Rosarium virginis Mariae (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Rosarium virgins mariae

unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
an die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und die Gläubigen
über den Rosenkranz
16. Oktober 2002

(Offizieller lateinischer Text: AAS 95 [2003/1] 5-36)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Rosenkranz als Herz.jpg

EINFÜHRUNG

1 Der Rosenkranz der Jungfrau Maria (Rosarium Virginis Mariae), der sich allmählich im zweiten Jahrtausend unter dem Wehen des Geistes Gottes entwickelt hat, ist ein durch das Lehramt empfohlenes beliebtes Gebet vieler Heiliger. In seiner Schlichtheit und Tiefe bleibt der Rosenkranz auch in dem soeben begonnenen dritten Jahrtausend ein Gebet von großer Bedeutung und ist dazu bestimmt, Früchte der Heiligkeit hervorzubringen. Dieses Gebet reiht sich gut ein in den geistigen Weg des Christentums, das nach zweitausend Jahren nichts von der Frische des Ursprungs verloren hat und das sich durch den Geist Gottes gedrängt fühlt, »hinauszufahren« ( »duc in altum!« ), um der Welt wieder und wieder Christus zuzurufen, noch mehr ihn »hinauszurufen« : Christus, als den Herrn und Erlöser, als »den Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6), als »das Ziel der menschlichen Geschichte, der Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und Kultur konvergieren«.<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 45.</ref>

Tatsächlich ist der Rosenkranz, wenn auch von seinem marianischen Erscheinungsbild her charakterisiert, ein zutiefst christologisches Gebet. In der Nüchternheit seiner Teile vereinigt er in sich die Tiefe der ganzen Frohen Botschaft, für die er gleichsam eine Kurzfassung<ref> Paul VI., Marialis cultus (2. Februar 1974) 42: AAS 66 (1974), 153; vgl. OR dt., Nr. 20 (1974), 8. </ref> ist. In ihm erklingt das Gebet Marias, ihr unaufhörliches Magnificat durch das Werk der erlösenden Menschwerdung, die in ihrem jungfräulichen Schoß ihren Anfang nahm. Mit dem Rosenkranz geht das christliche Volk in die Schule Mariens, um sich in die Betrachtung der Schönheit des Antlitzes Christi und in die Erfahrung der Tiefe seiner Liebe einführen zu lassen. In der Betrachtung der Rosenkranzgeheimnisse schöpft der Gläubige Gnade in Fülle, die er gleichsam aus den Händen der Mutter des Erlösers selbst erhält.  

Die Päpste und der Rosenkranz

2 Diesem Gebet haben viele meiner Vorgänger große Bedeutung zugemessen. Besondere Verdienste erwarb sich Papst Leo XIII., der am 1. September 1883 die Enzyklika Supremi apostolatus officio veröffentlichte,<ref>Vgl. Acta Leonis XIII, 3 (1884), 280-289. </ref> eine Erklärung hoher Bedeutung, die am Beginn von zahlreichen anderen Äußerungen über dieses Gebet stand und in der der Papst auf dieses Gebet als wirksames geistiges Mittel angesichts der Übel der Gesellschaft hinwies. Unter den Päpsten der jüngeren Geschichte, die sich in der Konzilszeit durch die Verbreitung des Rosenkranzes ausgezeichnet haben, möchte ich an den seligen Johannes XXIII.<ref> Insbesondere verdient sein Apostolisches Schreiben über den Rosenkranz  »Il religioso convegno« vom 29. September 1961 Beachtung: AAS 53 (1961), 641-647.</ref> erinnern und vor allem an Paul VI., der im Apostolischen Schreiben Marialis cultus in Übereinstimmung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den evangeliumsgemäßen Charakter des Rosenkranzgebetes und seine christologische Ausrichtung hervorgehoben hat.  

Auch ich selbst habe in der Folge keine Gelegenheit verabsäumt, um zum häufigen Rosenkranzgebet zu ermutigen. Seit meinen Kinder- und Jugendjahren hat dieses Gebet einen wichtigen Platz in meinem geistlichen Leben eingenommen. Daran habe ich mich während meiner letzten Reise nach Polen erinnert, vor allem beim Besuch des Wallfahrtsortes Kalwaria Zebrzydowska. Das Rosenkranzgebet hat mich in Augenblicken der Freude und der Prüfung begleitet. Viele Sorgen habe ich in dieses Gebet hineingelegt und habe dadurch stets Stärkung und Trost erfahren. Vor vierundzwanzig Jahren, am 29. Oktober 1978, gerade zwei Wochen nach meiner Wahl auf den Stuhl Petri, habe ich mich, gleichsam mein Herz öffnend, wie folgt ausgedrückt: »Der Rosenkranz ist mein Lieblingsgebet. Er ist ein wunderbares Gebet, wunderbar in seiner Schlichtheit und seiner Tiefe. [...] Man kann sagen, der Rosenkranz ist in gewisser Weise ein Gebetskommentar zum letzten Kapitel der Konstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils, dem Kapitel, das von der wunderbaren Gegenwart der Muttergottes im Geheimnis Christi und der Kirche handelt. In der Tat ziehen vor dem Hintergrund der Worte des Ave Maria vor den Augen der Seele die wichtigsten Ereignisse des Lebens Jesu vorbei. Sie bilden zusammen den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranz, der uns – so könnten wir sagen – durch das Herz seiner Mutter in lebendige Verbindung mit Jesus bringt. Gleichzeitig kann unser Herz in die Abfolge dieser Geheimnisse des Rosenkranzes alle Ereignisse einschließen, die das Leben des einzelnen, der Familie, der Nation, der Kirche und der Menschheit ausmachen; die persönlichen Erfahrungen und die des Nächsten, in besonderer Weise die jener Menschen, die uns am allernächsten stehen, die uns am Herzen liegen. So bekommt das schlichte Gebet des Rosenkranzes den Rhythmus des menschlichen Lebens« .<ref> Angelus: Insegnamenti I (1978), 75-76; vgl. OR dt., Nr. 44 (1978), 3.</ref>

Mit diesen Worten, meine lieben Brüder und Schwestern, stellte ich das erste Jahr meines Pontifikates in den täglichen Rhythmus des Rosenkranzgebetes hinein. Heute, am Anfang des fünfundzwanzigsten Jahres des Dienstes als Nachfolger Petri, möchte ich dasselbe tun. Wie viele Gnaden habe ich in diesen Jahren von der Heiligen Jungfrau durch das Rosenkranzgebet empfangen: Magnificat anima mea Dominum! Meinen Dank an den Herrn möchte ich mit den Worten der heiligsten Mutter ausdrücken, unter deren Schutz ich mein petrinisches Dienstamt gestellt habe: Totus tuus!  

Oktober 2002 – Oktober 2003: Jahr des Rosenkranzes

3 Im Zuge der Überlegungen des Apostolischen Schreibens Novo millennio ineunte, in welchem ich das Volk Gottes nach der Erfahrung des Großen Jubiläums dazu eingeladen habe, »von Christus her neu aufzubrechen«) <ref> AAS93 (2001), 285. </ref> erachte ich es als notwendig, eine Betrachtung über das Rosenkranzgebet zu entfalten. Diese dient gleichsam einer marianischen Krönung des genannten Apostolischen Schreibens, um in Gemeinschaft und in der Schule der Allerseligsten Mutter zur Betrachtung des Antlitzes Christi zu ermutigen. Den Rosenkranz beten ist tatsächlich nichts anderes, als mit Maria das Antlitz Christi zu betrachten. Um dieser Einladung eine noch größere Bedeutung zu geben, nutze ich gerne die Gelegenheit, die sich durch den kommenden hundertzwanzigsten Jahrestag der bereits genannten Enzyklika von Papst Leo XIII. bietet. Ich wünsche, dass dieses Gebet im Laufe dieses Jahres in den verschiedenen christlichen Gemeinschaften besonders angeboten und geschätzt wird. Deshalb erkläre ich den Zeitraum vom Oktober dieses Jahres bis zum Oktober 2003 zum Jahr des Rosenkranzes

Diese pastorale Anleitung vertraue ich der Initiative der einzelnen kirchlichen Gemeinschaften an. Mit ihr beabsichtige ich nicht, die pastoralen Vorhaben der Teilkirchen zu hemmen, sondern sie vielmehr zu ergänzen und zu konsolidieren. Ich vertraue darauf, dass sie mit Großherzigkeit und Bereitwilligkeit aufgenommen wird. Der Rosenkranz, in seiner ganzen Bedeutung wieder neu entdeckt, führt ins Herz des christlichen Lebens selbst hinein. Er bietet eine gewohnheitsmäßige und ebenso fruchtbare geistige wie pädagogische Möglichkeit der persönlichen Betrachtung, der geistlichen Bildung des Volkes Gottes und der Neuevangelisierung. Ich möchte dies auch anlässlich eines anderen freudigen Jubiläums bekräftigen: Vierzig Jahre sind seit dem Beginn des Ökumenischen II. Vatikanischen Konzils vergangen (11. Oktober 1962), der »großen Gnade« , die der Geist Gottes für die Kirche unserer Zeit vorgesehen hat.<ref> In den Jahren der Vorbereitung auf das Konzil hat Papst Johannes XXIII. es nicht versäumt, die christliche Gemeinschaft zum Rosenkranzgebet um einen guten Ausgang dieses großen kirchlichen Ereignisses einzuladen: vgl. Brief an den Kardinalvikar vom 28. September 1960: AAS 52 (1960), 814-817.</ref>

Einwände gegen das Rosenkranzgebet

4 Das Ergreifen dieser Initiative entspringt verschiedenen Überlegungen. Die erste betrifft die Notwendigkeit, einer gewissen Krise dieses Gebetes zu begegnen. Im derzeitigen geschichtlichen und theologischen Kontext läuft der Rosenkranz Gefahr, in seinem Wert ungerechterweise vermindert zu werden, und wird darum nur kaum an die neuen Generationen weitergegeben. Manche denken, die zentrale Bedeutung der Liturgie, wie sie richtigerweise vom Ökumenischen II. Vatikanischen Konzil unterstrichen wurde, müsse notwendigerweise eine Abwertung des Rosenkranzes zur Folge haben. Paul VI. hat klargestellt, dass dieses Gebet nicht nur der Liturgie nicht entgegensteht, sondern sie unterstützt. Denn der Rosenkranz bereitet auf die Liturgie vor und ist ihr Widerhall, indem er uns ermöglicht, diese in der Fülle innerer Anteilnahme zu leben und daraus gute Früchte für das Leben im Alltag hervorzubringen.  

Vielleicht besteht auch die Befürchtung, der Rosenkranz könne wegen seines ausgesprochen marianischen Charakters als wenig ökumenisch gelten. In Wirklichkeit führt uns dieses Gebet in einen viel klareren Horizont der Verehrung der Mutter Gottes, den das Konzil aufgezeigt hat: eine Frömmigkeitsform, die sich am christologischen Zentrum des christlichen Glaubens orientiert, und zwar in der Weise, dass »wenn die Mutter geehrt wird, der Sohn [...] richtig erkannt, geliebt, verherrlicht wird«.<ref> Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 66. </ref> Wenn das Rosenkranzgebet in angebrachter Weise neu entdeckt wird, ist es eine Hilfe und sicher kein Hindernis für die Ökumene

Weg der Betrachtung

5 Der wichtigste Grund, um die Übung des Rosenkranzgebetes erneut kraftvoll vorzuschlagen, ist jedoch die Tatsache, dass er ein sehr nützliches Mittel darstellt, um unter den Gläubigen das wichtige Anliegen der Betrachtung des Christusgeheimnisses zu fördern, die ich im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte als wahre und eigentliche "Pädagogik der Heiligkeit“ vorgestellt habe: »Es braucht ein Christentum, das sich vor allem durch die Kunst des Gebetes auszeichnet«.<ref> Nr. 32: AAS 93 (2001), 288.</ref> Während in unserer gegenwärtigen Kultur trotz vieler Widersprüche eine neue Notwendigkeit von Spiritualität aufscheint, die auch durch Einflüsse anderer Religionen beschleunigt wird, ist es umso vordringlicher, dass unsere christlichen Gemeinden »echte Schulen des Gebetes«<ref> Ebd.,33, l.c., 289.</ref> werden. 

Das Rosenkranzgebet ist in der besten und bewährten Tradition der christlichen Betrachtung angesiedelt. Es hat sich als ein eigentümlich meditatives Gebet im Westen entwickelt und ist in gewisser Weise eine Entsprechung zum »Herzensgebet« oder »Jesusgebet« , welches auf dem Humus des christlichen Ostens gewachsen ist.

Gebet für den Frieden und für die Familie

6 Um der Neubelebung des Rosenkranzgebetes größere Aktualität beizumessen, sind hier einige geschichtliche Umstände anzufügen. Als erster sei die Notwendigkeit genannt, Gott inständig um das Geschenk des Friedens zu bitten. Meine Vorgänger und ich selbst haben den Rosenkranz wiederholt als Gebet um den Frieden empfohlen. Am Beginn eines neuen Jahrtausends, welches mit den Schauder erregenden Bildern des Attentates vom 11. September 2001 begonnen hat und jeden Tag in vielen Teilen der Welt neue Szenen von Blut und Gewalt aufweist, bedeutet die Wiederentdeckung des Rosenkranzes, sich in die Betrachtung des Geheimnisses dessen zu vertiefen, der »unser Friede ist« , indem er »die beiden Teile vereinigte und die trennende Wand der Feindschaft niederriss« (Eph 2, 14). Somit kann man den Rosenkranz nicht beten, ohne den Auftrag zur Teilnahme am Dienst des Friedens anzunehmen, mit einem besonderem Augenmerk auf das so schwer geprüfte Land Jesu, das uns Christen so teuer ist.  

Dieselbe Dringlichkeit an Einsatz und Gebet tritt an einem anderen kritischen Punkt unserer Zeit hervor, nämlich dem der Familie, der Keimzelle der Gesellschaft, die immer mehr durch zersetzende Kräfte auf ideologischem oder praktischem Niveau bedroht ist. Solche Einflüsse lassen um die Zukunft dieser fundamentalen und unverzichtbaren Institution für sie selbst sowie für die gesamte Gesellschaft fürchten. Die Wiederbelebung des Rosenkranzes in den christlichen Familien stellt im Spektrum einer weit angelegten Pastoral der Familie eine wirksame Hilfe dar, um die verheerenden Auswirkungen dieser epochalen Krise einzudämmen.

»Siehe, deine Mutter« (Joh, 19, 17)

7 Zahlreiche Zeichen weisen darauf hin, wie sehr die heilige Jungfrau auch heute gerade durch dieses Gebet jene mütterliche Sorge walten lassen will, welcher der sterbende Erlöser in der Person des Lieblingsjüngers alle Kinder der Kirche anvertraut hat: »Frau, siehe dein Sohn!« (Joh 19, 26). Bekannt sind die verschiedenen Umstände im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in denen die Mutter Christi in der einen oder anderen Weise ihre Gegenwart und ihre Stimme vernehmbar gemacht hat, um das Volk Gottes zu dieser Form des betrachtenden Gebetes aufzurufen. Wegen ihres bedeutenden Einflusses auf das Leben vieler Christen und wegen der amtlichen Anerkennung, die sie seitens der Kirche erfahren haben, möchte ich besonders an die Erscheinungen in Lourdes und Fatima<ref> Es wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Privatoffenbarungen ihrer Natur nach von der allen zugänglichen Offenbarung unterscheiden, die für die Kirche normativ ist. Es bleibt Aufgabe des Lehramtes, die Echtheit der Privatoffenbarungen und ihre Bedeutung für die Frömmigkeit der Gläubigen zu beurteilen und anzuerkennen. </ref> erinnern. Diese Wallfahrtsorte sind das Ziel zahlreicher Pilger auf der Suche nach Trost und Hoffnung. 

Auf den Spuren der Zeugen

8 Es wäre unmöglich, die zahllosen Heiligen zu nennen, die im Rosenkranzgebet einen authentischen Weg der Heiligung entdeckt haben. Es wird genügen, hier an den heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort zu erinnern, den Autor eines kostbaren Werkes über den Rosenkranz,<ref> Il segreto meraviglioso del Santo Rosario per convertirsi e salvarsi, in S. Luigi Maria Grignion de Montfort, Opere, 1, Scritti Spirituali, Roma 1990, pp.729-843. </ref> und in größerer zeitlicher Nähe zu uns an Pater Pio von Pietrelcina, den ich zu meiner Freude vor kurzem heilig sprechen konnte. Ein besonderes Charisma hatte weiterhin der selige Bartolo Longo, der ein wahrer Apostel des Rosenkranzes gewesen ist. Sein Weg der Heiligkeit gründete auf einer Eingebung, die er in der Tiefe seines Herzens vernahm: »Wer das Rosenkranzgebet verbreitet, ist gerettet!«<ref> Sel. Bartolo Longo, Storia del Santuario di Pompei, Pompei 1990, p.59. </ref> Auf dieser Grundlage fühlte er sich berufen, in Pompeji ein Heiligtum der Jungfrau vom Heiligen Rosenkranz zu errichten, welches auf den Ruinen der antiken Stadt ruht, die gerade erst von der Botschaft des Christentums berührt worden war, bevor sie im Jahre 79 durch den Ausbruch des Vesuvs begraben wurde. Aus ihrer Asche erhebt sie sich Jahrhunderte später zum Zeichen für das Licht und die Schatten der Gesellschaft der klassischen Epoche. 

Mit seinem ganzen Werk, und vor allem durch die »Fünfzehn Samstage« , hat Bartolo Longo das christozentrische und betrachtende Wesen des Rosenkranzes herausgearbeitet, wobei er besondere Ermutigung und Unterstützung durch Leo XIII., den »Papst des Rosenkranzes«, fand.

ERSTES KAPITEL: MIT MARIA CHRISTUS BETRACHTEN

Ein Antlitz, leuchtend wie die Sonne

9 »Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne« (Mt17, 2). Die im Evangelium berichtete Szene von der Verklärung Christi, in der die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes wie verzückt von der Schönheit des Erlösers erscheinen, kann zu einem Bild christlicher Kontemplation erhoben werden. Es bleibt der Auftrag eines jeden Jüngers Christi, und somit auch unser Auftrag, die Augen auf das Antlitz Christi gerichtet zu halten und darin das Geheimnis des gewöhnlichen und schmerzlichen Weges seiner Menschheit zu erkennen, bis hin zum Begreifen des göttlichen Glanzes, der sich endgültig im Auferstandenen, der zur Rechten des Vaters verherrlicht ist, kundtut. Im Betrachten dieses Angesichtes öffnen wir uns, um das Geheimnis des dreifaltigen Lebens in uns aufzunehmen und um stets aufs Neue die Liebe des Vaters zu erfahren und die Freude des Heiligen Geistes zu verkosten. So verwirklicht sich auch für uns das Wort des heiligen Paulus: »Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn« (2Kor 3, 18).

Maria, Vorbild der Kontemplation

10 Die Betrachtung Christi hat in Maria ihr unübertreffliches Vorbild. Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr. In ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr ein menschlich ähnliches Aussehen empfangen, das eine sicher noch größere geistliche Verbundenheit mit sich bringt. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi mit gleicher Beharrlichkeit hingegeben. Die Augen ihres Herzens richten sich in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie, seine Gegenwart zu spüren und seine Züge zu erahnen. Als sie ihn schließlich in Bethlehem zur Welt bringt, sind auch die Augen ihres Leibes zärtlich auf das Angesicht des Sohnes gerichtet, den sie in Windeln wickelte und ihn in eine Krippe legte« (vgl. Lk 2, 7).

Von jetzt an wird ihr Blick, der immer mehr anbetendem Staunen gleicht, nicht mehr von ihm weichen. Es wird zuweilen ein fragender Blick sein, wie beim Ereignis der Wiederauffindung im Tempel: »Kind, wie konntest du uns das antun?« (Lk 2, 48). In jeden Fall wird es ein durchdringender Blick sein, der fähig ist, im Innersten Jesu seine verborgenen Gefühle wahrzunehmen und seine Absichten zu erahnen, wie in Kana (vgl. Joh 2, 5). Andere Male wird es ein schmerzlicher Blick sein, vor allem unter dem Kreuz, wo es wieder in gewissem Sinn der Blick der ,,Gebärenden“ sein wird, da Maria sich nicht darauf beschränkt, das Leiden und den Tod des Eingeborenen mitzuvollziehen, sondern im Lieblingsjünger (vgl. Joh 19, 26-27) den neuen Sohn aufzunehmen. Am Ostermorgen wird es ein strahlender Blick in der Freude der Auferstehung sein, und schließlich am Pfingsttag ein durch die Ausgießung des Geistes (vgl. Apg 1, 14) glühender Blick.  

Die Erinnerungen Mariens

11 Maria lebt mit den Augen auf Christus gerichtet und macht sich jedes seiner Worte zu eigen: »Sie bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Joh 19, vgl. 2, 51). Die Erinnerungen an Jesus, die sich ihrer Seele einprägten, haben sie in allen Umständen begleitet, indem sie die verschiedenen Momente ihres Lebens, die sie an der Seite Jesu verbrachte, in Gedanken nochmals durchlief. Diese Erinnerungen bildeten, in gewisser Weise, den ,,Rosenkranz“, den sie selbst unaufhörlich in den Tagen ihres irdischen Lebens wiederholte.

Und auch jetzt, inmitten der Freudengesänge des himmlischen Jerusalems, bleibt der Grund ihres Dankes und ihres Lobes unverändert. Dieser Grund regt ihre mütterliche Sorge für die pilgernde Kirche an, in der sie fortfährt, die Handlung ihrer Geschichte als Verkündigerin zu entfalten. Maria legt den Gläubigen nochmals unaufhörlich die ,,Geheimnisse“ ihres Sohnes vor, mit dem Wunsch, dass sie betrachtet werden, auf dass sie ihre erlösende Kraft ausströmen können. Beim Beten des Rosenkranzes kommt die christliche Gemeinde mit dem Andenken und dem Blick Marias in Einklang.

Der Rosenkranz, ein betrachtendes Gebet

12 Gerade aus der Erfahrung Marias ist der Rosenkranz ein ausgesprochen kontemplatives Gebet. Wenn es diese Dimension entbehrt, würde ein entstelltes Gebet entstehen, wie Paul VI. unterstrichen hat: »Ohne Betrachtung ist der Rosenkranz ein Leib ohne Seele, und das Gebet läuft Gefahr, zu einer mechanischen Wiederholung von Formeln zu werden, ganz im Widerspruch zur Mahnung Jesu: ,,Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen“ (Mt 6, 7). Seiner Natur nach verlangt das Rosenkranzgebet einen ruhigen Rhythmus und ein besinnliches Verweilen, was dem Betenden die Betrachtung der Geheimnisse im Leben des Herrn erleichtert und diese gleichsam mit dem Herzen derjenigen schauen lässt, die dem Herrn am nächsten stand. So werden sich ihm die unergründlichen Reichtümer dieser Geheimnisse erschließen« .<ref>Apost. Lehrschreiben Marialis cultus (2 febbraio 1974) 47: AAS (1974), 156, vgl. OR dt., Nr. 20 (1974), 8.</ref> Es lohnt sich, bei diesen tiefen Gedanken von Paul VI. zu verweilen, um einige Dimensionen des Rosenkranzes herauszustellen, die besser den Eigencharakter der christologischen Betrachtung bestimmen.

Sich mit Maria an Christus erinnern

13 Das Betrachten Mariens ist in erster Linie ein Erinnern. Es ist jedoch notwendig, dieses Wort im biblischen Sinn von Gedächtnis (zakar) zu begreifen, das die Werke, die Gott in der Heilsgeschichte erfüllt hat, wieder gegenwärtig setzt. Die Bibel ist eine Erzählung von Heilsereignissen, die ihren Höhepunkt in Christus selbst finden. Diese Ereignisse sind nicht nur ein ,,Gestern“; zugleich sind sie das ,,Heute“ der Erlösung. Diese Aktualisierung verwirklicht sich vor allem in der Liturgie: das, was Gott vor Zeiten vollbracht hat, betrifft nicht nur die unmittelbaren Zeugen der Ereignisse, sondern erreicht mit dem Geschenk der Gnade Menschen zu jeder Zeit. Das gilt in gewisser Weise auch für jede andere fromme Annäherung an jene Ereignisse: sich in der Haltung des Glaubens und der Liebe daran ,,erinnern“, heißt, sich der Gnade öffnen, die Christus uns in den Geheimnissen seines Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung erworben hat.

Indem wir nachdrücklich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bekräftigen, dass die Liturgie als Ausübung des priesterlichen Amtes Christi und öffentlicher Gottesdienst »der Höhepunkt ist, dem das Tun der ganzen Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt«,<ref> Konst. über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 10.</ref> muss auch daran erinnert werden, dass sich »das geistliche Leben aber nicht schlechthin mit der Teilnahme an der heiligen Liturgie deckt. Der Christ ist zwar berufen, in Gemeinschaft zu beten, doch muss er auch in sein Kämmerlein gehen und den Vater im Verborgenen anbeten (vgl. Mt 6, 6); ja ohne Unterlass beten, wie der Apostel mahnt (vgl. 1Thess 5, 17)« .<ref>Ebd., 12.</ref> Es entspricht einer seiner Besonderheiten, dass sich der Rosenkranz in dieses bunte Bild des ,,unaufhörlichen“ Gebetes gut einordnet. Wenn die Liturgie, das Handeln Christi und der Kirche, ein Heilswerk par excellence darstellt, dann ist der Rosenkranz als eine Meditation über Christus mit Maria Heilsbetrachtung. In der Tat stellt die von Geheimnis zu Geheimnis vollzogene Vertiefung in das Leben des Erlösers sicher, dass wir das, was Er gewirkt hat und was die Liturgie vergegenwärtigt, tief in uns aufnehmen und es unsere Existenz gestaltet.  

Christus von Maria lernen

14 Christus ist der Lehrer schlechthin, der Offenbarer und die Offenbarung. Es genügt nicht nur, die Dinge zu lernen, die Er gelehrt hat, sondern „ihn selbst zu lernen“. Gibt es darin eine Lehrerin, die uns mehr sagen könnte als Maria? Wenn auf der göttlichen Seite der Geist der innere Meister ist, der uns zur Fülle der Wahrheit Christi führt (vgl. Joh 14, 26; 15, 26; 16, 13), kennt unter den Geschöpfen niemand besser als sie Christus; niemand kann uns besser als seine Mutter in eine tiefe Kenntnis seines Geheimnisses einführen.  

Das erste der von Jesus vollbrachten ,,Zeichen“ – die Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana – zeigt uns Maria gerade im Gewand der Lehrerin, die dabei ist, die Diener zur Folgsamkeit gegenüber Christi Anweisungen aufzufordern (vgl. Joh 2, 5). Wir können uns gut vorstellen, dass Sie diese Aufgabe auch nach der Himmelfahrt des Herrn ausgeübt hat, als Sie bei ihnen geblieben ist, um den Heiligen Geist zu erwarten, und sie in ihrer ersten Mission bestärkt hat. Das Gehen durch die Szenen des Rosenkranzes an der Seite Marias bedeutet, sich ,,in die Schule Mariens“ zu begeben, um Christus zu erfassen und um in die Geheimnisse einzudringen, schließlich um seine Botschaft zu verstehen.

Eine Schule wie die Mariens ist um so wirksamer, wenn man bedenkt, dass sie diese abhält, um uns der Gaben des Heiligen Geistes in Fülle teilhaftig werden zu lassen. Sie stellt uns dabei das Beispiel der »Pilgerschaft im Glauben«  <ref>Ökum. II. Vatikanisches Konzil, Dogmat. Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 58. </ref> vor Augen, in der sie unsere unvergleichliche Lehrerin ist. Angesichts eines jeden Geheimnisses des Sohnes lädt Sie uns ein, wie bei ihrer Verkündigung, die Fragen in Demut zu stellen, die auf das Licht hin öffnen, um stets im Glaubensgehorsam abzuschließen: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lk 1, 38).  

Gleichgestaltung in Christus mit Maria

15 Die christliche Frömmigkeit zeichnet sich durch ihr Merkmal aus, dass der Jünger die Verpflichtung zu einer immer vollständigeren Gleichgestaltung mit seinem Meister auf sich nimmt (vgl. Röm 8, 29; Phil 3, 10.21). Die Ausgießung des Geistes in der Taufe fügt den Glaubenden gleich einem Rebzweig in den Weinstock ein, der Christus ist (vgl. Joh 15, 5), und macht ihn zu einem Glied seines Mystischen Leibes (vgl. 1 Kor 12, 12; Röm 12, 5). Dieser Einheit zu Beginn muss ein Weg der wachsenden Gleichförmigkeit mit Ihm entsprechen, wobei sich das ganze Verhalten des Jüngers immer mehr an der ,,Logik“ Christi ausrichtet: »Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht« (Phil 2, 5). Nach den Worten des Apostels tut es Not, den Herrn Jesus Christus anzulegen (vgl. Röm 13, 14; Gal 3, 27).

Während des geistlichen Vollzugs des Rosenkranzes, der – in Gemeinschaft mit Maria – auf der unaufhörlichen Betrachtung des Antlitzes Christi gründet, erreicht man dieses anspruchsvolle Ideal des Ähnlichwerdens mit Ihm mittels eines Weges, den wir einen freundschaftlichen Besuch nennen könnten. Dieser versetzt uns ganz natürlich in das Leben Christi und erlaubt uns gleichsam, seine Empfindungen nachzuvollziehen. Der selige Bartolo Longo sagt dazu: »Wie zwei Freunde, die sich öfters besuchen, sich in ihren Gewohnheiten anzugleichen pflegen, so können auch wir, die wir in familiärer Vertrautheit mit Jesus und der Jungfrau in der Betrachtung der Rosenkranzgeheimnisse sprechen und gemeinsam ein und dasselbe Leben in der Kommunion vollziehen, ihnen gleich werden, soweit dies unsere Begrenztheit erlaubt: Von diesen höchsten Beispielen können wir das demütige, arme, verborgene, geduldige und vollkommene Leben erlernen« .<ref> I Quindici Sabati del Santissimo Rosario, 27ª ed., Pompei 1916, p.27.</ref>    Für diesen Prozess der Gleichgestaltung mit Christus vertrauen wir uns im Rosenkranz besonders dem mütterlichen Wirken der heiligen Jungfrau an. Sie, die Gottesgebärerin, gehört einerseits selbst zur Kirche als ihr »überragendes und völlig einzigartiges Glied«<ref> Ökum. II. Vat. Konzil, Dogmat. Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 53.</ref> und ist zugleich die ,,Mutter der Kirche“. Als solche ,,gebiert“ sie ständig Kinder für den Mystischen Leib des Sohnes. Dies übt sie durch die Fürbitte aus, indem sie für diese die unerschöpfliche Ausgießung des Geistes erfleht. Sie ist das vollkommene Bild der Mütterlichkeit der Kirche. Der Rosenkranz führt uns mystisch an die Seite Marias, die damit beschäftigt war, das menschliche Heranwachsen Jesu im Haus von Nazareth zu begleiten. Dies erlaubt ihr, auch uns mit derselben Sorgfalt zu erziehen und uns zu formen, bis Christus vollkommen in uns Gestalt angenommen hat (vgl. Gal 4, 19). Dieses völlig auf Christus gegründete und ihm gänzlich untergeordnete Handeln Mariens »verhindert in keiner Weise die unmittelbare Vereinigung der Glaubenden mit Christus, sondern wird vielmehr gefördert« .<ref>Ebd., 60.</ref> Es ist dies das vom Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte erleuchtete Prinzip, das ich in meinem Leben so stark erfahren habe, um es zur Grundlage meines bischöflichen Wappenspruches zu machen: Totus tuus.<ref>Vgl. Primo radiomessaggio Urbi et Orbi (17 ottobre 1978): AAS 70 (1978), 927.</ref> Dieses Motto inspiriert sich bekanntlich an der Lehre des heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort, der die Rolle Mariens auf dem Weg eines jeden von uns zur Gleichgestaltung mit Christus wie folgt erklärt hat: »Unsere ganze Vollkommenheit besteht darin, gleichförmig mit Christus Jesus, geeint und geweiht an ihn zu sein. Jedoch die vollkommenste aller Formen der Hingabe ist unbestreitbar jene, die uns noch vollkommener mit Christus gleichgestaltet, vereinigt und uns ihm weiht. Da Maria das Geschöpf ist, welches am meisten Christus gleichgestaltet ist, folgt daraus, dass unter den Frömmigkeitsformen jene, die eine Seele besser unserem Herrn gleichgestaltet und ihm weiht, die Marienverehrung ist, die Verehrung seiner heiligen Mutter, und dass umso mehr eine Seele ihr geweiht ist, sie auch mehr Jesus Christus selbst geweiht ist« .<ref>Trattato della vera devozione a Maria, 120, in: Opere. Vol. I. Scritti spirituali, Roma 1990, p.430.</ref> Nirgends sonst erscheinen der Weg von Christus und jener von Maria so tief vereinigt zu sein wie im Rosenkranzgebet. Maria lebt ganz in Christus und in der Funktion Christi!  

Mit Maria Christus bitten

16 Christus hat uns aufgetragen, uns mit Beharrlichkeit und Vertrauen an Gott zu wenden, um Erhörung zu finden: »Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet« (Mt 7, 7). Das Fundament dieser Kraft des Gebetes ist die Güte des Vaters, aber auch die Mittlerschaft Christi vor Gott (vgl. 1 Joh 2, 1) und das Wirken des Heiligen Geistes, der »für uns eintritt« nach dem Plane Gottes (vgl. Röm 8, 26-27). Tatsächlich »wissen wir nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen« (Röm 8, 26) und manchmal werden wir nicht erhört, weil wir »schlecht bitten« (vgl. Jak 4, 2-3).

Zur Unterstützung unseres Betens, welches Christus und der Geist in unserem Herzen hervorbringen, kommt uns Maria mit ihrer mütterlichen Fürsprache zu Hilfe. »Das Gebet der Kirche ist durch das Gebet Marias wie getragen« .<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 2679. </ref> Tatsächlich ist es so, dass, wenn Jesus, der einzige Mittler, der Weg unseres Gebetes ist, Maria, die ganz durchlässig für ihn war, uns den Weg zeigt. »Ausgehend von dieser einzigartigen Mitwirkung Marias am Wirken des Heiligen Geistes haben die Kirchen das Gebet zur heiligen Mutter Gottes entfaltet. Sie richteten dieses Gebet ganz auf Christus aus, wie er sich in seinen Mysterien zeigt« .<ref> Ebd., 2675. </ref> Gerade bei der Hochzeit zu Kana verdeutlicht das Evangelium die Wirksamkeit der Fürbitte Marias, die sich bei Jesus zur Sprecherin für menschliche Anliegen macht: »Sie haben keinen Wein mehr« (Joh 2, 3). 

Der Rosenkranz ist gleichzeitig Betrachtung und Bittgebet. Die beharrliche Anrufung der Mutter Gottes stützt sich auf das Vertrauen, dass ihre mütterliche Fürsprache beim Herzen ihres Sohnes alles vermag. Sie ist »allmächtig aus Gnade«, wie der selige Bartolo Longo es in einer kühnen Formulierung, die richtig verstanden werden muss, in seiner Supplica alla Vergine formulierte.<ref> Der selige Bartolo Longo hat im Jahre 1883 die Supplica alla Regina del Santo Rosario, die zweimal jährlich, im Mai und im Oktober, feierlich verrichtet wird, geschrieben. Damit entsprach er einer Einladung Papst Leo XIII. in seiner ersten Enzyklika über den Rosenkranz an die Katholiken, um den Übeln der Zeit mit geistlichem Bemühen zu begegnen. </ref> Dies ist eine Sicherheit, die sich, ausgehend vom Evangelium, im gläubigen Volk im Laufe der Zeit immer mehr gefestigt hat. Der große Dichter Dante hat dies, ganz in der Meinung des heiligen Bernhard, in wunderbarer Weise formuliert, wenn er singt: »Du bist als Frau so groß und giltst so viel, / dass, wer nach Gnade dürstend dich nicht anruft, / umsonst zu fliegen suchte, ohne Flügel«.<ref>Die Göttliche Komödie, XXXIII. Gesang, 13-15.</ref> Während wir im Rosenkranz zu Maria flehen, stellt sie, das Heiligtum des Heiligen Geistes (vgl. Lk 1, 35), sich für uns vor den Vater, der sie mit Gnade erfüllt hat, und vor den Sohn, der aus ihrem Schoß geboren wurde, um für uns und mit uns zu beten.

Mit Maria Christus verkünden

17 Der Rosenkranz stellt ebenso einen Weg der Verkündigung und der Vertiefung dar, auf dem sich das Christusgeheimnis unaufhörlich auf den verschiedenen Ebenen der christlichen Erfahrung vergegenwärtigt. Seine Struktur ist die der betenden und betrachtenden Darstellung, die danach strebt, den Christen nach dem Herzen Jesu Christi zu formen. In der Tat müssen beim Rosenkranzgebet alle seine Elemente für eine gute Betrachtung entsprechend geschätzt werden. Nur dann erwächst aus ihm, besonders beim gemeinschaftlichen Gebet in den Pfarreien und an Wallfahrtsorten, eine bedeutende katechetische Möglichkeit, die die Hirten zu nutzen wissen sollten. Die Jungfrau des Rosenkranzes führt auch in dieser Weise ihr Werk der Verkündigung Christi fort. Die Geschichte des Rosenkranzes zeigt uns, wie gerade dieses Gebet in schwierigen Zeiten besonders von den Dominikanern benutzt wurde, um die Kirche vor den sich verbreitenden Häresien zu schützen. Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen. Warum nehmen wir den Rosenkranz nicht mit dem Glauben unserer Vorfahren in die Hände? Der Rosenkranz bewahrt seine ganze Kraft und bleibt ein nicht zu vernachlässigender Schatz für die pastorale Ausrüstung jeder guten Glaubensverkündigung. 

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />