Rosarium virginis Mariae (Wortlaut)
Rosarium virgins mariae |
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unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
an die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und die Gläubigen
über den Rosenkranz
16. Oktober 2002
(Offizieller lateinischer Text: AAS 95 [2003/1] 5-36)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 EINFÜHRUNG
- 2 ERSTES KAPITEL: MIT MARIA CHRISTUS BETRACHTEN
- 2.1 Ein Antlitz, leuchtend wie die Sonne
- 2.2 Maria, Vorbild der Kontemplation
- 2.3 Die Erinnerungen Mariens
- 2.4 Der Rosenkranz, ein betrachtendes Gebet
- 2.5 Sich mit Maria an Christus erinnern
- 2.6 Christus von Maria lernen
- 2.7 Gleichgestaltung in Christus mit Maria
- 2.8 Mit Maria Christus bitten
- 2.9 Mit Maria Christus verkünden
- 3 ZWEITES KAPITEL: GEHEIMNISSE CHRISTI – GEHEIMNISSE DER MUTTER
- 4 Anmerkungen
EINFÜHRUNG
1 Der Rosenkranz der Jungfrau Maria (Rosarium Virginis Mariae), der sich allmählich im zweiten Jahrtausend unter dem Wehen des Geistes Gottes entwickelt hat, ist ein durch das Lehramt empfohlenes beliebtes Gebet vieler Heiliger. In seiner Schlichtheit und Tiefe bleibt der Rosenkranz auch in dem soeben begonnenen dritten Jahrtausend ein Gebet von großer Bedeutung und ist dazu bestimmt, Früchte der Heiligkeit hervorzubringen. Dieses Gebet reiht sich gut ein in den geistigen Weg des Christentums, das nach zweitausend Jahren nichts von der Frische des Ursprungs verloren hat und das sich durch den Geist Gottes gedrängt fühlt, »hinauszufahren« ( »duc in altum!« ), um der Welt wieder und wieder Christus zuzurufen, noch mehr ihn »hinauszurufen« : Christus, als den Herrn und Erlöser, als »den Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6), als »das Ziel der menschlichen Geschichte, der Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und Kultur konvergieren«.<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 45.</ref>
Tatsächlich ist der Rosenkranz, wenn auch von seinem marianischen Erscheinungsbild her charakterisiert, ein zutiefst christologisches Gebet. In der Nüchternheit seiner Teile vereinigt er in sich die Tiefe der ganzen Frohen Botschaft, für die er gleichsam eine Kurzfassung<ref> Paul VI., Marialis cultus (2. Februar 1974) 42: AAS 66 (1974), 153; vgl. OR dt., Nr. 20 (1974), 8. </ref> ist. In ihm erklingt das Gebet Marias, ihr unaufhörliches Magnificat durch das Werk der erlösenden Menschwerdung, die in ihrem jungfräulichen Schoß ihren Anfang nahm. Mit dem Rosenkranz geht das christliche Volk in die Schule Mariens, um sich in die Betrachtung der Schönheit des Antlitzes Christi und in die Erfahrung der Tiefe seiner Liebe einführen zu lassen. In der Betrachtung der Rosenkranzgeheimnisse schöpft der Gläubige Gnade in Fülle, die er gleichsam aus den Händen der Mutter des Erlösers selbst erhält.
Die Päpste und der Rosenkranz
2 Diesem Gebet haben viele meiner Vorgänger große Bedeutung zugemessen. Besondere Verdienste erwarb sich Papst Leo XIII., der am 1. September 1883 die Enzyklika Supremi apostolatus officio veröffentlichte,<ref>Vgl. Acta Leonis XIII, 3 (1884), 280-289. </ref> eine Erklärung hoher Bedeutung, die am Beginn von zahlreichen anderen Äußerungen über dieses Gebet stand und in der der Papst auf dieses Gebet als wirksames geistiges Mittel angesichts der Übel der Gesellschaft hinwies. Unter den Päpsten der jüngeren Geschichte, die sich in der Konzilszeit durch die Verbreitung des Rosenkranzes ausgezeichnet haben, möchte ich an den seligen Johannes XXIII.<ref> Insbesondere verdient sein Apostolisches Schreiben über den Rosenkranz »Il religioso convegno« vom 29. September 1961 Beachtung: AAS 53 (1961), 641-647.</ref> erinnern und vor allem an Paul VI., der im Apostolischen Schreiben Marialis cultus in Übereinstimmung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den evangeliumsgemäßen Charakter des Rosenkranzgebetes und seine christologische Ausrichtung hervorgehoben hat.
Auch ich selbst habe in der Folge keine Gelegenheit verabsäumt, um zum häufigen Rosenkranzgebet zu ermutigen. Seit meinen Kinder- und Jugendjahren hat dieses Gebet einen wichtigen Platz in meinem geistlichen Leben eingenommen. Daran habe ich mich während meiner letzten Reise nach Polen erinnert, vor allem beim Besuch des Wallfahrtsortes Kalwaria Zebrzydowska. Das Rosenkranzgebet hat mich in Augenblicken der Freude und der Prüfung begleitet. Viele Sorgen habe ich in dieses Gebet hineingelegt und habe dadurch stets Stärkung und Trost erfahren. Vor vierundzwanzig Jahren, am 29. Oktober 1978, gerade zwei Wochen nach meiner Wahl auf den Stuhl Petri, habe ich mich, gleichsam mein Herz öffnend, wie folgt ausgedrückt: »Der Rosenkranz ist mein Lieblingsgebet. Er ist ein wunderbares Gebet, wunderbar in seiner Schlichtheit und seiner Tiefe. [...] Man kann sagen, der Rosenkranz ist in gewisser Weise ein Gebetskommentar zum letzten Kapitel der Konstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils, dem Kapitel, das von der wunderbaren Gegenwart der Muttergottes im Geheimnis Christi und der Kirche handelt. In der Tat ziehen vor dem Hintergrund der Worte des Ave Maria vor den Augen der Seele die wichtigsten Ereignisse des Lebens Jesu vorbei. Sie bilden zusammen den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranz, der uns – so könnten wir sagen – durch das Herz seiner Mutter in lebendige Verbindung mit Jesus bringt. Gleichzeitig kann unser Herz in die Abfolge dieser Geheimnisse des Rosenkranzes alle Ereignisse einschließen, die das Leben des einzelnen, der Familie, der Nation, der Kirche und der Menschheit ausmachen; die persönlichen Erfahrungen und die des Nächsten, in besonderer Weise die jener Menschen, die uns am allernächsten stehen, die uns am Herzen liegen. So bekommt das schlichte Gebet des Rosenkranzes den Rhythmus des menschlichen Lebens« .<ref> Angelus: Insegnamenti I (1978), 75-76; vgl. OR dt., Nr. 44 (1978), 3.</ref>
Mit diesen Worten, meine lieben Brüder und Schwestern, stellte ich das erste Jahr meines Pontifikates in den täglichen Rhythmus des Rosenkranzgebetes hinein. Heute, am Anfang des fünfundzwanzigsten Jahres des Dienstes als Nachfolger Petri, möchte ich dasselbe tun. Wie viele Gnaden habe ich in diesen Jahren von der Heiligen Jungfrau durch das Rosenkranzgebet empfangen: Magnificat anima mea Dominum! Meinen Dank an den Herrn möchte ich mit den Worten der heiligsten Mutter ausdrücken, unter deren Schutz ich mein petrinisches Dienstamt gestellt habe: Totus tuus!
Oktober 2002 – Oktober 2003: Jahr des Rosenkranzes
3 Im Zuge der Überlegungen des Apostolischen Schreibens Novo millennio ineunte, in welchem ich das Volk Gottes nach der Erfahrung des Großen Jubiläums dazu eingeladen habe, »von Christus her neu aufzubrechen«) <ref> AAS93 (2001), 285. </ref> erachte ich es als notwendig, eine Betrachtung über das Rosenkranzgebet zu entfalten. Diese dient gleichsam einer marianischen Krönung des genannten Apostolischen Schreibens, um in Gemeinschaft und in der Schule der Allerseligsten Mutter zur Betrachtung des Antlitzes Christi zu ermutigen. Den Rosenkranz beten ist tatsächlich nichts anderes, als mit Maria das Antlitz Christi zu betrachten. Um dieser Einladung eine noch größere Bedeutung zu geben, nutze ich gerne die Gelegenheit, die sich durch den kommenden hundertzwanzigsten Jahrestag der bereits genannten Enzyklika von Papst Leo XIII. bietet. Ich wünsche, dass dieses Gebet im Laufe dieses Jahres in den verschiedenen christlichen Gemeinschaften besonders angeboten und geschätzt wird. Deshalb erkläre ich den Zeitraum vom Oktober dieses Jahres bis zum Oktober 2003 zum Jahr des Rosenkranzes.
Diese pastorale Anleitung vertraue ich der Initiative der einzelnen kirchlichen Gemeinschaften an. Mit ihr beabsichtige ich nicht, die pastoralen Vorhaben der Teilkirchen zu hemmen, sondern sie vielmehr zu ergänzen und zu konsolidieren. Ich vertraue darauf, dass sie mit Großherzigkeit und Bereitwilligkeit aufgenommen wird. Der Rosenkranz, in seiner ganzen Bedeutung wieder neu entdeckt, führt ins Herz des christlichen Lebens selbst hinein. Er bietet eine gewohnheitsmäßige und ebenso fruchtbare geistige wie pädagogische Möglichkeit der persönlichen Betrachtung, der geistlichen Bildung des Volkes Gottes und der Neuevangelisierung. Ich möchte dies auch anlässlich eines anderen freudigen Jubiläums bekräftigen: Vierzig Jahre sind seit dem Beginn des Ökumenischen II. Vatikanischen Konzils vergangen (11. Oktober 1962), der »großen Gnade« , die der Geist Gottes für die Kirche unserer Zeit vorgesehen hat.<ref> In den Jahren der Vorbereitung auf das Konzil hat Papst Johannes XXIII. es nicht versäumt, die christliche Gemeinschaft zum Rosenkranzgebet um einen guten Ausgang dieses großen kirchlichen Ereignisses einzuladen: vgl. Brief an den Kardinalvikar vom 28. September 1960: AAS 52 (1960), 814-817.</ref>
Einwände gegen das Rosenkranzgebet
4 Das Ergreifen dieser Initiative entspringt verschiedenen Überlegungen. Die erste betrifft die Notwendigkeit, einer gewissen Krise dieses Gebetes zu begegnen. Im derzeitigen geschichtlichen und theologischen Kontext läuft der Rosenkranz Gefahr, in seinem Wert ungerechterweise vermindert zu werden, und wird darum nur kaum an die neuen Generationen weitergegeben. Manche denken, die zentrale Bedeutung der Liturgie, wie sie richtigerweise vom Ökumenischen II. Vatikanischen Konzil unterstrichen wurde, müsse notwendigerweise eine Abwertung des Rosenkranzes zur Folge haben. Paul VI. hat klargestellt, dass dieses Gebet nicht nur der Liturgie nicht entgegensteht, sondern sie unterstützt. Denn der Rosenkranz bereitet auf die Liturgie vor und ist ihr Widerhall, indem er uns ermöglicht, diese in der Fülle innerer Anteilnahme zu leben und daraus gute Früchte für das Leben im Alltag hervorzubringen.
Vielleicht besteht auch die Befürchtung, der Rosenkranz könne wegen seines ausgesprochen marianischen Charakters als wenig ökumenisch gelten. In Wirklichkeit führt uns dieses Gebet in einen viel klareren Horizont der Verehrung der Mutter Gottes, den das Konzil aufgezeigt hat: eine Frömmigkeitsform, die sich am christologischen Zentrum des christlichen Glaubens orientiert, und zwar in der Weise, dass »wenn die Mutter geehrt wird, der Sohn [...] richtig erkannt, geliebt, verherrlicht wird«.<ref> Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 66. </ref> Wenn das Rosenkranzgebet in angebrachter Weise neu entdeckt wird, ist es eine Hilfe und sicher kein Hindernis für die Ökumene!
Weg der Betrachtung
5 Der wichtigste Grund, um die Übung des Rosenkranzgebetes erneut kraftvoll vorzuschlagen, ist jedoch die Tatsache, dass er ein sehr nützliches Mittel darstellt, um unter den Gläubigen das wichtige Anliegen der Betrachtung des Christusgeheimnisses zu fördern, die ich im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte als wahre und eigentliche "Pädagogik der Heiligkeit“ vorgestellt habe: »Es braucht ein Christentum, das sich vor allem durch die Kunst des Gebetes auszeichnet«.<ref> Nr. 32: AAS 93 (2001), 288.</ref> Während in unserer gegenwärtigen Kultur trotz vieler Widersprüche eine neue Notwendigkeit von Spiritualität aufscheint, die auch durch Einflüsse anderer Religionen beschleunigt wird, ist es umso vordringlicher, dass unsere christlichen Gemeinden »echte Schulen des Gebetes«<ref> Ebd.,33, l.c., 289.</ref> werden.
Das Rosenkranzgebet ist in der besten und bewährten Tradition der christlichen Betrachtung angesiedelt. Es hat sich als ein eigentümlich meditatives Gebet im Westen entwickelt und ist in gewisser Weise eine Entsprechung zum »Herzensgebet« oder »Jesusgebet« , welches auf dem Humus des christlichen Ostens gewachsen ist.
Gebet für den Frieden und für die Familie
6 Um der Neubelebung des Rosenkranzgebetes größere Aktualität beizumessen, sind hier einige geschichtliche Umstände anzufügen. Als erster sei die Notwendigkeit genannt, Gott inständig um das Geschenk des Friedens zu bitten. Meine Vorgänger und ich selbst haben den Rosenkranz wiederholt als Gebet um den Frieden empfohlen. Am Beginn eines neuen Jahrtausends, welches mit den Schauder erregenden Bildern des Attentates vom 11. September 2001 begonnen hat und jeden Tag in vielen Teilen der Welt neue Szenen von Blut und Gewalt aufweist, bedeutet die Wiederentdeckung des Rosenkranzes, sich in die Betrachtung des Geheimnisses dessen zu vertiefen, der »unser Friede ist« , indem er »die beiden Teile vereinigte und die trennende Wand der Feindschaft niederriss« (Eph 2, 14). Somit kann man den Rosenkranz nicht beten, ohne den Auftrag zur Teilnahme am Dienst des Friedens anzunehmen, mit einem besonderem Augenmerk auf das so schwer geprüfte Land Jesu, das uns Christen so teuer ist.
Dieselbe Dringlichkeit an Einsatz und Gebet tritt an einem anderen kritischen Punkt unserer Zeit hervor, nämlich dem der Familie, der Keimzelle der Gesellschaft, die immer mehr durch zersetzende Kräfte auf ideologischem oder praktischem Niveau bedroht ist. Solche Einflüsse lassen um die Zukunft dieser fundamentalen und unverzichtbaren Institution für sie selbst sowie für die gesamte Gesellschaft fürchten. Die Wiederbelebung des Rosenkranzes in den christlichen Familien stellt im Spektrum einer weit angelegten Pastoral der Familie eine wirksame Hilfe dar, um die verheerenden Auswirkungen dieser epochalen Krise einzudämmen.
»Siehe, deine Mutter« (Joh, 19, 17)
7 Zahlreiche Zeichen weisen darauf hin, wie sehr die heilige Jungfrau auch heute gerade durch dieses Gebet jene mütterliche Sorge walten lassen will, welcher der sterbende Erlöser in der Person des Lieblingsjüngers alle Kinder der Kirche anvertraut hat: »Frau, siehe dein Sohn!« (Joh 19, 26). Bekannt sind die verschiedenen Umstände im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in denen die Mutter Christi in der einen oder anderen Weise ihre Gegenwart und ihre Stimme vernehmbar gemacht hat, um das Volk Gottes zu dieser Form des betrachtenden Gebetes aufzurufen. Wegen ihres bedeutenden Einflusses auf das Leben vieler Christen und wegen der amtlichen Anerkennung, die sie seitens der Kirche erfahren haben, möchte ich besonders an die Erscheinungen in Lourdes und Fatima<ref> Es wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Privatoffenbarungen ihrer Natur nach von der allen zugänglichen Offenbarung unterscheiden, die für die Kirche normativ ist. Es bleibt Aufgabe des Lehramtes, die Echtheit der Privatoffenbarungen und ihre Bedeutung für die Frömmigkeit der Gläubigen zu beurteilen und anzuerkennen. </ref> erinnern. Diese Wallfahrtsorte sind das Ziel zahlreicher Pilger auf der Suche nach Trost und Hoffnung.
Auf den Spuren der Zeugen
8 Es wäre unmöglich, die zahllosen Heiligen zu nennen, die im Rosenkranzgebet einen authentischen Weg der Heiligung entdeckt haben. Es wird genügen, hier an den heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort zu erinnern, den Autor eines kostbaren Werkes über den Rosenkranz,<ref> Il segreto meraviglioso del Santo Rosario per convertirsi e salvarsi, in S. Luigi Maria Grignion de Montfort, Opere, 1, Scritti Spirituali, Roma 1990, pp.729-843. </ref> und in größerer zeitlicher Nähe zu uns an Pater Pio von Pietrelcina, den ich zu meiner Freude vor kurzem heilig sprechen konnte. Ein besonderes Charisma hatte weiterhin der selige Bartolo Longo, der ein wahrer Apostel des Rosenkranzes gewesen ist. Sein Weg der Heiligkeit gründete auf einer Eingebung, die er in der Tiefe seines Herzens vernahm: »Wer das Rosenkranzgebet verbreitet, ist gerettet!«<ref> Sel. Bartolo Longo, Storia del Santuario di Pompei, Pompei 1990, p.59. </ref> Auf dieser Grundlage fühlte er sich berufen, in Pompeji ein Heiligtum der Jungfrau vom Heiligen Rosenkranz zu errichten, welches auf den Ruinen der antiken Stadt ruht, die gerade erst von der Botschaft des Christentums berührt worden war, bevor sie im Jahre 79 durch den Ausbruch des Vesuvs begraben wurde. Aus ihrer Asche erhebt sie sich Jahrhunderte später zum Zeichen für das Licht und die Schatten der Gesellschaft der klassischen Epoche.
Mit seinem ganzen Werk, und vor allem durch die »Fünfzehn Samstage« , hat Bartolo Longo das christozentrische und betrachtende Wesen des Rosenkranzes herausgearbeitet, wobei er besondere Ermutigung und Unterstützung durch Leo XIII., den »Papst des Rosenkranzes«, fand.
ERSTES KAPITEL: MIT MARIA CHRISTUS BETRACHTEN
Ein Antlitz, leuchtend wie die Sonne
9 »Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne« (Mt17, 2). Die im Evangelium berichtete Szene von der Verklärung Christi, in der die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes wie verzückt von der Schönheit des Erlösers erscheinen, kann zu einem Bild christlicher Kontemplation erhoben werden. Es bleibt der Auftrag eines jeden Jüngers Christi, und somit auch unser Auftrag, die Augen auf das Antlitz Christi gerichtet zu halten und darin das Geheimnis des gewöhnlichen und schmerzlichen Weges seiner Menschheit zu erkennen, bis hin zum Begreifen des göttlichen Glanzes, der sich endgültig im Auferstandenen, der zur Rechten des Vaters verherrlicht ist, kundtut. Im Betrachten dieses Angesichtes öffnen wir uns, um das Geheimnis des dreifaltigen Lebens in uns aufzunehmen und um stets aufs Neue die Liebe des Vaters zu erfahren und die Freude des Heiligen Geistes zu verkosten. So verwirklicht sich auch für uns das Wort des heiligen Paulus: »Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn« (2Kor 3, 18).
Maria, Vorbild der Kontemplation
10 Die Betrachtung Christi hat in Maria ihr unübertreffliches Vorbild. Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr. In ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr ein menschlich ähnliches Aussehen empfangen, das eine sicher noch größere geistliche Verbundenheit mit sich bringt. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi mit gleicher Beharrlichkeit hingegeben. Die Augen ihres Herzens richten sich in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie, seine Gegenwart zu spüren und seine Züge zu erahnen. Als sie ihn schließlich in Bethlehem zur Welt bringt, sind auch die Augen ihres Leibes zärtlich auf das Angesicht des Sohnes gerichtet, den sie in Windeln wickelte und ihn in eine Krippe legte« (vgl. Lk 2, 7).
Von jetzt an wird ihr Blick, der immer mehr anbetendem Staunen gleicht, nicht mehr von ihm weichen. Es wird zuweilen ein fragender Blick sein, wie beim Ereignis der Wiederauffindung im Tempel: »Kind, wie konntest du uns das antun?« (Lk 2, 48). In jeden Fall wird es ein durchdringender Blick sein, der fähig ist, im Innersten Jesu seine verborgenen Gefühle wahrzunehmen und seine Absichten zu erahnen, wie in Kana (vgl. Joh 2, 5). Andere Male wird es ein schmerzlicher Blick sein, vor allem unter dem Kreuz, wo es wieder in gewissem Sinn der Blick der ,,Gebärenden“ sein wird, da Maria sich nicht darauf beschränkt, das Leiden und den Tod des Eingeborenen mitzuvollziehen, sondern im Lieblingsjünger (vgl. Joh 19, 26-27) den neuen Sohn aufzunehmen. Am Ostermorgen wird es ein strahlender Blick in der Freude der Auferstehung sein, und schließlich am Pfingsttag ein durch die Ausgießung des Geistes (vgl. Apg 1, 14) glühender Blick.
Die Erinnerungen Mariens
11 Maria lebt mit den Augen auf Christus gerichtet und macht sich jedes seiner Worte zu eigen: »Sie bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Joh 19, vgl. 2, 51). Die Erinnerungen an Jesus, die sich ihrer Seele einprägten, haben sie in allen Umständen begleitet, indem sie die verschiedenen Momente ihres Lebens, die sie an der Seite Jesu verbrachte, in Gedanken nochmals durchlief. Diese Erinnerungen bildeten, in gewisser Weise, den ,,Rosenkranz“, den sie selbst unaufhörlich in den Tagen ihres irdischen Lebens wiederholte.
Und auch jetzt, inmitten der Freudengesänge des himmlischen Jerusalems, bleibt der Grund ihres Dankes und ihres Lobes unverändert. Dieser Grund regt ihre mütterliche Sorge für die pilgernde Kirche an, in der sie fortfährt, die Handlung ihrer Geschichte als Verkündigerin zu entfalten. Maria legt den Gläubigen nochmals unaufhörlich die ,,Geheimnisse“ ihres Sohnes vor, mit dem Wunsch, dass sie betrachtet werden, auf dass sie ihre erlösende Kraft ausströmen können. Beim Beten des Rosenkranzes kommt die christliche Gemeinde mit dem Andenken und dem Blick Marias in Einklang.
Der Rosenkranz, ein betrachtendes Gebet
12 Gerade aus der Erfahrung Marias ist der Rosenkranz ein ausgesprochen kontemplatives Gebet. Wenn es diese Dimension entbehrt, würde ein entstelltes Gebet entstehen, wie Paul VI. unterstrichen hat: »Ohne Betrachtung ist der Rosenkranz ein Leib ohne Seele, und das Gebet läuft Gefahr, zu einer mechanischen Wiederholung von Formeln zu werden, ganz im Widerspruch zur Mahnung Jesu: ,,Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen“ (Mt 6, 7). Seiner Natur nach verlangt das Rosenkranzgebet einen ruhigen Rhythmus und ein besinnliches Verweilen, was dem Betenden die Betrachtung der Geheimnisse im Leben des Herrn erleichtert und diese gleichsam mit dem Herzen derjenigen schauen lässt, die dem Herrn am nächsten stand. So werden sich ihm die unergründlichen Reichtümer dieser Geheimnisse erschließen« .<ref>Apost. Lehrschreiben Marialis cultus (2 febbraio 1974) 47: AAS (1974), 156, vgl. OR dt., Nr. 20 (1974), 8.</ref> Es lohnt sich, bei diesen tiefen Gedanken von Paul VI. zu verweilen, um einige Dimensionen des Rosenkranzes herauszustellen, die besser den Eigencharakter der christologischen Betrachtung bestimmen.
Sich mit Maria an Christus erinnern
13 Das Betrachten Mariens ist in erster Linie ein Erinnern. Es ist jedoch notwendig, dieses Wort im biblischen Sinn von Gedächtnis (zakar) zu begreifen, das die Werke, die Gott in der Heilsgeschichte erfüllt hat, wieder gegenwärtig setzt. Die Bibel ist eine Erzählung von Heilsereignissen, die ihren Höhepunkt in Christus selbst finden. Diese Ereignisse sind nicht nur ein ,,Gestern“; zugleich sind sie das ,,Heute“ der Erlösung. Diese Aktualisierung verwirklicht sich vor allem in der Liturgie: das, was Gott vor Zeiten vollbracht hat, betrifft nicht nur die unmittelbaren Zeugen der Ereignisse, sondern erreicht mit dem Geschenk der Gnade Menschen zu jeder Zeit. Das gilt in gewisser Weise auch für jede andere fromme Annäherung an jene Ereignisse: sich in der Haltung des Glaubens und der Liebe daran ,,erinnern“, heißt, sich der Gnade öffnen, die Christus uns in den Geheimnissen seines Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung erworben hat.
Indem wir nachdrücklich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bekräftigen, dass die Liturgie als Ausübung des priesterlichen Amtes Christi und öffentlicher Gottesdienst »der Höhepunkt ist, dem das Tun der ganzen Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt«,<ref> Konst. über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 10.</ref> muss auch daran erinnert werden, dass sich »das geistliche Leben aber nicht schlechthin mit der Teilnahme an der heiligen Liturgie deckt. Der Christ ist zwar berufen, in Gemeinschaft zu beten, doch muss er auch in sein Kämmerlein gehen und den Vater im Verborgenen anbeten (vgl. Mt 6, 6); ja ohne Unterlass beten, wie der Apostel mahnt (vgl. 1Thess 5, 17)« .<ref>Ebd., 12.</ref> Es entspricht einer seiner Besonderheiten, dass sich der Rosenkranz in dieses bunte Bild des ,,unaufhörlichen“ Gebetes gut einordnet. Wenn die Liturgie, das Handeln Christi und der Kirche, ein Heilswerk par excellence darstellt, dann ist der Rosenkranz als eine Meditation über Christus mit Maria Heilsbetrachtung. In der Tat stellt die von Geheimnis zu Geheimnis vollzogene Vertiefung in das Leben des Erlösers sicher, dass wir das, was Er gewirkt hat und was die Liturgie vergegenwärtigt, tief in uns aufnehmen und es unsere Existenz gestaltet.
Christus von Maria lernen
14 Christus ist der Lehrer schlechthin, der Offenbarer und die Offenbarung. Es genügt nicht nur, die Dinge zu lernen, die Er gelehrt hat, sondern „ihn selbst zu lernen“. Gibt es darin eine Lehrerin, die uns mehr sagen könnte als Maria? Wenn auf der göttlichen Seite der Geist der innere Meister ist, der uns zur Fülle der Wahrheit Christi führt (vgl. Joh 14, 26; 15, 26; 16, 13), kennt unter den Geschöpfen niemand besser als sie Christus; niemand kann uns besser als seine Mutter in eine tiefe Kenntnis seines Geheimnisses einführen.
Das erste der von Jesus vollbrachten ,,Zeichen“ – die Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana – zeigt uns Maria gerade im Gewand der Lehrerin, die dabei ist, die Diener zur Folgsamkeit gegenüber Christi Anweisungen aufzufordern (vgl. Joh 2, 5). Wir können uns gut vorstellen, dass Sie diese Aufgabe auch nach der Himmelfahrt des Herrn ausgeübt hat, als Sie bei ihnen geblieben ist, um den Heiligen Geist zu erwarten, und sie in ihrer ersten Mission bestärkt hat. Das Gehen durch die Szenen des Rosenkranzes an der Seite Marias bedeutet, sich ,,in die Schule Mariens“ zu begeben, um Christus zu erfassen und um in die Geheimnisse einzudringen, schließlich um seine Botschaft zu verstehen.
Eine Schule wie die Mariens ist um so wirksamer, wenn man bedenkt, dass sie diese abhält, um uns der Gaben des Heiligen Geistes in Fülle teilhaftig werden zu lassen. Sie stellt uns dabei das Beispiel der »Pilgerschaft im Glauben« <ref>Ökum. II. Vatikanisches Konzil, Dogmat. Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 58. </ref> vor Augen, in der sie unsere unvergleichliche Lehrerin ist. Angesichts eines jeden Geheimnisses des Sohnes lädt Sie uns ein, wie bei ihrer Verkündigung, die Fragen in Demut zu stellen, die auf das Licht hin öffnen, um stets im Glaubensgehorsam abzuschließen: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lk 1, 38).
Gleichgestaltung in Christus mit Maria
15 Die christliche Frömmigkeit zeichnet sich durch ihr Merkmal aus, dass der Jünger die Verpflichtung zu einer immer vollständigeren Gleichgestaltung mit seinem Meister auf sich nimmt (vgl. Röm 8, 29; Phil 3, 10.21). Die Ausgießung des Geistes in der Taufe fügt den Glaubenden gleich einem Rebzweig in den Weinstock ein, der Christus ist (vgl. Joh 15, 5), und macht ihn zu einem Glied seines Mystischen Leibes (vgl. 1 Kor 12, 12; Röm 12, 5). Dieser Einheit zu Beginn muss ein Weg der wachsenden Gleichförmigkeit mit Ihm entsprechen, wobei sich das ganze Verhalten des Jüngers immer mehr an der ,,Logik“ Christi ausrichtet: »Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht« (Phil 2, 5). Nach den Worten des Apostels tut es Not, den Herrn Jesus Christus anzulegen (vgl. Röm 13, 14; Gal 3, 27).
Während des geistlichen Vollzugs des Rosenkranzes, der – in Gemeinschaft mit Maria – auf der unaufhörlichen Betrachtung des Antlitzes Christi gründet, erreicht man dieses anspruchsvolle Ideal des Ähnlichwerdens mit Ihm mittels eines Weges, den wir einen freundschaftlichen Besuch nennen könnten. Dieser versetzt uns ganz natürlich in das Leben Christi und erlaubt uns gleichsam, seine Empfindungen nachzuvollziehen. Der selige Bartolo Longo sagt dazu: »Wie zwei Freunde, die sich öfters besuchen, sich in ihren Gewohnheiten anzugleichen pflegen, so können auch wir, die wir in familiärer Vertrautheit mit Jesus und der Jungfrau in der Betrachtung der Rosenkranzgeheimnisse sprechen und gemeinsam ein und dasselbe Leben in der Kommunion vollziehen, ihnen gleich werden, soweit dies unsere Begrenztheit erlaubt: Von diesen höchsten Beispielen können wir das demütige, arme, verborgene, geduldige und vollkommene Leben erlernen« .<ref> I Quindici Sabati del Santissimo Rosario, 27ª ed., Pompei 1916, p.27.</ref> Für diesen Prozess der Gleichgestaltung mit Christus vertrauen wir uns im Rosenkranz besonders dem mütterlichen Wirken der heiligen Jungfrau an. Sie, die Gottesgebärerin, gehört einerseits selbst zur Kirche als ihr »überragendes und völlig einzigartiges Glied«<ref> Ökum. II. Vat. Konzil, Dogmat. Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 53.</ref> und ist zugleich die ,,Mutter der Kirche“. Als solche ,,gebiert“ sie ständig Kinder für den Mystischen Leib des Sohnes. Dies übt sie durch die Fürbitte aus, indem sie für diese die unerschöpfliche Ausgießung des Geistes erfleht. Sie ist das vollkommene Bild der Mütterlichkeit der Kirche. Der Rosenkranz führt uns mystisch an die Seite Marias, die damit beschäftigt war, das menschliche Heranwachsen Jesu im Haus von Nazareth zu begleiten. Dies erlaubt ihr, auch uns mit derselben Sorgfalt zu erziehen und uns zu formen, bis Christus vollkommen in uns Gestalt angenommen hat (vgl. Gal 4, 19). Dieses völlig auf Christus gegründete und ihm gänzlich untergeordnete Handeln Mariens »verhindert in keiner Weise die unmittelbare Vereinigung der Glaubenden mit Christus, sondern wird vielmehr gefördert« .<ref>Ebd., 60.</ref> Es ist dies das vom Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte erleuchtete Prinzip, das ich in meinem Leben so stark erfahren habe, um es zur Grundlage meines bischöflichen Wappenspruches zu machen: Totus tuus.<ref>Vgl. Primo radiomessaggio Urbi et Orbi (17 ottobre 1978): AAS 70 (1978), 927.</ref> Dieses Motto inspiriert sich bekanntlich an der Lehre des heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort, der die Rolle Mariens auf dem Weg eines jeden von uns zur Gleichgestaltung mit Christus wie folgt erklärt hat: »Unsere ganze Vollkommenheit besteht darin, gleichförmig mit Christus Jesus, geeint und geweiht an ihn zu sein. Jedoch die vollkommenste aller Formen der Hingabe ist unbestreitbar jene, die uns noch vollkommener mit Christus gleichgestaltet, vereinigt und uns ihm weiht. Da Maria das Geschöpf ist, welches am meisten Christus gleichgestaltet ist, folgt daraus, dass unter den Frömmigkeitsformen jene, die eine Seele besser unserem Herrn gleichgestaltet und ihm weiht, die Marienverehrung ist, die Verehrung seiner heiligen Mutter, und dass umso mehr eine Seele ihr geweiht ist, sie auch mehr Jesus Christus selbst geweiht ist« .<ref>Trattato della vera devozione a Maria, 120, in: Opere. Vol. I. Scritti spirituali, Roma 1990, p.430.</ref> Nirgends sonst erscheinen der Weg von Christus und jener von Maria so tief vereinigt zu sein wie im Rosenkranzgebet. Maria lebt ganz in Christus und in der Funktion Christi!
Mit Maria Christus bitten
16 Christus hat uns aufgetragen, uns mit Beharrlichkeit und Vertrauen an Gott zu wenden, um Erhörung zu finden: »Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet« (Mt 7, 7). Das Fundament dieser Kraft des Gebetes ist die Güte des Vaters, aber auch die Mittlerschaft Christi vor Gott (vgl. 1 Joh 2, 1) und das Wirken des Heiligen Geistes, der »für uns eintritt« nach dem Plane Gottes (vgl. Röm 8, 26-27). Tatsächlich »wissen wir nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen« (Röm 8, 26) und manchmal werden wir nicht erhört, weil wir »schlecht bitten« (vgl. Jak 4, 2-3).
Zur Unterstützung unseres Betens, welches Christus und der Geist in unserem Herzen hervorbringen, kommt uns Maria mit ihrer mütterlichen Fürsprache zu Hilfe. »Das Gebet der Kirche ist durch das Gebet Marias wie getragen« .<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 2679. </ref> Tatsächlich ist es so, dass, wenn Jesus, der einzige Mittler, der Weg unseres Gebetes ist, Maria, die ganz durchlässig für ihn war, uns den Weg zeigt. »Ausgehend von dieser einzigartigen Mitwirkung Marias am Wirken des Heiligen Geistes haben die Kirchen das Gebet zur heiligen Mutter Gottes entfaltet. Sie richteten dieses Gebet ganz auf Christus aus, wie er sich in seinen Mysterien zeigt« .<ref> Ebd., 2675. </ref> Gerade bei der Hochzeit zu Kana verdeutlicht das Evangelium die Wirksamkeit der Fürbitte Marias, die sich bei Jesus zur Sprecherin für menschliche Anliegen macht: »Sie haben keinen Wein mehr« (Joh 2, 3).
Der Rosenkranz ist gleichzeitig Betrachtung und Bittgebet. Die beharrliche Anrufung der Mutter Gottes stützt sich auf das Vertrauen, dass ihre mütterliche Fürsprache beim Herzen ihres Sohnes alles vermag. Sie ist »allmächtig aus Gnade«, wie der selige Bartolo Longo es in einer kühnen Formulierung, die richtig verstanden werden muss, in seiner Supplica alla Vergine formulierte.<ref> Der selige Bartolo Longo hat im Jahre 1883 die Supplica alla Regina del Santo Rosario, die zweimal jährlich, im Mai und im Oktober, feierlich verrichtet wird, geschrieben. Damit entsprach er einer Einladung Papst Leo XIII. in seiner ersten Enzyklika über den Rosenkranz an die Katholiken, um den Übeln der Zeit mit geistlichem Bemühen zu begegnen. </ref> Dies ist eine Sicherheit, die sich, ausgehend vom Evangelium, im gläubigen Volk im Laufe der Zeit immer mehr gefestigt hat. Der große Dichter Dante hat dies, ganz in der Meinung des heiligen Bernhard, in wunderbarer Weise formuliert, wenn er singt: »Du bist als Frau so groß und giltst so viel, / dass, wer nach Gnade dürstend dich nicht anruft, / umsonst zu fliegen suchte, ohne Flügel«.<ref>Die Göttliche Komödie, XXXIII. Gesang, 13-15.</ref> Während wir im Rosenkranz zu Maria flehen, stellt sie, das Heiligtum des Heiligen Geistes (vgl. Lk 1, 35), sich für uns vor den Vater, der sie mit Gnade erfüllt hat, und vor den Sohn, der aus ihrem Schoß geboren wurde, um für uns und mit uns zu beten.
Mit Maria Christus verkünden
17 Der Rosenkranz stellt ebenso einen Weg der Verkündigung und der Vertiefung dar, auf dem sich das Christusgeheimnis unaufhörlich auf den verschiedenen Ebenen der christlichen Erfahrung vergegenwärtigt. Seine Struktur ist die der betenden und betrachtenden Darstellung, die danach strebt, den Christen nach dem Herzen Jesu Christi zu formen. In der Tat müssen beim Rosenkranzgebet alle seine Elemente für eine gute Betrachtung entsprechend geschätzt werden. Nur dann erwächst aus ihm, besonders beim gemeinschaftlichen Gebet in den Pfarreien und an Wallfahrtsorten, eine bedeutende katechetische Möglichkeit, die die Hirten zu nutzen wissen sollten. Die Jungfrau des Rosenkranzes führt auch in dieser Weise ihr Werk der Verkündigung Christi fort. Die Geschichte des Rosenkranzes zeigt uns, wie gerade dieses Gebet in schwierigen Zeiten besonders von den Dominikanern benutzt wurde, um die Kirche vor den sich verbreitenden Häresien zu schützen. Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen. Warum nehmen wir den Rosenkranz nicht mit dem Glauben unserer Vorfahren in die Hände? Der Rosenkranz bewahrt seine ganze Kraft und bleibt ein nicht zu vernachlässigender Schatz für die pastorale Ausrüstung jeder guten Glaubensverkündigung.
ZWEITES KAPITEL: GEHEIMNISSE CHRISTI – GEHEIMNISSE DER MUTTER
Der Rosenkranz: »Kurzfassung des Evangeliums«
18 In die Betrachtung des Antlitzes Christi werden wir eingeführt, indem wir im Geist die Stimme des Vaters hören; denn »niemand kennt den Sohn, nur der Vater« (Mt 11, 27). Auf das Bekenntnis des Petrus hin verdeutlicht Jesus im Gebiet von Cäsarea Philippi den Ausgangspunkt für eine so klare Erkenntnis seiner Identität: »Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel« (Mt 16, 17). Also ist die Offenbarung aus der Höhe notwendig. Um sie aufzunehmen, ist es unabdingbar hinzuhören: »Allein die Erfahrung des Schweigens und des Gebetes bietet den geeigneten Horizont, in dem die wahrste, getreueste und stimmigste Erkenntnis jenes Geheimnisses heranreifen und sich entfalten kann«.<ref>Johannes Paul II., Apost. Schr. Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 20: AAS 93 (2001), 279.</ref>
Der Rosenkranz ist einer der traditionellen Wege des christlichen Gebetes, das sich der Betrachtung des Antlitzes Christi widmet. Papst Paul VI. beschrieb ihn so: »Als biblisches Gebet, in dessen Mitte das Geheimnis der erlösenden Menschwerdung steht, ist der Rosenkranz ganz klar auf Christus hin ausgerichtet. Auch sein charakteristischstes Element, die litaneiartige Wiederholung des ,,Gegrüßet seist du, Maria“, wird zu einem unaufhörlichen Lobpreis Christi, um den es eigentlich bei der Verkündigung des Engels und dem Gruß der Mutter des Täufers geht: "Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1, 42). Wir möchten noch mehr sagen: die Wiederholung des Ave Maria ist der tragende Grund, auf dem sich die Betrachtung der Geheimnisse entfaltet. Jener Jesus, den jedes Ave Maria erwähnt, ist derselbe, den die Folge der einzelnen Geheimnisse uns vorstellt: Sohn Gottes und der Jungfrau ...« .<ref>Apost. Lehrschreiben Marialis cultus, 46: AAS 66 (1974), 155.</ref>
Eine angemessene Ergänzung
19 Von den vielen Geheimnissen des Lebens Christi führt der Rosenkranz, so wie er in der allgemeinen Frömmigkeitspraxis entstanden ist und von der kirchlichen Autorität bestätigt wurde, nur einige an. Diese Auswahl ist durch die ursprüngliche Gebetskette vorgegeben, die sich basierend auf der dem Psalterium entsprechenden Zahl 150 herausgebildet hat.
Um den christologischen Gehalt dieses Gebetes deutlicher zu machen, halte ich es für angebracht, eine angemessene Ergänzung vorzunehmen, die auch die Geheimnisse des öffentlichen Lebens zwischen der Taufe und dem Leidensweg Christi einbezieht, wobei ich es den einzelnen und den Gemeinschaften überlasse, davon Gebrauch zu machen. In der Tat können wir im Verlauf dieser Geheimnisse bedeutsame Aspekte der Person Christi als dem endgültigen Offenbarer Gottes betrachten. Er ist derjenige, der bei der Taufe im Jordan der geliebte Sohn des Vaters genannt wurde, der das Kommen des Reiches verkündigt, es mit Werken bezeugt und den daraus folgenden Anspruch kundtut. In den Jahren seines öffentlichen Lebens zeigt sich das Geheimnis Christi in besonderer Weise als das Geheimnis des Lichtes: »Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt« (Joh 9, 5).
Damit sich der Rosenkranz in einem umfassenderen Sinne des Wortes »Kompendium des Evangeliums« nennen kann, ist es sinnvoll, die Betrachtung auch auf einige besonders bedeutende Momente des öffentlichen Lebens Jesu zu lenken (lichtreiche Geheimnisse). Diese lassen sich nach dem Gedächtnis der Inkarnation und des verborgenen Lebens Christi (freudenreiche Geheimnisse) einordnen, und vor der Betrachtung seines Erleidens der Passion (schmerzhafte Geheimnisse), auf die der Triumph der Auferstehung (glorreiche Geheimnisse) folgt. Ohne irgendeinem wesentlichen Aspekt des traditionellen Aufbaus dieses Gebetes Abbruch tun zu wollen, ist die Einbeziehung neuer Geheimnisse dazu bestimmt, dass der Rosenkranz mit einem erneuten Interesse an der christlichen Spiritualität gelebt werden kann und so eine wirkliche Einführung in die Tiefen des Herzens Jesu, den Urgrund der Freude und des Lichtes, des Leidens und der Verherrlichung wird.
Die freudenreichen Geheimnisse
20 Der erste Zyklus der ,,freudenreichen Geheimnisse“ ist tatsächlich von der Freude gekennzeichnet, die vom Ereignis der Menschwerdung ausgeht. Das wird bereits deutlich in der Verkündigung, wo sich der Gruß des Erzengels Gabriel an die Jungfrau von Nazareth mit der Einladung zur messianischen Freude verbindet: »Sei gegrüßt, du Begnadete«. An diese Verkündigung lehnt die ganze Heilsgeschichte, ja in gewisser Weise sogar die Weltgeschichte an. Wenn nämlich der Plan des Vaters darin besteht, alles in Christus zu vereinen (vgl. Eph 1, 10), ist es das ganze Universum, das in gewisser Weise eingeholt wird von der göttlichen Gunst, mit der sich der Vater über Maria neigt, um sie zur Mutter seines Sohnes zu machen. Ihrerseits ist so die ganze Menschheit eingeschlossen in dem Fiat, mit dem Maria unverzüglich dem Willen Gottes entspricht.
Zum Frohlocken kommt es dann bei der Begegnung mit Elisabeth, wo Marias Stimme und die Gegenwart Christi in ihrem Leib Johannes »vor Freude hüpfen lässt« (vgl. Lk 1, 44). Erfüllt von Freude ist auch das Ereignis von Bethlehem, in der die Geburt des göttlichen Kindes, des Heilands der Welt, von den Engeln besungen und den Hirten als »eine große Freude« (Lk 2, 10) verkündet wird.
Obwohl sie noch den Tonfall der Freude tragen, nehmen die beiden letzten Geheimnisse schon die Zeichen des Dramas vorweg. Die Darstellung im Tempel drückt zwar die Freude über die Weihe aus und mündet zugleich ein in den Jubel des alten Simeon, aber bemerkt auch die Prophezeiung des »Zeichens des Widerspruchs«, das das Kind für Israel sein wird, und des Schwertes, das durch die Seele der Mutter dringen wird (vgl. Lk 2, 34-35). Freudig und zugleich spannungsvoll ist auch die Begebenheit des zwölfjährigen Jesus im Tempel. Er erscheint hier in seiner göttlichen Weisheit, wie er zuhört und Fragen stellt, und schon ganz in der Haltung dessen auftritt, der ,,lehrt“. Die Offenbarung seines Geheimnisses, als Sohn ganz an den Willen des Vaters ergeben zu sein, ist die Botschaft jener Radikalität des Evangeliums, die selbst die liebsten menschlichen Bindungen in die Krise führt, angesichts des absoluten Anspruchs des Evangeliums. Selbst Josef und Maria, voller Sorgen um den Sohn, verstanden seine Worte nicht (vgl. Lk 2, 50).
Das Betrachten der freudenreichen Geheimnisse bedeutet demnach ein Eintreten in die letzten Beweggründe und in die tiefe Bedeutung der christlichen Freude. Dies bedeutet, das Augenmerk auf die konkrete Wirklichkeit der Menschwerdung und auf die dunkle Vorankündigung des heilbringenden Geheimnisses des Leidens Christi zu richten. Maria führt uns dazu, das Geheimnis der christlichen Freude aufzunehmen, indem sie uns daran erinnert, dass das Christentum vor allem euangelion, die »gute Nachricht« ist, die ihren Mittelpunkt, besser ihren ganzen Inhalt, in der Person Jesu Christi, im fleischgewordenen Wort, dem einzigen Erlöser der Welt hat.
Die lichtreichen Geheimnisse
21 Wenn wir von der Kindheit und dem Leben in Nazareth zum öffentlichen Wirken Jesu übergehen, führt uns die Betrachtung zu jenen Geheimnissen, die in besonderer Weise ,,Geheimnisse des Lichtes“ genannt werden können. Tatsächlich ist das ganze Geheimnis Christi Licht. Er ist das »Licht der Welt« (Joh 8, 12). Diese Dimension kommt allerdings in den Jahren seines öffentlichen Auftretens besonders zum Ausdruck, als er das Evangelium vom Reich verkündet. Im Bemühen, der christlichen Gemeinde fünf bedeutungsvolle Momente dieser Lebensphase Jesu – ,,lichtreiche“ Geheimnisse – aufzuzeigen, erachte ich, dass diese entsprechend ausgemacht werden können: 1. seine Taufe im Jordan, 2. seine Selbstoffenbarung bei der Hochzeit zu Kana, 3. seine Verkündigung des Reiches Gottes mit dem Ruf zur Umkehr, 4. seine Verklärung und schließlich 5. die Einsetzung der Eucharistie, der sakramentale Ausdruck des Ostergeheimnisses.
Jedes dieser Geheimnisse ist Offenbarung des Reiches, das in der Person Jesu Christi schon eingetroffen ist. Die Taufe im Jordan ist ganz besonders ein Geheimnis des Lichtes. Während Jesus Christus, der Unschuldige, der sich für uns zur ,,Sünde“ macht (vgl. 2 Kor 5, 21), in die Wasser des Flusses hinabsteigt, öffnet sich der Himmel und der Vater proklamiert ihn als seinen geliebten Sohn (vgl. Mt 3, 17 par.). Der Geist lässt sich auf ihm nieder und überträgt ihm die erwartete Mission. Der Beginn der Zeichen Christi in Kana (vgl. Joh 2, 1-12) ist Geheimnis des Lichtes, wo er das Wasser in Wein verwandelt und auf die Fürsprache Marias hin, der ersten aller Glaubenden, das Herz der Jünger für den Glauben öffnet. Geheimnis des Lichtes ist die Predigt, mit der Jesus das Kommen des Reiches Gottes ankündigt und zur Bekehrung aufruft (vgl. Mk 1, 15), indem er denen die Sünden nachlässt, die sich ihm mit demütigem Vertrauen nähern (vgl. Mk 2, 3-13; Lk 7, 47-48). Dies ist der Beginn des Dienstes des Erbarmens, den er bis zum Ende der Welt auszuüben fortfährt, besonders durch das Sakrament der Versöhnung, das er seiner Kirche anvertraut hat (vgl. Joh 20, 22-23). Geheimnis des Lichtes schlechthin ist die Verklärung, die sich nach der Überlieferung auf dem Berg Tabor ereignet hat. Auf dem Antlitz Christi erstrahlt göttliche Glorie, während der Gottvater ihn vor den verzückten Aposteln beglaubigt, damit sie »auf ihn hören« (vgl. Lk 9, 35 par.) und sich darauf einstellen, mit ihm auch die schmerzvollen Augenblicke seiner Passion zu leben, um mit ihm zur Freude der Auferstehung und zu einem im Heiligen Geist verklärten Leben zu gelangen. Geheimnis des Lichtes ist schließlich die Einsetzung der Eucharistie, in der Christus sich mit seinem Leib und seinem Blut unter den Gestalten von Brot und Wein zur Speise gibt und so der Menschheit seine Liebe »bis zur Vollendung« erweist (Joh 13, 1), zum Heil derselben er sich im Opfer darbringt.
Die Präsenz Mariens bleibt in diesen Geheimnissen im Hintergrund mit Ausnahme der Hochzeit zu Kana. Die Evangelien deuten gelegentlich ihre Anwesenheit bei dieser oder jener Predigttätigkeit Jesu an (vgl. Mk 3, 31-35; Joh 2, 12), aber sie schweigen hinsichtlich einer eventuellen Teilnahme ihrerseits bei der Einsetzung der Eucharistie im Abendmahlssaal. Die ihr in Kana zugefallene Aufgabe begleitet jedoch in gewisser Weise den ganzen Weg Jesu. Die Offenbarung, die bei der Taufe im Jordan direkt vom Vater ausgeht und in den Worten des Täufers widerhallt, liegt zu Kana auf ihren Lippen und wird zu der großen mütterlichen Ermahnung, die Maria an die Kirche aller Zeiten richtet: »Was er euch sagt, das tut!« (Joh 2, 5). Hier finden wir die Mahnung, die die Worte und Zeichen Jesu während seines ganzen öffentlichen Wirkens vorbereitet und somit den marianischen Hintergrund aller ,,lichtreichen Geheimnisse“ bildet.
Die schmerzhaften Geheimnisse
22 Die Evangelien messen den Geheimnissen des Leidens Christi große Bedeutung zu. Immer schon hat sich die christliche Frömmigkeit, besonders in der Fastenzeit, mittels der Übung des Kreuzweges den einzelnen Momenten der Passion zugewandt, in denen sie den Höhepunkt der Offenbarung der Liebe und die Quelle unseres Heiles erahnt. Der Rosenkranz wählt einige Momente der Passion aus und veranlasst so den Betenden, den Blick seines Herzens darauf auszurichten und danach zu leben. Der betrachtende Weg öffnet sich mit Getsemani, dort wo Jesus einen besonders angstvollen Moment gegenüber dem Willen des Vaters durchlebt, dem die Schwachheit des Fleisches sich zu widersetzen versucht wäre. Dort, am Ort aller Versuchungen der Menschheit und angesichts aller Sünden der Menschen nimmt es der Sohn auf sich, zum Vater zu sagen: »Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen« (Lk 22, 42 par.). Sein Ja stößt das Nein der Stammeltern von Eden um. Wie viel ihn diese Einwilligung in den Willen des Vaters gekostet haben mag, geht aus den folgenden Geheimnissen hervor, in denen er mit der Geißelung, der Dornenkrönung, dem Weg nach Golgotha und schließlich seinem Kreuzestod die tiefste Erniedrigung erleidet: Ecce homo!
In dieser Erniedrigung wird nicht nur die Liebe des Vaters offenbar, sondern die Sinnhaftigkeit des Menschen. Ecce homo: wer den Menschen erkennen will, muss den Sinn, die Wurzel und die Erfüllung anerkennen, die ihm von Christus her eignet, von Gott, der sich aus Liebe herablässt »bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2, 8). Die schmerzhaften Geheimnisse führen den Glaubenden dazu, den Tod Christi nachzuleben, indem er sich neben Maria unter das Kreuz stellt, um mit ihr in die Tiefe der Liebe Gottes für den Menschen einzudringen und daraus die ganze neubelebende Kraft zu erfahren.
Die glorreichen Geheimnisse
23 »Die Betrachtung des Antlitzes Christi kann nicht beim Bild des Gekreuzigten stehen bleiben. Er ist der Auferstandene!«.<ref> Johannes Paul II., Apost. Schr. Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 28: AAS 93 (2001), 284.</ref> Der Rosenkranz drückt schon immer diese Glaubensgewissheit aus und lädt die Gläubigen dazu ein, über das Dunkel der Passion hinauszugehen, um den Blick auf die Herrlichkeit Christi in Auferstehung und Himmelfahrt zu richten. In der Betrachtung des Auferstandenen entdeckt der Christ die Gründe seines Glaubens (vgl. 1 Kor 15, 14). Er erlebt nicht nur die Freude derjenigen, denen sich der auferstandene Christus zeigte – den Aposteln, Maria von Magdala, den Jüngern von Emmaus –, sondern auch die Freude Marias, die eine nicht geringere Erfahrung der neuen Wirklichkeit ihres verherrlichten Sohnes machen durfte. Zu dieser Herrlichkeit, die in der Himmelfahrt Christus an die Rechte des Vaters setzt, wurde auch sie erhoben und erlangte so das ganz außerordentliche Vorrecht, die bei der Auferstehung des Fleisches allen Gerechten zugedachte Bestimmung voraushaben zu dürfen. Schließlich wurde sie mit Herrlichkeit gekrönt – wie es im letzten glorreichen Geheimnis aufscheint – und erstrahlt als Königin der Engel und der Heiligen als Vorwegnahme und Höhepunkt der eschatologischen Wirklichkeit der Kirche.
Im Mittelpunkt dieses Weges der Verherrlichung des Sohnes und der Mutter steht im dritten Rosenkranzgeheimnis das Pfingstereignis, welches das Angesicht der Kirche als einer mit Maria vereinten Familie zeigt. Sie wird durch die kraftvolle Ausgießung des Heiligen Geistes belebt und ist bereit, ihre Sendung der Glaubensverbreitung zu erfüllen. Die Betrachtung dieses wie auch der anderen glorreichen Geheimnisse soll in den Gläubigen das stets lebendigere Bewusstsein ihres neuen Lebens in Christus stärken. Dabei stellt die Pfingstszene im Innenraum der ekklesialen Wirklichkeit eine große ,,Ikone“ dar. Die glorreichen Geheimnisse nähren so in den Gläubigen die Hoffnung auf das eschatologische Ziel, zu dem sie als Glieder des durch die Geschichte pilgernden Gottesvolkes unterwegs sind. Dies kann sie nur zu einem mutigen Zeugnis für die »Frohe Botschaft« anspornen, die ihrer ganzen Existenz Sinn verleiht.
Von den ,,Geheimnissen“ zum „Geheimnis“ der Weg Marias
24 Diese betrachtenden Schritte, wie sie im Rosenkranz vorgeschlagen werden, schöpfen sicher nicht das ganze Geheimnis aus, bringen aber die wesentlichen Punkte zum Ausdruck und verleihen dem Geist den Geschmack einer Erkenntnis Christi, die sich ständig an der reinen Quelle des biblischen Textes labt. Jeder einzelne von den Evangelisten berichtete Lebensabschnitt Jesu erstrahlt in jenem Geheimnis, das alle Erkenntnis übersteigt (vgl. Eph 3, 19). Es ist das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes, in dem »wirklich die ganze Fülle Gottes wohnt« (Kol 2, 9). Deshalb besteht der Katechismus der Katholischen Kirche so sehr auf den Geheimnissen Christi, wenn er uns daran erinnert, dass »im Leben Jesu alles Zeichen seines innersten Geheimnisses ist«.<ref>Nr. 515 </ref> Das »Duc in altum« der Kirche des dritten Jahrtausends bemisst sich an der Fähigkeit der Christen, »die tiefe und reiche Erkenntnis zu erlangen und das göttliche Geheimnis zu erkennen, das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.« (Kol 2, 2-3). Der brennende Aufruf des Epheserbriefes ergeht an jeden Getauften: »Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, [...] die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt« (3, 17-19).
Der Rosenkranz stellt sich in den Dienst dieses Ideals, indem er das ,,Verborgene“ darbietet, um sich leichter für eine tiefe und eingängige Erkenntnis Christi zu öffnen. Wir könnten ihn den Weg Marias nennen. Er ist der modellhafte Weg der Jungfrau von Nazareth, der Frau des Glaubens, des Schweigens und des Hörens. Zugleich ist dies der Weg einer marianischen Frömmigkeit, die vom Bewusstsein der unzertrennlichen Beziehung animiert ist, welche Christus mit seiner Mutter verbindet: die Geheimnisse Christi sind in gewisser Weise auch die Geheimnisse der Mutter; dies gilt sogar für die Situationen, in denen sie nicht direkt einbezogen ist, und zwar aufgrund der Tatsache, dass sie von ihm her und für ihn lebt. Wenn wir uns die Worte des Erzengels Gabriel und der heiligen Elisabeth im Ave Maria zu eigen machen, regt uns dieses Gebet dazu an, stets aufs Neue bei Maria, auf ihren Armen und in ihrem Herzen, die »gebenedeite Frucht ihres Leibes« (vgl. Lk 1, 42) zu suchen.
[Fortsetzung folgt]
Anmerkungen
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