnaden und zwar im ganzen Verlauf seines Lebens, bei seiner Geburt, in der Wüste, während seines Predigtamtes und bei seinem heiligen Tod. An keinem Menschen hat Gottes Rechte solches gewirkt.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1077. Meine Tochter, du hast die Geheimnisse dieses Hauptstückes sehr kurz gefasst. Sie enthalten aber, wie du bereits gesehen hast, eine für dich und für alle Kinder des Lichtes höchst wichtige Lehre, welche du deinem Herzen tief einprägen sollst. Erwäge ernstlich den Unterschied zwischen der Reinheit und Heiligkeit des armen, verfolgten, misshandelten, eingekerkerten Täufers und zwischen dem abscheulichen Wandel des mächtigen, reichen, üppigen, aufs beste bedienten und den schändlichsten Vergnügungen ergebenen Königs Herodes. Beide waren von derselben menschlichen Natur, aber sehr verschiedenen Charakters und zwar deswegen, weil der eine von seinem freien Willen und von den sichtbaren Dingen einen guten, der andere einen schlechten Gebrauch gemacht hat. Johannes, mein Diener, gelangte durch Buße, Armut, Demut, Verachtung, Trübsal und Eifer für die Ehre meines Sohnes zu dem unschätzbaren Glück, in Jesu und meinen Händen zu sterben. Herodes aber ist durch Glück, Hoffart, Eitelkeit, durch Gewalttätigkeiten und Unlauterkeit dahin gekommen, dass er durch einen Diener des Herrn mit einem unglückseligen Tod geschlagen wurde, um mit ewigen Qualen gezüchtigt zu werden. Bedenke, dass ganz dasselbe noch jetzt und immerfort in der Welt geschieht, obwohl die Menschen weder daran denken noch sich davor fürchten. So fliehen die einen die Eitelkeit, Macht und Herrlichkeit der Welt, die anderen aber lieben sie und denken nicht an das Ende. Sie bedenken nicht, dass es schneller hinschwindet als der Schatten und vergänglicher ist als Gras.
1078. Eben so wenig denken die Menschen an ihr letztes Ziel und Ende oder an den tiefen Abgrund, in welchen sie schon im gegenwärtigen Leben durch ihre Laster gestürzt werden. Der Satan kann sie freilich ihrer Freiheit nicht berauben und er hat keine unmittelbare Gewalt über ihren Willen. Allein sie übergeben ihm denselben durch ihre vielen und schweren Sünden und so erlangt er solche Herrschaft über ihn, dass er sich dessen als eines Werkzeuges zu allen Missetaten bedient, die er ihnen vorschlägt. Und trotz so zahlreicher und beklagenswerter Beispiele wollen die Menschen diese schreckliche Gefahr nicht erkennen, sie wollen nicht sehen, in welchen Abgrund sie nach den gerechten Ratschlüssen des Herrn stürzen können. So erging es Herodes und den Mitschuldigen seines Ehebruchs, welche es durch ihre Sünden verdient hatten. In diesen Abgrund der Bosheit führt Luzifer die Seelen auf dem Weg der Eitelkeit, des Stolzes, der Pracht und der schändlichen Vergnügungen der Welt. Dies allein stellt er ihnen als groß und wünschenswert vor. Und die törichten Kinder des Verderbens werfen die Zügel der Vernunft ab, um ihren Leidenschaften und den Lüsten des Fleisches zu folgen und Sklaven ihres Todfeindes zu werden. Meine Tochter, mein heiligster Sohn und ich mit Ihm, wir haben den Weg der Demut, der Verachtung und der Leiden gelehrt. Dies ist der königliche Weg, der zum Leben führt. Wir sind ihn zuerst gegangen und die besonderen Lehrmeister und Beschützer der Betrübten geworden. Rufen sie Uns in ihren Nöten an, so stehen Wir ihnen auf wunderbare Weise und durch außerordentliche Gnaden bei. Doch dieses wohltätigen Schutzes berauben sich die Anhänger der Welt und ihrer eitlen Freuden, sie, die den Weg des Kreuzes verabscheuen. Auf diesen Weg bist du gerufen und mit sanfter Gewalt gezogen worden durch meine Liebe und durch meine Lehre. Folge mir nach, denn du hast den verborgenen Schatz, die kostbare Perle gefunden (Mt 13, 44.46), für deren Besitz du auf alles Irdische und auch auf deinen Willen verzichten musst, falls er dem des Allerhöchsten, meines Herrn, widerstreiten sollte.
FÜNFTES HAUPTSTÜCK: Ehrfurcht der Apostel vor der Mutter Jesu =
Gnaden, welche die Apostel wegen ihrer Andacht zu Maria von dem göttlichen Heiland empfingen. Der Mangel dieser Andacht führt den Judas seinem Verderben entgegen.
1079. Eines der größten Wunderwerke der göttlichen Allmacht war das Verhalten welches die weiseste Königin Maria gegenüber dem heiligen Kollegium der Apostel und Jünger unseres Herrn beobachtete. Freilich lässt sich diese wunderbare Weisheit nicht in Worte fassen: wenn ich aber alles aufzeichnen wollte, was mir darüber mitgeteilt worden ist, so müsste ich über diesen Gegenstand allein ein umfangreiches Buch schreiben. Ich werde einiges davon in diesem Hauptstück sowie gelegentlich im übrigen Teil dieses Werkes sagen. Es wird dies zwar nur weniges sein, doch wird es zu unserer Belehrung genügen.
Unser Herr flößte den Herzen aller Jünger, die Er in seine göttliche Schule aufnahm, eine besondere Andacht und Ehrfurcht für seine heiligste Mutter ein, wie eine solche ihnen notwendig war, da sie Maria in ihrer Gesellschaft sehen und in so nahem Verkehr mit ihr stehen sollten. Dieses heilige Samenkorn des göttlichen Lichtes, obwohl allen gemein, war doch nicht bei allen gleich. Denn unser Herr verteilte diese Gaben teils nach seinem heiligsten Willen, teils nach den persönlichen Eigenschaften der einzelnen sowie nach den Ämtern, zu weichen Er sie bestimmt hatte. Diese ehrfurchtsvolle Liebe der Jünger wurde dann noch vermehrt durch die überaus liebevolle Freundlichkeit, welche die große Königin im Verkehr mit den Jüngern an den Tag legte, Sie redete mit allen: sie liebte, tröstete, unterrichtete alle. Sie half ihren Nöten ab und die Jünger schieden niemals von ihrer Gegenwart und Unterredung ohne die höchste innere Freude und einen Trost, der selbst ihr Verlangen überstieg. Die Frucht dieser Gnaden war aber größer oder geringer, je nach der Gesinnung des Herzens, mit welcher jenes Saatkorn des Himmels aufgenommen worden war.
1080. Alle Jünger waren voll Bewunderung für U. L. Frau und bildeten sich die erhabensten Vorstellungen von ihrer Klugheit, Weisheit, Heiligkeit, Reinheit und erhabenen Majestät, die mit einer so milden und demütigen Freundlichkeit gepaart war, dass keiner Worte fand, um dieselbe zu schildern. Dies letztere war zugleich eine Fügung des Allerhöchsten. Denn es war, wie bereits gesagt wurde (Buch 5. Hauptstück 29), noch nicht die geeignete Zeit, der Welt diese geistliche Arche des Neuen Bundes zu offenbaren. Gleichwie nun jemand, der ein heftiges Verlangen hat, sich auszusprechen, seine Gedanken aber nicht offenbaren kann, sich um so mehr innerlich damit beschäftigt, so wurden auch die Apostel unter dem süßen Zwang ihres Stillschweigens nur desto feuriger in der Liebe zur heiligsten Jungfrau und im innerlichen Lob ihres Schöpfers. Vermöge ihrer unvergleichlichen Weisheit kannte Maria den Charakter, das Gnadenmaß, den Seelenzustand eines jeden der Apostel sowie das Amt, zu welchem er bestimmt war. Und dieser Kenntnis entsprechend richtete sie dann auch ihre Gebete, ihre Lehren, ihre Worte und Gnadenerweise nach dem Beruf eines jeden ein, so dass die heiligen Engel mit höchstem Staunen erfüllt waren, da sie sahen, wie ein bloßes Geschöpf sein Verhalten so vollkommen nach dem Wohlgefallen des Herrn einrichtete. Der Allmächtige bewirkte aber auch durch die unsichtbare Leitung seiner Vorsehung, dass die Apostel den Gnaden und Wohltaten, die sie von seiner Mutter empfingen, ihrerseits entsprachen. Und alles dieses bildete eine den Menschen verborgene, nur den himmlischen Geistern sichtbare himmlische Harmonie.
1081. Hinsichtlich dieser wunderbaren Gnaden waren der heilige Petrus und der hl. Johannes ganz besonders bevorzugt. Ersterer sollte der Stellvertreter Christi und das Haupt der streitenden Kirche werden. Darum hegte die heiligste Mutter des Herrn für ihn eine besonders innige Liebe und tiefe Ehrfurcht, desgleichen für den hl. Johannes, weil dieser anstatt ihres göttlichen Sohnes als ihr Gesellschafter und Beschützer auf Erden bei ihr verbleiben sollte. Diese beiden Apostel also, deren Leitung und Obhut die mystische Kirche, nämlich die heiligste Jungfrau Maria und die streitende Kirche. d.h. die Gemeinschaft der Gläubigen, anvertraut werden sollte, wurden von der erhabenen Königin der Welt in ganz besonderer Weise begnadigt. Weil aber der hl. Johannes auserwählt war, ihr zu dienen und in besonderer Weise ihr Adoptivsohn zu werden, so erhielt er auch für diesen Dienst der heiligsten Jungfrau ganz eigene Gnaden und schon jetzt zeichnete er sich im Dienste Mariä aus. Freilich übersteigt die Ergebenheit und Andacht aller Apostel gegen U. L. Frau unsere Vorstellung. Allein der heilige Johannes erfasste die Geheimnisse dieser geistlichen Stadt Gottes in höherem Grad und erhielt durch sie so reiches Licht über die Gottheit, dass er, wie sein Evangelium beweist, hierin alle andern Apostel überragte. Denn alle diese Weisheit wurde ihm durch Vermittlung der Himmelskönigin zuteil. Auch die Auszeichnung, unter allen Aposteln der Lieblingsjünger des Herrn genannt zu werden, erlangte er durch seine Liebe zur seligsten Jungfrau. Aus demselben Grunde wurde er auch von ihr inniger geliebt, so dass er mit Auszeichnung der Lieblingsjünger Jesu und Mariä war.
1082. Der heilige Evangelist besaß außer der Keuschheit und jungfräulichen Reinheit noch manche anderen Tugenden, welche der Königin aller Tugenden im höchsten Grad wohlgefällig waren, so z.B. kindliche Aufrichtigkeit, wie auch aus seinen Schriften ersichtlich ist, sodann Demut und friedliche Sanftmut, wodurch er besonders freundlich und mild im Umgang wurde. Die himmlische Mutter nannte aber alle, welche demütig und friedfertig von Herzen waren. Ebenbilder ihres heiligsten Sohnes. Wegen dieser Vorzüge, welche ihm mehr als den übrigen Aposteln eigen waren, war ihm die Himmelskönigin auch mehr zugeneigt und er selbst war dadurch besser vorbereitet, ehrfurchtsvolle Liebe und Hingebung zu ihrem Dienste in sein Herz aufzunehmen. So zeichnete sich der hl. Johannes von seiner ersten Berufung an durch seine Verehrung für die seligste Jungfrau und durch den ehrfurchtsvollen Gehorsam eines demütigen Dieners vor allen anderen Jüngern aus. Er war öfter als die übrigen in ihrer Gesellschaft. Soviel nur möglich blieb er bei ihr und trachtete, ihr bei ihren Handarbeiten behilflich zu sein. Manchmal war der glückselige Apostel bei diesen niedrigen Arbeiten im heiligen Wettstreit mit den Engeln der Himmelskönigin. Doch diese überwand sie alle zusammen und verrichtete jene Arbeiten selbst, denn in der Tugend der Demut triumphierte Maria über alle. Niemand kam ihr auch nur in dem geringsten Akte gleich, geschweige denn zuvor. Der Lieblingsjünger erstattete der Himmelskönigin auch mit größter Sorgfalt Bericht über alle Handlungen und Wunder des Herrn, bei denen sie nicht zugegen gewesen, sowie über die neuen Jünger und über alle, die seine Lehre angenommen hatten. Er war stets bedacht, zu erfahren, was der seligsten Jungfrau die größte Freude bereitete und dies tat er dann nach bestem Wissen.
1083. Der heilige Johannes zeigte auch in seinen Worten die größte Ehrfurcht gegen die heiligste Gottesmutter. In ihrer Gegenwart nannte er sie stets «Herrin» oder «Meine Herrin». War sie abwesend, so nannte er sie «die Mutter Jesu, unseres Meisters». Nach der Himmelfahrt unseres Herrn gab er zuerst ihr den Titel: «Mutter Gottes, Mutter des Erlösers der Welt». Wenn er sie anredete, sagte er: «Mutter und Herrin». Er gab ihr auch noch die Titel: «Sühnerin der Sünde, Herrin der Völker». Namentlich aber war es der hl. Johannes, der sie zuerst «Maria von Jesus» nannte, welcher Name ihr oftmals in der ersten Kirche gegeben wurde. Er wählte diese Benennung, weil er wusste, dass diese zwei Worte für Ohr und Herz der Himmelskönigin die lieblichste Harmonie bildeten. Mein Herz aber verlangt, mit Jubel den Herrn zu preisen, dass er mich ohne mein Verdienst zur heiligen Kirche, zum Licht des Glaubens, zum Ordensstande berufen, in welchem ich unter obigem Namen Profess gemacht habe. Die anderen Apostel und Jünger kannten die Vorliebe der seligsten Jungfrau für den hl. Johannes und ersuchten darum oftmals diesen Jünger, in ihren Bitten und Anliegen den Vermittler bei der Himmelskönigin zu machen, was dieser sanfte, heilige Apostel auch tat, da er von der liebevollen Barmherzigkeit dieser besten Mutter eine so hohe Kenntnis besaß. Ich werde später, namentlich im dritten Teil, noch mehr über diesen Gegenstand sagen. Ja, man könnte eine umfassende Geschichte schreiben allein über die Gnaden, welche der heilige Johannes von der Königin der Welt erhalten hat.
1084. Nächst den heiligen Aposteln Petrus und Johannes war auch der hl. Jakobus, der Bruder des Evangelisten, in besonderer Weise von Maria geliebt. Er empfing von ihr wunderbare Gnaden, wie wir an einigen Beispielen im dritten Teil sehen werden. Auch der hl. Andreas war der seligsten Jungfrau besonders teuer, da sie voraus wusste, dass er eine ausgezeichnete Andacht zum Leiden und zum Kreuz seines Meisters tragen und wie dieser am Kreuz sterben werde. Ich verweile nicht bei den übrigen Aposteln und sage nur: U. L. Frau hat mit wunderbarer Klugheit und Demut die einen wegen dieser, die anderen wegen jener Tugenden geliebt und hoch geschätzt, alle aber wegen ihres heiligsten Sohnes. Dies gilt auch von Magdalena. Die Himmelskönigin schaute mit zärtlicher Zuneigung auf sie, denn sie kannte die innige Liebe dieser hervorragenden Büßerin zu Jesus und die Stimmung ihres Herzens, welche es der Allmacht Gottes ermöglichte, sich in ihr zu verherrlichen. U. L. Frau ging besonders mit ihr um und erleuchtete sie über die erhabensten Geheimnisse. Dadurch wurde deren Liebe zu Jesus und Maria immer größer. Die Heilige beriet sich auch mit der Himmelskönigin über ihr Verlangen, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und in beständiger Buße und Beschauung dem Herrn allein zu leben. U. L. Frau gab ihr eine erhabene Belehrung über diese Lebensweise, und Magdalena beobachtete sie nachher in der Wüste, in welche sie sich mit der Zustimmung und dem Segen der heiligsten Jungfrau begab. Diese aber besuchte die heilige Büßerin einmal persönlich und oftmals sandte sie ihr die Engel, damit sie ihr Mut und Trost in ihrer schauerlichen Einsamkeit brächten. Auch für die übrigen Frauen, welche unserem Herrn folgten, hegte die göttliche Mutter große Liebe. Sie erwies ihnen, wie auch allen Jüngern, aussergewöhnliche Wohltaten, und alle waren dieser erhabenen Königin und Mutter der Gnade innigst ergeben und zugetan. Alle fanden ja Gnaden im Überfluss bei ihr und durch sie, die Schatzmeisterin, welcher Gott alle Gnaden für das ganze Menschengeschlecht anvertraut hat. Doch ich verweile nicht länger hierbei. Es ist nicht nötig, da dieser Gegenstand in der heiligen Kirche bereits bekannt ist und überdies viel Zeit erheischen würde.
1085. Nur über den schlechten Apostel Judas will ich einiges von dem mir Mitgeteilten berichten. Denn dies verlangt unsere Geschichte. Auch ist dies weniger bekannt und es wird den Sündern zur Lehre, den Verstockten zur Warnung, allen aber, die eine geringe Andacht zu Maria tragen, zur Mahnung dienen, wenn es je einen Menschen geben sollte, welcher ein so liebenswürdiges Geschöpf nur wenig liebte, ein Geschöpf, sage ich, welches von Gott mit unermesslicher, unendlicher Liebe geliebt wird, ein Geschöpf, das die Engel mit allen Kräften ihres Geistes und die Apostel und Heiligen mit der ganzen Inbrunst ihres Herzens liebten, ein Geschöpf, das alle Kreaturen in heiligem Wettstreit lieben sollten, und das auch dann noch zu wenig geliebt würde. Jener unglückliche Apostel aber hat diesen königlichen Weg, der zur Liebe Gottes und zu seinen Gaben führt, d.h. die Andacht zu Maria, nach und nach verloren. Folgendes ist mir hierüber mitgeteilt worden, damit ich es aufzeichne.
1086. Judas trat in die Schule Christi unseres Herrn, äußerlich durch die Kraft seiner Lehre und innerlich, wie die übrigen, vom guten Geist angezogen. Unter dem Einfluss dieser Gnaden bat er den Heiland um Aufnahme unter die Zahl seiner Jünger und der Herr nahm ihn auf mit der Liebe eines Vaters, welcher keinen verstösßt, der ihn aufrichtig sucht. Judas erhielt im Anfang von Gott auch noch andere große Gnaden. mittels deren er sich vor mehreren anderen Jüngern auszeichnete und als einer der zwölf Apostel auserlesen wurde. Denn der Herr liebte ihn nach dem damaligen guten Stand seiner Seele und nach den heiligen Werken, die er wie die übrigen Apostel verrichtete. Auch Maria, die Mutter der Gnade, schaute damals mit Barmherzigkeit auf ihn, obwohl sie vermöge ihrer eingegossenen Wissenschaft bereits den Verrat voraussah, den er am Ende seines Apostelamtes treulos begehen würde. Doch verweigerte sie ihm deswegen ihre mütterliche Liebe und Fürsprache nicht. Vielmehr war sie um so aufmerksamer und eifriger, soviel nur möglich das Verhalten ihres göttlichen Sohnes diesem unglücklichen Apostel gegenüber zu rechtfertigen, damit er für seine Missetat auch nicht eine scheinbare Entschuldigung vor den Menschen finde, falls er seinen Frevel begehen sollte. Maria wusste, dass der Charakter des Judas durch Strenge nicht überwunden, sondern nur um so schneller zur Verstockung getrieben würde. Darum sorgte die weiseste Königin, dass ihm nie etwas Notwendiges oder Nützliches mangelte. Sie bewies ihm größere Liebe, half ihm mit aller Freundlichkeit, redete mit ihm und behandelte ihn mit größerer Milde und Sanftmut als die übrigen. Daher kam es, dass, wenn die Jünger manchmal unter sich stritten, wer von ihnen bei der reinsten Königin am meisten in Gunst stehe - wie sie ja nach dem Zeugnis des Evangeliums (Lk 22, 24) auch hinsichtlich der Gunst ihres Meisters unter sich stritten - Judas in dieser Beziehung immer außer Sorgen war, weil ihn Maria in den ersten Zeiten gar sehr mit Gnaden auszeichnete. Er legte auch seine Dankbarkeit für diese Gnaden nicht selten an den Tag.
1087. Doch die natürlichen Anlagen waren bei Judas nicht sehr günstig. Und da unter den Jüngern und Aposteln einige menschliche Fehler vorfielen, wie dies eben bei Menschen, die noch nicht in der Gnade und Vollkommenheit befestigt sind, vorkommt, so begann dieser törichte Jünger sich zuviel auf sich selbst einzubilden und an den Fehlern seiner Brüder zu straucheln, indem er dieselben mehr als seine eigenen beachtete. Nachdem er sich dieser Verirrung hingegeben, ohne an Besserung zu denken, wurde der Balken in seinem Auge um so größer, je mehr er in blindem Eigendünkel nur die Splitter in den Augen der anderen betrachtete (Lk 6, 41), darüber murrte und, mehr aus Stolz als aus Eifer, die leichteren Fehler seiner Brüder verbessern wollte, während er selbst viel schwerere beging. So beurteilte und tadelte er unter den übrigen Aposteln besonders den heiligen Johannes, als dränge sich dieser bei dem Herrn und dessen heiligster Mutter ein, während er doch selbst von beiden in so hohem Grade begünstigt wurde. Doch waren die bisherigen Unordnungen des Judas noch nicht über lässliche Sünden hinausgegangen. Er hatte die Heiligmachende Gnade noch nicht verloren. Allein jene kleinen Fehler waren von schlimmer Art und vollkommen freiwillig. Denn er hatte dem ersten dieser Fehler, der eitlen Selbstgefälligkeit ganz freiwillig Zutritt gegeben. Diesem folgte dann der zweite, der Neid. Aus diesem ging der dritte hervor, dass er die Handlungen seiner Brüder innerlich mit wenig Liebe beurteilte und richtete. Damit war größeren Fehlern die Türe geöffnet. Er wurde lau in der Andacht. Die Liebe zu Gott und den Menschen erkaltete. Das innere Licht nahm ab und erlosch allmählich. Und nun betrachtete er die Apostel und die heiligste Mutter bereits mit einigem Unwillen und fand an ihrem Umgang und an ihren heiligsten Werken wenig Gefallen.
1088. Die weiseste Königin durchschaute die ganze Verirrung des Judas. Sie wollte ihm helfen, ehe er dem Tod der Sünde verfiele, und deshalb ermahnte sie ihn, wie eine Mutter ihren teuersten Sohn, mit der größten Milde und mit den eindringlichsten Worten. Infolgedessen legte sich zwar manchmal der Sturm, welcher sich in des Judas unruhigem Herzen zu erheben begann. Doch er blieb in dieser Ruhe nicht beharrlich, sondern geriet alsbald wieder in Verwirrung. Indem er dem Satan immer mehr Zutritt gestattete, kam er so weit, dass er gegen Maria, die sanftmütigste Jungfrau, einen heftigen Zorn fasste. In heuchlerischer Verstellung suchte er seine Fehler zu verbergen, zu leugnen oder zu entschuldigen, als hätte er Jesus und Maria, seine himmlischen Lehrmeister, täuschen und ihnen sein Herz verbergen können. Hierdurch verlor er die innere Ehrfurcht gegen die Mutter der Barmherzigkeit, verachtete ihre Ermahnungen und machte ihr sogar Vorwürfe wegen ihrer sanften Worte und Belehrungen. Durch diese undankbare Verwegenheit verlor er die Gnade. Der Herr wurde über ihn schwer erzürnt und überließ ihn, wie es seine grenzenlosen Unehrerbietigkeiten nicht anders verdienten, seinem eigenen Willen (Sir 15,14), denn indem Judas die Gnade und Fürsprache der seligsten Jungfrau Maria zurückstieß, verschloss er sich die Pforten der Barmherzigkeit und Rettung. Von dem Abscheu gegen die mildeste Mutter ging er dann bald zum Zorn und Abscheu gegen seinen Meister über, war mit dessen Lehre unzufrieden und betrachtete das Leben der Apostel und den Umgang mit ihnen als etwas sehr Lästiges.
1089. Trotzdem verließ ihn die göttliche Vorsehung noch nicht. Sie verlieh ihm immer noch innerliche Gnaden, die zwar nur gewöhnlicher Art und nicht mehr so kräftig waren wie früher, allein doch noch hingereicht hätten, wenn er sie nur hätte benützen wollen. Überdies gab ihm die mildeste Mutter die sanftesten Ermahnungen, dass er umkehren und seinen göttlichen Meister demütig um Verzeihung bitten solle. Sie gab ihm die Versicherung, dass der Herr ihm barmherzig sein werde und ihrerseits versprach sie ihm, dass sie ihn selbst zu ihrem Sohn führen, für ihn bitten und für seine Sünden Buße tun wolle. Nur das eine verlange sie von ihm, dass er seine Sünden bereue und sich bessere. Zu all diesen Vorschlägen ließ sich die Mutter der Barmherzigkeit herbei, um den Judas noch im Anfang von seinem Fall aufzurichten, denn sie wusste wohl, wie das größte Übel nicht darin besteht, dass man fällt, sondern darin, dass man nicht mehr aufsteht und in der Sünde verharrt. Der stolze Jünger konnte seinem Gewissen das Zeugnis über seinen schlechten Seelenzustand nicht streitig machen. Aber er begann sich zu verhärten, fürchtete die Beschämung, die ihm doch zur Ehre gereicht hätte und verfiel jener Scham, welche seine Sünde steigerte. In diesem Stolz nahm er den heilsamen Rat der Mutter Christi nicht an, sondern leugnete seine Schuld, versicherte mit heuchlerischen Worten, dass er seinen Meister und die Jünger liebe und dass er in dieser Hinsicht durchaus nichts zu bessern habe.
1090. Wunderbar ist das Beispiel der Liebe und Geduld welches uns der göttliche Heiland und seine heiligste Mutter durch ihr Verhalten gegen Judas nach seinem Fall gegeben haben. Sie duldeten ihn in ihrer Gesellschaft, zeigten ihm niemals eine unwillige Miene und behandelten ihn mit der nämlichen Milde und Freundlichkeit wie die übrigen. Dies war auch der Grund, warum der schlechte Seelenzustand des Judas den Aposteln so lange verborgen blieb, trotzdem sein gewöhnliches Verhalten im Verkehr mit andern sein böses Gewissen und seine schlimme innere Verfassung deutlich genug verriet. Denn es ist schwer, ja beinahe unmöglich, die schlechten Neigungen beständig mit Gewalt zu verbergen. In wenig überlegten Handlungen folgen wir immer unserer Naturanlage und Gewohnheit und dann werden diese wenigstens jenen bekannt, die viel mit uns umgehen. Dies war auch bei Judas während seines Apostolates der Fall. Allein alle sahen, mit welcher Freundlichkeit und Liebe er von unserem Erlöser und dessen heiligster Mutter behandelt wurde, und zwar beständig. Darum schenkten sie ihrem Verdacht und den schlimmen Anzeichen seines Falles keinen Glauben. Eben deswegen waren auch damals, als unser Herr beim letzten Abendmahl sagte, einer von ihnen werde Ihn verraten, alle miteinander in Bestürzung und Zweifel. Jeder fragte: «Bin ich es, Herr (Mt 26, 22) ?» Nur der hl. Johannes hatte wegen seiner innigeren Vertraulichkeit mit unserem Herrn einige Kenntnis von den Vergehen des Judas und war darob in größerer Besorgnis: darum teilte ihm auch der Herr das Geheimnis mit, jedoch, wie das Evangelium berichtet (Joh 13, 26), nur durch Zeichen. Vorher aber hatte der Heiland niemals eine Andeutung gegeben von dem, was in Judas vorging. Noch wunderbarer ist diese Geduld bei der heiligsten Jungfrau, weil sie Mutter des Herrn und ein bloßes Geschöpf war, und weil sie den Verrat des treulosen Jüngers an ihrem heiligsten Sohn ganz nahe wusste, an ihrem Sohn, den sie als Mutter und nicht als Dienerin liebte.
1091. O wie unwissend und töricht sind wir ! Wie ganz anders handeln wir Menschenkinder, wenn uns eine kleine Beleidigung zugefügt wird, da wir doch so große verdienen ! Wie ungehalten sind wir über fremde Schwächen, während wir verlangen, dass alle die unsrigen ertragen! Wie schwer fällt es uns, eine Beleidigung zu verzeihen, da wir doch täglich, ja stündlich bitten, der Herr möge uns die unsrigen vergeben! Wie schnell und grausam sind wir, um die Fehler unserer Brüder bekanntzumachen, dagegen wie unwillig und empfindlich, wenn jemand über die unsrigen nur ein Wort sagt ! Für niemand messen wir mit dem Maße, mit welchem wir wollen, dass uns gemessen würde und nie wollen wir auf die Weise gerichtet werden, wie wir die anderen richten (Mt 7,12). Dies alles ist Verkehrtheit, Finsternis und Gifthauch aus dem Munde des höllischen Drachen, welcher sich der ausgezeichnetsten Tugend der Liebe widersetzen und die Ordnung des menschlichen und göttlichen Rechtes umstoßen möchte, denn «Gott ist die Liebe» und wer die Liebe vollkommen übt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1 Joh 4,16). Luzifer dagegen ist Zorn und Rache und wer diese ausübt, ist in ihm und wird von ihm geleitet in allen Vergehen, welche dem Wohle des Nächsten widerstreiten. Ich gestehe, dass die Schönheit dieser Tugend der Nächstenliebe stets mein ganzes Herz eingenommen und mit dem Verlangen erfüllt hat, sie zur Freundin zu haben, aber ich sehe auch in dem klaren Spiegel dieser an dem undankbarsten Apostel gewirkten Wunder der Liebe, dass ich es noch nicht einmal zum Anfang in dieser unausprechlich edlen Tugend gebracht habe.
1092. Damit der Herr mir nicht vorwerfe, dass ich geschwiegen habe, füge ich noch eine zweite Ursache vom Verderben des Judas bei. Sobald die Zahl der Apostel und Jünger wuchs, bestimmte unser Herr, dass einer von ihnen sich damit befasse, die Almosen in Empfang zu nehmen und sie als Verwalter für die gemeinschaftlichen Bedürfnisse und zum Zahlen der kaiserlichen Steuer zu verwenden. Der göttliche Heiland wählte jedoch keinen im besonderen dazu aus, sondern stellte die Sache nur allen zugleich vor. Judas begehrte alsbald mit heftiger Begierde nach diesem Amt, während alle anderen dasselbe innerlich fürchteten und flohen. Um zum Ziel zu gelange, demütigte sich der gierige Jünger und bat den hl. Johannes, mit der seligsten Jungfrau zu sprechen, damit sie dies mit dem Herrn ausmache. Der hl. Johannes entsprach dem Wunsche des Judas. Doch die weiseste Mutter wusste, dass die Bitte weder gerecht noch heilsam sei und dass sie aus Stolz und Geldgier entspringe. Darum weigerte sie sich, dieselbe dem göttlichen Meister vorzutragen. Judas machte nun denselben Versuch mittels des hl. Petrus und anderer Apostel, doch wieder vergebens, denn Gott wollte in seiner Güte dies verhindern oder wenigstens, falls er es zuließe, seine Sache rechtfertigen. Allein der Geiz, welcher das Herz des Judas bereits ganz eingenommen hatte, wurde durch diesen Widerstand nicht zur Ruhe gebracht und abgekühlt. Vielmehr loderte die Flamme dieser Leidenschaft noch stärker auf, denn der Satan hetzte ihn durch ehrgeizige Gedanken, die selbst für Personen eines anderen Standes ungeziemend gewesen wären. War aber die Einwilligung in sie für andere strafbar, so noch viel mehr bei Judas. Er war ja ein Jünger in der Schule höchster Vollkommenheit und hatte Christus, «die Sonne der Gerechtigkeit» und Maria, «den Mond», vor Augen. Weder am Tag der überreichen Gnade konnte ihm verborgen bleiben, welch schwere Schuld es sei, solchen Gedanken zuzustimmen, da sein göttlicher Meister ihm dann die leuchtende Sonne war, noch konnte er in der Nacht der Versuchung darüber im unklaren bleiben, da ihn dann Maria, der «schöne Mond», erleuchtete und ihm zeigte, was er zu tun habe, um sich von dem Gift der Schlange zu befreien. Allein Judas floh das Licht und übergab sich der Finsternis und darum rannte er dem Abgrund zu. Er bat nun selbst die heiligste Jungfrau um das ersehnte Amt, indem er alle Scheu ablegte und seine Habgier unter dem Schein der Tugend verbarg. Er sagte ihr nämlich, er habe jene Bitte durch seine Mitbrüder Petrus und Johannes an sie stellen lassen aus Verlangen, ihr und ihrem Sohn mit aller Sorgfalt zu dienen, denn nicht alle nähmen sich dieser Sache mit dem gebührenden Fleiß an. Er bitte sie deshalb, sie möge ihm dieses Amt von seinem Meister erlangen.
1093. Die Königin der Welt antwortete ihm mit großer Sanftmut: «Bedenke wohl, mein Freund, was du verlangst und prüfe, ob deine Absicht rein ist. Bedenke, ob es dir heilsam ist, etwas zu begehren, was deine Brüder, die Jünger, allesamt fürchten und nur auf einen ausdrücklichen Befehl ihres Meisters annehmen würden. Der Herr liebt dich inniger, als du dich selbst liebst. Er weiß auch unfehlbar, was dir heilsam ist. Überlasse dich also seinem heiligsten Willen. Ändere deinen Plan und trachte, die Schätze der Demut und Armut zu erwerben. Erhebe dich von deinem Fall, denn ich werde dir die Hand reichen und mein Sohn wird dir seine liebevolle Barmherzigkeit erweisen.» Wen hätten so milde Worte, so kräftige Gründe aus dem Mund eines so himmlischen, so liebenswürdigen Wesens wie der seligsten Jungfrau nicht gerührt? Doch das unbändige, felsenharte Herz des Judas ließ sich nicht erweichen. Judas wurde vielmehr innerlich aufgebracht und glaubte, von der göttlichen Mutter, die ihm doch das Heilmittel für seine tödliche Krankheit angeboten hatte, beleidigt zu sein. Wenn nämlich jemand aus Stolz und Geiz mit zügelloser Gier nach etwas verlangt, so wird auch alsbald der Zorn rege gegen jeden, der ihm hindernd in den Weg tritt und heilsamer Rat gilt dann als Beleidigung. Maria, die sanftmütigste, liebenswürdigste Jungfrau, blieb auf das unwürdige Gebaren des Judas hin voll Ruhe und da er bereits verstockt war, redete sie für jetzt nicht weiter mit ihm.
1094. Nachdem Judas sich von Maria entfernt hatte, ließ ihm sein Geiz keine Ruhe mehr. Er legte nun nicht nur alles natürliche Schamgefühl, sondern sogar den Glauben ab und beschloss, sich selbst an seinen göttlichen Meister zu wenden. Seine Wut mit dem Schafsfell bedeckend, trat er vor den Herrn und sprach als geschickter Bittsteller: «Meister, ich verlange, deinen Willen zu tun und dir als Bewahrer und Verwalter der Almosen, die wir empfangen, zu dienen. Ich werde damit den Armen helfen, gemäß deiner Lehre, dem Nächsten zu tun, was wir wünschen, dass man uns tue. Ich werde alles mit Ordnung und Verstand verwalten, ganz nach deinem Willen und besser, als dies bisher geschehen ist.» Diese und ähnliche Worte richtete der Heuchler an seinen göttlichen Meister und beging dabei ungeheure Sünden und zwar viele auf einmal. Fürs erste log er, denn er hegte eine andere, verborgene Absicht. Sodann gab er sich als etwas aus, was er nicht war, da er nach unverdienter Ehre geizte. Er wollte nicht scheinen, was er wirklich war und nicht sein, was er scheinen wollte. Überdies verleumdete und schmähte er seine Mitbrüder, während er sich selbst lobte, lauter Kunstgriffe, wie sie den Ehrgeizigen geläufig sind. Doch noch schwerer fällt ins Gewicht, dass er den eingegossenen Glauben verlor und seinen himmlischen Meister durch Heuchelei und Verstellung zu täuschen versuchte. Hätte er damals fest geglaubt, Christus sei ebenso wahrer Gott wie wahrer Mensch, so hätte er unmöglich daran gedacht, ihn täuschen zu können. Er hätte ja geglaubt, dass Christus als Gott das Verborgenste seines Herzens nicht bloß durch seine göttliche Allwissenheit, sondern auch als Mensch durch die eingegossene Wissenschaft und beseligende Anschauung durchschaue, wie dies in der Tat der Fall war. Deshalb wäre Judas dann von seinem arglistigen Plan abgestanden. Allein er glaubte all dieses nicht mehr und fügte so zu den übrigen Sünden noch die der Ketzerei hinzu.
1095. So bewahrheitete sich an diesem treulosen Jünger buchstäblich, was später der heilige Apostel sagte: «Die reich werden wollen, fallen in Versuchung und in Fallstricke des Teufels und in eitle, unnütze Begierden, welche die Menschen in das Verderben, in den ewigen Tod stürzen. Denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht. Manche, die sich ihr ergaben, sind vom Glauben abgefallen und haben sich in viele Schmerzen verwickelt (1 Tim 6, 9.10).» All dies begegnete dem habsüchtigen, treulosen Apostel und seine Habgier war um so gemeiner und verwerflicher, je lebendiger und wunderbarer das Beispiel der höchsten Armut Christi unseres Herrn, seiner heiligsten Mutter und aller Apostel vor seinen Augen stand. Da gab es nur einige mäßige Almosen. Aber der schlechte Jünger bildete sich ein, infolge der großen Wunder seines Meisters und bei der Menge derer, die Ihm nachfolgten, würden die Almosen und Geschenke mit der Zeit sich vermehren und dann könne er sich manches davon aneignen. Aber es ging nicht nach seinem Wunsche und darum wurde er selbst über diejenigen ärgerlich, welche unserem Herrn nachfolgten, wie er dies an den Tag legte, als Magdalena die kostbare Salbe über unsern Herrn ausgoss. Die Gier nach deren Besitz trieb ihn an, sie auf mehr als dreihundert Denare (Joh 12, 5) zu schätzen und zu sagen, man entziehe diese den Armen, unter welche man sie hätte austeilen können. Er sagte dies aber nur, weil es ihn kränkte, dieselben nicht für sich zu bekommen, denn um die Armen kümmerte er sich nicht. Ganz besonders war er ungehalten über die Mutter der Barmherzigkeit, weil sie so viel Almosen gab, sowie über den Herrn, weil Er nicht mehr Geschenke annahm, um sie ihm abzugeben, endlich über die Jünger und Apostel, weil dieselben nicht darum baten. Kurz, gegen alle zeigte er sich unwillig und verletzt. Einige Monate vor dem Tod des Heilandes fing er an, sich öfters eine Zeitlang vom Herrn und den übrigen Aposteln zu entfernen, da er ihrer Gesellschaft überdrüssig war. Er kam nur, um soviel als möglich Almosen in Empfang zu nehmen. Bei solchen Ausgängen gab ihm der Satan den Gedanken ein, mit seinem Meister vollständig zu brechen und Ihn den Juden zu überliefern, wie es dann auch geschah.
1096. Sehen wir aber jetzt, welche Antwort der Lehrmeister des Lebens dem Judas auf seine Bitte um das Amt eines Verwalters gegeben hat. Wir ersehen daraus, wie geheimnisvoll und schrecklich die Gerichte Gottes sind. Unser Herr wusste wohl, welche Gefahr in seiner Bitte lag und dass der gierige Apostel durch dieselbe sein ewiges Verderben suchte. Darum wollte Er ihn davor bewahren. Und damit sich Judas nicht mit Täuschung entschuldigen könne, antwortete ihm der Herr: «Judas, weißt du auch, was du begehrst? Sei doch nicht so grausam gegen dich selbst, das Gift und die Waffen aufzusuchen, mit welchen du dir den Tod geben kannst!» Judas entgegnete: «Meister, es ist mein Wunsch, dir zu dienen und meine Kräfte dem Besten deiner Versammlung zu widmen. Dies werde ich aber in jenem Amt besser tun können als auf irgend eine andere Weise und ich verspreche, es an nichts fehlen zu lassen.» Durch diese Hartnäckigkeit, mit welcher Judas die Gefahr liebte und suchte, rechtfertigte Gott seine Sache, wenn Er zuließ, dass jener sich in die Gefahr begab und darin zugrunde ging. Denn Judas setzte dem Licht Widerstand und Verstocktheit entgegen. Der Allerhöchste hatte ihm Feuer und Wasser, Leben und Tod vorgelegt. Er aber streckte seine Hand aus und wählte sein Verderben (Sir 15,17). So war Gottes Gerechtigkeit gerechtfertigt und seine Barmherzigkeit verherrlicht, jene Barmherzigkeit, welche so oftmals den Judas eingeladen und an der Türe seines Herzens Einlass begehrt hatte, während er sie zurückstieß, um den Satan einzulassen.
Um das gegenwärtige Hauptstück nicht allzusehr auszudehnen, werde ich über die furchtbaren Missetaten des Judas ein Mehreres zur Belehrung für die Sterblichen an einem späteren Ort beifügen. Dort wird die geeignete Stelle dafür sein, weil die betreffenden Tatsachen ihrem geschichtlichen Verlaufe nach dahin gehören. Wo aber, so müssen wir fragen, wäre ein sterblicher, der Sünde noch fähiger Mensch zu finden, der nicht mit Furcht und Schrecken erfüllt würde, wenn er betrachtet, dass ein Mensch von gleicher Natur wie er, ein Mensch, der in der Schule Jesu und Mariä auferzogen, durch die Milch Ihrer Lehre genährt und des Anblickes Ihrer Wunder gewürdigt worden war, in so kurzer Zeit aus einem heiligen Apostel und Wundertäter in einen Teufel, aus einem unschuldigen Lämmlein in einen blutdürstigen Wolf verwandelt wurde? Mit lässlichen Sünden hat Judas begonnen und von diesen ist er zu den schwersten, schrecklichsten Verbrechen übergegangen. Er übergab sich dem Satan, welcher bereits vermutete Christus der Herr sei Gott und darum ließ der Satan den ganzen Zorn, den er gegen den Herrn gefasst hatte, an diesem unglücklichen, von der kleinen Herde getrennten Jünger aus. Jetzt aber ist die Wut Luzifers noch größer, seit er zu seinem größten Ärger erkannt hat, dass Christus wahrer Gott und Erlöser der Welt ist. Was wird also eine Seele zu erwarten haben, welche sich einem so unmenschlichen und grausamen Feind überliefert, einem Feind, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf unser ewiges Verderben gerichtet ist?
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1097. Meine Tochter, was du in diesem Hauptstück geschrieben hast, enthält eine der wichtigsten Lehren für alle, die, im sterblichen Fleisch wandelnd, der Gefahr ausgesetzt sind, das höchste Gut zu verlieren. Denn darin, dass der Mensch sich angelegentlich um meine Fürsprache und gnädige Vermittlung bei Gott bewirbt und dabei die Gerichte des Allerhöchsten in kluger Weise fürchtet, besteht das wirksame Mittel seine Seele zu retten und einen hohen Lohn in der ewigen Seligkeit zu erwerben. Ich sage dir darum noch einmal: unter den göttlichen Geheimnissen, welche mein heiligster Sohn seinem und meinem Lieblingsjünger Johannes in der Nacht des Abendmahles offenbarte, war auch dieses, dass er die Liebe des Herrn durch jene Liebe erworben habe, die er zu mir trug, dass dagegen Judas gefallen sei, weil er die Barmherzigkeit verachtete, die ich ihm bezeigte. Der Evangelist erfuhr damals auch mehrere der großen Geheimnisse, welche Gott an mir gewirkt und mir mitgeteilt hat. Er erfuhr, was ich während des Leidens Jesu zu erdulden haben würde und erhielt vom Herrn den Auftrag, besondere Sorge für mich zu tragen. Meine Tochter, ich verlange von dir eine Reinheit, welche die der Engel übersteigt. Wenn du dich bemühst, sie zu erwerben, dann wirst auch du, wie Johannes, mein liebstes Kind sein und die teure, geliebte Braut meines Sohnes und Herrn. Das Beispiel des Judas dagegen und sein Verderben, müssen dir zur Warnung und zum Ansporn dienen, dich meiner Liebe zu versichern und dankbar zu sein für jene, welche ich dir ohne dein Verdienst bezeige.
1098. Noch ein anderes, der Welt unbekanntes Geheimnis sollst du wissen. Eine der schändlichsten und Gott dem Herrn am meisten verhassten Sünden ist es, wenn man die Gerechten und Freunde der Kirche geringschätzt, ganz besonders aber, wenn man mich verachtet, die ich auserwählt war, die Mutter Gottes und das Heil aller Menschen zu sein. Ist es eine dem Herrn und den Heiligen des Himmels verhasste Sache, wenn man die Feinde nicht liebt und sie verachtet, wie wird es dann der Herr ertragen, dass man dies seinen teuersten Freunden tue, auf welche Er seine Augen voll Liebe gerichtet hat. Es ist dies eine Lehre von viel größerer Bedeutung, als du im sterblichen Leben zu begreifen vermagst. Denn der Hass gegen die Gerechten ist eines der Kennzeichen der Verworfenen. Meide also diese Gefahr. Richte niemand, am wenigsten jene, welche dich belehren und zurechtweisen. Hänge dich an nichts Irdisches, am allerwenigsten trachte nach Ämtern, durch deren äußeren Schein sich manche, die nur auf Äußerliches achten, verleiten und den Kopf verwirren lassen. Beneide niemand um Ehre oder irdische Güter und bitte den Herrn um nichts anderes als um seine heilige Liebe und Freundschaft. Denn der Mensch ist voll blinder Leidenschaften, Hält er sie nicht im Zaum, so begehrt und erfleht er oft etwas, was ihm zum Verderben gereicht. Und der Herr gewährt zuweilen diese Bitten zur Strafe für diese oder andere Sünden, nach seinen geheimen Gerichten, wie dies bei Judas der Fall war. Solche erhalten dann in diesen so heißbegehrten zeitlichen Gütern den Lohn für einige gute Werke, die sie etwa verrichtet haben. Hieraus siehst du, in welcher Täuschung so viele Liebhaber der Welt befangen sind. Sie achten sich glücklich, wenn sie alles erhalten, was sie ihren irdischen Neigungen gemäß verlangen. Dies ist aber gerade ihr Unglück, denn sie haben dann keinen ewigen Lohn zu erwarten, wie die Gerechten, welche die Welt verachtet haben. Diese haben oft viele Widerwärtigkeiten durchzumachen und der Herr lässt oft ihr Verlangen in zeitlichen Dingen unerhört, eben weil Er sie vor der Gefahr bewahren will. Damit du nicht in solche Gefahr geratest, ermahne ich dich, ja befehle ich dir, niemals ein irdisches Gut zu verlangen. Reiß deinen Willen von allem los, bewahre ihm Freiheit und Herrschaft. Befreie ihn von der Sklaverei der bösen Neigungen, welcher er verfällt, falls er seinen bösen Neigungen folgt. Verlange nichts als den Willen des Allerhöchsten, denn Seine Majestät trägt Sorge für jene, die sich seiner Vorsehung überlassen.
SECHSTES HAUPTSTÜCK: Verklärung Christi. Salbung durch Magdalena
Christus der Herr wird auf dem Tabor in Gegenwart seiner heiligsten Mutter verklärt. Er geht von Galiläa nach Jerusalem, um sein Leiden zu beginnen und wird zu Bethanien von Magdalena gesalbt.
1099. Bereits hatte der göttliche Heiland mehr als dreieinhalb Jahre gepredigt und Wunder gewirkt. Nun nahte die von der ewigen Weisheit festgesetzte Zeit, dass Er leiden und sterben und so der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung leisten und das Menschengeschlecht erlösen und darauf zum Vater zurückkehren sollte. Alle seine Werke dienten zu unserem Heil und zu unserer Belehrung und waren voll göttlicher Weisheit. Deshalb wollte Er auch einige seiner Apostel auf das Ärgernis vorbereiten, welches sie später bei seinem Tod nehmen würden (Mt 26, 31). Er wollte sich ihnen in dem leidensfähigen Leib, den sie später gegeißelt und gekreuzigt sehen sollten, zuerst glorreich zeigen. Sie sollten Ihn früher durch die Glorie verklärt, als durch Leiden entstellt erblicken. Der Herr hatte dies kurz zuvor in Gegenwart aller Jünger, jedoch nicht allen, sondern nur einigen von ihnen verheißen, wie der hl. Evangelist Matthäus berichtet.(Mt 16, 28 Diese Stelle verstehen auch mehrere heilige Väter von der Verklärung des Herrn. Conf. Cornel. a. Lapid. in h. I. Der Herausgeber). Zu seiner Verklärung wählte der Herr den Tabor, einen hohen Berg in der Mitte Galiläas, zwei Stunden östlich von Nazareth. Nachdem Er mit den drei Aposteln Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes auf der Spitze des Berges angekommen war, wurde Er in ihrer Gegenwart verklärt, wie es die drei hl. Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas erzählen (Mt 17,1ff; Mk 9,1 ff; Lk 9, 28ff). Sie sagen, außer den drei Aposteln seien auch die beiden Propheten Moses und Elias zugegen gewesen und hätten mit Jesus über sein Leiden gesprochen. Während der Verklärung kam im Namen des ewigen Vaters eine Stimme vom Himmel. welche sprach: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe. Diesen sollt ihr hören.»
1100. Die Evangelisten sagen nicht, dass die heiligste Jungfrau bei dem Wunder der Verklärung zugegen gewesen sei, aber sie leugnen es auch nicht. Es gehörte nicht zu ihrem Plan. Auch war es nicht zweckmäßig, das verborgene Wunder, wodurch es geschah, in dem Evangelium zu offenbaren. Mir wurde zum Schreiben dieser Geschichte folgendes mitgeteilt: Zu gleicher Zeit, da einige Engel die Seelen des Moses und Elias von ihrem Aufenthaltsort abholten, sei U. L. durch die Hände ihrer heiligen Engel auf den Berg Tabor getragen worden, damit sie ihren heiligsten Sohn verklärt sähe, was auch wirklich geschah. Allerdings bedurfte die heiligste Mutter nicht der Bestärkung im Glauben, wie die Apostel. Denn sie war in demselben bereits befestigt und unerschütterlich. Allein der Herr hatte vielerlei Absichten bei diesem Wunder der Verklärung und besondere Gründe sprechen dafür, dass er dieses große Geheimnis nicht ohne die Gegenwart seiner heiligsten Mutter feierte. Und was für die Apostel eine Gnade war, das war der Herr seiner göttlichen Mutter gewissermaßen schuldig, weil sie seine Gefährtin und Gehilfin in den Werken der Erlösung war. Dies sollte sie bleiben bis zum Fuße des Kreuzes und darum war es geziemend, dass Er sie zum Ertragen der Pein, welche ihre heiligste Seele während seines Leidens erdulden sollte, durch diese Gnade zuvor stärkte. Zudem sollte sie als Lehrmeisterin der heiligen Kirche auf Erden bleiben und auch aus diesem Grund war es geziemend, dass ihr heiligster Sohn ihr dieses Geheimnis, welches Er ihr so leicht zeigen konnte, nicht verberge, offenbarte Er ihr ja doch alle Akte seiner heiligsten Seele. Auch die kindliche Liebe Jesu zu seiner jungfräulichen Mutter war nicht dazu angetan, ihr diese Gunst zu verweigern, da Er ihr ja jede andere erwies, durch welche Er seine zarteste Liebe zu ihr kundgeben und ihre erhabene Würde ehren konnte. Aus diesen und vielen anderen Gründen, deren Aufzählung jetzt nicht notwendig ist, war, wie mir mitgeteilt wurde, Maria bei der Verklärung ihres göttlichen Sohnes gegenwärtig.
1101. Maria schaute aber nicht bloß die Menschheit des Herrn in Glorie verklärt, sondern sie hatte während der Dauer der Verklärung zugleich auch eine klare und unmittelbare Anschauung der Gottheit. Denn es war geziemend, dass sie bei dieser Gelegenheit nicht bloß in der Weise wie die Apostel, sondern in weit höherem Grad und mit einer überströmenden Fülle von Licht begnadigt würde. Auch was das Schauen des verklärten Leibes Christi betrifft, bestand zwischen der Himmelskönigin und den Aposteln ein großer Unterschied. Letztere waren nicht nur im Anfang eingeschlafen, als unser Herr sich zum Gebet zurückzog, wie der heilige Lukas berichtet (Lk 9, 32), sondern sie wurden auch beim Ertönen der Stimme vom Himmel von großer Furcht ergriffen, so dass sie, wie der hl. Matthäus erzählt (Mt 17, 6), auf ihr Angesicht niederfielen, bis Jesus zu ihnen sprach und sie aufrichtete. U. L. Frau dagegen blieb bei allem unbeweglich. Denn abgesehen davon, dass sie an so viele und große Gnaden gewöhnt war, wurde sie damals mit neuem Licht und neuer Stärke erfüllt, um die Gottheit zu schauen. Deshalb konnte sie die Glorie des verklärten Leibes Jesu unverwandten Blickes schauen, ohne, wie die Apostel, in ihrem sensitiven Teil Furcht und Schwäche zu fühlen. (Dies lehrt auch der selige Albert der Große. «Gleichwie das klare Sonnenlicht, welches kranke Augen nicht ertragen können, gesunden lieb und angenehm ist, so war auch das von der Gottheit ausströmende Licht, das die Jünger auf Tabor und den Apostel Paulus in seiner Verzückung blendete, für die allerseligste Jungfrau wie angenehmes Sonnenlicht, weil sie an Reinheit alle Kreaturen übertraf. Mariale q. 61. Der Herausgeber). Die seligste Mutter hatte, wie ich oben gesagt habe (oben Nr. 695 und 851), bereits früher den Leib ihres göttlichen Sohnes verklärt gesehen. Doch diesmal geschah es unter neuen Umständen, auf überraschendere Weise, mit ganz besonderen Erleuchtungen und Gnaden. Deshalb waren auch die Wirkungen dieser Vision in ihrer reinsten Seele außerordentlich. Sie trat aus ihr ganz erneuert, entflammt und wie in Gott umgewandelt. Solange sie im sterblichen Fleisch lebte, schwanden die Erkenntnisbilder, welche durch die Vision der verklärten Menschheit Christi ihr eingeprägt worden waren, niemals mehr aus ihrem Geiste. Dies diente ihr zwar nach dem Hingang ihres Sohnes, da ihr, wie wir im dritten Teil sehen werden, sein glorreiches Bild nebst anderen Gnaden entzogen waren, zu großem Trost. Allein sie fühlte auch die Schmach Jesu in seinen Leiden um so empfindlicher, eben weil sie ihn als den Herrn der Glorie geschaut hatte und noch immer sich vorstellte.
1102. Welche Wirkungen dieses Schauen der Glorie Christi in der heiligsten Seele U. L. Frau hervorbrachte, vermögen Menschenworte nicht zu schildern. Was Maria in so wunderbarem Glanze schaute, das war ja jener Leib, den das ewige Wort aus ihrem Blut angenommen, den sie in ihrem jungfräulichen Schoß getragen und den sie an ihrer Brust genährt hatte. Sie hörte überdies die Stimme des Vaters, der ihren eigenen leiblichen Sohn als den seinigen anerkannte und Ihn den Menschen als Lehrmeister gab. Alle diese Geheimnisse durchschaute und erwog Maria mit dankbarem Herzen und brachte dem Allmächtigen das gebührende Lob dar. Sie betete mit ihren Engeln neue Loblieder zur Feier dieses für ihre Seele und für die Menschheit ihres Sohnes so festlichen Tages.
Ich will mich aber nicht länger dabei aufhalten, dieses Geheimnis weitläufiger zu beschreiben und anzugeben, worin die Verklärung des heiligen Leibes Christi bestanden habe. Es genügt zu wissen, dass sein Angesicht glänzte wie die Sonne (Mt 17, 2), dass seine Kleider weißer wurden als der Schnee und dass diese Glorie aus der mit der Gottheit vereinigten, allzeit glorreichen Seele unseres Herrn auf den Leib überströmte. Im Augenblick der Menschwerdung nämlich wurden die glorreichen Wirkungen, welche sonst beständig aus der Seele unseres Herrn auf seinen Leib hätten überströmen müssen, wunderbarerweise zeitweilig aufgehoben. Dieses Wunder nun wurde bei der Verklärung vorübergehend unterbrochen und so nahm der reinste Leib Jesu Christi an der Glorie seiner Seele teil. Dies war jener Glanz und jene Klarheit, welche die Anwesenden schauten. Nachher trat das Wunder wieder in Kraft und die Wirkungen der glorreichen Seele Christi wurden wieder aufgehoben. Da aber die Seele Christi die Glorie ununterbrochen genoss, so ist auch dies ein Wunder gewesen, dass der Leib jene Glorie, welche er nach der gewöhnlichen Ordnung so gut wie die Seele hätte andauernd besitzen müssen, nur zeitweilig genoss.
1103. Nachdem das Geheimnis der Verklärung vollendet war, wurde U. L. Frau in ihr Haus zu Nazareth zurückgebracht. Ihr göttlicher Sohn aber stieg vom Berg herab und kam zu ihr, um von seiner Heimat Abschied zu nehmen und den Weg nach Jerusalem anzutreten, wo Er am folgenden Osterfest, das für Ihn das letzte war, leiden sollte. Nach einem Aufenthalt von nur wenigen Tagen, verließ Er Nazareth in Begleitung seiner heiligsten Mutter, seiner Apostel und Jünger sowie der heiligen Frauen und zog mitten durch Galiläa und Samaria hindurch bis nach Judäa und Jerusalem. Der heilige Evangelist Lukas beschreibt diese Reise und sagt, der Herr habe sein Angesicht nach Jerusalem gerichtet (Lk 9, 53). Er machte nämlich diese Reise mit freudigem Angesicht, mit inbrünstiger Sehnsucht nach dem Leiden und mit dem freiwilligen und wirksamen Entschluss, sich selbst für das Menschengeschlecht hinzugeben. Er sollte also nicht mehr nach Galiläa zurückkehren, wo Er so viele Wunder gewirkt hatte. Während der Heiland mit diesem Entschluss Nazareth verließ, brachte Er in seiner heiligsten Menschheit dem ewigen Vater Lob und Dank dar, für die menschliche Natur und Gestalt, die Er an diesem Ort und in diesem Haus empfangen hatte und die Er jetzt zum Leiden und Sterben für das Heil der Menschen aufopferte. Bei diesem Gebet, welches ich indes mit meinen Worten nicht vollständig wiederzugeben vermag, sprach der göttliche Heiland unter anderem folgendes:
1104. «Mein ewiger Vater, gerne und mit Freuden gehe ich hin, deinen Befehl zu vollbringen, um durch mein Leiden und Sterben deiner Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten und alle Kinder Adams mit dir zu versöhnen. Ich gehe hin, die Schuld ihrer Sünden zu bezahlen und ihnen die Pforten des Himmels zu öffnen, die durch ihre Sünden verschlossen worden sind. Ich gehe hin, um diejenigen aufzusuchen, die sich zugrunde gerichtet haben (Lk 19,10), indem sie mich hassten. Durch die Macht meiner Liebe sollen sie gerettet werden. Ich gehe hin, um zu suchen und zu sammeln, die Zerstreuten aus dem Haus Jakobs (Jes 56, 8). Ich gehe hin, um die Gefallenen aufzurichten, die Armen zu bereichern, die Durstigen zu laben, die Hochmütigen zu stürzen und die Demütigen zu erhöhen. Ich will die Hölle besiegen und den glorreichen Triumph, den du über Luzifer und die von ihm in der Welt ausgesäten Laster feierst, verherrlichen. Ich will die Fahne des Kreuzes aufpflanzen. Unter ihr sollen die Scharen jener, welche Tugend üben, streiten und kämpfen. Ich will mein Herz laben, es dürstet nach Schmach und Beschimpfungen, die so kostbar sind in deinen Augen. Ich will mich demütigen und den Tod annehmen durch die Hand meiner Feinde, damit unsere Freunde und Auserwählten geehrt, in ihren Leiden getröstet und mit hoher Glorie belohnt werden, falls sie ihr eigenes Leiden nach meinem Beispiel demütig ertragen. O ersehntes Kreuz, wann wirst du mich in deine Arme aufnehmen? O schmerzliche und doch süße Beschimpfungen und Misshandlungen, wann werdet ihr mich zum Tod führen, damit ich in meinem unschuldigen Fleisch den Tod überwinde? Schmerzen, Schmach, Geißeln, Dornen, Leiden, Tod, kommet. O kommet zu mir! Ich suche euch ja. Lasst euch schnell finden von dem, der euch liebt und euern Wert kennt. Mag auch die Welt euch hassen, ich verlange nach euch. Mag sie in ihrer Unwissenheit euch verachten, ich, der ich die Wahrheit und Weisheit bin, suche euch, weil ich euch liebe. So kommt denn zu mir ! Als Mensch werde ich euch tragen, als Gott aber werde ich euch die Ehre wiedergeben, welche die Sünde und der sündige Mensch euch geraubt hat. Kommt zu mir und täuscht meine Sehnsucht nicht, denn bin ich der Allmächtige und wollt ihr aus diesem Grunde mir nicht nahen, so gebe ich euch die Erlaubnis, all eure Kräfte an meiner Menschheit zu betätigen. Von mir werdet ihr nicht verstoßen und verabscheut werden, wie ihr verabscheut seid von den Sterblichen. Es möge nun schwinden die Täuschung und Verblendung der Adamskinder, welche der Eitelkeit und Lüge dienen (Ps 4, 3) und die Armen, Leidenden, von der Welt Geschmähten als unglücklich betrachten. Wenn sie sehen, wie ihr wahrer Gott und Schöpfer, ihr Meister und Vater Schmach und Schande, Geißelung, Qualen, Entblößung und selbst den Tod am Kreuze leidet, dann wird der Irrtum schwinden, dann werden sie es sich zur Ehre rechnen, ihrem gekreuzigten Gott zu folgen.»
1105. Dies sind einige der Gesinnungen, welche der göttliche Heiland, wie mir mitgeteilt wurde, damals in seinem Herzen trug. Was aber meine Worte nicht zu erreichen vermögen, das sagen uns die Werke und Taten, das sagen uns die Schmerzen der Passion und des Kreuzestodes, welche der Heiland mit innigster Liebe suchte und duldete, um sie auch uns annehmbar zu machen. Doch wir Kinder der Welt, wir sind schwerfälligen Herzens und lassen nicht ab von der Eitelkeit (Ps 4, 3). Während wir das Leben und die Wahrheit selbst vor Augen haben, beherrscht uns der Stolz, die Demut ist uns zuwider, das Vergnügen reißt uns fort und das Leiden gilt uns als verabscheuenswert. O bejammernswerter Irrtum, sich große Mühe zu geben, um einer kleinen zu entgehen, sich übermäßig anstrengen, um einer unbedeutenden Beschwerde auszuweichen, den törichten Entschluss zu fassen, ewige Schmach und Schande zu ertragen, um von einer ganz geringen frei zu bleiben, ja um eine eitle Scheinehre nicht zu verlieren ! Welcher Mensch mit gesundem Verstane wird sagen, dass dies wahre Selbstliebe sei ! Kann ja doch ein Todfeind mit all seinem Hass uns keinen größeren Schaden zufügen, als wir selbst uns zufügen, wenn wir Gott beleidigen. Wir sehen denjenigen, der uns schmeichelt und schöntut, dabei aber auf Verrat gegen uns sinnt, als unsern Feind an. Und offenbar wäre derjenige, welcher sich um der kurzen Freude einer solchen Schmeichelei willen dem Verräter wissentlich in die Hände lieferte, ein Tor. Wenn nun aber dem so ist - und es ist so - was sollen wir dann von den Sterblichen, von den Kindern der Welt sagen? Wo haben sie ihren Verstand? Wer hat sie von Sinnen gebracht? Wer nimmt ihnen den Gebrauch der Vernunft? O wie groß ist doch die Zahl der Toren!
1106. Maria, die heiligste Jungfrau, war unter allen Kindern Adams die einzige, welche als lebendiges Abbild ihres Eingeborenen dem Willen und dem Leben Jesu Christi so vollkommen sich gleichförmig machte, dass sie auch nicht in einem Pünktchen von seiner Lehre und seinen Werken abwich. Sie war voll der höchsten Weisheit und Klugheit und darum konnte sie unsere Unwissenheit und Torheit gutmachen und uns das Licht der Wahrheit erwerben, damit es uns erleuchte mitten in unserer dichten Finsternis. Bei der obengenannten Begebenheit schaute U. L. Frau in der heiligsten Seele ihres Sohnes, wie in einem Spiegel, alle seine inneren Akte und Anmutungen. Da nun dieses Schauen ihr zugleich Weisung und Richtschnur für ihre Handlungen war, so folgte sie dem Beispiel ihres Sohnes und verrichtete innerlich folgendes Gebet zum ewigen Vater: «Allerhöchster Gott und Vater der Erbarmungen. Ich preise deine unendliche, unveränderliche Wesenheit. Ich lobe und verherrliche dich ewiglich, dass du hier, nachdem du mir das Leben geschenkt, voll Güte die Macht deines Armes an mir entfaltet, mich zur Mutter deines Eingebornen erhoben, mit der Fülle deines Geistes ausgerüstet und deine ewigen Erbarmungen an mir, deiner niedrigen Dienerin, in so wunderbarer Weise offenbart hast. Ich sage dir Dank, dass dein und mein Eingeborner, ohne jedes Verdienst von meiner Seite, in der Menschheit, die Er von meiner Substanz angenommen hat, mich dreiunddreißig Jahre lang in seiner gnadenreichen Gegenwart duldete, wobei Er seine Gnade mir zuströmen ließ und durch seine Lehre das Herz deiner Dienerin erleuchtete. Jetzt, o Herr und ewiger Vater, verlasse ich meine Heimat und begleite nach deinem göttlichen Wohlgefallen meinen Sohn und Meister, um ihm bei dem Opfer seines Lebens, das Er für das Menschengeschlecht darbringen wird, zur Seite zu stehen. Kein Schmerz kommt dem meinigen gleich (Klgl 1,12), da ich sehen soll, wie das Lamm, welches die Sünden der Welt wegnimmt (Jer 11,19) blutdürstigen Wölfen ausgeliefert wird. Er, das lebendige Ebenbild und der Abglanz deiner Wesenheit (Hebr 1, 3). Er, welcher in vollkommener Wesensgleichheit von Ewigkeit her aus dir gezeugt ist und in alle Ewigkeit gezeugt werden wird. Er, dem ich in meinem Schoß die menschliche Natur gegeben habe. Er soll der Schmach und dem Tod am Kreuz überliefert werden. Sein schönes Antlitz, das Licht meiner Augen, die Freude der Engel, soll durch schreckliche Qualen entstellt werden ! O könnte ich doch Schmerzen und Pein übernehmen, die Ihn erwarten. Könnte ich mich dem Tod überliefern, um sein Leben zu erhalten ! O allerhöchster Vater, nimm das Opfer an, welches mein schmerzerfülltes Herz mit meinem geliebten Sohn dir darbringt, damit dein heiligster Wille geschehe ! O wie schnell eilen die Tage und Stunden dahin, um die Macht meines bitteren Schmerzes herbeizuführen! Ein glückseliger Tag wird es sein für das Menschengeschlecht, aber eine Leidensnacht für mein Herz, das dann trauern wird, weil die ihm leuchtende Sonne verschwindet. O Kinder Adams, die ihr verblendet euch selbst vergesset ! Wacht einmal auf von eurem tiefen Schlaf und erkennet die Schwere eurer Sünden aus dem Leiden, welches sie über euren Gott und Schöpfer gebracht haben. Erkennt dies auch aus meinem bittern Schmerz, dem ich erliege! Erwägt doch endlich einmal das Unheil der Sünde !»
1107. Allein es ist mir unmöglich, auf würdige Weise zu schildern, was alles U. L. Frau bei diesem letzten Abschied von Nazareth gedacht und getan hat. Unmöglich ist es mir, zu beschreiben, welche flehentliche Gebete sie an den ewigen Vater richtete, welch süße und doch schmerzvolle Unterredungen sie mit ihrem göttlichen Sohn pflog, welch bittere Schmerzen sie gelitten, welch unausprechliche Verdienste sie erworben hat. Ihr Herz wurde damals von jenem Schmerzensschwert durchbohrt, welches Simeon vorhergesagt hatte, da sie einerseits vermöge ihrer heiligen Mutterliebe das Leben Jesu zu erhalten und Ihn von den Qualen zu befreien wünschte und andererseits seinem und des ewigen Vaters Willen gleichförmig war. In dieser Betrübnis richtete sie an ihren Sohn Worte voll Klugheit und Weisheit, aber auch voll zärtlicher Trauer, weil sie Ihn dem Leiden nicht entziehen und doch auch nicht mit Ihm sterben konnte. Diese ihre Qualen überstiegen ohne Vergleich die Peinen aller Martyrer, die je gelitten haben oder noch bis zum Ende der Welt leiden werden. Mit solchen, für die Menschen verborgenen Gesinnungen nahmen der König und die Königin Himmels und der Erde ihren Weg nach Jerusalem durch Galiläa, wohin der göttliche Heiland in seinem Leben nie mehr zurückkehren sollte. In dem Maß, als die Zeit seines Leidens näher rückte, wirkte der Herr auch größere Wunder, wie die Evangelisten dieselben berichten, anfangend von dem Wegzug des Herrn aus Galiläa bis zum Tag seines triumphierenden Einzuges in Jerusalem, von welchem weiter unten die Rede sein wird. In der Zwischenzeit aber, d.h. vom Laubhüttenfeste an bis zum Einzug in Jerusalem, war er in Judäa tätig und erwartete die festgesetzte Stunde, in welcher Er sich freiwillig zum Opfer darbringen sollte.
1108. Auf dieser Reise war die heiligste Mutter beständig in der Begleitung ihres göttlichen Sohnes. Nur einige Male trennten sie sich auf kurze Zeit, um verschiedenen Arbeiten zum Heil der Seelen nachzugehen. In solchen Zeiten war dann der hl. Johannes in der Begleitung Mariä, um ihr zu Diensten zu sein. Von dieser Zeit an erhielt dieser heilige Evangelist große Erleuchtungen und erhabenes Licht über die Geheimnisse der reinsten, jungfräulichen Mutter. Zu den ausgezeichnetsten Wundern der Liebe, welche die weiseste und mächtigste Königin in jener Zeit wirkte, gehören vor allem ihre inbrünstigen und flehentlichen Bitten um das Heil der Seelen. Denn auch sie erwies nun, ihrem göttlichen Sohn gleich, den Menschen noch größere Wohltaten als zuvor. Sie brachte viele auf den Weg des Lebens zurück, heilte Kranke, besuchte Arme und Betrübte, Notleidende und Verlassene. Sie stand Sterbenden bei, diente ihnen in eigener Person, namentlich jenen, die am verlassensten und von Schmerzen und Pein am meisten heimgesucht waren. Und Zeuge von diesem Wirken Mariä war der Lieblingsjünger, welcher es bereits auf sich genommen hatte, ihr zu dienen. Da aber die Liebe der reinsten Mutter zu ihrem Sohn und ewigen Gott so groß und stark geworden war und sie Ihn im Begriff sah, sie zu verlassen und zum Vater zurückzukehren, so empfand sie beständig ein so heftiges Verlangen, Ihn zu sehen, dass sie, wenn seine Abwesenheit lange dauerte, vor Liebesschmerz beinahe verschmachtete. Der Herr aber, der als Gott und als ihr Sohn beobachtete, was im Herzen seiner heiligsten Mutter vorging, wurde dadurch gerührt, und in treuer Erwiderung sprach Er innerlich zu ihr jene Worte, die sich hier bewahrheiteten: «Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, du hast es verwundet mit einem deiner Augen (Hld 4, 9).» Denn, von ihrer Liebe verwundet und überwunden, wurde Er dann alsbald in ihre Nähe gezogen. Ja, es wurde mir mitgeteilt, Christus der Herr hätte als Mensch die Trennung von seiner Mutter nicht zu ertragen vermocht, wenn Er der mächtigen Liebe, die Er zu ihr, als seiner so innig ihn liebenden Mutter, trug, nachgegeben hätte. Er fand natürlicherweise Trost und Erquickung darin, sie zu sehen und bei ihr zu sein. Die Schönheit ihrer reinsten Seele versüßte ihm seine Mühen und Leiden, denn Er betrachtete sie als deren ganz einzige, vor allen auserwählte Frucht und der liebliche Anblick ihrer Person war ihm eine große Erquickung in seinen äußeren Schmerzen.
1109. Unser göttlicher Heiland setzte sein wunderbares Wirken in Judäa fort. Unter anderen Wundern fand in diesen Tagen die Auferstehung des Lazarus in Bethanien statt, wohin der Herr, von den beiden Schwestern Martha und Maria gerufen, gekommen war. Da dies ganz nahe bei Jerusalem geschah, so wurde dieses Wunder dort schnell bekannt. Darüber erzürnt, hielten die Hohenpriester und Pharisäer eine Versammlung, worin sie den Tod des Heilandes beschlossen und Befehl gaben, dass, wenn jemand seinen Aufenthaltsort erfahre, er davon Anzeige machen solle. Denn nach der Auferstehung des Lazarus hatte sich der Herr in eine Stadt, namens Ephrem zurückgezogen (Joh 11, 54), um bis zum nahen Osterfest dort zu verweilen. Als es nun Zeit war, zurückzukehren, um Ostern durch seinen Tod zu feiern, sprach Er sich vor seinen zwölf Jüngern, d.h. den Aposteln, deutlicher aus, und sagte zu ihnen allein, sie sollten wissen, dass sie nun nach Jerusalem hinaufgingen, dort werde des Menschen Sohn (d.h. Er selbst) den Obersten der Pharisäer überliefert, gefangen genommen, gegeißelt und verspottet werden und am Kreuz sterben. Unterdessen spähten die Priester aus, ob Er wohl auf das Fest komme. Sechs Tage vor dem Osterfest kam Jesus nochmals nach Bethanien, wo Er den Lazarus auferweckt hatte. Hier nahmen Ihn die beiden Schwestern des Lazarus auf und bereiteten Ihm, seiner heiligsten Mutter und allen, die Ihn zum Osterfest begleiteten, ein großes Abendmahl. Lazarus aber, den er einige Tage vorher auferweckt hatte, war einer von denen, die mit zu Tisch saßen.
1110. Während der Erlöser der Welt bei diesem Mahl, dem Gebrauch der Juden gemäß auf ein Polster gelehnt ruhte, trat Maria Magdalena voll himmlischen Lichtes und heiliger Gedanken in den Speisesaal. In glühendster Liebe zu ihrem göttlichen Meister goss sie über dessen Haupt und Füße ein Alabastergefäß aus, das mit einer kostbaren, wohlriechenden Salbe von Narde und anderen aromatischen Stoffen gefüllt war. Dann trocknete sie seine Füße mit ihren Haaren, wie sie es nach dem Bericht des heiligen Lukas (Lk 7, 38) bereits früher, bei ihrer Bekehrung im Haus des Pharisäers, getan hatte. Die übrigen Evangelisten erzählen diese zweite Salbung allerdings mit einiger Verschiedenheit. Doch wurde mir nicht mitgeteilt, dass unser Herr dort zweimal oder von zwei verschiedenen Frauen gesalbt worden sei. Er wurde nur von Magdalena gesalbt, welche vom Heiligen Geist und von ihrer glühenden Liebe zum göttlichen Heilande hierzu angetrieben wurde. Das ganze Haus ward voll vom Wohlgeruch der Salbe, denn sie war sehr kostbar und in großer Quantität vorhanden, und die freigebige Magdalena hatte das Gefäß zerbrochen, um die Salbe zur Ehre ihres Meisters vollständig auszugießen. Der geizige Apostel Judas aber hätte gewünscht, dass man die Salbe ihm gebe, um sie zu verkaufen und deren Preis einzuschieben. Deshalb begann er über diese geheimnisvolle Salbung zu murren und auch einige andere Apostel unter dem Vorwand der Armut und der Liebe zu den Armen aufzureizen. Denn, sagte er, durch die Verschwendung solcher Kostbarkeiten werden die Armen um das Almosen betrogen. Allein all dies war nach Gottes Anordnung geschehen, Judas aber war ein frecher und geiziger Heuchler.
1111. Der Lehrmeister der Wahrheit und des Lebens verteidigte Magdalena, da Judas ihr Verschwendung und Unklugheit vorgeworfen hatte. Der Herr sagte nämlich zu ihm und den anderen, sie sollten Magdalena in Ruhe lassen, denn diese Handlung sei nicht ohne Nutzen und nicht ohne gerechten Grund geschehen. Den Armen werde dadurch das Almosen nicht entzogen, das sie ihnen alle Tage reichen könnten. Ihm dagegen könnten sie nicht allezeit diesen Dienst erweisen. Es sei dies für sein Begräbnis geschehen, welches Magdalena, vom Himmel erleuchtet, vorbereitet habe, indem sie durch die geheimnisvolle Salbung bezeugte, dass der Herr dem Leiden für das Menschengeschlecht entgegengehe und dass sein Tod und sein Begräbnis sehr nahe bevorstehen. Doch der treulose Jünger wollte alles dieses nicht verstehen. Er wurde vielmehr gegen seinen Meister heftig aufgebracht, weil er die Handlung Magdalenas rechtfertigte. Da nun Luzifer dies verdorbene Herz in solcher Stimmung sah, schleuderte er auf es von neuem Pfeile der Habgier, des Zornes und tödlichen Hasses gegen den Urheber des Lebens ab. Nun fasste Judas den Entschluss, den Tod Jesu herbeizuführen, den Pharisäern in Jerusalem Bericht zu erstatten und Ihn mit Verwegenheit anzuklagen. Und dies tat er denn auch. Er ging heimlich zu den Pharisäern und sagte ihnen, sein Meister lehre neue Gesetze, die denen des Moses und der Kaiser widersprechen. Er liebe die Gastmähler und sei gerne bei verkommenem Volk. Er nehme viele Leute von schlechtem Lebenswandel in seine Gesellschaft auf und ziehe mit ihnen herum. Sie sollten also trachten, dem Übel zu steuern, damit nicht ein Unglück über sie komme, dem sie später nicht mehr abhelfen könnten. Da die Pharisäer in ihrer Gesinnung ohnehin schon mit Judas übereinstimmten und gleich ihm vom Fürsten der Finsternis regiert waren, so nahmen sie die Nachricht des Verräters mit Freuden an, und so wurde denn der Verkauf Christi, unseres Heilandes, vertragsmäßig ausgemacht.
1112. Alle Gedanken des Judas waren nicht nur dem göttlichen Meister, sondern auch dessen heiligster Mutter offenbar. Doch der Herr sprach darüber kein Wort mit Judas, wiewohl Er nicht aufhörte, wie ein liebevoller Vater mit ihm zu reden und seinem verstockten Herzen heilige Einsprechungen zu senden. Die Mutter der Barmherzigkeit dagegen fügte dazu neue Ermahnungen und Anstrengungen, um den übereilten Jünger zurückzuhalten. In der Nacht nach jenem Mahl - es war am Samstag vor dem Palmsonntag - rief sie ihn und sprach mit ihm unter vier Augen. In den sanftesten und eindringlichsten Worten und unter reichlichen Tränen stellte sie ihm die schreckliche Gefahr seines Zustandes vor Augen und bat ihn, seinen Plan zu ändern. Sie sagte, wenn er über seinen Meister unwillig sei, so möge er sich an ihr rächen, denn dies sei ein geringeres Übel, da sie ein bloßes Geschöpf, Jesus aber sein Meister und wahrer Gott sei. Um die Habgier dieses geizigen Herzens zu sättigen, bot ihm die göttliche Mutter einige Geschenke an, die sie zu diesem Zwecke von Magdalena erhalten hatte. Allein alle diese Bemühungen vermochten nichts über das verhärtete Gemüt des Judas, und die sanftesten, lebendigsten Worte machten keinen Eindruck auf sein Herz, das härter war als Diamant. Im Gegenteil, da er durch die Worte der weisesten Königin in Verlegenheit kam und nichts zu antworten wusste, wurde er noch wütender, zeigte sich beleidigt und schwierig. Doch scheute er sich deswegen nicht, anzunehmen, was die seligste Jungfrau ihm gab, denn er war ebenso habsüchtig als treulos. Darauf entließ ihn Maria. Sie begab sich nun zu ihrem göttlichen Sohn. Unter bitteren Tränen warf sie sich Ihm zu Füßen und richtete an Ihn Worte voll Weisheit, aber auch voll Schmerz, um ihrem geliebten Sohn ihr Mitleid zu bezeigen und ihn einigermaßen zu trösten, denn sie schaute in seiner heiligsten Menschheit, dass Er betrübt war, und zwar aus denselben Gründen, wegen welcher Er später zu den Jüngern sagte, seine Seele sei betrübt bis zum Tod. Wie ich weiter berichten werde, litt der Heiland alle diese Qualen wegen der Sünden der Menschen, die sich sein Leiden und Sterben nicht zunutze machen würden.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1113. Meine Tochter, bei Beschreibung meines Lebens verstehst und verkündest du täglich mehr und mehr die glühende Liebe, mit welcher mein Herr, dein Bräutigam, und ich mit ihm den Weg des Kreuzes betraten und für dieses Leben nur Kreuz und Leiden wählten. Es ist darum gerecht, dass du auch nach der erhaltenen Erkenntnis und meiner darauf bezüglichen, oft wiederholten Lehre dein Leben einrichtest. Diese deine Verpflichtung ist noch schwerer geworden, seitdem dich mein Sohn zu seiner Braut erwählt hat. Sie wird täglich größer, und du kannst ihr nicht genügen, wenn du nicht die Leiden mit solcher Liebe umfängst, dass es deine größte Pein ist, sie zu entbehren. Erneuere täglich in deinem Herzen diese Sehnsucht nach Leiden, denn es ist mein Wunsch, dass du in dieser Wissenschaft, welche der Welt unbekannt, ja verhasst ist, wohl unterrichtet seist. Beachte aber auch, dass Gott dem Menschen das Leiden nicht einzig deswegen schickt, damit er leide, sondern um ihn der Gnadenschätze und Reichtümer fähig und würdig zu machen, welche Er ihm für die Leiden bereithält und welche alle menschliche Vorstellung übersteigen. Zur Beglaubigung dieser Wahrheit und wie zum Pfand für dieses Versprechen wollte der Herr auf dem Tabor in meiner und einiger Jünger Gegenwart verklärt werden. Dabei richtete Er ein Gebet an seinen himmlischen Vater, welches mir allein bekannt war. Wie Er bei seinen Gebeten zu tun pflegte, demütigte Er sich zuerst vor seinem Vater und bekannte Ihn als den wahren, unendlich vollkommenen Gott. Dann flehte Er, dass alle, welche im neuen Gesetz der Gnade Ihm zuliebe und nach seinem Beispiel ihren Leib abtöten und an ihrem Leib leiden, einst auch an der Glorie seines eigenen Leibes teilnehmen und dass am Tag des Letzten Gerichtes ihre Leiber mit der Seele vereinigt auferstehen möchten, um diese Glorie, jeder im entsprechenden Grad, zu genießen. Der ewige Vater gewährte diese Bitte, und darum wollte der göttliche Heiland, dass hierüber zwischen Gott und den Menschen gleichsam ein Vertrag geschlossen werde, und dieser Vertrag sollte seine Bekräftigung erhalten durch die Glorie, welche dem Leib des Lehrmeisters und Erlösers der Menschen zuteil wurde. Denn diese Glorie war das Unterpfand, dass auch die Menschen zum Besitz der Herrlichkeit gelangen werden, welche Jesus für alle, die Ihm nachfolgen, erbeten hat. Daraus erkennt man auch den großen Wert der augenblicklichen Trübsal (2 Kor 4,17), welche die Menschen auf sich nehmen, indem sie den elenden, irdischen Freuden entsagen, ihr Fleisch abtöten und für Christus, meinen Sohn und Herrn, leiden,
1114. Wegen seiner unendlichen Verdienste, welche der Herr in seinem Gebete geltend machte, ist die Glorie, welche dem Menschen als einem Gliede Christi zukommt und von diesem als seinem Haupt verdient wurde, «eine Krone der Gerechtigkeit !». Der Mensch muss aber mit Jesus Christus vereinigt sein, und zwar durch die Gnade und durch die Nachfolge im Leiden, denn nur diesem entspricht der Lohn. Empfängt man aber schon für jedes körperliche Leiden eine Krone, so ist diese noch viel größer, wenn man Widrigkeiten erträgt sie verzeiht und mit Wohltaten vergilt wie mein heiligster Sohn und ich an Judas getan haben. Denn der Herr hat ihn nicht nur seines Apostelamtes nicht entzogen und sich nicht unwillig gegen ihn gezeigt, sondern Er hat Geduld mit ihm gehabt bis zum Ende, bis er nämlich zuletzt das Heil unmöglich machte, indem er sich dem Satan überlieferte. Während des sterblichen Lebens schreitet der Herr nur sehr langsamen Schrittes zur Rache. Im Jenseits aber wird Er diese Zögerung ersetzen durch die Schwere der Züchtigung. Wenn nun Gott soviel erträgt und so lange wartet, was sollte dann nicht ein armer Erdenwurm ertragen von seinem Mitmenschen, der seiner Natur und Stellung nach ihm gleichsteht ? Nach dieser Wahrheit und nach dem Eifer deiner Liebe zu deinem Herrn und Bräutigam musst du deine Geduld und Nachgiebigkeit sowie deine Sorge für das Heil der Seelen regeln. Ich will damit nicht sagen, dass du ruhig hinnehmen sollst, was gegen die Ehre Gottes ist. In diesem Fall würdest du nicht den wahren Eifer für das Wohl deines Nächsten haben. Aber du musst, während du die Sünde hassest, den Mitmenschen als Geschöpf Gottes lieben. Du musst ertragen und gar nicht beachten, was dir selbst angetan wird, und dich aus allen Kräften bemühen, dass soviel als möglich alle gerettet werden. Verzage nicht, wenn du nicht alsbald Erfolg siehst. Opfere vielmehr dem ewigen Vater die Verdienste meines heiligsten Sohnes auf und dazu meine Fürsprache sowie die Fürsprache der Engel und Heiligen. Denn weil Gott die Liebe ist und die Seligen in ihm sind, so üben sie auch die Liebe gegen die Erdenpilger.
SIEBENTES HAUPTSTÜCK: Einzug Christi in Jerusalem
Das unbekannte geheimnisvolle Ereignis, welches dem Triumphe Christi zu Jerusalem vorherging. Einzug Jesu in Jerusalem. Seine Aufnahme von Seiten der Bewohner.
1115. Unter den Werken, welche Gott der Herr außerhalb seiner selbst gewirkt hat und welche darum «opera ad extra Werke nach außen» genannt werden, war das größte dies, dass er menschliches Fleisch angenommen und zum Heil der Menschen Leiden und Tod erduldet hat. Es ist dies ein Geheimnis, welches die menschliche Weisheit niemals hätte ersinnen können, wenn nicht dessen Urheber selbst es durch so viele Zeugnisse und Beweise offenbart hätte. Und trotzdem haben so viele, welche dem Fleisch nach weise sind, Schwierigkeiten gehabt, ihr eigenes Glück und Heil zu glauben. Andere haben es zwar geglaubt aber nicht so, wie es in Wahrheit stattgefunden hat. Die Katholiken endlich wissen, glauben und bekennen dieses Geheimnis, gemäß dem Licht, welches die heilige Kirche hierüber besitzt. In diesem ausdrücklichen Glauben an die offenbarten Geheimnisse bekennen wir auch jene Wahrheiten, welche in den offenbarten zwar eingeschlossen sind, aber nicht ausdrücklich offenbart werden mussten, weil ihre Kenntnis nicht unumgänglich notwendig ist. Die einen bewahrt Gott bis zur gelegenen Zeit auf, die anderen bis zum Jüngsten Tage, an welchem alle Herzen vor dem gerechten Richter offenbar werden.
Als Gott der Herr mir den Auftrag gab, diese Geschichte zu schreiben, hatte Er, wie ich bereits gesagt habe (Teil 1, Nr. 10 und Teil 2, Nr. 678) und wie mir oftmals erklärt wurde, die Absicht, einzelne dieser unbekannten Geheimnisse zu offenbaren, und zwar in der Weise, dass dabei keine menschlichen Meinungen und Vermutungen mit unterlaufen. Und so habe ich denn auch bereits viele mir mitgeteilte Geheimnisse beschrieben, und viele andere, welche ebenso großer Verehrung als Bewunderung würdig sind, bleiben, wie ich sehe, noch übrig. Auf diese möchte ich die Frömmigkeit und den Glauben der Katholiken vorbereiten, denn wer gläubig ist wird keine Schwierigkeit finden in der Nebensache, da er die Hauptsache der katholischen Wahrheiten mit göttlichem Glauben bekennt. Auf diese Hauptwahrheiten gründet sich ja alles, was ich geschrieben habe und in der Folge noch schreiben werde, namentlich über das Leiden unseres Erlösers.
1116. Wie ich im vorausgehenden Hauptstück gesagt habe, zog sich unser göttlicher Meister an jenem Samstag, nach dem Abendmahl, da Er von Magdalena in Bethanien gesalbt wurde, allein in sein Betzimmer zurück. Die Heiligste Mutter aber begab sich, nachdem sie den verstockten Judas verabschiedet hatte, zu ihrem liebevollsten Sohn und schloss sich wie gewöhnlich seinen Gebeten und Übungen an. Der Herr war bereits im Begriff, den schwersten Kampf seiner ganzen Laufbahn zu beginnen, die Er nach den Worten Davids (Ps 19, 7) vom «äußersten Himmel her» angetreten hatte, um nach Überwindung von Satan, Sünde und Tod wieder dahin zurückzukehren. Als gehorsamster Sohn ging Er dem Leiden und dem Kreuze freiwillig entgegen. Und da nun dieses Leiden so nahe bevorstand, so opferte Er sich dem ewigen Vater aufs neue dazu auf. Zur Erde auf sein Angesicht niedergeworfen, lobte und pries Er seinen Vater in einem inbrünstigen Gebete mit gänzlicher Ergebung und nahm die Schmach seines Leidens, die Schande, die Qualen und den Tod des Kreuzes an, zur Ehre seines Vaters und zur Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes. Die heiligste Mutter aber, im selben geheiligten Betzimmer, in einiger Entfernung von ihrem geliebten Sohn und Herrn kniend, vereinigte ihre Gebete mit den seinigen, und beide, der Sohn wie die Mutter, vergossen dabei vor Inbrunst ihrer heiligsten Herzen reichliche Tränen.
1117. Da geschah es, dass kurze Zeit vor Mitternacht, während Jesus und Maria beteten, der ewige Vater in sichtbarer menschlicher Gestalt mit dem Heiligen Geist erschien, begleitet von einer unabsehbaren Schar Engel, welche kamen, um Zeugen dieses himmlischen Schauspieles zu sein. Der himmlische Vater nahm das Opfer Christi, seines allerheiligsten Sohnes, an und gab die Zustimmung, dass die Strenge seiner Gerechtigkeit sich an seinem Sohn vollziehe, damit die Welt Verzeihung erlange. Darauf wandte sich der ewige Vater an die göttliche Mutter und sprach: «Maria, unsere Tochter und Braut, es ist mein Wille, dass du deinen Sohn aufs neue hingebst, dass Er mir geopfert werde, denn auch ich gebe Ihn hin für die Erlösung der Menschen.» Die demütige, unschuldige Taube erwiderte: «O Herr! ich bin nur Staub und Asche und unwürdig, dass dein Eingeborner, der Erlöser der Welt, auch mein Eingeborner sei. Doch voll Unterwerfung unter deine unaussprechliche Güte, welche Ihm in meinem Schoß Menschengestalt verliehen hat, opfere ich Ihn deinem göttlichen Wohlgefallen auf, und mit Ihm opfere ich mich selbst. Ich flehe zu dir, o Herr und ewiger Vater, nimm mich an, damit ich zugleich mit deinem und meinem Sohn leide!» Der ewige Vater nahm auch dieses Opfer der seligsten Jungfrau Maria wohlgefällig an. Dann sprach Er, den Sohn und die Mutter von der Erde erhebend, also: «Dieses ist die gebenedeite Frucht der Erde, wie mein Wille sie verlangt.» Darauf erhöhte Er seinen menschgewordenen Sohn auf den Thron seiner Majestät und setzte Ihn zu seiner Rechten mit der nämlichen Macht und Hoheit, die Ihm selbst eigen war.
1118. Die heiligste Jungfrau blieb zwar an der Stelle, wo sie stand, wurde aber ganz verklärt und mit wunderbarem Jubel und Lichtglanz erfüllt. Da sie ihren Eingebornen zur Rechten seines ewigen Vaters sitzen sah, sprach sie feierlich jene Anfangsworte des 110. Psalmes, in welchen David dieses Geheimnis vorhergesagt und angedeutet hatte: «Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten (Ps 110,1).» Dann sprach die Himmelskönigin, die genannten Worte gleichsam erklärend, zur Ehre des ewigen Vaters und des menschgewordenen Wortes einen geheimnisvollen Lobgesang. Nachdem sie geendet hatte, setzte der himmlische Vater das übrige des Psalmes bis zum Ende fort, gleichsam um den ganzen Inhalt dieser tiefen, geheimnisvollen Worte durch seinen unveränderlichen Beschluss zur Ausführung zu bringen. Es wird mir sehr schwer, in beschränkte Worte zu fassen, was ich von diesem Geheimnis erkannt habe. Doch will ich mit Gottes Hilfe wenigstens einiges hiervon sagen, damit dieses verborgene Geheimnis, dieses Wunder des Allmächtigen und was er dabei der seligsten Jungfrau und den anwesenden himmlischen Geistern zu verstehen gab, wenigstens zum Teil bekanntwerde.
1119. Der ewige Vater fuhr fort und sprach: «Bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege.» Denn weil du dich nach meinem ewigen Willen erniedrigt hast, so hast du verdient über alle Geschöpfe erhöht zu werden und in deiner menschlichen Natur zu meiner Rechten zu herrschen für ewige Dauer. Du hast verdient, dass ich deine Feinde während der ganzen Ewigkeit deinen Füßen und deiner Herrschaft unterwerfe als der Herrschaft ihres Gottes, des Erlösers der Menschen. So sollen jene, welche dich nicht anerkannt und dir nicht gehorcht haben, deine Füße, d.h. deine Menschheit erhöht und verherrlicht sehen. Jetzt führe ich dies zwar noch nicht aus, denn der Ratschluss der Erhöhung muss vollzogen werden, aber ich will, dass jetzt schon mein himmlischer Hof sehe, was einst die bösen Geister und die Menschen schauen werden: dass ich dich zu meiner Rechten erhebe zu gleicher Zeit, da du dich zum schmachvollen Tod des Kreuzes erniedrigt hast. Und wenn ich dich dem Kreuz und der Bosheit deiner Feinde überlasse, so geschieht dies zu meiner Ehre und zu meinem Wohlgefallen, aber auch dazu, damit deine Widersacher einstens zu ihrer größten Schmach dir zu Füßen gelegt werden.
«Das Zepter deiner Macht wird der Herr ausgehen lassen aus Zion. Herrsche inmitten deiner Feinde.» Ich, der allmächtige Gott, ich, «der ich bin, wer ich bin», ich werde wahrhaft und wirklich das Zepter deiner unüberwindlichen Macht senden und leiten. Nicht erst dann, wenn du über den Tod triumphiert und die Erlösung der Menschen vollendet hast, sollen die Sterblichen dich als ihren Heiland, ihren Führer, ihr Haupt und als den Herrn des Weltalls erkennen, sondern jetzt schon, ehe du den Tod erleidest und während die Menschen dich noch verachten und auf dein Verderben sinnen, sollst du einen wunderbaren Triumph erringen. Ich will, dass du wie über den Tod, so auch über ihre Bosheit triumphierest. Durch deine Macht sollen die Menschen dazu vermocht werden, dich freiwillig zu ehren, dich mit gebührender Verehrung zu bekennen und anzubeten. Die bösen Geister sollen durch das Zepter deiner Macht überwunden und beschämt werden. Die Propheten und Gerechten endlich, welche dich in der Vorhölle erwarten, sollen mit meinen Engeln diese wunderbare Erhöhung schauen, welche du nach meinem Willen verdient hast.
«Bei dir ist der Ursprung am Tag deiner Kraft. Im Glanz der Heiligen habe ich dich aus meiner Fruchtbarkeit gezeugt vor dem Morgenstern.» Am Tag deiner Kraft, welche du besitzest um über deine Feinde zu triumphieren, bin ich in dir und mit dir als der Ursprung, aus welchem du durch ewige Zeugung von meinem fruchtbaren Verstand schon vor der Bildung des Morgensternes der Gnade, durch den wir uns den Menschen offenbaren wollen, hervorgehst in dem herrlichen Glanze, dessen sich die Heiligen erfreuen werden, wenn sie durch unsere Glorie verklärt sind. Auch deiner Menschheit nach ist dein Ursprung bei dir und bist du gezeugt worden am Tag deiner Kraft. Denn von dem Augenblicke an, da du das menschliche, zeitliche Leben erhalten hast im Schoß deiner Mutter, hast du schon die Verdienste (Gnade) besessen, welche du jetzt besitzest und welche dich der Ehre und Glorie würdig machen, mit welcher deine Kraft gekrönt werden soll an diesem Tage und an dem Tage meiner Ewigkeit.
«Der Herr hat geschworen, und es wird Ihn nicht gereuen: Du bist Priester ewiglich nach der Ordnung Melchisedechs.» Ich, der Herr, der ich allmächtig bin, um zu erfüllen, was ich verspreche, ich habe mit der Festigkeit eines unabänderlichen Eides beschlossen, dass du der Hohepriester der neuen Kirche und des Gesetzes des Evangeliums seist und zwar nach der alten Ordnung des Priesters Melchisedech. Denn du wirst der wahre Priester sein, der das Brot und den Wein opfert, welche durch das Opfer Melchisedechs vorgebildet wurden. Und dieser Beschluss wird mich nicht gereuen, denn deine Opfergabe wird rein, wohlgefällig und ein Opfer des Lobes für mich sein.
«Der Herr zu deiner Rechten wird Könige zerschmettern am Tag seines Zornes.» Ich, der ich ein Gott mit dir bin, ich werde die Macht und Tyrannei zerschmettern, welche «die Fürsten der Finsternis, die Beherrscher der Welt (Eph 6,12)», d.h. die abtrünnigen Engel und bösen Menschen geübt haben, indem sie dich nicht anbeten, nicht anerkennen und dir nicht als ihrem Gott, Herrn und Haupt dienen wollten. Ich werde sie zerschmettern durch das Werkzeug und durch die Werke deiner Menschheit deren Rechte die mit ihr vereinigte Gottheit ist und in deren Kraft du jene Werke zu vollbringen hast. Ich habe diese Züchtigung vollzogen, als Luzifer mit seinem Anhang dich nicht anerkannte. Damals war für diese der Tag meines Zornes. Später wird der Tag des Zornes kommen für die Menschen, welche dich nicht angenommen und dein heiliges Gesetz nicht befolgt haben. Sie alle werde ich in meinem gerechten Zorn demütigen und zerschmettern.
«Er wird richten die Völker, große Niederlage anrichten, zerschmettern die Häupter in vielen Landen.» Wenn deine Sache gerechtfertigt sein wird gegenüber allen Adamskindern, welche deine Barmherzigkeit, mit der du sie von der Sünde und vom ewigen Tod erlösest, nicht benützen werden, dann werde Ich, der Herr, alle Völker mit Billigkeit und Gerechtigkeit richten. Ich werde die Gerechten und Auserwählten von den Sündern und Verworfenen scheiden. Ich werde mit ihnen die Lücken ausfüllen, die durch den Sturz der abgefallenen Engel, welche die Gnade und ihre Wohnstätte verloren haben, entstanden sind. Dabei werde Ich auf Erden das Haupt der Stolzen - und ihre Zahl wird groß sein - zerschmettern wegen ihres bösen, verstockten Willens.
«Aus dem Bach am Weg wird Er trinken; darum wird Er emporheben das Haupt.» Der Herr, der Gott der Rache, wird dein Haupt verherrlichen. Er wird sich erheben, um die Erde zu richten und die Stolzen zu züchtigen. Als hätte Er den Strom seines Zornes getrunken, wird Er seine Pfeile im Blut seiner Feinde tränken (Dtn 32, 42), und mit dem Schwert seiner Rache wird Er sie auf eben dem Weg zuschanden machen, auf welchem sie zur Seligkeit hätten gelangen sollen. So wird Er dein Haupt erheben und es erhöhen über deine Feinde, welche deinem Gesetz nicht gehorchten und der Wahrheit deiner Lehre nicht glaubten. Und dies wird gerecht sein, weil du den Strom der Schmach und Schande bis zum Tod des Kreuzes getrunken hast zur Zeit, als du ihre Erlösung bewirktest.
1120. Solche und andere höchst erhabene Erkenntnisse erhielt die heiligste Jungfrau Maria von den geheimnisvollen Worten dieses Psalmes, welche der ewige Vater aussprach. Einige dieser Verse reden zwar in der dritten Person, allein der ewige Vater sprach sie in seinem und seines menschgewordenen Sohnes Namen aus. Diese Geheimnisse umfassen hauptsächlich zwei Punkte: einerseits Drohungen gegen die Sünder, die Ungläubigen und die schlechten Christen, weil sie entweder den Erlöser der Welt nicht aufgenommen oder seine göttlichen Gebote nicht beobachtet haben. Andererseits Verheißungen, welche der ewige Vater seinem menschgewordenen Sohn macht, dass er seinen heiligen Namen gegen und über seine Feinde erhöhen werde. Und gleichsam zum Unterpfand und Vorbild dieser Erhöhung, welche unserem Erlöser nach seiner Himmelfahrt zuteil wurde und welche ihm ganz besonders beim Jüngsten Gerichte zuteil werden wird, ordnete der ewige Vater an, dass Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem jene Ehre und jenen Beifall erntete, welche die Einwohner der heiligen Stadt Ihm am Tage nach dieser geheimnisvollen Vision bezeigten. Als letztere beendigt war, verschwanden der himmlische Vater und der Heilige Geist und ebenso die Engel, welche voll Bewunderung dieses Geheimnis mitgefeiert hatten. Der göttliche Heiland aber und seine heiligste Mutter brachten den übrigen Teil dieser heiligen Nacht in himmlischen Gesprächen zu.
1121. Am folgenden Tag, welcher unserem Palmsonntag entspricht, ging der Herr mit seinen Jüngern Jerusalem zu. Viele Engel begleiteten und priesen Ihn, weil sie Ihn so voll Liebe zu den Menschen, so voll Eifer für ihr ewiges Heil sahen. Nachdem sie ungefähr zwei Stunden weit gegangen und nach Bethphage gekommen waren, sandte der Herr zwei Jünger ab zu dem nahen Haus eines angesehenen Mannes (Mt 21,1). Mit dessen Zustimmung nahmen sie eine Eselin und deren Füllen, auf dem noch kein Mensch gesessen war. Unser Herr ging auf Jerusalem zu. Die Jünger legten ihre Kleider und Mäntel auf die Eselin und das Füllen, denn Er bediente sich bei der bei diesem Triumph, gemäß den Prophezeihungen des Jesajas und Zacharias (Mt 21,1 - 2 Jes 62,11; Sach 9, 9), welche dies viele Jahrhunderte vorher aufgezeichnet hatten, damit es den Priestern und Schriftgelehrten nicht unbekannt bliebe. Alle vier Evangelisten haben gleichfalls diesen wunderbaren Triumph Christi beschrieben. Sie berichten, was dabei für die Augen der Umstehenden sichtbar war. Unterwegs nun begrüßten die Jünger und mit ihnen alles Volk, Große und Kleine, den Erlöser als den wahren Messias, den Sohn Davids, als Heiland der Welt und wahren König. Die einen riefen: «Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Gebenedeit sei, der da kommt als König im Namen des Herrn!» Andere sagten: «Hosanna dem Sohn Davids ! Rette uns, Sohn Davids ! Gebenedeit sei das Reich unseres Vaters David, welches jetzt gekommen ist!» Einzelne schnitten zum Zeichen des Triumphes und der Freude Palmen und Baumzweige ab und streuten sie auf den Weg. Auch ihre Kleider breiteten sie auf den Weg, auf welchem der neue Siegesheld, Christus unser Herr, einherzog.
1122. Alle diese Zeichen der Verehrung und Bewunderung, welche die Menschen dem menschgewordenen Sohn Gottes gaben, waren eine Kundgebung der Macht seiner Gottheit um so mehr, da alles dies geschah, während die Priester und Pharisäer Jesus erwarteten und suchten, um Ihm in eben dieser Stadt das Leben zu nehmen. Denn wären jene Menschen nicht innerlich durch seine göttliche Kraft und durch innere Erleuchtung über seine Wunderwerke angetrieben worden, so hätte sich ganz gewiss nicht eine solche Menge Menschen, darunter viele Heiden und andere erklärte Feinde, vereinigt, um Jesus als wahren König, Erlöser und Messias zu begrüßen. Sie hätten sich nicht herbeigelassen, einem armen, demütigen und verfolgten Menschen zu huldigen, einem Menschen, der nicht mit Waffengewalt und menschlicher Macht. nicht mit Triumphwagen und stolzen Pferden, nicht mit reichen Schätzen beladen einherzog. Dem äußeren Schein nach gebrach dem Heiland alles. Er zog ein auf einer armen Eselin, einem in den Augen der eitlen und prachtliebenden Welt ganz verächtlichen Tier. Nur das Angesicht Jesu war ernst, ruhig und voll Majestät, entsprechend seiner verborgenen Würde. Alles andere aber war dem, was die Welt schätzt und feiert, fremd und zuwider. So war es also die Macht Gottes, welche sich in jenen Wirkungen offenbarte. Sie war es, welche mit freiwirkender Kraft die Herzen der Menschen bewog, ihrem Schöpfer und Erlöser zu huldigen.
1123. Allein nicht bloß in Jerusalem zeigte sich diese allgemeine Bewegung. Nicht bloß in der Heiligen Stadt wurden die Herzen der Menschen durch göttliches Licht angetrieben, unserem Heiland zu huldigen, sondern der Triumph dehnte sich auf alle, wenigstens auf alle vernunftbegabten Geschöpfe aus, damit in Erfüllung ginge, was nach dem oben Gesagten der ewige Vater seinem eingeborenen Sohn versprochen hatte. Zur selben Stunde nämlich, als unser Heiland Jesus Christus in Jerusalem einzog, wurde der heilige Erzengel Michael abgesandt, um die heiligen Väter und Propheten in der Vorhölle von diesem wunderbaren Ereignis zu benachrichtigen. Zu gleicher Zeit hatten alle Heiligen in der Vorhölle eine besondere Vision, in welcher sie den Einzug des Herrn und alles, was dabei geschah, deutlich sahen. Unter Lobpreis und Anbetung brachten sie von ihrem Aufenthaltsort aus unserm Meister und Herrn Jesus Christus ihre Huldigung dar. Sie bekannten Ihn als den wahren Gott und sangen neue Dankeshymnen und Loblieder zu Ehren des wunderbaren Triumphes, den Er über Sünde, Tod und Hölle feierte.
Überdies bewegte Gottes Allmacht auch die Herzen vieler anderer Menschen, die auf der Welt da und dort lebten. Denn nicht nur in Palästina und der Umgegend, sondern auch in Ägypten und in anderen Ländern wurden jene, die an unsern Herrn glaubten oder ihn kannten, in jener Stunde angetrieben, ihren und unseren Erlöser im Geist anzubeten. Sie taten dies mit außerordentlicher Freude ihrer Herzen infolge des ihnen verliehenen göttlichen Lichtes. Über den Ursprung und Zweck dieser inneren Bewegung waren sie freilich nicht im klaren. Allein dieselbe war doch nicht ohne Frucht für ihre Seelen, denn sie verlieh ihnen kräftigen Beistand zum Fortschritt in der Tugend und zum Vollbringen guter Werke. Damit endlich auch der Triumph über den Tod. welchen unser Heiland bei dieser Gelegenheit errang, desto glorreicher sei, nahm der Allerhöchste für jenen Tag dem Tod seine Macht über das Leben der Menschen, so dass an jenem Tag kein Mensch auf der ganzen Welt starb, obwohl natürlicherweise viele gestorben wären, wenn Gottes Allmacht dies nicht verhindert hätte, damit der Triumph unseres Herrn in jeder Hinsicht wunderbar wäre.
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2. Teil 6. Buch 7. Hauptstück
1124. Diesem Sieg über den Tod folgte der Sieg über die Hölle, ein Sieg, der zwar verborgener, aber auch glorreicher war als der erstere. In demselben Augenblick nämlich, als die Menschen anfingen, unseren Lehrmeister Jesus Christus als Heiland und König, der im Namen des Herrn komme, anzurufen und zu begrüßen, fühlten die bösen Geister an sich die Macht seiner Rechten, welche sie allesamt, soviel ihrer auf Erden waren, von ihren Aufenthaltsorten verjagte und in die tiefen Kerker der Hölle schleuderte. So kam es, dass während dieses kurzen Zuges Jesu Christi kein einziger böser Geist auf Erden weilte, alle waren mit Wut und Schrecken in den Abgrund gestürzt. Von da an vermuteten sie mit größerer Sicherheit als bisher, dass sich der Messias bereits in der Welt befinde. Unverweilt hielten sie, wie ich im folgenden Hauptstück sagen werde, eine Versammlung, in welcher sie sich über diese ihre Befürchtung gegenseitig besprachen.
Der Heiland der Welt setzte seinen Triumphzug fort bis zum Eintritt in Jerusalem. Die Engel, welche Ihn begleiteten und schauten, sangen Ihm mit wunderbarer Harmonie erhabene Loblieder. Nachdem Er unter dem Jubel aller Bewohner in die Stadt eingezogen war, stieg Er von dem Lasttier und lenkte seine schönen, würdevollen Schritte zum Tempel. Dort verrichtete Er unter dem Staunen aller Anwesenden jene Wunderwerke, welche die Evangelisten berichten (Mt 21,12 ff; Lk 19, 45 ff). Er stieß die Tische derjenigen um, welche im Tempel kauften und verkauften, und voll Eifer für die Ehre des Hauses seines Vaters jagte Er jene hinaus, welche ihn zu einem Handelshaus und zu einer Räuberhöhle gemacht hatten. In demselben Augenblick, als der Triumph beendigt war, hob Gott der Herr den Gnadeneinfluss, den Er den Herzen der Bewohner Jerusalems hatte zukommen lassen, wieder auf. Die Gerechten waren infolge davon noch gerechter geworden, viele waren in den Gnadenstand erhoben worden, andere aber kehrten zu ihren Lastern und schlechten Gewohnheiten zurück, weil sie aus den himmlischen Erleuchtungen und Eingebungen keinen Nutzen zogen. Und obwohl so viele den Herrn als den König Jerusalems begrüßt hatten, so fand sich doch kein einziger, der Ihn in sein Haus aufgenommen und beherbergt hätte.
1125. Der Sohn Gottes blieb unter beständigem Lehren und Unterweisen im Tempel bis zum Abend. Um zu zeigen, weIche Ehrfurcht diesem heiligen Ort, dem Haus des Gebetes gebühre, ließ Er sich nicht einmal ein Glas Wasser bringen, sondern kehrte ohne jede Erfrischung abends nach Bethanien zurück, von wo Er gekommen. An den folgenden Tagen ging Er wieder nach Jerusalem, bis zum Beginn seines Leidens (Mt 21,18). Die göttliche Mutter Maria hatte diesen Tag zu Bethanien in der Zurückgezogenheit zugebracht um von da aus in besonderer Vision alles zu schauen, was bei dem wunderbaren Triumph ihres Sohnes vor sich ging. Sie sah, was die Engel im Himmel und die Menschen auf Erden taten und was den bösen Geistern in der Hölle widerfuhr. Sie sah, wie der ewige Vater durch diese Wunder das Versprechen erfüllte, das Er seinem menschgewordenen Sohn gegeben hatte, als Er Ihm die Herrschaft über alle seine Feinde verlieh. U. L. Frau sah auch, was unser Heiland während dieses Einzuges und im Tempel getan hat. Sie hörte jene Stimme des Vaters, die vor den Umstehenden vom Himmel erscholl und unseren Herrn anredend also sprach: «Ich habe dich verherrlicht und werde dich ferner verherrlichen (Joh 12, 28).» Dadurch gab der himmlische Vater zu verstehen, dass Er, abgesehen von dem glorreichen Triumph, den Er seinem menschgewordenen Sohn an diesem Tage verliehen hatte, Ihn auch in Zukunft, nämlich nach seinem Tod, verherrlichen werde. Denn alles dieses liegt in den obigen Worten des ewigen Vaters, und so verstand es auch die seligste Jungfrau mit unbeschreiblichem Jubel ihres reinsten Herzens.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1126. Meine Tochter, du hast einiges niedergeschrieben und noch mehr erkannt von den Geheimnissen, welche vor und bei dem triumphierenden Einzug meines heiligsten Sohnes in Jerusalem stattfanden. Viel mehr aber wirst du hierüber einstens im Herrn schauen, denn während eurer Pilgerschaft auf Erden könnt ihr Sterblichen dies nicht fassen. Indes haben die Menschen in dem, was geoffenbart ist hinlängliche Belehrung und Unterweisung, um zu verstehen, wie erhaben die Gerichte des Herrn sind und wie verschieden von ihren Gedanken (Jes 55, 9). Der Allerhöchste sieht das Herz der Menschen (1 Sam 16, 7), das Innere, wo die Herrlichkeit der Königstochter sich findet (Ps 45,14), die Menschen dagegen schauen auf das Äußere und Sinnenfällige. Darum sind in den Augen seiner Weisheit die Gerechten und Auserwählten geachtet und erhöht, da sie sich erniedrigen und demütigen, die Stolzen dagegen werden von ihm verabscheut und erniedrigt, da sie sich erhöhen. Meine Tochter, nur wenige verstehen diese Wissenschaft. Deshalb verlangen und suchen die Kinder der Finsternis keine andere Ehre und Erhöhung als jene, welche die Welt gibt. Die Kinder der heiligen Kirche aber bekennen allerdings, dass diese Ehre eitel und gehaltlos ist und dass sie nicht länger besteht als Blüte und Gras. Allein sie handeln nicht nach dieser Wahrheit. Ihr Gewissen gibt ihnen nicht das treue Zeugnis, dass sie Tugenden üben und das Licht der Gnade Gottes besitzen, und darum suchen sie das Ansehen bei den Menschen. Sie suchen Ehre und Beifall, wie ihn die Menschen zu geben vermögen, obwohl das alles falsch, trügerisch und voll Lüge ist. Gott allein ist es, welcher, ohne sich zu täuschen, jene ehrt und erhöht, welche es verdienen. Die Welt dagegen pflegt die Sache verkehrt zu machen. Sie erweist denjenigen Ehre, welche solche am wenigsten verdienen oder welche sich mit größerer Gier und Geschicklichkeit darum bewerben.
1127. Von einer solchen Verirrung halte dich fern, meine Tochter ! Finde kein Wohlgefallen am Lob der Menschen, nimm ihre Schmeicheleien und Komplimente nicht an. Lege jedem Dinge den Namen und den Wert bei, welchen es verdient, denn die Weltkinder handeln gar blind in diesem Stück. Niemand konnte die Ehre und den Beifall der Menschen in dem Grad verdienen wie mein heiligster Sohn. Und dennoch hat Er die Ehre verachtet, die Ihm bei seinem Einzug in Jerusalem gezollt wurde. Er hat sich derselben schnell entledigt, denn sie war nur dazu bestimmt, seine Allmacht zu offenbaren, sein Leiden desto schimpflicher zu machen und die Menschen zu belehren, dass niemand die Ehrenbezeigungen der Welt für sich selbst annehmen darf, wenn er sie nicht auf einen höheren Zweck, nämlich auf die Ehre des Allerhöchsten, beziehen kann. Denn sonst sind sie eitel und nutzlos. Die wahre Glückseligkeit eines Geschöpfes, das zur ewigen Seligkeit bestimmt ist, kann nicht in diesen weltlichen Ehren bestehen.
Wie ich sehe, möchtest du wissen, warum ich bei diesem Triumph meines göttlichen Sohnes nicht anwesend war. Ich will deinem Verlangen entsprechen und erinnere dich darum an das, was du so oftmals in dieser Geschichte geschrieben hast hinsichtlich der Vision, durch welche ich die inneren Handlungen meines lieben Sohnes in dem reinsten Spiegel seiner Seele schaute. Durch diese Vision sah ich in seinem Willen, wann und zu welchem Zweck Er sich von mir entfernen wollte. Dann warf ich mich zu seinen Füßen nieder und bat, Er möge mir erklären, was ich tun solle. Manchmal gab Er mir seinen Willen in bestimmter Weise, durch einen ausdrücklichen Befehl zu erkennen. Manchmal stellte Er mir die Wahl anheim, damit ich dieselbe gemäß der mir gewährten himmlischen Erleuchtung und Klugheit treffe. Letzteres tat Er, als Er sich zu seinem triumphierenden Einzug in Jerusalem entschloss. Er ließ es mir frei, Ihn zu begleiten oder in Bethanien zu bleiben. Ich bat Ihn nun um die Erlaubnis, diesem geheimnisvollen Ereignisse fernbleiben zu dürfen, fügte aber die dringende Bitte bei, dass Er mich später mit sich nehme, wenn Er zum Leiden und Sterben nach Jerusalem ginge. Denn ich dachte, es sei weiser und in seinen Augen wohlgefälliger, wenn ich mich zur Teilnahme an den Demütigungen und Schmerzen seiner Passion anbiete, als wenn ich die ihm erwiesene Ehre teile. Diese Ehre hätte ja, wenn ich gegenwärtig gewesen wäre, teilweise auch mir, als seiner Mutter, gegolten, da ich jenen bekannt war, die den Herrn lobten und priesen. Außerdem aber, dass dieser Triumph für mich nicht wünschenswert war, erkannte ich, derselbe sei bestimmt zur Offenbarung seiner Gottheit und Allmacht. An dieser hatte ich aber keinen Teil. Auch hätte ich durch die Ehre, welche mir damals erwiesen worden wäre, jene nicht vermehrt, welche dem Heiland als dem einzigen Erlöser des Menschengeschlechtes gebührte. Damit ich mich aber in der Zurückgezogenheit dieses Geheimnisses erfreue und den Allerhöchsten in seinen Wundern verherrliche, wurde mir in meiner Einsamkeit die Vision und das Verständnis alles dessen gewährt, was du geschrieben hast. Dies soll dir zur Lehre dienen. Folge meinen demütigen Schritten. Schäle dein Herz von allem Irdischen los, erhebe deinen Geist zum Himmel, dann wirst du die Ehrenbezeigungen der Menschen fliehen und verabscheuen, denn du wirst im göttlichen Licht erkennen, dass sie nur Eitelkeit der Eitelkeit und Geistesplage sind (Koh 1,14).
ACHTES HAUPTSTÜCK: Beratungen der bösen Geister und der jüdischen Hohenpriester gegen Jesus
Die bösen Geister versammeln sich in der Hölle, um sich wegen des feierlichen Einzuges Christi in Jerusalem zu beraten. Ergebnis dieser Versammlung. Die Hohenpriester und Pharisäer halten in Jerusalem gleichfalls einen Rat.
1128. Alle Geheimnisse des Triumphes unseres Herrn waren, wie gesagt, groß und wunderbar, doch nicht geringere Bewunderung verdient in seiner Art das, was durch Gottes Allmacht der Hölle widerfuhr, als die bösen Geister beim Einzug Christi in Jerusalem in den Abgrund gestürzt wurden. Zwei volle Tage, vom Sonntag bis zum Dienstag, blieben sie dort von der Hand Gottes niedergehalten, voll quälender, verwirrter Wut, welche sie durch furchtbares Gebrüll allen Verdammten kundgaben. Dieses ganze stürmische Reich der Hölle erlitt darüber außergewöhnliche Angst und Qual. Luzifer, der Fürst der Finsternis, war verwirrter als alle anderen. Er rief darum sämtliche bösen Geister der Hölle zusammen, nahm als ihr Haupt einen erhabenen Sitz ein und sprach:
1129. «Es ist nicht anders möglich, als dass dieser Mensch mehr als ein Prophet ist, da Er in solcher Weise uns verfolgt, unsere Macht untergräbt und meine Kräfte niederschmettert. Moses, Elias, Elisäus und andere unserer Feinde in alter Zeit haben zwar auch Wunder gewirkt, doch niemals haben sie uns mit solcher Wucht überwunden. Auch waren mir nicht so viele ihrer Werke verborgen wie bei diesem. Insbesondere kann ich von dem, was in seinem Innern vorgeht, nur sehr wenig gewahren. Wie wäre ein bloßer Mensch zu solchen Werken fähig und wie könnte Er jene höchste Macht über alles kundgeben, welche man Ihm allgemein zuschreibt? Ruhig und ohne Stolz empfängt Er das Lob und die Ehre, welche die Menschen Ihm deswegen zollen. Bei seinem triumphierenden Einzug in Jerusalem hat Er eine ungewöhnliche Macht über uns und über die Welt gezeigt. Ich bin zu schwach, um mein Verlangen zu erreichen, nämlich Ihn zu vernichten und seinen Namen von dem Land der Lebendigen zu vertilgen (Jer 11,19). Bei genannter Gelegenheit haben Ihn nicht nur seine Anhänger mit lauter Stimme selig gepriesen, sondern auch viele, die unter meiner Herrschaft stehen, haben dasselbe getan, ja Ihn sogar Messias, den im Gesetz Verheißenen, genannt. Alle hat Er zu seiner Verehrung hingerissen. Dies ist viel für einen bloßen Menschen und wenn Er auch nicht mehr als ein Mensch ist so hat doch jedenfalls noch kein anderer in solchem Grad die Macht Gottes auf seiner Seite gehabt wie Er. Mittelst ihrer tut Er uns großen Schaden und wird dies noch ferner tun. Denn niemals haben wir seit unserem Sturz vom Himmel solche Niederlagen erlitten, niemals solche Kraft erfahren wie seit der Zeit, da dieser Mensch auf die Welt gekommen ist. Ist Er aber etwa das menschgewordene Wort, wie wir vermuten, dann erfordert diese Sache große Überlegung. Denn lassen wir Ihn leben, so wird Er durch sein Beispiel und seine Lehre alle Menschen an sich ziehen. Schon öfter hatte ich es in meinem Hass gegen Ihn darauf angelegt, Ihm das Leben zu nehmen. Allein es ist mir nie geglückt. In seiner Vaterstadt arbeitete ich darauf hin, dass man Ihn von einem Berg hinabstürze. Allein mit seiner Macht machte Er jene, die es tun wollten, zuschanden (Lk 4, 30). Ein anderes Mal wollten Ihn die Pharisäer auf meine Eingebung hin steinigen, doch verschwand Er vor ihnen (Joh 8, 59).»
1130. «Jetzt habe ich mit Hilfe eines seiner Jünger, nämlich unseres Freundes Judas, die Sache besser angelegt. Ich habe diesem eingegeben, seinen Meister den Pharisäern zu verkaufen und zu überliefern. Den Letzteren habe ich gleichfalls wütenden Neid eingeflößt, dass sie Ihm ohne Zweifel einen grausamen Tod bereiten werden, wie es ihr Wunsch ist. Sie warten nur auf eine günstige Gelegenheit. Diese aber werde ich mit aller Sorgfalt und List herbeiführen, denn die Schriftgelehrten und Hohenpriester samt dem Judas werden alles tun, was ich ihnen vorschlage. Allein ich stoße hierbei auf eine große Schwierigkeit, welche angestrengte Aufmerksamkeit erheischt. Wenn nämlich dieser Mensch der von seinem Volke erwartete Messias ist, so wird Er sein Leiden und Sterben für die Erlösung der Menschen aufopfern. Er wird für alle Genugtuung leisten und unendliche Verdienste erwerben. Er wird den Himmel öffnen, und die Sterblichen werden dann die Glorie genießen, deren Gott uns beraubt hat. Dies wäre aber für uns eine neue, harte Pein, falls wir es nicht verhindern. Außerdem wird dieser Mensch durch sein Leiden und Sterben den übrigen in der Welt ein außerordentliches Beispiel der Geduld hinterlassen, denn Er ist sehr sanftmütig, von Herzen demütig, und niemals haben wir Ihn ungeduldig oder verwirrt gesehen. Gerade dieses würde er auch alle andern lehren, und dies ist mir am meisten verhasst, denn diese Tugenden sind mir und allen, die meinem Urteil und meinen Gedanken folgen, äußerst zuwider. Aus diesen Gründen müssen wir beraten, was wir zu tun haben, um diesen außerordentlichen Menschen Christus zu verfolgen und ihr alle müsst mir sagen, was ihr von dieser Sache haltet.»
1131. Auf diese Vorstellungen Luzifers hin hielten die Fürsten der Finsternis lange Beratungen und tobten dabei mit unglaublicher Wut gegen unseren Herrn. Sie beklagten den Irrtum, den sie mit ihrem boshaften, arglistigen Anschlag gegen sein Leben begangen zu haben meinten. Mit doppelter Bosheit wollten sie nun das Geschehene rückgängig machen und seinen Tod verhüten, denn sie waren bereits in der Vermutung bestärkt, Er sei der Messias, obwohl sie dies nicht mit Sicherheit wussten. Durch diese Befürchtung wurde Luzifer derart aufgebracht und gepeinigt, dass er dem neuen Beschluss, den Tod des Erlösers zu hindern, beistimmte und die Versammlung mit den Worten schloss: «Glaubt mir, Freunde, wenn dieser Mensch zugleich wahrer Gott ist so wird Er durch sein Leiden und Sterben alle Menschen erlösen. Unsere Herrschaft wird vernichtet und die Menschen werden erhöht zu neuem Glück und zu neuer Macht über uns. Wir haben also weit geirrt indem wir auf seinen Tod hinarbeiten. Auf, lasst uns sogleich unseren Schaden wieder gutmachen!»
1132. Mit diesem Plan begaben sich nun Luzifer und alle seine Diener auf die Erde, in die Stadt Jerusalem. Hier bewogen sie den Pilatus und seine Frau, dass sie sich Mühe gaben, den Tod des Herrn zu verhüten, wie in den Evangelien berichtet wird. Die bösen Geister machten aber auch noch andere Versuche, die zwar in den Evangelien nicht erwähnt aber doch tatsächlich geschehen sind. Vor allem machten sie sich an Judas und trachteten ihn durch neue Eingebungen von dem schon verabredeten Verkauf seines göttlichen Meisters wieder abzubringen. Aber Judas wollte von seinem Plan nicht mehr abgehen, Deshalb erschien ihm der Satan in sichtbarer, körperlicher Gestalt und redete ihm mit Gründen zu, er solle den Gedanken aufgeben, seinem Meister Christus mit Hilfe der Pharisäer das Leben zu nehmen. Und da der Satan die maßlose Habsucht des Judas kannte, so bot er ihm eine große Summe Geldes an, damit er den Herrn seinen Feinden nicht überliefere. Hierbei gab sich Luzifer mehr Mühe als vorher, da er den Judas verleitet hatte, seinen sanftmütigsten göttlichen Meister zu verkaufen.
1133. Doch ach des menschlichen Elendes ! Judas hatte sich dem Satan gefügig gezeigt, in Ausübung der Bosheit seinen Willen zu tun, die Bosheit aber wieder aufzugeben, dazu konnte er sich dem Satan nicht mehr fügen. Der böse Feind hatte eben die Macht der göttlichen Gnade nicht zur Verfügung, ohne diese ist aber alles Zureden und alles äußere Bemühen unvermögend, jemand von der Sünde abzubringen und zu wahrer Tugend zu bewegen. Für Gott war es freilich nicht unmöglich, das Herz dieses treulosen Jüngers zur Tugend zurückzuführen, doch das Zureden Satans, welcher den Judas um die Gnade gebracht hatte, war hierzu kein geeignetes Mittel. Dass ihm aber der Herr keine anderen Gnadenhilfen verlieh, dafür hatte seine unaussprechliche Gerechtigkeit gute Gründe. Judas hatte es eben in der Schule des göttlichen Meisters zu einer so furchtbaren Verstockung gebracht. Er hatte sich den Belehrungen, Einsprechungen und großen Wohltaten des Heilandes so oft widersetzt. Mit furchtbarer Frechheit hatte er die Ratschläge des Herrn und seiner heiligsten Mutter, unserer süßesten Herrin, verachtet. Ebenso hatte er das lebendige Beispiel ihres Lebens und das der übrigen Apostel verachtet. Gegen alles dieses hatte der gottlose Jünger mit einer Hartnäckigkeit angekämpft, wie sie (möchte ich sagen) nicht einmal dem Satan, geschweige denn einem Menschen eigen ist, der für das Gute noch Freiheit besitzt. Nachdem er einen so weiten Weg auf der Bahn des Bösen zurückgelegt, kam er so weit, dass sein Hass gegen den Erlöser und gegen die Mutter der Barmherzigkeit ihn unfähig machte, Barmherzigkeit zu suchen. Er war des Lichtes nicht mehr würdig, die Barmherzigkeit zu erkennen. Ja er war taub selbst gegen die Vernunft und das Naturgesetz, das ihn hätte abhalten können, einem Unschuldigen, aus dessen Händen er so viele Wohltaten empfangen hatte, Unrecht zu tun. O welch schreckliches Beispiel, welch eindringliche Warnung für die Gebrechlichkeit und Torheit der Menschen! Ja, in ähnliche Gefahren können auch andere Menschen geraten und darin zugrundegehen, wenn sie die Gefahren nicht scheuen und ein so großes Unglück, einen so jammervollen Sturz nicht mehr fürchten.
1134. Die bösen Geister gaben nun die Hoffnung auf, den Judas auf andere Gedanken zu bringen. Sie verließen ihn darum und begaben sich zu den Pharisäern, an welche sie das nämliche Ansinnen stellten, indem sie ihnen wiederholt den Gedanken eingaben, Christus nicht weiter zu verfolgen. Doch es ging hier den bösen Geistern geradeso, wie es ihnen bei Judas ergangen war, und zwar aus den gleichen Gründen. Sie konnten die Pharisäer von ihrem gottlosen Plan und ihrer bereits beschlossenen Missetat nicht mehr abbringen. Zwar kam einigen Schriftgelehrten aus menschlichen Beweggründen das Bedenken, ob ihnen wohl ihr Beschluss zum Besten dienen werde. Allein da ihnen der Beistand der Gnade fehlte, so wurde der Hass und Neid, den sie gegen unseren Herrn hatten, schnell wieder über sie Meister. Auf dieses hin wendeten sich die bösen Geister an Pilatus und seine Frau, um diese für ihre Absichten zu gewinnen. Sie trieben die letztere an, aus Mitleid, wie es den Frauen eigen ist, dem Pilatus sagen zu lassen, er solle diesen Gerechten nicht verurteilen. Und die Frau tat dies, wie aus dem Evangelium bekannt ist (Mt 27,19). Durch dieses Zureden seiner Frau und durch Vorstellungen, welche sie selbst machten, bewogen die bösen Geister den Pilatus, dass er so viele Versuche machte, das Todesurteil gegen den unschuldigen Heiland zu verhindern, worüber ich in der Folge das Nötige sagen werde. Als Luzifer und seine Diener sahen, dass alle ihre Bemühungen erfolglos seien, änderten sie ihren Plan. Von neuer Wut gegen den Heiland entbrannt, trieben sie die Pharisäer und ihre Helfershelfer samt den Henkersknechten an, den Tod des Herrn, der sich nun doch nicht mehr verhindern ließ, möglichst zu beschleunigen und den Heiland auf das grausamste zu misshandeln, damit seine unüberwindliche Geduld erschüttert würde. Und die Gottlosen taten, wie der Satan ihnen geraten. Der Herr aber ließ es zu, damit die erhabenen Zweck der Erlösung erreicht würden. Nur hinderte Er die Henker, einige ungeziemende Grausamkeiten auszuüben, zu welchen die bösen Geister sie gegen die verehrungswürdige Person und Menschheit des Erlösers antrieben. Hiervon werde ich aber später sprechen.
1135. Am Mittwoch nach dem Einzug in Jerusalem blieb unser Herr zu Bethanien, ohne in den Tempel zu gehen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer aber versammelten sich aufs neue im Haus des Hohenpriesters Kajaphas, um zu beraten, wie sie auf hinterlistige Weise den Tod des Welterlösers herbeiführen könnten. Ihr Neid war durch den Beifall, mit welchem alle Bewohner Jerusalems den Herrn bei seinem Einzug in die Stadt empfangen hatten, noch mehr angefacht worden, da sie ohnedies schon durch die Auferweckung des Lazarus und die anderen Wunder, welche der Herr während jener Tage im Tempel wirkte, aufgebracht waren. Sie fassten also den Beschluss, dem Herrn das Leben zu nehmen, bemäntelten aber ihre gottlose Grausamkeit mit dem Vorgeben, das öffentliche Wohl verlange es, wie Kajaphas sagte, indem er das Gegenteil von dem, was er beabsichtigte, weissagte (Joh 11, 50). Da der Satan die Pharisäer entschlossen sah, gab er einigen von ihnen den Gedanken ein, man solle den Beschluss nicht am Osterfest ausführen, damit das Volk sich nicht empöre (Mk 14, 2), da es Christus den Herrn als den Messias oder als großen Propheten verehre. Luzifer tat dies, um zu sehen, ob er den Tod des Herrn durch Hinausschieben nicht ganz verhindern könne. Allein Judas, welcher seiner Habgier und Bosheit ganz hingegeben war und die nötige Gnade zur Bekehrung nicht mehr hatte, eilte voll Bestürzung und Unruhe in die Versammlung der Hohenpriester und verhandelte mit ihnen über die Auslieferung seines Meisters. Der Kauf wurde abgeschlossen, dreißig Silberlinge waren der Kaufpreis. Mit einem solchen Preis gab Judas sich zufrieden, da er denjenigen verkaufte, der alle Schätze des Himmels und der Erde in sich schließt. Die Hohenpriester aber beeilten sich, um die Gelegenheit nicht zu verlieren, und achteten nicht auf den ungünstigen Umstand, dass Ostern vor der Türe stand. So hatte es die göttliche Vorsehung mit unendlicher Weisheit angeordnet.
1136. Um dieselbe Zeit sprach unser Heiland nach dem Berichte des hl. Matthäus zu seinen Jüngern: «Wisst, dass nach zwei Tagen der Menschensohn ausgeliefert wird, um gekreuzigt zu werden (Mt 26, 2).»
Judas war bei diesen Worten nicht zugegen. Er kehrte aber bald danach, von der Wut eines Verräters getrieben, zu den Aposteln zurück und suchte nun in seiner Treulosigkeit und Ungläubigkeit durch Forschen und Fragen von seinen Mitaposteln sowie von dem Herrn und seiner heiligsten Mutter zu erfahren, wohin sie sich von Bethanien aus begeben würden und was der Meister während dieser Tage zu tun gewillt sei. Der treulose Jünger forschte und fragte danach in der böswilligen Absicht, um die mit den Obersten der Pharisäer verabredete Auslieferung seines Meisters desto besser bewerkstelligen zu können. Durch solche Verstellung wollte der Heuchler seine Treulosigkeit verbergen. Allein nicht bloß der Heiland, sondern auch seine weiseste Mutter kannte die betrügerische, verbrecherische Absicht des Judas gar wohl. Die heiligen Engel hatten die göttliche Mutter alsbald benachrichtigt, dass der Vertrag, den Herrn für dreißig Silberlinge auszuliefern, mit den Pharisäern abgeschlossen sei. Am gleichen Tag noch erfrechte sich der Verräter, der Himmelskönigin zu nahen und sie zu fragen, wohin ihr heiligster Sohn auf Ostern zu gehen beschlossen habe. Maria aber antwortete ihm mit unglaublicher Sanftmut: «Wer, o Judas, kann die Gerichte und Ratschlüsse des Herrn kennen?» Von da an ermahnte sie ihn nicht mehr, von seiner Sünde abzustehen, wiewohl übrigens sowohl der Herr als seine Mutter ihr immer noch ertrugen, bis er selbst an seinem ewigen Heil verzweifelte. Da nun die sanftmütigste Jungfrau den unwiederruflichen Untergang des Judas und die baldige Überlieferung ihres heiligsten Sohnes an seine Feinde bestimmt voraussah, brach sie in Gegenwart ihrer Engel in die rührendsten Klagen aus, Sie konnte keinem anderen Geschöpf gegenüber ihr Herzleid aussprechen. Darum ließ sie vor den himmlischen Geistern dem Meer ihrer Bitterkeit freien Lauf und sprach dabei Worte voll tiefen Inhalts, hoher Weisheit und inniger Zärtlichkeit. Selbst die Engel staunten, an einem menschlichen Geschöpfe eine so hohe Vollkommenheit des Handeins inmitten der größter Trübsal und des bittersten Schmerzes zu sehen.
LEHRE der Himmelskönigin
1137. Meine Tochter, alles, was du in diesem Hauptstück erfahren und niedergeschrieben hast, enthält wichtige Lehren und große Geheimnisse zum Nutzen der Sterblichen- Möchten sie doch dieselben aufmerksam erwägen! Fürs erste beachte wohl: Mein allerheiligster Sohn ist gekommen, um die Werke des Satans zu zerstören und ihn zu überwinden, damit er nicht mehr so große Macht über die Menschen besäße. Diesem Plan gemäß hat Er ihm wohl die Natur eines Engels und das ihr eigene Wissen gelassen, aber Er hat ihm viele Dinge verborgen, damit durch deren Unkenntnis die Bosheit dieses Drachen gezügelt würde, und zwar auf die Weise, welche der mächtigen und lieblichen Vorsehung Gottes am besten entspricht (Weish 8,1). Aus diesem Grund wurde dem Satan die hypostatische Einigung der beiden Naturen, der göttlichen und menschlichen, verborgen, und darum war er in Bezug auf dieses Geheimnis in so großer Täuschung befangen, dass er in Verwirrung geriet und sich in den verschiedensten Einbildungen und in fabelhaften Entschlüssen erging, bis endlich mein heiligster Sohn zur rechten Zeit ihn die Wahrheit erkennen und wissen ließ, dass seine mit der Gottheit vereinigte Seele vom Augenblick seiner Empfängnis an die Glorie genossen habe. Ebenso verbarg er dem Satan einige Wunder seines heiligsten Lebens, andere dagegen ließ Er ihn erkennen. Dasselbe ist noch jetzt bei manchen Seelen der Fall. Mein heiligster Sohn lässt nicht zu, dass der böse Feind alle ihre Werke entdecke, auch solche nicht, welche er sonst natürlicherweise gewahren könnte. Der Herr verbirgt ihm dieselben, um seine hohen Absichten zum Besten dieser Seelen zu erreichen. Später lässt Er dann den Satan zu seiner größeren Beschämung dieselben erfahren, wie dies auch bei den Werken der Erlösung geschah. Der Herr ließ ihn dieselben später zu seiner größeren Qual innewerden. Aus diesem Grund lauert der höllische Drache den Seelen auf, um nicht nur ihre inneren, sondern auch ihre äußeren Akte auszuforschen. Dies zeigt aber auch die große Liebe, welche mein heiligster Sohn zu den Seelen trägt, nachdem Er für sie in die Welt gekommen und gestorben ist.
1138. Diese Wohltat würde einer viel größeren Anzahl von Seelen und in höherem Grade zuteil werden, wenn sie es nicht selbst verhindern und sich dessen unwürdig machen würden, indem sie sich ihrem Feind ergeben und seinen lügnerischen Einflüsterungen und boshaften Ratschlägen Gehör schenken. Gleichwie nämlich gerechte, in der Heiligkeit ausgezeichnete Menschen Werkzeuge werden in der Hand Gottes, der sie lenkt und von keinem anderen beeinflussen lässt, weil sie sich gänzlich seiner göttlichen Anordnung überlassen, so tritt das Gegenteil ein bei vielen Verworfenen, die ihren Schöpfer und Erlöser vergessen und sich durch wiederholte Sünden den Händen Satans überliefern. Dieser treibt sie dann zu Verbrechen jeder Art an und bedient sich ihrer zu allem, was seine verkehrte Bosheit verlangt wie dies dem treulosen Jünger und den Pharisäern, den Mördern ihres Erlösers, begegnete. Aber niemand kann sich bei einer solchen Verirrung entschuldigen. Denn so gut Judas und die Hohenpriester dem Rat Satans, von der Verfolgung unseres Herrn abzustehen, die Zustimmung ihres freien Willens verweigerten, ebenso gut, ja noch viel mehr hätten sie dies tun können, als Satan ihnen den Plan eingab, Jesus zu verfolgen. Denn zum Widerstand gegen diese Versuchung hätte ihnen die göttliche Gnade geholfen, falls sie mit derselben hätten mitwirken wollen. Um aber in ihrer Sünde hartnäckig zu verharren, dazu bedienten sie sich nur ihres freien Willens und ihrer bösen Gewohnheiten. Wenn ihnen aber damals der Beistand der Gnade und der Antrieb des Heiligen Geistes fehlte, so geschah dies durch gerechte Zulassung Gottes. Er musste ihnen verweigert werden, weil sie sich dem Satan hingegeben und unterworfen hatten, um ihm in jeder Missetat zu gehorchen und sich ausschließlich von seinem verkehrten Willen leiten zu lassen, ohne jede Rücksicht auf die Güte und Macht ihres Schöpfers.
1139. Hieraus siehst du, dass die höllische Schlange nichts vermag, um jemand zum Guten zu bewegen, dass sie aber viel vermag, um zur Sünde zu verleiten, wenn die Menschen das Gefahrvolle ihrer Lage nicht beachten und keine Vorsorge treffen. Ich sage dir in Wahrheit, meine Tochter, wenn die Menschen das Gefährliche ihrer Lage einsähen und gebührend überlegten, sie würden in großen Schrecken geraten. Hat sich eine Seele der Sünde hingegeben, so gibt es keine geschaffene Macht, die sie zurückhalten könnte, von einem Abgrund in den anderen zu stürzen. Infolge der Erbsünde neigt die menschliche Natur durch ihre bösen Leidenschaften und Begierden zum Schlechten hin, wie der Stein dem Mittelpunkt der Erde zustrebt. Diese bösen Neigungen werden noch verstärkt durch die schlechten Gewohnheiten. Und zu all dem kommt noch die Herrschaft, welche der Satan über den Sünder erlangt und die Tyrannei, mit welcher er dieselbe ausübt. Wer sollte also so sehr sein eigener Feind sein, dass er diese Gefahr nicht fürchtete?
Nur der Allmächtige kann ihn daraus befreien, seinem Arm ist die Rettung vorbehalten. Allein trotzdem leben die Menschen in ihrem Verderben so ruhig und sorglos dahin, als ob es in ihrer Hand stünde, aus demselben sich nach Belieben zu erheben und alles wieder gutzumachen. Allerdings gibt es viele, welche erkennen und bekennen, dass sie von ihrem Fall sich nicht erheben können ohne den Arm des Herrn. Allein ihr Wissen bleibt fruchtlos, anstatt den Herrn anzurufen, dass Er ihnen seine mächtige Hand reiche, beleidigen und erzürnen sie Ihn. Ja sie muten dem Allerhöchsten zu, dass Er mit seiner Gnade auf sie warte, bis sie des Sündigens müde oder nicht mehr imstande sind, ihre undankbare Torheit und Bosheit weiter zu treiben.
1140. Fürchte, meine Tochter, diese schreckliche Gefahr und hüte dich deshalb vor der ersten Sünde. Fällst du in die erste Sünde, so wirst du der zweiten noch weniger widerstehen, und der böse Feind wird gegen dich stark werden. Bedenke wohl: dein Schatz ist groß, das Gefäß ist gebrechlich (2 Kor 4, 7), und durch einen einzigen Fehltritt kannst du alles verlieren. Groß ist auch die Arglist der höllischen Schlange gegen dich, und du wirst in dieser Hinsicht stets hinter ihr zurückbleiben. Darum musst du deine Sinne bezähmen und sie allem Sichtbaren verschließen. Dein Herz muss sich in die Festung des göttlichen Schutzes zurückziehen, um von da aus den teuflischen Angriffen zu widerstehen. Das Unglück des Judas muss genügen, um dich zur gebührenden Furcht zu bewegen. Mein Beispiel aber muss dich anspornen, denen, die dich hassen und verfolgen, zu verzeihen, ihnen Gutes zu wünschen, sie mit Liebe und Geduld zu ertragen und mit aufrichtigem Eifer für ihre Rettung zu Gott zu flehen, wie ich es für den Verräter Judas getan habe. Dazu bist du oftmals ermahnt worden, und in dieser Tugend musst du dich auszeichnen und sie deinen Nonnen und überhaupt allen, mit denen du umgehst, einschärfen. Denn angesichts der Geduld und Sanftmut, welche mein heiligster Sohn und ich geübt haben, wird es den Bösen und allen Menschen zur unerträglichen Schande gereichen, wenn sie einander nicht mit brüderlicher Liebe verziehen haben. Die Sünden des Hasses und der Rache werden beim Gericht mit ganz besonderer Strenge bestraft, und während des gegenwärtigen Lebens stoßen gerade sie die Barmherzigkeit Gottes am weitesten von den Menschen zurück, und zwar zu ihrem ewigen Verderben, falls sie nicht diese Fehler bereuen und bessern. Wer aber gegen Beleidiger und Verfolger sanft und milde ist und erlittene Widrigkeiten vergisst, der besitzt in gewissem Grad eine besondere Ähnlichkeit mit dem menschgewordenen Sohn Gottes, welcher beständig den Sündern nachging, um ihnen zu verzeihen und Gutes zu tun. Durch die Nachahmung seiner Liebe und Lammessanftmut erhält die Seele eine gewisse, von der Gottes- und Nächstenliebe erzeugte Beschaffenheit, wodurch sie befähigt und vorbereitet wird, die Gnadeneinflüsse und Gaben Gottes in reicher Fülle zu empfangen.
NEUNTES HAUPTSTÜCK: Abschied Jesu von seiner heiligsten Mutter. Maria folgt ihrem Sohn nach Jerusalem
Der göttliche Heiland nimmt am Gründonnerstag zu Bethanien Abschied von seiner heiligsten Mutter, um sich zum Leiden zu begeben. U. L. Frau bittet Ihn, ihr seiner Zeit die heilige Kommunion zu reichen. Sie folgt Ihm mit Magdalena und den anderen heiligen Frauen nach Jerusalem nach.
1141. Um den Gang dieser Geschichte fortzusetzen, erinnere ich daran, dass wir den Heiland der Welt mit seinen Aposteln zu Bethanien gelassen haben, wohin Er nach dem Einzug in Jerusalem zurückgekehrt war. Ich habe nämlich etwas vorgreifend im letzten Hauptstück erzählt was die bösen Geister vor der Auslieferung Jesu Christi getan haben sowie andere Vorfälle, welche infolge ihrer höllischen Beratung, des Verrates des Judas und der Versammlung der Pharisäer geschehen sind. Kehren wir jetzt zu den Ereignissen in Bethanien zurück, wo U. L. Frau während der drei Tage nach dem Palmsonntag ihrem göttlichen Sohn zur Seite und zu Diensten war. Der Urheber des Lebens brachte diese ganze Zeit bei seiner heiligsten Mutter zu, ausgenommen jene Stunden, während welcher Er am Montag und Dienstag nach Jerusalem zurückkehrte und im Tempel lehrte, denn am Mittwoch ging Er, wie ich oben gesagt habe, nicht mehr dahin zurück. Auf diesen letzten Gängen unterrichtete der Herr seine Jünger ausführlicher und deutlicher über die Geheimnisse seines Leidens und der Erlösung. Allein obwohl sie alle die Lehren und Ermahnungen ihres göttlichen Meisters hörten, so entsprach doch ein jeder nur nach Maßgabe der Disposition, mit welcher er die Lehre hörte und aufnahm sowie nach Verhältnis der Affekte und anderer Wirkungen, welche diese Lehre in einem jeden hervorbrachte. Immerhin waren sie mehr oder weniger träge an Fassungskraft, und so kam es, dass sie sich während des Leidens Christi als gebrechliche Menschen erwiesen und, wie die Folge zeigte und wie wir später sehen werden, den Versprechungen untreu wurden, die sie zuvor gemacht hatten.
1142. Seiner heiligsten Mutter teilte der göttliche Heiland während dieser Tage, welche seinem Leiden unmittelbar vorausgingen, so erhabene Geheimnisse über die Erlösung und über den Neuen Bund mit, dass viele derselben bis zur Anschauung Gottes im himmlischen Vaterland verborgen bleiben werden. Auch von denjenigen, die ich erkannt habe, kann ich nur sehr wenig mitteilen. Dem weisesten Herzen der Himmelskönigin vertraute ihr göttlicher Sohn alles an, was David «die heimlichen und verborgenen Dinge der Weisheit» nennt (Ps 51, 8) und was nichts anderes war als das größte jener Werke, welche Gott der Herr nach außen zu wirken beschlossen hatte, nämlich die Wiederherstellung des Menschengeschlechtes, die Verherrlichung der Auserwählten und die dadurch bewirkte Erhöhung seines heiligen Namens. Der Herr sagte seiner weisesten Mutter alles, was sie während des Leidens und Sterbens, dem Er nun aus Liebe zu uns entgegenging, tun sollte. Er gab Ihr zu diesem Zweck zum voraus neue Erleuchtungen und Belehrungen. Bei allen diesen Unterredungen sprach der Herr, der Wichtigkeit des Gegenstandes entsprechend, mit außergewöhnlichem, feierlichem Ernste und mit der Majestät eines Königs. Die Zärtlichkeit eines Sohnes und Bräutigams hörte nun vollständig auf. Da aber in Maria nicht nur die natürliche Mutterliebe, sondern auch die feurige Gottesliebe, von der ihre reinste Seele entzündet war, einen alles Begreifen übersteigenden Grad erreicht hatten und da überdies die Zeit herannahte, wo ihr Umgang und Verkehr mit Jesus, ihrem Sohn und Gott, ein Ende nehmen sollte, so vermag keine Zunge auszusprechen, welch zarte, schmerzvolle Gefühle das unschuldigste Herz der Mutter durchdrangen und welche Seufzer diese geheimnisvolle Turteltaube aus tiefstem Herzen aufsteigen ließ, da sie den Schmerz ihrer Einsamkeit und die Größe des Verlustes zu fühlen begann, für welchen ihr alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden keinen Ersatz zu bieten vermochten.
1143. So kam denn der Donnerstag, der Vorabend des Leidens und Sterbens unseres Heilandes, heran. An diesem Tag rief der Herr seine liebevollste Mutter schon vor Sonnenaufgang zu sich. Maria warf sich, wie sie gewohnt war, ihrem göttlichen Sohn zu Füßen und sprach: «Rede, mein Herr und Gott, denn deine Dienerin hört.» Jesus erhob seine heiligste Mutter von der Erde und sprach zu ihr voll Liebe und Freundlichkeit: «Meine Mutter, die von der ewigen Weisheit meines Vaters festgesetzte Stunde ist gekommen, das Heil und die Erlösung der Menschen zu wirken, wie sein heiliger Wille es mir aufgetragen hat. Es ist gerecht, dass das Opfer unseres Willens, das wir so oftmals dargebracht haben, nunmehr vollzogen werde. Erteile mir die Erlaubnis, dass ich hingehe, um für die Menschen zu leiden und zu sterben. Als meine wahre Mutter erteile deine Zustimmung, dass ich mich meinen Feinden überliefere, um den Auftrag meines ewigen Vaters zu vollbringen. Auf diese Weise sollst du mir helfen, das ewige Heil zu wirken, denn in deinem jungfräulichen Schoß habe ich die Gestalt eines leidensfähigen, sterblichen Menschen angenommen, in welcher ich die Welt erlösen und der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung leisten soll. Und gleichwie du mit freiem Willen das Fiat die Zustimmung gegeben hast zu meiner Menschwerdung, so will ich, dass du sie jetzt zu meinem Leiden und Sterben am Kreuz gebest, indem du mich freiwillig dem ewigen Vater aufopferst, wirst du deinen Dank dafür abstatten, dass Er dich zu meiner Mutter erwählt hat. Denn Er hat mich dazu gesandt, dass ich durch mein Leiden im sterblichen Fleisch die verlorenen Schafe seines Hauses (Mt 18,11), die Kinder Adams, wieder zurückführe.»(Man vergleiche, was oben Nr. 955, Anm. 3, über die Zustimmung Mariä zum Leiden ihres göttlichen Sohnes gesagt worden ist. Der Herausgeber).
1144. Diese und ähnliche Worte, wie sie unser Heiland an Maria richtete, durchbohrten das liebevollste Herz der Mutter des Lebens und legten es auf die allerpeinlichste Folter: sie litt Schmerzen, wie sie solche bisher noch nie gelitten hatte, denn nun war die «Stunde» gekommen, da sie weder an die Zeit noch an einen höheren Richterstuhl appellieren konnte gegen den wirksamen Ratschluss des ewigen Vaters, welcher diesen Termin für den Tod ihres Sohnes festgesetzt hatte. Die weiseste Mutter betrachtete Jesus zugleich als Gott von unendlicher Vollkommenheit und als wahren Menschen, dessen Menschheit mit der Person des Wortes vereinigt, durch das Wort geheiligt und zu unaussprechlicher Würde erhoben war. U. L. Frau vergegenwärtigte sich den Gehorsam, welchen Jesus ihr bewiesen hatte, da sie Ihn als Mutter erzog, sowie die Gnaden, welche sie in seiner langjährigen Gesellschaft von Ihm empfangen hatte. Und jetzt sollte sie die Schönheit seines Antlitzes und die süße Kraft seiner Worte vermissen. Ja, all dies sollte ihr nicht bloß in einer Stunde genommen werden, sondern sie sollte Ihn hingeben in die Schmach und Pein seines Leidens, zum blutigen Opfertod am Kreuz, sie sollte Ihn hingeben in die Hände gottloser Feinde. Diese Gedanken und Erwägungen standen damals lebendiger als je vor dem Geist der weisesten Mutter und durchdrangen ihr zartes, liebevolles Herz mit einem wahrhaft unaussprechlichen Schmerz. Allein mit königlicher Großmut überwand sie ihre unüberwindliche Pein, und sich nochmals ihrem göttlichen Sohn und Meister zu Füßen werfend und mit tiefster Ehrerbietigkeit seine Füße küssend, sprach sie:
1145. «Allerhöchster Herr und Gott. Schöpfer alles dessen, was da ist, wohl bist Du mein Sohn und die Frucht meines Leibes: aber ich bin deine Dienerin, da deine unendliche Liebe und Herablassung mich aus dem Staube zur Würde deiner Mutter erhoben hat. Es ist darum gerecht, dass dieser armselige Erdenwurm deiner freigebigen Milde dankbar und erkenntlich sei und dass er sich deinem und deines ewigen Vaters Willen gehorsam erweise. Mit vollkommener Ergebung unterwerfe ich mich seinem göttlichen Wohlgefallen, damit sein ewiger, liebenswürdiger Wille, wie an dir, meinem Sohn und Herrn, so auch an mir vollzogen werde. Das größte Opfer, welches ich bringen kann, wird sein, dass ich nicht mit dir sterben und die Lose, welche uns beiden zugeteilt sind, nicht vertauschen kann. Denn in deiner Gesellschaft und nach deinem Beispiel zu leiden, das wäre eine große Erleichterung für meine Qualen, ja alle Pein wäre mir süß angesichts der deinigen. Zu meinem Schmerz wird genügen, dass ich dich nicht vergessen kann inmitten der Qualen, die du für das Heil der Menschen erdulden wirst. O mein höchstes Gut nimm hin das Opfer meiner Wünsche, dass ich am Leben bleibe, während ich dich sterben sehe, dich, das unschuldigste Lamm, das Ebenbild des Wesens deines ewigen Vaters (Hebr 1, 3). Nimm auch den Schmerz an, dass ich mitansehen muss, wie die Sünde des Menschengeschlechtes durch die Hände deiner grausamen Feinde an deiner würdigsten Person ihre unmenschliche Grausamkeit ausübt. O Himmel und ihr Elemente mit allen Geschöpfen, die sich in euch befinden, ihr himmlischen Geister, ihr heiligen Patriarchen und Propheten, helfet mir alle, den Tod meines geliebten Sohnes zu beweinen, der euch das Dasein geschenkt hat. Weint mit mir über das jammervolle Elend der Menschen, welche die Ursache seines Todes sein und dann das ewige Leben verlieren werden, das Er ihnen verdienen wird, während sie diese unaussprechliche Wohltat nicht benützen. O wie unglücklich seid ihr, die ihr dem ewigen Tod entgegengeht ! Selig dagegen seid ihr, ihr Auserwählten, die ihr eure Kleider waschen werdet im Blut des Lammes (Offb 7,14). Preist den Allmächtigen, ihr, die ihr es verstanden habt diese Wohltat zu benützen ! O mein Sohn, du unendliches Gut meiner Seele, stärke deine betrübte Mutter. Nimm sie als deine Schülerin und Genossin an, damit sie an deinem Leiden und Kreuz teilhabe und der ewige Vater mit deinem Opfer auch das deiner Mutter empfange!»
1146. Mit solchen und ähnlichen Worten, die ich nicht wiederzugeben vermag, antwortete die Himmelskönigin ihrem heiligsten Sohn und bot sich zur Nachfolge und Teilnahme an seinem Leiden an, als Mitwirkerin und Gehilfin bei unserer Erlösung. Darauf bat sie, noch eine andere Bitte stellen zu dürfen, eine Bitte, welche sie schon lange vorbereitet hatte, da sie von allen Geheimnissen, die der Heiland bis zum Ende seines Lebens vollbringen sollte, vollkommene Kenntnis besaß. Nachdem ihr der Herr diese Erlaubnis gegeben, fuhr die reinste Mutter also fort: «Du Liebe meiner Seele, Licht meiner Augen, mein Sohn, ich bin zwar dessen nicht würdig, was mein Herz sehnlich von dir verlangt. Doch du, o Herr, bist die Stütze meiner Hoffnung, und in diesem Vertrauen bitte ich dich, lasse mich teilnehmen an dem unaussprechlichen Sakrament deines Leibes und Blutes, welches du einzusetzen beschlossen hast zum Unterpfand deiner Glorie, damit mir, indem ich dich nochmals in mein Herz aufnehme, die Wirkungen dieses so wunderbaren, neuen Sakramentes zuteil werden. Wohl weiß ich, o mein Herr, dass kein Geschöpf eine so übergroße Gnade verdienen kann, die alle deine Werke übersteigt und allein von deiner Freigebigkeit gewährt wird. Um letztere zu bewegen, kann ich dir nichts aufopfern als dich selbst mit deinen unendlichen Verdiensten. Habe ich auf diese ein gewisses Anrecht, weil sie eingeschlossen sind in deiner heiligsten Menschheit, die du in meinem Schoß empfangen hast, so soll dieses Recht nicht so sehr dazu dienen, dass du in diesem Sakramente mein werdest, als vielmehr, dass ich dein werde durch diese neue Art des Besitzes, welcher mir deine süße Gesellschaft wiederbringt. Ich habe meine Werke und meine Wünsche auf diese hocherhabene, göttliche Vereinigung hingerichtet seit jener Stunde, da du mir davon liebreich Kenntnis gegeben und deinen Ratschluss offenbart hast, unter den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines in deiner heiligen Kirche zu bleiben. Kehre also zurück, mein Herr und mein höchstes Gut, zur ersten und ursprünglichen Wohnung deiner Mutter, deiner Freundin und Dienerin, welche du von dem allgemeinen Sündenmakel bewahrt hast, damit sie dich in ihrem Schoß empfange. Ich werde jetzt jene Menschheit, welche ich dir mit meinem Blut mitgeteilt habe, in mein Herz aufnehmen. Dort werden wir aufs innigste vereinigt sein, so dass mein Herz erquickt und meine Liebe entflammt wird und ich niemals von dir getrennt sein werde, o unendliches Gut, o Liebe meiner Seele!»
1147. Noch viele andere Worte unaussprechlicher Liebe und Ehrfurcht brachte die große Königin bei diesem Anlasse vor. Ihr Herz war ja von wunderbarer Liebe entflammt, da sie ihren heiligsten Sohn um die Teilnahme am Sakrament seines heiligsten Fleisches und Blutes bat. Seine Majestät antwortete ihr auch mit besonderer Zärtlichkeit und gewährte ihre Bitte, indem Er ihr versprach, dass sie die Wohltat der heiligen Kommunion empfangen solle, wenn die Stunde für deren Einsetzung gekommen sei. Von da an erweckte die reinste Mutter mit neuem Eifer heldenmütige Akte der Demut, Dankbarkeit, Ehrfurcht und des lebendigen Glaubens, um sich zur ersehnten Teilnahme an der heiligen Eucharistie, von der ich aber später sprechen werde, würdig vorzubereiten.
1148. Nun befahl der göttliche Heiland den Schutzengeln seiner seligsten Mutter, dass sie von nun an in sichtbarer Gestalt ihr zur Seite stehen, sie bedienen und in dem Schmerz ihrer Verlassenheit sie trösten sollten. Die heiligen Engel taten, wie der Herr ihnen befohlen. Seiner heiligsten Mutter aber gab der Heiland den Auftrag, Ihm, wenn Er mit seinen Jüngern nach Jerusalem ziehe, in kurzer Zwischenzeit dahin nachzufolgen, und zwar in Begleitung der heiligen Frauen, welche mit ihnen von Galiläa gekommen waren. Sie solle dieselben unterrichten und ermutigen, damit sie nicht wankend würden und Ärgernis nähmen, wenn sie Ihn so große Schmach leiden und des schimpflichsten Todes am Kreuz sterben sähen. Zum Schluss dieser Unterredung gab der Sohn des ewigen Vaters seiner liebevollsten Mutter den Segen. Dann nahm Er von ihr Abschied, um seine letzte Reise anzutreten und dem Leiden und dem Tod entgegenzugehen. Der Schmerz, welcher bei diesem Abschied die Herzen des Sohnes und der Mutter durchbohrte, übersteigt alle menschliche Vorstellung, denn Er entsprach ihrer gegenseitigen Liebe, letztere aber den Eigenschaften und der Würde ihrer Personen. Können wir aber auch über diesen Schmerz nur weniges sagen, so ist es uns deswegen doch nicht erlassen, ihn ernstlich zu erwägen und unseren Heiland sowie seine heiligste Mutter mit allem nur möglichen Mitleid zu begleiten, damit wir nicht den Vorwurf der Undankbarkeit und Herzlosigkeit verdienen.
1149. Nachdem der Herr von seiner liebevollsten Mutter und betrübtesten Braut Abschied genommen hatte, verließ Er Bethanien und trat in Begleitung seiner Apostel zum letzten Mal den Weg nach Jerusalem an. Es war am Donnerstag, dem Tag des Abendmahles, kurz vor Mittag. Bei den ersten Schritten dieser Reise - es war die letzte seiner irdischen Laufbahn - erhob der Sohn Gottes seine Augen zum ewigen Vater. Unter Lob und Danksagung opferte er sich Ihm aufs neue mit glühendster Liebe und mit vollkommenstem Gehorsam auf, um zur Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes zu leiden und zu sterben. Dieses Gebet mit der Aufopferung verrichtete unser Herr mit einer solchen Inbrunst und einer solchen Kraft des Geistes, dass es unmöglich beschrieben werden kann und dass alles, was ich darüber sagen werde, als eine Entstellung der Wahrheit freilich gegen meinen Willen, erscheinen wird. Unser Heiland Jesus Christus sprach: «Mein Gott und ewiger Vater, nach deinem Willen und dir zuliebe gehe ich jetzt hin, um zu leiden und zu sterben zur Erlösung der Menschen, die meine Brüder und Werke deiner Hände sind. Ich gehe hin, um mich aufzuopfern für ihre Rettung und um die durch Adams Schuld Zerstreuten in Eins zusammenzubringen (Joh 11, 52). Ich gehe hin, um die Schätze zu bereiten, mit welchen die nach deinem Bild und Gleichnis geschaffenen Seelen geschmückt und bereichert werden sollen, damit sie die Würde deiner Freundschaft und die ewige Seligkeit wieder erlangen und dein heiliger Name von allen Menschen erkannt und verherrlicht werde. Soviel von dir und mir abhängt, wird keine Seele ohne überreiche Hilfe bleiben, aber auch deine unverletzliche Gerechtigkeit wird gerechtfertigt sein in jenen, welche diese überreiche Erlösung verachten.»
1150. Bald danach verließ auch die heiligste Jungfrau Bethanien, um ihrem Sohn, dem Urheber des Lebens, zu folgen. Sie war begleitet von Magdalena und den übrigen heiligen Frauen, welche unserem Herrn Jesus Christus von Galiläa aus gefolgt waren. Gleichwie nun der göttliche Meister die Apostel über sein Leben belehrte und sie vorbereitete, damit sie daran glaubten und nicht wankend würden, weder durch die Schmach seines Leidens noch durch die geheimen Versuchungen des Satans: ebenso tröstete und bereitete die Königin der Tugenden die heilige Versammlung ihrer Schülerinnen vor, damit sie nicht verwirrt würden, wenn sie ihren Meister schmählich gegeißelt und am Kreuz sterbend erblickten. Freilich waren diese heiligen Frauen ihrem Geschlecht gemäß von schwächerer und gebrechlicherer Natur als die Apostel. Allein trotzdem befolgten sie die Lehren und Ermahnungen ihrer großen Meisterin mit größerer Standhaftigkeit als manche Apostel. Vor allen heiligen Frauen aber zeichnete sich, wie wir aus den Evangelien ersehen, ganz besonders die hl. Maria Magdalena aus. Das Feuer ihrer Liebe hatte sie ganz entzündet und überdies war sie schon von Natur aus großmütig, beherzt, männlichen Mutes, treuen und edlen Sinnes. Vor allen anderen, die in der Begleitung Jesu waren, machte sie ganz besonders es sich zur Aufgabe, während der ganzen Zeit des Leidens die Mutter Jesu zu begleiten und ihr beizustehen, ohne je von ihrer Seite sich zu entfernen. Und so tat sie es, auch als eine höchst treue Freundin.
1151. Dem Gebet und der Aufopferung, welche unser Heiland verrichtete, schloss sich auch seine heiligste Mutter an. In dem klaren Spiegel des himmlischen Lichtes schaute sie ja, wie schon wiederholt gesagt wurde, alle Werke ihres heiligsten Sohnes, um sie nachzuahmen. Maria war begleitet und bedient von ihren Engeln, die sich ihr, wie der Herr befohlen hatte, in sichtbarer, menschlicher Gestalt zeigten. Mit diesen himmlischen Geistern sprach Maria über das große Geheimnis ihres Sohnes, welches ihre Begleiterinnen, ja alle Menschen nicht zu fassen vermochten. Die Engel erkannten und schätzten nach Gebühr die unermessliche Liebesglut welche in dem reinsten und lautersten Herzen der göttlichen Mutter brannte. Sie sahen, mit welcher Macht sie durch die wohlriechenden Salben (Hld 1,3) der Gegenliebe Jesu Christi, ihres Sohnes, Bräutigams und Erlösers angezogen wurde. Diese himmlischen Geister stellten dem ewigen Vater das Lob- und Sühnopfer vor, welches ihm seine einzige Tochter, die «Erstgeborne vor allen Kreaturen», darbrachte. Den Menschen aber war die Größe dieser Wohltat sowie die Dankesschuld, welche ihnen die Liebe unseres Herrn und seiner heiligsten Mutter auferlegte, verborgen. Darum gab U. L. Frau den heiligen Engeln den Auftrag, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist dafür zu ehren, zu loben und zu preisen. Und die Engel taten es nach dem Willen ihrer großen Herrin und Königin.
1152. Indes sind weder meine Worte hinlänglich beredt, noch ist mein Schmerzgefühl tief genug, um auszusprechen, was mir bei diesem Anlass über die Verwunderung der heiligen Engel mitgeteilt wurde. Sie waren im höchsten Grad erstaunt da sie einerseits den menschgewordenen Sohn Gottes und seine heiligste Mutter mit dem ganzen Eifer ihrer glühendsten Liebe für die Menschen zu dem Erlösungswerke schreiten sahen und andererseits die Menschen so unedel, so undankbar, so träg und hartherzig erblickten, um ihre Dankesschuld einzusehen und sich durch eine Wohltat rühren zu lassen, welche selbst die bösen Geister rühren würde, falls sie dieselbe empfangen könnten. Dieses Staunen hatte seinen Grund wahrlich nicht in ihrer Unwissenheit sondern in unserer unerträglichen Undankbarkeit über welche die Engel sich entsetzten. Ich bin zwar eine schwache Frau und geringer als ein Wurm der Erde. Allein bei dem mir mitgeteilten Licht möchte ich meine Stimme erheben, so dass sie über den ganzen Erdkreis hin ertönte, um die Kinder der Eitelkeit, die Liebhaber der Lüge (Ps 4, 3) aufzuwecken und sie an ihre Dankesschuld gegen unsern göttlichen Heiland und seine heiligste Mutter zu erinnern. Auf mein Angesicht niedergeworfen, möchte ich alle beschwören, dass wir doch nicht so hartherzig sein möchten und nicht so grausam gegen uns selbst. Ja, möchten wir doch diesen Schlaf der Vergessenheit abschütteln, der uns in der Gefahr des ewigen Todes festhält und uns von dem seligen, himmlischen Leben trennt, weIches unser Herr und Heiland Jesus Christus uns verdient hat durch seinen so bitteren Tod am Kreuz !
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1153. Meine Tochter, da du vom himmlischen Licht in ganz besonderer Weise erleuchtet bist, so lade ich dich aufs neue ein, dich in das tiefe Meer der Geheimnisse des Leidens und Sterbens meines göttlichen Sohnes zu versenken, Bereite dein Inneres zu, strenge alle Kräfte deines Herzens und deiner Seele an, damit du wenigstens einigermaßen würdig werdest, die Schmach und die Schmerzen zu erkennen, zu erwägen und zu fühlen, welche der Sohn des ewigen Vaters erleiden wollte, indem Er sich für die Erlösung der Menschen bis zum Tod an einem Kreuz erniedrigte, und damit du auch alles erkennest, was ich getan und gelitten habe, da ich den Herrn in seinem bittersten Leiden begleitete. Diese von den Sterblichen so sehr vergessene Wissenschaft sollst du, meine Tochter, studieren und erlernen, um deinem Bräutigam und mir, deiner Mutter und Lehrerin, nachzufolgen, Während du niederschreibst und empfindest, was ich dir über diese Geheimnisse mitteile, sollst du dich von jeder menschlichen und irdischen Zuneigung, ja von dir selbst vollständig losmachen, um, allem Irdischen entrückt, arm und verlassen unseren Fußstapfen zu folgen. Weil ich aber jetzt durch eine eigene Gnade dich ganz besonders einlade, meinen und meines heiligsten Sohnes Willen zu vollbringen, und weil wir durch dich andere belehren wollen, so sollst du dich auch für die überreiche Erlösung in der Weise verpflichtet erachten, wie wenn sie dir allein gälte und wie wenn sie verloren wäre, falls auch nur du sie nicht benütztest. So hoch sollst du sie schätzen. Denn wegen der Liebe, mit welcher mein göttlicher Sohn für dich gelitten hat und gestorben ist, hat Er dich mit solchen Gefühlen betrachtet, wie wenn du die einzige wärest, welche seines Leidens und Sterbens zur Erlösung bedurfte.
1154. Nach dieser Regel musst du also deine Verbindlichkeit und Dankesschuld bemessen. Und da du weißt wie sehr die Menschen zu ihrem eigenen Schaden diese übergroße Wohltat vergessen, dass ihr Gott und Schöpfer für sie Mensch geworden und gestorben ist so bestrebe dich, Ihm für diese Unrecht Ersatz zu leisten. Liebe den Herrn im Namen aller Menschen, gerade so, wie wenn die Erfüllung dieser Pflicht ausschließlich deiner Dankbarkeit und Treue überlassen wäre. Beklage auch die Blindheit und Torheit der Menschen, mit der sie ihre ewige Seligkeit gering schätzen und sich Schätze des göttlichen Zornes aufhäufen, indem sie die größten Wirkungen der unendlichen Liebe Gottes zu den Menschen vereiteln. Zu diesem Zweck offenbare ich dir so viele Geheimnisse. Zu diesem Zweck offenbare ich dir den unvergleichlichen Schmerz, den ich von der Stunde an gelitten habe, da mein göttlicher Sohn Abschied von mir nahm, um zum Opfer seines hochheiligen Leidens und Sterbens hinzugehen. Es gibt keine Worte, welche die Bitterkeit meiner Seele bei diesem Anlass wiedergeben könnten. Angesichts dieser wirst du kein Leiden als groß betrachten, es wird dir unmöglich sein, nach Ruhe und irdischer Freude zu verlangen, du wirst nichts begehren, als mit Christus zu leiden und zu sterben. Trage auch Mitleiden mit mir, denn die Gnaden, welche ich dir erweise, erheischen diese Treue.
1155. Betrachte ferner, welch verabscheuungswürdige Sache es vor Gott, vor mir und vor allen Seligen ist, dass die Menschen so nachlässig und gleichgültig sind, die heilige Kommunion zu empfangen, und dass sie ohne gebührende Vorbereitung, ohne inbrünstige Andacht hinzutreten. Damit du diese meine Lehre verstehst und niederschreibst, habe ich dir offenbart, was ich so viele Jahre lang getan habe, um mich auf den Tag vorzubereiten, an welchem ich meinen göttlichen Sohn im heiligsten Sakrament empfangen sollte (Nr. 835). Zu demselben Zweck teile ich dir auch mit was du hierüber später noch zu eurer Belehrung und Beschämung schreiben wirst. Denn wenn ich, die ich doch unschuldig, von jedem Makel der Sünde frei und überdies mit der Fülle aller Gnaden ausgerüstet war, dennoch getrachtet habe, mich durch glühende Liebe, durch Demut und Dankbarkeit noch mehr vorzubereiten, was musst dann du, was müssen die übrigen Kinder der heiligen Kirche tun, die sich jeden Tag, jede Stunde mit neuen hässlichen Fehlern beflecken? Was müssen sie tun, um die Schönheit der Gottheit und Menschheit meines heiligsten Sohnes und Herrn empfangen zu dürfen ? Welche Entschuldigung werden die Menschen bei dem Gericht dafür vorbringen, dass sie in der Kirche ihren Gott im allerheiligsten Sakramente bei sich hatten, welcher sie erwartete, damit sie Ihn empfangen und von Ihm mit der Fülle seiner Gnaden beschenkt werden, während sie diese unaussprechliche Liebe und Wohltat verschmäht haben, um weltlichen Vergnügungen nachzugehen und der Eitelkeit und dem Trug zu dienen? Staune mit den Engeln und Heiligen über eine solche Torheit und hüte dich, in sie zu fallen.
ZEHNTES HAUPTSTÜCK: Das Letzte Abendmahl und die Fußwaschung
Unser göttlicher Heiland feiert das letzte gesetzliche Abendmahl mit seinen Jüngern und wäscht ihnen die Füße. Seine heiligste Mutter erhält Kenntnis von all diesen Geheimnissen.
1156. Der göttliche Heiland ging, wie ich schon gesagt habe (oben Nr. 1149), am Donnerstag, dem Vorabende seines Leidens und Sterbens, nach Jerusalem. Seine Jünger legten Ihm dabei bezüglich der Geheimnisse, über welche Er sie unterrichtete, einige Zweifel vor über Punkte, die ihnen unverständlich waren. Als Lehrmeister der Weisheit und liebevoller Vater antwortete der Herr auf alle ihre Zweifel und zwar mit Worten voll des mildesten Lichtes, welches die Herzen der Apostel durchdrang. Denn hatte Er sie auch stets geliebt, so wollte Er doch in diesen letzten Stunden seines Lebens, dem Schwan gleich, die Lieblichkeit seiner Stimme und die Zartheit seiner Liebe mit noch größerer Kraft offenbaren. Die Nähe seines Leidens und die Voraussicht so vieler Qualen war Ihm hierbei nicht hinderlich, sondern gleich wie die Wärme, wenn sie durch Kälte zurück- und zusammengedrängt worden ist, nachher mit ihrer ganzen Kraft ausströmt, so strömte auch das gewaltige Feuer der göttlichen Liebe, welches mit unbeschreiblicher Kraft im Herzen unseres liebevollen Jesus brannte, jetzt mit erhöhter Kraft und Wirksamkeit aus, um mit seinen Gluten zunächst jene zu entzünden, die den Herrn unmittelbar umgaben, sodann aber auch selbst diejenigen zu entflammen, welche dieses Feuer auszulöschen suchten.
Wir Kinder Adams, Christus und seine heiligste Mutter allein ausgenommen, werden gewöhnlich durch die Verfolgung ungeduldig, Widerwärtigkeiten bringen uns auf, Schmerzen machen uns verdrießlich, bei jeder Widerwärtigkeit werden wir verwirrt und niedergeschlagen. Wer uns Unrecht tut, dem zürnen wir, und wir halten es schon für eine Großtat, wenn wir nicht alsbald Rache nehmen. Doch die Liebe unseres göttlichen Meisters wurde nicht abgeschwächt durch die Unbilden, die Er voraussah. Sie wurde nicht ermüdet durch die Unwissenheit seiner Jünger noch durch die Treulosigkeit, welche Er in kurzem an ihnen erfahren sollte.
1157. Die Jünger fragten den Herrn, wo er die Mahlzeit des Osterlammes zu feiern gedenke (Lk 22, 8 ff). Das Abendmahl, welches die Juden in jener Nacht einzunehmen pflegten, galt nämlich beim ganzen Volk als eine sehr große Feierlichkeit. Es war im Alten Bund das deutlichste Vorbild unseres Herrn und der Geheimnisse, welche durch Ihn und an Ihm vollzogen werden sollten, obwohl die Apostel damals noch nicht sehr fähig waren, diese Geheimnisse zu verstehen. Der göttliche Meister antwortete den Jüngern auf ihre Frage, indem er den hl. Petrus und den hl. Johannes beauftragte, nach Jerusalem vorauszugehen und das Mahl des Osterlammes in einem gewissen Haus zu bereiten, in welches sie einen Diener mit einem Wasserkrug eintreten sähen. Den Herrn dieses Hauses sollten sie bitten, dass er dem Heiland die Herberge bereite, um das Abendmahl mit seinen Jüngern zu feiern. Dieser Mann war ein angesehener und vornehmer Einwohner von Jerusalem, dem Heiland ergeben und von der Zahl jener, die an seine Lehre und Wunder glaubten. Durch seine fromme Hingebung verdiente er, dass der Urheber des Lebens sein Haus erwählte, um es durch die darin zu feiernden Geheimnisse zu heiligen und es zum Tempel zu weihen für andere Geheimnisse, welche nachher dort stattfanden. Die beiden Apostel machten sich alsbald auf den Weg. An dem ihnen gegebenen Zeichen erkannten sie den Herrn des Hauses und baten ihn, er möge den Lehrmeister des Lebens darin als Gast aufnehmen, damit Er das große Fest der «ungesäuerten Brote» - so nannte man diese Feier - darin begehen könne.
1158. Das Herz dieses Hausvaters wurde durch eine besondere Gnade erleuchtet und so bot er freigebig sein Haus nebst allem zu dem gesetzmäßigen Abendmahl Erforderlichen an. Er bestimmte dafür einen sehr großen, tapezierten und geschmackvoll geschmückten Saal, wie sich ein solcher für die ehrwürdigen Geheimnisse geziemte, welche unser Herr dort feiern wollte, wovon freilich der Hausherr und die bei den Apostel noch nichts wussten. Nachdem all dies zubereitet war, kam der göttliche Heiland mit den übrigen Jüngern in der Herberge an, und kurz darauf auch seine heiligste Mutter nebst den heiligen Frauen, welche ihr folgten. Wie sie es gewohnt war, warf sich die demütigste Königin alsbald vor ihrem göttlichen Sohn auf die Erde nieder, betete Ihn an, bat um seinen Segen und fragte, was sie tun solle. Der Herr sagte ihr, sie solle sich in ein Zimmer des ziemlich geräumigen Hauses zurückziehen, um von dort aus zu schauen, was die göttliche Vorsehung in dieser Nacht zu tun beschlossen habe. Auch solle sie die Frauen in ihrer Begleitung trösten und belehren über jene Dinge, deren Kenntnis ihnen nötig sei. Die Himmelskönigin gehorchte und zog sich mit ihrer Begleitung zurück. Sie ermahnte alle, im Glauben und im Gebet auszuharren. Sie selbst fuhr fort, durch die glühendsten Akte sich auf die heilige Kommunion vorzubereiten, denn sie wusste, dass diese Stunde herannahe. Dabei beobachtete sie mit dem inneren Blick alle Handlungen ihres heiligsten Sohnes.
1159. Während die reinste Mutter sich zurückzog, trat unser Herr mit den zwölf Aposteln und den übrigen Jüngern in den für das Abendmahl zubereiteten Saal. Hier feierte Er mit ihnen das Abendmahl durch den Genuss des Osterlammes, wobei Er alle Zeremonien des Gesetzes beobachtete, ohne gegen einen der Gebräuche zu verstoßen, die Er selbst durch Moses vorgeschrieben hatte (Ex 12, 3 ff). Bei diesem letzten Abendmahl verlieh der Herr den Aposteln das Verständnis aller Zeremonien des vorbildlichen Gesetzes. Er sagte ihnen, wie er diese Zeremonien den Altvätern und Propheten vorgeschrieben habe, um vorzubilden, was Er jetzt als Erlöser der Welt in Wahrheit vollbringen werde. Das alte Gesetz des Moses und dessen Vorbilder würden nunmehr der Wahrheit weichen. Der Schatten müsse fliehen, weil das Licht komme und das neue Gesetz der Gnade beginne, in welchem nur die Gebote des Naturgesetzes bestehen bleiben sollten, welches immer dauere. Diese Gebote würden aber vervollkommnet werden durch andere göttliche Gebote und Räte, die Er selbst gelehrt. Durch die Kraft der Sakramente des Neuen Bundes sollten alle alten Geheimnisse als unwirksam und bloß vorbildlich aufhören. Zu all diesen Zwecken feiere Er mit ihnen dieses Abendmahl, durch welches Er die Gebräuche und die Verpflichtung des Gesetzes aufhebe, denn es habe nur dazu gedient, vorzubereiten und vorzubilden, was Er jetzt tue. Wenn aber der Zweck erreicht sei, so höre der Gebrauch der Mittel auf.
1160. Die Apostel erhielten durch diese neue Lehre Einblick in die tiefen Geheimnisse, welche ihr göttlicher Meister zu vollziehen im Begriff stand. Die Jünger aber, welche anwesend waren, verstanden nicht soviel davon wie die Apostel. Judas beachtete und verstand am wenigsten oder vielmehr gar nichts, denn er war ganz vom Geiz besessen. Er dachte nur an den treulosen Verrat den er verabredet hatte, und an die Art und Weise, ihn heimlich auszuführen. Überdies hielt der Herr seine Geheimnisse vor ihm verborgen, wie es seine Gerechtigkeit und die Anordnung seiner wunderbaren Gerichte erforderte. Indes wollte Er ihn vom Abendmahl und den übrigen Geheimnissen nicht ausschließen, bis er sich durch seinen bösen Willen selbst ausschloss. Der Herr behandelte ihn vielmehr stets als seinen Jünger, Apostel und Diener und schonte seine Ehre. Durch dieses Beispiel hat der Herr die Kinder der Kirche belehrt, welche Ehrfurcht sie für die Diener und Priester der Kirche hegen müssen. Er hat ihnen gezeigt, wie sie für die Ehre der Priester eifern sollen und dass es nicht erlaubt sei, die Fehler und Schwachheiten bekanntzumachen, welche man an ihnen als an Menschen von gebrechlicher Natur bemerke. Keiner von ihnen wird schlechter sein als Judas, davon dürfen wir überzeugt sein. Andererseits wird niemand unserem Herrn gleich sein, und niemand wird dieselbe Vollmacht und Gewalt besitzen, die Er besaß. Dies lehrt der Glaube. Sind nun aber alle Menschen zusammengenommen unendlich weniger als unser Heiland, dann ist es nicht recht, dass man den Dienern Christi gegenüber, die doch im schlimmsten Fall immer noch besser sind als Judas, etwas tue, was nicht einmal der Herr selbst diesem schlechtesten Jünger und Apostel gegenüber getan hat. Und dies gilt auch für die Obern. Der göttliche Heiland war es ja auch und hat dennoch den Judas ertragen und dessen Ehre gewahrt.
1161. In dieser Stunde brachte unser Erlöser dem ewigen Vater in einem geheimnisvollen Gebet deN gebührenden Lobpreis dafür dar, dass die Vorbilder des Alten Bundes an Ihm erfüllt seien und dass dadurch sein Name erhöht werde. Zur Erde niedergeworfen, demütigte Er sich in seiner heiligsten Menschheit bekannte und betete die Gottheit als unendlich erhaben an und richtete innerlich ein unaussprechlich erhabenes Gebet unter inbrünstigen Herzensergießungen an den ewigen Vater, indem Er sprach:
1162. «Mein ewiger Vater, unermesslicher Gott, dein ewiger göttlicher Wille hat beschlossen, meine wahre Menschheit zu erschaffen, damit ich als Mensch das Haupt aller derjenigen sei, die für deine Glorie und ihre ewige Seligkeit auserwählt sind und sich mittels meiner Werke dazu befähigen. Zu diesem Zweck, und um die gefallenen Kinder Adams zu erlösen, habe Ich dreiunddreißig Jahre unter ihnen gelebt. Nun, o Herr und Vater, ist die geeignete, deinem ewigen Willen wohlgefällige Stunde gekommen, dass dein heiliger Name den Menschen offenbart und von allen Völkern erkannt und erhöht werde durch den Glauben, welcher allen deine unbegreifliche Gottheit kundgibt. Jetzt ist es Zeit, dass das mit sieben Siegeln verschlossene Buch geöffnet werde, welches deine Weisheit mir übergeben hat (Offb 5, 7). Es ist Zeit, dass den alten Vorbildern und Tieropfern ein glückliches Ende gegeben werde. Sie waren ja nur Vorbilder des Opfers, welches ich mit meiner eigenen Person jetzt freiwillig darbringen will für meine Brüder, die Kinder Adams, für die Glieder jenes Leibes, dessen Haupt ich bin, für die Schafe deiner Herde. Ich flehe jetzt für sie, du wollest mit barmherzigen Augen auf sie blicken. Und haben jene alten Opfer, jene Vorbilder, die ich jetzt in Wahrheit erfüllen will, um ihrer geheimnisvollen Bedeutung willen deinen Zorn zu besänftigen vermocht so ist es, mein Vater, gerecht dass dein Zorn jetzt ein Ende nehme, denn bereitwillig bringe ich mich zum Opfer dar, um für die Menschen am Kreuz zu sterben. Ich gebe mich hin, um in dem Feuer meiner eigenen Liebe als Brandopfer verzehrt zu werden. Möge nun, o Herr, die Strenge deiner Gerechtigkeit sich mäßigen. Schaue mit den Augen deiner Milde auf das Menschengeschlecht. Wir wollen den Menschen ein heilsames Gesetz geben, durch welches ihnen die Pforten des Himmels geöffnet werden, die bisher durch ihren Ungehorsam geschlossen waren. Mögen sie nun einen sicheren Weg und einen offenen Eingang finden, um mit mir zur Anschauung deiner Gottheit einzugehen, falls sie meinen Fußstapfen folgen und mein Gesetz beobachten wollen !»
1163. Der ewige Vater nahm dieses Gebet unseres Heilandes Jesu Christi wohlgefällig an und sandte alsbald zahllose Engelscharen aus der Höhe ab, damit sie bei den Wunderwerken, welche der menschgewordene Sohn Gottes im Speisesaal vollbringen wollte, gegenwärtig seien. Während dieser Vorgänge, war die heiligste Jungfrau Maria in ihrem Zimmer zur höchsten Beschauung erhoben, so dass sie alles ebenso klar und deutlich sah, wie wenn sie gegenwärtig gewesen wäre. Bei allen Werken ihres Sohnes, unseres Heilandes, war sie mittätig, und zwar in der Art und Weise, wie es seine wunderbare Weisheit ihr als der Gehilfin bei allen seinen Werken angeordnet hatte. Sie erweckte heldenmütige, wunderbare Akte aller Tugenden, mit welchen sie die Akte unseres Herrn Jesu Christi begleitete. Denn alle seine Akte klangen im reinsten Herzen seiner Mutter wie in einem geheimnisvollen, himmlischen Echo wieder, indem U. L. Frau alle Gebete ihres göttlichen Sohnes in ihrer Weise wiederholte. Vor allem aber pries sie Gott in neuen, wunderbaren Lobliedern für alles, was die heiligste Menschheit in der Person des Wortes jetzt vollbrachte, um den Willen Gottes zu tun und die Vorbilder des Alten Bundes zu erfüllen.
1164. Ein großes Wunder und ein überaus staunenswertes Schauspiel würde es für uns sein, wie es ein solches wirklich für die Engel gewesen ist und für die Seligen des Himmels einst sein wird, wenn wir die himmlische Harmonie der Tugenden und Akte sehen würden, welche in dem Herzen U. L. Frau wie in wohlgeordnetem Chore vereinigt waren, ohne dass sie sich gegenseitig störten oder hinderten, da doch alle zusammen und jede einzelne im besonderen mit höchster Kraft betätigt waren. Maria schaute mit vollkommener Klarheit die eben genannten Geheimnisse, und zwar alle zu gleicher Zeit: sie sah, wie ihr heiligster Sohn nun die Zeremonien und Vorbilder des Alten Bundes erfüllen und abschaffen und an deren Stelle den Neuen Bund mit edleren und wirksamen Geheimnissen setzen werde. Sie schaute die überreiche Frucht der Erlösung in den Auserwählten und den Untergang der Verworfenen. Sie schaute die Erhöhung des göttlichen Namens und die Verherrlichung der heiligsten Menschheit ihres Sohnes Jesu Christi. Sie sah, wie der Glaube und die Erkenntnis des einen wahren Gottes von nun an ganz allgemein auf der Welt verbreitet werde und wie der seit so vielen Jahrhunderten verschlossene Himmel sich öffne, damit die Kinder Adams in denselben eingehen könnten durch die Stiftung und die Entwicklung der neuen, christlichen Kirche mit all ihren Geheimnissen. Sie sah endlich, dass der wunderbare und weise Urheber aller dieser Werke kein anderer sei als ihr heiligster Sohn und dass Er als solcher von allen himmlischen Geistern mit höchster Bewunderung gepriesen werde. Darum pries auch sie den ewigen Vater für alle diese Wunderwerke, ohne auch nur ein Pünktlein zu übersehen. Für jedes einzelne sagte die große Königin dem Herrn Dank, über alle freute und tröstete sie sich mit unaussprechlichem Jubel.
1165. Allein die liebevollste Mutter sah dabei auch, dass diese unaussprechlichen Werke ihren Sohn die Schmerzen. die Schmach und die Peinen seines Leidens und zuletzt den so bittern, harten Tod am Kreuz kosten sollten, und dass Er alle diese Peinen in derselben menschlichen Natur erdulden müsse, welche Er von ihr empfangen hatte. Sie sah, dass trotzdem so viele Kinder Adams Ihm für sein Leiden undankbar sein und die überreiche Frucht seiner Erlösung verlieren würden. Diese Voraussicht erfüllte das unschuldigste Herz der zärtlichsten Mutter mit bitterem Schmerz. Doch als lebendiges Abbild ihres Sohnes wurde bei allen diesen gleichzeitigen Regungen ihr großmütiges Herz nicht verwirrt. Sie hörte nicht auf, die heiligen Frauen zu belehren und zu trösten. Ohne die erhabenen Erleuchtungen, welche sie erhielt, aus dem Auge zu verlieren, ließ sie sich äußerlich herab, jenen Frauen durch heilsame Ratschläge und Worte des Lebens Belehrung und Trost zu bieten. O wunderbare Lehrmeisterin, übermenschliches Muster, uns zur Nachahmung gegeben! Freilich verschwindet unser Vermögen vor diesem Meer von Licht und Gnade. Aber ebenso ist es wahr, dass auch unsere Leiden im Vergleich zu den ihrigen nur Schein, ja nichts sind. Sie allein hat ja mehr gelitten als alle Menschen zusammen. Und dennoch wissen wir weder aus Liebe zu ihr und um ihr zu folgen, noch zu unserem ewigen Heil auch nur die geringste Widerwärtigkeit geduldig zu ertragen. Durch jedes Leiden werden wir verwirrt und aufgebracht. Wir machen ein trübes Gesicht und lassen unsern Leidenschaften die Zügel schießen. Aus Zorn leisten wir Widerstand, vor Traurigkeit fallen wir in Ungeduld. Wegen Ungelehrigkeit verirren wir uns von der Vernunft. Alle bösen Regungen sind in Aufruhr und zu jeder Überstürzung bereit. Andererseits wird uns auch die Wohlfahrt zum Verderben, so dass wir in nichts auf unsere verdorbene Natur bauen können. Erinnern wir uns bei solchen Anlässen an unsere himmlische Lehrerin, damit wir solche Unordnungen beseitigen.
1166. Nachdem die gesetzliche Ostermahlzeit vollendet und die Apostel wohl unterrichtet waren, stand der Herr, wie der hl. Johannes berichtet (Joh 13, 4), vom Mahl auf, um den Aposteln die Füße zu waschen. Zuvor richtete Er nochmals ein Gebet zum himmlischen Vater, indem Er sich vor ihm niederwarf, geradeso, wie wir oben beim Abendmahl gesehen haben. Indes verrichtete Er dieses Gebet nicht mündlich, sondern innerlich, indem Er sprach: «Mein ewiger Vater, Schöpfer des Weltalls, ich bin das Ebenbild deines Wesens (Hebr 1, 3), erzeugt von deinem Verstand. Ich habe mich deinem heiligen Willen gemäß angeboten, die Welt durch mein Leiden und Sterben zu erlösen. Darum will ich jetzt wenn es dir gefällt, diese Geheimnisse beginnen, indem ich mich bis zum Staub demütige, damit die Hoffart Luzifers durch meine, deines Eingebornen, Demut beschämt werde. Um meinen Aposteln und meiner ganzen Kirche, die auf dieses sichere Fundament der Demut gegründet werden soll, ein Beispiel dieser Tugend zu hinterlassen, will ich, o Vater, meinen Jüngern die Füße waschen, selbst dem Judas, der wegen seiner beabsichtigten Missetat der letzte von allen ist. Mit aufrichtiger, tiefer Demut zu seinen Füßen niedergeworfen, will ich ihm meine Freundschaft und sein Heil anbieten. Er ist zwar mein größter Feind unter den Menschen. Gleichwohl will ich ihm meine Barmherzigkeit nicht verweigern, noch auch die Verzeihung seines Verrates, damit wenn er sie nicht annimmt Himmel und Erde wissen, dass Ich ihm die Arme meiner Milde geöffnet, er aber sie hartnäckig verachtet hat.»
1167. Dies war das Gebet unseres Herrn vor der Fußwaschung. Um aber den Liebeseifer zu beschreiben, mit welchem der Heiland diese Werke vollbrachte, finde ich keine Worte, und selbst alle Geschöpfe bieten dafür keine passenden Gleichnisse. Denn zu langsam erscheint hierfür die Tätigkeit des Feuers, das Eilen des Flusses zum Meer, das Streben des Steines nach seinem Ruhepunkte, kurz, die Bewegungen aller Elemente in und außerhalb ihrer Sphäre. Soviel wissen wir gewiss: nur seine Liebe und Weisheit konnte eine solche Demut ersinnen, dass Er, welcher die Gottheit und Menschheit in sich vereinigte, sich bis zum Niedrigsten am Menschen, d.h. bis zu den Füßen erniedrigte, und zwar zu den Füßen des schlechtesten aller Menschen, des Judas und dass Er seine heiligen Lippen auf diese unreine, gemeine Stelle drückte, dass Er, das Wort des ewigen Vaters, der Heilige der Heiligen, die wesenhafte Güte, der Herr der Herren, der König der Könige sich vor dem schlechtesten der Menschen niederwarf, um ihn zu retten, falls derselbe diese unschätzbare Gnade verstehen und annehmen wollte.
1168. Nach dem genannten Gebet erhob sich unser göttlicher Meister mit ruhigem und heiterem Antlitze und befahl seinen Jüngern, sich in Ordnung zu setzen, während Er stehen blieb, als wären sie Herren und Er ihr Diener. Dann legte Er das Oberkleid ab, welches Er über dem ungenähten Rocke trug, der bis an die Füße reichte, ohne sie zu bedecken. Er trug bei dieser Gelegenheit auch Sandalen. Diese legte Er nämlich manchmal ab und ging barfuss, z.B. während der Verkündigung des Evangeliums; manchmal aber bediente Er sich ihrer, seitdem seine heiligste Mutter sie Ihm in Ägypten gegeben hatte. Wie schon früher bemerkt wurde, hatten die Sandalen im Laufe der Jahre den Füßen entsprechend an Größe zugenommen. Nachdem unser Herr das Oberkleid abgelegt - dieses sind «die Kleider», von welchen der Evangelist (Joh 13, 4 ff) spricht -, nahm Er ein langes Linnentuch und umgürtete sich mit dessen einem Teil, während Er das andere Ende herabhängen ließ. Dann goss Er Wasser in ein Becken, um die Füße der Jünger zu waschen, die mit Verwunderung auf alles achteten, was ihr göttlicher Meister tat.
1169. Nun trat der göttliche Heiland zum Haupt der Apostel, zum hl. Petrus, um ihn zu waschen. Doch als der feurige Apostel den Herrn, den Er als den Sohn des lebendigen Gottes erkannt und bekannt hatte, vor seinen Füßen niedergeworfen sah, da erneuerte er, von neuem Lichte erleuchtet innerlich seinen Glauben, erkannte mit tiefer Demut seine eigene Niedrigkeit und sagte voll Bestürzung und Staunen: «Herr, du willst mir die Füsse waschen?» Christus antwortete mit unvergleichlicher Sanftmut: «Was ich tue, verstehst du jetzt nicht. Du wirst es aber nachher verstehen.» Damit wollte der Herr sagen: Gehorche jetzt zuerst meinem Willen und ziehe nicht deinen eigenen vor, wodurch du die Ordnung der Dinge verkehrst und sie voneinander scheidest. Zuerst musst du deinen Verstand gefangen geben und glauben, dass, was ich tue, recht ist. Dann, wenn du geglaubt und gehorcht hast, wirst du auch die Geheimnisse meiner Handlungen verstehen. Durch die Tür des Gehorsams musst du zu diesem Verständnisse gelangen. Ohne Gehorsam ist man nicht wahrhaft demütig, sondern vermessen. Eben so wenig darfst du deine Demut über die meinige stellen. Ich habe mich erniedrigt bis zum Tod und habe, um mich so tief zu demütigen, Gehorsam geübt. Und du, mein Jünger, befolgst meine Lehre nicht. Unter dem Vorwand, dich zu demütigen, bist du ungehorsam und störst die Ordnung. So verlierst du die Demut und den Gehorsam, indem du deinem eigenen vermessenen Urteile folgst.
1170. Doch der hl. Petrus verstand diese in der ersten Antwort seines Meisters enthaltene Lehre nicht, denn wenn er auch sein Schüler ist so hatte er doch die göttliche Wirkung dieser Fußwaschung und Berührung noch nicht erfahren. So antwortete er denn, von seiner unklugen Demut verleitet: «Nie werde ich zugeben, o Herr, dass du mir die Füße waschest.» Nun erwiderte der Herr des Lebens mit größerer Strenge: «Wenn ich dich nicht wasche, so hast du keinen Teil mit mir!» Durch diese bedrohende Antwort hat der Herr die Sicherheit des Gehorsams verkündet. Denn nach menschlichem Urteil scheint der hl. Petrus einigermaßen entschuldbar gewesen zu sein, dass er sich einer so unerhörten Sache widersetzte, die dem menschlichen Verstand als höchst unzulässig erscheint nämlich einzuwilligen, dass derjenige, den er als Gott erkannte und anbetete, sich ihm, einem irdischen Menschen und Sünder, zu Füßen werfe. Allein diese Entschuldigung galt nicht, weil es eine Unmöglichkeit war, dass der göttliche Meister in dem, was Er tat irre. Ist es aber nicht ganz deutlich und offenbar, dass der Befehlende sich irrt, so muss man blindlings gehorchen und keinen anderen Grund zum Widerstand suchen. Unser Heiland wollte durch dieses Geheimnis den Ungehorsam unserer Stammeltern Adam und Eva wieder gutmachen, durch welchen die Sünde in die Welt gekommen war (Röm 5,19). Weil nun der Ungehorsam des hl. Petrus dem ihrigen ähnlich und verwandt war, so bedrohte ihn der Herr auch mit einer ähnlichen Strafe, dass er nämlich keinen Teil an Ihm haben werde, falls er nicht gehorche. Das hieß ihn ausschließen von seinen Verdiensten und von der Frucht der Erlösung, durch welche wir fähig und würdig werden, seine Freundschaft zu erlangen und seine Glorie zu teilen. Auch bedrohte ihn der Herr, ihm die Teilnahme an seinem Leib und Blut zu verweigern, welche er alsbald unter den Gestalten des Brotes und Weines reichen wollte. Obwohl nämlich der göttliche Heiland sich in diesem Sakrament nicht teilweise, sondern ganz geben wollte und mit der glühendsten Sehnsucht verlangte, sich in dieser geheimnisvollen Weise mitzuteilen, so wäre doch der Ungehorsam Grund genug gewesen, den Apostel dieser Liebeswohltat zu berauben, falls er in demselben verharrt hätte.
1171. Durch diese Drohung des Herrn war der hl. Petrus so erschüttert und zurechtgewiesen, dass er alsbald mit tiefster Unterwürfigkeit antwortete: «Herr! Ich biete nicht allein meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt an, damit du mich ganz waschest.» Dies bedeutete: Ich biete meine Füße an, um zum Gehorsam zu eilen; meine Hände, um denselben zu vollbringen; mein Haupt um nicht meinem eigenen Urteil gegen den Gehorsam zu folgen. Der Herr nahm diese Unterwerfung des hl. Petrus an und sprach zu ihm: «Ihr seid rein, aber nicht alle (es befand sich ja unter ihnen der unreine Judas). Wer aber rein ist bedarf nicht mehr, als dass er die Füße wasche.» Christus sagte dies, weil alle Jünger, mit Ausnahme des Judas, durch seine Lehre von Sünden gereinigt und im Stand der Gnade waren, also nur die Unvollkommenheiten und kleinen, lässlichen Fehler abzuwaschen brauchten, um der heiligen Kommunion mit geziemenderer Vorbereitung zu nahen, wie solche erfordert ist um deren göttliche Wirkungen in größerer Kraft und Fülle zu erfahren und reichere Gnaden zu erlangen. Denn die lässlichen Sünden sowie Zerstreuung und Lauigkeit beim Empfange der heiligen Kommunion sind jenen Wirkungen in hohem Grade hinderlich. So wurde denn der hl. Petrus gewaschen, und auch die anderen gehorchten mit größter Rührung und unter Tränen, denn alle empfingen bei dieser Fußwaschung neues Licht und reiche Gnaden.
1172. Nun kam der göttliche Meister zu Judas, um auch ihm die Füße zu waschen. Der treulose Verrat dieses Jüngers hatte die Liebe Jesu Christi nicht auszulöschen vermocht. Ja der göttliche Heiland ließ sich dadurch nicht abhalten, dem Judas sogar noch größere Beweise der Liebe zu geben als den ünrigen Aposteln. Zwar verbarg der Herr die Zeichen dieser Liebe vor den Aposteln, dem Judas aber zeigte Er sie, und zwar auf zweifache Weise: einmal durch die Freundlichkeit des Angesichts und durch die äußerliche Zärtlichkeit, mit welcher der Herr sich zu des Judas Füßen niederwarf, dieselben wusch, küsste und ans Herz drückte. Sodann durch die kräftigen Einsprechungen, mit welchen Er auf sein Inneres wirkte, gemäß dem Bedürfnisse und dem traurigen Zustand seines Gewissens, denn diese Gnadenhilfen für Judas waren in sich stärker als die Gnaden, die der Herr irgend einem anderen Apostel bei dieser Gelegenheit verlieh. Allein der Seelenzustand des Judas war durch und durch schlecht. Seine bösen Gewohnheiten waren äußerst stark, sein Wille war infolge so vieler verbrecherischer Entschlüsse ganz verstockt sein Verstand und seine Geisteskräfte waren verwirrt und geschwächt. Judas hatte sich vollständig von Gott abgewendet und dem Satan hingegeben. Er trug den Satan in seinem Herzen wie auf dem Thron seiner Bosheit. Und so widerstand er allen Gnaden und Einsprechungen, die er bei der Fußwaschung erhielt. Dazu kam noch, dass auch die Furcht vor den Schriftgelehrten und Pharisäern ihn bewog, an dem mit ihnen abgeschlossenen Vertrag festzuhalten. Da nun bei der äußeren Gegenwart Christi und bei dem inneren Einwirken der Gnaden das Licht des Verstandes ihn erschüttern wollte, erhob sich in seinem finsteren Gewissen ein gewaltiger Sturm. Dadurch wurde er mit Verwirrung und Bitterkeit erfüllt in Zorn entflammt und gegen seinen Meister und Arzt der ihm das Heilmittel anbot heftig aufgebracht. So verwandelte Judas die Arznei in tödliches Gift und in die bitterste Galle der Bosheit von welcher er ganz erfüllt und eingenommen war.
1173. Die Bosheit des Judas widerstand also der Kraft der Berührung jener göttlichen Hände, in welche der ewige Vater alle seine Schätze und die Macht niedergelegt hatte, Wunder zu wirken und alle Menschen zu bereichern. Hätte der verstockte Judas auch keine anderen Gnaden empfangen als die gewöhnlichen, welche die Gegenwart und der Anblick des Urhebers des Lebens in den Seelen hervorbrachte, und jene, welche die heiligste Person unseres Herrn auf natürliche Weise bewirken konnte, so würde die Bosheit dieses unglücklichen Jüngers schon jede Vorstellung übersteigen. Die Person Christi war ja dem Leib nach überaus vollkommen und schön. Sein Antlitz, freundlich und ernst zugleich, strahlte in mildester, lieblichster Schönheit. Sein Haar war gleichförmig, wie das der Nazarener, und dessen Farbe spielte zwischen Gold und Kastanienbraun. Aus seinen offenen Augen leuchtete die höchste Anmut und Majestät. Der Mund, die Nase, alle Teile des Gesichtes waren im vollsten Ebenmaß. Kurz, in jeder Hinsicht war sein Äußeres so liebenswürdig, dass, wer immer Ihn ohne bösen Willen anblickte, mit Ehrfurcht und Liebe zu Ihm hingezogen wurde. Zudem erregte sein Anblick innerliche Freude, gab der Seele wunderbare Erleuchtung und rief himmlische Gedanken sowie andere außerordentliche Wirkungen in ihr hervor. Und diese so liebenswürdige, so ehrwürdige Person Jesu Christi sah Judas zu seinen Füßen und erhielt von ihr außerordentliche Beweise der Liebe und mehr als gewöhnliche Antriebe der Gnade. Allein so weit ging seine Verkehrtheit, dass nichts mehr imstande war, ihn zu beugen und sein steinhartes Herz zu erweichen. Im Gegenteil, durch die milde Zärtlichkeit des Herrn wurde er aufgebracht. Er wollte Ihm nicht einmal ins Gesicht schauen und nicht auf seine Person achten: seitdem er die Gnade Gottes und den Glauben verloren hatte, trug er beständig diesen Hass gegen unsern Herrn und dessen heiligste Mutter in seinem Herzen und blickte ihnen niemals mehr in das Angesicht. Noch größer war in gewisser Weise der Schrecken Luzifers vor der leiblichen Gegenwart unseres Heilandes Jesu Christi. Dieser Feind wohnte nämlich, wie ich oben gesagt habe, im Herzen des Judas. Da er nun den Anblick der Demut, welche unser Herr an den Aposteln übte, nicht ertragen konnte, so hätte er den Judas wie den Speisesaal gerne verlassen. Allein der göttliche Heiland hielt ihn mit seinem allmächtigen Arme zurück, um seinen Stolz aufs tiefste zu beschämen. Erst später wurde der Satan, wie ich unten sagen werde, aus dem Speisesaal verjagt und zwar in einem Zustand höchster Wut und qualvoller Besorgnis, Christus möchte vielleicht wahrer Gott sein.
1174. Unser Erlöser beendigte die Fusswaschung, legte sein Oberkleid wieder an, setzte sich inmitten seiner Jünger und hielt an sie jene große Ansprache, welche der hl. Johannes berichtet (Joh 13,12 ff) und die mit den Worten begann: «Wisst ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr sprechet recht, denn ich bin es. Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr, einer dem andern, die Füße waschen. Denn ich habe euch dieses Beispiel gegeben. damit auch ihr so tut, wie ich euch getan habe. Denn der Jünger soll nicht größer sein als der Meister, der Knecht nicht größer als sein Herr, noch der Apostel größer als der, welcher ihn gesandt hat.» So fuhr der Herr fort, die Apostel zu belehren, zu ermahnen und ihnen große Geheimnisse mitzuteilen. Ich will sie aber nicht wiederholen, sondern verweise auf die Evangelisten. Die Apostel wurden durch diese Rede aufs neue erleuchtet über die Geheimnisse der allerheiligsten Dreieinigkeit und der Menschwerdung. Sie wurden durch neue Gnaden auf das Geheimnis der heiligen Eucharistie vorbereitet und auch bestärkt in der Kenntnis, weIche sie über die Größe der Wunder des Herrn und über die Tiefe seiner Lehre erhalten hatten. Der hl. Petrus und der hl. Johannes wurden am meisten erleuchtet. denn einem jeden Apostel wurde größeres oder geringeres Licht verliehen, je nach dem Grad seiner Disposition und nach Gottes Anordnung. Die Fragen, welche der heilige Johannes wie er selbst (Joh 13, 23) erzählt auf Ansuchen des hl. Petrus an den Herrn richtete, wer nämlich der Verräter sei, der ihn verkaufen würde, fanden während des Abendmahles statt, da Johannes gegen die Brust seines Meisters gelehnt war. Der hl. Petrus wollte in seinem Feuereifer den Schuldigen kennen, um ihn zu strafen oder dessen Verbrechen zu verhindern, wie er sich denn stets in der Kundgebung seiner Liebe zu Christus vor allen anderen Aposteln auszeichnete. Allein der hl. Johannes teilte es ihm nicht mit obwohl er durch den Bissen, den der Heiland dem Judas gab, den Worten Jesu gemäß den Judas als den Verräter erkannt hatte. Johannes behielt dieses Geheimnis für sich, um die Liebe zu üben, die er in der Schule des göttlichen Meisters gelernt und empfangen hatte.
1175. Der heilige Johannes wurde wie durch diese, so auch durch viele andere Gnaden ausgezeichnet als er an der Brust unseres göttlichen Heilandes ruhte. Es wurden ihm damals die erhabensten Geheimnisse über die Gottheit und Menschheit Jesu Christi sowie über dessen heiligste Mutter offenbart. Bei dieser Gelegenheit war es auch, wo der Herr die Himmelskönigin der Sorge des hl. Johannes übergab; denn am Kreuz sprach Er nicht: «Sie wird deine Mutter sein», oder: «Er wird dein Sohn sein», sondern: «Siehe deine Mutter (Joh 19, 27) !» Am Kreuz hat also der göttliche Heiland in dieser Hinsicht nichts festgesetzt. Er hat nur öffentlich verkündet, was Er zuvor schon dem hl. Johannes aufgetragen hatte.
Alle diese Geheimnisse der Fußwaschung und alle Worte und Reden des Herrn schaute Maria, die göttliche Mutter, in klarer und deutlicher Vision, wie schon mehrfach angedeutet wurde. Für alles brachte sie dem Allerhöchsten ihre Lob- und Preisgesänge dar. Als dann ihr göttlicher Sohn seine Wunderwerke vollbrachte, schaute sie sie nicht wie etwas ihr Unbekanntes, sondern wie jemand, der etwas sich vollziehen sieht, was ihm schon vorher bekannt, ja ins Herz eingeschrieben war, wie das Gesetz des Moses auf die Tafeln. Und über alles, was ihre hl. Schülerinnen zu wissen brauchten, unterrichtete sie dieselben. Was diese aber noch nicht zu fassen vermochten, bewahrte Maria in ihrem Herzen.
LEHRE welche mir Maria, die große Königin der Welt, gegeben hat
1176. Meine Tochter, in drei hervorragenden Tugenden, von welchen du in diesem Hauptstück gesprochen hast musst du meinem Sohn und Herrn als seine Braut und meine teuerste Schülerin mit ganz besonderem Eifer nachfolgen, nämlich in der Liebe, in der Demut und im Gehorsam. Diese sind es, welche an dem Herrn in der letzten Zeit seines Lebens besonders hervorleuchteten. Gewiss hat Er sein ganzes Leben hindurch seine Liebe zu den Menschen offenbart, denn um ihretwillen und für sie hat Er so viele und so große Wunderwerke vollbracht von dem Augenblick an, da Er durch Wirkung des Heiligen Geistes in meinem Schoß empfangen ward. Als Er aber am Ende seines Lebens den Neuen Bund stiftete, trat die Flamme der glühenden Liebe, welche in seinem Herzen brannte, mit noch größerer Kraft hervor. In dieser Zeit war die Liebe unseres Herrn Jesu Christi zu den Kindern Adams in ihrer ganzen Kraft tätig; denn seinerseits war Er umringt von Todesschmerzen (Ps 115, 3) und dazu kam von Seiten der Menschen ihr Widerstreben gegen das Leiden und die Tugend sowie ihre äußerste Undankbarkeit und Verkehrtheit, da sie darauf ausgingen, demjenigen Ehre und Leben zu nehmen, der ihnen seine Ehre und sein Leben schenkte und ewiges Heil bereitete. Allein gerade durch diesen Widerspruch stieg seine unauslöschliche Liebe immer höher. Sie wurde noch erfinderischer, um sich durch ihr eigenes Wirken zu erhalten. Der Herr traf Anstalten, um bei den Menschen zu bleiben, da Er sie verlassen musste. Er zeigte ihnen durch seine Lehre wie durch sein Beispiel und seine Werke sichere und wirksame Mittel, um an den Wirkungen seiner göttlichen Liebe teilzunehmen.
1177. Eben diese Kunst den Nächsten um Gottes willen zu lieben, sollst du wohl verstehen und fleißig üben. Dies wird der Fall sein, wenn gerade die Widrigkeiten und Beschwerden, welche andere dir antun, die ganze Kraft deiner Liebe wachrufen. Du weisst ja, dass dann die Liebe sicher und unverdächtig ist wenn von Seiten der Menschen weder Wohltaten noch Schmeicheleien dazu bewegen. Wohltäter zu lieben ist zwar Pflicht. Allein wenn du nicht genau acht gibst, weisst du nicht ob du dieselben um Gottes willen oder wegen des Nutzens liebst den sie dir bringen. Wäre letzteres der Fall, dann würdest du vielmehr deinen Vorteil oder dich selbst lieben, als den Nächsten um Gottes willen. Wer sich aber durch andere Gründe, etwa auch durch Schmeichelei, zur Liebe bewegen lässt, der weiß von der wahren, göttlichen Liebe nichts, da er von der blinden Liebe zu seinem Vorteil eingenommen ist. Liebst du dagegen auch jene, die dein Herz nicht durch solche Mittel gewinnen, dann wird der Beweggrund und das Hauptziel deiner Liebe kein anderes sein als der Herr selbst, den du dann in allen seinen Geschöpfen ohne Ausnahme liebst. Weil du aber die körperlichen Liebeswerke weniger üben kannst als die geistlichen - obwohl du dich beiden hingeben sollst, soviel du nur Kräfte und Gelegenheit hast -, so musst du dich besonders in den geistlichen Liebeswerken auszeichnen. In diesen sollst du, wie der Herr es verlangt, stets nach Großem streben und durch flehentliches Gebet, geistliche Übungen, kluge und heilige Ermahnungen das Heil der Seelen zu fördern trachten. Erinnere dich, dass mein Sohn und Herr niemand eine zeitliche Wohltat erwiesen hat ohne eine geistliche beizufügen, sonst wären seine göttlichen Handlungen nicht im höchsten Grade vollkommen gewesen. Hieraus wirst du ersehen, wie sehr man die Wohltaten der Seele denen des Leibes vorziehen soll, jene musst du immer inbrünstig begehren und an die erste Stelle setzen, wenn auch irdisch gesinnte Menschen gewöhnlich blindlings zeitliche Güter verlangen, dagegen die ewigen und jene, welche zur wahren Freundschaft und Gnade Gottes führen, vergessen.
1178. Auch die Tugenden der Demut und des Gehorsams hat mein heiligster Sohn bei der Fußwaschung durch Wort und Tat verherrlicht. Dein Herz wäre sehr hart und ungelehrig für die Wissenschaft des Herrn, wenn du trotz der innerlichen Erleuchtungen über sein wunderbares Beispiel dich nicht bis unter den Staub erniedrigtest. Fasse es also jetzt wohl. Niemals kannst du sagen oder dir einbilden, du habest dich nach Gebühr gedemütigt, müsstest du auch von allen, selbst von den sündhaftesten Menschen verachtet werden und deinen Platz zu ihren Füßen nehmen. Denn niemand wird schlechter sein als Judas, du selbst aber wirst niemals deinem Herrn und Meister gleichstehen. Wenn dir aber der Herr die Gnade und Auszeichnung einer wahren Demut verleiht, so gibt Er dir eben damit eine Art Vollkommenheit und Gleichförmigkeit mit sich selbst, welche dich des Titels einer «Braut Christi» würdig und einiger Ähnlichkeit mit ihm teilhaftig macht. Ohne diese Demut aber kann keine Seele zu solcher Auszeichnung und Teilnahme erhoben werden, denn wer sich erhöht muss erniedrigt werden, Wer dagegen sich erniedrigt kann und soll erhöht werden und zwar geschieht dies immer in dem Maß, als die Seele sich demütigt und vernichtet.
1179. Damit du aber diese Perle der Demut nicht gerade dann verlierest, wenn du darauf denkst sie zu bewahren, so mache ich dich aufmerksam, dass die Übung der Demut weder dem Gehorsam vorgehen, noch nach dem eigenen Ermessen geregelt werden darf. Dies muss durch den Oberen geschehen. Denn wenn du dein eigenes Urteil über das deines Seelenführers stellst, sei es auch unter dem Vorwand der Demut so bist du schon hoffärtig, denn weit entfernt, dich auf den letzten Platz zu stellen, erhebst du dich sogar über das Urteil deines Obern. Aus dem Gesagten magst du auch erkennen, wie sehr du dich der Gefahr des Irrtums aussetzst, wenn du, wie der hl. Petrus, aus falscher Ängstlichkeit die Gnaden und Wohltaten des Herrn nicht annehmen willst. Dadurch machst du dich nicht bloß jener Gnadenschätze verlustig, gegen welche du dich sträubst, sondern auch der Demut dieses kostbarsten Schatzes, nach welchem du doch so sehr verlangst. Zugleich verstoßest du aber auch gegen die Dankbarkeit, welche du Gott schuldig bist für die hohen Absichten, die Er bei solchen Werken stets vor Augen hat. Endlich würdest du dich dadurch der Erhöhung seines heiligen Namens widersetzen. Es ist ja nicht deine Sache, in seine geheimen, unerforschlichen Ratschlüsse einzudringen und sie zu verbessern durch die Gründe, wegen welcher du dich unwürdig erachtest, solche Gnaden zu empfangen oder solche Werke zu vollbringen. Dies alles ist Hochmut welchen Luzifer unter dem Scheine der Demut aussät, mit der Absicht, dich der Freundschaft Gottes und der Gnadengeschenke zu berauben, nach welchen du doch so sehnlich verlangst. Es sei dir also ein unverletzliches Gesetz, wenn deine Beichtväter und Oberen die Gnadenerweise des Herrn in dir als solche erkennen, so halte sie dafür, nimm sie an, achte sie hoch, danke dafür mit gebührender Ehrfurcht. Schwanke nicht immer zwischen neuen Zweifeln und Befürchtungen, sondern handle mit Eifer, dann wirst du demütig, sanftmütig und gehorsam sein.
ELFTES HAUPTSTÜCK: Einsetzung des heiligsten Altarsakramentes. Kommunion der heiligsten Jungfrau
Unser Heiland Jesus Christus feiert das sakramentale Abendmahl indem Er in der Eucharistie seinen heiligen Leib und sein heiliges Blut konsekriert. Gebete, die Er dabei verrichtet. Er reicht seiner heiligsten Mutter Maria die heilige Kommunion. Andere Geheimnisse, die bei dieser Feier stattfanden.
1180. Mit Zagen gehe ich daran, von diesem Geheimnis der Geheimnisse, von der unaussprechlichen Eucharistie zu sprechen und von dem, was bei ihrer Einsetzung geschah. Denn wenn ich die Augen meiner Seele erhebe, um das himmlische Licht aufzunehmen, welches mich bei diesem Werk leitet und mir das Verständnis so vieler Wunder und Geheimnisse mitteilt, so schaue ich in selben Licht auch meine Armseligkeit und werde ob ihrer von Furcht ergriffen. Mein Geist wird verwirrt, und ich kann keine passenden Worte finden, um auszudrücken, was ich schaue und was mein Geist mir vorstellt, obwohl auch letzteres noch weit hinter der Wahrheit zurückbleibt. Doch obwohl mir die Ausdrücke und die Geistesfähigkeiten mangeln, werde ich sprechen, um nicht gegen den Gehorsam zu fehlen und um, dem Gang der Geschichte folgend, weiter zu berichten, was Maria, die Königin der Welt, bei diesen wunderbaren Geheimnissen getan hat. Wenn ich nicht in der Weise spreche, wie es dem erhabenen Gegenstand angemessen ist, so mögen meine Lage und mein Staunen mich entschuldigen. Denn es ist nicht leicht, sich um äußere, passende Ausdrücke zu kümmern, während der Wille nichts anderes verlangt, als durch seine Affekte zu ersetzen, was dem Verstand abgeht und einsam zu genießen, was auszusprechen weder möglich noch dienlich ist.
1181. Der Herr hatte das gesetzliche Abendmahl auf einem Tisch oder einem Gestell gefeiert, welches nur sechs bis sieben Finger hoch war. Er lag dabei mit den Aposteln auf der Erde, wie dies bei den Juden üblich war. Nach der Fußwaschung aber befahl Er, einen anderen, höheren Tisch zu bereiten, wie wir jetzt solche zum Speisen haben. Durch diese Zeremonie machte Er dem gesetzlichen Abendmahl und den Vorbildern des Alten Bundes, welche gleichsam niedrige Dinge waren, ein Ende und begann das neue Mahl, auf welches Er das neue Gesetz der Gnade gründete. Von derselben Zeremonie stammt auch die in der katholischen Kirche stets erhaltene Gewohnheit, auf einem erhöhten Tisch oder Altar zu konsekrieren. Der neue Tisch wurde mit einem sehr kostbaren Linnentuch bedeckt und darauf ein Teller gestellt nebst einem großen, kelchförmigen Becher, welcher groß genug war, um den Wein zu fassen, der nach dem Willen unseres Herrn nötig war, denn unser Heiland hatte in seiner unendlichen Macht und Weisheit alles zum voraus so angeordnet. Der Herr des Hauses hatte Ihm nämlich infolge himmlischer Eingebung diese so kostbaren Gefäße angeboten. Sie waren aus einer Art Edelstein, wie Smaragd. Später bedienten sich auch die heiligen Apostel dieser Gefäße zum Konsekrieren, wenn dies möglich und nötig war. Nun setzte sich der Heiland mit den zwölf Aposteln und einigen Jüngern zu Tisch und bat, man möge Ihm ungesäuertes Brot und reinen Wein bringen. Jenes legte Er auf den Teller, von diesem goß Er in den Kelch, soviel nötig war.
1182. Darauf hielt der Lehrmeister des Lebens eine überaus liebevolle Anrede an seine Apostel. Seine Worte, die auch sonst immer bis ins tiefste der Herzen drangen, waren diesmal wie Feuerpfeile der Liebe, welche diese wonnevolle Glut der Liebe auch in den Herzen der Apostel anfachten. Der Herr offenbarte den Aposteln aufs neue sehr erhabene Geheimnisse über seine Gottheit und Menschheit und über die Werke der Erlösung. Er empfahl ihnen den Frieden und die Vereinigung in der Liebe, als deren Unterpfand Er ihnen das allerheiligste Geheimnis zurücklassen wollte. Er gab ihnen das Versprechen, dass, wenn sie einander liebten, sein ewiger Vater auch sie lieben werde, wie Er Ihn liebe (Joh 17, 26). Zugleich verlieh Er ihnen das Verständnis dieses Versprechens und sagte, dass Er sie auserwählt habe, die neue Kirche und das Gesetz der Gnade zu gründen. Überdies erneuerte Er in ihnen das innere Licht über die höchst erhabene Würde und die hohen Vorrechte seiner reinsten, jungfräulichen Mutter. Die höchsten Erleuchtungen über diese Geheimnisse erhielt der hl. Johannes wegen des Amtes, zu welchem er bestimmt war. U. L. Frau aber schaute von ihrer Betkammer aus, wo sie in tiefe Beschauung versenkt war, alle Handlungen ihres göttlichen Sohnes, und zwar mit tieferem Verständnis als alle Apostel und als alle Engel, welche, wie oben bemerkt wurde (Nr. 1163), in körperlicher Gestalt zugegen waren, um ihren wahren Herrn anzubeten. Diese Engel holten auch den Henoch und Elias von ihrem Aufenthaltsort in den Speisesaal, denn der Herr wollte, dass diese beiden Väter des Naturgesetzes und des geschriebenen Gesetzes bei diesem großen Wunder, nämlich der Gründung des evangelischen Gesetzes, zugegen seien und an dessen wunderbaren Geheimnissen teilnehmen könnten.
1183. Als alle die genannten Personen versammelt waren und mit Verwunderung erwarteten, was der Urheber des Lebens tun werde, erschien in dem Speisesaal, wie einst am Jordan und auf dem Tabor, die Person des ewigen Vaters mit dem Heiligen Geiste. Alle Apostel und Jünger fühlten zwar die Wirkungen dieser Erscheinung, allein sichtbar war sie nur einzelnen von ihnen, so namentlich dem heiligen Evangelisten Johannes, welcher überhaupt immer durch besondere Gnade die göttlichen Geheimnisse mit dem scharfen Blick eines Adlers durchschaute. Der ganze Himmel begab sich zum Zönakulum in Jerusalem. So großartig war diese Handlung, durch welche die Kirche des Neuen Bundes gestiftet, das Gesetz der Gnade begründet und unser ewiges Heil vorbereitet wurde. Damit man die Handlungen des menschgewordenen Wortes verstehe, bemerke ich, dass in ihm zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, in einer Person vereinigt waren, nämlich in der Person des Wortes, und dass darum auch die Handlungen beider Naturen einer und derselben Person zugeschrieben werden, gleich wie ja auch eine und dieselbe Person sowohl Gott als Mensch genannt wird. Wenn ich also sage, das menschgewordene Wort habe zu seinem Vater gebetet, so ist dies nicht so zu verstehen, als ob es in seiner göttlichen Natur gebetet habe - in dieser war es ja dem Vater gleich -, sondern in der menschlichen, in welcher es geringer war als der Vater, und aus Leib und Seele besteht wie wir. In diesem Sinne also lobte und verherrlichte Christus der Herr im Speisesaal seinen ewigen Vater wegen seiner Gottheit und unendlichen Wesenheit. Darauf betete Er für das Menschengeschlecht, indem Er sprach:
1184. «Mein Vater, ewiger Gott, ich lobe, preise und verherrliche dich in der unendlichen Wesenheit deiner unfassbaren Gottheit, in welcher ich eins bin mit dir und dem Heiligen Geiste, von Ewigkeit her gezeugt durch deinen Verstand, als der Abglanz deiner Herrlichkeit und das Ebenbild deiner unteilbaren Natur (Hebr 1, 3). Ich will das Werk der Erlösung, welches du mir aufgetragen hast, in derselben Natur, die ich im jungfräulichen Schoß meiner Mutter angenommen habe, vollenden, und zwar zu deinem höchsten Wohlgefallen und in höchster Vollkommenheit. Ich will diese Welt verlassen, um mich zu deiner Rechten zu setzen. Ich will alle zu dir führen, die du mir gegeben, ohne dass einer von ihnen verloren gehe (Joh 17,12), soweit dies von unserem Willen und von der zureichenden Kraft der Erlösung abhängt. Es ist meine Freude, bei den Menschenkindern zu sein (Spr 8, 31), und wenn ich von ihnen scheide und sie ohne meinen Beistand lasse, so sind sie wie verlassene Waisen. Darum will ich ihnen, o ewiger Vater, sichere Unterpfänder meiner unauslöschlichen Liebe und der ewigen Belohnungen geben, die du ihnen bereitet hast. Ich will ihnen ein unvergängliches Andenken an alles hinterlassen, was ich für sie getan und gelitten habe. Sie sollen in meinen Verdiensten ein leichtes und wirksames Heilmittel gegen die Sünde finden, in welche sie durch den Ungehorsam des ersten Menschen verstrickt wurden. Ich will ihnen das verlorene Recht auf die ewige Seligkeit, für welche sie erschaffen sind, vollauf zurückstellen.»
1185. «Weil sich aber nur wenige in dieser Gerechtigkeit erhalten werden, darum bedürfen sie anderer Heilmittel, durch welche sie die Gerechtigkeit wieder erlangen und vermehren können. Sie bedürfen neuer, kostbarer Gaben und Gnaden, welche deine unaussprechliche Güte ihnen spenden wird, um sie während ihrer gefahrvollen Pilgerschaft durch verschiedene Mittel und Wege zu rechtfertigen und zu heiligen. Als wir in unserem ewigen Ratschluss beschlossen, die Menschen aus dem Nichts zu erschaffen und in das Dasein zu rufen, da war es unsere Absicht, ihnen unsere Gottheit, unsere Vollkommenheiten, unsere ewige Glückseligkeit mitzuteilen. Nun ist aber deine Liebe, die mich bewogen hat, als leidensfähiger Mensch auf die Welt zu kommen und mich für die Menschen bis zum Tod am Kreuz zu erniedrigen, nicht befriedigt, wenn sie nicht neue Mittel ausfindig macht, sich den Menschen mitzuteilen, Mittel, weiche sowohl der Fassungskraft der Menschen als auch unserer Weisheit und Macht angemessen sind. Diese Mittel sollen in äußeren Zeichen bestehen, welche, der körperlichen Natur der Menschen entsprechend, sinnlich wahrnehmbar sind, dabei aber in der unsichtbaren, geistigen Seele des Menschen unsichtbare Wirkungen hervorbringen.»
1186. «Zur Ausführung dieser auf deine Ehre und Verherrlichung abzielenden Werke bitte ich, Herr, mein Vater, um das Jawort deines ewigen Willens. Ich bitte darum in meinem Namen und im Namen aller armen, unglücklichen Adamskinder. Und wenn auch ihre Sünden deine Gerechtigkeit herausfordern, so schreit doch ihr Elend und ihre Not zu deiner unendlichen Barmherzigkeit. Mit dieser ihrer Not stelle ich dir vor alle Werke meiner mit der Gottheit unzertrennlich vereinigten Menschheit. Ich stelle dir vor den Gehorsam, in welchem ich eingewilligt habe, leidensfähig zu werden und zu sterben; die Demut mit welcher ich mich den Menschen und ihren verkehrten Urteilen unterworfen habe; die Armut und die Mühsale meines Lebens, mit Schmach, meine Leiden und Sterben; die Liebe, mit welcher ich alles dieses zu deiner Ehre auf mich genommen habe, damit du von allen Geschöpfen, die deiner Gnade und Glorie fähig sind, erkannt und angebetet werdest. Du, Herr, mein Vater, hast mich zum Bruder der Menschen gemacht. Den Auserwählten aber, die auf ewig mit uns unsere Gottheit genießen sollen, hast du mich zum Haupte gegeben (Kol 1,18), damit sie als deine Kinder mit mir die Erben deiner ewigen Güter seien und damit sie als Glieder von mir, dem Haupte, jenen Gnadeneinfluss erlangen, den ich ihnen mitteilen will, kraft der Liebe, die ich als Bruder zu ihnen trage. Soviel von mir abhängt, will ich sie mit mir zu deiner Freundschaft und Gemeinschaft führen, welche ihnen in ihrem natürlichen Haupt, dem ersten Menschen, verliehen war.»
1187. «In dieser unermesslichen Liebe ordne ich an, dass von nun an alle Sterblichen durch das Sakrament der Taufe zu deiner Freundschaft und Gnade vollkommen wiedergeboren werden können. Sie sollen dasselbe empfangen können, sobald sie das Licht der Welt erblicken, und zwar ohne dass sie es selbst verlangen, wenn nur andere dies an ihrer Statt tun, indem du deren Willen annimmst. Von demselben Augenblick an sollen sie Erben deiner Glorie sein. Durch ein inneres, unauslöschliches Merkmal sollen sie als Kinder meiner Kirche bezeichnet und von dem Makel der Erbsünde gereinigt werden. Sie sollen die eingegossenen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe erhalten, um damit als deine Kinder zu handeln, an dich zu glauben, auf dich zu hoffen und dich um deiner selbst willen zu lieben. Sie sollen auch jene Tugenden erhalten, mittels deren sie die durch die Sünde in Unordnung gebrachten Leidenschaften bezähmen und beherrschen und das Gute und Böse ohne Irrtum unterscheiden können. Dieses Sakrament sei die Pforte meiner Kirche. Es befähige die Menschen zum Empfang der übrigen Sakramente sowie anderer Gnadengeschenke. Ferner ordne ich an, dass die Menschen nach der Taufe ein anderes Sakrament empfangen, durch welches sie in dem heiligen Glauben den sie bereits bekannt haben und noch bekennen müssen, bestätigt und gekräftigt werden sollen, damit sie, wenn sie einmal zum Vernunftgebrauch gelangt sind, ihren Glauben mutig verteidigen können. Und da die menschliche Gebrechlichkeit in Beobachtung meiner Gebote leicht nachlässt und meine Liebe sie nicht ohne ein leichtes, geeignetes Heilmittel lassen will, so soll zu diesem Zweck das Sakrament der Buße dienen. Wenn sie ihre Sünden mit Reue erkennen und bekennen, so sollen sie durch dieses Sakrament den Stand der Gnade wieder erlangen, damit sie auf diese Weise ungesäumt fortfahren. die ihnen verheißene Glorie zu verdienen, und Luzifer mit seinem Anhang nicht darüber triumphiere, dass er sie alsbald um den glücklichen und sicheren Stand, in welchen die Taufe sie versetzte, gebracht hat.»
1188. «Durch diese Sakramente gerechtfertigt, werden die Menschen befähigt sein, zur innigsten Liebesvereinigung mit mir zu gelangen, zu einer Vereinigung, wie eine innigere während ihres sterblichen Lebens, am Ort ihrer Verbannung nicht möglich ist. Diese Vereinigung soll dadurch vollzogen werden, dass sie mich auf unaussprechliche Weise, unter den Gestalten des Brotes und Weines im heiligsten Sakramente in ihr Herz aufnehmen. Unter der Gestalt des Brotes hinterlasse ich ihnen meinen Leib, unter der des Weines mein Blut. Unter jeder Gestalt aber werde ich ganz, wahrhaft und wirklich zugegen sein. Ich setze dieses geheimnisvolle Sakrament der Eucharistie in dieser Weise ein, weil ich mich den Menschen als Speise gebe, entsprechend ihrer Natur und ihrem Stand als Pilger, für weIche ich diese Wunder wirke, um auf diese Weise mit ihnen zu bleiben bis ans Ende aller kommenden Zeiten (Mt 28, 20). Damit sie aber noch ein anderes Sakrament haben, welches sie am Ende ihres Lebens reinigt und schützt, so gebe ich ihnen das Sakrament der Letzten Ölung. Dieses wird auch ein Unterpfand sein, dass sie in dem mit diesem Sakrament bezeichneten Leib einstens wieder auferstehen werden. Und weil alle Sakramente dahin zielen, die Glieder des mystischen Leibes meiner Kirche zu heiligen, und weil in dieser die höchste Ordnung und Harmonie herrschen muss, indem jeder den seinem Amt gebührenden Rang einnimmt, so ist es mein Wille, dass die Ausspender dieser Sakramente geweiht und ordiniert werden durch ein anderes Sakrament, welches sie zur höchsten priesterlichen Würde über alle anderen Gläubigen erhebt. Dazu soll das Sakrament der Weihe dienen, welches ein unterscheidendes Merkmal einprägt und auf ganz besondere Weise heiligt. Diese ihre Würde werden zwar alle Priester von mir empfangen, es ist aber mein Wille, dass dies durch Vermittlung eines Oberhauptes geschehe, welches mein Stellvertreter und der oberste Hohepriester sein soll. In seine Hände lege ich die Schlüssel des Himmelreiches. Ihm sollen alle Menschen auf Erden gehorchen. Zu höherer Vollkommenheit meiner Kirche ordne ich endlich das Sakrament der Ehe an welche das natürliche Band für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes heiligen wird. So sind alle Stände der Kirche mit meinen unendlichen Verdiensten bereichert und geziert. Dies, o ewiger Vater, ist mein letzter Wille, kraft dessen ich alle Sterblichen zu Erben meiner Verdienste mache, die ich in meiner neuen Kirche niederlege.»
1189. Dieses Gebet verrichtete unser Erlöser Jesus Christus in Gegenwart der Apostel, jedoch so, dass es äußerlich nicht bemerkbar war. Die heiligste Mutter aber, welche von ihrer Betkammer aus ihren Sohn schaute, warf sich währenddessen zur Erde nieder und opferte als Mutter die Bitten ihres Sohnes dem ewigen Vater auf. Freilich konnte sie zu den Werken ihres göttlichen Sohnes keine neue verdienstliche Kraft hinzufügen. Allein da sie seine Gehilfin war, so stand es ihr zu, wie bei anderen Gelegenheiten, so auch dieses Mal die Bitten Jesu zu begleiten und dadurch auch ihrerseits den Allerhöchsten zur Barmherzigkeit zu bewegen, war es ja der Wille des ewigen Vaters, seinen eingebornen Sohn niemals allein, sondern immer im Verein mit seiner Mutter zu sehen. So blickte also der himmlische Vater auf beide und nahm die Bitten des Sohnes wie der Mutter nach Verhältnis für das Heil der Menschen an.
Bei diesem Anlass vollzog die Himmelskönigin noch eine andere Aufgabe, welche der göttliche Heiland ihr zugewiesen hatte. Zum Verständnisse des Sachverhaltes erinnere ich daran, dass Luzifer bei der Fußwaschung der Apostel zugegen war, wie im vorhergehenden Hauptstück gesagt wurde. Aus den Handlungen Jesu nun und aus dem Umstand, dass Er ihn nicht aus dem Speisesaal fortgehen ließ, schloss der Satan, dass der Herr im Begriff stehe, irgend etwas Großes zum Besten der Apostel zu tun. Wiewohl er sich dem Heiland gegenüber schwach und machtlos fühlte, so wollte er doch in seiner unversöhnlichen Wut und Hoffart diese Geheimnisse ausspähen, um dann irgendeine Bosheit gegen dieselben zu versuchen. Allein Maria bemerkte das Vorhaben Luzifers und sah zugleich, dass ihr heiligster Sohn diese Angelegenheit ihr überlasse. Darum machte sie, von Liebe und Eifer für die Ehre des Allerhöchsten entflammt, von ihrer königlichen Gewalt Gebrauch und erteilte dem Drachen samt allen seinen Rotten den Befehl, augenblicklich den Speisesaal zu verlassen und in den Abgrund der Hölle hinabzufahren.
1190. Der Allmächtige verlieh der allerseligsten Jungfrau zu dieser Großtat gegen die Widerspenstigkeit Luzifers neue Kraft, welcher alle bösen Geister nicht zu widerstehen vermochten. So wurden sie also in den Abgrund der Hölle geschleudert, bis sie später aufs neue Erlaubnis erhielten, herauszukommen, um beim Leiden und Sterben unseres Erlösers gegenwärtig zu sein. Durch letzteres sollten sie vollständig besiegt werden und die Gewissheit erlangen, dass Christus der Messias, der Erlöser der Welt, wahrer Gott und Mensch sei. Dem Gesagten zufolge waren also Luzifer und die bösen Geister beim gesetzlichen Abendmahl, bei der Fußwaschung der Apostel und nachher beim ganzen Leiden des Herrn gegenwärtig, nicht aber bei der Einsetzung der heiligen Eucharistie und der Kommunion, weiche unser Herr darauf den Aposteln reichte. Nun wurde die Himmelskönigin zu einer noch höheren Beschauung der Geheimnisse erhoben, die sich vorbereiteten. Die Engel verherrlichten sie als eine neue tapfere Judith durch Lobgesänge wegen ihres großen Triumphes über den höllischen Drachen. Der göttliche Heiland aber brachte zu gleicher Zeit dem ewigen Vater Dank und Lobpreis dar, dass Er seine Bitten zum Heil der Menschen erhört hatte.
1191. Nachdem alles bisher Gesagte geschehen war, nahm unser Heiland Jesus Christus das Brot, das auf dem Teller lag, in seine ehrwürdigen Hände und betete innerlich zum himmlischen Vater um seine Erlaubnis und Zustimmung, dass Er kraft der Worte, die Er nunmehr aussprechen werde, jetzt und zu allen Zeiten, solange die Kirche bestehen werde, wahrhaft und wirklich in der Hostie gegenwärtig sei. Darauf erhob Er seine Augen zum Himmel, mit einem Angesicht von solcher Majestät, dass Er die Apostel und Engel und selbst seine jungfräuliche Mutter mit neuer Ehrfurcht erfüllte. Dann sprach Er die Worte der Konsekration oder Wandlung über das Brot, wodurch Er letzteres kraft einer Wesensverwandlung (Transsubstantiation) in seinen wahren Leib verwandelte. Die Worte der Konsekration des Weines sprach Er über den Kelch und verwandelte dadurch den Wein in sein wahres Blut. In demselben Augenblick, da unser Herr Jesus Christus die Wandlungsworte vollendete, sprach der ewige Vater: «Dieser ist mein vielgeliebter Sohn, an welchem ich mein Wohlgefallen habe und haben werde bis zum Ende der Welt. Er wird bei den Menschen bleiben, solange ihre Verbannung dauert.» Dasselbe bestätigte auch die Person des Heiligen Geistes. Die heiligste, mit der Person des Wortes vereinigte Menschheit Christi aber brachte der im Sakramente seines Leibes und Blutes verborgenen Gottheit die tiefste Verehrung dar. Die jungfräuliche Mutter bezeigte ihrem im Sakramente gegenwärtigen Sohn von ihrem Betzimmer aus, mit dem Angesicht zur Erde liegend, in unaussprechlicher Ehrfurcht ihre Anbetung. Dann beteten die Schutzengel Mariä den Herrn an, und mit ihnen taten ein gleiches alle Engel des Himmels. Nach den himmlischen Geistern beteten Ihn Henoch und Elias an, und zwar sowohl in ihrem eigenen Namen als auch im Namen der Patriarchen und Propheten des natürlichen wie des geschriebenen Gesetzes, ein jeder im Namen jenes Gesetzes, dessen Vertreter er war.
1192. Alle Apostel und Jünger beteten nach Maßgabe ihrer persönlichen Disposition den Herrn mit tiefer Demut und Ehrerbietigkeit und voll des Glaubens an, denn mit Ausnahme des Verräters Judas hatten bereits alle den Glauben an dieses große Geheimnis. Dann hob unser Hoherpriester Jesus Christus seinen konsekrierten Leib und sein konsekriertes Blut in die Höhe, damit alle, welche dieser ersten Messe beiwohnten, das heiligste Sakrament nochmals anbeteten. Und dies taten auch alle. Bei dieser Elevation (Er�hebung) wurden die seligste Jungfrau, der hl. Johannes, Henoch und Elias in höherem Grad als die übrigen erleuchtet. Sie erkannten auf besonders klare Weise, wie unter der Brotsgestalt der heilige Leib, unter der Gestalt des Weines das Blut unter beiden aber der ganze Christus lebendig und wahrhaft gegenwärtig sei, vermöge der unzertrennlichen Vereinigung seiner heiligsten Seele mit seinem Leib und Blut. Sie erkannten ferner, dass auch die Gottheit und in der Person des Sohnes auch die des Vaters und des Heiligen Geistes zugegen sei. Dass also kraft der genannten Vereinigung, Mitexistenz und Konkomitanz mit der vollkommenen Menschheit unseres Herrn Jesu Christi alle drei Personen der Gottheit in der Eucharistie gegenwärtig seien. Die höchste Erkenntnis hierüber erhielt die Himmelskönigin, die übrigen wurden mehr oder weniger erleuchtet. Sie erkannten auch die Wirksamkeit der Konsekrationsworte, wie sie nämlich, in der Intention Christi von irgendeinem Priester über die erforderliche Materie ausgesprochen, schon damals die Kraft besaßen, die Substanz des Brotes in den Leib und die Substanz des Weines in das Blut Jesu Christi zu verwandeln, während die Akzidenzien (d.h. die Gestalten) kraft einer wunderbaren Subsistenzweise ohne Subjekt oder Träger bleiben, ohne zu vergehen. Sie sahen, wie dies alles so gewiss und unfehlbar sei, dass eher Himmel und Erde vergehen, als dass die Form der Konsekration, sofern sie nur von einem Diener und Priester Jesu Christi in gehöriger Weise ausgesprochen wird, ihre Kraft verliere.
1193. Die Himmelskönigin erkannte auch durch eine besondere Vision, wie der heilige Leib Jesu Christi unter den Gestalten des Brotes und Weines in der Weise verborgen ist, dass weder Er von ihnen noch sie von Ihm verändert werden, denn der Leib kann nicht der Träger der Gestalten und die Gestalten können nicht die Form des Leibes sein. Die Gestalten oder die Akzidenzien haben vorher wie nachher dieselbe Ausdehnung und dieselben Eigenschaften und nehmen denselben Raum ein, wie man an der konsekrierten Hostie sieht. Der heilige Leib aber ist, wiewohl Er seine ganze Größe behält, doch nach Art eines unteilbaren Dinges (per modum indivisibilis) zugegen, und kein Teil wird mit dem andern vermengt. Er ist ganz in der ganzen Hostie, aber auch ganz in jedem Teil derselben. Er wird nicht von der Hostie und diese wird nicht von Ihm ausgedehnt oder eingeengt, denn die dem Leibe eigene Ausdehnung ist nicht von der Ausdehnung der akzidentellen Gestalten abhängig, und umgekehrt hängt die Ausdehnung der Gestalten nicht von dem heiligsten Leibe ab. So haben also beide eine gesonderte Existenzweise, und der Leib durchdringt ohne Hindernis die Quantität der Gestalten. Auch würde natürlicherweise das Haupt wegen seiner Ausdehung einen andern Ort und Raum erfordern als die Hände, diese wieder einen anderen als die Brust usw. Allein durch die Wirkung der göttlichen Allmacht befindet sich der konsekrierte Leib mit der Ihm eigenen Größe an einem und demselben Ort, denn Er ist dann nicht an den ausgedehnten Raum gebunden, den Er natürlicherweise einnimmt. Über alle diese Schranken ist Er erhaben, da Er ja auch ohne sie ein quantitativer Körper sein kann. Ebenso ist Er nicht bloß an einem Ort und auch nicht bloß in einer einzigen Hostie gegenwärtig, sondern in vielen zugleich, auch wenn die konsekrierten Hostien zahllos wären.
1194. Ferner erkannte die heiligste Jungfrau, dass der heilige Leib, wiewohl Er, wie gesagt, in keinem natürlichen Abhängigkeitsverhältnisse zu den Gestalten des Brotes und Weines steht, dennoch nur so lange in denselben sakramentalisch zugegen sei, als sie unversehrt bleiben. Der Grund hiervon ist aber kein anderer, als weil es der heiligste Wille Jesu Christi, des Urhebers dieser Wunder, so angeordnet hat. Demnach steht die wunderbare Gegenwart seines Leibes und Blutes in einer freiwilligen moralischen Abhängigkeit von dem unversehrten Bestand der Gestalten. Werden diese durch natürliche Ursachen, die auf sie einwirken können, zerstört wie dies z.B. nach Empfang des heiligen Sakramentes durch die Magenwärme geschieht dann schafft Gott in demselben Augenblick, da sich die Gestalten im letzten Stadium des Zersetzungsprozesses befinden, eine andere, neue Substanz, und die Gegenwart des heiligsten Leibes Jesu Christi hört damit auf. Diese neue Substanz nun ist es, welche den Leib des Menschen nährt und dann von der Seele als der Form des menschlichen Leibes informiert wird. Dieses Wunder, dass Gott eine neue Substanz erschafft welche die veränderten und zersetzten Gestalten in sich aufnimmt ist teils eine Folge des göttlichen Willensbeschlusses, dass mit der Zerstörung der Gestalten die sakramentale Gegenwart des Leibes Christi aufhören solle, teils aber auch eine Folge der Naturordnung, denn die Substanz des Menschen, welche genährt wird, kann nur dadurch wachsen, dass eine andere Substanz zu ihr hinzugefügt wird, wobei deren Gestalten nicht fortbestehen können.(Um sich von der Übereinstimmung, in welcher die obige Ausführung mit der katholischen Lehre steht zu überzeugen, vergleiche man S. Thomas von Aquin, Summa p. 3. qu. 75, 76, 77 und den hl. Alfons Maria von Liguori «Triumph der heiligen Kirche» 2. Teil 10. Hauptstück §§ 2 und 3. [2. Auflage, 1884]. Der Herausgeber).
1195. Alle diese und viele andere Wunder hat der allmächtige Gott in dem erhabensten Sakramente der Eucharistie zusammengefasst, und von allen hatte die Königin Himmels und der Erde die klarste und vollkommenste Erkenntnis. Auch der hl. Johannes und die übrigen Apostel sowie die beiden Väter des alten Gesetzes erkannten je in ihrer Art viele dieser Geheimnisse. U. L. Frau schaute aber neben der Größe dieser allen Menschen erwiesenen Wohltat zugleich auch die Undankbarkeit, mit welcher die Sterblichen dieses zu ihrem Heil bestimmte, wunderbare und unaussprechliche Geschenk vergelten würden. Darum machte sie es sich von Stunde an zur Aufgabe, für diese unsere Lieblosigkeit und Undankbarkeit aus all ihren Kräften Genugtuung und Ersatz zu leisten und dem ewigen Vater sowohl als auch ihrem heiligsten Sohn für eine so wunderbare, dem Menschengeschlecht erwiesene Gnade zu danken. Ihr ganzes Leben lang war sie darauf bedacht dies zu tun, und sie tat es oft mit einer solchen Liebesglut des Herzens, dass sie, um unsere schmähliche und strafwürdige Gleichgültigkeit zu sühnen, blutige Tränen vergoss.
1196. In noch größeres Staunen versetzt mich aber das, was in unserem lieben Heiland in dieser Stunde vorging. Nachdem Er nämlich, wie ich oben bemerkte, das allerheiligste Sakrament in die Höhe gehoben und den Jüngern zur Anbetung gezeigt hatte, zerteilte Er es mit seinen hochheiligen Händen und kommunizierte sich selbst zuerst als erster und oberster Hoherpriester. Er erkannte sich dabei seiner Menschheit nach für niedriger als die Gottheit, welche Er in seinem konsekrierten Leib und Blut empfing. Deshalb demütigte er sich und empfand in dem niederen Teile der Seele einen gewissen ehrfurchtsvollen Schauder, wodurch er uns zwei Dinge kundgibt, einmal die Ehrfurcht mit welcher man seinen heiligen Leib empfangen muss, sodann seinen Schmerz über die Frechheit und Verwegenheit, mit welcher, wie Er voraussah, so viele Menschen dieses erhabenste Sakrament empfangen und behandeln würden. Die Wirkungen, welche diese Kommunion in dem Leib Jesu Christi hervorbrachte, waren ganz wunderbar und göttlich, denn, wie einstens auf dem Berg Tabor, so strömten auch jetzt aus seiner heiligsten Seele die Gaben der Glorie auf den Leib über, doch nur für kurze Zeit. Dieses Wunder war indes nur für die reinste Mutter und teilweise auch für Johannes, Henoch und Elias sichtbar. Von da an verzichtete die heiligste Menschheit des Herrn ihrem niederen Teile nach bis zum Tod auf jede Tröstung und Freude. U. L. Frau sah auch durch eine besondere Vision, wie ihr göttlicher Sohn sich selbst im heiligsten Sakramente empfing und letzteres in ihm gegenwärtig war. Dies alles war von großartigen Gnadenwirkungen für die heiligste Mutter begleitet.
1197. Während unser Heiland Jesus Christus sich selbst das heiligste Sakrament reichte, sprach er einen Lobgesang zum ewigen Vater und opferte sich im heiligsten Sakrament für das Heil der Menschen auf. Dann nahm Er ein anderer Teil vom konsekrierten Brot und übergab sie dem heiligen Erzengel Gabriel damit er sie der seligsten Jungfrau Maria reiche. Die heiligen Engel wurden durch diese Auszeichnung gewissermaßen dafür entschädigt, dass die so erhabene priesterliche Würde nicht ihnen, sondern den Menschen anvertraut wurde. Dass der hl. Gabriel den sakramentalen Leib seines Herrn und Gottes in seiner Hand gehalten, dies allein schon verursachte allen Engeln eine große und wunderbare Freude. Reichliche Tränen vergießend, harrte die große Herrin und Königin auf das Glück der heiligen Kommunion, als der hl. Gabriel mit zahllosen anderen Engeln zu ihr kam. Aus der Hand dieses heiligen Himmelsfürsten empfing nun Maria die Kommunion als die erste nach ihrem heiligsten Sohn, dessen Beispiel sie durch Selbstdemütigung, Ehrerbietigkeit und heilige Furcht nachahmte. Das allerheiligste Sakrament wurde in der Brust der heiligsten Jungfrau Maria, und zwar über dem Herzen, als in dem eigentlichen Heiligtum und Tabernakel des Allerhöchsten zur Verwahrung niedergelegt. Und hier blieb dieses unaussprechliche Sakrament der Eucharistie aufbewahrt bis nach der Auferstehung des Herrn, d. h. bis zu der Stunde, da, wie ich später berichten werde (Teil 3, Nr. 112), der hl. Petrus die erste hl. Messe las und konsekrierte. Der allmächtige Herr wirkte diese Wunder in seiner heiligsten Mutter, teils um sie zu trösten, teils um auf diese Weise schon jetzt die Verheißung zu erfüllen, die Er später seiner Kirche machte, dass Er bei den Menschen bleiben werde bis an das Ende der Welt (Mt 28, 20). Denn nach dem Tod des Herrn konnte, solange nicht konsekriert wurde, seine heiligste Menschheit auf keine andere Weise in der Kirche bleiben als auf diese. So war denn das «wahre Manna» samt dem ganzen Gesetz des Evangeliums in Maria, der lebendigen Bundeslade, aufbewahrt wie einstens in der Bundeslade des Moses die Vorbilder aufbewahrt waren. Und die ganze Zeit hindurch bis zur nächsten Konsekration blieben die sakramentalen Gestalten in dem Herzen der Herrin und Königin des Himmels unverändert und unversehrt. In neuen Lobliedern brachte Maria dem ewigen Vater und ihrem allerheiligsten Sohn ihren Dank dar, ähnlich wie der menschgewordene Sohn Gottes selbst gedankt hatte.
1198. Nach der Kommunion der Himmelskönigin überreichte der göttliche Heiland das konsektrierte Brot den Aposteln mit dem Auftrag, dasselbe unter sich zu teilen und es zu genießen, was sie auch taten. Durch diesen Auftrag erteilte der Herr den Aposteln die priesterliche Würde, welche sie auch alsbald auszuüben begannen, indem ein jeder sich selbst kommunizierte, und zwar mit tiefster Ehrfurcht unter zahlreichen Tränen und unter den schuldigen Ehrenbezeigungen gegen den Leib und das Blut des Erlösers. Als die künftigen Gründer der christlichen Kirche haben sie den Vorrang des Alters in der priesterlichen Gewalt. Dann nahm der hl. Petrus auf Befehl unseres Herrn andere konsekrierte Partikel und reichte den Altvätern Henoch und Elias die heilige Kommunion. Durch diese wurden die beiden Heiligen mit Wonne erfüllt und neu gestärkt, um die beseligende Anschauung zu erwarten, die ihnen seit so vielen Jahrhunderten aufgeschoben wird und auf welche sie warten müssen bis zum Ende der Welt. Die beiden Patriarchen priesen den Allmächtigen für diese Gnade mit Inbrunst und sagten Ihm demütig Dank. Dann wurden sie von den Engeln an ihren gewöhnlichen Aufenhaltsort zurückgebracht. Der Herr hat dieses Wunder angeordnet um dem natürlichen wie dem geschriebenen Gesetz ein Unterpfand der Teilnahme an seiner Menschwerdung, Erlösung und Auferstehung zu geben. Denn alle diese Geheimnisse sind in dem Sakrament der Eucharistie eingeschlossen und indem das heiligste Sakrament diesen beiden, noch im Fleisch wandelnden heiligen Männern Henoch und Elias gereicht wurde, dehnte sich diese Teilnahme auf die beiden Stände des natürlichen und des geschriebenen Gesetzes aus. Alle anderen dagegen, welche das heiligste Sakrament empfingen, gehörten zum neuen Gesetze der Gnade, und dessen Väter waren die Apostel. Dies wurde auch dem heiligen Henoch und Elias zu erkennen gegeben, und sie dankten ihrem und unserem Erlöser für diese geheimnisvolle Gnade auch im Namen der übrigen Heiligen, die zu ihrem Gesetze gehörten.
1199. Bei der Kommunion der Apostel fand noch ein anderes Wunder, aber ganz im geheimen, statt. Als nämlich der treulose Judas sah, dass sein göttlicher Meister den Aposteln zu kommunizieren befahl, so beschloss er, ungläubig, wie er war, dies nicht zu tun, sondern womöglich den heiligen Leib heimlich aufzubewahren, den Hohenpriestern und Pharisäern zu bringen und ihnen zu sagen, wer sein Meister sei, da er aussage, dieses Brot sei sein Leib, eine Aussage, welche sie dann für ein großes Verbrechen erklären sollten. Würde jedoch dies nicht gelingen, so wollte Judas dem göttlichen Sakramente eine andere Schmach antun. Die Himmelskönigin schaute aber in klarster Vision alles, was vor sich ging: die innere Disposition sowie, die äußere Haltung der Apostel bei der heiligen Kommunion und die Wirkungen der letzteren. Sie sah auch das fluchwürdige Vorhaben des verstockten Judas. Da erglühte sie ganz von Eifer für die Ehre des Herrn als dessen Mutter, Braut und Tochter. Und weil sie erkannte, es sei sein Wille, dass sie in diesem Falle von ihrer Macht als Gottesmutter und Königin Gebrauch mache, so gab sie ihren Engeln den Befehl, dem Judas das konsekrierte Brot und dann den konsekrierten Wein aus dem Munde zu nehmen und alles zu dem noch übrigen sakramentalen Leib und Blut des Herrn zurückzubringen. In diesem Fall war es ja die Sache U. L. Frau, die Ehre ihres göttlichen Sohnes zu wahren und zu verhindern, dass Judas Ihn durch die beabsichtigte Verunehrung misshandle. Die Engel gehorchten. Als Judas, der schlechteste der Menschen, kommunizierte, nahmen sie ihm die sakramentalen Gestalten nacheinander aus dem Mund, reinigten dieselben von allem, was in diesem unreinsten Munde an sie gekommen war und brachten sie im ursprünglichen Zustande wieder zu den anderen sakramentalen Gestalten zurück. Dies geschah aber ganz unbemerkt, denn der Herr wollte noch immer die Ehre seines feindseligen, verstockten Apostels wahren. Diese Teile wurden darauf von den anderen empfangen, die nach Judas in der Reihenfolge des Alters kommunizierten, denn Judas kommunizierte weder zuerst noch zuletzt, und die heiligen Engel vollzogen ihr Werk in einem Augenblick. Dann sagte der göttliche Heiland dem ewigen Vater Dank und beendigte damit die Geheimnisse des gesetzlichen und sakramentalen Abendmahles und begann die seines Leidens, von welchen in den folgenden Hauptstücken die Rede sein wird. Die Himmelskönigin aber fuhr fort alle die Geheimnisse zu erwägen und zu bewundern und den Allerhöchsten durch Lobgesänge zu verherrlichen.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
1200. O meine Tochter, möchten doch die Bekenner des heiligen katholischen Glaubens ihre harten und irdisch gesinnten Herzen öffnen, um die wahre Erkenntnis des hochheiligen, gnadenvollen Geheimnisses der Eucharistie darin aufzunehmen ! Möchten sie sich doch der Fesseln ihrer irdischen Neigungen entledigen und ihre Leidenschaften bezähmen, um im göttlichen Licht eines lebendigen Glaubens einzusehen, welches Glück es für sie ist, den ewigen Gott im Sakrament bei sich zu haben, Ihn empfangen, besuchen und an den Wirkungen dieses himmlischen, göttlichen Mannas teilnehmen zu können ! Möchten sie doch die Größe dieser Gabe recht erkennen, möchten sie doch diesen Schatz gebührend achten, möchten sie die Süßigkeiten dieses Sakramentes kosten und der darin verborgenen Kraft ihres allmächtigen Gottes sich teilhaftig machen: sie würden am Orte ihrer Verbannung nichts mehr zu wünschen, nichts mehr zu fürchten haben. Die Sterblichen, welche in dem glücklichen Zeitalter des Gesetzes der Gnade leben, dürfen sich nicht beklagen, dass ihre Gebrechlichkeit und ihre Leidenschaften ihnen soviel zu schaffen machen. In diesem Himmelsbrot haben sie ja das Mittel des Heils und der Stärkung zuhanden ! Sie dürfen sich auch nicht beklagen, dass sie vom Satan versucht und angefochten werden, denn durch den häufigen und würdigen Empfang dieses unaussprechlichen Sakramentes werden sie den Satan glorreich überwinden, sofern sie es in dieser Absicht empfangen. Die Schuld liegt auf Seiten der Gläubigen, weil sie auf dieses Geheimnis nicht achten und es unterlassen, in allen ihren Nöten und Mühsalen die unendliche Kraft dieses Sakramentes, das ja mein allerheiligster Sohn als ein Heilmittel eingesetzt hat sich zunutzen zu machen. Ich sage dir in Wahrheit meine Tochter: Luzifer und seine bösen Geister haben einen solchen Schrecken vor der Gegenwart des allerheiligsten Altarssakramentes, dass ihnen das Weilen in der dessen Nähe größere Qualen verursacht als selbst der Aufenthalt in der Hölle. Sie gehen zwar in die Gotteshäuser hinein, um die Gläubigen anzufechten. Allein sie tun dies gleichsam mit Überwindung, indem sie sich zwingen, grausame Qualen zu leiden nur um eine Seele zu zerstreuen und zu verwirren, oder, was sie am meisten freut, an den geweihten Stätten und in Gegenwart des allerheiligsten Sakramentes jemand zu einer Sünde zu verleiten. Ihr Hass gegen Gott und gegen die Seelen treibt sie an, selbst dieser furchtbaren Qual, welche ihnen die Nähe meines heiligsten, im Sakramente gegenwärtigen Sohnes verursacht zu trotzen, um einen solchen Sieg zu erringen.
1201. Wenn das Allerheiligste in Prozession durch die Straßen getragen wird, dann fliehen die bösen Geister gewöhnlich in aller Eile davon. Sie würden sich nicht getrauen, denen, welche dasselbe begleiten, zu nahen, wenn nicht eine langjährige Erfahrung ihnen die Zuversicht gäbe, dass sie wenigstens einzelne dazu bringen, die Ehrfurcht gegen den Herrn beiseite zu setzen. Aus demselben Grunde geben sie sich auch so viel Mühe, die Menschen in den Kirchen zu versuchen; sie wissen nämlich, welch großes Unrecht dem Herrn durch ein unehrerbietiges Betragen zugefügt wird, Ihm, der dort aus Liebe im Sakrament gegenwärtig ist und die Menschen erwartet um sie zu heiligen und von ihnen den Dank für seine süßeste und zärtlichste Liebe entgegenzunehmen, die Er durch so viele und deutliche Beweise an den Tag legt. Aus dem Gesagten kannst du aber auch erkennen, welch große Gewalt gegen den Satan diejenigen besitzen, die das hochheilige Brot der Engel würdig genießen, und welche Furcht die Teufel vor den Menschen haben würden, wenn diese das heiligste Sakrament mit Andacht und reinem Herzen empfangen und sich Mühe geben würden, von einer Kommunion zur andern die Reinheit des Gewissens zu bewahren. Allein es gibt nur sehr wenige, welche sich diese Mühe geben, und der böse Feind arbeitet mit Wachsamkeit und Eifer daran, dass sie bald wieder gleichgültig, lau und zerstreut werden und auf diese Weise so mächtige Waffen gegen ihn nicht gebrauchen. Präge diese Lehre deinem Herzen ein, und weil der Allerhöchste, freilich ohne dein Verdienst durch deine Oberen angeordnet hat, dass du dieses heilige Sakrament täglich empfängst, so bemühe dich, den Eifer, mit welchem du dich zu einer Kommunion vorbereitest bis zur folgenden zu bewahren, denn es ist der Wille meines Herrn und mein Wille, dass du mit diesem Schwerte die Schlachten des Herrn schlägst d.h. dass du im Namen der heiligen Kirche kämpfest gegen ihre unsichtbaren Feinde, welche heutigen Tages sie, die Herrin der Völker (Klgl 1,1), bedrängen und betrüben, ohne dass sie jemand findet, der sie trösten oder an ihr Leid auch nur ernstlich denken würde (Klgl 1, 2). Weine hierüber. Ja dein Herz möge vor Schmerz brechen, denn während der allmächtige und gerechte Richter gegen die Katholiken im höchsten Grad erzürnt ist, weil sie trotz des heiligen Glaubens, zu dem sie sich bekennen, seine göttliche Gerechtigkeit durch ihre maßlosen und unaufhörlichen Sünden erzürnt haben, findet sich kein Mensch, der ein solches Unglück betrachtet und zu Herzen nimmt. Keiner ist der sich darüber entsetzt oder zur Anwendung eines Heilmittels sich anschickt. Und doch könnten sie ein solches Mittel finden in dem guten Gebrauch des allerheiligsten Sakramentes des Altars, wenn sie nämlich mit zerknirschtem und gedemütigtem Herzen und durch meine Vermittlung demselben nahen würden.
1202. Ist die Unehrerbietigkeit gegen das heiligste Sakrament eine sehr schwere Schuld für alle Kinder der Kirche, so sind die unwürdigen und schlechten Priester hierin noch strafbarer. Denn von der Unehrerbietigkeit, mit welcher sie das heiligste Sakrament des Altares behandeln, haben die übrigen Katholiken Anlass genommen, es gering zu achten. Würde das Volk sehen, wie die Priester den heiligen Geheimnissen mit Ehrfurcht und heiligem Schauer nahen, dann würde es begreifen, dass es seinen Gott im heiligsten Sakramente ebenso behandeln und empfangen muss. Und diejenigen, welche dies tun, werden im Himmel strahlen wie die Sonne unter den Sternen, denn von der verklärten Menschheit meines göttlichen Sohnes wird auf jene, die ihn mit aller Ehrfurcht behandelt und empfangen haben, ein besonderer Glorienglanz überströmen, der jenen abgehen wird, welche die heilige Eucharistie nicht mit solcher Andacht empfangen haben. Überdies werden ihre verklärten Leiber auf der Brust hellstrahlende und wunderbar schöne Kennzeichen oder Sinnbilder tragen, zum Zeugnis, dass sie würdige Tabernakel des heiligsten Sakramentes waren, wenn sie es in ihr Herz aufnahmen. Dies wird ihnen eine hohe, außerwesentliche Freude bereiten, die Engel zu Jubelliedern anregen und alle mit Bewunderung erfüllen. Sie werden aber auch noch eine andere außerwesentliche Belohnung erhalten, nämlich ein besonderes Verständnis der Art und Weise, wie mein göttlicher Sohn in der Eucharistie gegenwärtig ist, sowie aller Wunder, welche die Eucharistie in sich schliesst. Ihre Freude hierüber wird aber so groß sein, dass sie dadurch allein schon ewiglich glücklich sein würden, wenn es auch sonst keine andere Wonne im Himmel für sie gäbe. Die wesentliche Glorie jener aber, welche die Eucharistie mit gebührender Andacht und Reinheit empfangen haben, wird die Glorie mancher Märtyrer erreichen, ja übertreffen, denen es nicht gegönnt war, das heilige Sakrament zu empfangen.
1203. Du sollst auch noch, meine Tochter, aus meinem Mund vernehmen, was ich von mir selbst gedacht habe, wenn ich in meinem sterblichen Leben meinen Gott und Herrn im heiligsten Sakrament empfing. Und um dies besser zu verstehen, rufe dir nochmals alles das ins Gedächtnis zurück, was ich dir über meine Gnaden, über mein Wirken und über die Verdienste meines Lebens offenbart habe, damit du es aufzeichnest. In meiner Empfängnis wurde ich vor der Erbsünde bewahrt und schon in jenem Augenblick wurden mir die Erkenntnis und Vision Gottes zuteil, wie du schon öfter geschrieben hast. In der Erkenntnis Gottes übertraf ich alle Heiligen, in der Liebe die höchsten Seraphim. Niemals beging ich eine wirkliche Sünde. Alle Tugenden übte ich stets in heroischer Weise und die niedrigste Stufe derselben überragte den Gipfelpunkt der Heiligkeit, welchen die größten Heiligen am Ende ihres Lebens erreichten. Die Absichten bei allen meinen Handlungen waren höchst erhaben. Die eingegossenen Tugenden und Gaben waren in mir ohne Maß und Schranke. Ich folgte dem Beispiel meines allerheiligsten Sohnes mit höchster Vollkommenheit nach. Ich arbeitete mit Treue, litt mit Mut und wirkte bei allen Werken der Erlösung in dem mir zukommenden Grad mit. Niemals hörte ich auf Gott zu lieben und die Vermehrung der Gnade und Glorie im höchsten Grad zu verdienen. Und doch, für alle diese Verdienste hielt ich mich gebührend belohnt durch den einmaligen Empfang des heiligsten Leibes meines Sohnes in der Eucharistie. Ja, ich erachtete mich dieser großen Gnade gar nicht einmal würdig. Nun erwäge, meine Tochter, was musst du, was müssen die übrigen Menschen denken beim Empfang dieses wunderbaren Sakramentes? Wäre eine einzige Kommunion eine überreiche Belohnung selbst für den größten Heiligen, was müssen dann die Priester und die Gläubigen, welche dieselbe häufig empfangen, denken und was müssen sie tun? Öffne die Augen inmitten der dichten Finsternis und Blindheit der Menschen und erhebe sie zum himmlischen Licht, um diese Geheimnisse zu verstehen. Erachte deine Werke als unbedeutend, deine Verdienste als höchst gering, deine Mühen als sehr leicht, deine Dankbarkeit als viel zu schwach im Vergleich zu dieser unermesslichen Wohltat, dass die heilige Kirche Christus, meinen göttlichen Sohn, im heiligen Sakrament besitzt in welchem Er verlangt, dass alle Ihn empfangen, damit Er sie bereichern könne. Und siehst du dich außerstande, diese und andere Wohltaten nach Gebühr zu vergelten, so erniedrige dich wenigstens bis zum Staub und bekenne mit aller Aufrichtigkeit deine Unwürdigkeit. Lobe und preise den Herrn und sei allezeit bereit Ihn mit Eifer und Inbrunst zu empfangen, ja viele Martern zu erdulden, um ein so hohes Glück zu erlangen.
ZWÖLFTES HAUPTSTÜCK: Jesus am Ölberg
Das Gebet, welches unser Heiland im Ölgarten verrichtete. Die darin enthaltenen Geheimnisse. Was seine heiligste Mutter davon erkannte.
1204. Durch die im Speisesaal vollbrachten wunderbaren Geheimnisse hatte unser Heiland Jesus Christus das Reich begründet und geordnet, welches Ihm der ewige Vater nach seinem unabänderlichen Ratschluss übergeben hatte. Darum beschloss Er nun in der Nacht nach dem Abendmahl, den schweren Kampf seines Leidens und Sterbens aufzunehmen, durch welchen die Erlösung der Menschen vollbracht werden sollte. Er verließ also den Saal, in welchem Er so große und wunderbare Geheimnisse gefeiert hatte, und zu gleicher Zeit verließ auch seine heiligste Mutter ihr Zimmer, um Ihm entgegenzugehen. Der Fürst der Ewigkeit und die Himmelskönigin begegneten einander, und beider Herzen wurden von dem scharfen Schmerzensschwert zu gleicher Zeit so schmerzlich verwundet, dass es die Vorstellung aller Menschen und Engel übersteigt. Die schmerzerfüllte Mutter warf sich zur Erde nieder und betete ihren Sohn als ihren wahren Gott und Erlöser an. Der Herr aber blickte sie mit einem Angesicht voll Majestät und kindlicher Liebe an und sprach zu ihr nur folgende Worte: «Meine Mutter, ich werde in der Trübsal mit dir sein. Vollbringen wir den Willen meines ewigen Vaters und das Heil der Menschen!» Die Himmelskönigin erbot sich von ganzem Herzen zu diesem Opfer, bat um seinen Segen und kehrte, nachdem sie diesen erhalten, in ihr Zimmer zurück. Von hier aus durfte sie durch die Gnade des Herrn alles schauen, was vorging und was Er zu tun im Begriff war, damit sie bei allem in der ihr zustehenden Weise mitwirken könnte. Der Herr des Hauses aber, welcher bei diesem Abschied zugegen war, bot infolge göttlichen Antriebes der Himmelskönigin sogleich sein Haus samt allem darin Befindlichen an, damit sie sich dessen bediene, solange sie in Jerusalem bliebe, was U. L. Frau mit demütigem Danke annahm. Die tausend Schutzengel, welche sie nun immer in sichtbarer Gestalt begleiteten, blieben bei ihr, ebenso einige von den frommen Frauen, welche mit ihr gekommen waren.
1205. Unser Heiland verließ das Haus des Zönakulums in Begleitung aller Männer, welche dem doppelten Abendmahl und der Feier seiner Geheimnisse beigewohnt hatten. Viele aber verabschiedeten sich alsbald von Ihm und schlugen verschiedene Wege ein, um ihren Geschäften nachzugehen. Der Herr lenkte, nur von den zwölf Aposteln begleitet, seine Schritte zum ÖIberg, welcher nahe bei Jerusalem, an dessen östlicher Seite liegt. Judas, der in seiner Treulosigkeit immer nur darauf bedacht war, seinen göttlichen Meister zu überliefern, vermutete, der Herr werde wie gewöhnlich die Nacht im Gebet zubringen. Diese Gelegenheit schien ihm sehr günstig, um Jesus in die Hände der Schriftgelehrten und Pharisäer, seiner Genossen, zu überliefern. Mit diesem unglückseligen Entschluss entfernte sich Judas. Er ging aber etwas langsamer und ließ seinen göttlichen Meister und die übrigen Apostel vorausgehen, ohne dass die letzteren es für den Augenblick bemerkten. Als er sie dann aus dem Auge verloren hatte, rannte er mit aller Eile seinem Verderben zu. Er war in großer Verwirrung, Angst und Bangigkeit ein sicheres Zeichen von der Bosheit der Handlung, die er zu vollbringen sich anschickte. In dieser unruhigen Hast kam er, von seinem bösen Gewissen gequält zum Haus der Hohenpriester gerannt. Luzifer aber bemerkte die Eile, mit welcher Judas auf den Tod unseres Erlösers hinarbeitete, und da er, wie ich im zehnten Hauptstück gesagt habe, bereits vermutete, Jesus könnte der wahre Messias sein, so ging er dem Judas entgegen, und zwar in Gestalt eines sehr bösen, dem Judas befreundeten Mannes, dem der Verräter seinen Plan mitgeteilt hatte. In dieser Gestalt redete Luzifer den Judas an, ohne von diesem erkannt zu werden. Er sagte, der Plan, seinen Meister zu verkaufen, habe ihm zwar anfangs gut geschienen, wegen der Missetaten, welche ihm Judas von ihm erzählte. Jetzt aber habe er sich eines Besseren besonnen, und es scheine ihm ratsamer, Jesus den Hohenpriestern und Pharisäern nicht zu überliefern, denn fürs erste sei derselbe nicht so schlecht wie Judas meine, jedenfalls verdiene Er nicht den Tod. Sodann könnte Er sich vielleicht durch einige Wunder befreien. In diesem Fall aber würde Judas voraussichtlich in eine sehr missliche Lage geraten.
1206. In solch listiger Weise wollte Luzifer, von neuer Furcht getrieben, seinen früheren Plan, den er gegen das Leben des Herrn ausgesonnen und dem treulosen Herzen des Verräters eingeflüstert hatte, wieder rückgängig machen. Allein dieser neue boshafte Anschlag missglückte. Denn Judas hatte freiwillig den Glauben verloren und teilte die ängstlichen Vermutungen des Satans nicht. Deshalb wollte er es lieber auf den Tod seines Meisters ankommen lassen, als sich den Zorn der Pharisäer zuziehen, falls er ihn am Leben ließe. Von dieser Furcht und von seiner abscheulichen Habsucht beherrscht achtete er nicht auf Luzifers Rat, obwohl er diesen für den Mann hielt, welchen er vorstellte. Und da er zudem von der göttlichen Gnade verlassen war, wollte und konnte er sich nicht durch die Bemühungen Satans überreden lassen, von seinem Verbrechen abzustehen. Weil unser Herr zu Jerusalem war, berieten damals auch die Hohenpriester, wie Judas sein Versprechen ausführen könnte. Da trat der Verräter ein und meldete ihnen, er habe seinen Meister mit den anderen Jüngern am Ölberg gelassen. Es scheine ihm die günstigste Gelegenheit denselben in dieser Nacht gefangen zu nehmen, natürlich mit Vorsicht, damit Er ihnen nicht mit den ihm geläufigen Kunstgriffen entwische. Die gottvergessenen Hohenpriester waren hocherfreut und brachten bewaffnetes Volk zusammen, um alsbald zur Gefangennahme des unschuldigsten Lammes zu schreiten.
1207. Unterdessen war der göttliche Heiland bei seinen elf Aposteln, immer mit unserem Heil seiner Feinde beschäftigt die auf seinen Tod ausgingen. O unerhörter, staunenerregender Wettstreit zwischen der höchsten Bosheit der Menschen und der unermesslichen Liebe und Güte Gottes ! Hatte dieser Wettstreit zwischen dem Guten und Bösen schon mit dem ersten Menschen begonnen, so hatten diese beiden Gegensätze jetzt beim Tode unseres Erlösers, den höchsten Grad erreicht. Denn jeder Teil tat zu gleicher Zeit und unter den Augen des andern das äußerste, was ihm möglich war: die Bosheit der Menschen, indem sie ihrem Schöpfer und Erlöser Ehre und Leben nahm, unser Herr, indem Er es für die Menschen mit unermesslicher Liebe hingab. Unter diesen Umständen konnte es, menschlich geredet nicht anders sein, als dass die heiligste Seele Jesu Christi und auch seine Gottheit auf die reinste Mutter hinblickte, um unter den Geschöpfen wenigstens eines zu sehen, in welchem seine Liebe mit Wohlgefallen ruhen und die göttliche Gerechtigkeit Befriedigung finden konnte. Denn in diesem reinen Geschöpfe allein sah der Herr sein Leiden und Sterben auf die würdigste Weise Frucht bringen. In dieser unermesslichen Heiligkeit fand die göttliche Gerechtigkeit einigen Ersatz für die Bosheit der Menschen. In dem treuesten, demütigsten und liebevollsten Herzen dieser erhabenen Königin wurden die Schätze der Verdienste Christi niedergelegt, damit kraft ihrer die Kirche gleich dem Phönix aus der Asche wieder erstehe. Dieses Wohlgefallen, welches der Blick auf die Heiligkeit seiner Mutter unserem Heiland seiner Menschheit nach bereitete, gab Ihm gewissermassen Mut und Kraft, um die Bosheit der Menschen zu überwinden. Er fand das geduldige Ertragen so vieler Qualen gut angewendet weil Er unter den Menschen seine liebevollste Mutter erblickte.
1208. U. L. Frau schaute von ihrem einsamen Betzimmer aus alles, was vorging. Sie sah die Gedanken des verstockten Judas. Sie sah, wie er die Gesellschaft der Apostel verließ, wie Luzifer mit ihm unter der Gestalt seines Bekannten redete, was mit ihm geschah, nachdem er zu den Hohenpriestern gekommen war, und welche Anstalten diese trafen, um den Herrn in aller Eile gefangen zu nehmen. Es übersteigt aber unser Vermögen, zu beschreiben, welcher Schmerz infolge dieser Kenntnis das reinste Herz der jungfräulichen Mutter durchbohrte, welche Tugendakte sie angesichts solcher Verbrechen erweckte und wie sie bei all diesen Ereignissen sich verhielt. Es genügt wenn ich sage, Maria handelte in allem mit vollkommenster Weisheit und Heiligkeit und zum höchsten Wohlgefallen der allerheiligsten Dreieinigkeit. Sie hatte Mitleid mit Judas und weinte über das ewige Verderben dieses verkehrten Jüngers. Sie leistete Ersatz für seine Missetat, indem sie durch Akte der Anbetung, des Lobpreises und Liebe den Herrn ehrte, welchen Judas durch schimpflichen und treulosen Verrat verkaufte. Sie war bereit, wenn nötig, für den Verräter sogar zu sterben. Sie betete für jene, welche die Gefangennahme und den Tod des göttlichen Lammes planten, denn sie betrachtete sie als Pfänder, die um den unendlich hohen Preis eines so kostbaren Blutes und Lebens erkauft werden sollten. In diesem Licht betrachtete die weiseste Herrin jene Seelen, nach diesem Lösepreis schätzte sie sie ein.
1209. Unser Heiland setzte seinen Weg über den Bach Kidron bis zum Ölberg fort (Joh 18, 1) und trat dort in den Garten Gethsemani. Hier sagte Er zu allen Aposteln: «Setzt euch hier und wartet während ich mich ein wenig entferne, um zu beten. Betet auch ihr, damit ihr nicht in Versuchung fallet (Mt 26, 36; Lk 22, 40).» Der göttliche Meister gab ihnen diese Ermahnung, damit sie im Glauben standhaft bleiben möchten gegen die Versuchungen, welche Er ihnen beim Abendmahl vorausgesagt hatte. Er hatte ihnen nämlich gesagt, dass sie sich in dieser Nacht beim Anblick seines Leidens alle an ihm ärgern würden (Mt 26, 31), dass Satan sie anfallen werde, um sie zu sieben (Lk 22, 31) und durch falsche Zuflüsterungen zu verwirren. Denn wie vorhergesagt sei, sollten der Hirte misshandelt und verwundet die Schafe aber zerstreut werden (Sach 13, 7). Dann ließ der Herr acht Apostel zurück und begab sich mit dem hl. Petrus, Johannes und Jakobus (Mk 14, 33) an einen anderen Ort wo Er von jenen weder gesehen noch gehört werden konnte. Da Er nun mit den dreien allein war, erhob Er seine Augen zum ewigen Vater und lobpries Ihn, wie Er zu tun gewohnt war. Um die Prophezeiung des Zacharias zu erfüllen (Sach 13, 7), verrichtete Er sodann ein innerliches Gebet und erteilte dem Tod die Erlaubnis, dem Unschuldsvollen und Sündelosen zu nahen. Er gebot dem Schwert der göttlichen Gerechtigkeit über dem «Hirten», über dem «Mann», der Gott und Mensch zugleich war, sich zu schwingen, alle Strenge an Ihm auszuüben und Ihn zum Tod zu verwunden. Unser Heiland Jesus Christus bot sich aufs neue dem himmlischen Vater als Sühnopfer an, um von seiner Gerechtigkeit die Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes zu erwirken. Er erlaubte den Peinen seines Leidens und Todes, den leidensfähigen Teil seiner heiligsten Menschheit zu treffen, und hob von nun an den Trost und die Erquickung auf, welche ihr von ihrem leidensunfähigen Teil zuströmen konnten, damit infolge dieser Verlassenheit seine Leiden und Schmerzen den höchsten Grad erreichten. Der ewige Vater aber gewährte und genehmigte dies alles nach dem Willen der heiligsten Menschheit seines göttlichen Sohnes.
1210. Dieses Gebet war gleichsam eine Erlaubnis, welche dem bittern Leidensmeer die Türe öffnete, so dass es sich mit Gewalt in die Seele Christi ergießen konnte, wie Er es durch David vorhergesagt hatte (Ps 69, 2). So begann denn der Herr alsbald große Trauer und Beängstigung zu fühlen und sagte deshalb zu den drei Aposteln: «Meine Seele ist betrübt bis in den Tod (Mk 14, 34)» Weil diese Betrübnis unseres Heilandes und diese seine Worte sehr große und lehrreiche Geheimnisse in sich schließen, so will ich, so gut ich es verstehe, einiges von dem, was mir hierüber mitgeteilt wurde, sagen. Der Herr ließ zu, dass diese Trauer den höchsten Grad erreichte, den sie gemäß der ganzen Leidensfähigkeit seiner heiligsten Menschheit auf natürliche und wunderbare Weise erreichen konnte. Er betrübte sich nicht nur in dem niederen Teil wegen des natürlichen Verlangens, das Leben zu bewahren, sondern auch im höheren Teil der Seele, weil Er mit diesem den ewigen Untergang so vieler Seelen, für welche Er sterben sollte, in den unerforschlichen Urteilen der göttlichen Gerechtigkeit vorhersah. Wie wir sehen werden, war letzteres die Ursache seiner größten Betrübnis. Der göttliche Heiland sagte nicht: «Ich bin traurig wegen des Todes», sondern «bis in den Tod», denn die durch den nahe bevorstehenden Tod verursachte Traurigkeit war nicht so groß. Abgesehen davon, dass dieser Tod für die Erlösung notwendig war, war auch der heiligste Wille unseres Herrn bereit, jenes natürliche Verlangen nach Erhaltung des Lebens zu unserer Belehrung zu überwinden, weil Er bei der Verklärung auf dem Berg Tabor schon als Erdenpilger die Glorie des Leibes genossen hatte. Er hielt sich nämlich sozusagen für verpflichtet zum Dank für diese Glorie zu leiden, damit das, was Er empfangen hatte und was Er abzahlte, miteinander im Verhältnis stehe und wir in der Person der drei Apostel, welche Zeugen sowohl seiner Glorie als seiner Betrübnis waren, diese Lehre empfingen. Zu diesem Zweck waren jene drei Apostel zu Zeugen beider Geheimnisse auserwählt worden, was ihnen auch bei diesem Anlass durch eine besondere Erleuchtung zu erkennen gegeben wurde.
1211. Auch um seine unermessliche Liebe zu uns zu befriedigen, musste der göttliche Heiland dieser geheimnisvollen Betrübnis erlauben, sich mit solcher Macht in seine Seele zu ergießen. Denn wäre sie nicht bis zum höchstmöglichen Grade gestiegen, so wäre seine Liebe nicht befriedigt gewesen, und man hätte nicht so deutlich gesehen, dass die vielen Wasser der Trübsal nicht vermochten, sie zu löschen (Hld 8, 7). Schon während dieser Betrübnis selbst übte Er diese Liebe an den drei Aposteln, die verwirrt waren, weil sie nach den oftmaligen Erklärungen ihres göttlichen Meisters wussten, dass die Stunde seines Leidens und Sterbens nahe. Sie waren wegen dieser Venwirrung und Niedergeschlagenheit vor sich selbst beschämt und wagten nicht, sie kundzugeben. Doch der liebevollste Heiland munterte sie auf, indem Er ihnen sagte, dass er selbst betrübt sei bis in den Tod, damit sie angesichts seiner Angst und Trauer nicht beschämt seien, ihre Pein und Furcht zu fühlen. In dieser Traurigkeit des Herrn war noch ein anderes Geheimnis für die drei Apostel Petrus, Johannes und Jakobus enthalten. Unter allen Aposteln hatten nämlich sie die höchste Idee von der Gottheit und Würde ihres Meisters, sowohl wegen der Erhabenheit seiner Lehre und der Heiligkeit seiner Werke als wegen seiner Wundermacht. Sie waren am meisten mit Bewunderung erfüllt, und insbesondere waren sie auf die Herrschaft Christi über die Geschöpfe aufmerksam gewesen. Um sie nun auch in dem Glauben, dass Er wahrer, leidensfähiger Mensch sei, zu bestärken, war es dienlich, dass sie ihn als wahren Menschen betrübt vor sich sahen. Überdies sollte die Kirche durch das Zeugnis dieser drei bevorzugten Apostel gegen die Irrtümer unterwiesen werden, welche Satan betreffs der wahren Menschheit unseres Herrn später ausstreute. Endlich sollten wir Gläubigen alle in dieser Betrübnis des göttlichen Heilandes Trost finden, wenn Leiden uns betrüben und wenn Traurigkeit sich unser bemächtigt.
1212. Nachdem die drei Apostel hierüber innerlich erleuchtet waren, sprach Jesus zu ihnen: «Wartet hier auf mich, wachet und betet mit mir (Vgl. Mt 26, 38).» Damit sagte Er ihnen, dass sie alle seine Ermahnungen ausüben, in seiner Lehre und im Glauben standhaft sein, mit Ihm vereint bleiben und nicht auf die Seite des Feindes übergehen sollten. Dass sie, um den Feind zu erkennen und zu überwinden, wachsam sein und zuversichtlich hoffen müssten, nach der Schmach seines Leidens auch die Erhöhung seines Namens zu sehen. Darauf entfernte sich der Herr ein wenig von den drei Aposteln, warf sich auf sein heiliges Angesicht zur Erde nieder und betete zu seinem ewigen Vater: «Mein Vater! Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch vor mir vorüber (Mt 26, 39)» Dieses Gebet verrichtete unser Heiland, nachdem Er vom Himmel herabgekommen war mit dem wirksamen Willen, für die Menschen zu leiden und zu sterben. Nachdem Er die Schmach seines Leidens gering geachtet (Hebr 12, 2), das Kreuz freiwillig umarmt und in seiner Menschheit auf alle Freude verzichtet hatte, nachdem Er mit glühendster Liebe der Schmach, den Schmerzen, den Leiden, dem Tod entgegengegangen war, nachdem Er die Menschen so hoch geschätzt, dass Er beschloss, sie um den Preis seines Blutes zu erlösen. Nachdem Er nun in seiner göttlichen und menschlichen Weisheit und in seiner unauslöschlichen Liebe die natürliche Furcht vor dem Tod in so hohem Grad überwunden hatte, scheint es unmöglich, dass diese Furcht für den Herrn der einzige Beweggrund war, jenes Gebet zu verrichten. Und sie war es in der Tat nicht, wie ich in dem Licht, welches mir über die tiefe, geheimnisvolle Bedeutung dieses Gebetes verliehen wurde, erkannt habe.
1213. Um nun mitzuteilen, was ich davon verstehe, bemerke ich, der göttliche Heiland und der ewige Vater verhandelten bei diesem Anlass die schwierigste Angelegenheit, welche Jesus auf sich genommen hatte, nämlich die Erlösung der Menschen, die Frucht seines Leidens und Sterbens am Kreuz für die geheimnisvolle Vorherbestimmung der Heiligen. Der göttliche Heiland stellte bei diesem Gebet seine Qualen, sein kostbarstes Blut und seinen Tod dem ewigen Vater vor und opferte dies seinerseits für alle Menschen auf, als überreichen Lösepreis für alle und für jeden Einzelnen von denen, die schon geboren waren oder bis zum Ende der Welt noch geboren werden sollten. Von Seiten der Menschen aber stellte Er dem himmlischen Vater vor alle Sünden, alle Treulosigkeiten, alle Undankbarkeit und Geringschätzung, durch welche die Bösen sein schmachvolles Leiden und Sterben an sich nutzlos machen würden. Er stellte Ihm diejenigen vor, die in der Tat sich in die ewige Verdammung stürzen, weil sie seine Milde sich nicht zunutze machen. Für seine Freunde und Auserwählten zu sterben, das war unserem Erlöser lieb und wünschenswert, dagegen überaus bitter und schmerzlich war es für Ihn, zu sterben für die Verworfenen, weil bei ihnen der Endzweck seines Todes unerreicht blieb. Diesen Schmerz nannte der Herr einen «Kelch». Mit diesem Ausdruck bezeichneten nämlich die Juden etwas sehr Mühevolles und Peinliches. Und in diesem Sinne, hatte der Herr selbst zu den Söhnen des Zebedäus gesagt: «Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde (Mt 20, 22) ?» Dieser Kelch war für den Heiland um so bitterer, da Er wusste, dass sein Leiden und Sterben für die Verworfenen nicht bloß fruchtlos sei, sondern dass es ihnen sogar zum Ärgernis und zu härterer Strafe und Züchtigung gereichen werde, weil sie dasselbe verachten und vereiteln.
1214. Der Inhalt dieses Gebetes, das unser Heiland Jesus Christus an seinen himmlischen Vater richtete, war demnach, wie mir mitgeteilt wurde, folgender: Er bat, es möge der überaus bittere Kelch, für die Verworfenen sterben zu müssen, an Ihm vorübergehen. Und da nun sein Tod unvermeidlich sei, so möge doch womöglich kein einziger zugrunde gehen, weil ja die Erlösung, die Er dem Vater vorstellte, für alle insgesamt ausreichend und überreich sei. Und soweit es von Ihm abhänge, wende Er seine Erlösung allen ohne Ausnahme zu, damit sie womöglich allen in wirksamer Weise zugute komme. Wenn letzteres aber nicht möglich sei, so unterwerfe Er seinen heiligsten Willen dem Willen seines himmlischen Vaters. Dieses Gebet verrichtete unser Heiland mit Unterbrechung zu drei verschiedenen Malen. Er betete, wie der hl. Lukas (Lk 22, 43) sagt lange und unter Todesangst, wie es die Größe und Wichtigkeit der Sache erforderte. Nach unserer Vorstellungsweise fand dabei gleichsam ein Wettstreit zwischen der heiligsten Menschheit Christi und der Gottheit statt. Denn seine Menschheit verlangte aus innigster Liebe zu den Menschen, welche der Natur nach seine Brüder waren, dass auch alle durch sein Leiden das ewige Heil erlangen sollten. Die Gottheit dagegen stellte vor, durch ihre erhabensten Ratschlüsse sei die Zahl der Auserwählten festgesetzt und der göttlichen Gerechtigkeit sei es unwürdig, die Gnade solchen zuzuwenden, welche dieselbe so sehr verachten und sich des ewigen Lebens freiwillig unwürdig machen durch ihren Widerstand gegen jenen, der ihnen dasselbe erwerbe und anbiete. Dieser Wettstreit führte die Todesangst Christi und sein langdauerndes Gebet herbei, in welchem Er auf die Macht seines ewigen Vaters hinwies, dessen unendlicher Majestät und Größe alles möglich sei (Mk 14, 36).
1215. Diese Todesangst unseres Heilandes wurde gesteigert durch die Größe seiner Liebe und durch den Widerstand den Er auf Seiten so vieler Menschen vorhersah, welche aus seinem Leiden und Sterben keine Frucht ziehen. So kam es, dass der göttliche Heiland in großen Tropfen Blut schwitzte, und zwar so reichlich, dass das Blut auf die Erde rann (Lk 22, 44). Das Gebet des Herrn war zwar bedingt und dasjenige, um was er bedingungsweise bat, wurde nicht gewährt, weil von Seiten der Verworfenen die Bedingung nicht erfüllt wird. Indes erlangte der göttliche Heiland durch sein Gebet dies, dass allen Menschen große und zahlreiche Gnaden zugesichert wurden, in reichlicherem Maße aber jenen, welche diese Gnaden annehmen und ihnen kein Hindernis entgegensetzen. Für die Gerechten und Heiligen aber erlangte Er, dass ihnen die Frucht der Erlösung in überreicher Fülle zukommt und dass ihnen gar viele von jenen Gaben und Gnaden zugewendet werden, welche die Verworfenen von sich stoßen. So vereinigte sich denn der menschliche Wille Christi mit dem göttlichen und nahm das Leiden für alle Menschen an, wenn auch nicht für alle in gleicher Weise. Für die Verworfenen nahm Er es an, als ein zureichendes, so dass sie zureichende Gnaden erhalten, um, wenn sie diese Gnaden benützen, selig zu werden, Für die Auserwählten aber nahm Er es an als ein wirksames, weil sie mit der Gnade mitwirken. So wurde das Heil des mystischen Leibes der heiligen Kirche unter seinem Haupt (KoI 1, 18) und Urheber, unserem Heiland Jesus Christus, geordnet und bewerkstelligt.
1216. Um diesen göttlichen Ratschluss zu besiegeln, sandte der ewige Vater unserem Herrn, als Er in seiner Todesangst zum dritten Mal betete, den heiligen Erzengel Michael (Auch der ehrw. P. Eusebius Nieremberg hält es mit dem hl. Banaventura, mit Dionysius dem Kartäuser und Landulphus für wahrscheinlich, dass der Engel weIcher den Blut schwitzenden Heiland tröstete, der hl. Michael gewesen sei. Siehe P. Nieremberg: Devocion y patrocinio de San Miguel. cap. 21. Der Herausgeber)., damit er ihm auf sinnenfällige Weise Antwort und Stärkung bringe; er sollte dem göttlichen Heiland auf diesem Weg mitteilen, was dieser vermöge der Wissenschaft seiner heiligsten Seele schon wusste. Der Engel konnte nämlich dem Herrn nichts sagen, was dieser nicht schon vorher gewusst hätte. Er konnte auch keinen anderen Einfluss zu diesem Zweck auf sein Inneres ausüben. Allein der göttliche Heiland hatte, wie ich oben angegeben habe (oben Nr. 1209), jeglichen Trost, welcher aus seiner Erkenntnis und Liebe auf seine heiligste Menschheit überströmen konnte, aufgehoben und diese, soweit sie leidensfähig war, dem Leiden im höchsten Grade überlassen, wie Er es später am Kreuz offenbarte. Als Ersatz erhielt Er nun durch den hl. Michael auf sinnlich wahrnehmbare Weise Trost und Stärkung, ähnlich wie wenn man durch Erfahrung kennenlernt was man vorher auf anderem Weg wusste. Denn die Erfahrung ist immerhin neu und wirkt auf die Sinne und die natürlichen Fähigkeiten. Der heilige Erzengel stellte im Auftrag des ewigen Vaters unserem Herrn auf sinnenfällige Weise vor, dass diejenigen unmöglich selig werden können, welche nicht selig werden wollen, dass aber vor Gott die Zahl der Auserwählten hoch angeschlagen werde, wenn sie auch kleiner sei als die der Verworfenen, dass ferner unter den Auserwählten seine heiligste Mutter sich befinde, die würdige Frucht seiner Erlösung, dass die Erlösung Frucht bringen werde in den Patriarchen Propheten Aposteln, Martyrern, Jungfrauen und Bekennern, welche sich alle in der Liebe zu Ihm gar sehr auszeichnen und Wunderbares für die Ehre des Allerhöchsten vollbringen würden. Unmittelbar nach den Aposteln machte der Erzengel einzelne Heilige im besonderen namhaft, nämlich die Gründer und Stifter der verschiedenen Orden einen jeden mit dem, was ihn besonders auszeichnet. Aber auch noch viele andere große und tiefe Geheimnisse eröffnete oder vielmehr nannte er dem göttlichen Heiland. Indes ist es nicht notwendig, sie hier auseinanderzusetzen. Ohnedies habe ich keinen Auftrag hierzu, und das Gesagte genügt. um den Verlauf der Geschichte fortzusetzen.
1217. Nach dem Bericht der Evangelisten ging unser Herr in den Zwischenzeiten, die Er in seinem Gebet eintreten ließ, zu den Aposteln und ermahnte sie, zu wachen und zu beten um nicht in Versuchung zu fallen (Mt 26, 41). Der wachsame Hirt tat dies, um den Vorgesetzten in seiner Kirche durch sein Beispiel zu zeigen, mit welcher Sorgfalt sie ihre Schafe leiten sollen. Denn wenn unser Heiland Jesus Christus das Gebet an welchem soviel gelegen war, verlassen hat, um für seine Schäflein zu sorgen, so ist damit deutlich gelehrt, was die geistlichen Vorgesetzten zu tun haben, dass sie nämlich dem Seelenheil ihrer Untergebenen alle anderen Geschäfte und Interessen unterordnen müssen. Damit man verstehe, wie sehr die Apostel jener Fürsorge des göttlichen Heilandes bedurften, bemerke ich folgendes: Nachdem der höllische Drache aus dem Speisesaal vertrieben und einige Zeit in den Abgrund der Hölle gebannt war, wurde ihm vom Herrn gestattet, wieder auf die Erde zu kommen, um dort aus Bosheit zu tun, was zur Ausführung der göttlichen Ratschlüsse dienen sollte. Darauf fielen alsbald eine Menge böser Geister den Judas in der oben beschriebenen Weise an, um ihn von dem Verrat abzuhalten. Weil ihnen aber dies nicht gelang, so kehrten sie sich gegen die übrigen Apostel, denn sie vermuteten, der Herr habe ihnen im Speisesaal irgend eine große Gnade erwiesen, und Luzifer wollte dieselbe kennen, um sie ihnen womöglich wieder zu rauben. Allein unser Heiland schaute diese grausame Wut des Fürsten der Finsternis und seiner Diener und darum kam Er als liebevollster Vater und wachsamer Oberhirte, um diese schwachen Kinder und Anfänger, seine Apostel, zu warnen. Er weckte sie auf und ermahnte sie, gegen ihre Feinde zu wachen und zu beten, um nicht in der Versuchung, welche ohne ihr Wissen und Vermuten sie bedrohte, zu fallen.
1218. Der Herr ging also zu den drei Aposteln welche mehr Gnaden als die anderen empfangen hatten und deswegen auch strenger verpflichtet waren, zu wachen und ihrem göttlichen Meister nachzufolgen. Er fand sie aber schlafend, denn sie hatten sich von der Traurigkeit und dem Überdruss überwinden lassen und waren dadurch jener Gleichgültigkeit und geistigen Schlaffheit verfallen, in welcher der Schlaf und die Mattigkeit sie übermannte. Ehe der göttliche Heiland sie aufweckte und anredete, betrachtete Er sie und weinte ein wenig über sie, da Er sie durch ihre Nachlässigkeit und Schlaffheit vom Todesschlaf gefesselt sah, während doch Luzifer so wachsam war, um sie zu verderben. Dann sprach der Herr zu Petrus: «Simon! Du schläfst? Konntest du nicht eine Stunde wachen (Mk 14, 37)?» Darauf wandte Er sich an alle und sagte: «Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet, denn meine und eure Feinde schlafen nicht, wie ihr (Vgl. Mk 14, 38).» Der Grund, warum der Herr den hl. Petrus zurechtwies, war, weil dieser Apostel zum Oberhaupt und Vorsteher aller anderen auserwählt war und weil Er sich kurz zuvor durch die mutige Beteuerung hervorgetan hatte, er werde für den Herrn sterben und Ihn nicht verleugnen, auch wenn alle anderen an Ihm Ärgernis nehmen, Ihn verlassen und verleugnen sollten. Aber auch deswegen wies Er ihn zurecht, weil Petrus durch diese damals ernstlich gemeinten Vorsätze und Versprechungen die Gnade verdient hatte, eher als die anderen zurechtgewiesen zu werden. Denn es ist kein Zweifel, dass der Herr diejenigen züchtigt die Er liebt. Und gute Vorsätze sind Ihm allzeit wohlgefällig, selbst wenn man nachher in der Ausführung zurückbleibt wie dies dem feurigsten der Apostel, dem hl. Petrus, begegnet ist. Wie der göttliche Heiland zum dritten Mal kam und die Apostel weckte, als Judas bereits nahte, um Ihn seinen Feinden zu überliefern, werde ich im nächstfolgenden Hauptstück erzählen.
1219. Kehren wir nun zum Haus des Zönakulums zurück, wo die seligste Jungfrau mit den anderen heiligen Frauen geblieben war. Maria schaute im himmlischen Licht alle Handlungen und Geheimnisse ihres heiligsten Sohnes im Garten mit höchster Klarheit. Nichts blieb ihr verborgen. Zur nämlichen Zeit, als sich der Herr mit den drei Aposteln Petrus, Johannes und Jakobus zurückzog, verließ auch die Himmelskönigin die übrigen Frauen mit der Ermahnung, zu wachen und zu beten, um nicht in Versuchung zu fallen. Sie nahm nur die drei Marien mit sich, unter denen sie Maria Magdalena als eine Art Vorsteherin auszeichnete, und begab sich in ein abgesondertes Gemach. Da sie sich nun mit diesen drei ihr am meisten vertrauten Frauen allein befand, flehte sie zum ewigen Vater. Er möge ihr jeden Trost und jede Erquickung entziehen, welche sie hindern könnte, das Leiden ihres heiligsten Sohnes im höchsten Grad an Leib und Seele mitzufühlen. Sie bat, die Schmerzen der Wunden und überhaupt alle Martern, welche Jesus leiden würde, an ihrem jungfräulichen Leib mitempfinden zu dürfen. Diese Bitte wurde von der allerheiligsten Dreieinigkeit genehmigt und so empfand denn, wie ich unten des weiteren berichten werde (unten Nr. 1236), die göttliche Mutter alle Schmerzen ihres heiligsten Sohnes nach Verhältnis mit. Dieses Mit-Leiden Mariä war allerdings derart dass, wenn der Allerhöchste sie nicht wunderbar am Leben erhalten hätte, sie oftmals unter dem Druck ihrer Leiden hätte sterben müssen. Allein auf der anderen Seite waren eben diese von der Hand des Herrn ihr auferlegten Schmerzen gleichsam ebenso viele Unterpfänder der Erhaltung ihres Lebens und gewissermaßen ein Trost, weil es bei ihrer unermesslich glühenden Liebe eine weit größere Pein für sie gewesen wäre, wenn sie ihren hochgebenedeiten Sohn hätte leiden und sterben sehen müssen, ohne sein Leiden nach Verhältnis mit Ihm teilen zu dürfen.
1220. U. L. Frau wählte die drei Marien aus, ihr während des Leidens Christi zur Seite zu stehen. Zu diesem Zweck erhielten auch diese Frauen reicheres Licht über die Geheimnisse Christi als die übrigen. Während sich die reinste Mutter mit denselben zurückzog, begann sie eine außergewöhnliche Traurigkeit und Angst zu empfinden. Sie sprach: «Meine Seele ist betrübt weil mein geliebter Sohn und Herr leiden und sterben wird, ich aber seine Schmerzen und seinen Tod nicht mit Ihm teilen darf. Betet meine Freundinnen, damit euch nicht die Versuchung überfalle.» Nach diesen Worten entfernte sich Maria ein wenig von den drei Frauen, um sich dem Gebet anzuschließen, welches unser Herr im Ölgarten verrichtete. Da sie den menschlichen Willen ihres heiligsten Sohnes genau kannte, so verrichtete sie ihrerseits ganz dasselbe Gebet wie ihr göttlicher Sohn. Auch kehrte sie in den nämlichen Zwischenräumen zu den Frauen zurück, um ihnen eine Ermahnung zu geben, denn sie wusste, wie sehr der höllische Drache über diese Frauen ergrimmt war. Dann setzte sie wieder ihr Bitten und Flehen fort und fiel, wie der Heiland, wieder in Todesangst. Sie weinte über den Untergang der Verworfenen, denn es wurden ihr über die ewige Vorherbestimmung, d.h. über die Auserwählung der Guten und die Verwerfung der Bösen, große Geheimnisse offenbart. Um dem Heiland der Welt in allem gleichförmig zu sein und in allem mit Ihm zu wirken, vergoss auch Maria blutigen Schweiß, wie unser Herr Jesus Christus. Auf Anordnung der allerheiligsten Dreieinigkeit wurde der heilige Erzengel Gabriel abgesendet, Maria zu trösten, wie der hl. Michael unseren Heiland Jesus Christus tröstete. Der Himmelsfürst stellte ihr den Willen des Allerhöchsten vor und zwar in denselben Worten, mit denen der hl. Michael zu ihrem göttlichen Sohn redete. Denn bei beiden war sowohl die Bitte als auch die Ursache des Schmerzes und der Betrübnis eine und dieselbe, so dass sie im Erkennen wie im Wirken verhältnismässig ganz gleichförmig waren.
Bei dieser Gelegenheit wurde mir mitgeteilt die weiseste Herrin habe in Voraussicht dessen, was ihrem geliebtesten Sohn bei seinem Leiden begegnen sollte, einige Linnentücher bereitgehalten. Sie sandte nun einige von ihren Engeln mit einem Linnentuch zum Garten, wo der Herr Blut schwitzte, damit sie sein ehrwürdiges Antlitz abtrockneten und reinigten.
Die Engel taten dies auch, denn aus Liebe zu seiner Mutter und zur Vermehrung ihrer Verdienste nahm Jesus diesen Beweis ihrer harten Liebe an. Als die Stunde der Gefangennahme unseres Herrn kam, teilte die schmerzvolle Mutter dies den drei Marien mit. Da weinten und klagten alle bitterlich, namentlich Magdalena, die von besonders glühender Liebe entflammt war.
LEHRE der heiligsten Himmelskönigin Maria
1221. Meine Tochter, alles, was du in diesem Hauptstück erfahren und niedergeschrieben hast, ist für dich wie für alle Sterblichen ein Weck- und Mahnruf von höchst segensreichen Folgen, wenn du ihm eine ernste Aufmerksamkeit zuwendest. Erwäge also aufmerksam, welch große Sache die ewige Auserwählung oder Verwerfung der Seelen ist, da mein heiligster Sohn sich ihrer mit solchem Eifer angenommen hat und da die Schwierigkeit oder vielmehr die Unmöglichkeit alle Menschen zu retten und selig zu machen, Ihm das Leiden und Sterben, welches Er zum Heil aller erduldete, so bitter gemacht hat. In diesem Kampf hat Er den Menschen die Wichtigkeit dieser Sache vor Augen gestellt. Darum hat Er auch so viele Bitten an seinen ewigen Vater gerichtet und die Liebe zu den Menschen hat Ihn bewogen, sein unbeschreiblich kostbares Blut in reichlichen Schweißtropfen zu vergießen, aus Schmerz darüber, dass sein Tod nicht allen zum Heil dienen sollte, weil sich die Verworfenen der Teilnahme an den Früchten seines Todes durch eigene Schuld unwürdig machen. Mein Sohn und Herr hat seine Sache gerechtfertigt, da er allen das Heil erworben hat und zwar mit unendlicher Liebe und durch unendliche Verdienste. Auch der ewige Vater hat seine Sache gerechtfertigt, da Er der Welt diese Erlösung geschenkt und sie einem jeden zugänglich gemacht hat. Dem freien Willen jedes einzelnen ist es anheimgestellt nach Tod oder Leben, nach Feuer oder Wasser seine Hand auszustrecken (Sir 15,17.18) und der Abstand, der zwischen diesen beiden Gegensätzen besteht kann keinem unbekannt sein.
1222. Welche Entschuldigung oder welche Ausrede werden aber einstens die Menschen vorbringen, dass sie das ewige Heil ihrer eigenen Seele vernachlässigt haben, während mein göttlicher Sohn und ich es so sehnsüchtig gewünscht und mit solcher Liebe getrachtet haben, es ihnen zuzuwenden ! Wenn aber am Tag des Gerichtes kein einziger unter allen Sterblichen für seine Gleichgültigkeit und Torheit eine Entschuldigung finden wird, so werden die Kinder der heiligen Kirche um so weniger eine solche finden, sie, welche den Glauben an diese wunderbaren Geheimnisse erhalten haben und sich gleichwohl im Leben nur wenig von den Ungläubigen und Heiden unterscheiden. Glaube nicht, meine Tochter, es stehe umsonst geschrieben: «Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt (Mt 20,16).» Möge dieser Ausspruch dir Furcht einflößen! Erneuere in deinem Herzen die Wachsamkeit und Sorge für dein Seelenheil, und zwar im Verhältnis zur Schwere deiner Verpflichtung, weIche durch die Erkenntnis so hoher Geheimnisse bei dir zugenommen hat. Nachlässigkeit in diesem Stück wäre, selbst wenn es sich nicht um das ewige Leben und um die ewige Seligkeit handeln würde, ein Undank gegen die besondere Liebe, mit welcher ich dir so große und göttliche Geheimnisse offenbare. Ich nenne dich «meine Tochter» und «Braut meines Herrn». Hieraus musst du erkennen, dass deine Aufgabe keine andere ist, als mit Hintansetzung alles Sichtbaren und Irdischen zu lieben und zu leiden. Ich berufe dich ja zu meiner Nachfolge. Ich habe auf diese zwei Dinge, auf Lieben und Leiden, alle meine Seelenkräfte gerichtet und zwar zu jeder Zeit und mit der höchsten Vollkommenheit. Damit auch du diese Vollkommenheit erreichest, muss dein Gebet ein ununterbrochenes und unablässiges sein. Wache mit mir eine Stunde, d.h. wache mit mir die ganze Zeit deines sterblichen Lebens. Es ist ja, mit der Ewigkeit verglichen, weniger als eine Stunde, ja weniger als ein Augenblick. In solcher Verfassung sollst du fortfahren, die Geheimnisse des Leidens meines heiligsten Sohnes zu beschreiben, sie mitzuempfinden und deinem Herzen einzuprägen.
DREIZEHNTES HAUPTSTÜCK: Gefangennahme Jesu
Die Gefangennahme unseres Heilandes nach dem Verrat des Judas. Was Maria in jener Stunde tat. Einige Geheimnisse dieses Ereignisses.
1223. Während unser Heiland am Ölberg zu seinem ewigen Vater für das Seelenheil des ganzen Menschengeschlechtes flehte, beeilte sich der treulose Jünger Judas, Ihn den Hohenpriestern und Pharisäern auszuliefern. Und weil Luzifer und seine bösen Geister den verkehrten Willen des Judas und der übrigen von dem Vorhaben, ihrem Schöpfer und Meister das Leben zu nehmen, nicht abzubringen vermochten, so änderte der Hoffärtige seinen Plan und gab mit erhöhter Bosheit den Juden den gottlosen Gedanken ein, unsern Herrn mit der größten Grausamkeit und durch die schändlichsten Unbilden zu misshandeln. Der höllische Drache war nämlich, wie ich schon öfter sagte, voll Unruhe und Besorgnis, dieser außergewöhnliche Mensch möchte vielleicht der Messias und wahrer Gott sein. Um nun hierüber ins klare zu kommen, wollte Luzifer neue Proben anstellen und stachelte darum die Juden und ihre Diener auf, Jesus Christus die furchtbarsten Unannehmlichkeiten zuzufügen. Zu diesem Zweck flößte er ihnen auch seinen schrecklichen Neid und Hochmut ein, so dass sich in diesen Stunden buchstäblich erfüllte, was Salomon im Buch der Weisheit mit Bezug hierauf gesagt hat (Weish 2,17 ff). Luzifer dachte nämlich bei sich also: entweder ist Christus nicht Gott, sondern bloßer Mensch, dann wird Er der Verfolgung und den Qualen unterliegen, und ich werde Ihn somit besiegt haben oder aber Er ist Gott dann wird Er dies offenbaren, indem Er sich den Martern entzieht und neue Wunder wirkt.
1224. Dieselbe gottlose Verwegenheit war es, welche auch den Neid der Hohenpriester und Schriftgelehrten aufstachelte. Sie riefen auf Betreiben des Judas in aller Eile eine Schar Leute zusammen, nämlich heidnische Soldaten mit einem Anführer und überdies eine Menge Juden. Diese sollten mit Judas ausziehen, um das schuldlose Lamm zu ergreifen und «behutsam herbeizuführen (Mk 14, 44)», wie der Prophet Jeremias ausdrücklich vorhergesagt hat (Jer 11,19). Der liebe Heiland sah die Gedanken und das hastige Treiben der gottesräuberischen Priester und wartete den weiteren Verlauf ab. Unterdessen zogen alle diese Diener der Bosheit aus der Stadt gegen den Ölberg zu. Sie waren bewaffnet und mit Stricken und Ketten, mit brennenden Fackeln und Laternen versehen, wie Judas, der Urheber des Verrates, ihnen dies angeraten hatte. Der treulose und hinterlistige Jünger hielt nämlich seinen sanftmütigsten Meister für einen Zauberer und Schwarzkünstler und fürchtete darum, Er möchte irgend ein Wunder wirken, um ihnen zu entwischen, als ob die Waffen und Vorsichtsmaßregeln der Menschen etwas vermöchten gegen die göttliche Macht Jesu, falls Er von ihr Gebrauch machen will. Wohl hätte Er von ihr Gebrauch machen können, wie Er bei anderen Gelegenheiten getan hatte, als die festgesetzte Stunde, in welcher Er sich der Schmach, dem Leiden und dem Tod am Kreuz freiwillig überliefern wollte, noch nicht gekommen war.
1225. Inzwischen kehrte der Herr zum dritten Mal zu seinen Jüngern zurück, und da Er sie schlafend antraf, sagte Er: «Ihr könnt wohl schlafen und ruhen, denn die Stunde ist gekommen, da ihr den Menschensohn in die Hände der Sünder überliefert sehen werdet. Doch es ist genug. Steht auf, lasst uns gehen, denn der mich verkauft hat und überliefern wird, ist nahe (Mk 14, 41 f).» Der Lehrmeister der Heiligkeit sprach diese Worte zu den drei bevorzugten Aposteln, ohne sie strenger zu tadeln, mit höchster Geduld, Sanftmut und Milde. Sie aber waren, wie die Heilige Schrift sagt (Mk 14, 40), verwirrt und wussten nicht, was sie dem Herrn antworten sollten. Dann standen sie auf. Der Herr aber kehrte mit den dreien an den Ort zurück, wo Er die übrigen acht Apostel zurückgelassen hatte. Er fand auch diese schlafend, denn infolge ihrer großen Traurigkeit waren sie vom Schlaf überwältigt worden. Dann ordnete der göttliche Meister an, dass sich alle um Ihn als ihr Haupt scharen sollten, damit sie in Form einer Kommunität oder geistlichen Körperschaft gemeinsam den Feinden entgegenziehen könnten. Hiermit gab der Heiland den Aposteln zu verstehen, dass eine vollkommene Kommunität oder Gemeinschaft die Macht habe, den Satan mit seinem Anhang zu besiegen, und dass dieser nicht imstande sei, sie zu überwinden. Denn «eine dreifache Schnur», sagt der Prediger (Koh 4,12), «zerreißt nicht leicht und wenn jemand Herr würde über einen, so werden ihm doch zwei widerstehen». Dies ist der Vorteil, den das Leben in einer Gesellschaft mit sich bringt (Koh 4, 9). Dann gab der Herr allen Aposteln insgesamt nochmals eine Ermahnung, um sie auf die bevorstehenden Ereignisse vorzubereiten.
Nun hörte man schon den Lärm der Soldaten und Schergen, welche kamen, den Herrn zu ergreifen. Der Sohn Gottes trat ein wenig vor, um ihnen entgegenzugehen. Dabei sprach Er mit unaussprechlicher Liebe, mit majestätischer Kraft und mit göttlicher Würde in seinem Herzen folgende Worte: «O du Leiden, nach welchem meine Seele sich sehnt ! O ihr Schmerzen, ihr Wunden, ihr Demütigungen, Pein und Trübsale samt dem schimpflichen Tod, kommt kommt kommt doch schnell ! Das gewaltige Feuer der Liebe, mit der ich nach dem Heil der Sterblichen verlange, wartet auf euch. Kommt zu dem Schuldlosesten der Menschen, denn er kennt euren Wert. Er hat euch gesucht, nach euch verlangt um euch sich beworben, aus freiem Willen und mit Freude nimmt er euch auf. Ja, durch mein sehnliches Verlangen nach eurem Besitz habe ich euch für mich erkauft, und ich schätze euch so, wie ihr es verdient. Ihr seid verachtet, aber ich will diesem abhelfen; ich will euch zu Ehren bringen und einen hohen Rang, eine höchst erhabene Würde euch verleihen. Es komme der Tod. Ich will schuldlos ihn erdulden und so über ihn triumphieren und denen das Leben verdienen, welche zur Strafe für die Sünde den Tod verdient haben. Ich gestatte, dass meine Freunde mich verlassen, denn ich allein will und kann in den Kampf treten, um allen den Sieg und Triumph zu erwerben.»
1226. Während der Urheber des Lebens diese und ähnliche Worte innerlich sprach, trat Judas vor, um seinen Genossen das verabredete Zeichen zu geben. Er hatte ihnen nämlich gesagt derjenige, den er grüßen und in herkömmlicher Weise, jedoch mit erheuchelter Freundlichkeit küssen werde, sei sein Meister. Diesen sollten sie sogleich festnehmen, um nicht irrtümlicherweise einen anderen zu ergreifen. Alle diese Vorsichtsmassregeln hatte der unglückselige Jünger getroffen nicht bloß aus Geldgier und aus Hass gegen seinen göttlichen Meister, sondern auch aus einer gewissen Furcht, die ihn befallen hatte. Der Unglückliche dachte nämlich, wenn unser Heiland Jesus Christus diesmal nicht sterbe, so müsse er nachher wieder zu Ihm zurückkehren und Ihm vor die Augen treten. Dies schien ihm aber eine Beschämung zu sein, vor welcher er größeren Schrecken hatte als vor dem Tod seiner Seele, ja als vor dem Tod seines göttlichen Meisters. Um nun dieser Beschämung auszuweichen, wünschte er seinen Verrat in aller Eile zu Ende zu führen, damit der Urheber des Lebens unter den Händen seiner Feinde sterbe. So trat also der Verräter zum sanftmütigsten Herrn und gab Ihm, als vollendeter Meister in der Heuchelei seine feindselige Gesinnung verbergend, den Kuss des Friedens in das Angesicht, mit den Worten: «Sei gegrüsst, Meister (Mk 14,45) !» Mit dieser verräterischen Handlung war der Prozess, der das Verderben des Judas herbeiführte, endgültig entschieden. Die Sache Gottes war für immer gerechtfertigt, wenn auch Gottes Gnade und Beistand dem Judas von nun an noch mehr entzogen wurde. Die Frechheit und Verwegenheit des treulosen Jüngers gegen Gott den Herrn hatte den höchsten Grad der Bosheit erreicht. Er hatte den Glauben an die unerschaffene und erschaffene Weisheit, die in Jesus Christus wohnte, aufgegeben und wähnte, der Herr habe weder Kenntnis von seinem Verrat, noch besitze Er Macht, ihn zu vereiteln. Darum suchte er, sich als Freund und aufrichtiger Jünger stellend, seine Bosheit zu verdecken, und dies zu dem Zweck, um seinen Schöpfer und Meister, von welchem er mit Wohltaten überhäuft worden war, dem schimpflichsten und grausamsten Tod zu überliefern. Dieser einzige Verrat schließt so viele und so schreckliche Sünden in sich, dass man sich von seiner Bosheit keine entsprechende Vorstellung machen kann, denn Judas war ein Ungläubiger, ein Mörder, ein Gotteslästerer, er war undankbar, grausam, ungehorsam, falsch, lügnerisch, geizig, gottlos, der Meister aller Heuchler, und all dies gegen die Person des menschgewordenen Gottes.
1227. Auf Seiten des Herrn aber offenbarte sich eine unaussprechliche Barmherzigkeit, wie seine vollkommene Gerechtigkeit. Er erfüllte im höchsten Sinne jene Worte Davids: «Mit denen, die den Frieden hassten, war ich friedlich, wenn ich mit ihnen redete, erhoben sie Streit gegen mich ohne Ursache (Ps 120, 6).» Als nämlich der göttliche Heiland den Judas umarmte und Ihm jene süße Antwort gab: «Freund ! Wozu bist du gekommen (Mt 26, 50) ?», da sandte Er auf die Fürsprache seiner heiligsten Mutter dem Herzen dieses verräterischen Jüngers zugleich ganz besondere, klare Erleuchtungen. In diesem Licht sah Judas die furchtbare Bosheit seines Verrates. Er sah die Strafen, die, falls er sich nicht aufrichtig bekehrte, seiner warteten. Er sah endlich, dass, wenn er wahre Buße tun wollte, er vom gütigsten Gott Barmherzigkeit und Verzeihung erhalten werde. Es war dem Judas, als würde Jesus Christus, da Er jene Worte sprach, also zu seinem Herzen reden: «Freund ! Bedenke, dass du durch diesen Verrat dich ins Verderben stürzest und meine huldreiche Sanftmut für dich fruchtlos machst. Willst du meine Freundschaft, so werde ich sie dir nicht verweigern, sofern du nur deine Sünde bereust. Erwäge, welch schreckliche Vermessenheit es ist, durch einen heuchlerischen Kuss, dieses Zeichen des Friedens, der Ehrfurcht und Freundschaft, mich zu überliefern. Erinnere dich an die Wohltaten, welche du von meiner Liebe empfangen hast. Erinnere dich, dass ich der Sohn der Jungfrau bin, welche dich mit so vielen Gnaden überhäuft und dir während deines Apostolates so oftmals als liebevolle Mutter Ermahnungen und Ratschläge erteilt hat. Schon allein ihretwegen solltest du eine solche Treulosigkeit nicht begehen, ihren Sohn zu verkaufen und zu auszuliefern ! Sie hat dir ja niemals ein Leid getan. Ihre mildeste Liebe und Sanftmut verdient es nicht, dass du ihr solch grenzenloses Unrecht antust. Hast du dies aber auch schon vollbracht, so verachte wenigstens ihre Fürsprache nicht, denn sie allein wird mächtig genug bei mir sein, dir zu helfen. Ihretwegen biete ich dir die Verzeihung und das Leben an, um welches sie mich so oftmals für dich gebeten hat. Sei versichert, dass wir dich lieben. Es ist ja noch Hoffnung für dich. Wir werden dir unsere Freundschaft nicht verweigern, wenn du sie verlangst. Wo nicht, so wirst du unsern Hass und deine ewige Strafe verdienen.» Doch das göttliche Saatkorn dieser Worte, fasste keine Wurzel im Herzen des unglückseligen Jüngers, welches härter war als Diamant und grausamer als das Herz eines wilden Tieres: Judas widerstand der Barmherzigkeit Gottes und kam zur Verzweiflung, wie ich im folgenden Hauptstück erzählen werde.
1228. Kaum hatte Judas durch seinen Kuss das verabredete Zeichen gegeben, so hatte der Urheber des Lebens mit seinen Jüngern die Rotte Soldaten vor sich, die gekommen waren, Ihn zu ergreifen. So standen zwei Scharen einander gegenüber, zwischen denen ein Abstand und Gegensatz obwaltete, wie ihn in solchem Grad die Welt niemals gesehen hat. Denn auf der einen Seite stand unser Herr Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, als Oberhaupt und Führer aller Gerechten, umgeben von den elf Aposteln, als den vollkommensten Menschen aller Zeiten und den tapfersten Streitern der heiligen Kirche. Bei ihnen waren unabsehbare Scharen englischer Geister, welche voll Verwunderung über ein solches Schauspiel den Herrn priesen und anbeteten. Auf der andern Seite stand Judas, als Urheber des Verrates, bewaffnet mit Heuchelei und aller Bosheit begleitet von vielen jüdischen und heidnischen Dienern, welche seinen Plan mit aller Grausamkeit ausführen sollten. Inmitten dieser Bande befand sich Luzifer mit einer großen Anzahl Teufel, welche den Judas und seine Helfershelfer antrieben, unerschrocken ihre gottesräuberischen Hände an ihren Schöpfer zu legen. Da redete der Herr die Soldaten an und sprach mit unaussprechlicher Sehnsucht nach dem Leiden, mit großer Kraft und Würde: «Wen suchet ihr ?» Sie antworteten: «Jesus von Nazareth». Jesus entgegnete: «Ich bin es (Joh 18, 4.5).» Mit diesem für das Menschengeschlecht unendlich kostbaren und glückseligen Worte erklärte sich Christus als unsern Heiland und Erlöser: Er gab uns damit sichere Unterpfänder unseres Heiles und zuverlässige Hoffnung auf die ewige Seligkeit, denn diese hing allein davon ab, dass der Herr sich freiwillig darbot, um uns durch sein Leiden und Sterben zu erlösen.
1229. Die Feinde vermochten freilich dieses Geheimnis nicht zu fassen und den eigentlichen Sinn des Wortes: «Ich bin es», nicht zu verstehen. Aber die heiligste Jungfrau und die heiligen Engel verstanden ihn, und auch die Apostel verstanden viel davon. Es war, als sagte der Herr: «Ich bin. der ich bin, wie ich zu meinem Propheten Moses gesprochen habe (Ex 3,14), denn ich bin durch mich selbst; alle Geschöpfe dagegen haben ihr Leben und Dasein von mir. Ich bin ewig, unermesslich, unendlich in der Wesenheit und in den Vollkommenheiten. Ich habe aber meine Herrlichkeit verborgen und bin Mensch geworden, um die Welt zu erlösen durch das Leiden und den Tod, welche ihr bereitet.» Diesem Wort, welches der Herr in der Kraft seiner Gottheit sprach, konnten seine Feinde nicht widerstehen, in demselben Augenblick, in welchem es in ihre Ohren klang, fielen sie alle rücklings zu Boden (Joh 18, 6). Ja nicht nur die Soldaten, sondern auch die Hunde und einige Pferde, welche sie bei sich hatten, fielen alle zu Boden, und alle blieben unbeweglich liegen wie ein Stein. Auch Luzifer mit seinen bösen Geistern wurde zur Erde niedergeschmettert was ihm neue Beschämung und Qual verursachte. In dieser Lage blieben sie, unbeweglich als wären sie tot, ungefähr eine halbe Viertelstunde lang. O Wort dessen Lehre so geheimnisvoll und dessen Macht mehr als unüberwindlich ist ! Dir gegenüber prahle der Weise nicht mit seiner Weisheit und List, noch der Mächtige mit seiner Stärke (Jer 9, 23), vielmehr demütige sich die Eitelkeit und Anmaßung der Kinder Babylons. Denn ein einziges Wort aus dem Mund des Herrn, gesprochen mit so großer Sanftmut und Demut, beschämt zerstört und vernichtet alle Macht und Anmaßung der Menschen und der Hölle. Auch wir Kinder der Kirche wollen hier lernen, dass man die Siege Christi erringt, indem man die Wahrheit bekennt, dem Zorn Gottes Raum gibt (Röm 12,19) und nach dem Beispiele des Herrn Sanftmut und Demut von Herzen übt. Man siegt, wenn man mit Taubeneinfalt überwindet und sich überwinden lässt und friedlich nachgibt wie die Schafe, nicht aber, wenn man zornigen, blutgierigen Wölfen gleich Widerstand leistet.
1230. Unser Heiland schaute mit den elf Aposteln die Wirkung seines göttlichen Wortes in dem Sturz dieser Diener der Bosheit. Seine göttliche Majestät schaute in ihnen mit traurigem Angesicht das Abbild der Züchtigung der Verworfenen und hörte zugleich die Fürsprache seiner heiligsten Mutter, die Unglücklichen wieder aufstehen zu lassen. In seinem göttlichen Willen war es nämlich beschlossen, das U. L. Frau diese Gnade erlangen sollte. Als es Zeit war, dass sie wieder zu sich kommen sollten, betete der Herr zu seinem ewigen Vater: «Mein Vater, ewiger Gott, alles hast du in meine Hände gegeben (Joh 13, 3) und die Erlösung des Menschengeschlechts, welche deine Gerechtigkeit verlangt hast du meinem Willen anheimgestellt. Mit der ganzen Kraft meines Willens sehne ich mich, deiner Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten und mich dem Tod hinzugeben, um meinen Brüdern die Teilnahme an deinen Gnadenschätzen und an der ewigen Seligkeit die du ihnen bereitet hast, zu verdienen.» Kraft dieses wirksamen Entschlusses erteilte der Allerhöchste der ganzen Rotte von Menschen, Teufeln und Tieren die Erlaubnis, aufzustehen und in ihren vorigen Zustand zurückzukehren. Dann sprach unser Erlöser zum zweiten Mal zu ihnen: «Wen suchet ihr?» Sie antworteten abermals: «Jesus von Nazareth». Der Herr entgegnete mit größter Sanftmut: «Ich habe es euch gesagt, dass ich es bin. Wenn ihr also mich sucht, so lasst diese gehen (Joh 18, 7.8).» Mit diesen Worten gab er den Soldaten und Knechten die Erlaubnis, Ihn zu ergreifen und, ohne dass sie es wussten, seinen Ratschluss zur Ausführung zu bringen, wonach Er alle unsere Schmerzen und Krankheiten auf seine göttliche Person laden wollte (Jes 53, 4).
1231. Der erste, welcher in frecher Weise vortrat, um an den Urheber des Lebens Hand anzulegen und Ihn zu ergreifen, war ein Diener der Hohenpriester, namens Malchus. Obwohl nun alle Apostel durch Furcht verwirrt und niedergeschlagen waren, so glühte doch der hl. Petrus vor allen übrigen von Eifer für die Ehre und die Verteidigung seines göttlichen Meisters. Er zog das Schwert das er bei sich hatte, versetzte damit dem Malchus einen Streich und hieb ihm ein Ohr gänzlich ab (Joh 18,10). Der Streich war auf eine größere Verwundung berechnet. Allein der Lehrmeister der Geduld und Sanftmut lenkte denselben in seiner göttlichen Vorsehung ab. Er ließ nicht zu, dass bei diesem Anlass noch jemand außer ihm selbst Tod, Wunden und Schmerzen erleide, da Er ja kam, um allen, welche nur wollten, das ewige Leben zu geben und das ganze Menschengeschlecht zu erlösen. Auch entsprach es seiner Lehre und seinem Willen nicht, dass seine Person mit Waffengewalt verteidigt werde und dass das Verhalten des Petrus als Muster gelte, wie man die Kirche zu verteidigen habe. Um also seine Lehre zu bestätigen, nahm der göttliche Heiland das abgehauene Ohr und heilte es dem Knechte Malchus wieder an die frühere Stelle, so dass es noch gesünder war als vorher. Zuvor aber wandte Er sich an Petrus und wies ihn zurecht mit den Worten: «Stecke dein Schwert an seinen Ort ! Denn alle, die das Schwert ergreifen werden durch das Schwert umkommen. Soll ich den Kelch den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken? Oder meinst du, ich kann meinen Vater nicht bitten und er wird mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel geben ? Wie wird dann aber die Schrift erfüllt werden, dass es so geschehen muss (Joh 18,11; Mt 26, 52 ff ) ?»
1232. Durch diese liebevolle Zurechtweisung wurde der heilige Petrus als Oberhaupt der Kirche belehrt, die Waffen. mit denen die Kirche gegründet und beschützt werden sollte, seien Waffen geistlicher Gewalt. und das Gesetz des Evangeliums lehre nicht, mit Schwertern von Eisen zu kämpfen und zu siegen, sondern durch Demut, Geduld, Sanftmut und vollkommene Liebe den Sieg über den Satan, die Welt und das Fleisch zu erringen. Mittelst solcher Siege triumphiere die Kraft Gottes über ihre Feinde, über die Macht und Arglist dieser Welt. Mit Waffen anzugreifen oder sich zu verteidigen, gezieme nicht den Nachfolgern Christi, sondern den Fürsten der Welt zum Schutze ihrer irdischen Besitzungen. Das Schwert der heiligen Kirche dagegen müsse geistlich sein und mehr der Seele als dem Leibe gelten.
Nun wandte sich der göttliche Erlöser zu seinen Feinden und den Knechten der Juden und sprach zu ihnen mit großer Majestät: «Gleich wie auf einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Knütteln mich gefangen zu nehmen. Täglich saß ich bei euch und lehrte im Tempel und ihr habt mich nicht ergriffen. Aber das ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis (Mt 26, 55; Lk 22, 53).»
Alle Worte unseres Herrn enthalten die tiefsten Geheimnisse, die man weder zu fassen noch zu erklären vermag. Insbesondere gilt dies von den Worten, welche unser Herr bei seinem Leiden und Sterben gesprochen hat.
1233. Jene Diener der Sünde hätten durch die Zurechtweisung des göttlichen Meisters erweicht und beschämt werden können. Allein dies verwirklichte sich nicht. Sie waren ein verfluchtes, unfruchtbares Erdreich, ohne den Tau der Tugenden und wahrer Frömmigkeit. Trotzdem wollte Christus sie bis zu diesem Augenblick zurechtweisen und belehren, damit ihre Missetat weniger entschuldbar sei. Auch deswegen tat Er es, um ihre Sünden in Gegenwart der höchsten Seligkeit und Gerechtigkeit nicht ungeahndet und sie nicht ohne Heilmittel zurückkehren zu lassen. Endlich tat Er es, um zu zeigen, dass Er alles wisse, was geschehen sollte, und dass Er sich freiwillig dem Tod und den Händen seiner Mörder überliefere. Zu diesen und anderen höchst erhabenen Zwecken richtete der Herr diese Worte an jene Menschen, wobei Er zugleich innerlich zu ihren Herzen sprach. Er kannte ja genau ihre Herzen. Er sah ihre Bosheit ihren Hass gegen Ihn und die Ursache ihres Neides. Diese war aber keine andere, als dass Er die Priester und Pharisäer wegen ihrer Laster zurechtgewiesen, dass Er dem Volke die Wahrheit und den Weg des ewigen Lebens gezeigt, dass Er durch seine Lehre, sein Beispiel und seine Wunder die Herzen aller Demütigen und Frommen gewann und viele Sünder zu seiner Freundschaft und Gnade zurückführte. Hatte Er aber die Macht, alles dieses öffentlich zu tun, so konnte Er offenbar auch verhindern, dass man Ihn ohne seinen Willen unter freiem Himmel ergreife, im Tempel und in der Stadt, wo Er predigte, hatten seine Feinde es ja auch nicht getan, weil Er eben damals noch nicht ergriffen werden wollte, ehe die von seinem Willen festgesetzte Stunde gekommen war, dies den Menschen und den bösen Geistern zu erlauben. Nun aber hatte Er ihnen dies erlaubt um gefangen genommen, misshandelt, erniedrigt und gepeinigt zu werden. Deshalb sprach Er zu ihnen: «Das ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis.» Es war, als sage Er mit diesen Worten: «Bis jetzt musste ich bei euch sein als euer Meister, um euch zu lehren. Darum habe ich nicht zugelassen, dass ihr mir das Leben nehmt. Jetzt aber will ich durch meinen Tod das Werk der Erlösung vollbringen, welches mein ewiger Vater mir aufgetragen hat. Deshalb gebe ich euch die Erlaubnis, mich gefangen zu nehmen und euren Willen an mir zu tun.» Auf diese Worte hin fielen sie wie grausame Tiger über Jesus, das sanfteste Lamm, her, ergriffen Ihn, banden und fesselten Ihn mit Stricken und Ketten und führten Ihn zum Haus des Hohenpriesters.
1234. Maria, die reinste Mutter, schaute mit größter Klarheit alles, was sich bei der Gefangennahme unseres Herrn zutrug. Ja, im Licht der Vision sah sie alles noch deutlicher, als wenn sie leiblich zugegen gewesen wäre, denn sie durchschaute in ihrem Geiste alle Geheimnisse der Worte und Handlungen ihres göttlichen Sohnes. Als sie jene Schar von Soldaten und Knechten aus dem Hause des Hohenpriesters abziehen sah, standen auch schon alle Frechheiten und Unehrerbietigkeiten derselben gegen ihren Schöpfer und Erlöser vor den Augen der weisesten Mutter. Um nun dieselben nach Kräften gutzumachen, lud sie ihre hl. Schutzengel und noch viele andere Engel ein, vereint mit ihr dem Herrn der Geschöpfe Preis und Anbetung darzubringen zum Ersatz für die Unannehmlichkeiten und Beschimpfungen, welche Er von jenen schlechten Dienern der Finsternis erfahren musste. Dieselbe Aufforderung richtete sich auch an die hl. Frauen, die mit ihr beteten. U. L. Frau teilte ihnen mit, dass ihr heiligster Sohn nun seinen Feinden gestattet habe, Ihn zu ergreifen und zu misshandeln, und dass die Sünder dies bereits mit entsetzlicher Grausamkeit und Gottlosigkeit ausführten. Im Verein mit den Engeln und den frommen Frauen erweckte die heilige Himmelskönigin wunderbare Akte des Glaubens, der Liebe sowie der inneren und äußeren Gottesverehrung. Sie betete an, lobte und verherrlichte die unendliche Gottheit und heiligste Menschheit ihres Sohnes und Schöpfers. Die heiligen Frauen folgten ihrem Beispiel und warfen sich mit ihr zur Erde nieder oder beugten die Knie. Die Himmelsfürsten aber beteten abwechslungsweise mit ihr die Lobgesänge, in denen U. L. Frau die Gottheit und Menschheit ihres liebevollsten Sohnes verherrlichte. So machte sie durch Lob und Verehrung die Unannehmlichkeiten und Unehrerbietigkeiten gut, durch welche der Herr von den Kindern der Bosheit beleidigt wurde. Zugleich besänftigte sie die göttliche Gerechtigkeit damit sie nicht gegen die Verfolger Christi ergrimme und diese vernichte. Denn nur die heiligste Jungfrau war mächtig genug, die Strafe für solche Verbrechen zurückzuhalten.
1235. Indes war die große Herrin nicht nur mächtig, den Grimm des gerechten Richters zu besänftigen, sondern sie vermochte selbst Gnaden für jene zu erlangen, welche den Herrn erzürnten. Sie erflehte es, dass jene vom gütigen Gott Gutes für Böses erhielten, während sie selbst unserem Heiland Gutes, nämlich seine Lehre und Wohltaten, nur mit Bösem vergalten. Den Höhepunkt erreichte diese Barmherzigkeit bei dem verstockten Judas. Als nämlich die mitleidsvolle Mutter sah, wie er seinen Meister mit dem Kuss erheuchelter Freundschaft überlieferte und wie dessen unreiner Mund, in welchen kurz zuvor der Herr im allerheiligsten Sakrament eingegangen war, nun auch das verehrungswürdige Angesicht ihres göttlichen Sohnes berühren durfte, da flehte sie, von Schmerz durchbohrt und von Liebe überwunden, zum Herrn, er möge doch dem Judas neue Gnadenhilfen gewähren, damit derjenige nicht verloren gehe, welcher so glücklich gewesen, in solcher Weise das Antlitz zu berühren, in welches selbst die Engel zu schauen gelüstet. Durch diese Bitte der seligsten Jungfrau gewährte der göttliche Heiland dem Judas jene großen, bereits erwähnten Gnaden gerade im letzten Augenblick seines Verrates. Hätte der Unglückliche dieselben angenommen und angefangen, mitzuwirken, so hätte ihm die Mutter der Barmherzigkeit noch viel größere und zuletzt die Verzeihung seiner Missetat erwirkt wie sie andern großen Sündern tut, die ihr diese Ehre erweisen und dadurch für sich selbst die ewige Seligkeit erwerben. Doch Judas verstand dies nicht. Für ihn war alles verloren, wie ich im folgenden Hauptstück berichten werden.
1236. Als U. L. Frau ferner sah, dass in Kraft des göttlichen Wortes Jesu alle jene Soldaten und Knechte zu Boden fielen, verherrlichte sie in einem neuen Lobgesang mit den Engeln die göttliche Allmacht und die Kraft der heiligsten Menschheit Jesu. Sie gedachte des Sieges, welchen der Name des Allerhöchsten errang, als Pharao und seine Heere im Roten Meere ertranken, und sie lobte ihren Sohn und Gott, dass Er, der Herr der Heerscharen und der Siege, sich dem Leiden und Sterben überliefern wollte, um das Menschengeschlecht auf die wundersamste Weise aus der Gefangenschaft Satans zu erlösen. Sodann bat die seligste Jungfrau den Herrn, Er möge alle jene, welche im Ölgarten zu Boden gestürzt waren, wieder zu sich kommen und aufstehen lassen. Zu dieser Bitte wurde sie bewogen einmal von ihrer großherzigen Güte und ihrem zarten Mitleid mit diesen Menschen, die ja vom Herrn nach seinem Bild und Gleichnisse erschaffen waren. Sodann wollte sie in ausgezeichneter Weise das Gesetz der Liebe erfüllen, welches befiehlt, den Feinden zu verzeihen und denen, die uns verfolgen, Gutes zu tun, wie ihr Sohn und Meister es selbst gelehrt und geübt hatte, Endlich stellte sie jene Bitte, weil sie wusste, dass die Weissagungen der Heiligen Schrift über das Geheimnis der Erlösung erfüllt werden mussten. Freilich mussten diese unfehlbar eintreffen. Allein damit ist nicht ausgeschlossen, dass U. L. Frau um jene Wohltaten bat und den Allerhöchsten durch ihre Bitten dazu bewog, denn in der unendlichen Weisheit und in den ewigen Ratschlüssen Gottes war alles vorhergesehen, waren auch diese Bitten als Mittel dazu vorherbestimmt: und gerade diese Weise entsprach am besten der göttlichen Vorsehung. Doch es ist nicht nötig, jetzt bei Erklärung dieser Sache zu verweilen.
Im Augenblick, da unser Herr gefangen genommen und gebunden wurde, fühlte die reinste Mutter an ihren Händen die Schmerzen der Stricke und Ketten, wie wenn sie selbst damit gebunden und gefesselt worden wäre. Dasselbe geschah bei den Schlägen und Stößen, welche ihr göttlicher Sohn zu leiden hatte. Der Herr hatte ihr dies, wie ich oben bemerkt habe und wie wir im Verlaufe des Leidens noch öfters sehen werden, als eine besondere Gnade gewährt. Dieser Körperschmerz war für U. L. Frau noch ein Trost im Vergleich zu dem viel größeren Liebesschmerz, den sie in ihrer Seele empfunden hätte, falls sie nicht auf diese Weise mit ihrem göttlichen Sohn hätte leiden dürfen.
LEHRE, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gegeben hat
1237. Meine Tochter, in allem, was du durch meine Belehrung erkennst und niederschreibst sprichst du über dich, wie über alle Sterblichen das Urteil aus, das über euch ergehen wird, falls ihr nicht den Zustand der Kindheit verlassend, eure Undankbarkeit und Gefühllosigkeit aufgebt, um das bittere Leiden und Sterben Jesu des Gekreuzigten Tag und Nacht zu betrachten. Das ist die Wissenschaft der Heiligen, von welcher die Weltkinder nichts wissen. Das ist das Brot des Lebens und der Erkenntnis, welches die Kleinen sättigt und ihnen Weisheit verleiht, während die stolzen Liebhaber der Welt hungrig bleiben und leer ausgehen. Diese Wissenschaft sollst du, das ist mein Wille, fleißig studieren und gut verstehen, denn mit ihr werden alle Güter zumal dir zukommen. Mein Sohn und Herr hat die Regel dieser verborgenen Weisheit gelehrt, da Er sprach: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, außer durch mich (Joh 14, 6).» Sage mir nun, meine Tochter, wenn mein Herr und Meister dadurch der Weg und das Leben für die Menschen geworden ist, dass Er für sie Leiden und den Tod erduldete, muss man dann nicht, um diesen Weg zu gehen und diese Wahrheit zu bekennen, dem geschmähten, misshandelten. gegeißelten, gekreuzigten Heiland nachfolgen? Sieh also, wie töricht die Menschen sind, da sie zum Vater kommen wollen, aber nicht durch Christus, da sie mit Ihm herrschen wollen, ohne Mitleid mit Ihm getragen und selbst gelitten zu haben? Ja ohne an sein Leiden und Sterben zu denken, ohne es auch nur in etwa zu kosten, noch aufrichtig dafür zu danken, wollen sie, dass es ihnen zugute komme. Sie möchten im gegenwärtigen und im ewigen Leben Freuden und Ehren genießen, während ihr Schöpfer bitterste Schmerzen und Pein gelitten hat, um so in die ewige Glorie einzugehen (Lk 24, 26) und um den Sterblichen ein Beispiel zu hinterlassen und den Weg des Lichtes zu eröffnen.
1238. Die ewige Ruhe verträgt sich nicht mit der Schande, nichts gelitten zu haben, da man doch auf diesem Weg die Ruhe hätte verdienen sollen. Wer seinem Vater nicht nachfolgt, ist kein wahres Kind. Wer seinen Herrn nicht begleitet ist kein treuer Knecht. Wer seinem Meister nicht folgt, ist nicht dessen Schüler. Auch ich betrachte jenen nicht als meinen Verehrer, der mit dem Leiden meines Sohnes und mit meinen Schmerzen kein Mitleid kennt. Allein die liebevolle Sorge für das ewige Heil der Menschen bewegt uns, ihnen, da sie diese Wahrheit ganz vergessen und das Leiden verabscheuen, Leiden und Widerwärtigkeiten zu schicken, damit sie diese, wenn nicht freiwillig und mit Liebe, wenigstens gezwungen annehmen und ertragen und so den sicheren Weg der ewigen Ruhe betreten, nach der sie verlangen. Allein dies ist noch nicht genug. Denn die blinde Neigung und Liebe zum Irdischen fesselt und beherrscht sie, macht ihr Herz träge und schwerfällig, nimmt ihnen alles Gedächtnis, alle Aufmerksamkeit und alles Gefühl, so dass sie sich weder über sich noch über das Vergängliche erheben. Darum finden sie in den Trübsalen keine Freude, in den Mühen keine Erquickung, in den Leiden keinen Trost in den Widerwärtigkeiten keine Ruhe. Denn alles dieses verabscheuen sie und nichts, was ihnen beschwerlich ist verlangen sie. Und doch war gerade dies das Verlangen der Heiligen. Ja die Heiligen rühmten sich der Trübsale (Röm 5, 3), weil sie dadurch den Gegenstand ihrer Sehnsucht erlangt hatten. Bei vielen Gläubigen geht die Torheit noch weiter. Denn einige begehren zwar, von der Liebe Gottes verzehrt zu werden, andere flehen um Verzeihung vieler Sünden, noch andere um große Gnaden. Allein nichts von all dem kann ihnen gewährt werden, weil sie nicht im Namen Christi meines Herrn darum bitten, d.h. weil sie Ihm in seinem Leiden nicht nachfolgen und Gesellschaft leisten wollen.
1239. Umarme also das Kreuz, meine Tochter, und nimm in deinem sterblichen Leben nie einen Trost an, ohne das Kreuz. Durch das Betrachten und Mitfühlen des Leidens Jesu wirst du den Gipfel der Vollkommenheit erreichen und die Liebe einer Braut erwerben. Folge mir hierin nach gemäß dem Licht, welches du erhalten, und der Verpflichtung, welche ich dir auferlege. Preise und verherrliche meinen göttlichen Sohn wegen der Liebe, mit welcher Er sich für das Heil der Menschen dem Leiden überliefert hat. Die Menschen betrachten dieses Geheimnis gar wenig. Aber ich versichere dir als Augenzeugin, dass mein allerheiligster Sohn nächst der Auffahrt zur Rechten des ewigen Vaters nichts höher geschätzt und nichts mit größerer Inbrunst des Herzens verlangt hat, als sich zum Leiden und Sterben anzubieten und sich dazu seinen Feinden auszuliefern. Endlich sollst du mit innigstem Schmerz beklagen, dass Judas in seinen Treulosigkeiten und Verbrechen mehr Nachfolger findet als Christus. Zahlreich sind die Ungläubigen, zahlreich die schlechten Katholiken, zahlreich die Heuchler, welche unter dem Namen von Christen ihren Heiland verkaufen, ausliefern und ihn aufs neue kreuzigen. Über alle diese Übel weine, denn damit du auch hierin mir nachfolgst, werden sie dir offenbart.
VIERZEHNTES HAUPTSTÜCK: Flucht der Apostzel. Verdammung des Judas. Verwirrung der Hölle
Flucht und Trennung der Apostel bei der Gefangennahme ihres Meisters. Wie die göttliche Mutter hiervon Kenntnis hatte, und was sie dabei tat. Verdammung des Judas. Verwirrung der bösen Geister durch das, was sie bemerkten.
1240. Nachdem unser Heiland gefangen genommen war, erfüllte sich, was Er selbst den Aposteln beim Abendmahl vorhergesagt hatte, dass nämlich in dieser Nacht alle an Ihm großes Ärgernis nehmen würden, und dass der Satan sie anfallen werde, um sie zu sieben wie den Weizen (Mt 26, 31; Lk 22, 31). Denn als sie sahen, dass ihr göttlicher Meister gefangen genommen und gebunden werde und dass weder seine Sanftmut seine milden und mächtigen Worte noch seine Wunder, seine Lehre, sein tadelloser Lebenswandel den Zorn der Knechte zu besänftigen und den Neid der Hohenpriester und Pharisäer zu beschwichtigen vermochten, da wurden die betrübten Apostel sehr verwirrt. Von natürlicher Furcht befallen, verloren sie den Mut vergaßen den Rat ihres Meisters, begannen im Glauben zu wanken, und jeder von ihnen überlegte, wie er der Gefahr entgehen könne, die ihnen mit der Gefangennahme ihres Meisters drohte. Da nun diese ganze Schar der Knechte und Soldaten über Jesus, das sanftmütigste Lamm, zornig herfielen und ganz damit beschäftigt waren, Ihn festzunehmen und zu fesseln, so benützten die Apostel diese Gelegenheit und flohen, ohne dass die Juden es bemerkten. Denn soweit es auf die letzteren ankam, hätten sie, falls der Herr es zugelassen hätte, ohne Zweifel die ganze Schar der Apostel gefangen genommen, um so mehr, da sie sie furchtsam, gleich wie Schuldige, die Flucht ergreifen sahen. Allein damals war die Zeit noch nicht gekommen, wo die Apostel gefangen genommen und zum Leiden geführt werden sollten. Der göttliche Heiland gab seinen Willen hinsichtlich der Apostel kund, indem Er sprach: «Wenn ihr mich sucht so lasst diese gehen, die mich begleiten (Joh 18, 8)»; - und überdies fügte Er es auch durch die Macht seiner göttlichen Vorsehung, dass ihnen nichts geschah. Allein der Hass der Hohenpriester und Pharisäer erstreckte sich auch auf die Apostel und sie hätten auch diesen gerne ein Ende gemacht, wenn sie gekonnt hätten. Deshalb befragte der Hohepriester Annas den göttlichen Meister auch über seine Jünger und seine Lehre.
1241. Auch Luzifer war bei dieser Flucht der Apostel unschlüssig und schwankte zwischen verschiedenen boshaften Plänen. Einerseits hätte er gerne die Lehre des Welterlösers und alle seine Jünger ausgerottet, damit kein Andenken an sie geblieben wäre, und deshalb hätte er gewollt, dass sie von den Juden ergriffen und getötet würden. Die Erreichung dieser Absicht hielt er aber für schwer. Deshalb trachtete er, die Apostel durch seine Eingebungen zu verwirren, damit sie die Flucht ergriffen und nicht Zeugen wären von der Geduld ihres Meisters in seinem Leiden und von dem, was dabei vorgehen würde. Der arglistige Drache fürchtete nämlich, die Apostel möchten durch die neuen Lehren und Beispiele des Heilandes mehr im Glauben bestärkt werden und dann mit größerer Standhaftigkeit seinen Versuchungen widerstehen. Wenn sie dagegen jetzt zu schwanken anfingen, dann könnte er sie nachher, so schien es ihm, durch neue Verfolgungen vollends überwinden. Zu solchen Verfolgungen aber werde er die Juden aus Hass gegen deren Meister stets bereit finden. So täuschte Satan sich selbst. Da er nun sah, wie die Apostel so furchtsam, kleinmütig und von Traurigkeit ganz niedergeschlagen waren, so dachte er, dies sei für sie die schlechteste Seelenverfassung, für ihn aber die beste Gelegenheit sie zu versuchen. Deshalb fiel er sie mit rasender Wut an und flüsterte ihnen starken Zweifel und Argwohn gegen ihren Meister ein, damit sie ihn verlassen und die Flucht ergreifen sollten. Hinsichtlich der Flucht widerstanden die Apostel nicht, wohl aber widerstanden sie manchen falschen Eingebungen gegen den Glauben, doch waren auch im Glauben die einen schwächer als die anderen, denn nicht alle ließen sich in gleichem Grad verwirren und verleiten.
1242. Sie trennten sich also und flohen nach verschiedenen Seiten, denn alle zusammen hätten sie sich schwerlich verbergen können, dies aber war es, was sie damals beabsichtigten. Nur Petrus und Johannes blieben beisammen, um ihrem göttlichen Meister von ferne zu folgen und den Ausgang seines Leidens zu sehen. Im Herzen eines jeden der elf Apostel tobte ein höchst schmerzlicher Streit, der ihnen weder Trost noch Ruhe ließ. Vernunft, Gnade, Glaube, Liebe und Wahrheit kämpften auf der einen Seite, auf der andern Versuchungen, Zweifel. Furcht, natürliche Zaghaftigkeit und Traurigkeit. Die Vernunft und das Licht der Wahrheit verwiesen ihnen die Wankelmütigkeit und Treulosigkeit, mit welcher sie ihren Meister verlassen hatten und feige vor der Gefahr geflohen waren, obwohl sie kurz zuvor gewarnt worden waren und versprochen hatten, nötigenfalls mit Ihm zu sterben. Sie erinnerten sich, dass sie ungehorsam und nachlässig gewesen seien, zu beten und sich gegen die Versuchungen zu rüsten, was der sanftmütigste Meister ihnen befohlen hatte. Die Liebe, welche sie wegen seines liebenswürdigen Umgangs, seiner milden Worte und seiner Lehre und Wunder zu ihm trugen, sowie der Gedanke, dass er wahrer Gott sei, ermutigte sie und spornte sie an, Ihn wieder aufzusuchen und als seine treuen Diener und Jünger der Gefahr und dem Tod zu trotzen. Dazu kam die Erinnerung an seine heiligste Mutter und an ihren unbeschreiblichen Schmerz, in welchem sie sicher des Trostes bedürfe. Deshalb verlangten sie, U. L. Frau aufzusuchen und ihr in ihren Leiden beizustehen. AIlein auf der anderen Seite kämpfte in ihnen die Verzagtheit und Furcht, sich der Beschämung, Verfolgung, der Grausamkeit der Juden und dem Tod zu überliefern. Von dem Gedanken, die schmerzhafte Mutter aufzusuchen, ließen sie sich abbringen durch die Furcht sie möchte ihnen auflegen, zu ihrem Meister zurückzukehren. Auch möchten sie bei ihr nicht so sicher sein, da man sie in deren Haus suchen könnte. Zu all dem waren die Zuflüsterungen der bösen Geister ganz gottlos und schrecklich. Der höllische Drache gab ihnen die furchtbarsten Schreckgedanken ein, z.B. sie wären Selbstmörder, wenn sie sich dem Tod überlieferten. Ihr Meister könne nicht einmal sich selbst, geschweige denn sie aus den Händen der Hohenpriester befreien. Man werde Ihm jetzt das Leben nehmen, sie würden Ihn dann nicht mehr sehen, und eben damit würde jede Verpflichtung gegen Ihn ein Ende haben. Sein Leben scheine zwar tadellos, aber Er habe doch einige sehr harte und bisher unerhörte Lehren vorgetragen. Deshalb werde Er von den Gesetzeslehrern und Hohenpriestern gehasst, das ganze Volk sei gegen Ihn entrüstet und es sei doch zu hart, einem Menschen anzuhangen, der voraussichtlich zu einem schmählichen und schimpflichen Tod verurteilt werde.
1243. Bei diesem inneren Kampf der flüchtigen Apostel beabsichtigte Satan, sie zum Zweifel an der Lehre Christi und an den Weissagungen zu verleiten, welche von dessen Geheimnissen und Leiden sprachen. Da nun den Aposteln keine Hoffnung blieb, dass ihr Meister aus der Macht der Hohenpriester frei werde und sein Leben rette, ging ihre Furcht in Traurigkeit und tiefe Schwermut über und infolge dessen beschlossen sie, zu fliehen und ihr Leben zu retten. Sie waren dabei so verzagt, dass sie sich während jener Nacht nirgends sicher glaubten und vor jedem Schatten, bei jedem Geräusch erschraken. Ihre Furcht wurde noch gesteigert durch die Treulosigkeit des Judas, denn sie fürchteten, dieser werde den Zorn der Hohenpriester auch gegen sie reizen, weil er nach Ausführung seines Verrates zu keinem der Elf zurückgekehrt war. Der hl. Petrus und der hl. Johannes, welche unsern Herrn feuriger als die andern liebten, leisteten der Furcht und dem Satan stärkeren Widerstand. Sie beschlossen, miteinander ihrem Meister in einiger Entfernung zu folgen. Dieser Beschluss wurde ihnen dadurch bedeutend erleichtert, dass der hl. Johannes mit dem Hohenpriester Annas bekannt war (Joh 18,16), welcher mit Kajaphas im hohenpriesterlichen Amt abwechselte. In diesem Jahr war die Reihe an Kajaphas, der in der Versammlung den prophetischen Rat gegeben hatte, es sei besser ein Mensch sterbe, damit nicht das ganze Volk zugrunde gehe (Joh 11, 50). Der hl. Johannes war dem Annas bekannt, weil er angesehen, von vornehmer Abkunft, gefällig, freundlich und von sehr liebenswürdigem Charakter war. Darauf bauend, folgten die beiden Apostel unserem Herrn mit geringerer Furcht. Dabei dachten sie mit herzlichem Mitleid an den bitteren Schmerz der Himmelskönigin, verlangten zu ihr zu kommen und sie, soweit möglich, zu trösten. In dieser frommen Gesinnung zeichnete sich besonders der heilige Evangelist Johannes aus.
1244. U. L. Frau sah vom Zönakulum aus auf das deutlichste nicht nur die Gefangennahme und die Misshandlungen ihres göttlichen Sohnes, sondern auch alles, was mit den Aposteln innerlich und äußerlich vorging. Sie schaute deren Betrübnis, Versuchungen, Gedanken und Entschlüsse. Sie wusste, wo jeder war und was jeder tat. Trotzdem war sie, der arglosen Taube gleich, niemals gegen die Apostel erzürnt. Sie hielt ihnen ihre Treulosigkeit niemals vor. Vielmehr war sie, wie ich später berichten werde (unten Nr. 1457 f), die Ursache und das Werkzeug ihrer Umkehr. Sie begann alsbald für die Apostel zu beten. Voll zärtlicher Liebe und mütterlichen Mitleids sprach sie in ihrem Herzen: «Einfältige, auserlesene Schäflein, warum verlasst ihr euren liebevollsten Hirten, der für euch sorgte und euch die Nahrung des ewigen Lebens gab? Warum verlasst ihr euren Wohltäter und Meister, da ihr Jünger einer so wahren Lehre seid? Wie vergesst ihr sein sanftes, liebevolles Benehmen, welches alle Herzen zu ihm zog? Warum hört ihr auf den Meister der Lüge, auf diesen blutdürstigen Wolf, der auf euer Verderben sinnt ? O meine süßeste, geduldigste Liebe, wie sanft, wie gütig und barmherzig macht dich die Liebe zu den Menschen ! Erweitere deine Milde für diese kleine Herde, welche durch die Wut der Schlange verwirrt und zerstreut worden ist. Übergib nicht den Raubtieren die Seelen deiner Bekenner (Ps 74,19). Große Hoffnungen setzest du auf jene, die du als deine Diener dir auserwählt hast. Du hast bereits Großes an deinen Jüngern getan. Lass so viele Gnaden nicht verloren sein, verwirf diejenigen nicht welche dein Wille zu Grundsteinen deiner Kirche auserlesen hat. Luzifer soll sich nicht rühmen, dass er unter deinen Augen über den besten Teil deines Hauses und deiner Familie triumphiert habe. Mein Sohn und Herr ! Siehe gnädig auf deinen geliebten Jünger Johannes, auf Petrus und Jakobus, die deiner besonderen Liebe sich erfreuen. Wende deine milden Augen auch auf alle übrigen und demütige den Stolz des Drachen, welcher sie mit unversöhnlicher Grausamkeit verwirrt hat.»
1245. Über alle Vorstellung der Menschen und Engel erhaben waren die Seelengröße, welche Maria in dieser Stunde zeigte, die Akte, welche sie verrichtete, und die hohe Heiligkeit, welche sie zum Wohlgefallen des Allerhöchsten kundgab. Denn zu allen Schmerzen des Leibes und der Seele, welche sie wegen der Misshandlungen und Beschimpfungen ihres heiligsten Sohnes erduldete, und welche zu ihrer unaussprechlich hohen Ehrfurcht gegen seine göttliche Person im Verhältnisse standen, kam noch der Schmerz über den Fall der Apostel. Sie allein vermochte ihn vollkommen zu würdigen. Sie schaute die Gebrechlichkeit der Apostel und den Undank, mit welchem sie die besonderen Gnaden, Lehren, Ermahnungen und Warnungen ihres Meisters vergalten, und zwar so kurze Zeit nach dem Abendmahl und nach der dabei gehaltenen Rede des Herrn, so bald nach der heiligen Kommunion und der dabei erfolgten Erhebung zur priesterlichen Würde, wofür sie dem göttlichen Heiland zum größten Dank verpflichtet waren. U. L. Frau wusste auch, dass die Apostel in Gefahr schwebten, in noch größere Sünden zu fallen, teils wegen der Arglist, mit welcher Luzifer und dessen Diener an ihrem Sturz arbeiteten, teils wegen der Sorglosigkeit, welche sich infolge der Furcht aller Apostel mehr oder weniger bemächtigt hatte. Deshalb vervielfältigte die heiligste Jungfrau ihre Gebete, bis sie von ihrem göttlichen Sohn den Aposteln Hilfe erlangt hatte, nämlich die Verzeihung und schleunigen Beistand, um sogleich zum Glauben und zur Freundschaft und Gnade ihres Meisters zurückzukehren. Für all dies war Maria das mächtige, wirksame Werkzeug. Inzwischen aber vereinigte diese große Königin in ihrem Herzen allen Glauben, alle Heiligkeit und alle Gottesverehrung der ganzen Kirche. Sie war gleichsam die unverletzliche Arche, in welcher das Gesetz, das Opfer, das Heiligtum des Neuen Bundes, eingeschlossen war. Ja, Maria allein bildete damals die ganze Kirche. Sie allein glaubte, liebte, hoffte und betete in tiefster Ehrfurcht den Herrn an, den höchsten Gegenstand des Glaubens. Dies tat sie in ihrem Namen, wie im Namen der Apostel und des ganzen MenschengeschlechtsDies sprechen auch mehrere Kirchenlehrer aus. So sagt der heilige Bernhard: «In ipsa sola in triduo illo fides Ecclesiae stabat. et dum unusquisque haesitabat, haec quae fide concepit, ... fidem numquam perdidit speque certissima Domini resurgentis gloriam exspectavit.» [Serm. 7. de Assumpt.] Der hl. Bonaventura: «ln ea sola remansit fides in ipsa die sabbati» (de imitat. vitre Christi. cap. 4). Der hl. Thomas von Aquin: «ln qua (Virgine) remansit tota fides tali die in morte Christi.» [Opusc. 4. de decem praecept. § de 3. praec.l Der Herausgeber)., und zwar so, dass sie den Mangel des Glaubens in allen übrigen Gliedern der Kirche ersetzte, soweit dies einem bloßen Geschöpf möglich war. Sie verrichtete heldenmütige Akte des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe, der Verehrung für die Gottheit und Menschheit ihres Sohnes. Sie betete Ihn an, indem sie die Knie beugte und sich zur Erde niederwarf. Sie pries Ihn mit wunderbaren Lobgesängen, denn der durchdringendste und bitterste Schmerz ihres Herzens vermochte das von der allmächtigen Hand des Allerhöchsten gestimmte Instrument ihrer Seelenkräfte nicht zu verstimmen oder in Unordnung zu bringen. Von dieser großen Herrin galt nicht, was Jesus Sirach sagt, dass Musik zur Trauerzeit ungelegen kommt (Sir 22, 6), denn die heilige Jungfrau Maria allein wusste selbst mitten in ihren Qualen die liebliche Harmonie aller Tugenden noch zu steigern.
1246. Doch ich verlasse die elf Apostel, um das unselige Ende des Verräters Judas zu erzählen. Ich greife dabei dem Verlauf der Ereignisse etwas vor, um den Verräter seinem bejammernswerten Los zu überlassen und dann zur Erzählung des Leidens zurückzukehren. Der gottesräuberische Jünger kam also mit der Rotte, welche unsern Herrn gefangen genommen hatte, zum Haus der Hohenpriester, zuerst des Annas, dann des Kajaphas. Hier wurde er von diesen nebst den Schriftgelehrten und Pharisäern erwartet. Als nun der göttliche Meister unter den Augen seines treulosen Jüngers misshandelt, gelästert und geschlagen wurde und alles in Stillschweigen, mit wunderbarer Sanftmut und Geduld ertrug, da fing Judas an, über seine Treulosigkeit nachzudenken. Diese allein, sagte er sich, ist Ursache, dass ein unschuldiger Mensch, mein Wohltäter, ungerechterweise so grausam misshandelt wird. Judas erinnerte sich an die Wunder, die er gesehen, an die Lehre, die er gehört, an die Wohltaten, die er vom Herrn empfangen hatte. Es trat auch vor seinen Geist die Gute und Sanftmut der heiligsten Jungfrau Maria, die Liebe, mit welcher sie an seiner Rettung gearbeitet, und die verstockte Bosheit, mit welcher er eines erbärmlichen Gewinnes wegen dem Sohn und der Mutter so großes Unrecht getan. Alle seine Sünden standen vor ihm wie ein undurchdringliches Chaos, wie ein erdrückender Berg.
1247. Judas war, wie ich oben gesagt habe, von der göttlichen Gnade verlassen, seitdem er unseren Erlöser mit einem Kuß verraten hatte. Obwohl er aber nach den geheimen Ratschlüssen Gottes sich selbst überlassen war, stellte er doch jene Erwägungen an. Mit Zulassung der göttlichen Gerechtigkeit, wurden sie ihm teils von seinem natürlichen Verstand dargeboten, teils vom Satan eingeflüstert. Auch urteilte er richtig in dem Gesagten. Allein da jene richtigen Gedanken ihm vom Vater der Lüge eingegeben waren, so mischten sich denselben auch andere, falsche und lügenhafte bei, damit er dadurch nicht zur Bekehrung und zur Hoffnung des Heils geführt werde, sondern seine Seligkeit als unmöglich betrachte und daran verzweifle. Und so geschah es auch. Luzifer erweckte in Judas den lebhaftesten Schmerz über seine Sünden. Allein dieser Schmerz des Verräters hatte weder das rechte Endziel noch den rechten Beweggrund. Es reute ihn nicht deshalb, weil er Gott beleidigt hatte, sondern weil er fürchtete, er werde jetzt bei den Menschen in Schande dastehen, sein Meister, ein mächtiger Wundertäter, werde schweres Unglück über ihn bringen, und es werde ihm nicht möglich sein, dieser Strafe zu entgehen, da überall in der ganzen Welt das Blut des Gerechten gegen ihn zum Himmel schreie. Durch solche und ähnliche Gedanken, die ihm vom Satan eingegeben waren, kam Judas ganz in Verwirrung, in geistige Finsternis und in verzweiflungsvolle Wut gegen sich selbst. Er entfernte sich aus der Gesellschaft der Menschen und war schon daran, sich im Haus der Hohenpriester von der Höhe herabzustürzen. Allein er konnte dies nicht ausführen. Da ging er hinaus, biss sich wie ein wütendes Tier in Hände und Arme, gab sich unsinnige Schläge auf den Kopf, raufte sich die Haare aus und stieß in unsinnigem Gerede Flüche und Verwünschungen über sich selbst aus als über den elendesten und unglückseligsten Menschen.
1248. Als Luzifer den Judas so weit gekommen sah, gab er ihm den Gedanken ein, zu den Priestern zu gehen, seine Sünde einzugestehen und ihnen das Geld zurückzugeben. Judas tat dies eiligst und sagte zu ihnen mit lauter Stimme: «Ich habe gesündigt, da ich unschuldiges Blut verraten habe (Mt 27, 4).» Sie aber, nicht weniger verstockt, als Judas, sagten, er hätte es vorher überlegen sollen. Die Absicht, welche Satan hierbei hatte, war die, den Tod des Herrn womöglich noch zu verhindern, und zwar aus den Gründen, die ich bereits genannt habe und noch in der Folge angeben werde. Durch diese abweisende Antwort der Hohenpriester, die ebenso gottlos als grausam war, verlor Judas vollends das Vertrauen und überzeugte sich, es sei unmöglich, den Tod seines Meisters zu verhüten. Ebenso urteilte Satan, obwohl er mittels des Pilatus noch fernere Anstrengungen machte. Da ihm aber Judas für seine Absichten nicht mehr dienen konnte, so vermehrte er dessen Traurigkeit und Verzweiflung und redete ihm zu, er solle sich das Leben nehmen, um nicht noch härtere Qualen erwarten zu müssen. Judas ging auf diesen fürchterlichen Vorschlag ein. Er ging hinaus aus der Stadt und erhängte sich an einem dürren Baum. So endigte derjenige als Selbstmörder, der zuvor ein Gottesmörder geworden war. Dieser unglückliche Tod des Judas fand am Freitag mittag um zwölf Uhr statt, noch ehe unser Heiland starb, denn es war nicht geziemend, dass der Tod Jesu und die Vollendung unserer Erlösung zusammenfalle mit dem fluchwürdigen Tod des verräterischen Jüngers, welcher die Erlösung mit höchster Bosheit verachtet hatte.
1249. Die Teufel nahmen sogleich die Seele des Judas und brachten sie zur Hölle. Sein Leib aber blieb hängen, barst entzwei, und die Eingeweide fielen heraus, zum Staunen und Entsetzen aller, welche diese schreckliche Strafe des Verrates dieses schlechtesten, treulosen Jüngers sahen. Der Leib blieb so drei Tage lang öffentlich hängen. Zwar versuchten die Juden in der Zwischenzeit, denselben vom Baum abzunehmen und heimlich zu beerdigen, denn dieses Schauspiel war für die Pharisäer und Priester höchst beschämend, weil es ein unwiderlegliches Zeugnis ihrer Bosheit war. Allein trotz aller Anstrengung konnte man den Leib des Judas nicht herabnehmen, bis nach drei Tagen die göttliche Gerechtigkeit verfügte, dass die Teufel ihn von seinem Galgen abnahmen und zu seiner Seele brachten, damit Judas in der Tiefe der Hölle mit Seele und Leib ewig seine Sünde büße. Weil das, was mir über die Strafe und Pein des Judas mitgeteilt wurde, aller Beherzigung würdig und zugleich geeignet ist, heilsame Furcht einzuflößen, darum will ich dem erhaltenen Auftrag zufolge alles so erzählen, wie es mir gezeigt wurde. Unter den dunklen Höhlen der höllischen Kerker war eine, welche sehr groß und für besonders schreckliche Qualen bestimmt war, noch leer. Die Teufel hatten nämlich noch keine Seele dahinein stürzen können, obgleich sie es in ihrer Grausamkeit von Kain an bis zu jenem Tage versucht hatten. Die Hölle selbst war über diese Unmöglichkeit verwundert, weil sie das Geheimnis noch nicht kannte, bis die Seele des Judas kam. Diese stießen sie mit Leichtigkeit in jenen Kerker hinunter, in welchem sich noch nie ein Verdammter befunden hatte. Der Grund hiervon war aber folgender: Seit Erschaffung der Welt war dieser Kerker, wo die Qualen und Feuerflammen schrecklicher sind als in der ganzen übrigen Hölle, für jene Christen bestimmt, welche trotz der empfangenen Taufe verloren gehen, weil sie die Sakramente, die Lehre, das Leiden und Sterben des Erlösers, sowie die Fürsprache seiner heiligsten Mutter sich nicht zunutze machen. Judas war aber der erste, welcher an diesen Wohltaten überreichen Anteil erhalten und dieselben in schrecklicher Weise verachtet hatte. Deshalb war er auch der erste, der an diesen Ort kam und diese Qualen litt, welche für ihn und für alle, die ihm folgen, bereitet worden sind.
1250. Es ist mir befohlen worden, dieses Geheimnis eingehend zu beschreiben zur Mahnung und Warnung für alle Christen, namentlich für die Priester, Kirchenvorsteher und Ordensleute, welche den heiligen Leib und das kostbare Blut unseres Herrn Jesu Christi häufiger empfangen und zu behandeln haben und welche wegen ihres Amtes und Standes vertrauter mit Ihm sind. Um nicht getadelt zu werden, möchte ich Worte und Ausdrücke finden, wie unsere gefühllose Härte sie erfordert, um dieses Geheimnis gebührend zu verstehen und zu beherzigen, damit wir doch dieses Beispiel uns zur Warnung dienen lassen und die Strafe fürchten, welche der schlechten Christen je nach ihrem Stand wartet. Die Teufel quälten den Judas mit unbeschreiblicher Grausamkeit, weil er sich nicht hatte abbringen lassen, seinen Meister zu verkaufen, und sie nun durch dessen Leiden und Tod besiegt werden und die Herrschaft über die Welt verlieren sollten. Den Zorn, den sie deswegen gegen den göttlichen Heiland und seine heiligste Mutter aufs neue fassten, lassen sie, soweit es ihnen gestattet ist, an allen denen aus, welche dem verräterischen Jünger folgen und gleich ihm die Lehre des Evangeliums, die Sakramente des Neuen Bundes und die Frucht der Erlösung verachten. Es ist auch ganz gerecht, dass diese bösen Geister Rache nehmen an den Gliedern des geistlichen Leibes der Kirche, weil diese sich nicht mit Christus, ihrem Haupt, vereinigten, sondern sich freiwillig von Ihm trennten, um sich den Teufeln zu übergeben, welche mit unversöhnlichem Stolz jenes Haupt, unseren Herrn, hassen und verfluchen. Es ist angemessen, dass die bösen Geister, als Werkzeuge der göttlichen Gerechtigkeit, die Undankbarkeit der Erlösten gegen ihren Erlöser züchtigen. Mögen die Kinder der heiligen Kirche diese Wahrheit aufmerksam erwägen, denn wenn sie sie vor Augen haben, so werden sie dadurch ganz gewiss im Verstand erleuchtet und im Herzen angetrieben werden, sich einer so schrecklichen Gefahr nicht auszusetzen.
1251. Während des ganzen Leidens Jesu Christi war Luzifer mit seinen Dienern der Bosheit stets darauf bedacht, sich endlich einmal Gewissheit darüber zu verschaffen, ob Christus der Messias und Erlöser der Welt sei. Denn einerseits führten ihn die Wunder, die er bemerkte, zur Ansicht, dass Er es wirklich sei, andererseits aber brachten ihn die Handlungen und Leiden, die der Herr in seiner menschlichen Natur verrichtete und duldete, von dieser Ansicht ab. Am stärksten aber wuchs der Argwohn des Drachen im Ölgarten, wo er die Kraft jenes Wortes Jesu «Ich bin es» fühlte und gleich den anderen vor unserem Herrn niedergeschmettert dalag. Er war erst kurz zuvor mit seinen Legionen aus der Hölle gekommen, nachdem sie vom Speisesaal aus in den Abgrund geschleudert worden waren. Obwohl nun letzteres durch die seligste Jungfrau geschehen war, so erwog doch Luzifer bei sich und mit seinen Dienern, dass diese Kraft des Sohnes und der Mutter ganz außerordentlich und ihnen noch nie entgegengetreten sei. Als er dann im Garten sich wieder erheben durfte, sagte er zu den übrigen bösen Geistern: «Es ist nicht möglich, dass ein bloßer Mensch solche Macht besitze. Dieser ist ohne Zweifel Gott und Mensch zugleich. Wenn Er spricht, wie wir es bisher gewollt haben, so wird Er auf diesem Weg die Erlösung bewerkstelligen und Gott Genugtuung leisten. Dann ist es um unsere Herrschaft geschehen, und unsere Wünsche sind vereitelt. Wir haben verkehrt gehandelt, da wir auf seinen Tod hinarbeiten. Können wir aber seinen Tod nicht mehr hindern, so wollen wir wenigstens erproben, wie weit seine Geduld geht, und wollen machen, dass seine Todfeinde Ihn mit gottloser Grausamkeit quälen. Hetzen wir sie gegen Ihn auf, stacheln wir sie auf, dass sie alle Arten von Beschimpfungen, Unannehmlichkeiten, Qualen an seiner Person ausüben ! Treiben wir sie an, ihren Grimm an Ihm auszulassen, damit sie seinen Zorn erregen: dann wollen wir sehen, welche Wirkungen dies in Ihm hervorbringen wird.» Alle diese Vorschläge suchten die bösen Geister auszuführen. Allein aus gewissen geheimnisvollen Gründen, welche ich zum Teil schon angeführt habe, zum Teil aber später noch nennen werde, vermochten sie, wie wir im Verlauf der Leidensgeschichte sehen werden, nicht alle ihre Pläne zur Ausführung zu bringen. Sie stachelten nämlich die Henkersknechte zu einzelnen Misshandlungen der göttlichen Person Jesu an, die weniger anständig waren, als die wirklich verübten, Aber es war umsonst, denn unser Herr ließ keine anderen zu als jene, welche Er leiden wollte und geziemend fand, Bei diesen aber gestattete Er seinen Feinden, alle ihre unmenschliche Wut und Grausamkeit auszuüben.
1252. Auch Maria, die heiligste Himmelskönigin, trat der anmaßenden Bosheit Luzifers hindernd entgegen. Es waren ihr ja alle Pläne des höllischen Drachen offenbar. Bald verhinderte sie mit unumschränkter Gewalt die Eingebungen des Satans ganz, so dass er sie den Peinigern des Herrn gar nicht zuflüstern konnte. Bald flehte sie zu Gott, Er möge nicht geschehen lassen, was Satan den Schergen eingab, und sie selbst vereitelte dann dies mittels ihrer heiligen Engel. Wenn dagegen die Mutter der Weisheit erkannte, ihr göttlicher Sohn wolle diese oder jene Misshandlungen leiden, dann leistete sie keinen Widerstand und es geschah dann alles, was Gott zuließ. U. L. Frau erkannte auch alles, was bei dem unseligen Tod des Judas vorfiel, seine Qualen, seinen Platz in der Hölle und den Feuersitz, den er für alle Ewigkeit einnehmen muss als Meister der Heuchelei und als Vorläufer aller derer, welche unsern Heiland mit dem Herzen und mit der Tat verleugnen, indem sie nach den Worten des Jeremias (Jer 17,13) die Quelle des lebendigen Wassers, d.h. unsern Herrn, verlassen, um in den Staub geschrieben und ausgeschlossen zu werden vom Himmel, wo die Auserwählten eingeschrieben sind. Alles dieses schaute die Mutter der Barmherzigkeit und über alles weinte sie bitterlich. Sie flehte zum Herrn für das Heil der Menschen und bat, Er möge sie vor solcher Blindheit und solch schrecklichem Verderben bewahren. Dabei ergab sie sich aber in die verborgenen und gerechten Urteile seiner göttlichen Vorsehung.
LEHRE, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gab
1253. Meine Tochter, nicht ohne Grund bist du erstaunt über das, was du erkannt und geschrieben hast über das unselige Los des Judas und über den Fall der Apostel. Sie alle waren in der Schule meines göttlichen Sohnes. Sie waren genährt mit seiner Lehre, sie waren Augenzeugen seines Lebens, seines Beispiels und seiner Wunder, sie hatten sich seines lieblichsten und sanftmütigsten Umganges erfreut, sowie meiner Fürsprache, meiner Ratschläge und anderer Wohltaten, welche sie durch meine Vermittlung empfingen. Ich sage dir in Wahrheit: würden alle Kinder der Kirche dies einzige Beispiel gebührend betrachten und beherzigen, sie fänden darin die heilsame Mahnung und Warnung, dass sie, mögen sie auch noch so zahlreiche und außerordentliche Gnaden von Gottes Hand empfangen haben, dennoch den gefahrvollen Zustand des sterblichen Lebens fürchten müssen. Denn alle Gnaden, die sie empfangen haben mögen, sind doch immerhin geringer als das Glück, dessen die Apostel gewürdigt waren, den Herrn zu sehen, zu hören, mit Ihm umzugehen und Ihn als lebendiges Muster der Heiligkeit vor Augen zu haben. Das nämliche sage ich dir in Bezug auf mich. Denn ich habe die Apostel ermahnt. Sie waren Zeugen meines heiligen, sündelosen Lebens. Sie empfingen durch meine Güte große Wohltaten, insbesondere teilte ich ihnen die Liebe zu Gott mit, die von Gott in mich überströmte, da ich in Ihm war. Wenn sie nun trotzdem unter den Augen ihres Herrn und Meisters so zahlreiche Gnaden und die Pflicht ihnen zu entsprechen, vergessen haben, wer wird dann im sterblichen Leben so vermessen sein, dass er die Gefahr des Verderbens nicht fürchten sollte, hätte er auch der Wohltaten noch so viele erhalten? Jene waren Apostel, von ihrem Meister, dem wahren Gott, auserwählt und dennoch ist einer von ihnen so weit gekommen, dass er tiefer fiel als irgendein anderer Mensch. Die übrigen aber kamen dahin, dass sie selbst im Glauben, dem Fundament aller Tugend, wankend wurden. Und alles dieses geschah gemäß der Gerechtigkeit und den unerforschlichen Gerichten des Herrn. Wie sollten also diejenigen nicht zu fürchten haben, welche weder Apostel sind, noch soviel, wie diese, in der Schule meines göttlichen Sohnes gewirkt haben, noch auch meine Fürsprache in gleichem Grade, wie sie verdienten.
1254. Aus dem, was du über das Verderben des Judas und seine gerechteste Strafe geschrieben hast, ersieht man zur Genüge, wohin die Laster und der böse Wille einen Menschen führen können, der sich ihnen und dem Satan hingibt, die Einsprechungen und Gnadenhilfen Gottes aber verachtet. Ich füge dem Gesagten noch dies bei: nicht nur die Qualen des Verräters Judas, sondern auch die Pein vieler Christen, die mit ihm verlorengehen und in den nämlichen, seit Beginn der Welt für sie bestimmten Ort der Pein hinabsteigen, sind größer als die Qualen mancher Teufel. Denn mein göttlicher Sohn ist nicht für die bösen Engel gestorben, wohl aber für die Menschen. Den bösen Geistern kam die Frucht der Erlösung nicht zugute, während sie den Kindern der Kirche in den Sakramenten mitgeteilt wird. Die unvergleichliche Wohltat der Erlösung gering zu schätzen, ist also nicht so sehr die Sünde des Satans als vielmehr die der Gläubigen und ihnen gebührt für diese Verachtung auch eine neue, andere Strafe.
Dass Luzifer und seine Diener sich täuschten und Christus bis zu seinem Tod nicht als den wahren Gott und Erlöser erkannten, dies quält sie noch immer in allen ihren Geisteskräften, und aus diesem Schmerz entspringt in ihnen ein furchtbarer Grimm gegen die Erlösten überhaupt, namentlich aber gegen die Christen, welchen die Erlösung und das Blut des Lammes in reicherem Maß zugewendet wird. Darum arbeiten die bösen Geister mit aller Anstrengung darauf hin, dass die Gläubigen das Werk der Erlösung vergessen und sich nicht zunutze machen. In der Hölle aber zeigen sie sich dann gegen die schlechten Christen ganz besonders wütend und erbost und sie würden sie ohne jedes Erbarmen noch mehr peinigen, wenn nicht die göttliche Gerechtigkeit anordnete, dass die Strafe den Sünden entspreche. Gott überlässt nämlich die Strafe nicht der Willkür der bösen Geister, sondern setzt in seiner unendlichen Macht und Weisheit das Maß dafür fest, so dass selbst bis an diesen Ort die Güte des Herrn sich erstreckt.
1255. Aus dem Fall der übrigen Apostel sollst du, meine Tochter, erkennen, welche Gefahr für den gebrechlichen Menschen darin liegt, dass er selbst bei dem Empfang der größten Gnaden und Wohltaten sich daran gewöhnt, hartherzig, nachlässig und undankbar zu sein. Solches ist den elf Aposteln begegnet, da sie ihren himmlischen Meister ungläubig verließen und flohen. Diese Gefahr kommt daher, weil die Menschen so äußerlich und so geneigt sind, sich an alles zu hängen was sinnenfällig und irdisch ist, weil ferner ihre Neigungen durch die Sünde verdorben sind, und sie es sich zur Gewohnheit machen, mehr nach dem Irdischen, Fleischlichen und Sinnenfälligen zu leben und zu handeln als nach dem Geist. So kommt es dann, dass sie selbst die Gnadengeschenke des Herrn auf sinnliche Weise behandeln und lieben. Werden sie aber nicht in dieser Weise befriedigt, dann wenden sie sich anderen sinnlichen Gegenständen zu, lassen sich von diesen leiten und verlieren den Geschmack am geistlichen Leben, weil sie es in sinnlicher Weise, mit Geringschätzung des Geistigen begonnen haben. Durch diese Unachtsamkeit und irdische Anschauung sind die Apostel gefallen, obgleich sie von meinem heiligsten Sohn und von mir in so hohem Grad begünstigt worden waren. Denn die Wunder, die Lehre, die Beispiele, welche sie vor Augen hatten, fielen in den Bereich der Sinne. Da sie nun zwar gerecht oder im Stand der Gnade waren, aber doch irdisch gesinnt und nur am Sinnlichen hingen, wurden sie verwirrt, als letzteres ihnen abging, sie gerieten in Versuchung und fielen. Sie waren zu wenig eingedrungen in die Geheimnisse und in den Geist dessen, was sie in der Schule ihres Meisters gesehen und gehört hatten. Dieses Beispiel muss dich, meine Tochter, lehren, eine geistliche Schülerin zu sein, nicht eine irdisch gesinnte, dich nicht an das Sinnenfällige zu gewöhnen, selbst nicht in den besonderen Gnaden, welche du vom Herrn oder von mir empfängst. Bleibe nicht bei dem Sinnlichen oder Äußerlichen stehen, sondern erhebe deinen Geist zu dem Geistigen, welches nicht mit dem leiblichen Sinne, sondern mit dem inneren Licht erfasst wird (1 Kor 2,14). Kann aber das Sinnenfällige dem geistlichen Leben hinderlich sein, wie wird es dann stehen mit dem, was zum irdischen, tierischen und fleischlichen Leben gehört? Es ist deshalb klar, dass ich von dir verlange, du sollest jede Vorstellung von den Geschöpfen vergessen und aus deinem Innern austilgen, damit du fähig seiest. meine heilbringende Lehre zu empfangen und meinem Beispiele zu folgen.
FÜNFZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Annas. Verleugnung des Petrus
Unser Heiland wird gebunden zum Haus des Hohenpriesters Annas geführt. Was hierbei geschah und was die heiligste Jungfrau bei diesem Ereignisse litt.
1256. Es würde sich geziemen, von dem Leiden, den Beschimpfungen und Misshandlungen unseres Heilandes Jesu Christi mit so lebendigen und kräftigen Worten zu sprechen, dass sie wie ein zweischneidiges Schwert in die Tiefe unseres Herzens dringen (Hebr 4,12) und es mit dem lebendigsten Schmerze durchbohren würden. Die Pein unseres Heilandes war keine gewöhnliche, und es ist kein Schmerz zu finden, der seinem Schmerz gleich wäre (Klgl 1,12). Seine Person war nicht wie die der anderen Menschenkinder. Der Sohn Gottes litt nicht für sich, nicht wegen eigener Sünden, sondern für uns und unsere Schuld (1 Petr 2, 21). Darum wäre es geziemend, dass auch die Worte und die Ausdrücke, in denen wir von seiner Pein und seinen Schmerzen reden, keine gemeinen und gewöhnlichen seien, sondern dass wir durch Worte voll Leben und Kraft sein Leiden unseren Sinnen vorstellen. Doch leider kann ich meinen Worten diese Kraft nicht geben und ich finde jene Ausdrücke nicht, nach welchen meine Seele begehrt, um dieses Geheimnis auszudrücken. So werde ich denn sagen, was mir möglich ist und sprechen, wie ich kann und mir eingegeben wird, obwohl mein schwaches Talent dem Verständnisse Schranken setzt und meine unzureichenden Worte dem Gedanken meines Herzens nicht hinlänglich Ausdruck geben. Möge, was den Worten abgeht, ersetzt werden durch die Kraft und Lebendigkeit des Glaubens, den wir Kinder der Kirche bekennen. Sind auch die Worte gewöhnlich, so möge doch unser Schmerz und unsere Teilnahme außergewöhnlich, unser Gedanke erhaben, unser Verständnis lebhaft, unsere Erwägung tief, unsere Dankbarkeit herzlich, unsere Liebe feurig sein ! Denn alles dieses wird doch noch zu wenig sein im Vergleich zu dem, was das Leiden Jesu in Wahrheit ist und im Vergleich zu dem Dank, den wir dem Heiland schulden als Diener, als Freunde und als Kinder, die Er mittels seines heiligsten Leidens und Sterbens als solche angenommen hat.
1257. Nachdem Jesus, das sanftmütige Lamm, gebunden und gefesselt war, wurde Er vom Ölgarten zu dem Haus der Hohenpriester geführt, und zwar zuerst zu dem des Annas. Jene wilde Rotte war von dem verräterischen Jünger gewarnt worden, seinem Meister nicht zu trauen (Mk 14, 44), sondern Ihn stark zu binden, denn Er sei ein Zauberkünstler und könnte sich ihren Händen entwinden. Auch Luzifer mit seinen Fürsten der Finsternis hetzte diese Leute auf, unseren Herrn mit gottloser, gottesräuberischer Grausamkeit, ohne Menschlichkeit und ohne Rücksicht auf Anstand zu behandeln. Sie waren aber alle gehorsame Werkzeuge für Luzifers Willen und übten an der Person ihres Schöpfers alles aus, was ihnen gestattet wurde. Sie banden den Heiland mit einer Kette von großen Eisenringen, und zwar so kunstfertig, dass, nachdem sie Lenden und Hals umwunden hatten, die beiden Enden der Kette frei blieben. An diesen Enden aber waren Handschellen angebracht und damit fesselten sie die Hände des Herrn, welcher die Himmel, die Engel, das ganze Weltall erschaffen hat. Die derart gefesselten Hände legten sie nicht auf die Brust, sondern auf den Rücken. Jene Kette hatten sie vom Haus des Hohenpriesters Annas mitgenommen, wo sie zum Aufziehen der Falltüre eines Kerkers diente. Um aber unseren göttlichen Heiland gefangen zu nehmen, hatten sie sie abgenommen und mit jenen Handschellen nebst Vorlegschlössern versehen. Doch selbst diese unerhörte Fesselung schien ihnen nicht sicher genug, denn außer jener schweren Kette nahmen sie noch zwei lange Stricke, um den Herrn zu binden, den einen legten sie um seinen Hals, kreuzten denselben über der Brust und wanden ihn um den Leib. Dabei machten sie starke Knoten und ließen zwei lange Enden des Strickes frei, damit zwei Soldaten oder Knechte mittels ihrer den Herrn ziehen und schleppen könnten. Der zweite Strick diente dazu, Ihm die Arme zu binden. Sie wanden denselben auch um seine Lenden und ließen dann am Rücken, wo die Hände des Herrn waren, zwei lange Enden herabhängen, damit zwei andere Ihn daran ziehen könnten.
1258. Auf solche Weise ließ sich der Allmächtige und Heilige binden, als wäre Er der größte Verbrecher, der schwächste unter den Menschen. Er ließ sich fesseln, weil Er unser aller Missetaten und die Schwachheit oder Unfähigkeit zum Guten, welche wir uns durch die Sünden zugezogen hatten, auf sich genommen hatte (Jes 53, 6). Während die Knechte und Soldaten Ihn im Garten banden, misshandelten sie Ihn nicht nur mit den Händen, Stricken und Ketten, sondern auch mit ihren Zungen. Denn gleich giftigen Schlangen spien sie das Gift ihrer sakrilegischen Gesinnung durch unerhörte Beschimpfungen, Schmähreden und Gotteslästerungen gegen jene Person aus, die von Engeln und Menschen angebetet und im Himmel und auf Erden gepriesen wird. Vom Ölberg zogen sie alle mit großem Lärm und Geschrei und führten den Erlöser der Welt in ihrer Mitte. Die einen zogen an den Stricken von vorne, die andern an den Stricken, die rücklings an seinen Handgelenken befestigt waren. Mit unerhörter Gewalttätigkeit trieben und stießen sie Ihn bald eilig vorwärts, bald hielten sie Ihn auf und zogen rückwärts, bald zerrten sie Ihn auf die rechte oder linke Seite, je nachdem sie selbst von der Gewalt des Teufels gezogen waren. Oftmals warfen sie Ihn zu Boden, und da seine Hände gebunden waren, fiel Er auf sein anbetungswürdiges Angesicht zur Erde, so dass es verwundet und mit vielem Staub bedeckt wurde. War Er gefallen, dann stürzten sie auf Ihn los, gaben Ihm Stöße und Fußtritte, traten seine anbetungswürdige Person, sogar sein Antlitz und sein Haupt mit Füßen. Alle diese Misshandlungen feierten sie mit Freudengeschrei und Hohngelächter und sättigten so den Herrn mit Schmach, wie dies Jeremias schon zum voraus beweint hat (Klgl 3, 30).
1259. Während Luzifer diese gottlose Wut in seinen Dienern anschürte, war er höchst aufmerksam auf alle Handlungen unseres Heilandes. Er wollte seine Geduld ermüden und sehen, ob Jesus bloßer Mensch sei, denn die Ungewissheit hierüber war für seinen überaus argen Hochmut peinlicher als all seine großen Qualen. Da nun Luzifer die Sanftmut. die Geduld und Milde, welche Christus bei so vielen Unbilden und Misshandlungen zeigte, wahrnahm und sah, wie der Herr alle diese Pein mit ruhigem, würdevollem Gesicht, ohne jede Verwirrung oder Aufregung hinnahm, da wurde der höllische Drache noch wütender. Gleich einem unbändigen und rasenden Menschen hätte er mit anderen bösen Geistern die Stricke, welche die Henkersknechte hielten, gerne selbst ergriffen, um den Herrn noch stärker als diese zu zerren und durch noch größere Grausamkeit die Sanftmut des Herrn zu reizen. Allein an diesem Vorhaben hinderte ihn die heiligste Jungfrau Maria. Vom Zönakulum aus schaute nämlich die göttliche Mutter in deutlicher Vision alles, was mit der Person ihres göttlichen Sohnes vorging, und da sie jene Frechheit des Luzifer gewahrte, so machte sie von ihrer königlichen Gewalt und Autorität Gebrauch und verbot ihm, unserem Herrn ein Leid zu tun. Augenblicklich waren die Kräfte des bösen Feindes gelähmt und er war außerstande, sein Vorhaben auszuführen. Es war nämlich nicht geziemend, dass sich die Bosheit des Satans auf solche Weise am Leiden und Sterben des Erlösers beteiligte. Dagegen wurde gestattet, dass er seine bösen Geister gegen den Herrn aufreizte, und dass diese dann die Juden aufhetzten, welche den Tod des Heilandes herbeizuführen suchten, denn letztere hatten immerhin den freien Willen und konnten ihre Zustimmung geben oder verweigern. So wandte sich denn Luzifer an seine bösen Geister und sagte: «Was ist doch dies für ein Mensch, der uns durch seine Geduld und durch seine Werke derart quält und zugrunde richtet? Seit Adam bis auf diese Stunde war niemand im Leiden so geduldig und ruhig. Niemals haben wir unter den Menschen eine ähnliche Demut und Sanftmut gesehen. Wie könnten wir ruhig sein beim Anblick eines so außerordentlichen Beispieles, das mächtig genug ist, um die Welt nach sich zu ziehen? Ist Er der Messias, so wird Er ohne Zweifel den Himmel öffnen und den Weg verschließen, auf welchem wir die Menschen in unsere ewigen Qualen führen. Dann sind wir überwunden, und unsere Pläne sind vereitelt. Wäre Er aber auch nur ein bloßer Mensch, so kann ich doch nicht ertragen, dass Er den übrigen ein so mächtiges Beispiel der Geduld gibt. Kommt also, ihr Diener meiner erhabenen Größe, wir wollen Ihn verfolgen mittels seiner Feinde, welche, meiner Herrschaft gehorsam, meinen wütenden Neid gegen Ihn in sich aufgenommen haben.»
1260. Der Urheber unseres Heiles unterwarf sich all dem grausamen Zorn, welchen Luzifer in jener Judenbande weckte und nährte. Er verbarg die Macht, mit welcher Er sie hätte zurückhalten oder vernichten können, damit unsere Erlösung desto überreicher werde. So kamen denn die Schergen mit dem gebundenen und misshandelten Heiland zum Hause des Annas, wo sie Ihn als einen des Todes würdigen Verbrecher vorstellten. Es war nämlich bei den Juden Sitte, die Verbrecher, welche die Todesstrafe verdienten, auf solche Art gebunden vorzuführen. Die Fesseln waren gleichsam die Zeugen der Missetat, welche den Tod verdiente. So kündigten sie also dem Herrn beim Vorführen das Urteil schon an, ehe der Richter es ausgesprochen. Der gottesräuberische Priester kam in einen großen Saal und setzte sich dort voll Stolz und Anmaßung auf dem Richterstuhl nieder. Alsbald nahm Luzifer, der Fürst der Finsternis, umringt von einer großen Menge böser Geister, an seiner Seite Platz. Die Knechte und Soldaten stellten den gefesselten Jesus dem Hohenpriester vor mit den Worten: «Hier bringen wir dir, o Herr, diesen schlechten Menschen, welcher mit seinen Zauberstücken und Missetaten ganz Jerusalem und Judäa beunruhigt hat. Doch diesmal hat Ihm seine Zauberkunst nichts geholfen, um unseren Händen zu entwischen.»
1261. Unser Heiland Jesus Christus war von zahllosen Engeln umgeben, die Ihn anbeteten und lobpriesen. Voll Bewunderung der unbegreiflichen Gerichte seiner Weisheit (Röm 11, 33) staunten die Engel, da sie sahen, wie sich der Sohn Gottes gleich einem Sünder und Verbrecher vorstellen ließ, und wie sich der gottlose Priester als Gerechter und Eiferer für die Ehre des Herrn gebärdete, während er doch darauf ausging, in sakrilegischer Bosheit dem Herrn nicht bloß die Ehre, sondern auch das Leben zu rauben. Die Engel staunten, da sie sahen, wie das liebevollste Lamm, der Weissagung des Jesaia (Jes 53, 7) gemäß, verstummte und seinen Mund nicht öffnete. Der Hohepriester befragte den göttlichen Heiland mit gebieterischer Miene über seine Jünger und welches die Lehre sei, die Er predige und vortrage (Joh 18,19). Er stellte diese Frage, um die Antwort zu verdrehen, falls nur ein Wort in ihr dies ermöglicht hätte. Aber Jesus, der Lehrer der Heiligkeit, welcher die Weisesten leitet (Weish 7,15) und verbessert, opferte diese Demütigung, als Schuldiger vor den Hohenpriester geführt und von diesem als Verbrecher und Urheber einer falschen Lehre ausgefragt zu werden, seinem himmlischen Vater auf. Mit demütiger, ruhiger Miene antwortete der Heiland: «Ich habe öffentlich zu der Welt geredet, ich habe allezeit in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im verborgenen habe ich nichts geredet. Was fragst du mich? Frage diejenigen, welche gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Sieh, diese wissen, was ich zu ihnen gesagt habe (Joh 18, 20.21).» Der göttliche Heiland wollte hinsichtlich seiner Lehre antworten, weil sie von seinem himmlischen Vater kam. Allein Er berief sich in dieser Antwort auf seine Zuhörer, weil man seinem eigenen Zeugnis nicht geglaubt, vielmehr es verleumdet hätte. Er tat es auch deswegen, weil die Wahrheit und Tugend sogar vor den größten Feinden sich selbst verteidigt und rechtfertigt.
1262. Hinsichtlich der Apostel aber antwortete der Herr nicht, denn einerseits war dies damals nicht notwendig, andererseits war ihr damaliges Verhalten nicht derart, dass Er sie hätte loben können. Obwohl nun die Antwort des Herrn voll Weisheit war und der Frage ganz entsprach, trat doch einer der Diener des Hohenpriesters mit furchtbarer Verwegenheit heran, erhob die Hand und gab dem Heiland einen Backenstreich in sein heiliges, anbetungswürdiges Angesicht. Zugleich mit dem Schlag gab er Ihm eine Zurechtweisung, indem er sagte: «So antwortest du dem Hohenpriester (Joh 18, 22)?» Der Herr nahm diese maßlose Kränkung an, indem Er zum himmlischen Vater für den Beleidiger betete und bereit war, wenn nötig, auch die andere Wange darzubieten, um noch einen Backenstreich zu empfangen und so vollständig zu erfüllen, was Er selbst gelehrt hatte (Mt 5, 39). Damit aber der verblendete und verwegene Knecht bei seiner unerhörten Missetat nicht ohne Demütigung und Beschämung bleibe, antwortete ihm der Herr mit großer Ruhe und Sanftmut: «Wenn ich unrecht geredet habe, so beweise, dass es unrecht sei, wenn ich aber recht geredet habe, warum schlägst du mich (Joh 18, 23) ?» O Schauspiel, bewunderungswürdig für die himmlischen Geister ! Wie müssen beim bloßen Anhören dieses Berichtes die Säulen des Himmels zittern und das ganze Himmelsgewölbe erbeben! Dieser Herr, der hier geschlagen wurde, ist ja derselbe, von welchem Job sagt, dass Er ist «weisen Herzens und starker Kraft, so dass niemand sich Ihm widersetzen und dabei Frieden haben kann. Er versetzt die Berge in seinem Grimm, noch ehe sie es wissen können. Er rüttelt die Erde von ihrem Ort und stößt ihre Säulen gegeneinander. Er gebeut der Sonne, und sie geht nicht auf. Er schließt wie unter Siegel die Sterne. Er tut Großes und Unbegreifliches. Seinem Zorn kann niemand widerstehen, und vor Ihm beugen sich, die den Erdkreis tragen (Job 9, 4-13)». Und dieser ist es, der sich aus Liebe zu uns Menschen von einem gottlosen Knecht einen Backenstreich in das Gesicht geben lässt !
1263. Der gottesräuberische Knecht war durch die demütige und machtvolle Antwort des göttlichen Heilandes in seiner Bosheit beschämt. Allein weder die Beschämung dieses Knechtes noch auch die Beschämung, welche der Hohenpriester darüber hätte empfinden sollen, dass ein solches Verbrechen vor seinen Augen begangen wurde, hatte die Wirkung, dass diese beiden Gottlosen ihren Zorn gegen den Urheber des Lebens mäßigten. Und ebenso wenig taten es die übrigen Juden. Während sie nun mit ihren Widrigkeiten fortfuhren, kamen der hl. Petrus und der andere Jünger, nämlich der hl. Johannes, zum Haus des Annas. Da der hl. Johannes dort bekannt war, so konnte er ohne Schwierigkeit eintreten, während der heilige Petrus draußen blieb, bis ihn die Türhüterin, eine Magd des Hohenpriesters, auf die Bitte des hl. Johannes eintreten ließ (Joh 18,16 ff), damit er sehen könnte, was dem Heiland begegnete. Die beiden Apostel traten nun in den Vorhof des Hauses, der sich vor dem Gerichtssaal des Hohenpriesters befand. Der hl. Petrus stellte sich zum Feuer, welches die Soldaten dort angemacht hatten, denn es war eine kalte Nacht. Die Türhüterin betrachtete den hl. Petrus mit einiger Aufmerksamkeit, ob er nicht ein Jünger des Herrn sei, trat zu ihm und sagte: «Bist etwa auch du einer von den Jüngern dieses Menschen?» Die Magd stellte diese Frage mit einem etwas verächtlichen, höhnenden Tone, weshalb der hl. Petrus in seiner großen Schwäche und Verzagtheit sich schämte und, von Furcht überwältigt, antwortete: «Ich bin keiner.» Nach dieser Antwort verließ er jene Gesellschaft und ging aus dem Haus des Annas hinaus. Doch folgte er nachher seinem Meister zu dem Haus des Kajaphas, wo er, wie ich später erzählen werde, den Herrn noch zweimal verleugnete.
1264. Diese Verleugnung des Petrus verursachte dem göttlichen Meister einen größeren Schmerz als jener Backenstreich. Denn seiner unermesslichen Liebe war wohl die Sünde zuwider und verhasst, die Leiden aber waren Ihm süß und lieb, weil Er dadurch unsere Sünden überwand. Nach der ersten Verleugnung des Petrus flehte Christus alsbald für seinen Apostel zum himmlischen Vater und beschloss, dass, wenn die dreifache Verleugnung geschehen sei, dem büssenden Jünger auf die Vermittlung und Fürsprache Mariä Gnade und Verzeihung angeboten werden solle. Die große Herrin schaute von ihrem Betzimmer aus alles, was vorging und da sie den Gnadenthron samt dem Sühnopfer, nämlich ihren im heiligsten Sakrament gegenwärtigen Sohn und Herrn, im Herzen trug, so wandte sie sich an Ihn, um unter heldenmütigen Akten des Mitleidens, der Danksagung, der Verehrung und Anbetung ihre Bitten und Liebesanmutungen vor ihm auszuschütten. Als die gütigste Mutter schaute, wie der hl. Petrus den Herrn verleugnete, weinte sie bitterlich und hörte nicht auf zu weinen, bis sie inneward, dass der Allerhöchste ihm seinen Gnadenbeistand nicht versagen, sondern ihn vom Fall wieder aufrichten werde. Die reinste Mutter empfand auch alle Schmerzen der Wunden und Misshandlungen ihres Sohnes, und zwar an denselben Stellen ihres jungfräulichen Leibes, an welchen der Herr dieselben litt. Als der Sohn Gottes mit Stricken und Ketten gebunden wurde, fühlte auch sie in den Handgelenken heftige Schmerzen, dass das Blut unter den Nägeln ihrer jungfräulichen Hände hervordrang, als wären auch ihre Hände gebunden und gefesselt. Ähnliches fand auch bei den übrigen Verwundungen des Herrn statt. Und da Maria außer diesen körperlichen Schmerzen noch den Seelenschmerz zu dulden hatte, ihren göttlichen Sohn leiden zu sehen, kam es so weit, dass die liebevollste Mutter durch wunderbares Wirken der göttlichen Allmacht blutige Tränen vergoss. U. L. Frau empfand auch den Backenstreich Jesu, wie wenn jene gottesräuberische Hand zu gleicher Zeit den Sohn und die Mutter getroffen hätte. Während der Herr diese ungerechte Beschimpfung erduldete und mit Lästerungen und Schmähungen überhäuft wurde, forderte sie die heiligen Engel auf, mit ihr ihren Schöpfer zu verherrlichen und anzubeten, zum Ersatz für die Beleidigungen, welche Er von den Sünden erduldete. In den weisesten, doch schmerz- und klagevollsten Worten besprach sie sich mit diesen Engeln über die Ursache ihres Mitleidens und ihrer bitteren Tränen.
LEHRE, welche mir die große Himmelskönigin gab
1265. Meine Tochter, zu großen Dingen wirst du berufen und eingeladen durch das himmlische Licht, welches du über die Geheimnisse des Leidens meines allerheiligsten Sohnes und über mein Leiden empfängst. In diesem Licht erkennst du, was wir für das Menschengeschlecht gelitten haben. Du erkennst aber zugleich auch, wie schlecht uns die herzlose, undankbare Welt so große Wohltaten vergilt. Du lebst im sterblichen Fleisch und bist der Unwissenheit und Gebrechlichkeit der Erdenpilger unterworfen, und dennoch ruft die Macht der erkannten Wahrheit in dir zahlreiche Affekte des Staunens, des Schmerzes, der Betrübnis und des Mitleidens darüber wach, dass die Sterblichen so große Geheimnisse vergessen und verachten, und dass sie durch ihre Kälte und Gleichgültigkeit so großer Güter verlustig gehen. Was werden aber erst die Engel und Heiligen davon denken? Was werde ich in der Anschauung des Herrn denken, wenn ich auf die Welt herabblicke und sehe, in welch gefahrvollem Zustand furchtbarer Gleichgültigkeit die Gläubigen dahinleben, trotzdem mein allerheiligster Sohn für sie gelitten hat und gestorben ist, trotzdem sie mich zur Mutter und Mittlerin haben, trotzdem sie das allerreinste Leben Jesu und mein Leben als Vorbild vor Augen haben ! Ich sage dir in Wahrheit, meine Tochter, nur meine Fürsprache und die Verdienste meines göttlichen Sohnes, die ich dem himmlischen Vater vorstelle, sind imstande, die Strafe noch aufzuhalten und den gerechten Zorn Gottes zu besänftigen, dass Er die Welt nicht vernichtet und die Geißel seines Zornes nicht über die Kinder der Kirche schwingt, welche den Willen des Herrn zwar wissen, aber Ihn nicht erfüllen. Indes muss ich mich bitter beklagen, dass ich so wenige finde, welche, um mit David zu sprechen (Ps 69, 21), mit mir trauern und meinen Sohn in seinen Leiden trösten. Diese Hartherzigkeit wird am Tag des Gerichtes die schlechten Christen am allermeisten drücken und mit Schande bedecken, denn dann werden sie mit unheilbarem Schmerz sehen, dass sie nicht bloß undankbar, sondern unmenschlich und grausam gewesen sind gegen meinen allerheiligsten Sohn, gegen mich, gegen sich selbst.
1266. Bedenke darum, meine Tochter, deine Verpflichtung. Erhebe dich über alles Irdische und über dich selbst. Denn ich berufe und erwähle dich, dass du mir nachfolgst und Gesellschaft leistest in einer Sache, in welcher die Menschen mich allein lassen, dieselben Menschen, welche wir, mein allerheiligster Sohn und ich, mit Wohltaten überhäuft und zum größten Dank verpflichtet haben. Erwäge mit allen deinen Kräften, wie viel es meinen Herrn gekostet hat, die Menschen mit seinem Vater zu versöhnen und ihnen seine Freundschaft zu verdienen. Weine und trauere darüber, dass so viele dies vergessen und dass so viele aus allen Kräften daran arbeiten, das zu vernichten und zugrunde zu richten, was Gott den Herrn Blut und Leben gekostet hat, und was ich seit meiner Empfängnis ihnen zu ihrem Heil zu erflehen und zu erwerben gesucht habe und immer noch suche. Stimme Trauerklage an in deinem Herzen, dass die heuchlerischen und sakrilegischen Hohenpriester, welche unter dem Scheine der Frömmigkeit Jesus Christus verurteilt haben, in der heiligen Kirche so zahlreiche Nachahmer finden. Denn Hoffart und Weltpracht sind nebst anderen schweren Sünden autorisiert und auf den Thron erhoben. Dagegen die Demut, die Wahrheit, die Gerechtigkeit und alle Tugenden sind unterdrückt und in den Staub getreten. Habsucht und Eitelkeit haben allein noch die Oberhand. Die Armut Christi ist nur von wenigen gekannt und von noch wenigeren geübt. Der heilige Glaube ist gehemmt und kann sich nicht ausbreiten wegen des maßlosen Ehrgeizes der weltlichen Machthaber und in vielen Katholiken ist der Glaube untätig und erstorben. Alles, was Leben haben sollte, ist tot und geht dem Untergange entgegen. Die evangelischen Räte sind vergessen, die Gebote Gottes sind mit Füßen getreten, die Liebe ist fast ganz ausgelöscht. Mein Sohn, der wahre Gott, hat in Geduld und Sanftmut seine Wangen dargereicht, um geschlagen zu werden. Wo sind aber heutzutage die, welche, um seinem Beispiel zu folgen, eine Beleidigung verzeihen? Gerade das Gegenteil ist von der Welt zum Gesetz erhoben, und zwar nicht bloß von den Ungläubigen, sondern auch von den Kindern des Glaubens und des Lichtes.
1267. Wenn du nun von solchen Sünden Kenntnis erhältst, so sollst du tun, was ich während des Leidens Christi und mein ganzes Leben lang getan habe. Ich habe nämlich für alle Sünden dadurch Ersatz zu leisten gesucht, dass ich die den betreffenden Lastern entgegengesetzten Tugendakte übte. Zum Ersatz für die Gotteslästerungen habe ich dem Herrn Lobpreise dargebracht, für die Flüche Akte der Verherrlichung, für den Unglauben Akte des Glaubens und so für alle anderen Beleidigungen. Dasselbe sollst du auch tun, in dieser Welt, in welcher du lebst und die du kennst. Fliehe ferner auch jene Gefahren, welche der Verkehr mit den Menschen mit sich bringt. Das Beispiel des Petrus diene dir zur Warnung, denn du bist nicht stärker als dieser Apostel und Jünger Jesu Christi. Und wenn du etwa aus Schwachheit das eine oder andere Mal in einen Fehler fallen solltest, so unterlasse nicht, alsbald mit Petrus zu weinen und meine Fürbitte nachzusuchen. Deine alltäglichen Fehler und Verschuldungen aber suche durch Geduld in Widerwärtigkeiten gutzumachen. Nimm die letzteren mit heiterem Gesicht und ohne innere Unruhe an, mögen sie nun von was immer für einer Art sein, ob Krankheiten, ob Belästigungen von Seiten der Nebenmenschen, ob Geistesplagen, wie sie von dem Widerstreit der Leidenschaften und von den Anfechtungen der unsichtbaren, geistigen Feinde herrühren. In all diesen Dingen kannst du leiden. Und du musst diese Leiden tragen mit Glauben, Hoffnung, Hochherzigkeit und Großmut, denn ich sage dir, es gibt für die Seele keine heilsamere und nützlichere Übung als das Leiden. Das Leiden gibt Licht, das Leiden gibt richtiges Urteil, das Leiden reisst das Menschenherz los von den irdischen Dingen und führt es zu Gott. Gott aber kommt ihm entgegen, denn er ist nahe denen, die in Trübsal sind, um sie zu befreien und zu beschützen.
SECHZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Kajaphas. Abermalige Verleugnung des Petrus
Unser Heiland wird zum Haus des Hohenpriesters Kajaphas geführt. Er wird hier angeklagt und befragt, ob Er der Sohn Gottes sei. Der heilige Petrus verleugnet den Herrn noch zweimal. Was die heiligste Jungfrau bei diesem Ereignisse tat. Andere Geheimnisse.
1268. Bald nachdem unser Heiland Jesus Christus im Haus des Annas unter zahllosen Beschimpfungen den Backenstreich empfangen hatte, wurde Er von diesem Hohenpriester, gebunden wie Er war, zu Kajaphas geschickt, welcher der Schwiegersohn des Annas war und in jenem Jahre das Amt des Hohenpriesters versah. Bei diesem waren auch die Schriftgelehrten und Vornehmsten des Volkes versammelt, um das unschuldige Lamm zu verhören. Beim Anblick der unüberwindlichen Geduld und Sanftmut, welche der «Herr der Tugenden» bei allen Unbilden an den Tag legte, waren die bösen Geister ganz erstaunt und beschämt und gerieten in solche Wut, dass es sich mit Worten nicht beschreiben lässt. Die inneren Akte der heiligsten Menschheit vermochten sie nicht zu erspähen. In den äußeren aber, durch welche sie das Herz der übrigen Menschen erforschen, fanden sie keine ungeordnete Regung, denn der sanftmütigste Herr klagte nicht und seufzte nicht, indem Er seiner Menschheit selbst diesen geringen Trost versagte. Darum war der höllische Drache über eine solche Seelengröße ganz verwundert und zugleich erbittert, als über etwas Außerordentliches, das man unter den Menschen von leidensfähiger, schwacher Natur niemals gesehen. Und diese seine Wut flößte der böse Feind allen Pharisäern, Schriftgelehrten und Dienern der Priester ein, damit sie dem Herrn die abscheulichsten Widrigkeiten und Misshandlungen zufügen möchten. Sie aber waren bereit, alle Eingebungen des Satans auszuführen, soweit Gott es zuließ.
1269. So zog denn die ganze Bande der höllischen Geister und Unmenschen vom Haus des Annas ab und führte den göttlichen Heiland über die Straßen zum Haus des Kajaphas, wobei sie in ihrer unversöhnlichen Grausamkeit den Herrn auf schmähliche Weise misshandelten. Mit fürchterlichem Lärm zogen sie in das Haus des Hohenpriesters ein. Dieser und der hohe Rat empfingen den Schöpfer und Herrn des Weltalls mit lautem Hohngelächter, weil sie Ihn nun in ihrer Gewalt sahen und meinten, Er könne ihnen nun nicht mehr entkommen. O Geheimnis der höchsten Weisheit des Himmels ! O Torheit der teuflischen Unwissenheit, o Blindheit und Beschränktheit der Menschen ! Welch unermesslichen Abstand gewahre ich zwischen euch und den Werken Gottes ! Wenn der König der Glorie, mächtig im Krieg (Ps 24, 8), die Laster, den Tod, die Sünde durch die Tugenden der Geduld, der Demut, der Liebe als «Herr der Tugenden» überwindet, dann meint die Welt, sie habe durch ihre Frechheit und Hoffart Ihn besiegt ! Wie verschieden waren doch die Gedanken Christi unseres Herrn von jenen, durch welche diese Werkzeuge der Bosheit sich leiten ließen ! Der Urheber des Lebens opferte dem ewigen Vater diesen Triumph seiner Sanftmut und Demut über die Sünde auf. Er betete für seine Verfolger, die Priester, Schriftgelehrten und Diener, indem Er seine Geduld, seine Schmerzen sowie die Unwissenheit seiner Beleidiger geltend machte. Seine heiligste Mutter verrichtete in demselben Augenblick das nämliche Gebet für ihre und ihres göttlichen Sohnes Feinde, wie sie überhaupt alle seine Werke nachahmte, da dieselben ihr sichtbar waren. So herrschte zwischen Sohn und Mutter eine wunderbare, liebliche Harmonie und Gleichförmigkeit, auf welche der ewige Vater mit höchstem Wohlgefallen schaute.
1270. Der Hohepriester Kajaphas war auf seinem priesterlichen Sitz von tödlichem Hass und Neid gegen den göttlichen Heiland ganz entflammt. An seiner Seite befand sich Luzifer samt all den bösen Geistern, die vom Haus des Annas mitgekommen waren. Die Schriftgelehrten und Pharisäer glichen blutdürstigen Wölfen beim Anblick des gefangenen, sanftmütigen Lämmleins. Sie freuten sich alle, wie der Neidische tut, wenn er jenen, von dem er übertroffen wird, gestürzt und erniedrigt sieht. Sie suchten nun alle miteinander Zeugen, die, durch Geschenke oder Versprechen bestochen, ein falsches Zeugnis gegen Jesus ablegen sollten (Mt 26, 59 ff). Diejenigen, welche dafür gewonnen waren, kamen, aber ihre Zeugnisse stimmten nicht einmal unter sich selbst überein, und noch viel weniger konnten sie jenem gegenüber aufrechterhalten werden, welcher von Natur die Unschuld und Heiligkeit selbst ist. Damit sie aber nicht beschämt dastünden, holten sie noch zwei falsche Zeugen, welche gegen Jesus bezeugten, sie hätten Ihn sagen hören, Er könne den von Menschenhand gebauten Tempel abbrechen und in drei Tagen einen anderen, nicht durch Menschenhand erbauten, aufrichten. Doch auch dieses falsche Zeugnis schien nicht beweiskräftig, obwohl sie dadurch dem Heiland zur Last legen wollten, dass Er sich Gottes Allmacht beilege und anmaße. Hätte Er aber dies auch getan, so wäre es nur die unfehlbare Wahrheit gewesen, und konnte niemals falsch oder vermessen sein, war ja doch unser Herr der wahre Gott ! Allein das Zeugnis war falsch. Denn der Herr hatte mit jenen Worten nicht, wie die Zeugen vorgaben, den steinernen Tempel gemeint. Als Er die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel jagte und diese fragten mit welcher Macht Er dies tue, da hatte Er freilich geantwortet «Löst diesen Tempel». Er wollte aber damit sagen, dass sie den Tempel seiner heiligsten Menschheit zerstören, Er aber am dritten Tag wieder auferstehen werde, was Er auch zum Beweis seiner Allmacht getan hat (Joh 2,19).
1271. Unser Heiland erwiderte auf alle Verleumdungen um falschen Zeugnisse gegen seine Unschuld kein Wort. Da nur Kajaphas Ihn so geduldig schweigen sah, erhob er sich von seinem Sitz und sagte: «Warum antwortest du nicht auf so viele Zeugnisse, die gegen dich sprechen (Mk 14, 60) ?» Allein auch auf diese Frage antwortete der Herr nicht. Denn Kajaphas sowie die übrigen waren nicht bloss nicht gewillt Ihm Glauben zu schenken, sondern sie hegten auch die arglistige Absicht, den Heiland zu einer Antwort zu veranlassen, welche sie verdrehen könnten, um ihr Vorgehen gegen Jesus vor dem Volke zu rechtfertigen. Das Volk sollte eben nicht bemerken, dass sie Ihn ohne gerechte Ursache zum Tod verurteilten. Das demütige Schweigen unseres Herrn hätte das Herz des schlechten Priesters erweichen sollen. Allein er wurde darob nur noch wütender, weil er seine boshafte Erwartung getäuscht sah. Luzifer, welcher den Kajaphas und alle übrigen Feinde regierte, beobachtete mit gespanntester Aufmerksamkeit alles, was der Heiland der Welt tat. Indes hatte er dabei eine andere Absicht als der Hohenpriester. Der Drache hatte es nämlich darauf abgesehen, die Geduld des Herrn zu ermüden oder Ihn zu einer Äußerung zu veranlassen, aus welcher er erkennen könnte, ob Er wahrer Gott sei.
1272. In dieser Absicht gab Luzifer dem Kajaphas den Gedanken ein, mit großer Wut und gebieterischem Ton an Christus die neue Frage zu stellen: «Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du Christus bist, der Sohn Gottes, des Hochgelobten (Mt 26, 63 ff; Mk 14, 61) !» Diese Frage war von Seiten des Hohenpriesters ebenso töricht als vermessen. Denn wenn Kajaphas im Zweifel war, ob Jesus wahrer Gott sei oder nicht, so war es von seiner Seite eine furchtbare Missetat und eine erschreckliche Frechheit, Ihn wie einen Verbrecher gebunden sich vorführen zu lassen. Die Untersuchung hätte in diesem Fall ganz anders, nämlich in vernünftiger und gerechter Weise geführt werden müssen. Als aber Christus, unser höchstes Gut, hörte, dass Er beim lebendigen Gott beschworen werde, betete Er mit tiefster Ehrfurcht die Gottheit an, wiewohl die Zunge, welche den Namen Gottes ausgesprochen hatte, eine gottesräuberische war. Kraft dieser Ehrfurcht antwortete der Herr und sprach: «Du hast es gesagt ! Ich bin es. Ich sage euch aber: Von nun an werdet ihr den Menschensohn sehen, sitzend zur Rechten der Kraft Gottes und kommend auf den Wolken des Himmels (Mt 26, 64; Mk 14, 62).» Durch diese aus dem Mund Gottes kommende Antwort wurden die bösen Geister und die anwesenden Menschen außer Fassung gebracht, jedoch aus verschiedenen Gründen. Luzifer und seine höllischen Knechte konnten die Antwort nicht ertragen. Sie fühlten in ihr eine Macht, welche sie in den Abgrund schleuderte. Die Wahrheit, welche sie gehört hatten, überwältigte sie und überhäufte sie mit furchtbaren Qualen. Sie hätten es nicht gewagt, noch einmal vor dem Gesicht unseres Heilandes Jesu Christi zu erscheinen, wenn seine weiseste Vorsehung es anders gewollt hätte. Durch Zulassung Gottes kam nämlich dem Luzifer der Zweifel, ob dieser Mensch Christus auch wirklich die Wahrheit gesagt oder ob Er etwa, um sich aus den Händen der Juden zu befreien, eine Lüge gesagt habe. Dieser Zweifel flößte den Teufeln wieder Mut ein, und so erschienen sie nochmals auf dem Kampfplatz. Der entscheidende Sieg des Heilandes über Tod und Hölle war eben, wie der Prophet Habakuk vorausgesagt hat (Hab 3, 2-5) und wie wir an seiner Stelle sehen werden (unten Nr. 1423), dem Kreuz vorbehalten.
1273. Der Hohenpriester Kajaphas dagegen war über die Antwort des Herrn, die ihm die Augen hätte öffnen sollen, erzürnt. Er stand wieder auf, zerriss zum Zeichen, als eifere er für die Ehre Gottes, seine Kleider und schrie mit lauter Stimme: «Er hat Gott gelästert. Was haben wir noch Zeugen nötig? Ihr habt die Gotteslästerung gehört, was dünkt euch?» Diese freche, wahnsinnige und abscheuliche Antwort des Kajaphas war in Wahrheit eine Gotteslästerung, denn in ihr war Christus dem Herrn die göttliche Wesenheit, die Ihm von Natur zukommt, abgesprochen, dagegen die Sünde, die von Natur seiner göttlichen Person widerstreitet, zugeschrieben. So groß war die Verblendung dieses ungerechten Priesters, dass er, der doch von Amts wegen die Wahrheit hätte kennen und lehren sollen, ein fluchwürdiger Gotteslästerer wurde, da er sagte, jener, welcher die Heiligkeit selbst ist, habe Gott gelästert. Kurz zuvor war er noch seiner Würde wegen vom Heiligen Geist geleitet gewesen, da er prophetisch sprach, es sei besser, dass ein Mensch sterbe, damit nicht das ganze Volk zugrunde gehe. Allein seiner Sünden wegen verdiente er nicht, eben diese Wahrheit, die er aussprach, zu verstehen. Da aber das Beispiel und Urteil der Hochstehenden und Vorgesetzten auf die Untergebenen und auf das Volk, welches den Mächtigen zu schmeicheln gewohnt ist, einen so mächtigen Einfluss ausübt, so wurde durch die Rede des Kajaphas jene ganze Versammlung von Bösewichten gegen den Heiland Jesus Christus aufgebracht. Unter lautem Geschrei riefen sie dem Kajaphas zu: «Er ist des Todes schuldig. Er soll sterben. Er muss sterben !» Zu gleicher Zeit fielen sie, vom Satan aufgehetzt, über den sanftmütigsten Herrn her und ließen ihre teuflische Wut an Ihm aus. Die einen gaben Ihm Faustschläge, die anderen Fußtöße, wieder andere rauften Ihm die Haare aus oder spuckten Ihm in sein verehrungswürdiges Gesicht. Andere gaben Ihm Schläge in den Nacken, eine Art gemeiner Beschimpfung, welche die Juden nur den verachtetsten Menschen antaten.
1274. Niemals wurden einem Menschen so schmähliche und maßlose Widrigkeiten zugefügt, wie sie bei dieser Gelegenheit dem Erlöser der Welt angetan wurden. Der hl. Lukas und der heilige Markus erzählen, dass die Juden dem Herrn das Gesicht verhüllten und ihm dann Backenstreiche und Faustschläge gaben mit den Worten: «Weissage uns, Christus ! Wer ist's, der dich geschlagen hat (Lk 22, 64; Mk 14, 65)?» Dass die Juden dem Heiland das Gesicht verhüllten, hatte seinen Grund in einem Geheimnisse. Da nämlich unser Heiland diese Beschimpfungen und Lästerungen, wie ich alsbald sagen werde, mit innerer Freude und Wonne duldete, so wurde infolge davon auf seinem anbetungswürdigen Gesicht ein wunderbar lieblicher Glanz sichtbar, welcher alle jene Übeltäter mit Staunen, aber auch mit peinlicher Beschämung erfüllte. Um nun diese Beschämung zu verbergen, schrieben sie jenen Glanz einer Zauberei zu und griffen zu dem eben genannten Mittel, nämlich dem Herrn das Gesicht mit einem unreinen Tuch zu verhüllen. In der Tat aber waren sie nicht würdig, das Gesicht Jesu zu schauen, und sie bedeckten es, weil der darauf erscheinende himmlische Glanz sie quälte und die Macht ihres teuflischen Zorns lähmte.
Alle diese dem Heiland zugefügten Widrigkeiten, Beschimpfungen und Schmähungen schaute und fühlte seine heiligste Mutter Maria, wie sie auch den Schmerz der Schläge und Wunden an denselben Stellen und zur nämlichen Zeit empfand, wo unser Erlöser sie empfing. Nur der Unterschied bestand hierbei, dass bei unserem Herrn die Schmerzen durch die von den Juden Ihm zugefügten Schläge und Qualen veranlasst waren, bei seiner reinsten Mutter aber von der Hand des Allerhöchsten kamen, und zwar nach dem eigenen Wunsch der Herrin selbst. Natürlicherweise hätte Maria infolge der heftigen Schmerzen und inneren Pein das Leben verlieren müssen. Allein sie wurde alsbald durch die Kraft Gottes wiederum gestärkt, damit sie mit ihrem geliebten Sohn und Herrn auch fernerhin noch zu leiden vermöchte.
1275. Was der göttliche Heiland bei Gelegenheit dieser unmenschlichen und ganz unerhörten Beschimpfungen in seinem Innern vollbrachte, übersteigt alle menschliche Einsicht und Fassungskraft. Nur die heiligste Jungfrau Maria erkannte vollkommen seine inneren Akte, um Ihn auch darin auf das Vollkommenste nachzuahmen. Weil aber der göttliche Meister in der Schule der Erfahrung aus seinen eigenen Schmerzen jene zu bemitleiden lernte, welche in künftigen Zeiten sein Beispiel nachahmen und seine Lehre befolgen würden, so wandte Er sich an diese, um sie zu heiligen und zu segnen, ganz besonders bei dieser Gelegenheit, wo Er ihnen durch sein Beispiel den geraden Weg zur Vollkommenheit zeigte. Und mitten unter diesen und den nachfolgenden Beschimpfungen und Martern sprach der allerheiligste Erlöser über seine Auserwählten und Vollkommenen abermals jene Seligkeiten aus, welche Er ihnen schon früher verheißen hatte. Er schaute nämlich die Armen im Geiste, welche in dieser Tugend Ihm folgen würden, und sprach: «Selig werdet ihr sein in eurer Entblößung von den irdischen Dingen, denn durch mein Leiden und Sterben bestimme ich das Himmelreich als den sicheren und gewissen Besitz der freiwilligen Armut. Selig werden sein, die in Sanftmut die Widerwärtigkeiten und Leiden ertragen und auf sich nehmen, denn außer dem Anrecht auf meine Seligkeit, das sie durch meine Nachahmung sich erwerben, werden sie das Erdreich des Willens und Herzens der Menschen mittels ihres liebenswürdigen Umganges und der Lieblichkeit ihrer Tugend besitzen. Selig werden sein, die in Tränen aussäen (Ps 126, 5) und weinen, denn durch ihre Tränen werden sie das Brot der Erkenntnis und des Lebens empfangen und später die Frucht der ewigen Freude und Seligkeit ernten (Sir 15, 3).»
1276. «Selig werden auch jene sein, welche Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit und Wahrheit haben, denn ich verdiene ihnen eine alle ihre Wünsche übertreffende Sättigung, sowohl durch die Gnade, als auch durch die Belohnung in der Glorie. Selig werden sein, die Barmherzigkeit gegen ihre Beleidiger und Verfolger üben, wie ich dies tue, indem ich ihnen Verzeihung gewähre und meine Freundschaft und Gnade anbiete, wenn sie nur sie annehmen wollen und im Namen meines Vaters verspreche ich den Barmherzigen große Barmherzigkeit. Selig sollen sein, die reinen Herzens sind, meinem Beispiel folgen und ihr Fleisch kreuzigen um die Reinheit des Geistes zu bewahren. Ich verspreche ihnen den Genuss des Friedens und die Anschauung meiner Gottheit, indem sie mir ähnlich sein und an mir Anteil haben werden. Selig sollen sein die Friedfertigen, welche nicht um des eigenen Vorteils wegen den Bösen widerstehen, sondern sie mit einfältigem und ruhigem Herzen ohne Rachsucht ertragen. Sie werden meine Kinder heißen, weil sie die Eigenschaft ihres himmlischen Vaters nachahmen, und ich sie anerkenne und meinem Gedächtnisse und Geiste einschreibe, um sie als die Meinigen anzunehmen. Selig sollen sein und mein himmlisches Reich erben, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, denn weil sie mit mir gelitten haben, so will ich auch, dass sie in alle Ewigkeit mit mir da seien, wo ich selber sein werde (Joh 12, 26). Freut euch darum, ihr Armen. Tröstet euch, die ihr trauert und trauern werdet. Freut euch in eurem Glück, die ihr vor der Welt gering und verachtet seid, und ihr, die ihr in Demut und Geduld leidet. Leidet mit innerer Freude, denn ihr alle folgt mir auf den Wegen der Wahrheit. Entsagt der Eitelkeit, verachtet die Pracht und die Anmaßung des stolzen und trügerischen BabyIons. Geht durch das Feuer und die Wasser der Trübsal, bis ihr zu mir gelangt, der ich das Licht, die Wahrheit und euer Führer bin zur ewigen Ruhe und Erquickung (Ps 66,12).»
1277. Mit diesen ganz göttlichen Werken und Bitten für die Sünder war unser Heiland Jesus Christus beschäftigt, während nach dem Ausspruch Davids (Ps 22, 7) die Versammlung der Bösewichte Ihn umgab und gleich wütenden Hunden über Ihn herfiel und Ihn mit Beschimpfungen, Verspottungen, Schlägen und Lästerungen überhäufte. Die jungfräuliche Mutter aber erkannte alles genau und begleitete Ihn innerlich in seinen Handlungen und Leiden, denn bei seinen Bitten legte sie dieselbe Fürbitte für die Feinde ein. Und während ihr heiligster Sohn die Segnungen über die Gerechten und Auserwählten aussprach, stellte sich auch die heiligste Königin als deren Mutter, Helferin und Beschützerin dar. Sie verrichtete im Namen aller Lob- und Danklieder, weil der Herr den von der Welt Verachteten und den Armen einen so hohen Platz in seiner göttlichen Wertschätzung und in seinem Wohlgefallen vorbehielt. Aus diesen und andern Gründen, welche sie bei den inneren Akten unseres Herrn erkannte, machte sie mit unglaublichem Eifer abermals den Vorsatz, während der noch übrigen Zeit des Leidens Christi, ja während ihres ganzen heiligsten Lebens Mühseligkeiten, Verachtungen, Widerwärtigkeiten und Pein zu ertragen.
1278. Der hl. Petrus war unserem göttlichen Heiland vom Haus des Annas in das des Kajaphas gefolgt, jedoch ein wenig von der Ferne, weil ihn die Furcht vor den Juden eingeschüchtert hatte, die er indes bis zu einem gewissen Grad mittels der Liebe zu seinem Meister und seiner natürlichen Herzensstärke überwand. Übrigens war es dem Apostel nicht besonders schwer, unter der aus- und eingehenden Menge in das Haus des Kajaphas zu gelangen, zumal. da auch das Dunkel der Nacht ihm zugute kam. An den Pforten des Hofes jedoch bemerkte ihn wieder eine Magd, welche das Amt der Pförtnerin versah, wie jene im Haus des Annas. Diese näherte sich den Soldaten, welche ebenfalls dort am Feuer standen, und sprach zu ihnen: «Dieser Mensch da ist einer von der Begleitung des Nazareners.» Darauf sprach einer der Umstehenden zu Petrus: «Du bist wahrhaft ein Galiläer und einer von ihnen (Mk 14, 67.71; Lk 22, 58; :Mt 26, 72; Mk 14, 68).» Der hl. Petrus leugnete, indem er eidlich versicherte, er sei kein Schüler Jesu. Und damit entfernte er sich vom Feuer und aus der Gesellschaft. Obwohl er indes aus dem Vorhof hinausging, so entfernte er sich doch nicht weit. Er konnte sich nicht entschließen, wegzugehen, ohne zu wissen, welchen Ausgang die Sache des Erlösers nehmen werde, denn die Liebe und das natürliche Mitleiden mit der Pein, in der er den Herrn verließ, hielten ihn zurück. Als nun der Apostel ungefähr eine Stunde lang (Lk 22, 59) im Haus des Kajaphas umhergegangen und seine Beobachtungen angestellt hatte, erkannte ihn ein Verwandter des Malchus, dem er das Ohr abgehauen hatte, und sprach zu ihm: «Du bist ein Galiläer und Jünger Jesu; ich habe dich bei Ihm im Garten gesehen (Joh 18, 26).» Da wurde der hl. Petrus, weil er sich erkannt sah, mit noch größerer Furcht erfüllt. Er fing an zu leugnen und unter Verwünschung zu beteuern, dass er diesen Menschen nicht kenne. Und alsbald krähte der Hahn zum zweiten Mal, und so ging buchstäblich der Ausspruch und die Warnung seines göttlichen Meisters in Erfüllung, dass er Ihn in dieser Nacht, bevor der Hahn zweimal krähen würde, dreimal verleugnen werde.
1279. Der höllische Drache wandte alle Mühe an, um den hl. Petrus ins Verderben zu stürzen. Er war es, welcher zuerst die Mägde des Hohenpriesters, weil diese einen leichtsinnigeren Charakter hatten, und sodann die Soldaten angetrieben hatte, dass bald diese, bald jene dem Apostel mit ihren Bemerkungen und Fragen zusetzten. Den Apostel selbst aber brachte er durch heftige Vorstellungen und Ängste in Verwirrung. Er bemerkte ja, wie er schon in Gefahr schwebte und bereits zu wanken begann. Infolge dieser heftigen Versuchung fand die erste Verleugnung mit einfachen Worten statt. Die zweite war mit einem Eide verbunden, und bei der dritten fügte Petrus noch Verwünschungen und Drohungen gegen sich selbst bei. Auf diese Weise gelangt man von einer geringeren Sünde zu einer größeren, wenn man den heftigen Versuchungen unserer Feinde Gehör schenkt. Als aber der hl. Petrus den Hahnenschrei hörte, erinnerte er sich der Vorhersage seines göttlichen Meisters, denn unser Herr blickte ihn mit huldvoller Barmherzigkeit an. Dass aber Jesus den Petrus anblickte, geschah auf Vermittlung der milden und großen Königin der Welt. Denn diese erkannte vom Speisesaal aus, wo sie sich befand, die Verleugnungen, deren Verlauf nebst den Ursachen, warum der Apostel dazu gekommen war, nämlich seine Einschüchterung durch die natürliche Furcht und noch mehr durch die heftigen Versuchungen Luzifers. Darum warf sich die heiligste Herrin alsbald zur Erde nieder und flehte unter Tränen für den hl. Petrus, indem sie sich auf seine Gebrechlichkeit, zugleich aber auch auf die Verdienste ihres heiligsten Sohnes berief. Der Herr selbst rührte das Herz des hl. Petrus und machte ihm in liebevollster Weise Vorwürfe mittels der inneren Erleuchtung, die er ihm gewährte, damit er seine Schuld erkenne und beweine. Und augenblicklich entfernte sich der Apostel unter dem bittersten Schmerz seines Herzens und unter Tränen über seinen Fall aus dem Haus des Hohenpriesters. Um denselben auf das Bitterste zu beweinen, ging er in eine Höhle, welche noch bis auf den heutigen Tag ihren Namen vom Hahnenschrei trägt (Über dieser Höhle wurde später eine Kapelle gebaut. S. Mislin, die heiligen Orte, 2. Bd. 22. Kap. Der Herausgeber).), und weinte dort voll Beschämung und lebendigem Schmerz. Indes wurde ihm die heiligmachende Gnade und die Vergebung seiner Sünden erst nach drei Stunden zuteil, wiewohl die inneren Antriebe und heiligen Einsprechungen die ganze Zeit ununterbrochen angedauert hatten. Die reinste Mutter und Himmelskönigin aber sandte einen von ihren Engeln ab, damit er unsichtbarerweise den Apostel tröste und durch die Hoffnung auf Verzeihung aufrichte und Petrus nicht etwa aus Mangel an Vertrauen mit seiner Rückkehr zögere. Der hl. Engel hatte den Auftrag, sich nicht zu erkennen zu geben, weil der Apostel erst vor so kurzer Zeit seine Sünde vollbracht hatte. Der himmlische Gesandte vollzog den ihm gegebenen Auftrag, ohne vom hl. Petrus gesehen zu werden. So erhielt der große Büßer durch die Eingebungen des Engels Stärkung und Trost, durch die Vermittlung Mariä aber Verzeihung seiner Sünden.
LEHRE der großen Königin und Herrin
1280. Meine Tochter, das verborgene Geheimnis der Beschimpfungen, Widrigkeiten und der Verachtung, welche mein allerheiligster Sohn erduldete, ist ein verschlossenes Buch, das man bloß mittels des göttlichen Lichtes öffnen und verstehen kann. Du hast es erklärt und es ist dir zum Teil gezeigt worden, obwohl du eigentlich weit weniger davon niederschreibst, als du vernimmst, weil du nämlich das Ganze zu erklären außerstande bist. Da dir nun aber dieses Buch im Innern deines Herzens aufgeschlagen und geöffnet worden ist, so will ich, dass es darin auch eingeschrieben bleibe und du in der Erkenntnis dieses lebendigen und wahren Vorbildes die göttliche Wissenschaft erlernest, worin Fleisch und Blut dich nicht zu unterrichten vermögen, denn die Welt kennt diese Wissenschaft nicht und ist auch ihrer Erkenntnis nicht würdig. Diese göttliche Philosophie besteht darin, dass man das überaus glückliche Los der Armen, der Demütigen, der Bedrängten, der Verachteten und überhaupt aller, die bei den Kindern der Eitelkeit keinen Namen haben, versteht und liebt. Diese Schule hat mein allerheiligster und liebreichster Sohn in seiner Kirche gegründet, als Er auf dem Berg (Mt 5, 2) allen die acht Seligkeiten verkündete und vor Augen stellte. Und später hat Er, als ein Lehrer, der seine vorgetragene Lehre auch ins Werk setzt, dieselbe ausgeübt, als Er nämlich bei seinem Leiden und bei seinen Beschimpfungen die Hauptstücke dieser Lehre wiederholte, welche Er auf sich selbst so anwandte, wie du dies beschrieben hast. Obwohl nun diese Schule den Katholiken geöffnet und dieses Buch des Lebens vor ihnen aufgeschlagen ist, so sind doch derer, welche diese Schule besuchen und in diesem Buch studieren, sehr wenige und leicht zu zählen. Dagegen sind unzählig die Toren, welche diese Wissenschaft nicht kennen, weil sie sich zum Empfang des Unterrichtes in ihr nicht vorbereiten wollen.
1281. Alle fliehen die Armut und dürsten nach dem Reichtum, ohne sich über dessen trügerische Nichtigkeit enttäuschen zu lassen. Zahllos sind jene, welche sich vom Zorn und von der Rachsucht hinreißen lassen und von der Sanftmut nichts wissen wollen. Nur wenige beweinen ihr wahres Elend, viele dagegen haschen nach irdischen Tröstungen, und kaum findet man einen, der die Gerechtigkeit liebt und nicht ungerecht und treulos gegen seinen Nächsten sich benimmt. Die Barmherzigkeit ist verschwunden, die Reinheit des Herzens verletzt und beschmutzt, der Friede gestört. Niemand verzeiht und weit entfernt, für die Gerechtigkeit leiden zu wollen, suchen alle sogar durch ungerechte Mittel jener Strafe und Pein zu entkommen, die sich doch nach der Gerechtigkeit zu leiden verdient haben. Deshalb, liebste Tochter, gibt es nur wenige Glückliche, denen meine und meines heiligsten Sohnes Segnungen zuteil werden. Schon oftmals ist dir gezeigt worden, wie der Allerhöchste gegen die Bekenner des Glaubens gerechterweise erzürnt ist, weil sie im Angesicht ihres Vorbildes und des Lehrmeisters des Lebens fast wie Ungläubige, ja manche sogar noch verkehrter als diese dahinleben. Denn sie sind es, welche in Wahrheit die Frucht der Erlösung, die sie bekennen und erkennen, verachten. Im Land der Heiligen (Jes 26,10) verüben sie ihre Bosheit und Gottlosigkeit und machen sich des Rettungsmittels unwürdig, welches ihnen aus größter Barmherzigkeit an die Hand gegeben ist.
1282. Von dir aber, meine Tochter, verlange ich, dass du dir alle Mühe giebst, der verheißenen Seligkeiten teilhaftig zu werden, indem du nach Maßgabe der Gnade, welche du zum Verständnis dieser vor den Weisen und Klugen der Welt verborgenen Lehre erhältst (Mt 11, 25), mein Beispiel vollkommen nachahmest. Ich offenbare dir täglich neue Geheimnisse meiner Weisheit, damit dein Herz sich entzünde und du dich beeiferst, deine Hände an große Dinge zu legen (Spr 31,19). Und jetzt füge ich für dich noch eine Übung bei, welche ich verrichtet habe, und worin du mich wenigstens teilweise nachahmen kannst. Du weißt nämlich schon, dass ich vom ersten Augenblick meiner Empfängnis an voll von Gnade und frei von dem Makel der Erbsünde war und an deren Wirkungen keinen Anteil hatte. Du weißt, dass ich um dieses besondern Vorrechtes willen bereits von jener Zeit an glückselig in den Tugenden war, ohne dass ich ein Widerstreben fühlte oder einen Widerstreit besiegen musste, oder eine abzutragende Schuld auf mich geladen, oder für eigene Sünden Genugtuung zu leisten hatte. Aber trotzdem belehrte mich die göttliche Wissenschaft, dass ich mich unter den Staub der Erde demütigen müsse, weil ich der Natur nach, welche gesündigt hat, eine Tochter Adams sei, obwohl ich der Schuld nach keine Sünde begangen hatte. Und weil ich Sinne von derselben Art besaß, wie jene, die zu Werkzeugen des Ungehorsams dienten und seine schlimmen Wirkungen herbeiführen halfen, welche damals und für die Zukunft mit der menschlichen Natur verbunden wurden, so musste ich schon um dieser Verwandtschaft willen die Sinne abtöten, niederhalten und ihre Neigung hemmen, welche sie infolge eben dieser Natur haben. Und so benahm ich mich denn wie eine treue Tochter eines Hauses, welche die Schuld ihres Vaters und ihrer Brüder, obwohl sie sich damit nicht beladen hat, doch als ihre eigene ansieht und dieselbe abzutragen und dafür genugzutun sich bemüht, und zwar mit um so größerem Fleiße, je mehr sie ihren Vater und ihren Bruder liebt und je weniger diese imstande sind, die Bezahlung zu leisten und ihrer Verpflichtung sich zu entledigen. Und sie ruht nicht, bis sie dieses Ziel erreicht hat. Gerade dies habe ich für das ganze Menschengeschlecht getan, dessen Sündenelend ich beweinte. Und weil ich eine Tochter Adams war, so tötete ich an mir die Sinne und Fähigkeiten ab, mit denen jener gesündigt hat. Ich demütigte mich voll Beschämung, als wäre ich seines Ungehorsams und seiner Sünde schuldig, obwohl ich keinen Anteil daran hatte. Und das nämliche tat ich auch für alle übrigen Menschen, die der Natur nach meine Brüder sind. Du kannst mich nun in den erwähnten Vorzügen nicht nachahmen, weil du an der Schuld teilhast. Aber gerade diese legt dir die Pflicht auf, mich im übrigen, was ich ohne jene getan habe, nachzuahmen. Denn der Umstand, dass du mit der Schuld beladen und zur Genugtuung gegen die göttliche Gerechtigkeit gehalten bist, muss dich antreiben, dich ohne Unterlass für dich und den Nächsten abzumühen und dich in den Staub zu demütigen. Ein zerknirschtes und demütiges Herz macht ja die göttliche Güte geneigt, Barmherzigkeit zu üben (Ps 51,19).
SIEBZEHNTES HAUPTSTÜCK: Weitere Leiden des Herrn. Die Schmerzen Mariä
Leiden des göttlichen Heilandes von der Verleugnung des hl. Petrus an bis zum frühen Morgen. Der große Schmerz seiner heiligsten Mutter.
1283. Die heiligen Evangelisten haben diesen Teil mit Stillschweigen übergangen. Sie haben nicht erwähnt, wo und was der Urheber des Lebens nach der Verleugnung des hl. Petrus litt, und welche Beschimpfungen der göttliche Erlöser im Haus und in der Gegenwart des Kajaphas bis zum frühen Morgen erduldete, während sie alle über eine neue Ratsversammlung berichten, welche gehalten wurde, um den Herrn dem Pilatus zu überliefern, wie man im folgenden Hauptstück sehen wird. Ich trug Bedenken, mich auf diese Vorkommnisse einzulassen und das zu erzählen, was mir hierüber mitgeteilt wurde. Es ward mir nämlich zugleich auch gezeigt, dass man in diesem Leben nicht alles erfahren werde, und dass es auch nicht gut sei, dies allen zu sagen. Erst am Tage des Gerichtes werden den Menschen dieses und andere Geheimnisse des Lebens und Leidens unseres Erlösers offenbar werden. Für dasjenige aber, was ich mitteilen darf, finde ich keine meiner Erkenntnis entsprechenden Worte und noch viel weniger solche, welche dem Gegenstand, der sich mir darstellt, angemessen sind, denn alles ist unaussprechlich und übersteigt meine Fassungskraft. Jedoch will ich aus Gehorsam sagen, soviel ich vermag, damit mich nicht der Vorwurf treffe, als hätte ich die Wahrheit verheimlicht, welche unsere Eitelkeit und Vergessenheit so stark brandmarkt und verurteilt. Ich bekenne aber vor dem Himmel meine Gefühllosigkeit, weil ich nicht vor Beschämung und Schmerz darüber sterbe, dass ich Sünden begangen habe, welche meinem Gott seIber, der uns Dasein und Leben geschenkt hat, so teuer zu stehen kamen. Wir können jetzt die Hässlichkeit und Schwere der Sünde nicht mehr verkennen, da sie ja selbst über den Urheber der Gnade und Glorie so viele Übel gebracht hat. Und ich würde die Undankbarste von allen Sterblichen sein, wenn ich nicht von jetzt an die Sünde mehr als den Tod und wie den Teufel verabscheuen würde. Und auf diese Pflicht möchte ich alle Kinder der heiligen Katholischen Kirche aufs nachdrücklichste aufmerksam machen.
1284. Durch die Beschimpfungen, welche Christus, unser höchstes Gut, in Gegenwart des Kajaphas erduldete, erhielt der Neid des ehrgeizigen Hohenpriesters und der Zorn seiner Genossen und Diener eine große Befriedigung, aber noch keine Sättigung. Weil jedoch die Mitternachtsstunde bereits vorüber war, so beschlossen die Mitglieder des Rates, unsern Heiland, während sie sich schlafen legten, bis zum frühen Morgen in sichern Gewahrsam bringen zu lassen, damit Er nicht entfliehe. Deshalb ließen sie Ihn gebunden, wie Er war, in ein unterirdisches Gewölbe einsperren, welches zum Gefängnisse für die größten Räuber und Staatsverbrecher diente. Dieser Kerker war so dunkel, das er beinahe jeglichen Lichtes entbehrte, und so schmutzig und übelriechend, dass er, falls er nicht so abgelegen und wohl verschlossen gewesen wäre, das Haus hätte verpesten können. Denn er wurde schon seit vielen Jahren nicht mehr gesäubert und gereinigt, teils weil er sehr tief lag, teils weil man dann, wenn er zur Einkerkerung von Bösewichten diente, sich wenig daraus machte, dieselben in diesen abscheulichen Keller zu werfen, indem man derlei Leute jeglichen Mitleidens für unwürdig und wie unbändige und wilde Tiere betrachtete.
1285. Was die Versammlung der Bosheit befohlen hatte, wurde auch ausgeführt: die Schergen nahmen den Schöpfer Himmels und der Erde und sperrten Ihn in diesen schmutzigen und tiefen Kerker ein. Und da der Herr noch immer auf dieselbe Weise gefesselt war, wie Er vom Ölgarten kam, so konnten diese Bösewichte ganz nach Belieben die Wut fortwährend ausüben, welche der Fürst der Finsternis unaufhörlich anfachte. Und so brachten sie den lieben Heiland in diesen Kerker(Dieser Kerker wurde später ebenfalls mit einer Kapelle überbaut und von den frommen Pilgern andächtig besucht. Der Herausgeber)., indem sie Ihn mit den Stricken zogen und mit unmenschlicher Wut sozusagen schleiften, wobei sie Ihn mit Schlägen und entsetzlichen Lästerungen überhäuften. In einer Ecke dieses Kellers befand sich der Vorsprung eines Felsens oder ein Stück von einem Stein, den man seiner großen Härte wegen nicht zu zerschlagen vermocht hatte. An diesen Stein nun, welcher die Gestalt einer Säulenbasis hatte, banden und fesselten sie den göttlichen Erlöser mit den Enden der Stricke, aber auf eine höchst grausame Weise. Denn man ließ Ihn zwar stehen, aber in einer solchen Stellung, dass Er gebunden und zugleich mit seinem Körper niedergebeugt war, ohne dass Er sich niederzusetzen oder auch nur den Körper in gerader Stellung zu erheben vermocht hätte, um auszuruhen. Auf diese Weise verursachte Ihm seine Stellung eine neue, äußerst schmerzliche Pein. In dieser Lage ließen sie Ihn im Kerker, verschlossen die Türen und übergaben den Schlüssel einem jener gottlosen Schergen zur Bewahrung.
1286. Der höllische Drache jedoch ruhte in seinem alten Stolz nicht und suchte unaufhörlich zu erfahren, wer denn Christus sei. Um seine unveränderliche Geduld zu reizen, ersann er eine neue Ruchlosigkeit, zu welcher er sich des eben genannten bösen Schergen und einiger seiner Genossen bediente. Er flüsterte nämlich jenem Menschen, welcher den Schlüssel zu dem göttlichen Gefangenen und dem größten Schatz Himmels und der Erde hatte, den Gedanken ein, er solle die anderen Kameraden seiner Sorte einladen, miteinander in den Kerker, wo der Lehrmeister des Lebens war, hinabzusteigen, sich einige Zeit mit Ihm zu unterhalten und Ihn zu veranlassen, dass Er spreche und weissage oder irgendeine ungewöhnliche Sache verrichte, denn sie hielten unsern Herrn für einen Zauberer und Schwarzkünstler. Auf diese teuflische Einflüsterung hin machte jener Mensch den Soldaten und Bütteln den Antrag. Und dann kamen sie überein, die Sache ins Werk zu setzen. Während sie sich aber versammelten, geschah es, dass die Schar der dem Erlöser bei seinem Leiden zur Seite stehenden Engel, sobald sie Ihn in dieser so qualvollen Stellung und an einem so unwürdigen und schmutzigen Ort gebunden erblickten, sich vor Ihm niederwarfen, Ihn als ihren wahren Gott und Herrn anbeteten und Seiner Majestät eine um so tiefere Verehrung und Huldigung erwiesen, je bewunderungswürdiger Er sich zeigte, indem Er sich aus Liebe zu diesen nämlichen Menschen mit so schmählichen Widrigkeiten überhäufen ließ. Sie sangen Ihm zu Ehren einige von den Lobliedern, welche seine reinste Mutter, wie ich oben (Nr. 1277) erwähnte, zu seiner Verherrlichung verfasst hatte. Auch baten Ihn sämtliche himmlischen Geister im Namen dieser Herrin, dass Er, weil Er die Macht seiner Rechten nicht gebrauchen wollte, um seine heiligste Menschheit zu befreien, wenigstens ihnen gestatten möge, seine Bande zu lösen, Ihn von dieser Qual zu befreien und Ihn gegen diese Rotte von Schergen zu verteidigen, welche auf Anstachelung des Teufels sich zu neuen Beleidigungen gegen Ihn anschickten.
1287. Unser göttlicher Erlöser nahm aber diese Dienstleistung der Engel nicht an und erwiderte ihnen mit folgenden Worten: «Ihr Geister und Diener meines ewigen Vaters, es ist nicht meine Absicht, jetzt eine Erleichterung in meinem Leiden anzunehmen: ich will vielmehr diese Beschimpfungen und Qualen erdulden, um meine brennende Liebe zu den Menschen zu befriedigen und meinen Auserwählten und Freunden dieses Beispiel zu hinterlassen, auf dass sie mir nachfolgen und in den Trübsalen den Mut nicht verlieren und alle insgesamt die Schätze der Gnade, welche ich ihnen mittels dieser Pein in überreichem Maß verdient habe, schätzen lernen. Auch will ich meine Sache rechtfertigen, damit am Tag meines Zornes den Verdammten kund werde, dass sie nach Gerechtigkeit verdammt sind, weil sie mein bitterstes Leiden verachtet haben, dem ich mich unterzog, um ihnen das Rettungsmittel zu verschaffen. Meiner Mutter aber sagt, sie möge sich in dieser Betrübnis trösten, bis der Tag der Freude und der Ruhe kommt. Sie möge jetzt teilnehmen an meinem Wirken und Leiden für die Menschen, denn ich empfinde Freude und Wohlgefallen an ihrer mitleidsvollen Liebe und an allem, was sie tut.» Mit dieser Antwort begaben sich die heiligen Engel zu ihrer großen Königin und Herrin und trösteten sie durch diese äußere Botschaft, obwohl Maria auch schon auf anderem Weg von dem Willen ihres heiligsten Sohnes und von allen Vorgängen im Haus des Hohenpriesters Kajaphas Kenntnis erhalten hatte. Als die reinste Mutter von der neuen Grausamkeit, womit man das Lamm Gottes in den Kerker warf und von der qualvollen und schmerzlichen Stellung seines heiligsten Leibes Kunde erhielt, fühlte auch sie denselben Schmerz an ihrer reinsten Person. Sie empfand auch die Pein der Stöße, Faustschläge und Beschimpfungen, womit der Urheber des Lebens überhäuft wurde. Denn alle Leiden des Herrn riefen ein wunderbares Echo im jungfräulichen Leib der unschuldigsten Taube hervor. Ein und derselbe Schmerz verwundete den Sohn und die Mutter, und das nämliche Schwert durchbohrte beide, nur mit dem Unterschiede, dass Christus als Gottmensch und einziger Erlöser der Menschen, Maria aber als bloßes Geschöpf und Gehilfin ihres heiligsten Sohnes gelitten hat.
1288. Als die liebevollste Mutter erkannte, dass dieser niederträchtigen Rotte der vom Teufel aufgehetzten Schergen von ihrem göttlichen Sohn der Zutritt zum Kerker gestattet sei, brach sie in bitteres Wehklagen über das aus, was nun kommen sollte. Und weil sie die sakrilegischen Anschläge Luzifers voraussah, so suchte sie mit besonderer Sorgfalt ihre Macht als Königin anzuwenden und zu verhindern, dass gegen die Person Jesu Christi irgend eine ungeziemende Handlung vorgenommen werde, wie sie der Teufel mittels der Rohheit jener unglücklichen Menschen beabsichtigte. Freilich waren alle Handlungen insgesamt ganz und gar unwürdig und voll Unehrerbietigkeit gegen die göttliche Person unseres Erlösers. Allein es konnten doch einige weniger anständig sein, und gerade diese suchte der Feind ins Werk zu setzen, um dadurch den Herrn, dessen Sanftmut er durch die übrigen von ihm angewendeten Mittel nicht zu stören vermochte, zum Unwillen zu reizen. Die Werke aber, welche die große Herrin bei dieser Gelegenheit und überhaupt im ganzen Verlauf des Leidens vollbrachte, waren so vortrefflich, wunderbar, heroisch und außergewöhnlich, dass man dieselben nicht in gebührender Weise zu beschreiben und zu loben vermöchte, auch wenn man über diese eine Sache viele Bücher abfassen würde. Und es ist notwendig, auf die Anschauung Gottes zu verweisen, weil es unmöglich ist, dieses im gegenwärtigen Leben auszusprechen.
1289. Jene Diener der Sünde traten nun unter Gotteslästerungen in den Kerker ein und eröffneten so das Fest, das sie sich von der beabsichtigten Verspottung und Verhöhnung des Herrn der Geschöpfe versprachen. In seine Nähe gekommen, begannen sie Ihn verächtlich anzuspeien und Ihm mit unglaublichem Hohn und Wut Faustschläge zu versetzen. Der liebe Heiland sprach nichts, öffnete den Mund nicht und erhob auch seine göttlichen Augen nicht, sondern bewahrte allezeit eine demütige Ruhe in seinem Gesicht. Die ruchlosen Schergen hätten Ihn gerne zum Sprechen oder zur Vornahme einer lächerlichen oder außergewöhnlichen Handlung gebracht, um dadurch noch besser Gelegenheit zu bekommen, Ihn als Zauberer zu behandeln und ihren Spott mit Ihm zu treiben. Als sie aber diese unveränderliche Sanftmut sahen, ließen sie sich noch mehr von den Teufeln, die sie umgaben, aufreizen. Sie banden den göttlichen Meister vom Steinblock, an den Er gefesselt war, los und führten Ihn in die Mitte des Gefängnisses, wobei sie seine heiligen Augen mit einem Tuch verbanden. Als der Herr so in ihrer Mitte stand, misshandelten sie Ihn mit Backenstreichen, Stößen auf den Nacken und mit Ohrfeigen, und zwar alle der Reihe nach, und so, dass einer den andern durch größeren Hohn und abscheulichere Lästerungen zu überbieten suchte. Dabei forderten sie Ihn auf, zu weissagen und anzugeben, wer Ihn geschlagen habe. Diese Art von Lästerungen wiederholten die Schergen hier noch häufiger als vor Annas und wenn die heiligen Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas letzteren Fall erwähnen, so schließen sie stillschweigend auch die Lästerungen ein, welche später geschahen (Mt 26, 27; Mk 14, 65; Lk 22, 6).
1290. Unter dieser Flut von Beschimpfungen und Lästerungen verharrte das sanftmütigste Lamm in Stillschweigen. Luzifer aber, der vor Begierde brannte, an dem Herrn eine Regung der Ungeduld wahrzunehmen, geriet in Wut, als er sah, dass Christus die Geduld so vollkommen ruhig bewahrte. In höllischer Verschmitztheit spie er deshalb jenen seinen Sklaven und Freunden den Gedanken ein, dass sie Ihn aller seiner Kleider berauben und mit solchen Reden und Handlungen verunglimpfen sollten, welche nur in der Brust eines so abscheulichen Teufels ersonnen werden konnten. Die Soldaten schenkten dieser Einflüsterung Gehör und gingen daran, dieselbe auch ins Werk zu setzen. Allein unsere weiseste Herrin verhinderte durch ihre Gebete, Tränen und Seufzer sowie durch Anwendung ihrer königlichen Macht dieses fluchwürdige Sakrilegium. Denn sie flehte zum ewigen Vater, Er möge den sekundären Ursachen dieser Handlungen seine Mitwirkung verweigern. Zugleich befahl sie auch den Fähigkeiten der Schergen, die ihnen von Natur zum Wirken verliehenen Kräfte nicht in Anwendung zu bringen. Auf diesen Befehl geschah es, dass keiner jene Hässlichkeit auszuüben vermochte, welche der Teufel und ihre eigene Bosheit ihnen zu diesem Zweck eingegeben hatte. Manche Dinge nämlich waren alsbald ihrem Gedächtnis wieder entfallen, und bei anderen, worauf ihre Wünsche abzielten, mangelten ihnen die Kräfte zur Ausführung, denn ihre Arme blieben wie lahm und steif(Ähnliche Tatsachen berichtet die Kirchengeschichte von den Henkern der Martyrer und den Verfolgern anderer Heiliger. Man lese z.B. die Lektionen der 2. Nokturn vom heiligen Papst Martin (12. November) und vom heiligen Johannes a. S. Facundo (12. Juni). Der Herausgeber)., bis sie von ihrem gottlosen Vorhaben abstanden. Und erst, als sie ihre Gesinnung änderten, kehrten sie in ihren natürlichen Zustand zurück. Dieses Wunder fand nämlich nicht deshalb statt, um sie zu bestrafen, sondern nur, um sie an unanständigen Handlungen zu hindern, oder damit sie zu solchen, welche weniger ungeziemend waren, oder auf andere Arten von Unehrerbietigkeit, welche der Herr zulassen wollte, übergehen möchten.
1291. Desgleichen erteilte die mächtige Königin auch den Teufeln den Befehl zu schweigen und die Schergen nicht weiter zu diesen abscheulichen Schandtaten aufzureizen, welche Luzifer anstiftete und auszuführen wünschte. Auf diesen Befehl wurde der Drache hinsichtlich dessen, worauf der Wille der heiligsten Jungfrau sich erstreckte, gehemmt und konnte die törichte Wut jener boshaften Menschen nicht ferner mehr anfachen. Und diese vermochten nun nichts Unziemliches mehr zu sprechen oder auszuüben, außer in den Stücken, wozu sie Erlaubnis hatten. Erfuhren sie aber auch an sich selber diese ebenso wunderbaren als ungewohnten Wirkungen, so verdienten sie es doch nicht, ihrer Täuschung entrissen zu werden und die göttliche Macht zu erkennen, obwohl sie sich jetzt ganz plötzlich wie gelähmt und dann wieder frei und gesund fühlten. Sie meinten, dies komme daher, weil der Lehrmeister der Wahrheit und des Lebens ein Zauberer und Schwarzkünstler sei. Infolge dieses teuflischen Irrtums fuhren sie fort, die Person Christi mit anderweitigen ungerechten Spöttereien und Qualen zu überhäufen, bis sie gewahrten, dass die Nacht schon weit vorgerückt sei. Nun banden sie Ihn wiederum an den Steinblock, ließen Ihn gefesselt und entfernten sich, was auch die Teufel taten. Es war aber auf Anordnung der göttlichen Weisheit geschehen, dass die Macht der heiligsten Jungfrau damit beauftragt wurde, die Schamhaftigkeit und Wohlanständigkeit ihres heiligsten Sohnes in diesen Umständen zu beschützen, denn es geziemte sich nicht, dass in dieser Beziehung ein Anschlag Luzifers und seiner Diener ausgeführt wurde.
1292. Unser Heiland befand sich nun wieder allein in dem unterirdischen Kerker, jedoch umgeben von den englischen Geistern. Diese waren voll Verwunderung über die Werke und verborgenen Gerichte unseres Herrn bei dem freiwilligen Leiden und brachten Ihm für alles die tiefste Anbetung dar. Sie lobten und priesen Ihn und verherrlichten seinen heiligen Namen. Der Erlöser der Welt verrichtete nun ein langes Gebet zu seinem ewigen Vater und flehte für die künftigen Kinder seiner heiligen Kirche, für die Verbreitung des Glaubens und für die Apostel, besonders für den hl. Petrus, welcher noch seine Sünde beweinte. Ebenso flehte Er auch für jene, von denen Er mit Beleidigungen und Spott überhäuft worden war. Insbesondere aber war seine Bitte auf seine heiligste Mutter sowie auch auf jene gerichtet, welche Ihm nachfolgen und deshalb Verfolgungen und Verachtung von Seiten der Welt erfahren würden. Für alle diese Zwecke opferte Er seine Leiden und seinen bevorstehenden Tod auf. Zur nämlichen Zeit aber begleitete Ihn auch die schmerzhafte Mutter mit einem langen Gebet. Sie verrichtete die nämlichen Fürbitten für die Kinder der Kirche und für seine Feinde, ohne dass sie dabei gegen die letzteren eine Aufregung oder einen Unwillen oder einen Abscheu gefühlt hätte. Bloß gegen den Satan fühlte sie Abscheu, als gegen den, der wegen unverbesserlicher Verhärtung für die Gnade nicht mehr empfänglich ist. Unter Schmerz und Wehklagen redete sie den Herrn an und sprach zu Ihm:
1293. «O du Liebe und Gut meiner Seele, mein Sohn und Herr, du bist würdig, dass alle Kreaturen dir jene Ehre, Verherrlichung und Lobpreisung darbringen, welche alle dir schulden, weil du das Ebenbild des ewigen Vaters, der Abglanz seines Wesens (Hebr 1, 3), unendlich in deiner Wesenheit und deinen Vollkommenheiten und der Anfang und das Endziel aller Heiligkeit bist. Wenn aber die Kreaturen mit Unterwürfigkeit unter deinen Willen dir dienen sollen, warum, o Herr und ewiges Gut, verachten, tadeln, schmähen und martern sie nun deine Person, welcher doch die höchste Huldigung und Anbetung gebührt? Wie kommt es, dass die Bosheit der Menschen sich so sehr erhoben hat? Warum hat der Stolz so weit sich verstiegen, dass er seinen Mund bis zum Himmel erhebt? Warum ist der Neid so mächtig gewesen? Du bist die einzige und hell leuchtende Sonne der Gerechtigkeit, welche Licht gibt und die Finsternis der Sünde zerstreut (Joh 1, 29). Du bist die Quelle der Gnade, die jedem offen steht, der sie sucht. Du bist es, der da aus freigebiger Liebe denjenigen Sein und Bewegung gibt, welche solches in ihrem Leben haben (Apg 17, 28), du bist es, der alle Kreaturen erhält. Alles hängt von dir ab und bedarf deiner, du aber hast nichts nötig. Was nun hat man an deinen Werken gesehen und was an deiner Person gefunden, dass man dieselbe so sehr misshandelt und beschimpft? O fluchwürdige Niederträchtigkeit der Sünde, die du gar so sehr die Schönheit des Himmels zu entstellen und die hellstrahlende Sonne seines ehrwürdigen Angesichtes zu verdunkeln vermocht hast! O blutgieriges Raubtier, das du mit solcher Unmenschlichkeit gerade jenen behandelst, der dich von deinem Verderben erlöst ! Aber ich weiß es, o mein Sohn und Herr, dass du der Schöpfer der wahren Liebe, der Urheber des menschlichen Heiles, der Lehrmeister und Herr der Tugenden bist (Ps 24,10) und an dir selbst die Lehre im Werk ausübst, in der du die demütigen Zöglinge deiner Schule unterweisest. Du erniedrigst den Stolz, beschämst die Anmaßung und bist für alle das Vorbild des ewigen Heiles. Und verlangst du von allen die Nachahmung deiner unaussprechlichen Liebe und Geduld, so steht doch diese Nachfolge vor allen mir zu, die ich dir die Materie gegeben und dich mit dem leidensfähigen Fleisch bekleidet habe, worin du verwundet, angespien und geschlagen wirst. O, dass doch ich allein diese so große Pein leiden dürfte, du aber, mein unschuldigster Sohn, davon befreit wärest ! Ist dies aber nicht möglich, so will ich wenigstens bis zum Tod mit dir leiden. Ihr aber, o himmlische Geister, die ihr die Geduld meines Geliebten anstaunt und seine unwandelbare Gottheit, seine Unschuld und die Würde seiner wahren Menschheit erkennt. O macht doch die von den Menschen ihm zugefügten Kränkungen und Lästerungen wieder gut. Gebt ihm Herrlichkeit, Glorie, Weisheit, Ehre, Kraft und Stärke (Offb 5,12). Ladet die Himmel, die Planeten, die Sterne und die Elemente ein, damit alle Ihn erkennen und bekennen, und seht, ob etwa ein Schmerz gleich sei dem meinigen (Klgl 1,12).» Diese und ähnliche Ansprachen voll des Schmerzes hielt die reinste Herrin und linderte dadurch ein wenig die große Bitterkeit ihrer Qualen und Schmerzen.
1294. Die Geduld der himmlischen Fürstin bei dem Leiden und Tod ihres geliebtesten Sohnes und Herrn war über allen Vergleich erhaben, denn was sie litt, erschien ihr niemals als etwas Großes und die Schwere ihrer Trübsale blieb hinter der Größe ihres Verlangens zurück, dessen Maßstab die Liebe zu ihrem heiligsten Sohn und seine Würde und Qualen bildeten. Auch litt sie bei allen dem Herrn zugefügten Kränkung und Verunglimpfungen niemals etwas aus dem Grund, weil diese auch auf sie zurückfielen, und ebenso wenig betrachtete sie dieselben als gegen sie selbst begangen. Sie erkannte und beweinte vielmehr alle nur insofern, als sie gegen die göttliche Person gerichtet waren und zum Verderben der Übeltäter ausschlugen. Auch bat und flehte sie für alle, damit der Allerhöchste ihnen verzeihe, sie von der Sünde und allem Bösen abwende und sie mit seinem göttlichen Licht erleuchte, auf dass sie der Früchte der Erlösung teilhaftig würden.
LEHRE der allerseligsten Jungfrau und Himmelskönigin Maria
1295. Meine Tochter, wie im Evangelium (Joh 5, 27) geschrieben steht, hat der ewige Vater seinem und meinem Eingebornen die Macht übergeben, am Tage des allgemeinen Gerichtes die Verworfenen zu richten und zu verdammen. Dies war auch ganz geziemend, und zwar nicht bloß deshalb, damit dann alle Gerichteten und Schuldigen sehen, dass der höchste Richter nach dem Willen und der Gerechtigkeit Gottes sie verdamme, sondern auch deshalb, dass sie dann seine heiligste Menschheit schauen und erkennen, in der sie erlöst worden sind, und damit ihnen an derselben die Pein und die Kränkungen offenbar werden, welche Er zu ihrer Befreiung von der Hölle erduldet hat, denn der Herr und Richter selber, der über sie zu Gericht sitzen wird, wird ihnen dieses vorhalten. Weil sie nun aber nichts zu ihrer Entschuldigung oder Verteidigung werden vorzubringen vermögen, so wird auch diese Beschämung der Anfang ihrer ewigen Pein sein, die sie durch ihre hartnäckige Undankbarkeit verdient haben. Denn dann wird die gütigste Barmherzigkeit, womit sie erlöst wurden, in ihrer ganzen Größe offenbar gemacht und dargelegt werden, aber auch der Grund, warum sie aus Gerechtigkeit verdammt werden. Groß waren die Schmerzen und überaus scharf die Pein und Bitterkeit, welche mein heiligster Sohn gerade deshalb litt, weil sich nicht alle Menschen der Früchte der Erlösung teilhaftig machen würden. Und dies war es, was auch mein Herz beim Anblick seiner Martern durchbohrte. Zugleich peinigte mich aber auch dieser Anblick der Leiden, die Er durch Verspeiung, durch Ohrfeigen, Lästerungen und so ruchlose Qualen erdulden musste, wie man sie im gegenwärtigen und sterblichen Leben nicht zu begreifen vermag. Ich erkannte dies auf eine würdige und klare Weise. Und diese Erkenntnis bildete auch den Masstab für meinen Schmerz, sowie sie es auch für die Liebe und Verehrung war, die ich zur Person Christi, meines Herrn und Sohnes, trug. Nächst diesen Qualen waren aber jene die größten, die mir der Gedanke bereitete, dass, obwohl Seine Majestät einen solchen Tod und ein solches Leiden für die Menschen erduldet hat, dennoch so viele im Angesicht dieses unermesslichen Preises verloren gehen würden.
1296. Es ist mein Wille, dass du auch bei diesem Schmerz mich begleitest und nachahmst und dieses beklagenswerte Unglück beweinst, denn es gibt für die Menschen kein anderes Unglück, das mit so bitteren Tränen beweint zu werden verdient und mir solchen Schmerz bereitet wie dieses. Nur wenige sind auf Erden, welche diese Wahrheit gebührend beachten und beherzigen. Aber mein Sohn und ich blicken mit besonderem Wohlgefallen auf jene, welche uns in diesem Schmerz nachahmen und sich über den Untergang so vieler Seelen betrüben. Darum, liebste Tochter, trachte dich in dieser Übung auszuzeichnen und bitte, denn du weißt nicht, wie huldvoll der Allerhöchste diese Bitten aufnimmt. Wohl aber musst du wissen, dass nach seinen Versprechungen dem Bittenden gegeben und dem Anklopfenden die Türe zu seinen unendlichen Schätzen geöffnet wird (Lk 11, 9). Und damit du etwas habest, das du Ihm aufopfern könnest, so schreibe deinem Gedächtnis das ein, was mein heiligster Sohn und dein Bräutigam durch die Hände jener gemeinen und verkommenen Henkersknechte gelitten hat, sowie seine unüberwindliche Geduld und Sanftmut und sein Stillschweigen, womit Er sich ihrem ruchlosen Willen überließ. Handle darum von jetzt an ernstlich nach diesem Vorbild, auf dass weder der Zorn noch eine andere Leidenschaft einer Tochter Adams in dir zur Herrschaft gelange, und damit in deinem Herzen ein wirksamer Abscheu vor der Sünde des Stolzes und vor jeder Verachtung und Beleidigung des Nebenmenschen entstehe. Bitte und flehe zum Herrn um Geduld, Sanftmut, Friedfertigkeit und Liebe zu den Beschwerden und zum Kreuz des Herrn. Umfasse das Kreuz, nimm es mit frommer Gesinnung auf dich und folge Christus deinem Bräutigam nach (Mt 16, 24), damit du zu Ihm gelangest.
ACHTZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Pilatus
Am Freitag in der Frühe versammelt sich der hohe Rat um über unseren Erlöser Jesus Christus Gericht zu halten. Jesus wird zu Pilatus geschickt. Es begegnet Ihm seine heiligste Mutter mit dem heiligen Evangelisten Johannes und den drei Marien.
1297. Am Freitag in der Frühe, als der Morgen anbrach versammelten sich nach dem Berichte (2Mt 27,1; Mk 15,1; Lk 22, 66; Joh 18, 28) der Evangelisten die Ältesten des Volkes nebst den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, welche wegen ihrer Gesetzeskenntnis beim Volk in besonderem Ansehen standen, um durch gemeinsame Beschlussfassung die Sache Christi zu entscheiden und Ihn, wie alle wünschten, zum Tod zu verurteilen, aber unter irgendeinem Vorwand der Gerechtigkeit, um damit das Volk zufrieden zu stellen. Diese Versammlung fand im Haus des Hohenpriesters Kajaphas statt, wo der liebe Heiland gefangen war. Um nun mit Ihm abermals ein Verhör anzustellen, gaben sie Befehl, Ihn aus dem unterirdischen Kerker in den Ratsaal heraufzuführen. Die Diener des Gerichtshofes gingen alsbald hinab, um Jesus gefesselt heraufzuschleppen. Als sie Ihn nun von dem oben erwähnten Felsblock loszumachen begannen, sprachen sie unter großem Gelächter höhnend zu Ihm: «Nun, Jesus von Nazareth, wie wenig haben deine Wunder deiner Verteidigung geholfen ! Sollten denn jetzt zu deiner Befreiung jene Künste nicht taugen, von denen du rühmtest, dass du damit in drei Tagen den Tempel wieder aufbauen würdest ? Doch jetzt wirst du deine Torheit büßen müssen und deine hohen Gedanken werden herabgestimmt werden. Komm, komm, die Hohenpriester und Schriftgelehrten erwarten Dich, um deinen Betrügereien ein Ende zu machen und dich dem Pilatus zu überliefern, der mit dir kurzen Prozess machen wird.» Als der Herr vom Block losgebunden war, führten sie Ihn vor die Ratsversammlung, ohne dass Er auch nur den Mund geöffnet hätte. Aber infolge der Misshandlungen, Schläge und Verspeiungen, wovon Er sich, weil seine Hände gebunden waren, nicht zu reinigen vermochte, war Er dermaßen entstellt und schwach, dass Er den Mitgliedern der Ratsversammlung Entsetzen, jedoch kein Mitleiden einflößte. So groß war die Wut, welche sie gegen den Herrn gefasst hatten.
1298. Sie forderten Ihn nun abermals auf, ihnen zu sagen, ob Er Christus, d.h. der Gesalbte, sei. Diese zweite Aufforderung stellten sie, wie auch sonst in boshafter Absicht nämlich nicht um die Wahrheit zu hören und anzunehmen, sondern um über dieselbe zu lästern und daraus einen Grund zur Anklage zu entnehmen. Der Herr jedoch, der für die Wahrheit sogar zu sterben verlangte, wollte dieselbe nicht leugnen, aber ebenso wenig unter Umständen bekennen, wo jene sie verachten und zur Verleumdung irgend einen Scheingrund finden könnten, denn auch dies ließ sich mit seiner Unschuld und Weisheit nicht vereinigen. Darum richtete Er seine Antwort so ein, dass die Pharisäer bei einiger Gottesfurcht Gelegenheit hatten, mit einem aufrichtigen Streben das verborgene Geheimnis aus seinen Reden herauszufinden, und dass, wenn ihnen alle Gottesfurcht mangelte, klar zutage treten musste, wie die Schuld nur an ihrer bösen Absicht liege, nicht aber an der Antwort des Heilandes. Er antwortete ihnen also und sprach: «Wenn ich euch sage, dass ich der bin, nach dem ihr fragt, so glaubt ihr meinen Worten nicht. Und würde ich euch um etwas fragen, so würdet ihr mir ebenso wenig Antwort geben, noch auch mich freilassen. Ich sage euch aber, dass der Menschensohn von nun an zur Rechten der Kraft Gottes sitzen wird (Lk 22, 67 ff).» Die Hohenpriester erwiderten: «Also bist du der Sohn Gottes?» Der Herr antwortete: «Ihr sagt es, dass ich es bin (Lk 22, 70),» Dies hieß ebenso viel, wie wenn Er gesagt hätte: ganz richtig ist die von euch gemachte Folgerung, dass ich der Sohn Gottes bin, denn meine Werke, meine Lehre und eure Schriften und alles, was ihr jetzt mit mir beginnt, gibt Zeugnis, dass ich Christus, der im Gesetz Verheißene bin.
1299. Da aber diese Versammlung von Bösewichten zur Anerkennung der göttlichen Wahrheit unfähig war, obwohl sie seIber durch richtige Schlussfolgerungen dieselbe ableiteten und ihr Glauben schenken konnten, so haben sie doch dieselbe weder verstanden noch geglaubt, vielmehr sie als eine des Todes würdige Gotteslästerung bezeichnet. Und als sie sahen, dass der Herr sein früheres Bekenntnis bestätigte, entgegneten alle: «Wozu brauchen wir noch Zeugen, da Er selber mit eigenem Munde es bekannt hat (Lk 22, 71).» Und sofort beschlossen sie einstimmig, dass Er als des Todes würdig fortgeführt und dem Pontius Pilatus vorgestellt werde, welcher im Namen des römischen Kaisers als des weltlichen Herrn von Palästina, die Provinz Judäa regierte. Nach den Gesetzen des römischen Reiches waren nämlich die Blut- oder Todesurteile dem Senat oder Kaiser oder seinen Beamten vorbehalten, welche in den entfernteren Provinzen die Herrschaft führten. Den Eingeborenen aber waren sie entzogen. Denn Angelegenheiten von solcher Wichtigkeit, wie die Verurteilung zum Tod, forderten, dass eine sorgfältigere Untersuchung stattfinde und kein Schuldiger verurteilt werde, ohne dass er verhört und ihm Zeit und Gelegenheit zu seiner Verteidigung und Rechtfertigung gegeben würde. Hinsichtlich dieser Ordnung bei der Rechtspflege richteten sich nämlich die Römer mehr als andere Nationen nach dem natürlichen Gesetz der Vernunft. In Betreff der Angelegenheit Jesu Christi, unseres höchsten Gutes, war es nun den Hohenpriestern und Schriftgelehrten ganz erwünscht, dass das Todesurteil, dem sie Ihn zu überliefern suchten, durch Pilatus, einen Heiden, ausgesprochen werde. Sie wollten dadurch das Volk mit dem Vorgeben zufrieden stellen, der römische Landpfleger habe Ihn verurteilt und dieser würde es wohl nicht getan haben, falls jener nicht den Tod verdient hätte. So sehr hatte sie ihre Sünde und Heuchelei verblendet, als ob nicht sie die Urheber dieser Ruchlosigkeit und eines größeren Sakrilegiums schuldig gewesen wären als der heidnische Richter. Aber auch der Herr ordnete es so an, damit ihre Ruchlosigkeit gerade durch ihr Verhandeln mit Pilatus allen offenbar würde, wie sich dies uns bald zeigen wird.
1300. Die Schergen führten nun unseren Erlöser Jesus Christus aus dem Hause des Kajaphas in das des Pilatus und stellten Ihn, als einen des Todes würdigen Verbrecher mit Ketten und Stricken gebunden, wie sie Ihn ergriffen hatten, dem Pilatus vor. Die Stadt Jerusalem wimmelte damals von Leuten aus ganz Palästina, welche zur großen Feier des Osterlammes und der ungesäuerten Brote zusammengekommen waren. Und infolge des bereits unter dem Volk verbreiteten Gerüchtes und der Kenntnis, welche alle vom Lehrmeister des Lebens besaßen, strömte eine unzählbare Menge zusammen, um Ihn gefangen durch die Straßen führen zu sehen. Das Volk aber war in seinen Ansichten über Jesus geteilt. Die einen schrien mit lauter Stimme: Tod, Tod diesem bösen Menschen und Betrüger, der die Welt zum besten hielt ! Andere dagegen sagten, es scheine ihnen weder seine Lehre noch sein Wandel so schlecht zu sein. Er habe ja allen viel Gutes getan. Wieder andere, die an Ihn geglaubt hatten, waren bestürzt und brachen in Wehklagen aus. Kurz, die ganze Stadt war in Verwirrung und Aufregung,
Luzifer war mit seinen höllischen Geistern auf alle diese Vorgänge sehr aufmerksam, und da er trotz seiner unersättlichen Wut sich im geheimen durch die unüberwindliche Geduld und Sanftmut unseres Herrn überwunden und gepeinigt sah, so brachte ihn eben sein Stolz und seine Raserei in Verwirrung, da ihm der Verdacht kam, jene Tugenden, welche ihm so arge Pein verursachten, könnten nicht von einem reinen Menschen kommen. Andererseits aber hegte er die Ansicht, es sei mit der Würde eines wahren Gottes unvereinbar, dass er sich bis auf das äußerste misshandeln und verachten lasse und am Körper ganz schwach und fast ohnmächtig sei. Denn, meinte der Drache, wäre Er Gott, so würde seine göttliche Kraft und Natur auf die mit ihr verbundene menschliche Natur kräftig gewirkt und verhindert haben, dass sie von Kräften komme oder anderes, was ihr widerfuhr, zu erdulden hätte. So urteilte Luzifer, weil er eben von dem göttlichen Geheimnis nichts wusste, wonach Christus, um das Äußerste zu leiden, jene Wirkungen aufhob, welche von der Gottheit auf die menschliche Natur hätten übergehen können, wie ich schon früher gesagt habe (Nr. 1209). Diese Zweifel steigerten noch die Wut des hochmütigen Drachen in der Verfolgung des Herrn, da er erfahren wollte, wer jener sei, welcher auf solche Weise die Pein ertrage.
1301. Die Sonne war bereits aufgegangen, als dieses vor sich ging. Zur gleichen Zeit fasste die schmerzhafte Mutter, welche alles schaute, den Entschluss, ihre Einsamkeit zu verlassen und ihrem heiligsten Sohn in das Haus des Kajaphas zu folgen und Ihn bis zum Kreuz zu begleiten. Als nun die große Königin und Herrin aus dem Speisesaal trat, kam der hl. Johannes, um ihr über alles Vorgefallene zu berichten. Damals wusste nämlich der Lieblingsjünger noch nichts von der Erkenntnis und Vision, welche die allerseligste Jungfrau über alle ihren liebevollsten Sohn betreffenden Werke und Vorkommnisse empfangen hatte. Nach der Verleugnung des hl. Petrus hatte sich der hl. Johannes zurückgezogen, um mehr von der Ferne die Vorgänge zu beobachten. Weil er aber auch seine durch die Flucht im Garten begangene Schuld erkannte, so begrüßte er bei seinem Erscheinen die Königin unter Tränen als die Mutter Gottes und bat sie um Verzeihung. Sodann gab er ihr Rechenschaft über alle Vorgänge in seinem Herzen sowie über alles, was er getan und gesehen hatte, während er seinem göttlichen Meister folgte. Der hl. Johannes erachtete es für gut, die betrübteste Mutter vorzubereiten, damit sie, wenn sie ihres heiligsten Sohnes ansichtig würde, von diesem grausamen Schaupsiel nicht gar zu stark ergriffen werde. Und um ihr davon jetzt schon eine Vorstellung zu geben, sprach er zu ihr: «O meine Herrin, in welch kläglichem Zustand ist doch unser göttlicher Meister ! Es ist unmöglich, Ihn anzublicken, ohne dass dem, der Ihn ansieht, das Herz bricht. Denn sein allerschönstes Gesicht ist durch die Faustschläge, Stöße und die Verspeiung so beschmutzt und entstellt, dass du Ihn, wenn du Ihn siehst, kaum mehr erkennen wirst!» Die weiseste Mutter hörte diesen Bericht mit solcher Aufmerksamkeit an, als ob sie vom Vorgefallenen gar nichts gewusst hätte. Dann aber zerfloss sie in Tränen und wurde von Bitterkeit und Schmerz bis ins Mark hinein erschüttert. Auch die heiligen Frauen, welche die große Herrin begleiteten, wurden bei dieser Kunde vom heftigsten Schmerz und Schrecken ergriffen. Sofort trug die Himmelskönigin dem Apostel Johannes auf, dass er sie und die frommen Frauen begleite, wobei sie diese mit den Worten anredete: «Beschleunigen wir unsere Schritte, damit meine Augen den Sohn des ewigen Vaters schauen, der in meinem Schoß die menschliche Natur angenommen hat. Und ihr, liebe Schwestern, werdet sehen, wozu die Liebe zu den Menschen meinen Herrn und Gott vermocht hat und was es Ihn kostet, sie von der Sünde und vom Tod zu erlösen und ihnen die Pforten des Himmels zu eröffnen.»
1302. Es wandelte also die Himmelskönigin durch die Straßen Jerusalems, begleitet von dem hl. Johannes und den heiligen Frauen, von denen ihr jedoch nur die drei Marien und einige durch große Frömmigkeit ausgezeichnete immer zur Seite standen, wie auch von ihren Schutzengeln, welche sie bat, dahin zu wirken, dass die Volksmenge sie nicht hindere, an den Ort zu gelangen, wo ihr heiligster Sohn sich befand. Die heiligen Engel vollzogen ihren Befehl und umgaben sie mit ihrem Schutz. Auf den Straßen, durch die sie ging, hörte sie allerlei Reden und Urteile über das so beklagenswerte Ereignis. Denn dieses bildete den Gegenstand der Gespräche und einer erzählte dem andern, was sich mit Jesus von Nazareth Neues ereignet habe. Die Frömmsten wehklagten. Dies waren aber die wenigsten. Andere sagten, dass man Ihn ans Kreuz schlagen wolle. Wieder andere berichteten, wo Er gehe und dass man Ihn gleich einem Verbrecher gebunden einherführe. Diese sprachen von seiner Misshandlung und jene fragten, welche Verbrechen Er begangen habe, dass über Ihn eine so grausame Strafe verhängt werde. Endlich riefen viele mit Verwunderung in ihrem schwachen Glauben aus: «Ein solches Ende nehmen also seine Wunder? Ohne Zweifel waren alle nur Lug und Trug, weil Er sich nicht zu verteidigen und zu befreien wusste.» Und so widerhallten alle Straßen und Plätze von Disputationen und Lästerungen. Aber mitten in dieser Verwirrung der Menschen bewahrte die unüberwindliche Königin, obwohl sie mit unbeschreiblichen Schmerzen erfüllt war, ihre Festigkeit und ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern flehte für die Ungläubigen und Übeltäter geradeso, wie wenn ihr keine andere Sorge obgelegen hätte, als diesen Gnade und Vergebung ihrer Sünden zu erwerben. Und sie liebte dieselben mit einem so herzlichen Wohlwollen, als ob sie von ihnen nur Gnaden und Wohltaten empfangen hätte. Sie kannte keine Erbitterung, keinen Zorn gegen die gottlosen Schergen und Urheber des Leidens und des Todes ihres liebreichsten Sohnes und gab auch kein Zeichen von Unwillen. Auf alle blickte sie mit Liebe und erwies ihnen Gutes.
1303. Einige von denen, welche ihr auf den Straßen begegneten, erkannten sie als die Mutter Jesu des Nazareners und sprachen, von natürlichem Mitleiden gerührt, zu ihr: «O betrübte Mutter! Welch ein Unglück hat dich getroffen ! Wie betrübt, wie verwundet muss dein Herz sein !» Andere dagegen sagten zu ihr mit Unbarmherzigkeit: «Wie schlecht hast du deinen Sohn aufgezogen ! Warum hast du erlaubt, dass Er so große Neuerungen beim Volk einführte? Es wäre besser gewesen, du hättest Ihn zu Hause und von der Welt zurückgehalten. Aber es wird anderen Müttern zur Warnung dienen und sie werden aus deinem Unglück lernen, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben.» Die unschuldigste Taube hörte diese und andere noch schrecklichere Reden an und nahm alle in ihrer brennenden Liebe auf die denselben gebührende Weise auf, d.h. sie hatte Wohlgefallen am Mitleiden der Frauen, ertrug aber auch in Geduld die Gottlosigkeit der Ungläubigen, indem sie über die Undankbaren und Unwissenden nicht erstaunte und für die einen wie für die andern je nach ihrem Bedürfnisse zum Allerhöchsten flehte.
1304. Die heiligen Engel führten die Königin des Himmels mitten durch diese bunte Menge von Leuten an die Krümmung einer Straße, wo sie ihrem heiligsten Sohn begegnete, sich mit tiefer Ehrfurcht vor seiner königlichen Person niederwarf und Ihn mit einer höheren und feurigeren Verehrung anbetete, als Ihm sämtliche Kreaturen jemals erwiesen haben oder noch erweisen werden. Hierauf erhob sie sich, und nun blickten sich beide, Sohn und Mutter, mit unvergleichlicher Zärtlichkeit an, wobei sie mit ihren von unaussprechlichem Schmerz durchbohrten Herzen miteinander sprachen. Sodann zog sich die weiseste Herrin ein wenig zurück und folgte unserm Herrn nach. Dabei sprach sie im Innern der Seele mit dem göttlichen Heiland und ebenso auch mit dem ewigen Vater in Worten, wie solche über keine menschliche und verwesliche Zunge kommen. «O allerhöchster Gott», sprach die betrübte Mutter. «O mein Sohn, ich kenne das flammende Feuer deiner Liebe gegen die Menschen, welche dich bewegt, die unendliche Macht deiner Gottheit unter der Gestalt des leidensfähigen Fleisches (Phil 2, 7), das du aus meinem Schoß angenommen hast, zu verbergen. Ich preise deine unbegreifliche Weisheit, mit der du solche Uanannehmlichkeiten und Pein auf dich nimmst und dich selbst dahingibst, dich, der du der Herr der ganzen Schöpfung bist, um dadurch den Menschen zu erlösen, der nur ein Sklave und Staub und Asche ist (Gen 3, 19). Würdig bist du, dass alle Kreaturen dich loben, preisen und bekennen und deine unermessliche Güte verherrlichen. Wie aber sollte ich, die ich deine Mutter bin, von dem Verlangen abstehen, dass die gegen dich gerichteten Kränkungen mich allein treffen, nicht aber deine göttliche Person, der du die Schönheit der Engel und der Abglanz der Herrlichkeit deines ewigen Vaters bist? Wie sollte ich nicht verlangen, dir in so großer Pein Erleichterung zu verschaffen? Wie sollte mein Herz es aushalten können, wenn es sieht, wie du so betrübt bist und dein schönstes Antlitz so entstellt ist und der Schöpfer und Erlöser allein bei so bitteren Leiden kein Mitleiden, kein Erbarmen findet? Ist es mir aber nicht vergönnt, dass ich als Mutter dir Erleichterung verschaffe, so nimm als Sohn und heiliger und wahrer Gott wenigstens meinen Schmerz und das Opfer an, dass mir dieses zu vollbringen nicht erlaubt ist.»
1305. In der Seele unserer Hlmmelskönigin blieb das Bild ihres heiligsten, jetzt so misshandelten, entstellten, gefesselten und gefangenen Sohnes so fest und tief eingeprägt, dass die Vorstellungen davon während ihres ganzen übrigen Lebens allzeit ihrem Gedächtnisse vorschwebten und zwar so lebhaft, wie wenn sie dieselben wirklich vor Augen hätte.
Endlich kam unser allerheiligster Erlöser im Haus des Pilatus an, wohin Ihm viele von den jüdischen Ratsherren und eine unabsehbare Menge nachzogen. Als die Juden Ihn dem Richter vorstellten, blieben sie mit erheuchelter Gewissenhaftigkeit außerhalb dem Gerichtshaus, um nicht gesetzlich verunreinigt und so an der Feier des Osterfestes und der Zeremonie der ungesäuerten Brote gehindert zu werden, denn dabei mussten sie von allen gegen das Gesetz begangenen Verunreinigungen frei sein (Joh 18, 28). Aber in ihrer Heuchelei ganz und gar töricht geworden, achteten sie nicht auf den unreinen Gottesraub, welcher ihre mit dem Mord des Unschuldigen belasteten Seelen befleckte. Obwohl Heide, bequemte sich Pilatus der Zeremonie der Juden an, als er darum sah, dass sie in das Gerichtshaus einzutreten Bedenken trugen, ging er hinaus und stellte nach dem Gebrauch der Römer bei Gericht die Frage an sie: «Welche Klage habt ihr gegen diesen Menschen vorzubringen (Joh 18, 29) ?» Die Juden antworteten: «Wäre dieser kein Übeltäter, so hätten wir Ihn nicht so gebunden und gefesselt, wie wir Ihn dir überliefern, hieher geführt (Joh 18, 30).» Damit wollten sie sagen: wir haben seine Verbrechen untersucht und halten so sehr an der Gerechtigkeit und unserer Pflicht, dass wir, wenn Er nicht ein großer Verbrecher wäre, gegen Ihn den Prozess gar nicht begonnen hätten. Gleichwohl erwiderte ihnen Pilatus: «Aber welche Verbrechen hat Er denn begangen?» Er ist überführt. entgegneten die Juden, dass Er das Land in Unruhe bringt, sich zu unserem König machen will und dem Kaiser die Steuern zu bezahlen verbietet. Er gibt sich für den Sohn Gottes aus und hat eine neue Lehre verkündet, zuerst in Galiläa und dann in ganz Judäa bis nach Jerusalem (Lk 23, 5). «Dann nehmt ihr Ihn selber», sprach Pilatus, «und richtet Ihn nach euren Gesetzen, denn ich finde keine gerechte Ursache, um Ihn zu verurteilen.» Hierauf entgegneten die Juden: «Uns ist es nicht erlaubt, jemand zum Tod zu verurteilen oder hinzurichten (Joh 18, 31).»
1306. Bei allen diesen und anderen Fragen und Antworten war die heiligste Jungfrau mit dem hl. Johannes und den Frauen, welche ihr gefolgt waren, gegenwärtig, denn die heiligen Engel führten sie an einen Ort, wo sie alles sehen und hören konnte. Mit ihrem Schleier bedeckt, weinte sie wegen der Heftigkeit des Schmerzes, der ihr jungfräuliches Herz durchschnitt, Blut statt der Tränen. Und bei ihren Tugendakten war sie ein überaus reiner Spiegel, in welchem sich die heiligste Seele ihres Sohnes spiegelte, während sie seine Schmerzen und Pein an ihrem Leib mitempfand. Sie flehte zum ewigen Vater um die Gnade, dass sie ihren Sohn, soweit dies nach der gewöhnlichen Ordnung möglich wäre, bis zum Tod nicht aus dem Gesichte verliere. Das wurde ihr auch zuteil, solange der Herr nicht im Gefängnis war. Da aber die weiseste Herrin wohl erkannte, wie notwendig es sei, dass die Unschuld unseres Erlösers Jesu Christi gegenüber den falschen Anschuldigungen und Verleumdungen von Seiten der Juden anerkannt werde und dass diese Ihn unschuldig zum Tod verurteilten, so flehte sie in eifrigem Gebet, der Richter möge sich nicht täuschen lassen und eine wahre Erleuchtung darüber empfangen, dass Christus ihm durch den Neid der Priester und Schriftgelehrten überliefert sei. In Kraft dieses Gebetes U. L Frau erlangte Pilatus eine klare Erkenntnis der Wahrheit und kam zur Einsicht, dass Christus unschuldig und nur aus Neid ihm überliefert sei, wie dies der hl. Matthäus sagt (Mt 27,18). Und aus diesem Grund erklärte sich auch der Herr ihm gegenüber etwas deutlicher. Pilatus jedoch kam der erkannten Wahrheit nicht nach und darum diente sie ihm nicht zum Heil, wohl aber uns. Auch wurde dadurch die Treulosigkeit der Priester und Pharisäer enthüllt.
1307. Der Hass der Juden wünschte den Pilatus ganz geneigt zu finden, ohne Verzug das Todesurteil über Jesus auszusprechen. Als sie aber bemerkten, dass er damit so lange zögere, begannen sie ein ungestümes Schreien und Lärmen, indem sie den Heiland anklagten und wiederholt riefen. Er wolle zur Herrschaft über Judäa gelangen, Er betrüge in dieser Absicht das Volk, wiegle es auf und nenne sich Christus. d.h, gesalbter König (Lk 23, 5). Diese boshafte Anklage trugen sie dem Pilatus vor, damit er sich hauptsächlich vom Eifer für die zeitliche Herrschaft leiten lasse, deren Aufrechthaltung unter der römischen Oberherrschaft ihm oblag. Und weil bei den Juden die Könige gesalbt wurden, so machten sie eben deshalb die Bemerkung. Jesus nenne sich Christus, d.h. einen zum König Gesalbten. Daraus sollte Pilatus, der zur Zahl der Heiden gehörte, deren Könige nicht gesalbt wurden, erkennen, dass sich Christus nennen ebenso viel heiße, als sich den gesalbten König der Juden nennen. Pilatus nun fragte den Herrn: «Was antwortest du auf die Klagen, welche sie wider dich vorbringen (Mk 15, 4) ?» Der Heiland erwiderte kein Wort in Gegenwart der Ankläger. Pilatus aber ward beim Anblick eines solchen Stillschweigens und solcher Geduld verwundert. Weil nun der Richter noch weiter zu untersuchen wünschte, ob Er wahrhaft ein König sei, so zog er sich mit dem Herrn in das Gerichtshaus zurück, indem er sich so von dem Geschrei der Juden entfernte. Hier nun stellte Pilatus unter vier Augen die Frage an ihn: «Sage mir, bist du König der Juden (Joh 18, 33) ?» Pilatus konnte nämlich nicht glauben, dass Christus wirklich König sei. Er wusste ja wohl, dass er nicht regiere. Und so fragte er ihn nur, um zu erfahren, ob er etwa ein Recht auf den Königsthron und auf ein Reich habe. Unser Heiland aber gab ihm zur Antwort: «Fragst du dies etwa aus dir selber, oder haben dir andere dies von mir gesagt (Joh 18, 34) ?» Pilatus erwiderte: «Bin ich denn ein Jude, dass ich dies wissen könnte? Dein Volk und deine Priester haben dich meinem Richterstuhl überliefert. Sage mir: was hast du getan und was ist an der Sache?» Hierauf gab der Herr zur Antwort: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Denn wäre es von dieser Welt, so würden wohl meine Untertanen streiten, dass ich den Juden nicht überliefert werde. Nun aber ist mein Reich nicht von hier (Joh 18, 36).» Der Richter schenkte dieser Antwort des Herrn teilweise Glauben und sprach darum zu Ihm: «Also bist du ein König, weil du ein Königreich besitzest?» Christus leugnete dies nicht, sondern fuhr fort und sprach: «Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Und wer immer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme (Joh 18, 37).» Über diese Antwort des Herrn verwundert, stellte Pilatus die weitere Frage: «Was ist Wahrheit (Joh 18, 38) ?» Ohne indes eine weitere Antwort abzuwarten, ging er wieder aus dem Gerichtshaus hinaus und sprach zu den Juden: «Ich finde keine Schuld an diesem Menschen, um Ihn zu verurteilen. Wie ihr aber wisset, ist es bei euch Gewohnheit, dass ich euch am Osterfest einen Gefangenen freilasse. Sagt mir nun, ob ich euch Jesus oder Barabbas (Joh 18, 39) losgeben soll.» Letzterer war ein Räuber und Mörder, welchen man in jener Zeit im Gefängnis hielt, weil er einen andern bei einem Aufruhr ermordet hatte. Da erhoben alle ihre Stimme und schrien: «Den Barabbas lass uns frei. Jesus aber lass ans Kreuz schlagen (Joh 18, 40).» Und auf dieser Forderung bestanden sie, bis ihr Begehren erfüllt wurde.
1308. Pilatus geriet teils wegen der Antworten unseres Erlösers Jesu Christi, teils wegen der Hartnäckigkeit der Juden in große Verlegenheit. Denn auf der einen Seite wollte er die Sache mit den Juden nicht verderben. Dies war aber schwierig für ihn, da er sie auf den Tod des Herrn so versessen sah. Auf der andern Seite erkannte er klar, dass sie den Herrn nur aus tödlichem Hass verfolgten und dass die Anschuldigungen wegen Aufhetzung des Volkes falsch und lächerlich seien. Hinsichtlich der weiteren Anschuldigung, dass Er sich für einen König ausgebe, war er durch die Antwort Christi sowie durch den Anblick seiner so großen Armut, Demut und geduldigem Ertragen der gegen Ihn erhobenen Verleumdungen befriedigt worden. Zudem erkannte er durch die ihm mitgeteilten Erleuchtungen und Gnadenhilfen die vollkommene Unschuld des Herrn. Jedoch blieb ihm die Hauptsache, nämlich das Geheimnis und die Würde der Person, allzeit unbekannt. Wohl hatte die Kraft der lebendigen Worte Christi dem Pilatus eine hohe Vorstellung vom Heiland beigebracht und ihn auf den Gedanken geführt, dass es sich bei Jesus um irgend ein besonderes Geheimnis handle, wohl wünschte er, Ihn freizulassen, und sandte Ihn darum, wie ich im folgenden Hauptstück erzählen werde, zu Herodes. Allein diese Gnadenhilfen hatten bei Pilatus keinen tatsächlichen Erfolg, weil seine Sünde ihn dessen unwürdig machte und er zeitliche Absichten im Auge hatte. Von diesen, nicht aber von der Gerechtigkeit, ließ er sich leiten. Er achtete, wie ich oben schon sagte (Nr. 1134), mehr auf die Einflüsterungen Luzifers als auf die klar erkannte Wahrheit. Und nachdem er diese eingesehen hatte, so handelte er als schlechter Richter, indem er die Angelegenheit des Unschuldigen noch länger mit jenen verhandelte, welche dessen erklärte Feinde waren und Ihn fälschlich anklagten. Noch größer wurde aber seine Schuld deshalb, weil er gegen die Stimme des Gewissens handelte, indem er Ihn zum Tod verurteilte und, wie wir sehen werden, zuvor noch auf das unmenschlichste geißeln ließ und zwar aus keinem anderen Grund, als um die Juden zufrieden zustellen.
1309. War nun aber auch Pilatus um dieser und anderer Gründe willen ein ganz gottloser und ungerechter Richter, eben weil er Christus verurteilte, den er freilich nur für einen bloßen Menschen, jedoch für unschuldig und rechtschaffen hielt, so war doch seine Schuld nicht so groß wie die der Priester und Pharisäer. Und das nicht bloß aus dem Grunde, weil diese aus Neid, Grausamkeit und andern fluchwürdigen Beweggründen handelten, sondern auch deshalb, weil es für sie schon eine große Sünde war, dass sie Christus nicht als den wahren Messias und Erlöser, als Gott und Menschen anerkannten, der im Gesetz, zu dem die Juden sich bekannten, verheißen war. Und zu ihrer eigenen Verdammnis ließ es der Herr geschehen, dass sie, als sie ihre Anklage gegen unsern Erlöser erhoben, Ihn «Christus» und den «gesalbten König» nannten und so mit ihren eigenen Worten die Wahrheit bekannten, welche sie leugneten und verwarfen. Sie hätten glauben sollen, was sie sagten. d.h. sie hätten für wahr halten sollen, dass unser Herr Jesus Christus wahrhaft gesalbt war, nicht mit der vorbildlichen Salbung der Könige und Priester des Alten Bundes, sondern mit der von David erwähnten Salbung (Ps 45, 8), welche von allen andern verschieden ist. Es war die Salbung der mit der menschlichen Natur vereinigten Gottheit, eine Salbung, welche diese menschliche Natur so sehr erhöhte, dass der Gesalbte (Christus) wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist, eine Salbung, welche seine allerheiligste Seele mit den Gaben der Gnade und Glorie in einer Weise bereicherte, wie es ihrer persönlichen Vereinigung mit der Gottheit entsprach. Diese ganze geheimnisvolle Wahrheit war in der Anklage der Juden ausgesprochen, obwohl diese in ihrer Treulosigkeit dieselbe in Abrede stellten und in ihrem Neid sie falsch deuteten, indem sie dem Herrn vorwarfen, Er wolle sich zum König machen und sei doch kein König. Allein gerade das Gegenteil war der Fall. Er wollte sich nicht als König zeigen und von der königlichen Gewalt in zeitlichen Dingen keinen Gebrauch machen, wiewohl Er in der Tat der Herr über alle war. Er war nicht in die Welt gekommen, um den Menschen zu befehlen, sondern um zu gehorchen (Mt 20, 28). Und noch größer war die Verblendung der Juden, weil sie im Messias einen irdischen König erwarteten und dessen ungeachtet gegen Christus die Verleumdung erhoben, dass Er ein solcher sei. Sie wollten eben, wie es scheint, als Messias nur einen König mit so großer Macht, dass Ihm niemand widerstehen könne. Und auch dann hätten sie Ihn nur der Gewalt wegen angenommen, nicht aber mit der frommen Geneigtheit des Willens, wie der Herr sie verlangte.
1310. Unsere große Königin und Herrin besaß den tiefsten Einblick in die Größe dieser verborgenen Geheimnisse und erwog sie mit der Weisheit ihres keuschesten Herzens, wobei sie heroische Akte sämtlicher Tugenden erweckte. Und während die übrigen in Sünden empfangenen und von Sünden befleckten Kinder Adams in dem Grad, als die Trübsale und Schmerzen sich mehren, auch mehr in Verwirrung und Niedergeschlagenheit zu geraten pflegen, weil alsdann der Zorn und andere Leidenschaften erwachen, so fand bei der heiligsten Jungfrau gerade das Gegenteil statt. Bei ihr konnte ja weder die Sünde, noch deren Folgen, noch die Natur soviel wirken wie ihre ausgezeichnete Gnade. Die großen Verfolgungen und die vielen Wasser der Schmerzen und Trübsale löschten das Feuer ihres von göttlicher Liebe flammenden Herzens nicht aus (Hld 8, 7). Im Gegenteil, sie bildeten gleichsam neue Nahrung für dasselbe und entflammten diese himmlische Seele noch mehr mit Liebe, um für die Sünder zu flehen, da die Not am größten war. d.h. da die Bosheit der Menschen ihren Gipfelpunkt erreicht hatte. O du Königin der Tugenden. O du Herrin der Kreaturen und süßeste Mutter der Barmherzigkeit ! Wie hart, wie träge, wie unempfindlich ist doch mein Herz, weil der Schmerz über das, was mein Verstand von deiner Pein und von denen deines einzigen und liebreichsten Sohnes erkennt, dasselbe noch nicht spaltet und bricht ! Wenn ich beim Anblick alles dessen, was ich erkenne, noch lebe, so ist das Grund genug für mich, bis zum Tod mich zu demütigen. Es ist ja ein Vergehen gegen die Liebe und die Pietät, wenn man einen Unschuldigen Qualen erdulden sieht und ihn um Geschenke bittet, aber an seiner Pein keinen Anteil haben will. Wie können wir Kreaturen die Stirn haben, zu behaupten, wir besäßen Liebe zu Gott, unserem Erlöser, und zu dir, seiner Mutter und meiner Königin, wenn wir uns am Kelch der Freuden Babylons ergötzen, während ihr beide miteinander den bittersten Kelch so herber Schmerzen und Leiden trinkt. O dass ich doch diese Wahrheit erkennen möchte ! O möchte ich sie empfinden und durchdringen ! Möchte aber auch sie mein Innerstes durchdringen, da ich meinen Herrn und seine schmerzhafte Mutter so unmenschliche Qualen erdulden sehe ! Wie sollte ich je denken können, dass mir ein Unrecht geschehe, wenn man mich verfolgt, dass mir eine üble Behandlung zugefügt werde, wenn man mich verachtet und dass ich beleidigt werde, wenn man mich verabscheut ? Wie sollte ich je mich beklagen, wenn ich etwas leide und wäre es auch Tadel oder Verachtung oder Verabscheuung von Seiten der ganzen Welt ? O große Anführerin der Märtyrer, Königin der Starkmütigen, Lehrmeisterin der Jünger deines Sohnes. Wenn ich deine Tochter und Schülerin bin, wie du in deiner Huld mir versicherst und mein Herr mir dies verdienen wollte, so verschmähe mein Verlangen nicht, das ich trage, deinen Fußstapfen auf dem Kreuzweg nachzufolgen. Und wenn ich in meiner Schwachheit nachgelassen habe, so erlange du, meine Herrin und Mutter, mir die Stärke und ein Herz, das wegen der Sünden meines schweren Undankes von Zerknirschung und Demut durchdrungen ist. Erwirb und erflehe mir die Liebe zum ewigen Gott, welche eine so kostbare Gabe ist, dass nur deine mächtige Vermittlung sie mir zu erlangen vermag, gleichwie auch nur mein Herr und Erlöser sie mir verdienen konnte.
LEHRE der großen Himmelskönigin
1311. Meine Tochter, große Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit legen die Sterblichen an den Tag, wenn es sich um die Erwägung der Werke meines heiligsten Sohnes und um das demütige und ehrfurchtsvolle Eindringen in die Geheimnisse handelt, welche zur Rettung und zum Heil aller Menschen darin enthalten sind. Deshalb wissen manche gar nichts davon und andere können es nicht begreifen, wie Seine Majestät sich herbeilassen konnte, dass Er gleich einem Schuldigen vor die ungerechten Richter geschleppt, wie ein Übeltäter und Verbrecher verhört und als Narr und Tor behandelt und betrachtet wurde. Sie sind verwundert, dass Er in seiner göttlichen Weisheit kein Wort für seine Unschuld vorbrachte und die Bosheit der Juden und aller seiner Gegner nicht aufdeckte, obwohl Er dies so leicht hätte tun können. Staunt man aber hierüber, so muss man vor allem die allerhöchsten Gerichte des Herrn anbeten: «Er ist es, welcher die Erlösung der Menschen auf diese Weise anordnete, indem Er mit Angemessenheit, Güte und Gerechtigkeit und so, wie es allen seinen Eigenschaften entsprechend war, handelte. Er hat keinem einzigen seiner Feinde die Gnadenhilfe versagt, welche, wenn sie anders hätten mitwirken und die Vorrechte ihrer Freiheit zum Guten gebrauchen wollen, zum guten Handeln auch hingereicht hätte. Er wollte, dass alle selig werden (1 Tim 2, 4) und wenn dies nicht bei allen geschehen ist, so lag die Schuld an ihnen. Niemand hat ein Recht, sich über die göttliche Barmherzigkeit zu beklagen, denn sie war überfließend.
1312. Ich verlange aber überdies, dass du, meine Tochter, die in diesen Werken enthaltene Lehre wohl auffassest. Denn keines seiner Werke hat mein heiligster Sohn anders verrichtet, denn als Erlöser und Lehrmeister der Menschen. Indem Er bei seinem Leiden mit Schweigen und Geduld es hinnahm, dass man Ihn als Missetäter und Toren behandelte, so hinterließ Er den Menschen eine Lehre, die zwar höchst wichtig ist, die aber von den Kindern Adams nur wenig beachtet und noch weniger ausgeübt wird. Weil sie die Pest nicht ins Auge fassen, womit Luzifer sie mittels der Sünde ansteckt und die er ununterbrochen in der Welt ausbreitet, so suchen sie auch nicht beim Arzt die Arznei für ihre Krankheit. Und doch hat der Erlöser in seiner unermesslichen Liebe das Heilmittel in seinen Worten und Werken hinterlassen. Möchten doch die in der Sünde empfangenen Menschen sich selbst betrachten und sehen, wie tiefe Wurzeln der von Luzifer ausgestreute Same des Stolzes, der Anmaßung, der Eitelkeit, der Selbstüberschätzung, der Habsucht, der Heuchelei, der Lüge und der anderen Laster bereits in ihren Herzen geschlagen hat. Das gewöhnliche Streben aller ist darauf gerichtet, dass sie durch Ehre und eitlen Ruhm sich auszeichnen, dass sie andern vorgezogen und hoch geschätzt werden. Die Gelehrten und alle, welche sich für weise halten, suchen Beifall zu finden, gefeiert zu werden und mit ihrer Wissenschaft zu prahlen, die Ungelehrten möchten weise erscheinen. Die Reichen rühmen sich ihres Reichtums und wollen um ihn willen geehrt sein. Die Armen dagegen möchten reich sein und reich scheinen und damit sich Achtung verschaffen. Die Mächtigen wollen, dass man sie fürchte, sie ehre und ihnen gehorche. Kurz, alle überlassen sich diesem Wahn und wollen mit aller Gewalt als das erscheinen, was sie, wenn es auf die Tugend ankommt, nicht sind. Dagegen sind sie nicht das, als was sie erscheinen wollen. Sie entschuldigen ihre Laster, suchen mit ihren Tugenden und guten Eigenschaften viel Aufhebens zu machen und schreiben die Güter und Wohltaten sich selbst zu, als ob sie dieselben nicht empfangen hätten. Sie empfangen dieselben, als wären sie nicht ein Gnadengeschenk, sondern eine ihnen schuldige Sache, und anstatt dafür zu danken, bedienen sie sich derselben als Waffen gegen Gott und sich selbst. Kurz, fast alle sind vom Gift der alten Schlange angesteckt und verlangen umso gieriger es hineinzutrinken, je mehr sie von dieser beklagenswerten Krankheit angesteckt sind. Der Weg des Kreuzes und der Nachfolge Christi durch Demut und christliche Einfalt ist verlassen, denn nur wenige sind es, die auf demselben wandeln.
1313. Um nun dieses Haupt Luzifers zu zertreten und seinen hochfahrenden Stolz zu besiegen, übte mein Sohn bei seinem Leiden Geduld und Stillschweigen, indem Er sich als unwissenden Menschen und törichten Missetäter behandeln ließ. Als Lehrmeister dieser Philosophie und als Arzt, welcher gekommen war, um die Krankheit der Sünde zu heilen, wollte Er sich weder entschuldigen, noch verteidigen und rechtfertigen, noch auch wollte Er seine Ankläger der Lüge überführen, damit die Menschen ein lebendiges Beispiel vor Augen hätten, wonach sie gegen die Pläne der Schlange vorgehen und handeln sollten. An Ihm ging jene Lehre des Weisen in Erfüllung, dass eine kleine Torheit auf kurze Zeit kostbarer sei als Weisheit und Ehre (Koh 10,1). Es ist ja für die menschliche Gebrechlichkeit besser, einige Zeit für unwissend und schlecht gehalten zu werden, als mit Tugend und Weisheit zu prahlen. Unzählbar sind aber jene, welche in diesen gefährlichen Irrtum verstrickt sind. Sie wollen weise erscheinen, reden viel und machen gleich Narren viele Worte. Aber gerade dadurch büßen sie das ein, was sie verlangen: sie werden als Toren erkannt. Alle die genannten Laster kommen vom Stolz, welcher so tief in der menschlichen Natur eingewurzelt ist. Du aber, meine Tochter, bewahre die Lehre meines heiligsten Sohnes und die meinige wohl in deinem Herzen. Verabscheue die eitle Prahlerei, ertrage, schweige und lass es geschehen, wenn die Welt dich für eine Närrin hält, denn wo die wahre Weisheit lebt, das ist der Welt verborgen.
NEUNZEHNTES HAUPTSTÜCK: Jesus vor Herodes
Pilatus übergibt die Sache und die Person unseres Erlösers Jesu Christi dem Herodes. Der Herr wird vor Herodes angeklagt von diesem verspottet und zu Pilatus zurückgeschickt. Die heiligste Jungfrau Maria folgt Ihm nach. Die ferneren Vorkommnisse bei dieser Veranlassung.
1314. Eine von den Anschuldigungen, welche die Juden und ihre Priester bei Pilatus gegen unseren Erlöser Jesus Christus vorbrachten, lautete, Er habe gepredigt und dabei in Galiläa mit der Aufwiegelung des Volkes begonnen. Hiervon nahm Pilatus Veranlassung zur Frage, ob der Heiland ein Galiläer sei. Und als man ihm sagte, dass Er in jener Provinz geboren und erzogen sei, glaubte er hierin einen Grund zu finden, um das Verfahren gegen unseren Heiland Jesus Christus, von dessen Unschuld er überzeugt war, einzustellen und sich der Zudringlichkeit der Juden, welche mit aller Gewalt auf seiner Verurteilung bestanden, zu entledigen. Zu jener Zeit befand sich nämlich Herodes zur Feier des jüdischen Osterfestes in Jerusalem. Er war ein Sohn des früheren Königs Herodes, welcher, um das Jesuskind aus dem Weg zu schaffen, die unschuldigen Kinder hatte ermorden lassen. Da dieser eine Jüdin zur Frau hatte, so war er zum Judentum übergetreten und ein israelitischer Prophet geworden. Aus diesem Grund beobachtete nun sein Sohn Herodes das mosaische Gesetz und war von Galiläa, wo er Landpfleger dieser Provinz war, nach Jerusalem gekommen. Pilatus stand mit Herodes auf gespanntem Fuß, denn als Statthalter der zwei bedeutendsten Provinzen von Palästina, Judäa und Galiläa, waren sie Nebenbuhler. Auch war es kurz zuvor geschehen, dass Pilatus in seinem Eifer für die Herrschaft des Römischen Reiches einige Galiläer hatte hinrichten lassen, als sie eben, wie dies aus dem dreizehnten Kapitel des hl. Lukas erhellt, gewisse Opfer darbrachten, so dass das Blut der Schuldigen mit dem Blut der Opfertiere vermengt wurde. Darüber war Herodes erzürnt. Um ihm nun bei dieser Gelegenheit einige Genugtuung zu geben, beschloss Pilatus, ihm unsern Herrn als seinen Untergebenen und als einen geborenen Galiläer zu überliefern, damit er dessen Sache untersuche und darüber urteile. Gleichwohl hoffte Pilatus immer noch. Herodes würde Ihn freigeben, da er unschuldig und bloß durch den boshaften Neid der Priester und Schriftgelehrten angeklagt war.
1315. So wurde denn unser Heiland Jesus Christus gebunden vom Haus des Pilatus weg in das des Herodes geführt. Es folgten Ihm die Priester und Schriftgelehrten, welche auch vor dem neuen Richter mit ihren Klagen gegen Ihn auftreten wollten. Auch eine große Menge Soldaten und Gerichtsdiener war dabei, welche Ihn an Stricken zerrten und auf den Straßen Platz machten, denn die Wege waren mit Leuten angefüllt, welche die Neugierde in großer Anzahl herbeigeführt hatte. Aber die Bosheit wusste sich den Weg durch die Menge zu bahnen. Und weil die Gerichtsdiener und Priester so sehr nach dem Blut des Heilandes dürsteten und es an diesem Tage noch vergießen wollten, so beschleunigten sie ihre Schritte und führten Jesus fast im Sturmschritt und in tumultartiger Unordnung durch die Straßen. Aber auch Unsere Liebe Frau verließ mit ihrer Begleitung das Haus des Pilatus, um ihrem süßesten Sohn Jesus zu folgen und Ihn auf den Wegen zu begleiten, welche Er noch bis zum Kreuz zu machen hatte. Die große Herrin hätte aber unmöglich diesen Weg so verfolgen können, dass sie ihren liebsten Sohn immer im Auge behielt, wenn nicht die heiligen Engel dies dem Wunsche ihrer Gebieterin gemäß in der Art bewerkstelligt hätten, dass sie beständig ihrem Sohn nahe genug war, um seine Gegenwart zu genießen und dadurch in einem um so höheren Grade an seiner Pein und seinen Schmerzen Anteil haben zu können. All dies erlangte sie durch ihre ganz feurige Liebe. Denn indem sie auf den Herrn schauend durch die Straßen ging, hörte sie zugleich auch die Schmähungen, womit die Schergen Ihn überhäuften, und die Schläge, die sie Ihm gaben. Sie vernahm auch das Schimpfen des Volkes und die mannigfaltigen Urteile der Leute, denn ein jeder sagte, was er sich dachte oder von anderen gehört hatte.
1316. Als Herodes die Nachricht erhielt, dass Pilatus ihm Jesus den Nazarener zusende, empfand er hierüber nicht geringe Freude. Er wusste, dass Jesus ein Freund von Johannes war, den er hatte enthaupten lassen (Mk 6, 27), auch hatte er von seinen Predigten schon gehört. Darum wünschte er in törichter und eitler Neugierde, der Herr möchte in seiner Gegenwart irgend etwas Außergewöhnliches und Auffallendes tun, was ihm dann Stoff zum Ergötzen und zur Unterhaltung bieten würde (Lk 23, 8). So kam denn der Urheber des Lebens vor das Gesicht des Mörders Herodes, gegen welchen das Blut des hl. Johannes des Täufers stärker als das des gerechten Abel zu eben diesem Herrn um Rache schrie (Gen 4,10). Allein der unglückliche Ehebrecher, blind gegen die schrecklichen Gerichte des Allerhöchsten, empfing den Heiland mit Gelächter, indem er Ihn für einen Zauberer und Schwarzkünstler hielt. In diesem schaudervollen Irrtum befangen, begann er Ihn zu verhören und verschiedene Fragen an Ihn zu stellen, indem er sich einbildete, er könnte mittels derselben den Herrn veranlassen, seinem Wunsch entsprechend irgendein Wunder zu wirken. Allein der Lehrmeister der Weisheit und Klugheit antwortete ihm auch nicht mit einem Wort, sondern stand allezeit in ernster Demut vor dem unwürdigen Richter da, der durch seine Missetaten nur zu wohl die Strafe verdient hatte, dass er die Worte des ewigen Lebens nicht vernahm, welche sicher aus dem Mund Christi gekommen wären, wenn Herodes die zur ehrfurchtsvollen Aufnahme derselben erforderliche Verfassung besessen hätte.
1317. Auch die Hohenpriester und Schriftgelehrten waren hier zugegen und klagten beharrlich unsern Erlöser an und zwar mit den nämlichen Beschuldigungen und Verleumdungen, welche sie vor Pilatus gegen Ihn vorgebracht hatten (Lk 23,10). Aber der Heiland erwiderte auf diese Verleumdungen kein Wort, wie Herodes dies doch gewünscht hätte. In Gegenwart dieses Mannes öffnete der Herr seine Lippen nicht, weder um auf seine Fragen zu antworten, noch um die Anschuldigungen zu widerlegen. Herodes hatte sich ja auf jede Weise unwürdig gemacht, die Wahrheit zu vernehmen. Es war das für ihn eine gerechte Strafe. Dies ist es auch, was die Fürsten und Machthaber der Welt am meisten zu fürchten haben. Herodes geriet wegen des Stillschweigens und der Sanftmut unseres Erlösers, welche seine eitle Neugierde täuschten, in Zorn. Allein der ungerechte Richter ließ sich diese Beschämung nicht anmerken, sondern trieb mit dem unschuldigsten Meister seinen Spott und ließ Ihn, nachdem er Ihn mit seinen Kriegsleuten verhöhnt hatte, wiederum zu Pilatus zurückführen (Lk 23,11). Und nachdem auch die ganze Dienerschaft des Herodes sich mit vielem Gespött an dem armseligen Aufzug des Herrn belustigt hatte, legten sie Ihm, um Ihn als einen närrischen und verrückten Menschen zu behandeln, ein weißes Gewand an, wodurch man die Wahnsinnigen erkenntlich machte, damit jedermann sich vor ihnen hüte. Bei unserem göttlichen Heiland jedoch war diese Kleidung ein Sinnbild und Kennzeichen seiner Unschuld und Reinheit. Es war von der verborgenen Weisheit des Allerhöchsten so angeordnet, dass jene Knechte der Bosheit durch ihre Handlungen, die sie selbst nicht erkannten, die Wahrheit bezeugen sollten, welche sie nebst anderen vom Erlöser gewirkten, von ihnen aber aus Bosheit verschwiegenen Wundern zu verdunkeln bemüht waren.
1318. Herodes ließ dem Pilatus wegen der Höflichkeit, womit er die Angelegenheit und Person Jesu des Nazareners ihm übergeben hatte, seinen Dank aussprechen und ihm sagen, dass er keine Schuld an demselben gefunden habe, dass er Ihn vielmehr für einen unwissenden Menschen halte, der weiter keine Beachtung verdiene. So söhnten sich an diesem Tage Herodes und Pilatus wieder aus und wurden Freunde (Lk 23,12), wodurch die verborgenen Gerichte der göttlichen Weisheit erfüllt wurden. Nun erschien unser Erlöser, von Herodes zurückkehrend, zum zweiten Mal vor Pilatus, wobei Ihn viele Soldaten von beiden Landpflegern unter immer größerem Gedränge, Lärmen und Spektakel des gemeinen Volkes führten. Denn bereits waren jene, welche Ihn wenige Tage zuvor als den Erlöser und Messias und als den Gebenedeiten des Herrn ausgerufen und verehrt hatten, durch das Beispiel der Priester und Magistratspersonen abwendig gemacht worden und hatten eine andere Gesinnung angenommen. Sie verurteilten und verachteten nun denselben Herrn, den sie kurz zuvor gefeiert und verehrt hatten. Hier sieht man, was die Verkehrtheit und das schlechte Beispiel der Häupter vermag, um das Volk nach sich zu ziehen ! Mitten in diesem Wirrwarr von Beschimpfungen ging unser Heiland einher, indem Er mit unendlicher Liebe, Demut und Geduld in seinem Herzen jene Worte wiederholte, welche Er durch den Mund Davids gesprochen hatte: «Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ich bin der Leute Spott und des Volkes Verachtung. Alle, die mich sahen, spotteten meiner. Sie sprachen mit ihren Lippen und schüttelten das Haupt (Ps 22, 7.8).» Der Sohn Gottes war «kein Mensch», einmal deshalb, weil Er nicht in der Weise wie die übrigen Menschen geboren worden war und weil Er nicht ein bloßer und reiner Mensch, sondern vielmehr Mensch und wahrer Gott zugleich war. Sodann auch deshalb, weil Er nicht wie ein Mensch behandelt wurde, sondern vielmehr wie ein niedriger und verächtlicher Wurm. Bei all den Verunglimpfungen, wodurch man Ihn verächtlich machte und mit Füßen trat, erhob er seine Stimme nicht. Er wehrte sich so wenig als ein armseliges Würmlein, das jedermann mit Füßen tritt, verachtet und für etwas Gemeines und ganz Niedriges anschaut. Alle jene, welche unsern Herrn sahen und deren waren es zahllose, redeten miteinander und schüttelten das Haupt, zum Zeichen, dass sie ihre früher über ihn gefasste Meinung und Ansicht zurücknahmen.
1319. Bei den Beschimpfungen und Anklagen, welche die Priester vor Herodes gegen den Urheber des Lebens vorbrachten, sowie bei den Fragen, welche dieser an Ihn stellte, war seine betrübte Mutter nicht leiblich zugegen. Sie sah aber alles auf eine andere Weise, d.h. durch innerliche Vision, denn sie stand außerhalb des Gerichtssaales, in den man den Herrn geführt hatte. Als Er aber aus dem Saal, wo Er vor Gericht stand, wiederum herauskam, begegnete Er ihr und nun blickten sich beide mit dem innigsten Schmerz und mit gegenseitigem Mitleid an, wie es der Liebe eines solchen Sohnes und einer solchen Mutter entsprach. Jenes weiße Kleid aber, das man Ihm angelegt und wodurch man Ihn als einen närrischen, seines Verstandes beraubten Menschen behandelt hatte, wurde zu einem neuen Werkzeuge, um der heiligsten Mutter das Herz zu durchbohren. Sie allein unter allen Menschen erkannte aber das Geheimnis seiner durch dieses Gewand angedeuteten Unschuld und Reinheit. Mit tiefster Ehrfurcht betete sie den Heiland in diesem Gewand an und folgte Ihm durch die Straßen zum Haus des Pilatus, zu dem man Ihn wiederum zurückführte, denn hier sollte die göttliche Anordnung hinsichtlich unseres Heiles vollzogen werden. Auf diesem Weg von Herodes zu Pilatus nun geschah es, dass der Herr teils wegen des Gedränges der Volksmenge. teils wegen der Eile, womit die gottlosen Schergen Ihn unter dem grausamsten Stoßen und Zerren führten, wiederholt zur Erde niederfiel und Blut aus seinen heiligen Adern vergoss. Da Er aber, weil seine Hände gebunden waren, nicht so leicht sich zu erheben vermochte und die Volksmasse nicht stillstehen konnte und wollte, so stürzten manche über Ihn her, traten Ihn mit Füßen, stießen und verwundeten Ihn durch viele Schläge und Fußtritte, was den Soldaten Veranlassung zu großem Gelächter gab. Wohl hätte ein solcher Anblick sie natürlicherweise zum Mitleiden bewegen sollen. Allein durch die Bemühungen des Teufels waren sie desselben so ganz bar geworden, dass sie keine Menschen mehr zu sein schienen.
1320. Beim Anblick einer so maßlosen Grausamkeit wuchs das Mitleid und die Betrübnis der schmerzhaften und liebevollen Mutter immer mehr. Und indem sie sich an ihre heiligen Schutzengel wandte, befahl sie ihnen, das göttliche Blut, welches ihr König und Herr auf den Straßen vergossen hatte, aufzusammeln, damit dasselbe nicht abermals von den Sündern mit Füßen getreten und entehrt werde. Dies taten denn auch die himmlischen Diener. Auch befahl ihnen die große Herrin, falls ihr Sohn und wahrer Gott etwa wiederum zur Erde fallen sollte, Ihm zu helfen und die Bösewichte zu hindern, seine göttliche Person mit Füßen zu treten und zu stoßen. Weil sie aber bei allem mit größter Klugheit zu Werke ging, so wollte sie, dass die Engel diese Dienstleistung nicht anders als mit Zustimmung des Herrn verrichten sollten. Deshalb trug sie ihnen auf, Ihm in ihrem Namen diesen Vorschlag zu machen, Ihn um seine Zustimmung zu ersuchen und Ihm die Ängste vorzustellen, welche sie als Mutter leide, weil sie Ihn mit dieser Art von Unehrerbietigkeit unter den unreinen Füßen jener Sünder behandelt sehe. Und um ihren heiligsten Sohn noch geneigter zu machen, ließ sie Ihn durch eben diese Engel bitten, Er möge jenen Akt der Demütigung, wodurch Er sich von jenen gottlosen Schergen stoßen und mit Füßen treten ließ, in einen Akt des Gehorsams umwandeln, indem Er den Bitten seiner betrübten Mutter, welche ja auch seine Dienerin und aus Staub gebildet sei, willfahre. Die heiligen Engel überbrachten alle diese Bitten im Namen seiner heiligsten Mutter an unsern Heiland. Nicht als ob Jesus Christus nicht darum gewusst hätte, Er erkannte ja dies alles und bewirkte es durch seine Gnade, sondern weil Er diese Handlungsweise verlangt, damit so die Ordnung der Vernunft eingehalten werde. Die große Herrin aber erkannte in ihrer höchsten Weisheit die Ordnung sehr gut und übte deshalb die Tugenden auf mannigfaltige Weise und durch verschiedene Handlungen aus. Denn dies wird durch das Wissen des Herrn, der alles schon vorhergesehen hat, nicht ausgeschlossen.
1321. Unser Heiland Jesus Christus nahm das Verlangen und die Bitten seiner seligsten Mutter an und gab ihren Engeln die Erlaubnis, als Diener ihres Willens zu tun, was seine Mutter wünschte. Und so ließen es denn die Engel nicht mehr zu, dass der Erlöser auf dem noch übrigen Weg bis zum Haus des Pilatus zur Erde niedergeworfen, mit Füßen getreten und gestoßen wurde, wie das zuvor geschehen war. Jedoch war es hinsichtlich der übrigen Kränkungen den Gerichtsdienern sowie der Verblendung und Bosheit des Volkes gestattet, in ihrer törichten Wut solche Misshandlungen auszuüben. Die heiligste Mutter Jesu sah und hörte alles dieses mit unbesiegtem, aber tief verwundetem Herzen. Und ebenso sahen es auch auf ihre Weise die drei Marien und der heilige Johannes, welche unter unaufhörlichen Tränen in Begleitung der reinsten Mutter dem Herrn nachfolgten. Ich lasse mich jedoch auf die Schilderung der Tränen dieser heiligen Frauen und anderer frommen Seelen, welche nebst diesen die Königin umgaben, nicht weiter ein, denn ich müsste sonst allzu sehr von meinem Gegenstand abschweifen, und das insbesondere dann, wenn ich berichten wollte, was Magdalena getan hat. Denn diese war mehr als die anderen von Liebe entzündet und unserem Erlöser Jesus Christus in ganz besonderer Weise dankbar, wie dies der Herr selbst bezeugt hat, als Er zu ihrer Rechtfertigung erklärte, sie liebe mehr, weil ihr größere Sünden vergeben worden (Lk 7, 47).
1322. Unser Heiland Jesus Christus kam nun zum zweiten Mal in das Haus des Pilatus. Die Juden fingen sofort abermals an, von Pilatus die Verurteilung des Herrn zum Kreuzestod zu verlangen. Weil aber Pilatus die Unschuld Christi und den tödlichen Hass der Juden wohl kannte, so war es ihm sehr unangenehm, dass Herodes diese Sache, von der er sich so gerne losgemacht hätte, wiederum auf ihn zurückschob. Da er sich aber als Richter doch damit befassen musste, so machte er auf verschiedenen Wegen den Versuch, die Juden zu beschwichtigen. Einer derselben bestand darin, dass er insgeheim einige Diener und Freunde der Hohenpriester zu bereden suchte, die Freilassung unseres Erlösers zu begehren, sich zufrieden zu geben, wenn er Ihn züchtige und dann freilasse und nicht weiter auf der Freilassung des Übeltäters Barabbas zu bestehen. Diese Anstrengung hatte Pilatus gemacht, als man Jesus zum zweiten Mal vor ihn brachte, damit er Ihn verurteile. Dass er ihnen aber den Vorschlag machte, zwischen Jesus und Barabbas zu wählen, geschah nicht bloß einmal, sondern zwei- und dreimal. Das eine Mal nämlich vor der Wegführung des Herrn zu Herodes und das zweite Mal später. Die Evangelisten erzählen diesen Vorfall auf eine etwas verschiedene Weise, ohne sich jedoch bei der wirklichen Tatsache zu widersprechen. Pilatus redete nämlich mit den Juden und sprach zu ihnen: «Ihr habt mir diesen Menschen mit der Anklage vorgeführt, dass er über Glaubenssachen lehre und das Volk aufwiegle, nachdem ich Ihn aber in eurer Gegenwart verhört habe, ist Er dessen, worüber ihr Ihn anklagt, nicht überführt worden. Ebenso hat auch Herodes, dem ich Ihn zugesendet habe, Ihn nicht zum Tod verurteilt, obwohl ihr auch vor diesem eure Anklagen vorgebracht habt. Ich will mich darum für jetzt damit begnügen, dass ich Ihn züchtigen und geißeln lasse, damit Er für die Zukunft sich bessere (2Lk 23,14-16). Weil ich aber auf die Feier des Osterfestes einen Missetäter freilassen muss, so will ich Christus freilassen, wenn ihr Ihm die Freiheit geben wollt, den Barabbas aber bestrafen.» Als aber die Juden bemerkten, wie Pilatus mit allem Ernste auf der Freilassung unseres Erlösers Jesu Christi bestehe, so schrie die ganze Schar: «Weg mit diesem. Fort mit Christus: den Barabbas gib uns frei !»
1323. Die Gewohnheit bei dieser großen Osterfeierlichkeit einem gefangenen Übeltäter die Freiheit zu schenken, wurde bei den Juden zum dankbaren Andenken an jene Befreiung eingeführt, welche an diesem Tag ihren Vätern zuteil wurde, da sie der Herr aus der Gewalt des Pharao befreite, indem Er in jener Nacht die Erstgebornen der Ägypter schlug und nachher den Pharao samt seinem Heer im Roten Meere begrub. (Ex 14, 28. - Ähnlich sprechen sich hierüber viele heilige Väter und Gelehrte aus. Man sehe Maldonat [in Matth. 27. 15]. Der Herausgeber). Zum Andenken an diese Wohltat erwiesen die Hebräer eine ähnliche Wohltat dem größten Verbrecher, indem sie ihm Verzeihung seiner Vergehen gewährten, während sie andere, minder große Übeltäter bestraften. Bei den mit den Römern abgeschlossenen Verträgen war auch die Aufrechthaltung dieser Gewohnheit zur Bedingung gemacht worden, und die Landpfleger hielten sich daran. Allein die Juden wichen dieses Mal, wenn man ihr Urteil über Jesus Christus ins Auge fasst von dieser Gewohnheit ab, wenigstens hinsichtlich der Umstände. Es sollte ja der größte Verbrecher freigelassen werden, und als solchen erklärten sie Jesus den Nazarener. Aber trotzdem begehrten sie nicht diesen, sondern erklärten sich für Barabbas, den sie doch für weniger böse hielten. So sehr hatte sie die Wut des Teufels und ihr eigener Neid verblendet und verkehrt, dass sie sogar in ihrer eigenen Sache die Vernunft ganz und gar verloren.
1324. Während Pilatus auf seinem Richterstuhl saß und mit diesen Streitigkeiten sich beschäftigte, geschah es, dass seine Frau, mit Namen Procula, welche um die Sache wusste, eine Botschaft an ihn sandte und ihm sagen ließ: «Was hast du mit diesem Menschen zu schaffen? Lass Ihn frei, denn ich mache dir zu wissen, dass ich um seiner Sache willen heute mehrere Traumgesichte gehabt habe (Vgl. Mt 27,19).» Der Beweggrund dieser Warnung von Seiten der Procula war folgender: Als Luzifer und seine höllischen Geister sahen, was man mit der Person unseres Heilandes vornahm und mit welch unveränderlicher Geduld Er diese so großen Beschimpfungen erduldete, wurden sie in ihrer rasenden Wut noch mehr verblendet und verwirrt. Freilich konnte es sich der Drache in seinem hochfahrenden Stolz nicht erklären, wie es sich miteinander vereinigen lasse, dass ein Gott so große und entsetzliche Misshandlungen erdulde und im Fleisch die Wirkungen davon fühle. Er vermochte darum auch nicht ins klare zu kommen, ob Jesus wirklich Gott und Mensch sei oder nicht. Nichtsdestoweniger dachte sich Luzifer, dass hier irgendein großes Geheimnis zum Heil der Menschen vorliegen müsse und dass es ihm und seiner Bosheit für immer zu großem Nachteile und Verderben gereichen werde, wenn er nicht den Fortschritt einer so ungewöhnlichen Sache in der Welt hemme. In dieser Besorgnis, welche er und seine höllischen Geister hegten, flüsterte er den Pharisäern viele Eingebungen ein, damit sie von der Verfolgung Christi abstehen sollten. Allein diese Einflüsterungen hatten keinen Erfolg, weil sie vom Teufel herkamen und darum auch keine göttliche Kraft auf die verhärteten und verdorbenen Herzen ausübten. Deshalb standen die Teufel ab, die Pharisäer von ihrem Treiben abzubringen und machten sich an die Frau des Pilatus. Sie redeten in Träumen zu ihr und stellten ihr vor, jener Mensch sei gerecht und schuldlos. Darum werde ihr Mann, falls er Ihn verurteile, seiner Würde beraubt werden. Ihr aber stünden dann große Trübsale bevor. Sie möge darum dem Pilatus den Rat geben, Jesus freizulassen und den Barabbas zu bestrafen, wenn sie nicht wolle, dass über ihr Haus und ihre Personen ein großes Unglück hereinbreche.
1325. Durch dieses Traumgesicht wurde Procula(Dieser Name wird der Frau des Pilatus von den griechischen Menologien gegeben, welche dieselbe als hl. Martyrin bezeichnen. Einige Schriftsteller nennen sie Klaudia Procula [Procle] und sind der Ansicht, es sei jene Klaudia, deren der heil. Paulus erwähnt. [2. Tim 4, 21] - Woher die Traumgesichte und Unruhe derselben kamen, ob von Gott oder vom Teufel, ist unter den Gelehrten nicht ausgemacht. Der hl. Cyprian, der ehrw. Beda. Kajetan und andere sind derselben Ansicht wie unsere ehrw. Verfasserin und die von der letzteren angeführten Gründe lassen ihre Ansicht als glaubwürdig erscheinen. Man sehe Calmet. Maldonat und Kornelius a Lapide [in Mt 27. 14]. Der Herausgeber). gewaltig in Schrecken und Furcht versetzt. Als sie darum von den Vorgängen zwischen den Juden und ihrem Mann Pilatus Kenntnis erhielt, ließ sie nach dem Bericht des hl. Matthäus ihm die Mahnung zukommen, er möge sich nicht auf das Todesurteil desjenigen einlassen, den er als einen Gerechten erkannt habe. Ebenso erregte der Teufel auch in der Einbildungskraft des Pilatus selbst ähnliche Gedanken der Furcht, welche auf die Warnung seiner Frau hin noch heftiger wurden. Weil jedoch alle diese Gedanken nur aus weltlichen und politischen Beweggründen hervorgingen und Pilatus mit den wirklichen Gnadenhilfen des Herrn nicht mitgewirkt hatte, so dauerte diese Furcht nicht länger, als bis ihn eine andere antrieb, welche stärker war, wie wir an ihrer Wirkung sehen werden. Damals jedoch erhob er sich zum dritten Mal gegen die Juden, wie der hl. Lukas (Lk 23, 22) sagt, um die Unschuld unseres Herrn zu verteidigen. Er erklärte nochmals, dass er kein todeswürdiges Verbrechen an Christus finde, dass er Ihn jedoch züchtigen und dann freilassen wolle. Und wirklich ließ er Ihn geißeln, um zu sehen, ob Er dadurch nicht etwa die Juden befriedigen könnte, wie ich im folgenden Hauptstück erzählen werde. Die Juden aber erwiderten mit lautem Geschrei, er solle Ihn kreuzigen lassen (Lk 23, 23). Dann verlangte Pilatus, dass man Ihm Wasser bringe und befahl, den Barabbas ihrem Verlangen gemäß freizulassen. Und nun wusch er vor aller Augen die Hände, wobei er sprach: «Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten, den ihr verurteilt. Sehet zu, was ihr tut, denn ich wasche meine Hände zum Zeugnis dafür, dass sie nicht mit dem Blut dieses Unschuldigen befleckt sind (Mt 27, 24).» Mit dieser Zeremonie glaubte Pilatus sich vor allen von der Schuld reinwaschen zu können und schob den Tod unseres Herrn auf die Vorgesetzten der Juden und das ganze Volk, welches denselben verlangte. Die Juden aber waren in ihrer Wut so töricht und verblendet, dass sie um den Preis, den Herrn am Kreuz sterben zu sehen, mit Pilatus den Tausch eingingen und sich und ihre Nachkommen mit dem Verbrechen beluden. Dieses schreckliche Urteil und diese fürchterliche Verwünschung sprachen sie aus mit den Worten: «Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder (Mt 27, 25).»
1326. O der überaus törichten und grausamen Verblendung ! O der unbegreiflichen Vermessenheit ! Mit der ungerechten Verurteilung des Gerechten und mit dem Blut des Unschuldigen, den der Richter selbst für schuldlos erklärt hat, wollt ihr euch und eure Kinder belasten, damit dieses Blut gegen euch alle fortwährend bis zum Ende der Welt schreie! O ihr treulosen und sakrilegischen Juden ! So wenig wiegt vor euch das Blut des Lammes, das die Sünden der Welt abwascht. So wenig gilt euch das Leben eines Menschen, der zugleich wahrer Gott ist ! Wie ist es möglich, dass ihr es auf euch und eure Kinder nehmen wollt? Wäre Er auch nur euer Bruder, euer Wohltäter und Lehrmeister, eure Frechheit wäre schon schaudervoll und fluchwürdig eure Missetat. Ihr erleidet fürwahr die gerechte Strafe und angemessen ist es, dass das Gewicht des Blutes Christi, das ihr nach eigener Wahl auf euch und eure Kinder geladen habt, euch auf der ganzen Welt nicht ruhen und rasten lässt, ja dass diese Last, welche schwerer wiegt als Himmel und Erde, euch niederbeugt und erdrückt. Aber ach! Welch eine schmerzliche Sache ! Dieses göttliche Blut sollte über alle Adamskinder niederströmen, um sie alle zu waschen und zu reinigen - und zu diesem Zwecke ist es wirklich über alle Kinder der heiligen Kirche ausgegossen worden - und dennoch finden sich im Schoß der Kirche gar viele, welche durch ihre Werke dieses Blut auf sich herabrufen, wie die Juden dies mit Werken und Worten getan haben. Die Juden haben nicht gewusst und geglaubt, dass es das Blut Christi war. Die Katholiken aber erkennen und bekennen, dass es dieses ist.
1327. Die Sünden der Christen und ihre schlechten Werke haben auch ihre Zunge, mit der sie gegen das Blut und den Tod unseres Herrn Jesu Christi schreien und so es auf sich selber herabrufen. Christus, so rufen sie, soll verunglimpft, geschlagen, gestoßen, an ein Kreuz geheftet, verachtet, getötet und einem Barabbas nachgesetzt werden. Er soll durch unsere Sünden gepeinigt, gegeißelt und mit Dornen gekrönt werden, denn wir wollen keinen weiteren Anteil mehr an diesem Blut haben, als dass wir Ursache sind, dass es auf so schimpfliche Weise vergossen und für alle Ewigkeit uns angerechnet wird. Der menschgewordene Gott soll leiden und sterben. Wir dagegen wollen uns an den trügerischen Gütern ergötzen. Machen wir uns die Gelegenheit zunutze, bedienen wir uns der Geschöpfe, krönen wir uns mit Rosen (Weish 2, 6 ff), leben wir in Freuden. machen wir Gebrauch von unserer Macht. Niemand soll uns vorgehen. Verachten wir die Demut, verabscheuen wir die Armut, häufen wir Schätze von Reichtümern auf, betrügen wir jedermann, verzeihen wir keine Beleidigung. Versenken wir uns in den Genuss der schändlichsten Lüste. Unsere Augen sollen alles sehen, was sie ergötzt und was immer unsere Kräfte zu erreichen vermögen. Das soll unser Gesetz sein. Auf etwas anderes achten wir nicht. Und wenn wir durch diese Dinge unsern Herrn Jesus Christus kreuzigen, so komme sein Blut über uns und unsere Kinder.
1328. Fragen wir jetzt einmal die Verworfenen in der Hölle, ob das nicht die Stimme ihrer Werke sei, wie Salomon im Buch der Weisheit es ihnen zuschreibt und ob sie nicht gottlos heißen und es waren, weil sie in ihrem Herzen bei sich selbst so töricht gesprochen haben ? Was können demnach jene erwarten, welche das Blut Christi vergeuden und es auf sich herabrufen, aber nicht aus Sehnsucht und zu ihrem Heil, sondern aus Verachtung und zu ihrer Verdammnis ? Wo wäre unter den Kindern der Kirche jemand zu finden, der es ertragen würde, wenn man Ihn einem Mörder und Bösewicht nachsetzte ? Diese Lehre wird jetzt so wenig im Werk ausgeübt, dass derjenige schon Bewunderung erregt, welcher einem anderen, der vielleicht ebenso gut und verdienstvoll oder noch mehr als er, selbst ist, den Vorrang einräumt. Niemand aber war so gut wie Christus und niemand so böse wie Barabbas. Und dennoch sind jene ohne Zahl, welche trotz dieses Beispiels sich beleidigt zeigen und sich für zurückgesetzt halten, wenn sie nicht an Ehren, Reichtümern und Würden und überhaupt in allem, was vor der Welt als groß und ausgezeichnet gilt, den Vorrang haben. Um dies kümmert man sich, um dies streitet man sich, dies sucht man, darum drehen sich die Sorgen der Menschen, damit beschäftigen sich all ihre Kräfte und Fähigkeiten und zwar von dem Augenblick an, wo sie den Gebrauch derselben erlangen, bis zu der Zeit, wo sie ihn wieder verlieren. Das Traurigste und Schmerzlichste aber ist dies, dass selbst jene, welche durch ihre Profess und ihren Stand der Welt entsagt und ihr den Rücken gekehrt haben, sich nicht von dieser Pest freihalten. Der Herr hat ihnen zwar befohlen, ihr Volk und das Haus ihres Vaters zu vergessen (Ps 45,11), allein sie kehren in es mit dem bessern Teil, welcher an der menschlichen Kreatur sich findet, wiederum zurück, d.h. mit der Achtsamkeit und Sorgfalt für das Wohl der Verwandten, mit dem Willen und Verlangen, ihnen zu verschaffen, was die Welt besitzt und auch dies scheint ihnen nur wenig, und so lassen sie sich auf eitle Dinge ein. Anstatt das Haus ihres Vaters zu vergessen, vergessen sie das Haus ihres Gottes, worin sie leben und wo sie die göttlichen Gnadenhilfen empfangen, um ihre Seele zu retten, wo sie Ehre und Achtung genießen, die sie in der Welt niemals erreicht hätten, wo sie endlich ihren Lebensunterhalt erhalten und zwar ohne Mühe und Sorge. Für alle diese Wohltaten erweisen sie sich undankbar, indem sie von der Demut abweichen, welche sie doch vermöge ihres Standes an den Tag legen sollten. Die Demut unseres Erlösers, seine Geduld, seine Verunglimpfungen, die Schmach des Kreuzes, die Nachahmung seiner Werke und die Befolgung seiner Lehre, alles dieses überlässt man den Armen, den Einsiedlern, den von der Welt Verlassenen und den Demütigen. Die Wege Sions aber sind verlassen und trauern, weil es so wenige gibt, die zur Festlichkeit der Nachfolge unseres Herrn Jesu Christi sich einfinden.
1329. Nicht minder groß war aber auch die Torheit des Pilatus, indem er sich einbildete, wenn er seine Hände wasche und die Schuld am Blut Christi den Juden zuschreibe, so sei er in seinem Gewissen und vor den Menschen gerechtfertigt, die er mit dieser durch und durch scheinheiligen und verlogenen Zeremonie zufriedenstellen wollte. Es ist allerdings wahr, dass die Juden die Hauptanstifter der Verurteilung des Unschuldigen waren. Sie trugen die größte Schuld daran und haben überdies die Schuld dieses entsetzlichen Verbrechens auf sich genommen. Allein deshalb war Pilatus nicht ohne Schuld. Denn da er die Unschuld Christi erkannte, so hätte er Ihn nicht einem Räuber und Mörder nachsetzen, bestrafen und zur Geißelung übergeben sollen, Ihn, an dem nichts auszusetzen und zu bestrafen war. Und noch viel weniger hätte er Ihn verurteilen und dem Willen seiner Todfeinde überlassen sollen, deren Neid und Grausamkeit ihm ja bekannt war. Aber er konnte eben nicht den gerechten Richter abgeben, er, der die Wahrheit und Gerechtigkeit wohl erkannte, aber sie dessen ungeachtet mit den menschlichen Rücksichten und Absichten seiner eigenen Interessen auf eine und dieselbe Waage legte. Ein solches Gewicht zieht ja die Vernunft feigherziger Menschen nach sich und weil solche Menschen nicht den Vorrat gründlicher Tugenden besitzen, wie Richter ihn besitzen sollten, so vermögen sie auch der Habsucht und Menschenfurcht nicht zu widerstehen. Sie lassen sich von der Leidenschaft verblenden und opfern die Gerechtigkeit, um die zeitlichen Vorteile nicht aufs Spiel zu setzen, wie dies bei Pilatus der Fall war.
1330. Unsere große Königin und Herrin befand sich im Haus des Pilatus in einer solchen Stellung, dass sie mittels der Beihilfe ihrer heiligen Schutzengel die Streitigkeiten hören konnte, welche der ungerechte Richter mit den Schriftgelehrten und Hohenpriestern über die Unschuld unseres Herrn und Heilandes und darüber führte, dass sie Ihn dem Barabbas nachsetzen wollten. Als ein lebendiges Abbild ihres heiligsten Sohnes vernahm sie stillschweigend und mit wunderbarer Sanftmut das Geschrei dieser grausamen Tiger. Und obwohl ihre so überaus sittsame und ruhige Haltung unveränderlich blieb, so drangen doch alle Rufe der Juden gleich zweischneidigen Schwertern in ihr betrübtes Herz ein. Aber das Rufen ihres schmerzvollen Stillschweigens ertönte an das Herz des ewigen Vaters, und zwar mit größerer Lieblichkeit und Süßigkeit als die Klagen der schönen Rachel, womit diese, wie Jeremias sagt (Jer 31,15), trostlos ihre Kinder beweinte, weil sie nicht mehr waren. Unsere schönste Rachel, die reinste Jungfrau Maria, verlangte nicht Rache, sondern vielmehr Verzeihung für ihre Feinde, welche ihr den eingebornen Sohn des Vaters und ihren eigenen Sohn raubten. Und in allen jenen Akten, welche die heiligste Seele Christi vollbrachte, ahmte sie Ihn nach, begleitete Ihn und ging dabei mit einer so erhabenen Heiligkeit und Vollkommenheit zu Werke, dass weder die Pein ihre Seelenkräfte hemmte, noch der Schmerz die Liebe verminderte, noch die Traurigkeit den Eifer schwächte, noch das Getümmel ihre Aufmerksamkeit ablenkte, noch die Unannehmlichkeiten und das Toben der Menge sie an der inneren Sammlung hinderten. Denn alles tat sie mit der Fülle der Tugenden in dem ausgezeichnetsten Grad.
LEHRE der großen Herrin des Himmels, der heiligsten Jungfrau Maria
1331. Ich sehe dich, meine Tochter, mit Verwunderung über das erfüllt, was du geschrieben und vernommen hast und dies deshalb, weil du bemerkst, dass Pilatus und Herodes sich beim Tod meines heiligsten Sohnes nicht so unmenschlich und grausam erwiesen wie die Priester und Pharisäer. Du legst ein besonderes Gewicht darauf, dass die ersteren weltliche Richter und Heiden waren, die letzteren aber Lehrer des Gesetzes und Priester des jüdischen Volkes, welche sich zum wahren Glauben bekannten. Ich will dir aber die Antwort auf dein Bedenken mittels einer Lehre geben, die nicht neu ist und die du auch sonst schon gehört hast, von der ich aber wünsche, dass du sie in deinem Geist wieder auffrischest und im Verlauf deines ganzen Lebens ja nicht vergessest. Merke dir darum wohl, meine Tochter: Der Fall von einer großen Höhe ist im höchsten Grad gefahrvoll, und das dadurch entstandene Unheil kann entweder gar nicht oder nur sehr schwer wieder gutgemacht werden. Luzifer hatte im Himmel einen außerordentlich hohen Platz, mag man nun seine natürlichen Eigenschaften oder die Gaben des Lichtes und der Gnade in Betracht ziehen, denn in seiner Schönheit übertraf er alle Geschöpfe. Aber durch seinen Sündenfall stürzte er in den tiefsten Abgrund der Hässlichkeit und des Elendes hinab, so dass er seinen ganzen Anhang an Verhärtung im Bösen übertrifft. Die Stammeltern des Menschengeschlechtes, Adam und Eva, waren zur höchsten Würde erhoben und mit Wohltaten überschüttet, da sie durch die Hand des Allmächtigen gebildet waren. Ihr Fall aber stürzte sie selbst und ihre Nachkommenschaft ins Verderben, und das Rettungsmittel kam unaussprechlich teuer zu stehen, wie der Glaube dies lehrt. Ja es war geradezu eine unendliche Barmherzigkeit, dass ihnen und ihren Nachkommen noch Rettung zuteil wurde.
1332. Gar manche andere Seelen sind auf den Gipfel der Vollkommenheit gelangt, aber von demselben auf die elendeste Weise wieder herabgestürzt und die Folge davon war, dass sie nachher fast verzweifelten oder es gar für unmöglich hielten, sich wieder zu erheben. Dieses Urteil entsteht von Seiten der Kreatur aus vielen Ursachen: Die erste ist die Mutlosigkeit und eine gewisse übertriebene Beschämung, welche einen solchen beschleicht, der aus einem hohen Stand der Tugend herabgestürzt ist, denn er hat nicht bloß größere Güter verloren, sondern zugleich auch das Vertrauen eingebüßt, dass er in Zukunft ebenso große Gnaden empfangen werde, wie die früheren, die er verloren hat. Und was die Gnade betrifft, die er mittels neuen Fleißes wieder erwerben kann, so verspricht er sich hierin keine größere Festigkeit, als bei jenen, die er schon erlangt, aber in seiner Undankbarkeit vergeudet hat. Dieses gefährliche Misstrauen hat dann die schlimme Folge, dass er nur mit Lauheit, ohne Eifer, ohne Fleiß, ohne Freude und bereitwillige Hingabe ans Werk geht, denn alles dieses wird durch das Misstrauen zerstört. gleich wie umgekehrt ein lebendiges und festes Vertrauen gar manche Schwierigkeiten überwindet und der Schwachheit der menschlichen Kreatur Kraft und Leben zur Ausführung großartiger Werke verleiht. Ein weiterer Grund, der nicht minder zu fürchten ist, ist folgender: Wenn Seelen, welche an die Gnadenerweisungen Gottes gewöhnt sind, sei es nun infolge ihres Amtes, wie die Priester und Ordensleute oder sei es wegen ihrer Tugendübungen und besonderen Gnaden, wie andere fromme und einem geistlichen Leben ergebene Personen, in Sünde fallen, so geschieht dies gewöhnlich infolge von Geringschätzung der göttlichen Gnaden und des schlechten Gebrauches der göttlichen Dinge. Denn weil sie häufig mit heiligen Dingen umgehen, so geraten sie in den gefährlichen Zustand der Gleichgültigkeit, in welchem sie die Gaben des Herrn nur wenig schätzen. Durch diese Unehrerbietigkeit und geringe Wertschätzung verhindern sie die Wirkungen der Gnade, eben weil sie nicht mehr mit derselben mitwirken: sie verlieren die heilige Furcht, welche dazu anregt und aneifert, dass man gut handle, dem Willen Gottes gehorche und deshalb auch die Mittel in Anwendung bringe, welche Gott zum Aufstehen von der Sünde und zur Erlangung seiner Freundschaft und des ewigen Lebens bestimmt hat. Diese Gefahr besteht offenbar für die lauen Priester, welche ohne Furcht und Ehrerbietigkeit die heilige Kommunion und andere Sakramente so oft empfangen: sie besteht ferner für die Gelehrten, Weisen und Machthaber der Welt, welche nur gar schwer sich bessern und ihre Sünden gutmachen, weil ihnen eben die Hochschätzung und Ehrfurcht vor den Gnadenmitteln der Kirche, d.h. vor den Sakramenten, der Predigt und der Christenlehre abhanden gekommen ist. Trotz all dieser Arzneimittel, welche anderen Sündern Heilung bringen und die Unwissenden gesund machen, bleiben jene krank, welche doch die Ärzte für die geistliche Gesundheit sind.
1333. Es gibt indes auch noch andere Ursachen der genannten unheilvollen Wirkung, Ursachen, welche ihre Erklärung in den Eigenschaften Gottes finden. Die Sünden jener Seelen nämlich, welche ihres Standes oder ihrer Tugend wegen dem Herrn besonders verpflichtet sind, wiegen in der Waagschale seiner Gerechtigkeit ganz anders als die Sünden anderer, von seiner Barmherzigkeit weniger begünstigter Seelen. Mögen auch die Sünden ihrer Natur nach ganz dieselben sein, so sind sie doch der Umstände wegen gar sehr verschieden. Denn die Priester. die Lehrer, die Mächtigen, die Prälaten und alle, deren Amt und Name Heiligkeit erfordern, stiften durch das Ärgernis ihres Falles und ihrer begangenen Sünden großes Unheil. Ihre Keckheit und Vermessenheit, womit sie sich gegen Gott erheben, ist größer, weil sie Ihn besser erkennen und Ihm mehr schulden. Sie beleidigen Ihn bei größerem Licht, mit größerer Erkenntnis und darum auch mit größerer Keckheit und Verachtung als die Unwissenden. Aus diesem Grund reizen die Sünden der Katholiken und namentlich der Einsichtsvolleren und Angeseheneren unter denselben Gott ganz besonders zum Unwillen, wie man dies aus dem ganzen Verlauf der Heiligen Schrift ersehen kann. Und weil bei dem Zeitraum des menschlichen Lebens, welcher einem jeden der Sterblichen zur Erwerbung der ewigen Belohnung angewiesen, ebenso auch das Maß der Sünden festgesetzt ist, welche die Langmut des Herrn an einem jeden ertragen und nachsehen will, dieses Maß aber von der göttlichen Gerechtigkeit nicht bloß nach der Menge und Anzahl, sondern ebenso auch nach der Beschaffenheit und Schwere der Sünde berechnet wird, so kann auch der Fall eintreten, dass bei Seelen, welche eine größere Erkenntnis und größere Gnadenerweisungen des Himmels erlangt haben, die Beschaffenheit der Sünden deren Menge ersetzt und dass sie wegen einer geringeren Anzahl von Sünden schon verlassen und bestraft werden, während dies bei anderen erst nach einer größeren Anzahl der Fall ist. Es ist nicht möglich, dass es einem jeden ergeht wie dem David (2 Sam 12,13) und dem hl. Petrus (Lk 22, 61), denn nicht bei allen ist dem Fall eine solche Menge guter Werke vorangegangen, welche der Herr berücksichtigen könnte. Auch gilt das, was einigen wenigen als ein Vorrecht verliehen wurde, durchaus nicht als allgemeine Regel für jedermann, denn nicht alle sind nach den verborgenen Ratschlüssen Gottes zu einem besonderen Amt auserwählt.
1334. Durch diese Lehre, meine Tochter, wird dein Zweifel gelöst sein und wirst du verstehen, wie böse und bitter es ist, wenn Seelen, welche der Herr mit seinem Blut erlöst und auf den Weg des Lichtes gestellt hat und welche Er immer noch auf diesem Wege leitet, Ihn, den Allmächtigen, beleidigen. Du siehst wie jemand von einem hohen Stand zu einer größeren Verhärtung und Verstockheit herabsinken kann als andere, die auf einer niedrigen Stufe stehen. Das Geheimnis des Leidens und Sterbens meines allerheiligsten Sohnes legt für diese Wahrheit Zeugnis ab, denn hierbei verfielen die Priester und Schriftgelehrten und jenes ganze Volk, welches im Vergleich mit den Heiden gegen Gott weit mehr verpflichtet war, wegen ihrer Sünden in eine so fluchwürdige und gefährliche Verkehrtheit Verblendung und Grausamkeit wie es selbst bei den Heiden nicht der Fall war, welche doch die wahre Religion nicht erkannten. Und deshalb wünsche ich auch, dass diese Wahrheit und dieses Beispiel deine Aufmerksamkeit auf eine so schreckliche Gefahr lenken, damit du eine vernünftige Furcht davor habest und mit der heiligen Furcht die demütige Dankbarkeit für die Wohltaten des Herrn, sowie eine große Hochschätzung derselben verbindest. Zur Zeit des Überflusses vergiss nicht der Not (Sir 18, 25). Vergleiche nur bei dir selbst das eine mit dem andern und bedenke, dass du den Schatz in einem zerbrechlichen Gefäß trägst (2 Kor 4, 7) und ihn darum verlieren kannst. Der Empfang so großer Wohltaten ist keineswegs ein Beweis, dass du sie verdienst und der Besitz ihrer ist keine Sache, welche dir von Rechts wegen zukommt, sondern ein Geschenk freier Gnade. Und würdigt dich der Allerhöchste seines vertrauten Umganges, so gewährt er dir damit noch keineswegs die Sicherheit, dass du nun nicht mehr fallen könnest oder dass du sorglos dahinleben oder die Furcht und Ehrerbietigkeit vor ihm verlieren dürfest. Mit dem Maß der empfangenen Gnaden, müssen auch diese Tugenden gleichen Schritt halten, denn auch der Zorn der Schlange ist im Verhältnis damit gewachsen. Der Satan stellt dir mehr nach als anderen Seelen, da er bemerkt hat, dass der Allerhöchste seine freigebige Liebe an dir mehr offenbart hat, als an tausend anderen. Würdest du darum so große Wohltaten und Erweise seiner Barmherzigkeit mit Undank erwidern, so wärest du äußerst unglücklich und einer scharfen Strafe würdig, und deine Sünde wäre unentschuldbar.
ZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Geißelung und Dornenkrönung
Unser Erlöser Jesus Christus wird auf Befehl des Pilatus gegeißeIt, mit Dornen gekrönt und verspottet. Was die allerseligste Jungfrau Maria hierbei getan hat.
1335. Pilatus erkannte einerseits die treulose Wut der Juden gegen Jesus von Nazareth und andererseits hätte er gewünscht, ihn nicht zum Tod zu verurteilen, weil er seine Unschuld erkannte. Darum war er der Ansicht, er würde, wenn er ihn scharf geißeln lasse, die Wut dieses undankbarsten Volkes und den Neid der Hohenpriester und Schriftgelehrten besänftigen, so dass sie von seiner Verfolgung und der Forderung seines Todes abstehen würden. Und wenn Christus etwa in dem einen oder andern Stück die jüdischen Zeremonien und Gebräuche verletzt hätte, so wäre er dafür hinreichend bestraft. Zu diesem Urteil kam Pilatus deshalb, weil er im Verlauf der Gerichtsverhandlung vernommen hatte, dass Christus der Übertretung des Sabbats und anderer Zeremonien beschuldigt werde. Denn diese eitle und törichte Beschuldigung hatte man gegen Ihn verleumderischerweise erhoben, wie aus dem Verlauf seines von den heiligen Evangelisten erzählten öffentlichen Lebens hervorgeht. Hieraus aber machte Pilatus allezeit seine Schlussfolgerungen wie ein Unwissender, denn beim Lehrmeister der Heiligkeit konnte von einem Vergehen gegen das Gesetz keine Rede sein. Er war ja gekommen, nicht um es aufzuheben, sondern um es zu erfüllen und zu vervollständigen (Mt 5,17). Und gesetzt auch, die Anschuldigung hätte auf Wahrheit beruht, so durfte der Herr deshalb noch nicht mit einer so maßlosen Strafe gezüchtigt werden. Denn es standen den Juden nach ihrem Gesetze ganz andere Mittel zu Gebote, wodurch sie sich von ihren häufigen Gesetzesübertretungen reinigten. Nie geschah es mittels einer so grausamen Strafe, wie die Geißelung es ist. Dieser Richter gab sich aber einer noch größeren Täuschung hin, indem er glaubte. die Juden besäßen noch eine Art von Menschlichkeit und natürlichem Mitleiden. Denn der Hass und die Wut derselben gegen den sanftmütigsten Lehrmeister waren nicht mehr die von Menschen, welche naturgemäß sich rühren und besänftigen lassen, wenn sie den Feind unterjocht und erniedrigt sehen, denn gewöhnliche Menschen haben doch immer noch ein Herz von Fleisch. Die Liebe zu ihresgleichen ist ihnen natürlich und verursacht bei ihnen einiges Mitleid. Aber jene treulosen Juden waren vom Teufel besessen, ja gewissermaßen in Teufel umgewandelt welche gegen den, der am tiefsten erniedrigt und betrübt ist am meisten wüten. Und wenn sie jemand in der größten Verlassenheit erblicken, dann sagen sie: Nun wollen wir ihn verfolgen, denn er hat niemand, der ihn verteidigt und aus unsern Händen befreit (Koh 4,10).
1336. Weil nun aber die Raserei der Hohenpriester und der mit ihnen verbündeten Pharisäer gegen den Urheber des Lebens einmal einen solchen Charakter angenommen hatte, so verlor Luzifer die Hoffnung, seinen von den Juden angestrebten Tod verhindern zu können. Darum reizte er in seiner entsetzlichen Bosheit die Juden an, bei dem Mord des Heilandes mit maßloser Grausamkeit vorzugehen. Pilatus stand zwischen dem Licht der Wahrheit, die er erkannte, und den menschlichen und irdischen Rücksichten. von denen er sich leiten ließ. Weil er aber dem Irrtum folgte, in welchen gewöhnlich Vorgesetzte geraten, wenn sie solche Rücksichten haben, so ließ er denjenigen, dessen Schuldlosigkeit er doch beteuert hatte, scharf geißeIn. Mit der Ausführung dieser vom Teufel angestifteten höchst ungerechten Züchtigung, wurden sechs Gerichtsdiener oder Schergen beauftragt. Es waren dies sehr kräftige, starke, dabei aber gemeine, abscheuliche und jedes Mitleides bare Menschen. welche sich aus dem Amt der Schergen ein großes Vergnügen machten, denn ein gewalttätiger und boshafter Mensch freut sich allezeit, wenn er seine Wut auslassen kann und wäre es selbst durch entehrende, grausame und verabscheuungswürdige Handlungen. Diese Teufelsknechte nebst vielen anderen führten nun unseren Heiland Jesus Christus an den zu dieser Strafe bestimmten Ort. Dies war ein Vorhof oder eine bedeckte Flur des Hauses, wo man Verbrecher zu foltern pflegte, um sie zum Geständnisse ihrer Vergehen zu bringen. Dieser Vorhof gehörte zu einem nicht besonders hohen Gebäude und war von Säulen umgeben, von denen einige von dem Gebäude, das sie trugen, bedeckt, andere aber frei und mehr niedrig waren. An eine von diesen Säulen nun, welche aus Marmor war, banden sie den Herrn an und zwar ganz fest, denn sie hielten Ihn immer noch für einen Zauberer und fürchteten. Er möchte ihren Händen entwischen.(In der Kirche der hl. Praxedis in Rom wird ein Stück der Geißelsäule gezeigt. Der Herausgeber).
1337. Vor allem nun nahmen die Schergen unserem Erlöser das weiße Kleid ab und zwar unter ebenso großen Beschimpfungen, wie man Ihn im Haus des Ehebrechers Herodes damit bekleidet hatte. Als sie Ihm die Stricke und Ketten losbanden, mit denen Er seit der Gefangennahme im Ölgarten gebunden war, misshandelten sie Ihn auf so grausame Weise, dass sie dabei die Wunden aufrissen, welche die so stramm angezogenen Fesseln Ihm an den Armen und Handgelenken verursacht hatten. Nachdem sie seine göttlichen Hände von den Fesseln befreit hatten, gaben sie Ihm unter Beschimpfungen und Gotteslästerungen den Befehl, dass Er selber seinen ungenähten Rock, mit dem Er bekleidet war, ablege. Es war dies aber ganz der nämliche Rock, mit welchem Ihn seine heiligste Mutter in Ägypten bekleidet hatte, als ihr süßestes Jesuskind, wie ich an seinem Ort gesagt habe (oben Nr. 691), zu gehen anfing. Der Herr war bloß mit diesem einen Rock bekleidet, denn bei seiner Gefangennahme im Ölgarten hatte man Ihm den Mantel, den Er über seinem Rock zu tragen pflegte, abgenommen. Der Sohn des ewigen Vaters gehorchte den Schergen und fing an, seine Kleider abzulegen, um seinen heiligen und ehrbarsten Leib dem Spott einer so großen Volksmenge auszusetzen. Weil es aber den Vollstreckern dieser Grausamkeit schien, der Herr nehme in seiner Sittsamkeit die Entkleidung allzu langsam vor, so rissen sie Ihm den Rock gewaltsam und, wie man zu sagen pflegt, die Wolle samt der Haut vom Leib, um Ihn ja recht schnell zu entblößen. So war denn unser Herr und Heiland von allem entblößt, mit Ausnahme von einigen Lendentüchern, die Er unter dem Rock trug und welche die nämlichen waren, womit Ihn seine heiligste Mutter in Ägypten nebst dem kleinen Röcklein bekleidet hatte. Denn alle diese Kleidungsstücke waren zugleich mit dem heiligen Leib gewachsen und von Ihm niemals abgelegt worden, so wie Er auch jenes Lendentuch und die Sandalen, welche die göttliche Mutter Ihm bereitet hatte, niemals ablegte. Nur zur Zeit seines Predigtamtes ging der Heiland, wie schon oben (Nr. 1168) erwähnt wurde, manchmal barfuss.
1338. Einige Gelehrte haben meines Wissens behauptet oder gemeint, unser Erlöser Jesus Christus sei bei der Geißelung und Kreuzigung vollständig entblößt gewesen, indem Er diese Beschämung zur größeren Pein für seine Person zugelassen habe. Als ich aber einem erneuten Befehl gehorchend hierüber nach der Wahrheit mich erkundigte, wurde mir die Erklärung gegeben, dass zwar die Geduld des göttlichen Lehrmeisters bereit war, alles zu ertragen, was anständig war und dass Er keine Beschimpfung zurückwies. Auch hätten die Schergen die Schmach einer gänzlichen Entblößung seines heiligsten Leibes wirklich im Schilde geführt und bereits den Versuch gemacht, dem Heiland das Lendentuch, mit dem Er allein noch bedeckt war, abzunehmen. Allein sie vermochten ihr Vorhaben nicht auszuführen, denn als sie das Tuch anfassen wollten, wurden ihre Arme lahm und starr, wie das auch im Haus des Kajaphas geschehen war, wo sie ebenfalls den Herrn des Himmels entblößen wollten, wie ich im 17. Hauptstück erzählt habe (oben Nr. 1290). Es wandten zwar alle sechs Schergen bei dieser Beschimpfung ihre Kräfte an, allein es erging allen auf dieselbe Weise. Nur ein wenig vermochten diese Knechte der Sünde das Lendentuch zu heben, was sie auch taten, um den Herrn desto grausamer geißeln zu können. Und dies ließ unser göttlicher Erlöser zu, nicht aber, dass sie Ihn gänzlich entblößten und beraubten. Allein dieses Wunder, wodurch sie gehemmt und zur Ausübung ihrer Frechheit sich unfähig gemacht sahen, rührte und besänftigte die Herzen dieser Unmenschen keineswegs. Sie schrieben es vielmehr in ihrer teuflischen Wut der Zauberei und Schwarzkunst zu, deren sie den Urheber der Wahrheit und des Lebens beschuldigten.
1339. Als nun der allerheiligste Erlöser von einer großen Volksmenge auf diese Weise entblößt war, banden Ihn die sechs Schergen an eine der Säulen jenes Gebäudes, um Ihn ganz nach beliebig zu züchtigen. Sofort geißelten ihn je zwei und zwei der Reihe nach mit einer so unerhörten Grausamkeit, wie eine menschliche Kreatur dazu gar nicht imstande gewesen wäre, wenn nicht Luzifer selbst im gottlosen Herzen dieser seiner Diener seine Wohnung aufgeschlagen hätte. Die bei den ersten schlugen den Herrn mit Geißeln von knotigen, harten und dicken Stricken und boten bei dieser sakrilegischen Untat die ganze Wut ihres Zorns und die Stärke ihrer Körperkräfte auf. Durch diese ersten Geißelhiebe bedeckten sie den anbetungswürdigen Leib unseres Heilandes mit großen Striemen und Geschwülsten, so dass derselbe ganz mit Blut unterlaufen, geschwollen und entstellt war und von allen Seiten das kostbare Blut aus den Wunden hervorquoll. Als diese Schergen müde waren, traten zwei andere an ihre Stelle. Diese geißelten mit wetteifernder Grausamkeit den Heiland mit Peitschen von harten Lederriemen und zwar über die ersten Wunden, so dass alle zuvor verursachten Striemen und Geschwülste aufbrachen und das herausquellende göttliche Blut nicht bloß den ganzen heiligen Leib unseres Erlösers Jesu Christi benetzte, sondern auch die Kleider der gottlosen Schergen besprengte und bedeckte, ja sogar zur Erde niederrann. Nach dieser Misshandlung zog sich das zweite Paar zurück, und nun begann das dritte. Diese bedienten sich wiederum neuer Marterwerkzeuge, nämlich einer Art Peitschen von Ochsensehnen, welche hart waren wie ausgetrocknete Weidenruten. Diese letzten Schergen geißelten den Herrn noch grausamer als die früheren, denn sie schlugen nicht mehr seinen jungfräulichen Leib als vielmehr die bloßen Wunden, welche von den früheren Schergen verursacht waren. Auch waren sie von den Teufeln, welche über die Geduld Christi immer ärger in Wut gerieten, innerlich noch mehr angestachelt worden.
1340. Weil an dem hochheiligen Leib bereits alle Adern geöffnet waren und derselbe nur mehr einer einzigen ununterbrochenen Wunde gleichsah, so fand das dritte Schergenpaar keine gesunde Stelle mehr, an der sie noch andere Adern hätten öffnen können. Indem sie aber mit ihren unmenschlichen Hieben doch immer wieder zuschlugen, so geschah es, dass sie das makellose und jungfräuliche Fleisch unseres Herrn ganz zerrissen. Viele Stücke davon fielen auf den Boden und an manchen Stellen wurden die Gebeine so entblößt, dass sie mit Blut bedeckt, ganz offen und sichtbar waren. An einzelnen SteIlen war die Fläche der offenliegenden Gebeine größer als die Fläche einer Hand. Ja, um diese Schönheit, welche die aller Menschenkinder übertrifft, spurlos zu vernichten, gaben die Schergen dem göttlichen Heiland auch Geißelhiebe auf sein göttliches Angesicht, auf die Füße und die Hände. Keine Stelle, welche ihr gegen das unschuldigste Lamm gefasste Wut zu erreichen vermochte, blieb heil und unversehrt. Das göttliche Blut floss zur Erde nieder und sammelte sich an manchen Stellen in großer Menge. Jene Schläge nun, welche sie dem Herrn auf die Füße, die Hände und das Angesicht gaben, verursachten Ihm unbeschreibliche Schmerzen, weil diese Teile mehr aus Nerven bestehen und deshalb reizbarer und empfindlicher sind. Jenes ehrwürdige Angesicht war aufgeschwollen und verwundet, so dass durch das Blut und die Beulen, womit es bedeckt war, die Augen am Sehen gehindert waren. Außerdem übergossen sie den Heiland mit ihrem unreinen Auswurf, womit sie ihn alle zu gleicher Zeit verspien, so dass sie Ihn wahrhaft mit Spott sättigten (Klgl 3, 30). Die genaue Zahl der Streiche, welche dem Heiland am ganzen Leib, von der Fußsohle bis zum Scheitel, versetzt wurden, betrug fünftausendeinhundertundfünfzehn.
So ist der große Herr und Schöpfer des Weltalls, der seiner göttlichen Natur nach leidensunfähig war, um unsertwillen und in der Gestalt unseres sterblichen Fleisches ein «Mann der Schmerzen geworden». wie schon Jesajas vorhergesagt hat (Jes 53, 3). Er hat aus eigener Erfahrung unsere Schwachheiten kennengelernt und zwar im höchsten Grad und ist als der «Geringste aller Menschen» als der Auswurf aller betrachtet worden.
1341. Die Volksmenge, welche Jesu dem Nazarener, unserm Erlöser, gefolgt war, besetzte die Vorplätze vom Haus des Pilatus bis auf die Straßen, denn alles war auf den Ausgang dieser ungewöhnlichen Sache gespannt und disputierte und schwätzte im buntesten Durcheinander, wie es eben einem jeden sein Kopf eingab. Die jungfräuliche Mutter hatte bei diesem ganzen Wirrwarr unvergleichlich große Schmach und Bitterkeit wegen der Beschimpfungen und Lästerungen zu erdulden, welche die Juden und Heiden gegen ihren heiligsten Sohn ausstießen. Als sie Ihn aber an den Ort der Geißelung führten, zog sich die weiseste Herrin mit den drei Marien und dem hl. Johannes, welche ihr zur Seite standen, in einen Winkel des Vorplatzes zurück. In der Einsamkeit dieses Ortes weilend, schaute sie in einer klaren Vision alle Geißelstreiche und Qualen, welche unser Heiland erduldete. Und wenn sie sie auch nicht mit leiblichen Augen schaute, so blieb ihr doch keiner verborgen, geradeso wie wenn sie sie ganz in der Nähe gesehen hätte. Wie viele und große Schmerzen aber die große Königin und Herrin der Engel in dieser Stunde erduldet hat, geht über jede menschliche Vorstellung hinaus und wird erst mit andern in der Gottheit verborgenen Geheimnissen erkannt werden, wenn diese einmal zur Ehre des Sohnes und seiner Mutter allen offenbar werden. Ich habe schon an anderen Stellen dieser Geschichte und besonders bei Darstellung des Leidens unseres Herrn erwähnt, dass U. L. Frau an ihrem Leib alle Schmerzen fühlte, welche ihr Sohn an seinen Wunden erduldete. Diese Schmerzen empfand sie auch bei der Geißelung und zwar an allen Stellen ihres jungfräulichen Leibes, an denen unser Herr Jesus Christus die Geißelhiebe empfing. Diese unschuldigste Taube vergoss zwar kein Blut als das ihrer Tränen, auch wurde sie nicht wie ihr Sohn leiblich verwundet. Allein der Schmerz veränderte ihr Äußeres so sehr, dass der hl. Johannes und die drei Marien sie kaum mehr aus ihren Gesichtszügen zu erkennen vermochten. Aber noch weit heftigere Schmerzen als am Leib, litt sie an ihrer reinsten Seele, denn hier traf der Ausspruch zu: «Mit der Zunahme der Erkenntnis nimmt auch der Schmerz zu (Koh 1,18).» Abgesehen nämlich von der Mutterliebe und der übernatürlichen, göttlichen Liebe, die sie zu Christus dem Herrn trug, besaß sie auch eine Erkenntnis Jesu Christi, wie kein anderes Geschöpf sie besaß. Sie allein wusste in würdiger Weise die Unschuld Christi, die Würde seiner göttlichen Person und die Furchtbarkeit der Beleidigungen zu erfassen und zu begreifen, welche ihr göttlicher Sohn von den treulosen Juden und denselben Adamskindern erduldete, die er doch vom ewigen Tod erlöste.
1342. Als die Marter der Geißelung vollzogen war, banden die Schergen unseren Heiland in frechem Übermute von der Säule los und befahlen Ihm unter abermaligen Lästerungen, seinen Rock, den sie Ihm herabgerissen hatten, wiederum anzulegen. Aber einer der Schergen hatte während der Geißelung des sanftmütigsten Meisters auf Eingebung des Teufels die Kleider Jesu versteckt, damit man sie nicht finden sollte und Er deshalb zur größeren Verhöhnung und Verspottung seiner göttlichen Person entblößt dastehen müsse. Diesen boshaften Anschlag des Teufels erkannte die Mutter des Herrn. Deshalb machte sie von ihrer königlichen Macht Gebrauch und befahl dem Luzifer, sich mit allen seinen höllischen Geistern von diesem Ort zu entfernen. Alsbald machten sich diese davon, gezwungen durch die Macht der großen Herrin. Sodann ordnete sie an, dass der Rock ihres heiligsten Sohnes durch die Hände der Engel wiederum herbeigeschafft werde, damit der göttliche Heiland Ihn zur Hand habe, um seinen heiligsten, mit Wunden bedeckten Leib damit zu bekleiden. Alles dieses geschah ganz pünktlich, ohne dass jedoch die gottlosen Schergen dieses Wunder oder die Art und Weise, wie es stattfand, bemerkt hätten, denn sie schrieben alles der Zauberei und den teuflischen Künsten zu. Unser Heiland bekleidete sich nun, nachdem Er nicht bloß durch die Wunden. sondern auch noch durch die Kälte schmerzlich gelitten hatte, denn wie die Evangelisten bezeugen, war es damals kalt und der Sohn Gottes war geraume Zeit hindurch entblößt dagestanden. Dadurch war das Blut der Wunden zusammengeronnen und diese selber wurden zusammengezogen, schwollen an und verursachten um so empfindlichere Schmerzen. Die Kräfte aber wurden zu deren Ertragen vermindert, weil die Kälte sie schwächte, obschon das Feuer seiner unendlichen Liebe seine Kräfte wieder hob, um noch mehr zu leiden und nach immer größeren Leiden zu verlangen. Obwohl nun aber das Mitleid bei vernünftigen Kreaturen ganz in der Natur liegt, so fand sich doch niemand, der Ihn in seinem Elend und in seiner Not bemitleidet hätte, die schmerzhafte Mutter ausgenommen, welche Ihn im Namen des ganzen Menschengeschlechtes beweinte, betrauerte und bemitleidete.
1343. Unter den Geheimnissen des Herrn, welche der menschlichen Weisheit verborgen sind, erregt dies großes Erstaunen, dass die Wut der Juden, welche doch mit Gefühl begabte Menschen von Fleisch und Blut waren, wie wir es sind, durch den Anblick unseres lieben Heilandes, der so kläglich und durch 5115 Geißelstreiche verwundet dastand, nicht besänftigt wurde und dass solcher Schmerz in ihnen kein Mitleid erregte, sondern vielmehr ihrem Neid Veranlassung bot, um neue Arten von Beschimpfungen und Quälereien gegen den zu ersinnen, der in einem so erbärmlichen Zustand dastand. Und so gingen sie denn zu Pilatus und sprachen im Richthaus vor seinen Ratsmitgliedern zu ihm: «Dieser Verführer und Betrüger des Volkes, Jesus von Nazareth, hat mittels seiner Kunstgriffe und Torheiten zu erreichen gesucht, dass alle Ihn als König der Juden anerkennen. Damit nun sein Stolz gedemütigt und sein vermessenes Beginnen verächtlich gemacht werde, so wünschen wir von dir Erlaubnis, ihm die königlichen Abzeichen anzulegen, wie sie seinen phantastischen Vorstellungen gebühren.» Pilatus gab dieser gottlosen Forderung der Juden nach, so dass sie alles ihrem Wunsche gemäß ausführen konnten.
1344. Die Schergen führten nun unseren Heiland Jesus Christus in das Richthaus, wo sie Ihn abermals auf dieselbe grausame und höhnische Weise entkleideten und Ihm einen ganz zerrissenen und schmutzigen Purpurmantel anlegten, damit Er, als ein Theaterkönig gekleidet, zum allgemeinen Gespött diene. Auf sein hochheiliges Haupt aber setzten sie ein aus vielen Dornen gemachtes Geflecht, das Ihm als Krone dienen sollte. Dieses Geflecht bestand aus Dornen mit sehr scharfen und starken Spitzen und wurde ihm so fest aufgedrückt, dass viele von den Dornspitzen bis in die Hirnschale, einige bis in die Ohren und wieder andere bis in die Augen eindrangen. Und darum war die Pein, welche der Sohn Gottes durch die Dornenkrone erlitt, eine der größten. Anstatt des königlichen Zepters gaben sie Ihm ein verächtliches Rohr in seine rechte Hand. Überdies hingen sie Ihm noch einen Mantel von brauner Farbe, ähnlich den in der Kirche gebräuchlichen Rauchmänteln, um die Schultern, weil auch dieses Kleidungstück den Königen diente, um damit ihrer Würde und Person Glanz zu verleihen. Auf so schimpfliche Weise behandelten die treulosen Juden denjenigen als Spottkönig, der seiner Natur nach und aus so vielen Rechtsgründen der wahre König der Könige und der Herr der Herren war (Offb 19,16). Und nun vereinigten sich alle Soldaten vor den Augen der Hohenpriester und Pharisäer, nahmen Jesus, unsern Erlöser, in ihre Mitte und überhäuften Ihn unter maßlosem Hohn und Spott mit Lästerungen. Einige bogen die Knie vor Ihm und riefen Ihm spottweise zu: «Sei gegrüßt. König der Juden (Mt 27, 29; Joh 19, 3; Mk 15,19) !» Andere gaben Ihm Backenstreiche. Wieder andere schlugen Ihn mit dem Rohr, das Er in der Hand hielt, auf sein göttliches Haupt und verwundeten es. Andere endlich beschmutzten Ihn mit ihrem abscheulichen Auswurf. Mit einem Worte: alle insgesamt misshandelten und verspotteten Ihn mit verschiedenen Beschimpfungen, welche der Satan in seinem teuflischen Hass ihnen eingegeben hatte.
1345. O unbegreifliche, unermessliche Liebe ! O Geduld, wie sie von den Adamskindern nie geschaut und erdacht worden ist ! Wer, o mein Herr, mein höchstes Gut ! Wer hat deine Größe zu bewegen vermocht, dass du, der du doch deinem Wesen und deinen Werken nach wahrer und allmächtiger Gott bist, dich so sehr erniedrigt und so unerhörte Qualen, Beschimpfungen und Lästerungen erduldet hast ? Wer aber, o unendliches Gut ! Wer von allen Menschen hat nicht gegen dich ein Benehmen gezeigt, das dich hätte abhalten sollen, je etwas für Ihn zu tun oder zu leiden? Wer vermöchte sich etwas solches vorzustellen oder zu glauben, wenn wir deine unendliche Güte nicht kennen würden ? Nun aber, da wir diese deine Güte erkennen und mit der Sicherheit des heiligen Glaubens so staunenswerte Wohltaten und Wunder deiner Liebe schauen, wo ist unser Verstand? Was wirkt das Licht der Wahrheit, die wir bekennen ? Welcher Zauber hält uns gefesselt, weil wir trotz des Anblickes deiner Schmerzen, Geißelstreiche, Dornen, Verhöhnungen und Beschimpfungen ohne Scham und Furcht noch den Vergnügungen, Ergötzlichkeiten, Erholungen, Ehren und Eitelkeiten der Welt nachjagen? O wahrlich groß ist die Zahl der Toren (Koh 1,15). Es ist ja die größte Torheit und Niederträchtigkeit, wenn man seine Schuld anerkennt, aber nicht bezahlt, die Wohltat annimmt, aber niemals dafür dankt, das größte Gut vor Augen hat, aber es verächtlich von sich stößt und nicht danach greift: Torheit ist es, wenn man das Leben daran gibt und flieht, dem ewigen Tod aber entgegeneilt.
Jesus, das unschuldigste Lamm, öffnete bei diesen so vielen und großen Unannehmlichkeiten seinen Mund nicht. Aber ebenso wenig ließ sich auch die rasende Wut der Juden weder durch Ausübung ihres Spottes und Hohnes gegen den göttlichen Meister, noch durch die Qualen besänftigen, welche sie mit den seiner allerwürdigsten Person angetanen Beschimpfungen verbanden.
1346. Pilatus glaubte nun, dass ein so kläglicher Anblick, wie ihn Jesus von Nazareth darbot, die Herzen jenes undankbaren Volkes bewegen und rühren würde. Deshalb ließ er den Heiland an ein Fenster des Gerichtshauses führen, wo Ihn alle sehen konnten, wie er mit Geißeln zerschlagen, entstellt, mit Dornen gekrönt und mit den Spottgewändern eines Scheinkönigs angetan dastand. Zugleich wandte sich Pilatus zum Volk, mit den Worten: «Sehet da den Menschen (Joh 19, 5) !» Da sehet ihr den Menschen, den ihr als euren Feind betrachtet. Was könnte ich noch weiter mit Ihm anfangen, nachdem ich Ihn so scharf und strenge habe züchtigen lassen? Nun habt ihr nichts mehr von Ihm zu fürchten. Ich finde nichts des Todes Würdiges an Ihm. Was der Richter hier aussprach, war die ausgemachte und sichere Wahrheit. Aber damit verurteilte er seine eigene ungerechte Grausamkeit, da er einen Menschen, den er als unschuldig erkannt und bekannt hatte und von dem er wusste, dass er den Tod nicht verdiene, hatte züchtigen und zwar in einer solchen Weise hatte züchtigen lassen, dass ihm die Qualen nicht bloß einmal, sondern wiederholt das Leben hätten nehmen können. O wie blind ist doch die Eigenliebe und die Bosheit, wenn man nur auf diejenigen schaut, welche Würden geben und nehmen können ! Wie verblenden doch derlei Beweggründe den Verstand ! Wie trügerisch machen sie die Waage der Gerechtigkeit und fälschen diese bei der höchsten Wahrheit und bei der Verurteilung des Gerechtesten unter den Gerechten ! O erzittert, ihr Richter, die ihr auf Erden zu Gericht sitzt. Seht zu, dass Maß und Gewicht eurer Urteile und Aussprüche nicht trügerisch seien (Ps 2,10), denn richtet und verurteilet ihr jemand durch ein ungrechtes Urteil, so seid ihr selbst die Gerichteten und Verurteilten.
Doch die Hohenpriester und Pharisäer wollten in ihrem unersättlichen Hass unseren Erlöser Jesus Christus wirklich sterben sehen. Darum vermochte sie nur mehr der Tod des lieben Heilandes zufrieden zustellen und so erwiderten sie dem Pilatus: «Ans Kreuz mit Ihm, ans Kreuz mit Ihm !»
1347. Die Gebenedeite unter den Frauen, die heiligste Jungfrau Maria, erblickte ihren gebenedeitesten Sohn, als Pilatus Ihn mit den Worten: «Sehet da den Menschen !» dem Volke vorstellte. Sie fiel sogleich auf die Knie nieder, betete Ihn an und bekannte Ihn als den wahren Gottmenschen. Dasselbe taten auch der hl. Johannes und die heiligen Frauen sowie alle Engel, welche ihre große Herrin und Königin umgaben. Denn als Mutter unseres Erlösers und als Königin aller Engel hatte ihnen Maria befohlen, dies ebenfalls zu tun. Überdies taten dies auch die Engel nach dem Willen Gottes, den sie in Gott selbst erkannten. Dabei redete die weiseste Herrin den ewigen Vater, die heiligen Engel und ganz besonders ihren liebevollsten Sohn an und zwar in Worten voll Tiefe, voll Schmerz, Mitleiden und Ehrfurcht, wie sie nur in ihrem liebentflammten und keuschesten Herzen gebildet werden konnten. In ihrer tiefsten Weisheit erwog sie auch, wie geziemend es sei, dass in dieser Stunde, wo ihr heiligster Sohn in solcher Beschimpfung, Verspottung, Verachtung und Verhöhnung von Seiten der Juden dastand. die Achtung vor seiner Unschuld auf die geeignetste Weise bewahrt werde. In dieser weisesten Sorgfalt wiederholte die göttliche Mutter das schon angeführte Gebet für Pilatus, dass er nämlich als Richter unausgesetzt auf der Erklärung bestehe, dass Jesus des Todes nicht schuldig und kein Missetäter sei, wie die Juden vorgaben und dass dies von der Welt anerkannt werde.
1348. In der Kraft dieses Gebetes U. L. Frau fühlte Pilatus beim Anblick des Herrn, der durch die Geißelung und die Beschimpfungen in solches Elend gekommen war, großes Mitleiden. Er bedauerte es, dass er Ihn so grausam hatte züchtigen lassen. Und wenn bei ihm auch der Umstand, dass er von einem mehr sanften und mitleidsvollen Charakter war, einigermaßen zur Erregung dieser Gefühle beitrug, so wirkte in ihm doch ganz besonders die Erleuchtung, die ihm durch die Vermittlung der großen Königin und Mutter der Gnade zuteil wurde. Von eben dieser Erleuchtung angetrieben, ließ sich der ungerechte Richter mit den Juden auf so vieles Hin- und Herreden über die Freilassung unseres Erlösers ein, wie dies der heilige Evangelist Johannes im 19. Kapitel nach der Schilderung der Dornenkrönung berichtet. Als sie aber von Pilatus verlangten, er solle Ihn kreuzigen lassen, gab dieser zur Antwort: «So nehmt Ihn denn hin und kreuzigt Ihn, denn ich finde keinen gerechten Grund hierzu.» Die Juden aber erwiderten: «Nach unserem Gesetze ist Er des Todes schuldig, denn Er hat sich zum Sohn Gottes gemacht.» Diese Erwiderung flößte dem Pilatus noch mehr Furcht ein, denn sie brachte ihn auf den Gedanken, es möchte am Ende doch wahr sein, dass Jesus Christus in dem Sinn Sohn Gottes sei, wie er sich die Gottheit vorstellte. In dieser Furcht zog er sich in das Richthaus zurück, wo er unter vier Augen mit dem Herrn sprach und Ihn fragte, woher Er sei? Der Heiland aber gab auf diese Frage keine Antwort, denn Pilatus war in einem Zustand, in welchem er die Antwort nicht mehr verstanden hätte, eine solche auch nicht mehr verdiente. Trotzdem fuhr er fort, in den Heiland zu dringen und sprach zu ihm: «Sprichst du denn nicht mehr mit mir? Weißt du nicht, das ich Gewalt habe, dich zu kreuzigen oder freizulassen?» Pilatus wollte mit diesen Reden Jesus veranlassen, sich zu entschuldigen oder ihm etwas auf das zu antworten, was er zu wissen wünschte. Er war nämlich der Meinung, ein so niedergebeugter und gemarterter Mensch würde jedwede Bezeigung von Ehre und Gunst, die ihm der Richter etwa darböte, bereitwillig annehmen.
1349. Aber der Lehrmeister der Wahrheit antwortete dem Pilatus ohne eine Entschuldigung für seine Sache und mit größerer Würde, als jener erwartet hatte. Der Herr sprach nämlich zu ihm: «Du hättest keine Gewalt über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre und darum hat der, welcher mich dir überlieferte, eine größere Sünde (1 Joh 19,11).» Durch diese eine Antwort wurde diesem ungerechten Richter jede Entschuldigung wegen der Verurteilung Christi abgeschnitten, denn er hätte aus derselben erkennen sollen, dass über diesen Menschen Jesus weder ihm noch dem Kaiser eine Gewalt zukomme, er hätte einsehen sollen, dass die gegen Recht und Vernunft erfolgte Überantwortung Jesu an seinen Richterstuhl nur nach einer höheren Anordnung zugelassen sei und dass deshalb zwar Judas und die Hohenpriester eine größere Sünde begangen haben als er, da er Ihn nicht freiließ, dass aber er, wenn auch nicht im gleichen Grad wie die andern, dennoch gleichfalls an dem Verbrechen schuldig sei. Allein Pilatus gelangte nicht zur Erkenntnis dieser geheimnisvollen Wahrheit. Gleichwohl flößten ihm die Worte unseres Heilandes Jesu Christi nicht geringe Furcht ein und darum bemühte er sich noch angelegentlicher um seine Freilassung. Die Hohenpriester aber durchschauten diese Absicht des Pilatus und drohten ihm mit der Ungnade des Kaisers, in die er fallen würde, falls er jenen freilasse und nicht dem Tod überliefere, der sich zum König erhoben habe. Sie sprachen nämlich zu ihm: «Wenn du diesen Menschen freilässt, so bist du nicht des Kaisers Freund, denn jeder, der sich zum Könige macht, widersetzt sich seinen Anordnungen und Befehlen (Joh 19,12).» Sie sprachen also, weil die römischen Kaiser nicht duldeten, dass iregend jemand im ganzen Reiche ohne ihre Zustimmung die Auszeichnungen und den Titel eines Königs annehme und weil folglich Pilatus, wenn er dies geduldet hätte, die Befehle der Kaiser übertreten würde. Durch diese boshafte Drohung und Bemerkung der Juden geriet Pilatus arg in Verwirrung. Und so setzte er sich denn um die sechste Stunde auf seinen Richterstuhl, um über den Herrn das Urteil zu sprechen, machte aber noch einmal einen Versuch mit den Juden und sprach zu ihnen: «Seht da euren König (Joh 19,14) !» Diese aber erwiderten alle: «Weg mit Ihm, weg mit Ihm, ans Kreuz mit Ihm (Joh 19,15) !» Da sprach Pilatus: «Euren König also soll ich kreuzigen lassen?» Sie alle aber riefen einstimmig: «Wir haben keinen andern König als den Kaisers.»
1350. Pilatus ließ sich von der Hartnäckigkeit und Bosheit der Juden überwinden, Er setzte sich auf seinen Richterstuhl, der auf griechisch Lithostrotos, auf hebräisch aber Gabbatha heißt und sprach am Freitag vor dem Osterfest das Todesurteil über den Urheber des Lebens aus, wie ich im folgenden Hauptstück näher berichten werde. Nun eilten die Juden voll Übermut und wilder Freude vom Gerichtssaal weg, das Urteil laut verkündend, welches über das unschuldigste Lamm gefällt war, ein Urteil, das uns, ohne dass sie es ahnten, die Erlösung brachte. Alle diese Vorgänge waren der schmerzhaften Mutter wohl bekannt, denn sie schaute, draußen stehend, alles in einer deutlichen Vision. Und als die Hohenpriester und Pharisäer wegeilten und die Verurteilung ihres heiligsten Sohnes zum Kreuzestod bekanntmachten, erneuerte sich der Schmerz dieses keuschesten Herzens, das vom Schwert der Schmerzen, welches in es eindrang und es durchbohrte, unbarmherzig zerschnitten wurde. Weil aber der von U. L. Frau hierbei erduldete Schmerz jede menschliche Vorstellung übersteigt, so möchte ich hier nicht darüber erzählen, sondern überlasse diese Sache der christlichen Frömmigkeit. Und ebenso wenig ist es möglich. die Akte der Anbetung, der Huldigung, der Ehrfurcht, der Liebe, des Mitleids, des Schmerzes und der Ergebung zu beschreiben, welche Maria innerlich erweckte.
LEHRE, welche mir die große Königin und Herrin des Himmels gegeben hat
1351. Mit Staunen, meine Tochter, stellst du deine Erwägungen über die Hartherzigkeit und Bosheit der Juden sowie über die Nachgiebigkeit des Pilatus an, welcher diese Bosheit einsah und sich dennoch gegen die Unschuld meines Sohnes und Herrn davon einnehmen ließ. Dieses Staunen will ich dir mittels der Lehren und Anweisungen nehmen, welche dir zu einem vorsichtigen Wandel auf dem Weg des Lebens behilflich sind. Es ist dir schon bekannt, dass die alten Prophezeiungen über die Geheimnisse der Erlösung und überhaupt sämtliche Heilige Schriften unfehlbar in Erfüllung gehen mussten, denn eher würden Himmel und Erde vergehen, als dass diese nicht erfüllt würden, wie sie im göttlichen Geist festgesetzt sind (Mt 24, 35). Damit nun mein Sohn und Herr dem höchst schimpflichen Tod, welcher Ihm von den Propheten vorher verkündigt war, überliefert werde, musste es allerdings notwendig Menschen geben, welche Ihn verfolgten. Dass aber gerade die Juden und ihre Hohenpriester, sowie der ungerechte Richter Pilatus dies taten, das war ihr eigenes, selbstverschuldetes Unglück und äußerstes Verderben, nicht aber die Anordnung des Herrn, der ja alle selig machen wollte. Was diese Werkzeuge des Todes Christi in ein solches Verderben stürzte, das waren ihre eigenen Sünden und ihre übergroße Bosheit, womit sie der größten Gnade und Wohltat widerstanden, denn sie waren der Gnade gewürdigt, ihren Erlöser und Lehrmeister in ihrer Mitte zu haben, mit Ihm zu verkehren, Ihn zu kennen, seine Predigten und Lehren zu hören, seine Wunder zu sehen und von Ihm so außerordentliche Wohltaten zu empfangen, Gnaden, wie sie keinem der Altväter zuteil wurden, trotzdem diese so sehr danach verlangten. Dadurch wurde die Sache des Herrn gerechtfertigt und es offenbar gemacht, dass er seinen Weinberg mit eigener Hand pflanzte und ihn mit Wohltaten überschüttete, dieser aber zum Dank dafür nur Dornen und Disteln trug und dem Herrn, der ihn pflanzte, das Leben raubte. Es wurde offenbar, dass der Weinberg seinen Herrn nicht anerkennen wollte, wie er es hätte tun können und sollen und zwar weit eher als die Fremdlinge.
1352. Was nun an dem Haupt, d.h. an Christus, meinem Herrn und Sohn, geschah, das muss bis zum Ende der Welt auch an den Gliedern dieses geheimnisvollen Leibes, nämlich an den Gerechten und Auserwählten geschehen. Es wäre ja eine ungereimte Sache, wenn die Glieder dem Haupt, die Kinder dem Vater und die Schüler dem Lehrer nicht ähnlich wären. Nun muss es freilich zu jeder Zeit Ärgernisse in der Welt geben (Mt 18, 7), weil jederzeit Gerechte und Sünder, Auserwählte und Verworfene, Verfolger und Verfolgte, Marternde und Martyrer, Peiniger und Gepeinigte zusammen auf der Welt leben müssen. Allein die Verschiedenheit dieser Lose richtet sich nach der Bosheit oder Rechtschaffenheit der Menschen. Und wehe dem, der durch seine Schuld und seinen bösen Willen Ursache ist, dass das Ärgernis, welches kommen muss, durch ihn kommt. Wehe dem, der sich in solcher Weise zum Werkzeug des Satans macht. Mit dieser Art des Handelns haben zur Zeit, als die Kirche des Neuen Bundes im Entstehen begriffen war, die Hohenpriester und Pharisäer im Verein mit Pilatus den Anfang gemacht, diese alle haben das Haupt dieses wunderbar schönen geistlichen Leibes gepeinigt und misshandelt. Diejenigen aber. welche im Verlauf der Weltzeit die Glieder der Kirche, d.h. die Heiligen und Auserwählten drangsalieren und bedrängen, sind die Nachahmer der Juden und wie sie Werkzeuge des Satans.
1353. Nun bedenke wohl, meine Tochter, welches dieser beiden Lose du vor dem Angesicht meines Herrn und vor mir wählen willst. Wenn dein Erlöser, dein Bräutigam, dein Haupt gemartert, bedrängt, mit Dornen gekrönt und mit Beschimpfungen überhäuft worden ist und wenn du an Ihm Anteil haben und ein Glied dieses geistlichen Leibes sein willst, so ist ein Leben in Ergötzlichkeiten nach dem Fleisch für dich weder schicklich noch möglich. Du musst Verfolgung leiden, nicht aber verfolgen, unterdrückt werden, nicht aber unterdrücken. Du musst das Kreuz auf dich nehmen und das Ärgernis ertragen, nicht aber dasselbe veranlassen. Du musst leiden, darfst aber keinem deiner Mitmenschen Leiden verursachen. Im Gegenteil, du musst, soweit es dir nur möglich ist, an der Rettung deiner Mitmenschen und an ihrem Heil tüchtig arbeiten, indem du immerfort in der Vollkommenheit deines Standes und Berufes Fortschritte machst. Das ist der Anteil der Freunde Gottes und die Erbschaft seiner Kinder in diesem sterblichen Leben und darin ist die Teilnahme an der Gnade und Glorie enthalten, welche ihnen mein Sohn und Herr durch seine Leiden, seine Beschimpfungen und den Kreuzestod verdient hat. Auch ich habe bei diesem Werk mitgewirkt und es hat mir keine geringeren Schmerzen und Trübsale gekostet, als wie sie dir gezeigt worden sind. Es ist mein Wille. dass du diese Leiden niemals deinem Gedächtnisse und deiner Vorstellungskraft entschwinden lassest. Der Allerhöchste wäre mächtig genug gewesen, seine Auserwählten in zeitlicher Hinsicht groß zu machen, ihnen Reichtum, Vergnügen und Auszeichnungen vor jedermann zu verleihen. Er hätte sie mit Löwenstärke ausrüsten können, so dass sie ihrer unbesiegbaren Macht alles unterworfen hätten. Allein es war nicht gut, sie auf diesem Weg zu führen. Denn sonst wären die Menschen insgesamt irregeführt worden und hätten geglaubt, ihre Glückseligkeit bestehe in sichtbarer. irdischer Größe. Sie hätten den Pfad der Tugend verlassen, die Ehre des Herrn verdunkelt, die Macht der göttlichen Gnade nicht erfahren und nach den geistigen und ewigen Gütern kein Verlangen getragen. Das ist die Wissenschaft, welche du ohne Unterlass studieren und in welcher du täglich Fortschritte machen sollst, indem du alles tust und übst, was du mittels ihrer einsiehst und erkennst.
EINUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Verurteilung Jesu zum Tod. Wortlaut es Urteils
Pilatus spricht das Todesurteil über den Urheber des Lebens. Der Sohn Gottes nimmt das Kreuz, an dem Er sterben soll, auf seine Schultern. Seine heiligste Mutter folgt Ihm nach. Was die große Herrin bei dieser Gelegenheit gegen den Teufel tat. Andere Vorkommnisse.
1354. Es sprach also Pilatus zur Freude und zum Frohlocken der Hohenpriester und Pharisäer das Urteil des Kreuzestodes über denjenigen, der das Leben selbst ist, über unseren Heiland Jesus Christus. Nachdem das Urteil dem unschuldigsten Angeklagten mitgeteilt worden war, brachte man den Sohn Gottes an einen anderen Ort im Haus des Richters, wo man Ihm den purpurnen Spottmantel, den man Ihm als einem Spott- und Theaterkönig angelegt hatte, wieder abnahm. Von Seiten des Herrn war diese Handlung eine geheimnisvolle, von Seiten der Juden aber war sie ein Werk ihrer Bosheit. Sie ließen nämlich den Herrn deshalb in seinen eigenen Kleidern zur Kreuzigung führen, damit Er von jedermann erkannt würde, denn wegen der Geißelhiebe, der Verspeiung und Dornenkrone war sein göttliches Angesicht so sehr entstellt, dass Ihn das Volk nur mehr an seiner Kleidung zu erkennen vermochte. Man legte Ihm also den ungenähten Rock wieder an. Diesen hatten nämlich die Engel nach dem Befehl ihrer Königin herbeigebracht, indem sie ihn unsichtbarerweise aus dem Winkel einer Kammer holten, wohin ihn die Schergen geworfen hatten, als sie den Herrn entkleideten und Ihm den Purpurmantel des Spottes und Ärgernisses anlegten. Die Juden aber bemerkten von diesem Vorgang nichts. Sie achteten gar nicht darauf, denn ihre ganze Sorge war nur mehr darauf gerichtet, den Tod Christi zu beschleunigen.
355. Bei diesem hastigen Treiben der Juden machte die Nachricht, dass das Todesurteil über Jesus den Nazarener ausgesprochen worden sei, in kurzer Zeit die Runde durch die ganze Stadt. Haufenweise strömte das ganze Volk dem Haus des Pilatus zu, um Jesus zur Vollstreckung des Urteils hinausführen zu sehen. Die Stadt war damals mit Menschen angefüllt, denn abgesehen davon, dass die Zahl der Einwohner sehr groß war, waren noch sehr viele andere Leute von allen Seiten zur Osterfeier zusammengekommen. Und nun strömten alle zu diesem Schauspiel herbei und füllten die Straßen bis zum Palast des Pilatus an. Es war Freitag und zwar Parasceve. d.i. der Tag der Zurüstung, denn das griechische Wort Parasceve bedeutet soviel als Vorbereitung oder Zurüstung, weil die Hebräer an diesem Tag ihre Vorbereitungen auf den folgenden Sabbat trafen und alles zurecht richteten. Auf diesen fiel nämlich ihr großes Fest, an dem sie keine knechtlichen Arbeiten verrichteten, ja nicht einmal Speisen bereiteten, weshalb all dies schon am Freitag geschah. Vor dieser ganzen Volksmenge nun ließ man unsern Heiland in seiner eigenen Kleidung hinausziehen. Dabei war sein göttliches Angesicht so entstellt und mit Wunden, Blut und Auswurf bedeckt, dass niemand, der Ihn zuvor sah und kannte, Ihn jetzt wiedererkannt hätte. Er erschien nach dem Ausspruch des Jesajas (Jes 53, 4) wie einer, der aussätzig und vom Herrn geschlagen ist. Denn das vertrockente Blut und die vielen Beulen hatten Ihn so sehr entstellt, dass Er nur eine einzige Wunde zu sein schien. Auf den Befehl der betrübtesten Mutter hatten die heiligen Engel einige Male den unreinen Speichelauswurf von Ihm abgewischt. Allein man bedeckte Ihn damit alsbald aufs neue und zwar auf so maßlose Weise, dass Er jetzt ganz von dieser ekelhaften Unreinigkeit bedeckt erschien. Beim Anblick eines so schmerzvollen Schauspieles erhob sich unter dem Volk ein so verworrenes Schreien und Toben, dass man nichts mehr verstand und hörte als ein dumpfes Getöse und den Widerhall der Stimmen. Aus allen aber tönten die Stimmen der Hohenpriester und Pharisäer hervor, die mit maßloser Freude und voll Hohn dem Volk zuriefen, es solle auf den Straßen, durch welche der verurteilte Sohn Gottes geführt werden sollte, Platz machen und sich ruhig verhalten, damit man das Todesurteil vernehmen könne. Das übrige Volk ging in seinen Urteilen auseinander und war voll Verwirrung, da ein jeder von seiner Eingebung sich bestimmen ließ. Und von den vielen Fremden verschiedener Nationalität, welche diesem Schauspiel beiwohnten, waren die einen durch die Güte und Wunder des Erlösers mit Wohltaten beschenkt und unterstützt worden, die anderen hatten seine Lehre gehört und angenommen und waren seine Anhänger oder Freunde. So weinten die einen bitterlich, andere fragten, was dieser Mensch für Verbrechen begangen habe, dass man Ihn so strafe. Wieder andere standen bestürzt und schweigend da, und alles war voll Verwirrung und Lärm.
1356. Von den elf Aposteln war bloß der hl. Johannes gegenwärtig, welcher mit der schmerzhaften Mutter und den heiligen Frauen in der Nähe stand, jedoch in einiger Entfernung von der Volksmenge. Als nun der heilige Apostel sah, wie man seinen göttlichen Meister, von dem er, wie er wohl wusste, so sehr geliebt wurde, öffentlich einherführte, wurde seine Seele so von Schmerz ergriffen, dass er in Ohnmacht fiel, den Atem verlor und das Aussehen eines Sterbenden annahm. Auch die drei Marien fielen infolge einer starken Ohnmacht zu Boden. Nur die Königin der Tugenden blieb unbesiegbar. Ihr großmütiges Herz fühlte trotz des höchsten, über alle menschliche Beschreibung hinausgehenden Schmerzes keine Schwäche und Ohnmacht und erfuhr nichts von den Unvollkommenheiten, Schwächen und Ohnmachten der andern. Bei allem zeigte sie sich überaus klug, weise, stark und bewunderungswürdig und ordnete ihre äußerlichen Handlungen in so angemessener Weise, dass sie die Marien und den heiligen Johannes ohne Schluchzen und Erheben der Stimme ermutigte. Auch bat sie den Herrn, dass Er mit seiner Rechten dieselben kräftige und ihnen beistehe, damit sie an ihnen eine Begleitung bis zum Ende des Leidens habe. Und durch die Kraft dieses Gebetes erlangte der Apostel nebst den Marien Trost und Stärke, so dass sie wieder zu sich kamen und mit der großen Herrin des Himmels sprachen.
Bei all dieser Verwirrung ringsum und trotz des bittersten Schmerzes, den sie selbst erduldete, machte die göttliche Mutter nie auch nur eine einzige ungeordnete, auffallende Aktion oder Bewegung. In der würdevollen Haltung einer Königin stand sie da, während ununterbrochen Tränen ihren Augen entquollen. Sie betrachtete ihren Sohn und wahren Gott, flehte zum ewigen Vater, opferte Ihm die Schmerzen und das Leiden auf und schloss sich allen Akten und Handlungen ihres göttlichen Sohnes an. Sie erkannte die Bosheit der Sünde, drang in die Geheimnisse der Erlösung ein, lud die Engel dazu ein und betete für Freunde und Feinde, und indem sie den höchsten Grad der mütterlichen Liebe und des derselben entsprechenden Schmerzes erreichte, gab sie zugleich dem ganzen Chor ihrer Tugenden eine höhere Vollendung, zur Bewunderung der Himmel und zur höchsten Freude der Gottheit. Weil ich aber die Gefühle, welche diese große Mutter der Weisheit in ihrem Herzen erweckte und bisweilen auch mit ihren Lippen ausdrückte, mit einem Worte nicht wiederzugeben vermag, so muss ich die Sache der christlichen Frömmigkeit überlassen.
1357. Die Hohenpriester und Gerichtsdiener suchten das Volk zur Ruhe und zum Schweigen zu bringen, damit man das Urteil über Jesus den Nazarener vernehme, welches sie nun, nachdem es Ihm persönlich bekanntgegeben worden war, auch öffentlich und in seiner Gegenwart zu verlesen wünschten. Als die Menge ruhig wurde und unser Herr und Heiland gleich einem Verbrecher dastand, begannen sie das Urteil zu verkünden, und zwar mit lauter Stimme, damit alle es hören möchten. Und dasselbe taten sie auch nachher zu wiederholten Malen, auf den Straßen und zuletzt am Fuß des Kreuzes. Dieses Urteil ist sehr häufig gedruckt und verbreitet worden, wie ich gesehen habe. Und nach der Kenntnis, die ich hierüber erhielt, ist es im wesentlichen getreu wiedergegeben. Nur einige Worte sind noch beigefügt worden. Ich werde diese Zusätze hier nicht anführen, denn es wurden mir nur jene Worte mitgeteilt die ich hier, ohne etwas beizufügen oder wegzunehmen, niederschreibe. Sie lauten also:
Wortlaut des von Pilatus über Jesus von Nazareth, unsern Erlöser, gefällten Todesurteiles
1358. «Ich, Pontius Pilatus, Landpfleger von Unter-Galiläa, hier in Jerusalem Herrscher im Namen des Römischen Reiches, im Palast des Hauptgerichtshofes, richte, urteile und spreche aus, dass ich zum Tod verurteile Jesus, vom Volk Nazarener genannt und seiner Herkunft nach ein Galiläer, einen aufrührerischen Menschen, der gegen unser Gesetz, unseren Senat und den großen Kaiser Tiberius Cäsar sich erhebt. Und durch dies mein ausgesprochenes Urteil bestimme ich, dass Er am Kreuz sterbe, angeheftet mit Nägeln, wie dies bei Verbrechern gebräuchlich ist. Denn Er hat jeden Tag hier zahlreiche Leute, arme wie reiche, versammelt und vereinigt und unaufhörlich in ganz Judäa Aufruhr veranlasst, indem Er sich für den Sohn Gottes und den König von Israel ausgab, mit dem Untergang dieser so berühmten Stadt Jerusalem und ihres Tempels und des heiligen Reiches drohte, dem Kaiser die Steuern verweigerte und die Kühnheit hatte, in eben diese Stadt Jerusalem und in den heiligen Tempel Salomons in Begleitung einer großen Volksmenge mit Palmzweigen und im Triumphe einzuziehen. Ich erteile dem ersten Hauptmann, mit Namen Quintus Kornelius, den Befehl. dass er denselben zu seiner Beschämung durch genannte Stadt Jerusalem führe, und zwar gebunden, wie Er dasteht, nachdem Er meinem Befehl gemäß schon gegeißelt ist. Und damit jedermann Ihn erkenne, soll Er seine eigenen Kleider wieder anlegen und das Kreuz, an das Er genagelt werden soll, auf sich nehmen. Ferner soll Er zwischen zwei andern Räubern, welche wegen verübter Diebstähle und Mordtaten ebenfalls zum Tod verurteilt sind, durch alle öffentlichen Straßen umherziehen, damit Er auf diese Weise für alle Völker und Missetäter zum abschreckenden Beispiel diene.»
«Auch will und befehle ich durch dieses mein Urteil, dass man diesen Missetäter, nachdem Er durch die öffentlichen Straßen geführt ist, von der Stadt durch das Tor Pagora, weIches gegenwärtig das Antoninische heißt, hinausführe. Dass ferner ein Herold durch lauten Ausruf alle diese in meinem Urteil ausgedrückten Vergehen bekanntmache und Er dann auf den sogenannten Kalvarienberg geführt werde, wo man an den ruchlosen Verbrechern das Urteil der Gerechtigkeit zu vollstrecken pflegt. Daselbst soll Er an eben demselben Kreuz, das Er, wie schon gesagt, tragen soll, angenagelt und gekreuzigt werden und sein Leib zwischen den angeführten zwei Räubern hängen bleiben. Über dem Kreuze aber, und zwar an der höchsten Stelle desselben, soll die Aufschrift mit seinem Namen in den drei jetzt gebräuchlicheren Sprachen, nämlich in der hebräischen, griechischen und lateinischen angebracht werden, und in allen und jeder einzelnen soll ausgedrückt sein: <Dieser ist Jesus von Nazareth, König der Juden>, damit jedermann es verstehe und es allen bekannt sei.»
«Desgleichen befehle ich auch unter Strafe des Verlustes der Güter und des Lebens sowie der Auflehnung gegen das Römische Reich, dass niemand, wessen Standes und Berufes er auch sein mag, vermessentlich sich erkühne, den angeführten Richterspruch zu hindern, dessen strengste Ausführung durch mich befohlen, ausgesprochen, angeordnet und eingeleitet ist, nach den Bestimmungen und Gesetzen der Römer und Hebräer.
Im Jahre nach Erschaffung der Welt 5233, am 25. März. Pontius Pilatus, Richter und Landpfleger von Unter-Galiläa, im Namen des Römischen Reiches, wie oben eigenhändig.» 1359. Dieser Berechnung entsprechend, fand die Erschaffung der Welt im März(Viele heilige Väter, z.B. der hl. Basilius, der hl. Cyrill von Jerusalem, der hl. Gregor von Nazianz, der hl. Leo sind der Ansicht, die Welt sei in dem Monat Nisan, welcher mit der zweiten Hälfte des März und der ersten Hälfte des April zusammenfällt, erschaffen worden. Sie stützen ihre Behauptung auf Ex 12, 2, wo der Nisan der erste Monat des Jahres genannt wird. Siehe Tournely [Praelect. theolog. De Opere sex. dier. q. 1. a. 2], - Kornelius a Lapide [in Gen. 1. 12]. - Gotti [Theol. schol. tract. 8. q. 2. dub. 2. § 3]. - HI. Alfonsus [die göttI. Vorsehung, TI. 1. Hptst. 1. Nr. 18.2. Auff. S.24]. Der Herausgeber). statt. Und vom Tage der Erschaffung des Adam bis zur Menschwerdung des Wortes verflossen 5199 Jahre. Fügt man zu diesen noch die 9 Monate hinzu, während welcher der Sohn Gottes im jungfräulichen Schoß seiner heiligsten Mutter weilte und dann noch seine 33 Lebensjahre, so macht dies die oben genannten 5233 Jahre und die drei Monate aus, welche nach der römischen Berechnung der Jahre bis zum 25. des Monats März noch übrig sind. Denn nach dieser Berechnung der Römischen Kirche fallen auf das erste Jahr nicht mehr als 9 Monate und 7 Tage, weil nämlich das zweite Jahr mit dem ersten Januar beginnt. Was nun die verschiedenen Ansichten der Gelehrten betrifft, so ist mir mitgeteilt worden, dass jene, welche die heilige Kirche im römischen Martyrologium befolgt die richtige ist, wie ich schon in dem Kapitel, welches von der Menschwerdung unseres Herrn Jesu Christi handelt (Teil 2. B. 3. Hauptstück 11.), gesagt habe (siehe Teil 2. Nr. 138).
1360. Als das soeben angeführte Urteil des Pilatus über unsern Erlöser mit lauter Stimme vor dem ganzen Volk verlesen war, luden die Schergen das schwere Kreuz, an dem der Herr gekreuzigt werden sollte, auf seine zarten und verwundeten Schultern. Und damit Er es auf sich nehmen und mit seinen Händen festhalten könnte, banden sie Ihm die Hände los, die Stricke aber, welche um den Leib geschlungen waren, nahmen sie nicht ab, um den Heiland daran führen und zerren zu können. Und um ihre Grausamkeit noch besser auszulassen, machten sie mit diesen Stricken eine doppelte Schleife um den Hals. Das Kreuz war 15 Fuß lang, roh gezimmert und aus sehr schwerem Holz. Der zum Ausrufen des Urteils bestimmte Herold eröffnete den Zug, und jene ganze ordnungslose und lärmende Menge des Volkes samt den Gerichtsdienern und Soldaten setzte sich unter großem Spektakel und Geschrei in einem ganz ordnungslosen Aufzug in Bewegung, um vom Palast des Pilatus aus durch die Straßen Jerusalems auf den Kalvarienberg zu gelangen. Als nun Jesus, der Hohepriester und Erlöser der Welt im Begriff war, das Kreuz auf sich zu nehmen, blickte Er es mit einem Antlitz voll Jubel und außergewöhnlicher Freude an, wie der Bräutigam ein solches zu zeigen pflegt, wenn Er das kostbare Geschmeide seiner Braut erblickt, redete es in seinem Herzen an und umfing es mit folgender Ansprache:
1361. «O Kreuz, nach dem meine Seele sich sehnt, das du endlich meinem Verlangen gewährt und von ihm erreicht bist, du bist mir so teuer ! Komme nun, damit du mich in deine Arme aufnehmst und mein ewiger Vater auf eben diesen Kreuzesarmen wie auf einem heiligen Altar das Opfer zur ewigen Versöhnung mit dem Menschengeschlecht empfange. Um an dir zu sterben, bin ich vom Himmel niedergestiegen und habe ein sterbliches und leidensfähiges Leben und Fleisch angenommen. Du sollst das Zepter sein, womit ich über alle meine Feinde triumphieren werde, der Schlüssel, womit ich meinen Auserwählten die Pforten des Paradieses eröffnen will, das Heiligtum, wo die schuldbeladenen Kinder Adams Barmherzigkeit finden, und die Schatzkammer, aus der sie ihre Armut zu bereichern vermögen. Deiner will ich mich bedienen, um den Verunglimpfungen und Beschimpfungen der Menschen Achtung und Wert zu verschaffen, so dass meine Freunde dieselben mit Freuden umfassen und mit liebevollem Verlangen suchen, um mir auf jenem Weg nachzufolgen, den ich ihnen durch dich bahnen will. O mein Vater und ewiger Gott, ich preise dich als den Herrn Himmels und der Erde und aus Gehorsam gegen deine Macht und einen göttlichen Willen nehme ich das Holz zum Brandopfer meiner leidensfähigen unschuldigsten Menschheit auf meine Schultern und trage es bereitwillig für das ewige Heil der Menschen. O mein Vater, nimm dies als ein Opfer zur Versöhnung deiner Gerechtigkeit an, damit die Sterblichen von nun an nicht mehr Knechte, sondern Kinder seien und mit mir das Erbe deines Reiches erlangen !»
1362. Die heiligste Jungfrau Maria, die große Herrin der Welt, erkannte diese heiligen Geheimnisse, ohne dass ihr auch nur eines verborgen geblieben wäre: sie hatte von sämtlichen eine überaus tiefe Kenntnis und erfasste sie besser als selbst die Engel. Die Vorgänge, die sie mit leiblichen Augen nicht wahrzunehmen vermochte, erkannte sie mittels der übernatürlichen Erkenntnis und Wissenschaft, vermöge welcher sie die innerlichen Handlungen ihres heiligsten Sohnes schaute. Mittels dieses göttlichen Lichtes erkannte sie den unendlichen Wert, der dem heiligen Kreuzesholz in jenem Augenblick mitgeteilt wurde, wo es mit der vergöttlichten Menschheit unseres Erlösers Jesu Christi in Berührung kam. Unverzüglich bezeigte die weiseste Mutter dem Kreuz ihre tiefste Verehrung und brachte ihm den entsprechenden Kult dar. Dasselbe taten auch alle himmlischen Geister, welche den Herrn und die Königin umgaben. Maria schloss sich ihrem heiligsten Sohn auch in den zarten Liebesbezeigungen an, womit Er das Kreuz umfing. Auch sie richtete an das Kreuz ähnliche Worte und Ansprachen, welche für sie als die Gehilfin des Erlösers entsprechend waren. Ebenso wandte sie sich auch in ihrem Gebet an den himmlischen Vater, indem sie in allem als lebendiges Abbild ihr Ur- und Vorbild in erhabenster Weise nachahmte, ohne es auch nur an einem Pünktlein fehlen zu lassen. Als die Stimme des Heroldes, welcher auf den Straßen das Urteil wiederholte, erscholl und die göttliche Mutter dieses hörte, betete sie zu Ehren der sündelosen Unschuld ihres Sohnes und heiligsten Gottes einen Hymnus voll Lobpreisungen, welche sie den im Urteilsspruch angeführten Vergehen gegenüberstellte, so dass dadurch die Worte des Urteilsspruches zur Ehre und Verherrlichung des Herrn gedeutet wurden. Bei diesem Lobgesang halfen ihr die heiligen Engel, mit denen sie abwechslungsweise diese Lobsprüche betete, während sich die Einwohner Jerusalems in Lästerungen gegen ihren Schöpfer und Erlöser ergingen.
1363. Und weil in dieser Stunde der ganze Glaube, die ganze Wissenschaft und Liebe der Geschöpfe in dem großen Herzen der Mutter der Weisheit vereinigt war, so war auch sie allein imstande, in vollkommenster und würdiger Weise zu beurteilen und zu begreifen, was es heißen will: Gott leidet und stirbt für die Menschen. Und ohne dasjenige außer acht zu lassen, was sie nach außen hin zu tun hatte, erwog und erfasste sie in ihrer Weisheit sämtliche Geheimnisse der Erlösung sowie die Art und Weise, wie sie sich durch Mitwirkung derselben blinden Menschen, welche eben erlöst wurden, nach und nach vollzogen. In vollkommen würdiger Hochschätzung erwog sie, wer derjenige sei, der da litt, was Er litt, von wem und für wen Er litt. U. L. Frau allein war es, welche von der Würde der Person unseres Erlösers Jesu Christi, von den beiden Naturen, die Er in sich vereinigte, nämlich von der göttlichen und menschlichen, sowie von den Vollkommenheiten und Eigenschaften bei der nächst dem Herrn die höchste und vollkommenste Erkenntnis besaß. Und aus diesem Grund war auch sie allein von allen Kreaturen imstande, die Bedeutung des Leidens und Sterbens ihres Sohnes, des wahren Gottes, in vollkommen würdiger Weise zu erfassen. Die reinste Jungfrau war ja nicht bloß Augenzeugin von dem, was der Herr litt, sondern sie war auch Zeugin durch ihre eigene Erfahrung. Und in dieser Beziehung erregte sie eine heilige Eifersucht nicht bloß bei den Menschen, sondern auch bei den Engeln, welche dieser Gnade nicht gewürdigt waren. Die Engel wussten aber, dass die große Königin und Herrin die Schmerzen und Leiden ihres heiligsten Sohnes an Leib und Seele fühlte und dass die heiligste Dreieinigkeit ein unaussprechliches Wohlgefallen daran fand. Darum ersetzten sie den Schmerz, den sie zu erdulden nicht fähig waren, durch die Ehre und das Lob, das sie ihr spendeten. Hie und da geschah es auch, dass die schmerzhafte Mutter, ohne ihren heiligsten Sohn zu erblicken, die Teilnahme an den dem Herrn zugefügten Schmerzen schon an ihrem jungfräulichen Leib und im Geist fühlte, noch bevor ihr dieselben durch Erleuchtung kund wurden. Dann rief sie, wie von einer Überraschung betroffen aus: «Ach! welches Martyrium fügt man jetzt wiederum meinem Herrn und Sohn zu!» Und gleich darauf empfing sie die klarste Erkenntnis von allem, was mit dem lieben Heiland vorging. Die liebevollste Mutter war aber so wunderbar treu im Leiden und in der Nachahmung ihres Vorbildes, unseres lieben Heilandes Jesu Christi, dass sie niemals eine natürliche Erleichterung im Leiden suchte, weder für ihren Leib durch eine Ruhe oder durch Nahrung und Schlaf, noch für ihren Geist mittels einer trostreichen Erwägung, ausgenommen, wenn der Allerhöchste durch eine göttliche Gnadenwirkung sich ihr mitteilte. Dann nahm sie diese mit Demut und Dankbarkeit an, um daraus wieder neue Kraft zu schöpfen und mit um so größerem Eifer auf den Gegenstand ihrer Ursache seiner Peinen zu achten. Dieselbe Erkenntnis und das nämliche richtige Urteil besaß sie auch hinsichtlich der Bosheit der Juden und Gerichtsdiener, der Not des Menschengeschlechtes und seines Verderbens, sowie der äußerst undankbaren Gesinnung der Sterblichen, für welche ihr heiligster Sohn dem Leiden sich preisgab. Und sie erkannte dies alles in einem ganz außerordentlichen und vollkommenen Grad und fühlte es mehr denn alle Kreaturen.
1364. Die Rechte des Allmächtigen vollbrachte während dieser Vorgänge durch die Hand seiner heiligsten Mutter noch ein anderes verborgenes und wunderbares Geheimnis, nämlich gegen Luzifer und seine höllischen Diener. Der Hergang der Sache war aber folgender. Dieser Drache und seine Gesellen verfolgten mit gespannter Aufmerksamkeit alle Vorgänge beim Leiden des Herrn, über den sie immer noch im unklaren waren. Im Augenblick nun, wo der liebe Heiland das Kreuz auf seine Schultern nahm, fühlten alle diese Feinde eine neue Erschütterung und Lähmung ihrer Kräfte, welche ihnen, weil die Sache ihnen unbekannt und ganz ungewöhnlich war, große Überraschung und neue von Beschämung und Wut begleitete Bitterkeit verursachte. Infolge dieser auffallenden und unwiderstehlichen Wirkungen geriet der Fürst der Finsternis in Angst und Besorgnis, sein Reich könnte durch das Leiden und Sterben Christi irgendeinen schweren und unersetzlichen Schaden erleiden. Damit er nun nicht in Gegenwart unseres Heilandes Jesu Christi dies mitansehen müsse, beschloss der Drache, die Flucht zu ergreifen und sich mit allen seinen Anhängern in die Schlupfwinkel der Hölle zurückzuziehen. Als er aber diesen Plan auszuführen im Begriff stand, hinderte ihn unsere große Königin, die Herrin der ganzen Schöpfung, daran. Denn der Allerhöchste erleuchtete Maria zu gleicher Zeit, rüstete sie mit seiner Macht aus und ließ sie erkennen, was sie tun sollte. Und so wandte sich denn die königliche Mutter gegen Luzifer und seinen Anhang, hielt sie durch ihren königlichen Befehl von der Flucht ab und gebot ihnen, das Ende des Leidens abzuwarten und dessen ganzen Verlauf bis zum Kalvarienberg mitanzusehen. Die höllischen Geister vermochten dem Befehle der mächtigen Königin nicht zu widerstehen: sie erkannten und fühlten recht wohl die in ihr wirkende göttliche Kraft. Durch den Befehl Mariä gezwungen, begleiteten sie wie Gefangene unseren Heiland Jesus Christus bis auf den Kalvarienberg, auf welchem nach Anordnung der ewigen Weisheit der Herr vom Throne des Kreuzes aus dieselben besiegen sollte, wie wir später (unten Nr. 1412) noch sehen werden. Ich finde aber kein Beispiel, wodurch ich die Traurigkeit und Mutlosigkeit darzulegen vermöchte, wovon Luzifer und seine Teufel von diesem Augenblick an niedergebeugt waren. Ihr Gang auf den Kalvarienberg glich, wenn ich mich nach unserer Vorstellungsweise ausdrücken soll, dem Gange von Verurteilten, welche zum Tod geführt werden und aus Furcht vor der unvermeidlichen Strafe mutlos, schwach und traurig sind. Diese Strafe entsprach aber beim Teufel ganz seiner Natur und Bosheit und stand im Verhältnis zum Verderben, welches er in der Welt dadurch verursacht, dass er die Sünde und den Tod in dieselbe gebracht hatte (Weish 2, 24), zu deren Zerstörung Gott selbst sich nun dem Tod überlieferte.
1365. Unser Heiland setzte den Weg zum Kalvarienberg fort, indem Er nach dem Ausspruch des Jesajas (Jes 9, 6) seine «Obergewalt und Herrschaft» auf seine Schultern nahm, nämlich das heilige Kreuz, von dem aus Er die Welt beherrschen und sich unterwerfen sollte, das Kreuz, an welchem Er die Erhöhung seines Namens über alle Namen (Phil 2, 9) verdiente und das ganze Menschengeschlecht der tyrannischen Gewalt entriss, welche Luzifer über die Kinder Adams erlangt hatte (Kol 2,15). Derselbe Prophet Jesajas nennt diese tyrannische Gewalt «Joch und Stab des Einnehmers und Drängers (Jes 9, 4)», der gebieterisch und gewaltsam den Tribut der ersten Sünde eintrieb. Um diesen Tyrannen zu besiegen, um das Zepter seiner Herrschaft und das Joch unserer Sklaverei zu zerbrechen, nahm unser Heiland Jesus Christus das Kreuz auf die Schultern, wie auch das Joch der Sklaverei und das Zepter der königlichen Gewalt auf der Schulter getragen werden. Diese Gewalt nahm Er dem Satan und lud sie auf seine Schultern, damit die gefangenen Adamskinder von jener Stunde an, wo Er sein Kreuz umfasste, Ihn als ihren rechtmäßigen Herrn und wahren König erkennen und Ihm auf dem Weg des Kreuzes nachfolgen möchten. Denn durch das Kreuz hat Er alle Sterblichen seiner Herrschaft unterworfen. Am Kreuz hat Er sie zu seinen Untertanen und Dienern gemacht, am Kreuz hat Er sie um den Preis seines Blutes und Lebens erlöst.
1366. Aber leider ! Wie entsetzlich ist unser Undank und unsere Vergessenheit ! Dass die Juden und die Urheber des Leidens Christi dieses den Fürsten der Welt verborgene Geheimnis nicht kannten und das Kreuz des Herrn zu berühren sich nicht getrauten, weil sie es für etwas Schimpfliches und Entehrendes hielten, das war ihre eigene und zwar sehr große Schuld. Und doch war sie nicht so groß, wie die unsrige, denn uns ist dieses Geheimnis bereits entschleiert und im Glauben an diese Wahrheit verurteilen wir die Verblendung jener, die da unseren Herrn und Heiland verfolgten. Wenn wir aber diese als schuldig erachten, weil sie nicht wussten, was sie doch wissen sollten, wie groß mag dann unsere Schuld sein, die wir Christus als unseren Erlöser erkennen und bekennen und Ihn dennoch durch unsere Sünden verfolgen und kreuzigen, wie die Juden getan?
O mein Jesus, meine süßeste Liebe, du Licht meines Verstandes und Ruhm meiner Seele, stelle es doch nicht meiner Trägheit und Schwachheit anheim, ob ich dir mit meinem Kreuz auf dem Weg des deinigen nachfolgen wolle. Lasse es doch deine Angelegenheit sein, mir diese Gunst zu erweisen. Ziehe mich, o Herr, nach dir (Hld 1, 3), dann werde ich dem Wohlgeruch deiner feurigsten Liebe nachlaufen, deiner unaussprechlichen Geduld, deiner erhabensten Demut in Verachtung und Not. Dann werde ich teilnehmen an den Beschimpfungen, Verspottungen und Schmerzen, die dir zuteil geworden sind. Dies soll mein Anteil und mein Erbe sein in diesem sterblichen und elenden Leben. Dies soll meinen Ruhm und meine Ruhe ausmachen. Außer deinem Kreuz und deiner Schmach verlange ich weder Leben, noch Trost noch Ruhe, noch Freude !
Weil die Juden und jenes ganze verblendete Volk sich auf den Straßen Jerusalems sorgfältig zurückzogen, um ja das Kreuz des unschuldigsten Verurteilten nicht zu berühren, so bahnte sich der Herr selbst den Weg durch die Straße und räumte den Platz, auf dem Er einherschritt. Gleich als wäre die glorreiche Schmach, in welche die Niederträchtigkeit der Verfolger den Heiland versetzt hatte, eine ansteckende Pest, wichen die Feinde aus. Der übrige Teil des Weges aber war mit Leuten angefüllt und bot ein Bild der Verwirrung, des Lärmens und Schreiens, wobei man mitunter den Herold vernahm, der den Urteilsspruch ausrief.
1367. Die Gerichtsdiener, jedes menschlichen Mitgefühles und Wohlwollens bar, führten unseren lieben Heiland mit unglaublicher Grausamkeit und Frechheit einher. Die einen zogen Ihn an den Stricken vorwärts, damit Er seine Schritte beschleunige, andere aber zogen Ihn rückwärts, um Ihn aufzuhalten und dadurch zu quälen. Durch diese Gewalttätigkeiten und die schwere Last des Kreuzes veranlassten und drängten sie Ihn, dass Er oft hin- und herwankte und zu Boden fiel. Weil Er aber dabei an den Steinen anstieß, so entstanden neue Wunden, insbesondere an den beiden Knien. Und diese Verwundungen erneuerten sich ebenso oft, als sein Fall sich wiederholte. Auch an der Schulter verursachte die darauf gelegte Kreuzeslast eine neue Wunde. Und weil Er hin- und herwankte, so stieß Er bald das Kreuz an sein heiliges Haupt, bald aber das Haupt an das Kreuz. Und so drangen die Dornen der Krone ihm bei jedem neuen Stoß, den Er empfing, an den noch nicht verwundeten Stellen immer tiefer in das Fleisch ein. Zu diesen Schmerzen fügten diese Knechte der Bosheit noch zahlreiche Beschimpfungen durch Worte, fluchwürdige Schmähungen, ganz abscheuliche Verspeiung und durch Gassenkot, den sie Ihm in solcher Masse in sein göttliches Angesicht schleuderten, dass seine Augen, mit denen Er sie doch so barmherzig anblickte, davon geblendet wurden. Dadurch haben sie sich selbst als unwürdig verurteilt, dieses so freundliche Antlitz zu schauen. Dürstend vor Verlangen, Ihn sterben zu sehen, zwangen sie den sanftmütigsten Meister zur Eile und ließen Ihm keine Zeit, sich eine Erleichterung zu verschaffen. Und so war denn diese unschuldigste Menschheit, da sie in so wenigen Stunden mit einer solchen Flut von Qualen überschüttet wurde, ganz schwach und entstellt. Und wer immer Ihn erblickte, musste glauben, dass Er daran sei, den Schmerzen und Qualen zu erliegen.
1368. Unter der Volksmenge ging auch die sehmerzhafte und betrübte Mutter einher, welche in Begleitung des heiligen Johannes, der Magdalena und der andern Marien vom Haus des Pilatus aus ihrem Sohn folgte. Weil aber die verworrene Volksmenge sie hinderte, in die Nähe des Heilandes zu gelangen, so flehte die große Königin zum ewigen Vater um die Gnade, bei ihrem Sohn und Herrn am Fuße des Kreuzes stehen zu dürfen, so dass sie Ihn mit leiblichen Augen sehen könnte. Und als der Allerhöchste ihr dies gewährte, befahl sie auch den heiligen Engeln, die Sache so zu ordnen, dass ihr Wunsch erfüllt werde. Mit großer Ehrfurcht vollzogen die Engel diesen Befehl und führten ihre Königin und Herrin auf den Seitenweg einer Straße, wo sie ihrem heiligsten Sohn begegnete, und beide, Sohn und Mutter, sahen sich von Angesicht zu Angesicht und erkannten einander. In einem jeden von ihnen erneuerte sich hierbei der Schmerz über das, was das andere erduldete. Mündlich jedoch sprachen sie nicht miteinander, die Rohheit der Gerichtsdiener hätte dies auch nicht gestattet. Aber die weiseste Mutter betete ihren heiligsten, durch die Kreuzeslast so tief darnieder gebeugten Sohn und wahren Gott an und flehte mit der Stimme ihres Herzens zu Ihm, Er möge doch, da sie Ihm die Last des Kreuzes, wie sie dieses in ihrem Mitleid so innig wünschte, nicht zu erleichtern imstande sei und Er von den Engeln diesen Dienst nicht annehmen wolle, wenigsten vermöge seiner Macht den Schergen den Gedanken einflößen, Ihm jemand zu geben, der Ihm das Kreuz tragen helfe. Diese Bitte gewährte denn auch unser Heiland. Und so kam es, dass Simon von Cyrene angehalten wurde, das Kreuz dem Heiland tragen zu helfen. Von den Pharisäern und Gerichtsdienern wurden hierzu einige aus natürlichem Mitleid bewogen, andere aus Furcht unser Herr möchte das Leben verlieren, noch bevor Er es am Kreuz lasse, so außerordentlich schwach ging der liebe Heiland einher, wie ich schon gesagt habe.
1369. Es ist aber kein Mensch imstande, den Schmerz zu erfassen und zu beschreiben, welchen die reinste Taube, die jungfräuliche Mutter, auf diesem Wege zum Kalvarienberge empfand, indem sie den Gegenstand vor sich hatte, den sie allein auf würdige Weise zu schätzen und zu lieben verstand, nämlich ihren Sohn. Und notwendig wäre sie in Ohnmacht gesunken und gestorben, hätte nicht die göttliche Macht sie gestärkt und am Leben erhalten. In dieser äußersten Bitterkeit des Schmerzes redete sie den Herrn an und sprach in ihrem Herzen also zu ihm: «O mein Sohn und ewiger Gott, du Licht meiner Augen und Leben meiner Seele ! Nimm an, o Herr, das schmerzliche Opfer, dass es mir nicht vergönnt ist, dir die Last des Kreuzes zu erleichtern und dasselbe auf mich zu nehmen, die ich eine Tochter Adams bin, um daran aus Liebe zu dir zu sterben, wie du in deiner brennendsten Liebe zum menschlichen Geschlecht zu sterben verlangst ! O liebevollster Mittler zwischen der Schuld und der Gerechtigkeit ! Wie übst du doch die Barmherzigkeit bei so großer Ungerechtigkeit und solchen Beleidigungen ! O Liebe ohne Grenzen und Maß, die du solche Qualen und Beschimpfungen zulässt, um dein Feuer und deine Kraft nur noch mehr zu offenbaren ! O unendliche und süßeste Liebe, o befänden sich doch die Herzen der Menschen samt ihrem Willen in meiner Gewalt, damit sie nicht so schlecht vergelten möchten, was du für sie alle erduldest ! Ach, wer wird doch den Sterblichen zu Herzen reden und sie hinweisen auf das, was sie dir schuldig sind, weil der Loskauf aus ihrer Gefangenschaft und das Heilmittel gegen ihr Verderben dich so teuer zu stehen kommt !»
Außer diesen richtete die große Herrin der Welt noch andere Ansprachen an den Herrn, und zwar voll Weisheit und Erhabenheit. Ich vermag aber sie nicht wiederzugeben.
1370. Wie der heilige Evangelist Lukas (Lk 23, 27) berichtet, folgten unter der Menge des gewöhnlichen Volkes dem Herrn auch noch viele Frauen nach, welche wehklagten und bitterlich weinten. Zu diesen nun wandte sich der Herr und redete sie also an: «Töchter Jerusalems ! Weint nicht über mich, weint vielmehr über euch und über eure Kinder. Denn es werden Tage kommen, wo man sprechen wird: Selig sind die Unfruchtbaren, welche keine Kinder geboren, und die Brüste, die nicht gesäugt haben. Und alsdann wird man anfangen, zu den Bergen zu sprechen: Fallt über uns und zu den Hügeln: Bedeckt uns! Denn wenn man das am grünen Holz tut, was wird dann mit dem dürren geschehen (Lk 23, 28-31) ?» Durch diese geheimnisvollen Worte verlieh der Herr den Tränen, die um seines Leidens willen vergossen werden, sozusagen ihre Weihe und seine Billigung, indem Er sich für das Ihm bewiesene Mitleid dankbar erwies. Er wollte uns aber an diesen Frauen zeigen, welchen Beweggrund unsere Tränen haben müssen, wenn sie das rechte Ziel erreichen sollen. Jene mitleidsvollen Schülerinnen unseres Lehrmeisters begriffen dieses damals nicht. Sie weinten nur über seine Beschimpfungen und seine Schmerzen, keineswegs aber über die Ursache, weshalb Er diese erduldete. Und so wurden sie gewürdigt, hierüber Unterricht und Belehrung zu empfangen. Es war, als hätte der Herr zu ihnen gesagt: Weint über eure und eurer Kinder Sünden, denn wegen dieser leide ich, nicht wegen eigener Sünden, da ich solche nicht auf mir habe und nicht haben kann. Und ist es auch um euer Mitleid mit mir eine gute und gerechte Sache, so verlange ich doch, das ihr mehr über eure Sünden weint als über die Pein, die ich um derselben willen erdulde. Und weint ihr auf diese Weise, so wird mein Blut, der Preis der Erlösung, welchen dieses verblendete Volk nicht kennt, über euch und eure Kinder kommen. Denn es werden Tage kommen - nämlich die des allgemeinen Gerichtes und der Strafe - an denen man jene für glücklich halten wird, welche keine Kinder geboren haben. Dann werden die Verworfenen die Berge und Hügel anrufen, damit sie von ihnen bedeckt werden und meinen Zorn nicht schauen. Denn wenn ihre Sünden, die ich auf mich genommen habe, an mir, dem Unschuldigen, solche Wirkungen hervorgebracht haben, was wird dann an jenen geschehen, welche dürr und leer, d.i. ohne Furcht der Gnade und der Verdienste erscheinen werden?
1371. Zur Belohnung für ihre Tränen und ihr Mitleid wurden jene glücklichen Frauen erleuchtet, so dass sie diese Lehre erfassten. Die Bitte, welche Maria gestellt hatte, ging nun in Erfüllung. Die Hohenpriester, Pharisäer und Gerichtsdiener entschlossen sich nämlich, einen Menschen anzustellen, der unserem Erlöser beim Tragen des schweren Kreuzes behilflich wäre. Da kam eben Simon von Cyrene des Weges - er wird so genannt, weil er aus Cyrene, einer Stadt Libyens, stammte und nach Jerusalem gekommen war - der Vater von zwei Jüngern des Herrn mit Namen Alexander und Rufus. Diesen Simon nun nötigten die Juden, das Kreuz auf der noch übrigen Strecke des Weges zu tragen. Sie selbst rührten es nicht an, denn sie scheuten sich, ihm auch nur zu nahen. Sie verabscheuten das Kreuz als das Werkzeug zur Bestrafung eines Menschen, den sie als einen großen Verbrecher zur Hinrichtung führten. Und damit das ganze Volk ebenso dächte wie sie, gebrauchten sie so viele Zeremonien und Vorsichtsmaßregeln gegen das Kreuz. Der Cyrenäer nun nahm das Kreuz auf sich und folgte Jesu nach, der zwischen den zwei Räubern einhergehen musste, auf dass Ihn jedermann gleich diesen für einen Missetäter und Verbrecher halten sollte. Die Mutter unseres Erlösers Jesu Christi ging ganz nahe hinter ihrem göttlichen Sohn einher, so wie sie es gewünscht und vom himmlischen Vater erfleht hatte. Bei allen Leiden und Martern ihres gepeinigten Sohnes war sie dem Willen des himmlischen Vaters so gleichförmig, dass sie, obwohl sie alle Qualen des Herrn in seiner unmittelbaren Nähe an allen ihren Sinnen mitfühlte und daran teilhatte, dennoch niemals eine Bewegung oder ein Zeichen im Innern oder Äußern offenbarte, welches angedeutet hätte, dass sie ihre Zustimmung zum Leiden ihres Sohnes und Gottes zurücknehme. So groß war ihre Liebe und ihr Wohlwollen gegen die Menschen, und so groß die Gnade und Heiligkeit, womit diese Königin die Natur überwand.
LEHRE, welche mir die große Herrin und Königin gab
1372. Meine Tochter, die Frucht des Gehorsams, in welchem du meine Lebensgeschichte beschreibst, soll meinem Willen gemäß darin bestehen, das du dich in Wahrheit zu meiner und meines heiligsten Sohnes Schülerin ausbildest. Dies ist der erste Zweck der himmlischen Erleuchtungen, welche du über so erhabene und ehrwürdige Geheimnisse empfängst. Dies ist auch der erste Zweck der Lehren, die ich dir so oft gebe und in denen ich dich ermahne, dein Herz von jeder Zuneigung zu den Geschöpfen zu reinigen und loszuschälen, so dass du zu niemand mehr eine solche Zuneigung in dir duldest und von niemand eine solche annimmst. Durch diese Losschälung wirst du die Hindernisse von Seiten des Teufels überwinden, welche dir deiner weichen Natur wegen gefährlich sind. Und ich, die ich dies erkenne, mache dich aufmerksam und führe dich, wie eine Mutter und Lehrmeisterin, welche dich zurechtweist und unterrichtet. Durch die Wissenschaft des Allerhöchsten erkennst du die Geheimnisse seines Leidens und Sterbens sowie auch den einzigen und wahren Weg zum Leben, d.h. den Weg des Kreuzes. Du erkennst aber auch, dass nicht alle, die zu demselben berufen sind, auch auserwählt sind, ihn wirklich zu wandeln. Denn viele gibt es, welche, wenn man auf ihre Worte hört, Christus nachzufolgen verlangen. Aber nur sehr wenige finden sich, die in Wahrheit zu seiner Nachahmung sich anschicken. Denn wenn sie einmal das Kreuz der Leiden zu fühlen anfangen, dann werfen sie es wieder von sich ab und machen sich davon. Der Schmerz bei den Mühseligkeiten ist sehr empfindlich und kostet, eben weil das Fleisch im Spiel ist, der Natur Gewalt, die Frucht des Geistes aber ist mehr verborgen, und nur wenige lassen sich vom Licht leiten. Deshalb finden sich auch so viele unter den Sterblichen, welche die Wahrheit vergessen, auf ihr Fleisch merken und es immer mehr verzärteln und pflegen. Sie sind begeisterte Liebhaber der Ehre und wollen von Beschimpfungen nichts wissen. Sie haschen nach Reichtum und verabscheuen die Armut, sie lechzen nach Vergnügen und haben große Furcht vor der Abtötung. Alle diese sind Feinde des Kreuzes Christi (Phil 3,18); mit Furcht und Entsetzen fliehen sie davor und betrachten es als eine Schmach, gleich denen, welche den Herrn gekreuzigt haben.
1373. Noch eine andere Täuschung findet Eingang in der Welt, diese nämlich, dass viele Christus nachzufolgen sich einbilden, ohne aber zu leiden, zu wirken und sieh anzustrengen. Sie sind schon zufrieden, weil sie im Sündigen nicht mehr dreist sind, sie wollen die ganze Vollkommenheit nur in einer Klugheit oder trägen Liebe finden, in der sie ihrem Willen nichts versagen und keine solchen Tugenden ausüben, welche dem Fleisch ein wenig wehe tun. Dieser Täuschung würden sie entgehen, wenn sie beachten wollten, dass mein heiligster Sohn nicht bloß Erlöser, sondern auch Lehrmeister war, und dass Er der Welt den Schatz seiner Verdienste hinterlassen hat, nicht bloß als Rettungsmittel von der Verdammnis, sondern auch als Heilmittel, welches für die an der Sündenkrankheit darniederliegende Natur notwendig ist. Niemand war so weise wie mein Sohn und Herr und niemand vermochte die Erfordernisse der Liebe so gut zu erfassen wie Er, denn Er war und ist ja die Weisheit und Liebe selbst. Auch war Er mächtig genug, um seinen Willen in allem ins Werk zu setzen. Allein trotzdem, dass Er tun konnte, was Er wollte, erwählte Er doch nicht ein weichliches, dem Fleisch angenehmes Leben, sondern vielmehr ein Leben voll Mühseligkeiten und Schmerzen. Denn Er hätte sein Lehramt nicht genügend oder vollständig ausgeübt, wenn Er die Menschen bloß erlöst, sie aber nicht auch unterwiesen hätte, wie sie den Teufel, das Fleisch und sich selbst überwinden sollen, und wenn Er sie nicht belehrt hätte, dass diese großartigen Siege nicht anders errungen werden als durch das Kreuz, d.h. durch Mühsal, Buße, Abtötung und Demütigung. Denn das sind die Kennzeichen und Beweise der Liebe, das sind die Abzeichen der Auserwählten.
1374. Weil du nun, meine Tochter, den Wert des heiligen Kreuzes und die Ehre erkennst, welche die Demütigungen und Trübsale von ihm empfangen haben, so umfasse dein Kreuz und nimm es mit Freude auf dich, um damit meinem Sohn und deinem Lehrmeister nachzufolgen. Dein Ruhm im sterblichen Leben sei kein anderer als Verfolgung, Verachtung, Krankheit, Trübsal, Armut, Demütigung und alles dasjenige, was der Natur des sterblichen Fleisches peinlich und lästig fällt. Und damit du bei allen deinen Übungen mich nachahmst und mir Freude bereitest, so will ich, dass du in nichts Irdischem eine Erleichterung oder Ruhe suchst oder zulassest. Auch sollst du nicht lange bei dir selbst Erwägungen über deine Leiden anstellen, noch auch dieselben mit dem Verlangen nach Erleichterung offenbaren. Und noch weniger sollst du die von Geschöpfen dir etwa zugefügten Verfolgungen und Beschwerden als größer und lästiger darstellen. Nie sollst du deinem Mund die Äußerung entschlüpfen lassen, dass du vieles leidest, noch deine Leiden mit denen anderer Bedrängten vergleichen. Ich sage zwar nicht, es sei schon eine Sünde, wenn jemand sich irgend eine ehrbare Erleichterung auf mäßige Weise gestattet oder sich mit geduldiger Ergebung beklagt. Bei dir aber, liebste Tochter, würde eine solche Erleichterung schon eine Untreue gegen deinen Bräutigam und Herrn sein. Denn Er hat dich allein gegen sich weit mehr verpflichtet als tausend andere. Wenn du also im Leiden und Lieben deine Schuldigkeit tun willst, so darfst du es hierin an nichts fehlen lassen. Du darfst dich nicht eher zufrieden geben, als bis du mit der vollkommensten Hingabe und Treue leidest und liebest. Der Herr will an dir eine solche Gleichförmigkeit mit sich selbst sehen, dass du deiner trägen Natur keinen Seufzer mehr erlaubst, außer zu einem Zweck, der viel höher ist als der bloße Genuss der Ruhe und des Trostes. Und beseelt dich die Liebe, so wirst du dich auch von ihrer süßen Gewalt ziehen lassen, um im Lieben auszuruhen, und bald wird dich auch die Liebe zum Kreuz dieser Erleichterung entsagen lassen, wie du siehst. dass ich dies in demütiger Unterwürfigkeit getan habe. Halte an dem allgemeinen Grundsatz fest, dass jeder menschliche Trost etwas Unvollkommenes und Gefährliches ist. Und nur das darfst du annehmen, was der Allerhöchste dir entweder durch sich selbst oder durch seine heiligen Engel zusendet. Und von den Tröstungen seiner göttlichen Rechten sollst du sorgfältig das aufsuchen, was dir zu größeren Leiden Kraft verleiht. Von dem aber, was daran angenehm ist und in eine fühlbare Tröstung übergehen könnte, sollst du dich losmachen.
ZWEIUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Kreuzigung. Die sieben Worte. Maria unter dem Kreuz. Das Testament des Herrn
Kreuzigung unseres Heilandes Jesu Christi auf dem Kalvarienberg. Seine sieben Worte am Kreuz. Gegenwart seiner heiligsten Mutter Maria. Ihre großen Schmerzen.
1375. Unser Heiland, der wahre und neue Isaak, der Sohn des ewigen Vaters, kam endlich auf dem Berg des Opfers an. Es war dies derselbe Berg, auf welchen Ihm einstens sein Vorbild, der Sohn des Patriarchen Abraham, vorangegangen war. Hier wurde die Strenge, welche dem ersten, vorbildlichen Isaak gegenüber aufgehalten worden war, an dem unschuldigsten Lamm ausgeführt. (Dass es der Kalvarienberg war, auf dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte, behaupten der hl. Augustin, der hl. Hieronymus und andere. Siehe Cornelius a Lapide [in Gen 22. 9]. Der Herausgeber). Der Kalvarienberg war ein schmutziger und verabscheuter Ort, da er zur Bestrafung der Missetäter und Verurteilten bestimmt war, deren Leichname einen üblen Geruch und einen noch übleren Ruf über diesen Ort verbreiteten. Unser liebevollster Erlöser kam hier in solcher Ermattung an, dass Er ganz in Wunden und Schmerzen umgestaltet, mit Blut und Beulen bedeckt und entstellt erschien. Die Kraft der Gottheit, welche durch die hypostatische Vereinigung seine heiligste Menschheit vergöttlichte, stand Ihm wohl bei, aber nicht, um seine Qualen zu lindern, sondern um Ihn bei ihnen zu stärken, damit seine unendliche Liebe vollkommen gesättigt und sein Leben solange erhalten bliebe, bis er dem Tod die Erlaubnis gab, Ihm am Kreuz das Leben zu nehmen. Auch die schmerzhafte und betrübte Mutter kam voll Herzeleid oben auf dem Kalvarienberg an. Sie befand sich dem Leib nach ganz in der Nähe ihres Sohnes, dem Geist nach war sie vor Schmerz wie außer sich, denn sie war ganz in ihren Geliebten und seine Leiden umgestaltet. Neben ihr befanden sich der hl. Johannes und die drei Marien, denn für diese heilige Gesellschaft allein hatte Maria vom Allerhöchsten diese große Gnade erfleht und erlangt, dem Heiland und seinem Kreuz so nahe gegenwärtig sein zu dürfen.
1376. Die weiseste Mutter wusste, dass die Geheimnisse der Erlösung sich nun vollziehen sollten. Und da sie sah, wie die Schergen im Begriff waren, den Herrn zur Kreuzigung zu entkleiden, so erhob sie ihr Herz zum ewigen Vater und betete also zu ihm: «Mein Herr, ewiger Gott! Du bist der Vater dieses deines eingeborenen Sohnes, welcher als wahrer Gott von dir, dem wahren Gotte, von Ewigkeit gezeugt, als Mensch aber aus meinem Schoß geboren ist, wo ich Ihm die menschliche Natur gegeben habe, in der Er nun leidet. An meinem Herzen habe ich Ihn ernährt und gepflegt. Als wahre Mutter liebe ich Ihn, den besten Sohn, der jemals von einer Mutter geboren werden konnte. Als seine wahre Mutter habe ich ein natürliches Recht auf die mit seiner göttlichen Person vereinigte heiligste Menschheit. Und niemals entzieht deine göttliche Vorsehung dieses Recht demjenigen, der es besitzt und dem es zusteht. Jetzt aber bringe ich dir dieses mein Mutterrecht zum Opfer dar und lege es abermals in deine Hände, auf dass dein und mein Sohn zur Erlösung des Menschengeschlechtes geopfert werde. Nimm an, o Herr, dieses angenehme Opfer, denn ich würde dir kein großes Opfer bringen, wenn ich selbst geopfert würde und leiden müsste, nicht bloß weil mein Sohn wahrer Gott und gleichen Wesens mit dir ist, sondern auch wegen der Größe meines Schmerzes und meiner Pein. Dürfte nämlich ich statt seiner sterben und bliebe dadurch sein allerheiligstes Leben erhalten, so wäre dies für mich ein großer Trost und die Erfüllung meiner Wünsche.»
Dieses Gebet der großen Königin nahm der ewige Vater mit unaussprechlicher Freude und höchstem Wohlgefallen an. Dem Patriarchen Abraham (Gen 22,12) war nichts weiter gestattet, als seinen Sohn durch eine äußere, vorbildliche Zeremonie zu opfern. Die wahre und wirkliche Ausführung des Opfers hatte der ewige Vater für seinen Eingeborenen vorbehalten. Der Mutter Sara aber wurde von jener geheimnisvollen Zeremonie gar nichts gesagt und zwar nicht allein deshalb, weil Abraham den Befehl ungesäumt vollzog, sondern auch darum, weil der Herr der Mutterliebe Saras nicht einmal dies geringe Opfer anheimstellen wollte, denn wiewohl sie eine gerechte und heilige Frau war, so hätte sie doch vielleicht die Ausführung des göttlichen Befehls zu verhindern gesucht. Nicht so tat der Herr an der heiligsten Jungfrau Maria. Ihr konnte der himmlische Vater unbedenklich seinen ewigen Willensbeschluss anvertrauen, damit sie, mit dem Willen des Vaters vereint, in ihrer Weise mitwirke zum Opfer des Eingeborenen.
1377. Als die unüberwindliche Mutter dieses Gebet beendigt hatte, bemerkte sie, dass die gottlosen Schergen dem Herrn den Trank des Weines reichen wollten, der nach dem Berichte des hl. Matthäus (Mt 27, 34) und des hl. Markus (Mk 15, 23) mit Myrrhen und Galle vermischt war. Zur Bereitung dieser neuen Qual für unseren Heiland nahmen die Juden Anlass von dem Gebrauche, den zum Tod Verurteilten einen Trunk stark gewürzten Weines zu verabreichen, damit dadurch ihre Lebensgeister gestärkt würden und sie die Qualen der Hinrichtung standhafter ertragen könnten. Dieser mitleidige Gebrauch verdankt seine Einführung dem Ausspruch Salomons in den Sprichwörtern (Spr 31, 6). «Gebt starkes Getränk den Trauernden und Wein denen, die da Betrübnis des Herzens leiden.» Dieser Trank nun konnte anderen Verurteilten wohl einige Hilfe und Erleichterung gewähren, für unseren Heiland aber beabsichtigte die niederträchtige Grausamkeit der gottlosen Juden, ihn in eine Quelle größerer Pein zu verwandeln, denn sie gaben Ihm einen ganz bitteren Trank, dem sie Galle beigemischt hatten, damit Er bei Ihm keine andere Wirkung hätte, als Ihn durch seine Bitterkeit zu quälen. Die göttliche Mutter erkannte diese Unmenschlichkeit recht wohl und wandte sich darum in mütterlichem Mitleiden und unter Tränen an den Herrn und bat Ihn, ihn nicht zu trinken. Und der Herr gab der Bitte seiner Mutter so weit nach, dass Er, ohne sich dieser neuen Qual ganz und gar zu entziehen, den bitteren Trank kostete, aber nicht genoss (Mt 27, 34).
1378. Es war bereits die sechste Stunde, welche unserer Mittagsstunde entspricht, als die Gerichtsdiener dem Heiland, den sie seiner Kleider entblößt ans Kreuz nageln wollten, seinen ungenähten Rock und seine Kleider vom Leib rissen. Da aber der Rock geschlossen und weit war, so nahmen sie ihm ihn so ab, dass sie ihn dem Herrn über den Kopf zogen, ohne jedoch die Dornenkrone abzunehmen. Weil sie aber hierbei gar so gewaltsam verfuhren, so rissen sie zugleich mit dem Rock auch die Dornenkrone herab. Das war aber eine unermessliche Grausamkeit gegen den Herrn, denn sie rissen dabei die Wunden seines heiligen Hauptes wieder auf, und in einigen dieser Wunden blieben die Spitzen der Dornen stecken. Da nämlich die Dornen so hart und fest waren, die Schergen aber bei der gewaltsamen Abnahme des Rockes die Dornenkrone mit herunterrissen, so brachen viele dieser Dornen ab. Die Dornenkrone setzte man dem Heiland wieder fest auf das Haupt und zwar mit einer ganz gottlosen Grausamkeit, weil man Wunden auf Wunden häufte. Zugleich wurden dadurch auch die Wunden seines ganzen heiligsten Leibes wieder erneuert, denn der Rock war an diese bereits angeklebt. Ihn wegnehmen hieß daher, wie David (Ps 69, 27) sagt, soviel. als neuen Schmerz zum Schmerz seiner Wunden hinzufügen. Viermal beraubte man unseren Herrn und Heiland während der Passion seiner Kleider und legte Ihm sie wieder an. Das erste Mal tat man dies, um Ihn an der Säule zu geißeln, das zweite Mal, um Ihm den purpurnen Spottmantel anzulegen, das dritte Mal, als man Ihm diesen abnahm und seinen Rock wieder anlegte: das vierte Mal endlich geschah es auf dem Kalvarienberg, wo man Ihm aber seine Kleider nicht mehr anlegte. Und dieses Mal geschah es mit ganz besonderer Grausamkeit, denn jetzt waren seine Wunden zahlreicher und sein heiligster Leib war schon entkräftet. Auch war sein Leib auf dem Kalvarienberg mehr der Heftigkeit des Windes ausgesetzt, denn auch diesem Elemente war es gestattet, den Heiland bei seinem Tod durch große Kälte zu peinigen.
1379. Zu all diesen Qualen des Heilandes kam noch der Schmerz, dass Er vor seiner heiligsten Mutter und den frommen Frauen, welche sie begleiteten, sowie vor der anwesenden Volksmenge entblößt dastehen musste. Die einzige Bekleidung, die Er behalten hatte, waren die Lendentücher, welche Ihm seine heiligste Mutter in Ägypten unter dem Rock angelegt hatte. Diese vermochten Ihm die Schergen weder bei der Geißelung. noch auch jetzt, da sie Ihn kreuzigen wollten, wegzunehmen, so dass Er sie also mit sich ins Grab nahm. Und so ist es mir oftmals mitgeteilt worden (siehe oben Nr. 1338). Übrigens wäre unser lieber Heiland, soweit es auf Ihn ankam, gerne in der äußersten Armut gestorben, ohne irgend einen erschaffenen Gegenstand bei sich zu haben, obgleich Er Schöpfer und wahrer Herr aller Dinge war. Er wäre bereit gewesen, in vollkommener Entblößung und selbst der Lendentücher beraubt, zu sterben, wenn nicht seine heiligste Mutter durch ihren Willen und ihr Gebet ins Mittel getreten wäre. Denn sie war es, welche flehte, Er möge diese Tücher behalten, und unser Heiland willfahrte dieser Bitte, indem Er die äußerste Armut, in welcher Er zu sterben sich sehnte, durch diesen Akt kindlichen Gehorsams ersetzte.
Das heilige Kreuz lag bereits am Boden und die Schergen besorgten alles übrige, was erforderlich war, um den Herrn und die beiden Schächer, welche mit Ihm sterben sollten, zu kreuzigen. In der Zwischenzeit aber, während alles hergerichtet wurde, wandte sich unser Erlöser und Lehrmeister an seinen himmlischen Vater und sprach folgendes Gebet:
1380. «O ewiger Vater, mein Herr und Gott ! Deiner unermesslichen Majestät, deren Güte und Gerechtigkeit unendlich ist, opfere ich auf meine ganze menschliche Natur samt all den Werken, welche ich in ihr nach deinem heiligsten Willen vollbracht habe, indem ich aus deinem Schoß in dieses leidensfähige und sterbliche Fleisch herabstieg, um meine Brüder, die Menschen zu erlösen. In Vereinigung mit mir opfere ich dir auf, o Herr, meine liebreichste Mutter, ihre Liebe, ihre höchst vollkommenen Werke, ihre Schmerzen, ihre Pein, ihre Anstrengungen und die weiseste Sorgfalt, die sie gezeigt hat, indem sie mir gedient, mich nachgeahmt und bis zum Tod begleitet hat. Ich opfere dir auf die kleine Herde meiner Apostel, die heilige Kirche, die Versammlung der Gläubigen, welche jetzt besteht und bis zum Ende der Welt noch bestehen wird, und mit ihr auch alle sterblichen Kinder Adams. Alles dieses übergebe Ich deinen Händen, der du ihr wahrer Gott und allmächtiger Herr bist. Was mich betrifft, so leide und sterbe ich bereitwillig für alle. Ich will, dass alle selig werden, wenn nur alle mir nachfolgen und sich mein Erlösungswerk zunutze machen wollen. Durch die Gnade, die ich ihnen verdiene, sollen sie aus Sklaven des Teufels deine Kinder und meine Brüder und Miterben werden. Besonders aber, o mein Herr, opfere ich dir die Armen. die Verachteten und Bedrängten. Sie sind meine Freunde, sie sind es, welche mir auf dem Kreuzweg nachfolgen. Auch wünsche ich, dass die Gerechten und Auserwählten auf ewig in dein Gedächtnis eingeschrieben werden. Ich flehe zu dir, o Vater, dass du der Strafe deiner Gerechtigkeit gegen die Menschen Einhalt tust und die Züchtigung von ihnen abwendest. Bestrafe sie nicht wie sie es für ihre Sünden verdienen. Sei ihnen von dieser Stunde an Vater, wie du mir Vater bist. Ich bitte dich auch für alle diejenigen, die mit frommer Gesinnung bei meinem Tod zugegen sind, damit sie durch dein göttliches Licht erleuchtet werden. Endlich bitte ich für alle meine Verfolger, damit sie sich zur Wahrheit bekehren. Vor allem aber bitte ich dich um die Erhöhung deines unaussprechlichen und heiligsten Namens.»
1381. Diese Anmutungen und Bitten unseres Erlösers Jesu Christi waren seiner heiligsten Mutter Maria gar wohlbekannt. Darum betete auch sie nach dem Beispiel ihres Sohnes zum himmlischen Vater auf die ihrer Stellung entsprechende Weise. Denn niemals vergaß die weiseste Jungfrau die ersten Worte, welche sie aus dem Mund ihres Sohnes und Lehrmeisters alsbald nach seiner Geburt vernommen hatte. Niemals unterließ Sie, sie ins Werk zu setzen, jene Worte nämlich: «Meine Freundin, werde mir ähnlich (oben Teil 2. Nr. 481).» Andererseits ging aber auch jederzeit jene Verheißung in Erfüllung, welche derselbe Herr ihr gemacht hatte, dass ihr nämlich als Gegengabe für das neue, menschliche Leben, das sie dem ewigen Worte in ihrem jungfräulichen Schoß verliehen hatte, von seiner Allmacht ein anderes, neues, himmlisches und über alle Kreaturen erhabenes Gnadenleben mitgeteilt werden solle. Zu dieser Gnadenauszeichnung gehörte aber die Erkenntnis und überaus hohe Erleuchtung, mittels deren die große Herrin alle Handlungen der heiligsten Menschheit ihres Sohnes erkannte, ohne dass irgend eine ihr verborgen geblieben und ihrem Geistesblick entzogen worden wäre. Und ihrer Erkenntnis entsprechend ahmte sie sie auch nach, und zwar so, dass sie allezeit sie mit Sorgfalt beachtete, mit tiefem Verständnis durchschaute, mit Bereitwilligkeit ausführte und dabei mit Kraft und großer Anstrengung handelte. Deshalb wurde sie vom Schmerz nicht verwirrt, durch die Angst nicht gehindert, durch die Verfolgung nicht in Verlegenheit gebracht und durch die Bitterkeit des Leidens nicht entkräftet. War nun aber diese Standhaftigkeit an der großen Königin so bewunderungswürdig, so wäre sie dies doch in geringerem Grad gewesen, wenn Maria beim bitteren Leiden und Sterben ihres Sohnes nur in der Weise gegenwärtig gewesen wäre, wie die anderen Gerechten, d.h. bloß als Augenzeugin. Allein das war nicht der Fall. Sie war in jeder Hinsicht ganz einzig und ihresgleichen, und darum hat sie, wie schon gesagt wurde (oben Nr. 1341), alle inneren und äußeren Schmerzen, welche unser gütigster Jesus an seiner Person litt, an ihrem jungfräulichen Leib mitempfunden. Mit Rücksicht auf dieses Mit-Leiden kann man darum sagen, dass auch die göttliche Mutter gegeißelt, mit Dornen gekrönt, verspien, geschlagen, mit dem Kreuz beladen und an das Kreuz geschlagen worden sei, eben weil sie diese und alle andere Pein an ihrem reinsten Leib empfand. Und war auch die Art und Weise verschieden, so bestand doch auch wieder die höchste Ähnlichkeit, damit die Mutter in jeder Hinsicht das lebendige Abbild ihres Sohnes sei. Außer der Größe und Würde, welche bei der heiligsten Jungfrau Maria, soweit dies nach dem Verhältniss ihrer Stellung nur immer möglich war, der Größe und Würde Christi entsprechen musste, war in diesem Wunder auch noch ein anderes Geheimnis verborgen. Es sollte nämlich gewissermaßen der Liebe Jesu Christi sowie der Erhabenheit seines Leidens und seines Verlangens dadurch entsprochen werden, dass eben dieses Leiden zu all diesen Zwecken in einem reinen Geschöpf ein Abbild erhielt. Unter allen Geschöpfen hatte aber keines auf diese Auszeichnung ein solches Anrecht wie die göttliche Mutter.
1382. Um die Löcher für die Nägel am Kreuz bezeichnen zu können, gaben die Schergen mit gebieterischem Hochmut dem Schöpfer des Weltalls - o der schaudervollen Vermessenheit - den Befehl, Er solle sich auf dem Kreuz ausstrecken. Der Lehrmeister der Demut gehorchte ohne Widerrede. Jene aber, von unmenschlicher Grausamkeit getrieben, bezeichneten die Löcher nicht der Größe des heiligen Leibes entsprechend, sondern weiter auseinander, und zwar in der Absicht, die sie später ausführten. Die Mutter des Lichtes erkannte auch diese neue Grausamkeit. Dies war aber eine der größten Qualen, welche ihr keuschestes Herz im Verlaufe des ganzen Leidens erduldete. Denn sie durchschaute die ruchlosen Absichten dieser Lasterbuben und fühlte schon zum voraus den Schmerz, welchen ihr heiligster Sohn bei der Annagelung ans Kreuz werde erdulden müssen. Allein sie vermochte nichts dagegen zu tun, denn der Herr wollte eben auch diese Pein für die Menschen erdulden. Als sich nun der liebe Heiland wieder erhob, damit man die Löcher in das Kreuz bohren könne, trat die große Herrin näher hinzu, fasste Ihn an einem seiner Arme, betete Ihn an und küsste Ihm mit der höchsten Ehrfurcht die Hand. Die Schergen ließen dies geschehen, weil sie glaubten, dass der Herr beim Anblick seiner Mutter noch mehr betrübt werde und sie Ihm keinen Schmerz, den sie immer Ihm zufügen konnten, ersparen wollten. Jedoch verstanden sie nichts von diesem Geheimnis, denn dem Heiland bereitete bei seinen Leiden nichts so großen Trost und solche innere Freude, als der Anblick seiner heiligsten Mutter und die Schönheit ihrer Seele. In ihr sah Er ja sein Abbild und die volle Ernte der Frucht seines Leidens und Sterbens, und diese Freude stärkte einigermaßen unseren gütigsten Jesus in jener Stunde.
1383. Als nun die drei Löcher in das Kreuz eingebohrt waren, befahlen die Schergen unserem Herrn zum zweiten Male, sich auf das Kreuz zu legen, damit man Ihn annageln könne. Der allerhöchste und allmächtige König gehorchte, als der Lehrmeister der Geduld, legte sich auf das Kreuz nieder und breitete seine Hände an diesem glücklichen Holze aus, so wie seine Kreuziger es verlangten. Der Heiland war so matt, entstellt und schwach, dass jene Menschen, wenn sie in ihrer entsetzlichen Gottlosigkeit und Rohheit auch nur noch einen Funken natürlichen Verstandes und menschlichen Gefühles bewahrt hätten, unmöglich für ihre Grausamkeit an demjenigen einen Gegenstand der Befriedigung hätten finden können, an dem nur die Demut, Sanftmut, die Wunden und Schmerzen des unschuldigen Lammes zu sehen waren. Allein es war eben nicht so, denn die Juden und Schergen - o schreckliche und ganz verborgene Gerichte Gottes ! - waren bereits durch und durch vom tödlichen Hass und bösen Willen des Teufels eingenommen. Sie hatten alle Gefühle eines empfindungsfähigen und irdischen Menschen verloren und handelten darum mit teuflischer Wut und Raserei.
1384. Alsbald ergriff einer der Schergen die Hand unseres Heilandes und drückte sie auf das Loch am Kreuzesstamm, während ein anderer Scherge sie daran annagelte, indem er durch Hammerschläge einen eckigen und dicken Nagel durch die Hand des Herrn hindurchtrieb. Durch diesen Nagel wurden die Adern, Nerven und Gebeine dieser heiligen Hand, welche die Himmel und alles, was da ist, erschaffen hat ganz zerrissen. Um aber die andere Hand anzunageln, reichte der Arm nicht bis zum Nagelloch, denn es hatten sich die Nerven zusammengezogen, und zudem hatten die Schergen aus Bosheit, wie ich eben gesagt habe, das Loch nicht in der gehörigen Entfernung gebohrt. Um diesem Mangel abzuhelfen, nahmen sie die nämliche Kette, womit der sanftmütigste Herr seit der Gefangennahme im Ölgarten gefesselt war, befestigten mit dem einen Ende derselben, woran sich ein Ring oder eine Art Handfessel befand, den Vorderarm des Herrn, zogen dann mit unerhörter Grausamkeit am andern Ende der Kette, bis sie die Hand gerade über das Nagelloch brachten. Darauf nagelten sie die Hand mit einem andern Nagel an. Sofort machten sie sich über die Füße her, legten den einen über den andern, banden sie mit derselben Kette fest, indem sie ganz gewaltig und grausam daran zogen, und nagelten mit dem dritten Nagel, der ein wenig stärker war als die anderen, beide Füße zugleich an.
So war denn jener heilige, mit der Gottheit vereinigte Leib an dem heiligen Kreuz festgenagelt. Jenes Kunstwerk seiner vergöttlichten und vom HI. Geiste gebildeten Glieder war so verzerrt und auseinander gerissen, dass man die Gebeine zählen konnte (Ps 22,18), denn alle waren aus ihrer natürlichen Stelle herausgerissen und getrennt. Die Gebeine der Brust, der Schultern und Achseln waren ausgerenkt und insgesamt von ihrer Stelle gerückt, indem sie der von den Schergen angewendeten Gewalt wichen.
1385. Unsere Sprache und Darstellung ist nicht imstande, die Schmerzen unseres Heilandes Jesu Christi bei dieser Misshandlung und bei den vielen von Ihm erduldeten Leiden in ihrer ganzen Größe zu beschreiben. Erst am Tag des Gerichtes wird man dies besser erkennen, damit alsdann seine Sache gegen die Verworfenen gerechtfertigt werde und die Heiligen Ihn gebührend loben und verherrlichen. Jetzt aber, wo der Glaube an diese Wahrheit es uns erlaubt, ja uns verpflichtet, unseren Verstand, sofern wir noch einen solchen besitzen, anzustrengen, jetzt bitte und beschwöre ich die Kinder der heiligen Kirche, dass wir ein jedes für sich ein so ehrwürdiges Geheimnis betrachten und mit allen seinen Umständen erwägen. Wir werden dann wirksame Beweggründe finden, die Sünde zu verabscheuen und keine mehr zu begehen, weil sie die Ursache so großer Leiden für den Urheber des Lebens gewesen ist. Erwägen und betrachten wir dann auch, wie seine jungfräuliche Mutter in ihrem Geist so betrübt und an ihrem reinsten Leib so ganz mit Schmerz erfüllt ist, damit wir durch diese Pforte des Lichtes zur Erkenntnis jener Sonne gelangen, welche unser Herz erleuchtet. O Königin und Herrin der Tugenden ! O wahre Mutter des unsterblichen, menschgewordenen Königs der Ewigkeiten ! Es ist nur zu wahr, o meine Herrin, dass die Härte unserer undankbaren Herzen uns unfähig und geradezu unwürdig macht, deine und deines göttlichen Sohnes und unseres Erlösers Schmerzen zu empfinden. Aber möge doch durch deine Barmherzigkeit uns diese Gnade zukommen, die wir nicht verdienen ! Reinige und befreie uns von unserer so großen Trägheit und Rohheit. Wenn wir die Ursache so großer Pein sind, aus weIchem Grund und mit welchem Recht bleibt dann diese Pein auf dich und deinen geliebten Sohn beschränkt ? Es möge der Kelch an den Unschuldigen vorübergehen, damit die Schuldigen ihn trinken, die ihn verdient haben. Aber ach, wo ist der Verstand, Wo die Weisheit und die Erkenntnis, wo das Licht unserer Augen? Wer hat uns der Sinne beraubt ? Wer hat uns das fühlende und menschliche Herz geraubt ? Hätte ich auch nicht, o mein Herr, eine Seele nach deinem Bild und Gleichnis empfangen (Weish 2, 23), hättest du mir auch nicht Leben und Bewegung verliehen (Apg 17, 28), würden auch nicht alle Elemente und Kreaturen, die von deiner Hand zu meinem Dienst (Sir 39, 30; Amos 4, 13) geschaffen sind, mir eine so sichere Kenntnis von deiner unendlichen Liebe mitteilen, so müsste doch das Übermaß der unendlichen Liebe, womit du dich unter so unerhörten Schmerzen und Qualen ans Kreuz hast schlagen lassen, mir schon genügen und mich mit der Kette des Mitleids, der Dankbarkeit. der Liebe und des Vertrauens auf deine unendliche Milde fesseln. Wenn aber solche Rufe mich nicht aufwecken, wenn deine Liebe mich nicht entflammt, wenn dein Leiden und deine Schmerzen keinen Eindruck auf mich machen und solche Wohltaten mich nicht gewinnen, welches Ende kann ich dann wohl für meine Torheit erwarten?
1386. Um nun, nachdem der Herr ans Kreuz genagelt war, zu verhüten, dass die Nägel auslassen und der göttliche Leib herabsinke, fanden die Schergen für gut, die Nägel an jenem Teil, der durch das heilige Holz hindurchgedrungen war, umzunieten. (Diese Tatsache wurde auch der hl. Veronika Juliani in einer Vision gezeigt, wie aus den Akten ihres Seligsprechungsprozesses S. 237 und 245 hervorgeht. Der Herausgeber. Zur Ausführung dieses Vorhabens begannen sie das Kreuz aufzuheben, um es dann umzukehren, so dass sie den Herrn am Kreuz gegen die Erde hängen ließen. Diese neue Grausamkeit flößte allen Umstehenden Entsetzen ein, und es entstand ein großes Geschrei unter der von Mitleid ergriffenen Menge. Die schmerzhafte und mitleidsvolle Mutter aber wollte dieser alles Maß überschreitenden Gottlosigkeit vorbeugen und flehte zum ewigen Vater, er möge den Schergen die Ausführung ihrer Pläne nicht gestatten. Dann befahl sie den heiligen Engeln, ihrem Schöpfer zu helfen und Ihm zu Diensten zu stehen. Dies geschah denn auch alles nach der Anordnung der großen Königin. Denn als die Schergen das Kreuz umwandten, damit der angenagelte Leib mit dem Gesicht zur Erde falle, hielten die heiligen Engel diesen nahe am Boden auf, der mit Steinen und Schmutz bedeckt war. Und auf diese Weise berührte der Herr mit seinem göttlichen Gesicht weder den Boden noch die Kieselsteine. Die Schergen nieteten nun die Spitzen der Nägel um, ohne aber das Geheimnis und Wunder zu gewahren, denn es war ihnen verborgen, und der Körper blieb so nahe an der Erde, und das Kreuz wurde von den Engeln so fest gehalten, dass die boshaften Juden wähnten, es liege auf dem harten Boden auf.
1387. Hierauf brachten sie das Kreuz mit dem göttlichen Gekreuzigten zu jenem Loch, in welchem es aufgerichtet werden sollte. Indem sich nun die einen ihrer Schultern, die andern ihrer Speere und Lanzen bedienten, hoben sie den Heiland am Kreuz in die Höhe und befestigten dann dieses in dem Loch, das sie zu diesem Ende im Boden ausgegraben hatten.
So hing nun unser wahres Heil und Leben an dem heiligen Kreuzesholz in der Luft, und zwar im Angesicht einer unzählbaren Menge von Menschen aus allen Völkern und Nationen. Ich will hier auch eine andere Grausamkeit nicht unerwähnt lassen, welche, wie mir mitgeteilt wurde, die Henkersknechte an dem Sohn Gottes ausübten, als sie das Kreuz aufrichteten. Sie verwundeten Ihn nämlich mit ihren Lanzen und anderen Waffen, indem sie Ihm unter den Armen schwere Verletzungen beibrachten, denn sie stachen mit den Eisenspitzen in das Fleisch ein, um zu helfen, dass Er am Kreuz erhoben werden könnte. Bei diesem Schauspiel erhob sich abermals ein Geschrei von Seiten des Volkes, aber mit größerem Lärm und größerer Verwirrung. Die Juden brachen in Lästerungen aus, die Mitleidsvollen wehklagten, die Fremden staunten, einzelne forderten andere auf, das Schauspiel anzusehen, andere vermochten vor Schmerz gar nicht zuzuschauen, wieder andere nahmen sich aus fremder Strafe eine Lehre, andere endlich nannten den Gekreuzigten einen Gerechten. Alle diese mannigfachen Urteile und Äußerungen waren Pfeile für das Herz der betrübten Mutter. Aus den durch die Nägel verursachten Wunden floss reichliches Blut von dem heiligen Leib hernieder, denn durch sein eigenes Gewicht und durch die Erschütterung des Kreuzes geriet der Leib in solches Zittern, dass die Wunden noch weiter aufgerissen und jene Quellen noch weiter geöffnet wurden, aus denen wir, nach der Einladung des Herrn durch Jesajas (Jes 12. 3), mit Freuden Wasser schöpfen sollen, um den Durst zu löschen und die Makel unserer Sünden abzuwaschen. Und niemand hat eine Entschuldigung, wenn er sich nicht beeilt, aus denselben zu trinken, denn dieses Wasser wird nicht gegen Silber und Gold verkauft (Jes 55, 1), es wird umsonst gegeben, man braucht nur ernstlich danach zu verlangen.
1388. Hierauf kreuzigte man auch die zwei Räuber und befestigte ihre Kreuze, das eine zur Rechten und das andere zur Linken unseres Erlösers. Dem Heiland wiesen sie den Platz in der Mitte an, um damit auszudrücken, dass sie Ihn für einen Hauptmissetäter hielten. Auf die beiden Schächer achteten die Hohenpriester und Pharisäer überhaupt gar nicht mehr. Sie richteten all ihre Wut gegen denjenigen, der seiner Natur nach aller Sünde unzugänglich und heilig ist. Unter Spott und Hohn schüttelten sie ihr Haupt und warfen Steine und Staub gegen das Kreuz des Herrn und seine königliche Person (Mt 27, 39). «Ei du», so riefen sie Ihm zu, «der du den Tempel Gottes zerstörst und in drei Tagen wieder aufbaust, rette nun dich selbst»: «anderen hat er geholfen, sich selbst aber kann Er nicht helfen (Mt 27, 40)». Andere dagegen sprachen: «Wenn dieser der Sohn Gottes ist, so möge Er vom Kreuz herabsteigen, und wir werden an Ihn glauben (Mt 27, 42).» Auch diese beiden Räuber spotteten anfänglich über den Erlöser und sprachen: «Wenn du der Sohn Gottes bist, so hilf dir selbst und uns.» Diese Lästerungen der beiden Räuber fielen dem Herrn um so schmerzlicher, weil sie dem Tod schon ganz nahe waren und keinen Vorteil aus jenen Todesqualen zogen, womit sie doch teilweise für ihre Verbrechen, um derentwillen sie die gerechte Strafe erlitten, hätten Genugtuung leisten können. Einer von ihnen hat dies freilich alsbald getan und die Gelegenheit des Augenblickes benützt, eine Gelegenheit, wie sie sonst keinem Sünder der Welt jemals zu Gebote stand.
1389. Als nun die heiligste Jungfrau Maria, die große Königin der Engel, wahrnahm, dass die Juden in ihrem niederträchtigen und verhärteten Neid Christus den Gekreuzigten noch mehr zu beschimpfen suchten und alle Ihn lästerten und für den Schlechtesten der Menschen ausgaben und sogar wünschten, dass sein Name aus dem Land der Lebendigen ausgelöscht und vergessen werde, wie Jeremias vorhergesagt hat (Jer 11,19), so entbrannte ihr treuestes Herz in noch größerem Eifer für die Ehre ihres Sohnes und wahren Gottes. Sie warf sich anbetend vor dem gekreuzigten Sohn Gottes nieder und flehte zum ewigen Vater, Er möge für die Ehre seines Eingeborenen durch so offenbare Wunderzeichen eintreten, dass die Treulosigkeit der Juden beschämt und sie selbst in ihren boshaften Anschlägen getäuscht würden. Nachdem sie diese Bitte an den himmlischen Vater gerichtet hatte, wandte sie sich mit demselben Eifer und mit dem Ansehen einer Königin des Weltalls an sämtliche vernunftlose Kreaturen und redete sie an: «O ihr Geschöpfe, die ihr zwar ohne Empfindung, aber doch durch die Hand des Allmächtigen ins Dasein gerufen seid, zeigt doch ihr beim Tod eures Schöpfers jenes Mitgefühl, welches Ihm die vernunftbegabten Menschen in ihrer Torheit versagen. Ihr Himmel, du Sonne und Mond, ihr Sterne und Planeten, haltet ein euren Lauf und hemmt euren Einfluss auf die Sterblichen. Ihr Elemente, ändert eure Eigenschaften. Die Erde soll ihre Ruhe verlieren, die Steine und harten Felsen mögen sich spalten. Ihr Gräber und Ruhestätten der Toten, öffnet euren verborgenen Schoß zur Beschämung der Lebenden ! Du Vorhang des geheimnisvollen und vorbildlichen Tempels, reiße entzwei, weise durch deinen Riss die Ungläubigen auf ihre Strafe hin und lege Zeugnis ab für die Wahrheit, welche jene zu verdunkeln trachteten, lege Zeugnis ab für die Ehre des Schöpfers und Erlösers der Menschen !»
1390. In Kraft dieses Gebetes und des Befehles Mariä, der Mutter des gekreuzigten Jesus, ordnete die Allmacht des Allerhöchsten alles das an, was sich beim Tod seines Eingeborenen wirklich zugetragen hat. Der Herr erleuchtete und rührte die Herzen mancher aus den Umstehenden zur Zeit, wo die Zeichen an der Erde sich zeigten. Andere wurden schon früher gerührt, so dass sie den gekreuzigten Jesus als einen Gerechten, Heiligen und als den wahren Sohn Gottes bekannten. Dies taten z.B. der Hauptmann und manche andere, welche, wie die Evangelisten berichten (Mt 27, 54; Lk 23, 48), den Kalvarienberg verließen und vor Schmerz an ihre Brust schlugen. Und nicht bloß jene bekannten den Herrn, welche Ihn zuvor gehört und seiner Lehre Glauben geschenkt hatten, sondern auch viele andere, welche Ihn nicht gekannt und seine Wunder nicht gesehen hatten. Infolge desselben Gebetes erhielt auch Pilatus die Einsprechung, dass er die Kreuzesüberschrift, welche man in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache über dem Haupt des Herrn angebracht hatte, nicht ändern lassen solle. Die Juden hatten nämlich den Richter dringend ersucht, er solle nicht schreiben: «Jesus von Nazareth, König der Juden», sondern: «Dieser hat gesagt, er sei König der Juden (Joh 19, 21).» Pilatus aber gab zur Antwort: «Was geschrieben ist, das ist geschrieben», und ließ nichts abändern (Joh 19, 22). Auch alle leblosen Geschöpfe gehorchten nach dem göttlichen Willen dem Befehle U. L. Frau. Und von der Mittagsstunde bis zur dritten Stunde des Nachmittags, welches, nach jüdischer Berechnung, die neunte war, in der unser Heiland seinen Geist aufgab, zeigten sich an ihnen jene Bewegungen und ungewohnten Veränderungen, welche die Evangelisten berichten (Lk 23, 45; Mt 27, 51 f). Das Licht der Sonne verdunkelte sich, die Planeten änderten ihren Einfluss, die Himmelskörper und der Mond ihren Kreislauf, und die Elemente gerieten in Aufruhr, die Erde erbebte und viele Berge spalteten sich, indem die Felsen gegeneinander stießen. Die Gräber öffneten sich, so dass später mehrere Verstorbene, welche zum Leben erweckt wurden, daraus hervorgingen. Und diese Veränderung an den sichtbaren Dingen und den Elementen war so außergewöhnlich, dass man sie auf dem ganzen Erdkreis wahrnahm. Die Juden in ganz Jerusalem wurden von Schrecken und Furcht ergriffen, aber ihre unerhörte Treulosigkeit und Bosheit machte sie unwürdig, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen, welche ihnen doch sämtliche leblosen Kreaturen verkündigten.
1391. Da die Habseligkeiten, welche ein Hingerichteter hinterlässt, den Nachrichtern zufielen, so machten sich die Soldaten, welche unseren Heiland Jesus Christus ans Kreuz geschlagen hatten, daran, die Kleider des unschuldigen Lammes zu teilen. Den Mantel, welcher nach göttlicher Anordnung auf den Kalvarienberg gebracht worden war - es war dies jenes Kleid, welches der Herr beim Abendmahl abgelegt hatte, um den Aposteln die Füße zu waschen - zertrennten sie in vier Teile und teilten diese unter sich. Den ungenähten Rock aber konnten sie nicht teilen, dies hatte ebenfalls die Vorsehung des Herrn in sehr geheimnisvoller Absicht so angeordnet (Joh 19, 23). Deshalb warfen sie das Los über ihn, und er kam dann an jenen, dem er durch das Los zufiel, wodurch die Prophezeiung Davids im 22. Psalm buchstäblich in Erfüllung ging (Ps 22,19). Die Geheimnisse, welche in dem Umstand liegen, dass dieser Rock nicht geteilt wurde, werden von den Heiligen und Gottesgelehrten näher erklärt. Eines derselben hatte aber folgende Bedeutung. Die Juden haben zwar die heiligste Menschheit Jesu Christi, welche seine Gottheit gleichsam bedeckte und verhüllte, durch die Ihm zugefügten Martern und Wunden zerrissen, seiner Gottheit aber konnten sie nichts antun, ihr konnten sie mit ihren Martern nicht beikommen. Und wem immer das göttliche Los zuteil wird, durch die Gnade der Rechtfertigung der Gottheit teilhaftig zu werden, der wird sie ganz und ungeteilt besitzen und genießen.
1392. Weil aber der heilige Kreuzesstamm der Thron der königlichen Majestät Christi und der Lehrstuhl war, von dem herab Er die Wissenschaft des Lebens lehren wollte, so sprach der liebe Heiland, seine Lehre durch das Beispiel bestätigend, vom Kreuz herab jenes Wort, in welchem der Inbegriff der Liebe und Vollkommenheit enthalten ist: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk 23, 34) !» An diesen Grundsatz der Liebe und des brüderlichen Wohlwollens hielt sich der göttliche Lehrmeister so streng, dass Er ihn den «seinigen» nannte. Und zur Bekräftigung dieser Wahrheit, die Er uns gelehrt hat, übte Er sie am Kreuz im Werk aus, indem Er seinen Feinden nicht bloß Wohlwollen und Vergebung angedeihen ließ, sondern dieselben auch mit ihrer Unwissenheit entschuldigte. Und Er tat dies in demselben Augenblick, in welchem ihre Bosheit den Höhepunkt erreicht hatte, den sie bei Menschen überhaupt erreichen kann, indem sie ihren Gott und Erlöser verfolgten, kreuzigten und lästerten. Dies hat die menschliche Undankbarkeit getan, nachdem sie so reichliches Licht, so viele Belehrung und so große Wohltaten empfangen hatte. Und dies hat unser Heiland Jesus Christus, in seiner glühenden Liebe getan zur Wiedervergeltung für die Qualen, die Dornen, die Nägel, das Kreuz und die Lästerungen, wodurch die Menschen Ihn peinigten. O unbegreifliche Liebe ! O unaussprechliche Sanftmut ! O Geduld von den Menschen niemals erfasst, von den Engeln bewundert, von den Teufeln gefürchtet !
Der eine der beiden Räuber, mit Namen Dismas, (Dismas oder Dimas wird der gute Schächer gewöhnlich genannt. Siehe Baronius, Adnot ad Martyr. Rom. sub 25. Mart. Dass er auf die Fürbitte Mariä sich bekehrt habe, wird auch vom hl. Petrus Dam. und anderen behauptet. Der Herausgeber). erkannte etwas von dem Geheimnis. Und weil zu gleicher Zeit auch die Fürsprache und das Gebet U. L. Frau wirkte, so wurde derselbe innerlich erleuchtet, um seinen Erretter und Lehrmeister an diesem ersten Wort, das derselbe am Kreuz sprach, zu erkennen. Von wahrem Reueschmerz über seine Sünden ergriffen, wandte er sich zu seinem Leidensgefährten und sprach zu ihm (Lk 23, 40-42): «Auch du fürchtest Gott nicht, da du doch dieselbe Strafe erleidest ? Wir leiden, was wir verdient haben, dieser aber, der für uns leidet, hat nichts Böses getan.» Dann redete er unseren Heiland an und sprach zu ihm: «Herr ! gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst !»
1393. An diesem so überaus glücklichen Räuber sowie am Hauptmann und an den übrigen, welche Christus am Kreuz bekannten, begann die Erlösung ihre ersten Wirkungen zu äußern. Der Allerglücklichste aber war Dismas, welcher das zweite Wort des Herrn zu vernehmen gewürdigt wurde: «Wahrlich, ich sage dir. heute wirst du mit mir im Paradiese sein (Lk 23, 43) !» O glückseliger Räuber, der du allein der Gnade teilhaftig wurdest, ein solches Wort zu vernehmen, nach welchem alle Gerechten und Heiligen der Erde sich sehnen ! Den alten Patriarchen und Propheten war es nicht gegönnt, es zu vernehmen, ja sie schätzten sich schon glücklich, weil sie in die Vorhölle hinabsteigen und dort viele Jahrhunderte lang auf das Paradies warten durften, das du in jenem einen Augenblick gewonnen hast, indem du glücklicherweise dein bisheriges Geschäft vertauscht hast. Soeben hast du aufgehört, fremdes und irdisches Gut an dich zu reißen, und nun hast du den Himmel aus der Hand seines Herrn an dich gerissen. Du reißest ihn aber an dich nach der Gerechtigkeit und der Herr gibt ihn dir aus Gnade, denn du bist der letzte Schüler gewesen, der während seines Lebens seine Lehre gehört, aber der erste, der sie, nachdem er sie vernommen, im Werk ausgeübt hat. Du hast deinen Mitbruder geliebt und zurechtgewiesen, deinen Schöpfer bekannt, seine Lästerer getadelt, den Heiland durch geduldiges Leiden nachgeahmt und als den Erlöser in Demut angefleht, dass er sich in Zukunft deines Elendes erinnern möge. Er aber hat als der Verleiher der Herrlichkeit auf der Stelle deine Wünsche belohnt, ohne die Vergeltung hinauszuschieben, welche Er für dich und alle Sterblichen verdient hat.
1394. Nachdem der gute Schächer die Rechtfertigung erlangt hatte, wandte Jesus sein liebevolles Antlitz zu seiner betrübten Mutter, welche mit dem hl. Johannes am Fuß des Kreuzes stand. Indem Er beide anredete, sprach Er zuerst zu seiner Mutter: «Frau, siehe da, dein Sohn !» Desgleichen sprach Er zum Apostel: «Siehe da, deine Mutter (Joh 19, 26 f) !» Der Herr nannte Maria «Frau», nicht «Mutter», denn der Name «Mutter» enthielt etwas Zärtliches und Süßes, so dass das Aussprechen desselben Ihm einigen fühlbaren Trost hätte verschaffen können. Aber bei seinem Leiden wollte Er sich diesen äußerlichen Trost nicht gewähren, da Er, wie ich bereits oben (Nr. 1209) erwähnt habe, auf allen Trost und jegliche Erleichterung verzichtet hatte. Auch drückte der Herr mit jenem Worte «Frau» stillschweigend und nach seinem Sinne dies aus: Frau, das du gebenedeit bist unter allen Frauen (Lk 1, 42) und das weiseste unter allen Adamskindern. Du starke, standhafte Frau (Spr 31,10), das niemals von der Sünde überwunden worden ist, das ganz getreu in der Liebe zu mir, unermüdlich in meinem Dienste ist, dessen Liebe die vielen Wasser meines Leidens nicht auszulöschen oder aufzuhalten vermochten (Hld 8, 7). Ich gehe zu meinem Vater und kann fortan nicht mehr bei dir sein. Aber mein geliebter Jünger wird dir zur Seite stehen und dir als seiner Mutter dienen, er wird dein Sohn sein. Alle diese Geheimnisse erkannte die Himmelskönigin. Der heilige Apostel aber nahm Maria in jener Stunde als sein Eigen an. Dabei wurde sein Geist mit neuem Licht erleuchtet, um das ihm anvertraute Gut würdig zu erkennen und zu schätzen, war es ja doch nächst der Menschheit unseres Herrn Jesu Christi das Höchste und Kostbarste, was die Gottheit erschaffen hatte. In Gemäßheit dieser Erleuchtung erwies der hl. Johannes unserer großen Königin alle Ehrfurcht und diente ihr während der ganzen übrigen Zeit ihres Lebens, wie ich später erzählen werde (unten Nr. 1455 und Teil. 3. Nr. 175, 369 und an verschiedenen Stellen). Ebenso nahm auch Ihre Majestät den heiligen Johannes als Sohn an, und zwar mit demütigem Dank und Gehorsam. Und ohne dass die unermesslichen Schmerzen des Leidens ihr großmütiges und weisestes Herz gehindert hätten, versprach sie ihm von da an Gehorsam zu leisten, denn allezeit handelte sie mit der höchsten Vollkommenheit und Heiligkeit, ohne auch nur eine einzige Übung derselben zu unterlassen.
1395. Es nahte nun bereits die neunte Stunde des Tages, obwohl es wegen der Finsternis und der Verwirrung mehr schwarze Nacht zu sein schien. Da sprach unser Erlöser Jesus Christus das vierte Wort vom Kreuz herab, indem er mit starker und lauter Stimme, so dass es die Umstehenden hören konnten, ausrief: «Mein Gott, mein Gott ! Warum hast du mich verlassen (Mt 27, 46) ?» Obwohl der Herr diese Worte in seiner hebräischen Sprache aussprach, so verstanden doch nicht alle dieselben. Und weil der erste Ausdruck lautete: «Eli, Eli», so waren einige der Meinung, dass Er den Elias rufe (Mt 27, 49), Andere spotteten über seinen Ausruf und sprachen: «Wir wollen sehen, ob nun Elias kommen und ihn aus unseren Händen befreien wird.» Allein das in diesen Worten unseres gütigsten Erlösers enthaltene Geheimnis war ebenso tief, als es den Juden und Heiden verborgen war, denn sie enthalten einen mehrfachen Sinn, welcher von den Gottesgelehrten näher ausgelegt wird. Was mir hierüber mitgeteilt wurde, ist dieses, dass die Verlassenheit Christi nicht in einer Trennung der Gottheit von seiner heiligsten Menschheit bestanden habe, so dass die wesentliche hypostatische Vereinigung aufgelöst und der Seele Christi die beseligende Anschauung entzogen worden wäre; denn die Menschheit besass die beiden Vereinigungen mit der Gottheit von jenem Augenblick an, wo er durch die Wirkung des Heiligen Geistes im jungfräulichen Brautgemach empfangen worden war, und die Gottheit legte niemals wieder ab, was sie einmal mit sich vereinigt hatte. Dies ist die katholische und wahre Lehre. Ebenso gewiss ist es aber auch, dass die heiligste Menschheit insofern von der Gottheit verlassen war, als diese den Tod und die Schmerzen des überaus bitteren Leidens nicht verhinderte. Jedoch verließ Ihn der himmlische Vater nicht in allem, was die Sorge um seine Ehre anging, denn für diese trat er durch die Bewegung sämtlicher Kreaturen ein, welche bei seinem Tod ihre Teilnahme äußerten. Noch eine andere Verlassenheit drückte unser Erlöser Jesus Christus durch diese aus seiner unermesslichen Liebe gegen die Menschen hervorgehende Klage aus. Und dies war das Verlassenwerden von den Verworfenen und Vorhergesehenen, denn dieses schmerzte Ihn in seiner letzten Stunde ebenso, wie bei seinem Gebet am Ölberg, wo seine heiligste Seele, wie schon erzählt wurde, bis zum Tode betrübt war. Auch am Kreuz schmerzte es den Heiland, dass die reiche und überfließende Erlösung, die Er mit sich selbst für das ganze Menschengeschlecht darbrachte, an den Verdammten wirkungslos sein und Er in der ewigen Seligkeit, für die Er sie doch erschaffen und erlöst hatte, von ihnen verlassen sein sollte. Und weil dies nach dem Ratschluss des ewigen Vaters geschah, so brach Er in die von Liebe und Schmerz eingegebene Klage aus: «Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen ?» indem Er dabei die Gesellschaft der Verworfenen im Auge hatte.
1396. Um dies noch mehr zu bekräftigen, fügte der Herr das fünfte Wort bei: «Mich dürstet (Joh 19, 28) !» Die Qualen des Leidens und der Betrübnis mussten freilich in unserem gütigsten Erlöser auch einen natürlichen Durst hervorrufen. Aber damals war nicht die Zeit, diesen zu erkennen zu geben oder zu befriedigen, und der Heiland hätte ohne ein höheres Geheimnis nicht davon gesprochen, da er wusste, wie ganz nahe schon sein letzter Atemzug sei. Aber danach dürstete Er, dass die in der Gefangenschaft schmachtenden Adamskinder die Freiheit, die Er ihnen verdient hatte und anbot, gut gebrauchen möchten. Er dürstete, schmachtete und verlangte danach, dass alle Ihm nach Gebühr durch den Glauben und die Liebe entsprechen, dass sie seine Verdienste und seine Schmerzen, seine Gnade und Freundschaft, welche sie durch jene erlangen können, sich zu Nutzen machen und dass sie ihre ewige Glückseligkeit nicht verlieren möchten, die Seligkeit, die Er ihnen als Erbteil hinterließ, wenn sie anders sie annehmen und verdienen wollen. Das war der Durst unseres Heilandes und Lehrmeisters. AIlein nur Maria verstand damals das Geheimnis dieses Durstes vollkommen. Mit innigster Sehnsucht und Liebe rief sie innerlich die Armen, Betrübten, Demütigen, Verachteten und Verfolgten und lud sie ein, dem Herrn zu nahen und seinen Durst wenigstens einigermaßen zu stillen, denn Ihn ganz zu stillen, war eine Unmöglichkeit. Aber die treulosen Juden und Schergen wollten dem Herrn einen Beweis ihrer unseligen Verhärtung liefern und reichten Ihm unter Hohngelächter einen mit Essig und Galle gefüllten Schwamm auf einem Rohr dar. Diesen hielten sie ihm an den Mund, damit er trinke, und erfüllten so die Weissagung Davids, der sprach: «In meinem Durst gaben sie mil Essig zu trinken (Ps 69, 22).» Unser geduldigster Jesus kostete ihn und trank einen Schluck davon, zur geheimnisvollen Erinnerung an den Schmerz, den Ihm die Verdammnis der Verworfenen bereitete. Aber auf die Bitte seiner heiligsten Mutter ließ Er alsbald davon ab und trank nicht weiter, denn die Mutter der Gnade sollte die Pforte und Mittlerin aller derjenigen sein, welche sich das Leiden und die Erlösung zunutze machen würden.
1397. Hierauf sprach der Erlöser das sechste, gleichfalls geheimnisvolle Wort: «Es ist vollbracht (Joh 19, 30) !» Nun ist das Werk vollbracht, um dessentwillen ich vom Himmel gesendet bin, vollbracht ist die Erlösung der Menschen, vollbracht ist der Gehorsam gegen meinen ewigen Vater, der mich gesandt hat, damit ich für das Heil der Menschen leide und sterbe. Erfüllt sind die Heiligen Schriften und Prophezeiungen sowie die Vorbilder des Alten Testamentes, und der Lauf des leidensfähigen, sterblichen Lebens, das ich im jungfräulichen Schoß meiner Mutter angenommen habe, ist vollendet. Ich hinterlasse der Welt mein Beispiel, meine Lehre, meine Sakramente und die Heilmittel für die Krankheit der Sünde. Die Gerechtigkeit meines ewigen Vaters ist versöhnt und die Schuld, womit die Nachkommen Adams belastet sind, ist abgetragen. Meine Kirche ist mit allen Mitteln versehen, um die Sünden, welche die Menschen begehen werden, zu tilgen. Das ganze Werk, um dessentwillen ich in die Welt gekommen bin, hat die höchste Vollendung erreicht, soweit es auf mich, den Wiederhersteller des Menschengeschlechtes, ankommt. Für die Erbauung der triumphierenden Kirche ist ein sicheres Fundament gelegt in der streitenden Kirche und niemand vermag dieses Fundament zu erschüttern oder zu verändern. Alle diese Geheimnisse sind in jenen kurzen Worten enthalten: «Es ist vollbracht!»
1398. Nachdem nun das Werk der Erlösung seine Vollendung und höchste Vollkommenheit erreicht hatte, so war es ganz in der Ordnung, dass das menschgewordene Wort, wie es vom Vater ausgegangen war, um ein sterbliches Leben anzunehmen (Joh 16, 28), so auch durch den Verlust dieses Lebens mit der Unsterblichkeit bekleidet zum Vater zurückkehre. Deshalb sprach unser Erlöser Jesus Christus das letzte Wort: «Vater. in deine Hände empfehle ich meinen Geist (Lk 23, 46).» Diese Worte sprach der Herr mit starker und lauter Stimme, so dass alle Anwesenden sie hörten. Und als Er sie auszusprechen begann, erhob Er, an den himmlischen Vater sich wendend, die Augen zum Himmel. Beim letzten Wort aber neigte Er wieder das Haupt und gab seinen Geist auf. Durch die göttliche Kraft dieser letzten Worte wurde Luzifer samt allen seinen höllischen Geistern überwunden und in die tiefen Abgründe der Hölle hinab geschleudert, wo sie alle ganz niedergeschmettert dalagen, wie ich im folgenden Hauptstück berichten werde.
Maria, die unüberwindliche Königin und Herrin der Tugenden, hatte als Mutter des Heilandes und Teilnehmerin bei seinem Leiden den tiefsten Einblick in die Geheimnisse, weit mehr als alle anderen Kreaturen. Und gleich wie sie während des ganzen Leidens Christi alle Schmerzen und Martern ihres allerheiligsten Sohnes in entsprechender Weise mitempfunden hatte, so litt und fühlte sie jetzt, ohne indes ihr Leben zu verlieren, alle Schmerzen und Qualen, welche der Herr im Augenblick des Todes erduldete. Und wenn sie nicht auch wirklich starb, so geschah dies bloß deshalb, weil Gott in dem Augenblick, da der Tod hätte eintreten müssen, sie durch ein Wunder am Leben erhielt. Und dieses Wunder war größer als alle andern, wodurch sie im ganzen Verlauf des Leidens gestärkt wurde. Denn dieser letztere Schmerz war der heftigste und lebhafteste von allen. Ja alles, was die Martyrer und hingerichteten Menschen vom Anbeginn der Welt an jemals an Schmerzen erduldet haben, kommt jenen Schmerzen nicht gleich, welche U. L. Frau beim Leiden Christi ertrug und erduldete. Die große Herrin harrte am Fuß des Kreuzes bis zum Abend aus, wo der heilige Leichnam, wie ich nachher berichten werde, begraben wurde. Und zur Vergeltung für diesen letzten und besonderen Schmerz wurde die reinste Mutter in dem wenigen, was ihr jungfräulicher Leib noch von dem irdischen Wesen an sich hatte, noch mehr vergeistigt.
1399. Die heiligen Evangelisten lassen sich in ihren Schriften auf keine anderen verborgenen Geheimnisse ein, welche unser Erlöser Jesus Christus am Kreuz gewirkt hat. Und wir Katholiken haben über sie weiter nichts als wohIbegründete Vermutungen, die wir aus der unfehlbaren Gewissheit des Glaubens ableiten. Indes ist mir nebst den übrigen Geheimnissen, welche mir bei dieser Gelegenheit und besonders bei dieser Stelle des Leidens geoffenbart worden sind, ein Gebet mitgeteilt worden, welches der Heiland an den ewigen Vater richtete, bevor Er die von den Evangelisten angeführten sieben Worte aussprach. Ich sage «Gebet», denn es war ein Sprechen zum ewigen Vater, obwohl es eigentlich sozusagen die letzte Willenserklärung des Heilandes war, oder das Testament, in welchem Er als wahrer und weisester Hausvater seiner Familie, d.h. dem ganzen Menschengeschlecht, sein Eigentum vermachte. Es sagt uns ja schon die natürliche Vernunft, dass jeder Familienvater und überhaupt jeder Eigentümer eines größeren oder geringeren Besitztums, sofern er ein kluger Verwalter und ein gewissenhafter Beobachter seiner Standespflichten sein will, in der Todesstunde seine Willenserklärung bezüglich seines Vermögens und seiner Familie abgeben muss, damit die Erben und Nachfolger unzweifelhaft wissen, welcher Anteil einem jeden zufällt. Auf diese Weise kann dann ein jedes in rechtlicher Weise den erhaltenen Besitz seines Erbes antreten. Das ist der Grund, warum die Weltleute ein Testament machen. Dazu kommt dann noch der weitere Grund, weil man, um ruhig sterben zu können, von allen zeitlichen Sorgen frei sein muss. Und darum pflegen selbst die Ordensleute in der Todesstunde auf den Gebrauch der ihnen anvertrauten Gegenstände Verzicht zu leisten, denn in jener Stunde sind die irdischen Dinge und die Sorgen um dieselben eine drückende Last, welche den Geist am Aufflug zu seinem Schöpfer gar sehr hindert. Unseren lieben Heiland vermochten nun freilich die irdischen Dinge nicht zu beunruhigen. Er besaß ja nichts und auch wenn Er Irdisches besessen hätte, so hätte es seine unendliche Macht nicht zu hindern vermocht. Indes war es doch geziemend, dass Er in jener Stunde über die geistlichen Schätze und Gaben verfügte, welche Er im Verlauf seiner Pilgerschaft den Menschen verdient hatte.
1400. Über diese ewigen Güter nun machte der Herr am Kreuz sein Testament. Er bestimmte, wem sie zufallen sollen, welches die rechtmäßigen Erben derselben seien, wer von der Erbschaft ausgeschlossen sei und welche Gründe für das eine wie für das andere massgebend seien. Und Er tat dies alles im Einverständnis mit seinem ewigen Vater, als dem obersten Herrn und dem gerechtesten Richter über alle Kreaturen. Denn in diesem Testament und in dieser letztwilligen Verfügung waren alle Geheimnisse über die Vorherbestimmung der Heiligen und die Verwerfung der «Vorhergesehenen» zusammengefasst. Das Testament war für die Menschen verschlossen und verborgen. Nur die heiligste Jungfrau Maria kannte dessen Inhalt und zwar nicht bloß deshalb, weil ihr alle Handlungen der heiligsten Seele Christi offenbar waren, sondern auch darum, weil sie zur Universalerbin eingesetzt und zur Herrin der ganzen Schöpfung bestellt war. Und weil sie Gehilfin beim Erlösungswerke war, so musste sie auch die Vollstreckerin des Testamentes sein. Durch ihre Hände sollte der Wille Christi ausgeführt werden, denn ihren Händen hatte der Sohn alles übergeben, gleich wie der Vater alles den Händen des Sohnes übergeben hat (Joh 13, 3). Diese große Herrin ist bestellt, die Schätze auszuteilen, welche ihr Sohn erworben hat und die ihm sowohl um seiner Wesenheit als auch um seiner Verdienste willen angehören. Diese Erklärung ist mir als ein Bestandteil dieser Geschichte mitgeteilt worden, damit die Würde unserer Königin noch besser erkannt und die Sünder bewogen werden, die Zuflucht zu ihr zu nehmen, zu ihr, der Schatzmeisterin aller Reichtümer, welche ihr Sohn, unser Erlöser, mit seinem himmlischen Vater uns auszuteilen beschlossen hat. Denn alle Hilfe, die uns zukommt, wird uns durch die allerseligste Jungfrau zuteil. Sie ist dazu bestellt, durch ihre mildtätigen und freigebigen Hände alles auszuteilen.
Testament, welches unser Heiland Jesus Christus in seinem an den ewigen Vater gerichteten Gebet am Kreuz gemacht hat
1401. Nachdem das Holz des heiligen Kreuzes mit dem daran gekreuzigten menschgewordenen Wort auf dem Kalvarienberg aufgerichtet war, wandte sich der Herr, bevor Er noch eines von den sieben Worten aussprach, innerlich an seinen himmlischen Vater und sprach:
«O mein Vater, ewiger Gott ! Ich bekenne und preise dich von diesem Baum meines Kreuzes aus und lobe dich durch das Opfer meiner Schmerzen, meines Leidens und Sterbens, weil du meine Menschheit durch die hypostatische Vereinigung mit der göttlichen Natur zur höchsten Würde erhoben hast, so dass ich Christus, Gott und Mensch und der durch deine Gottheit Gesalbte bin. Ich preise dich, weil du meiner Menschheit schon im Augenblick der Menschwerdung die Fülle aller nur möglichen Gaben der Gnade und Glorie mitgeteilt hast. Du hast mir schon in jenem Augenblick für alle Ewigkeit die ganze und volle Herrschaft über alle Geschöpfe in der Ordnung der Gnade und der Natur verliehen. Du hast mich zum Herrn der Himmel und der Elemente bestellt, zum Herrn der Sonne, des Mondes, der Sterne, des Feuers, der Luft, der Erde, der Meere und aller belebten und unbelebten Geschöpfe, welche sich in ihnen befinden. Du hast mir anheim gegeben die Anordnung der Zeiten, der Tage und Nächte. Über alles hast du mir die Oberherrschaft und Gewalt verliehen. so dass ich nach meinem Willen darüber verfügen kann. Du hast mich zum Haupt, König und Herrn aller Engel und Menschen gemacht, auf dass ich sie regiere und ihnen befehle, die Guten belohne und die Bösen bestrafe (Eph 1, 21; Joh 5, 22). Und für all dieses hast du mir die Schlüssel des Abgrundes übergeben (Offb 20, 1), vom höchsten Himmel an bis hinab in die Tiefen der höllischen Kerker. In meine Hände hast du gelegt die ewige Rechtfertigung der Menschen. Mir hast du übergeben ihre Reiche, Fürstentümer und Herrschaften, die Großen und Kleinen, die Armen und Reichen. Für alle, welche der Teilnahme an deiner Gnade und Glorie fähig sind, hast du mich zum allgemeinen Rechtfertiger, Erlöser und Seligmacher bestellt (1 Kor 1, 30). Du hast mich gesetzt zum Herrn über Leben und Tod, zum Herrn über alle Menschenkinder, zum Herrn über die heilige Kirche und über ihre Gnadenschätze, über die Heiligen Schriften, Geheimnisse, Sakramente, Hilfsmittel, Gesetze und Gaben der Gnade. Alles hast du in meine Hände gelegt. Alles hast du meinem Willen und meiner Anordnung anheimgestellt. Und für all dieses lobe, erhebe, bekenne und verherrliche ich dich.»
1402. «Und nun, o Herr, ewiger Vater, da ich am Kreuz sterbend von dieser Welt scheide, um zu deiner Rechten zurückzukehren, nun, da ich das Werk der Erlösung, das du mir aufgetragen, durch mein Leiden und Sterben vollendet habe. Nun, o mein Gott, ist es mein Wunsch, dass eben dieses Kreuz der Richterstuhl unserer Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sei. An dieses Kreuz genagelt, will ich diejenigen richten, für welche ich mein Leben zum Opfer bringe. Um die Gerechtigkeit meiner Sache darzulegen, will ich die Schätze, die ich durch meine Ankunft in der Welt und durch mein Leiden und Sterben erworben habe, austeilen und darüber verfügen. Schon jetzt soll der Lohn festgesetzt sein, welcher einem jeden der Gerechten und Verworfenen gebührt, je nach seinen Werken, durch die er mir Liebe oder Verachtung bezeigt hat. Alle Sterblichen habe ich aufgesucht und zu meiner Gnade und Freundschaft gerufen. Vom Augenblick an, wo ich menschliches Fleisch annahm, habe ich ohne Unterlass für sie mich abgemüht. Ich habe Beschwerden, Anstrengungen, Kränkungen, Schmähungen, Spott, die Geißelung und Dornenkrönung ertragen und leide nun den bittersten Tod am Kreuz. Ich habe für alle zu deiner unendlichen Barmherzigkeit gefleht. Ich habe die Nächte im Gebet zugebracht. Ich habe gefastet und bin umhergegangen, um allen Menschen den Weg zum ewigen Leben zu zeigen. Soviel an mir liegt und soweit es auf meinen Willen ankommt, wünsche ich allen das ewige Leben, wie ich es auch für alle, ohne irgend jemand auszunehmen und auszuschließen, verdient habe. Für alle habe ich das Gesetz der Gnade aufgestellt und gegeben und die Kirche, worin sie selig werden können, wird fest und unerschütterlich bestehen zu allen Zeiten.»
1403. «In unserer weisesten Vorhersehung wissen wir aber, o Gott, mein Vater, dass nicht alle Menschen das ewige Heil, das wir ihnen anbieten, annehmen wollen. In ihrer Bosheit und Widerspenstigkeit wollen viele von unserer Barmherzigkeit keinen Gebrauch machen. Sie wollen den Weg, den ich ihnen durch mein Leben, meine Werke und meinen Tod gebahnt habe, nicht betreten. Sie wollen vielmehr ihren Sünden nachgehen bis zum Verderben. Du nun, mein Herr und Vater, bist gerecht und gerecht sind deine Gerichte (Ps 119, 137) und darum ist es auch gerecht, dass ich, nachdem du mich zum Richter über die Lebendigen und Toten, über die Guten und Bösen gesetzt hast, den Gerechten den Lohn für ihren mir erwiesenen Dienst und ihre Nachfolge, den Sündern aber die Strafe für ihre Verkehrtheit und Verstocktheit zuerkenne und dass jene mit mir Anteil an meinen Gütern haben, die andern aber meiner Erbschaft beraubt werden, weil sie sie nicht annehmen wollen. Jetzt also, mein ewiger Vater, verherrliche ich dich in deinem und meinem Namen und treffe die letzte Verfügung nach meinem menschlichen Willen, welcher deinem ewigen und göttlichen gleichförmig ist.
Ich will also, dass an erster Stelle meine reinste Mutter genannt werde, die mir das menschliche Dasein gegeben hat. Sie setze ich vor allen anderen Geschöpfen ein zur Universalerbin aller Güter der Natur, der Gnade und Glorie, welche mir gehören. Sie sei die unumschränkte Herrin von all diesen Gütern, und was sie als reine Kreatur an Gütern der Gnade zu empfangen vermag, das verleihe ich ihr jetzt schon tatsächlich, die Güter der Glorie aber verspreche ich ihr für die Zukunft. Auch ist es mein Wille, dass die Engel und Menschen ihr Eigentum seien, und dass sie eine vollkommene Herrschaft und Obergewalt über dieselben besitze, alle sollen ihr gehorchen und dienen. Die Teufel aber sollen sie fürchten und ihr unterworfen sein. Desgleichen sollen auch alle vernunftlosen Geschöpfe ihr dienen, die Himmel, die Gestirne, die Elemente und alle lebenden Wesen: die Vögel, die Fische und die übrigen Tiere, und alles, was auf Erden sich findet. Über alles bestelle ich sie zur Herrin, damit alle Geschöpfe sie in mir verherrlichen und lobpreisen. Ebenso ist es auch mein Wille, dass sie die Schatzmeisterin und Spenderin aller Güter sei, welche im Himmel und in der Erde eingeschlossen sind. Was sie in der Kirche hinsichtlich meiner Kinder, der Menschen, anordnen und verfügen wird, das soll im Himmel durch die drei göttlichen Personen bestätigt sein und was immer sie zugunsten der Sterblichen jetzt und künftig und zu allen Zeiten begehren wird, das werden wir ihrem Willen und ihrer Anordnung gemäß auch gewähren.»
1404. «Ich erkläre ferner, dass den Engeln, welche deinem heiligen und gerechten Willen gehorchten, der oberste Himmel als ihr eigentlicher und ewiger Wohnort zugehöre mit der Wonne der klaren Anschauung und dem Genuss unserer Gottheit. Sie sollen sich derselben mittels eines ewigen Besitzes in unserer Freundschaft und Gesellschaft erfreuen. Ich befehle ihnen, dass sie meine Mutter als ihre rechtmäßige Königin und Gebieterin anerkennen, ihr dienen, sie begleiten, umgeben und überall und allezeit auf ihren Händen tragen. Sie sollen ihrem Befehl gehorchen und alles vollbringen, was sie ihnen befehlen und auftragen wird. Die Teufel aber, die da unserem vollkommenen und heiligen Willen sich widersetzten, verbanne und verstoße ich von unserem Angesicht und aus unserer Gesellschaft; ich erkläre sie aufs neue als den Gegenstand unseres Abscheus und verurteile sie zum ewigen Verluste unserer Freundschaft und des Anblickes meiner Mutter und meiner Freunde, der Heiligen und Gerechten. Auch bestimme und weise ich ihnen als ewige Wohnung jenen Ort an, der am weitesten von unserem königlichen Thron entfernt ist, nämlich die unterirdischen Höhlen, den Mittelpunkt der Erde, wo sie des Lichtes beraubt sind und den Schrecken schauerlicher Finsternis empfinden (Jud 6). Desgleichen erkläre ich, dass dies ihr Anteil und ihre Erbschaft ist, die ihnen für den Stolz und die Verhärtung zufallen, womit sie sich gegen die Wesenheit Gottes und seine Anordnungen empört haben. In jenen dunklen Kerkern sollen sie gepeinigt werden mit ewigem und unauslöschlichem Feuer.»
1405. «Aus dem ganzen Menschengeschlecht berufe, erwähle und sondere ich mit meinem ganzen und vollen Willen aus alle Gerechten und Vorherbestimmten, welche durch meine Gnade und Nachfolge selig werden sollen, indem sie meinen Willen erfüllen und meinem heiligen Gesetz gehorchen. Diese ernenne ich an erster Stelle (nach meiner Mutter) zu Erben aller meiner Verheißungen, Geheimnisse und Segnungen, der Schätze meiner Sakramente und der Geheimnisse meiner Heiligen Schriften. Ich ernenne sie zu Erben meiner Herzensdemut und Sanftmut. Ich ernenne sie zu Erben aller Tugenden, des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, der Klugheit und Gerechtigkeit des Starkmutes und der Mäßigkeit, zu Erben meiner göttlichen Gaben und Gnadenauszeichnungen, zu Erben meines Kreuzes, meiner Mühseligkeiten, meiner Demütigungen, meiner Armut und Entblößung. Das sei ihr Anteil und ihre Erbschaft im gegenwärtigen, sterblichen Leben. Und weil sie diese Erbschaft durch Ausübung des Guten für sich erwählen müssen, so bezeichne ich, damit sie dies mit Freuden tun, eben diese Erbschaft als das Unterpfand meiner Freundschaft, weil auch ich sie für mich erwählt habe. Auch biete ich ihnen an meinen Schutz und meine Verteidigung, meine heiligen Einsprechungen, meine Gnadenerweisungen und meine mächtige Hilfe, meine Gaben und meine Rechtfertigung, nach dem Grad ihrer Vorbereitung und Liebe. Denn ich werde ihnen Vater, Bruder und Freund sein, sie aber werden meine Kinder, meine Auserwählten und Lieblinge sein. Als meine Kinder ernenne ich sie zu Erben aller meiner Verdienste und Schätze, und zwar, soweit es von mir abhängt, ohne Einschränkung. Ich will, dass sie an meiner heiligen Kirche und den Sakramenten Anteil haben und daraus so viel für sich schöpfen, als sie nach dem Maß ihrer Vorbereitung zu schöpfen fähig sind und dass sie die Gnade und die Güter, wenn sie dieselben verloren haben, wiederzuerlangen und zu meiner Freundschaft zurückzukehren vermögen, indem sie in meinem Blut erneuert und mehr und mehr reingewaschen werden. Ich will, dass ihnen in allen Anliegen die Fürbitte meiner Mutter und meiner Heiligen zugute komme. Meine Mutter wird sie als ihre Kinder anerkennen, sie beschützen und als ihr Eigentum betrachten. Meine Engel aber sollen sie verteidigen, führen, beschützen und auf ihren Händen tragen, damit sie nicht anstoßen. Wenn sie aber fallen sollten, so werden sie ihnen zum Wiederaufstehen verhelfen (Ps 91,11.12).»
1406. «Ferner ist es mein Wille, dass diese meine Gerechten und Auserwählten hoch über den Verworfenen und Teufeln stehen. Meine Feinde sollen sie fürchten und ihnen unterworfen sein. Alle vernünftigen und vernunftlosen Geschöpfe sollen ihnen dienen. Die Himmel, die Planeten, die Gestirne und deren Einflüsse sollen sie erhalten und ihnen durch ihre Einwirkung Leben geben. Die Erde, die Elemente und alle darin lebenden Tiere sollen sie ernähren. Alle Kreaturen, welche mein sind und mir dienen, sollen auch ihnen als meinen Kindern und Freunden gehören und dienen. Ihr Segen sei im Tau des Himmels und im Fett der Erde (1 Kor 3, 22; Weish 16, 24; Gen 27, 39). An ihnen will ich meine Wonne haben (Spr 8, 31). Ich will ihnen meine Geheimnisse mitteilen, mit ihnen vertraulich verkehren und, solange sie in der streitenden Kirche leben, will ich unter den Gestalten von Brot und Wein bei ihnen bleiben, zum sichersten Unterpfand der ewigen Seligkeit und Glorie, welche ich ihnen verheiße. Hernach werde ich ihnen ihr Erbe, die ewige Seligkeit, mitteilen, damit sie mit mir dieselbe genießen im Himmel, wo ihr Besitz ewig und ihre Freude unvergänglich sein wird.»
1407. «Den Vorhergesehenen und den nach unserem gerechten Willen Verworfenen aber, welche jedoch zu einem anderen, höheren Endziel erschaffen sind, bestimme ich in zulassender Weise, dass ihr Anteil und Erbe in diesem sterblichen Leben die Begierlichkeit des Fleisches und der Augen und die Hoffart mit all ihren Wirkungen sei (1 Joh 2,16), dass sie essen und sich sättigen vom Staub der Erde, d.h. von ihren Reichtümern von dem Dunst und der Fäulnis des Fleisches und ihren Genüssen und von der Eitelkeit und der Aufgeblasenheit der Welt. Denn für den Besitz dieser Dinge haben sie sich abgemüht und auf die Sorge für dieselben ihre Willenskraft und ihre Sinne gerichtet, Darauf haben sie die ihnen von uns verliehenen Fähigkeiten, Gaben und Wohltaten verwendet und freiwillig und nach eigener Wahl sich selbst betrügen lassen, indem sie die in meinem heiligen Gesetz ihnen vorgelegte Wahrheit verschmäht haben (Röm 2, 8; Ps 41, 8). Sie haben jener Wahrheit entsagt, die ich ihrem eigenen Herzen eingeschrieben habe, sowie auch jener, welche meine Gnade ihnen zeigte. Sie haben meine Lehre und meine Wohltaten verachtet dagegen auf meine und ihre Feinde gehört und auf deren Lügenwerke geachtet. Sie haben die Eitelkeit geliebt, Ungerechtigkeiten begangen, dem Ehrgeiz gehuldigt, sich an der Befriedigung ihrer Rachsucht ergötzt, die Armen verfolgt, die Gerechten gedemütigt und die Einfältigen und Unschuldigen beschimpft. Sie haben sich selbst zu erhöhen gesucht und nach den Grundsätzen der Ungerechtigkeit, die ihnen als Richtschnur galten, sich über die Zedern des Libanon zu erheben gestrebt (Ps 37, 35).»
1408. «Da sie all dies zur Beleidigung unserer göttlichen Güte getan, in ihrer Hartnäckigkeit verharrt und auf das von mir erworbene Anrecht der Kinder verzichtet haben, so schließe ich sie vom Erbe meiner Freundschaft und Glorie aus. Und gleichwie Abraham die Kinder der Sklavinnen mit einigen Geschenken von sich entließ und seine Haupterbschaft dem Isaak, dem Sohn der freien Sara vorbehielt (Gen 25, 5), so schließe auch ich die Verworfenen von meiner Erbschaft aus und lasse ihnen bloß die vergänglichen und irdischen Güter, welche sie selbst erwählt haben. Ich scheide sie aus von unserer Gesellschaft und von der Gesellschaft meiner Mutter und der Engel und Heiligen, und verurteile sie zum ewigen Gefängnis und Feuer der Hölle in der Gesellschaft des Luzifer und seiner Teufel, denen sie freiwillig gedient haben, und beraube sie für unsere ganze Ewigkeit der Hoffnung auf Erlösung. Das, mein Vater, ist das Urteil, welches ich als Richter und Haupt der Menschen und der Engel (Eph 4,15; Kol 2,10) ausspreche; das ist das Testament, welches ich bei meinem Tode hinterlasse; das ist die Wirkung des Erlösungswerkes, indem ich einem jeden vergelte, wie es ihm nach Gerechtigkeit gebührt, gemäß seinen Werken und gemäß dem Ratschluss deiner unfasslichen Weisheit und der Billigkeit deiner vollkommensten Gerechtigkeit.»
Auf diese Weise sprach unser Erlöser Jesus Christus, am Kreuze hängend, zu seinem ewigen Vater; und dieses verborgene Geheimnis wurde versiegelt und in dem Herzen der seligsten Jungfrau Maria als ein geheimes und verschlossenes Testament aufbewahrt, damit es durch ihre Vermittlung und Anordnung zur geeigneten Zeit, und zwar schon von jenem Augenblick an, vollstreckt werde, wie auch wirklich schon in jener Stunde seine Ausführung und Vollstreckung begann, gemäss der Erkenntnis und Voraussicht Gottes, in welchem alles, das Vergangene und das Zukünftige, zugleich gegenwärtig ist.
LEHRE, welche mir die allerseligste Jungfrau und Himmelskönigin Maria gegeben hat
1409. Meine Tochter, du sollst mit deinem ganzen Verlangen darauf bedacht sein, dass du in deinem Leben niemals die Erkenntnis der Geheimnisse vergessest, welche ich dir in diesem Hauptstück offenbart habe. Ich, deine Mutter und Lehrmeisterin, werde den Herrn bitten, Er möge durch seine göttliche Kraft die Erkenntnisse, die ich dir mitgeteilt habe, deinem Herzen einprägen, damit sie dein Leben lang unauslöschlich darin gegenwärtig bleiben. Diese Wohltat soll aber nach meiner Absicht darauf hinzielen, dass du unaufhörlich an Christus den Gekreuzigten meinen heiligsten Sohn und deinen Bräutigam, denkst. Niemals sollst du die Schmerzen vergessen, die Er am Kreuz erduldet, niemals die Lehre außer acht lassen, die Er am Kreuz verkündet und ausgeübt hat. Dies muss der Spiegel sein, nach welchem du die Schönheit deiner Seele herstellen und in ihr jene innere Herrlichkeit erlangen sollst, welche dir als einer Tochter des Fürsten geziemt, so dass du als Braut des allerhöchsten Königs glücklich beginnest, voranschreitest und herrschest (Psalm 44, 5). Dieser Ehrentitel legt dir die Pflicht auf, mit Aufbietung aller Kräfte deinem Bräutigam nachzufolgen und Ihm, soweit es dir mit seiner Gnade möglich ist, gleichförmig zu werden. Diese Gleichförmigkeit soll auch die Frucht meiner Belehrung sein. Und darum ist es mein Wille, dass du fortan mit Christus ans Kreuz geheftet lebest (2 Kor 5,15) und, dem irdischen Leben abgestorben, deinem Muster und Vorbilde ähnlich werdest. Es ist mein Wille, dass die Wirkungen der ersten Sünde in dir ausgetilgt werden und du nur mehr für das lebest, was die göttliche Kraft in dir wirkt und zustande bringt. Der ganzen Erbschaft, welche dir als einer Tochter des ersten Adam zugefallen ist, sollst du entsagen, damit du das Erbe des zweiten Adam erhaltest, nämlich das Erbe Jesu Christi deines Erlösers und Lehrmeisters.
1410. Dein Leben muss ein schweres Kreuz sein, woran du angenagelt bist keineswegs aber ein breiter Weg mit Dispensen und Interpretationen, welche denselben wohl weit breit und bequem, nicht aber sicher und vollkommen machen. Darin besteht ja die Täuschung der Kinder Babylons und Adams, dass sie, ein jeder in seinem Stand, bei ihren Werken das Gesetz Gottes leichter zu machen suchen, und dass sie bei der Rettung ihrer Seelen handeln und feilschen. Sie wollen den Himmel ja recht wohlfeil erkaufen, oder besser gesagt, sie setzen sich der Gefahr aus, ihn ganz zu verlieren, wenn es einmal darauf ankommt, auf engeren Pfaden zu wandeln und sich der Strenge des göttlichen Gesetzes und seiner Gebote anzubequemen. Dieses Streben hat dann zur Folge, dass sie zu Lehren und Meinungen ihre Zuflucht nehmen, welche die Pfade und Wege zum ewigen Leben breiter machen. Dabei bedenken sie aber nicht, was mein heiligster Sohn ihnen gesagt hat, dass nämlich diese Wege sehr schmal sind (Mt 7,14). Sie bedenken nicht, dass der Sohn Gottes selbst auf schmalen Wegen gewandelt ist, damit niemand sich einbilde, er dürfe auf anderen Wegen wandeln, auf Wegen, die da für das Fleisch und die durch die Sünde verkehrten Neigungen breit genug sind. Diese Gefahr ist noch größer, wenn es sich um Geistliche und Ordensleute handelt, deren Standespflicht es ist, ihrem göttlichen Lehrmeister nachzufolgen und seinem armen Leben sich gleichförmig zu machen, denn eben deshalb haben sie den Weg des Kreuzes erwählt. Sie aber wollen, dass ihre Würde oder der Ordensstand ihnen zeitliche Vorteile gewähre und ihnen Ehre und größeren Beifall eintrage, als ihnen in einem anderen Stand zuteil geworden wäre. Und damit sie dies erreichen, machen sie sich das Kreuz, das sie zu tragen versprochen haben, leicht, und zwar so, dass sie an demselben ein ziemlich fleischliches Leben führen, in das sie sich, gestützt auf trügerische Meinungen und Erklärungen, hineinleben. Aber seinerzeit werden sie erkennen, wie wahr der Ausspruch des Heiligen Geistes ist, der da sagt: «Jeglicher Weg scheinet dem Menschen recht in seinen Augen, der Herr aber wäget die Herzen (Spr 21, 2).»
1411. Ich will, meine Tochter, dass du von einem solchen Irrtum dich fernhaltest, denn du musst ganz nach der Strenge deiner Profess leben, und zwar in deren strengsten Punkten, so dass du dich auf diesem Kreuz weder auf diese noch auf jene Seite wenden kannst, eben weil du mit Christus an das Kreuz festgenagelt bist. Und selbst dem geringsten Punkte deiner Profess und der ihr entsprechenden Vollkommenheit musst du jeden zeitlichen Vorteil nachsetzen. Deine rechte Hand muss durch den Gehorsam angenagelt sein, so dass du dir keine Bewegung, kein Wort, kein Werk und keinen Gedanken mehr vorbehälst, welcher nicht durch diese Tugend geregelt würde. Willst du eine Hand rühren, so darf dies nur nach fremdem, nicht aber nach deinem Willen geschehen. In keinem Stück darfst du für dich selbst weise sein (Spr 3, 7), du musst vielmehr unwissend und blind sein, damit die Oberen dich führen. «Wer ein Versprechen macht», sagt der Weise (Spr 6,1 f), «der nagelt seine Hand an und bleibt mit seinen Worten gebunden und gefesselt.» Du nun hast deine Hand durch das Gelübde des Gehorsams angenagelt, und infolge dieses Aktes bist du der Freiheit und des Rechtes über dein Wollen und Nichtwollen beraubt. Deine linke Hand ist angenagelt durch das Gelübde der Armut, du darfst zu nichts von dem, was die Augen zu ergötzen pflegt, eine Neigung oder Vorliebe mehr bewahren, denn hinsichtlich des Gebrauches und des Verlangens nach derlei Dingen musst du ganz genau dem armen und am Kreuz entblößten Heiland nachfolgen. Durch das dritte Gelübde, nämlich das der Keuschheit, müssen deine Füße angenagelt sein, damit deine Schritte und Bewegungen rein, keusch und Gott wohlgefällig seien. Und deshalb darfst du nicht erlauben, dass man in deiner Gegenwart auch nur ein Wort vorbringe, das der Reinigkeit nicht vollkommen entspricht. Du sollst auch kein Bild von etwas Irdischem in deinen Sinnen dulden und kein menschliches Wesen anschauen oder berühren. Deine Augen und alle deine Sinne sollen der Keuschheit geweiht sein und zu nichts anderem mehr verwendet werden, als um sie auf Jesus den Gekreuzigten zu richten. Das vierte Gelübde der Klausur wirst du sicher bewahren in der Seitenwunde meines allerheiligsten Sohnes. Das ist der Wohnort, den ich dir anweise. Und damit du diese Lehre lieblich und diesen Weg nicht gar zu schmal findest, so beschaue und betrachte in deinem Herzen das Bild meines heiligsten Sohnes und Herrn, wie es dir gezeigt wurde: Er ist voll Wunden, Qualen und Schmerzen, und zuletzt ist Er ans Kreuz genagelt. Keine Stelle ist an seinem hochheiligen Leib, welche nicht verwundet und gemartert wäre. Wir beide, mein heiligster Sohn und ich, waren feiner und empfindsamer als alle Menschenkinder und haben für diese doch so bittere Schmerzen ertragen, um sie zu ermuntern, dass sie um ihres eigenen und ewigen Vorteiles und um der Liebe willen, welche so nachdrückliche Gegenliebe verlangt, geringere Schmerzen zu ertragen sich nicht weigern. Für diese Liebe sollten die Sterblichen sich dankbar erzeigen, sie sollten den mit Dornen und Disteln besäten Weg betreten und das Kreuz auf sich nehmen, um durch die Nachahmung und Nachfolge Christi zur ewigen Seligkeit zu gelangen, denn das ist der gerade Weg, der zum Himmel führt.
DREIUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Christi Sieg am Kreuz über den Teufel und den Tod. Ratsversammlung in der Hölle
Der Triumph, welchen unser Heiland Jesus Christus am Kreuze über den Teufel und den Tod gefeiert hat. Die Weissagung des Propheten Habakuk. Die bösen Geister halten in der Hölle ein Konziliabulum.
1412. Die verborgenen und verehrungswürdigen Geheimnisse dieses Hauptstückes stehen mit manchen anderen, welche im ganzen Verlauf dieser Geschichte behandelt und angedeutet wurden, in näherer Beziehung. Eines von diesen besteht darin, dass Luzifer und seine höllischen Geister im Verlauf des Lebens und der Wunder unseres Erlösers niemals die feste und unfehlbare Überzeugung zu erlangen vermochten, dass Jesus Christus wahrhaft Gott und Erlöser der Welt sei, und dass sie folgerichtig auch die Würde der seligsten Jungfrau nicht erkannten. Die Vorsehung der göttlichen Weisheit hatte dieses so angeordnet, damit das ganze Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung des Menschengeschlechtes auf die geeignete Weise zur Ausführung gelange. Deshalb blieben dem Luzifer, obwohl er übrigens wusste, dass Gott menschliches Fleisch annehmen würde, die Art und Weise, sowie die näheren Umstände der Menschwerdung, unbekannt. Und weil es ihm überlassen war, sich ein seinem Stolz entsprechendes Urteil hierüber zu bilden, so wurde er eben dadurch nicht wenig getäuscht, denn das eine Mal hielt er es um der von Christus gewirkten Wunder willen für wahr, dass er Gott sei, ein anderes Mal hielt er an der entgegengesetzten Ansicht fest, weil er den Herrn so arm, erniedrigt, verfolgt und geplagt sah. Der Drache verharrte deshalb, durch diese Verschiedenheit der Ansichten verblendet, bis zur bestimmten Stunde des Kreuzestodes in seinen Zweifeln und Versuchen oder Nachforschungen. Am Fuß des Kreuzes aber sollte er zur Kenntnis der Geheimnisse Christi gelangen und durch die Kraft des Leidens und Sterbens, das er über die heiligste Menschheit Christi gebracht hatte, nicht nur enttäuscht, sondern zugleich auch besiegt werden.
1413. Dieser Sieg unseres Heilandes Jesu Christi wurde auf eine so erhabene und wunderbare Weise errungen, dass ich mich außerstande und allzu beschränkt sehe, ihn zu beschreiben, denn er ging in geistiger und für die Sinne verborgener Weise vor sich, und doch muss ich mich gerade dieser Sinne zur Erklärung bedienen. Ich wünsche, dass wir, um darüber zu sprechen und das gehörige Verständnis zu bekommen, so miteinander sprechen und unsere Gedanken austauschen könnten, wie das die Engel tun, nämlich mittels jener einfachen Sprache und Anschauung, wodurch diese einander verstehen, denn eine derartige Gabe ist notwendig, wenn man dieses große Wunder der göttlichen Allmacht offenbaren und tiefer in es eindringen will. Ich will jedoch soviel mitteilen, als ich vermag. Das Verständnis wird aber mehr durch das Licht des Glaubens als durch meine Worte und Ausdrücke vermittelt werden.
1414. In einem früheren Hauptstück (Nr. 1364) habe ich erwähnt, wie Luzifer mit seinen höllischen Geistern aus der Nähe unseres Heilandes Jesu Christi fliehen und sich in den Abgrund stürzen wollte, sobald der Herr das Kreuz auf seine hl. Schultern nahm. Sie fühlten in jenem Augenblick die Macht Gottes gegen sich, welche nun mit stärkerer Gewalt sie niederzudrücken begann. Aus dieser ungewohnten Pein erkannten sie mit Zulassung des Herrn, dass der von ihnen herbeigeführte Tod dieses unschuldigen Menschen eine große Niederlage über sie bringe und dass Christus kein bloßer Mensch sei. Deshalb wollten sie entweichen und den Juden und Schriftgelehrten nicht mehr zur Seite sein, wie sie es bis auf jene Stunde gewesen waren. Allein die Macht Gottes hielt diese grimmigen Drachen gleichsam an der Kette zurück. Durch das Mahnwort der heiligsten Jungfrau Maria waren sie gezwungen, dazubleiben und Christus dem Herrn auf den Kalvarienberg nachzufolgen. Das Ende dieser Kette ward unserer großen Königin in die Hand gegeben, damit sie durch die Tugenden ihres göttlichen Sohnes die bösen Geister bändige und festhalte. Wohl boten die Teufel zu wiederholten Malen all ihre Stärke auf, um davon zu fliehen, ja sie vergingen fast vor Wut, allein sie vermochten die Kraft, mit welcher die Himmelskönigin sie festhielt, nicht zu überwinden. Sie waren genötigt, auf den Kalvarienberg mitzugehen und sich rings um das Kreuz her aufzustellen. Und hier mussten sie auf den Befehl Mariä unbeweglich stehen bleiben, bis die erhabenen Geheimnisse vollendet waren, wie sie dort zum Heil der Menschen und zum Verderben der Teufel vor sich gingen.
1415. Auf diesen Befehl wurden Luzifer und seine höllischen Rotten von den Peinen und Qualen, welche sie durch die Gegenwart unseres Herrn Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter sowie durch die ihnen gemachten Drohungen empfanden, so sehr niedergeschmettert, dass es für sie eine Erleichterung gewesen wäre, wenn sie sich in die Finsternisse der Hölle hätten begraben dürfen. Weil ihnen dies aber nicht gestattet wurde, so drängten und stürzten sie sich gegen- und durcheinander, wie ein in Unordnung gebrachter Ameisenhaufen oder wie Insekten, welche aufgescheut werden und sich dann in irgendein Loch verstecken. Nur war die Wut und Raserei, von der diese Geister befallen waren, nicht die Wut von Tieren, sondern von Teufeln, welche an Grausamkeit selbst die Drachen übertreffen. Luzifer sah nämlich seinen trotzigen Stolz vollkommen gedemütigt und seine hochfahrenden Pläne vereitelt, nach denen er seinen Thron über den Sternen des Himmels aufschlagen (Jes 14,13) und die reinen Wasser des Jordan verschlucken (Job 40,18) wollte. Wie schwach und kraftlos ist doch jener geworden, der bei so vielen Gelegenheiten in seiner Vermessenheit den ganzen Erdkreis umzukehren versucht hat ! Wie gedemütigt und ohnmächtig stand er da, er, der so viele Seelen durch falsche Versprechungen oder Drohungen getäuscht hatte ! Wie beschämt stand der unglückliche Aman vor dem Galgen, an dem er seinen Feind, den Mardochäus, wollte aufhängen lassen (Est 7, 9) ! Welche Schmach war es für ihn, als er die wahre Esther, die heiligste Jungfrau Maria erblickte, welche um Schonung für ihr Volk flehte und bat, dass der Verräter von seiner lange innegehabten Größe herabgeschleudert werde und endlich die Strafe für seinen großen Hochmut erleide ! Hier hat ihn unsere unüberwindliche Judith besiegt und ihm den Kopf abgeschlagen. Hier hat sie seinen so hoch erhobenen Nacken zertreten (Jud 13,10). Jetzt sehe ich, o Luzifer, dass dein Stolz und deine Anmaßung größer ist als deine Stärke (Jes 16, 6). Anstatt des Lichtglanzes bilden nun Würmer dein Gewand, und die Fäulnis verzehrt und umgibt deinen Leichnam. Du hast die Völker mit Wunden geschlagen, nun aber stehst du da, schwerer denn alle verwundet und gebunden und unterjocht. Von nun an werde ich deine lügenhaften Drohungen nicht mehr fürchten und auf deine Betrügereien nicht mehr hören, denn ich sehe dich unterjocht, schwach und ganz ohnmächtig !
1416. Es war endlich an der Zeit, dass diese alte Schlange durch den Lehrmeister des Lebens besiegt werde. Weil dies aber dadurch geschehen musste, dass dieser giftigen Schlange die Wahrheit offenbar werde und dass sie ihre Ohren der Stimme des Beschwörenden (Ps 52, 6) nicht länger mehr zu verstopfen vermöge, so begann der Herr am Kreuz die sieben Worte zu sprechen und gestattete dem Luzifer und seinen höllischen Geistern, dass sie beim Anhören derselben zugleich die darin enthaltenen Geheimnisse verstanden. Der göttliche Erlöser wollte nämlich gerade durch diese Erkenntnis über sie sowie über die Sünde und den Tod triumphieren und sie jener tyrannischen Herrschaft berauben, wodurch sie das ganze Menschengeschlecht unter ihrer Gewalt hielten. Der Heiland sprach nun das erste Wort: «Vater, vergib ihnen. denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk 23, 34) !» Bei diesen Worten erkannten die Fürsten der Finsternis mit Sicherheit, dass unser Herr damit den ewigen Vater anredete. Sie erkannten, dass Christus der Sohn Gottes von Natur, mit dem Vater und dem heiligen, göttlichen Geiste wahrer Gott sei. Sie erkannten, dass Er in seiner heiligsten, mit der Gottheit vereinigten Menschheit den Tod freiwillig auf sich genommen habe, um das ganze Menschengeschlecht zu erlösen und dass Er um seiner unendlich kostbaren Verdienste willen die allgemeine Vergebung der Sünden allen Kindern Adams anbiete, wenn sie sich nur sein Erlösungswerk zunutze machen und es zu ihrem Heil gebrauchen wollen, ja dass nicht einmal jene davon ausgeschlossen seien, welche das Verbrechen seiner Kreuzigung auf dem Gewissen haben. Infolge dieser Enttäuschung wurden Luzifer und seine höllischen Geister dermaßen von Zorn und Wut ergriffen, das sie sich augenblicklich in stürmischer Eile in den Abgrund der Hölle stürzen wollten und auch alle ihre Kräfte aufboten, um dieses zu bewerkstelligen, allein die mächtigste Königin hielt sie zurück.
1417. Bei dem zweiten Wort, welches der Herr an den glücklichen Schächer richtete: «Wahrlich ich sage dir. heute wirst du mit mir im Paradies sein (Lk 23, 43) !», erkannten die Teufel die Frucht des Erlösungswerkes in der Rechtfertigung der Sünder und das letzte Ziel desselben in der Verherrlichung der Gerechten. Auch erkannten sie, wie die Verdienste Christi von jener Stunde an mit erhöhter Kraft und Stärke zu wirken begannen und dass um derselben willen die durch die erste Sünde geschlossenen Pforten des Paradieses wieder geöffnet und von jetzt an die Menschen durch dieselben zum Genuss der ewigen Seligkeit eingehen und jene Sitze im Himmel einnehmen würden, welche sie selbst niemals mehr einzunehmen vermögen. Sie erkannten dabei, dass unser Herr Jesus Christus Gewalt habe, die Sünder zu berufen, zu rechtfertigen und zu verherrlichen. Auch sahen sie jetzt die Triumphe, welche Er während seines heiligsten Lebens über sie alle erlangte durch seine Demut, Sanftmut, Geduld und durch alle übrigen Tugenden, die Er in so erhabener Weise geübt hatte. Es ist aber für eine menschliche Zunge eine Sache der Unmöglichkeit die Beschämung und Qual Luzifers bei der Erkenntnis dieser Wahrheit zu schildern, denn diese Qual war so groß, dass sein Stolz sich sogar herbeiließ, unsere Königin, die allerseligste Jungfrau Maria, um die Erlaubnis zu bitten, dass sie in die Hölle hinabfahren und aus ihrer Nähe entweichen dürften. Allein die große Königin gestattete dieses nicht, weil die Zeit hierzu noch nicht gekommen war.
1418. Beim dritten Wort, welches der süßeste Jesus an seine Mutter richtete: «Frau, siehe da, dein Sohn (Joh 19, 26) !» erkannten die Teufel, dass jene heiligste Frau die wahre Mutter des menschgewordenen Gottes sei. Sie erkannten, dass Maria jenes Frau sei, welches ihnen nach ihrer Erschaffung im Himmel in einem Bild und Zeichen gezeigt worden war (siehe Teil 1, Nr. 93), dass sie es sei, welche ihnen den Kopf zertreten werde, wie der Herr im irdischen Paradiese vorhergesagt hatte (Gen 3,15). Sie erkannten die Würde und Erhabenheit dieser großen Herrin, eine Würde, welche die aller übrigen Kreaturen übertraf, auch die Gewalt welche Maria über sie besaß, wurden sie inne, mussten sie ja in dem gleichen Augenblick dieselbe aus Erfahrung kennen lernen. Weil nun alle Teufel vom Anfang der Welt an, als die erste Frau erschaffen war, in ihrer Schlauheit ausfindig zu machen suchten, welches wohl jene Frau sein möchte, deren Zeichen sie im Himmel gesehen hatten, bei dieser Gelegenheit aber einsehen mussten, dass dieselbe bis jetzt ihren Nachforschungen entgangen und von ihnen nicht erkannt worden sei, so gerieten diese Drachen in eine unglaubliche Wut. Denn auf eine solche Weise sich enttäuscht zu sehen, brachte ihren Stolz mehr als jede andere Pein außer Fassung, so dass sie gleich blutdürstigen Löwen gegen sich selbst in Wut gerieten. Ebenso erneuerte sich, jedoch ganz erfolglos, ihr Hass gegen die heiligste Herrin. Überdies erkannten sie auch, dass der hl. Johannes von unserem Heiland Jesus Christus gleichsam zum Schutzengel seiner Mutter bestellt worden sei, und zwar durch die ihm verliehene priesterliche Gewalt. Sie erkannten dies als eine Art Drohung gegenüber dem Zorn, den sie gegen die Himmelskönigin hatten, und auch der hl. Johannes wusste dies. Luzifer erfuhr auch, dass nicht bloß dem Evangelisten Johannes, sondern allen Priestern Gewalt gegen die bösen Geister verliehen werde, und zwar kraft ihrer priesterlichen Würde, welche in der Teilnahme an dem priesterlichen Charakter unseres Erlösers besteht. Die bösen Geister erkannten ferner, dass auch die übrigen Gerechten, wenn sie auch keine Priester seien, eines besonderen Schutzes von Seiten des Herrn sich erfreuen und viel gegen die Hölle vermögen würden. All dies lähmte die Kräfte Luzifers und seiner höllischen Geister.
1419. Das vierte Wort richtete unser Erlöser Jesus Christus an den himmlischen Vater, indem er sprach: «Mein Gott, mein Gott ! Warum hast du mich verlassen (Mt 21, 46) ?» Daraus erkannten die bösen Geister, dass die Liebe Christi gegen alle Menschen unermesslich und unbegrenzt sei und dass Er, um dieselbe zu befriedigen, auf eine geheimnisvolle Weise die Einwirkung seiner Gottheit auf seine Menschheit zurückgehalten habe, damit die Erlösung durch die äußerste Strenge des Leidens überreich sei. Die bösen Geister erkannten, wie der Heiland darüber betrübt war und liebevolle Klage führte, dass nicht alle Menschen selig würden und Er eben von diesen verlassen sei, obwohl Er bereit wäre, noch mehr für dieselben zu leiden, wenn es dem Willen des ewigen Vaters gefiele. Dieses Glück der Menschen nun, dass sie nämlich von Gott so sehr geliebt werden, fachte den Neid Luzifers und seiner Gesellen noch mehr an. Sie fühlten ja insgesamt, dass die Allmacht Gottes aufgeboten werde, um jene unendliche Liebe gegen die Menschen ohne Einschränkung zu betätigen. Diese Erkenntnis war ein entsetzlicher Schlag für den Stolz und die Bosheit der Feinde, zumal da sie sich schwach und ohnmächtig fühlten, um auf wirksame Weise dieser Liebe entgegenzutreten, wenn anders nicht die Menschen die Wirkungen der göttlichen Liebe vereiteln.
1420. Das fünfte Wort unseres Heilandes: «Mich dürstet (Joh 19, 28) !» erhöhte den Triumph über den Teufel und seinen Anhang noch mehr. Es versetzte sie in noch größere Wut und Erbitterung, weil der Erlöser es noch klarer gegen sie richtete. Sie verstanden nämlich, wie der Herr ihnen damit sagte: Wenn ihr das, was ich für die Menschen leide, für bedeutend und meine Liebe zu ihnen für groß haltet, so sollt ihr wissen, dass meine Liebe immer noch mehr nach ihrem Heil dürstet und schmachtet und dass selbst die vielen Wasser (Hld 8, 7) meiner Qualen und die Schmerzen meines Leidens dieselbe nicht ausgelöscht haben. Ich würde, falls es notwendig wäre, noch mehr Qualen für die Menschen erdulden, um sie aus eurer Tyrannei zu befreien und ihnen Macht und Stärke gegen eure Bosheit und euren Stolz zu verleihen.
1421. Beim sechsten Worte des Herrn «Es ist vollbracht (Joh 19, 30) !» gelangten Luzifer und seine höllischen Geister zur vollen Erkenntnis des Geheimnisses der Menschwerdung und des Erlösungswerkes, das nun nach der Anordnung und Vollkommenheit ausgeführt war. Es wurde ihnen nämlich gezeigt, wie unser Erlöser Jesus Christus den Gehorsam gegen seinen ewigen Vater vollbracht und die Verheißungen und Weissagungen, welche der Welt durch die Altväter gemacht worden waren, erfüllt habe. Sie erkannten, dass die Demut und der Gehorsam unseres Erlösers ihren Stolz und ihren Ungehorsam, den sie im Himmel bewiesen hatten, indem sie sich nicht unterworfen und ihn im menschlichen Fleisch nicht als Herrn anerkennen wollten, wiederum gutgemacht habe und dass sie deshalb, der höchsten Weisheit und Gerechtigkeit entsprechend, gerade durch jenen Herrn, den sie verachtet hatten, gedemütigt und besiegt seien. Und weil es der Würde Jesu Christi und seinen unendlichen Verdiensten gebührte, dass Er in dieser Stunde das Amt und die Gewalt des Richters über die Engel und Menschen ausübe, wie es der himmlische Vater ihm übertragen hatte, so machte Er von seiner Gewalt Gebrauch und gab, indem Er sozusagen das Urteil bei der Vollstreckung selbst ankündigte, dem Luzifer und allen seinen höllischen Geistern den Befehl, als zum höllischen Feuer Verurteilte augenblicklich in die allertiefsten höllischen Kerker hinabzufahren. Zu gleicher Zeit sprach der Heiland auch das siebente Wort: «Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist (Lk 23, 46).
Die mächtige Königin und Mutter Jesu schloss sich dem Willen ihres heiligsten Sohnes an und erteilte gleichfalls dem Luzifer und seinen Anhängern den Befehl, augenblicklich in die Hölle hinabzufahren. In Kraft dieses Befehles von Seiten des höchsten Königs und der Königin wurden die bösen Geister vom Kalvarienberg weggejagt und in den tiefsten Abgrund der Hölle hinab geschleudert und zwar mit größerer Gewalt und Schnelligkeit, als der Blitz von den Wolken hernieder fährt.
1422. Nachdem unser Heiland Jesus Christus als glorreicher Sieger seinen größten Feind überwunden hatte, wollte Er seinen Geist dem Vater übergeben und erteilte darum, das Haupt neigend, dem Tod die Erlaubnis, Ihm zu nahen. Durch diese freiwillige Erlaubnis besiegte der Heiland auch den Tod und so war auch der Tod getäuscht wie der Satan getäuscht war. Der Grund davon ist dieser: der Tod hätte die Menschen nicht treffen können. Er hätte keine Gewalt über sie bekommen, wenn nicht die erste Sünde geschehen wäre. Diese war schuld, dass der Tod als Strafe verhängt wurde. Und deshalb spricht der Apostel, die Waffe oder der Stachel des Todes sei die Sünde (Röm 5, 12; 1 Kor 15, 55), die Sünde hat die Wunde geöffnet, durch welche der Tod in die Welt d.h. unter das menschliche Geschlecht eintrat. Und weil unser Erlöser, der selber keine Sünde begehen konnte, die Schuld der Sünde bezahlte, darum verlor der Tod im selben Augenblick, als er dem Heiland unberechtigt das Leben nahm, sein Anrecht auf die übrigen Kinder Adams. Infolgedessen könnten fortan weder der Tod noch der Teufel die Menschen so wie zuvor anfallen, wenn sich die Menschen den Sieg Christi zunutze machen und sich nicht freiwillig wiederum dem Teufel unterwerfen wollten. Hätte unser Stammvater Adam nicht gesündigt und hätten wir alle in ihm nicht auch gesündigt, so gäbe es auch die Strafe des Todes nicht, sondern nur einen Übergang von einem glückseligen Zustand in den höchst glückseligen des ewigen Vaterlandes. Allein die Sünde hat uns dem Tode unterworfen und zu Sklaven des Teufels gemacht. Und der Teufel hat den Tod über uns gebracht, damit er, sich ihn bedienend, uns um den Übergang zum ewigen Leben, zuvor aber um die Gnade, die Gaben und die Freundschaft Gottes bringe, und damit wir in der Sklaverei der Sünde und des Teufels festgehalten und seiner tyrannischen, ruchlosen Herrschaft unterworfen bleiben. Alle diese Werke des Teufels hat unser Herr zerstört (1 Joh 3, 8). Indem Er nämlich unschuldig starb und für unsere Sünden Genugtuung leistete, bewirkte Er, dass wir bloß dem Leib, nicht aber der Seele nach sterben. Er bewirkte, dass der Tod uns wohl das leibliche, nicht aber das ewige, das natürliche, nicht aber das übernatürliche Leben nehmen kann, ja dass er für uns sogar die Pforte zur ewigen Seligkeit wird, wenn wir nur nicht selber den Himmel verlieren wollen. So hat der liebe Heiland die Strafe und Buße für die erste Sünde vollkommen bezahlt und hat es eben dadurch so gefügt, dass der leibliche und natürliche Tod, wenn wir ihn aus Liebe zu Ihm hinnehmen, die Genugtuung bildet, die wir unsererseits Ihm darzubringen vermögen. Auf diese Weise hat unser Herr den Tod verschlungen (1 Kor 15, 54; Hos 13,14). Sein Tod war der Biss oder Köder, womit Er den Tod täuschte. Durch seinen heiligsten Tod hat Er dem Tod Kraft und Leben genommen und ihn besiegt und getötet.
1423. Durch diesen Sieg unseres Heilandes ging in Erfüllung, was Habakuk in seinem Lobgesang und seinem Gebet geweissagt hatte. Ich will davon nur jene Worte anführen, welche meinem Zweck entsprechen. Der Prophet schaute dieses Geheimnis und die Macht Christi gegen den Tod und den Teufel. Und mit heiliger Furcht flehte er zum Herrn, Er möge seinem Werke, d.h. dem Menschen, Leben verleihen. Auch sagte er vorher, dass der Herr dies tun und, wenn sein Zorn aufs höchste gestiegen sei, sich seiner Barmherzigkeit (Hab 3, 2) erinnern werde. Die Herrlichkeit dieses Wunders werde die Himmel und sein Lob werde die Erde erfüllen (Hab 3, 3). Sein Glanz werde sein wie das Licht (Hab 3, 4). Er werde in seinen Händen die Hörner halten, nämlich die Arme des Kreuzes. Daselbst werde seine Stärke verborgen sein, und der Tod werde als ein Gefangener und Besiegter vor Ihm einhergehen. Von seinen Füßen werde der Satan weggehen und die Erde messen (Hab 5, 5 f).???? Alles dieses ging buchstäblich in Erfüllung, denn Luzifer ging wie zermalmt und mit zerschmettertem Haupt von den Füßen Christi und seiner heiligsten Mutter weg. Jesus und Maria haben ihn auf dem Kalvarienberg durch ihr Leiden und ihre Macht niedergestoßen und zertreten. Und weil er bis zum Mittelpunkt der Erde hinabfuhr, denn dieser ist der tiefste Ort der Hölle und am weitesten von der Oberfläche entfernt, so heißt es, er habe die Erde gemessen. Alles übrige von diesem Lobgesang bezieht sich auf den Triumph unseres Herrn Jesu Christi im Verlauf der Kirche bis zum Ende der Welt und ich brauche dies hier nicht anzuführen. Was aber für uns Sterbliche höchst wichtig ist und was wir alle wissen müssen, ist dies, dass Luzifer und seine höllischen Geister durch den Tod unseres Erlösers Jesu Christi gebunden, niedergeschmettert und ihrer Macht beraubt worden sind. Sie wären nicht mehr imstande, die Sterblichen so sehr zu versuchen, wenn diese nicht durch ihre Sünden und aus freiem Willen abermals sie losbinden und ihren Stolz anfachen würden, um mit erneuter Kraftanstrengung die Welt ins Verderben zu stürzen. All dies wird man noch klarer aus dem in der Hölle abgehaltenen Konziliabulum erkennen sowie aus dem, was ich im Verlauf dieser Geschichte noch anführen werde.
Konziliabulum, welches Luzifer nach dem Tod unseres Herrn Jesu Christi mit den bösen Geistern in der Hölle gehalten hat
1424. Der Sturz Luzifers und seiner Genossen war dieses Mal, da er vom Kalvarienberg in die Tiefe der Hölle geschleudert ward, viel stürmischer und wilder als damals, da er aus dem Himmel verstoßen wurde. Die Hölle ist zwar stets ein finsteres und mit Todesschatten bedecktes Land, voll von dunkler Verwirrung, Elend, Qualen und Unordnung, wie der hl. Job bezeugt (Job 10, 21 f). Allein bei dieser Begebenheit steigerte sich dort das Unglück und die Verwirrung noch mehr, denn die Verdammten fühlten neuen Schrecken und eine akzidentelle Pein infolge des Ungestümes und der Heftigkeit, womit die Teufel aufeinander niederstürzten, sowie wegen der Wut und Raserei, welche sie zeigten. Es ist gewiss, dass es den Teufeln nicht freisteht, nach Belieben den Seelen in der Hölle mehr oder weniger qualvolle Orte anzuweisen, denn dies ordnet die Macht der göttlichen Gerechtigkeit je nach den Missverdiensten eines jeden einzelnen Verdammten an, damit alle nach Verhältnis gezüchtigt werden. Allein es ist eine Anordnung des gerechten Richters, dass sie im Verlauf der Zeit und bei gewissen Veranlassungen außer der wesentlichen Pein auch noch andere, akzidentelle Qualen erdulden können. Denn ihre Sünden haben auf der Welt Wurzeln hinterlassen und vielfachen Schaden für andere veranlasst, welche um ihretwillen verdammt werden. Und eben diese neue Wirkung ihrer nicht gesühnten Sünden verursacht ihnen diese Pein. So quälten nun die Teufel auch den Judas mit neuer Pein, weil er Christus verkauft und seinen Tod veranlasst hatte. Auch wurden sie damals inne, dass dieser Ort mit seinen so schrecklichen Qualen, an den sie nach dem oben (Nr. 1249) Gesagten den Verräter gebracht hatten, zur Bestrafung derjenigen bestimmt sei, welche den Glauben gehabt, aber ihn nicht durch Werke betätigt haben und überhaupt für alle, welche die Übung dieser Tugend und die Frucht der Erlösung geflissentlich verachtet haben. Gegen alle diese zeigen die Teufel eine besonders große Wut und zwar aus Hass gegen Jesus und Maria.
1425. Als Luzifer nach einiger Zeit die Erlaubnis erhalten hatte, in der eben bezeichneten Weise zu verfahren und von seinem Fall sich wieder zu erheben, war er bedacht den höllischen Geistern die neuen Pläne seines Stolzes mitzuteilen. Zu diesem Ende rief er sie alle zusammen, stellte sich an einen erhöhten Ort und redete sie mit folgenden Worten an: «Euch, die ihr aus Rache wegen der mir zugefügten Ungerechtigkeiten seit so vielen Jahrhunderten meiner gerechten Partei folgt und ihr immer folgen werdet, ist es bekannt, welches Unrecht ich neuerdings von diesem merkwürdigen Gottmenschen erlitten habe. Dreiunddreißig Jahre lang hat Er mich hinters Licht geführt hat mir seine göttliche Natur verborgen, die Tätigkeiten seiner Seele verhüllt und durch den Tod, den wir zu seiner Vernichtung über Ihn gebracht haben, uns besiegt. Bevor Er noch Fleisch annahm, habe ich Ihn schon gehasst und mich nicht herbeigelassen, anzuerkennen, dass Er mehr als ich würdig sei, von allen als Oberhaupt angebetet zu werden. Ich bin nun allerdings wegen dieser Widersetzlichkeit mit euch vom Himmel verstoßen und mit dieser Hässlichkeit bekleidet worden, in der ich dastehe, und die meiner Größe und Schönheit so unwürdig ist. Aber mehr als all dies quält mich der Umstand, dass ich mich durch diesen Menschen und seine Mutter besiegt und unterdrückt sehe. Von jenem Tag an, da der erste Mensch erschaffen wurde, habe ich mit allem Fleiß danach getrachtet, den Gottmenschen und seine Mutter zu vernichten oder, falls mir dies nicht gelänge, alle seine Geschöpfe zugrunde zu richten.
Ich habe zu bewirken gesucht, dass ja niemand Ihn als seinen Gott anerkenne oder Ihm folge und dass seine Werke den Menschen ja nicht zum Segen gereichen. Das waren meine Wünsche, das meine Sorgen und Anstrengungen. Allein alles ist umsonst, denn durch seine Demut und Armut hat Er mich besiegt, durch seine Geduld hat Er mich niedergeschmettert, und endlich hat Er mich durch sein Leiden und seinen schmachvollen Tod meiner Herrschaft über die Welt beraubt. Das quält mich derart, dass selbst dann mein Neid nicht befriedigt und meine Wut nicht besänftigt wäre, wenn ich Ihn von der Rechten seines Vaters, wo Er nun triumphierend sitzt, wegreissen und alle seine Erlösten in diese höllischen Abgründe herabziehen könnte.»
1426. «Ist es möglich, dass die menschliche Natur, welche doch so weit unter der meinigen steht, so weit über alle Kreaturen erhoben werden sollte ! Warum musste denn die menschliche Natur, von ihrem Schöpfer so sehr geliebt und begünstigt werden, dass Er sie in der Person des ewigen Wortes mit sich selbst vereinigte ? Und warum hat Er mich schon vor Ausübung dieses Werkes bekriegt und nachher zu meiner großen Beschämung mich niedergeschmettert ? Ich habe diese Person des Wortes allezeit als meine grimmigste Feindin betrachtet. Beständig war sie mir verhasst und unerträglich. O ihr Menschen, wie seid ihr doch von demselben Gott, den ich hasse, so sehr begünstigt, so zärtlich behandelt und von seiner brennenden Liebe mit Wohlwollen überhäuft ! Wie werde ich euer Glück verhindern können? Wie werde ich euch ebenso unglücklich machen, wie ich es bin, da ich ja die Natur, die ihr empfangen habt, nicht zu zerstören imstande bin? Und nun, meine Vasallen, was wollen wir jetzt anfangen ? Wie sollen wir unsere Herrschaft wiederum herstellen? Wie werden wir wiederum unsere Stärke gegen die Menschen erlangen ? Wie können wir sie nun besiegen? Denn wenn die Sterblichen gegen diesen Gottmenschen, der sie mit solcher Liebe erlöst hat, nicht ganz gefühllos und undankbar, ja selbst schlimmer sind als wir, so werden offenbar alle Ihm um die Wette folgen, alle Ihm ihr Herz weihen und sein liebliches Gesetz annehmen. Niemand wird mehr auf unsere Lügen achten. Die trügerischen Ehren, die wir anbieten, werden die Menschen verschmähen und die Verachtung lieben. Nach der Abtötung des Fleisches werden sie Verlangen tragen und das Gefährliche der Ergötzlichkeiten einsehen. Sie werden die Schätze und Reichtümer verlassen und die Armut lieben, welche ihr Lehrmeister so hoch geehrt hat. Mit einem Wort: was wir immer den menschlichen Neigungen darbieten, um sie anzuregen, wird man mit Abscheu abweisen, um dem wahren Erlöser nachzufolgen. Dadurch fällt aber unser Reich der Zerstörung anheim, denn niemand wird mehr zu uns an diesen Ort der Verwirrung und Qual kommen. Vielmehr werden alle zu jener Glückseligkeit gelangen, die wir verloren haben. Alle werden sich bis in den Staub demütigen und in Geduld die Leiden ertragen. Mein Zorn und mein Stolz aber wird leer ausgehen.»
1427. «Ach, ich Unglücklicher, welche Qual verursacht mir nicht meine eigene Täuschung ! Wenn ich Ihn in der Wüste versuchte, so habe ich Ihm dadurch nur Gelegenheit geboten, mittels jenes Sieges den Menschen in der Welt ein Beispiel zu hinterlassen, das da ganz wirksam ist, um die Welt selbst zu überwinden. Wenn ich Ihn verfolgt habe, so bot Ihm dies nur Gelegenheit, seine Demut und Geduld zu lehren. Wenn ich den Judas überredete, Ihn zu verkaufen, und die Juden Ihn mit tödlichem Hass zu quälen und ans Kreuz zu schlagen, so habe ich mit all diesen Bemühungen nur an meinem Verderben und an der Rettung der Menschen gearbeitet und bewirkt, dass jene Lehre, welche ich zu verdrängen suchte, der Welt erhalten blieb. Wie konnte sich doch jener so sehr demütigen, welcher wahrer Gott war ? Wie hat Er soviel von den Menschen ertragen, die doch so böse sind ? Und wie habe doch ich selbst soviel beigetragen, dass die Erlösung der Menschen so überreichlich und so wunderbar war? O wie so ganz göttlich ist die Stärke dieses Menschen, die mich so gewaltig peinigt und so unmächtig macht ! Und jene meine Feindin, seine Mutter, wie ist sie so unüberwindlich und so mächtig gegen mich? Eine solche Macht bei einer reinen Kreatur ist etwas Unerhörtes. Ohne Zweifel hat sie diese Macht vom ewigen Wort, das sie mit Fleisch bekleidet hat. Der Allmächtige hat gegen mich allezeit einen heftigen Krieg geführt und zwar mittels jener Frau, die meinem hohen Geist schon von jenem Augenblick an so verhasst war, da ich dieselbe in ihrem Zeichen und Bild gesehen habe. Solange aber mein Stolz und mein Zorn nicht befriedigt sind, werde ich nicht aufhören, gegen diesen Erlöser, gegen seine Mutter und gegen die Menschen einen ununterbrochenen Krieg zu führen. Wohlan denn, ihr Teufel meines Gefolges, jetzt ist es an der Zeit, unseren Zorn gegen Gott auszulassen. Kommt also alle herbei, um mit mir über die Mittel zu beraten, durch welche wir dies bewerkstelligen können. Ich wünsche eure Ansicht hierüber zu erfahren.»
1428. Auf diesen entsetzlichen Vorschlag Luzifers hin gaben einige der obersten Teufel ihre Meinung ab. Sie ermutigten ihn durch verschiedene Ratschläge, die sie ausgesonnen hatten, um die Frucht der Erlösung bei den Menschen zu verhindern. Alle waren darüber einig, dass es eine Unmöglichkeit sei, die Person Christi anzugreifen, den unermesslichen Wert seiner Verdienste zu schmälern, die Wirksamkeit der Sakramente aufzuheben oder die von Christus verkündigte Lehre zu verfälschen oder abzuschaffen. Allein trotzdem müsse man trachten, mit genauer Berechnung der neuen Ursachen, Mittel und Gnaden, welche Gott zur Rettung der Menschen verordnet habe, jetzt auch neue Mittel und Wege ausfindig zu machen, um die Menschen vom Gebrauch der Gnadenmittel abzuhalten und sie durch stärkere Versuchungen und Trugkünste zu verführen. Darum sprachen einige besonders verschmitzte und boshafte Teufel: «Es ist wahr, die Menschen haben nun eine neue Lehre und ein sehr kräftiges Gesetz. Sie haben nun auch neue und wirksame Sakramente, ein neues Vorbild und einen neuen Lehrmeister der Tugenden. Sie haben eine mächtige Fürsprecherin und Mittlerin an dieser außerordentlichen Frau. Allein ihre fleischlichen und natürlichen Neigungen und Leidenschaften bleiben allezeit dieselben, und auch die ergötzlichen und sinnlichen Dinge haben keine Änderung erfahren. Wenn wir uns nun dieser Mittel bedienen und mit größerer Schlauheit zu Werke gehen, so werden wir, soviel an uns liegt das wieder zerstören, was dieser Gottmensch für sie gewirkt hat. Wir wollen darum die Menschen heftig bekämpfen, sie durch Einflüsterungen anlocken und ihre Leidenschaften aufstacheln, so dass sie ihnen mit großem Ungestüm folgen, ohne mehr auf etwas anderes zu achten, denn ist die menschliche Natur einmal von einem Gegenstand ganz und gar eingenommen, so vermag sie bei ihrer so großen Beschränktheit auf das Gegenteil gar nicht mehr zu achten.»
1429. Diesem Gutachten gemäß wurden nun aufs neue verschiedene Ämter unter die Teufel ausgeteilt, damit alle mit erhöhter Schlauheit und gleichsam in geordneten Scharen vorgehen. Und diese Scharen sollten den verschiedenen Lastern entsprechen, zu denen sie die Menschen versuchen wollen. Es wurde beschlossen, darauf hinzuarbeiten, dass der Götzendienst in der Welt erhalten bleibe, damit die Menschen nicht zur Erkenntnis des wahren Gottes und des Erlösungswerkes gelangen. Sollte aber der Götzendienst verschwinden, so hielten sie es für zweckdienlich, neue Sekten und Ketzereien in der Welt aufzubringen. Zu diesem Zweck sollten Menschen ausgesucht werden, welche ganz und gar schlecht und von verkehrten Neigungen beherrscht seien. Diese würden dann vor allen anderen die Ketzereien annehmen und die Lehrmeister und Häupter der Irrtümer werden. In der Hölle also, in der Brust dieser giftigen Schlangen wurden die Sekte des Mohammed, die Ketzereien des Arius, des Pelagius, des Nestorius und was man sonst noch an Ketzereien von den ersten Zeiten der Kirche an bis jetzt in der Welt gesehen hat. ausgebrütet. Kurz, dort wurden alle Ketzereien ausgesonnen, die jemals aufkommen werden, und welche aufzuzählen weder notwendig noch ratsam ist. Dieses teuflische Gutachten wurde vom Luzifer gutgeheißen, weil es der göttlichen Wahrheit entgegentrat und das Fundament des menschlichen Heiles, nämlich den Glauben, zerstörte. Denjenigen Teufeln, welche diesen Vorschlag gemacht und es übernommen hatten, zur Stiftung von Irrlehren gottlose Menschen aufzusuchen, spendete Luzifer sein Lob, erzeigte ihnen seine Huld und setzte sie an seine Seite.
1430. Einige Teufel machten es sich zur Aufgabe, den Neigungen der Kinder eine verkehrte Richtung zu geben und zu diesem Zweck auf deren Erzeugung und Geburt Obacht zu haben. Andere wollten die Eltern antreiben, dass sie, sei es aus übertriebener Liebe, sei es aus Abneigung, die Erziehung und den Unterricht der Kinder vernachlässigen. Die Kinder aber wollten sie zum Hass gegen die Eltern aufreizen. Wieder andere erboten sich, Unfrieden zwischen Eheleuten zu stiften und ihnen Anlässe zum Ehebruch und zur Verletzung der schuldigen Gerechtigkeit und Treue zu bieten. Alle insgesamt aber vereinigten sich dahin, dass sie Streitigkeiten, Hass, Zwietracht und Rachsucht unter die Menschen ausstreuen und die Menschen hierzu durch lügenhafte Eingebungen, durch stolze und sinnliche Neigungen, durch Habsucht und Verlangen nach Ehren und Würden antreiben und ihnen Scheingründe gegen alle von Christus gelehrten Tugenden einflößen wollten. Vor allem aber gedachten sie, die Sterblichen vom Andenken an das Leiden und Sterben Christi und an die Wohltat der Erlösung abzubringen und zu bewirken, dass sie die Höllenpeinen und ihre ewige Dauer vergessen. Durch diese Mittel hofften alle Teufel, es dahin zu bringen, dass die Menschen ihr Dichten und Trachten den Vergnügungen und überhaupt den sinnlichen Dingen zuwenden und so das Geistige außer acht lassen und das Heil ihrer Seele vernachlässigen.
1431. Luzifer hörte diese und andere Vorschläge der Teufel an und erwiderte hierauf mit folgenden Worten: «Eure Gutachten haben mich sehr befriedigt, und ich erteile ihnen meine Genehmigung und Gutheißung. Alles wird leicht zu erreichen sein bei denen, welche das vom Erlöser den Menschen gegebene Gesetz nicht befolgen. Handelt es sich aber um diejenigen, welche dieses Gesetz annehmen und befolgen, so wird es eine sehr schwierige Unternehmung sein. Allein ich bin entschlossen, diesem Unternehmen alle meine Kräfte zu widmen, gegen die Anhänger Christi meine ganze Wut und Raserei aufzubieten und alle, welche die Lehre dieses Erlösers hören und seinem Beispiel folgen, mit höchster Erbitterung zu verfolgen. Wir müssen gegen sie einen blutigen Krieg führen bis zum Ende der Welt. Ich muss trachten, in dieser neuen Kirche mein Unkraut auszusäen (Mt 13, 25), nämlich den Ehrgeiz, die Habsucht, die Sinnlichkeit und den tödlichen Hass nebst allen Lastern, deren Haupt ich bin. Denn wenn einmal die Sünden unter den Gläubigen sich mehren und anwachsen, so wird das Unrecht und die grobe Undankbarkeit, deren sie sich hiermit gegen Gott schuldig machen, den Herrn reizen, dass Er ihnen mit Recht die Gnadenhilfen versagt, welche ihnen ihr Erlöser in so reichem Maß verdient hat. Versperren sie sich aber durch ihre Sünden diesen Weg zu ihrer Rettung, dann werden wir sicher den Sieg über sie davontragen. Ferner müssen wir die Menschen dahin bringen, dass sie die Frömmigkeit und den Geschmack an den geistlichen und göttlichen Dingen verlieren, die Kraft der Sakramente nicht achten und die Gnadenmittel im Stand der Sünde oder wenigstens ohne Eifer und Andacht empfangen, denn diese Gnadenmittel sind geistiger Natur und müssen darum mit dem Affekt des Willens empfangen werden, wenn sie anders dem Empfänger nützen sollen. Kommen aber die Menschen einmal so weit, dass sie die Arznei verachten, so werden sie nur langsam ihr Heil fördern, unseren Versuchungen geringeren Widerstand entgegensetzen, unsere Täuschungen nicht bemerken, die Wohltaten Gottes vergessen und auf das Andenken an ihren eigenen Erlöser und die Fürsprache seiner Mutter kein Gewicht mehr legen. Diese abscheuliche Undankbarkeit aber wird sie der Gnade unwürdig machen. Ihr Gott und Erlöser wird dadurch erbittert werden und ihnen dieselbe verweigern. In diesem Unternehmen sollt ihr alle nach Kräften mich unterstützen und keine Zeit und Gelegenheit versäumen, um meine Befehle zu vollziehen.»
1432. Es ist geradezu eine Unmöglichkeit zu beschreiben, was der Drache mit seinen Gesellen bei dieser Gelegenheit an Plänen gegen die heilige Kirche und ihre Kinder geschmiedet hat, um die «Gewässer des Jordan in seinem Rachen zu verschlucken (Job 40,18)». Es genüge die Bemerkung, dass sie ungefähr ein volles Jahr nach dem Tod Christi mit dieser Beratschlagung und der Erwägung über den Zustand zubrachten, in welchem die Welt ehemals sich befand und worin sie sich jetzt befindet, seit Christus, unser höchstes Gut und unser Lehrmeister, gekreuzigt worden ist und die Wahrheit seines Glaubens durch das Licht so vieler Wunder, Gnadenerweisungen und Beispiele heiliger Männer geoffenbart hat. Wenn nun alles dieses nicht hinreicht, um die Menschen auf den Weg des Heiles zurückzuführen, so sieht man klar und deutlich, wie viel Luzifer gegen sie vermocht hat. Man sieht, sein Zorn ist groß, so groß, dass wir mit dem hl. Johannes sagen können: «Wehe der Erde, denn der Satan ist voll Zorn und Wut zu euch hinabgekommen (Offb 12,12).» Aber leider ! So unfehlbare, höchst wichtige Wahrheiten, Wahrheiten, die uns antreiben sollten, unseren gefahrvollen Zustand einzusehen und aus allen Kräften uns vorzusehen, sind in unseren Tagen gar sehr dem Gedächtnis der Sterblichen entschwunden, zum unersetzlichen Schaden der Welt. Der Feind ist schlau, grausam und wachsam, wir aber sind schläfrig, sorglos und träge. Was Wunder also, dass Luzifer einen so großen Teil von der Welt in Besitz hat. Gibt es ja doch so viele, welche auf ihn hören, ihm Glauben schenken und seinen Betrügereien nachgehen, dagegen so wenige, welche ihm widerstehen. Der Grund davon ist aber kein anderer, als weil die Sterblichen nicht an den ewigen Tod denken, in welchen der Satan mit unversöhnlicher Wut und Bosheit sie zu stürzen sucht. Ich bitte aber alle, welche diese Zeilen lesen sollten, vor einer so furchtbaren Gefahr die Augen nicht zu verschließen. Und sollten sie diese Gefahr nicht aus dem Zustand der Welt und ihrem Elend sowie aus dem Schaden erkennen, den ein jeder an sich selbst erfahren hat, so mögen sie die Gefahr doch aus der Arznei einsehen lernen, sowie aus der Menge und Wirksamkeit der Heilmittel, welche unser Heiland und Lehrmeister in der heiligen Kirche hinterlassen hat. Denn der Herr würde die Arznei nicht in solcher Überfülle anwenden, wenn unsere Krankheit und die Gefahr des ewigen Todes nicht gar so groß und entsetzlich wäre.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gegeben hat
1433. Meine Tochter, du hast durch das göttliche Licht eine tiefe Erkenntnis erhalten von dem glorreichen Sieg, welchen mein Sohn und Herr am Kreuze über die Teufel davontrug, und von der niederschmetternden Gewalt, mit welcher Er sie überwunden und unterjocht hat. Du musst aber wohl wissen, dass dir von diesen unaussprechlichen Geheimnissen noch weit mehr, als dir bekannt wurde, verborgen ist, denn solange die Kreatur im Sterblichen Fleisch lebt, fehlt ihr die Befähigung, um in die Geheimnisse so, wie sie in sich selbst sind, einzudringen. Und die göttliche Vorsehung spart die vollständige Erkenntnis derselben auf, um im Himmel in der beseligenden Anschauung, wo man zur vollkommenen Erkenntnis dieser Geheimnisse gelangen wird, die Heiligen damit zu belohnen, die Verworfenen aber zu beschämen, und zwar je nach dem Grad der Erkenntnis, den sie am Ende ihrer Laufbahn hierüber erhalten. Indes ist das, was du vernommen hast, schon hinreichend, um dir die Gefahr des sterblichen Lebens zu zeigen und dich zu dem Vertrauen zu ermuntern, dass du deine Feinde besiegen werdest. Ich möchte dich aber auch aufmerksam machen. dass der Drache um dessentwillen, was du in diesem Hauptstück geschrieben hast, in erhöhtem Maß gegen dich erbittert ist. Er war dies freilich allezeit und hat dich deshalb an der Beschreibung meines Lebens zu hindern gesucht und du hast dies auch beim ganzen Verlauf deiner Arbeit erkannt. Jetzt aber ist sein Stolz stärker gereizt, weil du aufgedeckt hast, wie sehr er beim Tod meines heiligsten Sohnes gedemütigt, niedergeschmettert und geschädigt wurde, in welchem Zustand er verblieb und welche Pläne er mit seinen höllischen Geistern schmiedete, um an den Kindern Adams und insbesondere an den Kindern der heiligen Kirche seinen Sturz zu rächen. All dies hat ihn aufs neue in Verwirrung und Aufregung versetzt, weil er sieht, dass seine Pläne denen kund werden, welche bisher nichts davon wussten. Diese Wut wirst du aus den Schwierigkeiten erkennen, die dir der Satan mittels verschiedener Versuchungen und Verfolgungen in den Weg legen wird. Ja du hast bereits die Raserei und Grausamkeit dieses Feindes zu erkennen und zu erfahren begonnen und ich mache dich aufmerksam, ja recht große Vorsicht zu gebrauchen.
1434. Du bist mit Recht in Staunen versetzt, da du auf der einen Seite die Kraft der Verdienste meines Sohnes und die Wirksamkeit des Erlösungswerkes sowie das Verderben und die Schwächung, welche daraus für die Teufel hervorging, erkannt hast, andererseits aber siehst, wie die bösen Geister in furchtbarer Verwegenheit eine so große Gewalt und Herrschaft über die Welt ausüben. Bei diesem Staunen gibt dir nun allerdings jenes Licht Aufschluss, welches dir in dem Inhalt deiner Aufzeichnungen gegeben wurde; ich will aber doch noch mehreres für dich beifügen, damit du gegen deine boshaften Feinde eine noch größere Vorsicht anwendest. Es ist gewiss: als die bösen Geister das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung inne wurden, als sie sahen, wie mein heiligster Sohn in so großer Armut, Niedrigkeit und Verachtung geboren wurde, als sie sein Leben, seine Wunder, sein Leiden, seinen geheimnisvollen Tod und alles das sahen, was er sonst noch auf Erden tat, um die Menschen an sich zu ziehen, da wurden sie ganz ohnmächtig und verloren alle Kraft, die Gläubigen in der Weise zu versuchen, wie sie die Nichtgläubigen zu versuchen pflegten und wie sie stets alle zu versuchen begehren. Und dieser Schrecken der Teufel vor den Getauften und Anhängern Jesu Christi dauerte in den ersten Zeiten der Kirche viele Jahre hindurch fort, denn damals erglänzte an den Gläubigen die Kraft Gottes, und zwar infolge des Eifers, mit dem sie das Beispiel meines Sohnes nachahmten, ihren heiligen Glauben bekannten, die Lehre des heiligen Evangeliums befolgten und die Tugenden übten, denn sie verrichteten heldenmütige und überaus feurige Akte der Liebe, der Demut, der Geduld und der Verachtung der Eitelkeit und der trügerischen Scheingüter der Welt. Ja gar viele haben für Jesus Christus ihr Blut vergossen und ihr Leben geopfert und für die Verherrlichung seines heiligen Namens erhabene und wunderbare Taten vollbracht. Diese unüberwindliche Stärke kam ihnen dadurch zu, dass sie dem Leiden und Tod ihres Erlösers so unmittelbar nahestanden, das wunderbare Beispiel seiner ausgezeichneten Geduld und Demut lebendiger vor Augen hatten und von den Teufeln nicht so stark versucht wurden, denn diese vermochten sich von der schweren Niederlage, welche ihnen der Sieg des gekreuzigten Gottessohnes beigebracht hatte, nicht so schnell zu erheben.
1435. Diese Gleichförmigkeit mit Jesus Christus und die vollkommene Nachahmung seines Beispiels, wie es die Teufel an den ersten Kindern der Kirche wahrnahmen, flößten den bösen Geistern eine solche Furcht ein, dass sie ihnen gar nicht zu nahen wagten. Sie flohen in Eile davon, wenn ein Christ in die Nähe kam. Und dies war der Fall nicht nur bei den Aposteln sondern überhaupt bei allen Gerechten, welche die Lehre meines heiligsten Sohnes annahmen. Diese brachten, indem sie mit aller Vollkommenheit handelten, dem Allerhöchsten die Erstlinge der Gnade und Erlösung als Opfer dar. Dasselbe würde aber auch bis auf den heutigen Tag noch der Fall sein, wie man dies auch an den Vollkommenen und Heiligen sieht und erfährt, wenn alle Katholiken die Gnade annehmen, mit ihr mitwirken, sie benützen und auf dem Kreuzweg wandeln würden, wie Luzifer dem Gesagten gemäß dies gefürchtet hat. Allein im Verlauf der Zeit begann in vielen Gläubigen die Liebe, der Eifer und die Andacht zu erkalten. Sie vergaßen mehr und mehr die Wohltat der Erlösung, gaben ihren Neigungen und fleischlichen Begierden nach, liebten die Eitelkeit und Habsucht und ließen sich durch die Kunstgriffe und falschen Einflüsterungen Luzifers betören. Damit haben sie aber die Ehre des Herrn geschmälert und sich den Händen ihrer Todfeinde überliefert. Durch diese abscheuliche Undankbarkeit ist die Welt in den äußerst unglücklichen Zustand geraten, worin sie sich gegenwärtig befindet, und die Teufel haben Gott gegenüber wiederum ihren Stolz geltend gemacht, so dass sie in ihrer Vermessenheit die Herrschaft über alle Adamskinder wiedererlangen wollen, und zwar infolge der Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit der Katholiken. Ja die Vermessenheit der bösen Geister geht so weit, dass sie die ganze Kirche zu vernichten suchen. Viele Menschen bringen sie dazu, der Kirche nicht zu glauben. Die Kinder der Kirche aber verleiten sie, dass sie eben diese Kirche gering schätzen und den Preis des Blutes und Todes ihres Erlösers sich nicht zunutze machen. Das größte Unheil besteht indes darin, dass viele Katholiken gar nicht zur Erkenntnis dieses Verderbens gelangen und darum auch keine Mittel dagegen aufsuchen. Und doch können sie annehmen, dass jene Zeiten nicht mehr fern sind, auf welche mein heiligster Sohn drohend hinwies, als er den Töchtern Jerusalems erklärte, dass die Unfruchtbaren glücklich seien (Lk 23, 29), und viele den Bergen und Hügeln zurufen werden, sie möchten über sie herfallen und sie bedecken, damit sie den Brand so abscheulicher Sünden nicht sehen müssten, in den die Söhne des Verderbens gleich einem dürren, unfruchtbaren, saft- und kraftlosen Holz geworfen werden. Du, meine Tochter, lebst in diesem so unglücklichen Zeitalter, damit nun nicht auch du in das Verderben so vieler Seelen hineingezogen werdest, so beweine es in der Bitterkeit deines Herzens. Vergiss niemals die Geheimnisse der Menschwerdung, des Leidens und Sterbens meines heiligsten Sohnes, sondern danke dafür im Namen so vieler, welche diese Geheimnisse gering schätzen. Ich versichere dir, dass das fromme und aufmerksame Andenken an die Geheimnisse der Erlösung allein schon der Hölle großen Schrecken einflößt und ihr große Qual verursacht. Die bösen Geister fliehen und entfernen sich weit von denen, welche mit dankbarer Gesinnung über das Leben und die Geheimnisse meines allerheiligsten Sohnes nachdenken.
VIERUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Christi Seitenwunde. Kreuzabnahme. Begräbnis
Die Seite Christi wird nach seinem Tod mit der Lanze verwundet. Seine Abnahme vom Kreuz und sein Begräbnis. Was die heiligste Jungfrau Maria bei diesen Vorgängen bis zur Rückkehr in den Speisesaal getan hat.
1436. Der heilige Evangelist Johannes berichtet (Joh 19, 25), dass neben dem Kreuz die heiligste Jungfrau und Mutter Jesu stand, umgeben von Maria Kleophä und Maria Magdalena. Nun spricht der Evangelist hier freilich von der Zeit vor dem Verscheiden unseres Heilandes. Allein es ist gewiss, dass die unüberwindliche Königin auch nachher noch in unmittelbarer Nähe des Kreuzes stehen blieb, indem sie ihren verblichenen Jesus und die mit seinem hochheiligen Leib stets vereinigte Gottheit anbetete. Mitten unter den stürmischen Wogen der Schmerzen, welche bis auf den tiefsten Grund ihres keuschesten Herzens eindrangen, stand die große Herrin kraft ihrer unaussprechlichen Tugenden mit der höchsten Standhaftigkeit unbeweglich da und erwog mit ihrer erhabenen Weisheit in ihrem Herzen die Geheimnisse der Erlösung sowie die Harmonie, womit die göttliche Weisheit alle diese Geheimnisse anordnete. Den größten Schmerz bereitete der Mutter der Barmherzigkeit die treulose Undankbarkeit, welche die Menschen zu ihrem eigenen Verderben gegen eine so außerordentliche, einer ewigen Danksagung würdige Wohltat an den Tag legen würden. Auch war sie in Sorge, wie der heilige Leichnam ihres göttlichen Sohnes begraben werden sollte und wer Ihn vom Kreuz, auf das ihre heiligsten Augen ununterbrochen gerichtet waren, abnehmen würde. In dieser schmerzvollen Besorgnis wandte sie sich an ihre heiligen Schutzengel mit den Worten: «Ihr Diener des Allerhöchsten und meine Freunde in der Trübsal, ihr wisst, dass kein Schmerz ist wie mein Schmerz. Sagt mir nun, wie ich Ihn, den meine Seele liebt, vom Kreuz herab nehmen soll, wie und wo ich Ihm ein ehrenvolles Begräbnis verschaffen kann, wie dies mir als seiner Mutter zu besorgen obliegt. Sagt mir, was ich tun soll, und unterstützt mich bei dieser Sache durch eure Sorgfalt.»
1437. Hierauf erwiderten die heiligen Engel: «O unsere Königin und Herrin, erweitere dein tiefbetrübtes Herz, um zu leiden, was noch zu erdulden ist. Der allmächtige Herr hat den Sterblichen seine Glorie und Macht verborgen, um sich der gottlosen Behandlung der grausamen Bösewichte zu überlassen und allezeit will Er zugeben, dass die von den Menschen gegebenen Gesetze erfüllt werden. Eines von diesen nun lautet dahin, dass die mit dem Tod Bestraften ohne Erlaubnis des Richters nicht vom Kreuze abgenommen werden. Wir wären bereit und stark genug, um dir zu gehorchen und unseren wahren Gott und Schöpfer zu verteidigen, aber seine Rechte hält uns zurück. Denn Er will in allen Stücken seine Sache rechtfertigen und auch den letzten Tropfen seines Blutes, das Ihm noch übrig bleibt, zum Wohl der Menschen vergießen. Er will sie noch stärker verpflichten, seine Liebe, welche ihnen eine so überreiche Erlösung verschafft hat, dankbar zu vergelten. Machen sie sich aber diese Wohltat nicht, wie sie sollten, zunutze, so werden sie auf jammervolle Weise bestraft werden, und die Strenge der Strafe wird die Langsamkeit ersetzen, mit welcher Gott der Herr zur Rache geschritten ist.» Diese Antwort der Engel steigerte den Schmerz der betrübten Mutter noch mehr, denn es war ihr bisher noch nicht offenbart worden, dass ihr heiligster Sohn mit der Lanze durchbohrt werden sollte. darum versetzte sie die schmerzvolle Voraussicht dessen, was mit dem heiligsten Leichnam vorgehen sollte, in neue Betrübnis und Angst.
1438. Bald danach erblickte Maria eine Abteilung bewaffneter Soldaten, welche in der Richtung zum Kalvarienberg daherkamen. Die Angst der betrübten Mutter wuchs. Sie fürchtete, diese Leute möchten dem verstorbenen Erlöser irgendein neues Unrecht zufügen, und wandte sich darum an den heiligen Johannes und die frommen Frauen und sprach: «O wehe! Mein Schmerz steigt aufs höchste und mein Herz bricht mir in der Brust. Sind etwa die Gerichtsdiener und Juden noch nicht zufrieden, meinen Sohn und Herrn dem Tod überliefert zu haben? Gehen sie jetzt vielleicht damit um, seinem heiligen Leib ein neues Unrecht zuzufügen?» Es war der Vorabend vom großen Sabbatsfest der Juden (Joh 19, 31). Um dieses Fest ungestört feiern zu können, hatten die Juden den Pilatus um die Erlaubnis gebeten, den drei Hingerichteten die Beine zerbrechen zu dürfen, damit sie schnell tot seien. An jenem Abend noch von den Kreuzen abgenommen würden und nicht den folgenden Tag über daran hängen blieben. Zu diesem Zweck kam jene Abteilung Soldaten, welche U. L. Frau erblickte, zum Kalvarienberg. Als sie angekommen waren und die beiden Schächer noch am Leben fanden, zerschmetterten sie ihnen die Gebeine. infolgedessen ihr Tod eintrat. Als sie aber zu Christus, unserem Heiland, kamen, fanden sie ihn schon tot und zerschmetterten ihm deshalb die Beine nicht (Joh 19, 32.33). So ging die geheimnisvolle Weissagung im Buch Exodus (Ex 12, 46) in Erfüllung, worin Gott anordnete, dass man dem vorbildlichen Osterlamm kein Gebein zerbreche. Ein Soldat jedoch, mit Namen Longinus (Dieser Soldat hieß nach einer alten Überlieferung Longinus, und das römische Martyrologium führt ihn am 15. März als heiligen Martyrer auf. Was die ehrw. Schreiberin von der Heilung seiner Augen und seiner Bekehrung berichtet wird auch vom hl. Gregor von Nazianz, vom hl. Johannes Chrysostomus und von andern erzählt. Cfr. Acta Sanctorum, die 15. Martii. Der Herausgeber)., nahte sich dem Kreuz unseres Erlösers und verwundete ihn mit einer Lanze, indem er seine Seite durchbohrte. Und alsbald floss aus der Wunde Blut und Wasser heraus, wie der heilige Johannes bezeugt, welcher es gesehen und für die Wahrheit Zeugnis abgelegt hat (Joh 19, 34.35).
1439. Diesen Lanzenstich, welchen der hochheilige und bereits entseelte Leib des Herrn nicht mehr zu fühlen vermochte, empfand seine heiligste Mutter Maria, indem der Schmerz so heftig in ihr keuschestes Herz eindrang, wie wenn sie selbst die Wunde empfangen hätte. Noch größer aber als dieser Schmerz war die Betrübnis, welche die heiligste Seele Mariä beim Anblick der neuen Art von Grausamkeit empfand, womit die Seite ihres schon gestorbenen Sohnes geöffnet wurde. Von Liebe wie von Mitleid bewogen, und ihrer eigenen Peinen vergessend, sprach sie zu Longinus: «Möge der Allmächtige mit barmherzigen Augen auf dich hernieder blicken für die Wunde, die du meiner Seele verursacht hast!» So weit nämlich, aber nicht weiter ging ihr Unwille, oder um es besser zu sagen, ihre liebevollste Sanftmut, zur Belehrung für uns alle, wenn wir beleidigt werden. Denn in den Augen dieser reinsten Taube war die dem Heiland nach seinem Tod noch zugefügte üble Behandlung überaus groß: dagegen war die dem Urheber derselben zugedachte Vergeltung eine der größten Wohltaten, diese nämlich, Gott möge mit barmherzigen Augen auf ihn hernieder blicken und dem Beleidiger seine Kränkungen mit Segnungen und Gnadengaben erwidern. Und so geschah es auch. Denn unser Heiland ließ sich durch die Bitte seiner heiligsten Mutter bewegen und fügte es so, dass von dem aus seiner heiligsten Seite herausfließenden Blut und Wasser einige Tropfen auf das Angesicht des Longinus spritzten. Dadurch erhielt er das Augenlicht wieder, das er fast ganz verloren hatte. Zu gleicher Zeit erhielt er aber auch das Licht seiner Seele, so dass er den Gekreuzigten, den er auf so unmenschliche Weise verwundet hatte, erkannte. Infolge dieser Erkenntnis bekehrte sich Longinus, beweinte seine Sünden und wusch sie mit dem Blut und Wasser ab, welches aus der Seite Christi hervor floss. Er erkannte und bekannte den Herrn als den wahren Gott und Erlöser der Welt. Und alsbald sprach er dies auch offen vor den Juden aus, zu ihrer größeren Beschämung und zum Zeugnis gegen ihre Hartherzigkeit und Treulosigkeit.
1440. Die weiseste Königin erkannte das Geheimnis des Lanzenstichs. Sie sah, wie aus diesem Rest von Blut und Wasser, das aus der Seite ihres heiligsten Sohnes heraus floss, die neue Kirche, durch die Kraft seines Leidens und Sterbens gereinigt und erneuert, hervorgehen werden. Sie sah, wie aus dem heiligsten Herzen Jesu, gleich wie aus ihrer Wurzel, die Äste hervorsprossen würden, welche sich, mit der Frucht des ewigen Lebens beladen, über die ganze Welt ausbreiten sollten. Auch erwog sie im Innern ihres Herzens das Geheimnis von dem Felsen, an welchen mit dem Stab der Gerechtigkeit des ewigen Vaters geschlagen wurde (Ex 17, 6), damit daraus lebendiges Wasser hervorquelle, welches den Durst des ganzen Menschengeschlechtes löschen und alle, die davon trinken würden, erfrischen und stärken sollte. Desgleichen betrachtete sie, wie in dem neuen Paradiese. d.h. in der heiligsten Menschheit Jesu Christi, fünf Quellen eröffnet worden seien, nämlich an den Händen, Füßen und in der Seite und wie diese Quellen reichlicher und wirksamer seien, die Welt zu befruchten, als die Quellen des irdischen Paradieses, welche, in Ströme sich teilend, die Oberfläche der Erde bewässerten. Diese und noch andere Geheimnisse fasste die große Herrin in einem Lobgesang zusammen, welchen sie zur Verherrlichung ihres heiligsten Sohnes verfasste, nachdem Er mit der Lanze verwundet war. Mit diesem Lobgesang verband sie ein überaus feuriges Gebet, dass alle diese Geheimnisse der Erlösung zum Heil des ganzen Menschengeschlechtes erfüllt werden möchten.
1441. Der Abend dieses Rüsttages rückte bereits heran, und die liebevollste Mutter war immer noch im Ungewissen über den Gegenstand ihrer Wünsche. d.h. über das Begräbnis ihres dahingeschiedenen Sohnes Jesus. Der Herr wollte, dass diese Betrübnis seiner liebevollsten Mutter durch jene Mittel Linderung erfahre, welche seine Vorsehung angeordnet hatte. Er bewog nämlich den Joseph von Arimathäa und den Nikodemus, die Sorge um das Begräbnis ihres Meisters auf sich zu nehmen (Joh 19, 38 ff). Beide waren Jünger des Herrn und gerechte Männer, obwohl nicht aus der Zahl der Zweiundsiebzig, denn sie waren es nur heimlich, aus Furcht vor den Juden, welche alle als Verdächtige und Feinde verabscheuten, die nur immer der Lehre Jesu Christi folgten und Ihn als Lehrmeister anerkannten. Der weisesten Jungfrau aber war die Anordnung des göttlichen Willens hinsichtlich dessen, was sie über das Begräbnis ihres heiligsten Sohnes zu wissen wünschte, noch nicht offenbart worden, und so nahm wegen der Schwierigkeit, welche die Sache mit sich brachte, ihr Schmerz und ihre Besorgnis immer mehr zu, weil sie mit ihren eigenen Bemühungen keinen Ausweg zu finden vermochte. In dieser Betrübnis erhob sie ihre Augen zum Himmel und sprach: «Ewiger Vater, mein Herr! Deine Güte und unendliche Weisheit hat sich gewürdigt, mich aus dem Staube zur höchsten Würde einer Mutter deines ewigen Sohnes zu erheben, und mit derselben Freigebigkeit, o unendlicher Gott, hast du mir verliehen, dass ich Ihn an meiner Brust nährte, Ihn pflegte und bis zum Tod begleitete. Nun kommt es mir als seiner Mutter auch zu, seinem heiligen Leichnam ein ehrenvolles Begräbnis zu verschaffen. Meine Kräfte reichen aber nur so weit, dass ich dieses wünsche, und mein Herz zerspringt, weil ich es nicht erreiche. Ich flehe darum deine Majestät an, dass du, o mein Gott, durch deine Macht die Mittel, durch die ich es erreichen kann, zur Verfügung stellst.»
1442. Dieses Gebet verrichtete die gütigste Mutter, nachdem der Leib ihres dahingeschiedenen Jesus durch die Lanze verwundet worden war. Bald darauf bemerkte sie, wie eine Schar Leute mit Leitern und anderen Gerätschaften eilig den Kalvarienberg heraufkam. Maria konnte sich wohl denken, dass diese Leute kämen, um ihren unendlich kostbaren Schatz vom Kreuz abzunehmen. Weil sie aber ihre Absicht nicht kannte, so geriet sie, von der Grausamkeit der Juden alles befürchtend, aufs neue in Betrübnis. Sie wandte sich an den hl. Johannes und sprach zu ihm: «Mein Sohn, was mögen wohl diese Leute vorhaben, welche mit solchen Vorbereitungen daherkommen?» Der Apostel gab zur Antwort: «Fürchte nichts, o meine Herrin, von den Leuten, die da herankommen. Es sind Joseph und Nikodemus mit ihren Dienern. Sie sind alle Freunde und Diener deines heiligsten Sohnes, meines Herrn.» Joseph war gerecht in den Augen des Allerhöchsten. Er stand bei dem Volk in großer Achtung, war von hoher Abkunft und ein Mitglied des Magistrates und Rates, wie dies das Evangelium andeutet, wenn es sagt, Joseph habe dem Rat und dem Vorgehen der Mörder Christi nicht beigestimmt, weil er Ihn als den wahren Messias anerkannte (Lk 23, 50 f). Joseph war bis zum Tod Christi zwar nur heimlich sein Jünger gewesen. Allein in dieser Stunde bekannte er sich offen als solcher. Es war dies die wirksame Kraft des Erlösungswerkes, welche so außerordentliche Wirkungen hervorbrachte. Er legte jetzt die Furcht vor den neidischen Juden ab, achtete nicht mehr auf die Macht der Römer, trat unerschrocken vor Pilatus und bat ihn um den Leichnam des am Kreuz gestorbenen Jesus, um denselben herabzunehmen und ehrenvoll zu begraben. Joseph erklärte dem Pilatus, Jesus sei unschuldig und wahrhaft Gottes Sohn, denn diese Wahrheit sei durch die vielen Wunder während seines Lebens und bei seinem Tod bestätigt.
1443. Pilatus wagte nicht, dem Joseph seine Bitte abzuschlagen. Er erteilte ihm vielmehr die Erlaubnis, über den Leichnam Jesu ganz nach seinem Gutdünken zu verfügen. Mit dieser Erlaubnis versehen, eilte Joseph vom Haus des Richters weg und rief den Nikodemus. Dieser war ebenfalls ein gerechter und in den göttlichen und menschlichen Wissenschaften und in den Heiligen Schriften wohl unterrichteter Mann, wie man aus dem Bericht des heiligen Johannes (Joh 3, 2) schließen kann, welcher erzählt, Nikodemus sei einmal des Nachts zu Jesus gekommen, um seine Lehre zu vernehmen. Diese zwei Männer nun entschlossen sich mit hochherziger Geistesstärke, Christus den Gekreuzigten zu begraben. Joseph besorgte die Leintücher, womit man Ihn einhüllte, und Nikodemus kaufte gegen hundert Pfund wohlriechender Salben, womit nach dem Gebrauch der Juden die Leichname der Vornehmeren einbalsamiert wurden. Nach diesen Zubereitungen machten sie sich, mit Werkzeugen versehen, auf den Weg zum Kalvarienberg, wobei sie von ihren Dienern und einigen frommen Personen begleitet waren, bei welchen ebenfalls das für alle vergossene Blut des Gekreuzigten schon seine Wirksamkeit äußerte.
1444. Sie kamen nun zur heiligsten Jungfrau Maria, welche in unaussprechlichem Schmerz, umgeben von Johannes und den heiligen Frauen, am Fuß des Kreuzes stand. Bevor sie aber Maria begrüßen konnten, wurden alle beim Anblick der Trauerszene von einem so heftigen und bitteren Schmerze erfüllt, dass Joseph und Nikodemus eine zeitlang zu den Füßen der großen Königin und alle insgesamt vor dem Kreuz kniend verweilten, wobei sie weder ihre Tränen und Seufzer zurückhalten noch ein Wort zu sprechen imstande waren. Sie weinten insgesamt unter Wehklagen und Äusserungen der Betrübnis, bis die unbesiegte Königin sie von der Erde aufstehen hieß und ihnen Mut und Kraft einflößte. Und jetzt erst begrüßten sie U L. Frau mit demütigen Mitleidsbezeigungen. Die einsichtsvolle Mutter dankte ihnen für ihre Pietät und den Dienst, welchen sie ihrem Gott, ihrem Herrn und Lehrmeister, durch die Bestattung seines Leichnams bewiesen, und sicherte ihnen in seinem Namen den Lohn für dieses Liebeswerk zu, Joseph von Arimathäa erwiderte und sprach: «Wir empfinden, o Gebieterin, im Grund unserer Herzen bereits die süße und liebliche Stärke des göttlichen Geistes, der uns mit so liebevollen Begierden angeregt hat, wie wir dieselben weder zu verdienen noch mit Worten auszusprechen vermögen.» Dann legten Joseph und Nikodemus ihre Oberkleider ab, lehnten eigenhändig die Leitern an den Kreuzesstamm und stiegen hinauf, um die Nägel herauszuziehen und den heiligen Leib herabzunehmen. Dabei stand die glorreiche Mutter ganz in der Nähe und der hl. Johannes nebst Magdalena ihr zur Seite. Joseph glaubte, der Schmerz der heiligsten Herrin möchte sich wieder erneuern, wenn sie bei der Kreuzabnahme den heiligen Leib in ihre Arme nehme. Deshalb bedeutete er dem Apostel, er möchte sie ein wenig von dieser Handlung fern halten und ihre Aufmerksamkeit davon ablenken. Allein der hl. Johannes kannte das unüberwindliche Herz der heiligsten Königin besser und gab ihm zur Antwort, dass sie alle Peinen des Herrn vom Anfang seines Leidens mitangesehen habe und dass sie ihn bis zum Ende nicht verlassen würde, denn sie verehre Ihn als Gott und liebe Ihn als den Sohn ihres Mutterschoßes.
1445, Allein Joseph und Nikodemus bestanden auf ihrer Bitte, Johannes möchte doch die Güte haben, U. L. Frau ein wenig beiseite zu führen, während sie ihren Meister vom Kreuz herabnähmen. Da erwiderte die große Herrin und sprach: «O meine teuersten Gebieter, ich war zugegen, als mein süßester Sohn ans Kreuz genagelt wurde. Gestattet also, dass ich auch zugegen sei, wenn Er vom Kreuz abgenommen wird. Diese so fromme Handlung verwundet freilich mein Herz aufs neue, aber sie wird mir auch um so mehr Linderung beim Schmerze gewähren, je mehr ich sie in der Nähe betrachte und schaue.» Auf dieses hin begannen sie die Abnahme vom Kreuz ins Werk zu setzen. Zuerst nahmen sie die Dornenkrone von seinem heiligen Haupt ab, wobei sie die tiefen Wunden aufdeckten, welche diese Krone dem Haupt eingedrückt hatte. Mit großer Ehrfurcht und unter Tränen reichten sie die Krone herab und gaben sie der süßesten Mutter in die Hände. Diese empfing sie kniefällig und verehrte sie mit wunderbarer Ehrerbietigkeit, drückte sie an ihr jungfräuliches Angesicht und benetzte sie mit reichlichen Tränen, wobei sie aber durch die Berührung der Dornen an einigen Stellen verwundet wurde. Auch flehte sie zum ewigen Vater, Er möge bewirken, dass diese durch das Blut seines Sohnes geheiligten Dornen von den Gläubigen, in deren Besitz sie später kommen würden, hoch in Ehren gehalten werden.
1446. Dem Beispiele der göttlichen Mutter folgend, bezeigten nun auch der hl. Johannes, Magdalena, die Marien und andere fromme Frauen und Gläubigen, welche zugegen waren, der Dornenkrone ihre Verehrung. Ähnlich geschah es auch mit den Nägeln. Sie wurden zuerst der heiligsten Jungfrau übergeben, und diese bezeigte ihnen ihre Verehrung, und dann taten es auch alle Umstehenden. Um nun den Leichnam ihres heiligsten Sohnes in Empfang zu nehmen, warf sich die große Herrin auf ihre Knie nieder und streckte ihre Arme mit dem darüber gebreiteten Leintuch aus. Der hl. Johannes stellte sich zu Häupten und Magdalena zu den Füßen des heiligsten Leibes, um dem Joseph und Nikodemus behilflich zu sein. Dann legten alle miteinander mit großer Ehrfurcht und unter Tränen den heiligsten Leib Jesu in die Arme der süßesten Mutter. Diese Handlung verursachte der heiligsten Jungfrau teils Mitleid, teils Freude. Denn als sie den Leichnam so mit Wunden bedeckt und diese Schönheit, welche die Schönheit aller Menschenkinder übertrifft (Ps 45, 3), so entstellt sah, erneuerten sich die Schmerzen ihres keuschesten Mutterherzens. Als sie Ihn dann in ihren Armen hielt und an ihr Herz drückte, verursachte ihr dies wohl unbegreiflichen Schmerz, zugleich aber auch Freude, weil nun ihre brennende Liebe im Besitze des himmlischen Schatzes ihre Ruhe fand. Mit den höchsten Ehrfurchtsbezeigungen betete Maria den heiligsten Leib an, und blutige Tränen entquollen dabei ihren Augen. Danach brachten die zahllosen Engelscharen, welche Maria umgaben, dem auf den Armen ihrer Königin ruhenden Leichnam Jesu ihre Anbetung dar, was jedoch den Umstehenden verborgen blieb. Dann beteten auch alle anderer Anwesenden, zuerst der heilige Johannes, der Reihe nach der heiligen Leichnam an. Die weiseste Mutter hielt Ihn, auf der Erde sitzend, in ihren Armen, während die übrigen Ihm ihre Anbetung darbrachten.
1447. Bei allen diesen Handlungen zeigte unsere große Herrin eine so himmlische Weisheit und Klugheit, dass sie Menschen und Engel mit Bewunderung erfüllte. Denn ihre Worte waren wohlerwogen und inhaltsschwer. Sie waren süß bei der zarten und mitleidsvollen Pflege ihres dahingeschiedenen, geliebtesten Sohnes, sie waren voll Zärtlichkeit bei der Trauerklage. Sie waren geheimnisvoll nach Bedeutung und Inhalt. Maria wusste den Schmerz, den ihr Sohn erduldet hatte, vollkommen zu würdigen, denn sie wusste, dass er größer gewesen war als jeder andere Schmerz. Sie bewegte die Anwesenden zu Tränen des Mitleids und erleuchtete alle so, dass sie das wunderbare Geheimnis, das eben vor sich ging, zu erkennen vermochten. Was ihr zu tun oblag, das tat sie ebenso ohne Übereifer wie ohne Lässigkeit. Trotz der schweren Betrübnis, die ihr Herz erfüllte, zeigte ihre Haltung demutsvolle Würde, ihr Angesicht tiefe Ruhe. Bei dieser so verschiedenen und doch so gleichförmigen Herzensstimmung richtete sie ihre Worte an ihren liebenswürdigsten Sohn, an den ewigen Vater, an die Engel, an die Umstehenden und an das ganze Menschengeschlecht, zu dessen Erlösung sich ihr Sohn dem Leiden und Tod überliefert hatte. Ich will mich aber nicht weiter darauf einlassen, die überaus weisen und schmerzvollen Ansprachen der großen Herrin bei dieser Begebenheit im einzelnen wiederzugeben, denn der fromme Sinn der Christen wird gar manches selbst finden. Zudem kann ich unmöglich bei jedem einzelnen dieser Geheimnisse länger verweilen.
1448. So nun verging einige Zeit, während welcher die schmerzhafte Mutter den verstorbenen Jesus auf ihrem Schoß hielt. Weil aber der Abend bereits ziemlich weit vorgerückt war, so richteten der hl. Johannes und Joseph an sie die Bitte, sie möchte nun die Bestattung des Leichnams ihres Sohnes und wahren Gottes erlauben. Die weiseste Mutter gab sich damit zufrieden. Auf dem nämlichen Leintuch liegend, wurde nun der heilige Leib mit den Spezereien und wohlriechenden Salben, welche Nikodemus mitgebracht hatte, einbalsamiert, indem man auf dieses Werk heiliger Liebe und Verehrung alle jene hundert von ihm angekauften Pfunde verwendete. Nachdem der mit der Gottheit vereinigte Leib einbalsamiert war, legte man Ihn auf eine Bahre, um Ihn zum Grab zu tragen. Die heiligste Herrin, welche mit höchster Aufmerksamkeit auf alles achtete, berief zahlreiche Engelchöre vom Himmel herab, damit sie nebst ihren Schutzengeln dem Leichenbegräbnis ihres Schöpfers beiwohnten. Und augenblicklich stiegen diese von der Höhe hernieder und zwar in Körpergestalt, welche jedoch nicht für die übrigen Anwesenden, sondern bloß für ihre Königin und Herrin sichtbar waren. Und nun setzte sich die Prozession von Engeln und Menschen in Bewegung, wobei der heilige Leichnam vom heiligen Johannes, von Joseph, von Nikodemus und von dem Hauptmann getragen wurde, welcher beim Tod des Herrn zugegen gewesen war und ihn als den Sohn Gottes bekannt hatte. Hierauf folgte die göttliche Mutter, begleitet von Magdalena und den anderen frommen Frauen, welche seine Jüngerinnen waren. Überdies schlossen sich diesen Personen noch viele andere Gläubige an, welche bald nach der Durchbohrung der Seite des Herrn auf göttlichen Antrieb hin auf den Kalvarienberg gekommen waren. In dieser Ordnung gingen alle stillschweigend und unter Tränen einem umzäunten Garten zu, worin Joseph ein neues Grab hatte herstellen lassen, in welchem noch niemand begraben worden war (Joh 19, 41). In dieses glückselige Grab legten sie den heiligen Leichnam Jesu. Bevor sie es aber mit dem Stein verschlossen, betete Ihn die weise und gottesfürchtige Mutter nochmals in solcher Ehrfurcht an, dass alle Anwesenden, Engel sowohl als Menschen, mit Staunen erfüllt wurden. Dann bezeigten alle anderen, Engel wie Menschen, nach dem Beispiel Mariä dem gekreuzigten und nun im Grab ruhenden Herrn ihre Anbetung. Endlich wurde das Grab mit dem Stein verschlossen, welcher nach dem Berichte des Evangeliums sehr groß war (Mt 27, 60).
1449. Als das Grab Christi verschlossen wurde, schlossen sich im nämlichen Augenblick auch jene Gräber wieder, welche bei seinem Tod sich geöffnet hatten. Denn unter anderen Geheimnissen lag hier auch dieses verborgen, dass jene Gräber gleichsam abwarteten, ob ihnen nicht das glückliche Los zuteil werde, ihren menschgewordenen und nun gestorbenen Schöpfer in sich aufzunehmen, denn das war es, was sie Ihm anbieten konnten, während die Juden Ihn, solange Er lebte und ihnen Wohltaten spendete, nicht aufnehmen wollten. Eine große Menge Engel blieb zur Bewachung beim Grab des Herrn, denn ihre Königin und Herrin, welche sozusagen ihr Herz in diesem Grab zurückließ, hatte ihnen dieses befohlen. Stillschweigend und in der nämlichen Ordnung, wie sie gekommen waren, kehrten dann alle zum Kalvarienberg zurück. Hier näherte sich die heiligste Lehrmeisterin der Tugenden dem heiligen Kreuz und bezeigte demselben mit außerordentlicher Andacht ihre Verehrung und Huldigung. Ihrem Beispiel folgten der hl. Johannes, Joseph und alle übrigen Teilnehmer am Begräbnis.
Es war bereits spät und die Sonne untergegangen. Darum zog sich die große Herrin vom Kalvarienberg in das Haus des Zönakulums zurück. Alle, welche am Begräbnis teilgenommen hatten, gaben ihr das Geleite. Im Speisesaal nun blieb sie in der Umgebung des hl. Johannes, der Marien und anderer Personen ihrer Begleitung. Die übrigen aber verabschiedeten sich von ihr und baten sie unter vielen Tränen und Schluchzen um ihren Segen. Die weiseste und demütigste Herrin sprach ihnen für den ihrem heiligsten Sohn erwiesenen Dienst und die ihr selbst dadurch erwiesene Wohltat ihren Dank aus und entliess sie, nachdem sie sie mit inneren und verborgenen Gnadenerweisungen überhäuft und durch ihr liebevolles, gütiges und demütiges Benehmen mit süßestem Trost erfüllt hatte.
1450. Ganz beschämt und verwirrt durch das, was eben vorgegangen war, gingen die Juden am Sabbat in aller Frühe zu Pilatus und ersuchten ihn, das Grab bewachen zu lassen, denn Christus, den sie einen Verführer nannten, habe gesagt, dass Er nach drei Tagen wieder auferstehen würde und so wäre es möglich, dass seine Jünger den Leichnam stehlen und dann sagen, Er sei auferstanden. Pilatus war mit dieser boshaften Vorsichtsmaßregel einverstanden und gab ihnen die erbetene Wache, welche sie alsdann am Grab aufstellten (Mt 27, 65). Allein die treulosen Hohenpriester beabsichtigten damit nur, den von ihnen gefürchteten Ausgang verborgen zu halten, wie sich dies später herausstellte, denn sie bestachen die Wächter, damit sie aussagten, Christus sei nicht auferstanden, sondern seine Jünger hätten Ihn gestohlen (Mt 28,12.13). Allein gegen den Herrn gibt es keinen Rat und so wurde durch diese Maßregel die Auferstehung nur um so mehr bekannt und bestätigt.
LEHRE, welche mir die Himmelskönigin gab
1451. Meine Tochter, die Wunde, welche mein allerheiligster Sohn durch den Lanzenstich in seiner Seite empfing, war bloß für mich grausam und schmerzlich. Ihre Wirkungen und Geheimnisse aber sind für die heiligen Seelen, welche deren Süßigkeit zu kosten verstehen, überaus lieblich. Mir verursachte sie große Pein, jene aber, für welche die Gnaden dieses Geheimnisses bestimmt sind, schöpfen daraus große Geisteswonne und Linderung in ihren Schmerzen. Damit du dies aber recht auffassest und dir zunutze machst, musst du wohl beherzigen, dass mein Sohn und Herr um seiner feurigsten Liebe zu den Menschen willen außer den Wunden an Händen und Füßen auch die Seitenwunde empfangen wollte und sein Herz, den Sitz der Liebe, durchbohren ließ, damit die Seelen, durch diese Pforte eintretend, die Liebe in ihrer Quelle kosten und genießen und dort ihren Trost und ihre Zuflucht finden möchten. Es ist mein Wille, dass auch du während der Zeit deiner Verbannung in der Seitenwunde des Herrn all deinen Trost suchst. Sie sei deine Zuflucht und deine sichere Wohnstätte auf Erden. Dort wirst du die Eigenschaften und Gesetze der Liebe, worin du mir nachfolgen sollst, kennenlernen und einsehen, wie du als Vergeltung für erlittene Beleidigungen Segnungen über jene aussprechen sollst, welche gegen dich oder irgend etwas, was dir angehört, ein Unrecht begangen haben, wie du erkannt hast, dass ich tat, als ich durch die meinem verstorbenen Sohn beigebrachte Herzenswunde verwundet wurde. Ich gebe dir, meine Tochter, die Versicherung, dass du kein anderes Werk verrichten kannst, welches auf wirksamere Weise die erwünschte Gnade vom Allerhöchsten dir zu verschaffen imstande ist. Und ein Gebet, das man verrichtet, indem man die Beleidigungen verzeiht, ist nicht bloß für den Betenden selbst, sondern auch für den Beleidiger sehr mächtig, denn das gütigste Herz meines heiligsten Sohnes wird gerührt, wenn es sieht dass die Kreaturen Ihm im Verzeihen und im Gebete für die Beleidiger nachfolgen, da sie so an der erhabenen Liebe teilnehmen, welche der Herr am Kreuz bewiesen hat. Schreibe diese Lehre tief in dein Herz ein und übe sie, um mir in dieser Tugend, welche ich überaus hoch geschätzt habe, nachzufolgen. Durch diese Wunde schaue auf das Herz Jesu Christi, deines Bräutigams, und auf mich. In diesem Herzen liebe auf ebenso süße als wirksame Weise deine Beleidiger und überhaupt alle deine Mitmenschen.
1452. Beachte auch die Bereitwilligkeit und Aufmerksamkeit, womit der Allerhöchste in seiner Vorsehung zur rechten Zeit den Kreaturen, welche Ihn mit wahrem Vertrauen anrufen, in ihren Nöten zu Hilfe kommt, wie Er an mir getan hat als ich betrübt und hilflos dastand und das Begräbnis meines heiligsten Sohnes nicht auf die gebührende Weise einzuleiten wusste. Um mir in dieser Bedrängnis zu Hilfe zu kommen, rührte der Herr in seiner barmherzigen Liebe und Güte die Herzen des Joseph und Nikodemus und der übrigen Gläubigen, so dass sie kamen, um meinen heiligsten Sohn zu beerdigen. Der Trost den diese gerechten Männer in jener Bedrängnis mir verschafften, war so groß, dass der Allerhöchste sie um dieses Werkes und meines Gebetes willen in reichem Maß die wunderbaren Wirkungen seiner Gottheit empfinden ließ, so dass sie während der Kreuzabnahme und der Bestattung der Leiche mit Trost erfüllt waren. Von jener Stunde an waren sie innerlich erneuert und über die Geheimnisse der Erlösung erleuchtet. Es ist nämlich eine Anordnung der lieblich und mächtig wirkenden Vorsehung des Allerhöchsten, dass Er, um einzelnen Menschen Gelegenheit zur Erwerbung von Verdiensten zu geben, andere in Not kommen lässt. Er bewegt dann diejenigen, welche dem Bedrängten Hilfe zu bringen imstande sind, zum Mitleid, damit auf diese Weise der Wohltäter um seiner gespendeten Wohltat ,sowie um des Gebetes des Armen willen, mit der Gnade belohnt werde, die er sonst nicht erhalten hätte. Und der Vater der Erbarmung, welcher durch seine Gnadenhilfe zum verrichteten Werke Antrieb und Ermunterung gegeben hat, bezahlt dafür später so aus, als wäre Er dies aus Gerechtigkeit schuldig, einzig aus dem Grunde, weil wir bei dem wenigen, was wir unserseits zu dem guten Werke beitragen, seinen Einsprechungen folgen, während das ganze Werk, sofern es gut ist, ein Geschenk seiner Hände ist (Jak 1,17).
1453. Betrachte ferner die höchste Gerechtigkeit der göttlichen Vorsehung, vermöge welcher der Allerhöchste anordnet, dass das geduldige Ertragen von Kränkungen belohnt werde. Nachdem mein allerheiligster Sohn unter Verachtungen, Beschimpfungen und Lästerungen gestorben war, fügte es der Allerhöchste alsbald, dass Er ein ehrenvolles Begräbnis erhielt. Viele der Anwesenden wurden innerlich angetrieben, Ihn als den wahren Gott und Erlöser zu bekennen und Ihn für einen Heiligen, Unschuldigen und Gerechten zu erklären, so dass Er in dieser nämlichen Stunde noch, in welcher man Ihn auf die schmählichste Weise ans Kreuz schlug, den Tribut der höchsten Anbetung und Verehrung als Sohn Gottes empfing. Und selbst seine Feinde fühlten in ihrem Innern Schrecken und Beschämung über die Missetat, welche sie gegen Ihn begangen hatten. Und wenn auch nicht alle diese Gnade sich zunutze machten, so ist doch gewiss, dass alle diese Gnaden Früchte des unschuldigsten Todes des Herrn waren. Auch ich habe durch meine Bitten dazu beigetragen, dass der Herr von meinen Freunden anerkannt und verehrt wurde.
FÜNFUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Die heiligste Jungfrau tröstet Petrus und die übrigen Apostel. Ihre Weisheit
Die Himmelskönigin tröstet den hl. Petrus und die anderen Apostel. Die Weisheit in ihrem Verhalten nach dem Begräbnis ihres Sohnes. Sie sieht seine heiligste Seele in die Vorhölle der heiligen Altväter niedersteigen.
1454. Die Fülle der Weisheit, welche den Geist unserer großen Herrin und Königin erleuchtete, ließ es nicht anders zu, als dass Maria mitten in ihren Schmerzen mit höchster Vollkommenheit und ununterbrochener Sorgfalt auf alles bedacht war, was Zeit und Umstände ihr zu tun geboten. In dieser himmlischen Vorsicht war sie für alles besorgt und übte alle Tugenden auf die heiligste und vollkommenste Weise. Wie schon erwähnt (Nr. 1449), zog sie sich nach dem Begräbnis unseres gütigsten Heilandes in das Haus des Abendmahls zurück. Sobald sie mit dem hl. Johannes, mit den drei Marien und mit anderen heiligen Frauen, welche von Galiläa aus dem Herrn gefolgt waren, im Abendmahlssaal angekommen war, wandte sie sich an den Apostel und die heiligen Frauen und drückte ihnen in dieser Demut und unter Tränen ihren Dank dafür aus, dass sie während des ganzen Leidens ihres liebreichsten Sohnes bis zu dieser Stunde so standhaft an ihrer Seite ausgeharrt hatten. Im Namen Jesu verhieß sie ihnen den Lohn für die ausdauernde Liebe und Hingebung, womit sie ihr gefolgt waren, ja sie bot sich sogar diesen heiligen Frauen als Dienerin und Freundin an.
Johannes aber und die heiligen Frauen dankten ihr für ihre Güte, küssten ihr die Hand und baten um ihren Segen. Dann ersuchten sie U. L. Frau, nun ein wenig auszuruhen und eine kleine Stärkung für ihren Körper zu sich zu nehmen. Doch die Königin gab ihnen zur Antwort: «Meine Ruhe und meine Erholung soll darin bestehen, dass ich meinen Sohn und Herrn in seiner Auferstehung sehe. Ihr, meine lieben Freundinnen, erquickt euch, während ich mich zurückziehe, um mit meinem Sohn allein zu sein.»
1455. Hierauf zog sich Maria zurück, und der hl. Johannes folgte ihr. Als sie mit diesem allein war, warf sie sich auf die Knie nieder und sprach zu Ihm: «Vergiss nicht die Worte, weIche mein allerheiligster Sohn vom Kreuz herab zu uns gesprochen hat. Seine Güte hat dich als meinen Sohn erklärt und mich als deine Mutter. Du, o Gebieter, bist ein Priester des Allerhöchsten. Diese große Würde verlangt, dass ich dir in allem, was ich zu tun habe, gehorche. Deshalb wünsche ich, dass du mir von dieser Stunde an deine Befehle und Anordnungen mitteilst und ich erkläre, dass ich allezeit eine Dienerin war und meine ganze Freude daran finde, bis zum Tod im Gehorsam zu leben.» Also sprach die große Königin unter einem Strom von Tränen. Der Apostel aber sprach, gleichfalls in Tränen zerfliessend, also: «O meine Gebieterin, Mutter meines Erlösers und Herrn, ich bin es, der in Gehorsam dir unterworfen sein muss. Der Name <Sohn> verleiht ja keine Autorität. Er drückt vielmehr die Pflicht aus, der Mutter gehorsam und unterworfen zu sein und derjenige, der mich zum Priester gemacht hat, hat dich zu seiner Mutter gemacht und sich, obwohl Er der Schöpfer des Weltalls ist, deinem Willen unterworfen und dir Gehorsam geleistet. Es ist somit ganz in der Ordnung, dass auch ich so handle und mit allen meinen Kräften mich abmühe, auf würdige Weise dem mir übertragenen Amte zu entsprechen und als Sohn dir zu dienen. Daher möchte ich lieber ein Engel als ein irdisches Geschöpf sein, um dieses Amt recht zu erfüllen.» Diese Antwort des Apostels war sehr weise, aber keineswegs hinreichend, um über die Demut der Mutter der Tugenden den Sieg davonzutragen, denn es erwiderte die allerseligste Jungfrau in ihrer Demut: «Mein Sohn Johannes! Es wird mir zum großen Trost gereichen, wenn ich dir als dem Haupt dienen darf, denn das bist du ja. Ich werde in diesem Leben stets einen Oberen haben, um ihm meinen Willen zu unterwerfen und zu gehorchen. Hierzu bist du ein Diener des Allerhöchsten, und als Sohn musst du mir in meiner schmerzlichen Verlassenheit diesen Trost gewähren.» «Es geschehe, meine Mutter, dein Wille», sprach der hl. Johannes; «denn darin werde ich meine Sicherheit finden.»
Die göttliche Mutter erwiderte hierauf kein Wort mehr, sondern bat um die Erlaubnis, in der Einsamkeit der Betrachtung über die Geheimnisse ihres heiligsten Sohnes obliegen zu dürfen. Auch ersuchte sie den hl. Johannes, er möge hingehen und jenen Frauen, welche sie begleitet hatten, eine Erquickung bereiten, ihnen beistehen und sie trösten. Nur die drei Marien wollte die heiligste Jungfrau ausgenommen wissen, weil diese den Wunsch geäußert hatten, ihr Fasten so lange fortzusetzen, bis sie den auferstandenen Heiland gesehen hätten. Sie sagte darum dem hl. Johannes, er möge gestatten, dass diese drei ihren frommen Wunsch ausführen.
1456. Der hl. Johannes ging, die heiligen Frauen zu trösten und den Auftrag, den ihm die große Herrin erteilt hatte, auszuführen. Nachdem die frommen Frauen die nötige Erquickung zu sich genommen hatten, zogen sie sich alle zurück und verwendeten diese Nacht dazu, in bitterem Schmerz das Leiden des Herrn und die Geheimnisse der Erlösung zu betrachten. Mit solch himmlischer Weisheit handelte die heiligste Jungfrau Maria selbst zu der Zeit, als die Ängste und Schmerzen wie Meereswogen auf sie eindrangen. Mitten in ihren Leiden vergaß sie nicht, den Pflichten des Gehorsams, der Demut, der Liebe, der Fürsorge für alles Nötige Genüge zu leisten. Und während sie an die Bedürfnisse ihrer frommen Schülerinnen dachte, ließ sie keineswegs sich selbst aus den Augen. Sie vergaß ob der Fürsorge für die Frauen nicht das Mindeste, was zu ihrem Fortschritt in der Vollkommenheit beitrug. Sie gestattete, dass die drei Marien fasteten, weil sie kräftiger und in der Liebe feuriger waren. Für die Schwächeren aber besorgte sie, wessen sie bedurften. Sie gab dem Apostel die geeigneten Aufträge und machte ihn aufmerksam, wie er sich ihr gegenüber verhalten solle. Kurz, in allem zeigte sie sich als die große Lehrmeisterin der Vollkommenheit und als Herrin der Gnade. Und alles dieses tat sie zu einer Zeit, wo die Wasser der Trübsal bis auf ihre Seele eingedrungen waren (Ps 69, 2). Sobald sie sich nämlich in ihrem Gemach allein befand, ließ sie dem gewaltigen Strom ihrer schmerzlichen Gefühle freien Lauf. Sie ließ ihr Inneres und Äußeres von dem bitteren Schmerz ihrer Seele ganz einnehmen und erneuerte in sich alle die Eindrücke, welche der schmachvolle Tod ihres heiligsten Sohnes und überhaupt alle Geheimnisse seines Leidens auf ihre Seele gemacht hatten. Sie dachte an die Geheimnisse seines Lebens, an seine Predigten und Wunder, an den unendlichen Wert des Erlösungswerkes, an die neue, in solcher Schönheit gegründete und mit den Sakramenten und Schätzen der Gnade bereicherte Kirche, an das unaussprechliche Glück des ganzen Menschengeschlechtes, das nun so überfließend und glorreich erlöst war. Sie dachte an das unschätzbare Los der Auserwählten, denen die Erlösung auf wirksame Weise zugute kommen werde, und an das entsetzliche Unglück der Verworfenen, welche sich der ewigen Seligkeit, die ihr Sohn ihnen verdient hatte, freiwillig unwürdig machen werden.
1457. Mit der ehrfurchtsvollsten Betrachtung so erhabener und verborgener Geheimnisse brachte die große Herrin unter Weinen und Seufzen jene ganze Nacht zu. Sie lobte und verherrlichte ihren Sohn für alle seine Werke, für sein Leiden, für seine verborgenen Gerichte und für andere höchst erhabene Geheimnisse der göttlichen Weisheit und der geheimen Vorsehung des Herrn. Über alle diese Geheimnisse dachte sie nach und drang als einzige Mutter der wahren Weisheit in dieselben ein. Dabei redete sie bald mit den heiligen Engeln, bald mit dem Herrn über das, was sein göttliches Licht ihr keuschestes Herz erkennen ließ. Am Samstag in der Frühe nach vier Uhr trat der hl. Johannes zu ihr ein in der Absicht, die schmerzhafte Mutter zu trösten. Maria warf sich dem Apostel zu Füßen und bat ihn, er möge als Priester und Vorgesetzter ihr den Segen erteilen. Der neue Sohn stellte seinerseits unter Tränen die gleiche Bitte, und so gaben sie sich gegenseitig den Segen. Die heiligste Königin trug dem Johannes auf, alsbald in die Stadt zu gehen. Dort würde er in wenigen Augenblicken dem hl. Petrus begegnen, der ihn aufsuche. Er solle ihn liebevoll aufnehmen, trösten und zu ihr hereinführen. Dasselbe Verfahren solle er auch den andern Aposteln gegenüber beobachten, welchen er begegnen würde. Er solle ihnen Hoffnung auf Verzeihung einflößen und ihnen ihre Freundschaft versprechen. Der hl. Johannes entfernte sich vom Abendmahlshaus und traf schon nach kurzer Zeit den hl. Petrus, welcher in Tränen gebadet, voll Beschämung und Furcht die große Königin aufsuchte. Er kam von der Höhle her, wo er seine Verleugnung beweint hatte. Der Evangelist tröstete ihn und machte ihm durch die Botschaft von Seiten der göttlichen Mutter das Herz ein wenig leichter. Alsdann suchten diese beiden auch die übrigen Apostel, fanden einige und gingen dann miteinander in das Abendmahlshaus, wo ihre Retterin sich befand. Zuerst trat Petrus, und zwar allein bei Maria ein. Sobald er sich in Gegenwart der Mutter der Gnade sah, warf er sich ihr zu Füßen und sprach mit großem Schmerz: «Ich habe gesündigt, o Herrin, ich habe gesündigt vor meinem Gott. Ich habe meinen Meister und dich beleidigt.» Weiter vermochte er kein Wort mehr hervorzubringen, denn er war ganz erdrückt von Tränen, Seufzern und Schluchzen, welche aus dem innersten Grunde seines gepressten Herzens hervorkamen.
1458. Als die weiseste Jungfrau den Apostel Petrus auf die Erde niedergeworfen erblickte und bedachte, wie er zwar das Oberhaupt der Kirche und von ihrem heiligsten Sohn zu seinem Stellvertreter erwählt, andererseits aber auch ein Büßer sei, der eine eben erst begangene Schuld beweine, so hielt sie es nicht für angemessen, sich zu den Füßen des Hirten niederzuwerfen, welcher erst vor wenigen Stunden seinen Meister verleugnet hatte. Auf der anderen Seite erlaubte ihr ihre Demut nicht, die Ehrfurchtsbezeigungen, welche ihm seines Amtes wegen gebührten, zu unterlassen. Um nun beide Verpflichtungen nachzukommen, hielt sie es für angemessen, ihm zwar ihre Ehrfurcht zu bezeigen, aber den Beweggrund davon zu verbergen. Deshalb warf sie sich vor ihm auf die Knie nieder und ehrte ihn durch diese Handlung. Um aber ihre Absicht zu verbergen, sprach sie zu ihm: «Wir wollen meinen Sohn, deinen Meister, um Verzeihung deiner Sünde bitten.» Dann verrichtete sie ein Gebet, ermutigte hierauf den Apostel. bestärkte ihn im Vertrauen und erinnerte ihn an die Wohltaten und Erbarmungen, welche der Herr den reumütigen Sündern erwies, sowie an die Verpflichtung, die ihm als dem Haupt des Apostel-Kollegiums oblag, durch sein Beispiel alle andern in der Standhaftigkeit und im Bekenntnis des Glaubens zu bestärken. Durch diese und andere sehr kräftige und süße Beweggründe belebte sie in Petrus die Hoffnung auf Verzeihung. Hierauf traten auch die anderen Apostel vor die heiligste Jungfrau, warfen sich ebenfalls zu ihren Füßen nieder und baten sie um Verzeihung, weil sie so feigherzig gewesen seien und ihren heiligsten Sohn bei seinem Leiden verlassen hätten. Sie vergossen bittere Tränen über ihre Sünde, wobei die Gegenwart der mit Mitleid erfüllten Mutter ihren Schmerz noch steigerte. Aber ihr so wunderbares Antlitz ließ auf sie eine höhere Kraft ausströmen, welche sie zur Reue über ihre Sünden und zur Liebe gegen ihren Meister antrieb. Die große Herrin richtete sie auf, flößte ihnen Mut ein und versprach ihnen die gewünschte Verzeihung sowie ihre Vermittlung zu deren Erlangung. Hierauf begannen alle der Reihe nach zu erzählen, wie es einem jeden von ihnen bei der Flucht ergangen, wie wenn die heiligste Herrin nichts davon gewusst hätte. Bereitwillig hörte Maria alles an, indem sie vom Erzählten Veranlassung nahm, ihnen zu Herzen zu reden, sie im Glauben an ihren Erlöser und Lehrmeister zu bestärken und die Liebe zu Gott in ihnen wieder anzufachen. Und die heiligste Jungfrau erreichte auch alles dieses auf wirksame Weise, denn alle gingen voll Eifer und durch neuen Zuwachs an Gnade gerechtfertigt von ihrem Angesicht und ihrer Ansprache weg.
1459. Mit diesen Werken brachte unsere heiligste Königin einen Teil des Samstages zu. Als aber der Abend anbrach, zog sie sich wiederum in ihre Einsamkeit zurück, wobei sie die Apostel geistig erneuert, voll Trost und Freude im Herrn, jedoch immer noch in Trauer über das Leiden ihres Meisters zurückließ. In der Zurückgezogenheit an diesem Abende beschäftigte sich der Geist der großen Herrin mit den Werken, welche die heiligste Seele ihres Sohnes nach der Trennung von ihrem heiligen Leib vollbrachte. Denn schon damals erkannte die allerseligste Mutter, wie die Seele Christi, mit der Gottheit vereinigt, zur Vorhölle der heiligen Altväter hinabstieg, um diese aus jenem unterirdischen Gefängnis herauszuführen, in welchem sie, vom ersten in der Welt verstorbenen Gerechten an, gefangen waren und die Ankunft des Erlösers aller Menschen erwarteten. Zur Erklärung dieses Geheimnisses, das einen von den Glaubensartikeln bildet, welche die heiligste Menschheit unseres Herrn Jesu Christi zum Gegenstand haben, glaube ich einiges von dem mitteilen zu sollen, was mir über die Vorhölle und deren Lage mitgeteilt wurde. Ich sage also: Der Durchmesser der Erdkugel. d.h. die Linie, welche von einem Punkte der Erdoberfläche bis zum entgegengesetzten durch den Mittelpunkt gezogen wird, beträgt 2502 (spanische) Meilen. Der Halbmesser. d.h. die Linie von der Oberfläche bis zum Mittelpunkt, beträgt 1251 Meilen und nach dem Durchmesser ist der Umfang dieser Kugel zu bemessen.
Im Mittelpunkte nun, gleichsam im Herzen der Erde, befindet sich die Hölle für die Verdammten. Diese Hölle ist aber eine Höhle oder ein Chaos mit vielen finsteren, je nach Verschiedenheit der Strafen eingerichteten Räumen, welche Entsetzen und Schrecken einflößen und alle diese Räume miteinander bilden eine Kugel nach Art eines Fasses von ungeheuerer Größe, mit einem Schlund oder Eingang, der sehr weit und breit ist. In diesem schrecklichen Gefängnis voll Verwirrung und Qualen befinden sich die Teufel und alle Verdammten, und hier werden sie bleiben in alle Ewigkeit, solange Gott Gott ist, denn aus der Hölle gibt es keine Erlösung (Mt 25, 41).
1460. Auf der einen Seite der Hölle befindet sich das Fegfeuer, wo die Seelen der Gerechten gereinigt werden, wenn sie nicht schon in diesem Leben ihre Sünden vollkommen abgebüßt haben und bei ihrem Scheiden aus der Welt noch nicht so rein von Fehlern sind, dass sie alsbald zur beseligenden Anschauung Gottes zu gelangen vermögen. Diese Höhle ist ebenfalls groß, jedoch um vieles kleiner als die Hölle. Und gibt es auch im Fegfeuer große Pein, so steht sie doch in keiner Beziehung zur Hölle der Verdammten. Auf der anderen Seite befindet sich die Vorhölle mit zwei verschiedenen Abteilungen. Die eine ist für die Kinder bestimmt, welche ohne die Taufe, bloß mit der Erbsünde behaftet, sterben, bevor sie noch gute oder schlechte Werke nach eigener Wahl verrichten konnten. Die andere diente den Seelen der Gerechten des Alten Bundes zum Aufenthaltsort, weil sie nicht in den Himmel eingehen und Gott genießen konnten, bevor die Erlösung der Menschen vollendet war und unser Erlöser Jesus Christus die durch Adams Sünde verschlossenen Pforten desselben wieder geöffnet hatte (Ps 24, 9) - Diese Vorhölle ist gleichfalls kleiner als die Hölle und steht in keiner Verbindung mit ihr. Auch gibt es dort keine Pein der Sinne, wie im Fegfeuer, weil eben die Seelen erst nach ihrer Reinigung im Fegfeuer dahin gelangten und bloß der beseligenden Anschauung entbehrten, worin die «Pein des Verlustes» besteht. Dort nun befanden sich alle bis zum Tod des Heilandes verstorbenen Gerechten. In diese Vorhölle nun stieg die heiligste, mit der Gottheit vereinigte Seele Jesu Christi hinab, wie wir dies durch die Worte ausdrücken: «abgestiegen zu der Hölle», denn das Wort «Hölle» bezeichnet jeden Aufenthaltsort im Abgrund der Erde. Jedoch verstehen wir nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch unter dem Worte «Hölle» den Aufenthaltsort der Teufel und Verdammten, da dies die bekannteste Bedeutung des Wortes ist, ähnlich wie man unter dem Worte «Himmel» gewöhnlich den empirischen oder Lichthimmel versteht, wo die Heiligen sich befinden und ebenso in alle Ewigkeit sich befinden werden, wie die Verdammten in der Hölle. Die Vorhölle jedoch und das Fegfeuer haben ihre besonderen Namen. Nach dem Letzten Gericht aber werden bloß der Himmel und die Hölle bewohnt sein, denn das Fegfeuer ist nicht mehr notwendig und auch die Kinder werden aus dem Limbus an einen anderen Aufenthaltsort kommen.
1461. In diese VorhölleEs ist die Lehre des Catechismus Romanus, der hl. Väter und Theologen, dass Christus persönlich nur in die Vorhölle der Gerechten hinabgestiegen sei. In das Fegfeuer aber stieg er nur durch seine Kraft hinab, indem er die Wirkungen seines Leidens auf die armen Seelen äußerte. Dass der Herr alle armen Seelen befreite, wird vom hl. Augustin, vom hl. Gregor von Nazianz und sehr vielen Gottesgelehrten angenommen. Vgl. Kornelius a Lap. [in Oseam 13. 14]. Der Übersetzer), nun kam die heiligste Seele unseres Herrn Jesu Christi, und zwar in Begleitung unzähliger Engel, welche Ihm als ihrem siegreichen und triumphierenden König lobsangen und seine Herrlichkeit, Stärke und Gottheit priesen. Damit aber seine Größe und Majestät noch mehr offenbar werde, befahlen sie, die Pforten dieses alten Gefängnisses zu öffnen (Ps 24, 7. 8), damit der König der Herrlichkeit, der Gewaltige im Streit, der Herr der Macht, sie bei seinem Eintritt frei und offen finde. In Kraft dieses Befehles wurden einige Felsen dieses Weges erschüttert und zersprangen, obwohl dies zum Einzug des Königs und seiner Heerscharen, welche ja aus lauter reinen Geistern bestanden, nicht erforderlich gewesen wäre. Durch die Gegenwart der heiligsten Seele Jesu verwandelte sich jene dunkle Höhle in einen Himmel, weil alles von wunderbarem Glanze erfüllt wurde. Die Seelen der da selbst befindlichen Gerechten wurden beseligt und erhielten die klare Anschauung der Gottheit. So gingen sie in einem Augenblick vom Zustand einer so langdauernden Sehnsucht zum immerwährenden Besitz der Glorie und von den Finsternissen zu dem unzugänglichen Licht über, dessen sie sich nun erfreuen. Alle huldigten ihrem wahren Gott und Erlöser, bezeigten Ihm ihren Dank, verherrlichten Ihn mit neuen Lobgesängen und riefen: «Würdig ist das Lamm, das da getötet ward, zu empfangen Gottheit, Stärke und Macht (Offb 5,12). Du, o Herr, hast uns mit deinem Blute erkauft aus allen Stämmen, Völkern und Nationen, du hast uns zu einem Königreich für unseren Gott gemacht, damit wir herrschen (Offb 5, 9 f). Dein, o Herr, ist die Macht, dein ist das Reich und dein ist der Ruhm von deinen Werken.»
Hierauf befahl der göttliche Erlöser den Engeln, alle Seelen, welche im Fegfeuer litten, herbeizuholen. Und in einem Augenblick standen diese alle vor Ihm. Gleichsam zur Festfeier der Erlösung wurden diese Seelen durch den Erlöser selbst von der Pein, die sie noch zu leiden gehabt hätten, befreit und gleich den Seelen der übrigen Gerechten durch die beseligende Anschauung verherrlicht. So wurden an diesem Tage durch die Gegenwart des Königs diese beiden Gefängnisse, die Vorhölle und das Fegfeuer, von ihren Bewohnern vollständig geräumt.
1462. Nur für die Verdammten in der Hölle war dieser Tag eine Zeit des Schreckens, denn durch Anordnung des Allerhöchsten geschah es, dass alle es inne wurden und fühlten, wie der Erlöser zur Vorhölle hinabstieg, gleich wie auch die heiligen Altväter und Gerechten den Schrecken inne wurden, in welchen dieses Geheimnis die Teufel und Verdammten versetzte. Die bösen Geister waren noch ganz niedergeschmettert und zerschlagen infolge ihrer auf dem Kalvarienberg erlittenen Niederlage, wovon ich oben (Nr. 1421) gesprochen habe. Als sie nun aber die Stimme der Engel hörten, d.h. auf die Weise, wie Geister sprechen und hören, welche vor ihrem König auf dem Weg zur Vorhölle einhergingen, so gerieten sie von neuem in Bestürzung und Furcht und verkrochen sich gleich den Schlangen, welche verfolgt werden, in die entferntesten Schlupfwinkel der Hölle. Die verdammten Seelen aber traf Beschämung, weil sie zu ihrem größten Ärger erkannten, dass sie sich getäuscht und der Erlösung verlustig seien, woraus die Gerechten Vorteil gezogen haben. Weil aber Judas und der böse Schächer erst vor kurzem in die Hölle gekommen waren und an dieser Unglücksstätte einen besonders qualvollen Platz einnahmen, so litten sie auch größere Qualen und mussten die Wut der Teufel gegen sich besonders fühlen. Die bösen Geister aber fassten den Entschluss, soviel es von ihnen abhänge, die Christen, welche ihren katholischen Glauben bekennen, besonders zu verfolgen und zu peinigen, und jene, welche denselben verleugnen und davon abfallen, ärger zu misshandeln, denn selbst nach dem Urteil der bösen Geister verdienen alle diese größere Züchtigungen als die Ungläubigen, denen der Glaube gar nicht verkündigt worden ist.
1463. Von all diesen Geheimnissen und anderen verborgenen Dingen, welche ich zu erklären außerstande bin, erhielt die große Herrin der Welt in ihrem einsamen Gemach Kenntnis und eine besondere Anschauung. Diese Erkenntnis verschaffte dem höheren Teile des Geistes, worin sie dieselbe empfing, eine wunderbare Freude. Allein ihrem jungfräulichen Leib, ihren Sinnen und dem niederen Teil der Seele, teilte sich diese nicht mit, wie sie natürlicherweise auf dieselben sich hätte ergießen können. Ja, als Maria bemerkte, dass diese Freude ein wenig den niederen Teil der Seele erfasse, bat sie den ewigen Vater, Er möge diese Einwirkung hemmen, denn sie wollte sie an ihrem Leibe nicht zulassen, solange der Leichnam ihres heiligsten Sohnes im Grab ruhte und noch nicht verherrlicht war. Eine solche Aufmerksamkeit und Treue offenbarte die weiseste Mutter in ihrer Liebe zu ihrem Sohn und Herrn, sie, die da ein lebendiges, getreues und vollkommenes Abbild der mit der Gottheit verbundenen Menschheit Jesu Christi an sich darstellte. Infolge dieser zarten Aufmerksamkeit war sie an ihrer Seele mit Freuden erfüllt, am Leib aber mit Schmerzen und Todespein, ähnlich wie dies auch bei unserem göttlichen Heiland der Fall war. Bei dieser Anschauung verfasste sie Loblieder, wodurch sie das Geheimnis dieses Triumphes und die liebevollste und weise Vorsehung des Erlösers verherrlichte, welcher als ein liebreicher Vater und allmächtiger König in eigener Person zur Besitzergreifung jenes neuen Reiches, das der himmlische Vater seinen Händen übergeben hatte, hinabsteigen und seine Untertanen durch seine eigene Gegenwart befreien wollte, damit sie in Ihm selbst sich des Lohnes zu erfreuen beginnen, den Er für sie verdient hatte. Aus allen diesen und anderen Gründen war Maria, welche dieses Geheimnis klar erkannte, voll Freude und brachte als Gehilfin und Mutter des Siegers dem Herrn ihre Lobpreisungen dar.
LEHRE, welche mir die heiligste Jungfrau und Himmelskönigin Maria gab
1464. Meine Tochter, merke wohl auf die in diesem Hauptstück enthaltene Lehre, denn sie ist für dich besonders passend und notwendig wegen des Standes, in welchen der Allerhöchste dich gesetzt hat und wegen der Verpflichtung, welche dir obliegt, seine Liebe zu erwidern. Diese Verpflichtung besteht darin, dass du bei deinen Handlungen und Übungen und im Verkehr mit den Menschen, magst du nun als Vorgesetzte regieren und befehlen oder als Untergebene gehorchen, kurz, dass du bei allen äußeren Beschäftigungen im innersten und oberen Teile der Seele die Aufmerksamkeit und den Hinblick auf den Herrn bewahrst und dich niemals abwendest vom Licht des Heiligen Geistes, welcher dir allezeit beisteht, um ununterbrochen mit dem Herrn zu verkehren. Mein heiligster Sohn will im Verborgenen deines Herzens jene Pfade sehen, welche dem Teufel verborgen bleiben und zu denen die Leidenschaften keinen Zutritt erlangen. Es sind dies die Pfade, welche zu jenem Heiligtum führen, in das nur der Hohepriester eintritt (Hebr 9, 7) und wo sich die Seele des innigsten Verkehres mit ihrem König und Bräutigam erfreut, wenn sie anders, gänzlich mit Ihm allein beschäftigt und losgeschält, Ihm das Brautgemach zum Ausruhen bereitet. Dort wirst du deinen Herrn voll Güte, den Allerhöchsten ganz freigebig, deinen Schöpfer voll Barmherzigkeit, deinen süßen Bräutigam und Erlöser voll Liebe finden. Die Macht der Finsternisse und die Wirkungen der Sünde wirst du dort nicht zu fürchten haben, denn diese sind in jenem Reich des Lichtes und der Wahrheit unbekannt. Aber die ungeordnete Liebe zum Sichtbaren und die Nachlässigkeit in Beobachtung des göttlichen Gesetzes verschließt diese Wege. Jede Anhänglichkeit und unordentliche Regung der Leidenschaften versperrt sie, jede Sorge um nutzlose Dinge bereitet Hindernisse auf denselben, ganz besonders aber schadet die Unruhe des Gemütes und der Mangel an Seelenfrieden und Ruhe des Herzens. Das Herz muss ganz einsam, rein und von allem losgeschält sein, was nicht Licht und Wahrheit heißt.
1465. Du hast diese Lehre wohl vernommen und kennst sie aus Erfahrung und überdies habe ich sie dir an meinem Beispiel wie in einem klaren Spiegel gezeigt. Du hast gesehen, wie ich mich verhalten habe in den Schmerzen, Ängsten und Kümmernissen während des Leidens meines heiligsten Sohnes sowie bei den Sorgen Bemühungen, Anstrengungen und Beschäftigungen für die Apostel, für die Grablegung des Herrn und für die heiligen Frauen. Und wie ich überhaupt im ganzen Verlauf meines Lebens meine Handlungsweise einrichtete. Du hast gesehen, wie ich die äußeren Beschäftigungen mit den Beschäftigungen des Geistes so vereinigte, dass sie einander nicht hinderten und störten. Willst du darum in dieser Handlungsweise meinem Beispiel folgen, wie ich dies von dir verlange, so ist es durchaus notwendig, dass du weder durch den notwendigen Verkehr mit den Menschen, noch durch die Beschäftigungen deines Standes, noch durch die Armseligkeiten des Lebens in der Verbannung, noch durch die Versuchungen und die Bosheit des Teufels in deinem Herzen irgendeine Anhänglichkeit aufkommen lässt, welche dich hindern, oder einen Gedanken, weIcher dich zerstreuen würde. Merke wohl, meine Tochter, wenn du in diesem Streben nicht sehr wachsam bist, so wirst du viel Zeit verlieren, unendlich viele und außerordentliche Gnaden verschleudern, die höchsten und heiligsten Absichten des Herrn vereiteln und überdies mich und die heiligen Engel betrüben, da wir insgesamt wünschen, dass du mit uns verkehrst. Du wirst die Ruhe des Geistes, die Tröstungen deiner Seele, gar manche Grad der Gnade, die heißersehnte Vermehrung der göttlichen Liebe und endlich auch noch die überreiche Belohnung im Himmel verlieren. Da siehst du, wie wichtig es für dich ist. auf mich zu hören und mir in allem zu gehorchen, worüber ich mit mütterlicher Herablassung dich unterweise. Erwäge und betrachte dies, meine Tochter, und merke in deinem Innern auf meine Worte, damit du dieselben durch meine Vermittlung und durch die Gnade Gottes auch im Werk ausübst. Auch ermahne ich dich, dass du mir in jener treuen Liebe nachfolgst, mit der ich die Wonne und den Jubel zurückhielt, um meinem Herrn und Lehrmeister nachzufolgen und Ihn dafür sowie für die Wohltat zu preisen, welche Er den Heiligen in der Vorhölle dadurch erwies, dass seine heiligste Seele hinabkam, um sie zu befreien und mit Freude über seine Anschauung zu erfüllen, denn das waren lauter Werke seiner unendlichen Liebe.
SECHSUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Auferstehung des Herrn. Er erscheint seiner heiligen Mutter
Die Auferstehung unseres Erlösers Jesu Christi. Er erscheint mit den heiligen Altvätern der Vorhölle seiner heiligsten Mutter.
1466. Die heiligste Seele unseres göttlichen Erlösers verweilte vom Freitag nachmittags 3, 30 Uhr Uhr bis zum kommenden Sonntag morgens 3 Uhr in der Vorhölle. In dieser Stunde kehrte der Heiland wieder zum Grab zurück, und zwar als siegreicher Fürst, begleitet von den Engeln, die Er mit sich führte, und von den Heiligen, die Er aus jenen unterirdischen Gefängnissen als seine Siegesbeute und die Trophäen seines glorreichen Triumphes befreit hatte, während Er seine rebellischen Feinde überwunden und gezüchtigt zurückließ. Beim Grab aber standen viele andere Engel, welche dasselbe bewachten und den heiligen, mit der Gottheit vereinigten Leib anbeteten. Einige dieser Engel hatten auf Anordnung ihrer großen Königin die Reliquien des von ihrem heiligsten Sohn vergossenen Blutes, die Stückchen des von den Wunden abgerissenen Fleisches, die von seinem göttlichen Angesicht und Haupt ausgerissenen Haare und alles übrige aufgesammelt, was zum Schmuck und zur vollkommenen Unversehrtheit seines heiligsten Leibes gehörte. Auf alles dieses erstreckte sich die Sorgfalt der Mutter der Weisheit. Die Engel bewahrten dann diese Reliquien, indem ein jeder an dem Teile sich erfreute, den er aufzusammeln das Glück hatte. Vor allem aber wurde den heiligen Altvätern der Leib ihres Erlösers gezeigt, und zwar so verwundet, zerschlagen und entstellt, wie Ihn die Grausamkeit der Juden zugerichtet hatte. Da sie den entseelten Leib des Herrn sahen, beteten Ihn alle Patriarchen und Propheten nebst den anderen Heiligen an. Sie bekannten abermals, wie das menschgewordene Wort in Wahrheit unsere Krankheiten und Schmerzen auf sich genommen (Jes 53, 4) für unsere Schulden überfließende Bezahlung geleistet und der Gerechtigkeit des ewigen Vaters für das, was wir verdient haben, genug getan hat, während Er selbst höchst rein und sündelos war. Hier sahen die Stammeltern Adam und Eva das durch ihren Ungehorsam angerichtete Verderben, den so teuren Preis des Rettungsmittels sowie die unermessliche Güte des Erlösers und seine große Barmherzigkeit. Die Patriarchen und Propheten erkannten und sahen nun, wie ihre Weissagungen und das Hoffen auf die Verheißungen Gottes erfüllt waren. Und da sie in der Verherrlichung ihrer Seelen die Wirkung der überreichen Erlösung wahrnahmen, so priesen sie den Allmächtigen, den Heiligen der Heiligen, dass Er in so wunderbarer Ordnung und Weisheit die Erlösung gewirkt habe.
1467. Hierauf wurden vor den Augen aller dieser Heiligen durch den Dienst der Engel dem heiligsten Leibe Jesu alle von ihnen aufgesammelten Teile und Reliquien wieder zurückgegeben, so dass Er seine natürliche Vollständigkeit und Vollkommenheit wieder erlangte. Im nämlichen Augenblick vereinigte sich die heiligste Seele des Herrn wiederum mit dem Leib und verlieh Ihm damit zugleich ein unsterbliches Leben und die Glorie. Anstatt der Linnen und Salben, womit Er zum Begräbnis zubereitet worden war, wurde Er jetzt mit den vier Gaben der Glorie bekleidet, nämlich mit der Klarheit, Leidensunfähigkeit, Behendigkeit und Feinheit. Diese Gaben gingen von der Seele unseres gütigsten Jesus auf seinen mit der Gottheit vereinigten Leib über. Sie gebührten demselben freilich schon seit dem ersten Augenblick seiner Empfängnis als Erbe und als natürliche Ausstattung, weil seine heiligste Seele schon damals im Stand der Verklärung sich befand und seine ganze unschuldige Menschheit mit der Gottheit vereinigt war. Allein sie wurden damals noch zurückgehalten, so dass sie sich dem reinsten Leib nicht mitteilen konnten, damit dieser noch leidensfähig bleibe und der Herr für uns die Glorie dadurch verdiene, dass Er seinem eigenen Leib die Glorie vorenthielt, wie ich dies an seinem Ort erwähnt habe (Teil 2, Nr. 148). Bei der Auferstehung nun wurden Ihm diese Gaben aus Gerechtigkeit wieder zurückgegeben, und zwar in dem Grad und Verhältnis, wie dies der Herrlichkeit der Seele und ihrer Vereinigung mit der Gottheit entsprach. Weil aber die Herrlichkeit der heiligsten Seele Christi unseres Herrn von unserer beschränkten Fassungskraft nicht begriffen und geschildert werden kann, so ist es auch unmöglich, durch Worte oder Beispiele die Herrlichkeit und die Gaben seines vergöttlichten Leibes vollkommen genau zu beschreiben. Denn im Vergleiche mit seiner Reinheit ist selbst der Kristall dunkel. Das ihm innewohnende und von ihm ausstrahlende Licht übertrifft das der übrigen verherrlichten Leiber ebenso weit als der Tag die Nacht, ja selbst mehr als tausend Sonnen einen einzigen Stern. Ja, würde man die Schönheit aller Geschöpfe in einer Kreatur zusammen vereinigen, so würde sie, mit der Schönheit des Leibes Christi verglichen, fast als etwas Hässliches erscheinen. Kurz, in der ganzen Schöpfung finden wir kein Gleichnis, um die Herrlichkeit des auferstandenen Heilandes anschaulich zu machen.
1468. Die Vortrefflichkeit dieser Gaben übertraf bei der Auferstehung bei weitem jene Herrlichkeit, welche sie bei der Verklärung und andern Anlässen hatten, bei welchen unser Herr Jesus Christus, wie ich im Verlauf dieser Geschichte gesagt habe (siehe Teil 2, Nr, 695 und oben Nr. 851 und 1099), sonst noch seine Herrlichkeit offenbarte. Denn damals nahm der Herr diese Verklärung nur vorübergehend an und so, wie es dem besonderen Zweck der Verklärung entsprach. Jetzt aber besaß Er sie in ihrer Fülle, um sich in Ewigkeit ihrer zu erfreuen. Vermöge der Leidensunfähigkeit war sein heiligster Leib über jeden Einfluss einer erschaffenen Macht erhaben, keine Macht konnte Ihn mehr verändern oder beschädigen. Vermöge der Feinheit wurde die schwere und irdische Materie so geläutert, dass Er, gleich als wäre Er ein körperloser Geist, andere Körper zu durchdringen vermochte, ohne von ihnen aufgehalten zu werden. So ging Er durch den Stein des Grabes, ohne ihn von der Stelle zu bewegen oder zu zerteilen, wie er auf ähnliche Weise aus dem jungfräulichen Schoß seiner reinsten Mutter hervorgegangen war. Die Behendigkeit benahm Ihm jede Schwerfälligkeit und Trägheit der Materie, in der Art, dass Er sich leichter als selbst die körperlosen Engel bewegen und aus sich selbst schneller als jene von einem Ort zum andern gelangen konnte, wie dies bei den Erscheinungen vor den Aposteln und bei anderen Gelegenheiten geschah. Die heiligen Wunden, welche ehedem seinen heiligsten Leib entstellt hatten, erschienen an den Füßen, an den Händen und an der Seite so schön und herrlich strahlend, dass sie durch die Mannigfaltigkeit ihrer Pracht die Herrlichkeit und Anmut des heiligsten Leibes noch erhöhten. In dieser ganzen Schönheit und Herrlichkeit nun erstand unser Heiland aus dem Grab. Und in Gegenwart der Heiligen und Patriarchen versprach Er dem ganzen Menschengeschlecht die allgemeine Auferstehung als eine Wirkung der seinigen, und zwar so, dass jeder Mensch mit demselben Fleisch und Leib, die ihm gehören, auferstehen und alle Gerechten darin verherrlicht werden würden. Und um ein Unterpfand dieser Verheißungen zu geben und gleichsam Bürgen für die allgemeine Auferstehung aufzustellen, befahl der göttliche Erlöser den Seelen von vielen dort anwesenden Heiligen, sich mit ihren Leibern zu vereinigen und dieselben zu einem unsterblichen Leben zu erwecken (Dass jene Heiligen, welche nach dem Tod Christi aus ihren Gräbern erstanden, nicht wieder starben, sondern mit dem göttlichen Heiland in den Himmel auffuhren und dort die vollkommene Verherrlichung der Seele und des Leibes genießen, ist die Ansicht der ältesten und angesehensten Kirchenlehrer, wie Dr. W Reischl [zu Mt 27, 52) bemerkt. Auch nehmen viele an, dass der hl. Joseph, der hl. Joachim und die hl. Anna zu diesen Glückseligen gehören. Hinsichtlich der hl Anna haben die Postulatoren beim Seligsprechungsprozess der ehrwurdigen Schwester Maria von Agreda einige Schwierigkeiten gelöst. Der Herausgeber).. Augenblicklich vollzogen diese Seelen den göttlichen Befehl und erweckten ihre Leiber, wie der heilige Matthäus dieses Geheimnis, aber an einer etwas früheren Stelle berichtet (Mt 27, 52). Unter den Auferweckten befanden sich die hl. Anna, der hl. Joseph, der heilige Joachim und andere von den Altvätern und Patriarchen, welche sich durch ihren Glauben und ihre Hoffnung auf die Erlösung besonders ausgezeichnet, nach ihr mit größerer Sehnsucht verlangt und den Herrn besonders eifrig darum angefleht hatten. Zur Vergeltung für diese Werke gelangten sie nun schon zum voraus zur Auferstehung und zur Verherrlichung ihrer Leiber.
1469. O wie mächtig und wunderbar, wie siegreich und stark hat sich da der «Löwe von Juda (Offb 5,5)», der Sohn Davids, gezeigt ! Niemals hat sich ein Mensch so schnell vom Schlaf erhoben als Christus vom Tod. Auf sein befehlendes Wort vereinigten sich unverzüglich die ausgetrockneten und zerstreuten Gebeine jener schon längst Verstorbenen. Das bereits zum Staub vermoderte Fleisch erneuerte sich, fügte sich an die Gebeine und stellte so das ehemalige Dasein wieder her, und zwar vervollkommnet durch die Gaben der Verklärung, welche dem Leib aus der verklärten, das Leben mitteilenden Seele zukamen. In einem einzigen Augenblicke standen diese wiedererweckten Heiligen in der Umgebung ihres Wiederherstellers da, aber klarer und strahlender als selbst die Sonne, rein, schön, durchsichtig und behende, um Ihm überallhin zu folgen. Und so geben sie uns durch ihr Glück die Sicherheit in der Hoffnung, dass auch wir in unserem eigenen Fleisch und mit unseren Augen, und nicht mit anderen unseren Erlöser schauen werden, wie dies Job (Job 19, 26) zu unserem Trost geweissagt hat.
Die erhabene Königin des Himmels erkannte alle diese Geheimnisse und hatte auch durch die im Speisesaal ihr zuteil gewordene Vision Anteil an denselben. Und im nämlichen Augenblick, da die heilige Seele Christi in ihren Leib einging und Ihm das Leben mitteilte, teilte sie auch in entsprechender Weise dem Leibe der reinsten Mutter die Freude mit, welche nach dem im vorangehenden Hauptstück Gesagten in ihrer heiligsten Seele zurückgehalten und dahin sozusagen zurückgedrängt war, weil sie die Auferstehung ihres heiligsten Sohnes abwarten wollte. Diese Gnadenerweisung war aber so groß, dass sie dadurch ganz und gar vom Zustand der Pein in den der Freude, von dem der Traurigkeit in den der Wonne, von dem des Schmerzes in den des namenlosen Jubels und des Trostes versetzt wurde. Zur selben Stunde kam der heilige Evangelist Johannes, um Maria zu besuchen und sie wie tags zuvor in ihrer schmerzvollen Einsamkeit zu trösten. Allein wider alles Erwarten fand er sie voll Glanz und mit den Gaben der Glorie ausgerüstet, während sie zuvor von Traurigkeit ganz entstellt und fast unkenntlich gewesen war. Von Bewunderung hingerissen, schaute der heilige Apostel Maria mit großer Ehrfurcht an und zweifelte nun nicht mehr, dass der Herr bereits auferstanden sei, weil die göttliche Mutter vor Freude ganz verjüngt war.
1470. Durch diesen neuen Jubel und durch die heiligen Handlungen, welche Maria bei der Anschauung so hocherhabener Geheimnisse vollbrachte, begann die große Herrin sich auf die nahe bevorstehende Anschauung ihres Sohnes vorzubereiten. Während aber U. L. Frau mit Akten des Lobes, mit Preisgesängen und Bitten sich beschäftigte, fühlte sie in sich, außer der Freude, welche sie empfand, noch eine andere außerordentliche Gnadenwirkung, nämlich eine Art Jubel und himmlischer Wonne, welche auf wunderbare Weise den Schmerzen und der Pein entsprach, die sie während des Leidens ihres göttlichen Sohnes empfunden hatte. Jedoch war diese Gunsterweisung von anderer und mehr erhabener Art als die Rückwirkung der Freude, welche sozusagen naturgemäß von ihrer Seele auf den Leib überströmte. Außer diesen wunderbaren Wirkungen fühlte sie bald noch eine weitere, dritte Gunsterweisung und kostete dadurch neue und göttliche Gnadenbezeigungen. Sie fühlte nämlich, wie ihr ein neues Licht mit jenen Eigenschaften eingegossen wurde, welche der beseligenden Anschauung vorangehen. Ich halte mich aber bei der Erklärung desselben nicht länger auf, weil ich dies schon im ersten Teil getan habe, wo ich mich auf diesen Gegenstand einließ (Teil 1 Nr. 620 ff). In diesem zweiten Teile füge ich nur noch dieses eine bei, dass U. L. Frau die genannten Gnaden jetzt in reichlicherem Maß und auf erhabenere Weise empfing, als dies sonst geschehen war. Denn jetzt waren die Leiden ihres heiligsten Sohnes und die von der göttlichen Mutter dabei erworbenen Verdienste vorangegangen. Der Menge der Schmerzen aber entsprachen auch die Tröstungen, die sie aus der Hand ihres allmächtigen Sohnes empfing.
1471. Nachdem die allerseligste Jungfrau Maria auf solche Weise vorbereitet war, trat der auferstandene Heiland Jesus Christus voll Herrlichkeit und begleitet von allen Heiligen und Patriarchen zu ihr ein. Die allezeit demütige Königin warf sich zur Erde nieder und betete ihren heiligsten Sohn an. Unser göttlicher Herr und Heiland aber richtete sie auf und drückte sie an sein Herz. Durch diese Berührung, welche vorzüglicher war als jene, womit Magdalena die Menschheit Christi und seine heiligsten Wundmale zu berühren gewünscht hatte, empfing die jungfräuliche Mutter eine außerordentliche Gnade, deren nur sie, als die vom Gesetz der Sünde ausgenommene, fähig war. Dieselbe war nicht die größte unter den Gnaden, die Maria an diesem Tag empfing, sie war aber doch so groß, dass sie sie nicht zu empfangen vermocht hätte, wenn sie nicht durch die Engel und durch den Herrn selbst gestärkt worden wäre, dass die Kräfte sie nicht verließen. Diese Gnadenerweisung bestand darin, dass der glorreiche Leib des Sohnes den seiner reinsten Mutter in sich einschloss, indem Er sich mit dem ihrigen durchdrang oder jenen mit sich durchdrang, geradeso, wie wenn eine Kristallkugel die Sonne in sich aufnähme und durch das Licht derselben ganz mit Glanz und Schönheit erfüllt würde. Geradeso war der Leib U. L. Frau mit dem Leib ihres Sohnes mittels dieser ganz göttlichen Berührung vereinigt. Und diese Berührung bildete die Pforte, wodurch Maria zur Erkenntnis der Herrlichkeit der Seele und des heiligsten Leibes des Herrn einging. (Die Geisteslehrer sprechen von gewissen Gnadenerweisungen, welchen sie die Benennung «Berührung durch Gott» beilegen. «Diese bestehen in einer wahren und wirklichen, aber rein geistigen Sensation, wodurch die Seele Gott in ihrem Innern fühlt und ihn mit großer Wonne kostet.» Scaramelli, Anleitung zur mystischen Theologie 1. Teil 3. Abteilung S. 94. - Bei der heiligsten Jungfrau fand diese Gunsterweisung nach dem hier Gesagten in unvergleichlich höherem Maß statt. Hierbei gelten aber die Worte des hl. Thomas von Aquin: «Corpus Christi non habuit ex subtilitatis dote. quod possit esse simul cum alio corpore in eodem loco, sed hoc factum est virtute Divinitatis post resurrectionem, sicut in nativitate. [Suppl. q. 83. a. 2. ad 1.] Der Herausgeber). Durch diese außerordentlichen Gnaden stieg der Geist der großen Königin wie auf ebenso vielen Stufen unaussprechlicher Gaben empor, zur Erkenntnis der verborgensten Geheimnisse. Und während sie sich noch auf diesen Stufen befand, vernahm sie eine Stimme, welche ihr zurief: «Steige höher herauf, meine Freundin !» In Kraft dieser Worte wurde Maria ganz umgestaltet: Sie schaute in klarer, unverhüllter Anschauung die Gottheit. Und in ihr fand sie, wenn auch nur vorübergehend, die Ruhe und den Lohn für alle ihre Pein und Schmerzen. Allein hier muss ich stillschweigen, denn weder Worte noch Geisteskräfte sind irgendwie imstande, auszudrücken, was Maria in dieser beseligenden Anschauung erfahren und empfunden hat. Es war dies die höchste und erhabenste aller Visionen, welche die heiligste Jungfrau bis zu dieser Stunde gehabt hatte. Feiern wir darum diesen Tag mit Bewunderung und Lobeserhebungen, mit Glückwünschen, Liebe und demütigster Danksagung für alles was Maria uns verdient hat, sowie für alle Freuden und Ehren welche sie selbst an diesem Tag genossen hat.
1472. Die allerseligste Jungfrau erfreute sich einige Stunden lang, mit ihrem allerheiligsten Sohn vereint der wonnevollen Anschauung der Wesenheit Gottes. Wie sie an den Leiden Jesu teilgenommen hatte, so nahm sie jetzt teil an seiner Glorie. Dann kehrte sie von dieser Vision auf der nämlichen Stufenleiter zurück, auf welcher sie zu derselben emporgestiegen war. Und als diese Gunstbezeigung ganz zu Ende war, ruhte sie wiederum auf dem linken Arm ihres Sohnes, d.i. auf seine heiligste Menschheit gelehnt, aus, während sie durch seine Rechte, d,i. durch seine Gottheit, mit anderen Gnaden erfreut wurde (Hld 2, 6). Sie verweilte mit ihrem Sohn in süßesten Gesprächen über die erhabensten Geheimnisse seines Leidens und seiner Verherrlichung. Bei diesen Unterredungen wurde sie aufs neue vom Wein der göttlichen Liebe trunken, den sie ohne Maß an seiner Quelle selbst trank. Soviel nur immer ein bloßes Geschöpf zu empfangen imstande ist, wurde der reinsten Jungfrau Maria an diesem Tag im Überfluss gegeben, denn nach unserer Auffassungsweise zu sprechen, wollte Gottes Gerechtigkeit gleichsam das Unrecht wieder gutmachen, ich gebrauche diesen Ausdruck, weil ich mich nicht besser zu erklären vermag, welches einer so reinen und ganz sündelosen Kreatur widerfahren war, indem sie die Schmerzen und Martern der Passion Christi zu erdulden hatte. Denn, wie ich oben öfters gesagt habe, waren ihre Schmerzen dieselben wie die unseres Heilandes Jesu Christi. Bei der Auferstehung aber wurden der göttlichen Mutter die Freuden und Gnadenerweise Gottes in dem nämlichen Maß zuteil, in welchem sie zuvor Schmerzen gelitten hatte.
1473. Nach diesen Vorgängen, aber immer noch in höchst erhabenem Zustand, wandte sich die große Herrin an die anwesenden heiligen Patriarchen und Gerechten. Sie erkannte alle insgesamt und jeden einzelnen insbesondere nach ihrem Rang und redete sie auf entsprechende Weise an, indem sie sich mit ihnen freute und den Allerhöchsten um dessentwillen pries, was seine freigebige Barmherzigkeit an jedem aus ihnen gewirkt hatte. Gegen ihre heiligen Eltern Joachim und Anna, ihren Bräutigam Joseph und den Täufer Johannes äußerte sie eine ganz besondere Freude und redete sie einzeln an. Dann tat sie dies auch gegen die Patriarchen und Propheten und die Stammeltern Adam und Eva. Diese aber warfen sich vor der heiligsten Herrin nieder und anerkannten sie als die Mutter des Welterlösers, als die Ursache ihres Heiles und die Gehilfin bei ihrer Erlösung. Als solcher wollten sie ihr nach Anordnung der göttlichen Weisheit auch die geziemende Huldigung und Ehrfurcht bezeigen. Allein die Königin der Tugenden und die Lehrmeisterin der Demut warf sich selbst zur Erde nieder und erwies den Heiligen die ihnen gebührende Verehrung. Und der Herr ließ dies geschehen, und zwar deshalb, weil die Heiligen, obwohl sie der Gnade nach unter Maria standen, doch dem Stand der Beseligung nach, vermöge dessen sie bereits eine unwandelbare und ewige Glorie besaßen, über sie erhaben waren, da die Mutter der Gnade noch im sterblichen Leben und auf der Pilgerfahrl weilte und den Stand der Vollendung noch nicht erreicht hatte. Diese Unterredung mit den heiligen Altvätern in Gegenwart unseres Erlösers Jesu Christi dauerte längere Zeit. Endlich lud U. L. Frau alle anwesenden Engel und Heiligen ein, den Siegel über Tod, Sünde und Hölle zu lobpreisen, worauf alle neue Loblieder, Psalmen und Preisgesänge anstimmten. Unter dessen nahte die Stunde heran, da der auferstandene Heiland auch andere mit seiner Erscheinung beglücken wollte. Hierüber werde ich aber im folgenden Hauptstück sprechen.
LEHRE, welche mir die allerseligste Jungfrau Maria gegeben hat
1474. Meine Tochter, deine Besorgnis, dass du die inneren Erleuchtungen über die hocherhabenen Geheimnisse, wie du sie eben beschrieben hast, mit Worten nicht vollständig wiederzugeben vermagst soll dir zur Freude gereichen. Es ist ja ein Sieg für die Kreatur und ein Ruhm für den Allerhöchsten, wenn sich das Geschöpf von der Größe so erhabener Geheimnisse, welche im sterblichen Fleisch bei weitem nicht vollständig durchschaut werden können, als besiegt erklärt.
Beim Leiden meines heiligsten Sohnes habe ich seine Schmerzen mitempfunden. Und wenn ich auch nicht wirklich das Leben dabei verlor, so empfand ich doch geheimnisvollerweise die Schmerzen des Todes. Dieser Todesart aber entsprach bei mir auch eine wunderbare und geheimnisvolle Auferstehung zu einem höheren Zustand der Gnade und des Handelns. Und weil die Wesenheit Gottes unendlich ist, so bleibt, wenn die Kreatur auch noch so großen Anteil daran hat, immer noch weit mehr zum Erkennen, Lieben und Genießen übrig. Damit du aber jetzt schon mit Hilfe des eigenen Urteils aus der Erwägung über die Gaben des verherrlichten Leibes einiges von der Herrlichkeit Christi, meines Sohnes und Herrn, und jener, welche ich und die Heiligen genießen, erkennen kannst, will ich dir den Grundsatz darlegen, wonach du hierbei von den Gaben des Leibes auf die der Seele schließen kannst. Wie dir nämlich schon bekannt ist, bestehen die letzteren im Schauen im Besitz und im Genuss (videre, comprehendere, frui). Die Gaben des Leibes sind die schon wiederholt angeführten, nämlich die Klarheit, Leidensunfähigkeit, Feinheit und Behendigkeit, claritas, impassibilitas, subtilitas, agilitas.
1475. Durch jedes gute und verdienstliche Werk, welches ein Mensch im Stand der Gnade verrichtet hat, erlangt jede einzelne dieser Gaben einen entsprechenden Zuwachs, und bestände das Werk auch in weiter nichts als im Aufheben eines Strohhalmes oder im Darreichen von einem Trunk Wassers aus Liebe zu Gott. Durch jedes dieser ganz unbedeutenden Werke wird der Mensch, wenn er einmal in die Seligkeit eingeht, eine Klarheit erlangen, welche die Klarheit vieler Sonnen übertrifft. Was die Leidensunfähigkeit anbelangt, so wird er der Verwesung und Zersetzung welcher sonst alle irdischen Dinge und also auch die Menschen unterworfen sind, so sehr entzogen, dass alle menschliche Sorgfalt und Stärke nicht imstande wäre, die Verwesung und überhaupt alle schädlichen Einflüsse in ähnlicher Weise vom Menschen abzuhalten. Vermöge der Feinheit gelangt er dahin, dass er über alles, was ihm etwa hindernd im Weg stehen könnte, erhoben wird und eine neue Kraft erhält, alles, was er will, zu durchdringen. Durch die Gabe der Behendigkeit erlangt er für jedes verdienstliche Werk die Fähigkeit, sich leichter und schneller zu bewegen als die Vögel, die Winde und alle tätigen Kreaturen, wie z. B. das Feuer und die übrigen Elemente, welche ihrem natürlichen Mittelpunkte zustreben. Aus dem Zuwachs nun, welchen man hinsichtlich der Gaben des Leibes sich verdient, kannst du auf den Zuwachs bei den Gaben der Seele schließen, weil die ersteren den letzteren entsprechen und aus ihnen hervorgehen. Denn in der beseligenden Anschauung erlangt der Mensch für jegliches Verdienst eine größere Klarheit und Erkenntnis von den göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten, als alle Gelehrten und Weisen der Kirche in diesem sterblichen Leben jemals besessen haben. Ebenso wird auch die Gabe des Besitzes oder des Innehabens des beseligenden Gegenstandes, nämlich Gottes, vermehrt. Denn infolge des Besitzes und der Festigkeit, womit man dieses höchste und unendliche Gut umfängt wird dem Gerechten eine neue Sicherheit und eine Ruhe verliehen, die unschätzbarer ist als der Besitz all dessen, was die Geschöpfe an Kostbarkeiten, Reichtümern, Ergötzlichkeiten und Freuden gewähren, selbst wenn man alles dieses ohne Furcht vor einem Verluste als Eigentum besäße. Vermöge der Gabe des Genusses, welches die dritte der Seele verliehene Gabe ist werden dem Gerechten zum Lohn für jedes noch so geringfügige Werk, das er aus Liebe verrichtet hat im Himmel so erhabene Grad der genießenden Liebe verliehen, dass auch die größte Zuneigung des Herzens, welche die Menschen im Leben gegen das Sichtbare tragen, mit diesem Zuwachs niemals verglichen werden kann. Und ebenso ist auch die daraus entspringende Wonne mit nichts von dem zu vergleichen, was in diesem sterblichen Leben zu finden ist.
1476. Gehe nun, meine Tochter, in deiner Betrachtung weiter und mache aus diesen so wunderbaren Belohnungen, weIche einem einzigen für Gott vollbrachten Werke entsprechen, den richtigen Schluss auf die große Belohnung der Heiligen, welche aus Liebe zu Gott so heroische und grossartige Werke vollbracht und so grausame Qualen und Martern erduldet haben, wie das in der heiligen Kirche bekannt ist. Ist nun aber dies schon bei den Heiligen der Fall, die doch bloße Menschen und der Sünde und den Unvollkommenheiten unterworfen waren, welche am verdienstlichen Handeln hindern, so denke einmal, und zwar mit aller dir möglichen Aufmerksamkeit darüber nach, welches die Herrlichkeit meines heiligsten Sohnes sei, und du wirst alsdann einsehen, wie wenig die menschliche Fassungskraft zumal im sterblichen Leben imstande ist dieses Geheimnis nach Gebühr zu verstehen und sich von der unermesslichen Größe der Herrlichkeit Jesu Christi eine entsprechende Vorstellung zu bilden. Die heiligste Seele meines Herrn war in seiner göttlichen Person mit der Gottheit wesenhaft vereinigt, und es war eine aus der hypostatischen Vereinigung hervorgehende Folge, dass der unermessliche Ozean der Gottheit sich in diese Seele ergoss und sie beseligte, hatte ja doch die Gottheit sich ihre eigene Wesenheit dieser Seele auf unaussprechliche Weise mitgeteilt. Die heiligste Seele Jesu hatte zwar diese Glorie nicht zu verdienen gehabt, sie wurde ihr schon im ersten Augenblicke der Empfängnis in meinem Schoß als notwendige Folge der hypostatischen Vereinigung verliehen. Allein die Werke, welche der Herr nachher, während der dreiunddreißig Jahre verrichtet hat: seine Geburt in Armut, sein Leben in Mühsalen, seine Liebe im Wandel, seine Mühen bei allen Tugenden, seine Predigt, sein Unterricht, sein Leiden, seine Verdienste, die Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes, die Stiftung der Kirche und alles, was er nach der Lehre der katholischen Kirche sonst noch getan hat: alle diese Werke, sage ich, verdienten die Verherrlichung des reinsten Leibes meines Sohnes und diese entsprach der Herrlichkeit seiner Seele. Alles dies ist aber unaussprechlich und unendlich erhaben, die Offenbarung desselben ist für das ewige Leben vorbehalten. Und wie an meinem Sohn und Herrn, so hat der mächtige Arm des Allerhöchsten verhältnismäßig auch an mir als an einem bloßen Geschöpfe Großes getan, infolgedessen ich die Schmerzen und Peinen der Passion alsbald vergaß. Dasselbe war auch bei den Altvätern der Vorhölle der Fall und ist es auch bei den übrigen Heiligen, wenn sie den Lohn empfangen. Ich vergaß die bitteren Schmerzen, die ich erduldet hatte, denn das Übermass der Freude verscheuchte alle Pein, Indes ist dem Auge meines Geistes niemals entschwunden, was mein Sohn für das Menschengeschlecht gelitten hat.
SIEBENUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Der Herr erscheint den frommen Frauen und den Aposteln
Unser Heiland erscheint nach seiner Auferstehung den heiligen Frauen und den Aposteln zu verschiedenen Malen. Diese Heiligen geben der Himmelskönigin davon Kunde. Maria hört sie mit großer Klugheit an.
1477. Nachdem unser auferstandener und verherrlichter Heiland Jesus Christus seine heiligste Mutter besucht und mit Herrlichkeit erfüllt hatte, beschloss Er als liebevoller Vater und Hirte, die Schäflein seiner Herde, die durch das Ärgernis bei seinem Leiden in Bestürzung geraten und zerstreut worden waren, wieder zu sammeln. Hierbei begleiteten Ihn allezeit die heiligen Altväter und alle jene Seelen, welche Er aus der Vorhölle und dem Fegfeuer befreit hatte. Indes waren diese heiligen Seelen bei den Erscheinungen des Herrn nicht sichtbar, nur unsere große Herrin erblickte und erkannte sie und redete mit allen, und zwar in der ganzen Zeit, welche von der Auferstehung bis zur Himmelfahrt ihres heiligsten Sohnes verstrich. Der auferstandene Heiland war, wenn Er nicht gerade anderen erschien, immer bei seiner heiligsten Mutter im Speisesaal, und die heiligste Herrin verließ während jener vierzig Tage den Speisesaal nie. Hier erfreute sie sich des Anblickes des Welterlösers und der Chöre der Propheten und Heiligen, von denen der König und die Königin umgeben waren. Bevor sich der auferstandene Heiland den Aposteln offenbarte, erschien Er den heiligen Frauen, nicht etwa, weil diese schwächer waren, sondern weil sie im Glauben und in der Hoffnung auf die Auferstehung stärker waren, denn dadurch hatten sie die Gnade verdient, den auferstandenen Heiland zuerst zu sehen.
1478. Der heilige Evangelist Markus erzählt (Mk 15, 47). Maria Magdalena und Maria, die Mutter Josephs, hätten aufmerksam beobachtet, wo der Leichnam Jesu hingelegt worden sei. Nachdem sie sich hierüber vergewissert hatten, verließen sie mit anderen heiligen Frauen am Abend des Samstags das Abendmahlshaus und gingen in die Stadt, um abermals wohlriechende Salben einzukaufen. Sie wollten nämlich am folgenden Tag in aller Frühe zum Grabe zurückkehren, um den heiligsten Leib ihres Meisters anzubeten und ihn zugleich nochmals zu salben (Mk 16, 2). Am Sonntagmorgen nun, bevor noch der Tag anbrach, machten sie sich zur Ausführung ihres frommen Vorhabens frühzeitig auf, ohne aber zu wissen, dass das Grab nach der Anordnung des Pilatus versiegelt und von Wächtern umgeben sei (Mt 27, 65). Ihre einzige Sorge war unterwegs die, wer ihnen wohl den großen Stein, womit sie das Grab hatten verschließen sehen, wegwälzen würde. Indes flößte ihnen die Liebe Vertrauen ein, auch diese Schwierigkeit zu überwinden, ohne dass sie noch wussten, wie dies geschehen solle. Als sie das Abendmahlshaus verließen, war es noch Nacht. Als sie aber beim Grab ankamen, war der Tag schon angebrochen und die Sonne aufgegangen, denn an diesem Tag wurden jene drei Stunden, während welcher beim Tod unseres Heilandes Finsternis herrschte, wiederum hereingebracht. Dieses Wunder erklärt, in welcher Weise die Berichte der heiligen Evangelisten Markus und Johannes miteinander übereinstimmen. Der erstere sagt nämlich, die heiligen Frauen seien nach Sonnenaufgang zum Grab gekommen (Mk 16, 2), der andere aber berichtet, es sei noch dunkel gewesen (Joh 20,1). Beides ist richtig. Als nämlich die heiligen Frauen das Zönakulum verließen, war es noch sehr früh, und die Sonne war noch nicht aufgegangen. Als sie aber zum Grab kamen, war die Sonne, welche ihren Lauf beschleunigte, bereits aufgegangen, wiewohl sich die heiligen Frauen unterwegs nirgends aufgehalten hatten. Das Grabmal war ein kleines Gewölbe, einer Höhle ähnlich, dessen Zugang mit einem großen Stein verschlossen war. Das Grab befand sich innen auf einer Seite, ein wenig vom Boden erhöht und darin befand sich der Leichnam unseres Erlösers.
1479. Kurz bevor die heiligen Frauen an die Schwierigkeit dachten und sich besprachen, wer wohl den Stein wegheben würde, entstand eine große Erschütterung oder ein sehr heftiges Erdbeben. Und gleichzeitig öffnete auch ein Engel des Herrn das Grab und entfernte den Stein, welcher es zudeckte und den Eingang verschloss (Mt 28, 2). Die Wäcnter des Grabmales fielen infolge dieses großen Geräusches und der Erschütterung des Felsens zur Erde nieder, indem sie vor Schrecken fast atemlos und wie tot waren (Mt 28, 4), obwohl sie eigentlich den Herrn nicht sahen und sein Leib sich nicht mehr dort befand. Denn der Herr war auferstanden und hatte das Grab verlassen, bevor der Engel den Stein wegwälzte. Die heiligen Frauen nun fühlten wohl auch einen Schrecken, gewannen aber wieder Mut und Stärke im Herrn, kamen zum Grabmal, traten in es hinein und erblickten in der Nähe des Einganges den Engel, welcher den Stein weggewälzt hatte. Sein Angesicht war ganz strahlend und sein Gewand war wie der Schnee (Mt 28, 3). Der Engel redete sie an und sprach: «Fürchtet euch nicht, denn ich weiß, dass ihr Jesus von Nazareth sucht ! Er ist nicht hier, denn Er ist auferstanden. Kommt und seht den Ort, wo sie Ihn hingelegt haben (Mt 28, 5.6).» Nun traten die heiligen Frauen näher hinzu, wurden aber, weil sie das Grab leer sahen, gar sehr betrübt, denn sie achteten immer noch weit mehr auf ihr Verlangen nach seinem Anblick als auf die Aussage des Engels. Hierauf aber erblickten sie zwei andere Engel auf beiden Seiten des Grabes sitzend, welche zu ihnen sprachen: «Warum sucht ihr den unter den Toten, der da lebt und auferstanden ist? Erinnert euch, wie Er selbst in Galiläa gesagt hat, dass Er am dritten Tag auferstehen werde (Lk 24, 5.6. Gehet alsbald hin und verkündet es den Jüngern und dem Petrus, dass sie nach Galiläa gehen sollen, dort werden sie Ihn sehen (Mk 16, 7).»
1480. Auf diese Erklärung der Engel hin erinnerten sich die Frauen an den Ausspruch ihres göttlichen Lehrmeisters. Mit der festen Überzeugung von seiner Auferstehung kehrten sie eilends vom Grab zurück und brachten die Kunde davon den elf Jüngern und den anderen, welche dem Herrn nachgefolgt waren. Viele von diesen hielten die Erzählung der Frauen für ein Märchen (Lk 24,11), so stark wankten sie bereits im Glauben und so weit hatten sie schon die Worte ihres Meisters und Erlösers vergessen. In der Zwischenzeit, während die mit Freude und Schrecken erfüllten Frauen den Aposteln Bericht über das Gesehene abstatteten, erholten sich die Wächter am Grab wieder und kamen zu sich. Da sie aber das Grab geöffnet und ohne den Leichnam sahen, gingen sie hin, um die Hohenpriester von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen. Diese wurden ganz verwirrt und versammelten den Rat, um zu überlegen, wie man es etwa angehen könnte, um dieses offenbare Wunder, das man nicht zu verheimlichen vermochte, zu entkräften. Sie kamen nun überein, den Wächtern eine große Summe Geldes anzubieten, damit diese, dadurch bestochen, aussagen möchten, dass, während sie schliefen, die Jünger Jesu gekommen seien und seinen Leib aus dem Grab gestohlen hätten (Mt 28, 23). Auch gaben die Priester den Wächtern die Versicherung, dass sie wegen dieser Lüge nichts zu fürchten hätten und unbehelligt bleiben würden. Und so streuten sie die Lüge unter den Juden aus. Und viele von diesen waren töricht genug, ihnen Glauben zu schenken, andere sind heute noch so verstockt und verblendet, dass sie das Zeugnis derjenigen annehmen, welche bekannten, geschlafen zu haben, und doch behaupteten, die Entwendung des Leichnams gesehen zu haben.
1481. Obwohl sonst die Jünger und Apostel die Aussagen der Frauen für Träumereien hielten, so wollten sich doch Petrus und Johannes durch den Augenschein überzeugen und gingen deshalb eilig zum Grab. Ihnen folgten die heiligen Frauen (Joh 20, 3). Der hl. Johannes gelangte zuerst beim Grabmal an, erblickte, ohne einzutreten, vom Eingang aus die vom Grab beiseite gelegten Tücher und wartete die Ankunft des hl. Petrus ab (Joh 20, 4.5). Dieser nun trat zuerst hinein und nach ihm der hl. Johannes, und nun sahen beide dasselbe und überzeugten sich, dass der heilige Leib sich nicht mehr im Grab befinde. Der hl. Johannes sagt, dass er jetzt «glaubte (Joh 20, 8)»: er gelangte nämlich jetzt zur vollen Überzeugung von dem, was er zuvor zu glauben angefangen hatte, als er, wie ich im vorigen Hauptstück berichtete, die Himmelskönigin im Zustand der Verklärung antraf. Beide Apostel kehrten nun wieder zurück, um den übrigen zu berichten, was sie voll Verwunderung im Grab gesehen. Die heiligen Frauen blieben noch am Grab, jedoch außerhalb desselben, und sprachen voll Bewunderung miteinander über das Geschehene. Indes ging Magdalena, welche von größerem Eifer entflammt war und immer noch weinte, abermals ins Grab hinein, um dasselbe zu beschauen. Die Apostel hatten zwar die Engel nicht gesehen, Magdalena aber erblickte sie. Und als sie von ihnen gefragt wurde; «Frau! Warum weinst du?» gab sie zur Antwort: «Weil sie meinen Herrn weggenommen haben und ich nicht weiß, wo sie Ihn hingelegt haben (Joh 20, 13).» Nach dieser Antwort trat sie hinaus in den Garten, in welchem sich das Grab befand, und traf den Herrn, den sie jedoch nicht erkannte, sondern für den Gärtner hielt. Der Heiland richtete an sie ebenfalls die Frage: «Frau ! Warum weinst du, wen suchst du (Joh 20,15) ?» Magdalena, welche den Herrn noch immer nicht erkannte, gab Ihm, als wäre Er der Gärtner, ganz von Liebe hingerissen und ohne weiter auf etwas anderes zu achten, zur Antwort: «Herr! wenn du Ihn weggenommen hast, so sage mir, wo du Ihn hingelegt hast, damit ich Ihn hole und zurückbringe (Joh 20,15) !» Hierauf erwiderte der liebevollste Meister und sprach: «Maria !» Und indem Er sie bei ihrem Namen nannte, gab Er sich ihr durch die Stimme zu erkennen.
1482. Als nun Magdalena erkannte, dass es Jesus sei, erglühte sie ganz von Liebe und Wonne und sprach zu Ihm die Worte: «Mein Meister (Joh 20,16) !» Dann warf sie sich zu seinen Füßen nieder und wollte sie, wie sie schon öfters zu tun gewürdigt worden war, umfangen und küssen. Der Herr aber wehrte ihr dies und sprach: «Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater, zu dem ich nun gehe. Kehre zurück und sage meinen Brüdern, den Aposteln, dass ich hingehe zu meinem Vater und zu ihrem Vater (Joh 17).» Mit Trost und Jubel erfüllt, ging Magdalena sogleich weg und traf in geringer Entfernung die anderen Frauen. Kaum aber hatte sie diesen erzählt, was ihr begegnet sei und wie sie Jesus, den Auferstandenen, gesehen habe, erschien ihnen, während sie noch voll von Verwunderung unter Freudentränen und Äußerungen zärtlicher Liebe dastanden, der Heiland selbst und redete sie also an: «Seid gegrüßt (Mt 28, 9) !» Und alle erkannten Ihn, umfassten, wie der heilige Evangelist Matthäus sagt, seine Füße und beteten Ihn an (Mt 28, 9). Der Herr aber befahl ihnen abermals, zu den Aposteln zu gehen und ihnen zu sagen, sie sollten nach Galiläa gehen; dort würden sie Ihn, den Auferstandenen, sehen. Hierauf verschwand der Herr. Die heiligen Frauen aber kehrten eiligen Schrittes zum Speisesaal zurück und erzählten den Aposteln alles, was ihnen begegnet war. Doch diese wollten ihnen immer noch keinen rechten Glauben schenken. Sodann gingen die Frauen auch zur Himmelskönigin, um ihr über das Vorgefallene Nachricht zu geben. Obwohl Maria in der intellektuellen Vision alles gesehen hatte und alles wusste, so hörte sie doch die heiligen Frauen mit wunderbarer Liebe und Klugheit an, wie wenn sie noch nichts gewusst hätte. Und indem sie ihren Bericht anhörte, nahm sie davon Veranlassung, sie im Glauben an die erhabenen und verborgenen Geheimnisse der Menschwerdung und Erlösung sowie im Glauben an die Heiligen Schriften, weIche von diesen Geheimnissen reden, zu bestärken. Was ihr aber selbst begegnet war, sagte ihnen die heiligste Königin nicht, obwohl sie ebenso die Lehrmeisterin dieser treuen und andächtigen Schülerinnen war, wie der Herr dies für die Apostel war, um sie zum Glauben zurückzuführen.
1483. Wann der Herr dem hl. Petrus erschienen sei, berichten die Evangelisten nicht, obwohl der hl. Lukas die Erscheinung voraussetzt (Lk 24, 34). Er erschien ihm aber, nachdem Er den heiligen Frauen erschienen war. Und weil Petrus das Haupt der Kirche war, so erschien ihm der Herr allein und zwar bevor er den Aposteln insgesamt oder einem aus ihnen besonders erschien. Es geschah am nämlichen Tag, nachdem die Frauen dem hl. Petrus berichtet hatten, dass sie den Herrn gesehen haben. Bald darauf fand auch die von den Evangelisten erzählte und insbesondere vom hl. Lukas (Lk 15 ff) weitläufig beschriebene Erscheinung vor den zwei Jüngern statt, welche an diesem Abend von Jerusalem in den Flecken Emmaus gingen. Emmaus war von Jerusalem 60 Stadien entfernt, was vier palästinische und ungefähr zwei spanische Meilen ausmacht. Einer dieser zwei Jünger hieß Kleophas, der andere war der hl. Lukas selbst. Der Hergang war folgender: Die beiden Jünger verließen Jerusalem, nachdem sie zuvor die Erzählung der heiligen Frauen vernommen hatten. Unterwegs nun setzten sie ihre Unterredung über die Vorgänge beim Leiden ihres Meisters, über seine Heiligkeit und die Grausamkeit der Juden fort. Sie äußerten ihre Verwunderung, wie doch der Allmächtige es zugelassen habe, dass ein so heiliger und unschuldiger Mensch so große Beschimpfungen und Qualen erduldete. «Wann hat man jemals», sagte der eine, «eine solche Sanftmut und Milde gesehen?» «Und an wem», fügte der andere bei, «hat man jemals eine solche Geduld gesehen wie an Ihm. Er hat nicht geklagt ja nicht einmal sein freundliches und würdevolles Antlitz verändert. Seine Lehre war heilig, sein Leben tadellos, seine Worte waren Worte des Heiles, und seine Werke gereichten allen zum Besten. Was mögen doch die Priester an Ihm gefunden haben, dass sie Ihn mit solcher Wut verfolgten?» «Wahrlich», fuhr der andere fort, «Er war in jeder Beziehung wunderbar, und niemand kann in Abrede stellen, dass Er ein großer Prophet war. Er hat so viele Wunder gewirkt, die Blinden sehend, die Kranken gesund gemacht, Tote auferweckt und allen wunderbare Wohltaten gespendet. Aber Er hat gesagt. Er würde am dritten Tage vom Tod auferstehen. Heute ist der dritte Tag und wir sehen seinen Ausspruch noch nicht erfüllt.» Darauf erwiderte der andere: «Er hat auch gesagt, man werde Ihn kreuzigen, und dies ist eingetroffen, wie Er gesagt hat.»
1484. Während sie nun diese und andere Worte wechselten, erschien ihnen Jesus in der Gestalt eines Pilgers (Lk 24,15 ff), als würde Er auf dem Weg auf sie stoßen. Nachdem Er sie begrüßt hatte, redete Er sie also an: «Worüber sprechet ihr, denn ich glaube euch traurig zu sehen?» Hierauf gab Kleophas zur Antwort: «Bist du der einzige Fremdling in Jerusalem, der nicht weiß, was sich in diesen Tagen in der Stadt zugetragen hat (Lk 24,18) ?» Der Herr sprach: «Was ist denn geschehen?» «Weißt du nicht, entgegnete der Jünger, «was die Vorsteher und Priester Jesu dem Nazarener, einem heiligen, in Wort und Tat gar mächtigen Mann getan, wie sie Ihn verurteilt und gekreuzigt haben? Wir hofften, dass derselbe Israel erlösen und von den Toten auferstehen würde. Nun aber ist schon der dritte Tag seit seinem Tod verflossen, und wir wissen nicht, was geschehen ist. Wohl haben uns einige Frauen von den Unsrigen in Erstaunen gesetzt, denn sie waren in aller Frühe am Grab, fanden aber den Leichnam nicht mehr und behaupteten, sie hätten Engel gesehen, welche ihnen sagten, dass Er auferstanden sei. Alsdann gingen auch andere von unseren Freunden zum Grab und fanden die Aussage der Frauen bestätigt. Wir aber gehen nach Emmaus, um dort abzuwarten, welchen Ausgang diese Dinge nehmen werden.» Hierauf antwortete der Herr: «O ihr Unverständigen von langsamer Fassungskraft, wisst ihr denn nicht, dass es so geschehen musste und dass Christus all diese Pein und den schimpflichen Tod erleiden musste, um so in seine Herrlichkeit einzugehen (Lk 18-26 ) ?»
1485. Dann fuhr der göttliche Meister fort, ihnen die Geheimnisse seines Lebens, Leidens und Sterbens, die Er zur Erlösung der Menschen gewirkt hatte, zu erklären. Er begann mit dem vorbildlichen Lamme, welches auf Moses Befehl geopfert und gegessen wurde und mit dessen Blute die Türpfosten bestrichen werden mussten (Ex 12, 7). Er zeigte ihnen, was der Tod des Hohenpriesters Aaron (Num 20, 29) sowie der Tod Samsons, den dieser aus Liebe zu seiner Braut Dalila erduldete, zu bedeuten habe (Rich 16, 30). Auch erklärte Er viele Stellen aus den Psalmen Davids, worin die Ratsversammlung gegen Ihn (Ps 22, 17), sein Tod, die Verteilung seiner Kleider (Ps 22,19) und die Bewahrung seines Leibes vor Verwesung (Ps 16,10) geweissagt war. Ebenso wies Er hin auf die Aussprüche im Buch der Weisheit (Weish 2, 20) und die besonders klaren Prophezeiungen des Jesajas (Jes 53) und des Jeremias (Jer 11,19) über sein Leiden, dass Er nämlich als ein vom Aussatz Entstellter, als ein Mann der Schmerzen erscheinen, dass Er gleich einem Lamm zur Schlachtbank geführt und seinen Mund nicht öffnen werde. Auch auf Zacharias (Sach 13, 6) wies Er hin, der Ihn mit vielen Wunden durchbohrt geschaut hatte. Endlich brachte Er noch andere Stellen aus den Propheten vor, worin deutlich von den Geheimnissen seines Lebens und Sterbens die Rede ist. Durch die Kraft dieser Reden gelangten die Jünger allmählich wieder zum Feuer der Liebe und zum Lichte des Glaubens, das in ihnen verdunkelt war. Als sie nun nahe zum Flecken Emmaus kamen, gab ihnen der göttliche Meister zu verstehen, dass Er seine Reise noch weiter fortsetzen wolle. Sie aber baten Ihn dringend, Er möge bei ihnen bleiben, weil es schon Abend sei. Der Herr entsprach ihrer Bitte und Einladung, und so legten sie sich dem Gebrauche der Juden gemäß zu Tisch, um zu Abend zu speisen. Alsdann nahm der Herr das Brot, segnete es, wie Er dies auch sonst zu tun pflegte, und reichte es ihnen. Und mit Darreichung des gesegneten Brotes verlieh Er ihnen zugleich die unfehlbare Gewissheit, dass Er ihr Erlöser und Lehrmeister sei.
1486. Nun erkannten sie Ihn, weil Er ihnen die Augen des Geistes geöffnet hatte. Aber im nämlichen Augenblick, wo Er sie erleuchtet hatte, verschwand Er ihren leiblichen Augen, so dass sie Ihn für jetzt nicht mehr sahen. Sie waren aber von Verwunderung und Freude erfüllt und sprachen zueinander von dem Liebesfeuer, welches sie unterwegs empfunden hatten, als ihr Meister mit ihnen sprach und ihnen die Schrift erklärte. Hierauf kehrten sie ohne Verzug noch bei Nacht nach Jerusalem zurück (Lk 24, 33). Sie gingen in das Haus, in welchem sich die übrigen Apostel aus Furcht vor den Juden verborgen hielten, und fanden hier dieselben, wie sie sich gerade über die Nachrichten besprachen, dass der Heiland von den Toten auferstanden und dem hl. Petrus erschienen sei. Dazu kamen nun auch die beiden Jünger mit ihrer Erzählung all dessen, was ihnen auf dem Weg begegnet war und wie sie den Herrn im Flecken Emmaus am Brotbrechen erkannt hätten. Unter den Anwesenden war auch der hl. Thomas. Dieser hörte, was die beiden Jünger erzählten, und vernahm, wie auch der hl. Petrus ihre Erzählung durch die Versicherung bestätigte, er habe gleichfalls seinen auferstandenen Meister gesehen. Allein trotzdem verharrte Thomas bei seinem Unglauben und seiner Zweifelsucht und verwarf das Zeugnis der drei Jünger ebenso wie das der Frauen. Ja, er ging mit einem gewissen Unwillen, der Folge seines Unglaubens, weg und trennte sich von der Gesellschaft der übrigen. Kurz nach dem Fortgehen des Thomas trat der Herr durch die verschlossenen Türen ein und erschien den übrigen Jüngern. Mitten unter ihnen stehend, redete Er sie mit den Worten an: «Der Friede sei mit euch; ich bin es, fürchtet euch nicht (Lk 24, 36) !»
1487. Infolge dieser ganz unerwarteten Erscheinung gerieten die Apostel in Schrecken, indem sie fürchteten, es möchte das, was sie sahen, ein Geist oder ein Gespenst sein. Deshalb sprach der Herr zu ihnen: «Warum seid ihr erschrocken, und warum steigen allerlei Gedanken in euch auf ? Seht meine Hände und Füße und erkennt, dass ich euer Meister bin. Berühret mit euren Händen meinen wahren Leib, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht dass ich habe (Lk 24, 38.39).» Die Apostel standen so erstaunt und betroffen da, dass sie, obwohl sie die verwundeten Hände des Heilandes sahen und betasteten, immer noch nicht vollkommen glauben konnten, dass Er es sei, mit dem sie sprachen und den sie berührten. Um sie noch mehr zu überzeugen, sprach daher der liebreiche Meister zu ihnen: «Gebt mir zu essen, wenn ihr etwas zur Hand habt (Lk 24, 42).» Voll Freude boten sie Ihm nun ein Stück von einem gebratenen Fisch und einen Honigkuchen dar. Er aß einen Teil und verteilte den Rest an sie alle, indem Er sprach: «Wisset ihr nicht, dass alles, was an mir geschehen ist eben das ist, was im Gesetze des Mose, in den Propheten, in den Psalmen und überhaupt in den Heiligen Schriften von mir geschrieben steht und dass alles so, wie es vorhergesagt ist, erfüllt werden musste (Lk 24, 44) ?» Durch diese Worte erschloss Er ihnen den Sinn der Heiligen Schrift. Nun erkannten sie Ihn und verstanden, dass die Schriften von seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung am dritten Tag sprechen. Nachdem Er sie auf diese Weise erleuchtet hatte, sprach Er abermals zu ihnen: «Der Friede sei mit euch. Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich auch euch, auf dass ihr die Welt in der Wahrheit, in der Erkenntnis Gottes und des ewigen Lebens unterrichtet und in meinem Namen Buße und Vergebung der Sünden predigt (Joh 20, 21).» Dann hauchte Er sie mit seinem göttlichen Atem an und fuhr fort: «Empfangt den Heiligen Geist, damit die Sünden, welche ihr vergebt, vergeben seien, und jene, welche ihr nicht vergebt, auch nicht vergeben seien. Predigt allen Völkern, indem ihr in Jerusalem den Anfang macht (Joh 20, 22; Lk 24, 47).» Darauf verschwand der Herr. Die Apostel aber waren getröstet, im Glauben bestärkt und mit der Gewalt der Sündenvergebung ausgerüstet, einer Gewalt, welche überhaupt allen Priestern verliehen ist.
1488. Wie bemerkt wurde, geschah dies, ohne dass der heilige Thomas zugegen war. Indes kehrte Thomas durch Fügung des Herrn bald wieder in die Versammlung zurück, von der er sich entfernt hatte. Und nun erzählten ihm die Apostel, was sich während seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Obwohl er aber sie infolge der empfangenen besonderen Tröstung ganz umgewandelt sah, so blieb er dennoch ungläubig und hartnäckig, indem er erklärte, er werde ihrer Versicherung keinen Glauben schenken, wenn er nicht zuvor mit eigenen Augen die Wunden sehe und mit seiner Hand und seinen Fingern die Wunde an der Seite und die übrigen Wunden berühre. In dieser Hartnäckigkeit verharrte der ungläubige Thomas volle acht Tage, bis nach deren Ablauf der Herr abermals bei verschlossenen Türen mitten unter den Aposteln erschien, in Gegenwart des Thomas. Der Herr grüßte sie, wie gewöhnlich, mit den Worten: «Der Friede sei mit euch !» Hierauf redete Er den Thomas an, wies ihn auf sanfte und liebevolle Weise zurecht und sprach zu ihm: «Thomas, reiche deine Hände her, und berühre die Male meiner Hände und das Mal meiner Seite, und sei nun nicht mehr ungläubig, sondern demütig und gläubig.» Thomas berührte nun die heiligen Wundmale und wurde innerlich erleuchtet, so dass er glaubte und seine Torheit erkannte. Dann warf er sich zur Erde nieder und sprach: «Mein Herr und mein Gott!» Der Herr aber erwiderte ihm: «Thomas, weil du mich gesehen hast, darum glaubst du. Aber selig werden sein, die mich nicht sehen und dennoch glauben werden (Joh 20, 25-29).» Darauf verschwand der Herr, während Thomas und die übrigen Apostel von Lust und Freude ganz erfüllt waren. Dann begaben sich alle zur heiligsten Jungfrau Maria, um ihr über das Vorgefallene Bericht zu erstatten, wie sie dies schon bei der ersten Erscheinung getan hatten.
1489. Die Apostel wussten damals noch nichts von der hohen Weisheit der Himmelskönigin, und noch weniger wussten sie, dass sie von allem, was ihnen begegnete und was ihr heiligster Sohn tat, Kenntnis besaß. Darum brachten sie ihr immer von allem, was vorfiel, Nachricht. U. L. Frau aber hörte sie mit der höchsten Klugheit und mit der Sanftmut einer Mutter und Königin an. Einige Apostel hatten ihr nach der ersten Erscheinung des Herrn auch von der Hartnäckigkeit des Thomas Nachricht gebracht und gesagt, dass er allen miteinander nicht glauben wolle, obwohl sie ihm versichert hätten, ihren auferstandenen Meister gesehen zu haben. Da nun Thomas acht Tage lang in seiner Ungläubigkeit verharrte, so steigerte sich in einigen Aposteln der Unwille gegen ihn mehr und mehr. Sie gingen zur großen Herrin und klagten über ihn als über einen strafbaren, hartnäckigen, eigensinnigen, rohen und verblendeten Menschen. Die mitleidige Herrin hörte sie mit ruhigem Herzen an. Als sie aber wahrnahm, dass der Unwille der Apostel, obwohl sie alle selbst voll Unvollkommenheiten waren, immer mehr zunahm, so redete sie die besonders Erbitterten an und besänftigte sie, indem sie sagte, die Gerichte des Herrn seien sehr verborgen. Der Herr werde aus dem Unglauben des Thomas große Vorteile für andere, für sich selbst aber Ehre zu ziehen wissen. Sie sollten also abwarten und sich nicht so schnell erbittern lassen. Unterdessen verrichtete die göttliche Mutter ganz feurige Gebete und Fürbitten für Thomas; und um ihretwillen beschleunigte der Herr die Hilfe und rettete den ungläubigen Apostel. Als dieser sodann in sich ging und alle ihrer Lehrmeisterin und Herrin davon Nachricht gaben, bestärkte Maria die Apostel in ihrem Glauben, ermahnte sie und wies sie zurecht. Auch trug sie ihnen auf, dass sie dem Allerhöchsten im Verein mit ihr für diese Wohltat danken und dass alle standhaft in den Versuchungen aushalten sollten, denn alle seien der Gefahr des Falles ausgesetzt. Auch noch manches andere sprach sie auf liebevolle Weise zur Zurechtweisung, Belehrung, Warnung und Unterweisung der Apostel und bereitete sie dadurch vor auf die Mühsale, welche bei Gründung der Kirche des Neuen Bundes ihrer noch warteten.
1490. Wie der heilige Evangelist Johannes (Joh 20, 30) andeutet, fanden noch mehrere andere Erscheinungen und Wunderzeichen von Seiten unseres Herrn statt, denn es sind bloß jene aufgeschrieben worden, welche zur Beglaubigung seiner Auferstehung hinreichen. Derselbe Evangelist beschreibt, wie der Herr am See Tiberias (Joh 21,1-8) dem hl. Petrus, Thomas, Nathanael, den Söhnen des Zebedäus und zwei anderen Jüngern erschien. Weil diese Erscheinung so viele Geheimnisse enthält, so glaubte ich sie in diesem Hauptstück nicht unerwähnt lassen zu dürfen. Der Hergang war folgender: Nachdem die beschriebenen Ereignisse in Jerusalem geschehen waren, gingen die Apostel nach Galiläa, denn so hatte es ihnen der Herr befohlen mit dem Versprechen, dass sie Ihn dort sehen würden. Als nun die genannten sieben Apostel und Jünger einmal am See Tiberias standen, sagte der hl. Petrus zu ihnen, er wolle, um sich zu beschäftigen, auf den Fischfang gehen, er verstand sich nämlich auf dieses Geschäft, da er ein Fischer war. Alle anderen gingen mit ihm und brachten die ganze Nacht mit dem Auswerfen der Netze zu, fingen aber keinen einzigen Fisch. Des Morgens in der Frühe nun erschien ihnen unser Erlöser Jesus Christus am Ufer, ohne sich zu erkennen zu geben. Der Herr stand nahe bei dem Schiff, auf dem sie fischten, und fragte sie: «Habt ihr etwas zu essen?» Sie erwiderten: «Wir haben nichts !» Hierauf sprach der Heiland: «Werft das Netz zur Rechten des Schiffes aus, so werdet ihr Fische fangen.» Sie taten so, und das Netz füllte sich mit so vielen Fischen, dass sie es nicht an sich zu ziehen vermochten. Da erkannte der hl. Johannes infolge dieses Wunders, dass es der Heiland sei und wandte sich deshalb zu Petrus mit den Worten: «Der Herr ist es, der vom Ufer aus mit uns spricht.» Auf diese Bemerkung hin erkannte Ihn auch der hl. Petrus, von seinem gewohnten Eifer ganz hingerissen, bekleidete sich dieser eiligst mit seinem Rock, den er abgelegt hatte, stürzte sich ins Meer und ging durch das Wasser bis an den Ort, wo der Lehrmeister des Lebens sich befand. Die übrigen aber fuhren auf ihrem Schiff ans Ufer.
1491. Als sie ans Land gestiegen waren, fanden sie, dass der Herr die Mahlzeit für sie schon bereitet hatte, denn sie sahen Licht, Brot und einen Tisch über dem Kohlenfeuer. Der Heiland befahl ihnen, die gefangenen Fische ans Land zu ziehen und als Petrus das Netz heranzog, fand er, dass 153 Fische darin waren und dass das Netz trotz dieser großen Anzahl nicht zerrissen sei. Nun befahl ihnen der Herr, zu essen. Aber so vertraut und liebreich Er auch mit ihnen umging, so getraute sich doch keiner, Ihn zu fragen, wer Er sei, denn die Wunder und sein würdevolles Aussehen erfüllten sie mit großer Ehrfurcht gegen Ihn. Dann teilte der Herr die Fische und das Brot unter sie aus. Als sie aber mit der Mahlzeit zu Ende waren, wandte Er sich zu Petrus und sprach zu ihm: «Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese hier?» Der hl. Petrus antwortete: du, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.» Dann sprach der Herr: «Weide meine Lämmer.» Sodann fragte Er ihn zum zweiten Mal: «Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?» Und Petrus gab dieselbe Antwort: «Herr, du weißt, dass ich dich liebe.» Und zum dritten Mal stellte der Herr die nämliche Frage: «Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?» Auf diese dritte Frage hin wurde der hl. Petrus traurig und antwortete: «Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe.» Da erwiderte ihm unser Herr Jesus Christus zum dritten Mal und sprach: «Weide meine Schafe (Joh 21, 9-17) !» Damit nun machte Er ihn zum alleinigen Oberhaupt seiner einen und allgemeinen Kirche und übertrug ihm als seinem Stellvertreter die höchste Autorität über alle Menschen. Aus diesem Grund hatte Er ihn so oft über seine Liebe zu ihm befragt, indem Er damit andeutete, dass die Liebe allein ihn zu dieser höchsten Würde befähige und dass sie allein genüge, um diese Würde in gebührender Weise zu bekleiden.
1492. Hierauf deutete der Herr dem hl. Petrus die Last des ihm übertragenen Amtes an, indem Er sprach: «Wahrlich sage ich dir, wenn du alt geworden bist, wirst du dich nicht umgürten, wie damals, wo du noch jung warst. Du wirst nicht mehr hingehen können, wohin du willst, denn ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.» Der hl. Petrus verstand, dass ihm der Herr mit diesen Worten den Kreuzestod in Aussicht stellte, durch den er seinem Meister ähnlich werden sollte. Weil er aber den hl. Johannes so innig liebte und deshalb zu erfahren wünschte, wie es diesem ergehen würde, so fragte er den Herrn: «Was gedenkst du mit diesem deinem vielgeliebten Jünger zu tun?» Und der Heiland gab ihm zur Antwort: «Was geht es dich an, dieses zu wissen? Wenn ich will, dass er hier bleibe, bis ich wiederum in die Welt komme, so liegt dies in meiner Hand. Folge du mir nach und kümmere dich nicht um das, was ich mit ihm tun will (vgl. Joh 21,18-23) !» Infolge dieser Reden verbreitete sich unter den Aposteln das Gerücht, dass der hl. Johannes nicht sterben werde. Allein der Evangelist bemerkt selbst, Christus habe nicht gesagt, dass er wirklich nicht sterben werde, wie dies auch aus den angeführten Worten hervorgeht. Vielmehr scheint es, dass er seinen Willen hinsichtlich des Todes des Evangelisten absichtlich nicht kundgab, sondern ihn damals noch als Geheimnis für sich bewahrte.
Von allen diesen Geheimnissen und Erscheinungen hatte die heiligste Mutter Maria durch die öfters schon erwähnte innere Anschauung die klarste Erkenntnis. Als das Archiv der Werke des Herrn und die Schatzmeisterin seiner Geheimnisse in der Kirche bewahrte und erwog sie sie in ihrem keuschesten und weisesten Herzen. Sodann erstatteten ihr auch die Apostel und insbesondere ihr neuer Sohn, der hl. Johannes, über alle vorkommenden Ereignisse Bericht. Die große Herrin verweilte aber die vierzig Tage nach der Auferstehung des Herrn ununterbrochen in ihrer Einsamkeit. Hier erfreute sie sich des Anblickes ihres heiligsten Sohnes sowie der Heiligen und der Engel. Die letzteren sangen zum Lob des Herrn die Hymnen und Lieder, welche die liebevollste Mutter hierzu verfasst hatte. Denn die Engel beeiferten sich, diese Loblieder aus dem Munde ihrer Königin zu vernehmen, um damit den siegreichen König und Herrn der Heerscharen zu verherrlichen und zu lobpreisen.
LEHRE, welche mir die heiligste Königin Maria gegeben hat
1493. Meine Tochter, die Lehre, welche ich dir zu diesem Hauptstück gebe, wird dir zugleich den gewünschten Aufschluss darüber geben, warum mein heiligster Sohn das eine Mal als Pilger, das andere Mal als Gärtner erschienen ist, und warum Er sich nicht immer schon auf den ersten Anblick zu erkennen gab. Wisse also, meine Tochter: Die heiligen Frauen und die Apostel waren zwar Schüler des Herrn und schon damals besser und vollkommener als alle übrigen Menschen auf Erden. Gleichwohl waren sie an Vollkommenheit und Heiligkeit noch Kinder und in der Schule eines solchen Lehrmeisters noch nicht so weit voran geschritten, wie sie es hätten sein sollen. Sie waren noch schwach im Glauben, zeigten noch zu wenig Festigkeit in den anderen Tugenden und zu geringen Eifer für das, was ihr Beruf und die vom Herrn empfangenen Wohltaten verlangten. Nun aber wiegen an Seelen, welche mit Gunsterweisungen überhäuft und zur Freundschaft und zum vertrauten Umgang mit Gott auserwählt sind, selbst geringere Fehler in den Augen der höchsten Gerechtigkeit schwerer als manche grobe Vergehen bei anderen Seelen, die zu einer solchen Gnade nicht berufen sind. Um dieser Gründe willen waren die Apostel und heiligen Frauen, obwohl sie die Freundschaft des Herrn besaßen, wegen ihrer Fehler und wegen der Trägheit, Lauheit und Mattigkeit ihrer Liebe nicht so vorbereitet, dass der göttliche Meister ihnen ohne weiteres die himmlischen Wirkungen seiner Erkenntnis und Gegenwart hätte mitteilen können. Er redete sie in seinem väterlichen Wohlwollen zuerst an, bevor Er sich ihnen offenbarte, und disponierte sie so durch Worte des Lebens, welche ihnen Licht und Gnade einflößten. Hatte Er aber in ihren Herzen den Glauben und die Liebe wieder angefacht, dann gab Er sich ihnen zu erkennen und teilte ihnen vom Überfluss seiner Gottheit, welche sie fühlten, und andere wunderbare Gaben und Gnaden mit, wodurch sie erneuert und über sich selbst erhoben wurden. Hatten sie dann diese Gunstbezeigungen zu kosten begonnen, so verschwand Er wieder ihren Blicken, damit sie abermals und mit größerem Verlangen nach seiner Mitteilung und seinem süßesten Umgang sich sehnen möchten. Darin nun liegt das Geheimnis, dass Er der Magdalena, den Aposteln und Jüngern auf dem Weg nach Emmaus unter einer fremden Gestalt sich zeigte. Und dasselbe tut Er im entsprechenden Verhältnisse auch an vielen anderen Seelen, die Er zu seinem vertrauten Umgang auserwählt.
1494. Diese wunderbare Anordnung der göttlichen Vorsehung wird dir zur Belehrung, aber auch zur Zurechtweisung dienen, wegen der Ungläubigkeit, mit welcher du die außerordentlichen Gnaden, die du aus der mildesten Hand meines göttlichen Sohnes empfängst, schon so oft in Zweifel gezogen hast. Es ist nun endlich einmal Zeit, dass du die Ängste, mit denen du dich immer abgehärmt hast, mäßigst, damit deine Demut nicht in Undank und deine Zweifelssucht nicht in Halsstarrigkeit ausarte und du nicht trägen Herzens werdest, jenen Gaben Glauben zu schenken. Ferner wird es für dich sehr lehrreich sein, aufmerksam zu erwägen, wie der Allerhöchste in seiner unermesslichen Liebe den Demütigen und Zerknirschten so schnell zu Hilfe kommt und wie Er allen nahe ist, welche in sehnsuchtsvoller Liebe Ihn suchen, sowie auch denjenigen, welche sein Leiden und Sterben betrachten oder davon sprechen. Alles dies siehst du an Petrus, an Magdalena und an den Jüngern. Ahme darum, meine Tochter, den Eifer der Magdalena nach, die ihren Lehrmeister aufsuchte und nicht einmal bei den Engeln verweilte, sich nicht mit den anderen vom Grabe entfernte und keinen Augenblick ruhte, bis sie Ihn, den liebevollen und süßen Herrn, wieder gefunden hatte. Diese Gnade wurde ihr aber auch deshalb zuteil, weil sie während des ganzen Leidens Christi mit liebeglühendem Herzen mir zur Seite gestanden war. Dies hatten auch die anderen heiligen Frauen getan, und dadurch verdienten sie, die ersten zu sein, welche durch die Auferstehung erfreut wurden. Nach diesen gelangte die Demut und Reue, womit der hl. Petrus seine Verleugnung beweinte, zu diesem Glücke (Mt 26, 75), denn alsbald ward der Herr geneigt, ihn zu trösten und den heiligen Frauen aufzutragen, dass sie Ihm im besonderen Nachricht von seiner Auferstehung geben sollten, Hierauf erschien ihm der Herr selbst, bestärkte ihn im Glauben und erfüllte ihn mit Wonne und Gnadengaben. Auch den beiden Jüngern von Emmaus erschien der Herr, wiewohl sie noch zweifelten, früher als anderen, einzig deswegen, weil sie in mitleidsvoller Liebe von seinem Leiden und Sterben redeten. Ich versichere dich, meine Tochter, jedes gute Werk, das ein Mensch in guter Meinung und mit aufrichtigem Herzen verrichtet, wird von Gott unverzüglich und großartig belohnt. Schneller, als das Feuer in seiner Lebendigkeit dürres Werg entzündet, schneller, als der Stein, wenn ihn nichts hindert, dem Mittelpunkt der Erde zufliegt, heftiger und gewaltiger, als das Meer dahin wogt, strömt die Gnade und Liebe des Allerhöchsten in die Seelen ein, wenn sie sich dazu vorbereiten und ihre Sünden, welche die göttliche Liebe gewaltsam aufhalten, entfernen. Es ist dies eine Wahrheit, welche die Seligen des Himmels in ganz besonderer Weise mit Bewunderung erfüllt, denn ihnen ist diese Wahrheit offenbar. Lobpreise darum den Herrn um dieser seiner unendlichen Güte willen! Lobpreise Ihn, weil Er in seiner Güte selbst aus den Übeln großartige Güter hervorgehen lässt, wie er beim Unglauben der Apostel getan hat. Durch sein Verhalten gegen die Apostel hat der Herr das Attribut seiner Barmherzigkeit offenbart. Er hat seiner eigenen Auferstehung bei allen Menschen größere Glaubwürdigkeit verschafft. Er hat die Kraft der Sündenvergebung und seine Milde in hellstem Licht gezeigt. Alles dieses hat der Herr dadurch erreicht, dass Er den Aposteln Verzeihung gewährte, ihre Sünden gleichsam vergaß, ihnen nachging und sich ihnen zeigte. Er hat es erreicht, indem Er wie ein liebevoller Vater sich zu ihnen herabließ und ihnen in ihrer Hilflosigkeit und Schwachgläubigkeit Licht und Lehre spendete.
ACHTUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Ereignise während der vierzig Tage nach der Auferstehung
Einige verborgene Geheimnisse, welche nach der Auferstehung des Herrn an der heiligsten Jungfrau Maria vor sich gingen. Es wird ihr der Titel einer Mutter und Königin der Kirche verliehen. Die Erscheinung Christi vor und bei der Himmelfahrt.
1495. Im ganzen Verlauf dieser heiligen Geschichte hat mich die Menge und Größe der Geheimnisse wortarm gemacht. Denn was dem Verstand im göttlichen Licht gezeigt wird, ist sehr viel. Dagegen ist es nur wenig, was die Worte auszudrücken vermögen. Dieses Missverhältnis und diese Mangelhaftigkeit hat mir stets große Pein verursacht. Denn die Erkenntnis ist reichhaltig, das Wort aber unfruchtbar, und darum entspricht das, was die Worte ausdrücken, nicht dem reichen Inhalt der Begriffe. Ich bin deshalb wegen der gewählten Ausdrücke immer in Besorgnis und mit dem, was ich sage, ganz unzufrieden, weil alles zu wenig ist. Ich vermag aber diesen Mangel nicht zu ergänzen und das Missverhältnis zwischen dem was ich sage, und dem was ich im Geiste erfasse, nicht auszugleichen. In einem solchen Zustand befinde ich mich auch jetzt, da ich das beschreiben will, was mir über die verborgenen und hocherhabenen Geheimnisse mitgeteilt wurde, deren U. L. Frau während der 40 Tage von der Auferstehung ihres Sohnes und unsers Erlösers, bis zu seiner Himmelfahrt gewürdigt wurde. Der Zustand, in welchen die göttliche Allmacht sie nach dem Leiden und der Auferstehung versetzte, war ganz außerordentlich und sehr erhaben, ihre Werke waren mehr verborgen, und die Gnadenerweisungen waren ihrer höchsterhabenen Heiligkeit und dem Willen dessen angemessen, der dieselben spendete. Denn dies bildet den Massstab, um sie zu bemessen. Sollte ich alles, was mir hierüber mitgeteilt wurde, zu Papier bringen, so müsste ich diese Geschichte auf zahlreiche Bände ausdehnen. Indes lässt sich aus dem, was ich sagen werde, wenigstens etwas von diesen göttlichen Geheimnissen zur Ehre unserer großen Königin und Herrin erkennen.
1496. Ich habe bereits zu Anfang des vorigen Hauptstückes gesagt, dass der göttliche Heiland während der vierzig Tage nach seiner Auferstehung im Speisesaal bei seiner heiligsten Mutter verweilte, wenn Er sich nicht entfernte, um da oder dort zu erscheinen, worauf Er aber wieder zu ihr zurückkehrte. Es kann sich aber jedermann, der ein gesundes Urteil besitzt, wohl denken, dass die beiden Herren der Welt zur Zeit ihres Beisammenseins sich mit so göttlichen und wunderbaren Werken beschäftigten, dass sie jede menschliche Vorstellung übersteigen. Was mir über diese Geheimnisse mitgeteilt wurde, ist unaussprechlich. Denn viele Zeit brachten sie in überaus süßen, mit unvergleichlicher Weisheit geführten Unterredungen zu, welche der liebevollsten Mutter eine Art von Wonne bereiteten, welche zwar unter der beseligenden Anschauung stand, aber doch jede Freude und jede Tröstung übertraf, die man sich vorstellen kann. Zu anderen Zeiten war die große Königin mit den Patriarchen und Heiligen, welche im Zustand der Verklärung um sie versammelt waren, damit beschäftigt. den Allerhöchsten zu loben und zu verherrlichen. Die heiligste Jungfrau kannte und wusste alle Werke und Verdienste dieser Heiligen, die Wohltaten, Gnadenerweise und Gaben, welche ein jeder von ihnen aus der Rechten des Allmächtigen empfangen hatte, sowie auch die den Altvätern mitgeteilten Geheimnisse, Vorbilder und Weissagungen. Alles stand so klar und lebendig vor ihrem Geist, an alles dachte sie auf eine Weise, dass kein Mensch imstande wäre, mit solcher Leichtigkeit ein Ave Maria zu beten. Die weiseste Herrin erwog die mächtigen Beweggründe, welche alle jene Heiligen zum Preis und Lob des Urhebers aller Güter aufforderten. Und wenn auch die durch die beseligende Anschauung verherrlichten Heiligen dieses allezeit taten und tun, so erklärte ihnen doch die heiligste Königin in ihren Unterredungen, wie es ihr Wunsch sei, dass sie für alle jene Wohltaten und Werke des Herrn, welche sie an ihnen erblickte, insgesamt mit ihr ihn verherrlichen und lobpreisen.
1497. Jener ganze ehrwürdige Chor von Heiligen stimmte bereitwillig der Einladung der Königin bei. In aller Ordnung begannen sie diese heilige Übung und setzten sie fort, und zwar so, dass die Heiligen miteinander einen Chor bildeten und jeder einzelne von den Seligen einen Vers sprach, die Mutter der Weisheit aber mit einem anderen Verse antwortete. Und indem sie so diese lieblichen Wechselgesänge fortsetzten, sprach die große Herrin für sich allein ebenso viele Lobpreise als alle Heiligen miteinander samt den Engeln, die gleichfalls an diesen «neuen Lobliedern», welche für sie ebenso wie für die Heiligen wunderbar waren, sich beteiligten. Denn durch die Weisheit und das Ehrfurcht einflößende Wesen, welches die himmlische Fürstin im sterblichen Fleisch an den Tag legte, übertraf sie alle, welche frei von demselben der beseligenden Anschauung sich erfreuten. Indes entzieht sich alles, was U. L. Frau während dieser Tage verrichtete, der Fassungskraft und Beurteilung der Menschen. Die erhabenen Betrachtungen und Erwägungen ihrer himmlischen Weisheit waren ihrer treuesten Liebe ganz würdig, denn weil sie erkannte, dass ihr heiligster Sohn vorzüglich deshalb noch auf der Welt verweile, um bei ihr zu sein und sie zu trösten, so beschloss sie, Ihm diese Liebe auf alle ihr mögliche Weise zu vergelten. Und deshalb traf sie Anstalten, dass dem Herrn jene unausgesetzten Lobeserhebungen, welche Ihm die Heiligen im Himmel darbringen, auch auf Erden nicht mangelten. Und indem sie zu dieser Verehrung und Lobpreisung ihres Sohnes mitwirkte, verlieh sie ihr den höchsten Wert und machte aus dem Abendmahlshaus einen Himmel.
1498. Auf diese Übungen verwendete Maria den größten Teil jener vierzig Tage, so dass während dieser Zeit mehr Loblieder und Hymnen gemacht wurden, als alle Heiligen und Propheten uns je hinterlassen haben. Bisweilen wurden auch die Psalmen Davids und die Weissagungen der Heiligen Schrift eingefügt, wobei die so tiefen und göttlichen Geheimnisse derselben erklärt und gleichsam gezeigt wurden. Auch bedeuteten die heiligen Väter, welche sie ausgesprochen und geweissagt hatten, ganz besonders auf unsere große Herrin hin, indem sie jene Gaben und Gnadenerweise erkannten, die sie von der Rechten Gottes damals empfingen, als ihnen diese so großen und ehrwürdigen Geheimnisse offenbart wurden. Überaus wunderbar war die Freude, welche Maria empfand, so oft sie ihrer heiligsten Mutter, ihrem heiligsten Vater Joachim, dem heiligen Joseph, dem Täufer und den großen Patriarchen bei diesen Wechselgesängen respondierte. Kurz, man kann sich im sterblichen Fleisch keinen anderen Zustand denken, der so unmittelbar nahe an die beseligende Anschauung grenzt wie jener, in dem unsere große Königin und Herrin sich damals befand.
Noch ein anderes großes Wunder geschah während jener Zeit. Es bestand darin, dass die Seelen der Gerechten, welche während jener vierzig Tage im Stand der Gnade dahinschieden, insgesamt in den Speisesaal kamen. Jene, welche nichts mehr abzubüßen hatten, gingen hier sogleich in die Seligkeit ein. Jene aber, welche noch ins Fegfeuer kommen sollten, mussten, ohne den Herrn zu sehen, im Speisesaal warten, die einen drei, andere fünf, wieder andere noch mehrere oder weniger Tage. Während dieser Zeit leistete die Mutter der Barmherzigkeit für sie Genugtuung durch Kniebeugungen, Niederwerfen auf die Erde oder sonstige Bußwerke, ganz besonders aber durch ihre überaus glühende Liebe und das Wohlwollen, womit sie für dieselben betete und ihnen die unendlichen Verdienste ihres Sohnes zur Genugtuung zuwendete. Durch diese Hilfeleistung kürzte sie ihre Strafzeit ab und entschädigte sie gewissermaßen für die Pein, die ihnen die Entbehrung der Anschauung des Herrn verursachte; die Pein der Sinne aber hatten sie gar nicht zu leiden. So wurden sie bald beseligt und in den Chor der Heiligen eingereiht. Und so oft einer aus ihnen in den Chor der Heiligen versetzt wurde, brachte die große Königin dem Herrn neue, überaus erhabene Lobgesänge dar. (Wie die Postulatores causae Beatific. bemerken, ist es eine von den Gottesgelehrten anerkannte Tatsache, dass manche abgeschiedenen Seelen auf Erden, nicht im eigentlichen Fegfeuer ihre zeitlichen Strafen abbüßen müssen. Man lese hierüber die Dialoge des hl. Gregor des Großen [liber III. c. 40] und die Lebensgeschichten mancher Heiligen. Cfr. S. Thom. In 4. d. 24. q. 1. a. 5. Dass die heiligste Jungfrau Maria den Armen Seelen besonders wirksame und schnelle Hilfe bringt, kann auch nicht bezweifelt werden. Man denke nur an das Privilegium Sabbatinum des Skapuliers vom Berge Karmel und an das, was im römischen Brevier hierüber in den Lektionen der 2. Nokturn [16. Juli] gesagt wird, oder was der hl. Alfons von Liguori in seinen «Herrlichkeiten Mariä» anführt. [1. Teil 8. Kap. § 2.] Der Herausgeber).
1499. Indessen vergaß die huldvolle Mutter bei diesen Übungen und bei der Wonne, welche sie in so unaussprechlicher Fülle genoss, keineswegs das Elend und die Armut der Kinder Evas, die von der Glorie noch ausgeschlossen sind. Im Gegenteil, als Mutter der Barmherzigkeit richtete sie ihre Augen auf den Zustand der Sterblichen und verrichtete für sie alle die feurigsten Gebete. Sie flehte zum ewigen Vater. Er möge das Gesetz der Gnade auf der ganzen Welt verbreiten, die Kinder der Kirche vermehren, die Kirche verteidigen und beschützen und den Preis der Erlösung für alle wirksam werden lassen. Was den tatsächlichen Erfolg betrifft, so waren diese Bitten Mariä zwar den ewigen Ratschlüssen des göttlichen Wissens und Wollens untergeordnet. Soweit es aber auf die Sehnsucht der liebevollsten Mutter ankam, so würde sich die Frucht der Erlösung auf alle Menschen erstreckt haben, denn allen wünschte sie das ewige Leben. Außer den Bitten, die sie für das Menschengeschlecht im großen und ganzen verrichtete, brachte die Himmelskönigin in ganz besonderer Weise Bitten für die Apostel dar, und unter diesen vorzugsweise für den hl. Johannes und den hl. Petrus, weil sie in dem einen ihren Sohn und in dem andern das Oberhaupt der Kirche erblickte. Desgleichen flehte sie auch für Magdalena, die heiligen Frauen und für alle übrigen Gläubigen, welche damals zur Kirche gehörten sowie für die Erhöhung des Glaubens und des Namens Jesu, ihres heiligsten Sohnes.
1500. Wenige Tage nun vor der Himmelfahrt des Herrn, während seine heiligste Mutter mit einer der genannten Übungen im Speisesaal beschäftigt war, erschien der ewige Vater und der Heilige Geist auf einem unaussprechlich schönen, strahlenden Thron über den Chören der anwesenden Engel und Heiligen und anderer Geister, welche die göttlichen Personen in außergewöhnlicher Weise begleiteten. Alsbald erhob sich auch die Person des menschgewordenen Wortes zu den beiden anderen göttlichen Personen auf den Thron. Die allzeit demütige Mutter des Allerhöchsten aber zog sich in eine Ecke zurück, warf sich zur Erde nieder und betete in tiefster Ehrfurcht die heiligste Dreieinigkeit an und in ihr ihren menschgewordenen Sohn. Sodann befahl der ewige Vater zweien von den höchsten Engeln, die heiligste Jungfrau Maria herbeizurufen. Augenblicklich vollzogen diese den Befehl und teilten ihr mit überaus lieblicher Stimme den göttlichen Willen mit. Mit tiefer Demut, Bescheidenheit und Ehrfurcht erhob sich alsdann Maria vom Staub und begab sich, von den Engeln begleitet, zu den Stufen den Thrones, wo sie abermals sich niederwarf. Da sprach der ewige Vater zu ihr: «Freundin, steige höher herauf !» Und weil diese Worte auch bewirkten, was sie ausdrückten, so ward sie durch göttliche Kraft erhoben und neben die drei göttlichen Personen auf den Thron der Königlichen Majestät gesetzt. Bei den Heiligen erregte dies neues Erstaunen, da sie sahen, wie ein bloßes Geschöpf zu einer so erhabenen Würde erhoben ward. Weil sie aber die Gerechtigkeit und Heiligkeit der Werke des Allerhöchsten kannten, so priesen und lobten sie Ihn abermals und bekannten Ihn als den Großen, Gerechten, Mächtigen und Heiligen, der da wunderbar ist in seinen Ratschlüssen.
1501. Der Vater redete nun die seligste Jungfrau Maria an und sprach zu ihr: «Meine Tochter, die von meinem Sohn gestiftete Kirche, das neue von Ihm in der Welt verkündete Gesetz der Gnade und das von Ihm erlöste Volk, alles dies übergebe ich dir und empfehle es dir an.» Hierauf sprach der Heilige Geist zu ihr: «Meine Braut, meine Auserwählte unter allen Kreaturen. Ich mache dich meiner Weisheit und Gnade teilhaftig, denn es sollen die Geheimnisse, Werke, Lehren und alles, was das menschgewordene Wort auf der Welt vollbracht hat. in deinem Herzen niedergelegt sein.» Der Sohn aber sprach zu ihr: «Meine liebevollste Mutter, ich gehe hin zu meinem Vater, lasse aber dich an meiner Stelle zurück und übertrage dir die Sorge für meine Kirche. Ich empfehle dir ihre Kinder, meine Brüder, wie der Vater sie mir übergeben hat.» Sodann richteten alle drei göttlichen Personen ihre Worte an den Chor der heiligen Engel und redeten diese und die übrigen Gerechten und Heiligen an: «Diese hier ist die Königin alles dessen, was geschaffen ist im Himmel und auf Erden, Sie ist die Beschützerin der heiligen Kirche, die Herrin aller Kreaturen, die Mutter der Barmherzigkeit, die Fürsprecherin der Gläubigen, die Zuflucht der Sünder, die Mutter der schönen Liebe und der heiligen Hoffnung (Sir 24, 24). Sie besitzt die Macht, unseren Willen zur Barmherzigkeit und Milde zu neigen. In ihr sind die Schätze unserer Gnade hinterlegt. Ihr treuestes Herz ist die Tafel, worauf unser Gesetz eingeschrieben und eingegraben bleibt. In ihr sind eingeschlossen alle Geheimnisse, welche unsere Allmacht zum Heil des Menschengeschlechtes vollbracht hat. Sie ist das Meisterwerk unserer Hände, dem die Fülle unseres Willens sich mitteilt und worin Er ruht, ohne dass darin irgend ein Hindernis den Strom unserer göttlichen Vollkommenheiten aufhält. Wer sie von Herzen anruft, der wird nicht zugrunde gehen, und wem ihre Vermittlung zuteil wird, der wird das ewige Leben erlangen. Um was sie uns bitten wird, das soll ihr gewährt werden. Allezeit werden wir ihren Willen erfüllen, ihre Bitten und Wünsche erhören, weil sie sich ganz und vollkommen unserem Willen unterworfen hat.»
Als U.L. Frau diese so unaussprechlichen Gunsterweisungen vernahm, demütigte und erniedrigte sie sich um so tiefer in den Staub, je mehr die Hand des Allerhöchsten sie über alle menschlichen und englischen Kreaturen erhöhte. Und als wäre sie die Allergeringste, opferte sie sich mit Worten voll Weisheit, mit glühendstem Verlangen und im Geist der Anbetung dem Herrn auf, um als geringe Sklavin in der heiligen Kirche zu arbeiten und bereitwillig die Anordnungen seines göttlichen Willens zu befolgen. Von jener Stunde an nahm sie aufs neue die Sorge für die Kirche des Neuen Bundes auf sich, da sie ja die liebevolle Mutter aller Kinder der Kirche war. Auch die Fürbitten, welche sie bis dahin für sie eingelegt hatte, verdoppelte sie von jenem Zeitpunkt an, und zwar in der Art, dass dieselben im Verlauf ihres Lebens unaufhörlich fortdauerten und überaus feurig waren, wie wir im dritten Teile sehen werden, wo man noch deutlicher erkennen wird, was die Kirche dieser großen Königin und Herrin verdankt, und welche Gnaden sie der Kirche verdient und erfleht hat. Vermöge dieser und der noch später zu erwähnenden Gunstbezeigungen erlangte U. L. Frau eine Art Teilnahme am Wesen ihres Sohnes, zu deren Erklärung mir aber keine Ausdrücke zu Gebote stehen. Denn der Herr verlieh ihr eine Mitteilung seiner Attribute und Vollkommenheiten, wie es ihrem Amt angemessen war, wonach sie an Christi Statt die Mutter und Lehrmeisterin der Kirche sein sollte. Er erhob sie in einen neuen Stand der Weisheit und Macht, so dass ihr ebenso wenig von den göttlichen Geheimnissen, wie von den Herzen der Menschen etwas verborgen blieb. Sie wusste und erkannte, wann und wie sie von der göttlichen Macht, an der sie teilhatte, gegenüber den Menschen, den Teufeln und jeglicher Kretaur Gebrauch machen solle. Mit einem Wort: alles, was nur immer eine bloße Kreatur zu fassen imstande ist, empfing und besaß unsere große Königin und Herrin auf die vollkommenste und würdigste Weise. Der hl. Johannes erhielt einige Erleuchtung über diese Geheimnisse, damit er erkennen möchte, wie hoch er den unermesslichen Wert des ihm anvertrauten Schatzes anschlagen und schätzen sollte. Und deshalb war er auch von diesem Tag an noch mehr besorgt, die große Herrin ja recht zu ehren und ihr zu dienen.
1502. Noch andere Wunder und Gunsterweisungen wirkte der Allerhöchste an U. L. Frau während jener vierzig Tage, und es verging kein Tag, an dem Er sich nicht durch irgend eine besondere Wohltat als den mächtigen und heiligen Herrn erwiesen hätte. Denn Er wünschte vor seiner Auffahrt in den Himmel seine heiligste Mutter immer mehr zu bereichern. Weil jedoch der Zeitpunkt, wo Er nach der Anordnung seiner Weisheit zu seinem ewigen Vater zurückkehren sollte, bereits heranrückte und Er seine Auferstehung durch offenbare Erscheinungen und viele Beweisgründe, wie der heilige Lukas (Apg 1, 3) sich ausdrückt, schon zweifellos gezeigt hatte, so wollte unser göttlicher Herr und Heiland zuletzt noch einmal jener ganzen Versammlung der Apostel, Jünger und Schülerinnen erscheinen und sich ihnen offenbaren, da alle miteinander versammelt waren. Es waren ihrer aber 120 Personen. Diese Erscheinung fand im Speisesaal statt, und zwar am Tage der Auffahrt selbst, nach jener Erscheinung, von welcher der hl. Markus im letzten Kapitel (Mk 16,14) berichtet, denn all dies geschah an einem und demselben Tag. Nachdem nämlich die Apostel dem Befehl des Herrn gemäß in Galiläa gewesen waren und dieser sich ihnen, wie ich oben erwähnte, am See Tiberias gezeigt hatte und dann noch auf dem Berg erschienen war, wo sie Ihn nach der Erzählung des hl. Matthäus (Mt 28,17) anbeteten, und wo Ihn nach dem Zeugnis des hl. Paulus (1 Kor 15, 6) 500 Jünger zugleich sahen. Nach diesen Erscheinungen, sage ich, kehrten die Apostel auf Befehl des Herrn nach Jerusalem zurück, um bei der wunderbaren Himmelfahrt gegenwärtig zu sein. Als nun die elf Apostel beisammen waren und sich zu Tische gesetzt hatten, trat nach dem Bericht des hl. Markus (Mk 16,14) und des hl. Lukas in der Apostelgeschichte (Apg 1, 4) der Herr ein und aß mit wunderbarer Herablassung und Freundlichkeit mit ihnen, wobei Er den Glanz und die hellstrahlende Schönheit seiner Herrlichkeit mäßigte, damit Ihn alle sehen könnten. Nach beendigter Mahlzeit aber redete der Erlöser sie mit feierlichem Ernst und mit Innigkeit folgendermaßen an:
1503. «Wisst, meine Jünger, mein ewiger Vater hat mir alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden (Mt 28, 18). Diese Gewalt will ich euch mitteilen, damit ihr meine neue Kirche auf der ganzen Welt ausbreitet. Ihr seid ungläubig und trägen Herzens gewesen, um meine Auferstehung vollkommen zu glauben. Jetzt aber ist es Zeit, dass ihr, als meine gläubigen Schüler, die Lehrmeister des Glaubens für alle Menschen werdet. Predigt nun mein Evangelium, so wie ihr es von mir vernommen habt und taufet alle, welche daran glauben. Erteilt ihnen die Taufe im Namen des Vaters, und des Sohnes (der ich bin), und des Heiligen Geistes (Mt 28,19). Wer glaubt und getauft ist, wird selig werden. Wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden (Mk 16,16). Lehrt die Gläubigen alles halten, was zu meinem heiligen Gesetz gehört. Und zu seiner Bestätigung sollen den Gläubigen Zeichen und Wunder folgen: sie werden die Teufel von den Besessenen austreiben, in neuen Sprachen reden, die Bisse der Schlangen heilen, und wenn sie tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden, und die Kranken werden sie durch Auflegung ihrer Hände gesund machen (Mk 16,17).»
Das waren die Wunder, welche unser Heiland Jesus Christus zur Stiftung seiner Kirche mittels der Verkündigung des Evangeliums verheißen hat. Und alles hat sich an den Aposteln und den Gläubigen der jugendlichen Kirche erfüllt. Damit aber die Kirche auch an jenen Orten der Welt, wo sie noch nicht besteht, Eingang finde und da, wo sie bereits Eingang gefunden hat, erhalten bleibe, wird der Herr dieselben Zeichen zu wirken fortfahren, wann und wo seine Vorsehung dieses als notwendig erachtet, denn niemals entzieht Er seiner geliebten Braut, der hl. Kirche, seinen Beistand.
1504. Nach einer göttlichen Fügung versammelten sich an diesem nämlichen Tag, während der Herr sich bei den elf Jüngern befand, im Abendmahlshaus auch noch andere Gläubige und fromme Frauen, ungefähr 120 an der Zahl, wie ich vorhin gesagt habe. Der göttliche Meister bestimmte es so, damit sie sich bei seiner Himmelfahrt einfänden. Zuvor aber wollte Er jene ganze Versammlung ihren Bedürfnissen entsprechend, wie die elf Apostel, über das unterweisen, was sie vor seiner Auffahrt in den Himmel noch zu wissen brauchten, und sich alsdann von allen miteinander verabschieden. Als sie darum versammelt und in Frieden und Liebe in einem Saal vereinigt waren - es war derselbe Saal, in welchem das Abendmahl gefeiert worden war -, zeigte sich der Urheber des Lebens ihnen allen und redete sie als liebevoller Vater mit freundlichem Angesicht also an:
1505. «Meine süßesten Kinder, ich gehe nun zu meinem Vater, aus dessen Schoß ich herabgestiegen bin, um die Menschen zu erlösen und selig zu machen. An meiner Stelle lasse ich als eure Beschützerin Mutter, Trösterin und Mittlerin meine Mutter zurück. Sie sollt ihr hören. Ihr sollt ihr gehorchen in allen Dingen. Und wie ich euch gesagt habe, dass, wer mich sieht, auch meinen Vater sieht, und wer mich kennt, auch Ihn kennt, so sage ich euch jetzt. Wer meine Mutter kennt, der kennt auch mich. Wer sie hört, der hört mich. Wer ihr gehorcht, der gehorcht mir. Wer sie beleidigt, der beleidigt mich. Wer sie ehrt, der ehrt mich. Ihr alle solltet sie als eure Mutter, eure Oberin und euer Haupt betrachten. Und dasselbe sollen auch jene tun, die nach euch leben werden. Sie wird euch in euren Zweifeln die Wahrheit zeigen und eure Schwierigkeiten lösen. In ihr werdet ihr mich finden, so oft ihr mich sucht, denn in ihr werde ich bis zum Ende der Welt sein und bin es auch jetzt, obwohl euch die Art und Weise verborgen ist.» Die letzteren Worte sprach der Heiland deshalb, weil Er im Herzen seiner Mutter sakramentalisch gegenwärtig war, denn die heiligen Gestalten blieben von der Stunde des Abendmahls an in ihr unversehrt, bis in der ersten Messe, wovon ich später reden werde (siehe Teil 3, Nr. 125), wieder konsekriert wurde. Auf solche Weise erfüllte der Herr jetzt schon die Verheißung, die Er nach dem Zeugnis des hl. Matthäus (Mt 28, 20) gegeben hatte: «Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.» Dann fuhr der Herr fort und sprach: «Den Petrus sollt ihr als das Oberhaupt meiner Kirche betrachten, Ihn lasse ich als meinen Stellvertreter in der Kirche zurück. Ihm sollt ihr als dem obersten Bischof Gehorsam leisten. Den Johannes sollt ihr als den Sohn meiner Mutter betrachten, wie ich ihn vom Kreuz herab hierzu ernannt und bezeichnet habe.»
Hierauf blickte der Herr seine heiligste Mutter, welche gleichfalls zugegen war, an und gab ihr zu verstehen, Er wäre geneigt und bereit, der ganzen Versammlung den Befehl zu erteilen, ihr jene Huldigung und Verehrung zu bezeigen, welche ihre Würde als Mutter verlange. Auch wolle Er dies in Form eines Gebotes der ganzen Kirche für alle kommenden Zeiten vorschreiben. Allein die demütigste Herrin flehte inbrünstig ihren Eingebornen an, Er möge doch gütigst anordnen, dass ihr keine Ehre zukomme, außer soweit dies zur Ausübung des ihr übertragenen Amtes durchaus notwendig sei, und dass die neuen Kinder der Kirche ihr keine größere Verehrung bezeigen als bisher. Er möge anordnen, dass der ganze gottesdienstliche Kult sich unmittelbar auf den Herrn selbst beziehe und zur Ausbreitung des Evangeliums und zur Erhöhung seines Namens diene. Unser Heiland erhörte die weiseste Bitte seiner Mutter, behielt es sich aber vor, die Größe seiner Mutter zur passenden und gelegenen Zeit vollkommener zu offenbaren. Indes verlieh Er ihr auf eine verborgene Weise die ausgezeichnetsten Vorrechte, wie wir in dem noch übrigen Teil dieser Geschichte berichten werden.
1506. Die liebreiche Ansprache des göttlichen Meisters an diese Versammlung, die ihnen mitgeteilten Geheimnisse und die Wahrnehmung, dass Er sich nun von ihnen verabschiede und sie verlasse, rief in den Herzen aller Anwesenden eine unaussprechliche Rührung hervor. Denn der lebendige Glaube an die Gottheit und Menschheit ihres Meisters hatte in ihrem Herzen das Feuer der göttlichen Liebe entzündet. Die Erinnerung an seine Lehre und an die von Ihm vernommenen Worte des Lebens, sein süßer und milder Anblick und Umgang, sowie der Schmerz, dass sie nun in einem Augenblick so große Güter verlieren sollten, ließ alle insgesamt in zärtliche Tränen ausbrechen und aus dem Grund ihrer Seele aufseufzen. So gerne hätten sie Ihn zurückgehalten. Allein sie vermochten es nicht und es hätte sich ja auch nicht geziemt. Sie wollten von Ihm Abschied nehmen, aber sie fanden keine Worte. Nur in ihren Herzen bildeten sie Worte, welche nebst der höchsten Freude den tiefsten Schmerz und die bitterste Wehmut bekundeten. «Wie sollen wir - sprachen sie bei sich - ohne einen solchen Meister leben? Wer wird an uns Worte des Lebens und des Trostes gleich den seinigen richten? Wer wird uns mit so liebevollen und freundlichen Blicken aufnehmen? Wer wird unser Vater und unsere Stütze sein? Ach, wir werden jetzt als vater- und mutterlose Waisen in der Welt sein!» Einige unterbrachen das Stillschweigen und sprachen: «O du unser liebreichster Herr und Vater ! Du Freude und Leben unserer Seele ! Jetzt, wo wir dich als unseren Erlöser erkennen, willst du weggehen und uns verlassen ! O Herr, nimm uns doch mit dir und verstoße uns nicht von deinem Angesicht. O unsere Hoffnung, was werden wir tun, wenn wir deiner Gegenwart entbehren ? Wohin sollen wir gehen, wenn du uns verlässest ? Wohin sollen wir unsere Schritte lenken, wenn wir nicht dir folgen, dir unserem Vater, unserem Haupt, unserem Lehrmeister ?» Auf diese und andere Äußerungen des Schmerzes erwiderte der Herr, sie sollten sich nicht von Jerusalem entfernen, sondern im Gebet verharren, bis Er ihnen den Heiligen Geist, den vom Vater verheißenen Tröster, senden werde, wie Er im Speisesaal den Aposteln gesagt hatte. Hierauf geschah das, was ich im folgenden Hauptstück erzählen werde.
LEHRE, welche mir die heiligste Jungfrau und Himmelskönigin Maria gab
1507. Wenn du. meine Tochter, die verborgenen, von der Rechten des Allmächtigen mir verliehenen Gnadenerweisungen anstaunst, so fühlst du dich mit Fug und Recht vom Verlangen beseelt, für solche Wunderwerke den Herrn in alle Ewigkeit zu lobpreisen. Viele dieser wunderbaren Gnaden entdecke ich dir jetzt noch nicht: du wirst sie erst dann erfahren, wenn du nicht mehr im sterblichen Fleisch wandelst. Indes ist es mein Wille, dass du schon als Erdenpilgerin, und zwar von Stunde an, es als deine ganz besondere Aufgabe betrachtest, den Herrn dafür zu lobpreisen und zu verherrlichen, dass Er, obwohl ich ein Adamskind war, mich aus dem Staube erhoben, die Macht seines Armes an mir offenbart und Großes an mir getan hat während ich nichts davon im strengen Sinne verdienen konnte. Damit du zu diesen Lobpreisen des Allerhöchsten noch mehr angeeifert werdest, wiederhole oftmals in meinem Namen den Lobgesang, welchen ich verfasst und in welchem ich alle diese Gnaden kurz zusammengefasst habe, nämlich das Magnifikat. Wenn du allein bist, so bete dasselbe mit dem Angesichte auf der Erde liegend oder unter Kniebeugungen. Vor allem aber soll es mit dem aufrichtigsten Affekte der Liebe und Verehrung geschehen. Diese Übung wird in meinen Augen sehr wohlgefällig und angenehm sein, und wenn du sie so verrichtest wie ich es wünsche, so werde ich sie den Augen des Herrn darstellen.
1508. Weil du aber wieder darüber staunst, dass die Evangelisten diese vom Herrn an mir vollbrachten Wunder nicht aufgezeichnet haben, so will ich dich nochmals hierüber belehren, obwohl ich es früher schon getan habe, denn es ist mein Wunsch, dass alle Sterblichen diese Wahrheit ihrem Gedächtnisse einprägen. Ich selbst habe nämlich den Evangelisten befohlen, über meine Vorzüge nur soviel niederzuschreiben, als eben erforderlich war, damit die Kirche auf die Artikel des Glaubens und die Gebote des göttlichen Gesetzes gegründet werde. Denn als Lehrmeisterin der Kirche erkannte ich durch die vom Allerhöchsten für dieses Amt mir eingegossene Wissenschaft, dass dieses für die damalige Zeit, in welcher die Kirche noch in der Wiege lag, so geziemend sei. Übrigens sind meine Vorzüge in dem einen Vorzug eingeschlossen, dass ich die Mutter Gottes und darum voll Gnade bin. Die nähere Erklärung aber hat sich die göttliche Vorsehung auf die geeignete und passende Zeit vorbehalten, wann nämlich der Glaube genauer erkannt und befestigt sein würde. Einige dieser meine Person betreffenden Geheimnisse sind bisher im Verlauf der Zeit nach und nach deutlicher offenbart worden. Allein die Fülle dieses Lichtes ist dir, einem armen und niedrigen Geschöpf, verliehen worden, weil die Welt in ihrem gegenwärtigen unglücklichen Zustand dessen bedarf. Die göttliche Barmherzigkeit will dieses höchst zeitgemäße Heilmittel den Menschen jetzt anbieten, damit alle Hilfe und ewiges Heil suchen, und zwar durch meine Vermittlung. Dies hast du allezeit erkannt und wirst es später noch deutlicher einsehen. An erster Stelle aber verlange ich von dir, dass du dich gänzlich auf die Nachahmung meines Lebens verlegst sowie auf die ununterbrochene Betrachtung meiner Tugenden und Werke, damit du zum erwünschten Sieg über meine und deine Feinde gelangest.
NEUNUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK: Himmelfahrt Jesu. Seine heiligste Mutter wird dabei wunderbar in den Himmel entrückt
Unser Erlöser Jesus Christus fährt mit allen Ihn umgebenden Heiligen zum Himmel auf: Er nimmt seine heiligste Mutter mit sich empor. um ihr den Besitz der Glorie zu übergeben.
1509. Die glücklichste Stunde brach endlich an, in welcher der Eingeborene des ewigen Vaters, der vom Himmel herniedergestiegen war, um Mensch zu werden, durch seine wunderbare, aus eigener Macht bewirkte Auffahrt wieder dahin zurückkehren wollte, um zur Rechten des Vaters zu sitzen, wie es Ihm als dem Erben des Vaters von Ewigkeit her gebührte, war Er ja doch gezeugt aus dem Wesen des Vaters in voller Gleichheit und Einheit der Natur und der unendlichen Herrlichkeit. Er stieg so hoch empor, weil Er, um mit dem Apostel zu sprechen, zuvor bis zu den untersten Teilen der Erde (Eph 4, 9) hinabgestiegen war und alles erfüllt hatte, was über seine Ankunft in der Welt über sein Leben, seinen Tod und die Erlösung der Menschen vorhergesagt und geschrieben war, und nachdem Er als Herr des Weltalls bis auf den Mittelpunkt der Erde hinabgedrungen war und alle seine Geheimnisse durch das seiner Auffahrt besiegelt hatte. Denn bei dieser versprach Er, den Heiligen Geist zu senden, welcher nicht kommen würde, wenn nicht der Herr selbst, der ihn mit dem Vater seiner neuen Kirche senden sollte, zuvor zum Himmel aufgefahren wäre. Zur Feier dieses so festlichen und geheimnisreichen Tages erwählte unser gütigster Heiland als besondere Zeugen jene 120 Personen, die Er, wie im vorhergehenden Hauptstück (Nr. 1504) gesagt wurde, im Speisesaal versammelt und angeredet hatte. Es waren die heiligste Jungfrau Maria, die elf Apostel. die 72 Jünger, Maria Magdalena, Martha und ihr Bruder Lazarus, die anderen hl. Frauen und eine Schar anderer gläubiger Männer und Frauen, welche die oben genannte Zahl 120 voll machten.
1510. Mit dieser kleinen Schar verliess Jesus, unser göttlicher Hirte, den Speisesaal. Sie zogen durch die Straßen Jerusalems, und Jesus schloss den Zug. Dem Herrn zur Seite ging seine heilige Mutter. Dann schlugen die Apostel und die übrigen der Reihe nach die Richtung nach Bethanien ein, das nicht ganz eine halbe Meile von Jerusalem entfernt am Fuß des Ölberges lag. Die Schar der Engel und die Heiligen, welche aus der Vorhölle und dem Fegfeuer gekommen waren, folgten, neue Loblieder singend, dem glorreichen Siegeshelden nach. Indes waren die Seligen niemand sichtbar als der seligsten Jungfrau. Durch ganz Jerusalem, ja durch ganz Palästina hatte sich bereits das Gerücht verbreitet, Jesus der Nazarener sei von den Toten auferstanden. Die bösen und ungläubigen Hohenpriester hatten sich zwar alle Mühe gegeben, der falschen Aussage, wonach die Jünger Ihn gestohlen hätten, Eingang zu verschaffen, allein viele hörten nicht darauf und schenkten ihr keinen Glauben. Trotzdem fügte es nun die göttliche Vorsehung, dass keiner von den Bewohnern Jerusalems, weder ein Ungläubiger noch ein Zweifler, diese heilige, vom Speisesaal ausziehende Prozession beobachtete oder auf dem Weg störte. Sie entging mit Recht ihrer Aufmerksamkeit, denn sie waren nicht in der Verfassung, dieses wunderbare Geheimnis mitanzusehen. Übrigens war Jesus, das Haupt und der Lehrmeister dieser Schar, damals für alle unsichtbar. Nur die 120 Gerechten, die er zu Augenzeugen seiner Himmelfahrt auserwählt hatte, sahen Ihn.
1511. In dieser durch die Vorsorge des Herrn ihnen verschafften Sicherheit setzten alle den Weg fort bis hinauf zum Gipfel des Ölberges. Als sie an diesem von der Vorsehung auserwählten Ort angelangt waren, teilten sie sich in drei Chöre, den einen bildeten die Engel, den anderen die Heiligen und den dritten die Apostel und Gläubigen, welche sich wiederum in zwei Reihen teilten. Das Haupt bildete unser Heiland Jesus Christus. Dann warf sich die weiseste Mutter zu den Füßen ihres Sohnes nieder, betete Ihn mit wunderbarer und demütiger Huldigung als wahren Gott und Erretter der Welt an und bat Ihn um seinen letzten Segen. Alle übrigen anwesenden Gläubigen ahmten das Beispiel ihrer großen Königin nach und taten dasselbe. Unter heftigem Seufzen und Schluchzen fragten sie den Herrn, ob Er wohl in dieser Zeit das Reich Israel wiederherstellen werde? Der Heiland erwiderte hierauf, dass dieses ein Geheimnis seines ewigen Vaters sei und dass es ihnen nicht zukomme, dies zu erfahren. Für jetzt sei es notwendig, nach dem Empfang des Heiligen Geistes in Jerusalem, in Samaria und dann auf der ganzen Welt die Geheimnisse der Erlösung zu verkündigen (Apg 1, 6-8).
1512. Mit einem Antlitz voll Wohlwollen und Würde verabschiedete sich nun der Sohn Gottes von jener heiligen und glücklichen Versammlung der Gläubigen. Dann faltete Er seine Hände und begann aus eigener Kraft sich vom Boden zu erheben, wobei Er auf ihm die Zeichen oder Spuren seiner heiligen Füße eingedrückt ließ (Man zeigt heutzutage den Pilgern die Fußspuren. Der Herausgeber). In unaussprechlich anmutiger Bewegung setzte Er seinen Weg durch die Luftregion fort, indem Er dabei die Augen und Herzen dieser erstgeborenen Kinder nach sich zog, welche mit ihrem Verlangen unter Tränen und Seufzen Ihm nachfolgten. Und gleich wie, wenn der oberste Himmelskreis (primum mobile) sich bewegt, auch die unteren in seiner ungeheueren Sphäre eingeschlossenen Himmel sich in Bewegung setzen, so zog unser Heiland Jesus Christus die himmlischen Chöre der Engel, der heiligen Altväter und der übrigen Verklärten nach sich, welche teils mit Leib und Seele, teils bloß als Seelen mit Ihm auffuhren. In schönster Ordnung stiegen sie alle miteinander von der Erde empor, um ihren König und Anführer und ihr Haupt zu begleiten und Ihm nachzufolgen.
Ganz besonders wunderbar und verborgen war noch ein anderes Geheimnis, welches die Hand des Allerhöchsten in dieser Stunde wirkte. Es bestand darin, dass Er seine heiligste Mutter mit sich emporführte, um ihr im Himmel den Besitz der Glorie und jenes Ortes zu übergeben, welchen Er ihr als seiner wahren Mutter bestimmt und welchen sie durch ihre Verdienste sich erworben hatte. Maria war auf dieses Geheimnis vorbereitet worden. Sie wusste von dieser Gnadenauszeichnung, bevor sie erfolgte, denn ihr heiligster Sohn hatte ihr sie während der vierzig Tage, da Er nach seiner wunderbaren Auferstehung bei ihr verweilte, bereits verheißen. Damit aber dies Geheimnis damals keiner anderen menschlichen und lebenden Kreatur bekannt würde und in der Versammlung der Apostel und übrigen Gläubigen auch ihre heiligste Lehrmeisterin zugegen sei und mit ihnen bis zur Ankunft des Heiligen Geistes, wie es in der Apostelgeschichte (Apg 1,14) heißt, im Gebete verharre, so bewirkte die göttliche Allmacht auf eine wunderbare und staunenswerte Weise, dass U. L. Frau an zwei Orten war: sie blieb bei den Kindern der Kirche, folgte ihnen zum Speisesaal nach und verweilte dort in ihrer Mitte. Zugleich aber stieg sie mit dem Erlöser der Welt, auf dem Thron sitzend, zum Himmel empor. Hier blieb sie drei Tage mit dem vollkommensten Gebrauch ihrer Seelenkräfte und Sinne und zu gleicher Zeit war sie mit einem weniger vollkommenen Gebrauche der Sinne im Speisesaal. (Auch von vielen Heiligen liest man, dass sie diese Gabe der Bilokation besaßen. Näheres in Görres, Mystik 2. Band, S. 583 ff. Der Herausgeber).
1513. So wurde also die seligste Herrin mit ihrem heiligsten Sohn erhoben und zu seiner Rechten gesetzt, und eben damit auch der Ausspruch Davids erfüllt (Ps 45,10), dass die Königin zu seiner Rechten sein werde in goldenem, von Herrlichkeit strahlendem Gewand, im Angesicht der Engel und Heiligen, welche mit dem Herrn hinaufgestiegen waren. Damit aber das Erstaunen über dieses große Geheimnis die Andacht und den lebendigen Glauben der Gläubigen mehr aneifere und entflamme und sie zur Verherrlichung des Urhebers eines so unerhörten und über jede Vorstellung erhabenen Wunders antreibe, möchte ich die Leser dieses Wunders aufmerksam machen, dass mir der Herr schon von jenem Augenblick an, als er mir seinen Willen, dass ich diese Geschichte schreiben solle, erklärte und mir oft und wiederholt das Gebot auferlegte, die Sache ins Werk zu setzen, diese lange Zeit und die vielen verflossenen Jahre hindurch verschiedene Geheimnisse geoffenbart und verborgene Dinge enthüllt hat, welche ich schon niedergeschrieben habe und später noch anführen werde; denn die Erhabenheit des Gegenstandes erforderte eine solche Vorbereitung und Verfassung. Ich empfing nicht alles auf einmal und miteinander, weil die menschliche Beschränktheit eine solche Überfülle nicht zu fassen imstande ist. Vielmehr erhalte ich für jedes einzelne Geheimnis, das ich zu beschreiben habe, jedes Mal wieder neues und besonderes Licht. Ich habe diese Erleuchtungen über alle die einzelnen Geheimnisse für gewöhnlich an den Festen des Herrn und seiner heiligsten Mutter, der großen Himmelskönigin, erhalten. Dies ist insbesondere bei dem großen Geheimnis der Fall, das ich eben beschreibe, dass nämlich der heiligste Sohn seine reinste Mutter am Tage seiner Himmelfahrt mit sich in den Himmel erhob, während sie auf höchst wunderbare Weise zugleich im Speisesaal zurückblieb. Es ist mir dies mehrere Jahre nacheinander gezeigt worden und zwar immer am Fest der Himmelfahrt des Herrn.
1514. Die Gewissheit, welche dem Geiste verliehen wird, wenn er die göttliche Wahrheit in Gott selbst erkennt und schaut, ist derart, dass er alsdann nicht mehr zweifeln kann. Denn in Gott ist alles Licht, ohne Beimischung von Finsternis (Joh 1, 5) in Ihm erkennt man die Wahrheit zugleich mit ihrem Grunde. Für solche aber, welche derartige Geheimnisse bloß durch den Bericht anderer erfahren, muss man einige Beweggründe angeben, welche ihren gläubigen Sinn zur Annahme dessen, was dunkel ist, bewegen. Aus diesem Grunde hätte ich Bedenken getragen, das verborgene Geheimnis dieser Aufnahme U. L. Frau in den Himmel zu erwähnen, wenn nicht das Verschweigen einer so wunderbaren Gnadenauszeichnung, die unserer großen Königin zu hoher Ehre gereicht, in diese Lebensgeschichte eine bedeutende Lücke bringen würde. Dieses Bedenken ist mir damals gekommen, als ich zum ersten Mal von diesem Geheimnis Kenntnis erlangte. Jetzt aber, da ich dasselbe niederschreibe, habe ich dies Bedenken nicht mehr, weil ich schon im ersten Teile (Teil 1. Nr. 330) angeführt habe, wie die himmlische Fürstin als Kind alsbald nach ihrer Geburt zum empirischen Himmel erhoben wurde. Und auch in diesem zweiten Teil (Teil 2, Nr. 72 u. 90) habe ich gesagt, dass in den neun der Menschwerdung vorangehenden Tagen dieses Wunder zweimal stattgefunden habe zur würdigen Vorbereitung Mariä auf ein so erhabenes Geheimnis. Wenn nun die göttliche Allmacht der heiligsten Jungfrau Maria schon damals, da sie noch nicht Mutter des Wortes war, so große Gnadenauszeichnungen verliehen hat, um sie eben zu dieser Würde zu befähigen, so ist es noch weit mehr glaublich, dass Gott der Herr diese Gnaden erneuerte, nachdem Maria durch die Aufnahme des Wortes in das Heiligtum ihres jungfräulichen Schoßes ganz und gar geheiligt worden war, nachdem sie, sage ich, dem Sohn Gottes aus ihrem reinsten Blute menschliches Fleisch gegeben, nachdem sie Ihn an ihrer jungfräulichen Brust genährt, als wahren Sohn Ihn gepflegt und dreiunddreißig Jahre lang bedient hatte. Nachdem sie, sage ich, in seinem Leben, Leiden und Sterben seinen Fußstapfen wie seinem Beispiel gefolgt war, und zwar mit einer Liebe und Treue, wie keine Zunge sie zu schildern vermag.
1515. Wenn es sich um solche Gnadenauszeichnungen und Geheimnisse der allerseligsten Jungfrau handelt, so sind die Gründe, warum der Allerhöchste so Großes an ihr gewirkt hat, wohl zu unterscheiden von den Gründen, welche Ihn bestimmten, diese Geheimnisse so viele Jahrhunderte lang in seiner Kirche unenthüllt zu lassen. Was das erstere betrifft, so ist hier das Maßgebende die Allmacht Gottes, die unermessliche Liebe des Herrn zu seiner Mutter und die alles Erschaffene überragende Würde, welche Er ihr verliehen hat. Weil aber die Menschen, solange sie im sterblichen Fleische leben, weder die Mutterwürde Mariä, noch die Liebe, welche ihr Sohn und die ganze heiligste Dreifaltigkeit zu ihr getragen hat und trägt, noch auch ihre Verdienste und die Heiligkeit, zu der sie seine Allmacht erhoben hat, vollkommen zu erkennen vermögen, so setzen sie in dieser ihrer Unwissenheit der Allmacht Gottes Schranken und wollen nicht recht glauben, dass der Herr an seiner Mutter alles das gewirkt hat, was Er wirken konnte, und das ist es eben, was Er wirken wollte. Allein wenn Er ihr allein sich selbst hingegeben hat und zwar in so ganz einziger Weise, dass Er ihr Sohn wurde und aus ihrer Substanz menschliches Fleisch annahm, so war es ja nur ganz folgerichtig, dass Er auch in der Ordnung der Gnade an ihr auf ganz einzige Weise wirkte, was Er an keinem anderen Geschöpf, ja nicht einmal an der gesamten Menschheit geziemenderweise wirken konnte. Aus diesem Grund müssen die vom Allerhöchsten seiner heiligsten Mutter verliehenen Gnadenvorzüge, Wohltaten und Gaben nicht bloß einzig in ihrer Art sein, sondern es gilt hier der allgemeine Grundsatz, dass der Herr seiner heiligsten Mutter keine Gnade vorenthielt, welche Er ihr zur Vermehrung ihrer Herrlichkeit geben konnte, so dass nur seine eigene heiligste Menschheit sie hierin überragte.
1516. Handelt es sich aber um die Offenbarung dieser Wunder von Seiten Gottes an seine Kirche, so sind andere Gründe maßgebend. Die göttliche Vorsehung, welche die Kirche regiert, verleiht nämlich der letzteren von Zeit zu Zeit neue Strahlen ihres Lichtes, je nachdem es die Zeitumstände und Bedürfnisse erfordern. Denn der glückselige Tag der Gnade, welcher mit der Menschwerdung des Wortes und mit dem Werke der Erlösung angebrochen ist, hat seinen Morgen und seinen Mittag, und wird auch seinen Abend haben. Dieses alles ordnet aber die ewige Weisheit, wie und wann es gelegen und passend ist. Nun sind freilich alle Geheimnisse, welche sich auf Jesus und seine Mutter beziehen, in der Heiligen Schrift geoffenbart, aber nicht alle werden zu gleicher Zeit und in gleicher Weise näher bekanntgemacht. Der Herr zieht vielmehr erst nach und nach den Schleier der Figuren, Bilder und Gleichnisse weg, worunter viele Geheimnisse zwar geoffenbart wurden, jedoch so, dass sie gleichsam verschlossen und für die geeignete Zeit aufbewahrt blieben, ähnlich wie auch die Strahlen der untergehenden Sonne bisweilen so lange hinter einer Wolke verborgen bleiben, bis die Wolke sich verzieht. Es ist aber kein Wunder, wenn die vielen Strahlen dieses göttlichen Lichtes den Menschen nur nach und nach mitgeteilt werden, haben ja doch selbst die Engel zur Zeit ihrer Erschaffung das Geheimnis der Menschwerdung bloß seinem wesentlichen Inhalte nach und sozusagen im allgemeinen erkannt, nämlich als den Zweck, auf den sich ihr ganzer Dienst hinsichtlich der Menschen bezog. Die einzelnen Bedingungen, Wirkungen und Umstände dieses Geheimnisses aber wurden den himmlischen Geistern damals nicht geoffenbart, vielmehr wurde ihnen vieles davon erst 5200 und noch mehr Jahre nach der Erschaffung der Welt enthüllt. Diese neue Erkenntnis dessen, was sie im einzelnen noch nicht gewusst hatten, war für sie Anlass zu neuer Verwunderung, Lobeserhebung und Verherrlichung des Urhebers derselben, wie ich im Verlauf dieser Geschichte schon oft gesagt habe (oben Nr. 631. 692. 997, 1261 u. 1286). Dieses Beispiel möge denjenigen zur Belehrung dienen, welche sich etwa verwundern sollten, wenn sie zum ersten Male von dem an der seligsten Jungfrau gewirkten Geheimnisse hören, das ich soeben beschreibe und welches so lange verborgen geblieben ist, bis der Allerhöchste dasselbe zugleich mit den anderen Geheimnissen offenbaren wollte, welche ich schon beschrieben habe oder später noch beschreiben werde.
1517. Als ich von diesem Geheimnis, dass nämlich unser Erlöser Jesus Christus seine heiligste Mutter bei seiner Himmelfahrt mit sich emporführte, das erste Mal Kenntnis erhielt und die Gründe des Geheimnisses noch nicht kannte, da war mein Staunen wahrlich nicht gering, freilich nicht sowohl um meiner selbst als vielmehr um der andern willen, welche davon Kenntnis erhalten würden. Allein der Herr zeigte mir damals auch einzelne Gründe, unter anderem erinnerte Er mich an das, was der hl. Paulus in einem seiner Brief (2 Kor 12, 2) von sich selbst berichtet, da er sagt, er sei in den dritten Himmel. d.h. in den Himmel der Seligen, entrückt worden. Dabei lässt er es unentschieden, ob er mit dem Leib oder außer ihm dahin versetzt wurde. Er spricht sich weder für noch gegen diese bei den Arten aus, sondern setzt vielmehr voraus, dass es auf die eine wie auf die andere Weise geschehen sein könne. Dabei wurde mir zu verstehen gegeben, wenn der Völkerapostel am Anfang seiner Bekehrung, wo von seiner Seite keine Verdienste, sondern Sünden vorausgegangen waren, in den empirischen Himmel entrückt wurde, und zwar, wie als möglich vorausgesetzt wird, leiblicherweise, und wenn die Annahme, dass die göttliche Allmacht dieses Wunder gewirkt hat, in der Katholischen Kirche weder bedenklich noch ungereimt erscheint, wie kann man dann bezweifeln, dass der Herr dieses Vorrecht seiner Mutter verliehen hat und zwar zu einer Zeit, da sie schon unermessliche Verdienste gesammelt und eine solche Höhe der Heiligkeit erreicht hatte (Man sehe hierüber die Anmerkung zu Teil 1. Nr. 332) ? Überdies fügt der Herr bei: wenn einzelnen anderen Heiligen, welche bei der Auferstehung Christi im Leib auferstanden waren, die Gnade gewährt wurde, im Gefolge des Erlösers mit Leib und Seele in den Himmel aufzufahren, so war doch weit mehr Grund vorhanden, diese Auszeichnung seiner reinsten Mutter zu verleihen. Denn selbst dann, wenn diese Gnade keinem einzigen Sterblichen gewährt worden wäre, hätte sie doch der heiligsten Jungfrau Maria gewissermaßen gebührt, weil sie am Leiden des Herrn teilgenommen hatte. Aus letzterem Grund war es nämlich billig und geziemend, dass, als der Herr in den Himmel auffuhr, um die Herrschaft zur Rechten des himmlischen Vaters anzutreten, Maria auch an dem Triumph und an der Siegesfreude teilnehme. Es war geziemend, dass Maria diese Herrschaft mit Jesus Christus teile, war sie ja seine wahre Mutter, und hatte sie Ihm ja aus ihrer eigenen Substanz die menschliche Natur gegeben, in welcher Er triumphierend in den Himmel einzog. Und wie es geziemend war, dass bei dieser Siegesfeier Sohn und Mutter nicht voneinander getrennt waren, so war es gleichfalls geziemend, dass kein sterblicher Mensch, und wäre es auch der Vater, oder die Mutter, oder der Bräutigam der heiligsten Jungfrau gewesen, den Besitz der ewigen Seligkeit mit Leib und Seele antrete, bevor Maria in den Himmel einging. Alle diese Seligen, ja der Herr selbst, Jesus, der allerheiligste Sohn Mariä, hätten an diesem Tag eines Teiles ihrer außerwesentlichen Freude entbehren müssen, wenn nicht Maria mit Ihnen in das himmlische Vaterland eingezogen wäre. Sie, die Mutter des Erlösers der Menschen, die Königin der ganzen Schöpfung, welche in Hinsicht dieser Gnadenauszeichnung keinem ihrer Untertanen nachstehen durfte.
1518. Diese Kongruenzgründe scheinen mir hinreichend zu sein, dass fromme Katholiken aus der Mitteilung dieser und anderer derartiger Geheimnisse, welche ich im dritten Teil noch anführen werde, Freude und Trost schöpfen. Indem ich deshalb den Faden dieser Geschichte wieder aufnehme, sage ich, dass unser Erlöser bei seinem Einzug in den Himmel seine heiligste Mutter mit sich emporführte und zwar voll Glanz und Herrlichkeit, im Angesicht der Engel und Heiligen und unter unglaublichem Jubel und allgemeinem Staunen. Dass aber die Apostel und die übrigen Gläubigen von diesem Geheimnis damals nichts erfuhren, hatte seinen guten Grund. Hätten sie nämlich mit Christus auch ihre Mutter und Lehrmeisterin auffahren gesehen, so wäre ihr Schmerz und ihre Trostlosigkeit allzu groß gewesen. Sie hätten sich sozusagen nicht mehr zu helfen gewusst, denn ihr einziger und größter Trost war noch der Gedanke, die heiligste Herrin, ihre barmherzigste Mutter, bei sich zu haben. Indes war das Seufzen, Wehklagen und Weinen, das dem tiefsten Grunde ihres Herzens entquoll, immerhin sehr groß, da sie ihren liebevollsten Erlöser und Meister sich durch die Luftregionen von ihnen entfernen sahen. Als sie nun bereits daran waren, Ihn aus dem Gesicht zu verlieren, trat eine sehr glänzende Wolke zwischen den Herrn und sie, die auf der Erde zurückblieben. Durch diese Wolke verbarg Er sich vor ihnen, so dass Er ihren Blicken vollkommen entzogen war (Apg 1, 9). In dieser Wolke aber stieg die Person des ewigen Vaters vom höchsten Himmel in die Luftregion hernieder, um seinen menschgewordenen Eingeborenen sowie dessen Mutter zu empfangen, welche Ihm jenes neue, menschliche Sein gegeben hatte, in dem Er nun zurückkehrte. Der himmlische Vater zog Jesus und Maria gleichsam an sich und empfing sie in unzertrennlicher Umarmung, d.h. mit unendlicher Liebe, zur höchsten Freude der Engel, welche in Begleitung des ewigen Vaters in unabsehbaren Scharen vom Himmel herabgekommen waren. In ganz kurzer Zeit drang dann diese ganze himmlische Prozession durch die Region der Elemente und durch die Himmelskreise und gelangte an den höchsten Ort des empirischen Himmels. Jene Engel nun, welche mit Jesus, ihrem Könige, und mit Maria, ihrer Königin, von der Erde emporgestiegen, und jene, welche ihnen in der Luftregion entgegengekommen waren, wandten sich beim Einzug zu den andern, welche in der Höhe zurückgeblieben waren, und wiederholten nebst anderen auch folgende Worte Davids (Ps 24, 7), in welchen dieses Geheimnis beschrieben wird:
1519. «Öffnet, o Fürsten, öffnet eure ewigen Tore ! Sie sollen sich erheben und offen stehen, damit in seine Wohnung einziehe der große König der Herrlichkeit, der Herr der Mächte, der Gewaltige im Streit, der Starke und Siegreiche, der als Überwinder aller seiner Feinde im Triumph einherzieht. Öffnet die Tore des oberen Paradieses. Allezeit sollen sie offen und frei sein, damit der neue Adam einziehe, der Wiederhersteller des ganzen Menschengeschlechtes. Er ist reich an Erbarmung (Eph 2, 4), überfließend von Schätzen durch seine Verdienste und mit Beute beladen, d.h. mit den Erstlingen der überreichen Erlösung (Ps 130, 7), die Er durch seinen Tod in der Welt vollbracht hat. Nun hat Er das Verderben unserer Natur wieder gutgemacht und die menschliche Natur zur höchsten Würde seiner eigenen unendlichen Wesenheit erhoben. Nun kehrt Er zurück mit der Herrschaft, welche Ihm sein Vater über die Auserwählten und Erlösten übergeben hat. Seine freigebige Barmherzigkeit hat den Sterblichen die Macht hinterlassen, das Recht, das sie durch die Sünde verloren hatten, aus Gerechtigkeit wieder zu erlangen, d.h. als seine Brüder und Erben der Güter seines Vaters durch die Beobachtung seines Gesetzes das ewige Leben zu verdienen. Zudem führt Er zu seiner größeren Verherrlichung und zu unserer Freude an seiner Seite auch die Mutter der Barmherzigkeit mit sich, welche Ihm jene menschliche Gestalt verliehen hat, in der Er den Teufel besiegte. Unsere Königin kommt in solcher Liebenswürdigkeit und Schönheit einher, dass sie alle entzückt, welche sie erblicken. Kommet darum heraus, kommet heraus, ihr Bewohner des himmlischen Hofes, schauet unseren allerschönsten König in seinem Diadem, das Ihm seine Mutter geschenkt hat (Hld 3,11) ! Schauet seine Mutter, gekrönt mit der Glorie, welche ihr Sohn ihr verliehen hat.»
1520. Unter einem solchen, alle unsere Vorstellungen übertreffenden Jubel gelangte diese nie gesehene und so schön geordnete Prozession zum Lichthimmel. Hier stellten sich die Engel und Heiligen in zwei Chören auf. Unser Erlöser Jesus Christus und seine allerseligste Mutter zogen zwischen ihnen hindurch, während alle diese Seligen der Reihe nach beiden und jedem einzelnen besonders die entsprechende höchste Verehrung bewiesen, indem sie den Urhebern der Gnade und des Lebens neue Lobgesänge darbrachten. Der ewige Vater setzte nun das menschgewordene Wort zu seiner Rechten auf den Thron seiner Gottheit und zwar in einer solchen Herrlichkeit und Majestät, dass sämtliche Himmelsbewohner mit höchster Bewunderung und ehrerbietiger Furcht erfüllt wurden. Die Seligen sahen nun in klarer und unverhüllter Anschauung die Gottheit in ihrer unendlichen Glorie und in ihren Vollkommenheiten, wie sie in der heiligsten Menschheit Jesu Christi eingeschlossen und mit ihr durch persönliche Vereinigung wesenhaft verbunden war. Sie sahen, wie kraft dieser untrennbaren Vereinigung die heiligste Menschheit Christi zu einer Schönheit. Würde und Herrlichkeit erhoben war, dergleichen kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und kein erschaffener Verstand zu fassen vermochte.
1521. Hier nun zeigte sich die Demut und Weisheit unserer weisesten Königin in ihrer höchsten Vollkommenheit, denn bei diesen so göttlichen und wunderbaren Gunsterweisungen blieb sie, um mich so auszudrücken, am Schemel des göttlichen Thrones, wie vernichtet in dem Bewusstsein, dass sie ein bloßes irdisches Geschöpf sei. Niedergeworfen vor dem ewigen Vater, betete sie Ihn an und pries Ihn mit neuen Lobgesängen für die Herrlichkeit, die Er ihrem Sohn verliehen, indem Er seine mit der Gottheit vereinigte Menschheit zu so erhabener Größe und solcher Glorie erhoben hatte. Den Engeln und Heiligen aber war der Anblick der weisheitsvollen Demut ihrer Königin ein neuer Beweggrund zur Verwunderung und Freude. Mit heiligem Wetteifer ahmten sie die Akte der Anbetung und Verehrung, welche sie Maria verrichten sahen, nach, indem sie auf sie wie auf einen lebendigen Tugendspiegel blickten. Nun ließ sich eine Stimme vernehmen, welche vom Vater ausging und zu Maria sprach: «Meine Tochter, steige höher herauf !» Ebenso rief auch der Sohn ihr zu und sprach: «Meine Mutter, erhebe dich und komme an den Ort, den ich dir schulde, weil du mir nachgefolgt bist und mich nachgeahmt hast.» Der Heilige Geist sprach: «Meine Braut meine Freundin, komme zu meinen ewigen Umarmungen !» Dann wurde allen Seligen der Ratschluss der heiligsten Dreieinigkeit bekannt gemacht, wodurch der glücklichsten Mutter der Platz und Sitz zur Rechten ihres Sohnes für alle Ewigkeit angewiesen wurde, weil sie Ihm aus ihrem eigenen Blut das menschliche Dasein gegeben, Ihn gepflegt, Ihm gedient und Ihm mit der höchsten Vollkommenheit, die einem bloßen Geschöpf möglich ist, nachgefolgt war. Ferner ward bestimmt, dass kein anderes menschliches Geschöpf den unverlierbaren Besitz der himmlischen Seligkeit im entsprechenden Grad antreten solle, bevor Maria jenen Thron besitze und darauf erhoben sei. Und dieser Thron wurde ihr aus Gerechtigkeit zuerkannt für die Zeit nach ihrem Leben, als ein Thron, der über alle Sitze der übrigen Heiligen unermesslich erhaben war.
1522. Damit nun dieser Ratschluss alsbald vollzogen werde, wurde Maria auf den Thron der allerheiligsten Dreieinigkeit zur Rechten ihres heiligsten Sohnes gesetzt. Dabei ward der heiligsten Jungfrau sowie allen Heiligen zu wissen getan, dass ihr der Besitz dieses Thrones nicht nur für alle Ewigkeit übertragen, sondern dass es auch ihrem freien Willen anheimgegeben sei, von nun an darauf zu bleiben und nicht mehr in die Welt zurückzukehren. Es war nämlich der bedingte Wille der göttlichen Personen, dass Maria, soweit es vom Herrn abhänge, in diesem Zustand verbleibe. Damit sie aber ihre Wahl treffe, wurde ihr abermals der Zustand der heiligen streitenden Kirche auf Erden sowie die Verlassenheit und Not der Gläubigen gezeigt und ihr dann die Wahl gelassen, ob sie zu deren Schutz wieder herabsteigen wolle oder nicht. Die wunderbare Vorsehung des Allerhöchsten ordnete es so an, damit der Mutter der Barmherzigkeit Gelegenheit geboten werde, gleichsam sich selbst zu übertreffen und das Menschengeschlecht durch einen Akt der Barmherzigkeit und Güte sich verbindlich zu machen, der jenem Akte ähnlich wäre, welchen ihr göttlicher Sohn vollbracht hatte, indem Er um unserer Erlösung willen einen leidensfähigen Zustand annahm und jene Herrlichkeit zurückhielt, welche Er in seinem Leib hätte empfangen können. Hierin nun ahmte Ihn auch seine heiligste Mutter nach, damit sie in jeder Hinsicht dem menschgewordenen Worte ähnlich werde. Und indem die große Herrin ohne Täuschung die ganze Tragweite der ihr anheimgestellten Wahl erkannte, erhob sie sich vom Thron, warf sich ehrfurchtsvoll vor den drei göttlichen Personen nieder und redete Sie also an: «Ewiger Gott, mein allmächtiger Herr ! Wenn ich schon jetzt den Lohn in Besitz nehme, den deine Huld mir anbietet, so ist mir damit die Ruhe verliehen. Wenn ich aber wieder auf die Welt zurückkehre und im sterblichen Leben bei den Kindern Adams noch länger leide und die Gläubigen deiner heiligen Kirche unterstütze, so dient dies zur Verherrlichung und zum Wohlgefallen deiner Majestät und zum Vorteil meiner Kinder, die noch in dem Elend der irdischen Pilgerschaft verweilen. So wähle ich denn das Leiden und verzichte für jetzt auf die Ruhe und Freude, welche ich in deiner Gegenwart genieße. Wohl weiß ich zu schätzen, was ich besitze und empfange, aber ich opfere es deiner Liebe zu den Menschen. Nimm hin, o Herr und Gebieter meines ganzen Wesens, dieses mein Opfer möge mir aber auch deine göttliche Kraft bei dem mir anvertrauten Amt beistehen. Möge der Glaube an dich ausgebreitet, dein heiliger Name verherrlicht werden und deine Kirche zunehmen, welche mit dem heiligsten Blute deines und meines Eingeborenen erworben ist. Ich opfere mich abermals auf, um für deine Ehre zu leiden und, soviel ich kann, Seelen zu gewinnen.»
1523. Eine so unbegreifliche Hingebung bewies die gütigste Mutter und Königin der Tugenden. Dieselbe wurde aber von Gott mit solchem Wohlgefallen aufgenommen, dass Er sie alsbald dafür belohnte. Er disponierte sie nämlich mittels der schon mehrfach erwähnten Reinigungen und Erleuchtungen zur intuitiven Anschauung der Gottheit. Denn bis dahin hatte sie bei dieser Vision die Gottheit, wie auch alles Vorangehende, nur in abstrakter Vision geschaut. Als sie nun aber zu diesem Zustand erhoben war, wurde ihr die Gottheit mittels der beseligenden Anschauung gezeigt. Dabei wurde sie ganz mit Glorie und himmlischen Gütern erfüllt, welche man aber in diesem Leben weder zu beschreiben noch zu begreifen vermag.
1524. Nun erneuerte der Allerhöchste in Maria alle Gaben, die Er ihr bisher mitgeteilt hatte. Er bestätigte und besiegelte sie aufs neue, indem entsprechenden Grad, um sie als Mutter und Lehrmeisterin der heiligen Kirche wieder auf die Erde herabzusenden. Ebenso bestätigte Er auch den ihr schon früher verliehenen Titel einer Königin der ganzen Schöpfung und einer Beschützerin und Herrin der Gläubigen. Und wie das Siegel in weichem Wachs abgedrückt wird, so drückte sich auch in U. L. Frau durch die Kraft der göttlichen Allmacht abermals das menschliche Sein und das Bild Jesu Christi ab, damit sie mit diesem Siegel versehen zur streitenden Kirche zurückkehre, wo sie wahrhaft der «verschlossene Garten und die versiegelte Quelle» sein sollte, um die Wasser des Lebens zu bewahren (Hld 4,12). O Geheimnisse, die ebenso verehrungswürdig als erhaben sind ! O verborgene Ratschlüsse der höchsten Majestät, die wir mit aller Ehrfurcht anbeten müssen ! O Liebe und Milde der heiligsten Jungfrau, welche die unwissenden Kinder Evas niemals begreifen ! Denn wenn Gott es der Wahl dieser ganz einzigen, gütigsten Mutter anheimstellte, ob sie ihren gläubigen Kindern zu Hilfe kommen wolle, so ist dies nicht ohne Geheimnis geschehen. Es war ja eine Erfindung der göttlichen Weisheit, um uns durch dieses Wunder jene mütterliche Liebe Mariä zu offenbaren, zu deren Erkenntnis wir vielleicht durch ihre so zahlreichen anderen Werke nicht gelangt wären. Es war eine Anordnung Gottes, damit weder U. L. Frau diese Auszeichnung noch uns jene Verpflichtung abgehe, und damit ein so wunderbares Beispiel uns zur Liebe ansporne. Oder wenn unsere liebevollste Mutter sich der wahren Freude beraubte, um ihren Kindlein Hilfe bringen zu können, wer sollte dann beim Anblick einer solchen Liebe das noch für etwas Großes halten, was die Heiligen getan und die Martyrer gelitten haben, indem sie sich ein augenblickliches Vergnügen versagten, um dadurch zur ewigen Ruhe zu gelangen ? Und wie werden wir uns von dem Vorwurf eines schmählichen Benehmens freizusprechen vermögen, wenn wir, um für diese Wohltat unseren Dank zu bezeigen, oder um dieses Beispiel nachzuahmen, oder um diese große Herrin uns geneigt zu machen, oder um ihrer und ihres Sohnes ewiger Gesellschaft teilhaftig zu werden, selbst nicht einmal ein kleines, trügerisches Vergnügen, das uns ihre Feindschaft und sogar den Tod bringt zum Opfer bringen wollen? Gepriesen sei eine solche Frau, die Himmel mögen sie loben, und alle Geschlechter der Erde mögen sie glücklich und selig preisen (Lk 1, 49) !
1525. Den ersten Teil dieser Geschichte habe ich mit dem 31. Kapitel der Sprichwörter Salomons abgeschlossen, indem ich mittels desselben die erhabenen Tugenden dieser großen Herrin erklärte, welche die eine starke Frau der heiligen Kirche war. Mit dem diesem Kapitel nun kann ich auch diesen zweiten Teil schließen, denn all dies hat der Heilige Geist in der reichen Fülle von Geheimnissen zusammengesetzt, welche die Worte jener Stelle enthalten. Diese bewahrheiten sich ja bei dem großen Geheimnis, das ich eben beschrieben habe, auf eine ganz besonders erhabene Weise, und zwar wegen des überaus hohen Standes, worin U. L. Frau nach Erlangen dieser Wohltat verblieb. Ich lasse mich aber nicht auf die Wiederholung des schon früher Gesagten ein, denn mittels desselben wird man viel von dem, was ich hier sagen könnte, von selbst verstehen, und es wird klar werden, inwiefern diese Königin die «starke Frau» war, deren Wert und Preis von ferne und von den äußersten Enden des Himmels herkam. Man wird verstehen, warum die heiligste Dreifaltigkeit auf sie vertraute, und inwiefern das Herz ihres Mannes sich nicht getäuscht fand, weil ihm nichts von dem mangelte, was er sich von ihr versprach. Sie war das Kaufmannsschiff, welches die Nahrung für die heilige Kirche vom Himmel herabbrachte. Sie war es, welche mit der Frucht ihrer Hände die Kirche pflanzte, sich mit Stärke gürtete und ihren Arm für große Dinge kräftigte. Sie hat ihre Hände nach den Armen ausgestreckt und dem Dürftigen sie geöffnet. Sie hat erfahren und gesehen, wie gut diese Handelsschaft sei im Hinblick auf den Lohn in der Seligkeit. Sie ist es, die ihre Hausgenossen mit doppelter Kleidung versehen hat, deren Licht in der Nacht der Trübsal nicht erloschen ist, und die bei der Heftigkeit der Versuchungen nicht durch Furcht erschüttert werden konnte.
Um all dies zu vollbringen, bat Maria, bevor sie vom Himmel herabstieg, den ewigen Vater um die Macht, ihren Sohn um die Weisheit, den Heiligen Geist um das Feuer seiner Liebe, und alle drei Personen miteinander bat sie um ihren Beistand und um ihren Segen zum Herabsteigen. Die göttlichen Personen erteilten ihr, während sie vor ihrem Thron auf dem Angesicht lag, den Segen und erfüllten sie mit neuen Gnadeneinflüssen und mit erhöhter Teilnahme an den göttlichen Vollkommenheiten. Dann entließen Sie die heiligste Jungfrau, ganz erfüllt mit unaussprechlichen Schätzen der Gnade, unter Kundgebung ihrer Liebe. Die heiligen Engel und Gerechten aber verherrlichten sie durch wunderbare Beglückwünschungen und Lobeserhebungen, worauf sie auf die Erde zurückkehrte. Davon will ich aber im dritten Teil sprechen, wo ich auch erzählen werde, was sie alles in der Kirche während der Zeit, in welcher sie derselben noch beistand, gewirkt hat. Sie war in allem ein Gegenstand der Bewunderung für den Himmel und eine Quelle des Segens für die Menschen, weil sie unaufhörlich arbeitete und litt, damit diese die ewige Seligkeit erlangen möchten. Weil sie die Liebe in ihrer Quelle und in ihrem Ursprung, d.h. im ewigen Gott selbst erkannt hatte, der da «die Liebe ist (1 Joh 4,16)», so war sie ganz von Liebe entzündet. Die Liebe war ihr Brot bei Tag und bei Nacht und gleich einer fleißigen, mit Honig beladenen Biene kehrte sie von der triumphierenden Kirche zur streitenden zurück, beladen mit den Blüten der Liebe. Und aus diesen bereitete sie den süßen Honig der Liebe zu Gott und dem Nächsten, speiste damit die noch zarten Kinder der jugendlichen Kirche und zog sie zu starken und in der Vollkommenheit fest begründeten Männern heran, so dass sie stark genug waren, um als Fundament für das hohe Gebäude der heiligen Kirche zu dienen (Eph 2, 20).
1526. Um nun dieses Hauptstück und damit diesen zweiten Teil zum Abschluss zu bringen, muss ich zur Versammlung der Gläubigen zurückkehren, welche wir so tränenvoll auf dem ÖIberg gelassen haben. U. L. Frau vergaß derselben auch mitten in ihrer Herrlichkeit nicht. Denn da diese süße Mutter sah, wie sie alle in Traurigkeit und Wehklagen dastanden und unverwandt zum Himmel emporsahen, wo sich ihr Erlöser und Meister ihren Blicken entzogen hatte, richtete sie ihre Augen von der Wolke, in der sie aufstieg, auf ihre Kinder herab und ließ ihnen von dort aus ihre Hilfe angedeihen. Als sie nämlich ihren Schmerz sah, flehte sie Jesus an, er möge diese armen Kindlein, die er als Waisen auf Erden zurücklasse, liebevoll trösten. Durch diese Bitten seiner Mutter bewogen, sandte der Erlöser des Menschengeschlechtes zwei Engel in weißen, glänzenden Gewändern von der Wolke herab. Diese erschienen allen Jüngern und Gläubigen in menschlicher Gestalt und redeten sie also an: «Ihr Männer von Galiläa, hört auf, mit so großer Verwunderung zum Himmel aufzuschauen, denn der Herr Jesus, der von euch geschieden und zum Himmel aufgefahren ist, wird in derselben Herrlichkeit und Majestät, worin ihr ihn jetzt gesehen habt, einst wieder herabkommen (Apg 1,11).» Mit diesen und andern Gründen trösteten sie die Apostel und Jünger und die übrigen, damit sie nicht den Mut verlieren, sondern in der Zurückgezogenheit die Ankunft und Tröstung des Heiligen Geistes erwarten möchten, welcher ihnen von ihrem göttlichen Meister verheißen worden war.
1527. Ich bemerke aber, dass diese Worte der Engel jenen Männern und Frauen zwar zum Trost gereichten, aber zugleich auch einen Tadel wegen ihres geringen Glaubens enthielten. Denn wäre dieser recht lebendig und von einer reinen, wohlwollenden Liebe beseelt gewesen, so wäre es weder notwendig noch ersprießlich gewesen, mit so gespannter Aufmerksamkeit hinzustehen und zum Himmel aufzuschauen. Denn sie vermochten ja ihren Meister nicht mehr zu sehen, noch Ihn durch dieses ihr Wohlwollen und ihre sinnliche Zärtlichkeit zurückzuhalten, welche sie antrieb, in die Luft emporzuschauen, durch die Er zum Himmel aufgefahren war. Durch den Glauben hätten sie Ihn vielmehr da sehen und finden können, wo Er war, und durch den Glauben hätten sie Ihn auch sicher gefunden. Die andere Art und Weise, Ihn zu suchen, war überflüssig und unvollkommen, denn um Ihn zu bewegen, dass Er ihnen mit seiner Gnade beistehe, war es keineswegs erforderlich, Ihn mit leiblichen Augen zu sehen und mit Ihm zu sprechen. Dass aber so erleuchtete und vollkommene Männer dies nicht einsahen, war ein tadelnswerter Fehler. Die Apostel und Jünger hatten ja so lange Zeit die Schule unseres gütigsten Erlösers besucht und die Lehre der Vollkommenheit aus ihrer reinen und kristallhellen Quelle geschöpft. Sie hätten darum schon ganz vergeistigt und in der höchsten Vollkommenheit bewandert sein sollen. Allein unsere Natur ist nun einmal die unglückselige Sklavin ihrer Sinne und begnügt sich nur mit dem Sinnlichen, so zwar, dass sie selbst das Göttliche und Geistige nur auf sinnliche Weise lieben und kosten will. Und weil sie an diese rohe Auffassung gewöhnt ist, kommt sie nur ganz langsam dazu, sich ihrer zu entledigen und davon zu reinigen. Und so täuscht sie sich zuweilen selbst dann, wenn ihre Liebe zwar auf das höchste Gut gerichtet, aber mit zuviel Selbstvertrauen und Selbstbefriedigung verbunden ist. Einen Beweis von dieser Wahrheit haben wir zu unserer Belehrung an den Aposteln. Diesen hatte der Herr gesagt, Er sei in solcher Weise Wahrheit und Licht, dass Er zugleich auch der Weg (Joh 14, 6) sei und dass sie durch ihn zur Erkenntnis des Vaters gelangen müssten, denn das Licht ist nicht da, damit es sich selber leuchte, und der Weg ist nicht gemacht, damit man auf ihm stehenbleibe.
1528. Diese im Evangelium so oftmals wiederholte Wahrheit, welche die Apostel aus dem Mund des Urhebers der Wahrheit selbst vernommen und durch das Beispiel seines Lebens bestätigt sahen, hätte ihr Herz und ihren Geist bewegen sollen, dieselbe aufzufassen und auszuüben. Allein der geistliche und sinnlich fühlbare Wohlgeschmack, den sie an dem Umgang und Verkehr mit ihrem Meister empfanden, sowie die Sicherheit, womit sie Ihm, allerdings mit vollem Recht, ihre Liebe schenkten, hielt alle Kräfte ihres an das Sinnliche gehefteten Willens noch gefesselt und zwar in der Art, dass sie aus diesem Zustand nicht herauszukommen wussten. Ja sie bemerkten nicht einmal, dass sie in diesem geistlichen Wohlgeschmack vielfach nur sich selbst suchten und von der Anhänglichkeit an den durch die Sinne vermittelten geistigen Genuss eingenommen waren. Hätte sie ihr Meister nicht durch seine Auffahrt in den Himmel verlassen, so hätten sie sich nur sehr schwer und nicht ohne großen, bitteren Schmerz von seinem Umgang, trennen können. Dadurch wären sie aber weniger tauglich gewesen, das Evangelium auf der ganzen Welt zu verkünden, ein Amt, welches sie nicht nur viele Mühe und Schweiß, sondern sogar das Leben kosten sollte. Dies war ein Amt nicht für Knaben, sondern für Männer voll Kraft und starker Liebe, welche nicht geistliche Süßigkeiten suchten, sondern bereit waren, Überfluss und Mangel, guten und schlechten Ruf (2 Kor 6, 8). Ehre und Schande, Traurigkeit und Freude zu ertragen und in allen diesen Wechselfällen die Liebe und den Eifer für die Ehre Gottes mit einem großmütigen Herzen zu bewahren, das sich über alles Angenehme und Widerwärtige hinwegsetzt.
Auf diesen Tadel von Seiten der Engel hin kehrten die Apostel mit der heiligsten Jungfrau Maria vom Ölberg in den Speisesaal zurück, wo sie mit ihr im Gebet verharrten und die Ankunft des Heiligen Geistes erwarteten, wie wir im dritten Teile sehen werden (Apg 1,12).
LEHRE, welche mir die heiligste Jungfrau und Himmelskönigin Maria gab
1529. Meine Tochter, du wirst diesen zweiten Teil meines Lebens glücklich beschließen, wenn du eine lebendige Überzeugung gewonnen hast von der Lieblichkeit und Kraft der göttlichen Liebe und von der unermesslichen Freigebigkeit Gottes gegen die Seelen, welche ihm kein Hindernis in den Weg legen. Es ist der Neigung des höchsten Gutes und seinem vollkommenen und heiligen Willen entsprechend, seinen Geschöpfen eher Freud als Leid, eher Trost als Betrübnis zu schicken, sie eher zu belohnen als zu bestrafen, eher zu ermutigen als einzuschüchtern. Allein die Sterblichen verstehen diese göttliche Wissenschaft nicht. Sie verlangen, aus der Hand des höchsten Gutes nur irdische und gefährliche Tröstungen, Vergnügungen und Belohnungen zu empfangen, diese ziehen sie den wahren und sicheren Freuden vor. Die göttliche Güte aber verbessert diesen schädlichen Irrtum, wenn sie die Menschen durch Trübsale zurechtweist, mit Widerwärtigkeiten bestraft und mit der Strafrute belehrt. Die menschliche Natur ist träge, schwerfällig und roh. Wird sie nicht kultiviert und ihre Härte nicht gebrochen, so bringt sie niemals eine schmackhafte Frucht und ist ihrer Neigungen wegen nicht fähig, vom höchsten Gute eine liebevolle und zärtliche Behandlung zu erfahren. Darum ist es notwendig, dass sie angespornt, mit dem Hammer der Leiden fein zugerichtet und im Schmelzofen der Trübsale erneuert werde, damit sie dadurch für die Gaben und Gunsterweisungen Gottes empfänglich und tauglich werde, denn die Trübsale sind es, welche den Menschen lehren, der Liebe zu den trügerischen Gütern der Welt, unter denen der Tod verborgen ist, zu entsagen.
1530. Als ich sah, welchen Lohn mir die ewige Güte bereitet hatte, da erschien mir alles, was ich gelitten hatte, als gering. Und deshalb hat die göttliche Vorsehung die wunderbare Anordnung getroffen, dass ich nach meinem eigenen Willen und meiner Wahl wiederum zur streitenden Kirche zurückkehrte, denn diese Anordnung sollte zu meiner größeren Glorie und zur Erhöhung des heiligen Namens des Allerhöchsten gereichen. Auch sollte dadurch der Kirche und ihren Kindern auf die wunderbarste und heiligste Weise Hilfe verschafft werden. Ich aber glaubte verbunden zu sein, während der Jahre, in denen ich noch auf der Welt lebte, jener Seligkeit, die ich im Himmel besaß, zu entbehren und auf die Welt zurückzukehren, um neue Früchte guter Werke zu gewinnen und nach dem Wohlgefallen des Allerhöchsten zu arbeiten. Alles dies schuldete ich der göttlichen Güte, die mich aus dem Staube erhoben hatte. Du aber, meine Tochter, sollst aus diesem Beispiel eine Lehre ziehen und dich allen Ernstes bemühen, meinem Beispiele zu folgen, zumal in dieser Zeit, in welcher die heilige Kirche sich in einer so trostlosen Lage befindet und von lauter Drangsalen umgeben ist, während ihre Kinder nicht daran denken, ihr Trost zu bereiten. Ich verlange von dir, dass du in dieser Angelegenheit dich mit aller Anstrengung abmühest. Bete, flehe, schreie aus der Tiefe deines Herzens zum Allmächtigen für die Kinder der Kirche. Leide und bringe nötigenfalls selbst dein Leben zum Opfer für die Kirche. Denn ich versichere dir, meine Tochter, dass dein Bemühen in den Augen meines heiligsten Sohnes und in meinen Augen sehr wohlgefällig sein wird.
Alles zur Ehre und Verherrlichung des Allerhöchsten, des unsterblichen und unsichtbaren Königs der Weltzeiten (1 Tim 1,17) und zur Ehre seiner heiligsten Mutter Maria, von Ewigkeit zu Ewigkeit !
Literatur
- III. Band: Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria, ein Wunder seiner Allmacht, ein Abgrund seiner Gnaden, der ehrwürdigen Schwester Maria von Jesus vom Orden des heiligen Franziskus, Äbtissin des Klosters der Unbefleckten Empfängnis in Agreda geoffenbart. Unter Zugrundelegung der «Nueva Edicíon de la Mística Ciudad des Dios», Barcelona 1911-14, ins Deutsche übertragen von Schwester Assumpta Volpert, Dienerin des Heiligen Geistes, Illustrationen: Schwester Serviane Wollseifen SSpS, Vorwort von Albert Drexel, Miriam Verlag Jestetten 1994 (8 Bücher in vier Bänden; Imprimatur Erzbischöfliches Ordinariat Salzburg am 31. Mai 1954, Zl. 1311; 6. Auflage [1. Auflage war 1954], Buch 5+6: 576 Seiten, Hardcover, ISBN 3-87449-130-7).
- Gesamtwerk: Maria von Agreda: Die mystische Stadt Gottes, Christiana Verlag Stein am Rhein 31. Dezember 1974 (1. Auflage, 8 Bücher mit 2488 Seiten, broschiert) 2008 (ISBN 3-7171-0735-4).