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Aktuelle Version vom 21. Juni 2019, 07:24 Uhr
Dies Domini |
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von Papst
Johannes Paul II.
An die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und an die Gläubigen
über die Heiligung des Sonntags
31. Mai 1998
(Offizieller lateinischer Text: AAS 90 [1998] 713-766)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
liebe Schwestern und Brüder!
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einführung
- 2 ERSTES KAPITEL: DIES DOMINI - Die Feier des Schöpfungswerkes Gottes
- 3 ZWEITES KAPITEL: DIES CHRISTI - Der Tag des auferstandenen Herrn und des Geschenkes des Geistes
- 4 DRITTES KAPITEL: DIES ECCLESIAE - Die eucharistische Versammlung ist das Herz des Sonntags
- 4.1 Die Gegenwart des Auferstandenen
- 4.2 Die eucharistische Versammlung
- 4.3 Die sonntägliche Eucharistiefeier
- 4.4 Der Tag der Kirche
- 4.5 Volk auf der Pilgerschaft
- 4.6 Tag der Hoffnung
- 4.7 Der Tisch des Gotteswortes
- 4.8 Der Tisch des Leibes Christi
- 4.9 Paschamahl und brüderliche Begegnung
- 4.10 Von der Messe zur »Sendung«
- 4.11 Das Sonntagsgebot
- 4.12 Eine freudenvolle und wohlklingende Feier
- 4.13 Eine einbindende und aktive Feier
- 4.14 Andere Aspekte des christlichen Sonntags
- 4.15 Versammlungen am Sonntag bei Abwesenheit des Priesters
- 4.16 Rundfunk- und Fernsehübertragungen
- 5 VIERTES KAPITEL: DIES HOMINIS - Der Sonntag – Tag der Freude, der Ruhe und der Solidarität
- 6 FÜNFTES KAPITEL: DIES DIERUM - Der Sonntag, der ursprüngliche Feiertag, der den Sinn der Zeit offenbart
- 7 SCHLUSS
- 8 Anmerkungen
- 9 Weblinks
Einführung
1. Der Tag des Herrn — wie der Sonntag seit der apostolischen Zeit<ref> Vgl. Apg 1,10: »Kyriake heméra«; vgl. auch Didaché 14, 1; Ignatius von Antiochien, Brief an die Magnesier 9, 1-2: SC 10, 88-89.</ref> genannt wird — hat wegen seines engen Zusammenhanges mit dem eigentlichen Kern des christlichen Mysteriums in der Kirchengeschichte stets in hoher Achtung gestanden. Denn im Wochenrhythmus erinnert der Sonntag an den Tag der Auferstehung Christi. Er ist das wöchentliche Ostern, an dem der Sieg Christi über Sünde und Tod, die Vollendung der ersten Schöpfung in ihm und der Anbruch der »neuen Schöpfung« (vgl. 2 Kor 5,17) gefeiert wird. Er ist der Tag der anbetenden und dankbaren Beschwörung des ersten Tages der Welt und zugleich in der eifrigen Hoffnung die Vorwegnahme des »letzten Tages«, an dem Christus in Herrlichkeit wiederkommen (vgl. Apg 1,11; 1 Thess 4,13-17) und »alles neu machen« wird (vgl. Offb 21,5).
Auf den Sonntag passt daher gut der Freudenruf des Psalmisten: »Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen« (Ps 118, 24). Diese Einladung zur Freude, die sich die Osterliturgie zu eigen macht, weist Anzeichen jenes Staunens auf, von dem die Frauen ergriffen wurden, die bei der Kreuzigung Christi zugegen gewesen waren und, als sie »am ersten Tag nach dem Sabbat in aller Frühe« (Mk 16,2) zum Grab gekommen waren, dieses leer fanden. Es ist die Einladung, irgendwie die Freude der Emmausjünger nachzuerleben, die spürten, wie ihnen »das Herz in der Brust brannte«, als der Auferstandene sich unterwegs zu ihnen gesellte, ihnen die Schrift erklärte und sich zu erkennen gab, »als er das Brot brach« (vgl. Lk 24,32.35). Es ist das Echo der zuerst zögerlichen und dann überwältigenden Freude, welche die Apostel am Abend jenes gleichen Tages empfanden, als der auferstandene Jesus in ihre Mitte trat und sie das Geschenk seines Friedens und seines Geistes empfingen (vgl. Joh 20,19-23).
2. Die Auferstehung Jesu ist das Ursprungsereignis, auf dem der christliche Glaube beruht (vgl. 1 Kor 15,14): wunderbare Wirklichkeit, die ganz im Lichte des Glaubens aufgenommen, die aber von jenen, die den auferstandenen Herrn sehen durften, historisch bezeugt ist. Sie ist ein wundervolles Ereignis, das sich nicht nur auf absolute Weise in der Geschichte der Menschen auszeichnet, sondern im Zentrum des Geheimnisses der Zeit steht. Denn Christus ist Herr »der Zeit und der Ewigkeit«: daran erinnert uns in der eindrucksvollen Osternachtliturgie der Ritus der Bereitung der Osterkerze. Dadurch, dass sie nicht nur einmal im Jahr, sondern an jedem Sonntag des Auferstehungstages Christi gedenkt, will die Kirche also jede Generation auf die tragende Achse der Geschichte hinweisen, auf die sich das Geheimnis des Anfangs der Welt wie das ihrer endgültigen Bestimmung zurückführen lassen.
Man kann daher mit Recht, wie es die Homilie eines Autors aus dem 4. Jahrhundert tut, vom »Tag des Herrn« als dem »Herrn der Tage« sprechen.<ref>Pseudo Eusebius von Alexandrien, Sermo 16: PG 86, 416.</ref> Alle, denen die Gnade, an den auferstandenen Herrn zu glauben, zuteil wurde, können nicht umhin, die Bedeutung dieses Wochentages mit der lebhaften Gefühlsregung zu erfassen, die den hl. Hieronymus zu den Worten veranlaßte: »Der Sonntag ist der Tag der Auferstehung, er ist der Tag der Christen, er ist unser Tag«.<ref>In die dominica Paschae II, 52: CCL 78, 550.</ref> Der Sonntag ist in der Tat für uns Christen der »Ur-Feiertag«,<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 106.</ref> der nicht nur dazu bestimmt ist, der Abfolge der Zeit einen festen Rhythmus zu geben, sondern ihren tiefen Sinn zu enthüllen.
3. Die in zweitausend Jahren Geschichte stets anerkannte grundlegende Bedeutung des Sonntags wurde vom II. Vatikanischen Konzil nachdrücklich unterstrichen: »Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Paschamysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Sonntag genannt wird«.<ref>Ebd.</ref> Paul VI. hat diese Bedeutung aufs neue hervorgehoben mit der Approbation des neuen römischen liturgischen Kalenders und der allgemeinen Normen für die Ordnung des Kirchenjahres.<ref>Vgl. Motu proprio Mysterii paschalis (14. Februar 1969): AAS 61 (1969), 222-226.</ref> Während das Heranrücken des dritten Jahrtausends die Gläubigen dazu auffordert, im Lichte Christi über den Gang der Geschichte nachzudenken, sind sie auch eingeladen, mit neuer Kraft den Sinn des Sonntags wiederzuentdecken: sein »Geheimnis«, den Wert seiner Feier, seine Bedeutung für das christliche und menschliche Dasein.
Mit Genugtuung nehme ich Kenntnis von den vielfältigen lehramtlichen Interventionen und pastoralen Initiativen in der Zeit nach dem Konzil, welche Ihr, verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, sowohl als einzelne wie gemeinschaftlich — und mit Unterstützung von seiten Eures Klerus — zu diesem Thema entfaltet habt. An der Schwelle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 möchte ich Euch dieses Apostolische Schreiben anbieten, um Euer pastorales Engagement in einem so lebenswichtigen Bereich zu unterstützen. Aber zugleich möchte ich mich an Euch, liebe Gläubige, wenden und mich gleichsam geistig in den einzelnen Gemeinden einfinden, wo Ihr Euch jeden Sonntag mit Euren Hirten versammelt, um die Eucharistie und den »Tag des Herrn« zu feiern. Viele der Überlegungen und Gefühle, die in diesem Schreiben lebendig werden, sind während meines bischöflichen Dienstes in Krakau und dann, nach der Übernahme des Amtes des Bischofs von Rom und Nachfolgers Petri, bei den Besuchen der römischen Pfarreien, die ich regelmäßig an den Sonntagen der verschiedenen Zeiten des Kirchenjahres durchführe, in mir herangereift. So ist es mir, als würde ich in diesem Brief den lebendigen Dialog, den ich gerne mit den Gläubigen halte, weiterführen, indem ich mit Euch über den Sinn des Sonntags nachdenke und unterstreiche, warum er auch unter den neuen Gegebenheiten unserer Zeit als wahrer »Tag des Herrn« gefeiert werden soll.
4. Es kann nämlich niemandem entgehen, dass bis vor kurzem die »Heiligung« des Sonntags in den Ländern mit christlicher Tradition erleichtert wurde durch eine breite Beteiligung der Bevölkerung und durch die Organisation der zivilisierten Gesellschaft, die in den die verschiedenen Erwerbstätigkeiten betreffenden gesetzlichen Bestimmungen die Sonntagsruhe als feststehend vorsah. Heutzutage aber hat gerade in den Ländern, deren Gesetze den Feiertagscharakter dieses Tages festschreiben, die Entwicklung der sozio-ökonomischen Verhältnisse häufig zu tiefgreifenden Veränderungen des kollektiven Verhaltens und infolge davon der Gestaltung des Sonntags geführt. Es hat sich weithin die Praxis des »Wochenendes« durchgesetzt als wöchentliche Zeit der Entspannung, die möglichst weitab vom ständigen Wohnsitz verbracht werden soll und häufig gekennzeichnet ist durch die Teilnahme an kulturellen, politischen oder sportlichen Aktivitäten, die im allgemeinen eben auf die Feiertage fallen. Es handelt sich dabei um ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen, das in dem Maße, in dem es mit der Achtung echter Werte zur menschlichen Entwicklung und zum Fortschritt des sozialen Lebens insgesamt beizutragen vermag, sicher nicht ohne positive Elemente ist. Dieses entspricht nicht nur der Notwendigkeit, Ruhe zu finden, sondern auch dem Bedürfnis »zu feiern«, was dem Menschen angeboren ist. Wenn aber der Sonntag seinen ursprünglichen Sinn verliert und er auf ein reines »Wochenende« reduziert wird, kann es geschehen, dass der Mensch nicht mehr den »Himmel«<ref>Vgl. Pastorale Erklärung der italienischen Bischofskonferenz »Der Tag des Herrn« (15. Juli 1984), Ench. CEI 3, 1398.</ref> sehen kann, weil er in einem so engen Horizont eingesperrt ist. So ist er unfähig, zu feiern, auch wenn er eine Festtagsgewandung trägt.
Den Jüngern Christi ist jedenfalls aufgetragen, die Feier des Sonntags, die eine echte Heiligung des Herrentages sein muss, nicht mit dem »Wochenende« zu verwechseln, das grundsätzlich als Zeit der Ruhe und des Vergnügens verstanden wird. In diesem Zusammenhang bedarf es dringend einer authentischen geistlichen Reife, die den Christen hilft, in voller Übereinstimmung mit der Gabe des Glaubens »sie selbst zu sein«, immer bereit, Rechenschaft zu geben über die Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Das muss auch ein tieferes Verständnis des Sonntags mit sich bringen, um ihn auch in schwierigen Situationen in voller Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist leben zu können.
5. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die heutige Lage ziemlich bunt. Da gibt es einerseits das Beispiel einiger junger Kirchen, die beweisen, mit wieviel Eifer sich sowohl in den Städten wie in den verstreutesten Dörfern Menschen zur Feier des Sonntags motivieren lassen. Im Gegensatz dazu ist in anderen Gegenden wegen der erwähnten soziologischen Schwierigkeiten und vielleicht auch wegen fehlender starker Glaubensmotivationen ein außergewöhnlich niedriger Prozentsatz bei der Anzahl der Besucher der Sonntagsmesse festzustellen. Im Bewusstsein vieler Gläubigen scheint nicht nur der Sinn für den zentralen Charakter der Eucharistie abzunehmen, sondern sogar für die Pflicht, dem Herrn dankzusagen durch das gemeinsame Gebet mit den anderen innerhalb der kirchlichen Gemeinde.
Zu alledem kommt noch hinzu, dass nicht nur in den Missionsländern, sondern auch in den alten christlichen Ländern wegen des Priestermangels mitunter die sonntägliche Eucharistiefeier nicht in jeder einzelnen Gemeinde sichergestellt werden kann.
6. Angesichts dieses Szenariums neuer Situationen und daraus sich ergebender Fragen erscheint es nötiger denn je, die tiefen Lehrbegründungen zurückzugewinnen, die dem kirchlichen Gebot zugrunde liegen, damit allen Gläubigen wirklich klar wird, dass der Sonntag im christlichen Leben ein unverzichtbarer Wert ist. Wenn wir das tun, bewegen wir uns auf den Spuren der immerwährenden Überlieferung der Kirche, an die das II. Vatikanische Konzil kraftvoll erinnerte, wenn es lehrte, dass am Sonntag »die Christgläubigen zusammenkommen [müssen], um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferstehung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott dankzusagen, der sie wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (vgl. 1 Petr 1,3)«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 106.</ref>
7. In der Tat, man versteht die Pflicht, den Sonntag vor allem durch die Teilnahme an der Eucharistiefeier und durch eine von christlicher Freude und Brüderlichkeit erfüllter Ruhe zu heiligen, nur dann richtig, wenn man die vielfältigen Dimensionen dieses Tages bedenkt, auf die wir in diesem Schreiben hinweisen wollen.
Der Sonntag ist ein Tag, der das Herz des christlichen Lebens bildet. Wenn ich seit dem Beginn meines Pontifikats nicht müde werde zu wiederholen: »Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!«,<ref>Predigt bei der Übernahme des Pontifikates (22. Oktober 1978), 5: AAS 70 (1978), 947.</ref> so möchte ich heute alle eindringlich zur Wiederentdeckung des Sonntags einladen: Habt keine Angst, Eure Zeit Christus zu geben! Ja, öffnen wir unsere Zeit für Christus, damit er sie erleuchten und lenken kann. Er kennt das Geheimnis der Zeit und das Geheimnis des Ewigen, und er übergibt uns »seinen Tag« als ein immer neues Geschenk seiner Liebe. Die Wiederentdeckung dieses Tages ist eine Gnade, die wir erflehen müssen, um die eigenen Glaubensbedürfnisse voll zu leben, und auch um konkret Antwort zu geben auf die tiefsten und wahren Sehnsüchte, die in jedem Menschen sind. Die Christus geschenkte Zeit ist niemals verlorene Zeit, sondern eine gewonnene Zeit für die tiefe Vermenschlichung unserer Beziehungen und unseres Lebens.
ERSTES KAPITEL: DIES DOMINI - Die Feier des Schöpfungswerkes Gottes
»Alles ist durch das Wort geworden« (Joh 1,3)
8. In der christlichen Erfahrung ist der Sonntag vor allem ein österliches Fest, das völlig von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus erleuchtet wird. Er ist die Feier der »neuen Schöpfung«. Aber scheinbar ist gerade diese Wesensart des Sonntags, wenn sie in ihrer ganzen Tiefe verstanden wird, nicht von der Botschaft zu trennen, die uns die Schrift bereits auf ihren ersten Seiten über den Plan Gottes in der Schöpfung der Welt bietet. Denn wenn es wahr ist, dass das Wort Fleisch geworden ist, »als die Zeit erfüllt war« (Gal 4,4), so ist es ebenso wahr, dass es kraft seines Geheimnisses als ewiger Sohn des Vaters Ursprung und Ende des Universums ist. Das macht Johannes im Prolog seines Evangeliums geltend: »Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (1,3). Das unterstreicht gleichermaßen auch Paulus, wenn er an die Kolosser schreibt: »Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare [...]; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen« (1,16). Diese aktive Gegenwart des Sohnes im Schöpfungswerk Gottes ist voll offenbar geworden im Ostergeheimnis, in dem Christus dadurch, dass er »als Erster der Entschlafenen« (1 Kor 15,20) von den Toten auferstand, die neue Schöpfung begonnen und den Prozeß eingeleitet hat, den er selber vollenden wird im Augenblick seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, »wenn er seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt [...], damit Gott herrscht über alles und in allem« (1 Kor 15,24.28).
Schon am Morgen der Schöpfung schloss also Gottes Plan diese »kosmische Sendung« Christi ein. Diese christozentrische Perspektive bezieht sich auf die gesamte Zeitspanne und war in Gottes wohlgefälligem Blick gegeben, als er nach Vollendung seines Werkes »den siebten Tag segnete und ihn für heilig erklärte« (Gen 2,3). Damals entstand — nach dem von einem Priester verfaßten ersten biblischen Schöpfungsbericht — der »Sabbat«, der den ersten Bund so stark prägte und so etwas wie die Vorankündigung des heiligen Tages des neuen und endgültigen Bundes ist. Das Thema vom »Ruhen Gottes« (vgl. Gen 2,2) und von der Ruhe, die dem Volk nach seinem Auszug aus Ägypten beim Betreten des verheißenen Landes von ihm gewährt wurde (vgl. Ex 33,14; Dtn 3,20; 12,9; Jos 21,44; Ps 95,11), wird im Neuen Testament in einem neuen Licht, dem Licht der endgültigen »Sabbatruhe« (Hebr 4,9) wiedergelesen, in die Christus selber durch seine Auferstehung eingetreten ist und in die einzutreten das Volk Gottes berufen ist, wenn es den Spuren seines kindlichen Gehorsams folgt (vgl. Hebr 4,3-16). Deshalb müssen wir zur Einführung in das volle Verständnis des Sonntags den großartigen Abschnitt über die Schöpfung wiederlesen und die Theologie vom »Sabbat« vertiefen.
»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1)
9. Der poetische Stil des Genesisberichtes spiegelt das Staunen des Menschen angesichts der Unermesslichkeit der Schöpfung und das Gefühl der Verehrung wider, die er für den empfindet, der aus dem Nichts alles hervorgebracht hat. Es handelt sich um einen Abschnitt von intensiver religiöser Bedeutung, um ein Loblied auf den Schöpfer des Universums, der gegenüber den immer wiederkehrenden Versuchungen, die Welt selbst zu vergöttlichen, als der einzige Herr ausgewiesen wird, und zugleich um ein Loblied auf die Güte der ganz von der mächtigen und barmherzigen Hand Gottes gestalteten Schöpfung.
»Gott sah, dass es gut war« (Gen 1,10.12 usw.). Dieser Refrain, der den Bericht im einzelnen unterteilt, wirft ein positives Licht auf jedes Element des Universums, während er gleichzeitig das Geheimnis für sein entsprechendes Verständnis und für seine mögliche Erneuerung erahnen lässt: Die Welt ist in dem Maße gut, in dem sie in ihrem Ursprung verankert bleibt, und sie wird nach ihrer Entstellung durch die Sünde wieder gut, in dem sie mit Hilfe der Gnade zu dem zurückkehrt, der sie geschaffen hat. Diese Dialektik betrifft offensichtlich nicht unmittelbar die unbelebten Dinge und die Tiere, sondern die Menschen, denen das unvergleichliche Geschenk der Freiheit gewährt worden ist, das aber auch Gefahr in sich birgt. Gleich im Anschluß an die Schöpfungsberichte hebt die Bibel diesen dramatischen Gegensatz zwischen der Größe des nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen und seinem Fall hervor, der in der Welt das düstere Szenarium der Sünde und des Todes eröffnet (vgl. Gen 3).
10. Der Kosmos weist, da er aus Gottes Händen hervorgegangen ist, dessen Gütesiegel auf. Es ist eine schöne Welt, würdig, bewundert und genossen, aber auch, gepflegt und weiterentwickelt zu werden. Die Fertigstellung des Werkes Gottes eröffnet die Welt der Tätigkeit des Menschen. »Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte« (Gen 2,2). Durch diese anthropomorphe Ausdrucksweise vom »Schaffen« Gottes gibt uns die Bibel nicht nur einen Schimmer von dem geheimnisvollen Verhältnis zwischen dem Schöpfer und der geschaffenen Welt, sondern sie wirft auch ein Licht auf die Aufgabe des Menschen gegenüber der Welt. Das »Schaffen« Gottes ist beispielhaft für den Menschen. Denn dieser ist ja nicht nur dazu berufen, die Erde zu bewohnen, sondern auch die Welt »aufzubauen«, wodurch er zum »Mitarbeiter« Gottes wird. Die ersten Kapitel der Genesis stellen, wie ich in der EnzyklikaLaborem exercens geschrieben habe, in gewissem Sinne das erste »Evangelium der Arbeit« dar.<ref>Nr. 25: AAS 73 (1981), 639.</ref> Das ist eine Wahrheit, die auch vom II. Vatikanischen Konzil unterstrichen wird: »Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so dass alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde«.<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 34.</ref>
Die erhebende Geschichte der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Kultur in ihren verschiedenen Ausdrucksformen — eine immer raschere und heute geradezu schwindelerregende Entwicklung — ist in der Geschichte der Welt die Frucht des Auftrags, mit dem Gott dem Mann und der Frau die Aufgabe und Verantwortung übertragen hat, die Erde zu erfüllen und sie durch Arbeit unter Einhaltung seines Gesetzes zu unterwerfen.
Der »Sabbat«: das frohe Ruhen des Schöpfers
11. Wenn auf der ersten Seite der Genesis das »Schaffen« Gottes Vorbild für den Menschen ist, so gilt das ebenso von seinem »Ruhen«: »Und er ruhte am siebten Tag« (Gen 2,2). Auch hier stehen wir vor einem Anthropomorphismus, der eine fruchtbare Botschaft enthält.
Das »Ruhen« Gottes darf nämlich nicht auf banale Weise als eine Art »Untätigkeit« Gottes ausgelegt werden. Der Schöpfungsakt, der am Anfang der Welt steht, ist tatsächlich von Natur aus immerwährend; Gott hört nicht auf zu handeln, wie Jesus selber gerade in bezug auf das Gebot der Sabbatruhe erinnert: »Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk« (Joh 5,17). Die göttliche Ruhe des siebten Tages spielt nicht auf einen untätigen Gott an, sondern unterstreicht die Fülle der vollendeten Ausführung und drückt gleichsam das Innehalten Gottes vor dem »sehr guten« Werk seiner Hände aus (Gen 1,31), um einen Blick voll freudiger Genugtuung darauf zu werfen: einen Blick also, der »kontemplativer« Natur ist, dem es nicht mehr um neue Realisierungen geht, sondern vielmehr um die Freude über die Schönheit des Vollbrachten; ein Blick, der allen Dingen gilt, in besonderer Weise aber dem Menschen als dem Höhepunkt der Schöpfung. Es ist ein Blick, in dem man irgendwie bereits die »bräutliche« Dynamik der Beziehung ahnen kann, die Gott zu dem nach seinem Bild geschaffenen Geschöpf herstellen will, indem er es dazu beruft, sich auf ein Liebesbündnis einzulassen. Er wird das im Ausblick auf die der ganzen Menschheit angebotene Rettung schrittweise verwirklichen durch den mit Israel geschlossenen Heilsbund, der dann in Christus seinen Höhepunkt erreicht: Denn das fleischgewordene Wort wird — durch die endzeitliche Gabe des Heiligen Geistes und die Errichtung der Kirche als seinen Leib und seine Braut — das Angebot der Barmherzigkeit und Liebe des Vaters auf die ganze Menschheit ausweiten.
12. Im Plan des Schöpfers gibt es eine Unterscheidung, aber auch einen engen Zusammenhang zwischen Schöpfungsordnung und Heilsordnung. Das unterstreicht schon das Alte Testament, wenn es das »Sabbat«-Gebot nicht nur mit dem geheimnisvollen »Ruhen« Gottes nach den Tagen des schöpferischen Schaffens (vgl. Ex 20,8-11), sondern auch mit der Rettung in Beziehung setzt, die Israel in der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens (vgl. Dtn 5,12-15) von Gott gewährt wurde. Der Gott, der am siebten Tag ruht und sich seiner Schöpfung erfreut, ist derselbe, der durch die Befreiung seiner Söhne und Töchter aus der Zwangsherrschaft des Pharaos seine Herrlichkeit erweist. Im einen wie im anderen Fall könnte man nach einem bei den Propheten beliebten Bild sagen, er offenbarte sich wie der Bräutigam gegenüber der Braut (vgl.Hos 2,16-24; Jer 2,2; Jes 54,4-8).
Um nämlich an den Kern des »Sabbat«, des »Ruhens« Gottes, heranzukommen, wie es einige Elemente gerade der jüdischen Überlieferung nahelegen,<ref>Der Sabbat wird von unseren jüdischen Brüdern mit einer »bräutlichen« Spiritualität erlebt, wie das zum Beispiel in Texten wie Genesis Rabbah X, 9 und XI, 8 (vgl. Jacob Neusner, Genesis Rabbah, vol. I, Atlanta 1985, 107 u. 117) deutlich wird. Einen bräutlichen Ton weist auch der Gesang Leka dôdi auf: »Über dich wird dein Gott glücklich sein, wie der Bräutigam glücklich ist über seine Braut [...] o Braut, Königin Sabbat, komme mitten unter die Gläubigen deines auserwählten Volkes« (vgl. Preghiera serale del sabato, hrsg. von A. Toaff, Rom 1968-69, 3).</ref> gilt es, die bräutliche Intensität zu erfassen, die vom Alten bis zum Neuen Testament die Beziehung Gottes zu seinem Volk kennzeichnet. So zum Beispiel drückt es jene wunderbare Stelle bei Hosea aus: »Ich schließe für Israel an jenem Tag einen Bund mit den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels und mit allem, was auf dem Erdboden kriecht. Ich zerbreche Bogen und Schwert, es gibt keinen Krieg mehr im Land, ich lasse sie Ruhe und Sicherheit finden. Ich traue dich mir an auf ewig; ich traue dich mir an um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen, ich traue dich mir an um den Brautpreis meiner Treue: Dann wirst du den Herrn erkennen« (2,20-22).
»Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig« (Gen 2,3)
13. Das Sabbatgebot, das im ersten Bund den Sonntag des neuen und ewigen Bundes vorbereitet, hat also im Plan Gottes seine tiefsten Wurzeln. Deshalb steht es nicht neben rein kultischen Verordnungen, wie das bei vielen anderen Vorschriften der Fall ist, sondern im Dekalog, in den »Zehn Geboten«, die die eigentlichen Stützpfeiler des sittlichen Lebens erkennen lassen, das dem Menschen allgemein ins Herz geschrieben ist. Damit, dass sie dieses Gebot vor dem Hintergrund der ethischen Grundstrukturen begreifen, machen Israel und später die Kirche deutlich, dass sie es nicht als eine bloße Vorschrift zu religiöser Gemeinschaftsdisziplin betrachten, sondern als einen bedeutsamen und unverzichtbaren Ausdruck der Beziehung zu Gott, wie sie von der biblischen Offenbarung verkündet und vorgeschrieben wird. Aus dieser Perspektive muss dieses Gebot auch heute von den Christen wiederentdeckt werden. Wenn es auch eine natürliche Übereinstimmung mit dem menschlichen Bedürfnis nach Ruhe einschließt, so hängt es doch vom Glauben ab, den tiefen Sinn dieses Gebotes zu erfassen und nicht Gefahr zu laufen, es zu banalisieren oder zu verraten.
14. Der Tag der Ruhe ist der Sabbat also vor allem deshalb, weil er der von Gott »gesegnete« und »geheiligte« Tag ist, das heißt, getrennt von den anderen Tagen, um unter allen der Tag des Herrn zu sein.
Um den Sinn dieser »Heiligung« des Sabbat im ersten Schöpfungsbericht voll zu verstehen, muss man sich den gesamten Text ansehen, aus dem mit aller Klarheit hervorgeht, dass jede Wirklichkeit ohne Ausnahme auf Gott zurückzuführen ist. Er ist Herr über Zeit und Raum. Er ist nicht der Gott nur eines Tages, sondern der Gott aller Tage des Menschen.
Wenn er also den siebten Tag durch einen besonderen Segen »für heilig erklärt« und ihn zu »seinem Tag« schlechthin macht, muss das in der tiefgründigen Dynamik des Dialogs des Bundes, ja des »bräutlichen« Dialogs verstanden werden. Es ist ein Dialog der Liebe, der keine Unterbrechungen kennt und trotzdem nicht eintönig ist: Denn er entfaltet sich unter Verwendung der verschiedenen Tonalitäten der Liebe, von den gewöhnlichen und indirekten bis hin zu den stärksten Äußerungen, die mit Bildern aus der Erfahrung der hochzeitlichen Liebe zu beschreiben sich die Worte der Schrift und dann die Zeugnisse vieler Mystiker nicht scheuen.
15. Wahrhaftig müssen sowohl das ganze Leben, wie auch die ganze Zeit des Menschen als Lob und Dank gegenüber dem Schöpfer gelebt werden. Aber die Beziehung des Menschen zu Gott braucht auch Zeiten des ausdrücklichen Gebetes, wo die Beziehung zum intensiven Dialog wird, der jede Dimension der Person miteinschließt. Der »Tag des Herrn« ist schlechthin der Tag dieser Beziehung, an dem der Mensch seinen Gesang zu Gott erhebt und so zur Stimme der gesamten Schöpfung wird.
Deshalb ist er auch der Tag der Ruhe: Die Unterbrechung des oftbelastenden Arbeitsrhythmus bringt durch die plastische Sprache der »Neuheit« und der »Loslösung« die Anerkennung der eigenen und der Abhängigkeit des Kosmos von Gott zum Ausdruck. Alles kommt von Gott! Der Tag des Herrn macht diesen Grundsatz ständig geltend. Der »Sabbat« ist daher auf beeindruckende Weise als ein bezeichnendes Element jener Art »heiliger Architektur« der Zeit gedeutet worden, die die biblische Offenbarung charakterisiert.<ref>Vgl. A. J. Heschel, The sabbath. Ist meaning for modern man (22 ed. 1995), 3-24.</ref> Er erinnert daran, dass Zeit und Geschichte in Gottes Händen liegen und sich der Mensch seinem Wirken als Mitarbeiter des Schöpfers in der Welt nicht hingeben kann, ohne sich ständig dieser Wahrheit bewusst zu sein.
»Gedenken«, um »heiligzuhalten«
16. Das Gebot aus dem Dekalog, mit dem Gott das Einhalten des Sabbats auferlegt, hat im Buch Exodus eine charakteristische Formulierung gefunden: »Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!« (20,8). Und einige Verse später gibt der inspirierte Text die Begründung dafür, indem er an das Werk Gottes erinnert: »Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt« (V. 11). Bevor das Gebot etwas zu tun vorschreibt, weist es auf etwas hin, dessen es zu gedenken gilt. Es lädt dazu ein, das Gedächtnis jenes großartigen und fundamentalen Gotteswerkes, das die Schöpfung ist, wieder wachzurufen. Dieses Gedächtnis soll das gesamte religiöse Leben des Menschen beseelen, um dann einzumünden in den Tag, an dem der Mensch zum Ruhen angehalten ist. Die Ruhe nimmt so eine typische religiöse Wertigkeit an: Der Gläubige wird eingeladen, nicht nur zu ruhen, wie Gott geruht hat, sondern im Herrn zu ruhen, während er ihm in Lobpreis und Danksagung, in kindlicher Innigkeit und bräutlicher Freundschaft die ganze Schöpfung zurückgibt.
17. Das Thema des »Gedächtnisses« der von Gott vollbrachten Wunderwerke im Zusammenhang mit der Sabbatruhe ergibt sich auch aus dem Text des Deuteronomium (5,12-15), wo die Grundlage des Gebotes nicht so sehr im Schöpfungswerk als in der von Gott vollbrachten Befreiung im Auszug aus Ägypten gesehen wird: »Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm dort herausgeführt. Darum hat es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht, den Sabbat zu halten« (Dtn 5,15).
Diese Formulierung erscheint wie eine Ergänzung der vorhergehenden: Zusammen gesehen, enthüllen sie den Sinn des »Tages des Herrn« innerhalb einer einheitlichen theologischen Sicht der Schöpfung und des Heils. Inhalt des Gebotes ist daher nicht in erster Linie eine, wie auch immer geartete, Unterbrechung der Arbeit, sondern die feierliche Begehung der von Gott vollbrachten Wunderwerke.
In dem Maße, wie dieses von Dankbarkeit und Lob gegenüber Gott erfüllte »Gedächtnis« lebendig ist, gelangt die Ruhe des Menschen am Tag des Herrn zu ihrer vollen Bedeutung. Durch sie tritt der Mensch in die Dimension der »Ruhe« Gottes ein und hat intensiv an ihr teil; auf diese Weise wird er dazu fähig, sich von einem Taumel jener Freude packen zu lassen, wie der Schöpfer selber sie nach der Schöpfung empfunden hat, als er sah, dass alles, was er gemacht hatte »sehr gut war« (Gen 1,31).
Vom Sabbat zum Sonntag
18. Wegen dieser wesentlichen Abhängigkeit des dritten Gebotes vom Gedächtnis der Heilswerke Gottes haben die Christen, als sie die Eigentümlichkeit der von Christus eröffneten neuen und endgültigen Zeit wahrnahmen, den ersten Tag nach dem Sabbat zum Feiertag bestimmt, weil an diesem Tag die Auferstehung des Herrn stattgefunden hatte. Das Ostermysterium Christi stellt in der Tat die volle Enthüllung des Geheimnisses des Anfangs, den Höhepunkt der Heilsgeschichte und die Vorwegnahme der endzeitlichen Vollendung der Welt dar. Was Gott in der Schöpfung geschaffen und was er für sein Volk im Exodus vollbracht hat, ist im Tod und in der Auferstehung Christi zur Vollendung gekommen, auch wenn sein endgültiger Ausdruck erst in der Parusie, mit der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit, offenbar werden wird. In ihm verwirklicht sich voll der geistliche Sinn des Sabbats, wie der heilige Gregor der Große unterstreicht: »Wir betrachten als den wahren Sabbat unseren Erlöser, den Herrn Jesus Christus«.<ref>»Verum autem sabbatum ipsum redemptorem nostrum Iesum Christum Dominum habemus«: Ep 13,1: CCL 140 A, 992.</ref> Darum findet die Freude, mit der Gott die aus dem Nichts vollzogene Schöpfung am ersten Sabbat der Menschheit betrachtet, dann in der Freude Ausdruck, mit der Christus am Ostersonntag den Seinen erschienen ist, um ihnen das Geschenk des Friedens und des Geistes zu bringen (vgl. Joh 20,19-23). Tatsächlich hat im Ostergeheimnis der Mensch und mit ihm die gesamte Schöpfung die »bis zum heutigen Tag seufzt und in Wehen liegt« (Röm 8,22), ihren neuen »Exodus« zur Freiheit der Kinder Gottes erlebt, die mit Christus rufen dürfen: »Abba, Vater« (Röm 8,15; Gal 4,6). Im Lichte dieses Geheimnisses wird der Sinn des alttestamentlichen Gebotes über den Tag des Herrn wiedergewonnen, bereichert und völlig aufgedeckt in der Herrlichkeit, die im Antlitz des auferstandenen Christus aufscheint (vgl. 2 Kor 4,6). Vom »Sabbat« geht man über zum »ersten Tag nach dem Sabbat«, vom siebten Tag auf den ersten Tag: der dies Domini wird zum dies Christi!
ZWEITES KAPITEL: DIES CHRISTI - Der Tag des auferstandenen Herrn und des Geschenkes des Geistes
Das wöchentliche Ostern
19. »Auf Grund der verehrungswürdigen Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus feiern wir den Sonntag nicht nur an Ostern, sondern auch in jedem Wochenzyklus«: so schrieb am Anfang des 5. Jahrhunderts Papst Innozenz I.<ref>Ep. ad Decentium XXV, 4, 7: PL 20, 555.</ref> und bezeugte damit eine nunmehr gefestigte Gepflogenheit, die sich bereits in den ersten Jahren nach der Auferstehung des Herrn herausgebildet hatte. Der hl. Basilius spricht von dem »durch die Auferstehung des Herrn geehrten heiligen Sonntag, dem ersten aller Tage«.<ref>Homiliae in Hexaemeron II,8: SC 26, 184.</ref> Der hl. Augustinus nennt den Sonntag »Ostersakrament«.<ref>Vgl. In Io. ev. tractatus XX, 20, 2: CCL 36, 203;Epist. 55, 2: CSEL 34, 170-171.</ref>
Diese enge Verbindung des Sonntags mit der Auferstehung des Herrn wird von allen Kirchen, im Westen wie im Osten, nachdrücklich betont. Besonders in der Tradition der Ostkirchen wird jeder Sonntag als anastàsimos hemèra, Auferstehungstag,<ref>Besonders greifbar ist dieser Bezug zur Auferstehung in der russischen Sprache, wo der Sonntag eben »Auferstehung« (voskresén'e) heißt.</ref> begangen und ist auf Grund dieses seines Charakters der Mittelpunkt des ganzen Kultes.
Im Lichte dieser ununterbrochenen und weltweiten Überlieferung ist klar zu erkennen, dass man den Tag des Herrn, so sehr er, wie gesagt, im Schöpfungswerk selber und unmittelbarer, im Geheimnis der biblischen »Ruhe« Gottes wurzelt, dennoch in besonderer Weise auf die Auferstehung Christi beziehen muss, um seine volle Bedeutung zu begreifen. Das geschieht am christlichen Sonntag, der jede Woche den Gläubigen das Ostergeschehen, aus dem das Heil der Welt entspringt, wieder zur Betrachtung und zum Leben anbietet.
20. Nach dem einvernehmlichen Zeugnis der Evangelien geschah die Auferstehung Jesu Christi von den Toten am »ersten Tag nach dem Sabbat« (Mk 16,2.9; Lk 24,1; Joh 20,1). An demselben Tag zeigte sich der Auferstandene den zwei Emmausjüngern (vgl. Lk 24,13-35) und erschien den versammelten elf Aposteln (vgl. Lk 24,36; Joh 20,19). Acht Tage danach — so bezeugt das Johannesevangelium (vgl. 20,26) — hatten sich die Jünger wieder versammelt, als ihnen Jesus erschien und sich dem Thomas zu erkennen gab, indem er ihm seine Wundmale zeigte. Auch der Pfingsttag war ein Sonntag, der erste Tag der achten Woche nach dem jüdischen Paschafest (vgl. Apg 2,1), als sich mit der Ausgießung des Heiligen Geistes die Verheißung erfüllte, die Jesus nach der Auferstehung den Aposteln gemacht hatte (vgl. Lk 24,49; Apg 1,45). Das war der Tag der ersten Verkündigung und der ersten Taufen: Petrus verkündete der versammelten Menge, dass Christus auferstanden war, und »die, die sein Wort annahmen, ließen sich taufen« (Apg 2,41). Dies war die Epiphanie der Kirche, die als Volk offenbar wurde, in dem die verstreuten Kinder Gottes ungeachtet aller Verschiedenheiten in Einheit zusammenströmen.
Der erste Tag der Woche
21. Auf dieser Grundlage begann schon zur Zeit der Apostel »der erste Tag nach dem Sabbat«, der erste Tag der Woche, den Rhythmus des Lebens der Jünger Christi zu bestimmen (vgl. 1 Kor 16,2). Am »ersten Tag nach dem Sabbat« versammelten sich auch die Gläubigen von Troas, »um das Brot zu brechen«, als Paulus seine Abschiedspredigt an sie richtete und ein Wunder vollbrachte, um einen eben verstorbenen jungen Mann, Eutychius, ins Leben zurückzuholen (vgl. Apg 20,7-12). Die Offenbarung des Johannes bezeugt die Gewohnheit, diesem ersten Tag der Woche den Namen »Tag des Herrn« zu geben (1,10). Von da an wird das eines der Wesensmerkmale sein, welche die Christen von ihrer Umwelt unterscheiden. Das schrieb schon zu Beginn des zweiten Jahrhunderts der Statthalter von Bithynien, Plinius der Jüngere, der die Gewohnheit der Christen festhielt, »sich an einem festen Tag vor Sonnenaufgang zu versammeln und miteinander einen Lobgesang auf Christus als einen Gott zu singen«.<ref>Epist. 10, 96, 7.</ref> Und in der Tat, wenn die Christen »Tag des Herrn« sagten, verliehen sie diesem Begriff die Sinnfülle, die sich aus der Osterbotschaft herleitet: »Jesus Christus ist der Herr« (Phil 2,11; vgl. Apg 2,36; 1 Kor 12,3). Damit wurde Christus derselbe Titel zuerkannt, mit dem die Septuaginta in der Offenbarung des Alten Testamentes den Namen Gottes, JHWH, übersetzte, den auszusprechen verboten war.
22. In dieser Frühzeit der Kirche war der Wochenrhythmus der Tage in den Gegenden, wo sich das Evangelium ausbreitete, nicht allgemein bekannt, und die Festtage des römischen und griechischen Kalenders fielen nicht mit dem christlichen Sonntag zusammen. Das brachte für die Christen nicht geringe Schwierigkeiten mit sich, wenn sie den Tag des Herrn mit der für ihn typischen Festlegung auf einen bestimmten Wochentag einhalten wollten. So erklärt sich, warum die Gläubigen genötigt waren, sich vor Sonnenaufgang zu versammeln.<ref>Vgl. ebd. Unter Bezugnahme auf den Brief des Plinius erwähnt auch Tertullian die coetus antelucani in: Apologeticum 2, 6:CCL 1, 88; De corona 3, 3: CCL 2, 1043.</ref> Trotzdem setzte sich das Festhalten am Wochenrhythmus durch, da es sich auf das Neue Testament gründete und an die Offenbarung des Alten Testamentes gebunden war. Das unterstreichen gern die Apologeten und die Kirchenväter in ihren Schriften und in ihrer Verkündigung. Das Ostergeheimnis wurde anhand jener Schrifttexte veranschaulicht, die — nach dem Zeugnis des hl. Lukas (vgl. 24,27.44-47) — der auferstandene Christus selbst den Jüngern erklärt haben soll. Im Lichte dieser Texte gewann die Feier des Auferstehungstages einen lehrhaften und symbolischen Wert, der das ganz Neue des christlichen Geheimnisses auszudrücken vermochte.
Zunehmende Unterscheidung vom Sabbat
23. Auf dieses Neue kommt die Katechese der ersten Jahrhunderte immer wieder zurück, wenn sie sich bemüht, den Sonntag im Vergleich zum jüdischen Sabbat zu charakterisieren. Am Sabbat bestand für die Juden die Pflicht zur Zusammenkunft in der Synagoge und musste die vom Gesetz vorgeschriebene Ruhe eingehalten werden. Die Apostel und besonders der hl. Paulus suchten zuerst weiterhin die Synagoge auf, um dort Jesus Christus verkünden zu können, indem sie »die Worte der Propheten, die an jedem Sabbat vorgelesen wurden« (Apg 13,27), kommentierten. In einigen Gemeinden bestanden, wie man feststellen konnte, die Einhaltung des Sabbats und die Feier des Sonntags gleichzeitig nebeneinander. Sehr bald begann man jedoch die beiden Tage immer klarer zu unterscheiden, um vor allem auf die Beharrlichkeit jener Christen zu reagieren, die aus dem Judentum kamen und daher dazu neigten, an der Verpflichtung aus dem alten Gesetz festzuhalten. Der hl. Ignatius von Antiochien schreibt: »Wenn diejenigen, die unter den alten Umständen lebten, zu einer neuen Hoffnung gelangt sind, indem sie nicht mehr den Sabbat einhalten, sondern nach dem Tag des Herrn leben, dem Tag, an dem unser Leben durch ihn und seinen Tod aufgebrochen ist [...], Geheimnis von dem wir den Glauben erhalten haben und in dem wir bleiben, um als glaubwürdige Jünger Christi, unseres alleinigen Meisters, befunden zu werden, wie könnten dann wir ohne ihn leben, da doch auch die Propheten, seine Jünger im Geiste, ihn als Meister erwarteten?«.<ref>Brief an die Magnesier 9,1-2: SC 10, 88-89.</ref> Und der hl. Augustinus bemerkt: »Deshalb hat der Herr auch seinem Tag, dem dritten Tag nach der Passion, sein Siegel aufgeprägt. Er ist jedoch im Wochenzyklus der achte nach dem siebten, das heißt nach dem Sabbat, und der erste Tag der Woche«.<ref>Sermo 8 in octava Paschalis, 4: PL 46, 841. Dieses Wesensmerkmal des Sonntags als »erstem Tag« ist im lateinischen liturgischen Kalender klar ersichtlich, wo der Montag feria secunda, der Dienstag feria tertia usw. genannt wird. Eine ähnliche Bezeichnung der Wochentage findet sich im Portugiesischen.</ref> Die Unterscheidung des Sonntags vom jüdischen Sabbat festigt sich im kirchlichen Bewusstsein zunehmend, auch wenn in bestimmten Perioden der Geschichte wegen des Nachdrucks, der auf die Pflicht zur Sonntagsruhe gelegt wird, eine gewisse Tendenz zur »Sabbatisierung« des Herrentages festzustellen sein wird. Es gab übrigens durchaus Teile der Christenheit, wo der Sabbat und der Sonntag als »zwei brüderliche Tage« begangen wurden.<ref>Hl. Gregor von Nyssa, De castigatione: PG 46, 309. Auch in der maronitischen Liturgie wird der Zusammenhang zwischen dem Sabbat und dem Sonntag, vom »Geheimnis des Heiligen Samstag« an, betont (vgl. M. Hayek, Maronite [Eglise], Dictionnaire de spiritualité, X [1980], 632-644).</ref>
Der Tag der Neuschöpfung
24. Der Vergleich des christlichen Sonntags mit der Sabbatauffassung des Alten Testamentes löste auch eingehende theologische Untersuchungen aus, die großes Interesse fanden. Insbesondere wurde der einzigartige Zusammenhang deutlich gemacht, der zwischen Auferstehung und Schöpfung besteht. Das christliche Denken gelangte spontan dahin, die »am ersten Tag der Woche« geschehene Auferstehung mit dem ersten Tag jener kosmischen Woche (vgl. Gen 1,1-2,4) in Verbindung zu bringen, nach welcher das Buch Genesis das Schöpfungsgeschehen einteilt: der Tag der Erschaffung des Lichtes (vgl.1,3-5). Dieser Zusammenhang legte es nahe, die Auferstehung als den Beginn einer Neuschöpfung zu verstehen, deren Erster der verherrlichte Christus ist, »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung« (Kol 1,15), aber auch »der Erstgeborene der Toten« (Kol 1,18).
25. Der Sonntag ist tatsächlich der Tag, an welchem mehr als an jedem anderen der Christ aufgerufen ist, des Heils zu gedenken, das ihm in der Taufe angeboten worden ist und ihn in Christus zu einem neuen Menschen gemacht hat. »Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat« (Kol 2,12; vgl. Röm 6,4-6). Die Liturgie unterstreicht diese Taufdimension des Sonntags, sei es durch die Aufforderung, Tauffeiern außer in der Osternacht auch an diesem Wochentag abzuhalten, »an dem die Kirche der Auferstehung des Herrn gedenkt«,<ref>Ritus der Kindertaufe, Nr. 9; vgl. Ritus der christlichen Initiation Erwachsener, Nr. 59.</ref> sei es dadurch, dass sie als angemessenen Bußritus zu Beginn der Messe die Besprengung mit Weihwasser empfiehlt, die an das Taufgeschehen erinnert, aus dem jede christliche Existenz geboren wird.<ref>Vgl. Missale Romanum, Ritus der sonntäglichen Besprengung mit Weihwasser.</ref>
Der achte Tag, Bild der Ewigkeit
26. Andererseits führte der Umstand, dass der Sabbat der siebte Tag der Woche ist, dazu, den Tag des Herrn im Lichte einer ergänzenden Symbolik zu betrachten, an welcher den Kirchenvätern sehr gelegen war: Der Sonntag ist nicht nur der erste Tag, er ist auch der »achte Tag«, das heißt er nimmt im Vergleich zur Abfolge der sieben Tage eine einzigartige und transzendente Stellung ein, die nicht nur den Beginn der Zeit, sondern auch ihr Ende in der »zukünftigen Ewigkeit« beschwört. Der hl. Basilius erklärt, der Sonntag sei wirklich der einzige Tag, der auf die jetzige Zeit folgen werde, der Tag ohne Ende, der weder Abend noch Morgen kennt, die unvergängliche Ewigkeit, die nicht altern kann; der Sonntag ist die unaufhörliche Vorankündigung des Lebens ohne Ende, die die Hoffnung der Christen immer wieder belebt und sie auf ihrem Weg ermutigt.<ref>Vgl. Hl. Basilius, Über den Heiligen Geist, 27, 66: SC 17, 484-485. Vgl. auch Barnabas-Brief, 15, 8-9: SC 172, 186-189; Hl. Justinus, Dialog mit Tryphon, 24,138: PG 6, 528.793; Origenes, Psalmenkommentar, Psalm 118, 1: PG 12, 1588.</ref> Im Ausblick auf den letzten Tag, der die vorläufige Symbolik des Sabbat voll Wirklichkeit werden lässt, schließt der hl. Augustinus die Bekenntnisse, indem er vom eschaton als »Frieden der Ruhe, Frieden des Sabbat, Frieden ohne Abend« spricht.<ref>»Domine, praestitisti nobis pacem quietis, pacem sabbati, pacem sine vespera«: Confess., 13, 50: CCL 27, 272.</ref> Die Feier des Sonntags, des »ersten« und zugleich »achten« Tages, verweist den Christen auf das Ziel des ewigen Lebens.<ref>Vgl. Hl. Augustinus, Epist. 55, 17: CSEL 34, 188: »Ita ergo erit octavus, qui primus, ut prima vita sed aeterna reddatur«.</ref>
Der Tag Christi, des Lichtes
27. In dieser christozentrischen Sicht ist noch eine andere symbolische Bedeutung zu verstehen, die die gläubige Reflexion und die pastorale Praxis dem Tag des Herrn zuschrieben. Auf Grund einer wohlüberlegten pastoralen Eingebung sah sich nämlich die Kirche veranlaßt, die Bezeichnung »Tag der Sonne« — ein Ausdruck, mit dem die Römer diesen Tag benannten und der noch in einigen modernen Sprachen aufscheint<ref>So im englischen Sunday und im deutschen Sonntag.</ref> — für den Herrentag zu christianisieren; dadurch sollten die Gläubigen von Sitzungen des Sonnenkultes, wo die Sonne als Gott verehrt wurde, abgehalten und die Feier dieses Tages auf Christus, die wahre »Sonne« der Menschheit, ausgerichtet werden. Der hl. Justinus gebraucht, wenn er an die Heiden schreibt, die gängige Terminologie, um zu vermerken, dass die Christen ihre Versammlung »am Sonnentag« abhielten,<ref>Apologia I, 67: PG 6, 430.</ref> aber der Bezug auf diesen Ausdruck gewinnt nun für die Gläubigen einen neuen, vollkommen evangelischen Sinn.<ref>Vgl. Hl. Maximus von Turin, Sermo 44, 1: CCL 23, 178; Ders. Sermo 53, 2: CCL 23, 219; Eusebios von Cäsarea,Comm. in Ps 91: PG 23, 1169-1173.</ref> Christus ist tatsächlich das Licht der Welt (vgl. Joh 9,5; vgl. auch 1,4-5.9), und der Tag zum Gedächtnis seiner Auferstehung ist in der Wocheneinteilung der Zeit der ewige Widerschein dieser Epiphanie seiner Herrlichkeit. Das Thema des Sonntags als vom Sieg des auferstandenen Christus erhellten Tag findet auch Platz in der Stundenliturgie<ref>Siehe z. B. den Hymnus der Lesehore: »Dies aetasque ceteris octava splendet sanctior in te quam, Iesu, consecras primitiae surgentium« (1. Woche); und auch: »Salve dies, dierum gloria dies felix Christi victoria, dies digna iugi laetitia dies prima. Lux divina caecis irradiat, in qua Christus infernum spoliat, mortem vincit et reconciliat summis ima« (2. Woche). Ähnliche Ausdrücke finden sich in den Hymnen des Stundengebetes in den modernen Sprachen.</ref> und ist von besonderer Eindringlichkeit in der nächtlichen Gebetsversammlung, die in den orientalischen Liturgien auf den Sonntag vorbereitet und in ihn einführt. Wenn sich die Kirche an diesem Tag versammelt, macht sie sich in jeder Generation aufs neue das Staunen des Zacharias zu eigen, wenn sie ihren Blick auf Christus richtet und ihn als »das strahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes« (Lk 1,78-79), verkündet und vor Freude zittert wie Simeon, als er das göttliche Kind in seine Arme nahm, das gekommen ist als »Licht, das die Heiden erleuchtet« (Lk 2,32).
Der Tag der Gabe des Geistes
28. Der Sonntag als Tag des Lichtes, könnte in bezug auf den Heiligen Geist auch Tag des »Feuers« heißen. Denn das Licht Christi steht in engem Zusammenhang mit dem »Feuer« des Geistes, und beide Bilder weisen auf den Sinn des christlichen Sonntags hin.<ref>Vgl. Clemens Alexandrinus, Stromateis, VI, 138; 1-2: PG 9, 364.</ref> Als Jesus am Abend des Ostertages den Aposteln erschien, hauchte er sie an und sprach: »Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20,22-23). Die Ausgießung des Heiligen Geistes war das große Geschenk des Auferstandenen an seine Jünger am Ostersonntag. Es war wieder Sonntag, als fünfzig Tage nach der Auferstehung der Geist, wie ein »heftiger Sturm« und ein »Feuer« (Apg 2,2-3) voll Kraft auf die Apostel herabkam, die mit Maria im Abendmahlssaal versammelt waren. Pfingsten ist nicht nur ein Ereignis der Urkirche, sondern ein Geheimnis, das die Kirche ständig belebt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 22-26: AAS 78 (1986), 829-837.</ref> Auch wenn dieses Ereignis jedes Jahr durch die Feier des Pfingstfestes zum Abschluß des »großen Sonntags«<ref>Hl. Athanasius von Alexandrien, Festbriefe 1, 10: PG 26, 1366.</ref> liturgisch besonders herausgehoben wird, gehört es eben durch seinen engen Zusammenhang mit dem Ostermysterium auch zum tieferen Sinn jedes Sonntags. Das »wöchentliche Ostern« wird so gewissermaßen zum »wöchentlichen Pfingsten«, bei dem die Christen die freudige Erfahrung der Begegnung der Apostel mit dem Auferstandenen wiedererleben, indem sie sich vom Hauch seines Geistes mit Leben erfüllen lassen.
Der Tag des Glaubens
29. Auf Grund all dieser für ihn charakteristischen Dimensionen erscheint der Sonntag als der Tag des Glaubens schlechthin. An ihm macht der Heilige Geist, das lebendige »Gedächtnis« der Kirche (vgl.Joh 14,26), die erste Erscheinung des Auferstandenen zu einem Ereignis, das sich im »Heute« jedes einzelnen der Jünger Christi erneuert. Wenn die Gläubigen in der Zusammenkunft am Sonntag vor ihm stehen, fühlen sie sich angesprochen wie der Apostel Thomas: »Streck deinen Finger aus — hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!« (Joh 20,27). Ja, der Sonntag ist der Tag des Glaubens. Das wird dadurch unterstrichen, dass die Liturgie der sonntäglichen Eucharistiefeier, wie im übrigen jene der liturgischen Hochfeste, das Glaubensbekenntnis vorsieht. Das gesprochene oder gesungene »Credo« stellt den Tauf- und Ostercharakter des Sonntags heraus und macht ihn zu dem Tag, an dem in besonderer Weise der Getaufte im neugestärkten Bewusstsein des Taufversprechens seine Zugehörigkeit zu Christus und zu seinem Evangelium erneuert. Wenn er das Wort hört und den Leib des Herrn empfängt, betrachtet er den auferstandenen, in den »heiligen Zeichen« gegenwärtigen Jesus und bekennt mit dem Apostel Thomas: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28).
Ein unverzichtbarer Tag!
30. Man versteht nun, warum die Identität dieses Tages gerade auch im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten unserer Zeit gewahrt und vor allem intensiv gelebt werden muss. Ein orientalischer Autor vom Beginn des 3. Jahrhunderts berichtet, dass in jeder Region die Gläubigen schon damals den Sonntag regelmäßig heiligten.<ref>Vgl. Bardesanes, Dialog Über das Fatum, 46: PS, 2, 606-607.</ref> Die freiwillige Gepflogenheit ist dann zur rechtlich festgelegten Vorschrift geworden: Der Tag des Herrn hat der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche ihren Rhythmus gegeben. Wie könnte man da annehmen, er würde nicht weiter ihre Zukunft markieren? Die Probleme, die in unserer Zeit die Einhaltung der Sonntagspflicht schwieriger machen können, lassen die Kirche nicht ungerührt und finden bei ihr mütterliche Aufmerksamkeit für die Verhältnisse ihrer einzelnen Kinder. Sie fühlt sich im besonderen zu einem neuen katechetischen und pastoralen Engagement aufgerufen, damit keiner ihrer Gläubigen unter normalen Lebensbedingungen vom reichen Gnadenstrom abgeschnitten bleibe, den die Feier des Herrentages mit sich bringt. In demselben Geist hat das II. Vatikanische Konzil in einer Stellungnahme zur Hypothese einer kirchlichen Kalenderreform im Hinblick auf Veränderungen weltlicher Kalendersysteme erklärt, die Kirche »steht nur jenen nicht ablehnend gegenüber, welche die Siebentagewoche mit dem Sonntag bewahren und schützen«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, Anhang: Erklärung zur Kalenderreform.</ref> An der Schwelle des dritten Jahrtausends bleibt die Feier des christlichen Sonntags wegen der Bedeutungen und Dimensionen, die sie in bezug auf die Fundamente des Glaubens wachruft und einschließt, ein bedeutsames Element der christlichen Identität.
DRITTES KAPITEL: DIES ECCLESIAE - Die eucharistische Versammlung ist das Herz des Sonntags
Die Gegenwart des Auferstandenen
31. »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Dieses Versprechen Christi tönt immer noch in der Kirche und wird von ihr als fruchtbares Geheimnis ihres Lebens und Quelle ihrer Hoffnung aufgenommen. Wenn der Sonntag der Auferstehungstag ist, so ist er nicht nur das Gedächtnis eines Ereignisses der Vergangenheit: Er ist die Feier der lebendigen Gegenwart des Auferstandenen inmitten der Seinen.
Damit diese Gegenwart auf angemessene Weise verkündet und gelebt werde, genügt es nicht, dass die Jünger Christi einzeln beten und im Stillen, im Innersten ihres Herzens des Todes und der Auferstehung Christi gedenken. Denn alle, die die Gnade der Taufe empfangen haben, sind nicht nur einzeln, sondern als Glieder des mystischen Leibes gerettet worden und gehören zum Volk Gottes.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 9.</ref> Es ist daher wichtig, dass sie sich versammeln, um die Identität der Kirche als ekklèsía, als vom auferstandenen Herrn zusammengerufene Versammlung, vollgültig zum Ausdruck zu bringen: der Herr hat sein Leben hingegeben, »um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln« (Joh 11,52). Sie sind durch die Gabe des Geistes »einer« geworden in Christus (vgl. Gal 3,28). Äuberlich tritt diese Einheit in Erscheinung, wenn sich die Christen versammeln: Dabei werden sie sich selbt bewusst und bezeugen vor der Welt, dass sie das Volk der Erlösten sind, das sich aus »Menschen aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern« (Offb 5,9) zusammensetzt. In der Versammlung der Jünger Christi findet das Bild von der christlichen Urgemeinde seine zeitliche Verewigung, wie es von Lukas in der Apostelgeschichte mit beispielhafter Absicht gezeichnet wird, als er von den ersten Getauften berichtet: »Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten« (2,42).
Die eucharistische Versammlung
32. Diese Wirklichkeit des kirchlichen Lebens hat in der Eucharistie nicht nur eine besondere Ausdruckskraft, sondern gewissermaßen ihre »Quelle«.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Schreiben zum Gründonnerstag Dominicae cenae (24. Februar 1980), 4: AAS 72 (1980), 120; Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 62-64: AAS 78 (1986), 889-894.</ref> Die Eucharistie nährt und formt die Kirche: »Ein Brot ist es: Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1 Kor 10,17). Wegen dieser lebenswichtigen Beziehung zum Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn wird das Geheimnis der Kirche auf unüberbietbare Weise in der Eucharistie verkündet, ausgekostet und gelebt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus quintus annus (4. Dezember 1988), 9: AAS 81(1989), 905-906.</ref>
Immer, wenn die Eucharistie gefeiert wird, verwirklicht sich die ihr innewohnende kirchliche Dimension. Am stärksten aber kommt sie an dem Tag zum Ausdruck, an dem die ganze Gemeinde zusammengerufen wird, um der Auferstehung des Herrn zu gedenken. Bezeichnenderweise lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche: »Die sonntägliche Feier des Tages des Herrn und seiner Eucharistie steht im Mittelpunkt des Lebens der Kirche«.<ref>Nr. 2177.</ref>
33. In der Tat erleben die Christen in der Sonntagsmesse auf besonders intensive Weise wieder die Erfahrung, die von den versammelten Aposteln am Abend des ersten Tages der Woche gemacht wurde, als sich ihnen der Auferstandene zeigte (vgl. Joh 20,19). In jener kleinen Kerngruppe von Jüngern, in der Frühzeit der Kirche, war in gewisser Weise das Gottesvolk aller Zeiten gegenwärtig. Durch ihr Zeugnis breitet sich über jede Generation von Gläubigen das Heil Christi aus, bereichert durch das messianische Geschenk des Friedens, den er durch sein Blut erworben und zusammen mit seinem Geist angeboten hat: »Friede sei mit euch!«. Darin, dass Christus »acht Tage darauf« (Joh 20,26) wieder in ihre Mitte tritt, kann man das Ursymbol für die Gepflogenheit der christlichen Gemeinde sehen, alle acht Tage, am »Tag des Hern« oder Sonntag, zusammenzukommen, den Glauben an die Auferstehung zu bekennen und die Früchte der von ihm verheißenen Seligkeit zu ernten: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« (Joh 20,19). Dieser enge Zusammenhang zwischen der Erscheinung des Auferstandenen und der Eucharistie wird vom Lukasevangelium in der Erzählung über die beiden Emmausjünger angedeutet, zu denen sich Christus auf dem Weg gesellte, um sie an das Verständnis des Wortes heranzuführen und sich schließlich mit ihnen zu Tisch zu setzen. Sie erkannten ihn, als er »das Brot nahm, den Lobpreis sprach, das Brot brach und es ihnen gab« (24,30). Die Gesten Jesu in dieser Erzählung sind dieselben wie jene, die er beim Letzten Abendmahl vollzogen hatte, mit deutlicher Anspielung auf das »Brechen des Brotes«, wie die Eucharistie in der ersten Christengeneration genannt wurde.
Die sonntägliche Eucharistiefeier
34. Die Eucharistie am Sonntag hat natürlich an sich weder einen anderen Status als die an jedem anderen Tag gefeierte noch ist sie vom gesamten liturgischen und sakramentalen Leben zu trennen. Die Liturgie ist ihrem Wesen nach eine Epiphanie der Kirche,<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus quintus annus (4. Dezember 1988), 9: AAS 81 (1989), 905-906.</ref> die am offenkundigsten zutage tritt, wenn die Diözesangemeinde sich mit ihrem Bischof zum Gebet versammelt: »Die Kirche wird auf eine vorzügliche Weise dann sichtbar, wenn das ganze heilige Gottesvolk voll und tätig an denselben liturgischen Feiern, besonders an derselben Eucharistiefeier, teilnimmt: in der Einheit des Gebets und an dem einen Altar und unter dem Vorsitz des Bischofs, der umgeben ist von seinem Presbyterium und den Dienern des Altars«.<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 41: vgl. Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus dominus, 15.</ref> Die Verbundenheit mit dem Bischof und mit der ganzen kirchlichen Gemeinschaft ist in jeder Eucharistiefeier gegeben, an welchem Wochentag immer und auch wenn sie nicht unter dem Vorsitz des Bischofs gefeiert wird. Ausdruck dafür ist die Erwähnung des Bischofs im eucharistischen Hochgebet.
Mit der Verpflichtung zur gemeinsamen Anwesenheit und mit der besonderen Feierlichkeit, die die sonntägliche Eucharistiefeier kennzeichnen, weil diese eben »an dem Tag in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche« gefeiert wird, »an dem Christus von den Toten erstanden ist«,<ref>Diese sind die Worte des Embolismus, der mit diesen oder ähnlichen Ausdrücken in verschiedenen Sprachen in einigen Eucharistischen Hochgebeten formuliert wird. Dieser unterstreicht auf bezeichnende Weise den »österlichen« Charakter des Sonntags.</ref> manifestiert sie mit nochmaligem Nachdruck ihre kirchliche Dimension: Sie ist Vorbild für die anderen Eucharistiefeiern. Jede Gemeinde erfährt sich, wenn sie alle ihre Glieder zum »Brechen des Brotes« versammelt, als Ort, an dem sich das Geheimnis der Kirche konkret verwirklicht. Bei dieser Feier öffnet sich die Gemeinschaft der communio mit der Weltkirche,<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), 11-14: AAS 85 (1993), 844-847.</ref> indem sie den Vater bittet, dass »er der Kirche auf der ganzen Erde gedenke« und sie in der Einheit aller Gläubigen mit dem Papst und mit den Bischöfen der einzelnen Teilkirchen wachsen lasse zur Vollkommenheit der Liebe.
Der Tag der Kirche
35. Der dies Domini offenbart sich somit auch als dies ecclesiae. Da versteht man, warum die Gemeinschaftsdimension der sonntäglichen Eucharistiefeier auf Seelsorgsebene besonders hervorgehoben werden soll. Wie ich bei einer anderen Gelegenheit erinnert habe, ist unter die zahlreichen Aktivitäten, die eine Pfarrei ausübt, »keine so lebensnotwendig oder gemeinschaftsbildend wie die sonntägliche Feier des Tages des Herrn und seiner Eucharistie«<ref>Rede an die dritte Gruppe der Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika (17. März 1998) Nr. 4: Osservatore Romano 18. März 1998, 4.</ref> In diesem Sinne hat das II. Vatikanische Konzil von der Notwendigkeit gesprochen, darauf hinzuarbeiten, dass »der Sinn für die Pfarrgemeinschaft vor allem in der gemeinsamen Feier der Sonntagsmesse wachse«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 42.</ref> Auf derselben Linie liegen die darauffolgenden liturgischen Richtlinien, die die Forderung enthalten, dass die Eucharistiefeiern, die an normalen Tagen in anderen Kirchen und Kapellen gehalten werden, an Sonn- und Feiertagen mit der Messe der Pfarrgemeinde abgestimmt werden sollen, um »das kirchliche Gemeinschaftsgefühl zu stärken, das in besonderer Weise in der gemeinsamen Feier der Sonntagsmesse Nahrung und Ausdruck findet, unabhängig davon, ob sie, vor allem im Dom, unter dem Vorsitz des Bischofs, oder in der versammelten Pfarrgemeinde, deren Seelsorger den Bischof vertritt, gefeiert wird«.<ref>Hl. Ritenkongregation, Instruktion über den Kult des eucharistischen Mysteriums Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 26:AAS 59 (1967), 555.</ref>
36. Die sonntägliche Versammlung ist ein vorzüglicher Ort der Einheit: Denn hier wird das sacramentum unitatis gefeiert, das zutiefst das Wesen der Kirche als »von der« und »in der« Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes versammeltes Volk kennzeichnet.<ref>Vgl. Hl. Cyprian, De Orat. Dom., 23: PL 4, 553; Ders., De cath. Eccl. unitate, 7: CSEL 3-1, 215; II. Vat. Konzil, Dogmat. Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4; Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 26.</ref> Dabei erleben die christlichen Familien eine der gelungensten Äuberungen ihrer Identität und ihres »Auftrags« als »Hauskirchen«, wenn die Eltern zusammen mit ihren Kindern an dem einen Mahl des Wortes und des Brotes des Lebens teilnehmen.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), 57; 61: AAS 74 (1982), 151; 154.</ref> In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass es vor allem Aufgabe der Eltern ist, ihre Kinder zur Teilnahme an der Sonntagsmesse zu erziehen, wobei sie von den Religionslehrern unterstützt werden, die die Einführung in die Messe in das Unterrichtsprogramm der ihnen anvertrauten Kinder einbauen und diesen den wahren Grund der Pflicht des Sonntagsgebotes erläutern müssen. Dazu wird auch, wenn die Umstände es angeraten sein lassen, die Feier von Kindermessen nach den verschiedenen, von den liturgischen Normen vorgesehenen Bestimmungen beitragen.<ref>Vgl. Hl. Kongregation für den Gottesdienst, Direktorium für die Kindermessen (1. November 1973): AAS 66 (1974), 30-46.</ref>
Es ist normal, dass sich zu den Sonntagsmessen der Pfarrgemeinde als »eucharistischer Gemeinschaft«<ref>Vgl. Hl. Ritenkongregation, Instruktion über den Kult des eucharistischen Geheimnisses Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 26:AAS 59 (1967), 555-556; Hl. Kongregation für die Bischöfe, Direktorium für den pastoralen Dienst der Bischöfe Ecclesiae imago (22. Februar 1973), 86c: Enchiridion Vaticanum, 4, Nr. 2071.</ref> die in ihr vorhandenen Gruppen, Bewegungen, Vereinigungen und auch kleine Ordensgemeinschaften einfinden. Das lässt sie das erfahren, was ihnen, jenseits der spezifischen geistlichen Wege, die sie gemäß der Unterscheidung der kirchlichen Autorität legitimerweise kennzeichnen, zutiefst gemeinsam ist.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 30: AAS 81 (1989), 446-447.</ref> Deswegen soll man am Sonntag, dem Tag der Versammlung des Gottesvolkes, die Messen der kleinen Gruppen nicht fördern: Dabei geht es nicht nur darum zu vermeiden, dass es den Versammlungen der Pfarrgemeinden am notwendigen Dienst der Priester fehlt, sondern auch darum, es so einzurichten, dass das Leben und die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft voll bewahrt und gefördert werden.<ref>Vgl. Hl. Kongregation für den Gottesdienst, Instruktion Messen für besondere Gruppen (15. Mai 1969), 10: AAS 61 (1969), 810.</ref> Etwaige, klar umgrenzte Ausnahmen von diesem Grundsatz zu genehmigen angesichts besonderer Anforderungen erzieherischer oder pastoraler Natur, obliegt der besonnenen Unterscheidung der Bischöfe der Teilkirchen; sie müssen dabei nicht nur das Wohl einzelner oder von Gruppen, sondern insbesondere die Früchte im Auge haben, die der ganzen Kirchengemeinschaft daraus erwachsen können.
Volk auf der Pilgerschaft
37. Wenn wir die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit betrachten, sind die Bezugnahme auf die Auferstehung Christi und die wöchentliche Wiederkehr des feierlichen Gedächtnisses dieses Ereignisses eine hilfreiche Erinnerung an den Charakter der Pilgerschaft und die eschatologische Dimension des Gottesvolkes. Denn von Sonntag zu Sonntag ist die Kirche auf dem Weg zum letzten »Tag des Herrn«, dem Sonntag, der kein Ende kennt. Die Erwartung der Wiederkunft Christi gehört tatsächlich zum eigentlichen Geheimnis der Kirche<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 48-51.</ref> und tritt in jeder Eucharistiefeier zutage. Aber der Tag des Herrn mit seinem besonderen Gedächtnis der Herrlichkeit des auferstandenen Christus weist mit größter Eindringlichkeit auch auf die künftige Herrlichkeit seiner »Wiederkunft« hin. Das macht den Sonntag zu dem Tag, an welchem die Kirche dadurch, dass sie ihren »bräutlichen« Charakter klarer erkennen lässt, gewissermaßen die eschatologische Wirklichkeit des himmlischen Jerusalem vorwegnimmt. Indem die Kirche ihre Kinder in der eucharistischen Versammlung zusammenführt und sie zur Erwartung des »himmlischen Bräutigams« erzieht, führt sie gleichsam eine »Übung des Verlangens«<ref>»Haec est vita nostra, ut desiderando exerceamur«: Hl. Augustinus, In prima Ioan. tract. 4,6: SC 75, 232.</ref> durch, bei der sie im voraus die Freude an dem neuen Himmel und der neuen Erde genießt, wenn die heilige Stadt, das neue Jerusalem aus dem Himmel herabkommen wird, »bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat« (Offb 21,2).
Tag der Hoffnung
38. Wenn unter diesem Gesichtspunkt der Sonntag der Tag des Glaubens ist, so ist er gleichfalls der Tag der christlichen Hoffnung. Die Teilnahme am »Abendmahl des Herrn« ist nämlich die Vorwegnahme des himmlischen »Hochzeitsmahles des Lammes« (Offb 19,9). Wenn die christliche Gemeinde das Gedächtnis des auferstandenen und zum Himmel aufgestiegenen Christus feiert, erwartet sie »voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus«.<ref>Missale Romanum, Embolismus nach dem Vater unser.</ref> Die durch diesen intensiven Wochenrhythmus gelebte und genährte christliche Hoffnung wird zum Sauerteig und Licht der menschlichen Hoffnung. Deshalb werden in das allgemeine Fürbittgebet die Anliegen nicht nur der christlichen Gemeinschaft, sondern der ganzen Menschheit hineingenommen; die zur Eucharistiefeier versammelte Kirche bezeugt damit vor der Welt, dass sie »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art« zu ihren eigenen macht.<ref>II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 1.</ref> Die Kirche macht dadurch, dass sie das Zeugnis, das ihre Kinder sich bei der Arbeit und den verschiedenen Verpflichtungen des täglichen Lebens an allen Wochentagen durch die Verkündigung des Evangeliums und die Übung der Liebe zu erbringen bemühen, mit der sonntäglichen Eucharistiefeier krönt, noch offenkundiger deutlich, dass sie »gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ist.<ref>II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 61-64: AAS 78 (1986), 888-894.</ref>
Der Tisch des Gotteswortes
39. Bei der Sonntagsmesse wie übrigens bei jeder Eucharistiefeier kommt es durch die Teilnahme an den beiden Tischen des Wortes Gottes und des Brotes des Lebens zur Begegnung mit dem Auferstandenen. Der erste Tisch gibt jenes Verständnis der Heilsgeschichte und besonders des Paschamysteriums weiter, das der auferstandene Jesus den Jüngern vermittelt hat: Es ist er, der spricht, der in seinem Wort gegenwärtig ist, »wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden«.<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 7; vgl. 33.</ref> Beim zweiten Tisch verwirklicht sich die reale, substantielle und dauernde Gegenwart des auferstandenen Herrn durch das Gedächtnis seines Leidens und seiner Auferstehung mit der Darbringung jenes Brotes des Lebens, das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit ist. Das II. Vatikanische Konzil hat daran erinnert, dass »Wortgottesdienst und Eucharistiefeier so eng miteinander verbunden [sind], dass sie einen einzigen Kultakt ausmachen«.<ref>Ebd., 56; vgl. Ordo Lectionum Missae, Praenotanda, Nr. 10.</ref> Desgleichen hat das Konzil festgelegt, dass »den Gläubigen der Tisch des Gotteswortes reicher bereitet werde, [indem] die Schatzkammer der Bibel weiter aufgetan werde«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 51.</ref> Sodann hat es angeordnet, dass in den Messen an Sonntagen und an gebotenen Feiertagen die Homilie nicht ausfallen dürfe, es sei denn, es liege ein schwerwiegender Grund vor.<ref>Vgl. ebd.. 52; Codex des kanonischen Rechtes, can. 767 § 2; Codex des kanonischen Rechtes der orientalischen Kirchen, can. 614.</ref> Glaubhaften Ausdruck haben diese guten Verfügungen in der Liturgiereform gefunden; unter Bezugnahme auf sie schrieb Paul VI. zur Erläuterung des reicheren Angebotes an Bibellesungen an Sonntagen und Feiertagen: »Das alles ist angeordnet worden, um bei den Gläubigen immer stärker "jenen Hunger nach einem Wort des Herrn" (Am 8,11) zu steigern, der unter der Führung des Heiligen Geistes das Volk des neuen Bundes zur vollkommenen Einheit der Kirche anspornen soll«.<ref>Apostol. Konstitution Missale Romanum (3. April 1969): AAS 61 (1969), 220.</ref>
40. Wenn wir über dreißig Jahre nach dem Konzil über die sonntägliche Eucharistiefeier nachdenken, gilt es zu überprüfen, wie das Wort Gottes verkündet wird, und ob die Kenntnis und Liebe der Heiligen Schrift beim Volk Gottes wirklich zugenommen hat.<ref> In der Konzilskonstitution Sacrosanctum concilium, Nr. 24, ist von »suavis et vivus Sacrae Scripturae affectus« die Rede.</ref> Beide Aspekte, sowohl jener der Feier wie jener der gelebten Existenz, stehen in enger Beziehung. Auf der einen Seite muss uns die vom Konzil eröffnete Möglichkeit, das Wort Gottes in der eigenen Sprache der teilnehmenden Gemeinde zu verkünden, dieser gegenüber eine »neue Verantwortung« wahrnehmen lassen, so dass »schon aus der Art des Vorlesens oder Singens der besondere Charakter der heiligen Texte aufleuchtet«.<ref>Johannes Paul II., Schreiben Dominicae cenae (24. Februar 1980), 10: AAS 72 (1980), 135.</ref> Andererseits ist es notwendig, dass die Gläubigen geistig auf das Hören des verkündeten Wortes gut vorbereitet werden durch eine angemessene Kenntnis der Heiligen Schrift und, wo es pastoral möglich ist, durcheigene Initiativen zur gründlicheren Erklärung der Bibelstellen, besonders jener bei den Messen an Feiertagen. Wenn nämlich die Lesung des heiligen Textes, die im Geist des Gebets und in Übereinstimmung mit der kirchlichen Erklärung erfolgen muss,<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 25.</ref> nicht das gewöhnliche Leben der einzelnen und der christlichen Familien erfüllt, wird die Verkündigung des Wortes Gottes in der Liturgie allein kaum imstande sein, die erhofften Früchte zu erbringen. Höchst lobenswert sind demnach jene Initiativen, durch welche die Pfarrgemeinden unter Einbeziehung aller Teilnehmer an der Eucharistiefeier — Priester, liturgischer Dienst und Gläubige<ref>Vgl. Ordo Lectionum Missae, Praenotanda, Kap. III.</ref> — bereits im Laufe der Woche die Sonntagsmesse vorbereiten und im voraus über das Gotteswort, das verkündet werden soll, nachdenken. Das damit angestrebte Ziel ist, dass die ganze Meßfeier, also Gebet, Hören, Singen und nicht nur die Homilie, die Botschaft des Sonntagsgottesdienstes so zum Ausdruck bringen möge, dass sie alle, die daran teilnehmen, wirksamer zu beeinflussen vermag. Großes ist natürlich der Verantwortung jener anvertraut, die den Dienst am Wort ausüben. Ihnen obliegt es mit außerordentlicher Sorgfalt im Studieren der Heiligen Schrift und im Gebet, die Auslegung des Wortes Gottes vorzubereiten. Dabei müssen sie getreu die Inhalte wiedergeben und sie so aktualisieren, dass sie in Beziehung zu den Fragen und zum Leben der Menschen unserer Zeit gebracht werden.
41. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die liturgische Verkündigung des Wortes Gottes, vor allem im Rahmen der Eucharistiefeier, nicht nur ein Augenblick der Erbauung und Katechese, sonderndas Gespräch Gottes mit seinem Volk ist, ein Gespräch, in dem diesem die Heilswunder verkündet und immer wieder die Ansprüche des Bundes vor Augen gestellt werden. Das Volk Gottes seinerseits fühlt sich aufgerufen, diesen Dialog der Liebe durch Dank und Lobpreis, aber gleichzeitig dadurch zu erwidern, dass es in dem Bemühen um eine ständige »Umkehr« seine Treue nachweist. Die Sonntagsmesse verpflichtet also zur inneren Erneuerung des Taufversprechens, das ja in gewisser Weise im Sprechen des Glaubensbekenntnisses enthalten ist; ausdrücklich vorgesehen ist es in der Osternachtfeier und bei der Spendung der Taufe während der Messe. In diesem Rahmen nimmt die Verkündigung des Wortes bei der sonntäglichen Eucharistiefeier den feierlichen Ton an, den schon das Alte Testament für den Anlaß der Erneuerung des Bundes vorsah, wo das Gesetz verkündet wurde und die Israeliten als Volk in der Wüste am Fuße des Berges Sinai aufgerufen wurden (vgl. Ex 19,7-8; 24,3-7), durch die Erneuerung der Entscheidung zur Treue zu Gott und zur Einhaltung seiner Gebote ihr »Ja« zu bekräftigen. Gott erwartet, wenn er uns sein Wort mitteilt, in der Tat unsere Antwort: Es ist die Antwort, die Christus durch sein »Amen« schon für uns gegeben hat (vgl. 2 Kor 1,20-22) und die der Heilige Geist so in uns widerhallen lässt, dass das Gehörte unser Leben voll einbezieht.<ref>Vgl. Ordo Lectionum Missae, Praenotanda, Kap. I, Nr. 6.</ref>
Der Tisch des Leibes Christi
42. Der Tisch des Wortes mündet natürlich in den Tisch des eucharistischen Brotes und bereitet die Gemeinschaft vor, dessen vielfältige Dimensionen zu leben, die in der Sonntagsmesse einen besonders feierlichen Charakter annehmen. In dem festlichen Ton der Zusammenkunft der ganzen Gemeinde am »Tag des Herrn« stellt die Eucharistie sichtbarer als an den anderen Tagen die große »Danksagung« dar, mit der sich die Kirche voll des Heiligen Geistes an den Vater wendet, indem sie sich mit Christus vereinigt und zur Stimme der ganzen Menschheit wird. Die wöchentliche Wiederkehr des Sonntags legt nahe, in dankbarer Erinnerung die Ereignisse der vergangenen Tage aufzugreifen, sie im Lichte Gottes neu zu bedenken und ihm für seine zahllosen Gaben zu danken, indem wir ihn »durch Christus, mit Christus und in Christus, in der Einheit des Heiligen Geistes« preisen. Auf diese Weise wird sich die christliche Gemeinde aufs neue bewusst, dass durch Christus alles erschaffen (vgl. Kol 1,16; Joh 1,3) und in ihm, der in Knechtsgestalt gekommen ist, um unser menschliches Dasein zu teilen und zu erlösen, alles wieder vereinigt worden ist (vgl. Eph 1,10), um Gott, dem Vater, dargebracht zu werden, in dem alles Ursprung und Leben hat. Indem das Volk Gottes schließlich mit seinem »Amen« dem eucharistischen Lobpreis zustimmt, versetzt es sich in den Glauben und in die Hoffnung auf das Endziel, wenn Christus »seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt [...] damit Gott herrscht über alles und in allem« (1 Kor 15,24.28).
43. Diese jeder Eucharistiefeier innewohnende »Aufwärtsbewegung«, die sie zu einem freudigen, von Dankbarkeit und Hoffnung erfüllten Ereignis macht, wird aber in der Sonntagsmesse durch deren besonderen Zusammenhang mit dem Gedächtnis der Auferstehung ausdrücklich hervorgehoben. Andererseits ist die »eucharistische« Freude, die »unsere Herzen erhebt«, Frucht der »Abwärtsbewegung«, die Gott zu uns hin vollzogen hat und die für immer zum Wesen der Eucharistie als Opfer gehört, erhabenster Ausdruck und Feier des Mysteriums der kénosis, das heißt der Demütigung, durch die Christus »sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2,8).
Die Messe ist in der Tat lebendige Vergegenwärtigung des Opfers von Golgota. Unter den Gestalten von Brot und Wein, auf welche die Ausgießung des Geistes herabgerufen wurde, der in den Wandlungsworten in ganz einzigartiger Weise wirksam ist, bringt sich Christus dem Vater in derselben Opferhaltung dar, mit der er sich am Kreuz hingegeben hat. »In diesem göttlichen Opfer, das in der Messe vollzogen wird, [ist] jener selbe Christus enthalten und [wird] unblutig geopfert, der auf dem Altar des Kreuzes ein für allemal sich selbst blutig opferte«.<ref> Konzil von Trient, Sess. XXII, Lehre und Kanones über das Meßopfer, II: DS, 1743; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1366.</ref> Mit seinem Opfer vereinigt Christus das Opfer der Kirche: »In der Eucharistie wird das Opfer Christi auch zum Opfer der Glieder seines Leibes. Das Leben der Gläubigen, ihr Lobpreis, ihr Leiden, ihr Gebet und ihre Arbeit werden mit denen Christi und mit seiner Ganzhingabe vereinigt und erhalten so einen neuen Wert«.<ref> Katechismus der Katholischen Kirche, 1368.</ref> Diese Teilnahme der ganzen Gemeinde wird besonders offenkundig in der Versammlung am Sonntag, die es gestattet, die abgelaufene Woche mit ihrer ganzen menschlichen Last vor den Altar zu tragen.
Paschamahl und brüderliche Begegnung
44. Ausdruck findet diese Einstimmigkeit dann besonders im Wesen des Paschamahles, das typisch ist für die Eucharistie, in der Christus selbst zur Speise wird. Denn »zu diesem Zweck vertraute Christus der Kirche dieses Opfer an: damit die Gläubigen sowohl geistlich, durch Glaube und Liebe, als auch sakramental, durch das Mahl der heiligen Kommunion, daran teilnehmen. Die Teilnahme am Abendmahl des Herrn ist immer Gemeinschaft mit Christus, der sich für uns im Opfer dem Vater darbringt«.<ref> Hl. Ritenkongregation, Instruktion über den Kult des eucharistischen Geheimnisses Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 3 b: AAS 59 (1967), 541. Vgl. Pius XII., Enzyklika Mediator Dei (20. November 1947), II: AAS 39 (1947), 564-566.</ref> Deshalb empfiehlt die Kirche den Gläubigen, wenn sie an der Messe teilnehmen, auch die Kommunion zu empfangen, vorausgesetzt, dass sie sich in der gebührenden Verfassung befinden und, falls sie sich einer schweren Sünde bewusst sind, in dem Geist, den der hl. Paulus der Gemeinde von Korinth nahelegte (vgl. 1 Kor 11,27-32), im Sakrament der Buße die Vergebung Gottes empfangen haben.<ref>Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1385; vgl. auch Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen (14. September 1994): AAS 86 (1994), 974-979.</ref> Besonders eindringlich ist die Einladung zur eucharistischen Kommunion natürlich bei der Messe am Sonntag und an den anderen Feiertagen.
Wichtig ist außerdem, sich ganz klar dessen bewusst zu sein, dass die Gemeinschaft mit Christus zutiefst an die Gemeinschaft mit den Brüdern gebunden ist. Die eucharistische Zusammenkunft am Sonntag ist ein Ereignis der Brüderlichkeit, das die Feier, freilich unter Beachtung des für die liturgische Handlung vorgesehenen Stils, deutlich herausstellen soll. Dazu trägt die Gebetseinladung und der Ton des Gebetes selbst bei, das sich der Anliegen der ganzen Gemeinde annimmt. Der Austausch des Zeichens des Friedens und der Versöhnung, im römischen Ritus bezeichnenderweise vor der Kommunionausteilung vorgesehen, ist eine besonders ausdrucksvolle Geste, zu deren Durchführung die Gläubigen eingeladen werden: als Zeichen der Zustimmung des Gottesvolkes zu allem, was in der Meßfeier vollzogen worden ist,<ref>Vgl. Innozenz I., Epist. 25,1 an Decentius von Gubbio: PL 20, 553.</ref> und der Verpflichtung zu gegenseitiger Liebe, die in Erinnerung an das anspruchsvolle Wort Christi durch die Teilnahme an dem einen Brot übernommen wird: »Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe« (Mt 5,23-24).
Von der Messe zur »Sendung«
45. Durch den Empfang des Brotes des Lebens bereiten sich die Jünger Christi darauf vor, mit der Kraft des Auferstandenen und seines Geistes die Aufgaben anzupacken, die in ihrem gewöhnlichen Leben auf sie warten. Denn für den Gläubigen, der den Sinn des Vollzogenen verstanden hat, kann sich die Eucharistiefeier nicht innerhalb des Gotteshauses erschöpfen. Wie die ersten Zeugen der Auferstehung, so sind die Christen, die jeden Sonntag zusammengerufen werden, um die Gegenwart des Auferstandenen zu erleben und zu bekennen, dazu berufen, in ihrem Alltagsleben zu Glaubensverkündern und Zeugen zu werden. Das Schlussgebet nach der Kommunion und der Schlussteil — Segen und Entlassung — müssen in dieser Hinsicht wiederentdeckt und besser bewertet werden, damit alle, die an der Eucharistie teilgenommen haben, sich tiefer der für sie daraus folgenden Verantwortung bewusst werden. Nach dem Auseinandergehen der Versammlung kehrt der Jünger in sein normales Umfeld mit der Verpflichtung zurück, sein ganzes Leben zu einem Geschenk, zu einem geistlichen Opfer zu machen, das Gott gefällt (vgl. Röm 12,1). Er fühlt sich den Brüdern gegenüber als Schuldner für das, was er in der Eucharistiefeier empfangen hat, nicht anders als die Emmausjünger, die, nachdem sie den auferstandenen Christus »am Brechen des Brotes« erkannt hatten (vgl. Lk 24,30-32), das Verlangen spürten, sogleich zu ihren Brüdern zu gehen und mit ihnen die Freude über die Begegnung mit dem Herrn zu teilen (vgl. Lk 24,33-35).
Das Sonntagsgebot
46. Da die Eucharistie das Herz des Sonntags ist, versteht man, dass seit den ersten Jahrhunderten die Bischöfe nicht aufgehört haben, ihre Gläubigen an die Notwendigkeit der Teilnahme an der liturgischen Versammlung zu erinnern. »Laßt alles am Tag des Herrn — erklärt zum Beispiel der Traktat Didascalia Apostolorum aus dem 3. Jahrhundert — und eilt voll Eifer zu eurer Versammlung, denn sie ist euer Lobpreis für Gott. Welche Entschuldigung werden andernfalls jene vor Gott haben, die am Tag des Herrn nicht zusammenkommen, um das Wort des Lebens zu hören und sich von der ewig währenden göttlichen Speise zu nähren?«.<ref>II, 59, 2-3: ed. Franz Xaver Funk, 1905, 170-171.</ref> Der Aufruf der Bischöfe hat im allgemeinen im Herzen der Gläubigen überzeugte Zustimmung gefunden. Auch wenn es Zeiten und Situationen gegeben hat, wo die ideale Intensität bei der Erfüllung dieser Pflicht nachließ, muss man doch den echten Heroismus erwähnen, mit dem Priester und Gläubige in unzähligen Situationen der Gefahr und eingeschränkter religiöser Freiheit dieser Pflicht nachgekommen sind, wie sich seit den ersten Jahrhunderten der Kirche bis in unsere Zeit feststellen lässt.
In seiner ersten an Kaiser Antoninus und den Senat gerichteten Apologie konnte der hl. Justinus voll Stolz die christliche Praxis der Versammlung am Sonntag beschreiben, welche die Christen aus Stadt und Land an demselben Ort zusammenführte.<ref>Vgl. Apologia I, 67, 3-5: PG 6, 430.</ref> Als ihnen während der Verfolgung unter Diokletian ihre Versammlungen mit äußerster Härte verboten wurden, widersetzten sich viele Mutige dem kaiserlichen Edikt und nahmen den Tod auf sich, um nur nicht die sonntägliche Eucharistiefeier zu versäumen. Das trifft auf jene Märtyrer aus Abitana in der Provinz Africa proconsularis zu, die ihren Anklägern folgendes antworteten: »Wir haben ohne jede Furcht das Mahl des Herrn gefeiert, weil man es nicht verschieben darf; das ist unser Gesetz«; »Wir können nicht ohne das Mahl des Herrn leben«. Und eine der Märtyrerinnen bekannte: »Jawohl, ich bin zur Versammlung gegangen und habe mit meinen Brüdern das Mahl des Herrn gefeiert, weil ich Christin bin«.<ref>Acta SS. Saturnini, Dativi et aliorum plurimorum martyrum in Africa, 7, 9, 10: PL 8, 707.709-710.</ref>
47. Die Kirche hat nie aufgehört, diese auf das innere Bedürfnis begründeten Gewissenspflicht, die die Christen der ersten Jahrhunderte so stark empfanden, geltend zu machen, auch wenn sie es zunächst nicht für notwendig hielt, sie als Gebot vorzuschreiben. Erst später musste sie angesichts der Lauheit oder Nachlässigkeit mancher Christen die Pflicht zur Teilnahme an der Sonntagsmesse deutlich zum Ausdruck bringen: In den meisten Fällen hat sie das in Form von Ermahnungen getan, manchmal aber musste sie auch klare kirchenrechtliche Verfügungen treffen. Das war der Fall bei verschiedenen Partikularsynoden seit dem 4. Jahrhundert (so bei der Synode von Elvira im Jahr 300, die nicht von Pflicht, sondern von strafrechtlichen Folgen nach dreimaliger Abwesenheit von der Sonntagsmesse spricht)<ref>Vgl. can. 21, Mansi, Conc. II, 9.</ref> und vor allem ab dem 6. Jahrhundert (wie bei der Synode von Agde im Jahr 506).<ref>Vgl. can. 47, Mansi, Conc. VIII, 332.</ref> Diese Dekrete von Partikularsynoden führten, was ganz selbstverständlich ist, zu einer allgemeinen Gewohnheit mit verpflichtendem Charakter.<ref>Vgl. den von Innozenz XI. 1679 verurteilten gegenteiligen Satz bezüglich der moralischen Verpflichtung zur Einhaltung der Feste: DS 2152.</ref>
Der Codex des kanonischen Rechtes von 1917 faßte zum ersten Mal die Überlieferung in einem allgemeinen Gesetz zusammen.<ref>Can. 1248: »Festis de praecepto diebus Missa audienda est«; can. 1247,1: »Dies festi sub praecepto in universa Ecclesia sunt... omnes et singuli dies dominici«.</ref> Der derzeitige Codex bekräftigt es, indem er festlegt: »Am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen sind die Gläubigen zur Teilnahme an der Meßfeier verpflichtet«.<ref>Codex des kanonischen Rechtes, can. 1247; der Codex des kanonischen Rechtes der orientalischen Kirchen, can. 881 § 1, schreibt vor, dass »die Christgläubigen zur Pflicht angehalten sind, an den Sonntagen und an den gebotenen Feiertagen an der Göttlichen Liturgie teilzunehmen, oder, gemäß den Vorschriften oder der rechtmäßigen Gewohnheit der eigenen Kirche sui iuris, an der Feier der Göttlichen Laudes«.</ref> Ein solches Gesetz ist normalerweise als Auferlegung einer ernsten Pflicht verstanden worden: das lehrt auch der Katechismus der Katholischen Kirche,<ref>Nr. 2181: »Wer diese Pflicht absichtlich versäumt, begeht eine schwere Sünde«.</ref> und man versteht wohl den Grund dafür, wenn man sich überlegt, welche Bedeutung der Sonntag für das christliche Leben hat.
48. Wie in den heroischen Anfangszeiten, so treten auch heute wieder in vielen Gegenden der Welt schwierige Situationen für viele Menschen auf, die ihren Glauben konsequent leben wollen. Die Umwelt verhält sich gegenüber der Botschaft des Evangeliums manchmal ausgesprochen feindselig, bisweilen — und das ist häufiger der Fall — gleichgültig und unempfänglich. Der Glaubende muss, wenn er standhalten will, auf die Unterstützung der christlichen Gemeinde zählen können. Er muss sich daher von der entscheidenden Bedeutung überzeugen, die es für sein Glaubensleben hat, sich am Sonntag mit den anderen Brüdern und Schwestern zu versammeln, um im Sakrament des Neuen Bundes das Pascha des Herrn zu feiern. Es ist sodann in besonderer Weise Aufgabe der Bischöfe, sich darum zu bemühen, dass »der Sonntag von allen Gläubigen als wahrer "Tag des Herrn" anerkannt, geheiligt und gefeiert wird, an dem sich die Kirche versammelt, um durch das Hören des Wortes Gottes, durch die Darbringung des Herrenopfers, durch die Heiligung des Tages mit Gebet, Liebeswerken und Arbeitsruhe das Gedächtnis ihres Ostergeheimnisses zu erneuern«.<ref>Hl. Kongregation für die Bischöfe, Direktorium für den pastoralen Dienst der Bischöfe Ecclesiae imago (22. Februar 1973), 86a: Enchiridion Vaticanum 4, 2069.</ref>
49. Da für die Gläubigen die Teilnahme an der Messe eine Pflicht ist, sofern sie nicht durch einen gewichtigen Grund verhindert sind, stellt sich für die Bischöfe die entsprechende Verpflichtung, allen tatsächlich die Möglichkeit zur Erfüllung des Gebotes zu bieten. Auf dieser Linie bewegen sich die Vorschriften des Kirchenrechtes, wie zum Beispiel die Befugnis des Priesters, nach vorheriger Erlaubnis seitens des Diözesanbischofs an Sonntagen und gebotenen Feiertagen mehr als eine Messe zu zelebrieren,<ref>Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 905 § 2.</ref> die Einrichtung der Abendmessen<ref>Vgl. Pius XII., Apostol. Konstitution Christus dominus in qua (6. Januar 1953): AAS 45 (1953), 15-24; Motu proprio Sacram communionem (19. März 1957): AAS 49 (1957), 177-178. Kongregation des Hl. Offiziums, Instruktion über die Einhaltung des eucharistischen Fastens (6. Januar 1953): AAS 45 (1953), 47-51.</ref> und schließlich die Weisung, nach welcher die für die Erfüllung der Sonntagspflicht gültige Zeit bereits am Samstag Abend beginnt, mit der ersten Vesper des Sonntags.<ref>Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1248 § 1; Codex des Kirchenrechtes der orientalischen Kirchen, can. 881 § 2.</ref> Denn unter liturgischem Gesichtspunkt beginnt der Feiertag tatsächlich mit dieser Vesper.<ref>Vgl. Missale Romanum, Normae universales de Anno liturgico et de Calendario, 3.</ref> Infolgedessen ist die Liturgie der Messe, die manchmal auch als »Vorabendmesse« bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber in jeder Hinsicht eine »Sonntags- bzw. Feiertagsmesse« ist, dieselbe Messe vom Sonntag mit der Verpflichtung für den Zelebranten, die Homilie zu halten und mit den Gläubigen das allgemeine Gebet zu sprechen.
Überdies sollen die Bischöfe die Gläubigen daran erinnern, dass sie sich im Fall der Abwesenheit von ihrem festen Wohnsitz am Sonntag um die Teilnahme an der Messe an ihrem Aufenthaltsort kümmern müssen, wodurch sie durch ihr persönliches Zeugnis die jeweilige Ortsgemeinde bereichern. Gleichzeitig sollen diese Gemeinden die von auswärts kommenden Brüder und Schwestern herzlich aufnahmen; das gilt besonders an Orten, die viele Touristen und Pilger anziehen, für die oft eigene Initiativen religiöser Betreuung notwendig sein werden.<ref>Vgl. Hl. Kongregation für die Bischöfe, Direktorium für den pastoralen Dienst der Bischöfe Ecclesiae imago (22. Februar 1973), 86: Ench. Vat. 4, 2069-2073.</ref>
Eine freudenvolle und wohlklingende Feier
50. Wegen der eigenen Natur und der Bedeutung der Sonntagsmesse für das Leben der Gläubigen muss sie mit besonderer Sorgfalt vorbereitet werden. In den Formen, die sowohl von der pastoralen Klugheit als auch von den Ortsgebräuchen in Einklang mit den liturgischen Normen empfohlen werden, muss für die Feier jener festliche Charakter gewährleistet werden, der der Gedenkfeier des Tages der Auferstehung des Herrn geziemend ist. Dazu ist es wichtig, dem Gesang der Versammlung Aufmerksamkeit zu widmen, da dieser besonders geeignet ist, die Freude des Herzens zum Ausdruck zu bringen, die Feierlichkeit zu unterstützen und das Teilen des einen Glaubens und derselben Liebe zu begünstigen. Deswegen muss man sich um die Qualität der Kirchenmusik bezüglich der Texte wie auch der Melodien kümmern, damit alles, was sich heute als neu und kreativ anbietet, nicht nur den liturgischen Vorschriften entspricht, sondern auch jener kirchlichen Tradition würdig ist, die sich diesbezüglich eines Erbes von unschätzbarem Wert rühmen kann.
Eine einbindende und aktive Feier
51. Auch müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit alle Anwesenden — Kinder und Erwachsene — sich angesprochen fühlen, indem ihre volle Einbindung in die von der Liturgie empfohlenen Formen aktiver Teilnahme gefördert wird.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 14. 26; Johannes Paul II., Apostolisches SchreibenVicesimus quintus annus (4. Dezember 1998), 4.6.12: AAS 81 (1989), 900-901; 902; 909-910.</ref> Natürlich steht es nur denjenigen, die das Amtspriestertum im Dienst an ihren Brüdern und Schwestern ausüben, zu, das eucharistische Opfer zu vollziehen und es im Namen des ganzen Volkes Gott darzubringen.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 10.</ref> Die, weit mehr als nur disziplinäre Unterscheidung zwischen der Aufgabe, die dem Zelebranten vorbehalten ist, und jener, die den Diakonen und den nicht geweihten Gläubigen zukommt, hat hier ihre Grundlage.<ref>Vgl. Instruktion mehrerer Dikasterien zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester Ecclesia de mysterio (15. August 1997), 6.8: AAS 89 (1997), 869.870-872.</ref> Die Gläubigen müssen sich auch bewusst sein, dass sie kraft des in der Taufe empfangenen gemeinsamen Priestertums »an der eucharistischen Darbringung mitwirken«.<ref> II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 10: »in oblationem Eucharistiae concurrunt«.</ref> Auch wenn die Rollen unterschieden werden müssen, »bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion«,<ref> Ebd., 11.</ref> woraus sie Licht und Kraft schöpfen, um durch das Gebet und das Zeugnis eines heiligmäßigen Lebens ihr Taufpriestertum zu leben.
Andere Aspekte des christlichen Sonntags
52. Wenn die Teilnahme an der Eucharistiefeier das Herz des Sonntags ist, wäre es dennoch einschränkend, die Pflicht zu »seiner Heiligung« allein auf sie zu reduzieren. Denn der Tag des Herrn wird dann richtig gelebt, wenn er als ganzer vom dankbaren und aktiven Gedächtnis der Werke Gottes geprägt ist. Das verpflichtet jeden einzelnen Jünger Christi dazu, auch den anderen, außerhalb des liturgischen Geschehens gelebten Vorgängen des Tages — Familienleben, soziale Beziehungen, Gelegenheiten zu Erholung und Zerstreuung — einen Stil zu geben, der helfen soll, im gewöhnlichen Leben den Frieden und die Freude des Auferstandenen aufbrechen zu lassen. Das gelassenere Zusammensein von Eltern und Kindern kann zum Beispiel Anlaß sein, sich nicht nur zu öffnen, um einander anzuhören, sondern auch miteinander Bildungserlebnisse und Augenblicke größerer innerer Sammlung zu erfahren. Und warum sollte man nicht auch auf der Ebene der Laien, wenn es möglich ist, besondere Gebetsinitiativen planen — wie zum Beispiel insbesondere die Feier der Vesper — oder auch gegebenenfallsGelegenheiten zur Katechese, die am Vorabend des Sonntags oder am Nachmittag desselben im Herzen des Christen auf das eigentliche Geschenk der Eucharistie vorbereiten bzw. es ergänzen sollen?
Diese ziemlich traditionelle Form der »Heiligung des Sonntags« ist vielleicht in vielen Kreisen schwieriger geworden; aber die Kirche bekundet ihren Glauben an die Kraft des Auferstandenen und an die Macht des Heiligen Geistes, indem sie heute mehr denn je erkennen lässt, dass sie sich auf dem Gebiet des Glaubens nicht mit Minimal- oder mittelmäßigen Angeboten zufrieden gibt und den Christen das zu vollbringen hilft, was am vollkommensten und dem Herrn am wohlgefälligsten ist. Im übrigen fehlt es aber neben den Schwierigkeiten auch nicht an positiven und ermutigenden Zeichen. Dank der Gabe des Geistes ist in vielen kirchlichen Bereichen ein neues Verlangen nach dem Gebet in seinen vielfältigen Formen festzustellen. Wiederentdeckt werden auch alte Frömmigkeitsformen wie die Wallfahrt, und oft nutzen die Gläubigen die Sonntagsruhe, um sich zu Heiligtümern zu begeben und dort sogar mit der ganzen Familie einige Stunden intensiver Glaubenserfahrung zu erleben. Das sind Gnadenstunden, die es durch eine geeignete Evangelisierung zu fördern und mit echter seelsorglicher Weisheit zu lenken gilt.
Versammlungen am Sonntag bei Abwesenheit des Priesters
53. Es bleibt das Problem der Pfarreien, die sich nicht des Dienstes eines Priesters erfreuen können, der am Sonntag die Eucharistie feiert. Das kommt in den jungen Kirchen häufig vor, wo ein einziger Priester die seelsorgliche Verantwortung für Gläubige hat, die über ein riesiges Gebiet verstreut wohnen. Notsituationen können auch in den Ländern mit jahrhundertealter christlicher Tradition auftreten, wenn die zahlenmäßige Abnahme des Klerus verhindert, dass in jeder Pfarrgemeinde die Anwesenheit des Priesters sichergestellt ist. Für den Fall, dass die Feier der Eucharistie nicht möglich ist, empfiehlt die Kirche die Einberufung sonntäglicher Versammlungen bei Abwesenheit des Priesters<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1248 § 2.</ref> gemäß den vom Heiligen Stuhl erlassenen und den Bischofskonferenzen zur Anwendung übertragenen Anweisungen und Verfügungen.<ref> Vgl. Hl. Kongregation für den Gottesdienst, Direktorium für die Feier der Sonntagsmesse in Abwesenheit des Priesters Christi ecclesia (2. Juni 1988): Ench. Vat. 11, 442-468; Instruktion mehrerer Dikasterien zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester Ecclesia de mysterio (15. August 1997): AAS 89 (1997), 852-877.</ref> Doch das Ziel muss die Feier des Meßopfers bleiben, die einzige wahre Verwirklichung des Pascha des Herrn, die einzige vollkommene Realisierung der eucharistischen Versammlung, welcher der Priester beim Brechen des Brotes des Wortes und des Brotes der Eucharistie in persona Christi vorsteht. Es müssen daher auf seelsorglicher Ebene alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, damit die Gläubigen, die üblicherweise auf die Eucharistie verzichten müssen, sie so oft wie möglich empfangen können: sei es, dass man für die regelmäßige Anwesenheit des Priesters sorgt, sei es, dass man sämtliche Möglichkeiten nutzt, um die Versammlung der Gläubigen an einem zentral gelegenen Ort zu veranstalten, der für verschiedene, auch weit entfernt lebende Gruppen erreichbar ist.
Rundfunk- und Fernsehübertragungen
54. Den Gläubigen, die wegen Krankheit, Gebrechlichkeit oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund verhindert sind, wird es ein Herzensanliegen sein, sich aus der Ferne so gut als möglich der Meßfeier anzuschließen, am besten mit den vom Meßbuch für den betreffenden Tag vorgesehenen Lesungen und Gebeten sowie auch durch das Verlangen nach der Eucharistie.<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1248 § 2; Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Sacerdotium ministeriale (6. August 1983), III: AAS 75 (1983), 1007.</ref> In vielen Ländern bieten Fernsehen und Rundfunk die Möglichkeit an, sich einer Eucharistiefeier zu der Zeit anzuschließen, wo sie an einem heiligen Ort tatsächlich stattfindet.<ref> Vgl. Päpstliche Kommission für die Sozialen Kommunikationsmittel, Instruktion Communio et progressio (23. Mai 1971), 150-152.157: AAS 63 (1971), 645-646.647.</ref> Natürlich stellen derartige Übertragungen an sich keine befriedigende Erfüllung des Sonntagsgebotes dar, das die Teilnahme an der Versammlung der Brüder durch die Zusammenkunft am selben Ort und der daraus folgenden Möglichkeit zur eucharistischen Kommunion verlangt. Aber für diejenigen, die an der Teilnahme an der Eucharistie gehindert und daher von der Erfüllung des Gebotes entschuldigt sind, stellt die Fernseh- oder Rundfunkübertragung eine wertvolle Hilfe dar, vor allem, wenn sie durch den hochherzigen Dienst außerordentlicher Spender ergänzt wird, die den Kranken die Eucharistie und zugleich den Gruß und die Solidarität der ganzen Gemeinde überbringen. So bringt auch für diese Christen die Sonntagsmesse reiche Früchte hervor, und sie können den Sonntag als echten »Tag des Herrn« und »Tag der Kirche« erleben.
VIERTES KAPITEL: DIES HOMINIS - Der Sonntag – Tag der Freude, der Ruhe und der Solidarität
Die »Fülle der Freude« Christi
55. »Gelobt sei der, der den großen Tag des Sonntags über alle Tage erhoben hat. Himmel und Erde, Engel und Menschen geben sich der Freude hin«.<ref> Proklamation durch den Diakon zu Ehren des Tages des Herrn: vgl. den syrischen Text im Meßbuch nach dem Ritus der Kirche von Antiochien der Maroniten (syrische und arabische Ausgabe), Jounieh (Libanon) 1959, 38.</ref> Diese Akzente der maronitischen Liturgie stellen treffend die Freudenakklamationen dar, die seit jeher sowohl in der abendländischen wie in der östlichen Liturgie für den Sonntag kennzeichnend waren. Im übrigen haben, geschichtlich betrachtet, die Christen den Wochentag des auferstandenen Herrn, noch ehe sie ihn als Ruhetag — der zudem damals im staatlichen Kalender gar nicht vorgesehen war — begingen, vor allem als Tag der Freude erlebt. »Am ersten Tag der Woche seid alle fröhlich«, steht in der Didascalia Apostolorum zu lesen.<ref> V, 20, 11: ed. Franz Xaver Funk, 1905, 298; vgl. Didaché 14, 1: ed. Franz Xaver Funk, 1901, 32; Tertullian, Apologeticum 16, 11: CCL 1, 116. Siehe insbesondere Barnabasbrief, 15,9: SC 172, 188-189. »Darum feiern wir den achten Tag, an dem Jesus von den Toten auferstanden und, nachdem er sich gezeigt hatte, zum Himmel aufgefahren ist, als ein Freudenfest«.</ref> Die Bekundung der Freude trat auch in der liturgischen Praxis durch die Wahl geeigneter Gesten klar zutage.<ref> Tertullian unterrichtet uns zum Beispiel darüber, dass es an den Sonntagen das Niederknien untersagt war, weil diese Stellung, die damals vor allem als Bußhaltung galt, am Tag der Freude unangebracht erschien: vgl.De corona 3,4: CCL 2, 1043.</ref> Der hl. Augustinus, der uns das verbreitete Kirchenbewusstsein vermittelt, hebt den Freudencharakter des wöchentlich wiederkehrenden Pascha so hervor: »Man lasse das Fasten und bete, als Zeichen der Auferstehung, stehend; außerdem soll an allen Sonntagen das Halleluja gesungen werden«.<ref> Vgl. Ep. 55, 28: CSEL 342, 202.</ref>
56. Ungeachtet der einzelnen rituellen Ausdrucksformen, die sich im Laufe der Zeit gemäß der kirchlichen Disziplin verändern können, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Sonntag als wöchentliches Echo des ersten Erlebens des Auferstandenen das Zeichen der Freude tragen muss, mit der die Jünger den Meister empfingen: »Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen« (Joh 20,20). Für sie wie auch später für alle christlichen Generationen wurde das Wort, das Jesus vor seiner Passion gesprochen hatte, Wirklichkeit: »Ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln« (Joh 16,20). Hatte er nicht selbst gebetet, dass die Jünger »die Freude in Fülle« haben (vgl. Joh 17,13)? Der auferstandene Christus ist für die Kirche Quelle unerschöpflicher Freude. Der festliche Charakter der sonntäglichen Eucharistiefeier bringt die Freude zum Ausdruck, die Christus seiner Kirche durch das Geschenk des Geistes übermittelt. Die Freude ist ja eine der Früchte des Heiligen Geistes (vgl. Röm 14,17; Gal 5,22).
57. Wenn wir also die Bedeutung des Sonntags in ihrer Fülle erfassen wollen, müssen wir auch diese Dimension der gläubigen Existenz wiederentdecken. Sicher soll die christliche Freude das ganze Leben und nicht nur einen Tag der Woche kennzeichnen. Aber kraft seiner Bedeutung als Tag des auferstandenen Herrn, an dem das göttliche Werk der Schöpfung und der »Neuschöpfung« gefeiert wird, ist der Sonntag in besonderer Weise Tag der Freude, ja der geeignete Tag, um sich zur Freude zu erziehen und die wahren Wesenszüge sowie die tiefen Wurzeln wiederzuentdecken. Diese darf nämlich nicht mit Gefühlen oberflächlicher Befriedigung und flüchtigen Vergnügens verwechselt werden, die oft das Empfinden und Gefühlsleben für kurze Zeit berauschen, um dann das Herz unbefriedigt, wenn nicht gar in Bitterkeit zurückzulassen. Christlich verstanden ist die Freude etwas viel Dauerhafteres und Trostreicheres; sie kann sogar, wie die Heiligen bezeugen,<ref>Vgl. Hl. Theresa vom Kinde Jesu und vom Heiligen Antlitz, Derniers entretiens, 5-6 Juillet 1897, in: Oeuvres complètes, Cerf-Desclée de Brouwer, Paris 1992, 1024-1025.</ref> die dunkle Nacht des Schmerzes durchhalten, und sie ist im gewissen Sinn eine »Tugend«, die gepflegt werden muss.
58. Es besteht jedoch kein Gegensatz zwischen christlicher Freude und echten menschlichen Freuden. Ja, diese werden ausgelöst und finden ihren letzten Grund eben in der Freude über den verherrlichten Christus (vgl. Apg 2,24-31), das vollkommene Bild und die Offenbarung des Menschen nach dem Plan Gottes. Wie mein ehrwürdiger Vorgänger Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben über die christliche Freude ausführte, »ist die christliche Freude ihrem Wesen nach innere Teilhabe an der unergründlichen, zugleich göttlichen und menschlichen Freude im Herzen des verherrlichten Herrn Jesus Christus«.<ref> Apostolisches Schreiben Gaudete in domino (9. Mai 1975), II:AAS 67 (1975), 295.</ref> Und derselbe Papst schloss sein Schreiben mit der Aufforderung, die Kirche möge am Tag des Herrn nach Kräften Zeugnis geben von der Freude, die die Apostel erlebt haben. Er rief daher die Bischöfe auf, »auf die treue und frohe Teilnahme der Gläubigen an der sonntäglichen Eucharistiefeier nachdrücklich hinzuweisen. Wie können sie diese Begegnung, dieses Festmahl vernachlässigen, das uns Jesus in seiner Liebe bereitet? Die Vorbereitung soll jedesmal entsprechend würdig und festlich sein! Es ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, der durch die Reihen seiner Jünger geht, um sie mit sich in die Erneuerung seiner Auferstehung zu führen. Es ist hier auf Erden der Höhepunkt des Liebesbundes zwischen Gott und seinem Volk: Zeichen und Quelle der christlichen Freude und Vorbereitung auf das ewige Fest«.<ref> Ebd., VII, a.a.O., 322.</ref> Aus dieser Sicht des Glaubens betrachtet, ist der christliche Sonntag ein echte »Festefeier«, ein von Gott dem Menschen geschenkter Tag, damit der Mensch menschlich und geistlich zur vollen Reife gelangt.
Die Erfüllung des Sabbat
59. Dieser festliche Aspekt des christlichen Sonntags stellt in besonderer Weise seine Dimension der Erfüllung des alttestamentlichen Sabbat heraus. Am Tag des Herrn, den das Alte Testament mit dem Schöpfungswerk (vgl. Gen 2,1-3; Ex 20,8-11) und dem Auszug aus Ägypten (vgl. Dtn 5,12-15) verbindet, ist der Christ aufgerufen, die neue Schöpfung und den neuen Bund zu verkünden, die im Ostermysterium Christi vollzogen worden sind. Die Feier der Schöpfung wird keineswegs aufgehoben, sie wird vielmehr in christozentrischer Sicht vertieft, d. h. gesehen vom Licht des göttliches Planes, »in Christus alles zu vereinen, was im Himmel und auf Erden ist« (Eph 1,10). Seinen vollen Sinn erhält auch das Gedenken an die im Exodus erfolgte Befreiung, das zum Gedenken an die vom gestorbenen und auferstandenen Christus vollbrachten universalen Erlösung wird. Der Sonntag ist daher weniger eine »Ersetzung« des Sabbat, als vielmehr dessen vollzogene Verwirklichung und in gewissem Sinn seine Ausweitung und sein voller Ausdruck in bezug auf den Weg der Heilsgeschichte, die ihren Höhepunkt in Christus hat.
60. Aus dieser Perspektive kann die biblische Theologie vom »Sabbat« voll und ganz wiedergewonnen werden, ohne den christlichen Charakter des Sonntags zu beeinträchtigen. Dieser führt uns immer wieder neu und mit nie geschwächter Bewunderung zurück zu jenem geheimnisvollen Anfang, an dem das ewige Wort Gottes mit freier Entscheidung und Liebe die Welt aus dem Nichts erschuf. Besiegelt wurde das Schöpfungswerk mit der Segnung und Heiligung des Tages, an dem Gott ruhte, »nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte« (Gen 2, 3). Von diesem Ruhetag Gottes erhält die Zeiteinteilung ihren Sinn und nimmt in der Abfolge der Wochen nicht nur einen chronologischen Rhythmus, sondern sozusagen eine theologische Note an. Denn, die dauernde Wiederkehr des Sabbat entzieht die Zeit dem Risiko, sich in sich selbst zu drehen, damit sie durch die Aufnahme Gottes und seiner kairoì — das heißt der von ihm verfügten Gnaden- und Heilszeiten — offen bleibe für die Horizonte des Ewigen.
61. Indem der »Sabbat«, der von Gott gesegnete und für heilig erklärte siebte Tag, das gesamte Schöpfungswerk einschließt, steht er in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Werk des sechsten Tages, an dem Gott den Menschen »als sein Abbild« schuf (vgl. Gen 1,26). Dieser unmittelbarste Zusammenhang zwischen dem »Tag Gottes« und dem »Tag des Menschen« war den Kirchenvätern in ihren Betrachtungen über den Schöpfungsbericht nicht entgangen. Ambrosius sagt dazu: »Dank sei daher dem Herrn, unserem Gott, der ein Werk schuf, wo er Ruhe finden konnte. Er schuf den Himmel, aber ich lese nichts davon, dass er sich dort ausgeruht habe; er schuf die Sterne, den Mond, die Sonne, und auch hier lese ich nicht, dass er sich bei ihnen ausgeruht habe. Hingegen lese ich, dass er den Menschen schuf und sich dann ausruhte, während er in ihm einen hatte, dem er die Sünden vergeben konnte«.<ref> Hex. 6, 10, 76: CSEL 321, 261.</ref> Auf diese Weise wird der »Tag Gottes« für immer direkt mit dem «Tag des Menschen« verbunden bleiben. Wenn Gottes Gebot lautet: »Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!« (Ex 20,8), dann ist das gebotene Innehalten, um den ihm geweihten Tag zu ehren, für den Menschen durchaus nicht die Auferlegung einer drückenden Last, sondern vielmehr eine Hilfe, damit er seine lebenswichtige und befreiende Abhängigkeit vom Schöpfer und zugleich die Berufung zur Mitarbeit an seinem Werk und zum Empfang seiner Gnade wahrnimmt. Indem der Mensch die «Ruhe» Gottes ehrt, findet er sich selbst voll und ganz. So stellt sich der Tag des Herrn als zutiefst vom göttlichen Segen gekennzeichnet dar (vgl. Gen 2,3). Dadurch ist dieser Tag, wie die Tiere und die Menschen (vgl. Gen 1,22.28) mit einer Art »Fruchtbarkeit« ausgestattet. Diese drückt sich nicht nur durch die andauernde zeitliche Wiederholung aus, sondern insbesondere in der Belebung und gleichsam in der »Vervielfachung« der Zeit selber. So wird im Menschen durch das Gedenken an den lebendigen Gott die Lebensfreude und das Verlangen, das Leben zu fördern und weiterzugeben, gesteigert.
62. Der Christ wird sich nun erinnern müssen, dass die eigentlichen Gründe für die Auferlegung der Heiligung des »Herrentages« gültig bleiben, auch wenn für ihn die Bestimmungen des jüdischen Sabbats fallen gelassen und von der »Erfüllung« des Sonntags überwunden worden sind. Sie sind in der Feierlichkeit des Dekalogs verhaftet und müssen im Licht der Theologie und Spiritualität des Sonntags wieder gelesen werden. »Achte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat. Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du. Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm dort herausgeführt. Darum hat es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht, den Sabbat zu halten« (Dtn 5,12-15). Die Einhaltung des Sabbats erscheint hier sehr eng verbunden mit dem Werk der Befreiung, das Gott für sein Volk durchgeführt hat.
63. Christus ist gekommen, um einen neuen »Auszug« durchzuführen, er ist gekommen, den Unterdrückten die Freiheit zu bringen. Er hat viele Heilungen sicher nicht deshalb am Sabbat vollbracht (vgl. Mt 12,9-14 par), um den Tag des Herrn zu verletzen, sondern um dessen volle Bedeutung zu verwirklichen: »Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat« (Mk 2,27). Indem er der von manchen seiner Zeitgenossen allzu streng nach dem Buchstaben des Gesetzes vorgenommenen Auslegung widerspricht und den authentischen Sinn des biblischen Sabbats entwickelt, führt Jesus, der »Herr über den Sabbat« (Mk 2,28), die Einhaltung dieses Tages auf seinen befreienden Charakter zurück, der gleichzeitig zur Wahrung der Rechte Gottes und der Rechte des Menschen bestimmt ist. So wird verständlich, warum sich die Christen als Verkünder der im Blut Christi erfüllten Befreiung zu Recht ermächtigt fühlten, den Sinn des Sabbats auf den Tag der Auferstehung zu übertragen. Das Pascha Christi hat in der Tat den Menschen von einer viel radikaleren Versklavung befreit als jener, die auf einem unterdrückten Volk lastet: Die Sklaverei der Sünde, die den Menschen von Gott entfernt, entfernt ihn auch von sich selbst und von den anderen und hinterlässt in der Geschichte immer neue Keime der Bosheit und Gewalt.
Der Tag der Ruhe
64. Jahrhunderte lang erlebten die Christen den Sonntag nur als Tag des Kultes, ohne damit auch die besondere Bedeutung der Sabbatruhe verbinden zu können. Erst im 4. Jahrhundert anerkannte die staatliche Gesetzgebung des Römischen Reiches den Wochenrhythmus an und verfügte, dass am »Tag der Sonne« die Richter, die Bevölkerung der Städte und die verschiedenen Handwerkszünfte die Arbeit ruhen lassen konnten.<ref> Vgl. Erlaß Konstantins vom 3. Juli 321: Codex Theodosianus II, tit. 8, 1, hrsg. Th. Mommsen, 12, 87; Codex Iustiniani, lib. 3, 12, 2, hrsg. P. Krueger, II, 248.</ref> Die Christen freuten sich, dass damit die Hindernisse beseitigt waren, die bis dahin die Einhaltung des Tages des Herrn manchmal zu einer heroischen Tat gemacht hatten. Nun konnten sie sich ungehindert dem gemeinsamen Gebet widmen.<ref> Vgl. Eusebios von Cäsarea, Vita Constantini, 4, 18:PG 20, 1165.</ref>
Es wäre also ein Fehler, in der den Wochenrhythmus respektierenden Gesetzgebung eine bloße geschichtliche Gegebenheit ohne Wert für die Kirche zu sehen, auf welche sie verzichten könnte. Die Konzilien haben nicht aufgehört, auch nach dem Ende des Reiches an den Verfügungen festzuhalten, die sich auf die Sonntagsruhe beziehen. In den Ländern, in denen die Christen eine kleine Minderheit bilden und die auf dem Kalender vorgesehenen Feiertage nicht dem Sonntag entsprechen, bleibt der Sonntag später trotzdem immer der Tag des Herrn, der Tag, an dem die Gläubigen zur eucharistischen Versammlung zusammenkommen. Das geschieht jedoch um den Preis nicht geringer Opfer. Für die Christen ist es nicht normal, dass der Sonntag, Fest- und Freudentag, nicht auch Ruhetag ist, und es ist für sie schwierig, den Sonntag »zu heiligen«, wenn sie nicht über genügend Freizeit verfügen.
65. Andererseits hat der Zusammenhang zwischen dem Tag des Herrn und dem Ruhetag in der zivilen Gesellschaft eine Wichtigkeit und Bedeutung, die über die eigentlich christliche Sicht hinausgehen. Der Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe, der zur menschlichen Natur gehört, ist nämlich von Gott selbst gewollt, wie aus dem Schöpfungsbericht im Buch Genesis (vgl. 2,2-3; Ex 20,8-11) hervorgeht: Die Ruhe ist etwas Heiliges, sie ist für den Menschen die Voraussetzung, um sich dem manchmal allzu vereinnahmenden Kreislauf der irdischen Verpflichtungen zu entziehen und sich wieder bewusst zu machen, dass alles Gottes Werk ist. Die wunderbare Macht, die Gott dem Menschen über die Schöpfung gibt, könnte Gefahr laufen, ihn vergessen zu lassen, dass Gott der Schöpfer ist, von dem alles abhängt. Um so dringender ist diese Anerkennung in unserer Zeit, wo Wissenschaft und Technik die Macht, die der Mensch durch seine Arbeit ausübt, unglaublich ausgeweitet haben.
66. Schließlich dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass auch in unserer Zeit für viele die Arbeit harte Knechtschaft ist, sei es auf Grund der elenden Arbeitsbedingungen und der auferlegten Arbeitszeiten, besonders in den ärmsten Gegenden der Welt, oder weil es selbst in den wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaften allzu viele Fälle von Ungerechtigkeit und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt. Wenn die Kirche im Laufe der Jahrhunderte Gesetze über die Sonntagsruhe erlassen hat,<ref> Das älteste kirchliche Dokument darüber ist can. 29 der Synode von Laodikeia (2. Hälfte des 4. Jh.), Mansi, t. II, 569-570. Zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert verbaten viele Synoden die «opera ruralia«. Die auch von den staatlichen Gesetzen vertretene Gesetzgebung über die am Sonntag verbotenen Arbeiten wurde allmählich detaillierter.</ref> hatte sie vor allem die Arbeit der Sklaven und der Arbeiter im Blick; nicht deshalb, weil es sich um eine weniger würdige Arbeit im Hinblick auf die geistlichen Anforderungen der sonntäglichen Praxis gehandelt hätte, sondern eher weil sie am dringendsten einer Regelung bedurfte, die ihre Last erleichterte und allen die Heiligung des Sonntags erlaubte. Unter diesem Gesichtspunkt bezeichnete mein Vorgänger Leo XIII. in der Enzyklika Rerum novarum die Sonntagsruhe als ein Recht des Arbeiters, das der Staat garantieren müsse.<ref> Vgl. Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891): Acta Leonis XIII 11 (1891), 127-128.</ref>
Auch in unserem geschichtlichen Kontext bleibt die Verpflichtung bestehen, sich dafür einzusetzen, dass alle Freiheit, Ruhe und Entspannung erfahren können, die für ihre Würde als Menschen notwendig sind; eng verbunden mit dieser Würde sind die religiösen, familiären, kulturellen und zwischenmenschlichen Bedürfnisse und Ansprüche, die kaum befriedigt werden können, wenn nicht wenigstens ein Tag in der Woche sichergestellt wird, an dem man miteinander die Möglichkeit zum Ausruhen und zum Feiern genießen kann. Dieses Recht des Arbeiters auf Ruhe setzt natürlich sein Recht auf Arbeit voraus. Während wir über diese Problematik, die mit der christlichen Auffassung des Sonntags verbunden ist, nachdenken, müssen wir mit großer Anteilnahme an die Notsituation so vieler Männer und Frauen erinnern, die wegen fehlender Arbeitsplätze auch an den Arbeitstagen zur Untätigkeit gezwungen sind.
67. Durch die Sonntagsruhe können die täglichen Sorgen und Aufgaben wieder ihre richtige Dimension erlangen: die materiellen Dinge, über die wir uns erregen, machen den Werten des Geistes Platz; die Menschen, mit denen wir leben, nehmen in der Begegnung und im ruhigeren Gespräch wieder ihr wahres Gesicht an. Selbst die Schönheiten der Natur — oft genug von einer Herrschermentalität, die sich gegen den Menschen wendet, verdorben — können wiederentdeckt und intensiv genossen werden. Der Sonntag als ein Tag, an dem der Mensch mit Gott, mit sich selber und mit seinen Mitmenschen Frieden schließt, wird so zur Einladung für den Menschen, einen erneuerten Blick auf die Wunderwerke der Natur zu werfen und sich von jener wunderbaren und geheimnisvollen Harmonie einbinden zu lassen, von der der heilige Ambrosius meint, dass sie durch »ein unübertretbares Gesetz der Eintracht und der Liebe« die verschiedenen Elemente des Kosmos in ein »Band der Einheit und des Friedens« einigt.<ref> Hex. 2, 1, 1: CSEL 321,41.</ref> Der Mensch wird sich nun nach den Worten des Apostels mehr bewusst, dass »alles, was Gott geschaffen hat, gut ist und nichts verwerflich ist, wenn es mit Dank genossen wird; es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch das Gebet« (1 Tim 4,4-5). Wenn also der Mensch nach sechs Arbeitstagen — die sich in Wirklichkeit für viele bereits auf fünf Tage verringert haben — eine Zeit der Entspannung und besserer Beschäftigung mit anderen Aspekten des eigenen Lebens sucht, so entspricht das einem echten Bedürfnis. Der Glaubende muss jedoch dieses Bedürfnis befriedigen, ohne den wichtigen Ausdrucksformen seines in der Feier und Heiligung des Herrentages bekundeten persönlichen und gemeinschaftlichen Glaubens Schaden zuzufügen.
Es ist darum natürlich, dass sich die Christen dafür einsetzen, dass auch unter den besonderen Gegebenheiten unserer Zeit die Zivilgesetzgebung ihrer Pflicht zur Heiligung des Sonntags Rechnung trägt. Es ist für sie jedenfalls eine Gewissenspflicht, die Sonntagsruhe so zu organisieren, dass ihnen die Teilnahme an der Eucharistiefeier möglich ist, indem sie sich jener Arbeiten und Tätigkeiten enthalten, die mit der Heiligung des Sonntags, mit der ihm eigenen Freude und mit der für Geist und Körper notwendigen Erholung unvereinbar sind.<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1247; Codex des Kirchenrechtes der Ostkirchen, can. 881 § 1.4.</ref>
68. In Anbetracht dessen, dass die Erholung selbst, um nicht in Leerheit zu enden oder Quelle von Langeweile zu werden, geistige Bereicherung, größere Freiheit, die Möglichkeit der Kontemplation und der brüderlichen Gemeinschaft mit sich bringen muss, werden die Gläubigen unter den Mitteln der Kultur und den von der Gesellschaft angebotenen Vergnügungen jene auswählen, die am besten mit einem Leben nach den Vorschriften des Evangeliums übereinstimmen. So gesehen, gewinnt die Sonntags- und Feiertagsruhe eine »prophetische« Dimension, indem sie nicht nur den absoluten Primat Gottes, sondern auch den Primat und die Würde des Menschen gegenüber den Forderungen des Gesellschafts- und Wirtschaftslebens bekräftigt und in gewisser Weise den »neuen Himmel« und die »neue Erde« vorwegnimmt, wo die Befreiung von der Sklaverei der Bedürfnisse endgültig und vollständig sein wird. Kurz, der Tag des Herrn wird so ganz authentisch auch zum Tag des Menschen.
Tag der Solidarität
69. Der Sonntag soll den Gläubigen auch Gelegenheit geben, sich den Tätigkeiten der Barmherzigkeit, der Nächstenliebe und des Apostolates zu widmen. Die innere Teilnahme an der Freude des auferstandenen Christus muss auch das volle Teilen der Liebe einschließen, die im Herzen des Auferstandenen pulsiert: Freude ohne Liebe gibt es nicht! Jesus selbst erklärt das, wenn er das »neue Gebot« mit der Freude, die er schenkt, in Zusammenhang bringt: »Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe« (Joh 15,10-12).
Die Sonntagsmesse hält also, wenn sie vollgültig gefeiert wird, keineswegs von den Pflichten der Nächstenliebe ab, im Gegenteil, sie verpflichtet die Gläubigen »zu allen Werken der Liebe, der Frömmigkeit und des Apostolates. Durch solche Werke soll offenbar werden, dab die Christgläubigen zwar nicht von dieser Welt sind, dass sie aber Licht der Welt sind und den Vater vor den Menschen verherrlichen«.<ref> II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 9.</ref>
70. Tatsächlich ist seit der Zeit der Apostel die sonntägliche Zusammenkunft für die Christen ein Augenblick brüderlichen Teilens gegenüber den Ärmsten gewesen. »Jeder soll immer am ersten Tag der Woche etwas zurücklegen und so zusammensparen, was er kann« (1 Kor 16,2). Hier handelt es sich um die von Paulus angeregte Sammlung für die armen Gemeinden Judäas. Bei der Eucharistiefeier am Sonntag weitet sich das Herz des Glaubenden zu den Dimensionen der Kirche. Die Aufforderung des Apostels muss aber in ihrer ganzen Tiefe begriffen werden: Es liegt ihm fern, eine engherzige »Obolus«-Mentalität zu fördern, vielmehr appelliert er an eine anspruchsvolle Kultur des Teilens, die sowohl unter den Gliedern der Gemeinde selbst wie im Verhältnis zur ganzen Gesellschaft verwirklicht werden soll.<ref> Vgl. auch Hl. Justinus, Apologia I, 67,6: »Jene, die reich und zum Spenden bereit sind, geben freiwillig ein jeder, was er will; das gesammelte Geld wird dem übergeben, der den Vorsitz hat, und er hilft den Waisen, den Witwen, den Kranken, den Notleidenden, den Gefangenen, den auswärtigen Gästen, mit einem Wort, er hilft allen, die Hilfe nötig haben«:PG 6, 430.</ref> Mehr denn je gilt es, wieder auf die strengen Ermahnungen zu hören, die er an die Gemeinde von Korinth richtet, die sich schuldig gemacht hat, bei der mit dem »Herrenmahl« einhergehenden brüderlichen Agape die Armen gedemütigt zu haben: »Was ihr bei euren Zusammenkünften tut, ist keine Feier des Herrenmahls mehr; denn jeder verzehrt sogleich seine eigenen Speisen, und dann hungert der eine, während der andere schon betrunken ist. Könnt ihr denn nicht zu Hause essen und trinken? Oder verachtet ihr die Kirche Gottes? Wollt ihr jene demütigen, die nichts haben?« (1 Kor 11,20-22). Nicht weniger streng sind die Worte des Jakobus: »Wenn in eure Versammlung ein Mann mit goldenen Ringen und prächtiger Kleidung kommt, und zugleich kommt ein Armer in schmutziger Kleidung, und ihr blickt auf den Mann in der prächtigen Kleidung und sagt: Setz dich hier auf den guten Platz!, und zu dem Armen sagt ihr: Du kannst dort stehen!, oder: Setz dich zu meinen Füßen! — macht ihr dann nicht untereinander Unterschiede und fällt Urteile aufgrund verwerflicher Überlegungen?« (2,2-4).
71. Die Weisungen der Apostel fanden schon in den ersten Jahrhunderten breiten Widerhall und riefen in der Verkündigung der Kirchenväter kraftvolle Akzente hervor. Feurig sprach der hl. Ambrosius zu den Reichen, die sich brüsteten, ihre religiösen Verpflichtungen einzulösen, indem sie in die Kirche gingen, ohne ihre Güter mit den Armen zu teilen und diese sogar unterdrückten: »Höre, du Reicher, was sagt der Herr? Und du kommst in die Kirche, nicht um etwas den Armen zu geben, sondern um zu nehmen«<ref> De Nabuthae, 10, 45: »Audis, dives, quid Dominus Deus dicat? Et tu ad ecclesiam venis, non ut aliquid largiaris pauperi, sed ut auferas«: CSEL 322, 492.</ref> Der hl. Johannes Chrysostomos äußert sich in diesem Zusammenhang nicht weniger fordernd: »Willst du den Leib Christi ehren? Geh nicht an ihm vorüber, wenn er nackt ist. Verehre ihn nicht hier im Tempel mit Seidenstoffen, um dann draußen an ihm vorüberzugehen, wo er unter Kälte und Nacktheit leidet. Er, der gesagt hat: "Das ist mein Leib", ist derselbe, der gesagt hat: "Ihr habt mich hungrig gesehen und habt mir nicht zu essen gegeben", und "Was ihr für einen der Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" [...]. Was nützt es, dass der eucharistische Tisch mit Goldkelchen überladen ist, wenn Er vor Hunger stirbt? Gib zuerst ihm, dem Hungernden, zu essen, dann kannst du mit dem, was übriggeblieben ist, auch den Altar schmücken«.<ref> Homilie über das Matthäusevangelium, 50, 3-4: PG 58, 508.509.</ref>
Diese Worte erinnern die christliche Gemeinde auf wirkungsvolle Weise an ihre Pflicht, die Eucharistiefeier zu dem Ort zu machen, wo die Brüderlichkeit zu konkreter Solidarität wird und in der Überlegung und in der Liebe der Brüder die Letzten zu den Ersten werden, wo Christus selber durch die großzügige Gabe der Reichen an die Armen auf eine bestimmte Art das Wunder der Brotvermehrung in die Zeit weiterwirken kann.<ref>Vgl. Hl. Paulinus von Nola, Brief 13, 11-12a an Pammachius: CSEL 29, 92-93. Der römische Senator wird gerade deswegen gelobt, weil er gleichsam das Wunder der Brotvermehrung des Evangeliums wiederholt hätte, indem er an die eucharistische Versammlung die Verteilung von Nahrung an die Armen folgen läßt.</ref>
72. Die Eucharistie ist Ereignis und Vorhaben der Brüderlichkeit. Von der Sonntagsmesse geht eine Welle der Liebe aus, die sich im ganzen Leben der Gläubigen ausbreiten soll, angefangen damit, dass sie die Art und Weise, wie der übrige Sonntag gelebt wird, beeinflußt. Denn wenn der Sonntag der Tag der Freude ist, muss der Christ durch sein konkretes Verhalten deutlich machen, dass man »allein« nicht glücklich sein kann. Er blickt um sich, um jene Menschen zu ermitteln, die konkret seine Solidarität nötig haben könnten. Es kann vorkommen, dass es in seiner Nachbarschaft oder in seinem Bekanntenkreis Kranke, Alte, Kinder, Einwanderer »gibt«, die gerade am Sonntag ihre Einsamkeit, ihre Not, ihren Leidenszustand noch schmerzlicher empfinden. Der Einsatz für sie darf sich natürlich nicht auf eine gelegentliche Initiative am Sonntag beschränken. Aber warum sollte man nicht durch diese Haltung des umfassenden Engagements dem Tag des Herrn auch einen stärkeren Anstrich des Teilens geben, indem man den ganzen Erfindungsreichtum aktiviert, zu dem die christliche Liebe fähig ist? Einsame und notleidende Menschen zu sich zum Essen einzuladen, Kranke zu besuchen, bedürftige Familien mit Nahrung zu versorgen, einige Stunden besonderen Initiativen des freiwilligen Dienstes und der Solidarität zu widmen — das wären gewiß Möglichkeiten, um die am eucharistischen Tisch geschöpfte Liebe Christi in das Leben einzubringen.
73. So gelebt, wird nicht nur die Eucharistiefeier, sondern der ganze Sonntag zu einer großartigen Schule der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und des Friedens. Die Gegenwart des Auferstandenen inmitten der Seinen wird zum Vorhaben der Solidarität, zum dringenden Verlangen nach innerer Erneuerung, zum Ansporn, die Strukturen der Sünde zu ändern, in welche die einzelnen, die Gemeinden, manchmal ganze Völker verstrickt sind. Der christliche Sonntag ist also alles andere als Vergnügung; er ist vielmehr in die Zeit eingeschriebene »Prophetie«, Prophetie, welche die Gläubigen verpflichtet, den Fußstapfen dessen nachzugehen, der gekommen ist, »damit er den Armen eine gute Nachricht bringe; damit er den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit er die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe« (Lk 4,18-19). Im sonntäglichen Gedächtnis des Ostergeheimnisses begibt sich der Glaubende in die Schule dessen, der verheißen hat: »Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch« (Joh 14,27). Ind indem er sich an dieses Wort erinnert, wird er seinerseits zumBaumeister des Friedens.
FÜNFTES KAPITEL: DIES DIERUM - Der Sonntag, der ursprüngliche Feiertag, der den Sinn der Zeit offenbart
Christus – Alpha und Omega der Zeit
74. »Im Christentum kommt der Zeit eine fundamentale Bedeutung zu. Innerhalb ihrer Dimension wird die Welt erschaffen, in ihrem Umfeld entfaltet sich die Heilsgeschichte, die ihren Höhepunkt in der "Fülle der Zeit" der Menschwerdung und ihr Ziel in der glorreichen Wiederkunft des Gottessohnes am Ende der Zeiten hat. In Jesus Christus, dem fleischgewordenen Wort, wird die Zeit zu einer Dimension Gottes, der in sich ewig ist«.<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 10: AAS 87 (1995), 11.</ref>
Die Jahre des Erdendaseins Christi stellen im Licht des Neuen Testamentes tatsächlich die Mitte der Zeit dar. Diese Mitte hat ihren Höhepunkt in der Auferstehung. Denn wenn es auch wahr ist, dass er vom ersten Augenblick der Empfängnis an im Schoß der heiligen Jungfrau menschgewordener Gott ist, ist es doch auch wahr, dass seine Menschlichkeit erst durch die Auferstehung vollständig verklärt und verherrlicht wird und so seine göttliche Identität und Herrlichkeit voll offenbart. Paulus wendet in seiner Rede in der Synagoge von Antiochia in Pisidien sehr treffend die Aussage von Psalm 2 auf die Auferstehung Christi an: »Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt« (V. 7). Genau aus diesem Grund stellt uns die Kirche in der Osternachtfeier den auferstandenen Christus als »Anfang und Ende, Alpha und Omega« vor. Diese Worte, die vom Priester gesprochen werden während er in die Osterkerze die Zahl des laufenden Jahres einritzt, machen offenkundig, dass »Christus der Herr der Zeit ist; er ist ihr Anfang und ihre Erfüllung; jedes Jahr, jeder Tag und jeder Augenblick werden von seiner Menschwerdung und seiner Auferstehung umfangen und befinden sich auf diese Weise in der "Fülle der Zeit"«.<ref>Ebd.</ref>
75. Da der Sonntag das wöchentliche Ostern ist, wo der Tag in Erinnerung gerufen und vergegenwärtigt wird, an dem Christus von den Toten auferstanden ist, ist er auch der Tag, der die Bedeutung der Zeit offenbart. Es besteht keine Verwandtschaft mit den kosmischen Zyklen, in welchen Naturreligion und menschliche Kultur bestrebt sind, die Zeit dem Rhythmus anzupassen, wobei sie sich vielleicht dem Mythos von der ewigen Wiederkehr hingeben. Der christliche Sonntag ist etwas völlig anderes! Aus der Auferstehung hervorgehend, zerteilt er die Zeiten des Menschen, die Monate, die Jahre, die Jahrhunderte, wie ein Richtungspfeil, der sie durchdringt und auf das Ziel der Wiederkunft Christi ausrichtet. Der Sonntag nimmt den Endtag vorweg, den Tag der Parusie, wie er im Geschehen der Auferstehung von der Herrlichkeit Christi angekündigt wird. Der Christ weiß nämlich, dass er auf keine andere Heilszeit zu warten braucht, sondern dass die Welt, wie lange ihre zeitliche Dauer auch währen mag, bereits in der Endzeit lebt.
Denn alles, was bis zum Weltende geschehen wird, wird nur eine Ausweitung und Verdeutlichung dessen sein, was an dem Tag geschehen ist, an dem der gemarterte Leib des Gekreuzigten durch die Macht des Geistes auferstanden und seinerseits für die Menschheit zur Quelle des Geistes geworden ist. Der Christgläubige weiß deswegen, dass er auf keine andere Zeit der Erlösung warten muss, da die Welt, wie lange sie auch zeitlich noch dauern wird, sich bereits in der Endzeit befindet. Vom verherrlichten Christus wird nicht nur die Kirche, sondern der Kosmos und die Geschichte unablässig geführt und geleitet. Es ist diese Kraft des Lebens, die Schöpfung, die »bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt« (Röm 8,22) zielstrebig auf ihre endgültige Erlösung treibt. Von diesem Weg kann der Mensch nur eine dunkle Ahnung haben; die Christen besitzen die Chiffre und die Gewißheit dafür, und die Heiligung des Sonntags ist ein beredtes Zeugnis, das zu geben sie aufgerufen sind, damit die Zeiten des Menschen immer von der Hoffnung getragen sind.
Der Sonntag im Kirchenjahr
76. Wenn der Tag des Herrn mit seinem Wochenrhythmus in der ältesten Überlieferung der Kirche ihre Wurzeln hat und für den Christen von lebenswichtiger Bedeutung ist, so hat die Durchsetzung eines anderen Rhythmus nicht lange auf sich warten lassen: der Jahreskreis. Es entspricht in der Tat der menschlichen Psychologie, Jahrestage zu feiern, wobei man mit der Wiederkehr der Daten und Jahreszeiten die Erinnerung an Ereignisse der Vergangenheit verbindet. Wenn es sich dann um Ereignisse handelt, die für das Leben eines Volkes entscheidend sind, so ist es ganz normal, dass ihr Jahrestag eine festliche Stimmung auslöst, welche die Monotonie der Tage unterbricht.
Nun standen die Hauptereignisse der Erlösung, auf die sich das Leben der Kirche gründet, durch Gottes Plan in engem Zusammenhang mit dem Pascha- und dem Pfingstfest, jährlichen Festen der Juden, und wurden in ihnen prophetisch angekündigt. Seit dem zweiten Jahrhundert hat es die Christliche Feier des jährlichen Paschafestes zusätzlich zum wöchentlichen Pascha möglich gemacht, der Besinnung auf das Mysterium des gestorbenen und auferstandenen Christus mehr Raum zu geben. Das Osterfest, dem als Vorbereitung eine Fastenzeit vorausging und als »Fest der Feste« im Verlauf einer langen Nachtwache gefeiert sowie dann durch fünfzig, auf das Pfingstfest hinführende Tage verlängert wurde, ist zum Tag der Initiation der Katechumenen schlechthin geworden. Wenn sie tatsächlich durch die Taufe der Sünde sterben und zu einem neuen Leben auferstehen, so deshalb, weil Jesus »wegen unserer Verfehlungen hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung auferweckt wurde« (Röm 4,25; vgl. 6,3-11). In seiner engen Verknüpfung mit dem Pascha-Mysterium gewinnt das Pfingstfest besondere Bedeutung, an dem die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die zusammen mit Maria versammelten Apostel und der Beginn ihrer Entsendung zu allen Völkern gefeiert wird.<ref>Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 731-732.</ref>
77. Eine solche Logik des Gedenkens lag der Gliederung des ganzen Kirchenjahres zugrunde. Wie das II. Vatikanische Konzil ausführt, wollte die Kirche im Jahreskreis »das ganze Mysterium Christi von der Menschwerdung und Geburt bis zur Himmelfahrt, zum Pfingsttag und zur Erwartung der seligen Hoffnung und der Wiederkunft des Herrn« entfalten. »Indem sie so die Mysterien der Erlösung feiert, erschließt sie die Reichtümer der Machterweise und der Verdienste ihres Herrn, so dass sie jederzeit gewissermaßen gegenwärtig gemacht werden und die Gläubigen mit ihnen in Berührung kommen und mit der Gnade des Heiles erfüllt werden«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 102.</ref>
Das feierlichste Fest nach Ostern und Pfingsten ist zweifellos das Geburtsfest des Herrn, an dem sich die Christen auf das Geheimnis der Menschwerdung besinnen und in das Wort Gottes versenken, das sich herablässt, unser Menschsein anzunehmen, um uns zu Teilhabern an seiner Göttlichkeit zu machen.
78. Desgleichen »verehrt bei der Feier dieses Jahreskreises der Mysterien Christi die heilige Kirche mit besonderer Liebe Maria, die selige Gottesgebärerin, die durch ein unzerreißbares Band mit dem Heilswerk ihres Sohnes verbunden ist«.<ref>Ebd., 103.</ref> In derselben Weise wurden in den Jahreskreis anlässlich ihrer Jahresfeiern die Gedächtnistage der Märtyrer und anderer Heiliger eingefügt, dabei »verkündet die Kirche das Pascha-Mysterium in den Heiligen, die mit Christus gelitten haben und in ihm verherrlicht sind«.<ref>Ebd., 104.</ref> Das im echten Geist der Liturgie gefeierte Gedächtnis der Heiligen verdunkelt nicht die zentrale Stellung Christi, sondern hebt sie im Gegenteil hervor, indem sie die Macht seiner Erlösung aufzeigt. Wie der hl. Paulinus von Nola in einem seiner Gedichte schreibt, »vergeht alles, die Verherrlichung der Heiligen dauert in Christus fort, der alles erneuert, während er derselbe bleibt«.<ref>Carm. XVI, 3-4: »Omnia praetereunt, sanctorum gloria durat in Christo qui cuncta novat, dum permanet ipse«: CSEL 30, 67.</ref> Dieser innere Zusammenhang zwischen der Verherrlichung der Heiligen und der Verherrlichung Christi ist in die Ordnung des Kirchenjahres selbst einbezogen und findet gerade in dem grundlegenden, beherrschenden Wesen des Sonntags als Tag des Herrn seinen sprechendsten Ausdruck. Das kirchliche und geistliche Engagement des Christen wird, den Zeiten des Kirchenjahres folgend, bei der Einhaltung des Sonntags, der dieses Kirchenjahr zerteilt, tief in Christus verankert, woraus es Nahrung und Ansporn schöpft.
79. Der Sonntag erscheint somit als das natürliche Modell, um jene Feiertage des Kirchenjahres zu verstehen und zu begehen, deren Wert für das christliche Leben so groß ist, dass die Kirche beschlossen hat, ihre Bedeutung dadurch zu unterstreichen, dass sie die Gläubigen zur Teilnahme an der Messe und zur Einhaltung der Ruhe zu verpflichten, obgleich diese Feste auf wechselnde Wochentage fallen.<ref>Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1247; Codex des Kirchenrechtes der orientalischen Kirchen, can. 881 §§ 1.4.</ref> Die Zahl dieser Feiertage ändert sich in den verschiedenen Epochen mit Rücksicht auf die soziale und wirtschaftliche Situation sowie auf die Verwurzelung der Feiertage in der Tradition und zudem auf die unterstützende Absicherung durch die zivile Gesetzgebung.<ref>Nach allgemeinem Recht sind gebotene Feiertage in der lateinischen Kirche das Fest der Geburt unseres Herrn Jesus Christus, der Erscheinung des Herrn, der Himmelfahrt, des heiligsten Leibes und Blutes Christi, der heiligen Gottesmutter Maria, ihrer Unbefleckten Empfängnis und ihrer Aufnahme in den Himmel, das Fest des heiligen Josef, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und Allerheiligen: vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1246. Allgemeine gebotene Feiertage in allen orientalischen Kirchen sind jene der Geburt unseres Herrn Jesus Christus, der Epiphanie, der Himmelfahrt, des Todes der Muttergottes, der heiligen Apostel Petrus und Paulus: vgl. Codex des Kirchenrechtes der orientalischen Kirchen, can. 880 § 3.</ref>
Die aktuelle kanonisch-liturgische Ordnung sieht die Möglichkeit vor, dass jede Bischofskonferenz je nach den besonderen Verhältnissen dieses oder jenes Landes die Zahl der gebotenen Feiertage verringern kann. Der etwaige diesbezügliche Beschluß bedarf einer vorherigen besonderen Genehmigung des Apostolischen Stuhls<ref>Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 1246 § 2; für die orientalischen Kirchen vgl. Codex des Kirchenrechtes der orientalischen Kirchen, can. 880 § 3.</ref> und in diesem Fall wird die Feier eines Geheimnisses des Herrn wie die Erscheinung, die Himmelfahrt oder das Fest des Leibes und Blutes Christi den liturgischen Vorschriften entsprechend auf einen Sonntag verlegt werden, damit es den Gläubigen nicht vorenthalten bleibt, sich auf das Geheimnis zu besinnen.<ref>Vgl. Hl. Ritenkongregation, Normae universales de Anno liturgico et de Calendario (21. März 1969), 5.7: Ench. Vat. 3, 895. 897.</ref> Ebenso soll es den Bischöfen ein Anliegen sein, die Gläubigen zur Teilnahme an der Messe auch an den wichtigen Feiertagen zu ermuntern, die auf einen Wochentag fallen.<ref>Vgl. Caeremoniale Episcoporum, ed. typica 1995, n. 230.</ref>
80. Eine eigene seelsorgerische Erörterung jene häufigen Situationen verdienen, wo volkstümliche und kulturelle Traditionen, die für ein bestimmtes Umfeld typisch sind, das Feiern der Sonntage und der anderen liturgischen Feiern zu überschwemmen und den Geist des authentischen christlichen Glaubens mit Elementen zu vermischen drohen, die ihm fremd sind und ihn entstellen könnten. In diesen Fällen muss man mit Hilfe der Katechese und durch entsprechendes pastorales Eingreifen Klarheit schaffen. Alles, was sich nicht mit dem Evangelium Christi verträgt, muss verworfen werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass es diesen Traditionen — und das gilt auch für neue kulturelle Vorhaben der zivilisierten Gesellschaft — oft nicht an Werten fehlt, die sich ohne Schwierigkeit mit den Ansprüchen des Glaubens verbinden lassen. Es ist Aufgabe der Bischöfe, eine Unterscheidung vorzunehmen, die die echten Werte, die in der Kultur eines bestimmten gesellschaftlichen Umfeldes und insbesondere in der Volksfrömmigkeit vorhanden sind, bewahrt und dadurch bewirken soll, dass die Mebfeier besonders an den Sonn- und Feiertagen nicht darunter leidet, sondern eine Bereicherung erfährt.<ref>Vgl. ebd. n. 233.</ref>
SCHLUSS
81. Der spirituelle und pastorale Reichtum des Sonntags, wie er der Kirche von der Überlieferung anvertraut wurde, ist wirklich großartig. Der Sonntag in der Vollständigkeit seiner Bedeutungen und Implikationen ist in gewissem Maße eine Zusammenfassung des christlichen Lebens und Voraussetzung, es richtig zu leben. Man versteht also, warum der Kirche die Einhaltung des Tages des Herrn am Herzen liegt und diese im Rahmen der kirchlichen Disziplin eine regelrechte Pflicht bleibt. Sie darf jedoch nicht nur als Gebot angesehen werden, sondern sie muss als ein Bedürfnis empfunden werden, das zutiefst in die christliche Existenz eingeschrieben ist. Es ist tatsächlich von grundlegender Bedeutung, dass sich jeder Glaubende davon überzeugt, weder seinen Glauben leben noch am Leben der Gemeinschaft teilnehmen zu können, wenn er sich nicht vor allem durch die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier vom Wort Gottes und vom eucharistischen Brot nährt. Wenn sich in der Eucharistie jene Fülle kultischer Verehrung verwirklicht, die die Menschen Gott schulden und die sich mit keiner anderen religiösen Erfahrung vergleichen lassen. Dies kommt besonders wirkungsvoll in der sonntäglichen Zusammenkunft der ganzen Gemeinde zum Ausdruck, die der Stimme des Auferstandenen folgt, der sie zusammenruft, um ihr das Licht seines Wortes und die Nahrung seines Leibes als ewige sakramentale Quelle der Erlösung zu schenken. Die Gnade, die aus dieser Quelle entspringt, erneuert die Menschen, das Leben und die Geschichte.
82. Und mit dieser festen Glaubensüberzeugung, begleitet vom Bewusstsein, dass in der Feier des Sonntags auch ein Erbe menschlicher Werte enthalten sind, müssen die heutigen Christen gegenüber den Beanspruchungen einer Kultur auftreten, die zwar in wohltuender Weise die Forderungen nach Erholung und Freizeit durchgesetzt hat, sie aber oft auf sehr oberflächliche Weise lebt und sich zu Formen des Vergnügens verleiten lässt, die moralisch umstritten sind. Gewiß fühlt sich der Christ mit den anderen Menschen im Genießen des wöchentlichen Ruhetages solidarisch; zugleich aber ist er sich der Neuheit und Ursprünglichkeit des Sonntags lebhaft bewusst, des Tages, an dem er aufgerufen ist, sein und das Heil der ganzen Menschheit zu feiern. Wenn es ein Tag der Freude und der Erholung ist, dann deshalb, weil es der »Herrentag«, der Tag des auferstandenen Herrn ist.
83. So verstanden und gelebt wird der Sonntag gleichsam zur Seele der anderen Tage, und in diesem Sinn kann man die Feststellung des Origines anführen, wonach der vollkommene Christ »sich immer am Tag des Herrn befindet, immer den Sonntag feiert«.<ref>Contra Celsum VIII, 22: SC 150, 222-224.</ref> Der Sonntag ist eine echte Schule, eine ständige Anleitung kirchlicher Pädagogik. Diese Pädagogik ist unersetzlich, besonders in der Situation der heutigen Gesellschaft, welche immer stärker von Zersplitterung und kulturellem Pluralismus gekennzeichnet ist, die ständig die Treue der einzelnen Christen zu den besonderen Forderungen ihres Glaubens auf die Probe stellen. In vielen Teilen der Welt zeichnet sich der Zustand eines »Diaspora«-Christentums ab, das geprägt ist von einer Situation der Zerstreuung, in der es den Jüngern Christi nicht mehr gelingt, die Kontakte untereinander ohne Schwierigkeiten aufrechtzuerhalten, und die auch nicht mehr von Strukturen und Traditionen, wie sie für die christliche Kultur typisch sind, Hilfe erhalten. In diesem problematischen Umfeld ist die Möglichkeit, sich am Sonntag mit den Glaubensbrüdern zusammenzufinden, um die Gaben der Brüderlichkeit auszutauschen, eine unverzichtbare Hilfe.
84. Der Sonntag, der zur Unterstützung des christlichen Lebens eingeführt wurde, gewinnt natürlich auch einen Zeugnis- und Verkündigungswert. Als Tag des Gebetes, der Gemeinschaft und der Freude hat er durch die Ausstrahlung von Lebenskräften und Motiven zur Hoffnung eine Wirkung auf die Gesellschaft. Er ist die Botschaft, dass die Zeit, die vom Auferstandenen und vom Herrn der Geschichte bewohnt wird, nicht der Sarg unserer Illusionen, sondern die Wiege einer stets neuen Zukunft ist, die Gelegenheit, die uns gegeben wird, um die flüchtigen Augenblicke dieses Lebens in Samen der Ewigkeit umzuwandeln. Der Sonntag ist eine Einladung, nach vorne zu schauen, der Sonntag ist der Tag, an dem die christliche Gemeinde ihren Ruf »Marána tha: Unser Herr, komm!« (1 Kor 16,22) an Christus richtet. In diesem Ruf der Hoffnung und Erwartung wird sie zur Begleitung und Stütze der Hoffnung der Menschen. Und von Christus erleuchtet geht sie, Sonntag für Sonntag, dem Sonntag entgegen, der kein Ende kennt, dem Sonntag des himmlischen Jerusalem, wenn die mystische Stadt Gottes in ihren Grundrissen fertiggestellt sein wird, die »weder Sonne noch Mond braucht, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm« (Offb 21,23).
85. In dieser Zielstrebigkeit wird die Kirche vom Geist unterstützt und beseelt. Er weckt wieder das Gedächtnis daran und aktualisiert für jede Generation von Gläubigen das Auferstehungsereignis. Die innere Hingabe vereint uns mit dem Auferstandenen und mit den Brüdern in der Vertrautheit eines einzigen Leibes, der unseren Glauben stärkt und in unser Herz die Liebe ausgießt, indem unsere Hoffnung wiederbelebt wird. Der Geist ist ununterbrochen, an jedem Tag der Kirche, gegenwärtig; unvorhersehbar und großzügig bricht er mit der Fülle seiner Gaben herein, doch bei der sonntäglichen Zusammenkunft zur wöchentlichen Feier des Pascha-Mysteriums lässt sich die Kirche besonders auf das Hören des Geistes ein und öffnet sich zusammen mit ihm Christus im brennenden Verlangen nach seiner herrlichen Wiederkehr: »Der Geist und die Braut aber sagen: Komm!« (Offb 22,17). Gerade in der Betrachtung der Rolle des Heiligen Geistes war es mein Wunsch, dass diese Aufforderung zur Wiederentdeckung des Sinnes des Sonntags gerade in diesem Jahr fallen sollte, das im Zuge der unmittelbaren Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr dem Heiligen Geist gewidmet ist.
86. Ich vertraue die rege Aufnahme dieses Apostolischen Briefes von seiten der christlichen Gemeinschaft der Fürsprache der Heiligen Jungfrau an. Sie ist, ohne die zentrale Stellung Christi und seines Geistes im geringsten zu beeinträchtigen, an jedem Sonntag der Kirche gegenwärtig. Das verlangt das Geheimnis Christi selbst: Denn, wie könnte sie, die Mater Domini und die Mater Ecclesiae, an dem Tag, der zugleich dies Domini und dies ecclesiae, Tag des Herrn und Tag der Kirche, ist, nicht in besonderer Weise gegenwärtig sein?
Auf die Jungfrau Maria blicken die Gläubigen, die das bei der Sonntagsmesse verkündete Wort hören, von ihr lernen sie, es in ihrem Herzen zu bewahren und darüber nachzudenken (vgl. Lk 2,19). Mit Maria lernen sie, am Fuße des Kreuzes zu stehen, um dem Vater das Opfer Christi darzubringen und damit die Hingabe des eigenen Lebens zu verbinden. Mit Maria erleben sie die Freude der Auferstehung, während sie sich die Worte des Magnificat zu eigen machen, die das unerschöpfliche Geschenk der Barmherzigkeit Gottes in dem unerbittlichen Lauf der Zeit besingen: »Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten« (Lk 1,50). Sonntag für Sonntag begibt sich das pilgernde Volk in die Fußstapfen Marias, und ihre mütterliche Fürsprache verleiht dem Gebet, das die Kirche der Heiligsten Dreifaltigkeit richtet, am Sonntag besondere Intensität und Wirksamkeit.
87. Liebe Brüder und Schwestern, das bevorstehende Jubiläumsjahr lädt uns ein, unseren geistlichen und pastoralen Einsatz zu vertiefen. Denn das ist sein eigentlicher Zweck. In dem Jahr, in dem es gefeiert wird, werden es viele Initiativen auf charakteristische Weise prägen und ihm den besonderen Stempel aufdrücken, der dem Ende des zweiten und dem Beginn des dritten Jahrtausends seit der Menschwerdung des Wortes Gottes zukommt. Aber dieses Jahr und diese besondere Zeit werden vorübergehen — in Erwartung anderer Jubeljahre und anderer feierlicher Jahrestage. Der Sonntag mit seiner gewöhnlichen »Feierlichkeit« wird weiterhin die Zeit der Pilgerschaft der Kirche unterteilen — bis zu dem Sonntag, der ohne Ende sein wird.
Ich fordere Euch daher auf, liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, unermüdlich mit den Gläubigen dafür zu wirken, dass der Wert dieses heiligen Tages immer besser anerkannt und gelebt wird. Das wird für die christlichen Gemeinden Früchte tragen und zweifellos wohltuenden Einfluß auf die Gesellschaft insgesamt ausüben.
Die Männer und Frauen des dritten Jahrtausends sollen bei der Begegnung mit der Kirche, die jeden Sonntag voll Freude das Geheimnis feiert, aus dem sie ihr ganzes Leben schöpft, dem auferstandenen Christus selbst begegnen können. Und seine Jünger sollen durch die ständige Erneuerung im wöchentlichen Gedächtnis des Pascha-Mysteriums immer glaubwürdigere Verkünder des Evangeliums vom Heil und rührige Baumeister der Zivilisation der Liebe sein.
Aus dem Vatikan, am 31. Mai, dem Pfingstfest des Jahres 1998,
dem zwanzigsten Jahr meines Pontifikates.
Anmerkungen
<references />