Alphonse Gratry: Weisheit des Glaubens: Unterschied zwischen den Versionen

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"Da Gottes Natur wesentlich Güte ist, war es für ihn angemessen, sich den Geschöpfen auf die höchste Weise mitzuteilen, was sich im Werke der Menschwerdung vollzog."
 
"Da Gottes Natur wesentlich Güte ist, war es für ihn angemessen, sich den Geschöpfen auf die höchste Weise mitzuteilen, was sich im Werke der Menschwerdung vollzog."
  
Nachdem der ewige Ratschluss der Menschwerdung vollzogen war, ziemte es sich, dass es das Wort Gottes war, das im Menschen Fleisch wurde. "Es war von höchster Angemessenheit (convenientissimum), dass die Person des Sohnes Mensch wurde, ... weil das Wort Gottes, das sein ewiges inneres Wort ist, dem Urbild jedes Geschöpfes ähnlich ist. Wie also die unvollkommene Teilnahme an dieser Ähnlichkeit die Geschöpfe in eigenen Arten, doch für ein bewegliches Dasein bestehen lässt, so ziemte es sich, dass nicht durch eine teilweise, sondern durch persönliche Vereinigung des Wortes mit den Geschöpfen die Schöpfung zur ewigen, unveränderlichen Vollkommenheit wiederhergestellt wurde." Betrachten Sie übrigens die wunderbare Zusammenfassung der Lehre von der Menschwerdung nach dem [[Athanasianisches Glaubensbekenntnis|Athanasianischen Glaubensbekenntnis]] das, wie ich wiederhole, das Glaubensbekenntnis der Katholischen Kirche ist, welches das Glaubensbekenntnis von Nizäa weiter entwickelt, wie dieses das Apostolische Glaubensbekenntnis vertieft. "Der wahre Glaube fordert also unser Bekenntnis: dass unser Herr, Jesus Christus, Gottes Sohn, Gott und Mensch sei.  
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Nachdem der ewige Ratschluss der Menschwerdung vollzogen war, ziemte es sich, dass es das Wort Gottes war, das im Menschen Fleisch wurde. "Es war von höchster Angemessenheit (convenientissimum), dass die Person des Sohnes Mensch wurde, ... weil das Wort Gottes, das sein ewiges inneres Wort ist, dem Urbild jedes Geschöpfes ähnlich ist. Wie also die unvollkommene Teilnahme an dieser Ähnlichkeit die Geschöpfe in eigenen Arten, doch für ein bewegliches Dasein bestehen lässt, so ziemte es sich, dass nicht durch eine teilweise, sondern durch persönliche Vereinigung des Wortes mit den Geschöpfen die Schöpfung zur ewigen, unveränderlichen Vollkommenheit wiederhergestellt wurde." Betrachten Sie übrigens die wunderbare Zusammenfassung der Lehre von der Menschwerdung nach dem [[Athanasisches Glaubensbekenntnis|Athanasianischen Glaubensbekenntnis]] das, wie ich wiederhole, das Glaubensbekenntnis der Katholischen Kirche ist, welches das Glaubensbekenntnis von Nizäa weiter entwickelt, wie dieses das Apostolische Glaubensbekenntnis vertieft. "Der wahre Glaube fordert also unser Bekenntnis: dass unser Herr, Jesus Christus, Gottes Sohn, Gott und Mensch sei.  
  
 
"Er ist Gott aus der Wesenheit des Vaters, von Ewigkeit erzeugt, und er ist Mensch aus der Wesenheit der Mutter, in der Zeit geboren.  
 
"Er ist Gott aus der Wesenheit des Vaters, von Ewigkeit erzeugt, und er ist Mensch aus der Wesenheit der Mutter, in der Zeit geboren.  
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<center>"Ich glaube an den Nachlass der Sünden."') </center>
 
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=== 1. Die geistige Umwandlung des Menschen ===
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'''JÜNGER:''' Es scheint mir, dass wir schon vom Nachlass der Sünde gesprochen haben, als wir von der Menschwerdung und der Erlösung handelten?  
 
'''JÜNGER:''' Es scheint mir, dass wir schon vom Nachlass der Sünde gesprochen haben, als wir von der Menschwerdung und der Erlösung handelten?  

Aktuelle Version vom 1. Mai 2023, 15:16 Uhr

Weisheit des Glaubens

Katechismus für Gebildete

Alphonse Gratry, 1861 Erste Auflage.

Quelle: Alphonse Gratry: Weisheit des Glaubens, Erstmalig übersetzt nach der 9. Auflage 1926. Mit Vorrede und Verzeichnissen herausgegeben von Dr. Emil J. Scheller, Verlag Kösel-Pustet München (298 Seiten, Imprimatur Monachii, die 13. August 1928 M. Dunstmair Vic. Gen.) Das Vorwort des Verfassers, die Einführung von Kardinal Adolphe Perraud, die Vorrede des Übersetzers, die Verzeichnisse am Schluss des Werkes wurden bei der Digitalisierung nicht aufgenommen, ebenso die Anmerkungen, außer der der Bibelabkürzungen in Klammer. Eine geringe Auslassung.

Inhaltsverzeichnis

Symbolum Apostolicum - Apostolisches Glaubensbekenntnis

Glaubensartikel Lateinische Fassung Deutsche Fassung
1
Credo in deum patrem omnipotentem,
creatorem coeli et terrae;
Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater,
Schöpfer des Himmels und der Erde,
2
Et in Iesum Christum,
filium eius unicum,
dominum nostrum,
und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn,
unseren Herrn,
3
qui conceptus est de Spiritu sancto,
natus ex Maria virgine,
der empfangen ist vom Heiligen Geist,
geboren aus Maria, der Jungfrau,
4
passus sub Pontio Pilato,
crucifixus, mortuus et sepultus,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
5
descendit ad inferna,
tertia die resurrexit a mortuis,
abgestiegen zu der Hölle,
am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten,
6
ascendit ad coelos,
sedet ad dexteram dei patris omnipotentis,
aufgefahren in den Himmel,
sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
7
inde venturus est
iudicare vivos et mortuos;
von dannen er kommen wird
zu richten die Lebendigen und die Toten,
8
Credo in Spiritum sanctum, Ich glaube an den Heiligen Geist,
9
sanctam ecclesiam catholicam,
sanctorum communionem,
die heilige Katholische Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
10
remissionem peccatorum, Nachlass der Sünden,
11
carnis resurrectionem, Auferstehung des Fleisches
12
et vitam aeternam. und das ewige Leben.
Amen. Amen.

Erstes Zwiegespräch: Der Glaube - Gott Schöpfer

"Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde."

I. Bedingung des Glaubens

JÜNGER: Was ist zu tun, um Glauben zu besitzen?

MEISTER: Man muss tun, was Jesus Christus gesagt hat.

JÜNGER: Was hat er nun als Mittel angegeben, um zum Glauben zu gelangen?

MEISTER: Er sagte: "Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht ans Licht ... Wer aber nach der Wahrheit handelt, kommt zum Lichte ... " (Joh 3, 20-21)

Zum Lichte kommen, heißt aber Glauben haben.

JÜNGER: Sie meinen also, wenn ich keinen Glauben habe, hänge es damit zusammen, dass meine Werke schlecht sind? Was ist denn schlecht an ihnen?

MEISTER: Ich sehe, dass Sie Ihre Werke für recht und sich selbst auch für gut halten. Doch erinnern Sie sich, dass Jesus Christus, der vollkommenste der Menschenkinder, dem Jüngling, der ihn "Guter Meister" nannte, zur Antwort gab: "Was nennst du mich gut? Nur Gott allein ist gut. " (Lk 18, 19)

Vielleicht liegt das eigentliche Übel all Ihrer Werke, der Hauptfehler, die Wunde ihrer Seele darin, sich für gut zu halten. Diese Wunde heißt man Hochmut. Der Hochmut ist aber Anfang und Beweis Ihrer Gottentfremdung.

JÜNGER: Wie ich Ihnen versichere, bin ich nicht hochmütig.

MEISTER: Dann täuschen Sie sich. Hochmütig sind Sie gerade dann, wenn Sie sich für gut halten. Man weiß gar nicht mehr, was Hochmut und was Demut ist.

JÜNGER: Was ist es denn?

MEISTER: Ich will es Ihnen sagen.

Der Mensch vergleicht immer das, was er ist, mit dem, was er sein kann. Er misst seine wirkliche, augenblickliche Größe an seiner zukünftigen, voraussichtlichen und idealen Größe. Wer nun kein Ideal hat, wer spärliche Hoffnungen, nur wenig Wachstum sein Eigen nennt, wer keine Quelle, nämlich keine göttliche Quelle im Grunde der Seele trägt, hält sich trotz aller Armseligkeit für groß, weil er das Wenige, das er zu sein scheint, an dem Nichts misst, das in ihm ist. Das nun gerade ist Hochmut. Wer aber im Grunde der Seele den göttlichen, fruchtbaren, tiefen und unerschöpflichen Born, das himmlische Ideal, eine unbegrenzte Zukunft und die ewige Quelle trägt und in sich wahrnimmt, der verachtet seine vermeintliche Größe wegen ihrer Schranken, da sie angesichts des Unendlichen nichts ist, das er im voraus empfindet und in sich trägt. Das ist Demut.

In dieser Weise demütig oder stolz sein, heißt Gott besitzen oder ihn nicht in sich haben. Sie sehen daraus, dass gerade der Selbstzufriedene hochmütig ist.

Welche Vorstellung machen Sie sich nun vom Glauben?

Meinen Sie, dass an Gott glauben etwa heiße mit dem Munde auszusprechen: "Ich glaube an Gott", oder in Gedanken diese Worte zu bilden? An Gott glauben heißt: mit lebendigem Glauben Gott in sich tragen.

Daraus könnte man schließen, dass, wer keinen Glauben hat, noch weniger Demut hat.

JÜNGER: Wie verhält es sich dann aber mit Gläubigen, deren Werke nicht gut und sicher noch schlechter als die meinigen sind? Wären diese dann nicht auch hochmütig?

MEISTER: Wenn sie das Böse tun, obwohl sie Gläubige heißen, so lieben sie nicht das Licht, sondern entfernen sich davon. Ihr Glaube ist erstorben und ihr Hochmut so groß wie bei anderen. Nun ist aber ein toter Glaube wie ein Leichnam, der oft in einigen Tagen völlig zerfällt.

JÜNGER: Dann würde also der Glaube von unseren Werken oder wenigstens von unserem Willen abhängen?

MEISTER: Nach dem hl. Augustinus entsteht der Glaube im Herzen folgendermaßen: "Der Glaube wird auf Grund der Barmherzigkeit Gottes, die uns mit ihrem Ruf zuvorkommt, durch den Gehorsam erweckt."

"Gott bewirkt dann den Glauben auf wunderbare Weise in unseren Herzen." - "Der Glaube ist aber auch in unserer Gewalt, da jeder glaubt, wann er will; und wenn man glaubt, geschieht es, weil man es will. -

"Schau nur zu, ob jemand glaubt, wenn er es nicht gewollt hat, oder nicht glaubt, wenn er es gewollt hat, was aber töricht ist ... Der Glaube ist nämlich in unserer Gewalt; doch so, wie der Apostel sagt: "Es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt." - In diesem Sinne hängt also der Glaube auch von unserem Willen ab. Zunächst hängt er aber von Gott ab, der ihn schenkt; Gott will ihn allen geben und hört nicht auf, ihn allen anzubieten. Die einen nehmen ihn an, die anderen weisen ihn ab, je nachdem ihre Seele gelehrig ist oder nicht, so dass Glauben haben oder nicht haben auch von uns abhängt. Das bedeutet das Wort Jesu Christi: "Wer aber nach der Wahrheit handelt, kommt zum Lichte" (Joh 3, 21).

JÜNGER: Der hl. Augustinus ist mehr Dichter und Redner; ist er aber ein ernst zu nehmender Theologe? Ich wäre überrascht, bei den Scholastikern eine ebenso weite und vernünftige Auffassung vom Glauben zu finden.

MEISTER: Der hl. Augustinus ist ein sehr bedeutender Theologe, so dass man sogar nach den Scholastikern "sich wohl hüten muss, irgend einen höher zu stellen als ihn". Doch ich will Ihnen auch den hl. Thomas von Aquin in seiner wunderbaren Zusammenfassung der ganzen Lehre über den Glauben anführen.

Der hl. Thomas gibt den gleichen Gedanken des hl. Augustinus wieder:

Glauben hängt vom Willen der Gläubigen ab; doch wie der hl. Augustinus spricht er hier vom Willen des Menschen, der durch die Gnade Gottes vorbereitet ist.

Hören Sie nun "über die Ursache des Glaubens" seine Lehre:

"Für die Zustimmung zu dem, was zu glauben ist, kann man eine zweifache Ursache annehmen: eine äußere Ursache im Einfluss eines Wunders oder in der Überredung eines Menschen, von denen aber keine genügen kann. … Man muss darum eine andere innere Ursache finden, die den Menschen innerlich zur Zustimmung zu den Glaubenslehren bewegt.

"Diese Ursache setzten die Pelagianer allein in den freien Willen des Menschen, was aber falsch ist". Zweifellos hängt Glauben vom Willen der Gläubigen ab, aber der Wille des Menschen muss von Gott durch die Gnade zubereitet sein.

"Daher kommt der Glaube, sofern er zustimmt, .. von Gott, der innerlich durch die Gnade bewegt." Die "eigentliche Hauptursache des Glaubens liegt in dem, was innerlich zur Zustimmung bewegt."

Wie Sie sehen, sind beides die gleichen Anschauungen.

JÜNGER: Ich bin davon nun überzeugt. Doch was ist die alltägliche, gewöhnliche Lehre der Kirche über diesen Punkt?

MEISTER: Sie ist die gleiche, das ausgenommen, was die theologische Arbeit von Jahrhunderten in gleicher Weise bestimmter, vollständiger und klarer gemacht hat. Alles ist in einem einzigen Satz enthalten, in folgender dogmatischer Bestimmung des Glaubens, den ich inständigst bitte, wortwörtlich auswendig zu lernen:

"Der Glaube ist die freie Zustimmung des Verstandes und Willens unter dem Einfluss der Gnade Gottes zu allen Wahrheiten, die Gott geoffenbart hat."

In dieser Bestimmung ist alles in gleicher Weise notwendig.

Wenn Gott es nicht ist, der offenbart, wenn es nicht Gott selber ist, der durch den inneren Antrieb seiner Gnade uns zum Glauben bewegt; wenn die Zustimmung nicht frei ist, wenn sie nicht zugleich durch einen Akt des Verstandes und des Willens, ein Werk der Vernunft und der Freiheit zustande kommt, wenn nur eine einzige dieser Bedingungen fehlt, handelt es sich nicht mehr um den katholischen Glauben.

JÜNGER: Das entspricht keineswegs der Vorstellung, die man sich gewöhnlich vom Glauben macht. Man betrachtet den Glauben als eine blinde Unterwerfung des Verstandes unter eine äußere, menschliche Autorität.

MEISTER: Das Unglück will es leider, dass man sich keinen rechten Begriff von dem macht, was die katholische Kirche lehrt. Die Berechtigung des Kampfes gegen uns beruht größtenteils darauf, uns Glaubenslehren unterzuschieben, die wir nicht haben.

JÜNGER: Sobald es sich um freie Zustimmung der Vernunft und des Willens einem Gott gegenüber handelt, der innerlich inspiriert und äußerlich offenbart, ist ein solcher Glaube sicherlich ein schönes Ideal. Ich würde dann wünschen, dass er auch zu Recht besteht. Doch das ist gerade die Frage: ist es wirklich Gott, der hier inspiriert und offenbart?

MEISTER: Darauf antwortet das Evangelium mit den Worten Jesu Christi:

"Wer dessen Willen tun will - der mich gesandt hat - wird inne werden, ob meine Lehre von Gott kommt, oder ob ich aus mir selbst rede (Joh 7, 17). Es ist immer die gleiche Antwort: übe zuerst die Gerechtigkeit, so wird die Wahrheit kommen.

JÜNGER: Was habe ich also zunächst zu tun?

MEISTER: Merken Sie auf! Beginnen Sie damit, von Herzen demütig zu sein. Bedenken Sie es wohl, dass Sie noch nicht der Mensch sind, wie Gott ihn haben will, der wahre Mensch, wie Gott ihn denktt so wie Sie selbst sich erfassen, wenn in klaren Stunden Ihr Ideal vor Ihrer Seele schwebt. Was haben Sie bis jetzt aus Ihrem Leben gemacht? Wo sind die Eigenschaften Ihrer göttlichen Kindschaft? Sind Sie in Wort und Werken ein Kind Gottes? - Nein. - Dann beweinen Sie Ihr entheiligtes, inhaltloses und unfruchtbares Leben. Weinen Sie nur, und mit den ersten Tränen werden Sie Gott finden.

II. Vernunft und Glaube

JÜNGER: Ist es aber vernünftig, so zur Erkenntnis Gottes zu gelangen? Würde es nicht besser sein, die Vernunft als Tränen zu gebrauchen?

MEISTER: Vielleicht sind sich beide Arten irgendwie etwas ähnlich. Sagen Sie mir lieber, wie die Philosophen zur Erkenntnis Gottes gelangen?

JÜNGER: Sie kommen dazu mit Hilfe der Vernunft, dieses Lichtes, das Gott jedem Menschen gibt, der in diese Welt kommt (Joh 1, 9).

MEISTER: Gewiss. Doch was ist die allgemeine Form, die der gemeinsame Grund aller Vernunftschlüsse ist, welche das Dasein Gottes beweisen?

JÜNGER: Die Vernunft erkennt, dass die Welt begrenzt und vergänglich, dass unser Geist unvollkommen und unsere Seele selbst armselig und begrenzt ist und überall das unendliche Sein sucht, um größer zu werden und von ihm verklärt zu werden. Nach dieser Erkenntnis stellt die Vernunft durch unmittelbare Schlussfolgerung mit der Schnelligkeit der Evidenz und der Strenge des mathematischen Beweises fest, dass die unvollkommenen, begrenzten Dinge, die wir sehen, aus dem Gegensatz heraus auf das unendliche Sein hinweisen, das wir nicht sehen. Diese schöne Beweisführung macht den Ruhm der größten Geister aus, eines Platon, eines hl. Augustinus, eines hl. Anselm, eines hl. Thomas von Aquin, eines Descartes und Fénelon. Man kann sogar sagen, dass sie das grundlegende Verfahren des vernünftigen Lebens darstellt.

MEISTER: Es ist wahr, die Demütigen, die Kleinen und Ungelehrten tun unbewusst das gleiche ohne ausgesprochene Schlussfolgerung. Sie üben es in innerster Seele mit Herz und Willen, wenn sie sich zum göttlichen Licht kehren, das Gott allen darbietet. Bei dem notwendigen Gegensatz, der jeder Seele auffällt, nämlich bei jeder Regung des Lebens im Vergleich mit dem allgegenwärtigen Gott erkennt sich die Seele als elend, selbstsüchtig und entartet angesichts des unendlichen Gutes, das sie durchdringt. So kommt sie zu Gott mit dem gleichen Akt, mit dem sie ihr Elend beklagt. Dieser Akt, der das Grundverfahren des religiösen und moralischen Lebens ausmacht, ist der Akt des natürlichen Glaubens, von dem der hl. Augustinus sagt: "Der Glaubensakt ist der Erstgeborene unseres Herzens," und den die Theologie nennt: "das praktische Zeugnis des Selbstbewusstseins."

JÜNGER: Welche Beziehung besteht nun zwischen diesem Akt des natürlichen Glaubens und dem des theologischen Glaubens?

MEISTER: Zwischen beiden herrscht die innigste Beziehung, obwohl es gänzlich verschiedene Akte sind. Denn während der eine als bloße Tätigkeit des Selbstbewusstseins und der Vernunft ein der menschlichen Natur eigentümlicher Akt ist, überschreitet dagegen der andere völlig die Kräfte der menschlichen Natur und kann durch uns nur hervorgebracht werden, wenn Gott in seiner Güte, seiner Gnade und seinem Antrieb uns über uns selbst erhebt. Dennoch gibt es nichts innerlich Vereinigteres als diese beiden Akte, da ja der übernatürliche Akt selbst auch ein Akt des Bewusstseins und der Vernunft bleibt. Wenn übrigens der Akt des natürlichen Glaubens nicht in der Seele gesetzt wird, ist der andere unmöglich, denn dann befindet sich die Seele im Stande der Sünde. "Alles, was man nicht aus Überzeugung tut, ist Sünde, (Röm 14, 23) sagt der hl. Paulus, wo er von dem natürlichen Glauben spricht.

Die Seele tut dann das Böse, hasst das Licht und wendet sich davon ab. Wenn dagegen Selbstbewusstsein und Vernunft in der Seele lebendig sind und dort ihre Wirkung hervorbringen, hört die Seele dadurch auf, dem Licht, der Gnade und dem Glauben, die Gott schenkt, ein Hindernis zu setzen. Die beiden Akte sind im wirklichen Leben so vereint, dass der eine im anderen wie Gold im Gestein enthalten ist. Das ließ Fénelon sagen: "Gott mischt den Anfang der übernatürlichen Gabe mit dem Rest der guten Natur." Fénelon spricht so nach dem hl. Augustinusl der gesagt hatte:

"Es gibt in unserer Seele Anfänge des Glaubens, die den Keimen ähnlich sind, die im mütterlichen Schoß ruhen. "

Das ewige Licht, das Gott ist, erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt (Joh 1, 9). Gott leuchtet immer über unserer Finsternis. Aber die meisten Menschen nehmen nicht in sich, wie das Evangelium sagt, dieses ewige Licht voll und ganz auf, wie Gott es will. Sie trennen den notwendigen, unvermeidlichen Strahl davon ab, der die natürliche Vernunft ist. Sie stoßen die Hauptkraft zurück, wie Gletscher den Glanz der Sonne zurückwerfen und ihre Fruchtbarkeit aufheben. Aber diejenigen, die sie offen empfangen, mit anderen Worten, die, welche glauben (Joh 1, 12), werden Kinder Gottes.

JÜNGER: Scheint das nicht aber Ihre grundlegende Unterscheidung zwischen dem Akt des natürlichen Glaubens und dem des übernatürlichen Glaubens, zwischen Vernunft und Glaube abzuschwächen?

MEISTER: Keineswegs. Von Natur aus haben wir Vernunft, aber nicht Glauben. Die Vernunft gibt uns die notwendige Erkenntnis: der Glaube die freie Erkenntnis: eine notwendige Erkenntnis, die man hat, weil man Mensch ist, eine freie, die man hat, weil Gott sie geben will, und weil man sie empfangen kann. Auch wenn unsere Natur vollständig ist, haben wir noch nicht den Glauben, da unsere Natur aus sich selbst sich nicht zum Glauben erheben kann. Der Glaube ist eine freie, moralische, persönliche und freiwillige Mitteilung von Gott an den Menschen und des Menschen an Gott, die uns über uns selbst hinaushebt. In diesem Sinn ist also der Glaube unendlich der Erkenntnis überlegen, die wir von Natur aus in uns tragen; doch in Gott, der gemeinsamen Quelle von Vernunft und Glauben, sind Vernunft und Glaube gleichsam zwei Strahlen desselben Lichtes, wie die Theologie sagt. Der hl. Thomas nennt es die beiden Stufen in der Erkenntnis des Göttlichen, zwei Stufen für den Menschen, nicht für Gott.

JÜNGER: Wenn aber Glaube und Vernunft zwei Strahlen desselben Lichtes sind, wie können Glaube und Vernunft sich dann widersprechen?

MEISTER: Sie widersprechen sich höchstens scheinbar. Wenn sie im Widerstreit zu liegen scheinen, und wenn dieser Zwiespalt eine Seele oder ein Zeitalter ganz mit Finsternis erfüllt, so ist es eine beklagenswerte, doch erklärliche Erscheinung. Die beiden Lichter kommen aus einer gemeinsamen Quelle und sind am Ausgangspunkt der gleiche Strahl. Doch der Mensch zerlegt den Strahl und kann vermöge seiner Freiheit die Richtung der strahlenden Linien ändern, bis er sie im entgegengesetzten Sinn schwingen lässt, so dass sie sich gegenseitig auslöschen. Etwas Ähnliches sehen wir in der Physik. Lichtstrahlen kommen von einer gemeinsamen Quelle her, werden aber abgelenkt und schwingen in umgekehrtem Sinn, so dass sie von vorn aufeinander treffen. Die beiden Strahlen heben sich auf, indem sie sich kreuzen, und die beiden Lichtquellen geben dunkel. Diese durch das Zusammentreffen und den Gegensatz der beiden Strahlen hervorgebrachten dunklen Punkte werden von den Physikern Interferenzpunkte genannt. So muss es auch Interferenzzeitalter geben. Ein solches ist das unsrige.

Nur treten die Zeitalter wie die Seelen frei in diese Abschnitte der Dunkelheit ein und ebenso wieder heraus.

III. Wesen des Glaubens

JÜNGER: Ich gebe zu, dass diese Auffassung vom Glauben mir fruchtbar erscheint, dass ich sie aber niemals so begriffen habe. Nach dem Gesagten wäre also der Glaube nichts weniger als der Besitz Gottes selbst?

MEISTER: Gewiss, denn wir sprechen hier nicht von dem toten, sondern von dem lebendigen Glauben, den die Theologen den durch die Liebe beseelten Glauben nennen. Sie können übersetzen: den durch die Liebe belebten Glauben, "der allein, wie der hl. Thomas sagt, eine Tugend ist. Der tote Glaube ist keine Tugend."

Gleichwohl bleibt er noch eine Gabe Gottes, wie der hl. Thomas am gleichen Ort sagt, und seine Gegenwart in der Seele ist noch ein Glück. Was den lebendigen Glauben angeht, kann man sagen, dass er tatsächlich der Besitz Gottes ist. Dieser Glaubenszustand, ich meine den Zustand des durch die Liebe wirksamen Glaubens, ist derjenige, von dem Jesus Christus spricht, wenn er sagt: "Wer mich liebt, wird mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh 14, 23). Das ist der Glaube, von dem er noch spricht, wenn er von sich selbst sagt:

"Ich stehe nicht allein, mit mir ist der Vater" (Joh 8, 16).

JÜNGER: Der Glaube wäre also der Besitz dessen, was die Vernunft erkannt hat ?

MEISTER: Es wäre ungenau, dies so auszudrücken, denn die Vernunft wüsste nicht alles zu erkennen, was der Glaube besitzen kann. Das Feld des Glaubens ist weiter. Dennoch besteht zwischen Vernunft und Glauben in ihrem gemeinsamen Teil der Unterschied und die Beziehung von Erkenntnis und Besitz.

Darum sagt der heilige Paulus, dass der Glaube wesenhaft ist und sogar das beweist, was man nicht sieht. "Der Glaube", so sagte er, "ist ein festes Vertrauen auf das, was man erhofft, ein Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht" (Hebr 11, 7). Diese Bestimmung des Glaubens, sagt der hl. Thomas von Aquin, ist die beste und vollständigste, die gegeben worden ist, weil sie ausdrückt, dass der Glaube uns den Gegenstand selbst schenkt, den die Vernunft nur unvollkommen durch das Äußere zu erkennen weiß. Gerade darum lehrt die Katholische Kirche, dass der Mensch nicht ohne Glauben gerettet werden kann. Glauben haben, ich meine den lebendigen Glauben, heißt Gott in sich tragen: ihn nicht haben, heißt von Gott getrennt sein, selbst dann, wenn man sein Dasein mit der Vernunft erkennen würde. Nun ist es klar, dass die gottlose Seele nicht gerettet werden kann, während sie durch den Glauben schon die Erstlinge des ewigen Lebens hat, was aus folgendem Wort des Evangeliums hervorgeht:

"Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben" (Joh 6, 47). Der hl. Thomas drückt dieses folgendermaßen aus: "Der Glaube ist eine Beschaffenheit der Seele, wodurch der Keim des ewigen Lebens in uns gelegt ist."

JÜNGER: Kann aber die Seele jemals leer sein von Gott? Ist Gott nicht überall gegenwärtig?

MEISTER: Sie müssen verstehen, dass es für den Menschen zwei Arten der Gegenwart Gottes gibt, wie der hl. Thomas sagt,39) nämlich die notwendige, in einer Weise natürliche Gegenwart, kraft welcher er als Schöpfer und allgemeiner Erhalter des Körpers und Geistes in uns ist. Dann gibt es eine andere Gegenwart Gottes, frei, geistig und persönlich, durch die er in unserer Seele als Vater und Freund herrscht. Die erste ist unvermeidlich und natürlich. Erkennen Sie nicht, dass die zweite verloren und wiedergewonnen werden kann? Das versteht jeder. Sie hängt von der freien Liebe Gottes zu uns, wie von unserer freien Liebe zu Gott ab; sie ist frei und übernatürlich. Sicherlich haben einige Seelen nicht das Recht zu sagen: "Ich stehe nicht allein; mit mir ist der Vater" (Joh 8, 16). Sind wir vielmehr meistens nicht allein und in Finsternis und Unglauben abgesondert? Indessen gibt es auch welche, die sagen können: "Ich stehe nicht allein." Es sind die Seelen, die nach dem Wort des hl. Paulus in sich den Geist tragen, der da ruft: "Vater!" (Gal 4, 6).

Dies alles heißt: "Ich glaube an Gott den Vater." Das ist der Sinn der drei ersten Worte des Glaubensbekenntnisses.

IV. Widerlegung des Pantheismus und Atheismus

JÜNGER: Nach dieser Auseinandersetzung muss der Glaube offenbar von Gott eine Erkenntnis geben, die wenigstens Eingeschlossenerweise tief und wahr wie Gott selbst ist, von dem sie herrührt.

MEISTER: Augenscheinlich. So ist der Glaube, und zwar der lebendige Glaube, wahrhaft der Sinn für den in der Seele durch die Liebe gegenwärtigen Gott (1 Joh 5, 20). Der Glaube empfindet und kennt den Wert dieser Worte des Glaubensbekenntnisses: "Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde." Er empfindet und versteht Gott als unendlich, als absolut und allmächtig, als Schöpfer, was den Begriff einer unendlichen Macht einschließt.

JÜNGER: Die Vernunft versteht ihn ebenso und beweist ihn.

MEISTER: Gewiss. Der Beweis für das Dasein Gottes, des wahren, unendlichen, von der Welt verschiedenen Gottes ist von unbestreitbarer Geltung und Gewissheit. Aber wegen seiner Einfachheit wird dieser Beweis selten verstanden; trotz seiner Gewissheit entgeht er selbst den meisten Gelehrten. Daher verlieren sogar diese, die oft ohne Glauben sind, den Sinn für das Unendliche, den Sinn für Gott. Deshalb verliert man dann auch noch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen Gott und den Geschöpfen. Man vermengt Gott und die Welt, das Unendliche und das Endliche, das Ungeschaffene und das Geschaffene. Weil man Gott nicht mehr kennt, kennt man sich selbst nicht mehr. Mit dem hl. Augustinus sagt man nicht mehr:

"Möchte ich mich erkennen, o Gott, möchte ich dich erkennen!

Man versteht es nicht mehr, das Vergängliche zu verschmähen, und das Ewige zu umfassen. Man weiß weder mehr das Böse zu hassen, noch das Gute zu lieben. Wissen Sie, was diesem Zustand der vom Glauben verlassenen Seelen entspringt, über denen die Vernunft vergebens schwebt? Daher stammt der entnervende, dumme Pantheismus.

JÜNGER: Was ist denn offen heraus der Pantheismus?

MEISTER: Der Pantheismus ist eine Lehre, oder besser ein Seelenzustand, in dem der Sinn für das Unendliche verloren und der Unterschied vom Vollkommenen und Unvollkommenen, vom Unendlichen und Endlichen, von Gott und dem Geschöpf und endlich von Gut und Böse aufgehoben ist. Indem er sich dann auf ein falsches, nur scheibar wahres Schlussverfahren stützt, wodurch auch manch gesunder Verstand sich täuschen ließ, spricht er dem Bewusstsein und dem gesunden Menschenverstand durch seine Bahyuptung Hohn, dass alles Gott sei.

JÜNGER: Wie kann bloß jemand zu der Behauptung kommen: alles sei Gott! Bin ich dann etwa selbst Gott?

MEISTER: Ich gestehe, dass ich das gegenwärtige Vorhandensein des Pantheismus nicht begreifen kann. Behaupten, dass alles Sein Gott sei, und dass die Lebenstätigkeit jedes trägen oder freien Wesens eine Lebensäußerung Gottes sei, dass es keineswegs mehr Irrtümer gebe, sondern dass Irrtum und Wahrheit gleich seien, so denken, bedetet einen Rückfall der Philosophie in die Abgötterei der Heiden, die jedes Wesen noch dazu mit allen Leidenschaften, Lügen und Sünden anbeteten. Trotzdem gibt es Pantheisten.

MEISTER: Wie kann man behaupten, dass das Übel bloß ein geringeres Gut sei? Seinen Vater töten, würde also ein geringeres Gut sein, als ihn nicht zu töten?

MEISTER: Der Verfasser der "Skizze einer Philosophie" hat tatsächlich gesagt: "Das Übel ist ein geringeres Gut."

JÜNGER: Hier muss man mit Recht die Bezeichnung ungereimt im mathematischen Sinn anwenden.

MEISTER: Augenscheinlich. Trotzdem ist dieses System, so wie es ist, heutzutage die einzige dogmatische Lehre, die man dem Katholizismus entgegensetzt. Man kann also sagen, dass der Gegner bis zur Ungereimtheit gekommen ist.

JÜNGER: Haben Sie aber nicht noch einen anderen Gegner, den Atheismus? Behauptet man außerdem nicht, dass heutzutage Christentum und Philosophie Feinde wären?

MEISTER: Diese letzte Behauptung ist ein Irrtum, allerdings ein alltäglicher Irrtum, der daher stammt, dass man Sophistik und Philosophie verwechselt.

Immer war die wahrhafte Philosophie nichts anderes als das menschliche Vorwort des Evangeliums. Alle Philosophen erster Ordnung sind ohne Ausnahme religiös und ausdrücklich oder Eingeschlossenerweise, so darf man sagen, Christen. Die Philosophie steht für uns. Dagegen ist die Sophistik die ewige Feindin des Christentums und der Philosophie.

Was den Atheismus anbelangt, so ist er die eine der beiden Seiten des Pantheismus. Es ist die tiefere, die in diesen Zeiten etwas Aufsehen erregt. Der Pantheismus ist nicht der zum Äußersten getriebene Irrtum. Der Atheismus ist die Grundlage der Arbeit der Sophisten, er ist der zur vollkommenen Verneinung gelangte Geist, der schlechthinnige Irrtum.

Doch der Irrtum mit seiner doppelten Seite als Pantheismus und Atheismus ist jetzt aus der Philosophie vertrieben worden. Der Pantheismus und Atheismus, der in diesem Jahrhundert aus Deutschland gekommen ist, hat mit größter Anstrengung seine ganze Wurzel und seinen notwendigen Ausgangspunkt klar bloßgelegt. Als die Wurzel, als Ursprung, nicht als verborgener, sondern als offen zugestandener Grundsatz stellt sich der völlige Widersinn heraus, der sich in einer eigenen Formel als den Widerspruch in den Begriffen offenbart.

JÜNGER: Ich verstehe das nicht ganz.

MEISTER: Ich erkläre es deutlicher. Unsere Gegner waren gezwungen, um ihren pantheistischen Atheismus aufzustellen, als grundlegenden Satz die Behauptung gelten zu lassen, dass im allgemeinen das Entgegengesetzte und Widersprechende gleichbedeutend sei, und dass im besonderen Sein und Nichts dasselbe seien. Das behaupten sie mit diesen eignen Ausdrücken. Das ist Tatsache. Nun ist aber die behauptete Übereinstimmung von Widersprüchen das besondere Merkmal und die eigene Formel des Ungereimten. Also geben heutzutage die Atheisten und Pantheisten das Ungereimte nicht Miteinbegriffenerweise, sondern ganz ausdrücklich als ihre Lehre zu. Dorthin sind sie nicht durch unsere Beweisführung allmählich zurückgedrängt, sondern stellen sich selbst dort auf. Daraus muss man folgern, dass sie sich selbst widerlegen. Es lässt sich nichts weiter gegen eine Lehre ausrichten, als sie auf Ungereimtheit zurückzuführen. Nun sind sie aber, um es zu wiederholen, dorthin nicht zurückgedrängt, sondern haben sich dort selbst hinbegeben.

JÜNGER: Da ich die deutschen Philosophen nicht studiert habe, fällt es mir schwer, dies zu ververstehen. Übrigens erscheint mir klarer als alles der Umstand, dass dieser doppelte Irrtum namentlich durch den gesunden Menschenverstand widerlegt ist. Niemals hat es der gesunde Menschenverstand zugelassen, dass alles Gott sei, noch dass nichts Gott sei. Doch wäre ich erfreut zu hören, dass die vom gesunden Menschenverstande erfassten Sachverhalte gegenwärtig logisch und wissenschaftlich bewiesen sind.

MEISTER: Nach meiner Auffassung hatte schon Aristoteles den Pantheismus und Atheismus wissenschaftlieh widerlegt und unumstößlich den gesunden Menschenverstand begründet. In seinem mächtigen Kampf gegen die griechischen Sophisten, die Vorfahren der deutschen Sophisten, hatte er nachgewiesen, dass ihr System die Übereinstimmung der Widersprüche, nämlich das Ungereimte fordert.

Aber seine Begründung konnte nicht ganz verstanden werden. Die durch die Vorsehung gelenkte Geschichte hat es in unserem Jahrhundert übernommen, diese Wahrheit zu entfalten und allen sichtbar zu machen. Ein mächtiges, gelehrtes und glänzendes System des Pantheismus und Atheismus, das streng logisch bleibt, wenn man seine Grundlage zugibt, hat sich vor unseren Augen gebildet und einen Augenblick halb Europa verführt. Welches ist nun aber diese Grundlage? Sie besteht darin, dass die Gleichbedeutung von Sein und Nichts den Grund der Dinge bildet, und dass die Übereinstimmung der Widersprüche das logische Gesetz ist. Mit einem Worte: Pantheismus und Atheismus verlangen klar heraus, dass man ihnen die Ungereimtheit als Grundsatz und Verfahren zugibt. Da all dies vor unseren Augen liegt, so folgt daraus, dass kein Irrtum jemals so bloßgestellt und so gründlioh widerlegt wurde. Da nun aber dieser doppelte Irrtum in sich alle Irrtümer einschließt, ist es klar, dass diese völlige Widerlegung ein sehr feierlicher Augenblick in der Geschichte, des menschlichen Geistes ist.

V. Die Allgegenwart Gottes

JÜNGER: Es wäre gut, dies alles näher zu studieren, und hoffentlich kann ich dieses Studium unternehmen. Doch sagen Sie mir bitte, woher es kommt, dass der Pantheismus immer bestanden hat und zu allen Zeiten mit einem großen Aufwand von Poesie und mit großer metaphysischer Tiefe zum Vorschein kommt? Wie wurde er zur Klippe auch für ganz bedeutende Geister, wenn man die sechs oder sieben großen Geister erster Ordnung ausnimmt?

MEISTER: Das rührt daher, dass im Pantheismus mehr als in jedem anderen Irrtum eine große, tiefe Wahrheit verborgen ist, welche kranke Augen trübt. Es ist die missbräuchliche Verkehrung des erhabenen Gedankens von der Allgegenwart des Unendlichen. Die Wahrheit, die der Pantheismus entstellt hat, ist in den tiefen Worten des hl. Paulus ausgedrückt:

"Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir" (Apg 17, 28).

Das gleiche lehrt der Katechismus: Gott gibt uns Sein, Leben und Bewegung. Alles Sein ist in Gott, lebt und bewegt sich in Gott, alles natürliche Sein wie die vernünftigen, freien Wesen. Diese beiden Ordnungen von Wesen sind im apostolischen Glaubensbekenntnis mit den Worten bezeichnet: der Himmel und die Erde, was nach dem Ausdruck des Nizänischen Glaubensbekenntnisses das Sichtbare und Unsichtbare ausdrückt, auch nach dem vierten Laterankonzil, das ein ökumenisches ist.

Diese beiden geschaffenen Naturen oder diese beiden Welten, die sichtbare und die unsichtbare, leben nun beide in Gott und sind in Gott, wie er in ihnen ist. Das ewige Unglück der Geister und Herzen ist, es nicht zu wissen und immer zu vergessen.

JÜNGER: Vergisst aber nicht der Katholizismus selbst diese grundlegende Wahrheit der allgemeinen, notwendigen Gegenwart Gottes in allem, eine Wahrheit, die der Pantheismus nach dem Ausspruch seiner Anhänger im menschlichen Geist erneuern will?

MEISTER: Glauben Sie es mir, dass der Katholizismus nichts vergisst, und dass der Pantheismus, statt Erwachen zu verkünden, in tiefe Schlaftrunkenheit versinkt.

Wir wollen nicht den hl. Paulus, nicht den hl. Augustinus, noch die anderen großen christlichen Philosophen aufschlagen, sondern eine neuere Abhandlung. So ist der Jesuitenpater Nepveu einer der von uns am meisten geschätzten und gebräuchlichen Führer. Ich lese bei ihm folgendes:

"Gott schenkt sich uns täglich in allen Geschöpfen, denen er Sein, Leben und alle Vollkommenheiten, die sie haben, mitgeteilt hat. Gewöhnen Sie sich darum daran, Gott in den Geschöpfen zu betrachten, da er ja tatsächlich dort gegenwärtig ist. Indem er Ihnen seine Geschöpfe gibt, schenkt er sich Ihnen infolgedessen selbst.

"Er ist in seinen Geschöpfen durch seine Wesenheit, die ihrem Sein innerlicher ist, als ihre Seele ihrem Körper.

Er ist dort durch seine Macht, da er ihnen nicht nur die Fähigkeit zu wirken gibt, sondern mehr als sie selbst handelt, indem er als Hauptursache wirkt, so dass es mehr Gott ist, der sie in der Sonne erleuchtet, als die Sonne selbst, der sie im Feuer erwärmt, als das Feuer selbst, und der sie in der Nahrung nährt, als die Nahrung selbst.

Er ist endlich dort durch seine Güte und Vorsehung, welche die Geschöpfe beherrscht, sie für Ihren Dienst geeignet macht und alle ihre Handlungen auf Sie hin und für Sie leitet. Wenn er der Sonne das Licht gibt, so geschieht es nur, um Sie zu wärmen; wenn er der Nahrung Geschmack gibt, so geschieht es nur Ihrer Ernährung wegen."

Wie Sie sehen, wissen wir wohl: Gott ist im Lichte gegenwärtiger als das Licht selbst; in allen Naturkräften, in Wärme, Elektrizität, Magnetismus und Anziehungskraft ist er gegenwärtiger als die Körper, die sie hervorbringen. Das ist unsere Lehre. Aber wir sagen nicht, wie es die Pantheisten sagen, dass die Anziehungskraft, das Licht und die Wärme Gott selbst sind, dass die Anziehungskraft der Vater, dass das Licht der Sohn und die Wärme der Heilige Geist sei.

Wir sagen vielmehr, dass das Licht eine Wirkung der Gegenwart Gottes, eine Wirkung der Tätigkeit Gottes in dem Körper ist, der es selbst gibt. Ebenso verhält es sich mit allen Naturkräften.

Wir wissen dies, und die reinen Seelen erkennen Gott im Licht, im Geschmack, in jeder Wahrnehmung, in jeder Bewegung und jeder Lebensregung.

"Selig, die reinen Herzens sind, sie werden Gott anschauen", sagt das Evangelium (Mt 5, 8).

Sie erkennen Gott in den sichtbaren Dingen, wie es der hl. Paulus lehrt, wenn er sagt: "Das Unsichtbare an ihm schaut der denkende Verstand seit Erschaffung der Welt in seinen Werken: seine ewige Macht und Gottheit" (Röm 1, 20). Darum schrieb der ehrwürdige Olier, ein tiefer, ursprünglicher Geist:

"Alle Geschöpfe sind gleichsam Sakramente oder wie sichtbare Schalen des unsichtbaren Seins Gottes, der unter ihnen verborgen ist. "

VI. Die Mitwirkung Gottes

JÜNGER: Ich verstehe, dass der Urheber der Welt alles körperliche Sein belebt und alle Wirkungen und Kräfte desselben hervorbringt. Doch kann das gleiche für die vernünftigen, freien Wesen eintreten? Wäre das nicht dem Begriff der Freiheit entgegengesetzt? Was denkt die katholische Theologie hierüber? Wagt sie es, dieser Klippe entgegenzugehen, und geht sie vorbei, ohne zu scheitern?

MEISTER: Die katholische Theologie wirft die Frage auf und löst sie. Zunächst hat Christus gesagt:

"Ohne mich könnt ihr nichts tun" (Joh 15, 5). Der hl. Paulus hat gesagt:

"Gott ist es ja, der in euch das Wollen und Vollbringen wirkt" (Phil 2, 13).

Anderswo sagt er:

"Aus uns selbst, aus eigener Kraft sind wir nicht fähig, auch nur einen Gedanken zu fassen" (2 Kor 3, 5) Derjenige, der denkt, sagt Bossuet, denkt nur, weil er wirklich von Gott erleuchtet wird. Malebranche lebt nur von dieser Wahrheit, die er übertreibt. Fénelon ruft aus: "Wo ist diese höchste Vernunft? Ist sie nicht der Gott, den ich suche ?"

JÜNGER: Dann wäre es also nicht mehr der Mensch, der denkt! In diesem System macht der Mensch nichts und Gott alles. Das Problem ist nicht gelöst.

MEISTER: Der hl. Thomas von Aquin löst es klar:

"Jede geistige Tätigkeit", so sagt er, "kommt von der Vernunft, die sie trägt, als von der zweiten Ursache, von Gott aber als von der ersten Ursache."

JÜNGER: Das bezieht sich auf unsere Vernunft. Sicherlich wirken im Gedanken Gott und unser Geist zusammen. Ich verstehe jetzt, was der Irrtum ist, indem ich begreife, dass mit dieser miteinbegriffenen Erkenntnis Gottes sich von unserer Seite aus Schwäche und Unaufmerksamkeit, nur kurzes, stückweises Erkennen und überstürzte Behauptungen mischen. Doch was soll man vom freien Willen sagen? Kommen etwa seine Regungen und Entscheidungen von Gott? Dann wäre der Mensch nicht mehr frei.

MEISTER: Ja, die Bewegungen unseres Willens kommen wie die Bewegungen jeder Art von Gott. "Gott wirkt in allem, was wirkt", sagt der hl. Thomas von Aquin.

Also auch im Willen. Er wirkt dort als erste Ursache; er gibt den ersten Anstoß; doch der freie Mensch lenkt den Antrieb und formt die Bewegung um. Wir sehen, wie Maschinen die erhaltene Bewegung umformen, eine abwechselnde Bewegung in eine Umdrehungsbewegung, eine gerade in eine schiefe Bewegung, überhaupt irgend eine Bewegung in ihr Gegenteil verwandeln. Das macht in stärkerem Grade der freie Wille des Menschen. Verändert nicht jeder von uns täglich die göttlichen Antriebe in falsche Regungen voll Leidenschaft, den Antrieb zum Mut in mächtigen Zorn, die Begeisterung des Herzens in verkehrte Selbstsucht, hochherzige Liebe in niedrige Leidenschaft, jede Neigung in Sinnlichkeit und den Durst nach ewigem Ruhm in Hochmut und Eitelkeit? Lehrt die Heilige Schrift nicht in diesem Sinne:

"Gegen den Verkehrten, zeigst du dich verkehrt" (Ps 17, 28) "Bittet ihr um etwas ... ihr wollt in euren Gelüsten schwelgen," (Jak 4, 3) und ruft nicht Jeremias aus:

"Der Odem unseres Mundes, der Gesalbte, der Herr, ist ob unserer Sünden Gefangener" (Klg 4, 20).

Gott gibt das Leben und bewirkt es in uns durch seine Gegenwart; wir missbrauchen es wie die Pflanzen, welche die Segnungen der Sonne in Gift verwandeln.

Der hl. Thomas von Aquin gibt diese Lehre genauer folgendermaßen wieder:

"Gott wirkt im freien Willen in solcher Weise, dass er ihm die Kraft zum Handeln verleiht, und der Wille durch das Wirken Gottes frei handelt; dennoch aber bleibt die Bestimmung und das Ziel der Handlung in das Belieben des freien Willens gestellt.

JÜNGER: Ich sehe das ein. Aber was für ein Geheimnis ist doch dieser moralische Kampf zwischen Gott und dem Willen, ein unglaublicher Kampf, wo der Mensch Gott besiegen kann.

MEISTER: Das ist, wie ich gestehe, das tiefste Geheimnis. Doch erkennen Sie seinen Grund.

Gott ist die Liebe (1 Joh 4, 16). Gott hat Wesen schaffen wollen, die zu lieben fähig sind. Um aber zu lieben, muss man frei sein. Die Liebe ist frei, oder sie ist keine Liebe. Es musste also in der Welt freie Wesen geben, wenn in der Welt Liebe herrschen sollte. Ohne Freiheit wäre die Schöpfung körperlich, stumm, träge und unempfindlich, aber nicht geistig und vernünftig. Ohne die Freiheit wäre die Schöpfung herzlos, ohne Geist, ohne Mitleid, infolgedessen ohne Ziel und Schönheit. Es musste also Freiheit geben.

Aber was ist die Freiheit? Es ist das wirkliche, unumschränkte Vermögen zu wollen oder nicht zu wollen, zu lieben oder nicht zu lieben, zu lieben oder zu hassen. Sie ist zerstört, wenn Gott unbedingt auch trotz unseres Widerstandes siegt. Doch wir sind frei: wir können zu Gott ja oder nein sagen. Die Freiheit des menschlichen Herzens ist so beschaffen, dass es für immer das Herz Gottes abweisen kann; und sobald sie besteht, muss sie so sein. Das Konzil von Trient hat zum Glaubenssatz erhoben, dass der Mensch jederzeit Gott widerstehen und die Gnade Gottes zurückweisen kann, sonst wäre der Mensch nicht frei; und das Konzil hatte gegen den Fatalismus Luthers die Freiheit aufrechtzuerhalten. Wir bewegen uns frei zwischen den beiden äußersten Grenzen, die der hl. Augustinus aufstellt:

"Die Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes, die Gottesliebe bis zur Selbstverachtung."

Darin liegt die Größe der aus der Hand Gottes frei hervorgegangenen Schöpfung. Der Vater der Menschen hat uns genug geliebt, um uns zu erschaffen, obwohl er wusste, dass er um unsere Liebe werben musste, ohne sie immer erlangen zu können.

VII. Die Erschaffung

JÜNGER: Welch ein Geheimnis ist doch das Wunder der Erschaffung?

MEISTER: Es ist wahrlich ein schönes Geheimnis, ein überraschendes Wunder. Muss man es nicht betrachten?

Dieses Wunder haben wir vor Augen und erkennen es nicht. Es würde genügen, es bloß zu betrachten, um tief gläubig zu werden. Man muss sagen, dass der Fortschritt der Wissenschaften dem menschlichen Geist einen ausgezeichneten Dienst erwiesen hat, indem er uns gleichsam mit eigenen Augen die Tatsache der Erschaffung selbst schauen ließ und in großen Zügen den Bericht der Genesis bestätigte.

Sie hören mitunter sagen: "Wenn Gott einen Toten auf das Gebet der Kirche, die mich ermahnt, auferwecken würde, dann würde ich glauben." Nun kann man hier eine Tatsache betrachten, die man nicht eigentlich ein Wunder nennt, die mir aber alle Wunder glaubhaft macht: eine viel überraschendere Tatsache als die Auferweckung eines Toten, die noch dazu gewiss wie unser eigenes Dasein ist.

Haben Sie zuweilen über den Tag und die Stunde nachgedacht, wo der Mensch, der am Tage vorher noch nicht auf Erden war, von Gott dorthin versetzt wurde? Vergessen Sie nicht, dass die alten pantheistischen Systeme der Unvergänglichkeit und Ewigkeit dieser Welt wissenschafttlich widerlegt sind. Es ist völlig gewiss, mit eigenen Augen noch sichtbar und wissenschaftlich bewiesen, dass nicht nur unsere Erde ganz unter Wasser und ganz aus Feuer war, sondern dass diese Erdkugel und die benachbarten Gestirne und die Sonne, die uns erleuchtet, auch Nebel waren. Ein Punkt dieses Nebels ist nach wunderbaren Umwandlungen, nach plötzlichen und fürchterlichen Erschütterungen der Planet geworden, den wir bewohnen. Es gab sicher eine Zeit, wo unsere Erde nur Metall und Granit war. Es gab sicher eine andere Zeit, wo unsere Erdkugel, obwohl bewohnt und bepflanzt, stumm und unvernünftig war: das Wort war noch nicht auf Erden, der Mensch fehlte noch dort. Nun aber - und das kann nicht anders sein - gab es einen Sonnentag ähnlich den übrigen, dessen Datum bestimmt, Gott bekannt, und verhältnismäßig wenig von dem des heutigen Tages entfernt war. Es gab eine Stunde, die einer ganz gewöhnlichen Stunde von uns glich, in welcher der Mensch, der eine Stunde vorher nicht auf Erden war, sich dort vorfand. Wer hat ihn dort hingesetzt? Mag er in einem Ei dort ausgesetzt oder aufrecht, erwachsen und wach erschienen sein, das Wunder bleibt das gleiche: denn wer hat das Ei ausreifen lassen und den ersten Säugling gestillt? Man sieht hier augenscheinlich, beachten Sie diese Worte wohl, man sieht hier wie mit eigenen Augen Gott auf einen Punkt der Erde hinabsteigen und dort aus nichts mit einem Worte und einem freien Antrieb seiner unendlichen Macht ein völlig neues, unvergleichliches Wesen ohne Vorfahren schaffen, mit einer gänzlich anderen Natur als das, was vorhergegangen war: den freien, vernünftigen mit Liebe und Rede begabten Menschen, der sich anschickt die Augen zu öffnen, zu denken und zum Unsichtbaren zu sagen: Mein Vater!

Was soll man angesichts dieses grundlegenden Wunders sagen? Seitdem ich es gleichsam mit angesehen habe - auch Sie werden es mit ansehen, wenn Sie mich verstehen -, so kann ich wenigstens nicht müde werden, zur rechten Zeit dieses große Wunder anzuführen, das überraschender als die Auferweckung eines Toten, sicher wie das Dasein des Menschen auf Erden und beständig gegenwärtig ist, sobald man davon spricht. Ich bin ganz erstaunt, dass es nicht die Welt bekehrt.

Denn man erkennt Gott, Gott den Schöpfer. Man schaut sein freies, plötzliches Eingreifen, das seine Schöpfung durch ungeheure Sprünge von einem Zustand in den anderen übergehen ließ. Man erkennt den lebendigen, gegenwärtigen Gott mit seiner unendlichen Macht und seiner unbegreiflichen Weisheit. Man schaut einen liebenswürdigen wohlwollenden Vater, der uns bewacht, uns führt und belebt, und der wie der König der Poesie in dieser entscheidungsvollen Stunde der Welt, in diesem Augenblick neuer Ereignisse sein Kind selbst hat tragen müssen, indem er es unmittelbar an sein Zepter oder vielmehr an sein Herz fesselte: "selbst an der Brust sie tragend." Darum sich zu Gott kehren, ihn mit Herz und Händen suchen, sich an ihn schmiegen, um ihn zu hören und zu lieben; fromm, innig und begeistert religiös sein; Gott aus allen Kräften mit rückhaltloser Begeisterung verkünden, um die Menschen aus ihrer undankbaren Traurigkeit und ihrer Verblendung zu wecken, das ist das Wahre. Alles übrige ist falsch, unvernünftig und unentschuldbar. Das ist der Sinn der ersten Worte des Glaubensbekenntnisses:

"Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde."

Zweites Zwiegespräch: Die Menschwerdung - Die Gottheit Jesu Christi

"Ich glaube an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn unsern Herrn"

I. Die Stufenordnung der Naturreiche

JÜNGER: Wie Sie gebe ich nun ohne jedes Zögern den ersten katholischen Glaubensartikel zu und bekenne: "Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde." Aber ich betrachte mich deshalb nicht als Christ. Christ sein heißt an die Gottheit Jesu Christi glauben.

Wie ich gestehe, scheint mir dieser Punkt von Wichtigkeit; denn wenn das Christentum falsch ist, wenn Jesus Christus nur ein Betrüger oder ein Weiser ist, bleibt das Leben ein Rätsel und die Welt nach einem Worte von Voltaire "ein schlechter Witz". Wenn Jesus Christus dagegen Gott ist, und wenn das Christentum wahr ist, so ist mein Leben umgewandelt. Von der tödlichsten Entmutigung erhebe ich mich zur Begeisterung; das Ziel meines Lebens, wie das der Welt ist bestimmt. Stellen Sie in den Seelen den Glauben an die Gottheit Jesu Christi wieder her, und bald wird ganz Europa katholisch. Die Gesellschaft nimmt wieder mit dem Fortschritt und der Einheit eine Macht an, die ihr sonst nichts geben konnte: Europa baut sich wieder auf der wahren evangelischen Grundlage auf, und man schreitet endlich zur Eroberung und Gesittung der ganzen Erdkugel. Man kommt zur Befreiung der ganzen Erde und des Grabes Christi, das immer in den Händen der Ungläubigen war. Man lebt in der Welt nach dem Evangelium und gewinnt daraus Schätze von Frieden, Gerechtigkeit und Liebe.

MEISTER: Chateaubriand meinte, dass zwei Jahrhunderte Ringen erforderlich seien, um zum Evangelium als der sozialen Grundlage zurückzukommen:

"Auf der Grundlage des Christentums", schrieb er 1847, "muss sich nach einem Jahrhundert oder nach zweien die ehemalige Gesellschaft wieder neu bilden, die sich gegenwärtig zersetzt." Man könnte sich Jahrhunderte von Leiden ersparen, wenn man das Christentum offen betrachten und den Glauben annehmen würde, den seine leuchtende, unfehlbare Wahrheit denen gibt, die sich ihm nähern.

JÜNGER: Was mich betrifft, möchte ich nur eines erkennen: Zeigen Sie mir, dass Jesus Christus Gott ist.

MEISTER: Ich hoffe es Ihnen zu zeigen. Betrachten Sie also mit Gemüt, wie mit Geist. Lieben Sie Gott? Glauben Sie, dass Gott, unser allmächtiger Vater, uns alle jederzeit sieht und nach der Heiligen Schrift über der Menschheit seine Flügel ausbreitet, wie der Adler über seinem Nest von Jungen schwebt ? (Dtn 32, 11) Glauben Sie dies? Sie haben im Werk der Erschaffung gleichsam mit eigenen Augen Gott auf einen Punkt der Erde herabsteigen gesehen, dort den ersten von uns aussetzen, ihn selbst in seinem Inneren erziehen und ihn allein nähren gesehen. Wollen Sie danach, obwohl es vorkommen kann, noch ungläubig sein? Schauen Sie jetzt näher zu und sehen Sie, was in diesem ungeheuren Fortschritt der Schöpfung vor sich gegangen ist, die den Menschen hervorbrachte und so in die träge, stumme Welt einen freien, vernünftigen Geist einführte. Schauen Sie, was sich zutrug.

Gott hat die Dinge um eine Stufe gehoben und sie sich so auch genähert.

Nun wissen Sie aber, dass die Schöpfungsgeschichte in einem Worte zusammengefasst ist, das Christus selbst gesagt hat, und das in gewissem Sinne die ganze Schöpfung von ihrem ersten Tage an hat sagen können: "Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott" (Joh 20, 17).

Hören Sie die Erklärung.

Wir sehen mit eigenen Augen, und die Wissenschaft betrachtet es, wie am Himmel Haufen von Sternnebeln als Weltenkeime von Stufe zu Stufe bis zur Form einer bewohnbaren Welt steigen.

Jedenfalls hat auch unsere Erde sich so gebildet. Sie ist anfänglich aus einem Sternnebel hervorgegangen, war dann aus Feuer und später unter Wasser, um für das Leben eine sichere Grundlage zu bilden.

Es gab dort nur träge Materie; es bedarf eines neuen Eingreifens der schöpferischen Allmacht, um in dem unfruchtbaren Felsen den ersten Pflanzenkeim einzusenken.

Was war diese neue Schöpfung? Was war das Pflanzenreich? Es war eine zweite Natur, die zur ersten hinzukam, indem sie aus dem trägen Stoff den Körper bildete und sich in die alte Schöpfung hüllte. Ein Kraut, eine Blume, eine Eiche, alle lebenden Wesen dieser Ordnung sind eine neue Natur in der alten und zwei Naturen in einer. So war die Schöpfung belebt, aber unbeweglich und unempfindlich. Gott hob sie um eine weitere Stufe.

Er schickt der Erde ein neues Geschenk, das Geschlecht der Wesen, welche die Fähigkeit der Selbstbewegung und Empfindung haben. Wie wunderbar! Er hüllt auch diese neuen Keime ein und entnimmt der vorhergehenden Schöpfung ihren Körper. Diese Wesen tragen einen irdischen, mineralischen Körper und ein pflanzliches Leben, das von neuem Leben, vom sinnlichen, beweglichen und beseelten Leben durchdrungen und beherrscht ist. Jedes dieser neuen Wesen schließt so in seiner Einheit zwei Naturen ein, die tierische und die pflanzliche, wovon die letztere selbst wieder die mineralische Natur enthält.

Doch die Natur muss höher steigen.

In einem letzten Aufschwung der Schöpfung fasst Gott im menschlichen Körper alle vorhergehenden Schöpfungen und alle Stufen des Lebens zusammen und vereint so die ganze untere, stumme Welt mit dem neuen Wesen, das wie Gott der Freiheit und der Erkenntnis, der Rede und Liebe fähig ist. Die menschliche Natur nimmt als Ebenbild Gottes ihren Körper aus dem Schoße der vorhergehenden Schöpfung und durchdringt alles mit einem ganz neuen Leben.

Ein tierischer Körper, eine vernünftige und freie Seele, zwei Naturen in einer, das ist der Mensch. Das ist der Gipfel der Schöpfung. Die Erschaffung geht nicht über Erkenntnis und Liebe hinaus. Darüber gibt es nichts mehr als Gott.

Nun hat Gott aber die Schöpfung bis zu sich selbst erheben wollen. Er hat zu ihr gesprochen: steige jetzt zu mir empor. Steige zu Gott.

In diesem erhabenen Augenblick, dessen Stunde in der Zeit von ihm festgesetzt war - wie er in Raum und Zeit die Stunde und den Ort der Ankunft des ersten Menschen bestimmt hatte nahm Gott die ganze Schöpfung in die Hand, das heißt den Menschen und mit dem Menschen alles übrige. Wie er zuerst das träge Mineral mit der pflanzlichen Kraft vereint hatte, dann diese lebende, aber unbewegliche und unfühlbare Natur mit den beseelten Dienern des Menschen, dann diese beseelte, aber stumme, sklavische und blinde Natur mit dem vernünftigen, freien Menschen verbunden hatte, so nimmt Gott durch ein übernatürliches Wunder den Menschen und vereinigt ihn mit sich selbst, um den Kreis zu vollenden, wie der heilige Thomas von Aquin sagt, und zu sich zurückzuführen, was von ihm stammt. Gott nimmt unsere endliche Natur und vereint sie mit dem Unendlichen trotz des Abgrundes zwischen beiden Naturen. Ein neues, auf Erden sichtbares Wesen trägt in der Einheit seiner Person zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, die das Unendliche trennt. Dieses Wesen nennt sich "Gott mit uns" (Is 7, 14), der Gottmensch. Seine Person ist Gott, wie der Mensch Mensch ist.

Das ist der Gedanke der Menschwerdung.

Wie kann dies Ihre Vernunft abstoßen? Haben Wissenschaft und Philosophie ein Wort gegen die Möglichkeit dieser großen Glaubenswahrheit zu sagen? Können Wissenschaft und Philosophie, die heutzutage in Zugeständnissen an den Pantheismus, der behauptet, dass alles Gott sei, so leicht einschlafen, nicht wieder erwachen und sagen: "Das ist wahr; alles ist nicht Gott, aber alles kann mit Gott vereint werden. Gott kann im Menschen Fleisch werden, wie die menschliche Seele in der vorhergehenden Schöpfung Fleisch geworden ist. "

Er vermag es; das ist ganz unbestreitbar. Ich fordere dazu auf, einen wissenschaftlichen Beweis vorzubringen, der abstreitet, dass Gott im Menschen Fleisch werden kann.

JÜNGER: Er kann es sicherlich. Doch hat er es auch gewollt? Wozu hat er es dann gewollt, und wer beweist mir, dass er es gewollt hat?

MEISTER: Das wollen wir nun auseinandersetzen.

II. Die Angemessenheit der Menschwerdung

JÜNGER: Erlauben Sie, dass ich vor all diesem Ihnen eine andere Schwierigkeit vorlegen muss. Ist Ihre Darlegung nicht zu sehr dem Zeitgeiste angepasst den Alten zum Trotz? Verstand die alte Theologie es auch so?

MEISTER: Ich glaube, Ihnen versichern zu können, dass es nicht zwei Theologien gibt. Wenn heutzutage eine theologische Abhandlung gründlich ist, schreibt man es der neuzeitlichen Wissenschaft und den heutigen Erklärungen zu.

JÜNGER: Gerade das befürchte ich hier.

MEISTER: Von wem sollen dann Ihrer Meinung nach die Gedanken sein, die ich Ihnen gleich auseinandersetzen werde?

JÜNGER: Von Ihnen. Niemals hat man vor dieser Zeit solche gehabt.

MEISTER: Doch alles, was ich Ihnen soeben gesagt habe, stammt von Thomassin; dem hl. Thomas von Aquin, dem hl. Augustinus, den Heiligen Athanasius und Cyrillus. Der hl. Athanasius ist wie das Konzil von Nizäa und die Apostel der Urheber eines der drei von der Kirche angenommenen Glaubensbekenntnisse. Der hl. Augustinus ist der größte Kirchenvater. Der hl. Thomas von Aquin ist der Fürst der Theologen, der große Lehrer des Mittelalters. Thomassin endlich schrieb im siebzehnten Jahrhundert; sein Werk ist aber fast nur eine Zusammenstellung von Vätertexten, die durch einen geistvollen Mann einander genähert wurden.

JÜNGER: Ich wäre erstaunt, bei diesen Gewährsmännern alle Ihre Behauptungen wiederzufinden. Hat man nicht immer gelehrt, dass die Menschwerdung etwas völlig Unerwartetes, Freies, Übernatürliches und Unvergleichliches wäre? Sie dagegen sehen darin eine Art fortgesetzter Schöpfung, das Ergebnis einer notwendigen Zielstrebigkeit, sogar einen Kreis, der so endigen muss, da er ja so hatte anfangen müssen. Sie vergleichen die Vereinigung Gottes mit dem Menschen in der Menschwerdung mit der der Seele mit dem Körper. Nichts von dem scheint mir rechtgläubig zu sein.

MEISTER: Das rührt daher, weil sie mich einerseits das sagen lassen, was ich nicht gesagt habe; andererseits wissen Sie nicht, was rechtgläubig ist oder es nicht ist. Zunächst habe ich nicht gesagt, dass die Menschwerdung eine Art fortgesetzter Schöpfung ist; das wäre eine grobe Irrlehre. Es wäre auch ganz falsch und gegen den Glauben, die Menschwerdung als die Folge einer notwendigen Zielstrebigkeit zu betrachten. Die Menschwerdung ist eine ganz übernatürliche Tatsache, ein überraschendes Wunder der freien Liebe Gottes, ein unergründliches, unvergleichliches Geheimnis: unvergleichlich wie Gott in dem Sinn, dass nichts ihm gleichkommt, und alles sich unendlich davon unterscheidet. Doch der unvergleichliche Gott will sich wohl mit dem Menschen vergleichen, indem er ihn nach seinem Bilde schafft. In diesem Sinne vergleicht das Athanasianische Glaubensbekenntnis, das übrigens das der Kirche selbst ist, die Vereinigung Gottes mit dem Menschen in der Menschwerdung mit der Vereinigung der Seele mit dem Körper.

"Denn so wie die vernünftige Seele und der Leib nur Ein Mensch ist, so ist Gott und Mensch nur Ein Christus."

Der hl. Cyrill ist in diesen Dingen göttlich erleuchtet und sagt:

"Die Einheit dieses Gott mit uns ist so, wie man sich die Vereinigung der menschlichen Seele mit ihrem Körper vorstellen kann."

Der hl. Augustinus sagt:

"Was ist der Mensch? Eine Seele, die einen Körper hat. Was ist Christus? Das Wort Gottes, das den Menschen hat. "

Doch die Theologie geht noch weiter. - Thomassin bemerkt, dass die Vereinigung der Seele mit dem Körper oder die Einheit von verschiedenen Naturen gleichsam das allgemeine Gesetz der Wesen ist, dass so die pflanzliche Natur mit der mineralischen geeint ist, die tierische mit der pflanzlichen und die vernünftige mit der tierischen Natur. Der große Theologe sieht in dieser aufeinanderfolgenden Vermählung der Naturen ein allgemeines Weltgesetz. In diesem Gesetz erblickt er ein Abbild der Menschwerdung. Er widmet in seinen "theologischen Glaubenslehren" ein ganzes Kapitel diesem Vergleich, der ihm den Glaubenssatz von der Menschwerdung mit Licht zu überfluten und seinen Sinn zu öffnen scheint. Hier folgt die Überschrift dieses Kapitels:

"Der Knoten dieser ganzen Frage wird hier gelöst, nämlich die Art, wie sich die höheren Naturen mit den niederen, so vollkommen sie auch schon sein mögen, vereinen, wie sie diese durchdringen, um sie noch mehr zu erheben und zur höchstmöglichen Einheit mit sich zu bringen."

JÜNGER: Dieser Text ist wirklich merkwürdig. Doch dann ist die Menschwerdung, wie Sie sehen, nichts mehr als das letzte Glied in der aufsteigenden Reihe der Glieder der Schöpfung.

MEISTER: Welcher Irrtum! Das wäre so, als ob sie sagen wollten, das Unendliche sei das letzte Glied der aufsteigenden Reihen der Zahlen. Das Unendliche bleibt völlig außerhalb der Zahlenreihe, obwohl diese aufsteigende Reihe dorthin zu zielen scheint; sie kann immer größer werden, ohne jemals, ich sage nicht sie zu erreichen, sondern nur, sich dem Unendlichen zu nähern. Indessen sieht der menschliche Geist in der wachsenden unbestimmten Größe ein endliches Abbild, das durch Gegensatz wie durch Ähnlichkeit ihm eine Vorstellung von dem Unendlichen gibt. So kann der Anblick von Tatsachen der Natur uns zu einer Vorstellung von übernatürlichen Wahrheiten erheben, wenn diese uns geoffenbart sind.

Der hl. Thomas von Aquin geht sogar soweit, eine göttliche Angemessenheit in der Tatsache der Menschwerdung zu finden.

"Da der Mensch das Ziel der Schöpfung ist," so sagt er, "ziemt es sich, dass er mit dem ersten Anfang aller Dinge wieder vereint wird, um durch diesen Kreis die Vollkommenheit der Werke Gottes abzuschließen."

Gott führt durch einen ganz freien göttlichen Akt, durch die Menschwerdung, zu sich zurück, was von ihm durch einen ganz freien göttlichen Akt, durch die Schöpfung kam.

Diese Vereinigung konnte aber anders sein als die höchste Vereinigung. Nun ziemt es sich aber nach dem hl. Thomas, dass es die höchste Vereinigung wurde.

"Da Gottes Natur wesentlich Güte ist, war es für ihn angemessen, sich den Geschöpfen auf die höchste Weise mitzuteilen, was sich im Werke der Menschwerdung vollzog."

Nachdem der ewige Ratschluss der Menschwerdung vollzogen war, ziemte es sich, dass es das Wort Gottes war, das im Menschen Fleisch wurde. "Es war von höchster Angemessenheit (convenientissimum), dass die Person des Sohnes Mensch wurde, ... weil das Wort Gottes, das sein ewiges inneres Wort ist, dem Urbild jedes Geschöpfes ähnlich ist. Wie also die unvollkommene Teilnahme an dieser Ähnlichkeit die Geschöpfe in eigenen Arten, doch für ein bewegliches Dasein bestehen lässt, so ziemte es sich, dass nicht durch eine teilweise, sondern durch persönliche Vereinigung des Wortes mit den Geschöpfen die Schöpfung zur ewigen, unveränderlichen Vollkommenheit wiederhergestellt wurde." Betrachten Sie übrigens die wunderbare Zusammenfassung der Lehre von der Menschwerdung nach dem Athanasianischen Glaubensbekenntnis das, wie ich wiederhole, das Glaubensbekenntnis der Katholischen Kirche ist, welches das Glaubensbekenntnis von Nizäa weiter entwickelt, wie dieses das Apostolische Glaubensbekenntnis vertieft. "Der wahre Glaube fordert also unser Bekenntnis: dass unser Herr, Jesus Christus, Gottes Sohn, Gott und Mensch sei.

"Er ist Gott aus der Wesenheit des Vaters, von Ewigkeit erzeugt, und er ist Mensch aus der Wesenheit der Mutter, in der Zeit geboren.

"Wahrer Gott, wahrer Mensch, der aus einer vernünftigen Seele und aus einem menschlichen Leibe besteht".

"Dem Vater gleich der Gottheit nach; geringer als der Vater der Menschheit nach.

"Obschon Er Gott und Mensch, so sind doch nicht zwei, sondern nur Ein Christus.

"Ein Christus; nicht als ob die Gottheit in Fleisch verwandelt sei, sondern weil Gott die Menschheit angenommen hat.

"Ein Christus, nicht durch Vermischung der Wesenheit, sondern durch Einheit der Person. "Denn so wie die vernünftige Seele und der Leib nur Ein Mensch ist, so ist Gott und Mensch nur Ein Christus. "

So bleibt also nach Thomassin, nach den Heiligen Thomas von Aquin, Augustinus, Cyrill und Athanasius die Menschwerdung ein wahrhaft übernatürliches Wunder der freien Güte Gottes; doch gleichzeitig ist dieses Wunder schön, lichtvoll und voll hoher Angemessenheit. Die vollkommene Güte will sich mit ihrem Geschöpfe durch eine höchste Vereinigung verbinden. Sie will ihre Schöpfung bis zu sich selbst erheben; sie will den wunderbaren Kreis schließen, der von Gott zu den Geschöpfen trotz ihres Nichts geht, und der von den Geschöpfen trotz des Abgrundes des Unendlichen zurückkehrt. Übrigens war diese wunderbare Vereinigung in der Schöpfung selbst vorgebildet. Die Schöpfung ist ein Vorbild der Menschwerdung. Wie seltsam in der Tat, dass diese Welt, die im Hinblick auf die Menschwerdung geschaffen worden war, wie es uns der hl. Franz von Sales erkennen ließ, nur eine Folge von beweglichen Abbildern des ewigen Geheimnisses ist, von immer mehr leuchtenderen, obwohl immer unvollständigen und begrenzten Bildern !

III. Die persönliche Einheit der beiden Naturen in Jesus Christus

JÜNGER: Wollen Sie bitte jetzt fortfahren. Sie haben mir eine Vorstellung von der Glaubenslehre der Menschwerdung gegeben. Diese Vorstellung, gestehe ich, zieht den Geist an, statt ihn abzustoßen. Die Menschwerdung ist möglich; ich sehe keinen wissenschaftlichen Grund mehr, sie zu leugnen. Gott kann im Menschen Fleisch werden. Hat er es aber gewollt? Und warum hat er es gewollt?

MEISTER: Warum hat er es gewollt? Erinnern Sie sich des Nizänischen Glaubensbekenntnisses: "Der wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen vom Himmel herabgestiegen ist . . . und Mensch geworden ist."

Aus Liebe zu uns hat er sich zum Menschen gemacht. Da wir von dieser Liebe im Zwiegespräch über "die Erlösung" sprechen werden, wollen wir hier nur den erhabenen Beweggrund aufzeigen, der diese Liebe bestimmt hat.

Für das volle Verständnis muss man hier mit ganzem Herzen betrachten. Erinnern Sie sich des lieblichen Abschiedes Christi vom Haupte seiner Kirche: "Petrus, liebst du mich ?" (Joh 21, 16)

Wir fragen auch Sie hier: Lieben Sie ? Wenn man die Geheimnisse Gottes erfassen will, muss man lieben. "Das Herz", sagt Pascal, "hat seine Gründe, die der Verstand nicht ergründet."

Wenn Sie lieben, begreifen Sie, dass Gott die Liebe, und der Mensch der Liebe fähig ist. Nehmen Sie dann noch an, dass Gott und der Mensch ewig sich lieben sollten, ohne sich zu vereinen?

JÜNGER: Nein, zweifellos. Doch ist Gott mit dem Menschen, mit der Natur nicht durch seine Wesenheit, seine Macht und seine Vorsehung vereint?

MEISTER: Gewiss, doch ist diese durch die Mitteilung des Lebens bedingte, natürliche Vereinigung weit davon entfernt, der höchstmögliche Grad der Vereinigung zu sein. Ich weiß nicht einmal, ob man es Vereinigung nennen kann. Die Kraft Gottes, sein Odem durchdrang alle Geschöpfe und ließ in ihnen Leben hervorgehen, aber kein Wesen konnte zu Gott sagen: wir sind eins. Im Gottmenschen dagegen sagte die menschliche Natur zu Gott: wir sind eins. Nun verstehen Sie es, dass unser Gott, der die Liebe selbst ist, nicht ewig angesichts des der Liebe fähigen Menschen hat bleiben wollen, ohne sich mit seinem Geschöpfe in der höchsten Vereinigung zu verbinden. Der Vater hat nicht gewollt, dass diese Vereinigung nur möglich blieb und sich niemals erfüllte. Die Schöpfung hätte scheinbar ewig zu Gott sagen können: "O Vater, ich steige immer, aber ich komme niemals zu dir; immer bleibt das Unendliche zwischen uns." Das ewige Gebet der Gott unterworfenen Geschöpfe, die zu ihm in Erkenntnis und Liebe streben, hat Gott selbst, der es gibt, erfüllen wollen. "Ich bin", sagt ein Philosoph, "ein unvollständiges, von einem anderen abhängiges Ding, ein Ding, das nach Größerem und Größerem oder nach Besserem ohne Grenzen strebt.

Dieses Größere ist das Unendliche, ist Gott. Der Mensch sucht und die Welt mit ihm. Wir sind Pilger, die das Unendliche suchen.

"Sie sind nur Pilger und Fremdlinge auf dieser Welt", sagt der hl. Paulus (Hebr 11, 13).

Was ist es anderes, als diese allgemeine Gärung der Dinge, von der der hl. Paulus noch anderswo spricht, wenn er sagt:

"Auch die Schöpfung harrt mit Sehnsucht der Offenbarung der Kinder Gottes" (Röm 8, 19),

Die Ordnung, die Gott der Welt gibt, verlangt zu suchen, weil er will, dass man findet. Lasst uns aufrichtig sein! Was will die Menschheit, was unsere Seele, wenn Gott sie begeistert? Sie will in den Besitz des Unendlichen eintreten: Kraft, Größe, Schönheit, Weisheit, unendlichen Ruhm, das sucht jedes Herz, solange es nicht verdorben ist. Besitzt aber die menschliche Natur aus sich selbst das Unendliche? In keiner Weise, da sie es ja sucht. Kann sie unendlich werden? Nein, das wäre ein Widerspruch, nichts Endliches wird unendlich. Was will sie also? Das Unendliche besitzen, da sie nicht unendlich sein kann. Das Unendliche besitzen, heißt in sich die Quelle eines Lebens ohne Grenzen besitzen, die über jede Grenze und über jedes Verlangen hinaus weiter sprudelt. Das hat der Mensch nicht in sich, er sucht es. Das hennt das Evangelium: "Das Leben in sich haben (Joh 5, 26 - 10, 10), das ewige Leben besitzen." (Mt 19, 29).

Jesus Christus hat gesagt: Wenn ihr euch nicht mit mir vereinigt, werdet ihr das Leben nicht in euch haben; doch wenn einer sich mit mir vereinigt, besitzt er das ewige Leben (vgl. Joh 15, 5-6).

Dann, so sagt die Theologie, wird der Mensch Gott durch Teilnahme. Jesus Christus hat dieses alte, göttliche Wort wiederholt:

"Ich sprach, ihr seid Götter." (Joh 10, 34).

Die menschliche Natur steigt bis zu Gott: sie wird in Gott aufgenommen. Sie erhebt sich zu einem übernatürlichen Zustand, einem anderen Zustand als dem, in welchem wir geboren werden, und als dem unserer Natur selbst.

JÜNGER: Diese Gründe scheinen mir nicht nur Gründe des Herzens, sondern auch des gesunden Menschenverstandes und der Wissenschaft zu sein. Ich glaube zu erkennen, dass der Begriff der Menschwerdung sich mit dem der Schöpfung verbindet und in irgend einer Weise aus dem gegenwärtigen Stand der menschlichen Natur folgt. Aber weisen Sie nicht gerade das als ganz großen Irrtum zurück?

MEISTER: Sicherlich, denn nichts folgt hier, nichts verbindet sich logisch und kann als notwendig betrachtet werden. Es ist nicht notwendig, dass die menschliche Natur mit der göttlichen durch irgend ein übernatürliches Band geeinigt sei. Wäre übrigens die übernatürliche Vereinigung Gottes mit dem Menschen aus freier Güte Gottes einmal zugegeben, so zöge das nicht notwendig die Menschwerdung oder die höchste Vereinigung Gottes mit dem Menschen nach sich. All dieses bleibt frei und konnte auch nicht sein. Das behauptet die Theologie, wenn sie den Stand der reinen Natur für möglich erklärt, in dem die menschliche Natur sich mit Gott durch eine natürliche, immer mehr entwickelte Erkenntnis und Liebe hätte vereinigen können. Doch was ich Ihnen nur habe zeigen wollen, ist die erhabene Schönheit dessen, was unser Gott gewollt hat. Er hat sich mit der menschlichen Natur durch die höchste Verbindung vereinen wollen. Dafür hat er uns geschaffen. Er hat diesen Zweck gewollt und ihn von Anfang an geoffenbart. Darauf bereitet er die Völker und die Seelen vor und ruft sie sowohl durch die Leitung der Geschichte, wie durch innere Einsprechungen. In der Tat ist auch der Mensch, wie unser Glaube lehrt, in einem Zustand übernatürlicher Vereinigung mit Gott geschaffen worden. Darum hat man sagen können:

"Der Mensch ist ein gefallener Gott, der sich des Himmels erinnert". Daher rühren diese großen Anläufe und Wünsche der menschlichen Natur, die sie niemals gefasst hätte, wenn sie nicht Gott aus freier Güte und ursprünglicher Anordnung ihr eingegeben hätte. Aber da diese Herrlichkeiten gegeben sind, sage ich mit dem Engel der Schule, dass sie von göttlicher Schönheit sind, und dass das höchste Übermaß der Güte Gott zukommt: "Da Gottes Natur wesentlich Güte ist, ziemt es ihm, sich den Geschöpfen auf die höchste Weise mitzuteilen, was sich im Werke der Menschwerdung vollzog.

JÜNGER: Ich höre es wohl, aber ich möchte hier wieder Lehrer, der Jesus Christus fragte, sagen:

"Wie ist das möglich ?" (Joh 3,9)

MEISTER: Ich will Ihnen mit den Worten Jesu Christi antworten:

"Keiner ist in den Himmel hinaufgestiegen als der vom Himmel herabgestiegen ist" (Joh 3, 13). ... "Ich aber will alle an mich ziehen, wenn ich von der Erde erhöht bin" (Joh 12, 32).

Das bedeutet, dass Gott, um das Werk der höchsten Vereinigung zwischen sich und dem Geschöpfe zu vollenden, herabsteigt, um in der menschlichen Natur Fleisch zu werden, und um dann alle Menschen durch die Früchte seiner Menschwerdung zu erhöhen.

JÜNGER: Was verstehen Sie genauer unter den Worten: Gott nimmt in der menschlichen Natur Fleisch an? Ist das Wort nicht einfach in einem besonderen, persönlichen Menschen Namens Jesus Fleisch geworden?

MEISTER: Merken Sie auf. Gott ist nicht in der menschlichen Person Fleisch geworden, weder in einer noch in allen. Gott hat die menschliche Natur angenommen, nicht die Person eines einzelnen Menschen. Er hat einen menschlichen Körper und eine menschliche Seele angenommen; er hat einen menschlichen Geist, eine menschliche Vernunft und einen menschlichen Willen angenommen, aber keine menschliche Person. Die Person Christi ist Gott selbst. Zwei Naturen, die menschliche und die göttliche Natur, sind in einer einzigen Person vereint, welche die Person des eingeborenen Sohnes Gottes selbst ist; also eine göttliche Person, nicht eine menschliche ist in Christus. Ebenso wie ich eine menschliche Person bin, die mit einem tierischen Körper bekleidet ist, mit einer eigentlich tierischen Natur, die mit der menschlichen Natur vereint ist, und wie ich die Person selbst bin, der ich ein Mensch bin und nicht ein solch tierisches Einzelwesen, ebenso ist im Pflanzenreich das Einzelwesen pflanzlich, obwohl es in sich die mineralische Natur trägt.

"Das Wort Gottes hat die menschliche Natur angenommen, sofern sie in seiner göttlichen Person ein Einzelwesen ist".

Sobald man darum fragt, was dieses bevorzugte Einzelwesen ist, das die Gunst der Menschwerdung verdient und in sich erhalten hat, befindet man sich außerhalb unserer Glaubenslehre. Die Menschheit Christi hat für sich kein Dasein und kann selbst nur in Zusammenhang mit der Tatsache der Menschwerdung begriffen werden.

JÜNGER: Fahren Sie nur fort. Ich frage Sie wie jeder Mensch zu diesem übernatürlichen Stand erhoben werden kann, der in ihm die Quelle des unendlichen Lebens aufgehen lässt und ihn an das Ziel seines Verlangens trägt, und Sie antworten: dafür ist Gott in der menschlichen Natur Fleisch geworden. Jetzt sagen Sie mir aber, wie der menschgewordene Gott jede einzelne menschliche Person erreicht.

MEISTER: Handelt es sich nicht für die Schöpfung, die emporsteigt, und für jede Seele, die aufwärts strebt, darum, Gott zu erreichen und sich mit Gott zu vereinigen? Dafür macht Gott sich zugänglich, sinnlich sichtbar und menschlich, indem er Fleisch wurde. Er macht sich zu einem von uns. Er nimmt unsere Sprache an, unser Herz und unsere Vernunft, unser Blut und unseren Leib, unsere Bedürfnisse, unser Elend, unsere Leiden, unsere Sterblichkeit, alles, ausgenommen die Sünde, um alles in sich zu verklären. Die menschliche Natur ist gezähmt, umgewandelt und in ihm wieder geboren. Nachdem diese Natur dann in ihm bezwungen war, kann jeder einzelne durch einen freien Akt, der seine Kräfte nicht mehr übersteigt, an der Umwandlung und Wiedergeburt teilnehmen.

JÜNGER: Ich verstehe es noch nicht, wofern Sie nicht eine Art heiligender Ansteckung, gleichsam eine göttlich magnetische Mitteilung annehmen, die sich von Christus aus in der ganzen Menschennatur und in allen Einzelwesen verbreitet, weil er der Menschensohn ist, einen neuen übernatürlichen Saft, an dem jede menschliche Person teilnimmt, wenn sie will.

MEISTER: Dasselbe behaupten wir in anderen, besseren, klareren und vollständigeren Ausdrücken. Wir behaupten, dass Christus nach seinem Leiden und Sieg verherrlicht ist, und dass er nach dem Einzug in seine Herrlichkeit über alle Menschen den Geist Gottes ausgießt, der das Angesicht der Erde erneuert.

JÜNGER: Konnte Gott seinen Geist nicht auch vor der Menschwerdung über die Menschen ausgießen?

MEISTER: Darin liegt nicht die Schwierigkeit. Für Gott gibt es keine Zeit. Gott kann seinen Geist immer senden. Der Heilige Geist, der Gott selbst ist, ist immer und überall gegenwärtig. Nur sind wir nicht fähig, ihn zu fassen, noch ihn zu begreifen. Erst durch die Menschwerdung des Wortes wird die menschliche Natur in der Vergangenheit oder Zukunft für dieses Geschenk fähig. Dieses Geheimnis ist in der Zukunft, in der Gegenwart und Vergangenheit wirksam (Hebr. 13, 8). Jedenfalls bringt uns das Werk Christi, sein Leiden, Sieg und seine Verherrlichung den Heiligen Geist (Joh 7, 39).

Die menschliche Natur vermag in Christus den Geist Gottes zu ertragen und in ihm wieder geboren zu werden. Ohne Christus konnte sie es nicht. Er eröffnet uns den Weg (Hebr 10, 20), er ist der Erstgeborene (Röm 8, 29) dieser neuen Ordnung, der Vater der Zukunft (Is 9, 6), mit einem Worte der Anfang (Joh 8, 25). Sobald nun aber der Anfang gegeben ist, können die Folgerungen daraus gezogen werden. Sobald der erste Vater in der Welt ist, können die anderen Menschen aus seinem Inneren hervorgehen.

Christus zeugt also geistig die anderen Menschen zur übernatürlichen Welt, zum göttlichen, ewigen Leben. Wir behaupten, dass er immer in unserer Mitte ist; er handelt, wirkt, treibt die Seele jedes Menschen an zu erwachen, prüft unsere Herzen, erleuchtet den Grund unseres Geistes, segnet und berührt unseren Körper und lässt viele Menschen, wie einst den hl. Johannes, sich wirklich an sein Herz schmiegen und an seiner Brust ruhen. Meinen Sie nicht, dass man dort Kräfte schöpft, die man nicht besitzt?

Ich will, weil du willst, sagt die Liebe. Ich kann, weil du kannst. Ich glaube, weil du weißt, und ich würde wissen, weil ich dir geglaubt habe, dir, der alles weiß. Meine Vernunft empfängt dein Licht, o Herr. Mein Herz schlägt mit dem deinen, mein Bruder, heilige Schläge der ewigen, allgemeinen, makellosen Liebe. -

Ja, antwortet unser Bruder, alles, was ich habe, gebe ich dir. Ich bin in dir, du bist in mir (vgl. Joh 14, 20). Wir sind eins. -

Ja, antwortet die Seele mit dem hl. Paulus, "nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir" (Gal 2, 20). Doch Jesus Christus antwortet: du bist, weil ich will, und ich will auch, weil du willst. Ich tue deinen Willen. Alles, was du von mir verlangst, tut und gibt Gott.

So wird Gott Mensch, um in sich die menschliche Natur zu zähmen, zu erneuern und zu erheben, und um dann in jedem einzelnen als Edelreis fortzuleben (vgl. Röm 11, 24), das durch die freie Liebe Gottes eingesenkt und durch die freie Liebe und Entscheidung jeder Seele angenommen wurde, die in ihrer rauen Natur bleiben oder aber an der göttlichen Natur teilnehmen kann.

Verstehen Sie das? Versteht Ihr Herz es? Das sind die Gründe, von denen Pascal sagte:

"Das Herz hat seine Gründe, welche die Vernunft nicht ergründet."

Aber die volle Vernunft kennt sie. Pascal spricht so nur von der verstümmelten Vernunft.

IV. Die Gottheit Jesu Christi bewiesen aus der Auferstehung

JÜNGER: Ich verstehe jetzt. Ja, ich bin davon überzeugt, dass dieser Glaubenssatz wahrhaft erhaben und liebenswürdig ist. Er ist ein schönes Ideal. Aber Sie merken wohl auch, dass wir noch nicht unsere Frage beantwortet haben. Ist dieses Ideal verwirklicht? Das ist die Frage. Wenn es verwirklicht ist, warum suchen wir dann noch?

MEISTER: Darauf muss ich leider antworten, dass wir nicht suchen.

JÜNGER: Was bedeutet das?

MEISTER: Haben Sie, lieber Bruder, zu dem ich spreche, denn überhaupt recht gesucht? Werden Sie sich nicht wie viele andere damit begnügt haben, das ohne Betrachtung zurückzuweisen, was man in Ihrer Kindheit Ihnen in die Hand gab? Wenn Sie viel gesucht haben, gehören Sie sicherlich zu einer kleinen Zahl; und wenn Sie nicht gesucht haben, warum wundern Sie sich dann, nichts zu finden? Haben Sie nicht bis jetzt der Wahrheit täglich die sichtbare Welt und ihre Leidenschaften vorgezogen?

Wollen Sie in diesem Augenblick mit Geist und Herz mir aufmerksam bis zum Schluss zuhören? Es wird eine kurze Erforschung, vielleicht die erste Ihres Lebens, vielleicht auch die letzte sein, denn es ist leicht zu finden, was in unseren Händen, vor unseren Augen und oft im Grunde unserer Seelen ruht, ohne es zu wissen.

Hören Sie also zu. Hat Jesus Christus gelebt? Sie können nicht daran zweifeln, und die kühnsten Skeptiker können nicht die geschichtliche Wirklichkeit einer Persönlichkeit namens Jesus Christus leugnen. Ist seine Geschichte im ganzen zweifelhaft? Hat er arm oder im Überfluss gelebt? War er König von Juda oder Zimmermann von Nazareth? Verkündete er eine Lehre, die man Christentum nennt? Starb er am Kreuze? War er ein Verbrecher oder der größte und weiseste der Menschen? Es kann dabei ein ernsthafter Zweifel auftauchen. Wie aber Rousseau ganz richtig bemerkte, "sind die Lebensumstände eines Sokrates, an denen niemand zweifelt, weniger gut bezeugt als die Jesu Christi." Doch etwas gibt es, was unbestreitbarer als alles andere ist: Christus hat Jünger gehabt, und diese Apostel, ungeschliffene und ungebildete Menschen, haben in ganz kurzer Zeit in der Welt die mächtigste Umwälzung ohnegleichen hervorgerufen, welche die Welt je gesehen hat. Nun gibt es aber keine Wirkung ohne Ursache; niemals ist Lüge oder Täuschung die stärkste Macht in der Welt gewesen, die von der Vorsehung Gottes gelenkt wurde.

Wie haben die Apostel - ich sage nicht die ganze Welt verändert, sondern - in der Welt die größte Umwälzung hervorgebracht, oder vielmehr die einzige sittliche, soziale, geistliche, religiöse Umwälzung, die einzige fruchtbare und gründliche Umwälzung, die das Menschengeschlecht je gesehen hat.

Hören Sie nur.

Petrus, ein Fischer und Schiffersmann, begibt sich eines Tages auf einen öffentlichen Platz, umgeben von Hunderten seiner Brüder aus Galiläa und von Hunderten von Jüngern und sagt zum versammelten Volke: Habt ihr Christus am Kreuz gesehen? - Ja. - Habt ihr seinen Tod gesehen? Habt ihr gesehen, wie sein Herz durchbohrt wurde, und wie aus dem durchbohrten Herzen Wasser und Blut floß? - Ja. - Wir alle haben ihn darauf auferstanden gesehen.

"Eben diesen Jesus hat Gott auferweckt; des sind wir alle Zeugen" (Apg. 2, 32).

An einem anderen Tage beginnt er die gleiche Predigt von neuem und sagt:

"Gott hat ihn am dritten Tage auferweckt und sichtbar erscheinen lassen, zwar nicht dem ganzen Volke, wohl aber den von Gott vorherbestimmten Zeugen, uns, die wir nach seiner Auferstehung von den Toten mit ihm gegessen und getrunken haben" (Apg. 10, 40, 41).

Fünfhundert Jünger wiederholten das gleiche und bezeugten, wir haben ihn gesehen 55) (1 Kor 15, 6).

Was folgte daraus? Eines Tages vereinigten sich dreitausend Personen mit den Jüngern (Apg 2, 41), an einem anderen Tage wurden es fünftausend Personen" (Apg. 4, 4). Später schrieb der hl. Paulus an die Korinther:

"Meine Brüder, ich mache euch das Evangelium kund, das ich euch verkündet habe." "Christus ist der Schrift gemäß für unsere Sünden gestorben, wurde begraben, ist der Schrift gemäß am dritten Tage wieder auferstanden, und dem Kephas erschienen, danach den Zwölfen. "Weiter erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten heute noch leben; nur einige sind entschlafen.

"So dann erschien er Jakobus und darauf sämtlichen Aposteln, zu allerletzt erschien er auch mir, einer unzeitigen Geburt" (1 Kor 15, 1. 3-7).

Erwägen Sie diese Worte; es ist der hl. Paulus, der spricht. Mir selbst ist er erschienen, sagt der hl. Paulus in diesem verbürgten, unbestreitbaren und unbestrittenen Briefe, dessen Wortlaut wir besitzen.

Später noch schrieb der hl. Johannes:

"Am Abend jenes ersten Wochentages waren die Jünger versammelt und hatten aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sprach zu ihnen: "Friede sei mit euch!"

"Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.

"Abermals sprach Jesus zu ihnen: "Friede sei mit euch. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch."

"Nach diesen Worten hauchte er sie an und sprach:

"Empfanget den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten."

"Thomas, einer von den Zwölfen, der Zwilling genannt, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. "Die anderen Jünger berichteten ihm: Wir haben den Herrn gesehen." Er aber erwiderte ihnen:

"Wenn ich nicht an seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meinen Finger an die Stelle der Nägel und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich nicht." "Acht Tage darauf waren die Jünger wieder in dem Haus beisammen, und Thomas war bei ihnen. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sprach: "Friede sei mit euchI" "Dann sagte er zu Thomas: "Lege deinen Finger hierher und sieh meine Hände ! Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig !"

"Da rief Thomas aus: "Mein Herr und mein Gott!" Jesus sprach zu ihm: "Weil du mich gesehen hast, Thomas, glaubst du. Selig, die nicht sehen und doch glauben!" (Joh 20, 19-29).

So sprachen und schrieben der hl. Petrus, der hl. Paulus, der hl. Johannes, die anderen Apostel und die fünfhundert Jünger, die ihn gesehen hatten, von denen unter anderen einer, der hl. Ignatius von Antiochien, folgendes schrieb:

"Ich selbst weiß es nämlich, dass er auch nach seiner Auferstehung im Körper gewesen ist." Weil sie ihn gesehen hatten, darum zogen sie die Menschen in Massen nach sich, und weil die Welt so mit fortgerissen wurde, müssen sie ihn gesehen haben. Also ist Christus auferstanden: er hat den Tod besiegt. Darum ist er derjenige, der kommen soll. Er ist derjenige, der uns das volle, ewige Leben bringt, die Unsterblichkeit, die Unendlichkeit. Er ist der Gottmensch.

V. Die messianischen Weissagungen

JÜNGER: Wie ich gestehen muss, sind diese gewichtigen Zeugnisse verbunden mit der Wirkung, die sie hervorgebracht haben, und die ich vor Augen habe, ein überaus zwingender Beweis.

MEISTER: Der Beweis ist allerdings zwingend; aber wissen Sie auch, was man darauf entgegnen könnte?

JÜNGER: Ich weiß es nicht, es sei denn, dass die deutsche Wissenschaft recht hat und durch ihre Kritik alle Texte, die Sie soeben angeführt haben, in der Tat auf nichts zurückführt.

MEISTER: Entschuldigen Sie, wenn ich über diese Menge von Irrtümern lache, die Sie in so wenigen Worten vorbringen. Lesen Sie bitte über diesen Gegenstand "die Sophisten und die Kritik".

Zunächst ist die Bezeichnung deutsche Wissenschaft vor allem zweideutig. Es gibt gelehrte rationalistische Schriftausleger, welche die Glaubwürdigkeit eines Teiles der Heiligen Schrift leugnen. Es gibt aber auch andere gelehrte deutsche Exegeten, Katholiken und Protestanten, welche diese Glaubwürdigkeit aufrecht erhalten. Diese letzteren sind selbst ebenso gelehrt und bedeutend, um nicht zu sagen gelehrter als die ersten. Soweit ist also nichts, aber auch gar nichts umgeworfen.

In zweiter Linie greifen die rationalistischen Exegeten keineswegs die Glaubwürdigkeit und Echtheit aller Bücher des Neuen Testamentes an. Ich will hier nur das Evangelium des hl. Johannes, die Apostelgeschichte und den Brief des hl. Paulus an die Korinther anführen. Keines dieser drei Bücher ist angefochten worden, außer etwa das Evangelium des hl. Johannes durch eine kleine Zahl verzweifelter Rationalisten. Ein Rationalist, H. Ewald, der gelehrteste unserer Gegner, drückt sich folgendermaßen aus, wenn er vom Evangelium des hl. Johannes spricht:

"Als wunderbares, für jeden geraden Geist einfaches, klares Werk ist das Evangelium des hl. Johannes sicher durch den vertrauten Jünger Christi verfasst worden ... und man kann mit Recht behaupten, dass es im ganzen Altertum kein Werk gibt, dessen Echtheit besser bewiesen ist."

Sie sehen also, wie seit der Kritik von Strauß, der sogar das Evangelium des hl. Johannes verwarf, unsere gelehrtesten Gegner wieder dahin gelangt sind zu behaupten und zu beweisen, dass das erste unserer Evangelien unter allen alten Büchern, weltlichen und anderen, das offenbar echteste ist; mit anderen Worten, dass nicht nur "die Lebensumstände eines Sokrates", wie man sehr richtig bemerkt hat, sondern auch alle anderen Tatsachen der alten Welt, "an denen niemand zweifelt, weniger gut bezeugt sind als die Jesu Christi, dem man in diesem Punkte nicht widersprechen kann, ist die Schule von Tübingen "als Hohn und Spott auf die deutsche Wissenschaft bekannt". Ewald erklärt dies näher durch folgende Worte: "Wären Schelling und Hegel anderswo gebildet als in den dumpfen Mauern eines Tübinger Stiftes: so wären die Menschen seit siebzig Jahren vor vielen der traurigsten Verirrungen bewahrt geblieben; und ist nicht auch das ganze mächtige Aufkommen der Atheistenschule in Tübingen und an anderen Orten eines der stärksten Zeugnisse über die bisherige Schwäche und Verkehrtheit der protestantischen Wissenschaft und des evangelischen Lebens, wie es sich in Deutschland gestaltet?" Was die seltsamen Gelehrten betrifft, die noch an dem Evangelium des hl. Johannes zweifeln können, so ruft Ewald freimütig aus: "Nur ein Tor kann daran zweifeln". Ich führe dieses Urteil an, da es nach meiner Auffassung nicht beleidigend, sondern wissenschaftlich ist. Tatsächlich war diese Ableugnung der Tatsachen des Christentums, die in diesem Zeitalter zuerst Deutschland, dann Europa in Erstaunen versetzten, nichts anderes als die Anwendung der Hegel'schen Sophistik auf die Geschichte. Völlige Kritik, gründliche und allgemeine Verneinung, Gleichsetzung des Seins und des Nichts, Gleichsetzung der Widersprüche, solche Grundsätze, die wohl Torheit sind, hatten in einer ziemlich großen Zahl deutscher Geister ihre Frucht, die wissenschaftliche Torheit hervorgebracht. Von daher stammen alle diese Wunder an Verirrungen in allen Arten, die man mit Recht mit dem Namen Torheiten bezeichnet, was buchstäblich eine wahre Bezeichnung ist.

All diese Dinge sind zu wenig unter uns bekannt, und wir halten uns deswegen noch an Strauß, den wir immer für den Vertreter des gegenwärtigen Standes der deutschen Wissenschaft ansehen. Wollen Sie sich bitte über diesen Gegenstand durch die Lesung eines 1861 erschienenen Buches unterrichten, das eine gründliche, gelehrte und klare Zusammenfassung der deutschen Arbeiten über die Glaubwürdigkeit und Echtheit des Neuen Testamentes ist. Diese "Introduction historique etcritique aux livres du Noveau Testament (Paris 1861. Lecoffre), die aus F. X. Reithmayr, J. Hug, F. Tholuck u. a. durch unseren arbeitsamen, klugen und gelehrten Mitbruder aus dem Oratorium, H. de Valroger übersetzt und zusammengefasst ist, scheint mir das notwendige, genügende Gegengift zu sein, das man allen noch in Frankreich über diesen Punkt verbreiteten Vorurteilen entgegensetzen muss. "Da jede Seite dieses Handbuches", sagt der Verfasser, "einen Titel hat, der sie zusammenfasst, kann jeder Leser dort leicht das finden, was er braucht. Indem man oft mit Hilfe dieser Titel die verschiedenen Teile dieser Sammlung durchblättert, wie man ein Wörterbuch durchblättert, werden sehr viele Menschen, die nicht eine dauernde Lesung aushalten, hoffentlich soweit gelangen, sich mit dem Wesentlichen zu durchdringen ... und ihre Schwierigkeiten zu lösen. " -

Lesen Sie den 2. Band Seite 542 für alle unsere Anführungen aus H. Ewald.

Erwägen Sie jetzt folgendes: Sie haben hier entschiedene Gewährsmänner, denen man vernünftigerweise alles glauben muss, was nicht der Vernunft entgegengesetzt ist. Was wird Ihnen nun zu glauben vorgestellt? Ein Ereignis, das man abwarten müsste, wenn es nicht schon der Geschichte angehörte, nämlich den überwundenen Tod und die Auferstehung.

Man verkündet Ihnen eine neue Ordnung von Dingen, den Neuen Bund der Menschen mit Gott, die Ankunft des göttlichen Lichtes inmitten unserer Finsternis, den überwundenen Tod, den Sieg des Lebens und die Auferstehung, das sichtbare Unterpfand der Unsterblichkeit und die Erstlinge des Unendlichen, nach welchem jede menschliche Seele verlangt. Das kündet man Ihnen an. Das muss man, wie ich behaupte, von der Zukunft erwarten, wenn nicht die Geschichte es Ihnen schon zeigte.

Erwartete und fühlte nicht auch das Menschengeschlecht dies tatsächlich voraus, wie es jede Seele, wenn sie noch nicht tot ist, erwartungsvoll ahnt?

Gewiss, die ganze Welt wartete auf den Gottmenschen. Wie ein Volk im Norden in einer Polarnacht von sechs Monaten in Erwartung des künftigen Tages lebt, die prophetischen Gestirne befragt und aufgeregt wird, wenn Vorzeichen ihm das Kommen der Sonne künden, ähnlich so lebte die Welt in Hoffnung, ahnte und forschte und fuhr zusammen in der Stunde der Ankunft Christi. Die Menschheit erwartete nach der hundertjährigen Nacht der sittlichen Welt ihre Sonne. Von China bis zu den germanischen Stämmen Nordeuropas war alles in Erwartung, und es gab kein Volk, das nicht gesagt hat: Er wird kommen.

Virgil, Tacitus, Sueton, Plutarch und viele andere bringen diese Überlieferung, ohne sie zu verstehen, der erste vor der Geburt Christi, die anderen nachher. Die Geschichte aller Völker liefert dafür wertvolle Spuren, die im Zusammenhange Staunen erregend wirken. Warum soll es aber nicht so sein? Wer könnte das Vorhandensein prophetischer Fähigkeit inmitten des Menschengeschlechtes leugnen, die spricht, wenn Gott es eingibt? Doch was soll man von den Weissagungen der Hebräer halten? Dieses Volk, das offenbar das Herz der Menschheit und die stärkste menschliche Rasse ist, hat gerade wie ein einzelner Mensch geweissagt. Sein Leben, seine Religion, der Grund seines Bestehens und seine Geschichte beruhten auf der Erwartung des Messias. Dazu ist es ersichtlich, dass Zeit, Ort und Umstände der Ankunft, des Todes, der Auferstehung und des Werkes Christi im voraus in den hebräischen Büchern aufgeschrieben sind.

Die Propheten haben vom Messias geschrieben, dass er der Gott sei, der ewig aus dem Schoße des Vaters erzeugt wurde (Ps 2, 7; Mich 5, 2; vgl. Ps 109, 3), "der Menschensohn" (Is 7, 14) "Gott mit uns" (Mich 5, 2).

Er würde "geboren aus einer Jungfrau" (Is 7, 14). "in Bethlehem, der kleinsten Stadt in Juda" (Mich 5, 2). Er würde "in der Zeit des zweiten Tempels geboren" (Dan 9, 25), in einer Zeit, die Daniel in klaren Ausdrücken bestimmt (Dan 9, 24). "Sie haben die Zahl der Jahre gezählt, sagt uns Bossuet, und sofern man nicht verblendet ist, gibt es kein Mittel, es mißzuverstehen".

Sie haben sein ganzes Auftreten beschrieben:

"Er wird nicht lärmen, noch Ansehen der Person kennen, noch wird man draußen seine Stimme vernehmen."

"Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus" (Is 42, 2-3).

"Er wird niedersteigen wie Regen auf das Vließ (Ps 71, 6). Er wird mit Sanftmut kämpfen, Recht und Gerechtigkeit auf Erden üben (Jer 23, 5).

Sie verkünden ihn "als Friedensfürsten" (Is 9, 6); "Juble, du Tochter Jerusalems! Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht und als Retter; er ist arm und reitet auf einer Eselin" (Sach 9, 9).

Sie beschreiben besonders sein Leiden und seinen Tod.

"Er wird verraten (Ps 40, 10), überliefert (Ps 21, 16; Is 50, 6), für dreißig Silberlinge verkauft (Sach 11, 12), wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt (Is 53, 7), zum Tode verurteilt (Is 53, 12) seine Hände und Füße werden durchbohrt (Ps 21, 17; Sach 12, 10), seine Kleider geteilt, das Los wird über sein Gewand geworfen (Ps 21, 19), und seine Zunge mit Galle und Essig getränkt" (Ps 68, 22). Daniel bestimmt buchstäblich die genaue Zeit, wo er verkündet, dass "Christus getötet werden wird" (Dan 9, 26). Nach diesem Tod schaut er den Untergang Jerusalems und des Tempels. Die Propheten verkünden außerdem die Wirkungen seiner Ankunft. Sie schauen "das Reich des Menschensohnes" (Dan 7, 13), welcher "der von allen Völkern Ersehnte sein wird" (Gen 49, 10; Hagg 2, 8), der "Führer und Lehrer der Völker" (Is 55, 4), dessen "Herrschaft auf kein anderes Volk übergehen wird," ... "das in Ewigkeit bestehen wird" (Dan 2, 44). "Sein Reich wird das Reich der Gerechtigkeit sein" (Is 9, 7). Sie schauen ihn, "wie alle Enden der Erde des Herrn gedenken werden" (Ps 21, 28) und wie er zuerst die Armen beruft (Ps 71, 7; Is 61, 1). Sie schauen, wie er die Völker zu einem einzigen Volke vereint (Ps 21, 28; 71, 11; 85, 9; Is 66, 20), das einen neuen Namen (Is 62, 2), ein neues Priestertum (Ps 109, 4; Mal 1, 11; Is 66, 21) und eine ewige Bestimmung empfangen wird (Is 60, 21).

JÜNGER: Diese Texte sind merkwürdig und überraschen besonders durch ihre Zusammenstellung . Es sind Worte, einzelne Satzglieder, die hier und da aus den Propheten und den Psalmen genommen sind, und aus denen Ihre Theologie ein Ganzes macht. Ich möchte aber einen ganzen Text mit einer Weissagung sehen, die wirklich Christus bezeichnet.

MEISTER: Ich kann Ihnen davon leicht einen anführen. Ich nehme das dreiundfünfzigste Kapitel des Isaias, das ich hier im ganzen abschreibe. Hier hören Sie nun einen Propheten, der 700 Jahre vorher den Juden die Geschichte ihres zukünftigen Messias erzählt, der von denen verworfen wurde, die ihn erwarteten.

1. "Wer glaubte unserer Verkündigung? Und der Arm des Herrn, wem ist er offenbar geworden?

2. "Er steigt empor wie ein Reis vor ihm und wie eine Wurzel aus dürstendem Lande, nicht ist ihm Gestalt und nicht Schmuck; wir sahen ihn und es war kein Anblick, so dass wir Wohlgefallen an ihm fanden.

3. "Den verachteten und mindesten der Menschen, den Mann der Schmerzen, der Krankheit erfahren; und sein Antlitz war wie verhüllt und verachtet, weshalb wir sein nicht achteten.

4. "Wahrlich, er hat unsere Leiden getragen und unsere Schmerzen hat er auf sich genommen. Und wir hielten ihn für einen Aussätzigen, einen von Gott geschlagenen und gebeugten.

5. "Er aber ist verwundet worden um unserer Frevel willen, zerschlagen um unserer Missetaten willen; die Züchtigung liegt unseres Friedens wegen auf ihm und durch seine Wunden sind wir geheilt.

6. "Wir alle gingen in die Irre wie Schafe, ein jeder wich ab auf seinen Weg, und der Herr hat auf ihn unser aller Missetat gelegt.

7. "Er ward geopfert, weil er selbst wollte, und er öffnete seinen Mund nicht; wie ein Schaf zur Schlachtung geführt wird und wie ein Lamm vor seinem Scherer verstummt, und er öffnete seinen Mund nicht.

8. "Aus der Bedrängnis und aus dem Gerichte ward er weggerafft, wer wird sein Geschlecht begreifen? Denn er ward hinweggerissen aus dem Lande der Lebenden, um der Sünde meines Volkes willen habe ich ihn geschlagen!

9. "Er wird Gottlose für sein Grab und den Reichen für seinen Tod geben, weil er kein Unrecht getan noch in seinem Munde trug.

10. "Und dem Herrn gefiel es, ihn durch Leiden zu zermalmen; wenn er sein Leben zum Schuldopfer hingegeben, wird er langdauernde Nachkommenschaft schauen und der Plan des Herrn wird durch seine Hand ausgeführt werden.

11. "Dafür dass seine Seele Mühsal erlitt, wird er schauen und sich erlaben; durch seine Kenntnis wird mein gerechter Knecht viele gerecht machen und ihre Missetaten wird er tragen.

12. "Darum teile ich ihm sehr viele zu und die Beute der Starken wird er teilen, dafür dass er seine Seele in den Tod hingab und sich unter die Übeltäter rechnen ließ und die Sünden vieler trug und für die Übertreter Fürbitte einlegte" (Is 53, 1-12).

JÜNGER: Ich wende dagegen ein, dass diese Weissagung sehr wahrscheinlich erst nach den Ereignissen geschrieben wurde.

MEISTER: Dieser Einwand kommt mir gerade erwünscht. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich bei den Juden, die dieses Kapitel verschleiern, zu unterrichten, bis zu welchem Punkte es den Christen möglich war, unter allen Stücken gerade ein Kapitel in den Isaias einzuschieben. Diese werden Ihnen sagen, dass die Christen niemals weder ein Kapitel, noch ein Wort, noch einen Punkt in den Isaias oder einen anderen Teil des Alten Testamentes haben einschieben können; darum nämlich, weil die Juden, die mit ihren Büchern über die ganze Welt zerstreut waren, seit Jahrhunderten nicht nur die ganze Reihenfolge des Wortlautes, sondern auch die ganze, gut ausgerechnete Zahl der Kapitel, der Verse, der Worte, der Buchstaben, der in diesem Text enthaltenen Zeichen und Punkte auswendig wussten. Keiner hat vom hebräischen Text einen Punkt hinzufügen oder unterdrücken können.

JÜNGER: Dann gestehe ich, dass diese Weissagung des Isaias wunderbar ist.

VI. Die Person des Erlösers

JÜNGER: Geben Sie nun bitte eine Zusammenfassung.

MEISTER: Im folgenden haben Sie meiner Ansicht nach nur Sicheres. Zunächst ist die Menschwerdung möglich, und das Menschengeschlecht erwartete sie. Die Gotteslehre der Indier zum Beispiel ruht fast nur auf dieser Grundlage. Die Hebräer, das Herz des Menschengeschlechtes, haben sie bis ins einzelne vorausverkündet. Die Wissenschaft und die moderne Philosophie können nicht ein Wort gegen die Möglichkeit dieses göttlichen Vorgangs sagen. Betrachten Sie dazu die ganze Schöpfung, die aufwärts zu ihrem Urheber steigt. Sie steigt aufwärts, weil Gott sie Stufe um Stufe durch seine schöpferische Allmacht und durch eine Folge neuer Geschenke zu sich erhebt, von denen das letzte immer alle vorhergehenden Gaben unvergleichlich übersteigt. Der Schöpfer der Welt legt endlich als letztes Glied inmitten der Schöpfung das vernünftige, freie, der Liebe fähige Wesen nieder. Dieses Geschöpf lebt und atmet in Gott, vereint mit Gott wie alle andern. Doch es bleibt eine Weise höchster Vereinigung übrig, die zwischen dem Geschöpf und Gott möglich ist, die man die persönliche Einigung, die Menschwerdung nennt, worunter man versteht, dass Gott sich mit dem Menschen vereinigt, wie die Seele sich mit dem Körper vereinigt, um nur eines auszumachen. Warum soll man nicht denken, dass die Überfülle der ungeschaffenen Liebe und das Gebet der geschaffenen Liebe, das Gott eingibt, niemals den Abgrund überschreiten werden?

Ich frage Sie von neuem: haben Sie lebendigen Glauben an Gott? Sehen Sie ihn, wie er die Welt mit Güte und Liebe anblickt und die Menschheit beschützt, wie ein Adler sein Nest von jungen Adlern? Schauen Sie, wie er eines Tages auf einen Punkt dieses Erdballs durch einen plötzlichen Vorgang, der jedes Wunder übersteigt, den Menschen hinsetzt? Schauen Sie nicht uns alle, die Welt und alle Menschen, von seiner wunderbaren und übernatürlichen Vorsehung und Liebe eingehüllt? Doch wie können Sie dann nicht das neue Zeitalter verstehen, das neue Jahr der Schöpfung, wo der Vater das zukünftige Geschenk auf Erden ausgießen will, das noch wunderbarer als alle andern sein muss? Wie können Sie nicht hoffen, dass schließlich die Stunde kommt, wo er, nachdem er alles gegeben hatte, sich selbst schenken wollte? Was könnte es in der Tat Neues und überraschendes für unser unersättliches Herz geben, für das alles nichts ist, da wir Hunger nach dem Unendlichen haben! Er selbst fehlt uns. Also konnte man die Fleischwerdung des Unendlichen im Endlichen, Gottes in der Menschheit erhoffen, und wir wissen, dass alle Völker sie erwartet haben, wie alle Seele sie erwarten.

Man muss also wie die Juden den Messias erwarten. Dieses Volk hat recht: wenn der Messias nicht gekommen ist, muss er kommen.

Aber wir sehen mit eigenen Augen in der Geschichte, inmitten der recht betrüblichen Ereignisse der vergangenen Welt einen einzigen Punkt, der wie ein Stern mitten aus einer Wolke glänzt: "Wir haben seinen Stern gesehen ! (Mt 2, 2).

Es ist die Geschichte desjenigen, welcher der Gottmensch ist. Zahllose Zeugen, die Reichtümer, Vergnügungen und Leben verachteten, behaupten, ihn nach seinem Tode vor aller Augen auferstanden gesehen zu haben. Sie haben ihn berührt, behaupten sie, sie haben mit ihm nach seinem Hervorgang aus dem Grabe gegessen und getrunken. Sie sterben, um es zu bezeugen, und ziehen durch ihre unwiderstehliche Überzeugung das römische Weltreich und den Rest der bekannten Welt nach sich. Daraus geht die einzige gründliche und fruchtbare Umwälzung hervor, von der alle anderen nur Folgen sind oder sein werden. Vor Christus war alles Verfall; nach Christus ist alles Fortschritt. Von hier geht alles beherrschend eine Gesittung der Erdkugel aus, der letztere heute angehört, die nach achtzehn Jahrhunderten noch jugendlich ist, und deren Anwendung auf die Welt immer wieder beginnen kann. Für das menschliche Herz ist die Lehre des gekreuzigten Jesus, der arm und demütig, liebevoll und gehorsam bis zum Tode war, offenbar die höchste sittliche Wahrheit; für den menschlichen Geist ist die Lehre Christi die Kraft aller großen Geister ersten Ranges.

Dazu bleibt auch in diesem Augenblick der Weltgeschichte ersichtlich, dass die Welt gerettet ist, wenn sie christlich bleibt oder wird, dass sie dagegen verloren ist, wenn der verblendete Unglaube sich ihrer bemächtigt. Und da bleibt man noch unschlüssig !

Schauen Sie sich die entscheidenden Arbeiten des Abbé Meignan an, der zeigt, dass das "Leben Jesu" von allen rationalistischen deutschen Schulen klar verurteilt ist. Wenn Sie auch meine Antwort lesen wollen (Les Sophistes et la Critique 1864), die, da sie später erschienen, andere benutzt hat, lesen Sie zunächst das zweite und dann das vierte Buch, dann erst den ganzen Band. Sie werden zunächst alles erfahren, was von Wissenschaft in Renan ist, dann was von den anderen Atheisten und zeitgenössischen Sophisten gilt. Sie werden diese für immer kennen lernen. Sie werden sich und andere gegen diese sonderbare geistige Ungeheuerlichkeit verteidigen können. Sie begreifen, dass ein solcher, ganz offenbar nichtiger und widersinniger Angriff einen Sieg für die Wahrheit bedeutet. -

Das zweite Buch ist auch einzeln erschienen 1864: Jésus Christ. Réponse a M. Renan. 6. M. 1923. - Eine abgekürzte Neubearbeitung von les Sophistes erschien 1866 als Petit manuel de Critique mit einem empfehlenden Brief von Papst Pius IX. vom 15. X. 1864.

Drittes Zwiegespräch: Die Dreieinigkeit

"Ich glaube an den Heiligen Geist"

I. Die Dreieinigkeit und die Mathematik

MEISTER: Als ioh das Apostolische Glaubensbekenntnis anführte, haben Sie merken müssen, dass es sich aus drei Teilen zusammensetzt. Der erste beginnt mit den Worten; ich glaube an Gott, den Vater;

der zweite: ich glaube an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn;

und der dritte: ich glaube an den Heiligen Geist. Diese Einteilung entspricht unserer grundlegenden Glaubenswahrheit über das Wesen Gottes: es handelt sich um das Geheimnis der allerheiligsten Dreieinigkeit. Der Glaube daran stützt sich besonders auf die Worte Christi:

"Gehet hin und lehret alle Völker; taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" (Mt 28, 19).

Ich will nicht versuchen, wenn ich zu Ihnen von diesem Mysterium spreche, für Wort oder Sache um Entschuldigung zu bitten. Wir wissen heute, dass fast alles für uns Geheimnis ist. Wir sind weniger stolz auf unsere Vernunftschlüsse, als man es vor 100 Jahren war. Denn wie man sehr richtig bemerkt hatte, "haben Vernunftschlüsse alle Welt getäuscht; man erinnert sich dessen und ist misstrauisch." Viele Leute sind so verständig geworden, sich nicht für tiefere Metaphysiker als Leibniz zu halten, der eine Abhandlung verfasst hat über die "Verteidigung der Dreieinigkeit durch neue logische Beweise."

Man versteht, was derselbe Leibniz sagte, als er von den GeheimnisseIi der Dreieinigkeit und Menschwerdung sprach, "dass man nicht immer erschöpfende Begriffe verlangen muss, die nichts einschließen, was nicht erklärt ist, da sogar die Sinnesqualitäten, wie die Wärme, das Licht und der Geschmack uns nicht solche Begrifft liefern können."

JÜNGER: Was Sie sagen, ist richtig. Aber ich unterscheide zwischen einer unergründlichen Tiefe und einer bestimmten Behauptung, vor der die Vernunft zurückschreckt. Eine solche scheint mir das Geheimnis der Dreieinigkeit zu sein.

MEISTER: Erlauben Sie mir, zu diesem Gegenstand eine Erinnerung aus der Schule zu erzählen. Sie wissen, dass auf der Schule ein Alter kommt, wo der Schüler nach Beweisen sucht, um die Religion zu verwerfen. Ich suchte wie andere in der Rüstkammer des achtzehnten Jahrhunderts. Ich werde niemals den Tag und die Stunde vergessen, wo ich den folgenden Schluss in den Werken von de Boufflers fand: "Eins macht drei, drei macht eins: das ist die christliche Arithmetik. Glauben Sie das, so werden Sie das ewige Leben haben." Das schien mir entscheidend. Mein Glaube an den Glaubenssatz der Dreieinigkeit war umgestürzt.

Nun verstand ich zu jener Zeit nur die Addition. Man hat aber gesagt:

"Halbes Wissen wendet ab von Gott, aber wahre und eigentliche Wissenschaft führt hin zu Gott." Seitdem habe ich die Multiplikation lernen müssen. Nun lehrt uns aber die Multiplikation, dass die Einheit mit sich selbst vervielfältigt immer nur die Einheit gibt. Eins vervielfältigt mit eins gibt eins. Eins vervielfältigt mit eins, das Ganze vervielfältigt mit eins, gibt immer wieder eins, so dass, wenn in der Addition die Einheit dreimal als Teil genommen ein Ganzes gibt, das drei ist, in der Multiplikation die Einheit dreimal als Faktor genommen ein Ganzes oder Produkt gibt, das eins ist. Warum soll man aber das Geheimnis der Dreieinigkeit mehr mit der Addition als mit der Multiplikation in Beziehung setzen?

JÜNGER: Aber diese Überlegung hat Ihnen, wie ich meine, wohl kaum den Glauben zurückgebracht.

MEISTER: Gewiss nicht. Der Glaube war schon auf gewichtigere Gründe hin zurückgekehrt. Der Glaube kommt oder geht, je nachdem die Seele durch den Gebrauch ihrer sittlichen Freiheit sich vom Lichte entfernt oder ihm nähert, wie das Evangelium sagt (Joh 3, 20 f). Die Gründe dafür oder dagegen kommen gewöhnlich erst später. Ich räume der Multiplikation jedenfalls nur das Recht ein, zum Glauben zu führen, wenn Sie der Addition das Recht zugestehen wollen, von ihm zu entfernen.

JÜNGER: Das ist nur billig. Lehrt nicht aber endlich Ihr Glaubenssatz, dass der Vater Gott ist, dass der Sohn Gott ist, und dass der Heilige Geist Gott ist, und dass diese drei Götter ein Gott sind, mit anderen Worten, dass drei eins und eins drei sind.

MEISTER: Keineswegs. Sie fallen in das Wortspiel von de Boufflers zurück. Sie setzen voraus, dass der Vater allein für sich genommen ein Gott ist, ebenso der Sohn und der Heilige Geist; dann zählen Sie zusammen und sagen: diese drei Götter. Sie lassen uns dann behaupten: drei Götter sind ein einziger Gott; und drei Personen sind eine einzige Person. Hier liegt der Widerspruch in den Begriffen, der augenscheinlich Ungereimtheit ist. Die Logik muss ohne weiteres Studium diesen Ausspruch verwerfen. Wir dagegen sagen: es gibt drei göttliche Personen in der Einheit der göttlichen Natur.

Die Logik hat an der Form dieses Wortlautes nichts zu tadeln. Sie muss warten und sagen: es hängt vom Sinn der Worte Gott und Person ab. Ist es nicht zum Beispiel tatsächlich wahr, dass es eine Vielheit von menschlichen Personen in der Einheit der menschlichen Natur gibt?

JÜNGER: Sicherlich. Doch welch sonderbarer Vergleich!

MEISTER: Er stammt vom hI. Thomas von Aquin und entspricht vollkommen der äußeren Form der Schwierigkeit:

"Wenn wir von der Dreieinigkeit in der Einheit sprechen," sagt der hl. Thomas, "führen wir nicht die Zahl in die Einheit der Wesenheit ein; aber wir zählen die Personen, welche in der Einheit der Natur sind, wie man die Vielheit der Einzelwesen irgend einer Natur in jener einen Natur sein lässt."

So behauptet unsere Glaubenslehre nicht von Gott die Einheit und die Dreiheit im gleichen Sinne und unter der gleichen Beziehung, was ungereimt wäre; sondern sie behauptet die Dreiheit mit Bezug auf die Personen und die Einheit in Rücksicht auf die Natur, was keiner Logik zuwider ist.

JÜNGER: Mag sein, dass Sie die Form des Wortlautes retten. Aber Sie behaupten doch auf irgend eine Weise, wenn auch unter verschiedenen Beziehungen, wie ich gestehe, das gleichzeitige Bestehen der Einheit und der Vielheit.

MEISTER: Zweifellos muss es auch so sein, und es verhält sich so mit allen Wesen und Begriffen und besonders mit Gott, der das höchste Wesen und Leben ist.

In dem Maße, wie die Wissenschaft die Wesen und Begriffe zerlegt, entdeckt sie immer mehr darin das wunderbare gleichzeitige Bestehen der Mannigfaltigkeit in der Einfachheit, der Vielheit in der Einheit. Es findet sich scheinbar fast immer, dass in der gedanklichen oder lebendigen Einheit der grundlegende Unterschied, die natürliche Vielheit genau besehen eine Dreieinheit ist. Wenn das Denken heutzutage lebendig wäre, und wenn die Geister fähig einer Metaphysik oder nur einer Vergleichung zwischen den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft wären, würde man dieses schon vor langem in Deutschland gesprochene Wort verstehen:

"Es ist Zeit, dass der Begriff der Dreieinigkeit endlich in die Wissenschaft eindringt."

Wir sprachen gerade vom mathematischen Zeichen der Einheit, das mit sich selbst vervielfältigt immer die Einheit hervorbringt. Bemerkenswert ist, dass die vereinzelte, nicht mit sich selbst vervielfältigte Einheit, wenn man ihre geometrische Bedeutung sucht, nicht den Körper, das wirkliche, sondern die Linie, etwas Abstraktes, darstellt. Doch die als Faktor dreimal genommene Einheit stellt den Körper selbst, das Feste dar, etwas Wirkliches und Konkretes. Vervielfältigen Sie dieses dreifache Produkt noch mit der Einheit, so fügt diese Rechnung nichts zum geometrischen Sinn hinzu, so dass die Einheit dreimal als Faktor genommen, nicht mehr und nicht weniger, die wirkliche, mathematische Einheit, den Körper darstellt.

JÜNGER: Das geht also einfach darauf hinaus, dass der Raum drei Ausdehnungen hat.

MEISTER: Ja. Doch warum hat der Raum gerade drei Ausdehnungen? Meiner Meinung nach kommt es daher, dass jedes Ding nach der Lehre der Theologie irgend eine Spur der allerheiligsten Dreieinigkeit trägt. Den Raum kann man ein Siegel Gottes mit diesem tiefen Geheimnis nennen.

Ich habe mich oft gefragt, ob man nicht über den mathematischen Punkt folgendes sagen könnte: der mathematische Punkt ist einfach, und dennoch ist er nicht immer einzeln. Obwohl völlig einfach, besteht er oft aus mehreren Punkten. Wenden Sie nicht ein, dass, wenn mehrere Punkte in einem einzigen sind, es nicht mehr verschiedene Punkte wären, sondern ein einziger Punkt, in dem es nichts zu unterscheiden gibt: das wäre falsch. Der Mittelpunkt des Kreises ist sicher ein einfacher Punkt, ohne Ausdehnung, noch Teile, und im Grunde schließt dieser Punkt zwei ein. Da der Kreis tatsächlich eine krumme Linie zweiten Grades ist, hat er von Natur aus zwei Brennpunkte. Diese zwei Brennpunkte sind sichtlich in der Ellipse, der Parabel und Hyperbel verschieden und getrennt, welche sich ähnlich wie der Kreis verhalten; im Kreise fallen diese beiden Punkte im Mittelpunkt zusammen und sind zwei in einem. Wenn man darum in der Algebra den Mittelpunkt des Ortes eines Kreises sucht, findet man zwei Lösungen, die durch die Zeichen Plus und Minus unterschieden sind. So ist der Kreismittelpunkt ein doppelter Punkt. In der Geometrie gibt es doppelte, dreifache und vielfache Punkte, die nichtsdestoweniger unteilbare mathematische Punkte ohne Ausdehnung sind.

Die Infinitesimalanalysis ist von Leibniz, ihrem Erfinder, so genannt, weil sie den Punkt, ein einfaches Ding, zerlegt, was man nur tun kann, wenn man vom Endlichen ausgeht, um in das Unendliche einzutreten. "Zerlegung des Unteilbaren und Unendlichen," sagte Leibniz. Wie betrachtet nun aber die Infinitesimalanalysis den Punkt, den ich hier mit Erlaubnis den körperlichen Punkt nennen will, der weder der Punkt einer Linie, noch der einer Fläche, sondern der Ursprung und das unendlich kleine Element des Körpers ist, und der dem vollen Raum entspricht? Die Infinitesimalanalysis kann und muss den wirklichen Punkt betrachten, als ob er drei Elemente, drei Richtungen und drei Punkte einer Linie einschließt, die dazu bereit sind, dass jeder in eine der drei Ausdehnungen des Raumes springt. Darum ist das Differenzial des körperlichen Elementes oder des Ursprungspunktes des Körperlichen eine Formel, die drei Faktoren einschließt, einen für die Höhe, einen anderen für die Breite, und den letzten für die Tiefe, drei Punkte in einem: das ist der mathematische Punkt, der dem vollen Raum entspricht. Wie dem auch sei, so weist doch diese Dreiheit in der Tat darauf hin, dass der Raum gerade drei Ausdehnungen hat. Doch noch einmal, woher kommt es, dass der Raum drei Ausdehnungen hat? -

Woher kommt es zum Beispiel, wenn die Physik bei Zerlegung des Sonnenstrahls entdeckt, dass er sich gerade auf drei Teile zurückführen lässt, die man einzeln erhalten kann, nämlich einen Teil Strahlen voll chemischer Kraft ohne Licht und Wärme, ein Strahlenbündel voll Licht und Wärme ohne chemische Eigenschaften und einen Teil Strahlen voll Wärme ohne chemische Eigenschaft und Licht?

So muss die Physik vom Licht aussagen, was die Theologie ähnlich von Gott sagt, eine Dreiheit von völlig verschiedenen Kräften in der Einheit des Lichtes. Warum lassen sich alle Naturkräfte auf diese drei Kräfte zurückführen, die im Grunde nur eine sind? Warum führen sich die sieben Farbenabstufungen des zerlegten Lichtstrahles auf drei Grundfarben zurück, die erste, dritte und fünfte, welche die anderen hervorbringen? Warum stützen sich die sieben Noten der Tonleiter auch auf drei Grundtöne, die, wenn sie mit dem ersten abschließen, den vollkommenen Akkord bilden und auch wie bei den Farben die Prim, Terz und Quint sind? Warum setzt sich der durch Aristoteles untersuchte Syllogismus gerade aus drei Sätzen zusammen, die nur einen ausmachen, wenn die Schlussfolgerung wahr ist ? Warum setzt sich der Satz gerade aus drei Begriffen zusammen, die nur einen ausmachen, wenn der Satz wahr ist ? Warum hat das organische Leben gerade drei wesentliche Verrichtungen, deren Einklang und Vereinigung die Gesundheit begründen? Warum ist dieses allgemeine Gesetz der Einheit in der Mannigfaltigkeit und der Mannigfaltigkeit in der Einheit das eigentliche Kennzeichen des Wahren und Schönen in der Rede, der Musik, dem Drama, der Baukunst, im sozialen und organischen Leben? Warum kommt die größte Entdeckung, die der menschliche Geist gemacht, über die genaue Gestalt der astronomischen Welt und ihre Gesetze, geschichtlich wenigstens von diesem Gedanken Keplers her, dass die Bewegungen am Himmel irgend eine Spur des Geheimnisses der Dreieinigkeit tragen müssten, eine Spur, die Kepler in einem kleinen Kapitel suchte, das er benannte:

"Über die Abspiegelung der Dreieinigkeit im Kreise."

Verhält sich das alles nicht deshalb so, weil Gott sein Siegel auf seine Werke hat drücken und mit seinem Namen bezeichnen müssen, das heißt mit einer Spur von Ähnlichkeit mit sich selbst?

II. Die Dreieinigkeit als Lehre der Kirche

JÜNGER: Diese Entsprechungen sind merkwürdig, aber können nur anspruchslose Geister befriedigen.

MEISTER: Sie genügen auch gar nicht; ich spreche nur vor dem Beginn unserer Behandlung der Glaubenslehre davon. Um in dieses Studium einzutreten, will ich Ihnen zunächst die Glaubenslehre selbst in ihrem urkundlichen Wortlaut vorlegen.

Lesen Sie vor allem aufmerksam das Athanasische Glaubensbekenntnis.

Hier folgt die Glaubenslehre über die allerheiligste Dreieinigkeit, wie sie von der Kirche vorgetragen wird.

"Der katholische Glaube besteht aber darin, dass wir Einen Gott in der Dreieinigkeit, und die Dreieinigkeit in der Einheit anbeten;

Dass wir die Personen nicht vermischen, und ihre Wesenheit nicht trennen.

Denn verschieden ist die Person des Vaters, die des Sohnes, die des Heiligen Geistes.

Aber in Vater, Sohn und Heiliger Geist ist nur Eine Gottheit, gleiche Herrlichkeit, gleich ewige Majestät.

Wie der Vater, so der Sohn, so der Heilige Geist.

Unerschaffen ist der Vater, unerschaffen der Sohn, unerschaffen der Heilige Geist.

Unermesslich ist der Vater, unermesslich der Sohn, unermesslich der Heilige Geist.

Ewig ist der Vater, ewig ist der Sohn, ewig ist der Heilige Geist.

Und doch sind nicht drei Ewige, sondern Ein Ewiger.

So wie nicht drei Unerschaffene, nicht drei Unermeßliche sind, sondern Ein Unerschaffener, Ein Unermesslicher.

Eben so ist der Vater allmächtig, allmächtig der Sohn, allmächtig der Heilige Geist;

Und doch sind nicht drei Allmächtige, sondern nur Ein Allmächtiger.

Der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott, der Heilige Geist ist Gott.

Und doch sind nicht drei Götter, sondern Ein Gott.

Herr ist der Vater, Herr ist der Sohn, Herr ist der Heilige Geist.

Und doch sind nicht drei Herren, sondern Ein Herr.

Denn so wie die christliche Wahrheit uns anweist, jede einzelne Person als Gott und Herrn zu bekennen, so verbietet uns die katholische Religion von drei Göttern oder Herren zu reden.

Der Vater ist durch Niemand gemacht, nicht erschaffen, nicht erzeugt.

Der Sohn ist vom Vater allein, nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern erzeugt.

Der Heilige Geist ist vom Vater und Sohne, nicht gemacht, nicht erschaffen, nicht erzeugt, sondern ausgegangen.

Es ist also Ein Vater, nicht drei Väter; Ein Sohn, nicht drei Söhne; Ein Heiliger Geist, nicht drei Heilige Geister.

Und in dieser Dreieinigkeit ist nichts früher, nichts später, nichts größer, nichts kleiner; sondern alle drei Personen sind gleich ewig und sich einander völlig gleich.

Nach dieser Vorschrift ist daher die Einheit in der Dreieinigkeit und die Dreieinigkeit in der Einheit zu verehren."

Der folgende Lobgesang fasst die kirchliche Lehre über den Glaubenssatz der Dreieinigkeit gut zusammen.

"O Licht, von keinem Aug' entweiht,
O heiligste Dreifaltigkeit,
Das Herz ergibt dem Glauben sich,
Und suchet und bekennet dich.

O Vater, Allerheiligster !
Sohn, Gott von Gott Geborener !
Du ew'ger Geist, der Liebe Band !
Gott, gleich mit beiden Hand in Hand I

Der Vater sieht sich ewig ganz,
Und zeugt den Sohn in gleichem Glanz!
Die Liebe, die die Eintracht schließt,
Ist Gott, der sich als Geist ergießt.

Der Sohn ist, der im Vater weilt,
Im Sohn der Vater, ungeteilt;
Von bei den ist der Geist erfüllt;
Und doch in beiden eingehüllt.

Der Sohn ist, was des Geistes Hauch;
Und beide, was der Vater auch:
Nur höchste Wahrheit sind die Drei,
Nur höchste Liebe auch dabei."

Das ist der glaubwürdige Wortlaut der Glaubenslehre.

III. Die Seele im Vergleich mit der Dreieinigkeit

JÜNGER: Ich gestehe, dass ich nicht mehr als vor dieser Darlegung begreife.

MEISTER: Wir wollen nun damit anfangen, den Sinn durch einen Vergleich aufzuhellen, der gerechtfertigt ist, und den mit der Heiligen Schrift selbst fast alle Kirchenväter, fast alle Theologen und die Mehrzahl der christlichen Philosophen und andere angedeutet oder entwickelt haben. Es handelt sich um unsere Seele, die nach dem Bilde Gottes erschaffen ist, nach dem Bilde der allerheiligsten Dreieinigkeit, eine Wahrheit, die Bossuet so ausspricht:

Hymnus S. M.

O Luce qaue tua lates
Beata semper Trinitas;
Te confitemur, credimus
Pioque corde quaerimus.
Est totus in Nato Pater,
In Patre totus Filius;
Natoque plenus ac Patre
I nest utrique Spiritus.
O sancte sanctorum Pater,
O nate de Deo Deus:
o caritatis vinculum
Jungens utrumque spiritus.
Quod natus est, hoc Spiritus
Hoc est uterque quod Pater:
Tres una summa Veritas,
Tres una summa Caritas.
Ut se videt totum Pater
Coaeva Proles nascitur;
Amorque quo se diligunt
Et ipse procedit Deus.
(Aeterna Patri gloria,
Natoque sit cum Spiritu,
Qui vivit et regnat Deus
In saeculorum saecula.)

"Eine geschaffene Dreieinheit, die Gott in unseren Seelen bewirkt, stellt uns die ungeschaffene Dreieinigkeit vor."

Die Seele des Menschen, die wir als das größte und gottähnlichste Werk kennen, weil sie nach dem Bilde Gottes selbst erschaffen ist, bietet uns wahrlich ein Ebenbild der Dreieinigkeit.

JÜNGER: Ich weiß wohl, dass man in der Einheit der menschlichen Seele leicht eine Menge von Unterscheidungen und Gesichtspunkten findet, die, wenn man will, aus dreien hervorgehen. Aber das ist mir immer verworren und willkürlich erschienen. Ich habe niemals etwas Bestimmtes und Entscheidendes über diesen Gegenstand erfahren.

MEISTER: Betrachten Sie es hier nun noch einmal. Was springt in die Augen, wenn man die menschliche Seele betrachtet? Zwei Dinge: Vernunft und Wille. Ist dies eine willkürliche oder eine natürliche Unterscheidung?

JÜNGER: Das ist die richtige Unterscheidung.

MEISTER: Gut, Vernunft und Wille zeigt sich zunächst. Doch was erkennt man im Grunde hinter diesen beiden Kundgebungen?

JÜNGER: Darunter und im Grunde gibt es nur die Seele selbst, ein Wesen, das fähig ist, die Akte der Vernunft und des Willens hervorzubringen und zu tragen.

MEISTER: Das ist ganz richtig. Wir haben also unsere drei Glieder gefunden; die Seele selbst als Ursprung von allem, als das mit einer Zeugungskraft begabte Prinzip, dann die Vernunft und den Willen, die daraus hervorgehen. Das entspricht dem Vater, von dem der Sohn gezeugt wird und der Geist ausgeht: der Sohn genannt Wort, Licht, Weisheit, der Heilige Geist genannt Wille oder Liebe. Das nennt der hl. Thomas in Gott und in der Seele: "Prinzip des Wortes - und Wort - und Liebe."

Tatsache ist, dass unsere Seele ist, dass sie sich ihres Seins bewusst ist, und dass sie dieses Sein und dieses Bewusstsein des Seins liebt. Das sind die drei positiven Grade des Lebens. Das ist sehr einfach, nicht wahr? Diese so einfache Unterscheidung ist nun aber genau die gleiche, welche die Kirchenväter, der hl. Augustinus, der hl. Thomas von Aquin, Leibniz und Bossuet gesehen und beschrieben haben. Hätten sich alle diese großen Geister ersten Ranges in einem Unsinn verstanden und wiederholt?

Hören Sie den hl. Augustinus: "Wir müssen den Schöpfer in dem, was geschaffen ist, betrachten und darin die Dreieinigkeit erkennen."

"Und auch in uns selbst erkennen wir ein Abbild Gottes, jener höchsten Dreifaltigkeit ... Nämlich wir existieren, wir wissen um unser Sein, und wir lieben dieses Sein und Wissen."

"Der Geist, die Erkenntnis und die Liebe." "Wenn wir diese erkennen, erkennen wir die Dreieinigkeit nicht als Gott, sondern als Bild Gottes." - "Diese drei Dinge sind nicht drei Leben, sondern ein einziges Leben; auch nicht drei Seelen, sondern eine einzige Seele, eine einzige Wesenheit." Vernehmen Sie den hl. Thomas von Aquin:
"In der ungeschaffenen Dreieinigkeit unterscheidet man das Wort, das von dem erzeugt ist, der es spricht, und die Liebe, die von bei den ausgeht; ebenso kann man in der vernünftigen Natur, in der das Wort in der Erkenntnis gezeugt wird und die Liebe im Willen ausgeht, ein Bild der ungeschaffenen Dreieinigkeit, eine besondere Vorstellung dieser Art finden. In den anderen Geschöpfen findet man aber nicht das Prinzip des Wortes und das Wort und die Liebe. " Bossuet sagt: "Wir sind, wir erkennen und wir wollen ... Eine geschaffene Dreieinheit, die Gott in unseren Seelen bewirkt, stellt uns die ungeschaffene Dreieinigkeit vor."

"Das Ebenbild der Dreieinigkeit leuchtet herrlich im vernünftigen Geschöpfe wieder; ähnlich dem Vater hat es das Sein; ähnlich dem Sohn hat es Erkenntnis; ähnlich dem Heiligen Geist hat es Liebe; ähnlich dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist hat es in seinem Sein, in seiner Erkenntnis und in seiner Liebe ein ähnliches Glück und ein ähnliches Leben."

Leibniz sagt: "Da wir die ganze Natur nicht hinreichend kennen, können wir noch weniger versichern, dass es eine vollkommene Substanz weder gibt noch geben kann. Um indessen diese Begriffe durch irgend etwas Bekannteres begreiflich zu machen, finde ich in den Geschöpfen nichts geeigneteres, um diesen Gegenstand zu beleuchten, als das Nachdenken des Geistes, wenn ein und derselbe Geist sein eigener, unmittelbarer Gegenstand ist und auf sich selbst wirkt, indem er an sich und an das, was er tut, denkt." "Denn diese Verdoppelung gibt ein Bild oder einen Schatten von zwei wechselseitigen Substanzen in einer gleichen vollkommenen Substanz: nämlich von der, die erkennt, und von der, die erkannt wird. Die eine wie die andere ist etwas wirklich Einzelnes. Sie unterscheiden sich durch die gegenseitigen Beziehungen, aber sie machen nur eine einzige und gleiche, vollkommen einzelne Substanz aus ... Diese Verdoppelung ist also etwas wie eine Spur der göttlichen Persönlichkeiten." "Wenn die Heilige Schrift den Sohn das Wort, das heißt das geistige Wort nennt, scheint sie uns verstehen zu geben, dass nichts geeigneter ist, diese Dinge aufzuhellen, als die Entsprechung der geistigen Tätigkeiten. Darum haben auch die Väter den Willen auf den Heiligen Geist bezogen, wie sie den Verstand auf den Sohn und die Macht auf den Vater bezogen haben, indem sie das Können, das Erkennen und das Wollen oder den Vater, das Wort und die Liebe unterschieden."

IV. Unbeweisbarkeit, aber Widerspruchslosigkeit des Geheimnisses der Dreieinigkeit

JÜNGER: All diese Vergleiche sind sehr passend. Wenn unsere Seele das Ebenbild Gottes ist, muss sicher in Gott etwas Entsprechendes für dieses gleichzeitige Bestehen der Mannigfaltigkeit und Einheit vorhanden sein. Doch welche Verschiedenheit indessen! Ich sehe hier eine Verschiedenheit von drei Kräften oder Vermögen in der Einheit der menschlichen Person und dort einen Gott in drei Personen in einem einfachen Sein, so dass das Geheimnis ganz fortzubestehen scheint. Zwischen der göttlichen Dreieinigkeit, die der Katholizismus lehrt, und dieser Dreieinheit in der Seele liegt das Unendliche.

MEISTER: Wie Sie es gesagt haben, liegt das Unendliche zwischen den beiden, und das Geheimnis bleibt ganz und gar bestehen. Wie unsere Theologie lehrt, besteht das Geheimnis trotz all unserer Vergleiche ungeschmälert fort. Es handelt sich um eine unendliche Wahrheit, einen grundlosen Abgrund von Erkenntnis. Man könnte von dieser Erkenntnis trunken werden, solange der ganze Abgrund durch alle Zeiten hindurch fortbesteht. Maßen wir uns etwa an, durch unsere Vergleiche und Vernunftschlüsse Beweise zu liefern? Wir wollen dagegen nur zeigen, dass es in diesem Geheimnis nichts gibt, was die Vernunft verletzt. Vielleicht könnte man dann einen Schritt weitergehen.

JÜNGER: Welchen denn? Meinen Sie erläutern zu können, dass das Geheimnis wahr ist?

MEISTER: Unter einigen Theologen hat zum Beispiel der gelehrte Mastrofini zu Rom ein großes Werk über die Dreieinigkeit drucken lassen und Pius VII. gewidmet und dort behauptet, dass man unter Voraussetzung der Offenbarung des Geheimnisses aufzeigen kann, dass es wahr ist. In diesem Sinn sagt der hl. Thomas, dass man unter Voraussetzung der Dreieinigkeit viele Gründe findet, um sie zu stützen. Doch war in seinen Augen der Beweis nicht zwingend. Mastrofini und andere meinen, dass man unter Voraussetzung der dogmatischen Formel ihre Wahrheit aufzeigt. Man beweist, behaupten sie, dass Gott eine Dreieinigkeit ist, ohne das "wie" zeigen zu können, was also das Geheimnis bestehen lässt.

JÜNGER: Können Sie mir diesen Versuch andeuten ?

MEISTER: Dazu bedarf es ein wenig Philosophie; wollen Sie zwei Minuten Metaphysik anhören?

JÜNGER: Wir wollen es versuchen.

MEISTER: Der große philosophische Beweis für das Dasein Gottes, der eine der Hauptleistungen des menschlichen Geistes ist, und der vom Schauspiel der Welt und vom Selbstbewusstsein aus auf das Dasein Gottes schließt, erhebt sich kühn ohne Syllogismus, sondern durch einen Schwung, durch einen Übergang von der Erkenntnis und dem Bewusstsein des Endlichen zum Dasein des Unendlichen. Sie ffiüssen nun wissen, dass diese wunderbare . Beweisführung, die man den grundlegenden Akt und das Verfahren des vernünftigen Lebens nennen kann, noch weit davon entfernt ist, Früchte gebracht zu haben. Welch Unglück, dass wir die Abhandlung von Leibniz "über die Wissenschaft des Unendlichen" verloren haben, von welcher die Rechnung mit dem unendlich Kleinen ein Kapitel ausmcht. Wahrscheinlich musste nun der Beweis für das Dasein Gottes, der von der Erkenntnis und dem Bewusstsein des Endlichen auf das Unendliche schließt, das Hauptkapitel dieser großen Wissenschaft vom Unendlichen werden. Jedenfalls ist es sicher, dass das mathematische Verfahren in der Infinitesimalanalysis und das philosophische Verfahren im Beweis für das Dasein Gottes im Wesen das gleiche Verfahren unter zwei verschiedenen Formen sind, ein Verfahren, das einfach eine der beiden notwendigen Formen des menschlichen Denkens ist, welche die Vernunft überall anwendet.

Dieses Verfahren ist der ganze Beweisgrund für das Dasein Gottes nach Descartes, der alle anderen zusaffiffienfasst und im wesentlichen folgender ist:
Ich bin; also existiert ein notwendiges Wesen. "Wenn ich den Blick des Geistes auf mich selbst richte, so sehe ich nicht nur ein, dass ich ein unvollständiges, von einem anderen abhängiges Ding bin, ein Ding, das nach Größerem oder nach Besserem ohne Grenzen strebt, sondern zugleich auch, dass der, von dem ich abhänge, dieses Größere nicht nur in einer stets ohne Ende fortschreitenden Weise und der Möglichkeit nach, sondern wirklich unendlich in sich enthält - und also Gott ist."

Man kann und muss so vom unvollkommenen und endlichen Wirklichen, das man sieht, und das man ist, auf das unendliche, vollkommene Ideal schließen, das man geistig erfasst.

Immer und überall macht es so aus eigenem Antrieb oder wissenschaftlich die Vernunft wie das Herz, die Dichtkunst und das Gebet ebenso wie die Mystik. Das vollzieht die ganze menschliche Seele mit all ihren Fähigkeiten.

Doch da der menschliche Geist heutzutage noch sehr wenig entwickelt ist, und fast niemand, wie der hl. Thomas bemerkt, die ganze Kraft der Vernunft kennt, und da besonders heutzutage eine Afterwissenschaft die Logik wirklich verstümmelt hat, misstraut man diesen einfachen, raschen und sicheren Urteilen, die der gesunde Menschenverstand gleichsam instinktmäßig fällt. Man hat in der Metaphysik fast kaum noch das hauptsächlichste, fruchtbarste Verfahren der Vernunft anzuwenden gewagt. Man beschränkt sich auf den Beweis für das Dasein Gottes, und nur sehr wenig Denker haben die Tragweite und Strenge des Beweises begriffen. Ich glaube, dass das Verfahren des Übergangs (der Transzendenz) auf alle Zweige der Philosophie noch einmal angewendet werden wird. Dieses Verfahren würde von allen Dingen zu Gott führen, um ihn immer mehr zu erkennen, und würde vom besser erkannten Gott zu allen Geschöpfen zurückführen, um sie mit Licht zu übergießen, sie zu durchdringen und dort Gott wieder zu finden. Das ist auch in der Mathematik die Wirkung des Infinitesimalverfahrens, das von jeder endlichen Größe zum entsprechenden Unendlichen übergeht und vom Unendlichen zur endlichen Größe herabsteigt, um sie bis auf den Grund zu durchdringen und in ein Licht zu tauchen, welches das Betrachten des Endlichen für sich allein nicht geben kann. Von jeder endlichen Größe das Dasein und die Wahrheit des entsprechenden Unendlichen erschließen, von einem zum andern durch Aufhebung der Grenzen übergehen, sich kühn bis zum gedachten Zielpunkt alles Strebens und aller Wünsche erheben, das ist der Akt des Übergangs (der Transzendenz) oder der Induktion, den die Seele und die menschliche Vernunft von selbst bewirken, und den die Wissenschaft eines Tages, wenn sie endlich von den Fesseln einer verstümmelten Logik frei geworden ist, überall anwenden wird.

Wenn man nun aber auf die gesamte endliche Natur in großen Zügen das Verfahren des Übergangs anwendet, wohin gelangt man dann?

Wir finden zuerst im Ganzen der Natur, dann in jeder lebenden natürlichen Gesamtheit das unvermeidliche Miteinanderbestehen von Einheit und Mannigfaltigkeit. Doch überall ist die Einheit unvollkommen, zusammengesetzt und teilbar mit Ausnahme der Einheit der menschlichen Person, die von allen geschaffenen Dingen die einfachste ist. In jedem geschaffenen Wesen ist außerdem der Unterschied und die Mannigfaltigkeit unvollkommen wie die Einheit. Jede geschaffene Vielheit und Mannigfaltigkeit ist in gewissem Sinn einförmig, oberflächlich und vergänglich. In der ganzen Natur bewegt sich alles im Ganzen, wandelt sich um und vermischt sich. Es gibt scheinbar nichts so gründlich Verschiedenes wie die Vielheit der menschlichen Personen. Wenn man unter obigen Voraussetzungen diesen Gedanken der Einheit bis zum Unendlichen fortführt, von dem jede Gesamtheit in dieser Welt ein unvollkommenes Bild darstellt, wird man die Vorstellung der vollkommenen Einfachheit, des wesensgleichen, einzigen Seins haben. Wenn man den Begriff des Unterschiedes bis zum Unendlichen denkt, von dem die Mannigfaltigkeit der Wesen ein Bild darstellt, dann wird man den vollkommenen Unterschied, den Unterschied von Person zu Person haben, welcher der höchste Unterschied ist. Man hat, behaupte ich, die Unterschiede von unendlichen, notwendigen und vollkommen einfachen Persönlichkeiten. Wenn man endlich das gleichzeitige Bestehen der Einheit und Vielheit unbedingt und vollkommen voraussetzt, die uns in allen Dingen auffällt, so hat man die Vielheit von Personen in der wesensgleichen, einfachen Einheit. Da überdies in jeder Gesamtheit der grundlegende Unterschied dreifach ist, und da überall die Dreiheit der Einheit entspricht, besonders in den Vermögen der Seele und in den Ausdehnungen des Raumes, wo diese dreifache Unterscheidung nichts Willkürliches an sich haben kann, können wir nur auf die Dreiheit von Personen in der vollkommenen Einheit des unendlichen Seins schließen, das Gott ist.

V. Das übernatürliche Leben des Dreieinigen Gottes in der Seele

JÜNGER: Darin findet sich manches Merkwürdige und Wahrscheinliche, sogar Logik, wenn sie wollen. Ihre Gründe zerstreuen meine Vorurteile, die mich bisher in einen Gegensatz zur Glaubenslehre der Dreieinigkeit gebracht zu haben schienen. Ihre Gründe gelten sogar mehr, doch führt mich all das noch nicht zur ausdrücklichen Überzeugung, dass Gott ein einziger Gott in drei Personen ist.

MEISTER: Ich verstehe es vollkommen. Die Beweisführung führt nicht zum Glauben und selten zur Gewissheit, besonders nicht die feinen, schwierigen wissenschaftlichen und metaphysischen Beweise. Denn, wie es Pascal gesagt hat, "wenn sie auch den einen oder andern überzeugten, dann nur für die Zeit der Beweisführung eine Stunde nachher fürchten sie, sich getäuscht zu haben." Wenn nur ein einziger kleiner Ring dieser ganzen Kette ein Trugschluss ist, ist alles falsch. Auch wenn ich die ganzen vorhergehenden Schlussfolgerungen für wahr halte, scheinen sie mir noch nicht sieghaft.

Doch vernehmen Sie eine einfache Behauptung, die mir entscheidender zu sein scheint, und die ich wirklich für wichtig und geeignet halte, sie zu überzeugen.

JÜNGER: Schauen wir zu.

MEISTER: Gott ist einer; die Einheit Gottes steht außer Zweifel, nicht wahr?

JÜNGER: Sicherlich, die Einheit Gottes ist eine notwendige Wahrheit.

MEISTER: Wenn also Gott notwendig einer ist, ist es dann andererseits möglich, dass Gott "wie man gesagt hat, nur ein schrecklicher Einsiedler ist, der in unendlicher Selbstsucht lebt ? Es muss also in dieser Einheit eine große Gesellschaft geben, die dem hl. Johannes zu sagen erlaubt: "Gott ist die Liebe" (1 Joh 4, 16).

Mehrere in einem ist der Traum der bis ins Unendliche gesteigerten Liebe. Ich wage es zu sagen, dass es das vollkommene Ideal ist. Also ist es Gott.

JÜNGER: Das scheint klarer als das übrige.

MEISTER: Man kommt zu diesen göttlichen Geheimnissen mehr durch das Herz als durch die Vernunft. Man kommt zum lebendigen Glauben an dieses göttliche Geheimnis, wenn man in seinem Herzen die göttliche Liebe besitzt, denn dann trägt man es in sich. In der körperlichen Welt sehen wir die Spuren dieses Geheimnisses; in der geistigen Welt sehen wir ein blasses Bild, welches das Denken Punkt für Punkt vor unseren Augen entrollt. In der Welt der Liebe tragen wir es in uns. Hier werden wir als Führer Christus selbst antreffen. Sehen Sie, was Christus über die drei göttlichen Personen und ihre Einwohnung in uns gesagt hat. Geben Sie genau acht, denn jedes Wort ist ein Herd voll Licht, und alle Worte dieses schönen Textes sind in irgend einer Weise nur eines, so sehr schließen alle den gleichen Gedanken ein.

"Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote. Und ich will den Vater bitten, dass er euch einen anderen Beistand gebe, der in Ewigkeit bei euch bleibe:

Den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und ihn nicht kennt. Ihr jedoch kennt ihn; denn er wird bei euch bleiben und in euch walten.

Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch.

Nur noch eine kleine Weile, und die Welt sieht mich nicht mehr. Ihr aber werdet sehen, dass ich lebe, und auch ihr sollt leben.

An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und dass ihr in mir seid und ich in euch.

Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich Iiebt, der wird von meinem Vater geIiebt, und auch ich will ihn Iieben und mich ihm offenbaren.

Judas, nicht der Iskariote, fragte ihn: ,Herr, wie kommt es, dass du dich uns und nicht der Welt offenbaren willst?'

Jesus antwortete ihm: ,Wer mich liebt, wird mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

Wer mich aber nicht liebt, hält meine Worte nicht. Das Wort aber, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.

Dies sage ich euch, da ich noch bei euch weile. "Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe."

JÜNGER: Das ist schön.

MEISTER: Man kann nie tief genug diese unvergleichlichen Worte ergründen: man hat im Geist nie Erleuchtung und im Herzen nie Liebe genug, um wahrzunehmen, was erleuchtetere, liebendere Seelen in ihnen sehen.

Der göttliche Meister sucht dem Geist nicht eine Formel einzuprägen, wenn er spricht; sondern er erzählt, wie das Leben der allerheiligsten Dreieinigkeit in sich selbst und in den Seelen beschaffen ist.

Schauen Sie diese Gleichförmigkeit, diese Gemeinschaft und dieses gemeinsame Leben des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und diesen lebendigen, fortwährenden Verkehr vom einen zum anderen! Sie sind gemeinsam; sie leben beisammen, sie fragen sich, bitten sich, hören sich, inspirieren sich, senden sich und gehorchen sich gegenseitig. Sie offenbaren sich einer dem anderen; sie wollen das gleiche; sie sagen zusammen die gleichen Worte. Sie lieben zusammen; sie sind zusammen sichtbar für die, welche lieben, unsichtbar aber für die, welche nicht lieben.

Sie kommen gemeinsam in diejenigen, welche einen von ihnen lieben; sie kommen nur zu denjenigen, welche lieben. Wenn man das fleischgewordene Wort liebt, übt man die Liebe aus; wenn man das tut, liebt einen der Vater, der Sohn offenbart den Vater und offenbart sich selbst. Das Wort bittet den Vater, und der Vater sendet den Geist im Namen des Sohnes. Der Geist belebt in uns dann alle Worte des Sohnes, welche die gleichen Worte des Vaters sind.

Man lebt dann, und im Leben erkennt man den, der lebt, nämlich Gott in seiner ewigen Gemeinschaft. Man kennt ihn, weil man ihn in sich trägt. Das heißt wahrhaft leben. Leben heißt sein wie Gott und mit Gott, der das Leben ist, mehrere in einem.

"Wenn einer mich liebt, sagt Jesus Christus - ich gehe auf den Text näher ein, um ihn besser zu betrachten - so will ich den Vater bitten, und mein Vater wird in meinem Namen ihm einen anderen Beistand, den Heiligen Geist, senden. In denen, die lieben, wird mein Vater sein; ich werde bitten; der Heilige Geist wird in ihnen leben, aber nicht in denen, die nicht lieben. Ich bin in meinem Vater, und mein Vater ist in mir. Der Heilige Geist geht vom Vater aus, der ihn sendet, und von mir, denn er kommt in meinem Namen, durch mein Gebet. Wir sind zusammen in der Seele, die liebt, in der Seele, die lebt; der Heilige Geist wiederholt meine Worte in den Seelen, wie ich die Worte meines Vaters wiedergab. Mein Vater sendet mich; mein Vater und ich senden den Heiligen Geist. Wir gehen hervor aus meinem Vater, ich und der Geist; mein Vater sendet uns zu denen, die lieben; er ist dort mit uns: Ich offenbare mich ihnen; ich offenbare den Vater, indem ich mich offenbare, und der Heilige Geist erneuert in den Herzen diese Offenbarung." Bemerken Sie nun, dass Christus zu den Menschen sagte:
"Ihr seid in mir und ich in euch" (Joh 14, 20).

Er vergleicht sich als Mensch mit anderen Menschen. Er drückt eine Art Gleichheit in dieser Beziehung aus, die darin besteht, eins zu sein. Anderswo sagt er, als er zu den Menschen von seinem Vater sprach: "Damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin; so sollen auch sie in uns eins sein" (Joh 17, 21).

Diese letzten Worte sind ein ausdrücklicher Vergleich, der aus dem Munde Jesu Christi selbst hervorgegangen ist. Christus vergleicht die Einheit mehrerer Seelen mit der Einheit der Personen in der allerheiligsten Dreieinigkeit. Er vergleicht die Gemeinschaft der Herzen mit der ewigen, wesensgleichen Gemeinschaft.

Das ist gerade das Herz des Christentums: "Damit sie eins seien, wie wir eins sind" (Joh 17, 22).

Glauben Sie es daher wohl, wenn man lieben würde, wenn man zum Ziele der idealen Gemeinschaft, zur Liebe und Einheit kommen würde, wenn man Gott und seine Brüder liebte, würde man an die Dreieinigkeit glauben. - Man würde an die Vielheit der Personen und Herzen in der Einheit glauben. Es ist das ein Geheimnis, von dem man in sich zwei Bilder und die Wirklichkeit trägt. Zunächst hat man in sich die Wirklichkeit, weil Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in uns sein werden; dann zwei Bilder, das eine immer ein wenig einsam und verlassen, von dem Christus nicht gesprochen hat: das Bild unseres Wortes und unseres Wollens selbst; das andere lebendig, bevölkert und beseelt, von dem Christus spricht: das Bild der Gemeinschaft und Vielheit der Seelen, an das unsere Seele in Liebe und Vereinigung rühren würde.

Warum versteht man es noch nicht, dass die Seelen sich berühren und tragen, sich empfinden und durchdringen von einem Ende der Welt zum anderen, wie Fénelon sagte, und dass das große apostolische, einfache Wort:
"Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele" (Apg 4, 32) eine himmlische, anbetungswürdige Wahrheit ist, die gleiche wie der letzte Wunsch Christi:
"Damit sie eins seien, wie wir eins sind" (Joh 17, 22).

Ach, da wir in die Finsternis und Schranke der Selbstsucht gebannt sind, schmachten wir einsam dahin; wir sehen, verstehen und empfinden nichts von anderen Herzen. Wir sind allein und trotzdem Sklaven. Wir sind allein, haben aber nicht einmal die Freiheit der Wüste. Wir sind Sklaven, da Geist und Wille von anderen, die mich nicht zu durchschauen wissen, und die ich nicht durchdringen kann, mich überall mit unzähligen Banden und unsichtbaren Ketten fesseln, während ich für andere durch alles Wollen und Denken nur Hindernis, Fessel und Widerspruch bin. Wir sind Sklaven, und trotzdem sind wir allein. Ich bin allein, wenn auch durch Widerspruch und Widerstand von anderen gebunden, da ich von meinem Nächsten nur eine feste Schranke, nur einen undurchdringlichen Körper empfinde, durch den ich ihn weder sehen, noch von ihm gesehen werden kann.

So verfallen infolge der Abgeschlossenheit, merken Sie es wohl, die Persönlichkeiten. Weil wir nicht eins sind, können wir kaum bestehen. Jeder allein von uns gilt nur wenig, weil wir nicht gemeinschaftlich leben. Es gibt wenig menschliche Persönlichkeiten. Man begegnet auf Erden meist nur vernichteten Menschen, die durch Abgeschlossenheit und Trennung wieder dem Nichts nahekommen. Es gibt wenig Menschen im eigentlichen Sinne, weil die Menschheit zerstreut ist. Es würde darum mehr Menschen geben, wir würden zahlreicher sein, wenn wir mehr eins sein könnten. Die Einheit also, die Einheit in den freien Geistern ruft nach der Zahl, und die Zahl ruft nach der Einheit. Die Seelen sind einfach; es sind gleichsam Punkte in der geistigen Welt. Die irdische Mathematik selbst weiß wohl, dass, so viel Punkte man auch nimmt, alle nur einen ausmachen können.

Diese Art Einheit, die nicht Einsamkeit ist, und diese Art Vielheit, die nicht Teilung ist, nennt der hl. Thomas von Aquin die transzendente oder metaphysische Einheit und Vielheit. Von ihr sagt Bossuet: "Die Einheit und Mannigfaltigkeit sind nicht so unvereinbar, wie man denkt."

Das erlaubt dem hl. Hilarius von Poitiers zu sagen: "Unser Gott ist nicht einsam, obwohl er einer ist."

JÜNGER: Das ist schön, und ich möchte daran glauben.

MEISTER: Wollen Sie das praktische Mittel wissen, um zum Glauben an die allerheiligste Dreieinigkeit zu kommen?

JÜNGER: Ja.

MEISTER: Tun Sie dann, was die Heilige Schrift sagt: "Sei stark und zeige dich als Mann" (1 Kön 2, 2).

Seien Sie mutig; seien Sie Herr über sich selbst; tun Sie das Gute, das Sie erkennen; seien Sie mutig, fleißig, enthaltsam und mäßig. Lernen Sie es, "heldenmütig zu handeln und zu leiden", wie die Römer sagten. Dann wird Ihre Seele, die sozusagen nicht mehr da war, wieder bestehen; sie wird sein. Sie wird das Ebenbild und die Frucht des Vaters sein. Ihre Seele wird leben, weil es in ihr lebendige Wirklichkeiten, freie Tätigkeiten geben wird. Die Anstrengung hat Ihrer Seele einen Grad persönlichen Seins gegeben, das sie nicht hatte. Sie werden durch mutvolles Ringen Mensch sein. Das gerade will Gott. Er will, dass der Mensch in gewissem Sinne aus sich selbst wie Gott ist.

Sobald Ihre Seele leben wird, werden Sie in sich ein großes Licht aufgehen sehen, in dessen Gegenwart das vergangene Leben dunkel erscheinen wird. "Die Sonne der Erkenntnis ist uns nicht aufgegangen" (Weish 5, 6), sagt die Heilige Schrift von den Bösen. Diese Sonne wird sich über Sie erheben. Dies Licht wird nicht die verwünschte Klarheit sein, von der Bossuet sprach: "Fluch der unfruchtbaren Erkenntnis, die es nicht zum Lieben bringt und sich selbst verrät !" Ihre Erkenntnis wird lebendig sein. Das heilige Feuer, die Liebe zu Gott und ihren Brüdern wird wie der Geist Gottes aus Ihrer Kraft und Ihrem Lichte hervorgehen. Sie werden das Leben, das Werk und den Tod Christi verstehen und seinen Geist in Ihre Seele aufnehmen, die ein Ebenbild Gottes geworden ist.

In dieser Liebe werden Sie nicht mehr allein sein. Sie werden in die heilige Gemeinschaft der katholischen Kirche eintreten, in die "allgemeine Versammlung" Gottes und in die Vereinigung der Seelen, die sich in Liebe und Einheit berühren. Sie werden nicht mehr zerstreut, sondern mit ihren Brüdern geeint sein, einer mit mehreren, wie die göttlichen Personen eins sind.

Wenn Sie dann vereint und nicht mehr als einsame Seele leben werden, glauben Sie, dass Gott nicht selbst in Ihnen sein wird?

In voller Wahrheit sagte Jesus Christus: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18, 20).

Gott selbst wird in Ihnen sein. Ihre Seele wird ihn tragen, wie Brenngläser, die auf die Sonne gerichtet sind, in sich das wirkliche Bild des Gestirnes tragen, das die Welt belebt.

In solcher Weise trägt man in sich zwei Bilder und die Wirklichkeit des ewigen Geheimnisses und glaubt daran.

Viertes Zwiegespräch: Die Erlösung

"Der empfangen ist vom Heiligen Geist,

geboren aus Maria der Jungfrau,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben, abgestiegen zu der Hölle,
am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
sitzet zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,

von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und Toten."

I. Die Erbsünde und die Wiedergeburt

JÜNGER: Ich habe alles verstanden, was Sie mir gesagt haben. Ich glaube ganz fest an Gott, unseren allmächtigen, allgütigen Vater, den Schöpfer der Welt und der Menschen. Ich füge hinzu, dass ich den Gedanken der Menschwerdung verstehe. Ich glaube, dass Gott das Geschöpf zu sich erheben und in seiner unendlichen Güte mit sich zur höchsten Vereinigung verbinden kann. Ich gebe zu, dass diese Vereinigung persönlich, hypostatisch ist, und dass man sie Menschwerdung nennt. Die Menschwerdung, wie sie die katholische Theologie lehrt, ist möglich. Ich sage das gleiche von der Dreieinigkeit. Die Gründe für dieses letzte Geheimnis sind stärker als alle Einwendungen. Dennoch habe ich keinen Glauben. Ich besitze ihn nicht von allem. Wenn ich aufrichtig sein darf, so machen Sie, wenn Sie wollen, bei hundert, bei tausend Personen, die nicht glauben, die Probe, wie wenige wohl durch diese Darlegungen bekehrt würden !

MEISTER: Sehr wenig.

JÜNGER: Doch weshalb wohl, wenn die Seele von Natur aus den Sinn für das Wahre hat, und wenn das, was Sie sagen, wahr ist.

MEISTER: Ich weiß, dass Tertullian von der "von Natur aus christlichen Seele" gesprochen hat. Aber Jesus Christus hat auch gesagt:

"Jeder, der Böses tut, hasst das Licht" (Joh 3, 20). Bossuet hat eine seiner Reden betiteln können:

"Vom Hass der Menschen gegen die Wahrheit." Daher rührt es, dass die christliche Wahrheit so viel Hindernissen begegnet, obwohl die Seele von Natur aus christlich ist, das heißt, dass sie geradenwegs zum Christentum kommt, sobald sich ihr die Wahrheit öffnet.

Der Glaube an Jesus Christus entsteht in den Seelen, wie Jesus Christus selbst in der Welt gezeugt wurde. Er ist empfangen vom Heiligen Geist und geboren aus Maria der Jungfrau. Ebenso wird das wahre Licht, der lebendige Glaube, welcher im Besitz des Wortes besteht, nur durch die Tätigkeit des Heiligen Geistes in einem reinen Herzen empfangen.

"Selig, die reinen Herzens sind," sagt das Evangelium, sie werden Gott anschauen (Mt 5, 8).

JÜNGER: Es ist sicher unbestreitbar, dass Verbrechen, Laster, überhaupt alle Verkehrtheiten mächtige Hilfstruppen des Unglaubens und ebenso viele Hindernisse für die Religion sind. Doch warum sieht man auch untadelige Herzen und nach Erkenntnis begierige Seelen über das Christentum unschlüssig sein oder sich gar dagegen wenden?

MEISTER: Verstehen wir uns recht. Ich behaupte, dass jedes jungfräuliche, makellose Herz christlich ist. Eine Ausnahme ist unmöglich. Aber ich füge hinzu, dass diejenigen, welche man untadelig nennt, und die sich vielleicht selbst dafür halten, notwendig wenigstens eine Sünde haben.

JÜNGER: Welche denn?

MEISTER: Diejenige, die wir Erbsünde nennen.

Jeder Mensch trägt diese Sünde oder ihre Folgen in sich.

JÜNGER: Das ist unbegreiflich, und wie ich zu sagen wage, unerträglich. Alles, was bis jetzt gesagt wurde, ist möglich. Ich spüre dafür eine Neigung. Aber dies ist ein Stein des Anstoßes. Wollen Sie mich an die Ungerechtigkeit Gottes glauben lassen? Muten Sie mir zu, als Glaubenssatz zuzugeben: Der Mensch wird sündhaft geboren? Dagegen empfinde ich eine unmittelbare, unwiderstehliche Abneigung aller Fähigkeiten meines Herzens.

MEISTER: Lieber Bruder, urteilen Sie nicht, bevor Sie nicht verstanden haben. Habe ich denn nicht ein Herz wie Sie? Waren nicht alle diese liebevollen Christen, die auf Erden Engel waren, wie Sie voll Eifer für die Gerechtigkeit Gottes und das Schicksal ihrer Brüder?

Nun beachten Sie aber zunächst, dass die Erbsünde ebenso eine Tatsache wie ein Glaubenssatz ist. Ist es zweifelhaft, dass wir alle in Selbstsucht geboren sind? Sie sehen es wie ich; jeder sieht es.

JÜNGER: Zweifellos.

MEISTER: Nun hat aber die Selbstsucht, in der wir geboren werden, dieser Hang zur Sünde und Ungerechtigkeit, eine Ursache. Diese Ursache nennen wir Erbsünde.

Man wird dieses Wort erklären und diese Ursache kennen lernen. Zunächst liegt aber die Tatsache der Selbstsucht, in der wir geboren werden, vor unseren Augen.

Es bleibt nur übrig, diese Tatsache mit der Gerechtigkeit Gottes zu versöhnen. Seien Sie überzeugt, dass einem dies gelingt. Denn da wir die Tatsache vor Augen haben, und die Gerechtigkeit Gottes im voraus feststeht, so folgt daher, dass ein Ausgleich bestehen muss, selbst wenn man ihn nicht sieht.

JÜNGER: Sie überraschen mich. Lassen Sie mich nachdenken. Sie sagen, dass die Erbsünde ihrer Spur oder sichtbaren Wirkung nach die Selbstsucht ist, in der wir geboren werden?

MEISTER: Ja, das drückt Pascal sehr gut aus, wenn er schreibt: "Die Ungerechtigkeit ist uns als böses Angebinde in die Wiege gelegt worden, denn wir sind von Natur alle eigennützig. Aber das widerspricht aller vernünftigen Ordnung; denn man muss gemeinnützig denken und handeln. Die Selbstsucht ist der Anfang aller Verwirrung im Kriege, in der Verwaltung, im Haushalt, im menschlichen Körper."

"Wer in sich nicht die Eigenliebe hasst und die Neigung, sich Gott gleich zu achten, ist ganz und gar verblendet. Wer sieht nicht, dass nichts so sehr der Wahrheit und Gerechtigkeit widerspricht? Denn es ist falsch, dass wir es verdienen; es ist unrecht und unmöglich, es zu erreichen, weil alle das gleiche verlangen. Wir werden also in einem offenbaren Unrecht geboren, aus dem wir uns selbst niemals befreien, sondern nur von einem andern erlöst werden können.

"Gleichwohl hat keine Religion bemerkt, dass es sich um eine Sünde handelt, dass wir in ihr geboren werden und sie bekämpfen müssen, keine hat daran gedacht, uns Heilmittel an die Hand zu geben." So ist der Glaubenssatz der Erbsünde kein Stein des Anstoßes für diejenigen, die zum Christentum kommen wollen; sie ist eine durch ihre Wahrheit bewiesene Macht.

Die Wahrheit liegt darin, dass wir alle in einer lächerlichen Selbstsucht und in einem ungeheuerlichen Hochmut geboren werden. Wir werden in einer wesentlichen Ungerechtigkeit geboren, welche die Ursache all unserer Sünden ist. Das Christentum allein unternimmt es, dies Übel aufzudecken und anzugreifen.

JÜNGER: Ich hatte niemals über die angeborene Selbstsucht nachgedacht. Es ist wahr, wir alle werden zu uns selbst gewandt und von Gott und unseren Nächsten abgewandt geboren.

MEISTER: Möge man also daran denken. Wir werden in dem Zustand geboren, von dem der hl. Augustinus spricht:
"Die Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes, bis zur Verachtung von allem."

Danach strebt alles. Unser Wille ist in ähnlichem Zustand wie unser Auge geboren, das natürlicherweise die Welt als Himmelsgewölbe und Gesichtskreis, das heißt Himmel und Erde unter der Gestalt einer Kugel sieht, deren Mittelpunkt unser Auge ist. Ganz genau so sieht unser Geist die Welt im Kreis um sich angeordnet, und unser Wille will sie ebenso zurechtlegen. Für jeden von uns ist das Ich der Mittelpunkt der Welt. Die Welt bin ich, das ist der geheimnisvolle Gedanke jeder Seele. Diejenigen, die zu lieben glauben, haben oft keine andere Liebe als eine Eigenliebe zu zweien, die spricht: Die Welt sind wir, wir beide.

Das ist der Zustand des menschlichen Herzens. Wir befinden uns in angeborener Selbstsucht. Aus ihr stammt die gegenwärtige Richtung unseres Willens. Die Vernunft, die schnell die natürliche Sinnestäuschung verbessert und uns lehrt, dass das Auge keineswegs der Mittelpunkt von Himmel und Erde ist, wird selbst in ihren philosophischen Untersuchungen oft durch Selbsttäuschungen des Herzens zu großen Absonderlichkeiten fortgerissen. Wer weiß nicht, dass der den philosophischen Zeitaltern so natürliche Pantheismus die tiefe Selbstsucht einschließt, die sagt: die Welt bin ich? Weiß man nicht, dass eines der letzten deutschen Systeme, dessen Einfluss noch fortbesteht, um die unsaubersten Lehren zu pflegen, diese ungeheuerliche Formel als wahr annimmt: Die Welt bin ich? Das hatte man den transzendentalen Egoismus genannt.

JÜNGER: Man darf aber der Selbstsucht des menschlichen Herzens nicht zu viel zuschreiben,

MEISTER: Was kann aber sonst die Ursache dieser auffallenden Tatsache sein? Gott hat uns nicht so erschaffen, und meine Vernunft sieht keine andere mögliche Erklärung als die der katholischen Glaubenslehre. Mit eigenen Augen sehe ich, dass Laster und Krankheiten eines Vaters, die er sich frei zuzog, verhängnisvoll auf seine Kinder durch die Erzeugung übergehen können. Daraus schließe ich, dass unser angeborenes Laster, unsere geistesverwandte Selbstsucht ein Väterliches Erbteil ist. Da die Tatsache feststeht, kann es keine andere Ursache geben. Wir fügen hinzu, dass diese Fortpflanzung der Erbsünde auf Grund der gegenseitigen Verantwortlichkeit (Solidarität) des Menschengeschlechtes stattfindet. Die Menschheit hat im gewissen Sinne nur ein Herz, eine Seele und einen Körper. Wenn auch diese wunderbare Gemeinschaft uns in Selbstsucht und Sünde versenkt zum Leben bringt, liefert sie doch uns auch überreichen Ersatz. Wir werden es anderswo sehen.

JÜNGER: So behaupten Sie also, dass wir in Ungerechtigkeit geboren werden und irgendwie in die Sünde verstrickt sind, und Sie erblicken darin keine Ungerechtigkeit für das Einzelwesen? Wir sind gegenseitig verantwortlich (solidarisch), gewiss; aber wir sind frei. Jeder Mensch ist Mensch, und er muss nur für sich Rechenschaft ablegen. Das lehrt die Vernunft, das Evangelium selbst und Ihr eigener Katechismus, ausgenommen das Kapitel von der Erbsünde.

MEISTER: Was sie sagen, ist wahr. Der Mensch ist Mensch durch seine Freiheit und, wie ich hinzufüge, durch die Erprobung seiner Freiheit. Nun besteht aber diese Erprobung der Freiheit gerade im Kampfe gegen das in uns wohnende Übel. Wir werden also im Kampfe geboren. Ist das ungerecht? Die Erbsünde lässt uns gerade in diesem Kampfe geboren werden, der jedenfalls unter dieser oder einer anderen Form unvermeidlich und notwendig war. Gott lässt uns angesichts der Sünde in der Selbstsucht geboren werden, umringt von der Schlange, die jeder Mensch ersticken muss, wenn nicht schon in seiner Wiege wie Herkules, dann wenigstens einmal in seinem Lebenslaufe. Die Prüfung ist notwendig: sie beginnt in der Wiege; ist das ein Übel? Sie beginnt, vergessen Sie das nicht, unter den Augen und Händen des Vaters. Findet er es nicht vielleicht gerade gut für unsere wachsenden Kräfte, nicht an einem Tage im Frieden und fern vom Feinde zu erstarken, wie es für den Sohn des Seemanns gut ist, im Sturm geboren zu werden und dort seine Kindheit zu verleben?

JÜNGER: Ja, aber was bedeuten dann ewige Strafen, die für das in der Sünde geborene Wesen bestimmt sind, das in der Geburt stirbt, das nicht gekämpft und keine freiwilligen Fehler begangen hat, da ihm keine Zeit dazu gegeben war? Diese Lehre ist eine Gotteslästerung. Niemals werde ich sie zulassen.

MEISTER: Ich denke da ganz wie Sie; aber jene Lehre ist keineswegs mein Glaube. Mein Glaube lehrt mir nicht, dass ewige Strafen dem Wesen bestimmt sind, das keinen freiwilligen Fehler begangen hat.

"Die Güte Gottes duldet nicht," sagt die Theologie, "dass ein Wesen mit ewigen Strafen gequält wird, das einer freiwilligen Schuld nicht fähig war. Das Gegenteil behaupten wäre gegen die ausdrückliche Lehre der Kirche."

Was sagt uns der hl. Thomas von Aquin über das ewige Schicksal der ohne Taufe verstorbenen Kinder?

"Sie sind mit Gott vereint", sagt er, "durch die Teilnahme an den natürlichen Gütern; so können sie ihn auch durch eine natürliche Erkenntnis und Liebe genießen."

JÜNGER: Sie setzen mich sehr in Erstaunen.

MEISTER: Zweifellos, da Sie wie viele andere die Gewohnheit haben, der katholischen Kirche eine Lehre unterzuschieben, die nicht ihre ist.

JÜNGER: Wenn die Dinge so erklärt werden, sehe ich keine Ungerechtigkeit mehr in der Lehre von der Erbsünde. Aber sagen Sie mir, wie die katholische Theologie den Kampf des freien Willens gegen die Selbstsucht und die Sünde versteht und beschreibt? Welches sind die äußeren Umstände des Kampfes und die Aussichten für den Sieg?

MEISTER: Es sind folgende.

Das Leben ist nichts anderes als die von Gott dem Menschen zur Überwindung gegebene Zeit. Der Mensch wählt täglich und auch im ganzen Leben zwischen den beiden vom hl. Augustinus verkündeten äußersten Grenzen: "Zwischen der Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes und seiner Brüder und der Liebe zu Gott und seinen Brüdern bis zur Selbstverachtung." Der Mensch lebt zwischen diesen beiden Richtungen und wählt durch sein Leben eine von beiden.

Schauen Sie den Menschen, wie er geboren wird. Er ist ganz in Selbstsucht eingehüllt. Er wird geboren, wie eine Eiche entsteht, die ganz unter der Schale einer Eichel verschlossen war. Die Schale ist die Selbstsucht. Doch der Mensch ist ein freier Keim. Er kann in seinem Keim unter der Schale sterben, wenn er will; er kann sich zum Leben erheben, wenn er will. Schauen Sie ihn nun wie einen Samen auf Erden liegen. Aber Gott, der über Gute und Böse seine Sonne aufgehen lässt und seinen Tau spendet, wie das Evangelium sagt (Mt 5, 45), spendet seine Sonne und seinen Tau diesem Samen und öffnet ihn oder regt ihn an, sich zu öffnen. Er ist in ihm und zieht ihn an. Jener aber schwankt unschlüssig in seiner bloßen Freiheit zwischen Selbstsucht und Liebe. Nun aber verweigern endlich unter allen Seelen, mit denen die Erde besät ist, die einen das Leben Gottes oder werfen es von sich, nachdem sie es empfangen hatten, und verunglücken: die anderen empfangen es und werden aus Gott geboren, wie das Evangelium sagt (1 Joh 1, 13).

JÜNGER: Können Sie mir die gleichen Dinge ohne Bilder erklären?

MEISTER: Gern. Die ganze Folge des Lebens ist nur ein fortwährendes Ringen der Liebe mit der Selbstsucht. Es ist eine Arbeit Gottes, der von dem Herzen geliebt werden will, das zuerst nur sich liebt.

"Gott will, dass wir ihm unser Herz geben, und wir wollen es ihm nicht geben; das ist die ganze Frage," sagte Frau von Sevigne. Jeder Schlag unseres Herzens, und das ist buchstäblich wahr, schließt eine Bewegung von Gott ein, der dieses Herz nehmen will, und eine Bewegung vom Menschen, der es zurücknimmt. Jede Empfindung, jede Erregung, jedes Schauspiel, jede Leidenschaft, Verlangen oder Furcht, Freud oder Leid, das Leben endlich in all seinen Formen ist nur die Folge und die unaufhörliche Mannigfaltigkeit der Antriebe Gottes, um uns für seine Liebe zu gewinnen. Gott, so haben wir gesehen, ist in all unseren Gedanken, unseren Empfindungen und Bewegungen, im natürlichen und geistigen Licht, das uns erleuchtet, in der Sonne, in allen Geschöpfen, in der Luft, die man atmet, im Geschmack und in den Substanzen, die uns ernähren. In all diesen Geschöpfen, unter all diesen Gestalten, die ein heiligmäßiger Lehrer "natürliche Sakramente" nennt, unter noch anderen Formen und anderen Einflüssen, von denen wir hier nicht sprechen, kommt Gott und klopft täglich tausendmal an das Menschenherz, um in ihm dieses Bewusstsein des Lebens zu wecken, das sagen will: Gott und ich. Aber an statt jedesmal zu antworten: "Gott, Gott" wiederholt die Seele, die blinde, törichte Seele ihren traurigen, unfruchtbaren und eintönigen Schlussreim : "Ich, Ich !"

Das ist die Geschichte der Seele. So lebt sie bis zu dem Augenblick, wo sie ernstlich widersteht, dadurch sich verhärtet und unheilbar, unempfindlich für die Heilshandlung Gottes wird, was zwar nur im letzten Augenblick des Lebens möglich ist; oder sie lebt bis zu dem glücklichen Augenblick, wo sie durch eine Entscheidung ihres freien Willens unter dem Einfluss der Gnade sagt: "Ja, Herr, hier bin ich. Du bist mein Vater, mein Herr und mein Gott. Ich unterwerfe mich. Mir geschehe nach deinem Willen."

Gott verlangt, nur diesen Augenblick, einen Augenblick der überwundenen Selbstsucht, einen reinen Augenblick, der ihm ermöglicht, in uns den Heiligen Geist zu gießen. Dann macht uns das Wort, das vom Heiligen Geist in uns empfangen wird, in diesem reinen Augenblicke unseres Lebens zu Kindern Gottes.

Das ist die Wiedergeburt.

JÜNGER: Was ist dann aber die Taufe, das Sakrament der Wiedergeburt?

MEISTER: Wir werden das an anderem Orte behandeln. Immer geht in der Wiedergeburt der Seele etwas Ähnliches wie das vor, was sich in der Welt ereignete, als Christus Mensch wurde:

"Er ist empfangen vom Heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau."

JÜNGER: Ich verstehe es. Wir müssen alle den Sinn des großen und lieblichen Sinnbildes verwirklichen, das durch Maria, die Jungfrau, ausgedrückt ist, deren jungfräulicher Schoß Gott empfing. Wenn die Engel Gottes uns grüßen und ist nicht jeder Einfluss des Lebens ein Bote Gottes? - muss die Seele sagen: "Hier bin ich. Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Worte." Das Wort wohnt dann in ihr: es ist empfangen vom Heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau.

MEISTER: Sicher ist Maria, das makellose Geschöpf, das der Welt das ewige Licht brachte, auch ein allgemeines Sinnbild. Aber Maria ist nicht nur Sinnbild; sie ist noch dazu Wirklichkeit.

JÜNGER: Was ist also die Jungfrau Maria?

MEISTER: Ich will es Ihnen sagen.

II. Maria, das unbefleckte Herz des Menschengeschlechtes

MEISTER: Hören Sie, was die alerseligste Jungfrau ist.

Die Menschheit ist ein gegenseitig verantwortliches Ganzes, das in den Augen Gottes nur ein Herz, eine Seele und einen Körper hat, obwohl es aus vielen zusammengesetzt ist. Als die Sünde diese ganze Masse ansteckte und sie in Selbstsucht und in den Taumel der Begierlichkeit stürzte, wollte Gott sich einen reinen Ort, einen Keim bewahren, um hierdurch eines Tages wieder in die Menge zurückzukehren. Dieser rein gebliebene, unversehrte Ort (Is 1, 9; Röm 9, 29) ist der jungfräuliche Mittelpunkt der Seelen, ist eine Seele, die Jungfrau Maria.

JÜNGER: Ich verstehe nicht recht den Sinn dieses Vorzuges, der einer Seele vor allen gewährt wurde.

MEISTER: Dieses Vorrecht für diese einzige Seele ist gleichzeitig ein Vorrecht für alle. Um die Glut der heiligen Liebe eines Tages wieder in der ganzen Menschheit anzufachen, die in der Selbstsucht erstickt war, hat Gott dort gleichsam einen Funken unter der Asche bewahren wollen. Gott hat das Herz im voraus unversehrt gelassen, um das Ganze wie den ganzen Körper zu heilen.

Maria ist das Herz des Menschengeschlechtes. Vergessen wir niemals, dass die ganze Menschheit ein Leib ist; wie jeder Leib muss die Menschheit auch ein Herz haben. Das Herz der Menschheit ist die Seele Marias. Diese Seele, welche von der Erbsünde nicht befleckt ist, ist dadurch für die Welt der Keim des neuen Lebens geworden.

Ich hätte vieles über diesen Punkt zu sagen. Wollen Sie einige Vergleiche anhören, die scheinbar weit vom Gegenstand entfernt liegen, aber meinen Gedanken verstehen lassen?

JÜNGER: Sehr gern.

MEISTER: Einen Vergleich entlehne ich der Astronomie. Sie müssen wissen, dass der ganze Weltenstoff, welche Gestalt er auch besitzen mag, ein gemeinsames Ganzes ist, das einen gemeinsamen Schwerpunkt hat. Wir sind dessen gewiss: es gibt einen Schwerpunkt des natürlichen Weltalls, und dieser ist in Bezug auf die ganze Masse immer notwendig unbeweglich. Alle Himmel drehen sich um ihn, alle Gestirne, alle Sternhaufen bewegen sich um diesen unbeweglichen Punkt. Zeigt uns nicht jede Nacht ein Abbild davon, wenn wir den Polarstern allein unbeweglich inmitten der Gestirne sehen, die sich drehen? Nun sind aber alle die großen und selbst die kleineren Naturbilder das Abbild eines Gedankens. Seien Sie davon im voraus überzeugt; sonst wäre die Schöpfung unvernünftig, und das Werk Gottes wäre sinnlos.

Wie also ein Schwerpunkt des natürlichen Weltalls besteht, ein mechanischer Stützpunkt der Welten von mathematischer Unbeweglichkeit und Unabhängigkeit im Schoße aller Bewegungen und aller Störungen, die der allgemeine Stoff durchmachen kann, ein Punkt, den ein hervorragender Sternforscher den Thron Gottes nennt, um den alle Gestirne kreisen, - ebenso gibt es einen Schwerpunkt der sittlichen Welt, einen himmlischen Stützpunkt der Seelen, unbeweglich, unbefleckt im Schoße der Unruhen und Zerrüttungen der Sünde und des Irrtums. Dieser Punkt ist der jungfräuliche Mittelpunkt der Welt der Seelen, den die Heilige Schrift den "Thron Gottes" (Ps 18, 6) und das "sternengekrönte Frau" (Offb 12, 1) nennt.

Wenn diese Vergleiche Sie nicht langweilen, habe ich noch andere.

JÜNGER: Ich höre Sie an.

MEISTER: Hier ist einer, den ich aus der Erkenntnis des menschlichen Geistes nehme. Glauben Sie, dass der menschliche Geist ganz dem Irrtum unterworfen oder vollkommen unfehlbar ist? Zweifellos weder das eine noch das andere. Der Irrtum schleicht sich in unsere Gedanken und in unsere Fähigkeiten ein. Nichtsdestoweniger lehren der Hl. Thomas von Aquin und Bossuet, von anderen abgesehen, dass es mitten im Grunde der Vernunft eine erste Tätigkeit gibt, die nicht der Täuschung unterliegen kann.

"In dieser Seelentätigkeit gibt es keinen Irrtum", sagt der Hl. Thomas von Aquin. Bossuet ruft in seinen Betrachtungen über die Geheimnisse aus: "O Seele, höre in deinem Innern; höre nicht am Orte, wo die Sinnenbilder geschmiedet werden, sondern am Orte ... wo sich die reinen und einfachen Gedanken sammeln ... dort, wo sich die Wahrheit vernehmen lässt." Dieser Ort, von dem Bossuet spricht, wo die Wahrheit erglänzt, ist der jungfräuliche Teil des Geistes.

JÜNGER: Ich verstehe das.

MEISTER: Ebenso verhält es sich mit unserem Willen. Ist der freie Wille des gefallenen Menschen nichts oder ganz? Weder das eine noch das andere. Mit der Freiheit geht es wie mit der Vernunft: sie ist ein Funke unter der Asche. Im Grunde unseres verkehrten, in Selbstsucht gehüllten Willens, im Grunde unserer durch die Sinne und die Eigenliebe eingeengten Freiheit bleibt ein Heiligtum wirklicher, reiner Freiheit. Dieser freie Teil ist der jungfräuliche Mittelpunkt unseres Willens.

Ebenso hat die ganze Menschheit einen jungfräulichen Mittelpunkt: es ist die allerseligste Jungfrau Maria. Gott hatte sich dieses Heiligtum, diesen unbefleckten Tabernakel im Schoße der gefallenen Menschheit bewahrt. Im Grunde der entarteten Menschheit blieb eine heilige Faser, ein von der Sünde unberührt gebliebenes Gut Gottes.

Das ist die allerseligste Jungfrau Maria.

III. Maria die Mutter Gottes

MEISTER: So ist Maria unbefleckt geboren. Vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an war sie unbefleckt und ist makellos geblieben. Sie ist Mutter des Gottmenschen, ihres einzigen Sohnes geworden, ohne aufzuhören, Jungfrau zu sein.

JÜNGER: Aufrichtig gestanden ist es sehr schwierig, dieses seltsame Geheimnis einer wirklichen, menschlichen Empfängnis allein durch die Tätigkeit Gottes zu glauben.

MEISTER: Ihr Einwand lässt mich staunen. Haben Sie denn schon vergessen, was sie geschaut, gleichsam mit eigenen Augen geschaut haben, als Sie die Erschaffung der Welt betrachteten? Darin herrschte unmittelbare Gewissheit. Sie haben Gott selbst auf einen Punkt der Erde den Menschen niedersetzen gesehen, der aus seinen Händen ohne einen anderen Vater oder eine andere Mutter als seinen schöpferischen Willen hervorgegangen ist. Mit einem Wort, hat nicht der erste Mensch weder Vater noch Mutter gehabt ? Was gibt es dann noch Einfacheres als zuzugeben, dass Gott durch seinen Geist den zweiten Adam im Schoße einer jungfräulichen Mutter gebildet hat!

In unseren Gedanken, Schwierigkeiten und Einbildungen vergessen wir immer eines, dass Gott unser allmächtiger Vater ist.

JÜNGER: Aber versteht man diesen Titel einer Mutter Gottes?

MEISTER: Hierin sehe ich nicht die geringste Schwierigkeit. Sie meinen vielleicht, dass Mutter Gottes gleichbedeutend mit Schöpferin Gottes sei? Deshalb weisen viele Leute diesen Ausdruck zurück. Aber die Mutter eines Menschen erschafft nicht diesen Menschen, weder die Seele noch den Körper! Der Mensch ist von Gott gegeben; die Mutter bildet für ihn einen Körper, ohne es zu wissen. So nennen wir Mutter Gottes diejenige, welche für das göttliche Wort einen Körper gestaltete, als es in der Welt Fleisch werden wollte. Wenn die Menschwerdung zugegeben ist, folgt daraus dieser Titel augenscheinlich.

Es ist hier nicht zur Unzeit, meine ich, zu bemerken, dass Christus die Seele, die durch Gehorsam Gott empfängt, auch seine Mutter nennt, zwar in einem anderen, aber ganz wirklichen und erhabenen Sinn:

"Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter" (Mt 12, 50). In diesem Sinn ist Maria Mutter Gottes mehr als jedes andere Geschöpf gewesen: die vollkommene Reinheit und Demut sind die bei den Tugenden Marias gewesen. Diese bei den Tugenden sind die beiden Gegensätze zur Selbstsucht, die nur 'Hochmut und Sinnlichkeit ist. - Es sind die beiden Voraussetzungen für die unendliche Liebe, welche Gott ist, was ein Weiser so ausdrückt: "Die Demut ist der Ort der Liebe, die Keuschheit ist die Bewahrerin der Demut. " Gott, der die Liebe ist, kommt zu den Demütigen und Reinen; er will dort geboren werden und das ewige Leben entfalten. Da Maria vollkommen demütig und rein war, hat sie auf Erden die Menschwerdung des Wortes gleichsam herabgezogen.

JÜNGER: Danach machen Sie aus der allerseligsten Jungfrau Maria eine Art Gehilfin der Erlösung.

MEISTER: Ohne Zweifel. Gerade das behauptet der hl. Bernhard:

"Ein Mann und eine Frau haben uns sicher sehr viel geschadet; aber Gott sei Dank ist dennoch durch einen Mann und eine Frau alles wiederhergestellt ... Wohl hätte Christus genügen können; denn auch jetzt kommt all unser Genügen von ihm. Aber es war für uns nicht gut, auch in diesem Sinn, dass der Mensch allein sei. Es war doch geziemender, dass beide Geschlechter an der Wiederherstellung Anteil hätten."

Maria stellt den rein menschlichen Anteil der Erlösung dar. Jesus Christus ist die "gottmenschliche", zugleich göttliche und menschliche Seite. Von diesem Gesichtspunkte aus werden Sie den Wert des so oft an die katholische Kirche gerichteten Vorwurfes einer Übertreibung der Verehrung Marias verstehen. Man treibt diese Verehrung so weit, wirft man uns vor, dass die Verehrung Gottes daneben wie ausgelöscht ist; man scheint mitunter aus der Jungfrau Maria einen Abgott und einen Gott zu machen. Wir stellen aber zunächst als Grundsatz auf, dass zwischen der allerseligsten Jungfrau Maria und Jesus Christus der Abstand des Geschöpfes vom Schöpfer, nämlich das Unendliche besteht. Wenn unter dieser Voraussetzung nun Maria in dem Sinn, den ich erläutert habe, den menschlichen Anteil an der Erlösung ausmacht, kann man dann diese Verehrung zu weit treiben? Sieht man nicht ein, dass der menschliche Anteil an der Erlösung in einer Hinsicht die Hauptsache ist, sobald es sich nämlich um jenen Anteil allein handelt, wenn die Menschwerdung Christi gegeben ist? Der göttliche Anteil am Heile ist uns geschenkt und zugesichert; übrig bleibt der freie Anteil von unserer Seite, von dem alles weitere abhängt. Gott fehlt uns niemals. Er ist immer gegenwärtig; er klopft an die Tür des Herzens und wartet; er wartet auf die freie Entschließung des Menschen. Das Heil liegt in dieser freien Wahl. Alles besteht darin, sich wie Maria frei Gott zu schenken und die Sünde zu verabscheuen, indem man sich mit Gott vereint.

So ist die Verehrung Marias, die Andacht zur allerseligsten Jungfrau die Verehrung der Tugend und der menschlichen Freiheit. Vergessen Sie niemals, dass der Protestantismus die Verehrung Marias in dem Augenblick verwarf, wo er die menschliche Freiheit leugnete.

Verstehen Sie auch von diesem Gesichtspunkt aus, dass Maria der einzige Kanal aller Gnaden und die Pforte des Himmels ist, und dass man mit ihr vereinigt gerettet, von ihr getrennt verloren ist ? Das ist als Sinnbild wie als Wirklichkeit wahr. Als Sinnbild ist Maria die wahrhafte Tugend, die gottunterworfene Freiheit, die von Gott erfüllte Menschheit. Mit Maria vereint sein heißt, in seiner Seele wie Maria Hochmut und Sinnlichkeit, die beiden Formen der Selbstsucht, vernichten; es heißt in die Liebe eintreten und mit Gott vereint sein. Als Wirklichkeit ist Maria ein lebendes, und sterbliches, verherrlichtes und in Gott verklärtes Wesen, das uns sieht, uns hört und uns liebt. Sie ist für jeden Menschen eine Mutter, die über uns noch mehr wacht, als die Mutter eines jeden von uns über unsere Wiege gewacht hat. Es gibt eine gemeinsame Mutter, wie es einen gemeinsamen Vater gibt, weil die anderen Mütter sterben können, und weil Gott nicht will, dass ein einziger Mensch der Mutter beraubt sei. Mit dieser Mutter der Seelen, der Königin des Himmels vereint sein, heißt also vom Himmel abhängen.

Fassen wir nun diesen Punkt zusammen. Für jeden von uns gibt es einen freien Anteil am Heil, der in der gottergebenen Zustimmung besteht. Ebenso bedarf es für die Menschwerdung und Erlösung der Zustimmung des menschlichen Geschlechtes, welche die allerseligste Jungfrau gegeben hat. Der Geist Gottes wandelte die Menschheit um und suchte sie zu reinigen, um sie fruchtbar zu machen, damit "das Land seine Frucht bringt", wie die Heilige Schrift sagt (Ps 66, 7) Aber das Wort ist nur Fleisch geworden, als eine Mutter sich gefunden hatte, die fähig war, es zu empangen (37) Dann ist es empfangen vom Heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau.

IV. Das Werk des Erlösers

JÜNGER: Sie sagten in einer vorhergehenden Unterhaltung, dass die Welt in Hinblick auf die Menschwerdung geschaffen sei. Soeben behaupten Sie aber, wie man gewöhnlich sagt, dass das Wort Fleisch geworden sei, um uns zu erlösen?

MEISTER: Beides ist wahr. Nachdem der hl. Franz von Sales erklärt hat, wie die Welt in Hinblick auf die Menschwerdung Jesu Christi geschaffen worden sei, fügt er hinzu:

"Seine Barmherzigkeit war mächtiger zur Wiedererkaufung der Menschen, als der Fall Adams wirksam gewesen war, dieselben zugrunde zu richten." Daher wurde das Wort Fleisch für das Heil der Welt.

JÜNGER: Was ist das Heil der Welt?

MEISTER: Es liegt in der Vernichtung der Sünde, in der freien Rückkehr des menschlichen Willens vom Bösen zum Guten und in der Wiederherstellung der durch die Sünde entwürdigten menschlichen Natur.

JÜNGER: Welches sind die Mittel, die Christus gebrauchte, um die Sünde zu zerstören?

MEISTER: Diese Mittel sind Demut, Leiden und Kreuz bis zum Tode.

JÜNGER: Warum Demut, Leiden und Kreuz?

MEISTER: Weil die Selbstsucht das Übel ist, und weil Christus den der Selbstsucht entgegengesetzten Weg hat wählen müssen.

JÜNGER: Ich fange an zu ahnen. Wollen Sie mir diesen Punkt näher erklären.

MEISTER: Um uns zu heilen und zu erlösen, bietet sich Christus selbst, unser Erlöser, uns als Vorbild und Versöhner an.

Welch Vorbild sollte zunächst sein Leben unter den Menschen sein! Was sollte der Gottmensch, unser Vorbild und unser erstgeborener Bruder in der Welt tun? Was ist die Grundlage der alten Weltordnung? Die Selbstsucht. Was musste die Grundlage der neuen Welt werden? Die Liebe, die Aufopferung. Diese hat unser Vorbild in sich beweisen wollen.

Vergessen wir nicht, dass Christus ein wahrhafter Mensch mit einer Seele, einem Herzen, mit Tränen ist. Schauen wir ihn der Welt gegenüber. Er betrachtet die in Schmerzen, Laster, Tod und Verzweiflung daniederliegende Menschheit (Vgl. Mt 15, 30; 12, 50; 9, 36) Diese Menschen sind wirklich seine Brüder; diese Frauen sind seine Mutter und seine Schwestern: "Meine Vielgeliebten, sagt er, ich komme. Ich will all eure Schmerzen erdulden. Ich will euren ganzen Kelch trinken. Ich will ihn bis zur Neige trinken, und ich will für euch sterben."

Konnte der Erstgeborene der neuen Ordnung göttlicher in die Welt eintreten?

JÜNGER: Nein.

MEISTER: Schauen Sie dann, wie er freiwillig alle Leiden auf sich lädt. Ist er in diesem Zustand unser Vorbild oder nicht? Was soll man tun? Die Selbstsucht ausrotten, die alles Leid um des Genusses willen dem anderen zuschiebt. Christus will leiden, um alle Leiden von anderen auf sich zu nehmen. Er kommt und nimmt den letzten Platz ein; er unterzieht sich der Armut und Demut, mühevoller Arbeit, dem Kampfe für Gerechtigkeit und Wahrheit, Quälereien, derTodesangst und dem Martyrium des Kreuzes. Das ist ganz offenbar das Vorbild des Menschen. Nicht ohne Grund sagte Pilatus, als er ihn blutend, mit Dornen gekrönt dem Volke zeigte:

"Seht, welch ein Mensch. Ecce homo" Joh 19, 25).

JÜNGER: Aber welch ein Vorbild! Ist hier eine Nachahmung möglich? Sie übersteigt die Kräfte der Natur.

MEISTER: Gewiss, das überschreitet natürliche Kräfte. Aber Jesus Christus hat gesagt:

"Was bei Menschen unmöglich ist, das ist möglich bei Gott," (Lk 18, 27) und Christus ist der Gottmensch. Er ist nicht nur unser Vorbild, er ist auch unser Erlöser. Er kommt als Arzt für die menschliche Natur, als Ursache und Träger einer übernatürlichen Kraft, die er in uns legt.

Ich wünschte Ihnen recht begreiflich machen zu können dass für unser verderbtes Herz und unsere verkehrte Natur Leiden das Heilmittel und das Kreuz das Werkzeug der Erlösung ist, das unseren Fall aufhält und sühnt.

Unser verderbtes Herz eilt zur Freude und zum Vergnügen; es muss zum Opfer und Schmerz eilen.

JÜNGER: Das ist heutzutage eine wenig beliebte Lehre.

MEISTER: Mag sein; ist man aber mit Vernunft begabt oder nicht? Wenden Sie auf das, was ich Ihnen sagen will, Ihre Vernunft an.

Der Fall ist, wie Sie sehen, in uns von Dauer. Unter dem Fall verstehe ich diese natürliche, dauernde Entartung aller Herzen in Selbstsucht. Man wendet sich von Gott zu sich selbst, und von der göttlichen Liebe zu den Menschen fällt man auf sich allein zurück. Dort angelangt, wenden wir uns noch vom Geist zum Fleisch, von der Vernunft zu den Sinnen und von den Sinnen zur sinnlichen Freude und fallen immer tiefer von zarten Freuden in plumpe, von reinen Vergnügungen zu schändlichen bis zum Freudentaumel und seinem Schmutz, wo wir nach dem Sturz steckenbleiben.

Das ist der Fall; er ist allen Augen und Herzen sichtbar. So verläuft die Geschichte der Menschen und Völker dort, wo das Kreuz nicht aufgerichtet ist.

Wenn aber die Freude so ausschaut, behaupte ich, dass das Leiden mehr wert ist. Die Freude zieht abwärts, das Leiden erhebt.

Nun aber ist Christus durch seine Kreuzigung erhöht. Er allein lehrt dem Körper, den Sinnen, der Seele und dem Herzen, sich wieder zu erheben. Er unterweist die in ihm überwundene menschliche Natur, wie ihr Leben wieder zu Gott, zum Unendlichen hin, führt, anstatt zur Täuschung und zum Nichts hinabzusteigen, zum Endlichen, das immer sinkt. Er sagte:

"Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott" (Joh 20, 17). Und anderswo:

"Ich aber will alle an mich ziehen, wenn ich von der Erde erhöht bin" (Joh 12, 32) Seine Erhöhung am Kreuze wollte er hiermit andeuten, sagt das Evangelium (Joh 12, 33).

Die menschliche Natur muss sich umwandeln. Bildet sie sich ohne Leiden um?

Wer sieht nicht, dass Leiden das Salz der Erde ist, dass das Opfer der Stützpunkt des Lebens ist, um sich zu läutern, zu reinigen und unsterblich zu werden?

"Wer nicht geprüft ist, was weiß der?" sagt die Heilige Schrift (Sir 34, 9).

"Denn du, o Schmerz! allein, du machst und bildest Menschen. …

Wer dich nicht kennt, erkennt hienieden nichts! Er schleppt sich weichlich durch das Leben, doch Er lebte nicht; wie über Nebeldunst

So schwebt er über allem Menschentun". Schon die Weisen hatten mit ihrer Vernunft begriffen, dass die Weisheit im Opfer und Leiden liegt! Was wollte Sokrates anderes mit dem berühmten Worte sagen:

"Philosophieren heißt sterben lernen ?"

Platon erklärt dies tiefe Wort, indem er zeigt, wie der Mensch immer von Täuschungen, von inhaltsleeren Vergnügungen und vergänglichen Zufälligkeiten des Lebens gelockt und gefesselt wird und so unfähig bleibt, sich zum ewigen, höchsten Leben selbst zu erheben, wenn er nicht zu sterben und den äußeren Schein des Lebens zu opfern weiß, um dessen Wirklichkeit zu erfassen.

Was Platon hier ahnt, ist die Wissenschaft vom Leben und Tod selbst, von der Christus allein hatte sagen können: "Die Weisen haben davon gesprochen, ich aber habe sie ausgeübt." Hören Sie diese Worte Christi, die die Zusammenfassung seines Lebens sind:

"Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden" (Mt 16, 25).

Kann man denn nicht verstehen, dass das Opfer des gegenwärtigen, stückweisen und zeitlichen Lebens die notwendige Bedingung des vollen, ewigen Lebens ist? Wer sich nicht aufzuopfern versteht, weiß nicht zu leben. Darum leben wir nicht; wir hoffen nur zu leben. Unser Leben ist durch törichte Sinnlichkeit so geschwächt, dass es immer nur als fließender Punkt und als fallender Wassertropfen erscheint. Wir leben Punkt für Punkt. Unser Leben, unser Geist und unser Herz ist immer nur in einem Augenblick erwacht und im übrigen eingeschlafen. Um den Augenblick des oberflächlichen Lebens zu beschäftigen, der uns immer verführt, geben wir unaufhörlich den Grund und das Ganze auf! Wir sind an den vergänglichen Tag, den vergesslichen Augenblick und die unvorhergesehene Zukunft gefesselt und zerteilen so das Leben, statt es zu sammeln. Wer wird uns also die göttliche Kunst lehren, die das Leben in seiner Stärke und Wahrheit, seiner Tiefe und Einheit sammelt? Sie liegt im Opfer. Das Opfer jedes Übermaßes im gegenwärtigen Leben ermöglicht die Wissenschaft vom Leben.

Opfern Sie die Leidenschaft des Augenblicks, die gegenwärtige Empfindung, die Laune einer Stunde, die leeren Zufälligkeiten des Wesens vom Leben, und Sie werden das volle, tiefe, innerliche und gesammelte Leben erhalten. Opfern Sie das ausschließlich sinnliche und selbstsüchtige Bewusstsein des augenblicklichen Lebens, das unaufhörlich die Zeitabschnitte zerstückelt und all ihre Augenblicke zerstreut. Nehmen Sie Schmerz und Opfer auf sich, die Sie von den Täuschungen und verführerischen Nebensächlichkeiten frei machen und Sie von den vergänglichen, stückweisen Zuständen des Lebens zum wirklich beständigen und gesamten Leben selbst erheben. Weit davon entfernt, die Teilkräfte und die verschiedenen Kräfte des Lebens zu zerstören, sammelt das Opfer sie und vereint sie, hält sie aufrecht und vollendet sie in der Einheit.

Das ist das Geheimnis des Kreuzes, das christliche Opfer, die Abtötung, der Tod in Jesus Christus. Das nennt man auch das auferstandene Leben. Das Kreuz, das Leiden des Gottmenschen, das rückhaltlose Opfer, der Tod und die Auslöschung der Selbstsucht, all das kann der menschlichen Natur das Leben Gottes, das auferstandene, unsterbliche und unendliche Leben bringen.

JÜNGER: All das ist ein wenig neu. Ich ahne dort aber doch eine Wahrheit.

MEISTER: Ich will noch dabei stehen bleiben. Denn dieser Punkt ist grundlegend, und für diesen Punkt sind wir heute fast alle blind wie die Tiere. Worin liegt das Geheimnis dieses Erdballs, der uns trägt, dessen Schönheit, Fülle, Fruchtbarkeit und Zukunft in seinen Narben liegt? Die Wunden der Erde, die Zerklüftung ihrer Oberfläche und ihres Inneren, das durch die Hand Gottes aufgewühlt ist, sind der Plan der irdischen Wohnung, die Form des Lebens der Geschichte und enthalten Spuren der Absichten Gottes über die Zukunft der Welt.

Was ist das Geheimnis der Leier, die der Meister mit begeisterter Hand bricht und dann wiederherstellt; und dann

"findet er eine Stimme auf seiner Leier, klangreicher in ihren Trümmern ?"

Das ist das Geheimnis der Dichtkunst, hat ein großer Dichter gesagt. Die Seele singt nur im Leiden.

"Und jede ihrer Wunden Gibt ihr erhabeneren Klang."

Was ist das Geheimnis der großen Wissenschaft vom Unendlichen, welche die Gesetze des Endlichen und seine Ursachen nur findet, wenn man in der Betrachtung des Endlichen die Zufälligkeiten und Grenzen auslöscht?

Was ist das Geheimnis des sozialen Lebens, das im Kampf, in Armut, Leiden und Selbstverleugnung größer wird und sich läutert, und das im Reichtum und Frieden sich schwächt, wenn die Zahl der starken Seelen, die zu leiden wissen, herabsinkt? "Heldenmütig handeln und leiden"

war der Wahlspruch des Volkes, das im Altertum etwas von sozialer Größe ahnte.

Was ist das Geheimnis des menschlichen Herzens, das nur groß, edel, erhaben und tief ist, wenn es eine tiefe Narbe oder eine Lebenswunde wie das Herz Jesu trägt?

Was ist das Geheimnis der Seelen, die beten und sagen: ich finde Gott nur, wenn ich mich in mein Nichts versenke?

Was ist das Geheimnis dieser Liebe, welche die Hl. Theresia sagen ließ:

"Entweder leiden oder sterben."

Das alles ist das Gesetz des gegenwärtigen Lebens. Es besteht darin, das Wahre im Opfer des Falschen, das Gute im Opfer des Schlechten, die Liebe in deI' Ausrottung der Selbstsucht, Gott und unsere Nächsten im Opfer unserer selbst zu finden. Das Opfer unserer selbst gibt uns Sterbliche Gott hin, und Gott lässt uns bald in uns selbst gesegnet und verherrlicht sein. Das ist das Leben. Das Gesetz des gegenwärtigen Lebens ist also das Kreuz; und das Kreuz ist die Kraft, die zu Gott und zum Leben durch die schmerzliche und, wenn es sein muss, blutige Ausrottung der angeborenen Selbstsucht führt.

Das ist die Wirkung der Erlösung.

Begreifen Sie jetzt das Geheimnis des Kreuzes und Leidens Jesu Christi? Verstehen Sie jetzt den edelsten der Menschenkinder, wie er für das Heil der Welt am blutigen Kreuze starb? Darum hat er gelitten, ist er gekreuzigt, gestorben und auferstanden.

JÜNGER: Diese Glaubenslehre ist wahrhaftig großartig. Gerade das macht die Erhabenheit und unwiderstehliche Schönheit des Evangeliums aus.

MEISTER: Fassen wir nun das alles zusammen, was wir über die Erlösung soeben gesagt haben. Es ist gewiss, dass wir in der Selbstsucht, in einer lächerlichen und ungeheuerlichen, des Hasses und der Verachtung würdigen Selbstsucht geboren werden. Wir tragen die angeborene Selbstsucht im Blut, im Geist, im Herzen, in der Seele und im Körper. Die Zeugung lässt uns so auf Erden erscheinen. Wir sind in der Sünde empfangen, sagt die Heilige Schrift (Ps 51, 7). Ist dieser Zustand unser Ideal, unser gesunder Zustand? Nein. Also ist er eine Entartung, ein Fall, wie das besondere Wort lautet. Diese Erbsünde wird nur durch die wirkliche, verantwortungsvolle Einheit (Solidarität) des Menschengeschlechtes verständlich, die nach dem Worte des hl. Paulus nur ein Leib ist (Röm 12, 5; 1 Kor 12, 13, 20), und die in der ewigen Welt nur ein Herz und eine Seele haben muss. Übrigens ist dies Übel, das uns trifft, auch eine Prüfung, ein Hindernis, das jeder Mensch bekämpfen und überwinden muss, um seine Freiheit zu erringen. Da außerdem dieses Übel nicht freiwillig in der Masse war, war es nicht schlechthin notwendig. Wie in jedem Herzen und Geist gab es dort etwas, das Gott vor der Sünde bewahrte; es gab ein Herz der ganzen Menschheit, eine unversehrte Seele und einen jungfräulichen Punkt, ein Heiligtum und einen gemeinsamen Mittelpunkt der unermesslichen Welt der Seelen. Die ganze Menschheit wie jede Seele konnte sagen: ein Keim ist uns für die Zukunft geblieben. Durch diese Pforte des Himmels wollte und musste Gott in die Seelen eintreten.

Zur festgesetzten Zeit schafft Gott auf Erden das unversehrt gebliebene Gut des Menschengeschlechtes, die einzige unbefleckte Seele, die allerseligste Jungfrau. Dann wird das Wort durch ein Geheimnis, dessen Größe und Sinn wir schon betrachtet haben, im Schoße der allerseligsten Jungfrau Fleisch und wird ein Menschenkind. Als einer von uns, als wesensgleicher Teil des Menschengeschlechtes, vergleicht er sich selbst mit dem Sauerteig, der die ganze Masse durchdringt und hebt. Durch sein Wort, sein Beispiel und sein Leben erreicht er den reinen Punkt jeder Seele und bewegt ihn. Darunter verstehe ich den Keim der Vernunft und wahren Freiheit, der in der gefallenen Seele fortbesteht. Während er die menschliche Person durch Vernunft und Freiheit erreicht, heilt er gleichzeitig durch das wesentliche Ausstrahlen seiner Kraft, seines Lichtes und seiner Liebe, mit einem Worte durch seine Gnade und alle Formen seiner Gnade die gesamte menschliche Natur, die in ihm bezwungen und verklärt wurde. Er reinigt durch seine Heiligung die verborgenen Seiten des Lebens, diesen innerlichen, dunklen Teil des Lebens, wo wir nichts vermögen und nichts sehen. Er lebt dort und bewirkt selbst in uns alles, was in uns ohne uns vor sich gehen kann. Er lebt in uns, in denen, die lieben - er liebt uns alle - er lebt in uns, wie in der Liebe ein Herz im anderen lebt. Dort bezwingt er die Selbstsucht, indem er die Seele im Geiste seines Todes unterrichtet. Er heilt die menschliche Natur, indem er sie lehrt zu sterben.

JÜNGER: Ich verstehe das alles. All diese Gedanken sind schön. Doch wie soll man an ihrer geschichtlichen Verwirklichung nicht zweifeln, wenn man folgende ersichtliche Tatsache sich vorstellt? Der Erlöser kam, nachdem Tausende von Geschlechtern über die Erde gegangen sind. Seit seiner Ankunft kennt ihn die Hälfte der Erde nicht, und unter denen, die ihn kennen, widersteht ihm die Mehrzahl ins Angesicht.

MEISTER: Das alles wird Ihnen in unserer nächsten Unterhaltung klar werden. In Erwartung darauf brauchen Sie hier bloß wissen, dass nur die Bösen und zwar die freiwillig unverbesserlichen Bösewichter ihm bis zum Ende widerstehen. Ich nenne diejenigen unverbesserlich, die Gott selbst nicht bessert. Außerdem dürfen Sie folgenden Glaubensartikel nicht vergessen: "Abgestiegen zu der Hölle." Er ist abgestiegen zu der Hölle. Dieses Wort hat wie das Evangelium einen doppelten Sinn: einen geschichtlichen und einen geistigen Sinn.

Der hl. Petrus denkt an den geschichtlichen Sinn, wenn er sagt:

"Auch Christus ist einmal für die Sünden gestorben, der Gerechte für die Ungerechten, um uns zu Gott zu führen. Er hat dem Leibe nach den Tod erlitten, der Seele nach aber wurde er zum Leben erweckt. Mit dieser ging er auch hin und predigte den Seelen im Kerker, die einst ... ungläubig waren" (1 Petr 3, 18-19).

Daraus folgt, dass das menschgewordene Wort in die Vergangenheit wie in die Gegenwart und Zukunft wirken kann. Das drückt der hl. Paulus aus:

"Jesus Christus ist derselbe: gestern und heute und in Ewigkeit" (Hebr 13, 8). "Das Lamm ist geschlachtet seit Anbeginn der Welt", sagt der hl. Johannes (Olfb 13, 8) "Er erleuchtet rückwirkend die Propheten", sagt ein heiliger Kirchenvater. "Christus kommt immer", sagt einer unserer bewunderungswürdigsten Theologen, der diesen Gedanken folgendermaßen entwickelt: "Die ewige Weisheit ist den Menschen nahe, die Herz haben, wo und wann immer sie auch leben. .. Denn sie ist für diejenigen Mensch geworden, hat gelitten und ist auferstanden, die vom Beginn bis zum Ende der Geschichte sich der Gerechtigkeit geweiht haben; keineswegs aber für die, die mit eigenen Augen die Zeichen ihrer Sakramente zwar gesehen, aber ihre Seelen davon abgewandt haben."

Daraus folgt, dass die Erlösung eine rückwirkende Kraft hat, oder sagen wir besser, eine ewige Wirkung, die ohne Vergangenheit und ohne Zukunft ewig gegenwärtig ist.

Über den geistigen Sinn dieser Worte lässt sich folgendes sagen. Die Seele eines Heiligen, sagt der hl. Augustinus, ist ein Himmel. Infolgedessen ist die Seele der Sünder eine Hölle. Auch darin hat Christus hinabsteigen müssen; und das war die Neige des Kelches, den er trinken musste. Die Sünder, die Seelen, die nur zu hassen wissen, die Menschen, die geistig tot sind, die Söhne Kains, die verkehrten Herzen, die der Selbstsucht anheimfallen, statt dem Lichte des Himmels und der Glut anderer Seelen zugekehrt zu sein, diese Gefäße voll Zorn und Galle, diese Schlangenbrut, wie sie Jesus Christus nennt (Mt 12, 34), diese Zerstörer der brüderlichen Gesellschaft, diese Kinder des Satans sind die Quellen des Krieges, des Hasses, der Tränen, der Kämpfe, der Gewaltherrschaften, der Sklaverei und des Stillstandes der Welt in der Selbstsucht; das ist die Hölle, in die Christus hinabsteigen, und die er besiegen muss. Er ist dort hinabgestiegen, und hat, wie der hl. Augustinus sagt, einen Teil davon überwunden, aber nicht den anderen. Er musste in diese Höllen des Lebens eindringen und sie besiegen, damit sie nicht ewig würden. Kämpfe also, Christus, gegen diesen ewigen Tod, der die Sünder bedroht, tritt in die Hölle ihrer Seelen, um jene auszulöschen. Deine Sendung besteht in der Überwindung des Todes und der Bösen, des Todes, den du kraft deiner schöpferischen Allmacht besiegen kannst; der Bösen, die ein mächtigeres Hindernis als der Tod sind, weil es freigewählt ist. Gott selbst durchbricht es nicht, wenn es nicht durchbrochen werden will. Nun ist jeder Mensch aus natürlicher Selbstsucht böse; aber diese natürliche, angeborene Bösartigkeit ist in den Augen Jesu Christi der Gegenstand höchsten Mitleides. Diese Unglücklichen, an ihrer tödlichen Selbstsucht Gefesselten, sind es, die er die Gefangenen, Armen, Kranken, Durstigen, Blinden, Tauben, Aussätzigen und Toten nennt, die er lieben will, die er durch seine Liebe heilen will, und die er durch seine Berührung, durch die belebende Kraft der Liebe auferwecken will. Von den andern Sündern, den freiwilligen, tätigen Bösen sagt er: "Mögen sie mich schlagen, mich beleidigen, mir das Herz durchbohren, mein Blut trinken und geheilt sein; indem mein Leben aushaucht, wird es sich über sie ergießen."

Die Sünder stürzen sich wie aus innerem Antrieb gegen Christus, und ihr Wille strebt nach seiner Vernichtung. Der allmächtige Herr lässt sie in der Hoffnung gewähren, dass sie durch das göttliche Blut entwaffnet und geheilt werden.

Aber der Böse ist schwer zu entwaffnen. Er hat nicht nur eine Waffe, sondern eine Zunge wie die Natter, nämlich eine fleischgewordene Waffe, ein mit seinem Geist und Herzen im Wesen übereinstimmendes Werkzeug des Bösen. Um überwunden oder geheilt zu werden, was das gleiche ist, muss er seine Schlangenzunge tief in eine Wunde drücken und dort stecken lassen. Er braucht eine lebendige Wunde, wo er sein ganzes Gift lässt, aber zugleich eine heilende Wunde, die ihm für den Tod das Leben gibt. Wie Bossuet sagt, muss unsere Ungerechtigkeit auf ihn, auf Jesus Christus übergehen und seine Güte auf uns. Darum ist Christus gekreuzigt worden.

Doch welch Geheimnis der Freiheit! Sie können das Herz Christi durchbohren, ohne davon geheilt zu werden, wenn sie es nicht wollen. Sie können ihr ganzes Gift auf Gott und ihre Brüder verbreiten und können gleichzeitig für immer dem Strom der Liebe widerstehen, die Gott schenkt. Sie können ihren Giftstachel im Herzen Gottes lassen, ohne das Leben mit fortzunehmen. Sie sterben dann und sterben für immer, denn wo könnte derjenige das Leben schöpfen, der es nicht im Herzen Gottes geschöpft hat?

Daraus folgt die Ewigkeit der Strafen.

JÜNGER: Welch eine Glaubenslehre! Die Gerechtigkeit will es vielleicht so. Aber die Güte Gottes, seine unendliche Güte, seine Liebe?

MEISTER: Bei diesem Punkte dürfen Sie niemals vergessen, dass die unendliche Güte der erste und klarste Glaubensartikel ist. Das Glaubensbekenntnis beginnt mit dem Glaubenssatz über den Vater. Daher stellt der Katholizismus über alles die Liebe Gottes.

Kann es aber andererseits geschehen, so frage ich Sie, dass jeder Gebrauch unserer Freiheit uns zum gleichen Ziele führt? Darin liegt etwas an sich Unmögliches. Wenn die Seele während der ganzen Dauer ihrer Prüfung ganz freiwillig und hartnäckig den Weg der Selbstsucht beschritten hat, der dem Weg zum Leben entgegengesetzt ist, wenn die Reihe der möglichen Prüfungen erschöpft und jeder Bemühung Gottes, das Leben zu geben, ein freiwilliges Verharren im Tode und ein neuer Grad der Verstocktheit entspricht, was kann dann Gott aus dieser Hölle machen? Wenn er sich zurückzöge, damit die Hölle und ihre Leiden nicht unendlich wären, so wäre er nicht mehr ewig. Die Seele aber hat sich selbst gerichtet, und sie bleibt ohne Umkehr vom ewigen Leben getrennt. Nein, es kann nicht anders sein. Nehmen Sie wirklich an, dass der Weg eines jeden Lebens schicksalsgemäß zum höchsten Gute führe, dann wird alles Gute und alles Böse gleich. Arbeit und Tugend, Laster und Missetat, Selbstsucht und Liebe sind nicht unterschieden und im Grunde gleich. Wenn alles durch einen notwendigen Trieb zu Gott führt, ist die Freiheit nichts; denn sie dient zu nichts. Die Arbeit ist unsinnig, die Entscheidung dumm. Es gäbe nichts mehr auf der Welt zu tun, als unter der Sonne einzuschlafen und auf der Erde der Anziehungskraft der Sinne nachzugeben und liegen zu bleiben. Wenn Sie also die Ewigkeit der Strafen ausschließen, so haben Sie ausnahmslos alle Folgerungen zuzugeben, die man auch aus dem Atheismus zieht. Wenn Sie das Beweisen verstehen, gewinnen Sie hieraus einen zwingenden, indirekten Beweis für den Glaubenssatz von der Ewigkeit der Strafen.

JÜNGER: Ich verstehe nur zu antworten. Aber andererseits kann ich nicht begreifen, dass fast alle Menschen zum ewigen Tod bestimmt sind?

MEISTER: Wer hat uns das gesagt? Vielleicht Massillon mit seiner Rede über die kleine Zahl der Auserwählten ? Sie müssen wissen, dass diese Abhandlung von Massillon theologisch ungenau und als solche in der ganzen Kirche bekannt ist. Diese Übertreibungen über die kleine Zahl der Auserwählten, die noch etwas unter uns im Umlaufe sind, sind eine Frucht des Jansenismus.

Niemals hat Rom sie weder vorgelegt, noch zugelassen, sondern immer bekämpft. Während Massillon und andere in Frankreich dieser gefährlichen Übertreibung verfielen, kam in Rom der Kardinal Sfrondati vielleicht zu einem entgegengesetzten Übermaß.

JÜNGER: Doch es geht nicht bloß um Massillon und die Jansenisten, es handelt sich um das Evangelium. Man kann nicht diesen Text zurückweisen:

"Alle sind berufen, aber wenige sind auserwählt" (Mt 20, 14).

MEISTER: Ja, doch was will "auserwählt" bedeuten?

JÜNGER: Auserwählt heißt gerecht; könnte man es anders verstehen?

MEISTER: Wissen Sie, dass P. Berruyer verurteilt wurde, weil er behauptet hatte, dass man es nicht anders verstehen kann? Daher kann man es anders verstehen.

Jedenfalls sind die verstockten, unverbesserlichen Bösen die einzigen Verworfenen. Für die anderen opfert Christus seinen Tod auf, er stirbt in ihnen und steht mit ihnen auf.

JÜNGER: Ist das der Sinn der Glaubenslehre: "Er ist aufgefahren in den Himmel?"

MEISTER: Das ist der geistige Sinn; daneben gibt es vor allem den geschichtlichen Sinn, der auch wahr ist. Der auferstandene Christus hat gesagt:

"Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott" (Joh. 20, 17). Am Himmelfahrtstage haben ihn die Apostel zum Himmel auffahren gesehen, um zweifellos einen Thron an einem Ort der Schöpfung einzunehmen, der mehr in der Mitte gelegen ist als die Erde. Dies muss der Ort sein, von dem er gesprochen hat: "Ich gehe ja hin, euch eine Stätte zu bereiten ... damit auch ihr seid, wo (Joh. 14, 3).

JÜNGER: Was wollen diese Worte besagen: "Sitzet zur Rechten Gottes des allmächtigen Vaters" ?

MEISTER: Darin liegt offenbar ein bildlicher Ausdruck, der bedeuten will, dass Christus als Mensch die erste Macht nach dem Vater empfangen hat; er hatte gesagt:

"Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden (Mt 28, 18).

Seit dieser Zeit wirkt der Menschensohn immer in dieser königlichen Macht, um das natürliche und sittliche Weltall umzugestalten, eine herrliche Wahrheit, von der später zu reden sein wird. Auf diesem Thron richtet er und wird richten, scheidet er und wird scheiden das Gute vom Bösen und die Guten von den Bösen. Gott wollte, dass die Menschen durch jemanden aus ihrer Mitte, durch ihresgleichen gerichtet würden:

"Er hat ihm die Macht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist (Joh 5, 27).

Fünftes Zwiegespräch: Die Kirche

"Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.

I. Die sichtbare und die unsichtbare Kirche

JÜNGER: Wir wollen nun von der katholischen Kirche sprechen. Wenn Sie mir Verständnis für die katholische Kirche beibringen und mir vernünftig über ihre Unfehlbarkeit sprechen können und besonders von dem Grundsatz: außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, so werde ich darüber recht erschüttert, aber nicht unmutig werden. Denn wenn die katholische Kirche das ist, was sie behauptet, besitzt die Welt eine Hilfsquelle. Jemand sagte: wenn der Katholizismus wahr ist, ist das Rätsel der Welt erklärt; er ist die einzig mögliche Lösung. Aber unglücklicherweise ist der Katholizismus falsch. Das Rätsel bleibt daher ungelöst.

MEISTER: Ich würde ganz anders schließen. Ich würde sagen: wenn der Katholizismus wahr ist, ist das Rätsel der Welt gelöst. Er ist nun die einzig mögliche Lösung. Also ist der Katholizismus wahr. Das muss man schließen, wenn man nicht auf die Schlussfolgerung von Voltaire kommen will: "Die Welt ist ein schlechter Witz." Doch gehen wir weiter. Ich wage zu hoffen, dass ich Ihnen von der katholischen Kirche manches lehre, was Sie nicht wissen. Die Schönheit der Kirche, unserer Mutter, ist heutzutage unter einer Eisenmaske verborgen. Man schmiedet ihr diese Maske aus Unwissenheit und Lüge; man legt sie über ihr Antlitz, man betrachtet sie und sagt dann: sie ist häßlich. Doch hören Sie mich nun an.

Glauben Sie zunächst an den Geist Gottes, an den Heiligen Geist?

JÜNGER: Zweifellos glaube ich an Gott und an den Geist Gottes.

MEISTER: Können Sie sich vorstellen, dass ein Mensch dem Geiste Gottes nicht gehorcht?

JÜNGER: Sagen Sie mir zuerst, was dem Geiste Gottes zu gehorchen bedeutet.

MEISTER: Der Geist Gottes ist der Geist, der unsere Seele umwandelt, indem er sie von der angeborenen Selbstsucht zur Gottes- und Nächstenliebe übergehen lässt.

JÜNGER: Das glaube ich fest, dass es Menschen gibt, die unter dem Einfluss des Geistes Gottes von der erbsündlichen Selbstsucht zur Gottes- und Nächstenliebe umgewandelt werden.

MEISTER: Wenn es nun zwei unter sich und mit Gott in dieser Liebe geeinte Menschen gibt, so sind diese beiden Menschen schon die katholische Kirche.

"Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind," sagt Christus, "da bin ich mitten unter ihnen (Mt 18, 20).

Diese zwei oder drei Menschen sind nun die katholische Kirche, weil sie den allgemeinen Geist, den Geist Gottes haben, der daran arbeitet, alle Menschen in Gott zu vereinigen und die allgemeine Versammlung der Kinder Gottes zu bilden. Es gibt solche Menschen. Es muss immer solche geben.

JÜNGER: Aber dann wäre die katholische Kirche doch nichts anderes als die Versammlung der Gerechten, der Heiligen und Kinder Gottes?

MEISTER: Warten Sie ab. Gewiss besteht die katholische Kirche aus den Kindern Gottes und aus dem Erstgeborenen von allen, Jesus Christus, ohne den sie nicht dasein könnte. Nun ist die Versammlung der Kinder Gottes das, was man die "Seele der Kirche" nennt. Man unterscheidet nämlich den Leib und die Seele der Kirche, die sichtbare und die unsichtbare Kirche. Wir werden später vom Leib der Kirche sprechen, hier zunächst von ihrer Seele. Betrachten Sie, aus wen sich diese Seele zusammensetzt. Alle diejenigen, die durch den Geist Gottes bekehrt sind, deren Geist umgewandelt ist, wie das Evangelium sagt, die nämlich von der niederen Form der Selbstsucht zur göttlichen Form der Liebe übergegangen sind, alle diese Seelen und nur diese nehmen teil an der Seele der Kirche. Einer unserer theologischen Lehrsätze lautet:

"Alle Gerechten und nur diese gehören zur Seele der Kirche."

Nun ist es aber ohne weiteres gewiss, dass es gerechte Seelen geben muss, oder man müsste am Menschengeschlecht verzweifeln. Also gibt es eine katholische Kirche; sie besteht also sichtbar oder unsichtbar.

JÜNGER: Ich verstehe das.

MEISTER: Wenn Sie dies verstehen, so folgt daraus, dass dieser Grundsatz: "Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil", nicht mehr so schwer zu verstehen ist. Wenn es wahr ist, dass alle Gerechten und nur die Gerechten zur Seele der Kirche gehören, ist es klar, dass alle, die außerhalb der Seele der Kirche sind, in Ungerechtigkeit verharren. Wie wollen Sie dann noch leugnen, dass die Gesamtheit der Menschen, die unter sich und mit Gott in Wahrheit und Liebe vereint sind, eine unfehlbare Versammlung bilden? Das ist von einem gewissen Gesichtspunkt aus die Unfehlbarkeit der katholischen Kirche.

JÜNGER: Wenn etwas auf Erden unfehlbar ist, ist es jene Versammlung. Aber kann es auf Erden einen unfehlbaren Menschen oder eine unfehlbare Versammlung geben?

MEISTER: Die Versammlung des Menschengeschlechtes selbst müsste unfehlbar sein. Die Philosophen, die gesagt haben: das, worin alle Menschen im Denken übereinstimmen, ist wahr, müssen recht haben, und sie würden recht haben, wenn das Böse nicht auf Erden wäre. Das ewige Wort erleuchtet wie eine Sonne jeden Menschen, der in diese Welt kommt (Joh 1, 7). In allen ist die Vernunft vorhanden, die von Gott kommt. Der Geist Gottes schwebt über dem Menschengeschlecht, wie er am ersten Schöpfungstag über den Keimkräften der Dinge schwebte. Was alle Menschen, die von diesem Lichte, das von Gott kommt, erleuchtet werden, gemeinsam schauen, sollte nur Täuschung und Irrtum sein? Es gibt allerdings Täuschung und Irrtum, aber wo? In den vom Ganzen getrennten Geistern, in den abtrünnigen Charakteren, in den Sündern, die das Licht Gottes nur im Prisma der angeborenen Selbstsucht sehen, und die, wie der hl. Paulus sagt, "durch ihre Ungerechtigkeit die Wahrheit Gottes niederhalten (Röm. 1, 18). Lassen wir diese beiseite. Es werden reine oder gereinigte Seelen übrig bleiben, die demütig und in der Einheit des Menschengeschlechtes an Gott gebunden sind, einer Einheit, die Christus allein, wie wir es gesehen haben, begründet und erhält. Was jene glauben und gemeinsam sehen, auch mit Christus, dem immer lebenden Haupt der Menschheit, ist wahr. So kann man zu begreifen anfangen, wie zuerst die Seele der Kirche unfehlbar ist, und wie dann die sichtbare Kirche unfehlbar ist, die von dieser vom Geiste Christi, welcher der Geist Gottes ist, durchdrungenen Seele belebt wird.

JÜNGER: Ich liebe wohl diese Seele der Kirche, aber man wird doch zur sichtbaren Kirche kommen müssen, zum Körper der Kirche, und dann werden wir unser Ideal verlassen. Muss man zunächst notwendig einen Teil des Lebens der Kirche ausmachen, um zu ihrer Seele zu gehören?

MEISTER: Nein. Man kann ein Teil der Seele der Kirche sein, ohne zu ihrem Körper zu gehören, und man kann ihrem Körper angehören, ohne einen Teil ihrer Seele auszumachen. Es ist aber in keiner Weise gleichgültig, wir werden es noch sehen, zum Leib der Kirche zu gehören oder nicht. Aber für den Punkt, um den es sich hier handelt, gilt, was der hl. Augustinus sagt:

"Die Kirche ist innerlich und äußerlich." "Viele scheinen außerhalb der Kirche zu sein und sind doch drinnen, und viele scheinen drinnen zu sein und sind doch draußen.

Das will bedeuten: viele sind in der sichtbaren oder äußeren Kirche und sind nicht in der unsichtbaren oder inneren Kirche; und viele sind außerhalb der sichtbaren Kirche und sind in der unsichtbaren Kirche. Der hl. Augustinus kommt auf diese Wahrheit zurück. Anderswo sagt er:

"Es scheint in der Kirche Seelen zu geben, die aber nicht darin sind.

Es gibt in der Kirche falsche Christen, und unter den - zweifellos nur dem Anschein nach - Gottlosen gibt es Kinder der Kirche. Die Bösen sind körperlich in der Kirche, geistig aber draußen. Das führt uns auf unseren theologischen Lehrsatz zurück:

"Alle Gerechten und nur diese gehören zur Seele der Kirche.

II. Die Heilsnotwendigkeit der Kirche

JÜNGER: Sie gaben mir eine nur kurze Erklärung des Grundsatzes: außerhalb der Kirche gibt es kein Heil. Trotz Ihrer Erklärung stelle ich mir vor, dass nach der Lehre der Kirche alles, was nicht katholisch, apostolisch und römisch ist, verworfen wird, dass die Heiden und die zahlreichen orientalischen Völker, die ganze griechische Kirchenspaltung, der ganze europäische Protostantismus, alle, die wir mit eigenen Augen außerhalb des Schoßes der katholischen Kirche leben und sterben sehen, von Gott verworfen sind.

Ist das aber möglich? Ist eine solche Lehre nicht eine Gotteslästerung?

MEISTER: Ich bin davon überzeugt, dass diese Lehre unerträglich ist. Doch wer lehrt sie? Die Lehre der katholischen Kirche besagt etwas ganz anderes.

JÜNGER: Wie verstehen Sie das?

MEISTER: Ich verstehe es buchstäblich. Man sagt, die katholische Kirche verdamme den größten Teil des Menschengeschlechtes. Ich erwidere, die katholische Kirche verdammt niemand, weder einen einzelnen, noch eine ganze Klasse.

JÜNGER: Heißt denn aber das nicht verdammen, wenn man sagt, außerhalb der Kirche sei kein Heil?

MEISTER: Sie können sehr wohl wissen, oder gar Ihre Unwissenheit in der katholischen Lehre sollte noch meine Vermutung übersteigen, dass die katholische Kirche niemals bestimmt von einem Menschen gesagt hat: dieser Mensch ist verworfen. In welchem Zustand des Verbrechens, der Irrlehre, des Unglaubens, der Ruchlosigkeit und scheinbaren Gotteslästerung auch ein Mensch vor unseren Augen stirbt, so hat doch niemals die Kirche gesagt noch sagen können: dieser Mensch ist verworfen. Sie sagt vielmehr: ich kenne das Urteil Gottes nicht, so dass die katholische Kirche niemals einen einzelnen Menschen verdammt hat.

JÜNGER: Was Sie sagen, klingt seltsam, und ich fürchte, dass Sie selbst die Glaubenslehre Ihrer Kirche schlecht auslegen.

MEISTER: Kennen Sie die Antwort des hl. Franz von Sales an jemand, der ihn fragte, ob Luther verdammt sei? Der hl. Franz von Sales erwiderte: wir wissen es nicht. Ein Katholik kann nicht anders antworten. Nehmen Sie einen berüchtigten Gottlosen, den größten Feind der Kirche. Fragen Sie die Kirche, ob dieser Mensch ein Verworfener ist. Die Kirche wird immer sagen: ich weiß es nicht. Suchen Sie heute einen einzigen Priester zu finden" der behauptet, dass Voltaire verdammt ist. Mehrere könnten Ihnen sagen: ich nehme es an. Aber kein einziger wird sagen: ich behaupte es im Namen des katholischen Glaubens.

In Rom gab es einen heiligmäßigen Priester, der Wunder wirkte. Ein Bösewicht, der für seine Verbrechen zum Tode verurteilt war, hatte jede Reue verweigert und hörte nicht auf, Gott zu lästern. Drei Tage lang bemühte sich der Heilige, wie ihn das Volk nannte, um diesen Menschen, erschöpfte alle Quellen seines Eifers und beschwor ihn, nicht in der endlichen Unbußfertigkeit zu sterben. Alles war vergebens. Der Verurteilte stieg auf das Schafott, der Priester folgte ihm dorthin, aber er wurde zurückgestoßen. "Volk," rief dann der Priester, "seht einen Verworfenen sterben." Welches war aber die Wirkung dieses Wortes? Vierzig Jahre später begann man den Heiligsprechungsprozess des ehrwürdigen Priesters. Die Wunder waren bezeugt. Aber man stellte den Wundern das auf dem Schafott des unbußfertigen Verbrechers gesprochene Wort entgegen, und die Heiligsprechung fand nicht statt. Ein solches Wort konnte nicht von einem Heiligen stammen, weil es den Glauben verletzte.

Ich schließe aus all diesem, dass die katholische Kirche die duldsamste Einrichtung ist, die jemals bestanden hat.

Gott gibt der Kirche die Gewalt, einige seiner wahrsten Freunde als Heilige zu bezeichnen; aber er hat ihr nicht die Möglichkeit gegeben, einen einzigen seiner endgültigen Feinde kennen zu lernen. Gott ist ein Vater, man vergisst es zu sehr; und er gibt keinem Menschen, selbst nicht der katholischen Kirche, seiner von ihm geleiteten Braut, die Möglichkeit, die ewige, schmachvolle Schande eines einzigen seiner Kinder kennen zu lernen, und zwar darum, damit wir alle hier unten uns ohne eine einzige Ausnahme lieben können.

JÜNGER: Was bedeutet aber das furchtbare Wort: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil?

MEISTER: Es bedeutet, dass diejenigen, die außerhalb der unsichtbaren Kirche sterben, nicht gerettet werden können. Das ist nur eine Folge der Bestimmung der unsichtbaren Kirche: die unsichtbare Kirche ist die Versammlung der Gerechten; wer nicht gerecht ist, gehört nicht zu ihr und bleibt in der Sünde. Dieser Grundsatz lehrt uns auch, was von höchster Wichtigkeit ist, dass das Schicksal jedes Menschen mit seinem Tode entschieden ist.

JÜNGER: Können Sie mir die wörtliche Lehre der Theologie über diesen Punkt anführen? Was lehrt man im Seminar über diesen Gegenstand? Ich möchte es mit eigenen Augen sehen, um zu glauben.

MEISTER: Die neueste, in den Seminarien der ganzen Welt verbreitetste Elementartheologie ist die vom Jesuitenpater Perrone, der Professor der Dogmatik in Rom ist. Hier folgt der Text einer seiner Thesen.

"Wer durch seine Schuld im Irrglauben, in der Spaltung oder im Unglauben stirbt, kann nicht gerettet werden", mit anderen Worten: "außerhalb der Kirche gibt es kein Heil."

Hier folgt der lateinische Text, da Sie ihn ja vor Augen haben wollen:

"CuIpabiIiter in haeresi vel schismate vel incredulitate ex hac vita decedentibus nulla salus esse potest", seu "extra Ecclesiam catholicam nulla datur salus." Ist das klar?

Der Verfasser entwickelt seinen Satz folgendermaßen:

"Wohl verstanden, was aus den Worten des Satzes selbst hervorgeht, handelt es hier nur um die, welche durch eigene Schuld im Irrglauben, in der Spaltung oder im Unglauben sterben, oder um diejenigen, die ausdrücklich (formell) außerhalb der Kirche sind; keineswegs handelt es sich um die, welche nur tatsächlich (materiell) außerhalb der Kirche sind, die seit ihrer Kindheit von Irrtümern und Vorurteilen eingenommen nicht einmal ahnen, dass sie im Irrglauben oder in der Kirchenspaltung sind, oder die, wenn sie einen Zweifel bekommen, die Wahrheit aus ganzem Herzen suchen. Gott wird jene richten, der allein die Tiefe des Herzens durchforscht. Die Güte und Milde Gottes erlaubt nicht, dass irgend ein Mensch eine ewige Strafe für ein unfreiwilliges Vergehen erleidet. Das Gegenteil behaupten heißt gegen die ausdrückliche Lehre der Kirche verstoßen."

JÜNGER: Ich war, wie ich gestehe, in großer Unwissenheit über das, was mir diese Ausführungen lehren. Alles, was ich bis jetzt über die katholische Unduldsamkeit gedacht habe, stützte sich auf einen tatsächlichen Irrtum. Ich verstehe die unsichtbare Kirche. Ich verstehe diese Kirche. Die ganze Menschheit müsste nur ein Herz und eine Seele haben. Aber es gibt Sünder. Sie machen die Trennung. Es bleiben die Guten. Die unter sich und mit Gott geeinten Guten haben nur ein Herz und eine Seele. Diese gemeinsame und von Gott gesegnete und geleitete Seele ist die Seele der katholischen Kirche. Alles, was es Reines auf der ganzen Oberfläche der Welt gibt, hat an ihr Anteil.

MEISTER: So ist es, und man versteht von diesem Gesichtspunkte aus ohne jede ,Schwierigkeit, was man die Merkmale und Eigenschaften der katholischen Kirche nennt: sie ist unvergänglich und unfehlbar, das heißt, da Gott ewig mit ihr ist, ist sie ewig im Leben und in der Wahrheit. Man begreift diese vier Merkmale der Einheit, HeiIigkeit, Allgemeinheit und Apostolizität. Die drei ersten Kennzeichen bedürfen keiner Erklärung. Die Apostolizität will einerseits besagen, dass sie in sich den Geist der Apostel trägt, den die Wahrheit fortpflanzenden Geist, und andererseits, dass ihre Apostel heutzutage die rechtmäßigen Nachfolger der ersten Apostel sind. Von diesem Gesichtspunkte aus versteht man auch das entsetzliche Unglück der Kirchenspaltungen und Irrlehren.

JÜNGER: Was ist eine Kirchenspaltung (Schisma), was eine Irrlehre (Häresie)?

MEISTER: Stellen Sie sich nach dem Evangelium die Kirche unter der Gestalt eines Baumes vor, dessen gemeinsamer Saft Gott selbst ist, eines lebendigen Baumes, dessen Frucht jede Seele ist. Nehmen Sie jetzt an, dass ein Zweig, eine Frucht für sich leben will. Das hat Ähnlichkeit mit der Kirchenspaltung und mit dem Irrglauben. Die Kirchentrennung will nicht wie der Irrglauben mit der Lehre brechen; sie beschränkt sich darauf, den Saft zurückzuweisen. Der Irrglauben dagegen bricht alle Bande, die ihn an das Ganze fesselten. Die Spaltung entspricht also am großen, allgemeinen Baum dem, was an seinem Platz, ohne zu brechen, verdorrt. Der Irrglauben ähnelt dem, was bricht, vom Baume fällt, zur Erde rollt und fernab verfault.

Die Selbstsucht, die in das Innere der Gott geeinten Seelen dringen will, wie ein Wurm in eine lebende Frucht, die Selbstsucht, wie sie vom Baume der Wahrheit und Liebe das an sich reißt, was sie vermag, sie ist der Geist des Irrglaubens und der Spaltung.

III. Die Sichtbarkeit der Kirche

JÜNGER: Welch Unglück, dass man sich nicht damit begnügt, uns die Seele der Kirche kennen und lieben zu lehren und in unserem Inneren wie einen gestirnten Himmel aufleuchten zu lassen, um in dem Ideal der unsichtbaren Kirche Trost auf Erden zu finden! Muss die Kirche einen Leib haben und nicht vielmehr im Zustand eines Engels bleiben? Ist es notwendig, dass sie sich mit einem Körper bekleidet, wo sich Gute und Böse, Schwächen, Krankheiten und Leidenschaften der Erde zusammenfinden?

MEISTER: Ich bin weit davon entfernt so zu denken. Das Wort ist Fleisch geworden. Wie könnte sich dann die Seele der Kirche erniedrigen, wenn sie sich einverleibte? Warum sollte sie nicht eine sichtbare Gruppe Menschen nehmen und sagen: das ist mein Leib, wie der Herr es, wenn man diesen Vergleich wagen darf, von einem Stück Brot gesagt hat?

JÜNGER: Aber schauen Sie nur diese schreckliche Menge von Heuchlern und Entweihern, von Schwärmern in Sinnlichkeit und Hochmut, die in der Kirche die ganze Kraft der Kinder Gottes lähmen werden.

MEISTER: Wir wollen nun genauer werden. Was ist die Seele der Kirche? Es ist die Gesamtheit der menschlichen Seelen, in denen der Geist Gottes herrscht. Diese Seelen, die im Grunde wie Gott denken und wollen, leben offenbar aus einem gemeinsamen und in Wechselwirkung stehenden Leben. Dieses gemeinsame Leben der Seelen, die aus Gott leben, ist das, was man Gemeinschaft der Heiligen nennt, welche die Seelen der Abgestorbenen und der Lebenden umfasst. Diese Lebenden haben aber einen Körper. Also hat die Kirche notwendigerweise einen Leib, und man muss hinzusetzen, dass dieser Körper gleichzeitig mit seiner Seele oder in einem gewissen Sinn schon vorher besteht.

Da sich dies aus der Natur der Dinge so ergibt, was war dann noch notwendig, damit der sichtbare Leib der Kirche, so wie er ist, sich bildete? Die lebenden Menschen mussten sich vereinen, um eine sichtbare Gesellschaft zu bilden. Aber dies war nicht einmal zu tun, es war schon Tatsache. Es war nicht notwendig sich zu vereinigen; es genügte sich nicht zu trennen. Die Kirche hat sich tatsächlich auf Erden wie ein Keim entfaltet: sie ist aus einem einzigen Keim hervorgegangen, von einem Punkte hergekommen und wie ein Baum, der sich ausbreitet, größer geworden. Christus, Maria und die Apostel waren ihr sichtbarer Kern. Wie eine Pflanze aus Luft und Erde die Stoffe nimmt, die ihren Körper bilden und entfalten, so nahm der usrprüngliche Kern der Kirche Menschen auf. In einem Augenblick strömten alle gerechten Seelen, die das Wort erreichen konnte, zur Kirche herbei wie die Ströme eines edlen Saftes, und der Körper der Kirche breitete sich auf Erden mit einer herrlichen Schnelligkeit aus, mit einer Art "Frohlocken der ganzen Welt", wie die Heilige Schrift sagt (Ps 47, 3). Nichts ist auch nur entfernt diesem Hauptereignis der Geschichte vergleichbar, dieser großartigen Geburt der freien Gesellschaft, der in Gerechtigkeit und Wahrheit vereinten Geister und Seelen.

"Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele", wie es in der Apostelgeschichte heißt (Apg 4, 32). Der hl. Paulus geht noch weiter:

"Wir bilden alle zusammen einen Leib in Christus, die einzelnen sind aber untereinander Glieder" (Röm 12, 5). So hat sich der vollkommenste aller Körper gebildet.

JÜNGER: Was bedeutet dann aber die Gegenwart der Sünder in der Kirche?

MEISTER: Da heißt es:

"Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken" (Mt 9, 12).

Diejenigen also, die der Kirche vorwerfen, Böse in ihrem Innern zu dulden, sind also denen ähnlich, die Jesus Christus vorwarfen, mit Zöllnern, Sündern und Leuten mit schlechtem Lebenswandel zu essen und zu trinken.

Vergessen Sie nicht, dass die Heiligung der Sünder das Hauptwerk Christi ist. Er nimmt die vergifteten Seelen und verleibt sie sich ein, um sie zu heilen. Die Kirche handelt wie die Heiligen, welche Aussätzige und Pestkranke pflegen. Darum wiederholt der hl. Augustinus in seinen Werken alles in allem mehr als vierunddreißigmal folgende Worte:

"Man muss die Sünder ertragen. Man muss sie in der Kirche ertragen. Man muss sie draußen und drinnen dulden."

Hat nicht Christus gesagt: Reißt das Unkraut nicht heraus (Mt 13, 29)? Als er anderswo die Apostel tadelte, welche die Bösen durch einen Blitzstrahl vernichtet sehen wollten, sagte er:

"Ihr wisst nicht, wes Geistes Kinder ihr seid" (Lk 9, 55). Die Kirche erträgt also die Bösen. Es kommt mitunter vor, dass eine neue Saftströmung diejenigen erreicht und belebt, die im Körper der Kirche wie ein totes Holz im Baumstamm stecken. Die Seele der Kirche arbeitet unaufhörlich daran, sie zu reinigen, zu beleben und in den Körper umzuwandeln. Obwohl die Seele der Kirche durch ihren Wohlgeruch auf der ganzen Erde nach außen hin erglänzt, so ist sie doch hauptsächlich im Körper, und diesem Körper anzugehören ist ein unvergleichliches Gut.

IV. Die Verfassung der Kirche

JÜNGER: Das ist wahrhaft evangelische Duldsamkeit. Aber Sie sagen nichts von Verdammung und Kirchenbann, von Inquisition und Scheiterhaufen. Ist nicht das Strafverfahren der Kirche den Grundsätzen des hl. Augustinus, die wohl die des Evangeliums waren, entgegengesetzt?

MEISTER: Zunächst glaubt man allgemein, dass Verdammung (Anathem) Verfluchung bedeuten soll. Die Kirche verflucht aber niemals. Verdammung bedeutet Ausschließung, und das ist dasselbe wie Kirchenbann (Exkommunikation). Die Kirche erträgt die Sünder, die Blinden und die Unwissenden. Wenn aber einer sich gegen sie empört, was geschieht dann? Da die Kirche eine freiwillige, freie Gesellschaft ist, so macht derjenige, der sich gegen sie wendet, dadurch keinen Teil mehr von ihr aus. Die Kirche erklärt dann, dass er nicht mehr an ihr Anteil hat und schneidet ihn unzweideutig als einen falschen Bruder ab: das bedeutet der Kirchenbann. Nur verpflichtet sie den Aufrührer, folgerichtig zu sein und sich der Sakramente, die er entweiht, zu enthalten. Der Gebannte, der frei war, sich nicht zu empören, ist frei, sich noch zu unterwerfen, und kann in den Schoß der Kirche zurückkehren, wenn er will, das heißt, wenn er sich den sittlichen und religiösen Bedingungen und den Strafen, die ihm auferlegt sind, unterwirft. Was ist darin nicht alles ganz einfach, gerecht, geziemend, unvermeidlich und heilsam, heilsam für den Körper der Kirche, der nicht diejenigen einschließen kann, die zu ihm nicht mehr gehören wollen, und heilsam für den Empörer, den eine gerechte und nachdrückliche Entscheidung aufklären und zurückführen kann? Die Inquisition war im Grunde nur eine Polizei zur Erforschung der geheimen Gesellschaften, welche den Körper der Kirche unterwühlten. Warum soll es auch Geheimbünde in einer freien Gesellschaft geben?

JÜNGER: So rechtfertigen Sie also die Inquisition und ihre Scheiterhaufen?

MEISTER: Wir müssen da unterscheiden. Was würde man zunächst gegen die Tatsache einer kirchlichen Polizei einwenden können, die dazu bestimmt war, aufkeimende Irrlehren aufzuspüren und Unwissende zu unterrichten? Es ist das Recht wie die Pflicht einer Gesellschaft, sich gut zu überwachen und alle ihre Teile immer im Auge zu haben. Etwas anderes ist es mit dem Seheiterhaufen. Hören Sie, was der hl. Augustinus über die Todesstrafe sagt, von der im Rate des Kaisers zur Zeit der Donatisten die Rede war.

"Alle guten Leute in der Kirche", sagt er, "verwerfen die Todesstrafe für die Irrlehrer."

Wer kennt nicht andererseits die große feierliche Verwahrung des hl. Martin von Tours und die der ganzen Kirche, als dieser Schrecken das erste mit dem Kirchenbann, die das Haupt der Irrlehrer verlangten, und diese Bischöfe wurden von der Kirche als Sekte verurteilt, die ihren Namen und Gegenstand in der Liste der Irrlehren hat. Man nennt sie Ithacianer.

JÜNGER: Ich möchte mit eigenen Augen den Abschnitt des Wörterbuches über die Irrlehren sehen, der sie angeht.

MEISTER: Hier ist er.

"Ithacianer. Name derjenigen, welche im 4. Jahrhundert sich mit Ithacius, dem Bischof von Ossonoba in Spanien, vereinten, um Priszillian und die Priszillianisten mit dem Tod zu verfolgen. Wie man weiß, war Maximus, der damals über Spanien und Gallien herrschte, ein Thronräuber und Gewaltherrscher, mit Verbrechen befleckt und wegen seiner Grausamkeit verabscheut. Die Todesstrafe, die er gegen die PriszilIianisten verhängt hatte, konnte gerecht sein, aber es stand nicht den Bischöfen zu, ihre Ausführung durchzusetzen. Daher wurden Ithacius und seine Anhänger von den anderen Bischöfen und allen guten Leuten mit Schrecken betrachtet. Sie wurden durch den hl. Ambrosius, durch den Papst Siricius und ein Konzil von Turin verurteilt.

"Der Kaiser bewog vergebens den hl. Martin, mit den Bischöfen um Ithacius gemeinsame Sache zu machen; er konnte es nicht erreichen. In der Folge aber wurde der Heilige nachlässiger, um einigen Personen das Leben zu retten, was er aber bereute. Ithacius wurde endlich abgesetzt und in die Verbannung geschickt."

So haben der Hl. Augustinus, der Hl. Ambrosius, der Hl. Martin von Tours, der Papst Siricius und das erste Konzil von Turin die Bischöfe und Priester verurteilt, die das Haupt der Irrlehrer verlangten.

JÜNGER: Aber später ist doch in der Kirche eine andere Ansicht hochgekommen?

MEISTER: In der Kirche ist nichts hinzugekommen. Aber im Staat mischte sich die Politik der Völker und Fürsten hinein, die an der Gründung der Einheit aller europäischen Staaten arbeiteten. Um dahin zu gelangen, suchten sie sich der Kräfte der Kirche und der Macht ihrer Einheit zu bemächtigen, und sahen daher gewöhnlich unter den Irrlehrern nur verbrecherische Zerstörer des Staates und der ganzen Gesellschaft. Darum ist die weltliche Gesellschaft für die Scheiterhaufen verantwortlich. Die Kirche dagegen hat immer ihren Grundsatz des Abscheus vor einer Bluttat hochgehalten. Als Ludwig XIV. die Protestanten trotz des Widerstandes von Fénelon und Bossuet rädern ließ, ließ ihm Papst Innozenz XI. schreiben: dass "der römische Hof jetzt mit einer Bekehrung durch bewaffnete Apostel nichts zu schaffen haben wollte; dieser Methode habe sich Christus nicht bedient." Die Kirche kann das an die Jünger gerichtete Wort des Heilandes nicht vergessen, die zu ihm sagten: Herr, sollen wir nicht Feuer vom Himmel auf diejenigen herabrufen, die uns nicht aufnahmen? Jesus antwortete ihnen:

"Ihr wisst nicht, wes Geistes Kinder ihr seid." Leider gibt es in diesem Punkte Schuldige und Verblendete: Fürsten, Völker und auch Priester. Das Ärgernis ist groß gewesen, und die Religion hat schwer darunter gelitten.

Es gibt, wie Sie sehen, in der Seele einer gewissen Zahl grausamer Menschen, Kinder Kains, einen Durst nach Blut, der nach lauter Vorwänden und Gründen sucht, um es zu vergießen, und sie alle durch Befleckung mit Mord zugrunde richtet.

Diese noch weiter entwickelte höllische Eingebung hat in einer politischen Sekte den Brudermord zur Lehre erhoben und verehrte und verehrt noch heute die Helden des Brudermordes als Märtyrer im Blute anderer.

JÜNGER: Mag sein. Aber über die Kirche ist noch nicht alles gesagt. Wie ist dieser Körper eingerichtet, den ihr den vollkommensten aller Körper nennt? Was bedeutet diese unbedingte Alleinherrschaft, diese verwickelte Rangordnung, diese beiden Klassen von Geistlichen und Laien und diese unveränderliche Verfassung?

MEISTER: Ich behaupte zunächst, dass es in der katholischen Kirche nichts von dem gibt, was Sie soeben sagten, und dass der Körper der katholischen Kirche ganz genau das vollkommenste Vorbild der sozialen Verfassung darstellt.

Was zunächst die beiden Klassen betrifft, so folgt daraus, "dass der Mensch nicht vom Brote allein lebt, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt" (Mt 4, 4), dass man zur Ernährung des Menschengeschlechtes immer zweierlei Arbeitskräfte in der Welt haben muss, von denen die einen das Brot, die anderen das Wort säen. Daher gibt es Priester und Laien oder die lehrende und die belehrte Kirche. Merken Sie jedoch, was von besonderer Wichtigkeit ist und jeden Gedanken an eine Kaste aufhebt, dass jeder Mensch das Recht hat, die eine oder die andere Arbeit zu wählen, wenn er dafür nicht irgendwie untauglich ist. Weil in dem Körper jeder vollkommenen Gesellschaft "jedes Mitglied, wie Bossuet bemerkt, in der Kraft des Ganzen handeln muss", so folgt daraus, dass niemand das Recht hat, in der Kirche mit Machtvollkommenheit zu lehren und zu handeln, außer nach der Weihe mit ausdrücklicher Sendung und im Auftrag einer Macht, die alles beherrscht.

Was die Regierung der Kirche angeht, so vereint sie im höchsten Grade die doppelte Bedingung der vollkommenen Gesellschaft, den höchsten Grad der Einheit vereint mit dem höchsten Grade der Freiheit. Sie vermeidet die zwei von Pascal angezeigten Hindernisse:

"Die Vielheit, die nicht in einer Einheit zusammengeschlossen wird, ist Verwirrung; und die Einheit, die sich nicht aus einer Vielheit zusammensetzt, ist Tyrannei."

Ein einziges Oberhaupt, das für Lebenszeit aus den Priestern ausgewählt ist, die sich selbst aus jedem Volke ergänzen, ein allgemeines Oberhaupt, das mit einem Ehrenprimat und einem Jurisdiktionsprimat über die ganze Kirche bekleidet ist, gibt der Kirche eine vollkommene Einheit und eine vollkommene Zentralisation aller Handlungen, die von der Hauptgewalt abhängen. Es gibt nicht und gab niemals eine der unsrigen vergleichbare Einheit. Aber wie es gleichzeitig in der Kirche einen einzigen, vornehmsten Mittelpunkt gibt, dessen Einfluss alles durchdringt, so gibt es auch untergeordnete Mittelpunkte. Man nennt diese auch Kirchen, um "diese Art wunderbarer Gleichheit der Teile zum Ganzen" zu zeigen, wie sich Bossuet ausdrückt. Jede Kirche hat ihren eigenen Mittelpunkt und ihren Hirten, der durch das Priestertum, dessen Fülle er besitzt, dem allgemeinen Hirten selbst gleich ist. Der Papst ist der Bruder der Bischöfe, Bischof wie diese. Jeder Teilmittelpunkt oder jede Kirche schließt übrigens alle Kräfte und alle Bedingungen des religiösen Lebens ein; sie regiert sich selbst durch die Wahl ihrer Diener. Sie besitzt die unbeschränkte Vollmacht der priesterlichen Weihegewalt, das heißt die Fähigkeit sich fortzupflanzen. Der Bischof selbst war nach der ursprünglichen Gewohnheit durch seine eigene Kirche, durch Volk und Geistlichkeit gewählt. Seitdem hat fast überall die Wahl durch örtliche Mächte nicht aufgehört. Der Papst nimmt sie als Mittelpunkt der Einheit an, verkündet den Namen des ernannten Bischofes (präkonisiert ihn), und die anderen Bischöfe weihen ihn.

Die Kirchen, diese der katholischen Kirche untergeordneten Mittelpunkte, bilden ihrerseits wieder andere, die in zweiter Linie untergeordnet, aber noch voll Leben und Träger der höchsten Vollmachten sind. Diese untergeordneten Stellen nennen sich noch Kirchen; ihre Häupter nennen sich noch Hirten (Pastor), wie die Bischöfe und der Papst. Übrigens besitzt jeder Priester, selbst der Hilfspriester oder Vertreter des Pfarrers, wie der Bischof und der Papst das Priestertum, obwohl er nicht ihre Fülle hat und es frei nur im Auftrag ausübt. In der Mehrzahl der priesterlichen Tätigkeit ist er von Gott allein abhängig.

Es ist das eine herrliche Einrichtung, die eines Tages alle Völker, wie ich hoffe, annehmen werden. So muss eine Macht wahrlich beschaffen sein, die sich über die ganze Welt ausbreiten muss, und die will, dass jeder Teil des Körpers "das Leben hat und in Fülle hat" (Joh 10, 10).

Darf ich erwähnen, dass diese vollkommene Verfassung an die der Sterne am Himmel erinnert? Es gibt am Himmel drei Ordnungen von einander abhängiger Mittelpunkte, von denen jede mit eigenen Bewegungen begabt, in sich völlig frei ist und doch von mächtigster Einheit beherrscht wird. Die irdischen Republiken verstehen bis jetzt gar wenig die Freiheit und Einheit, wie sie der Ordner der Gestirne und der Verfassungsgeist der Kirche versteht; oder sie besitzen gar keine Einheit oder führen in die Staatseinheit nur ein schwaches Abbild der drei von einander abhängigen Schwerpunkte ein: Zentralgewalt, Provinz und Gemeinde. Die Zentralgewalt allein hat Leben und Bewegung; die beiden untergeordneten Mittelpunkte haben Bewegung und Leben nur durch den Telegraph. Nun aber ist die Einheit die sich nicht aus einer Vielheit zusammengesetzt, Tyrannei, wie Pascal gesagt hat. Aber die Einheit, die sich nicht aus einer Vielheit zusammensetzt, ist nicht allein Gewaltherrschaft; sie ist auch Einsamkeit; es ist eine inhaltslose, unfruchtbare und entkräftete Einheit. Es ist eine tote Einheit, da durch Vernichtung der Freiheit die Einheit sich selbst zerstört.

Wir haben also, wie Sie sehen, weder Klassen noch unbedingte Alleinherrschaft, noch verwickelte Rangordnung. Unsere Verfassung ist vielmehr das Vorbild, das die irdischen Verfassungen eines Tages nachahmen werden, wenn die Völker wirklich der Freiheit und Einheit fähig würden.

JÜNGER: Was sagen Sie aber zu der Unveränderlichkeit dieser Verfassung?

MEISTER: Was verstehen Sie unter Unveränderlichkeit? Wollen Sie sagen, dass es dem Leibe der Kirche an Leben, Bewegung und Fortschritt mangelt? Oder beklagen Sie sich gar über die Festigkeit der Lehren und die unerschütterliche Beständigkeit unserer Verfassung? Ist die Einrichtung gut und die Lehre wahr, dann müssen Lehre und Verfassung andauern. Ihre Dauer beweist ihre Vortrefflichkeit. Wir haben keine veränderlichen Verfassungsurkunden, noch Verfassungen, die vergehen und alle fünfzehn Jahre zu erneuern sind, wie eine Arbeitsgesellschaft, die sucht, aber noch nichts gefunden hat.

JÜNGER: Das ist richtig. Dennoch ähnelt das, was Sie Festigkeit der Lehre nennen, sehr der Starrheit des Todes. Alles Lebende hat eine Art Fortschritt, geht vorwärts und entwickelt sich unter Aufrechterhaltung seiner Grundlagen und seiner Eigentümlichkeit.

MEISTER: Glauben Sie denn, dass diese Art Fortschritt uns fehlt? Wir haben seine Lehre und seine Anwendung.

Wollen Sie zunächst unsere Lehre über den Fortschritt kennen lernen? Ich entleihe sie der Theologie von Perrone, der den folgenden Text des hl. Vinzenz von Lérins anführt und billigt. Dieser schrieb im fünften Jahrhundert vor 1400 Jahren:

"Aber vielleicht sagt jemand: wird es also in der Kirche Christi keinen Fortschritt der Religion geben? Gewiss soll es einen geben, sogar einen recht großen. Denn wer wäre gegen die Menschen so neidisch und gegen Gott so feindselig, dass er das zu verhindern suchte? Allein es muss in Wahrheit ein Fortschritt im Glauben sein, keine Veränderung. Zum Fortschritt gehört nämlich, dass etwas in sich selbst zunehme, zur Veränderung aber, dass es aus dem einen sich in ein anderes verwandle. Wachsen also und kräftig zunehmen soll sowohl bei den einzelnen als bei allen, sowohl beim einen Menschen als in der ganzen Kirche, nach den Stufen des Alters und der Zeiten, die Einsicht, das Wissen und die Weisheit, aber lediglich in der eigenen Art, nämlich in derselben Lehre, in demselben Sinn und in derselben Bedeutung."

"Denn es gehört sich, dass jene alten Lehrsätze einer himmlischen Philosophie im Verlaufe der Zeit weiter ausgebildet, gefeilt und geglättet werden, sie mögen an Deutlichkeit, Licht und Klarheit gewinnen, aber sie müssen ihre Vollständigkeit, Reinheit und Eigentümlichkeit behalten" (vgl.).

Das ist die Lehre. Was denken Sie in Bezug auf die Ausführung dieser Lehre über den Fortschritt von den allgemeinen Konzilien, diesen gemeinsamen, gesetzgebenden Versammlungen, wo man in der Mehrheit des mit Gott geeinten Menschengeschlechtes abstimmt? Ihre Gewalt ruht in der Allmacht, wenn es nötig ist, alles zu verändern, was nicht unveränderliche Wahrheit ist.

V. Die Geschichte der Kirche

MEISTER: Zum Schluss hören Sie noch folgenden Geschichtsabriss:

Eines Tages erhebt sich im Mittelpunkt der bewohnten Welt, gegen Ende eines heiligen Mahles ein Mann, um dem Tod entgegenzugehen. Er wendet sich im Namen der zerstreuten Menschheit, die in Finsternis, Hass und Verzweiflung versunken ist, an Gott und richtet an die Welt folgende Worte, die heute noch auf der ganzen Erde widerhallen. Hören Sie dieselben mit Ehrfurcht an, lieber Bruder. Um den Sinn dieser göttlichen Sprache zu fassen, müssen Sie wissen, dass das Wort Herrlichkeit, das so wenig von uns verstanden wird, in der Sprache Gottes bedeuten will eine Ausstrahlung, wie die der Sonne, die Wärme, Licht und Leben in sich schließt. "Vater, die Stunde ist gekommen: verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche. "Du hast ihm ja Macht über alles Fleisch gegeben, damit er allen, die du ihm anvertraut hast, das ewige Leben verleihe.

"Das aber ist das ewige Leben: dich erkennen, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus.

"Ich habe dich auf Erden ver her r I ich t, indem ich das Werk vollbrachte, das zu vollbringen du mir aufgetragen hast.

"Vater, verherrliche mich nun bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.

"Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart, die du mir von der Welt gegeben hast" (Joh 17, 1-6). "Ich bin in ihnen verherrlicht" (Joh 17, 10).

"Bewahre sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast .." (Joh 17, 11).

"Für sie weihe ich mich, damit sie in Wahrheit geweiht seien.

"Doch nicht allein für sie bitte ich, sondern auch für jene, die durch ihr Wort an mich glauben, damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin; so sollen auch sie in uns eins sein ... .

"Ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind.

"Ich werde in ihnen sein, wie du in mir bist, auf dass sie vollkommen eins seien, damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie geliebt hast, wie du mich liebtest.

"Vater, lass jene, die du mir gegeben hast, bei mir sein dort, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir verliehen hast; denn du liebtest mich, noch ehe die Welt ward.

"Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt; ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast.

"Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn weiter kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebtest, in ihnen sei und ich in ihnen" (Joh 17, 19-26).

So sprach Christus.

Sie wohnen den ersten Pulsschlägen des Herzens der Kirche selbst bei.

Die Stimme Christi aber, besonders sein Geist und seine Herrlichkeit, das heißt, die göttliche Ausstrahlung seines Herzens, die mächtiger als die der Sonne ist, wollte in der ganzen Menschheit das Innerste jeder Seele finden und sprach zu den kleinen Kindern, zum Sklaven, zur niedrigsten Frau, zu den verschämten Armen, zu den müden Stoikern, zu den gelangweilten Epikuräern, zu den Menschen jeden Standes, jeder Sprache und jeder Farbe: "Kinder Gottes, wacht auf, liebt und vereinigt euch. Habt nur mehr ein Herz und eine Seele, da ihr alle ein Leib und untereinander Glieder seid. Kommt zu Gott, liebe Brüder, und zu mir, euerem erstgeborenen Bruder."

Bei diesen Worten hat die Menschheit gezittert. Alle reinen Herzen sammelten sich und stürzten sich wie junge Löwen zum Martyrium des Apostolates oder des Blutes.

In diesem Augenblick hat die Menschheit ein neues Herz bekommen, ein wirkliches, natürliches gemeinsames Herz in der Gemeinschaft des Blutes, dessen heilige Ströme die ganze Masse der Menschheit bis zum Ende zu beleben suchen werden.

An jenem Tage trat die neue Liebe in die Welt; die Seelen erhielten das Geschenk, gemeinsam mit Gott zu leben. Die Schläge eines Herzens kommen zu einem anderen, Kraft und Tugend eines Herzens strömen in ein anderes über; eine Seele wird heilig, weil eine andere sich heiligt. Jedes Glied wirkt in der Kraft des Ganzen.

Ein Herz in der Mitte, das Herz Christi, vereinigt alles durch die herrliche, brennende und leuchtende Anziehungskraft, die der Vater in sein Herz senkt. Er hebt für die Herzen die Abstände auf, die sich in ihm vereinigen. "In diesem Mittelpunkt, sagt Fénelon, finden sich die Menschen von China und Peru." Die Menschen aller Zonen der Welt sind eins, wenn sie wollen. Blind, wie wir sind, kennen wir nicht das Leben, die Kraft und die Stärke der Seelen. Wir sind ganz unwissend, was die Herrlichkeit Gottes, diese Ausstrahlung des im ganzen Weltall gegenwärtigen Gottes ist. Wie Sie wissen, beeinflussen und halten sich alle Gestirne des Himmels durch das Licht und die Anziehungskraft, aber die Seelen würden sich nicht beeinflussen, wenn nicht Gott sie erweckt und ihnen die Herrlichkeit, die ausstrahlt, gibt! Nein, der gegenseitige Einfluss der Gestirne ist nur ein schwaches Sinnbild der gegenseitigen Durchdringung der Seelen. Die Seelen sind einfach; und einfache Punkte, so zahlreich sie auch sein mögen, können nur einen ausmachen, so sagt die irdische wie die himmlische Mathematik.

Das ist der Glaubenssatz der Gemeinschaft der Heiligen: die Seelen finden sich in Gott, tragen sich und wohnen ineinander durch eine innere, wirklichere Gastfreundschaft als die äußere. Sie teilen ihre Schätze und Kräfte sich mit, sie sagen mit Christus und Gott untereinander:

"All das Meinige ist ja dein und all das Deinige mein, und ich bin in ihnen verherrlicht" (Joh 17, 10). Durch diese unberechenbare Kraft des Gleichklanges der edelmütigsten Herzen, der allein reinen, starken und mit Gott geeinten Herzen wird die Kraft und die Herrlichkeit der guten Herzen göttlich vervielfältigt. Die Schwäche der Armseligsten verwandelt sich in Kraft, die dauernd erstarrten Herzen werden wieder zum Leben erweckt, und die ganze menschliche Masse wird wenigstens im Ganzen trotz ihrer blinden, hartnäckigen und immer wieder auftauchenden Selbstsucht genötigt, der Gerechtigkeit, dem Lichte und der Liebe entgegenzugehen.

Sechstes Zwiegespräch Die Sakramente - Die Gnade

"Ich glaube an den Nachlass der Sünden."')

I. Die geistige Umwandlung des Menschen

JÜNGER: Es scheint mir, dass wir schon vom Nachlass der Sünde gesprochen haben, als wir von der Menschwerdung und der Erlösung handelten?

MEISTER: Das ist wahr; alle diese Fragen hängen eng zusammen, und im Grunde ist gerade dies die große Frage. Wie wird der Mensch umgewandelt und vom Leben zum Tod oder von der Selbstsucht zur Liebe übergehen? Hierin liegt die Hauptsache. Wir müssen davon noch sprechen.

Als Christus seine Apostel verließ, sagte er ihnen: "In seinem Namen muss allen Völkern ... Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden" (Lk 24, 47). Erinnern Sie sich an das, was die Sünde ist.

Die Sünde ist die ganze Frucht der Selbstsucht, der Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes. In diesem Tod der Seele - denn wer nicht liebt, ist im Tod - werden wir geboren oder wieder zurückfallen. Was will nun aber Buße heißen? Buße bedeutet im Wortlaut des Evangeliums buchstäblich geistige Umwandlung, so dass Buße, Nachlass der Sünden und geistige Umwandlung dasselbe sind.

Man versteht also, dass das erste an die Menschen gerichtete Wort des Heilandes folgendes war:

"Bekehrt euch, denn das Himmelreich ist nahe" (Mt 4, 17). Das heißt, entartete Seelen, wandelt euch um; gebt die niedere Form der Selbstsucht auf, um die göttliche Form der Liebe zu ergreifen.

JÜNGER: Kann der Mensch denn sich selbst umwandeln?

MEISTER: Sicherlich können Sie es sich nicht denken. Aus Erfahrung wissen wir, dass man sich nicht verändert. Im ganzen Lebenslauf verändert sich im allgemeinen selbst die Außenseite eines Charakters nicht. Die Hauptleidenschaft, die man von Geburt an im Herzen trägt, bleibt bis zum letzten Tage darin. Mit um so mehr Grund wird die Wurzel der Selbstsucht, welche die tödliche Krankheit der Seelen ist, keineswegs durch eine einfache Anstrengung von Vernunft und Willen geheilt. Die Seele ist in der Selbstsucht erstorben. Es braucht eine unendliche Macht, um das Tote zu beleben, wie um das Nichtseiende zu erschaffen. Der Nachlass der Sünden, die Umwandlung der Geister ist das Werk einer unendlichen Macht; denn die Sünde, wie man gesagt hat, bietet Gott mehr Hindernisse als das Nichts. Die Erschaffung setzt das Unendliche voraus. Die Erlösung setzt gewissermaßen eine besondere Macht des Unendlichen voraus. Nichtsdestoweniger gibt es im Nachlass der Sünden, der in der Umwandlung der Seelen besteht, außer dem göttlichen, unendlichen Anteil eine menschliche Seite. Gott und der Mensch spielt eine Rolle dabei. Gott wirkt, und der Mensch wirkt mit. Wir haben den göttlichen Anteil und den menschlichen Anteil der Erlösung, oder es ist die Erlösung selbst und dann ihre Anwendung auf jede Seele zu unterscheiden.

JÜNGER: Betrachten wir zunächst die Rolle Gottes.

MEISTER: Gott handelt im göttlichen Anteil der Erlösung in uns ohne uns, wie er uns schafft. Sofern Gott die Sünden nachlässt, ist es Jesus Christus. "Wisset," sagte Jesus Christus, "dass der Mensohensohn die Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben ..." (Mt 9, 6).

Anderswo sagt er: "Er (der Vater) hat ihm die Macht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist" (Joh 5, 27).

JÜNGER: Was will Christus mit den Worten sagen: "Weil er der Menschensohn ist."?

MEISTER: Er will damit sagen, dass das Wort, welches Menschensohn geworden ist, die Sünde in der allgemeinen, nicht in der persönlichen menschlichen Natur, welche die göttliche Person bekleidete, ausgetilgt hat. Er hat die Sünde von Grund auf vernichtet und die Selbstsucht durch das bedingungslose Opfer beseitigt. Er hat wirklich in sich die Seele, den Geist und den Körper der Menschen umgewandelt. All unsere Fähigkeiten, all unsere Kräfte, alles ist vollkommen rein, mit Gott vereint und von Gott durchdrungen in Jesus Christus, oder vielmehr alles ist in ihm vergöttlicht. Nach diesem in der Menschwerdung vollzogenen allgemeinen Werk gibt Christus sein Fleisch und sein Blut jedem Menschen, um ihn umzuwandeln. Er sagt diese wunderbaren, geheimnisvollen Worte: "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, so habt ihr das Leben nicht in euch" (Joh 6, 53). Indem er ihnen von außen sein Fleisch anbietet, schenkt er ihnen auch innerlich seinen Geist und sein Leben. Den Heiligen Geist sendet er ihnen in seiner Liebe und in der fortdauernden Bewegung seines Herzens.

Nun sind aber die göttlichen Kräfte von Liebe und Licht, die vom Herzen Christi in alle Herzen ausgehen, die Gnaden, diese inneren Gaben Gottes an die Seele, um sie zum ewigen Leben zu erheben. Die Mittel der Anwendung dieser geistigen Gaben für die kranken, blinden und sinnlichen Seelen sind die Sakramente.

Es soll aber damit nicht gesagt werden, dass die Gnade nicht auch unmittelbar die Seele erreicht. Das ist die Rolle Gottes.

JÜNGER: Was ist nun die Rolle des Menschen?

MEISTER: Sie besteht darin demütig zu sein, zu beten, leiden zu können, um umgestaltet zu werden und sterben zu wissen, um wiedergeboren zu werden. Zu sterben wissen ist der höchste urid edelste Gebrauch des Lebens.

Widerstehen Sie nicht der Gnade, sondern nehmen Sie diese an; gehorchen und leiden Sie, und das göttliche Edelreis schlägt Wurzel. Die Seele wird umgewandelt und trägt ganz andere Früchte als ihre natürlichen, wilden und entarteten Früchte:

"Selber erstaunt er
Über das neue Gezweig' und die nicht ihm eigenen Früchte."

Der hl. Petrus fasst die freie Handlung des Menschen im Werk der Wiedergeburt in die drei Dinge zusammen: Fasten, Almosen und Gebet (1 Petr 3, 8; 4, 8; 4, 7; Tob 12, 8)-

Das Fasten besteht darin, unsere Sinne, welche die Pforten der Selbstsucht sind, zu strafen oder auf das richtige Maß zurückzuführen.

Im Almosen betätigt sich das Mitleid, das uns um unsere Brüder sorgen lässt.

Das Gebet ist die Erhebung des Geistes, die uns zu Gott führt.

Ohne Fasten und ohne Enthaltsamkeit bleibt der Mensch im tierischen, trägen Leben, das in den Sinnen eingeschlafen ist. Dies sind die Windeln des Geistes und des Herzens, eine schwere drückende Hülle, die man durchbrechen und für die freien Regungen des Lebens biegsam machen muss. "Die ganze menschliche Natur ist eingeschlafen", sagt Bossuet. Anderswo ruft er aus: "Wie viele gibt es, die ein wenig aus dieser Masse Fleisch herausgehen und ihre Seele davon trennen, ohne wieder darin zu versinken ?"

Wie wird der Mensch ohne Almosen, der Geist ohne tätiges Mitleid mit unseren Brüdern Gott lieben können?

"Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht," sagt der hl. Johannes, "der kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht" (1 Joh 4, 20).

Das Almosen ist eine Art Sakrament der Toten. Wenn man auch geistig tot ist, kann man doch immer, wenigstens körperlich geben. Geben Sie also Ihrem Bruder, der ärmer als Sie ist. Teilen Sie ein wenig mit, so gering es auch sein mag. Dieser kleine Abbruch an der Selbstsucht genügt oft, damit Gott in Sie einzieht und Ihnen das Herz öffnet.

Das auf Fasten und Almosen gestützte Gebet, das sich der gröbsten Hülle der Selbstsucht entledigt hat, kann dann seine Schwingen entfalten, um sich zu Gott zu erheben. Das Gebet ist nur das notwendige Atmen der Seele in Gott, das für das Leben der Gnade notwendig ist. Aufhören zu beten heißt aufhören zu leben; noch beten heißt noch leben. Das Gebet ist die Rückwirkung der Gnade und die Antwort der Seele auf den göttlichen Antrieb. Es ist die menschliche Seite, der freie Anteil am ewigen Leben. Wie auch Gott uns erschaffen hat ohne uns, aber uns nicht erlöst ohne uns, wie der hl. Augustinus sagt, ebenso bleibt die große Frage des Lebens oder Todes für die Seelen diejenige: zu beten oder nicht zu beten. Man kann mit den Sakramenten verloren gehen, sagen die Theologen, aber nicht mit dem Gebet, weil Gott alle Menschen retten will, weil alle diejenigen, die es wollen, gerettet werden, und weil beten gerade heißt, gerettet werden wollen, es Gott sagen und ihn darum bitten. In der Tat, wer nicht seinen Tag durch ein Gebet zum auch in uns gegenwärtigen Gott, der uns sieht und hört, beginnt und endigt, der ist ein Unsinniger.

II. Das Heilige Messopfer

MEISTER: Diese ganze göttliche Tätigkeit in der Umwandlung der Seelen ist in der hauptsächlichen, wesentlichen Handlung des katholischen Gottesdienstes wunderbar dargestellt und im heiligen Messopfer, einem noch zu wenig gekannten Geheimnis, zur Vollendung gebracht.

Dieses Geheimnis besteht in der unblutigen fortdauernden Erneuerung des Opfers Jesu Christi. Es beruht auf der Anteilnahme am Opfer und seinen Früchten, welche die Menschen sich sichern, die ihm beiwohnen und sich da! einigen.

Das Opfer ist von höchster Wirksamkeit, da man mIt Jesus Christus sagen. kann:

"Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott" (Jak 20, 17).

Das Opfer ist der Übergang vom Bösen zum Guten, von der Natur zu Gott und vom Endlichen Unendlichen. Es besteht im Übergang des Abgrundes der Sünde zur gereinigten Natur und der menschlichen, endlichen Natur zur Vereinigung mit der göttlichen, unendlichen Natur. Betrachten Sie die Reihenfolge der Handlunfen im heiligen Messopfer.

Bevor der Priester im Namen Christi, eigentlich Christus selbst, der allein wahrhaft Priester ist, zum Altar hinaufsteigt, reinigt er am Fuße des Altares die menschliche Natur, indem er sie erneuert. Er erhebt und reinigt das sinnliche Fleisch und die verdorbene, befleckte Natur, indem er sich demütigt und sein Kreuz trägt. Er schlägt sich als Sünder an die Brust, insofern "unsere Ungerechtigkeit auf ihn übergeht," wie sich Bossuet ausdrückt. Dann steigt der Priester in Christus die Stufen des Altares hinauf, nach dem er ein kurzes Gebet zu seinem Vater, nicht nur als Menschensohn, sondern als Gott gesprochen hat. Er opfert Gott Brot und Wein auf als Sinnbild unseres gegenwärtigen irdischen, begrenzten Lebens. Dann wandelt er durch das Opfer diese endliche Natur in einen Gegenstand vom unendlichen Werte um, nämlich in Fleisch und Blut, in denen Gott lebt. Dann schenkt er diesen geopferten, aber göttlichen Körper, welcher der seinige bleibt, den Menschen, indem er ihnen sagt: "Nehmt hin und esset, dies ist mein Leib." - "Trinket alle daraus; denn dieses ist mein Blut" (Mt 26, 26-28).

"Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben." ... "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, so habt ihr das Leben nicht in euch" (Joh 6, 55). Das tut Gott.

Was müssen die Menschen um den Altar tun? Sie müssen sich mit Christus an die Brust schlagen und zulassen, dass er wie beim Abendmahl den Schmutz der Sünde von ihren Füßen wäscht. Sie müssen ihr natürliches Elend und ihre besonderen Sünden sehen, sie nach dem Beispiel Christi verabscheuen, der sie als erster von ihnen verabscheute, der sich als erster an die Brust schlägt und sich der Beschämung und des Hasses an unserer Stelle für wert hält, obwohl er selbst unschuldig ist.

Die durch ihn rein gewordenen und für ihn gewonnenen Menschen steigen mit ihm empor und berühren den Altar der Opfergabe und des Opfers. Gereinigt müssen sie sich aufopfern. Mit dem vollkommenen Opfer Christi vereint, der allein durch seine göttliche Macht und seine menschliche Natur fähig ist, die Selbstsucht im Menschen auszutilgen, wandelt sich der Mensch in Jesus Christus um, der in ihm lebt, der ihm zur Umwandlung vom Altar herab seinen Geist und die Pulsschläge seines Herzens sendet, die Antriebe seiner Liebe und die Strahlen seines Lichtes. Er bietet ihm sein Fleisch und sein Blut an, das mit seinem Geiste, seiner Seele und seiner Gottheit als ein ewiges Edelreis vereint ist, indem Gott und der Mensch kommunizieren und ihr Leben vereinigen, um zugleich göttliche und menschliche Früchte zu tragen. Denn diese Früchte, die das Blut der göttlichen Verbindung in uns hervorbringt, bringen auch wir mit hervor, wie ein eingesetzter Baumast durch das Edelreis lebt. Diese Früchte stammen von Gott aus betrachtet von ihm selbst und den Verdiensten Christi, und dann auch von uns und den Verdiensten des Menschen, in dem das Leben Christi gärt. Das ist das heilige Messopfer und seine Früchte.

JÜNGER: Aber ist das alles Wirklichkeit oder nur ein Bild?

MEISTER: Alles das ist Wirklichkeit und zugleich ein Bild. Diese Haupthandlung des Gottesdienstes bringt alles zur Erfüllung, was es darstellt, wie all unsere Sakramente die Gnaden bewirken, die sie bezeichnen.

Was das Messopfer betrifft, so hören Sie noch folgendes ! Gott ist überall, und Jesus Christus ist überall, wo er will. Wir vereinigen uns in der Nähe des Altares. Christus ist mitten unter uns in voller Wirklichkeit. Dort vollendet er ohne neue Blutvergießung die wesentliche Handlung des ewigen Lebens, das Opfer des Endlichen, um zum Unendlichen zu gelangen, das Opfer der Zeit, um zur Ewigkeit zu kommen, die Selbstverleugnung, um für andere zu wirken, und das Opfer der Natur und ihrer Grenzen, um Gott zu finden. Dieses tägliche Opfer, das fortwährend auf der ganzen Oberfläche der Erde zu allen Stunden der Zeit erneuert wird, besteht in den Pulsschlägen des Herzens Christi in Gott. Die menschliche Natur Christi sammelt sich, demütigt sich, verzichtet auf sich, vernichtet sich irgendwie als Opfer in jedem Herzschlag, um durch diese immer erneuerte Tätigkeit mit seiner ewigen Heiligkeit und seiner ewigen Liebe zu Gott uns zu helfen, die Selbstsucht in uns abzulegen, damit wir Gott in uns aufnehmen. Muss man nicht wissen, dass das Leben, das volle und wirkliche Leben von Seiten des Menschen eine fortwährende Opfergabe, ein fortdauerndes Opfer seiner selbst darstellt, dem Messopfer Gottes ein Strom ewiger Herrlichkeit entspricht? Daher ist das ewige Opfer Christi der ganze Ausdruck des ewigen Lebens.

JÜNGER: Müssten es die Menschen nicht mehr empfinden, wenn diese erhabenen Dinge wahr wären? Ich weiß wohl, dass die Lauheit eines Priesters und die Unempfindlichkeit der Beiwohnenden kein genügender Beweis für die Nichtigkeit dieser Übungen wären. Ich weiß wohl, die Menschen haben die Gewohnheit an Wundern vorbeizugehen, ohne etwas davon zu ahnen. Ist die Gegenwart Gottes in den Herzen nicht das größte Wunder? Wer vermutet es? Wer beschäftigt sich damit? "Sagt ihnen nichts, schreibt Fénelon. sie sehen nichts, sie denken an nichts. Das ist wahr. Aber es gibt dennoch Seelen, mag ihre Zahl auch gering sein, die von reinster Liebe zu Gott und ihren Brüdern verzehrt werden. Würden jene nicht, so scheint es mir, den gegenwärtigen Christus empfinden und schauen, wenn er gegenwärtig ist ?

MEISTER: Was Sie sagen, ist sehr wahr. Gewöhnlich haben während des Opfers Christi die Ausspender und die Anwohnenden wie einen Schleier vor Augen und Herzen, um nichts zu sehen und zu empfinden. Aber die reinen Seelen empfinden oft die Gegenwart Christi, und ich spreche buchstäblich wahr, einige haben ihn mit Augen gesehen.

JÜNGER: Was erzählen Sie mir da?

MEISTER: Ich drücke Ihnen nur meine tiefste Überzeugung aus, wenn ich glaube, dass Christus, da er wirklich auf dem Altare gegenwärtig ist, dort gesehen werden kann. Man kann zum Beispiel nicht anders als zugeben, dass die hl. Theresia Christus gesehen hat. Lesen Sie den Bericht, den sie davon gibt. Im besonderen glaube ich, dass der ehrwürdige Olier, der Stifter von Saint-Sulpice, Christus auf dem Altar gesehen hat. Ich möchte nicht daran zweifeln, dass eine große Zahl ihn gesehen hat. Für volle Wirklichkeit halte ich, dass das Herz des Gottmenschen, voll Liebe für seine Brüder, sich Gott in diesem Augenblick für sie schenkt, dann auf dem Altar sein Fleisch und sein Blut lässt als ewiges Edelreis und seinen Geist über das Volk ausgießt, um es anzuziehen und ihm zu sagen: "Kommt, meine Vielgeliebten, nährt euch, trinket, berauscht euch !"

JÜNGER: Sie glauben also, dass Brot und Wein [[Gott[[ wird? Das stürzt jede Wissenschaft und jede Metaphysik um.

MEISTER: Geben Sie acht, was wir lehren. Brot md Wein wird in den Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus umgewandelt. Behaupten wir, dass das Brot Gott wird, das heißt, dass die körperliche Natur in Jesus Christus göttliche Natur wird? Ist es nicht ein Glaubensartikel, dass es in Jesus Christus zwei Naturen gibt, die göttliche und die menschliche Natur, deren letztere die Seele und den menschlichen Körper einschließt? Wenn man nun die Menschwerdung zugibt, was ereignete sich mit dem Brot und Wein, von denen Jesus Christus sich auf Erden nährte? In einem unteilbaren Augenblick, in einem durch die Natur ganz geheimnisvoll bestimmten Punkt und Augenblick geschieht es, dass dies Brot aufhört, Brot zu sein, und sein Leib und sein Blut wird, wie das in allen unseren Körpern vor sich geht. Wir begreifen nicht weiter die augenblickliche Umwandlung der Nahrung in Blut, wie wir auch nicht das Geheimnis der Transsubstantiation (Wesensverwandlung) verstehen. Weder das eine noch das andere verstößt aber irgendwie gegen Gesetze der Wissenschaft oder Metaphysik.

Außerdem will ich Ihnen sagen, dass wir einen anderen Beweis für die wunderbare Macht des Opfers haben.

Es ist die Wirkung der heiligen Kommunion. Sicher führt die Kommunion oft dazu, Unreinheit in Keuschheit und Stolz in Demut umzuwandeln. Nun bedeutet aber Unreinheit in Keuschheit und Stolz in Demut umzuwandeln gewiss eine viel schwierigere Aufgabe, als Brot und Wein in Fleisch und Blut zu verwandeln.

Das größte aller Wunder besteht darin, in einem freien Wesen Hochmut und Sinnlichkeit, die doppelte Form der Selbstsucht auszutilgen, wozu es selbst nicht imstande ist.

III. Die Rechtfertigung

JÜNGER: Wollen Sie mir noch einmal die Geschichte der Umwandlung einer Seele klar machen, wie es die Theologie versteht. Wie kommt eine Seele vom Guten zum Bösen, und wie vom Unglauben zum Glauben? Wie geht das vor sich, was Sie mit einem Worte Nachlass der Sünden oder Rechtfertigung nennen?

MEISTER: Hier folgt es. Zuerst schwebt das Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1, 9), über jedem Herzen und Geiste und gibt jedem Menschen mit der Erkenntnis und Liebe von sich selbst einen unerschlossenen natürlichen, notwendigen Keim der Erkenntnis und Liebe Gottes. Was der Mensch empfindet und sieht, genügt, um ihn zu Gott zu erheben, sagt der hl. Paulus (Apg 17, 29; Röm 1, 19+20). Aber der Mensch, so fügt der hl. Paulus hinzu, hält oft die Wahrheit Gottes durch seine Ungerechtigkeit nieder (Röm 1, 18). Das böse Herz erstickt den natürlichen Keim der Gottesliebe unter der Eigenliebe. Gott war ihm gegeben, und es vertreibt Gott aus seinem Herzen. Es verletzt den grundlegenden Punkt des Naturgesetzes. Dadurch fällt es sogar unter das Joch der Leidenschaften, der Sinne und der Selbstsucht ohne Gegengewicht, was der hl. Paulus die "verworfene Gesinnung" nennt (Röm 1, 28). Dann ereignete sich, was Jesus Christus sagt:

"Jeder, der Böses tut, hasst das Licht (Joh 3, 20). Dieser Mensch bleibt dann der Gnade Christi und dem Geiste Gottes verschlossen und, wie der hl. Paulus noch sagt, "ist nicht zu entschuldigen (Röm 1, 20). Derjenige aber, der Gott in dem, was er von ihm erkennt, verherrlicht, so fährt der Apostel fort, das heißt, der die unerschlossene Erkenntnis Gottes, eine natürliche und notwendige Gabe, die jede Seele in sich trägt, achtet und zu entwickeln sucht, oder wenigstens nicht in sich erstickt, verschließt sich auch nicht dem Lichte von oben, das man übernatürlich nennt. Seine Seele ist der Gnade geöffnet, die allen gegeben wird, und die dort einzieht, wo sie kein Hindernis findet. Wer seiner Vernunft folgt, sagt der Hl. Thomas, dem gibt Gott Gnade und Glauben.

Wie geschieht das aber?

Gott hat im Grunde der menschlichen Seele, so sagt der Hl. Augustinus, Glaubenskeime gesät, die den in einem mütterlichen Schoß niedergelegten Keimen ähnlich sind.

Wir führen seine eigenen Worte hier an: "Es gibt in unserer Seele Anfänge des Glaubens, die den Keimen ähnlich sind, die im mütterlichen Schoße ruhen," Worte, die Fénelon so auslegt: "Es braucht eine sehr entfernte Vorbereitung, um immer näher zum Glauben zu gelangen, wie der Lebensanfang eines Kindes, das erst viel später geboren wird, ein noch ungebildeter Keim ist. Gott mischt den Anfang der übernatürlichen Gabe mit dem Rest der guten Natur, so dass der Mensch, der sie in seinem eigenen Innern vereint hat, sie nicht unterscheidet und in sich ein Geheimnis der Gnade trägt, von dem er nichts weiß." Darum sagt Tertullian: "Die Seele ist von Natur aus christlich;" und der Hl. Hieronymus sagte:

"Es gibt niemand, der in sich nicht etwas von der Geburt Christi trägt."

Aber so sagt der hl. Augustinus, für das Heil genügt es nicht, dass diese Keime vorhanden sind, sondern sie müssen geboren werden und zum Lichte kommen. Darum gießt Gott seine Sonne, seine Gnade, über die Bösen wie über die Guten. Aber die Bösen, die schlechten Herzen, die in der Ungläubigkeit der Selbstsucht leben, sehen nicht, verstehen nicht und ersticken oder entwurzeln die Glaubenskeime, die zur Geburt streben. Die guten Herzen dagegen sagt das Evangelium (Mt 13, 4-9; 18-23), sind wie ein fruchtbarer Acker; sie empfangen den Samen in einer guten Erde, die Frucht bringt. Sie tragen dann den lebendigen Glauben im Herzen, und der lebendige Glaube begründet die Rechtfertigung und die Umwandlung der Seele.

Das ist die Geschichte der Umwandlung der Seele.

IV. Die Gnade

JÜNGER: Jetzt bleibt mir noch genauer zu wissen übrig, was die Gnade ist. Können Sie mir wohl etwas von diesem Rätsel verständlich machen?

MEISTER: Ich habe es Ihnen schon gesagt, die göttlichen Pulsschläge, die vom Herzen Christi ausgehen, und die den Heiligen Geist zu allen Herzen senden, sind die Gnaden.

JÜNGER: Was ist also dann die zuvorkommende Gnade, die zureichende Gnade, die wirksame Gnade und die heiligmachende Gnade ?

MEISTER: Jede Gnade ist zunächst zuvorkommend. Der Heilige Geist erregt und kommt allen Herzen zuvor und bittet sie zugelassen zu werden. Das ist die zuvorkommende Gnade. Aber der Mensch, so sagt das Konzil von Trient gegen die Protestanten, [[Cum hoc tempore (Wortlaut)|kann der Gnade immer widerstehen. Derjenige, welcher der Gnade widersteht, widersteht einer Gnade, die zureichend war, um ihn zu erlösen. Derjenige, der ihr darin nicht widersteht, erfährt ihre Wirksamkeit, und die in sein Herz kommende Gnade heiligt ihn. Das ist der Sinn dieser Ausdrücke. Ich rate Ihnen, sich hier nicht weiter um sie zu kümmern.

JÜNGER: Was ist dann die Gnade an sich selbst? Ist sie eine Substanz, eine Beschaffenheit oder ein Seelenzustand? Ist sie Gott oder ist sie nicht Gott?"

MEISTER: Christus hat gesagt:

"Wer mich liebt, wird mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh 14, 23).

Der hl. Thomas von Aquin sagt infolgedessen:

"Durch die heiligmachende Gnade wohnt die ganze Dreieinigkeit in uns.

Daher ist die eigentliche Gnade, die heiligmachende Gnade Gott, insofern er persönlich in der Seele gegenwärtig ist, oder besser ausgedrückt, ist sie die Wirkung der persönlichen Gegenwart Gottes in der Seele.

JÜNGER: Was verstehen Sie unter der persönlichen Gegenwart Gottes?

MEISTER: Wir glauben alle, dass Gott überall ist; also ist er auch in den Seelen. Aber Sie glauben ohne Zweifel nicht, dass er auf die gleiche Weise in der Seele eines Heiligen und in der eines Bösen herrscht. Diese letztere ist davon weit entfernt, nicht zwar durch einen örtlichen Zwischenraum, wie uns der Hl. Augustinus sagt, sondern durch die Abkehr des Willens, während die erstere mit ihm in Erkenntnis und Liebe vereinigt ist. Gott ist nicht ein träges Fluidum, das unvermeidlich im Raum verbreitet ist. Der wahre Gott ist persönlich; er erkennt, er sieht, er liebt, er will, er ist frei. Nun wird aber die freie Vereinigung der Seele mit Gott, die Vereinigung aus Wahl und nach Willen, eine freie Vereinigung sowohl Messopfer des Menschen wie Messopfer Gottes, seine persönliche Gegenwart genannt. Diese ist für den Menschen der Gnadenstand oder die heiligmachende Gnade.

Diese belebende Gegenwart Gottes gießt der Seele die drei göttlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe ein, drei göttliche übernatürliche Kräfte, die unsere Seele nach dem Bilde Gottes umgestalten und die Gefolgschaft der wirklichen Gegenwart der drei göttlichen Personen sind.

Der hl. Paulus hat gesagt, dass "der Glaube ein festes Vertrauen auf das ist, was man erhofft" (Hebr 11, 1).

Tatsächlich schließt der lebendige Glaube die Gegenwart Gottes selbst ein, der in uns ist und uns mit seiner Kraft, seinem Licht und seiner Liebe durchdringt. Es ist der in der Seele ruhende Keim Gottes, wie der hl. Johannes sagt. (1 Joh 3, 9). Darum gibt uns der Glaube unergründliche Erleuchtungen und unberechenbare Kräfte.

V. Die Sakramente im allgemeinen

JÜNGER: Nachdem ich nun diesen Begriff der Gnade verstehe, wollen wir zu den Sakramenten übergehen.

MEISTER: Die Sakramente, so haben wir gesagt, sind wirksame Mittel der übernatürlichen Gabe, welche die Gnade ist, für die toten, blinden, kranken und sinnlichen Seelen. Diese Mittel haben einen sichtbaren, sinnlichen, natürlichen Teil. Es sind sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Gnade, welche die Gnaden, die sie bezeichnen, enthalten und verleihen.

JÜNGER: Das hat mich immer in Staunen gesetzt. Wie können natürliche Mittel die Gnade verleihen, welche den Geist Gottes oder wenigstens den Einfluss dieses Geistes vermittelt?

MEISTER: Wie kann denn die körperliche Erzeugung Leben verleihen und eine Seele, einen Geist ins Leben rufen?

JÜNGER: Ich weiß es nicht.

MEISTER: Ebenso weiß ich es auch nicht. Wenn aber diese offenbare Tatsache, eine der auffallendsten Naturtatsachen, gegeben ist, so kann ich im voraus die wirksame Kraft der Sakramente nicht für unmöglich erklären. Die Sakramente haben eine sichtbare Seite, eine Materie, ein Ding, aber sie haben auch eine geistige Form, eine Seele, einen Geist, welche im geheiligten Wort des Spenders besteht, das selbst das der Kirche ist, die im Grunde selbst nur die fortwährende Ausstrahlung und der liebeatmende, belebende Pulsschlag des Herzens Jesu Christi ist. Welche Rolle spielt nun das Ding des Sakramentes dabei? Eine ähnliche, die das gesprochene Wort, das äußerlich ein Ding ist, in Hinsicht auf den Gedanken darstellt, der Geist ist; diejenige, welche die Hand eines Vaters auf dem Kopf seines Sohnes ausübt, um ihn zu segnen. Wenn ein Vater sein Kind segnet und ihm die Hand auflegt, wird niemand sagen: was sollen diese Hände zwischen den beiden Geistern?

JÜNGER: Das ist richtig. Es bleibt indessen seltsam, dass die religiösen Wirkungen, das heißt vor allem die geistigen und sittlichen Wirkungen in unserer Seele auf eine irgendwie natürliche, unvermeidliche Weise hervorgebracht werden, ohne dass die Vernunft noch die Freiheit dazu mitwirken.

MEISTER: Entschuldigen Sie, eine gewisse Mitwirkung von Vernunft und Freiheit ist vorhanden, ausgenommen im Fall der Taufe der Neugeborenen, und selbst da nehmen wir eine Mitwirkung sittlicher Verantwortlichkeit als notwendig an. Was aber wahr bleibt, ist der Umstand, dass das Sakrament in uns ohne uns größere Dinge wirkt, als wir wissen oder vermögen. Das ist im Leben im allgemeinen so der Fall. Wenn Gott uns schafft, wissen wir davon nichts und können nichts dazu tun. Wenn das körperliche Leben das Blut in unserer Brust und alles übrige neubildet, können wir nichts dazu tun und wissen nichts davon. Wenn die Vernunft in irgend einer Weise in uns sich von außen her mit der Sprache fortentwickelt, was vermögen wir dazu? Ebenso wenn Gott der Seele seine Gnade schenkt, gibt es dabei eine verborgene Seite, die uns völlig entzogen ist. Das ist sogar wahr für unsere Vernunft.

"Die Vernunft", sagt Seneka, "ist nicht ganz klar, ihre größere und bessere Seite ist verborgen." Ebenso handeln die Sakramente, die geheimnisvollen Kanäle der Gnade, in uns ohne uns und vollziehen ihre Wirksamkeit durch sich selbst. Sie wirken aus vollzogener Handlung, ex opere operato, wie die Theologie sagt.

Auch haben die Sakramente meiner Überzeugung nach etwas von der Natur des Ablasses an sich.

JÜNGER: Was sind denn die Ablässe?

MEISTER: Sie beruhen auf der Anwendung des Grundsatzes von der gegenseitigen Verantwortlichkeit (Solidarität). Infolge der Verantwortlichkeit der Herzen hilft das Herz Christi allen anderen aus, die Seelen der Starken stützen die Schwachen, und die Schwachen lehnen sich an die Starken. Das macht die Wechselseitigkeit der Kräfte und Verdienste aus, die im Grunde alle von Christus kommen.

Wer hat sich gegen die Ablässe erhoben? Es waren die Protestanten, die, wie Bossuet ganz mit Recht bemerkt, aus dem ganzen Erlösungswerk einen einzigen Ablass gemacht haben, eine vollzogene Handlung ohne die vorausgehende Bedingung irgend eines guten Werkes, weder eines freien Aktes, noch einer sittlichen Handlung, während man zur Erlangung des katholischen Ablasses nach freier Wahl im Stande der Gnade sein muss.

VI. Taufe und Buße

JÜNGER: Doch kehren wir zu unseren Sakramenten zurück.

MEISTER: Im Heilswerk handelt es sich also darum, die toten Seelen zu erwecken und die lebenden zu beseelen. Daher gibt es Sakramente der Toten und Sakramente der Lebendigen.

Die Taufe und die Buße erwecken die toten Seelen. Die Eucharistie und die Firmung beseelen die Lebenden, indem sie ihnen das Licht und Leben geben, das heißt den Sohn und den Heiligen Geist. Dann muss man den Menschen vom Tode fernhalten und im Leben leiten. Die Letzte Ölung mildert den Todeskampf der Seelen, die mit dem körperlichen Tode ringen. Die Ehe und der Priesterstand trennen die Glieder der Kirche in zwei wesentlich verschiedene Richtungen, die von jedem frei gewählt sind, in diejenigen, die auf Erden neue Menschen zeugen werden, und in diejenigen, die schon auf Erden geborene Menschen für den Himmel gewinnen.

JÜNGER: Ist die Taufe unbedingt notwendig, um gerettet zu werden?

MEISTER: Ganz unbedingt.

JÜNGER: Aber dann verdammen Sie schlechterdings alle einzelnen Menschen, über deren Kopf das Taufwasser nicht geflossen und die heiligen Worte nicht gesprochen wurden?

MEISTER: Sie vergessen Ihren Katechismus. Wissen Sie nicht, dass die Taufe drei Formen hat, die nur eins sind: die Wassertaufe, die Begierdetaufe und die Bluttaufe.

"Diese drei sind eins", sagt der hl. Johannes (1 Joh 5,8).

JÜNGER: Sprechen wir dann von der Notwendigkeit der Buße oder Beichte. Was sagen Sie von denen, die nach einem offenkundigen schlechten Leben ohne Beichte in der Todsünde sterben?

MEISTER: Falls sie in der Todsünde sterben, fallen sie dem ewigen Tode anheim. Wer aber wird sich zu sagen getrauen: dieser Mensch stirbt in der Todsünde? Sie vergessen immer den Katechismus. Hat man Ihnen niemals von der vollkommenen Reue erzählt? Die vollkommene Reue, die eine wahrhafte Gottesliebe einschließt, rechtfertigt den Menschen unmittelbar durch sich selbst. Nach dem Konzil von Trient ist "die unvollkommene Reue ein Antrieb des Heiligen Geistes, der die Seele nur bewegt", die vollkommene Reue aber ist der Antrieb des Heiligen Geistes, sofern er der Seele einwohnt.

Im letzteren Fall werden die Wirkungen der Buße, nämlich der Nachlass der Sünden, ohne die Beichte hervorgebracht.

Ich betone diese Dinge, um das heutzutage der katholischen Kirche vorgeworfene grobe Unrecht zu widerlegen, wenn man sie nämlich beschuldigt, alle Menschen zu verdammen, und das auf vom Willen jedes Menschen ganz unabhängige Tatsachen hin. Die Kirche verdammt niemanden. Um ins Leben einzutreten, muss man sicher zur Seele der katholischen Kirche gehören, da ja diese Seele ihrer Bestimmung nach nichts anderes als das gemeinsame Leben der Seelen ist, die in Gott leben. Man gehört aber mitunter zu dieser Seele der Kirche, ohne ihrem Körper eingegliedert zu sein, wovon wir schon sprachen. Dennoch ist die Seele der Kirche, vergessen wir das niemals, hauptsächlich in ihrem Körper. Wenn Sie mit dieser Seele vereinigt sind, dann werden Sie wie ihre anderen Brüder die Ehrfurcht vor ihrem geheiligten Körper und Geschmack an ihren Übungen haben, soweit Sie diese kennen lernen; denn sie sind heilig und von Gott eingegeben. Wer sie verachtet, verachtet, was Gott einsetzt, und lebt nicht aus Gott. Wenn sie aber anfangen Gott zu lieben und sich mit ihm durch eine noch unbestimmte Religion verbinden, dann, glauben Sie es mir, sind Sie auf dem Wege zur katholischen Kirche. Sie werden alle ihre Übungen bis in die kleinsten Einzelheiten als wahr und heilig, belebend und heilsam finden. Wer begreift nicht das Wort eines modernen Dramas über die Beichte, wo die Heidin in dem Augenblick der Verzweiflung ausruft:"Ich möchte der Beichte wegen katholisch sein." Glücklich diejenigen, die nach langen, trüben Jahren im Irrtum und Schmutz der Leidenschaften zu diesem Bade der Seele, zu dieser Reinigung des Herzens zurückkehren! Die Lossprechung macht uns das Herz wieder frei, das ist ihre sinnliche Wirkung. Ich habe erloschene Herzen und durch jahrelange Sünden verdorrte Seelen einige Zeit nach der Lossprechung ausrufen hören: "Ich fühle das Herz meiner Kindheit in meiner Brust wiedergeboren. "

Die Seele war tot und leer an Liebe; sie wird wiedergeboren. Das Herz fühlt den Saft wiederkehren und findet den Geschmack und den Schwung wieder, den es vergessen hatte.

VII. Die Sakramente der Lebendigen

JÜNGER: Das sind die Sakramente der Toten. Sprechen Sie mir nun von denen der Lebendigen.

MEISTER: Wenn das Leben zurückkehrt, besteht seine erste Tätigkeit darin, das Leben zu bejahen; die Liebe will sich frisch erhalten. Das Leben will wachsen, das ist sein Wesen. Christus. behandelt dann unsere Seele, wie er das tote junge Mädchen behandelte, als er es auferweckt hatte. Er rief sie aus dem Tod zurück, indem er sagte: "Mädchen, steh auf!" Dann ließ er ihr zu essen geben (Lk 8, 54+55). Er, der gekommen ist, um uns das Leben zu geben, um es uns ewig zu geben, bietet uns Brot und Wein an, das Brot seines Leibes und den Kelch seines Blutes, das Blut des Neuen und Ewigen Bundes. "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, so habt ihr das Leben nicht in euch" (Joh 6, 54).

Christus bekräftigt dies. Jener empfängt sonst nur mitunter an der Oberfläche seiner Seele einige Lebensregungen; aber das Leben ist nicht bis auf den Grund, bis in die Mitte der Seele selbst gedrungen, "um eine.Quelle zu werden, die ins ewige Leben emporspringt" (Joh 4, 14).

Dieses Sakrament ist der Mittelpunkt der katholischen Religion. Gott, der menschgewordene Gott, sendet hier wie durch Adern das Blut seines Herzens zu allen Punkten des gemeinsamen Körpers der Menschen, die in ihm leben.

Das Sakrament der Firmung entfaltet in uns den Heiligen Geist, insoweit er durch die Taufe in unsere Seele gekommen ist; es vermehrt den Glauben. Es lässt uns von der Kindheit zum christlichen Mannesalter, von der Unschuld zu Weisheit und Stärke übergehen.

Die Letzte Ölung ist ein Sakrament, das dem Menschen Kräfte gegen den Tod gibt, um ihn aufzuhalten, oder um ihn im Frieden zu durchschreiten. Es reinigt die Seele im Augenblick dieses großen Überganges.

"Ist einer unter euch krank?" So sagt der hl. Jakobus: "Er lasse die Priester der Kirche rufen; die sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn." "Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken zum Heile sein, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben werden (Jak 5, 14+15). Das Evangelium des hl. Markus lehrt uns, dass die Apostel "viele Kranke durch Salbung mit Öl heilten" (Mk 6, 13). Der Katechismus des Konzils von Trient sagt, dass dieses Sakrament "Sacrosancta oecumenica (4) (Wortlaut)die Heilung der Seele, bisweilen auch die des Körpers zur Folge hat, falls das Heil der Seele es erfordere". Wenn letztere Wirkung nicht öfters eintritt, liegt es auch im Mangel am Glauben des Kranken.

JÜNGER: Glauben Sie das?

MEISTER: Ich glaube es ganz fest. Ich hin davon überzeugt, dass viele Menschen von selbst sterben, und dass die Umstände sie sterben lassen. Ein lebendiges, innerliches Gebet des Kranken und der Seinen, besonders das Gebet der Kirche, das Gebet der allgemeinen, durch Christus geleiteten Seele, das durch das Sakrament der Kranken für diese wirksam wird, würde häufig Heilung von Seele und Leib bringen. Man gebraucht die Letzte Ölung nicht richtig, man wendet sie oft nur für Tote an. Man verlangt sie mit einem Schrecken, der den Todeskampf nur um so schneller herbeiführt.

Wenn eine schwere Krankheit Sie befällt, rufen Sie zunächst den Priester, um vor allem Ihre Seele zu erleichtern; Ihre geheilte Seele wird sogar ohne Wunder für Ihren Körper von Segen sein. Durch die Letzte Ölung sind aber auch, wie wir wissen, natürliche Heilungen vor sich gegegangen.

JÜNGER: Über die Ehe stimme ich von vorn herein mit Ihnen ganz überein. Die Zerstörung der Familie würde den sozialen Verfall zur Folge haben. Die Ehe ist geheiligt.

MEISTER: Ich will darüber nur ein Wort sagen. Wenn die katholischen Vorschriften über die Ehe in der Welt beobachtet würden, wäre die Welt erneuert. Stärkere, schönere, mutigere und reinere Geschlechter würden nach wenigen Geschlechtern die Oberfläche der Erde bedecken. In dieser Erwartung würden Liebe und Glück unter jedes Dach einkehren. Die Übertretung der katholischen Vorschriften über die Ehe ist das Verderben der Menschheit; Gesundheit, Begabung, Glück, Liebe, alles wird durch diese Verletzung der wahren Lebensgesetze zerstört. Äußerst blind sind die christlichen Mütter, die ihre jungfräuliche Tochter einem Mann ausliefern, von dem sie im voraus wissen, dass er das große Sakrament der Ehe weder empfangen kann noch will, oder dass er mit erstorbener Seele diese Gnade der Lebendigen empfangen will, um sie zu verscherzen und zu entweihen, indem er sich selbst und seine Gefährtin verdirbt, die seine Mitschuldige wird. Für euch, arme Mütter, wäre es besser, das Leichentuch dieses Kindes vorzubereiten als seinen Hochzeitsschmuck.

JÜNGER: Wie verhält es sich dann mit dem Sakrament der Priesterweihe?

MEISTER: Vom Sakrament der Priesterweihe kann ich nicht mit Unvoreingenommenheit sprechen, denn ich hin selbst Priester.

JÜNGER: Sehr richtig. Sie können also vom Priester nur voreingenommen reden?

MEISTER: Das will ich damit nicht sagen. Ich liefere Ihnen aber den Priester und mich selbst gleichsam aus; schlagen Sie nur ordentlich zu. Wenn sie mich auf eine Wange schlagen, werde ich Ihnen die andere darbieten, und das wird recht sein. Im Vergleich mit unserer himmlischen Berufung sind wir nämlich Erdenwürmer. Wir besitzen den Schlüssel der Erkenntnis, wie das Evangelium sagt, und schließen selbst nicht auf (Lk 11, 52). Wir haben die Pforte des Himmels und treten selbst nicht ein und haben sogar oft noch die ferngehalten, die dort eintreten wollten. Der Priester hat wirklich und wesentlich die göttliche, unendliche Wahrheit in seiner Gewalt, macht aber wenig daraus. Der Priester weiß die Wahrheit auswendig, aber hütet sich davon etwas zu verstehen. Wie selten sind die Glücklichen, die davon eine Ausnahme machen! Wenn der katholische Priester das ist, was er sein muss, wird er das Angesicht Europas und der Welt erneuern, wenn er will. Wann aber wird er es wollen?

Betrachten Sie indessen, was uns zum Teil freispricht. Wir sind die einzige Macht, die Gewissensrechenschaft ablegt. Die katholische Geistlichkeit ist der einzige Stand, der sich ganz erkennt, der sich an die Brust klopft und Reue erweckt. Das macht ihn so dauerhaft wie die Welt.

Von Christus, dem ewigen Priester, der sich "einen Wurm und der Leute Spott" (Ps 21, 7) nennen ließ, von dem der hl. Paulus, sagte: "Wie der Kehricht der Welt sind wir geworden" (1 Kor 4, 13), bis zum Stellvertreter Christi, bis Innozenz III., der ein allgemeines Konzil in der Mitte des Mittelalters mit den Worten eröffnete: "Die ganze Verderbnis des Volkes kommt hauptsächlich von der Geistlichkeit" und bis zum glorreichen Pius IX., dessen erste Ansprache an seine Priester eine ernste Gewissenserforschung für die Geistlichkeit war, hat der Geist der Kirche, welcher der Geist Gottes ist, zu keiner Zeit aufgehört uns zu veranlassen, Missstände bei uns zu verabscheuen. Wissen Sie nicht, dass jährlich auf der ganzen Erde auch zu diesem Zwecke sich die Priester der Diözese vor ihrem Bischofe versammeln sollten ? Die Kirche ist also die einzige Körperschaft, die gleichsam beichtet, die der Buße, der Reue und der Lossprechung allein fähig ist. Daher stammt ihre Überlegenheit trotz der Armseligkeit ihrer Mitglieder.

Wenn man wüsste und begriffe, was das Priestertum ist, würde es zuviel Priester geben. Gott bedeckt, wie ich glaube, den Glanz und die Schönheit des katholischen Priestertums aus Vorsicht mit einem Schleier; zu viele Unvorsichtige würden sonst verloren gehen und sich an diesem Licht verbrennen. Der Priester ist der Mitarbeiter Gottes, er ist Apostel Christi, das heißt, er ist eine Ader dieses Herzens der Welt, ein Funke dieser glühenden, leuchtenden, liebeatmenden Herrlichkeit, welche der Sohn Gottes ist, um die Erde zu reinigen und fruchthar zu machen. Aber es gibt zu wenig wahre, zu wenig lebendige Adern.

Eines Tages betrachtete Jesus das Angesicht der Erde, wie es mit Menschen bedeckt ist, "die im Finstern sitzen und im Rande des Todesschattens wohnen" (Mt 4, 16), eingeschlafen, erstarrt, entkräftet, mit Lastern und Schmerzen beladen, bedrückt und mit Füßen getreten. Als er das sah, wurde er vor göttlichem Mitleid erfasst und sagte: "Betrachtet die Felder, sie sind bereits goldig zum Schneiden" (Joh 4, 35). "Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind nur wenige. Bittet darum den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Erpte sende (Mt 9, 37+38; Lk 10, 2).

JÜNGER: Wie sendet der Herr der Ernte Arbeiter in seine Ernte ? Warum sendet er nicht mehr?

MEISTER: Ich will es Ihnen sagen. Lieber Bruder, ist Ihnen mitunter diese innere Klarheit aufgefallen, wo die Seele sich erkennt, wo man plötzlich das Geräusch des Alltags, das ganze Leben und Treiben verschwinden fühlt? Kennen Sie diese heiligen Augenblicke, von denen die Heilige Schrift sagt:

"Es entstand eine Stille im Himmel, etwa eine halbe Stunde lang" (Offb 8, 1). Herrschte mitunter im Himmel Ihrer Seele ein Schweigen von einer halben Stunde? Was haben Sie dann unter dem ruhigen und durchdringenden Lichte in sich selbst alles gesehen? Sie haben im Herzen die Keime oder Narben unwürdiger, lästiger Leidenschaften und im Geiste Spuren von Empfindungen ohne Wert und Inhalt, ohne Licht und Ordnung gesehen: Vorurteile, Worte, leere Formeln, Reste von logischen Schlüssen, die wie Schatten sich vor dem leichtesten Zweifel beugen, wie die Schatten in der Unterwelt vor dem Schwert des lebendigen Helden. Was ist das alles, sagt die Seele, wenn sie dieses Schauspiel sieht. Eitle Gestalten, wer seid ihr? Ihr seid sicher weder das Glück, noch die Wahrheit. Dann bemächtigt sich der Seele eine große Traurigkeit und eine innere Trostlosigkeit. Alle diese Bilder erschrecken durch ihre Blässe, durch ihr Schweigen und ihre Nichtigkeit; alles ist inhaltsleer, die Seele öde, der Mensch allein, verlassen inmitten einer leeren Welt.

Wenn die Seele sich dann nicht an die Sinnenlust fesselt oder dem kalten, geistigen Hochmut nachgibt, seufzt in diesem Augenblick das der Liebe beraubte Herz auf. Wie seltsam und wunderbar, es ist einer der Augenblicke völliger Klarheit, wo die Erkenntnis der Trostlosigkeit so weit geht, dass selbst nicht in der Jugend ein völliges Verschwinden der Täuschungen und Gespenster vorkommt, um dafür eine festere Hoffnung auf das lebende Ebenbild Gottes zu fassen, nämlich auf das wirkliche, ihm ähnliche Wesen, auf den Menschen als seinen Bruder oder auf die Frau als seine Gefährtin. In diesem Zustand tiefer Anschauung erscheinen ihm die anderen Menschen auch wie leere und unbeständige, vergängliche und ungreifbare Bilder, deren Seelen man niemals zu sehen oder deren Herz man nie zu halten bekommt. Alles ist vergeblich.

Dann aber, einsame Seele, seufzendes, doch für einen Augenblick waches Herz, sind Sie an der Pforte des Himmels ganz nahe bei Gott, und Sie berühren die göttliche Welt. Die Erde erscheint Ihnen so klein, weil Sie eben sehr hoch getragen wurden. Was kommt dann? Gott selbst, Ihr Vater hat Ihnen diese Prüfung geschickt. Er hat Sie mit seiner Hand berührt, indem er vor Ihren Blicken den Schleier der Welt, Ihrer Wiege, hob; er hat Sie in seine Arme genommen und zu Ihnen gesagt: Kannst du mich jetzt sehen, kannst du mich lieben?

Wenn Ihr Herz noch nicht der vollen, unbedingten, übernatürlichen und unendlichen Liebe, nämlich der Liebe Gottes fähig ist, ist der Vater darüber nicht erzürnt. Er lässt Sie in Ihrem Schlummer mit göttlicher Geduld ausruhen und überlässt sie noch eine Zeitlang Ihren Träumen, vielleicht bis zum letzten Erwachen, wenn Sie nicht bereit sind, oder bis zu der Zeit, wo erwachsene Kinder endlich begreifen, dass alle Träume nichtig sind.

Wenn aber Ihr Herz stark genug ist, wenn es sich in diesem göttlichen Augenblick zu seinem Vater erhebt, dann schenkt ihm der Vater gleichsam eine neue Geburt und eine neue Auszeichnung als Mensch durch eine göttliche Umarmung, welche die Gnade der himmlischen Berufung ist. Dann setzt er Sie wieder auf Erden, aber wach, aufrecht und hellhörig.

Dann sieht man den Grund der Welt und nicht nur ihre Oberfläche. Man sieht, dass die Welt ein Feld ist, das mit eingeschlafenen Keimen besät ist, die der Hauch Gottes allmählich erweckt, und welche die älteren, schon lebenden Söhne auch im Namen des Vaters erwecken können. Bei diesem Anblick werden wir von grenzenloser Liebe für unsere schlafenden Brüder erfüllt und beginnen als Arbeiter, die der Herr der Ernte in seine Ernte sendet, die heilige Bestellung des Erdballs.

Siebtes Zwiegespräch: Das ewige Leben

"Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben."

JÜNGER: Das ist also der letzte Glaubensartikel: ich glaube an das ewige Leben. Vor allem ist das die große Frage. Gibt es ein zukünftiges Leben, eine andere Welt? In der Theorie geben wir alle die Unsterblichkeit der Seele wie das Dasein Gottes zu.

Aber wie wenig glaubt man im täglichen Leben daran!

MEISTER: Wenn man diese Wahrheiten nur äußerlich, mit Hilfe von Beweisfetzen, die man vergisst, und die der Zweifel unaufhörlich durchkreuzt, betrachtet, glaubt man sicher wenig daran. Glauben heißt, in sich, in seinem Leben, in seinem Herzen und Blut, das Wesen dessen selbst tragen, was man glaubt. Daher stammt der ewige Zwiespalt zwischen Religion und Philosophie. Die Religion gibt, was die Philosophie nur nennt. Ich spreche von der abgesonderten Philosophie und nicht von der, die der hl. Gregor von Nazianz "die höchste und heiligste Philosophie" nennt, welche die durch die Religion vertiefte Erkenntnis ist.

Der hl. Thomas von Aquin zeigt, was der Glaube ist, wenn er uns sagt: "Der Glaube ist ein gewisser Keim des ewigen Lebens in uns."

JÜNGER: Ich möchte gern den Glauben an das ewige Leben besitzen. Es ist das einzige wahre Mittel, sich mit der Notwendigkeit des Todes auszusöhnen.

Es ist nur zu wahr, dass im Grunde die Furcht vor dem Tod uns alle überfällt und entkräftet, und wie der hl. Paulus sagt, uns während der ganzen Dauer unseres Lebens zu Sklaven macht (Röm 6, 16). Wie frei wäre die Menschheit, wie groß, wenn sie den Tod nicht fürchtete! Soll denn niemals ein Zeitalter der Weisheit kommen, wo die Menschen im Glück der Erkenntnis und des Glaubens endlich an die Auferstehung glauben würden, wie sie an das Erwachen glauben! Dann könnten Wunder an Kraft, Mut und Aufopferung, an Liebe und Geist geschehen, welche in der großen Seele des Menschen dem Ebenbild Gottes verborgen liegen.

MEISTER: Lasst uns bitten, dass der Geist Gottes die Welt durchdringt und dieses Wunder herbeiführt. In dieser Erwartung möchte ich meine Überzeugung von diesen Dingen an Ihrem Geiste vorbeiziehen lassen. Wollen Sie mich eine Zeitlang anhören, ohne mich zu unterbrechen?

JÜNGER: Sehr gern.

MEISTER: Ich will Ihnen also erzählen, wie ich selbst mit eigenen Augen am Ende des gegenwärtigen Lebens das zukünftige Leben zu sehen glaube. Ich glaube durch diese Welt hindurch eine andere Welt zu schauen und sehe sie. Im gegenwärtigen Zustand des Lebens erkenne ich die Wirkungen und Spuren eines anderen, höheren Lebens. Ich schließe daraus, dass dieses andere Leben kommen wird. Wenn ein Beobachter am Himmel Bewegungen entdeckt, die durch Einflüsse der bekannten Welt und der sichtbaren Gestirne unerklärlich bleiben, dann schließt er ähnlich mit Sicherheit, dass eine andere, unsichtbare Welt besteht. Tatsächlich habe ich das, was ich soeben sagte, aus der Lehre der katholischen Kirche und aus der kraftvollen Überzeugung geschöpft, die der Glaube verleiht. Aber das Ganze kann man auf eine sehr einfache Schlussfolgerung zurückführen, die aus dem Anblick der Dinge, so wie sie sind, gezogen wird. Hier folgt dieser Beweis. Der Mensch sucht.

Der Mensch sucht das Leben.

Nun aber ist das Leben, wie es der Mensch sucht, das ewige Leben.

Also erwartet uns das ewige Leben.

I. Die Tatsache des Suchens

Der Mensch sucht. Das ist nicht nur eine Tatsache, sondern der Grund aller Tatsachen und die Ursache der Geschichte.

Zunächst findet sich die allgemeine Tatsache des Gebetes. Jedes Wesen betet. Was heißt aber beten? Beten heißt suchen.

Dann beweist es der fruchtbare Ausgangspunkt jeder wahrhaften Philosophie: "Ich sehe ein, dass ich ein unvollständiges von einem anderen abhängiges Ding bin, ein Ding, das nach Größerem und Größerem oder nach Besserem ohne Grenzen strebt."

Endlich beweist es der so eifrige Drang unseres ganzen Lebens. Immer treibt es uns aus der Gegenwart hinaus und drängt uns in die Zukunft: "Wir leben niemals, sondern wir hoffen zu leben." Der Mensch ist nur ein Pilger und das Leben nur eine Wanderfahrt. Dieses brennende Verlangen nach einem Ziele macht unseren Ruhm aus. Aber nicht nur der Mensch, so sagt der hl. Paulus, sondern jedes Wesen leidet und seufzt voller Erwartung:

"Wir wissen ja, dass die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt bis auf diesen Tag (Röm 8, 22).

Schauen Sie die Erde an. Die Erde, und das ist keine dichterische Redensart, sondern die Wirklichkeit selbst, ist ein fahrendes Schiff. Wir sind Reisende auf einem Schiffe. Die Welt ist in Bewegung und hat sich sogar, wie man sagte, verspätet. Nun haben aber alle diese Bewegungen der Erde, der Welten und der Natur, alle diese Veränderungen der Geister und Seelen ein Ziel. Man läuft, um anzukommen, nicht um zu laufen. "Der Zweck der Bewegungen kann nicht die Bewegung selbst sein," sagt der hl. Thomas von Aquin über diesen Gegenstand. Auf die erhabenste Weise hat es so auch der größte Geograph dieses Jahrhunderts ausgesprochen, für den die geographische Wissenschaft Moral und sogar Religionswissenschaft geworden ist:

"In ihren beständigen Umwälzungen sucht vielleicht die Erde den Ort ihrer ewigen Ruhe."

So sucht der Mensch und die Welt mit ihm. Die Bedeutung einer solchen Tatsache, die groß wie die Welt ist, kann nur etwas Unermessliches an sich tragen.

II. Das Suchen nach ewigem Leben

Der Mensch sucht. Was sucht er? Das Leben? Hat er es denn nicht? Nein. Wir fühlen einen Anreiz zum Leben, haben aber nicht das Leben. Das gegenwärtige Leben ist nicht das Leben schlechthin; das gegenwärtige Leben ist nur der Schatten des Lebens.

"Unsere Humanität", sagt ein Geschichtsschreiber, "ist nur Vorübung, die Knospe zu einer zukünftigen Blume."

"Der jetzige Zustand der Menschen ist wahrscheinlich das verbindende Mittelglied zweier Welten. "Er entwickelt sich ganz nur in der zweiten." Das gegenwärtige Leben ist eine Aufforderung zum Leben, ein Köder für das Leben, der uns unwiderstehlich antreibt, die Quelle dieses Göttertrankes zu suchen, von dem ein einziger Tropfen uns geschenkt ist. Darum ist der Mensch in seiner Jugend, in der Zeit seines Frühlingssaftes, in der Reifezeit, wo alle Kräfte erregt sind, wie berauscht von einer unendlichen Hoffnung und wie angelockt von Wohlgerüchen auf der Suche nach einer neuen, unbekannten Welt. Er besitzt das teilweise Leben; er sucht aber das volle Leben. Die dem Menschen so natürliche Verachtung der gegenwärtigen Welt und die Erwartung der idealen Zukunft, die Sehnsucht nach dem Wunderbaren und die Vorahnung vom Unendlichen sind Offenbarungen der Kraft, die uns anzieht. Die Seele des Menschen, zumal wenn sie erhaben, frei und rein ist, begreift und wünscht ohne Grenzen alle Schönheiten und Güter, von denen sie einige Spuren erfasst. Sie löscht alle Schranken, alle Grenzen, alle Unvollkommenheiten aus. Sie versteht die Liebe als ewig, die Tugend ohne Trübung, das Glück ohne Wechsel, die Wahrheit ohne Schatten, den Willen, der stärker als jedes Hindernis ist, die Kraft, die Raum und Zeit überwindet und wunderbare plötzliche Schöpfungen durch ein Wort, eine Bewegung, einen Wunsch verwirklicht. Alle diese Vorahnungen des menschlichen Herzens, diese goldenen Träume der Kindheit; der ganze Rausch dieses idealen Göttertrankes rühren von göttlichen Eingebungen her.

"Glaube deiner Seele", sagt die Heilige Schrift (Sir 32, 27). Das ist der göttliche Naturtrieb im Menschen, die religiöse Grundlage, und ich füge hinzu, die wissenschaftliche Grundlage. Der einzige Mangel dieser goldenen Träume besteht darin, nicht mehr ganz zu sein. Das Unglück dieser Vorspiegelungen liegt darin zu furchtsam zu sein und sie nicht unerschütterlich in der Seele zu behalten. Spott, Unglaube, stumpfe Gewohnheit des äußeren Lebens, Beispiele des toten, eingeschlafenen Lebens, das erfahrene, gelehrte Leute führen, haben bald dies ideale Streben im Herzen der Jugend herab gedrückt, wie man bei gewissen wilden Völkerstämmen den Kopf der Neugeborenen platt drückt, um allen den Gesichtswinkel und Ausdruck des Stammes zu verleihen.

Was man aber auch anstellt, so sucht der Mensch immer, und zwar sucht er das Leben. Doch oft sucht man sehr schlecht, wenn man das Verlangen, die Erwartung auf das Unendliche verliert. Man sucht tausendmal zu erforschen, was man tausendmal leer gefunden hat. "Weil die Tiere", sagt Leibniz, "ganz körperlich sind, darum fängt man sie so leicht."

Weil der "bloß natürliche Mensch", wie ihn die Heilige Schrift nennt (1 Kor 2, 14), kein ewiges Ideal mehr hat, und daher auch ganz im körperlichen Leben aufgeht, darum lässt er sich alle Tage in den gleichen Schlingen fangen. Aus tausend Beweisen vermag er nicht auf den folgenden zu schließen. Immer noch auf der Suche wie alle Menschen glaubt er, da alle Tage seines Lebens bis jetzt inhaltslos und unzulänglich waren, keiner das Glück gebracht und alle ihn enttäuscht hatten, würde der morgige Tag sicher ganz anders sein und das gesuchte Glück bringen. Er lebt in sehnsüchtigem Verlangen, das sich nur durch die äußere Form von dem unterscheidet, was er bereits besitzt. Mit der heidnischen Dichtkunst ruft er aus:

"Wo seid ihr,
"Spercheus' Au'n, und Taygetos' Höh'n, von lakonischen Jungfrauen
"Bacchisch umschwärmt? Wer setzt mich in kühlende Täler des Hämus?

"Wer wölbt über mir her ein weitum schattendes Laubdach ?"

Das ist schön, das ist dichterisch, weil es sehnsüchtiges Verlangen einflößt. Doch wie blind ist es! Sie denken, dass andere Gebirge und Flüsse besser wären als ihre Flüsse und Gebirge. Sie haben Italien, und sie wollen Griechenland. Sie sind in Neapel und am Golf von Bajä, und sie wollen den Hämon und Spercheios sehen.

Aber die Dichtkunst muss suchen und darf sich nie zufrieden geben, das ist ihr Wesen. Nur gibt es eine Dichtkunst, die schlecht sucht, weil sie nur Irdisches und Endliches sucht.

Doch hören Sie etwas von der neuzeitlichen Dichtkunst, die vom christlichen Sinn berührt ist.

"Und wär' im ganzen All mir alles kund geworden,
Ich spreche: nirgends mehr erwartet mich das Glück."
Nichts, nichts begehre ich vom großen All der Welt."

Aber, ruft der Dichter aus, es gibt eine bessere Welt und andere Wohnungen:

"Dort, wo die wahre Sonn' ganz andere Himmel schmückt,
Dort würd' ich an der Quell', nach der ich glühend schmachte,
Berauschen mich, dort fänd, Hoffnung und Liebe ich,

Und jenes Ideal, nach dem ich ewig trachte. Für das auf Erden noch kein Name findet sich." Das ist die volle Dichtkunst, die eifrig im Unendlichen sucht.

Der Mensch sucht wirklich ein anderes Leben, eine andere Welt. Zu dieser Quelle will er gehen, denn er will das Leben, und der hl. Augustinus sagt: "Wer ganz kurz Leben sagt, meint das volle, glückliche und unsterbliche Leben."

Hat das unsrige aber diese Kennzeichen? Daher ist es immer ein anderes Leben, das man sucht, da man niemals mit dem zufrieden ist, das man führt.

Schauen Sie sich zum Beispiel den Mann an, der Wissenschaft betreibt, also ein Leben des Geistes führt. Sehen Sie, ob es das gegenwärtige Leben unseres Geistes ist, das wir wollen, oder ob wir ein anderes suchen.

Fühlen wir nicht zuerst mit Schmerz, wie unser Geist stückweise Schlüsse zieht und dabei ausschließlich an Raum und Zeit gebannt ist? Finden wir nicht fast immer unsere Fähigkeiten zerstreut und oft sogar uneinig? Sehen wir nicht außer den Bewegungen, die vom Herzen durch alles sich hindurchziehen, dass die Sinne, das Bewusstsein, die Vernunft, die Einbildungskraft, selbst die Regungen und Verfahren des Denkens für sich wirken und sehr oft sich durch Widerspruch aufheben, anstatt sich durch Übereinstimmung zu vervielfältigen? Das Ganze ist dann wie ein gebrochenes und zurückgeworfenes Licht, das teilweise, beweglich und aussetzend ist.

Eine der für den arbeitenden Geist trostlosesten Tatsachen ist das verhängnisvolle Verhalten im gegenwärtigen Zustand, das uns einen Blickpunkt nur auf Kosten der anderen im Auge behalten lässt. Der Geist kann wie der Blitz zugleich nur einer einzigen Richtung folgen. Ein weiter verfolgter Gedanke schiebt unsere anderen beiseite, so dass man mitunter versucht ist, sich zu sagen: Wenn ich einen Stern nur unter der Bedingung, nicht mehr den Himmel zu sehen, erfasse, zu was ist es dann gut mich zu beunruhigen? Dazu vergisst der Geist, was er nicht mehr im Auge behält. Wenn er die Richtung wechselt, werden neue Formen in ihm lebendig, und die anderen vergehen. Man kann sagen, dass neue Blumen nur erscheinen können, wenn die anderen verblüht sind, dass neue Früchte nur nach der Zeit der ersten reifen können. Die Worte der Sprachen, sagte Horaz, altern und erneuern sich wie die Blätter eines Baumes. Ebenso gibt es in jedem Geiste fast zu bestimmten Zeiten einen Blätterfall. Die alten Gedanken gehen davon. Es gibt Lebensalter des Geistes; und von Lebensalter zu Lebensalter gibt es unter den Gedanken, wie in den Jahreszeiten, Arten, die verschwinden. Es gibt wohl am Himmel Gestirne, die verschwinden. Es gibt auch geistige Arten, die untergehen, und von denen man nichts mehr ganz unten im Gedächtnis findet als tief verborgene Überreste unter der noch immer fruchtbaren Sonne.

In unserem Geiste gibt es große und kleine Zeitabschnitte, Lebensalter und Jahreszeiten des Geistes, Zeiten der Unfruchtbarkeit und Zeiten der Fruchtbarkeit, endlich Abschnitte von Tag und Nacht.

Wie es Lebensalter und Jahre im Geiste gibt, so auch Tage. Wer nach Erkenntnis hungert, weiß es wohl. Fühlt man nicht einen notwendigen Wechsel von Licht und Dunkelheit über die Seele ziehen, wie Tag und Nacht auf Erden sich folgen? Welcher beschauliche Geist hat nicht diese seltsame Erscheinung beobachtet, wenn ein großer Gedanke sich in unseren Gesichtskreis drängt, um ihn zu erleuchten. Wenn man ihn dann an sich fesselt und mit begierigem Auge alle Strahlen daraus trinkt, führt man wider seinen Willen einen von seiner Seite aus veränderten Anblick. Man könnte meinen, dass der Denkkreis sich wie das Himmelsgewölbe dreht. Zweifellos ist es nicht der Gedanke, der sich ändert, sondern nur allein wir. Denn für uns wechselt ein Gedanke seinen Anblick, fällt zusammen, erbleicht im Untergehen und verschwindet dann nach einiger Zeit. Man möchte ihn noch sehen, kann es aber nicht. Man kann wohl daran denken, aber es ist nicht mehr der lebendige, gegenwärtige Anblick. Er ist nur mehr eine verblassende Erinnerung und ein verschwundener Eindruck. Das belebende Licht des Gedankens können wir in uns nicht nach Wunsch hervorbringen. Man muss darauf warten. Oft sieht man es nach einer Zeit viel schöner an einer anderen Seite des Himmels wieder erscheinen. So ist das gegenwärtige Leben des Geistes beschaffen. Es bringt nur Tropfen der Erkenntnis für den Geist, wie die Gestirne unseres Himmels nur Tropfen des Lichtes für die Nacht sind. Es gibt nur Anreiz nach Erkenntnis, und darum suchen wir immer. Der Mensch ist nicht und wird niemals mit stückweiser Erkenntnis zufrieden sein. Darum bleibt die Philosophie nie stehen. Die Philosophie ist, wie man weiß, nicht eine ganz in Besitz genommene Wissenschaft, nicht ein vollendetes, noch ein vollendbares Werk. Die Philosophie ist Bedürfnis, Forschung, Weg und Aufgabe. Die Philosophie geht vorwärts und ruht niemals aus, denn sie sucht die volle Erkenntnis. Nun aber hat sie diese niemals gefunden. Mehr als einmal hat sie in erhabener Täuschung geglaubt, dass der volle ununterbrochene Tag sich über die Welt erheben sollte. Aber nach jedem philosophischen Zeitabschnitt hat die edle Wanderin betrübt an jedem Abend des menschlichen Geistes mit der Dichtkunst, ihrer Schwester, sagen können, die wie sie pilgert und sucht:

"Des Tages Licht verlöscht auf deinen Höhen, o Erde! Meine Schritte schleichen still.

Und langsam durch die Nacht. - Ihr, meine Augen,

Wann werdet ihr den göttlich milden Glanz
Des Tages begrüßen, welcher nie verlöscht?"

Und weiter:

"Muss der bestürzte Blick des freud'gen Licht's Der Finsternis
unheimlich Walten schaun ?"

Was beweisen diese Verse? Sie zeigen, was ich schon erwähnte: das Seufzen des Geistes in der stückweisen Erkenntnis und sein Verlangen nach voller Erkenntnis. Die Tatsache ist dichterisch, infolgedessen allgemein und wahr. Ja, der menschliche Geist will die göttlichen Klarheiten des Tages grüßen, der nicht erlöschen wird.

So steht es mit unserem Geiste; doch was will unser Herz?

Wenn unser Geist leidet und seufzt, meinen Sie, dass das Herz nur auf einem Rosenbett ruht? Wenn unser Geist nicht die volle Erkenntnis hat, hat unser Herz dann die volle Liebe? Ach, man ist noch mehr der Liebe als der Erkenntnis beraubt. Das menschliche Herz ist mit Dornen gekrönt, wie die Bilder des Herzens Jesu, das man von Dornen umgeben darstellt. Wenn das menschliche Herz immer schlägt, kommt es daher, weil es immer sucht. Jeder Schlag ist eine vollendete Prüfung und eine neue Versuchung zum Leben. Es ist nicht nötig mehr darüber zu sagen.

So lebt unser Geist, unser Herz, unser ganzes Sein nur stückweise.

"Denn Stückwerk ist unser Erkennen", sagt der hl. Paulus (1 Kor 13, 9).

Wir fügen hinzu: Unser Leben ist Stückwerk. Unser Leben ist nicht voll und hat nicht alle Ausdehnungen. Das Leben ist nicht dauerhaft, es ist nicht einmal oberflächlich im strengen Sinne des Wortes. Das Leben ist linienhaft und durchläuft seine Linie nur Punkt für Punkt.

Unser Leben ist in Tätigkeit (in Akt) immer nur in einem Zeitpunkt und in der Möglichkeit dazu (in Potenz) für das übrige. Das Übrige ist zukünftig, das übrige ist vergangen, das übrige ist möglich oder der Anlage nach vorhanden: nur ein einziger Augenblick ist gegenwärtig und wirklich. Dieser Punkt ist sogar nur ein Blitz:

"Der Augenblick, wo ich spreche, ist weit schon von mir entfernt."

Wir schreiten nicht nur immer fort, und wie Fénelon so treffend gesagt hat: "ist unser Leben fließend," sondern wir selbst verändern uns auch dabei, und unsere aufeinanderfolgenden Zustände schließen sich aus.

Das reife Alter schließt Kindheit und Jugend, das Greisenalter alles aus. Wo sind die Seelen, die es verstehen, in lebendiger Beziehung mit ihrer Vergangenheit und ihrer Tugend zu bleiben, die Frische der Kindheit und die Begeisterung der Jugend mit der Reife des Mannesalters zu verbinden und alle diese Lebensalter im Herbst des Lebens zu mildern? Wer wird uns die gegenseitige Durchdringung der Lebenszeiten geben? Wer wird uns das ganze, gesammelte Leben schenken?

Das ganze, gesammelte Leben, dieses Leben allein verlangen wir: "Der uneingeschränkte und vollkommene Besitz eines Lebens ohne Ende." Das ist die theologische Formel. Das erhofft die Dichtkunst ebenso wie der Glaube: "Auf Erden erleben wir aufeinanderiolgende Zustände," sagt ein liebenswürdiger Geist; "wenn aber der Tod uns zu dem gemacht haben wird, was wir sein müssen, soll man da nicht glauben, dass wIr dann ganz unsere unbefangene Kindheit und schöne Jugend zugleich vereint mit unserem gereiften Alter und Greisenalter als Geschenk besitzen werden, ähnlich wie solche besonderen Bäume, die zugleich auf einem kräftigen Stamm Blätter, Blüten und Früchte tragen."

Handelt nicht auch davon das Gebet des hl. Augustinus, wenn er das gegenwärtige Leben eine Zerstreuung nennt und bittet, endlich ganz gesammelt zu werden: "Bis du mich, Herr, und mein ganzes Sein aus dem zerstreuten und entstellten Leben in dir aufnimmst."

"Zerstückte Glieder eines Dichters", das sind wir.

"Aber das Wesen des Werkes missglückt,

"Da zu schaffen ein Ganzes er nicht weiß." Das ist das gegenwärtige Leben. Es ist eine Reihe von Einzelheiten, wo aber ist das Ganze? Nun wollen wir aber das Ganze, unsere Einheit, unsere Gesamtheit.

Schauen Sie sich die Menschheit an. Sie zieht wie wir vorüber. Punkt für Punkt, Welle um Welle. Wenn in jeder Seele die Fähigkeiten, die Gedanken, die Augenblicke verstreut sind und nur Punkt für Punkt über der schmalen Lebenslinie auftauchen, die verschwindet, sobald man sie bezeichnet, was soll man dann von der Einheit des Menschengeschlechtes sagen. Wir sind Brüder, wir sind eins. Gott will es! Aber welch seltsame Familie ist die unsrige! Wir sterben, ohne die Mehrzahl unserer Brüder gesehen zu haben. Die Mehrzahl sterben vor unserer Geburt oder wird erst nach unserem Tode geboren. Wir sollen alle Menschen lieben, unser Herz will alle Menschen lieben, wie unser Geist alle Gedanken erkennen will.

Aber selbst in dieser Welle und in diesem Geschlecht, von dem wir einen Teil ausmachen, trennt uns der Raum aus Mangel an Zeit. Wie viele unserer Zeitgenossen, selbst die nächsten, haben wir, ich sage nicht geliebt, sondern nicht einmal gesehen und betrachtet?

Warum sollte nicht auch die ganze Menschheit von ihrem Vater und Schöpfer verlangen, nach der Zerstreuung eines Tages endlich ganz vor ihm an der Tafel des Vaters der Familie in Einheit versammelt zu sein? Auch die Dichtkunst hofft dies: "Also ringt wahrscheinlich auch hier", sagt ein Dichter, "die größte Mannigfaltigkeit zur Einheit, und die allumfassende Natur wird ein Ziel haben, wo sie die edelsten Bestrebungen so viel artiger Geschöpfe vereinige und die Blüten aller Welt gleichsam in einen Garten sammle."

Jedenfalls verspricht dies Christus:

"Ich gehe ja hin, euch eine Stätte zu bereiten" (Joh 14, 2). Als Jesus Christus die Erde verließ, sagte er: "Es wird eine Herde und ein Hirt sein" (Joh 10, 16). "Ich

. gehe ja hin, euch eine Stätte zu bereiten ... damit auch ihr seid, wo ich bin" (Joh 14, 2+3).

Das ist das Leben, welches das Menschengeschlecht sucht, das ganze, gesammelte Leben, das Leben ohne Zerstückelung oder Zerstreuung, in uns selbst oder zwischen uns, die wir die Glieder eines und desselben Körpers sind. Das nennt das Evangelium mit einem einzigen Wort das Leben. Das bestimmt die katholische Kirche als "den uneingeschränkten und vollkommenen Besitz eines Lebens ohne Ende," nämlich als das ewige Leben,

Der Mensch sucht also tatsächlich das ewige Leben, das ewige Leben, wie es die katholische Kirche beschreibt und verkündet.

Also wird er es finden, denn jedes Wesen sucht nur das, was es finden muss. Das ist meine Schlussfolgerung.

Was denken Sie darüber?

JÜNGER: Ich mag Ihren Beweis wohl gern, aber …

MEISTER: Was aber?

JÜNGER: Ich will es Ihnen gleich sagen.

III. Die Auferstehung

JÜNGER: Ja, das schöne Ideal ist herrlich; aber die traurige Wirklichkeit ist anders. Wir träumen von Unsterblichkeit. In Erwartung darauf schwinden wir aber dahin wie die Wellen eines Flusses oder wie die Herden, die man zur Schlachtbank führt. In kurzer Zeit werden die Lebenden von heute unter der Erde schlafen. Ihre Körper werden sich auflösen, nachdem sich die Würmer davon genährt haben; sie werden den Boden düngen, in die Pflanzen und die Ernte übergehen und in den allgemeinen Kreislauf der Dinge zurückkehren. Sie dagegen glauben, dass diese Millionen von einzelnen, verstreuten Atomen, die auch in andere Menschen übergegangen sind, sich wieder zusammenfinden werden, um meinen Körper aufzubauen! Wenn nun mehrere das gleiche Staubkorn besessen haben, werden sie sich dann darum streiten, wie man sich hier unten um die Erde und ihre Schätze stritt?

Wenn ferner alle Menschen wiedergeboren werden, ist unsere Erde nicht groß genug. Wo soll man sie unterbringen? Auf einem anderen Planeten? Sind aber die anderen Planeten mehr wert als der unsrige? Bleibt nicht immer die gleiche Aufeinanderfolge von Nacht und Tag, von belebendem Frühling und tödlichem Winter, und infolgedessen von Leben und Tod? Ich sehe in dem unermesslichen Weltall keinen Platz für die Unsterblichkeit.

MEISTER: Ich sehe, dass Sie die Sonne vergessen. Doch fahren wir fort. Die Sonne selbst ist nicht der Himmel. Darüber, was aus unserem Körper wird, hat Jesus Christus gesagt:

"Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützet nichts" (Joh 6, 64).

Wissen wir nicht, dass unser Körper ein lebendes Netz ist, durch dessen Maschen der Stoff geht, wie ein Fluß durch sein Strombett? Man hat gesagt, dass alle sieben Jahre der ganze Stoff unseres Körpers sich erneuert. Dennoch bleibt es immer der gleiche Körper. Der Stoff ändert nichts daran. Ich bleibe ich, was auch die Atome des Stoffes sein mögen, die das Leben hinzuträgt oder davon nimmt. Dort wo der Keim meines Körpers sein wird, und wo der Odem Gottes ihn erwecken wird, wird dieser belebte Keim einen Körper annehmen ohne Anspruch auf die alten Atome, die ihm einst gedient haben. Denn wenn der menschliche Körper im Leben sich an Stoff oder Kleidung zehnmal veränderte, welche der alten Kleidungen würde er dann wieder anlegen? So sagt das Evangelium:

"Das Leben ist mehr wert als die Nahrung, und der Leib ist mehr wert als die Kleidung" (Lk 12, 23).

Das drückt ein berühmter Gelehrter in folgenden Worten aus: "In den belebten Körpern scheint das Leben wesentlicher zu sein als der Stoff selbst." Abgesehen davon hat auch der hl. Paulus gesagt:

Wir werden auferstehen wie aus Samenkörnern in der Erde (1 Kor 15, 35-38).

Es ist also unnütz, sich wegen des Schicksales der in den Kreislauf zurückgekehrten Atome zu beunruhigen. Jedes Atom wird seine Verwendung finden, des Ewigen würdig, der es geschaffen hat. Fürchten Sie daher nicht mehr, dass die Auferstandenen sich über den ehemaligen Stoff streiten werden; es wird Stoff für alle geben. JÜNGER: Für die Auferstehung des Fleisches gebe ich zu, dass man nur aus Versehen eine Frage nach den Molekülen daraus macht. Ich hätte die Antwort auf diesen Einwand voraussehen müssen. Die Körper können wie Keime naoh dem Winter wieder aufblühen.

MEISTER: Nur werden sie schöner wiedergeboren, da sie ganz von Leben und Geist durchdrungen, glorreich und geistig sind. Darum sagte der hl. Paulus:

"Gesät wird ein sinnlicher Leib, auferweckt ein geistiger Leib" (1 Kor 15, 44).

Warum soll man hier nicht ein anderes Wort Gottes anführen, das in der sichtbaren Natur niedergelegt ist, im gewöhnlichen und doch ebenso wahren Bild: den Tod und die Auferstehung der Raupe! Schauen Sie die träge, hässliche Raupe dahin kriechen. Wenn ihre Stunde gekommen ist, fügt sich die Langsamkeit ihres Sterbens zu ihrer eigenen Trägheit. Sie hüllt sich in ihr eigenes Leichentuch, das sie mit den ersten Organen ihres zukünftigen Lebens in sich trägt. Nun liegt der Erdenwurm in seinem Grabe. Aber die verborgenen Lebenskräfte entfalten sich und machen sich ans Werk. Die Umgestaltung ist zuerst langsam und ähnelt einer Zersetzung. Die Haut und die dahin kriechenden Füße fallen in den Staub. Neue Glieder, die anfänglich noch ungestaltet und verhüllt sind, prägen sich aus und nehmen ihr richtiges Maß an. Doch das neue Wesen erwacht nicht, bevor es vollständig ist. Dann erscheint es plötzlich am Licht, und die letzte Umwandlung vollzieht sich rasch. In wenigen Minuten werden die zarten Flügel sechsmal größer, als sie unter dem Schleier des Todes waren; licht, behende, schön, in allen Farben schimmernd, welche die Sonne der Erde schenken kann, erheben sie das verwandelte Wesen in Licht und Luft. Alles ist verändert; an Stelle der groben Blätter, die es verschlang, trinkt es den Honigsaft der Blüten aus ihrem Goldkelch. In diesem neuen Leben hat der Hunger weniger Platz als die Liebe.

Wer hätte unter der Gestalt der Raupe den zukünftigen Zustand des Schmetterlings voraussehen können? Wo ist derjenige, der alle beide als ein einziges, gleiches Geschöpf erkannt haben würde, wenn ihn die Erfahrung nicht belehrt hätte? Wenn nun aber die beiden Daseinsweisen nur verschiedene Gestalten eines und desselben Wesens auf einer einzigen, gleichen Erde sind, welche erhabene Umwandlungen müssen dann vor sich gehen, wenn die Lehensabschnitte mehr als eine Welt umfassen werden!

JÜNGER: Doch ich wiederhole, dass diese Welt, dieses bewegliche Weltall nicht für die Unsterblichkeit gemacht ist. Die Naturgesetze sind unveränderlich. Die Kräfte, welche die Gestirne in ihren Bahnen führen, sind ewig. Unser astronomisches System ist dauerhaft. Was hoffen Sie? Wollen Sie eine andere Welt errichten? Können Sie sich überhaupt eine andere vorstellen?

MEISTER: Auch die Welt wird untergehen, um schöner wiedergeboren zu werden und von der Beweglichkeit zur ewigen Ruhe überzugehen.

Sind aber die Naturgesetze aufgehoben, wenn der Erdenwurm in den Schmetterling verwandelt wird? Auch die Welt wird verwandelt werden, ohne dass ein Gesetz darunter Schaden leidet. Das neue Leben wird nicht kommen, um die Gesetze der alten Welt aufzuheben, sondern um sie zu erfüllen.

JÜNGER: Ich weiß wohl, dass der Katechismus das Ende der Dinge lehrt; hat aber die Wissenschaft niemals den Untergang der Dinge vorausgesehen?

MEISTER: Lieber Bruder, was können wir Besseres über die Wissenschaft sagen, als dass wir nicht viel davon haben; oder wenn die gegenwärtige Welt schon etwas davon weiß, so besitzt sie es, als ob sie es nicht besitzt. Die Gelehrten denken nicht über ihre Wissenschaft nach, sie wissen sie auswendig. O Priester der Wissenschaft! Wenn man gegen euch das Verfahren eröffnen würde! Ihr haltet den Schlüssel der Erkenntnis in den Händen, aber ihr tretet selbst nicht ein und hindert andere einzutreten.

Hören Sie indessen Leibniz, der behauptet, "dass diese Erde in dem Augenblick zerstört und wiederhergestellt werden muss, wenn es die Regierung der Geister verlangt."

Ein berühmter Dichter, dem man allerdings nicht alles glauben darf, behauptet, dass man nicht eine völlige Veränderung des ganzen astronomischen Systems und des ganzen Stoffes der Welt erwarten muss.

Herder hat in seiner Geschichtsphilosophie gesagt: "Sie selbst (die Welt) wird nicht mehr sein, wenn du noch sein wirst und in anderen Wohnplätzen und Organisationen Gott und seine Schöpfung genießest."

Geologen unserer Zeit, welche die Wahrheit unbestimmt und mit Irrtümern vermischt ahnen, vermuten eine neue Schöpfung, welche erhabener als die der gegenwärtigen Welt ist.

Was die Astronomie angeht, so fragt sich Herschel noch, ob das Weltensystem dauerhaft ist, und ob die Gestirne am Ende nicht von Mittelpunkt zu Mittelpunkt gegen den gemeinsamen Schwerpunkt fallen werden, und ob dies Weltall nicht nach einer Erschütterung umgewandelt werden muss.

Was sagen Sie zu diesen oben angeführten Worten Ritters: "In ihren beständigen Umwälzungen sucht die Erde vielleicht den Ort ihrer ewigen Ruhe."

Wer kennt nicht endlich die Verse eines bedeutenden Dichters:

"Sonnen! Welten, die gleich uns ihr irrt,
Sagt' er euch nicht, wohin er uns führt?

<center —————————

Werden wir an toten Ufern landen,
In der Nacht an Weltenklippen stranden,
Durch das All des Schiffes Trümmer streuen,
Oder seiner Führung uns erfreuen,
Ewigen Anker werfen aus an seligem Ort,
Schlummertrunken nahen einem Himmelsport ?"

Betrachten Sie bitte unsere Erde, wie diese kleine Erdkugel mit Schnelligkeit um ihre ungeheuere Sonne kreist; sie ist wie ein Schiff, das um diese Lichtkugel herumfährt. Wir sind Reisende auf einem Schiffe, das ist augenscheinlich. Nun fährt aber dieses Schiff nicht, um zu fahren, sondern um anzukommen.

Für Sie wie für uns heißt ankommen sterben und wiedergeboren werden. Der Dichter hat das Ganze in seiner doppelten Behauptung vorausgefühlt. Unser Erdball wird nicht in die Sonne fallen, ohne vom Feuer verzehrt oder wie eine Meteormasse auf einem Felsen zersplittert zu werden, wenn die Sonne vor unserem Sturz erloschen ist.

Es ist wahrscheinlich, dass das ganze himmlische Heer der Sterne sich von Schwerpunkt zu Schwerpunkt sammeln wird, um durch Gott in eine einzige Welt, zu einem Aufenthaltsort umgeschmolzen zu werden, der für alle vernünftigen, freien Wesen der unermesslichen Schöpfung bestimmt ist.

Die Zerstreuung der Welten wird nicht von Dauer sein.

Alle im Raum verteilten Welten werden wie der Staub zusammengefasst. Durch Verzicht auf die Eigenart ihrer Welt, durch Bruch mit ihrem eigenen Kreis und durch Verschmelzung in der Einheit werden sie die einzige, ewige Stadt Gottes gründen.

"Sie werden vergehen, du aber bleibst; sie alle werden wie ein Kleid veralten und wie ein Gewand wirst du sie wechseln und sie werden verändert" (Ps 101, 26-27).

JÜNGER: Aber die katholische Theologie lehrt doch nichts dergleichen?

MEISTER: Ganz im Gegenteil, den Grund hiervon lehrt uns der größte Theologe, der heilige Thomas von Aquin.

Hören Sie das letzte Kapitel seiner Summa gegen die Heiden:

"Die ganze körperliche Schöpfung wird umgewandelt, um mit dem Zustand der dann lebenden Menschen übereinzustimmen. Da die Menschen dann unzerstörbar sind, wird in der ganzen körperlichen Schöpfung jede Spur von Erzeugung und Vergänglichkeit verschwinden. So sagt der Apostel,

"dass auch die Schöpfung von der Knechtschaft der Verderbnis erlöst wird, und die herrliche Freiheit der Kinder Gottes erlangt" (Röm. 8, 21).

"Dazu ist aber notwendig, dass auch die Bewegung des Himmels aufhört, weswegen die Apokalypse sagt:

"Es soll nun keine Frist mehr sein" (Offb 10, 6).

"Der Himmel wird bewegt wegen eines Zieles. Das Ziel der Bewegung des Himmels kann nicht das Bewegtwerden selbst sein. Da die Bewegung nämlich immer auf etwas anderes hinzielt, ist sie nicht selbst dieses letzte Ziel. -

"Es ist also nur angemessen, wenn wir behaupten, dass die Bewegung des Himmels zur bestimmten Zeit aufhören wird.

"Wenn aber die Bewegung des Himmels aufhören wird, so wird doch die Substanz der Elemente infolge der Unbeweglichkeit der göttlichen Güte fortbestehen, welche die Dinge schuf, damit sie sind. Daher wird das Sein der Dinge, die zur ewigen Dauer veranlagt sind, bis in Ewigkeit bleiben." -

"Die Substanz der Dinge wird also in diesem letzten Zustand der Dinge bleiben. - Gott wird durch seine Kraft ersetzen, was ihrer eigenen Schwachheit mangelt." -

,So muss man die Worte des hl. Paulus verstehen

"Die Gestalt dieser Welt vergeht (1 Kor 7. 31),
denn die gegenwärtige Gestalt der Welt wird verschwinden, ihre Substanz aber bleiben. So muss man auch verstehen, was geschrieben steht:

"So steht der Mensch, wenn er entschlafen ist, nicht wieder auf; bis der Himmel vergeht ... " (Joh 14, 12) das heißt, bis jene Form des Himmels aufhört, wodurch er beweglich ist und in anderen Bewegung hervorruft." -

"Durch den Glauben wissen wir, dass diese Welt zu guter Letzt durch das Feuer gereinigt wird ... So sagt der hl. Petrus:

"Der jetzige Himmel und die Erde sind aber durch das nämliche Wort aufgespart. Sie werden für das Feuer verwahrt auf den Tag des Gericht …" (2 Petr 3, 7).

"Da wird der Himmel mit zischender Schnelligkeit vergehen, die Elemente werden in glühender Hitze sich lösen, und die Erde wird verbrannt werden samt allem, was auf ihr ist." (2 Petr 3, 10).

"Wir erwarten aber seiner Verheißung gemäß einen neuen Himmel und eine neue Erde, wo die Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 3, 13).

"Da also", so fährt der hl. Thomas von Aquin weiter fort, "die ganze körperliche Schöpfung endlich in Übereinstimmung mit dem Zustande des Menschen eingerichtet sein muss, und der Mensch, wie wir gezeigt haben, nicht nur vom Tode und der Verderbnis befreit, sondern auch noch mit Herrlichkeit bekleidet sein muss, so folgt daraus, dass auch die körperliche Schöpfung verwandelt und ihrer Natur entsprechend verherrlicht wird.

Daher heißt es im Buche der Offenbarung:

"Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde" (Offb. 21, 1).

"Isaias sagte schon:

"Denn siehe, spricht der Herr, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde; und dessen, was vorher war, wird man nicht mehr gedenken, noch wird es mehr in den Sinn kommen. Vielmehr werdet ihr euch freuen und frohlocken auf ewig" (Is 65, 17+18).

So endet das Buch des hl. Thomas von Aquin.

JÜNGER: Das ist schön.

MEISTER: Das ist offensichtlich wahr. Sie sagten: im Weltall sehe ich keinen Platz für die Unsterblichkeit. Tatsächlich gibt es keinen in der beweglichen Welt. Wer weiß aber, was sich im Mittelpunkt findet?

Wenn aber Christus, das ewige Wort uns sagte:

"Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten," (Joh 14, 2). So spricht er jedenfalls vom Orte der Unsterblichkeit und vom Weltall, wie es durch die ewige, unveränderliche Vollkommenheit umgestaltet wird. Lasst uns also mit ganzem Herzen, lieber Bruder, diese hohe Hoffnung hegen.

Hören wir also, wie Vernunft, Wissenschaft, Dichtkunst und Religion uns sagen:

"Sie selbst (die Erde) wird nicht mehr sein, wenn du noch sein wirst und in anderen Wohnplätzen und Organisationen Gott und seine Schöpfung genießest. Du hast auf ihr viel Gutes genossen.

Du gelangtest auf ihr zu der Organisation, in der du als ein Sohn des Himmels um dich her und über dich schauen lerntest. Suche Sie also vergnügt zu verlassen und segne ihr als der Aue nach, wo du als ein Kind der Unsterblichkeit spieltest, und als der Schule nach, wo du durch Leid und Freude zum Mannesalter erzogen wurdest. Du hast weiter kein Anrecht an sie: sie hat kein Anrecht an dich: Mit dem Hut der Freiheit gekrönt und mit dem Gurt des Himmels gegürtet, setze fröhlich deinen Wanderstab weiter."

A. M. D. G.
(Ad Maiorem Dei Gloriam - Zur größeren Ehre Gottes)