Weihnachtsansprachen Papst Pauls VI.
von Papst
Paul VI.
an das Kardinalskollegium und die Römische Kurie anlässlich der Übermittlung der Weihnachtswünsche bzw. Ansprache am Rundfunk der ganzen Welt
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
1963
Hintergrund
Am 21. Dezember 1963 richtete Papst Paul VI. über Rundfunk und Fernsehen die erste Weihnachtsbotschaft seines Pontifikats an die Katholiken, die getrennten Christen und die Menschen guten Willens. Wir veröffentlichen hier den Wortlaut der Ansprache nach dem im "Osservatore Romano" (25. 12. 63) wiedergegebenen italienischen Text.
Brüder und Söhne, liebe Hörer!
Euch allen gelte Unser Glückwunsch für ein gesegnetes Weihnachtsfest! Er will vor allem in eure Herzen dringen und euch jene Gesinnung der Freude, des Friedens, der Heiterkeit und des Vertrauens bringen, die gerade von diesem heiligen Feste ausstrahlt. Möge ein jeder, der diesen Unseren herzlichen Glückwunsch aufnimmt, in seinem Innern diese Freude, diesen Trost, dieses Glück spüren. Die Menschen verfügen heutzutage über so viele Mittel des sogenannten äußeren Glückes, aber sehr oft entbehren sie des inneren, wahren, persönlichen, tiefen und aufrichtigen Glückes. Gerade dieses Glück wünschen Wir einem jeden von euch. Wir wünschen es zuerst euch Leidenden, die ihr am meisten dessen bedürft, den Kranken, den Alten, den Betrübten, den Weinenden, den nach Vergebung Hungernden und den nach Gerechtigkeit Dürstenden. Wir möchten einem jeden von euch zur Seite sein, um euch das frohe und aufrichtige Trostwort Christi zu bringen. Ferner euch lieben Kindern und euch jungen Leuten, die ihr Weihnachten als euer Fest betrachtet, als Fest des neuen Lebens, als Fest der guten Zuneigungen, als Fest der Lebensfreude: möge der Herr auch in den kommenden Jahren diesen Frohsinn erhalten und stärken und euch dessen Geheimnis lehren, das sich in der Unschuld birgt. Euch Familien, die ihr versammelt seid um den Tisch, um die Gaben und um die Krippe voll ursprünglicher und belebender Poesie. Euch sozialen Schichten, die ihr bei dieser Gelegenheit die Bilanz eurer Kräfte und eurer Bedürfnisse zieht, damit sich in euch der Sinn für Gerechtigkeit mit dem für Ordnung und Liebe verbinde. Euch Verbannten und Flüchtlingen, deren Ängste und Qualen Uns bekannt sind. Euch Gläubigen, die ihr der geschuldeten Freiheit beraubt seid, und euch, die ihr für Christus und seine Kirche leidet und die ihr heute mehr denn je Unserem Herzen nahe seid. Euch Völkern und Nationen dieser Erde, auf die heute die Friedensbotschaft vom Himmel herabkommt und die Welt mit Vertrauen und gutem Willen erfüllt. Allen gesegnete Weihnacht! Wir sind befähigt, diese Wünsche auszusprechen, denn Weihnachten ist ein religiöses und chistliches Fest. Und Wir wissen wohl, welche Beziehung es zu den Schicksalen des Menschenlebens hat.
Aber bei dem Verlangen, Unseren brüderlichen und väterlichen Glückwunsch auf alle auszudehnen, suchen Wir von der Höhe, auf die Uns Unsere Sendung wie auf eine universale Warte stellt, den Horizont der Welt zu entdecken. Dabei gewahren Wir, dass Unsere Glückwünsche nicht nur nach den all gemeinen und bescheidenen Wünschen nach einem frohen und volkstümlichen Fest, wie es heute gemeinhin das Weihnachtsfest ist, bemessen werden dürfen, sondern sie müssen sich vor allem auf die wahren und großen Bedürfnisse der Menschen richten. Wir können die großen Leiden, die tiefen Bestrebungen und die schmerzlichen Mängel nicht übersehen, die sich auf breite Schichten der Gesellschaft oder auf ganze Völker beziehen. Bei diesem Bemühen einer realistischen Betrachtung des menschlichen Geschehens werden Wir nachdenklich statt froh, gerade weil Wir Uns fragen: Welches sind heute die großen Bedürfnisse der Welt, denen Unsere Wünsche, um in Wahrheit vorsorglich und klug zu sein, entsprechen müssen?
Der Hunger in der Welt
Die Bedürfnisse der Welt! Die Frage lässt einen schwindelig werden, so groß, vielfältig und unermesslich sind diese Bedürfnisse. Aber einige davon sind so offenkundig und drängend, dass Wir sie alle irgendwie kennen.
Das erste ist der Hunger. Man wusste, dass es ihn gab, aber heute wurde er entdeckt. Er ist nunmehr eine wissenschaftliche Entdeckung, die uns sagt, dass mehr als die Hälfte des Menschengeschlechtes nicht genügend Brot hat. Noch heute sterben und siechen ganze Generationen von Kindern wegen unbeschreiblicher Not dahin. Der Hunger verursacht Krankheit und Elend, und diese ihrerseits vergrößern den Hunger. Es ist nicht nur der Wohlstand, der zahllosen Völkern fehlt, es ist das Notwendige. Und es ist vorauszusehen, dass diese traurige Erscheinung, wenn nicht durch entsprechende Mittel Abhilfe geschaffen wird, nicht abnehmen, sondern zunehmen wird. Die Bevölkerungszunahme der Hungergebiete ist noch nicht ausgeglichen durch den wirtschaftlichen Zuwachs der Mittel für den Lebensunterhalt. Gleichzeitig breiten sich die Nachrichtenmittel und der Kulturaustausch aus und machen diesen Leidenszustand bewusst, so dass er Beunruhigung und Auflehnung hervorruft. Der Hunger kann zu einer umstürzlerischen Kraft von unberechenbaren Folgen werden.
Wer dieses eindrucksvolle und bedrohliche Problem studiert, ist zuweilen versucht, Mittel anzuwenden, die für noch schlimmer zu halten sind als das übel, wenn sie an die Fruchtbarkeit des Lebens selbst rühren mit Mitteln, die die menschliche und christliche Sittenlehre als unerlaubt beurteilen muss: anstatt das Brot auf dem Tisch der hungernden Menschheit zu vermehren, wie es heute die dynamischen Produktionstechniken vermögen, wird von manchen daran gedacht, durch sittenwidriges Vorgehen die Zahl der Tischgenossen zu verringern. Das ist der Kultur unwürdig. Wir wissen, dass das Problem des Bevölkerungszuwachses der Völker, die ohne hinreichende Mittel für den Lebensunterhalt sind, sehr schwer und verwickelt ist, aber man darf nicht zulassen, dass seine Lösung in der Anwendung von Mitteln besteht, die dem Gesetze Gottes und der Ehrfurcht, die der Ehe und dem werdenden Leben gebührt, entgegengesetzt sind.
Das ist ein neuer Grund, weshalb Wir mit großem Mitgefühl Uns den Menschenmassen zuwenden, die Hunger leiden, und besorgt und aufmerksam verfolgen, wie die großen Probleme studiert und behandelt werden, die mit einem solchen Zustand der Dinge zusammenhängen. Wenn Uns nicht die wunderbare Macht Christi verliehen wurde, das Brot für den Hunger der Welt zu vermehren, so ist es Uns doch gegeben, in Unserem Herzen die Bitte aufzunehmen, die von den immer noch dahinsiechenden oder vom Elend bedrückten Massen ausgeht, und sie mit dem gleichen Mitleid des göttlichen und so menschenfreundlichen Herzens Christi zu hören: "misereor super turbam ... Ich habe Mitleid mit diesem Volke, das ... nicht zu essen hat" (Mt. 8,2). Die Leiden der Armen sind auch Unsere Leiden! Und Wir wollen hoffen, dass dieses Unser Mitempfinden schon an sich selbst fähig ist, jene neue Liebe zu wecken, die durch eine ihr dienende vorsorgliche und neue Wirtschaftsplanung das notwendige Brot vermehren wird, um den Hunger in der Welt zu stillen. Deshalb begünstigen Wir ganz offen alles, was heute getan wird, um den Völkern zu helfen, die die für die elementaren Lebensbedürfnisse notwendigen Güter entbehren. Mit Bewunderung sehen Wir, dass große internationale Hilfswerke in diesen Jahren entstanden sind, um nach den Ruinen des Krieges einen wiedererblühenden Adel des Menschenherzens zu bezeugen und um ganzen Massen unbekannter Völker freiwillig und in geordneter Weise das unentbehrliche Brot bereitwillig anzubieten. Ein solch großartiges, vielfältiges und Segen bringendes Bemühen möchten Wir ermutigen und segnen, und Wir sind erfreut zu sehen, wie christliche Grundsätze so lobenswerte und wohltätige Initiativen wecken, durchdringen und fördern. Mit Genugtuung stellen Wir fest, dass einige von diesen aus dem katholischen Bereich kommen dank christlich denkender Menschen und würdiger Hirten, die so edle Unternehmen unterstützen, dank zahlloser Gläubiger, die dafür Herz und Geld geben, dank tüchtiger Leiter, die sie organisieren, und guter Helfer, die dafür großartige Dienste leisten: ein Gruß an all diese tüchtigen Leute! Und deshalb also Unser erster Weihnachtswunsch: dass die Liebe in der Welt herrsche! Dass die von Christus, der als Kind auf unsere Erde kam, gebrachte und von ihm unter den Menschen entzündete Liebe immer mehr aufbreche, bis sie fähig wird, von unserer Kultur die Schmach des Elendes zu nehmen, die auf unseren Mitmenschen und Brüdern in Christus lastet!
Der Aufstieg der Entwicklungsländer
Dieser Glückwunsch weist auf einen anderen hin, der dem ersten in den humanitären Zielen nicht unähnlich ist, aber sich in den Methoden unterscheidet, mit denen er verwirklicht werden muss. Es ist der Glückwunsch für die Völker in den Entwicklungsländern. Angesichts Unserer umfassenden Sendung als Hirte der Völker blicken Wir mit großem Mitgefühl und liebevollem Interesse auf die neuen Nationen, die in diesen Jahren zum Bewusstsein, zur Würde und zum Eigenleben freier und zivilisierter Staaten aufsteigen. Wir beobachten besonders diejenigen Afrikas und Asiens, und gerne grüßen Wir in dieser Weihnacht Christi ihren Aufstieg zur Unabhängigkeit und zur Zusammenarbeit im internationalen Leben. Mit ihnen möchten Wir den tiefsten Ursprung ihrer Berufung zur Freiheit und zur menschlichen Reife in der christlichen Botschaft suchen, und Wir möchten ihnen wünschen, dass sie darin immer die Quellen wahren Menschentums entdecken und immer jene Reserven sittlicher Energie finden, mit denen ein Volk die richtige Anschauung vom menschlichen Leben erwirbt und die Weisheit und die Kraft findet, in seinen Gesetzen und seinen Gebräuchen sowohl die allgemeinen Leitlinien der Kultur wie auch die besonderen Formen seiner ihm angestammten Eigenart zum Ausdruck zu bringen.
Wir wissen, dass diese neuen Nationen mit Recht stolz sind auf ihre Unabhängigkeit und dass sie nicht mehr die Herrschaft eines anderen Staates über sich zulassen können. Aber Wir wissen auch, dass sie noch nicht den Stand erreicht haben, um alle kulturellen und wirtschaftlichen Wohltaten einer modernen und vollkommenen Kultur zu genießen. Wenn also Unsere weihnachtliche Liebe nach den großen Bedürfnissen der Welt fragt, so sieht sie, dass für diese jungen Staaten nicht mehr eine demütigende und eigennützige Wohltätigkeit nötig ist, sondern eine wissenschaftliche und technische Unterstützung und eine freundschaftliche Solidarität der internationalen Welt: möge der Bevormundung Brüderlichkeit folgen. Das ist der Glückwunsch, den Wir für diese neuen Völker aussprechen: mögen sie als Brüder in die Familie der zivilisierten Nationen eintreten, im Geiste der Solidarität, der Eintracht und des Friedens, indem sie den Beitrag ihrer angestammten Kultur und ihrer neuen kulturellen und sozialen Bildung mitbringen. Mögen sie in der internationalen Familie die ihnen gebührende Achtung und die Hilfe finden, die sie auch weiterhin brauchen.
Die Arbeit der Missionare
Wir können nicht vergessen, wie die Katholische Kirche selbst durch ihre Missionen inmitten dieser neuen Völker immer gearbeitet hat, ohne irgendwelche zeitlichen Interessen zu verfolgen, um in ihnen ihre besten Fähigkeiten wieder zu erwecken, indem sie immer jede ihrer menschlichen und achtenswerten Ausdrucksformen ehrte, immer ihre Berufung zu den wahren und höchsten Bestimmungen des erlösten Menschen verkündete und immer mit jedem Opfer und mit reiner Liebe darum bemüht war, ihnen Schulbildung, ärztliche Betreuung und soziale Bildung anzubieten. Und das alles nicht in einem Verhältnis wie zwischen Oberen und Untergebenen oder wie zwischen Ausländern und Fremden, sondern als eine Erziehung zu christlicher Brüderlichkeit und bürgerlicher Selbstbestimmung. Deshalb möchten Wir wünschen, dass die katholischen Missionen bei den neuen Nationen immer wohlwollende Aufnahme finden und dass sie ihnen immer die hingebende und loyale Mitarbeit zu ihrer besseren geistigen, sittlichen und materiellen Entfaltung anzubieten wissen.
Der wahre Friede
Bei diesem Rundblick über die Völker können Wir nicht umhin, Uns noch einem anderen höchsten Bedürfnis der Menschheit zuzuwenden: dem Frieden. Gerade das Weihnachtsfest legt Uns den Gedanken daran nahe. Wie wir alle wissen, stellt es sich uns vor als eine Friedensbotschaft, vom Himmel auf die Erde gebracht für alle Menschen guten Willens. Einen Hinweis darauf bietet Uns die große Enzyklika Unseres verehrten und betrauerten Vorgängers, Johannes' XXIII., die von der grundlegenden Frage des Friedens in dieser unserer modernen Welt handelte, deren Umwandlungen und Streitfragen ständig zum Nachdenken über die Natur, die Formen, die Schwächen, die Bedürfnisse und die Entwicklungen dieser Probleme verpflichten. Jene Enzyklika hat uns, wenn man so sagen kann, die neue Problematik des Friedens und des Dynamismus der Elemente gelehrt, aus denen er sich ergeben muss: seine klassische Begriffsbestimmung nach Augustinus, "Ruhe der Ordnung", erscheint uns heute mehr das Ergebnis einer geordneten Bewegung der die Ruhe und die Sicherheit des Friedens bildenden Faktoren als der gleichbleibenden Statik: als Gleichgewicht der Bewegung.
Wir fühlen Uns aber noch mehr durch eine doppelte Tatsache dazu verpflichtet, den Frieden zum Gegenstand Unserer Weihnachtswünsche zu machen. Erstens gewahren Wir nunmehr ein nicht zu unterdrückendes Bedürfnis im Bewusstsein der neuen Generationen: die Jugend will den Frieden! Zweitens sehen Wir: der Friede ist immer noch schwach, der Friede ist immer noch zerbrechlich, der Friede ist immer noch bedroht. Und an nicht wenigen, zum Glück festumschriebenen Punkten der Erde wird er gestört.
Unsere Beobachtung lässt Uns wegen anderer nahe liegender Erwägungen zittern: der Friede gründet sich heute mehr auf die Furcht als auf die Freundschaft, er wird mehr durch den Schrecken vor den mörderischen Waffen verteidigt als durch das gegenseitige Bündnis und Vertrauen unter den Völkern! Und wenn der Friede morgen - was Gott verhüten möge - gebrochen würde, dann wäre der Untergang der ganzen Menschheit möglich. Wie können wir ein frohes Weihnachten feiern, während eine solche Drohung über den Geschicken der Welt liegt? Deshalb wird Unser Glückwunsch zur dringenden Bitte an alle Menschen guten Willens, an alle Menschen, die verantwortlich sind auf dem Gebiet der Kultur und der Politik: setzt euch mit dem Problem des Friedens von Grund auf auseinander! Mit dem des wahren Friedens, nicht mit jenem anderen, der von einer heuchlerischen Propaganda gepriesen wird, um den Gegner einzuschläfern und die eigene Kriegsrüstung zu verbergen, nicht mit jenem schwächlichen und prahlerischen Frieden, der den unerlässlichen, geduldigen, aufreibenden, aber allein wirksamen Verhandlungen ausweicht, nicht mit jenem Frieden, der sich nur auf das unsichere Gleichgewicht der widerstreitenden Wirtschaftsinteressen oder auf den Traum hochmütiger Vormachtsstellungen gründet. Mit dem wahren Frieden, sagen Wir, der seine Sicherheit auf die kluge Beseitigung oder wenigstens auf die Minderung der Ursachen stützt, durch die er gefährdet werden kann, die da sind: nationalistische und ideologische Überheblichkeit, das Wettrüsten, das Misstrauen gegenüber den bestehenden Methoden und Einrichtungen, die für das geordnete und brüderliche Zusammenleben unter den Völkern geschaffen sind. Frieden in der Wahrheit, in der Gerechtigkeit, in der Freiheit und in der Liebe, das wünschen Wir.
Frieden aus christlicher Einheit
Hier kommt Unser Weihnachtswunsch auf ein anderes, mit dem des Friedens eng zusammenhängendes Bedürfnis, zu der grundlegenden Frage: Warum leben die Menschen nicht miteinander im Frieden? Warum sind die Menschen nicht geeint? Ihre Einigung ist das große menschliche Bedürfnis der heutigen Zeit. Die Kultur, die dieses Bedürfnis weckt und ihm großenteils dient, genügt ihm letztlich nicht, sie verschärft es vielmehr durch einen unkritischen Pluralismus der von ihr verbreiteten Ideen. Es fehlt den Menschen an Einheit in den Grundsätzen, in den Ideen, in den Auffassungen vom Leben und von der Welt. Und solange sie uneins sind, verkennen, hassen und bekämpfen sie sich. Daraus sieht man die Bedeutung des Faktors der Lehre für die Geschicke der Menschheit. Man sieht, was für ein Glück für uns das Kommen Jesu Christi in die Welt bedeutet. Er kam, um eine einzige und allgemeine Beziehung der Menschen zu Gott, dem himmlischen Vater, herzustellen. Dieser religiöse Bezug ist das solideste und fruchtbarste Fundament der Einheit unter den Menschen in der Achtung, ja in der Entfaltung ihrer einzelnen und jeweiligen Persönlichkeit. Die wahre gesellschaftliche Verwirklichung des Friedens kommt aus der religiösen christlichen Einheit. Und diese von Christus eingesetzte Einheit im Denken und in der Geschichte möchte auch Unser höchster Wunsch sein, für den Frieden, für die Eintracht, für die Liebe, für das Verstehen, für das Glück der Menschen guten Willens. Wir rufen ihn in die Welt hinein mit den Glocken der heiligen Weihnacht. Wir richten ihn in besonderer Weise an jene, von denen Wir annehmen müssen, dass sie besser als die anderen in der Lage sind, ihn entgegenzunehmen: die noch von Uns getrennten Christen und die glücklich mit Uns verbundenen Katholiken: ut unum sint, dass alle geeint seien. Dies war der erhabene und letzte Wunsch Christi vor seinem Leiden. Dies sei er auch für Uns am Gedächtnistage seines Kommens auf die Welt.
Der Zweck der Reise ins Heilige Land
Söhne und Brüder und alle Menschen guten Willens! Dies sind die Wünsche, die Uns Weihnachten eingibt, und in dieser ersten Periode Unseres Pontifikats und während des Ablaufs des Zweiten Vatikanischen ökumenischen Konzils sind sie so drängend und so überströmend, dass Wir, wie ihr wisst, Uns entschlossen haben, Uns demnächst nach Palästina zu begeben, in das Land, wo Christus, der Sohn Gottes, Mensch wurde, lebte, lehrte, litt, starb und auferstand und von neuem in den Himmel aufstieg, denn es scheint Uns dies eine ausdrucksvolle und neue Bestätigung unseres Glaubens und unserer Liebe zu ihm zu sein, und es kommt Uns vor, dass Wir, gleichsam in der Weise des Evangeliums mit ihm vereint, dann besser der Uns von ihm anvertrauten Sendung für die Rettung der Welt eine aufrichtige und glückliche Ausstrahlung sichern können.
Wir sagen nochmals klar, dass Unsere Pilgerfahrt nur unter religiösen Gesichtspunkten unternommen wird und ausschließlich religiösen Zielen dient. Unsere Reise wird das Bekenntnis Petri wieder aufnehmen: Wir wollen in Unserem Glauben den der ganzen Kirche zusammenfassen und wollen, wie Petrus in Caesarea Philippi, zu Jesus sagen: Ja, Herr, du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Es wird die Reise der Darbringung der Gaben sein. Wie die Weisen aus dem Morgenland, sinnbildliche Vorläufer der Völker der Erde, so wollen Wir aus dem Abendland zu Jesus das Angebot seiner Kirche tragen und in ihm ihren Gründer, ihren Meister, ihren Herrn, ihren Erlöser anerkennen.
Es wird auch die Reise des Suchens und der Hoffnung sein: des Suchens all derer, die uns in Christus Söhne und Brüder sind. Werden Wir nicht im Mittelpunkt des Evangeliums, an den Wir durch jenes gesegnete Land erinnert werden, Uns selbst fragen können: wo sind die Lämmer und die Schafe seiner Herde? Sind alle hier? Und jene, die fehlen? Und werden Wir nicht Jesus mit seinen eigenen Worten selbst anflehen können, dass nur eine Herde und nur ein Hirt werde! Und Unser Herz weitet sich auch über die Herde Christi hinaus, und Wir werden gute und große Gedanken für jedes Volk der Erde haben, für die Nahen und Fernen, mit der Gesinnung der Ehrfurcht und der Liebe und mit dem Wunsch für das Wohl und für den Frieden. Alle Menschen der verschiedensten Herkunft, denen Wir auf Unserem Wege begegnen, vor allem Autoritäten, Völker, Pilger und Touristen, werden Wir ehrerbietig und herzlich grüßen, ohne aber Unsere eiligen Schritte anzuhalten und ohne Uns von dem einzigen Zweck Unserer Reise abbringen zu lassen.
Es wird also eine Reise des Gebetes sein, eine Reise voll Demut. und Liebe. An die ganze Welt werden Wir denken. Niemand wird vergessen sein. Indem Wir den Herrn um Verzeihung bitten, ihn, den Barmherzigen, für Unser Versagen und für Unsere Schwachheit, werden Wir den Mut haben, Barmherzigkeit, Friede und Heil für alle zu erflehen. Und die Wünsche, die Wir in dieser gesegneten Weihnacht für die Kirche und für alle Menschen guten Willens ausgesprochen haben, werden da lebhafter und wirksamer sein, während Wir sie für jetzt mit Unserem Apostolischen Segen bekräftigen und dazu die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau und der heiligen Apostel Petrus und Paulus anrufen.
1964
Hintergrund
Am 22. Dezember 1964 um 20 Uhr richtete Papst Paul VI. an die Gläubigen und an die Völker der ganzen Welt die traditionelle Weihnachtsbotschaft, worin er alle Menschen zur Brüderlichkeit ermahnt, Wir geben hier den Wortlaut der Ansprache nach dem im "Osservatore Romano" (24.12.64) veröffentlichten italienischen Text wieder.
Die Weihnachtsbotschaft
Die Wiederkehr des teuren und bewegenden Weihnachtsfestes, das so menschlich und so heilig und voller Geheimnisse ist, und das unmittelbar darauf folgende neue bürgerliche Jahr erfüllen Unser Herz mehr noch als Unsere Lippen mit guten Wünschen, Wünschen in Fülle, die Uns im Innersten bewegen für euch alle, die ihr Unsere Stimme hört; für euch, liebe Söhne und Töchter, mit denen Uns derselbe Glaube und die gleiche Liebe in gemeinsamer Freude vereinen und Uns teilnehmen lassen an dem Reichtum der Empfindungen und Gedanken, die vom Weihnachtsgeheimnis ausgehen, Wünsche für euch alle, jeden Alters, aller Länder, aller Weltanschauungen, Wir Spüren es heute mehr denn je, dass wir euch Unsere Hochschätzung, Unsere Zuneigung und Unsere Gemeinschaft schulden.
Wahrhaftig, Weihnachten lässt Uns das Wesen Unserer universalen Sendung erfahren, allen Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden; die Frohbotschaft, die den Menschen offenbart, dass es Glück, Frieden und Heil gibt. Darum haben Wir es noch nie so empfunden wie gerade heute, aus ehrlichem Verlangen und innerer Pflicht, Unsere Glückwünsche an die Welt zu richten,
"Brüderlichkeit"
In diesem Jahre handeln Unsere Botschaft und Unser Glückwunsch von der Brüderlichkeit. Die Brüderlichkeit, ihr Menschen, die ihr Uns hört, die ist wahrer, wirksamer und universaler als die, welche die Menschen bereits eint, Ja, die Brüderlichkeit!
Wir haben noch in Uns den lebendigen Eindruck Unserer kürzlich Reise nach Bombay, Die Reise hatte bekanntlich einen religiösen Zweck, sie erhielt aber für Uns selbst zugleich einen unvergleichlich menschlichen Wert, Wir sind als Fremder und Pilger in ein fernes und Uns unbekanntes Land gegangen. Wir hätten dort fremd, isoliert und nur von Unseren Glaubensbrüdern umgeben bleiben können. Statt dessen sind Wir einem Volk begegnet. Einem zahllosen Volke, einem festlich gestimmten und überschäumenden Volke. Es schien Uns die riesigen Völker des unermesslichen Indien zu vertreten und mit ihnen die von ganz Asien, das - wie jeder weiß - nicht katholisch ist, aber höflich und aufgeschlossen nach einem Blick und Wort des fremden römischen Besuchers verlangte, der Wir waren. Nun, es war ein Augenblick des Verstehens und der Verbindung der Herzen, Was die jubelnden Massen in Uns gesehen haben, wissen Wir nicht, Wir haben in ihnen Menschen von hoher Würde gesehen, verwachsen mit ihren tausendjährigen kulturellen Traditionen, die nicht alle christlich sind, nein, aber doch tief religiös und in vieler Hinsicht gut und edel, uralt und jung zugleich, heute erwacht und auf der Suche nach etwas, das eben der erstaunlich moderne Fortschritt nicht geben, vielleicht eher hemmen kann,
Ein Gefühl tiefer Sympathie hat Uns dabei bestätigt, was das Christentum seit Jahrhunderten sagt und was die Entwicklung der Kultur langsam und schrittweise erkennt und verkündet: die Menschen sind Brüder, Die Beziehungen zwischen den Menschen werden so leicht und vielfältig, dass sie zur Liebe werden müssten. Die Entfernungen sind so kurz und fast unbedeutend, dass die Liebe universal werden muss. Der Begriff des Nächsten, der bereits im Evangelium vom Samariter die konventionellen Grenzen überschritt, umfasst die ganze Menschheit: jeder ist unser Nächster. Die offensichtlichen Bedürfnisse der anderen sind so klar und flehend, und die Möglichkeit, ihnen Hilfe zu bringen, nimmt heute in so überreichem Maße zu, dass es jedem einleuchtet, worauf sich heute der Aufbau der Kultur richten muss: die Solidarität unter den Menschen zu begründen, damit es keinem an Brot und Anerkennung fehle und damit alle das höchste Interesse am Gemeinwohl haben,
Der kulturelle Fortschritt entdeckt als Anspruch und Errungenschaft das, was Christus, der Mensch wie wir und unser Lehrer wurde, uns schon auf den Seiten seines Evangeliums gelehrt hatte, das nie ganz begriffen und noch nicht allgemein verwirklicht wurde: "Ihr alle seid Brüder" (Mt. 23, 8), das ist gleich, das ist solidarisch und verpflichtet, in jedem von euch den Widerschein vom Bilde desselben himmlischen Vaters zu sehen und einander zu helfen, das Ziel zu erreichen: die Fülle des Menschseins und die Gotteskindschaft aus Gnade in diesem Leben und die ewige Seligkeit im zukünftigen,
"Freundschaft"
Heute ist Brüderlichkeit geboten. Freundschaft ist das Prinzip jedes modernen menschlichen Zusammenlebens. Anstatt im Mitmenschen den Fremden, den Rivalen, den Unsympathischen, den Gegner und Feind zu sehen, müssen wir uns daran gewöhnen, in ihm den Menschen zu sehen, uns gleich, würdig der Achtung und Wertschätzung, der Hilfe und der Liebe genau wie wir, Es kommt Uns das wundervolle Wort des heiligen afrikanischen Lehrers in den Sinn: "Dilatentur spatia caritatis", die Grenzen der Liebe mögen sich weiten (Sermo de verbis Domini), Fallen müssen die Schranken des Egoismus, und die Behauptung der rechtmäßigen Sonderinteressen darf nie den anderen zur bedrückenden Last werden und niemals eine sinnvolle Gemeinschaft aufheben. Die Demokratie, auf die sich heute das menschliche Zusammenleben beruft, muss sich einer universalen Idee öffnen, die die Grenzen und die Hindernisse aus dem Weg räumt für eine wirksame Brüderlichkeit.
Wir wissen, dass diese Auffassung heute im Herzen der Menschheit großen Anklang findet. Wir meinen, besonders die Jugend weiß, dass dieser Wahrheit die Zukunft gehört und dass sie gründet in der Entwicklung der Kultur, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Es sind Ideale, aber sie sind nicht utopisch. Sie sind schwierig, aber sie sind der Mühe und des Einsatzes wert. Wir sind durchaus dafür. Wir sind für die Jugend, die aus der Welt ein Haus für alle machen möchte, nicht ein System von Schützengräben für eine unversöhnliche Zwietracht und einen fortwährenden Kampf.
Wir wissen aber, dass diese schönen Auffassungen leicht in Vergessenheit geraten. In bestimmten Stunden der Geschichte dämmern sie auf, und sofort verdunkeln sie sich, weil widrige Wolken aufsteigen. Der Weg des wahren Fortschritts ist beschwerlich und unsicher, Der menschliche Widerstand kennt bei der Suche nach dem Höchsten entmutigende Niederlagen, Der Mensch ist unbeständig, Die Eroberung der Wahrheit ist schwierig, Das Gute ist schwer, Der Hass ist viel leichter als die Liebe.
Darum möchten Wir der Welt das unerschöpfliche und stets aktuelle Erbe der göttlichen und menschlichen Lehre und der sittlichen Kraft, das dem Katholizismus eigen ist, zur Verfügung stellen, um das Bemühen der Menschen guten Willens für das gemeinsame Wohlergehen, für den universalen Frieden und für die Brüderlichkeit aller Menschen zu unterstützen. Unser Angebot ist aufrichtig. Die Kirche denkt darüber nach im ökumenischen Konzil. Sie schöpft es aus ihrem Herzen, das erfüllt ist von der neuen Liebe, die Christus in die Welt gebracht hat. Sie bietet dieses Erbe dar mit demütiger und freundschaftlicher Geste zur freien Annahme von Seiten der modernen Welt, die es nicht zurückweisen kann, wenn sie wirklich die eigene Rettung liebt.
Die Hindernisse und Heilmittel
Uns sind die Hindernisse nicht unbekannt, die sich ständig der menschlichen Brüderlichkeit entgegenstellen, und mit Schmerzen beobachten Wir, dass sie jetzt in einer dialektischen Phase sind, die ihnen eine noch größere Klarheit und bisweilen eine gefährlichere Wirksamkeit gibt.
In der festlichen Freude der Weihnacht ist es nicht möglich, über diese Hindernisse zu sprechen, die den dramatischen und beängstigenden Aspekt der gegenwärtigen geschichtlichen Wirklichkeit zeigen. Aber es ist auch nicht erlaubt, die drohende Gefahr zu verschweigen in dieser Botschaft elementarer Aufrichtigkeit.
Es sei Uns gestattet, unter vielen vorhandenen und möglichen Formen beiläufig einige konkret zu nennen, die sich gegen die Brüderlichkeit unter den Menschen stellen. Wir deuten sie nur eben an, um sie gleichsam durch Beispiele zu erläutern.
Erstens: der Nationalismus, der die Völker trennt, indem er die einen gegen die anderen stellt und zwischen ihnen Barrieren gegensätzlicher Ideologien, geistiger Enge, ausschließlicher Interessen und autarkischen Ehrgeizes aufrichtet, wenn es sich nicht gar um machthungrige und übermächtige Imperialismen handelt. Dieser Feind der menschlichen Brüderlichkeit gewinnt heute an Kraft. Er schien schon fast überwunden, wenigstens im Prinzip, nach der tragischen Erfahrung des letzten Weltkrieges. Er erhebt sich wieder. Wir bitten Staatslenker und Völker, zu wachen und diesen billigen Instinkt nach Prestige und Machtstreben zu mäßigen. Er könnte wieder verhängnisvoll werden. Wir haben den Wunsch, dass von allen die Arbeit der Organisationen unterstützt und geachtet werde, die geschaffen sind, um die Nationen in treuer und gegenseitiger Zusammenarbeit zu einen, um Kriege zu verhindern und Konflikten vorzubeugen, um die Gegensätze in geduldigen Verhandlungen und günstigen Abmachungen zu lösen, um das Bewusstsein und die Geltung des internationalen Rechtes zu fördern und schließlich um dem Frieden seine feste Sicherheit und sein dynamisches Gleichgewicht zu geben.
Ein weiteres Hindernis, das ebenfalls wiederauflebt, ist der Rassengeist. Er stellt die verschiedenen Rassen der großen Völkerfamilie einander entgegen, weckt Überheblichkeiten, Misstrauen, Eigenbrötelei, Diskriminierung und zuweilen Unterdrückung zum Schaden der gegenseitigen Rücksicht und der geschuldeten Achtung, die aus den verschiedenen Volksgruppen ein friedliches Zusammenleben von Brudervölkern machen sollen.
Hört die Stimme Christi!
So müssen Wir mit Entsetzen einen Militarismus feststellen, der nicht so sehr auf die rechtmäßige Verteidigung der einzelnen Länder und auf die Erhaltung des allgemeinen Friedens bedacht ist, sondern vielmehr auf immer mächtigere und mörderische Aufrüstung ausgeht. Sie verschlingt gewaltige Energien an Menschen und Mitteln, schürt Macht- und Kriegsdenken und führt dazu, den Frieden auf die trügerische und unmenschliche Grundlage der gegenseitigen Furcht zu gründen. Auch in dieser Hinsicht wagen Wir zu wünschen, die Führer der Völker möchten verstehen, mit klugem und großmütigem Herzen auf dem Wege der Abrüstung weiterzugehen, und sie sollten hochherzig, wenn auch nur zum Teil und schrittweise, die Verwendung der Militärausgaben zu humanitären Zwecken erwägen, und zwar nicht nur zum Vorteil der eigenen Staaten, sondern auch zum Wohle der Länder, die sich noch in der Entwicklung und in Not befinden: der Hunger und das Elend, die Krankheit und die Unwissenheit fordern noch Hilfe. Wir zögern nicht, an diesem Tage der Güte und der Brüderlichkeit den dringenden Ruf der heute noch unabsehbaren Massen von Armen und Leidenden Uns zu eigen zu machen, die einer schnellen und spürbaren Hilfe bedürfen. Gute und hochherzige Menschen, die ihr denen helfen könnt, die hungern, die leiden und in Elend und Verlassenheit dahinleben, vernehmet in Unserer Stimme die gottmenschliche Stimme Christi unseres Bruder in jedem Notleidenden! Könnten Wir bei dieser traurigen Aufzählung von Hindernissen gegen die brüderliche Verbundenheit den Klassengeist vergessen, der noch so scharf und stark ist in der Gesellschaft von heute? Und den Geist der Parteiungen, der Ideologien, Methoden, Interessen, Organisationen im ganzen Gefüge der verschiedenen Gemeinschaften? Auf der einen Seite bringen diese verwickelten und ausgedehnten sozialen Gegebenheiten die Menschen mit gemeinsamen Interessen zur Einheit untereinander, aber anderseits reißen sie so oft unüberbrückbare Abgründe auf zwischen den verschiedenen menschlichen Schichten und machen aus deren systematischer Abwehrhaltung eine Lebensfrage; damit geben sie unserer technisch und wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaft das traurige und bittere Antlitz der Zwietracht und des Hasses. Die Gesellschaft ist nicht glücklich, weil sie nicht brüderlich ist. Wir kennen die gewaltigen Schwierigkeiten, welche die Probleme des freien und freundschaftlichen sozialen Zusammenlebens scheinbar unlösbar machen. Doch was Uns betrifft, werden Wir nicht müde werden, die Liebe zum Nächsten als das Grundprinzip einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zu predigen und zu hoffen, dass die Richtigkeit des Gedankens und die geschichtliche Erfahrung dazu führen, die Grundsätze zu überprüfen, in denen viele der sozialen Gegensätze ihren Ursprung haben, und die Richtlinien des Gemeinschaftslebens mehr dem Menschen gemäß und der Wahrheit entsprechend zu formulieren. Auch für diesen Wiederaufbau der modernen Gesellschaft nach den unabweisbaren Forderungen eines friedlichen Zusammenlebens, der gegenseitigen Zusammenarbeit unter den verschiedenen sozialen Klassen und unter den verschiedenen Nationen und nach den Forderungen eines glücklichen Zusammenlebens hat unser altes Evangelium, in dem heute die Seite des Friedens auf Erden für die Menschen guten Willens aufgeschlagen ist, der menschlichen Brüderlichkeit neue und lebendige Worte zu bieten.
Die recht verstandene Religionsfreiheit
Beim Hören Unserer Botschaft wird sich mancher vielleicht fragen: Ist nicht gerade die Religion ein Grund der Spaltung unter den Menschen? Besonders die katholische Religion, die so dogmatisch ist, so anspruchsvoll, so bezeichnend: verhindert sie nicht ein einfaches Gespräch und ein selbstverständliches Sichverstehen unter den Menschen? Ja, gewiss! Die Religion, die katholische Religion genauso wie jede andere, ist ein Element der Unterscheidung unter den Menschen, wie es die Sprache ist, die Kultur, die Kunst, der Beruf; aber sie ist an sich kein Element der Spaltung. Zwar kann das Christentum durch die Neuheit des Lebens, die es in die Welt bringt, ein Grund von Trennungen und Gegensätzen sein, die aus dem kommen, was es der Menschheit an Gutem verleiht: Das Licht leuchtet in der Finsternis. Auf diese Weise hebt es die Bereiche in der Welt des Menschen ab. Aber es ist nicht die Art des Christentums, gegen die Menschen zu kämpfen; wenn überhaupt, dann für die Menschen zur Verteidigung dessen, was in ihnen heilig und unverlierbar ist: das grundlegende Streben nach Gott und das Recht, dies in den entsprechenden Formen des Kultes auszudrücken. Die Kirche kann daher nicht anders, als öffentlich ihr Bedauern auszusprechen, wenn ein solches unbezwingbares Streben hintertrieben, gehindert, versperrt, ja sogar bestraft wird durch die Gewalt der öffentlichen Macht, die in diesem Fall sich anmaßt, auf ein Gebiet überzugreifen, das außerhalb ihrer Befugnisse liegt. Dieser Punkt verlangt eine ausführlichere und tiefer begründete Antwort. Wir können jedenfalls das wiederholen, was die Kirche heute verkündet: die rechte und wohlverstandene religiöse Freiheit; das Verbot, den anderen wegen seines Glaubens - wenn er nicht gegen das Gemeinwohl ist - anzuklagen, um einen nicht in Freiheit angenommenen Glauben aufzuerlegen oder um gehässige Zurücksetzungen oder ungehörige Schikanen vorzunehmen; die Achtung vor dem was an Wahrem und Gutem in jeder Religion und in jeder menschlichen Meinung ist, besonders in der Absicht, die bürgerliche Eintracht und jede gute Zusammenarbeit auf allen Gebieten zu fördern.
Die Wahrheit bleibt fest und unveränderlich, und die Liebe trägt deren Segen bringendes Licht hinaus.
Dies ist heute mehr denn je Unser Programm, da Wir überzeugt sind, dass die Welt Liebe braucht. Sie muss die Fesseln des Egoismus überwinden und sich für eine aufrichtige, moderne und weltweite Brüderlichkeit öffnen.
Die Welt braucht Liebe
Dies ist Unser Glückwunsch an euch, aufrechte und gute Menschen, die ihr Uns hört. Wir sprechen ihn aus mit Freude und mit Hoffnung im Namen dessen, der der "Erstgeborene unter vielen Brüdern" (Röm. 8,29) ist, Christus der Herr!
Bei diesem Wunsche weitet sich Unser Herz in einer herzlichen Zuneigung väterlicher Liebe zu allen Menschen, für deren Erlösung der göttliche Erlöser auf die Erde herabgestiegen ist. Besonders wenden Wir Uns an Unsere verehrten Brüder und geliebten Söhne, an jene vor allem, für die das Weihnachtsfest - wegen der traurigen Verhältnisse in denen sie leben müssen - nicht der Ausdruck auch der äußeren Freude und des Frohseins sein kann. Wir wenden Uns auch an die Priester, an die Ordensleute, an die Ordensschwestern und an erster Stelle an. dIe geliebten Missionare, deren Sorgen und SchwierIgkeIten Wir gut kennen.
Wir wenden Uns ferner an alle christlichen Familien, an die großmütige und vielversprechende Jugend, an dIe unschuldigen Kinder, an den Eifer der jungen Menschen. Wir schenken Unsere Zuneigung den Arbeitern und Berufstätigen, die ihrer ermüdenden und eintönigen täglichen Beschäftigung nachgehen, den Kranken und Leidenden unter ihrer Last, die Gott allein kennt, der alles versteht und belohnt. In ganz besonderer Weise denken Wir an die Armen der ganzen Welt; ihre Ängste und ihr Kummer wecken tiefes Mitgefühl in Unserem Herzen. Möge das Kind in der Krippe ihnen den Trost seiner Liebe und die tiefe Freude eines neuen Vertrauens bringen. Möge er alle anregen, die die Möglichkeit und die Mittel haben - an erster Stelle die Verantwortlichen für das Gemeinwohl -, sich zusammenzutun in einem konstruktiven Bemühen, in gemeinschaftlicher konkreter Solidarität, um mit neuen Mitteln, mit heilenden Maßnahmen, die dringend notwendig sind, mit geeigneten Programmen der unermesslichen Not der Armen auf der Welt entgegenzukommen und ihren Hoffnungen, die nicht länger enttäuscht werden können.
Aus der Fülle des Empfindens erneuern Wir Unseren Glückwunsch und erteilen von ganzem Herzen euch allen, die ihr Uns hört, und der ganzen Menschheitsfamilie die Kraft Unseres Apostolischen Segens, als Unterpfand der Liebe des göttlichen Kindes von Bethlehem.
1965
1974
Hintergrund
Ansprache Papst Pauls VI. an das Kardinalskollegium und die Römische Kurie anlässlich der Übermittlung der Weihnachtswünsche am 23. Dezember mit dem Thema: DIE KIRCHE AM BEGINN DES JAHRES 1975
Ansprache
Verehrte Herren Kardinäle,
Die Wünsche, die Sie in Ihrer stets vornehmen Gesinnung und aus dem tiefen religiösen Erleben des bevorstehenden Weihnachtsfestes heraus an uns gerichtet haben, erwidern wir auch unsererseits. Die Dankbarkeit für Ihre Mitarbeit bei der Erfüllung unseres apostolischen Amtes macht sie besonders herzlich. Und so bitten wir denn an diesem Weihnachtsfest den Herrn, dem wir gemeinsam dienen und den wir alle lieben, um jene "charismata meliora", jene besseren Gnadengaben, durch die unsere Eingliederung in den mystischen Leib Christi, die Kirche, zur Fülle der Gnade und Wirksamkeit gelangt. Ein neues Motiv erhöht - wie der würdige Übermittler Ihrer gemeinsamen Empfindungen mit Recht hervorgehoben hat die Bedeutung und den Wert dieses Austausches von Glückwünschen bei diesem festlichen Anlass: Es ist der nahe Beginn einer immer wiederkehrenden, aber dennoch seltenen und hochbedeutsamen Feierlichkeit, der das ganze nächste Jahr geweiht ist und die nicht umsonst Heiliges Jahr genannt wird. Wie viele Gedanken und welche Hoffnungen weckt dieses Heilige Jahr in uns, das mit unserem religiösen Bewusstsein so eng verbunden ist und das unsere seelsorgliche Tätigkeit so tief berührt.
Gerade im Hinblick, oder vielmehr im Lichte dieses religiösen Ereignisses, dessen belebender Geist die Kirche Gottes schon erfasst hat und sie nun an diesem ihrem Mittelpunkt in Rom - nicht nur ihrem geographischen und rechtlichen Mittelpunkt, sondern ihrer geistlichen Herzmitte - erfasst, stärkt und beseelt, erlauben wir uns - gleichsam um unsere Weihnachtswünsche zu ergänzen -, Ihnen in einer kurzen Zusammenfassung einige aktuelle Aspekte dieser unserer heiligen katholischen und apostolischen Kirche vorzutragen.
Der erste Aspekt ist der der Geschichte der Kirche. Die stetige Wiederkehr des Heiligen Jahres lädt uns ein, besonders darüber nachzudenken. Eintausendneunhundertundfünfundsiebzig Jahre des Bestehens ! Viele und ernste Überlegungen drängen sich uns auf. Die erste hat die Gestalt einer allgemein üblichen und oberflächlichen Frage: Ist die Kirche alt geworden? Hat die Zeit vielleicht ihrem Antlitz "irgend einen Flecken, irgend eine Falte oder etwas dieser Art" eingegraben? Der hl. Paulus spielt darauf an, wenn er von der Kirche spricht, die als Braut Christi für ihn immer in jugendlicher Schönheit, "heilig und makellos" erscheinen sollte (vgl. Eph 5, 25-27). Die Beziehung einer jeden menschlichen Einrichtung zur Zeit ist eine vom Schicksal geprägte Beziehung. Es ist eine Beziehung des Lebens und des Todes, wobei das Leben begrenzt ist in seiner Wirksamkeit und seiner Dauer, der Tod aber unheilvoll und unausweichlich. Sollte dieses Schicksal auch der Kirche bestimmt sein? Und wenn sie doch noch immer überlebt, ist ihr Fortbestehen dann nicht ein Anachronismus geworden? Ist ihre Lebensform nicht überholt? Und um ihr neue Wirksamkeit zu geben, wäre dann heute nicht die Stunde da für einen radikalen Umsturz, der ihre Dogmen und ihre Strukturen hinwegfegt? Muss nicht auch sie ihre Daseinsberechtigung aus der Gleichförmigkeit mit den Lebensgewohnheiten der Zeit ableiten? Wie kann die moderne Welt Weisheit und Lebenskraft schöpfen aus einem Organismus, der ständig von einer anspruchsvollen Tradition gehemmt wird?
Tradition - da haben wir das Schlüsselwort. Während man mit seiner Hilfe versucht, die Kirche in ihr Grab einzuschließen, öffnet es dagegen für uns, wenn es recht verstanden wird, das Geheimnis ihrer geheimnisvollen Lebendigkeit. Wenn auch die Kirche hineingestellt ist in die Geschichte, so ist sie doch nicht eine x-beliebige menschliche Einrichtung; ihr Leben kann nicht mit dem Maßstab gemessen werden, der für die rein irdischen Dinge geeignet und angemessen ist. Die Tradition hat für die Kirche die Bedeutung einer lebendigen und tiefreichenden Wurzel, die hinabreicht bis zum Urquell ihrer geschichtlichen und göttlichen Stiftung, bis zum authentischen Gut ihrer übernatürlichen Lehre, und die dieses Gut - gleichsam wie den Saft für die Blätter eines lebendigen, immer lebensvolleren Baumes - exakt, lebenspendend und fruchtbar weiterleitet an die nachkommenden Generationen für einen stets neu anbrechenden Frühling. Die Tradition ist der Garant für die Treue der Kirche, für ihre nicht alternde Geschichte, für ihre ewige Jugend, die genährt wird vom beständigen Rückgriff auf die eigenen Ursprünge und die unerschüttert, in Kampf und in Leiden, durch die Jahrhunderte fortdauert in der Erwartung der Endzeit, die alles glücklich löst. Dies lehrt uns - neben vielen anderen - eine besondere Seite des jüngsten Konzils, die von der Erneuerung des religiösen Lebens handelt. Dieses entspringt aus dem ursprünglichen Geist, passt sich in kluger Weise den Bedingungen und Notwendigkeiten der Zeiten an und packt voll höheren Vertrauens und voll unerschöpflicher Ausdauer die Zukunft an (vgl. Perfectae caritatis, Nr 2). Mögen die vielen verdienten und verehrungswürdigen kirchlichen Institutionen dieses heute, angesichts des Wandels der Zeiten und in den Prüfungen des Zweifels über die eigene Identität, an sich erfahren, und möge die ganze heilige Kirche sich in diesem Sinne ihrer selbst oder vielmehr jener letzten Verheißung Christi bewusst werden, die sich herausfordernd dem nagenden Verschleiß durch die Zeit entgegenstellt: "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt" (Mt 28, 20).
Wenn die Kirche dem sie beseelenden Geist treu bleibt, der sie immer unterstützen und leiten soll, dann fürchtet sie keine Müdigkeit; dann fürchtet sie nicht die Feindseligkeit der Zeit, sondern spürt stets aufs neue machtvoll ihre Berufung zur Nachfolge Christi und zum Dienst an der Menschheit. Dann erkennt sie auch - es ist herrlich, daran zu denken -, dass selbst der Fortschritt der profanen Kultur, der auf der einen Seite sich doch selbst zu genügen und Wort und Werk der Kirche überflüssig zu machen scheint, auf der anderen Seite ihr als der Erbin des Evangeliums unerwartet neue Hilfsmittel anbietet, die sich ausgezeichnet für die Ausbreitung der Wahrheit und des Lebens eignen. Gleichzeitig richtet sich an die Kirche die unausgesprochene, aber innerlich folgerichtige Einladung, mit den ihr eigenen Mitteln, den sittlichen und geistlichen Kräften des christlichen Glaubens die menschlichen und natürlichen Energien zu stützen, die von der schweren Last des Fortschritts, der sie hervorgebracht hat, ermüdet, mitunter sogar erschöpft und entartet sind. Eine Welt ohne Christus trägt sich letztlich nicht selbst; ihr Gedeihen, ihre Macht und ihre geistige und gesellschaftliche Ordnung verlangen nach einer transzendenten und beseelenden Ergänzung, deren Quelle unsere Religion ist.
Und damit sind wir bei einem weiteren Aspekt der Kirche in der Welt, bei einem neuen und entscheidenden Moment für die Geschichte der Menschheit: Während sie aufsteigt zu ungeahnten Höhen des wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, tauchen aus ihr selbst Gespenster des Schreckens empor. Es wächst das Leiden an den widersinnigen Folgen einer Kultur, die sich am Rande des Nichts abmüht, und eines öffentlichen Verhaltens, das zu offener Kriminalität und blinder Leidenschaftlichkeit entartet. Aber, siehe da: Demütig, gütig und gekreuzigt erscheint aufs neue auf den Wegen der Welt Christus. Ihn bringt die Kirche in ihrem Geheimnis der Liebe und des Heiles.
Sie verstehen, ehrwürdige Brüder, dass wir uns, wenn wir uns von diesen keineswegs unbegründeten Gedanken mitreißen lassen, auf eine große Hoffnung, ein glückliches Ereignis stützen. Es ist das Heilige Jahr, von dem die Kirche in der Welt bereits viele geistliche Früchte im voraus gekostet hat. In der Weihnachtsnacht beginnt hier in Rom, das wie nie zuvor allen denen offen steht, die eine Heimat des Glaubens und der Liebe suchen, der ersehnte segensreiche Abschnitt.
Wir müssen das bedeutungsvolle und weise Buch des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder aufgreifen und anhand der Ergebnisse einer mutigen Gewissenserforschung seine großartigen Seiten erneut durchlesen; dabei müssen wir jene Vorsätze erneuern und ergänzen, die das Konzil in einer um Erneuerung und Versöhnung bemühten Kirche geweckt hat.
Wir müssen das Feuer, den Genius der Liebe Christi wieder zum Leuchten bringen und in der Welt den Sinn für Brüderlichkeit und damit für eine kraftvollere und wirksamere Gerechtigkeit wieder erwecken.
Wir müssen - wie es die Reform, oder besser: die Erneuerung der Liturgie bereits in so glücklicher Weise bewirkt dem Gebet seine Vorrangstellung, seine ideale und beseligende Deutung des Lebens, seine Bedeutung, seine Wirksamkeit und seine einfache, doch erhabene Würde zurückgeben, wie es sich für die Verehrung des wahren Gottes und das kindlich-vertrauensvolle Gespräch mit dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist in Gemeinschaft mit den Heiligen geziemt, unter denen Maria als Mutter und Urbild der Kirche den ersten Platz einnimmt und mit denen wir das Reich der Liebe preisen.
Wir müssen an die Brüder, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen, mit der Überzeugungskraft unseres demütigen und geduldigen Dialogs erneut die Einladung richten, in ihr den Platz wieder einzunehmen, der dort ihrer wartet.
Wir müssen in der Kirche den inneren Frieden wiederherstellen (zu diesem Zweck haben wir in diesen Tagen bereits eine eindringliche Ermahnung veröffentlicht). Ist es denn zulässig, dass in der Kirche die Kontestation zur Gewohnheit wird? Als eine vom Mittelpunkt wegstrebende Kraft würde sie dazu führen, dass man sich in der Selbstgefälligkeit und Augenblickslaune eines Bemühens verschleißt, das nicht nur eine Randerscheinung bleibt, sondern der Glaubwürdigkeit der einen und wahren Kirche und dem fortschreitenden Werk der ökumenischen Annäherung Schaden zufügt. Mag das auch den Verzicht auf übertriebene und willkürliche Formen des Pluralismus kosten, mag das auch verlangen, dass man einige egoistische Individualismen opfert - wir alle müssen doch jene alles lösende Gemeinsamkeit im Geiste, in den Vorsätzen und im Wirken fördern, die der ureigenste Wesenszug der "einmütigen und zusammenwirkenden ... Gemeinschaft des Geistes" (vgl. PhilI, 27; 2, 1), der Kirche Christi nämlich, ist. Wenn die Kirche in dieser Weise die Einheit in sich selbst bewahrt - und dies ist ein weiterer Ausblick auf die Szenerie der Welt von heute - dann wird sie auch besser in der Lage sein, der gesamten Menschheitsfamilie den ihr geschuldeten Beitrag zu leisten. Denn dann wird sie jene Einheit im Frieden wieder finden und bewahren, die eben das Ergebnis des Sieges über die Egoismen der Völker und der Klassen ist. Und sie wird diese Einheit finden im hochherzigen und geordneten Einsatz für den Fortschritt aller.
Diesen Beitrag braucht die Menschheit heute nicht weniger, sondern vielleicht mehr als zu anderen Zeiten. Denn während die Erinnerung an den letzten schrecklichen Konflikt in immer weitere Ferne rückt, drohen in dieser Welt die Angst vor dem Krieg und der Vorsätze zur Eintracht immer schwächer zu werden.
Wir wollen bei dieser weihnachtlichen Begegnung das stets aktuelle Thema des Friedens nicht zum Gegenstand einer besonderen Ansprache machen. Wir wollen uns dieses Thema für unsere bereits gewohnte Neujahrsbotschaft aufsparen. Aber wir wollen wenigstens unserer Besorgnis über die Schwierigkeiten Ausdruck geben, denen dieser Friede fortwährend begegnet, um sich endlich auch dort durchzusetzen, wo man ihn endlich für geschaffen halten durfte, wie zum Beispiel in Vietnam, oder wo man hoffen durfte, dass er endlich, wenn auch mit Mühe, den rechten Weg findet.
Wie können wir am Vorabend der Eröffnung des Heiligen Jahres in dieser Stadt, der "Mutter- und Hauptstadt" des katholischen Erdkreises, nicht auch einer anderen Stadt gedenken, der Stadt Jerusalem. Sie ist die "Heilige Stadt" der christlichen Welt. Sie ist zugleich der Mittelpunkt der Liebe und der jahrhundertealten Sehnsucht jenes Volkes, das Gott in seinem geheimnisvollen Ratschluss auserwählt hat und in dem er ein Vorzeichen für jenes "sein" Volk gesetzt hat, in dem wir selbst uns wieder erkennen. Und sie ist zugleich der großen Religionsfamilie des Islams teuer. Wie sehr wünschten wir, dass sie, anstatt Anlass fortgesetzter Streitigkeiten zu sein, zum Mittelpunkt der brüderlichen Begegnung für alle die werde, die den einen Gott anbeten, zu einem Symbol des Friedens für alle Völker des Heiligen Landes und des Nahen Ostens!
Diesem edlen und doch so leidgeprüften Land und allen übrigen Teilen der Erde, in denen - wie in dem uns immer teuren und unseren Gedanken stets gegenwärtigen Irland blutige Auseinandersetzungen und Gewalttätigkeiten immer wieder das Zusammenleben der Bürger stören, gilt unser Friedenswunsch. Es ist der Wunsch für einen gerechten Frieden, für einen Frieden, der auf der Versöhnung und Besänftigung aller in hochherziger gegenseitiger Eintracht gründet, für einen Frieden, der frei macht und zur Zusammenarbeit in der Gesellschaft führt, für einen Frieden, der gerade im beginnenden Jahr der geistlichen Erneuerung und Versöhnung umso stärker zum Gegenstand des Engagements aller werden sollte.
Das ist, was uns heute bewegt; das sind unsere Wünsche.
Wir unterbreiten sie Ihnen, verehrte Brüder, wie auch unserer Kirche und der gesamten Menschheit als Thema zum Nachdenken. Vor allem aber tragen wir sie im Gebet empor vor die allmächtige und wohlwollende Barmherzigkeit des Herrn. Möge er sie in glückliche Wirklichkeit verwandeln!
1975
Hintergrund
Am Montag, 22. Dezember, empfing Papst Paul VI. im Konsistoriensaal des Vatikans zur Entgegennahme der üblichen Weihnachtsglückwünsche das Kardinalskollegium, die Mitglieder des Päpstlichen Hauses und Prälaten der Römischen Kurie. Zu Beginn der Audienz richtete Kardinal Traglia als Dekan des Kollegiums im Namen aller Anwesenden eine Grußadresse an den Papst, sprach seine Glückwünsche aus und dankte für alle Gnaden des Heiligen Jahres. Paul VI. hielt darauf folgende Ansprache mit dem Thema: OPTIMISMUS FüR DIE ZUKUNFT DER KIRCHE
Ansprache
Ehrwürdige Brüder des Heiligen Kollegiums, herzlich danken wir Ihnen für Ihre Weihnachtsglückwünsche, die Sie uns in so freundlicher Weise, zusammen mit den Prälaten der Römischen Kurie entgegengebracht haben. Diese Liebenswürdigkeit kam in den Worten des Kardinaldekans deutlich zum Ausdruck. Unsere Herzen sind bewegt in der frohen und friedvollen Erwartung des heiligen Weihnachtsfestes, und in diesem Licht gewinnen die Glückwünsche ihren vollen und echten Wert. Sie wenden unsere Herzen Christus entgegen, der da kommen soll. Die Liturgie des Advents legt an diese Vorbereitung gleichsam letzte Hand an, und unsere heutige Begegnung gewinnt gerade von dieser charakteristischen Atmosphäre her noch größere Tiefe und Bedeutung. Wir danken Ihnen daher für diese Liebenswürdigkeit, die uns froh macht und Kraft gibt.
Wir wollen jedoch nicht vergessen, dass in diesen Tagen das außerordentliche Ereignis zu Ende geht, das unsere geistliche Aufmerksamkeit voll beansprucht hat: das Heilige Jahr. Gewiss gewinnt es in der religiösen Geschichte unseres Jahrhunderts entscheidende Bedeutung; denn es war wirklich ein heiliges Jahr und wird als solches in der Erinnerung aller Menschen fortleben. Wir können nicht Ihre Mithilfe bei den wesentlichen Abschnitten seiner Feier übergehen, und so danken wir Ihnen für diese Mitarbeit, die Sie uns bei den verschiedenen Aufgaben geleistet haben, so dass dies so anspruchsvolle Ereignis zu einem glücklichen Ende gelangt ist. Wir wissen um die vermehrte Arbeitslast, die es für die verschiedenen Ämter der Römischen Kurie mit sich gebracht hat, auch für die Seelsorge in Rom, zumal wenn man an einige besondere Bereiche denkt. Allen gilt unser Dank, unsere Anerkennung und unser aufrichtiges Lob.
Dieser so wichtige Augenblick drängt uns, an den Heilsplan zu denken, den Gott in Christus in unserer Zeit weiterführt durch seine eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Wir möchten am Abend dieses Jahres wenigstens skizzenhaft in zweifacher Weise Bilanz ziehen über das Leben der Kirche in dieser außergewöhnlichen Zeit, die wir gemeinsam erleben durften. Wir betrachten daher zunächst die Kirche in ihren Beziehungen zu den verschiedenen Staaten und denken dann über das Leben der Kirche selber nach. Dies sind die beiden Hauptgedanken, auf die wir Ihre Aufmerksamkeit lenken möchten.
I. Das Leben der Kirche in ihrer Beziehung zu den Staaten
Soeben haben wir an das große und gesegnete Ereignis des Heiligen Jahres erinnert.
Wenn es für unser religiöses Empfinden auch reichen Trost gebracht hat, so blieb es für uns doch nicht ohne Bitterkeit, denn vom einen Ende der Erde bis zum andern konnten nicht alle, die es gern gewollt hätten, persönlich daran teilnehmen. Dies nicht nur aus Gründen der Gesundheit, der Entfernung, der Armut und der Schwierigkeiten wegen, die mit der Wirtschaftskrise zusammenhängen, oder wegen der Verpflichtungen im Bereich der Arbeit und der Familie, sondern auch wegen der zuweilen absoluten Feindseligkeit ihrer Umgebung; und wenn zuweilen weniger direkt, dafür häufig um so wirksamer. Wir sind gewiss, dass diesen unseren Söhnen und Töchtern nicht weniger reiche Gnaden zuteil wurden als den anderen, denn ihre Opfer haben diese Segnungen und Gnaden als Frucht des Heiligen Jahres verdient. Die ganze Kirche gedachte mit uns der Brüder und Schwestern, die verfolgt oder in ihren Rechten unterdrückt werden, hat für sie um diese Gnadengaben gebetet und wird dies auch weiterhin tun.
Auch in diesem Augenblick sind sie uns gegenwärtig, wenn auch schmerzvoll. Viele wissen nicht, mit welch inniger Verbundenheit wir ihre Prüfungen mitfühlen, mit welcher Ehrfurcht wir ihre Treue bewundern und in welchem Geist wir versuchen, ihnen zu Hilfe zu kommen (auch wenn wir in manchen Fällen fast "gegen alle Hoffnung" unsere Bemühungen fortsetzen, freilich immer im Vertrauen auf Gottes Hilfe); nur wer das nicht weiß oder nicht wissen will, kann das Schweigen aus Rücksicht und Klugheit _ häufig zwingen wir uns dazu aus unschwer zu erratenden Gründen - als Pflichtvergessenheit oder schlimmer noch als Gleichgültigkeit deuten.
Der Dialog mit den Staaten
Das Schicksal der Kirche, der Religion, der rechtmäßigen Freiheit der Gläubigen, auch der Nichtkatholiken oder Nichtchristen, bleibt dagegen Anliegen und Hauptziel auch jener Kontakte, die dieser Apostolische Stuhl und wir persönlich mit den Verantwortlichen des öffentlichen Lebens bei den einzelnen Nationen unterhalten und möglichst noch zu vermehren trachten.
Wir beschränken uns hier auf die Erwähnung einiger besonders bedeutsamer Begegnungen, die wir im Verlauf dieses Jahres hatten: mit den Souveränen von Belgien, Liechtenstein und Luxemburg, mit den Präsidenten Bulgariens, Frankreichs, des neuen Staates Guinea-Bissau, Italiens, Maltas, Portugals, der Vereinigten Staaten von Amerika und Ugandas, den Regierungschefs Belgiens, Kanadas, Griechenlands, Libyens, Luxemburgs, Irlands und Ungarns, mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und den Außenministern verschiedener Länder.
Wir erwähnen diese Begegnungen und die anderen, die wir nicht im einzelnen aufgezählt haben, nur deswegen, um zu unterstreichen, wie offen sich der Hl. Stuhl gegenüber dem Dialog mit Vertretern aus allen Teilen der Welt und jeder politischen wie ideologischen Richtung erweist. Er möchte nämlich, wie es seine unabweisbare Pflicht ist, immer die Beachtung jener Grundsätze betonen, die er aufgrund göttlicher Sendung auf dem Gebiet der religiösen und sittlichen Wahrheiten zu verkündigen hat. Zugleich aber sucht er keineswegs nur die katholischen Interessen überall und in jeder Lage zu fördern, sondern auch die allen gemeinsamen Anliegen zu vertreten, wie die Sache des Friedens, der Gerechtigkeit, der internationalen Zusammenarbeit sowie des sittlichen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts der Völker.
Wenn in einigen Fällen die Ergebnisse des Dialogs spärlich oder unbefriedigend erscheinen oder auch allzu spät sich einstellen und andere darin einen ausreichenden Grund für den Abbruch des Dialogs sehen wollen, so halten wir es doch für unsere ernste Pflicht, mit zielklarer Beharrlichkeit auf einem Weg fortzuschreiten, der uns in erster Linie ganz und gar dem Evangelium zu entsprechen scheint, d. h. Langmut, Verständnis und Liebe zu beweisen. Gewiss verbergen wir nicht unsere Bitterkeit und Sorge über Fortbestehen oder Verschärfung nicht weniger Verhältnisse, die den Rechten der Kirche oder der menschlichen Person widersprechen. Unser verantwortliches Verhalten sollte nicht in einer Weise missverstanden werden, als hätten wir solche Situationen gebilligt oder uns resigniert damit abgefunden.
Die Teilnahme des Hl. Stuhls an der Gipfelkonferenz von Helsinki, wo im Namen der Staaten Europas, der Vereinigten Staaten und Kanadas feierlich verbindliche Entschließungen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet wurden, war von diesem Beweggrund und dieser Sorge veranlasst: Entschließungen von solcher Tragweite und solchem Gewicht wollten wir nicht nur moralisch unterstützen, sondern uns auf der Konferenz unmittelbarer und wirksamer zum Vertreter und Sprecher der Forderung nach Achtung vor der religiösen Überzeugung machen - und zwar im Rahmen der Bekräftigung der grundlegenden Menschenrechte. Auf diese Weise wollten wir für Europa (aber das Anliegen gilt natürlich weit über Europa hinaus) einen echten, gerechten und darum um so dauerhafteren Frieden und ausgewogene Aussichten auf eine wechselseitige Zusammenarbeit sicherstellen, die die Rechte aller achtet und allen zugute kommt.
Der Hl. Stuhl will sich, zusammen mit allen, die sich mit Recht von den Abmachungen in Helsinki eine substantielle, fortschreitende Verbesserung der inneren Verhältnisse im Leben der europäischen Völker und ihrer gegenseitigen Beziehungen erwarten, dafür einsetzen, daß derart feierliche und positive Entschließungen nicht in Vergessenheit geraten oder übergangen werden. Er hält die Hoffnung aufrecht, dass der Buchstabe und der Geist von Helsinki, wie man zu sagen pflegt, dazu beitragen, im Interesse der Gläubigen zu annehmbaren Lösungen auch dort zu kommen, wo gewisse schwer gestörte Verhältnisse seit langem darauf warten. Wir erinnern hier nur, ohne unsere Aufmerksamkeit darauf zu beschränken, an die Tschechoslowakei, Rumänien und gewisse Gebiete der Sowjetunion.
Der Hl. Stuhl und die Weltprobleme
Unsere Aufmerksamkeit gilt pflichtgemäß in erster Linie dem Dienst an der Kirche und an den religiösen Interessen der Völker. Das hindert uns jedoch nicht daran, uns ebenso herzlich für das Schicksal und die irdischen Probleme der Nationen auf den verschiedenen Kontinenten zu interessieren. Wir erfüllen damit jene Pflicht der Liebe zum Menschen in seiner umfassenden Bedeutung, die zu unserem apostolischen Dienstamt gehört. Wie oft hören wir in unserem Herzen angesichts der kleinen und großen Tragödien, die unaufhörlich mehr oder weniger große Teile der Menschheitsfamilie treffen - Kriege, Hunger und Naturkatastrophen -, die Stimme unseres göttlichen Meisters und sprechen ihm nach: Mich erbarmt des Volkes. Ebenso teilen wir auch die Freuden, Hoffnungen und energischen Bemühungen um Fortschritt bei allen Völkern und in der ganzen Menschheit.
Das zu Ende gehende Jahr hat u. a. das Engagement der Staatengemeinschaft bei der 7. Außerordentlichen Vollversammlung der Vereinten Nationen über "Entwicklung und internationale Zusammenarbeit" erlebt. Diese Tagung vom vergangenen September wollte positiv die Themen der Erklärung und des Aktionsplanes zum Aufbau einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung vertiefen, die schon im letzten Jahr bei der 6. Außerordentlichen Sitzung der UNO beschlossen worden waren.
Wir freuen uns, dass die Menschheit trotz der objektiv vorhandenen Schwierigkeiten dieses Vorhabens und trotz des Widerstandes, der aus allzu oft missverstandenen Sonderinteressen herrührt, doch wohl in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit voran schreiten will, ohne bloß allgemeine Grundsätze zu bekräftigen oder in ideologischer Konfrontation zu verharren. Sie möchte endlich zu konkreten Lösungen auf dem Weg echter und eigentlicher multilateraler Verhandlungen gelangen.
Unter diesem Blickwinkel haben wir kürzlich aufmerksam die Arbeiten der Nord-Süd-Konferenz in Paris verfolgt; sie dürfte einen neuen Abschnitt - wenn auch einstweilen noch von geringerer Reichweite - im Dialog zwischen den hochentwickelten Ländern und den Entwicklungsländern einleiten, bei der die wechselseitige Abhängigkeit und die gemeinsame Verantwortung für die Weltwirtschaft und die Abstimmung aufeinander die Grundlage bilden sollen.
Wir müssen hier freilich unbedingt die sittlichen Voraussetzungen und alles, was zu diesem Begriff hinzugehört, betonen; sie müssen nicht weniger als die technischen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen die Bemühungen und Versuche auf diesem Gebiet bestimmen.
Gebe Gott, dass die Völker immer hochherziger und weiser diesen Weg einschlagen und jenen anderen gefährlichen und moralisch verwerflichen Weg der Produktion und des Handels mit Vernichtungswaffen verlassen! Wir meinen die Weitergabe der Waffen auch unter der Form von "Geschenken" - wie teuer müssen diese dann bezahlt werden! Gebe Gott weiterhin, dass die Verhandlungen über die Abrüstung allgemeiner oder besonderer Art wie die SALT (Strategic Arms Limitation Talks) nicht stehenbleiben oder allzu schleppend vorankommen wegen der auftretenden Schwierigkeiten. Zweifellos sind es gewichtige Schwierigkeiten, aber der gute Wille und die politische Beharrlichkeit und Weisheit der verantwortlichen Staatsmänner sollten dennoch Wege zu ihrer Überwindung finden.
Wenn wir von dieser Gesamtschau auf das internationale Leben in seiner Ganzheit nun übergehen zur Betrachtung bestimmter Teile der Welt, die in diesem vergangenen Jahr Schauplatz besonders erwähnenswerter Ereignisse gewesen sind, so müssen wir vor allem drei hervorheben: die von den portugiesischen Gebieten Afrikas erreichte Unabhängigkeit, das Ende des Krieges in Vietnam und das Fortdauern des Konflikts im Nahen Osten.
Wünsche für Afrika
Den Völkern Afrikas, die zur Würde souveräner Nationen aufgestiegen sind und mit Befriedigung als neue Mitglieder in die Staatengemeinschaft aufgenommen wurden, haben wir den Ausdruck unserer Teilnahme an ihren Gefühlen und unsere aufrichtigen Wünsche übermitteln lassen. In den Hauptstädten von Mozambique und Angola residieren ja schon seit geraumer Zeit Vertreter des Hl. Stuhls im Rang von Apostolischen Delegaten. Den Ausdruck herzlicher Achtung konnten wir erst kürzlich bei den bereits erwähnten Besuchen des Herrn Präsidenten der Republik Kapverde und des Herrn Präsidenten von Guinea-Bissau empfangen und erwidern.
Es ist für uns tröstlich, zu sehen, wie sich der große und geliebte afrikanische Kontinent entschieden auf den Weg zu einer vollkommenen Unabhängigkeit gemacht hat, obwohl dort auch weiterhin schwierige Probleme in den Beziehungen zwischen den Rassen und zahlreiche andere Probleme als Dauerzustand vorhanden sind. Diese Probleme sind nicht weniger schwierig; sie entstehen im wesentlichen aus dem Bedürfnis nach Entwicklung, die aufgrund der in der Vergangenheit erlittenen Verzögerung beschleunigt werden muss.
Wir wünschen, dass dieser Prozess schleunig und ungestört voranschreiten möge. Er möge vor allem nicht durch Einmischungen von außen gestört werden, denn diese könnten auf den Versuch hinauslaufen, an die Stelle des alten Kolonialismus neue Formen der Beherrschung zu setzen, um Machtsphären oder ideologische Einflusssphären zu gewinnen. Er möge auch nicht gestört werden von inneren Spaltungen, denn sie sind nur geeignet, kostbare Energien zu lähmen und zu zerstören, die die afrikanischen Völker andererseits zum Aufbau ihrer Zukunft unter gleichwertiger Beteiligung aller ihrer ethnischen und kulturellen Gliederungen dringend brauchen.
Unser Wunsch geht in diesem Zusammenhang namentlich an das große und vielversprechende Land Angola, wo die katholische Kirche einen so breiten Raum einnimmt. Möge dort durch ehrliche und loyale Übereinkünfte an die Stelle eines bedrohlichen Konfliktes jener gerechte und wirksame Friede treten, den diese gute Bevölkerung erwartet.
Das Ende der Feindseligkeiten in Vietnam nach dreißigjährigen Kriegen und Kämpfen eröffnet für Indochina und ganz SüdostAsien ein neues Kapitel, das jedoch auch manch Unbekanntes enthält.
Wir können unsererseits nur wünschen, dass sich die neu geschaffenen Verhältnisse wie auch die Lage nach der Wiedervereinigung eines Landes, dem gegenüber wir unser leidenschaftliches, väterliches Interesse nie verborgen haben, in fruchtbarer Ordnung und unter Beachtung der berechtigten Erwartungen jenes Volkes entwickeln mögen. Man suche dort die Verständigung und Eintracht, die es erlauben, unter Achtung vor den Rechten aller die tiefen Wunden des langen Konfliktes heilen zu lassen.
Der Hl. Stuhl hat versucht, mit der Führung Vietnams Kontakt aufzunehmen und mit ihr in Kontakt zu bleiben. Er möchte hoffen, auf diese Weise zum beiderseitigen Nutzen des Staates und der Kirche im Geist freundschaftlicher Beteiligung am Wiederaufbauwerk des Landes mitwirken zu können. Er bemüht sich darum mit dem Wunsch, dass jener katholischen Gemeinschaft - einer der am schönsten blühenden in der großen asiatischen Welt, die die Wiege uralter und hochstehender Kulturen ist - ausreichend Lebensraum und genug Tätigkeitsfeld gegeben werde auf dem religiösen Gebiet, das das eigentliche Feld der Kirche ist, dass ihr aber auch die Möglichkeit einer segensreichen Einflussnahme auf eine ruhige und geordnete Entwicklung des Volks ganzen eingeräumt werde. Unseren Söhnen und Töchtern in Vietnam, ihren geliebten Hirten und allen, die mit ihnen im Apostolat zusammenarbeiten, gilt unser dankbarer und segnender Gruß.
Was sollen wir weiterhin über das stets ernste und immer noch ungelöste Nahost-Problem sagen? Sollen wir vielleicht wiederholen, wie sehr und aus welch überaus starken und einzigartigen Gründen uns dieses Problem am Herzen liegt und uns mit Sorge erfüllt? Oder sollen wir aufs neue an die grundsätzlichen Leitlinien erinnern, die nach Meinung des Heiligen Stuhls eine ausgewogene und stabile Lösung dieses Problems bestimmen und möglich machen sollten?
Anlässlich der bevorstehenden Feierlichkeiten zum Weihnachtsfest möchten wir zum mindesten noch einmal die gesamte christliche Welt einladen, ihre Gedanken dem Lande Jesu zuzuwenden, jenen Orten, die seine Geburt, sein verborgenes Leben als Arbeiter und sein öffentliches Wirken als Lehrmeister, die seinen Tod und seinen Sieg über den Tod gesehen haben; und nicht zuletzt jener Stadt, die auch weiterhin geistlicher Mittelpunkt der Liebe und Frömmigkeit für die Jünger Christi wie auch für die Kinder des Volkes Israel und die Anhänger des Islam bleibt. Sie alle möchten wir aufrufen, den uralten Gebetsruf zu wiederholen: Fiat pax in virtute tua!
Dieser Friede scheint uns zuweilen mühsam und langsam näher zu kommen und wird doch immer wieder in die Ferne zurückgestoßen. Eben dieser Friede muss im Mittelpunkt nicht nur der Wünsche, sondern der tatsächlichen und unermüdlichen Bemühungen aller betroffenen Parteien stehen. Sie müssen sterile und gefährliche Extremhaltungen vermeiden und ganz besonders das Wechselspiel des Terorrismus und der dagegen unternommenen undifferenzierten Vergeltungsschläge zum Erliegen bringen; stattdessen müssen sie den Dialog auf den zuständigen Ebenen und an den geeigneten Orten voranzutreiben versuchen.
Auch wir sind der Überzeugung, dass eine gerechte und klug ausgewogene Gesamtlösung notwendig wäre. Gerade weil wir davon überzeugt sind, erlauben wir uns, die Verantwortlichen der verschiedenen Parteien zu mahnen, dass sie die konkreten Möglichkeiten - so bescheiden sie auch sein mögen - nicht übersehen, die sich für den Beginn von Verhandlungen und für die Schaffung einer günstigen Atmosphäre oder der für den Weg zu einer befriedigenden Lösung notwendigen Voraussetzungen anbieten.
Sehr wohl sind wir uns auch der noch nicht allzu lange zurückliegenden Tragödien bewusst, die das Volk Israel dazu gebracht haben, sicheren Schutz in einem eigenen souveränen und unabhängigen Staat zu suchen. Aber gerade weil wir uns dessen bewusst sind, möchten wir die Kinder dieses Volkes einladen, auch die Rechte und die legitimen Erwartungen eines anderen Volkes anzuerkennen, das ebenfalls lange gelitten hat - nämlich der Palästinenser.
Sorge um den Libanon
Beim Thema "Naher Osten" müssen wir mit sorgenschwerer, aber doch nicht ganz hoffnungloser innerer Anteilnahme an das erinnern, was mit gutem Grund als die "Tragödie des Libanon" bezeichnet wurde. Unsere besondere Fürsorge ist dem libanesischen Volk und der ganzen Welt klar geworden, als wir Herrn Kardinal Paolo Bertoli als unseren persönlichen Sonderbeauftragten dorthin entsandten. Wir möchten ihm bei dieser Gelegenheit erneut unseren Dank für den Eifer, die Kompetenz und den Opfergeist ausdrücken, mit denen er diese heikle Aufgabe auszuführen verstanden hat.
Leider bleibt die Situation dort weiterhin gefährlich unsicher und bedrohlich, wenn auch immer wieder Versuche für einen Waffenstillstand unternommen werden.
Wer aus der Nähe das so lange Zeit hindurch von der christlichen und moslemischen Bevölkerung des Libanon gegebene Beispiel friedlichen Zusammenlebens kennen und bewundern lernen durfte, neigt fast automatisch zu der Vermutung, dass die Explosion feindseliger Gewalt, deren Schauplatz der Libanon geworden ist, nicht anders erklärt werden kann als durch die Einmischung von Kräften, die mit dem Libanon selbst und seinen wirklichen Interessen nichts zu tun haben.
Unser Wunsch und unsere Mahnung an alle kann deswegen nicht anders lauten als so: Keiner möge die Absicht haben und niemand möge es zulassen, dass aus obskuren Gründen diese Tradition toleranten Zusammenlebens und guter Zusammenarbeit zerstört werde. Sie muss vielmehr beispielhaft bleiben auch für andere und ausgedehntere Formen bürgerlichen und religiösen Zusammenlebens im Nahen Osten, wenn man wirklich - wie es sein sollte den Willen hat, daß dort wahrer, sicherer und stabiler Friede einkehre und jenen Gebieten die Ruhe und Ordnung wiedergebe, die auch im Interesse der benachbarten Völker liegt.
Im Libanon selber fordern wir in dieser schmerzlichen Stunde besonders die Christen zum Gebet dafür auf, dass alle Volksgruppen des Landes mit Gottes Hilfe es verstehen mögen, den Geist der Brüderlichkeit und die Wege der Eintracht und der nationalen Versöhnung wieder zu finden.
Die Probleme Europas
Wir haben nicht die Absicht, auch alle anderen Situationen zu erwähnen, die im gegenwärtigen Augenblick auf der Erde problematisch sind (wie zum Beispiel die so schmerzliche Lage in unserem überaus geliebten Irland). Doch wir müssen zum mindesten die Länder erwähnen, die, wie Portugal und Spanien - beide wichtig für Europa und uns besonders am Herzen gelegen - gegenwärtig einen einzigartig bedeutsamen Augenblick in ihrer so unterschiedlichen, jahrhundertelangen Geschichte durchleben. Ihnen, ihren Völkern und den für ihre Geschicke Verantwortlichen gilt unser inständiger Wunsch, dass sie dieser ihrer Verantwortung entsprechen mögen, wie es notwendig ist.
Und wir denken auch an Italien, das diesem Apostolischen Stuhl und unserem Herzen so nahe ist: Wir wollen dem italienischen Volk nichts anderes wünschen, als dass es in verantwortungsbewusster und autonomer Ausübung seiner demokratischen Rechte unversehrt die Treue zu den kulturellen und christlichen Werten seiner uralten Tradition zu bewahren versteht; möge es dann in Gerechtigkeit, in Ordnung und in der Achtung vor jenen sittlichen Werten, die zugleich Aufgabe und Schutz der Würde und der tatsächlichen Interessen des Menschen und der Nation sind, die Fortschritte und die von Arbeit erfüllte Ruhe verwirklichen, die das Volk auf allen Gebieten berechtigterweise erwartet. Auf diesem Weg wird das italienische Volk die Kirche niemals als Hindernis, sondern immer als Helferin finden.
Häufig ist auch in letzter Zeit die Frage der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Italien aufgeworfen worden. Sie werden von dem Konkordat aus dem Jahre 1929 geregelt. Wir möchten erneut versichern, dass der Heilige Stuhl weiterhin bereit ist, in Übereinstimmung mit der italienischen Regierung und stets in der wünschenswerten Achtung vor den legitimen und wesentlichen Bedürfnissen der Verhandlungspartner darin jene Punkte zu überarbeiten und abzuändern, die der neuen Situation nicht mehr angemessen erscheinen. Dabei halten wir es auch heute noch für sehr nützlich für den religiösen Frieden des italienischen Volkes, wenn eine solide, beiderseitig vereinbarte Grundlage für die Abgrenzung der jeweiligen Tätigkeitsgebiete und für die Anerkennung der wechselseitigen Rechte und Pflichten beibehalten wird.
II. Das Leben der Kirche in ihrem inneren Bereich
Wenn wir nun den Blick auf das eigentliche Leben der Kirche richten, müssen wir zunächst anerkennen, dass es darin zahlreiche Elemente gibt, die unseren prüfenden Blick über die Horizonte der Kirche und der Welt hoffnungsvoll werden lassen. Wir nehmen darin trotz allem - "voll Hoffnung gegen alle Hoffnung" (Röm 4, 18) - die Zeichen einer kraftvollen religiösen Lebenskraft wahr. Ja, verehrte Brüder und geliebte Söhne, entgegen allen anderslautenden Behauptungen, die da und dort von besonderen Stellen kommen können, haben wir Vertrauen. Die Kirche ist lebendig! Wohl wissen wir dies in erster Linie aus den fundamentalen Lehren unseres Glaubens, die uns versichern, dass Christus in der Kirche gegenwärtig ist und bei ihr bleibt bis zum Ende der Zeiten (vgl. Mt 28, 20; ähnlich Mt 8, 26; 14, 27); sie zeigen uns auch, dass der Heilige Geist die Kirche beseelt und ihr auf ihrem Wege hilft, besonders wenn dieser mehr ein Kreuzweg als ein Triumphzug ist (vgl. Lk 12, 12; Joh 16, 13; Apg 9,31; 1 Kor 12, 11; 2 Kor 22; Eph 4, 4; und andere). Aber wenn eine Bestätigung dieser tiefen Wirklichkeiten aus der Alltagserfahrung notwendig wäre, dann käme uns jene zu Hilfe, die wir bis vor kurzem erlebt haben und deren erstaunte und manchmal bis zu Tränen gerührte Zeugen wir gewesen sind: Die Kirche ist mehr denn je lebendig, weil wir sie so gesehen haben! In diesem Heiligen Jahr ist sie von einem Strom der Erneuerung, der Heiligkeit und der Gnade durchdrungen worden; er war ein beredtes Zeichen für den Ernst, mit dem unsere Einladung zur Erneuerung und zur Versöhnung aufgenommen worden ist und ein überaus tröstliches Vorzeichen für den neuen Aufschwung, der mit Gottes Hilfe in den kommenden Jahren dieses ausgehenden zweiten Jahrtausends nach Christus noch folgen wird.
Verlauf und Wesenszüge des Heiligen Jahres
Das Heilige Jahr war unter diesem Gesichtswinkel in der Tat sehr bedeutungsvoll; es trug ein unverwechselbares Gesicht und wurde dadurch zutiefst geprägt und ausgezeichnet: Dieses Heilige Jahr war in erster Linie ein religiöses Ereignis, ein Aufbruch zur Suche nach Gott und nach seiner Gnade im Gebet, in der Vereinigung mit Gott, in der Buße und im eucharistischen Leben. Die Scharen, die zu Millionen aus allen Kontinenten gekommen sind, haben in der Hauptsache gebetet. Sie haben mit der dem Volke Gottes eigenen Intuition sofort den bewusst von allen lockenden Äußerlichkeiten befreiten Charakter erfasst, den wir den Zeremonien des Heiligen Jahres verleihen wollten; die Pilger sind zum Wesentlichen vorgestoßen. Wie wir in der Audienz für das Kardinalskollegium im vergangenen Juni gesagt haben, glauben wir, "dass dieser neuentdeckte Sinn für das Gebet ein großer und bleibender Gewinn des Jubiläums ist, und wir freuen uns, wenn wir sehen, dass sich so die Voraussetzungen erfüllen, die das Konzil mit so viel Hoffnung geschaffen hat, um so in der Tat einen neuen Abschnitt für das Leben der Kirche in unserer Zeit einzuleiten" (23.6.1975: AAS 67/1975, S. 457; OR dt. Nr. 27 vom 4.7.1975, S. 4). Das Heilige Jahr war weiterhin ein Ereignis des Volkes: gerade die niedrigeren Schichten der Bevölkerung, die einfachen Leute, diejenigen, die in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, haben einen großartigen Beweis ihres Glaubens und ihrer vollen Übereinstimmung mit dem Leben der Kirche gegeben. Wir haben noch immer die großen Diözesanpilgerfahrten aus allen Kontinenten vor Augen, ganz besonders diejenigen, die auch unter sehr ernsten Opfern und Unbequemlichkeiten aus den Ländern der Dritten Welt gekommen sind, und zwar mit einer Beständigkeit und einer Hochherzigkeit, daß wir in ihnen allen die Kraft der Worte Jesu verspürt haben: "Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen" (Mt 8, 11).
Das Heilige Jahr war schließlich ein Ereignis, das in Ordnung verlief. Während in dieser Zeit in zahlreichen Ländern der Erde die Gewalt nicht selten unschuldige Opfer gefordert hat, herrschte in Rom - Gott sei Dank - trotz des noch nie gesehenen Stromes zahlreicher Gruppen von Gläubigen eine beispielhafte Ordnung; nichts hat den Ablauf der Audienzen, der Zeremonien und Begegnungen gestört. Die Gelegenheit nützend, möchten wir der geliebten Bevölkerung unserer Diözese Rom ein Wort des Lobes aussprechen; mit der ihr angeborenen Würde hat sie die Last der unausbleiblichen Unbequemlichkeiten, die durch die gleichzeitige Anwesenheit so vieler Brüder und Schwestern manchmal in der Stadt entstanden sind, nicht zu drückend werden lassen (wir meinen damit im besonderen die Schwierigkeiten im Straßenverkehr). Aber es handelte sich nicht nur um eine äußerliche, sondern auch um eine tief innerliche Ordnung. Der friedfertige Besitz des Glaubens im Geist der Liebe und der Freude hat jede offene Protesthaltung, jede Kritik, jede Äußerung der Meinungsverschiedenheit verhindert; Haltungen dieser Art sind vereinzelt nur dort und bei denen aufgetreten, die sich in trotziger Isolation von der ruhigen und konstruktiven geistlichen Atmosphäre des Heiligen Jahres in Rom ferngehalten haben. Wir sind in der Tat der Meinung, dass gewisse, übrigens sehr eng begrenzte Stellungnahmen gegen das Heilige Jahr gerade der Tatsache zuzuschreiben sind, dass den Betreffenden das unmittelbare Erlebnis fehlte.
Päpstliche Dokumente und Lehräußerungen
In diesem einzigartigen Rahmen, dessen Erinnerung wir alle für die kommenden Jahre im Herzen bewahren werden, gewinnen einige Ereignisse besondere Bedeutung, an die wir hier, wenn auch nur kurz, erinnern wollen und müssen. Vor allem sind das die Lehräußerungen dieses Apostolischen Stuhles. Wir haben schon im vergangenen Juni die bis dahin anlässlich des Heiligen Jahres veröffentlichten Dokumente erwähnt, angefangen von der Verkündigungsbulle des Heiligen Jahres Apostolorum limina vom 23. Mai 1974 (AAS 66/1974, S. 289-307; vgl. deutschspr. ass. Rom., Nr. 22/1974) über das Apostolische Mahnschreiben zur Versöhnung innerhalb der Kirche vom 8. Dezember 1974 (AAS 67/1975, S. 5-23; vgl. deutschspr. ass. Rom., Nr. 51-52, 1974) bis zu dem Mahnschreiben über die christliche Freude vom 9. Mai dieses Jahres (ebd., S. 289-322; vgl. deutschspr. ass. Rom., Nr. 21, 1975). Wir möchten außerdem die Epistula Lumen ecclesiae anlässlich des 700. Todestages des heiligen Thomas von Aquin zitieren (AAS 66/1974, S. 672-702). Diesen Dokumenten folgten in den letzten Monaten die Apostolische Konstitution Romano pontifici eligendo vom 1. Oktober dieses Jahres und das Apostolische Mahnschreiben Evangelii nuntiandi vom 8. Dezember 1975; in dem letzten Dokument haben wir die maßgeblichen seelsorglichen Hinweise der 3. Generalversammlung der Bischofssynode zusammengefasst und gleichsam eine umfassende, vollständige und auf den letzten Stand gebrachte Summa der Probleme und Sachgebiete geben wollen, die sich bei der überaus ernsten Aufgabe der Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute der ganzen Kirche - den Hirten wie den Priestern, den Familien wie den einzeln wirkenden Laien - in ihren verschiedenen Lebensbereichen und Ausdrucksformen stellen.
Doch diese Dokumente - wie bedeutend und einschneidend ihre Veröffentlichung auch gewesen sein mag - dürfen uns die Gesamtheit anderer Lehräußerungen dieser römischen Kathedra nicht mit Schweigen übergehen lassen; im Bewusstsein des Auftrags, den Christus dem Petrus anvertraut hat, nämlich die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22, 32), haben wir Botschaften zu allen Gelegenheiten gesandt; dazu gehören die Briefe an die verschiedenen Eucharistischen Kongresse, zu den Gedenkfeiern der verschiedenen Ortskirchen und zu den Jahrestagen der Gründung von Diözesen, von Bischofskirchen und von Ordensfamilien.
Ebenso gerne erinnern wir an die besonders eindrucksvollen Augenblicke vieler Heilig-Jahr-Feiern, einmal für die Jugend, dann für die Taufbewerber, dann wieder für die Brautpaare, deren Ehen wir gesegnet haben, oder für die Familienkreise oder die Hunderte von Neupriestern, die wir geweiht, und für die überaus geliebten Kranken, denen wir das Sakrament der Krankensalbung gespendet haben. Weiterhin gab es den Internationalen Mariologisch-Marianischen Kongress; den Kongress der Päpstlichen Missionswerke, die Tagung der Internationalen Katholischen Organisationen, den Missionskongress - um nur einige zu erwähnen. Nicht zuletzt erwähnen wir die Begegnungen mit den Vertretern der Bischofskonferenzen, mit Organisationen, mit Wissenschaftlern und mit Mitgliedern von Apostolatsvereinigungen. Wenn wir in Gedanken die zahlreichen gnadenerfüllten Anlässe durchgehen, die wir zusammen mit den verschiedenen Sektoren der katholischen Welt erlebt haben, müssen wir darin die Anregung zu tiefer und bewegter Dankbarkeit gegenüber dem Herrn, dem "Vater der Gestirne", erkennen, von dem "jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt" (vgl. Jak 1,17). Er hat es uns gewährt, dass wir mit unseren Augen sahen und mit unseren Händen griffen, was wir nicht ohne Grund am Anfang die kraftvolle religiöse Vitalität unserer Zeit genannt haben.
Selig- und Heiligsprechungen
In dieser Aufzählung, die wir mit raschen Federstrichen allen ins Gedächtnis zurückrufen, darf auf keinen Fall die Erinnerung an die wahren Stunden himmlischer Gnade fehlen; wir haben sie gemeinsam bei den von uns in diesem Heiligen Jahr vorgenommen Selig- und Heiligsprechungen erlebt: Dreizehn Seligsprechnungen waren es: die der Marie Eugenie de Jesus Milleret de Brou, des Cäsar de Bus, des Heinrich Carlo Steeb, des Charles Eugen von Mazenod, des Arnold Janssen, des Josef Freinademetz, der Maria Theresia Ledóchowska, des Ezequiel de Moreno, des Gaspar Bertoni, des Vincenzo Grossi, der Anna Michelotti, der Maria Droste zu Vischering und des Giuseppe Moscati. Und wie wir alle uns erinnern, waren es sechs Heiligsprechungen: die des heiligen Johannes Baptista a Conceptione, der heiligen Vicenta Maria Lopez y Vicuña, der heiligen Elisabeth Ann Seton, des heiligen Juan Macias, des heiligen Oliver Plunkett und des heiligen Justinus de Jacobis. Allein die Aufzählung dieser Namen ruft uns die unvergleichlichen Lebensbeschreibungen dieser Bischöfe, dieser Ordensgründer, dieser Missionare, dieser Vorbilder der Nächstenliebe ins Gedächtnis zurück, ganz besonders die einzigartige Gestalt eines Laien, des seligen Arztes Moscati. In den unterschiedlichen Lebenserfahrungen verschieden ausgeprägt, sagt uns ihr in dem einzigartigen gemeinsamen Nenner der Liebe zu Gott und ihren Mitmenschen dennoch gleiches Beispiel, dass die Kirche vor allem deswegen lebendig ist, weil Heiligkeit ihre Glieder durchformt - eine echte, erlittene und von denselben Schwierigkeiten wie unsere eigene Lebenserfahrung geprüfte Heiligkeit; gerade deshalb beweisen sie uns, dass Heiligkeit auch in den Männern und Frauen der letzten Generationen möglich und vorhanden war, genauso wie wir keinen Zweifel daran haben, dass Heiligkeit in den Männern und Frauen unserer und der kommenden Generationen vorhanden ist und sein wird. Voll Freude erkennen wir in diesem großartigen, von uns der ganzen Kirche empfohlenen Aufblühen die unwiderlegliche Bestätigung für die an alle gerichtete Berufung zur Heiligkeit in der Kirche, die das Zweite Vatikanische Konzil so nachdrücklich unterstrichen hat.
Ökumenismus
Ein weiteres, besonders vielversprechendes Zeichen für das Leben der Kirche im eigentlichen Sinn gibt uns auch der ausgesprochen ökumenische Charakter dieses Jahres 1975 . Voller Freude erinnern wir erneut an den Gebetsgottesdienst am 25. Januar 1975 in der Basilika St. Paul vor den Mauern, bei dem wir Gott um die Wiederherstellung der Einheit mit den noch nicht zu uns gestoßenen Kirchen angefleht haben. Wenn wir damals, wie es unsere Pflicht war, die Trauer über die Feststellung, dass "diese Einheit noch nicht wiederhergestellt ist" (AAS 67/1975, S. 113; deutschspr. Oss. Rom., Nr. 5 vom 31.1.1975), geäußert haben, so haben wir doch - ebenso pflichtschuldig - die begründete Hoffnung beschworen, die wir zu eben diesem Thema von höchster Bedeutung in unserem Herzen nähren und bei dem auch die Glaubwürdigkeit des Christentums vor der Welt eine Rolle spielt. "Heute aber wollen wir", so sagten wir damals, "gemeinsam mit euch dem Herrn dafür danken, dass sich die Beziehungen zwischen den Christen vermehrt und vertieft haben. Möge das Bemühen um die Versöhnung der Christen, die ja vor allem ein Werk des Heiligen Geistes und Ausdruck jener ,Weisheit und Langmut' ist, mit der ,der Herr seinen Gnadenplan mit uns Sündern verfolgt' (Unitatis redintegratio) Nr. 1), immer mehr Gegenstand wachsender Sorge und Aufmerksamkeit von Seiten der Katholischen Kirche und der anderen christlichen Gemeinschaften werden" (AAS 67/1975, S. 116; deutschpr. ass. Rom.) Nr. 5 vom 31.1.1975).
Wir haben immer wieder froh machende Bestätigungen dieser Aufmerksamkeit erhalten. Die letzte und zeitlich am kürzesten zurückliegende war die von der Vollversammlung des Weltkirchenrates in Nairobi, die erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist; wir hatten die Ehre, ihr unsere Botschaft zusenden zu dürfen. Wir wissen, dass diese unsere Botschaft mit aufrichtiger Achtung entgegengenommen wurde. Außerdem hatten wir die Ehre, eine Delegation der Katholischen Kirche dorthin zu entsenden; ihre Anwesenheit ist herzlich willkommen geheißen worden und wurde soweit wir informiert sind - in verschiedenen Phasen der Arbeiten auch verlangt und gewünscht. Gepriesen sei der Herr, der uns erleben lässt, wie die ökumenische Bewegung, wenn auch ohne aufsehenerregende Gesten, dafür aber mit umso konstruktiveren und wirkungsvolleren Schritten, ruhig und unaufhaltsam wie die Strömung eines Flusses ihre Bahn zieht.
Immer wieder haben wir dafür - um bei unserem Thema zu bleiben - im Verlauf des Heiligen Jahres Beweise auch hier in Rom erhalten. Tiefbewegt erinnern wir noch einmal an die gleichzeitig in Rom und in Konstantinopel begangene Feier zum 10. Jahrestag der Auslöschung einer besonders schmerzlichen Seite im Buch der beiderseitigen Beziehungen. Wenden wir unsere Gedanken schließlich den verschiedenen Gruppen getrennter Brüder zu, die mit bewundernswerter Würde und innerer Sammlung bei - man kann schon sagen - jeder Audienz zugegen waren. Sie kamen aus der ganzen Welt, um uns zu sagen, mit welch aufrichtiger Bewunderung ihre jeweiligen Gemeinschaften nach Rom und auf den Nachfolger des Petrus blicken. Wir wissen auch, dass der Strom der Pilger aus verschiedenen christlichen Denominationen ununterbrochen weiter fließt und dass sie nach Rom kommen, um das Leben der Katholischen Kirche besser kennenzulernen; sie setzen sich dabei zweckmäßiger weise mit unserem Sekretariat für die Einheit der Christen in Verbindung und werden von diesem klug und respektvoll geführt. So können sie in Rom im Gebet die großartigen Lektionen der Hochherzigkeit, der Gnade und der Erleuchtung nachleben, die mit den historischen Gedenkstätten der Kirche Roms aus den ersten Jahrhunderten verbunden sind, jener Mutter der Heiligen und Märtyrer und Anregerin besonderer Liebes- und Hilfswerke.
Ebenso wollen wir wenigstens mit einigen Worten das Interesse erwähnen, das das Heilige Jahr auch bei hervorragenden und nicht wenigen Vertretern der nichtchristlichen Religionen geweckt hat. Sie kamen aus den verschiedensten Teilen der Erde, um ebenfalls diese, ihrem eigenen religiösen Denken doch so ferne Erfahrung des Heiligen Jahres zu erleben.
Schwierigkeiten und Hoffnungen
Verehrte Brüder, geliebte Söhne! Trotz des tröstlichen Überblicks, den wir soeben aufgezeichnet haben, gibt es auch zahlreiche Anlässe zur Besorgnis; sie beschäftigen am Ende dieses Jahres unsere Gedanken und drücken manchmal mit ihrer großen Last unser Herz geradezu nieder. Wir haben zuweilen den Eindruck, als werde die Sendung der Kirche, ja, selbst der Name Gottes und Jesu Christi von vielen Verantwortlichen, von den Persönlichkeiten, die mit den Mitteln der sozialen Kommunikation die öffentliche Meinung steuern, und von den Männern der Wissenschaft, der Kultur und der Kunst kühl, vorsätzlich, strikt oder verächtlich zurückgewiesen - der Name jenes Gottes, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4, 16), und jenes Jesus, der mit seinen am Stamm des Kreuzes ausgebreiteten Armen nichts als Liebe und Verzeihen anbietet. Eine Flut vorsätzlicher und zerstörerischer Gewalttätigkeit, oft hervorgerufen von leichtfertiger, gefährlicher und unfassbarer Gier nach Geld, scheint in verschiedenen Nationen das geordnete Zusammenleben der Bürger überrollen zu wollen; und dabei hängen doch gerade davon die Ausgeglichenheit, der Fortschritt und die Aufwärtsentwicklung der Gesellschaft ab. Wir können in diesem Zusammenhang unsere schmerzerfüllte, aber nachdrückliche Missbilligung der neuerlichen gemeinen Gewalttat nicht verschweigen, die gerade gestern in Wien verübt worden ist. Eine schleimige Perversion und Entwürdigung der Sitten scheint nicht selten im Namen einer falsch verstandenen Freiheit, die doch nur ihre eigene Unterdrückung anstrebt, den entrüsteten Aufschrei der Menschen rechtschaffenen Gewissens zu ersticken, indem sie den Sinn für das Gute, für Sittsamkeit, für Würde und für die Schönheit hinwegfegt, die Gott der Seele und dem Leib des Menschen geschenkt hat. Und die am meisten gefährdeten Opfer sind die Kleinen, die Jugendlichen und die Schwachen.
Aber - noch einmal sagen wir es - wir wollen ja mit einer Hoffnung gegen alle Hoffnung in die Zukunft blicken. Wir würden den unübersehbaren Überzeugungen der Pilger aus dem Volke Gottes Unrecht tun, die auf einem musterhaften Weg des Gebetes und der Buße nach Rom gekommen und durch die Heilige Pforte eingetreten sind, wenn wir uns von diesen, wenn auch unbestreitbaren Ausbrüchen der Gewalt und des Verfalls der Sitten beeindrucken ließen. Diese gläubigen Menschen haben uns gesagt, dass die Kirche sich ihres Lebens bewusst ist, das vom Herzen des Vaters ausgeht, vom Blute des gekreuzigten Christus genährt und vom Geist, der heilig macht, geführt wird. Sie haben uns gesagt, dass die Kirche reich ist an Merkmalen der Einheit, der Heiligkeit, der Katholizität und ihrer Abstammung von den Aposteln und dass sie entschieden die Wege der Buße und der Nächstenliebe eingeschlagen hat. Der Sinn für das Gebet, der wiedergefundene Kontakt mit Gott und die Gründung von sozialen und karitativen Werken für die leidenden Brüder zeigen uns, dass das Gute dem Bösen überlegen ist, auch wenn es auf die Meinung der meisten keine Wirkung hat; sie zeigen uns, dass die Familie trotz der Attentate, die von den verschiedensten Seiten gegen sie unternommen werden, gesund und weiterhin Erziehungsstätte eines gelebten Christentums ist; sie erinnern uns daran, dass die Kirche mit ihren kraftvollen Möglichkeiten der Gnade und der Erneuerung in der Welt präsent sein kann und muss wie der Sauerteig im Mehl (vgl. Mt 13, 33). Und wenn die Probleme auch immer noch von größtem Ernst sind, so sind doch auch die Energien und die Kraftquellen der Kirche zu ihrer Lösung ungeheuer reichhaltig und groß. Wir dürfen deswegen, ja wir müssen sogar voll Vertrauen und Optimismus in die Zukunft blicken.
Wir bieten die wohlmeinende und bereitwillige Mitarbeit der Kirche allen Menschen guten Willens an, die die schwere Verantwortung tragen, diese Welt, in der wir leben, zu bessern: den Staatsoberhäuptern, den Männern der Wirtschaft, den Politikern, den Literaten und Künstlern, den Journalisten und allen, die die Pflicht haben, ihre Talente gut zu verwalten. Genau zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils möchten wir noch einmal die Botschaften aufklingen lassen, die es an die Regierenden, an die Männer der Geistes- und Naturwissenschaften, an die Künstler, an die Frauen, an die Arbeiter, an die Armen, Kranken und Leidenden und an die Jugend gerichtet hat, um diese Bereitschaft zur Mitarbeit zu bestätigen. Das Konzil hat damit alle aufgerufen, davon Kenntnis zu nehmen, dass die von ihm neu formulierte Lehre der Kirche nichts anderes will als dies: "Allen Menschen unserer Zeit zu helfen, ob sie an Gott glauben oder ihn nicht ausdrücklich anerkennen, klarer ihre Berufung unter jeder Hinsicht zu erkennen, die Welt mehr entsprechend der hohen Würde des Menschen zu gestalten, eine weltweite und tiefer begründete Brüderlichkeit zu erstreben und aus dem Antrieb der Liebe in hochherzigem, gemeinsamem Bemühen den dringenden Erfordernissen unserer Zeit gerecht zu werden" (Gaudium et spes, Nr. 91).
So, ja so soll es sein, verehrte Brüder und geliebte Söhne! Das ist die Botschaft des Konzils, dies das Ergebnis des Heiligen Jahres, das - auch wenn es mit der Schließung der Heiligen Pforte zeitlich beendet wird - in den folgenden Jahren weiterhin Früchte tragen wird.
Wir legen dies als Wunsch an der ärmlichen Krippe des Gottessohnes nieder, der in der äußerten Armut von Bethlehem Mensch geworden ist; er ist gekommen, um die Welt zu retten, nicht sie zu richten (vgl. Joh 3, 17). Zu ihm kommt, ihr Menschen, die ihr denkt, die ihr arbeitet, die ihr leidet und liebt: Er ist der Retter, er ist der Erlöser, und es gibt keinen anderen Namen, durch den wir das Heil erlangen (vgl. Apg 4, 12). Er wird unsere Gebete erhören; und es wird sie auch Maria erhören, die ihn einst in armselige Windeln gewickelt hat, um ihn den Hirten und den Weisen aus dem Morgenland zu zeigen, und die ihn noch immer uns, den Menschen von heute, entgegenhält, um uns alle zu ihm zu holen. Sie, die Mutter Gottes und Mutter der Kirche, wird die Früchte des Heiligen Jahres bewahren und mehren.
Mit diesen brennenden Wünschen danken wir Ihnen allen noch einmal und erteilen Ihnen von Herzen gern unseren Apostolischen Segen.
1976
Ansprache bei der Entgegennahme der Weihnachtswünsche von seiten des Kardinalskollegiums und der Prälaten der Römischen Kurie und der Diözese Rom am 20. Dezember mit dem Thema: DIE KIRCHE - SICHERER BEZUGSPUNKT:
Im Anschluss an das Konsistorium wird uns wiederum die jährliche Begegnung mit den Mitgliedern des Kardinalskollegiums und den römischen Prälaten als Stärkung zuteil. Dank Ihnen, verehrte Brüder und geliebte Söhne, für Ihre Anwesenheit; Kardinal Carlo Confalonieri hat eben ihre Bedeutung und ihren Zweck so gut ausgedrückt.
WAS BEDEUTEN DIE GUTEN WÜNSCHE?
Sicherlich führt uns nicht eine äußerliche Formalität und noch weniger ein von profanen Verhaltensmustern vermittelter Brauch hier zusammen. Es ist das bereits unmittelbar bevorstehende Geburtsfest unseres Herrn Jesus Christus, das uns ruft; es ist die Feier seiner Ankunft unter uns, behaftet mit unserer menschlichen Gebrechlichkeit und Armut, um sie zu seiner Gottheit emporzuheben und sie an seinem Reichtum teilhaben zu lassen (vgl. 2 Kor 8, 9). Es ist das Gedächtnis der Heiligen Nacht von Bethlehem, deren Licht- und Gnadenwunder sich in seiner geheimnisvollen Wirklichkeit in den göttlichen Geheimnissen der Weihnachtsliturgie erneuern und wieder vergegenwärtigen wird. All das fordert uns auf, wie jedes Jahr Glückwünsche miteinander auszutauschen und auch nach außen hin in der gewohnten, wenn auch unangemessenen Form, wie sie unserer menschlichen Begrenztheit erlaubt ist, jene Fülle der Freude und des Lebens zum Ausdruck zu bringen, die uns durch die irdische Geburt Christi, des Sohnes Gottes und Sohnes Mariens, gebracht worden ist. Er ist vom Vater gesandt worden als beispielloses Geschenk seiner Liebe (vgl. Joh 3, 16), als das Lamm, das sich für die Sünde der Welt opfert (vgl. Joh 1,29; 36), als Alpha und Omega, Anfang und Ende, als der Erste und der Letzte (vgl. Offb 1, 8; 21, 6; 22, 13), als der Schlüssel Davids (vgl. Jes 22, 22; Offb 3, 7), der die Geheimnisse des aus dem Herzen des Vaters, des Mittel-und Angelpunktes der Weltgeschichte, hervorgegangenen Heilsplanes aufschließt und versiegelt. Wenn geistliche Freude uns erfüllt, wenn Gewohnheit will, dass wir den Wünschen Ausdruck geben, die die Liebe zueinander in uns weckt, dann ist es, weil er gekommen ist, um uns zu retten, um das messianische Festmahl der höchsten Gnaden für die Vielzahl der Armen Jahwes zu bereiten - und wir alle sind es, die darum flehen "in der Erwartung seines Kommens". Und dieser Glückwunsch weitet sich zum beginnenden Kalenderjahr in liebenswürdiger Weise auch aus auf den ganzen noch unbekannten und geheimnisvollen Ablauf der Geschehnisse des irdischen Lebens: unter dem Licht des Wortes und unter der Kraft seiner Hand, die alles hält, kann auch der Lauf dieser Ereignisse nur ein weiteres Geheimnis seiner Vorsehung in sich schließen; und diese seine Vorsehung wird uns unter Mitwirkung der Menschen guten Willens zur Verwirklichung des Friedens und des Fortschritts zum Wohl der Menschheitsfamilie führen. Auch für all dies keimt in unserem Herzen dieser Glückwunsch im Licht des fleischgewordenen Wortes.
Unter diesem Licht halten wir gewöhnlich Rückschau auf das zu Ende gehende Jahr, um auf diese Weise eine Art Bilanz für das Leben der Kirche zu ziehen sowohl in ihren Beziehungen zur Welt und im Ablauf ihres Lebens inmitten der Geschehnisse der irdischen Stadt als auch in seiner innerlichen, eigenständigen Fülle. Mit Ihnen, verehrte Brüder und geliebte Söhne, wollen wir gemeinsam diesen Weg des Prüfens und Urteilens durchlaufen.
I. Die Kirche und die bedeutendsten Weltprobleme
Den Vorrang möchten wir dabei den Problemen des innerkirchlichen Lebens geben. Aber das lässt uns keineswegs die Probleme vergessen, denen weite Teile der kirchlichen Gemeinschaft in Europa und Asien wie auch in einigen Ländern Amerikas und Afrikas weiterhin - oder erstmals - gegenüberstehen müssen, weil sowohl die Kirche als Institution als auch die einzelnen Gläubigen Opfer von Einschränkungen, Bedrückung und zuweil von Unterdrückung sind.
Wieder einmal wollen wir - unmittelbar vor dem alljährlichen Gedächtnis an das Kommen dessen, der die Kraft und die Hoffnung aller an ihn Glaubenden ist - diesen am meisten geliebten unter unseren Söhnen und Töchtern sagen, dass wir ihrer immer gedenken, möchten sie unserer besonderen Zuneigung und unseres Gebetes versichern und sie zu Treue und Vertrauen aufrufen. Zugleich sprechen wir erneut unseren festen Willen aus, nichts zu unterlassen, was im Bereich der Möglichkeiten dieses Apostolischen Stuhls liegt, um ihr gutes Recht zu unterstützen und die fundamentalen Rechte eines jeden Volkes und einer jeden menschlichen Person zu schützen.
BEUNRUHIGUNGEN UND HOFFNUNGEN
Wenn wir zu einer Betrachtung des Panoramas übergehen, das die Welt uns am Ende dieses Jahres bietet, und uns vor Augen halten, was das kommende Jahr bringen mag, dann können wir unsere Besorgnis über gewisse Unruhen, die da und dort auftreten, nicht verbergen; sie könnten zwar nicht die allgemeine Ruhe, aber doch die Ruhe einiger Gebiete in Gefahr bringen.
Wie dem auch sei: Wir wollen Vertrauen in den guten Willen und in die Weisheit derer setzen, die die Geschicke der Völker leiten, insbesondere derer, auf denen die größte Verantwortung für die Vermeidung von Konflikten und die Bewahrung des Friedens lastet. Was uns angeht, bekräftigen wir unseren Einsatz im Dienst eines so edlen und so notwendigen Zieles wie auch unseren Willen, allen, die aufrichtig diese Gedanken des Friedens mit uns teilen und eine aktive, heilsame Solidarität unter den Völkern wünschen, alle uns mögliche Zusammenarbeit anzubieten.
Mit großer Erleichterung und tiefer Befriedigung - die allerdings durch noch nicht ausreichend besänftigte Sorgen geschmälert werden - haben wir das Ende der Kämpfe näher kommen sehen, die so lange im Libanon Blutvergießen verursacht haben. Unser Gedenken gilt allen, die Opfer dieser Kämpfe geworden sind und die deren schmerzhafte Folgen an Körper und Geist noch immer spüren. Die Bemühungen des guten Willens aller Verantwortlichen müssen sich jetzt auf die Lösung der ursächlichen Probleme dieses Konfliktes und auf den Wiederaufbau richten. Der Heilige Stuhl, der sich schon bemüht hat, in dieser Hinsicht sein Möglichstes zu tun, wird bereitwillig seine Mitarbeit fortsetzen.
Es ist unser Wunsch, dass der materielle Wiederaufbau und die Wiederaufnahme des normalen Lebens im Lande begleitet werden von einem nicht weniger intensiven Wiedererwachen auf geistlich-sittlicher Ebene, damit der Libanon wieder zum leuchtenden Beispiel des fruchtbaren und von gegenseitiger Achtung getragenen Zusammenlebens von Gemeinschaften werde, die zwar dem religiösen Bekenntnis nach verschieden, aber eins sind in der Liebe zum gemeinsamen Vaterland und zu seinen edlen Traditionen.
Die Libanon-Krise hat nur noch stärker die Dringlichkeit einer umfassenden Lösung des schon viele Jahre andauernden Nahost-Problems in den Vordergrund gerückt, damit endlich im Geist der Gerechtigkeit und Ausgewogenheit der gefährliche Spannungszustand überwunden werden könne, der in diesem Gebiet besteht. Nach Meinung angesehener Kreise ist der gegenwärtige Zeitpunkt für die Suche nach einer Beilegung auf dem Verhandlungswege besonders günstig. Wir wünschen, dass dies der Wirklichkeit entspreche; und vor allem, dass alle Verantwortlichen den Willen und die Klugheit haben, diesen Zeitpunkt zu nutzen. Uns drängt es, in diesem Zusammenhang den Wunsch zu wiederholen und noch einmal an die Notwendigkeit zu erinnern, dass - in Anbetracht des zu achtenden Rechtes und der Dauerhaftigkeit des Friedens - eine angemessene Lösung für das Problem der heiligen Stätten der Christen wie auch derer der Juden und der Moslems und in erster Linie für das Problem Jerusalem gefunden werde.
Nicht unterlassen wollen wir einen wenn auch kurzen Hinweis auf die Rhodesien-Frage. Die jüngsten Ereignisse, die die Gestalt eines Bischofs - der bis zum Opfer in der Einforderung der Rechte der eingeborenen Bevölkerung engagiert ist, des Bischofs von Umtali, Donald Raymond Lamont - in den Vordergrund gerückt haben, drängen uns dazu. Doch uns bewegt die Hoffnung, dass die zur Lösung des Rhodesien- Problems einberufene Konferenz mit der notwendigen Sorgfalt zu positiven Ergebnissen kommen werde, um echte Voraussetzungen für Gerechtigkeit, friedliches Zusammenleben und gute Zusammenarbeit zwischen allen Volksgruppen des Landes sicherzustellen. Das ist der Wunsch, den wir aus unserer Liebe zu Afrika heraus von ganzem Herzen aussprechen.
Dieser überaus rasche Blick auf die Welt um uns herum wäre zu unvollständig, wenn wir gar nichts über Italien sagten, das uns aus vielen Gründen so nahesteht. Wir wollen uns hier nicht auf die Probleme seines nationalen Lebens beziehen, die wir dennoch mit besonderem Interesse und nicht ohne Besorgnis verfolgen, sondern vielmehr auf die Vorbereitungsarbeiten zu einer Revision des Lateran-Konkordates anspielen, für die sich der Heilige Stuhl seinerseits bereitwillig zur Verfügung gestellt hat. Die Revision soll aus jenem historischen Akt der Versöhnung ein Instrument machen, das besser geeignet ist, unter den Gegebenheiten von heute korrekte und freundschaftliche Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu garantieren. Diese sind mehr denn anderswo in einem Lande notwendig, in welchem Geschichte und gegenwärtige Wirklichkeit es erfordern, dass beide nicht nur loyal ihre jeweiligen Kompetenzgebiete anerkennen, sondern ebenso - unbeschadet der jeweiligen Autonomie und der Unabhängigkeit voneinander den Weg des Einverständnisses und der guten Zusammenarbeit zum Wohle des religiösen Friedens und des geistlichen und sittlichen Vorteils des Volkes einzuhalten verstehen. In diesem Geist und mit diesem Verständnis hat sich der Heilige Stuhl an die Arbeit der miteinander abgestimmten Revision des Vertragswerkes gemacht und hat mit seiner Haltung dafür einen konkreten Beweis geliefert. Keineswegs waren es die Einforderung von Vorrechten oder ein Vorherrschaftsstreben, wie von einigen Seiten mit offenkundiger Ungerechtigkeit unterstellt wurde. Wir wünschen, dass diese Initiative von wahrhaft historischer Tragweite rasch zu einem glücklichen Abschluss gebracht werden möge.
II. Die Kirche in sich selbst
Jetzt aber, da wir den Blick auf das Leben der Kirche in ihrem Inneren richten, müssen wir in aller Kürze an die Ereignisse erinnern, die dieses zu Ende gehende Jahr gekennzeichnet haben.
HÖHEPUNKTE DES JAHRES
Wir müssen mit unseren Gedanken vor allem zurückkehren zu der Fülle von Heiligkeit, die in idealer Weiterführung der großen Gebetsbewegung, des Heiligen Jahres, sich in beispielhaften Gestalten heroischen christlichen Lebens gleichsam über die Welt ergossen hat: in Gestalten, die wir unseren Söhnen und Töchtern, ja allen Menschen, vorgestellt haben: die neuen Heiligen Beatrice da Silva Meneses, Jungfrau und Gründerin des Ordens von der Unbefleckten Empfängnis Mariens, und John Ogilvie, Märtyrer aus der Gesellschaft Jesu, heiliggesprochen am 3. bzw. am 17. Oktober; den neuen Seligen Leopold Mandic von Castelnuovo, Bekenner aus dem Kapuzinerorden (2. Mai), und die Unbeschuhte Karmelitin Maria de Jesus López de Rivas, Zeitgenossin und Mitschwester der heiligen Theresia von Avila (14. November). Das sind Ausstrahlungen, die aus fernen Epochen, aber auch aus unserer Zeit uns treffen, um uns in dem vorrangigen Suchen nach Gott und in der Liebe zu unseren Brüdern zu stärken, die das Leben der Kirche seit dem von ihrem göttlichen Gründer erhaltenen "neuen Gebot" (Joh 13, 34) kennzeichnen.
Ebenso erinnern wir an die Tage des lebendigen Glaubenszeugnisses an die Eucharistie während des Eucharistischen Weltkongresses von Philadelphia. Er hatte seinen Höhepunkt am Sonntag, dem 8. August, in einer tiefen Gebetsgemeinschaft um den eucharistischen Altar, die uns von der Stadt des eucharistischen Wunders, Bolsena, aus mit den in der US-amerikanischen Großstadt zum Abschluss des Kongresses versammelten Gläubigen vereint hat. Wenn Heiligkeit das Herz der Kirche ist, so findet sie ihre ständige Nahrung in der eucharistischen Erneuerung des Opfers von Kalvaria: das ist der Höhepunkt christlicher Existenz, das ist die Fülle der Gemeinschaft in dem einen Glauben, das ist die Verherrlichung des Gemeinschaftslebens der Kirche und die nie sich erschöpfende Quelle der inneren Erneuerung, die im Herzen eines jeden Gläubigen sich ständig verwirklichen muss.
Wir wollen noch weitere herausragende und bedeutsame Fakten des nun an seinem Ende angelangten Jahres wenigstens erwähnen: Die Berufung von 20 neuen Mitgliedern - und wir können mit Recht sagen: aus allen Teilen der Welt - in das Kardinalskollegium als sichtbarer und höchster Ausdruck, so sagten wir am 24. Mai, gelebter Glaubenserfahrung während des Heiligen Jahres, der vom Zweiten Vatikanischen Konzil in ein neues Licht gerückten Kollegialität und der Treue zur Kirche (vgl. AAS 68/1976, S. 837 ff.). Die Erinnerung an diese Aufnahme neuer Kardinäle lässt uns nicht die schmerzlichen Lücken vergessen, die das Jahr über in ihrem hochverehrten und repräsentativen Kollegium entstanden sind.
Wir bringen auch in Erinnerung, dass die Kirchen eines ganzen Kontinents - wir meinen damit das junge und dynamische Australien - nunmehr dem allgemeinen Kirchenrecht unterstellt wurden; die Tagung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) in Puertorico und die unablässig erscheinenden Verfügungen des Hl. Stuhls - unter diesen erinnern wir besonders gern an die kürzlich erfolgte Neustrukturierung zweier nach dem Konzil errichteter Organismen der Römischen Kurie, die diesen ihr endgültiges Gesicht gegeben hat: des Päpstlichen Rates für die Laien (Pontificium Consilium pro Laicis), zusammen mit dem Familienkomitee, das ihm eingegliedert ist, und der Päpstlichen Kommission "Justitia et Pax".
LEBENSKRAFT DER KIRCHE
Doch der Blick weitet sich in diesem besonderen Augenblick aus auf die ganze Kirche. Sie ist Zeichen der Hoffnung und sicherer Bezugspunkt besonders heute, da sich die beunruhigenden und Schrecken erregenden Anzeichen mehren, dass die Gesellschaft das hohe und zerbrechliche Geschenk der Freiheit anscheinend dazu benutzt, sich zur Sklavin pervertierender Ideologien zu machen, denen sie sich ohne Widerstand unterwirft. Der Terrorismus, kaltblütig organisiert von dunklen Kräften, die sich feige im Hintergrund verstecken, sät Tod und schreckt das schutzlose und irregeleitete Gewissen der meisten - in vielen Völkern der Erde. In nicht wenigen Ländern sind die Strafanstalten zu Schulen des Verbrechens geworden. Und dennoch: Gegenüber all diesen wieder auflebenden Bedrohungen des Denkens und Handeins, die das geordnete öffentliche Leben und die Formen seines friedlichen Zusammenlebens, d.h. des Allgemeinwohls, zersetzen wollen, hört die Kirche nicht auf, das "aufgerichtete Signal für die Völker in der Ferne" zu sein (vgl. Jes 5, 26; 11, 12).
Ihre Lebenskraft ist friedfertig und kommt majestätisch daher wie ein großer Strom messianischen Friedens, der vom Herrn ausgeht (vgl. Jes 66, 12). Diese Lebenskraft zeigt sich in der Verteidigung des Glaubensgutes, das die Kirche mit heiliger Sorgfalt unversehrt bewahrt wie den eigenen Augapfel. Sie verteidigt es ebenso gegen zersetzende Kritik und gegen Auslegungen, die ihn irgendwie doch verkürzen, wie gegen Vorurteile und voreingenommene Verschlossenheit, die in jedem Fall immer und einzig auf den Ungehorsam gegenüber den rechtmäßigen Hirten im Bischofskollegium und gegenüber dem demütigen Nachfolger des Petrus hinauslaufen, der an ihrer Spitze steht. Diese Lebenskraft zeigt sich in der unerschrockenen und rechtschaffenen Wahrung des Sittengesetzes, wie es in die Herzen der Menschen eingeschrieben ist und von der Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes garantiert wird; dies geschieht durch die Lehraussagen dieses Apostolischen Stuhles, und er fürchtet dabei weder Geschrei noch Anfeindungen und erst recht nicht die Demütigungen und die Ironie dieser Welt, für die Christus zwar nicht gebetet hat wie für seine Jünger (vgl. Joh 17, 9), die er aber dennoch so sehr geliebt hat, dass er für sie sein Leben hingab (vgl. Joh 3, 17; 6, 51; 14, 31). Der Hl. Stuhl verkündet zu diesem Zweck immer wieder feierlich das Recht auf Leben, die Unauflöslichkeit der Ehe und die unverdorbenen, zuchtvollen und befreienden Normen des Sexuallebens.
Ihre Lebenskraft offenbart sich weiter in den Impulsen für die Evangelisierung, die die Mission der Kirche tragen; ihrerseits führt sie diese mit gewaltiger Mühe weiter, um Zeugin unter den Völkern für die Wahrheit und Heiligkeit Gottes zu sein. Sie zeigt sich in den verschiedenen Formen kirchlichen und religiösen Lebens; in der Treue der Familien zu den täglichen Pflichten, in denen die Gnade des Ehesakramentes ihren Ausdruck findet; und in der spirituellen Fruchtbarkeit der gottgeweihten Seelen. Sie schlägt sich nieder in dem Eifer, der die Jugendlichen erfüllt und bei ihnen äußerst erfreuliche Zeichen einer ermutigenden Güte, eines konstruktiven Mitdenkens und des Gemeinschaftsbewusstseins hervorruft, und im erfreulichen und überraschenden Neuerwachen der Priester- und Ordensberufe, besonders für das Missionsapostolat und das beschauliche Leben.
UNVERÄNDERLICHKEIT DES GLAUBENSGUTES UND LEBENDIGE ENTWICKLUNG DER KIRCHE
Diese Lebenskraft der Kirche, von der wir täglich im Stillen beredte und überaus tröstliche Beweise erhalten, können wir mit dem organischen Leben vergleichen, wie es unser Universum durchpulst. Wie ein großer Baum, der seine Wurzeln tief in die ihn seit Jahrhunderten nährende Erde getrieben hat, so hat auch die Kirche ihre Wurzeln in die Vergangenheit hinabgesenkt, um bis zu Christus und den Aposteln vorzudringen. In diesem Sinn ist die Unveränderlichkeit des Glaubensgutes - es wäre unsinnig, das zu bestreiten - über jeden Zweifel erhaben, und die Kirche hütet dieses Gut, wenn sie Dogmen, Sittengesetz und auch die Liturgie nach dem lichtvollen Grundsatz "Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens" darlegt. Das Leben der Kirche bleibt ein und dasselbe, gediegen und fest, denn da ist "ein Leib und ein Geist ... ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist" (Eph 4, 4 ff.). Auf dieser Linie haben wir uns bisher gehalten, auf ihr stehen wir, und auf ihr werden wir weiter bleiben gemäß den Worten des heiligen Paulus: "Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält" (Eph 4, 3).
Aber weil diese Unveränderlichkeit aus den Wurzeln selber aufsteigt, mit denen die Kirche ihren Lebenssaft aus der Vergangenheit saugt und die kraft der Mittlerschaft Christi bis ins Innerste Gottes selber hineinreichen, steht diese Unveränderlichkeit absolut nicht im Widerspruch zu dem Leben, das aus diesen Wurzeln aufsprudelt und aufblüht. Es gibt keinerlei Gegensatz zwischen Leben und Unveränderlichkeit; im Gegenteil: das Leben selbst sichert die wesenhafte Unveränderlichkeit eines lebenden Wesens. Die Unveränderlichkeit des Steines, der unbelebten Materie überhaupt, ist etwas ganz anderes als die Unveränderlichkeit, die die ständige Identität des lebenden Wesens mit sich durch alles physische und geistige Wachsen hindurch und im Austausch mit den gegebenen Lebensbedingungen gewährleistet. Eine Pflanze, ein organischer Leib bleiben in ihrem Wesen dieselben, auch wenn sie allmählich wachsen. Es ist dies der alte und stets treffende Vergleich des Vinzenz von Lérins, der allen bekannt ist (Commonitorium Primum) 23; PL 50, 667 f.); diesen Gedanken hat schon Cyprian mit eindrucksvollen Bildern anschaulich gemacht: "Die Kirche des Herrn ... dehnt aus der Fülle ihrer Fruchtbarkeit ihre Zweige über die ganze Erde hin aus, und sie macht die schon breit dahinfließenden Ströme noch weiter: sie hat aber nur ein Haupt und einen Ursprung und ist eine einzige Mutter, überreich an Zeichen ihrer Fruchtbarkeit" (De unitate Ecclesiae) 5; PL 4, 518). Von den tiefreichenden Wurzeln her entfalten sich die Zweige ein und desselben Stammes, immer alt und immer neu: Genährt aus dem Lebenssaft der Vergangenheit, strecken sie sich der Zukunft entgegen, streben sie nach vorn, um die Scharen der Vögel des Himmels aufzunehmen, die dort Schatten und Ruhe suchen (vgl. Mk 4, 32). Entwicklung ist wesentlich für das Leben der Kirche.
GEGENSÄTZLICHE ABWEICHUNGEN NACH DEM KONZIL
Die Kirche bleibt sich selber unverbrüchlich treu. Gleichzeitig aber gewinnt sie immer neuen Reichtum. Darin erweisen sich die Fruchtbarkeit, die Notwendigkeit und der Rang des Zweiten Vatikanischen Konzils; nicht weniger als alle anderen ökumenischen Versammlungen hat es eine klare, dogmatisch einwandfreie, pastoral kluge und erneuernde Antwort auf die Fragen der Menschen unserer Zeit gegeben. Vernünftigerweise kann man seine positiven Ergebnisse nicht in Zweifel ziehen, auch wenn es" wie zu allen Zeiten, im Leben der Kirche schmerzliche Abweichungen gegeben hat und gibt, die zwar von ehrenwerten Motiven ausgehen mögen, aber für die Kirche recht schwerwiegende Folgen haben: Auf der einen Seite wird die Entwicklung der Kirche in einer Weise aufgefasst, dass man deren Grenzen nicht mehr erkennt, ja ihren Grundbegriff selber vollends aus den Augen verliert; auf der anderen Seite dagegen führt ein falsch verstandener Antrieb zur Treue zur Leugnung und Ablehnung jeder Entwicklung, selbst gegen den offenkundigen Augenschein der in der Kirche vorhandenen lebendigen Tradition. Im einen wie im anderen Fall kommt das Übel abgesehen von einem echten Mangel an Demut und Gehorsam im wesentlichen daher, dass man de facto den Beistand nicht beachtet, mit dem der Gründer der Kirche selbst deren Entwicklung in Kontinuität gewährleistet hat; man wirft sich selber zum Richter auf und möchte allein beurteilen, was im Rahmen der echten Tradition liegt und was nicht.
DIE TRADITION
Gewiss, die Unveränderlichkeit des Glaubens wird heute von dem Relativismus bedroht, dem einige Autoren verfallen sind. Doch gegen diese Einstellung haben wir mit Entschiedenheit hervorgehoben, dass die göttliche Offenbarung einen genau bestimmten Sinn hat. Es geht um eine unveränderliche Wahrheit, die uns Christus, die Überlieferung der Apostel und die Äußerungen des Lehramtes zu glauben vorgelegt haben. Wir haben mahnend darauf aufmerksam gemacht, dass keine Auslegungsmethode - in der Absicht, die Frohbotschaft dem sich wandelnden Denken verschiedener Epochen und Kulturräume zugänglich zu machen - das Recht hat, diese Bedeutung durch andere, vermeintlich gleichartige Bedeutungen zu ersetzen, denn diese sagen statt dessen teilweise das Gegenteil aus oder verkürzen die Wahrheit in unheilvoller Weise.
Und doch hält man uns entgegen - und wir sagen das mit großem Schmerz -, dass verschiedene Lehren oder Richtlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils, die wir bekräftigt und wiederholt haben, vom überlieferten Glauben abweichen. Wir können hier nicht im einzelnen auf die Vorwürfe eingehen, zumal wir das an anderer Stelle ja getan haben. Wir möchten aber wenigstens den Einwand gegen das Recht auf Religionsfreiheit erwähnen. Es handelt sich um ein Recht gegenüber menschlichen Obrigkeiten, im besonderen gegenüber dem Staat; es ist ein Recht - und zugleich, ja mehr noch eine schwere moralische Pflicht -, das die Suche nach der wahren Religion wie auch die auf diese Suche ausgerichteten persönlichen Entscheidungen und Engagements zum Gegenstand hat. Das Konzil stützt dieses Recht in keiner Weise auf die Behauptung, dass alle Religionen und alle Lehren, auch falsche, auf diesem Gebiet mehr oder weniger gleichwertig seien. Es begründet sie vielmehr mit der Würde der menschlichen Person; sie darf keinerlei äußeren Zwängen unterworfen werden, die das Gewissen bei der Suche nach der wahren Religion und ihrer Annahme vergewaltigen.
Schlussbemerkung
Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne!
Dies wollten wir Ihnen sagen in diesen Tagen ergriffenen Wartens auf das Fest des Wortes, das zu unserer Rettung kommt. In diesen Tagen sind wir in Gedanken bei der heiligen Geburtsgrotte des Herrn, unsere Gedanken und Gebete umgeben die Krippe. Jesus ist in diese Armseligkeit herabgestiegen, um die Kirche, das Sakrament des Heiles, zu gründen; denn der Vater hat, wie das Konzil es formulierte, "seinen Sohn ... gesandt, damit er unter den Menschen wohne und ihnen vom Innern Gottes Kunde bringe (vgl. Joh 1, 1-18). Jesus Christus, das fIeischgewordene Wort, als ,Mensch zu den Menschen' gesandt (Brief an Diognet 7,4), ,redet die Worte Gottes' (Joh 3,34) und vollendet das Heilswerk, dessen Durchführung der Vater ihm aufgetragen hat (vgl. Joh 5, 36; 17, 4)" (Dei verbum) Nr. 4). Dort, in der Krippe, begann der Same zu keimen, der heute zu einem dicht belaubten Baum geworden ist und sich über die ganze Erde breitet. Dort ruhen der Beginn, die Triebkraft und die letzte Erklärung für die ganze Geschichte der Kirche und der Welt, im Strom der Heiligkeit und der Gnade, der mit seinem Kommen seinen Anfang genommen hat.
In diesem Geist erwarten wir ihn, so werden wir ihn an Weihnachten sehen, so wollen wir an der heiligen Krippe beten: dort werden wir ihn finden, wie er auf den Armen seiner unbefleckten Mutter Maria uns zulächelt und uns ermuntert. Ihr, der Mutter Christi und Mutter der Kirche, vertrauen wir mit unbesiegbarer Hoffnung die Zukunft eben dieser Kirche, ja die Zukunft der Menschheit an, denn für diese ist ja durch sie Christus geboren worden. An sie richten wir die Bitte, die Kirche so lieben zu können, wie sie es getan hat, und in unserem Apostolat ihre Sendung als Mutter aufgreifen zu können. Ja, ehrwürdige Brüder, es ist so, wie das Konzil es gesagt hat: "Die Kirche blickt auch in ihrem apostolischen Wirken mit Recht zu ihr auf, die Christus geboren hat, der dazu vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau geboren wurde, dass er durch die Kirche auch in den Herzen der Gläubigen geboren werde und wachse. Diese Jungfrau war in ihrem Leben das Beispiel jener mütterlichen Liebe, von der alle beseelt sein müssen, die in der apostolischen Sendung der Kirche zur Wiedergeburt der Menschen mitwirken" (Lumen gentium, Nr. 65).
Über die Innigkeit und Aufrichtigkeit dieser Liebe werden wir alle Rechenschaft geben müssen vor dem, der kommen wird, um uns zu richten in der Majestät und Herrlichkeit des Vaters, wie er jetzt kommt, um uns zu erlösen in der unbegreiflichen Demut seiner Erniedrigung. In dieser wachen und betenden Erwartung möge uns alle aus den Armen der Jungfrau und Mutter der menschgewordene Sohn Gottes segnen. In seinem heiligen Namen segnen wir nun unsererseits Sie und wünschen Ihnen: "Gesegnete Weihnachten!"
1977
Ansprache an das Kardinalskollegium und die Prälaten der Römischen Kurie, 22. Dezember mit dem Thema: DIE GNADE GOTTES IST AM WERK
Meine Herren Kardinäle!
Ihnen und allen hier versammelten verehrten Brüdern und lieben Söhnen, unseren geschätzten Mitarbeitern aus der Römischen Kurie, herzlichen Dank für Ihre Anwesenheit aus Anlass des bevorstehenden Weihnachtsfestes. Bedeutung und Zweck dieser herzlichen Begegnung hat Kardinal Carlo Confalonieri als Dekan des Heiligen Kollegiums eben in so vornehmen Worten ausgesprochen. Und während wir ihm von Herzen für den Ausdruck so erlesener Gefühle danken, sind wir aufrichtig erfreut, ihm zum ersten Mal öffentlich unsere Freude, unseren Beifall, unseren Glückwunsch zu seiner eben erfolgten Wahl auszusprechen, durch die er berufen wurde, die Nachfolge des dahingeschiedenen Kardinals Luigi Traglia anzutreten, dessen Gestalt unserem Herzen unauslöschlich als freundliches Bild menschlicher und priesterlicher Güte eingeprägt bleibt.
Anlass, uns hier zusammenzufinden, ist das bevorstehende Fest der Geburt unseres Herrn. Wir alle haben es in wachsamem und vertrauensvollem Gebet die ganze Adventszeit hindurch erwartet, und unser besonderes pastorales Anliegen, wenn nicht unsere immer neue Freude war es, den Themenreichtum dieser gesegneten "großen Zeit" der heiligen Liturgie vor der Menge der Pilger, die unsere Generalaudienzen besuchten, auszubreiten. Jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Jesus kommt, er kommt zu uns, um das Geschenk seiner Erdengeburt zu erneuern in der ebenso geheimnisvollen wie wirklichen Vergegenwärtigung des zurückliegenden Ereignisses bei der Feier des heiligen Opfers. Er kommt zu uns, um seine Gegenwart in der Gestalt von Brot und Wein fortzusetzen, wie auch in der unsichtbaren und mächtigen Führung, die er seiner Kirche immer schenkt, gemäß der Verheißung: "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt" (Mt 28,20). Er kommt zu uns, um in unserem Herzen zu wohnen durch das unschätzbare Geschenk seiner Gnade, und er erwartet die hochherzige Antwort unseres Willens: "Ich stehe an der Tür und klopfe. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich bei ihm eintreten, und ich werde mit ihm und er mit mir Mahl halten" (Off 3, 20; vgl. Joh 14, 21-23). In seinem Namen und in der Gewissheit, dass uns sein Schutz niemals verlassen wird, beginnen wir nun ein neues Jahr der Arbeit. Aber zunächst scheint es uns richtig, unsere Gedanken den wichtigsten Vorgängen des jetzt auslaufenden Jahres zuzuwenden.
Unsere Gedanken kehren von selber zunächst zu dem Tag zurück, an dem wir im vergangenen September die Vollendung unseres 80. Lebensjahres gefeiert haben. Wir spüren das Bedürfnis, all unseren Söhnen und Töchtern noch einmal für die geschlossene Anteilnahme an diesem Ereignis zu danken, das uns Gelegenheit gab zu gründlichem Nachdenken über die Flüchtigkeit der Zeit und die reichen Gnaden, die uns Gott in den vergangenen Jahren unseres Lebens bis zum heutigen Tag schenkte. Wir hatten gemeint, dieses Ereignis privat und in der Stille als rein persönliche Tatsache überdenken zu müssen, statt dessen wurde es Anlass zu neuer Bestätigung kirchlichen Bewusstseins. Aus allen Ländern haben uns zahllose herzliche Glückwünsche erreicht von Bischöfen, aus Diözesen und Pfarreien, von katholischen Organisationen, Priestern und Ordensfamilien, Kindern und Studenten, Männern und Frauen jeden Alters und aller sozialen Schichten. Sie hielten es für ihre Pflicht, uns ihre Verbundenheit, ihre Nähe im Geiste auch für die Zukunft zu bestätigen. Angesichts dieser weiten Bewegung der Herzen konnten wir nicht versäumen, deutlich zu machen, dass diese Bezeugung der Liebe über unsere schlichte Person hinaus, an die diese Wünsche ergingen, ein Ereignis der Kirche war und das Herz der Kirche selber betraf, in dem der Papst Garant und Symbol der Einheit und des Zusammenhalts ist.
Sprechen wir also noch einmal all denen unseren Dank aus, die - auf welche Weise auch immer - uns gratuliert haben. Dabei wollen wir auch nicht die Künstler vergessen, die das mit höchster Meisterschaft und mit einer Anteilnahme, die besser als jedes Wort spricht, taten und damit bestätigten, dass Glaube und Kunst in Einklang miteinander stehen. Denn die Kunst ist dazu berufen, auch heute wie in allen Jahrhunderten die wunderbaren Wirklichkeiten, die die Kirche den Menschen vorstellt, in dem sie das Wort Gottes erklärt und die frohe Botschaft verkündet, sichtbar zu machen. Und für ein solches Zeugnis, das einer tief innerlichen Erwartung unseres ganzen Lebens entspricht, im besonderen unseres Pontifikates, können wir nicht genug danken.
Wir sprachen schon im Konsistorium vom 27. Juni von der Apostolischen Konstitution Vicariae potestatis vom 6. Januar, mit der wir dem Vikariat von Rom eine neue Ordnung gegeben haben. Wenn wir auf diese Neuordnung der Vikariatsverwaltung zurückkommen, dann um zu unterstreichen, was wir am 8. Januar bei Bekanntgabe der erwähnten Konstitution in unserer Bischofskirche St. Johannes im Lateran gesagt haben: "Wir spüren mit lebhafter Sorge die Verantwortung, die wir vor Christus als Bischof dieser Ortskirche tragen, die mystisch wie historisch eine besondere Stelle in Gottes Plan einnimmt. Denn unsere Pflicht ist es, im Dienst des Wortes und durch die Sakramente die Heiligkeit Christi in die Herzen der Gläubigen einzusenken, ihr Leben rein von jedem übel zu bewahren und soweit möglich ins Gute zu wenden, damit wir zusammen mit ihnen zum ewigen Leben gelangen" (AAS 69, 1977, S. 54).
Gedenken wir auch - zum sichtbaren Beweis dafür, dass die Heiligkeit ein wesentliches Merkmal der Kirche seit ihrer Gründung ist - der Männer und Frauen, die wir zu unserer Freude und Ehre in diesem Jahr als heroische Beispiele einer in der Schule des Evangeliums Christi gebildeten segensreichen und ausstrahlenden Menschlichkeit der Kirche zur öffentlichen Verehrung vorstellen konnten. Wir nennen die neue Heilige Raffaella Maria vom heiligen Herzen Jesu, Gründerin der Dienerinnen vom heiligen Herzen Jesu, die am 23. Januar heiliggesprochen wurde; die neue Selige Maria Rosa Molas y Vallve, Gründerin der Schwestern Unserer Lieben Frau vom Trost, die am 8. Mai zur Ehre der Altäre erhoben wurde; die Heiligsprechung des Bischofs von Philadelphia, Johann Nepomuk Neumann, am 19. Juni; die Heiligsprechung des Mönches Charbel Makhlouf aus dem libanesischen Maroniterorden am 9. Oktober; und schließlich die Seligsprechung der beiden Christlichen Schulbrüder, Mutie-Marie Wiaux und Miguel Febres Cordero am 30. Oktober. Sie sind ebenso schlichte wie große Gestalten, die ihre öffentliche Beachtung der Ausserordentlichkeit ihres Lebens verdanken, das ganz der Ehre Gottes und der Förderung der Seelen gewidmet war, und die bis zur Stunde eine lebendige, unauslöschliche Spur hinterlassen haben. Sie erinnern uns daran, dass wir uns nicht vom Strudel des Alltäglichen und Zweitrangigen mitreißen lassen. Denn - wie die Konzilskonstitution über die Kirche betont hat - "alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges sind zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen. Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschlichere Weise zu leben gefördert" (Lumen gentium, N r. 40). Wir wollen dem Herrn danken, dass uns jedes Jahr zu dieser grundlegenden Betrachtung darüber mahnt, dass er uns alle zur Heiligkeit ruft, ohne die wir nur ein" tönendes Blech oder lärmendes Schlagzeug" wären (1 Kor 13, 1).
Erinnern wir noch kurz an das Konsistorium im vergangenen Juni, bei dem wir unter anderem fünf treue Diener der Kirche und des Apostolischen Stuhls in das Heilige Kollegium aufgenommen haben. Wir dürfen auch nicht die schweren Verluste vergessen, die dieses höchste Gremium der Kirche durch den Tod von Männern betroffen haben, die sich ganz dem Leben der Kirche gewidmet hatten, ihre Kräfte in rastlosem Dienst verbrauchten und deren Andenken gesegnet bleibt.
Unvergesslich in unser Herz eingeprägt hat sich aber auch die teure Erinnerung an unsere Teilnahme am Italienischen Eucharistischen Nationalkongress zu Pescara am 17. September. Die gute und fleißige Bevölkerung der Abruzzen, aber auch alle, die aus den anderen Regionen dorthin gekommen waren, konnten mit ihrer schweigenden und tiefen Glaubenshaltung keinen höheren und überzeugenderen Beweis ihrer starken und innigen Liebe zum eucharistischen Christus geben. Vor allem die jungen Leute haben uns erbaut durch ihr herrliches Zeugnis eines in Freude und Offenheit gelebten Christentums. Wir erinnern uns noch immer an die im Gebet um den Altar versammelte Menge, die aufmerksam unseren bescheidenen Worten zuhörte als ein beredtes Zeichen dafür, dass die Zeit reif ist, um in Selbstbewusstsein und Überzeugung die höchsten Werte des göttlichen Gesetzes und die Grundlagen geordneten bürgerlichen Zusammenlebens zu verteidigen.
Aber wir möchten vor allem zwei Ereignisse dieses Jahres hervorheben, denen eine Bedeutung und Tragweite zukommt, die über jede zeitliche Grenze hinausweist.
Das erste ist die Versammlung der Bischofssynode im Oktober, bei der sich in zahlreichen intensiven Sitzungen die Vertreter der Bischofskonferenzen der ganzen Welt mit brennenden und unaufschiebbaren Problemen der Katechese befassten, unter besonderer Berücksichtigung der Kinder und Jugendlichen. Wir haben nicht unterlassen, bei vielen Gelegenheiten die Bedeutung dieser Versammlung hervorzuheben, in deren Mittelpunkt das für die Kirche entscheidende und grundlegende Wort stand: "Verkündet der gesamten Schöpfung das Evangelium!" (Mk '16,15). An dieser Stelle ist nicht der Platz, die weit gespannte Thematik erneut aufzugreifen. Wir möchten aber den Synodalvätern für den Reichtum ihrer Arbeitsbeiträge danken, für ihre sachkundigen Stellungnahmen und Vorschläge, die, weil sie alle Gebiete und alle Kulturräume berücksichtigen, äußerst interessant und nützlich sind, und ebenfalls für den einmütigen Willen, trotz deutlicher Unterschiede in Mentalität und Bedürfnissen der Evangelisierung der modernen Welt eine vorrangige Bedeutung zuzuerkennen. Vor allem erkennen wir wieder einmal die Gültigkeit der vom II. Vatikanischen Konzil gewünschten Bischofssynode, deren Einrichtung von uns bereitwillig realisiert wurde und die von allen unseren Brüdern im Bischofsamt eifrig unterstützt wird. Nach der in diesen Jahren gemachten Erfahrung hat sie sich als unersetzliches Instrument der Zusammenarbeit erwiesen; als reiche Fundgrube von Informationen und Aussagen über die - wie man heute zu sagen pflegt - brennendsten Probleme der kirchlichen Pastoral, die sich unserer Aufmerksamkeit und unserem allgemeinen Hirtenamt stellen; aber auch als glücklichen Weg der Begegnung unter den Bischöfen für das gemeinsame Studium der Probleme und die rechtzeitige und durchdachte Programmierung einer Aktion auf Weltebene, die den Notwendigkeiten von heute wirklich entspricht.
Das zweite Ereignis ist die nach zwölf jähriger Arbeit abgeschlossene Revision der lateinischen Vulgata durch die jetzt erfolgte Publikation aller biblischen Bücher in der Ausgabe, die die dafür bestellte Kommission besorgte. Diese Kommission wurde von uns am 29. November 1965 kurz nach Ende des Konzils eingesetzt. Im folgenden Jahr, bei der gleichen Gelegenheit wie heute, gaben wir Kenntnis von der schon unter Leitung ihres damaligen Präsidenten, Kardinal Bea, begonnenen Arbeit an der Vorbereitung "einer - wie wir sagten - Ausgabe, die sowohl vom Fortschritt der Bibelstudien als auch von der Notwendigkeit her, der Kirche und Welt einen neuen und verbindlichen Text der Heiligen Schrift zu bieten, erwünscht und geboten scheint. Man denkt an einen Text, in dem jener der Vulgata des hl. Hieronymus dort wörtlich beibehalten werden soll, wo er getreu den Originaltext wiedergibt, wie er uns in den gegenwärtigen wissenschaftlichen Ausgaben vorliegt; er wird aber dort klugerweise korrigiert werden, wo er davon abrückt oder ihn nicht richtig interpretiert, wobei man sich zu diesem Zweck der Sprache der christlichen biblischen Latinität bedienen will, um auf diese Weise die Achtung vor der Tradition und die berechtigten kritischen Forderungen unserer Zeit auf einen Nenner zu bringen. Die lateinische Liturgie wird auf diese Weise über einen einheitlichen, wissenschaftlich einwandfreien, mit der Überlieferung, der Hermeneutik und der christlichen Latinität übereinstimmenden Text verfügen; er wird auch als Ausgangspunkt für die Übersetzungen in die modernen Sprachen dienen" (AAS 59, 1967, S. 53 f.).
Diese Erwartung hat sich erfüllt. Dank der Zusammenarbeit einer kleinen und geschulten Gruppe von Experten auf den verschiedenen Sektoren der Bibel- und Sprachwissenschaft konnte die Revision abgeschlossen werden. Der Text ist, soweit das möglich war, schon in breitem Umfang in die Ausgaben der in den letzten Jahren veröffentlichten liturgischen Bücher aufgenommen worden und wurde durchgängig bei den von uns gehaltenen liturgischen Feiern verwendet. Uns freut der Gedanke, dass der Text als sichere Grundlage für die biblischen Studien unseres geliebten Klerus dienen kann, vor allem da, wo die Benutzung von Spezialbibliotheken oder die Ausweitung der zugehörigen Studien schwieriger fällt. Und damit der ganze Text, der jetzt in getrennten Ausgaben vorliegt, allen zugänglich sein kann, wird er in einem einzigen, großen, eleganten und handlichen Band erscheinen, der der Würde der Heiligen Schrift und der Bedeutung des Ereignisses entspricht. Eine Kommission ist bereits an der Arbeit, um diese Initiative zu realisieren.
Wir freuen uns sehr, davon Kenntnis geben zu können, während wir vor Gott unseren Dank für den Abschluss dieses Unternehmens aussprechen und darum beten, er möge mit seiner Gnade ihre wohltätigen Wirkungen für die Zukunft begleiten, "damit das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird" (2 Thess 3, 1). Das allein war auch die Absicht, die uns geleitet hat.
Wir haben - wie üblich - bei diesem tröstlichen. Rückblick auf das ablaufende Jahr die wichtigsten Momente der Arbeit des Heiligen Stuhls und der ganzen Kirche in Erinnerung gebracht. Aber diese Tätigkeit besitzt, wie wir wissen, einen größeren Umfang und ist erscheinungsreicher als sich aufzählen lässt; sie lässt sich nicht in Tabellen oder Rechenschaftsberichten unterbringen. Sie ist unmerklich und tiefgründig wie das Leben, das ständig pulsiert.
Die Gnade Gottes ist im Herzen derer am Werk, die sie aufnehmen, und hier wirkt sie Wunder an Hochherzigkeit, Licht, Kraft, Treue und apostolischem Geist. Die aus dem dichten Geflecht aller Gläubigen gebildete Kirche erstreckt sich in die Welt wie ein Baum, der den Vögeln des Himmels Schutz gibt (vgl. Mt 13, 31-32), sie ist wie ein Sauerteig, der das Ganze durchsäuert (vgl. Mt 13,33). Und diese Tatsache, die wir gern durchdenken und für die wir beten, erfüllt unser Herz mit Hoffnung und Trost.
Wir denken an unsere teuren Priester, die dem Volk Gottes die Nahrung des Wortes Gottes und des eucharistischen Brotes vermitteln in einem Dienst, der Tag für Tag an der Zukunft baut. Wir denken an die Männer und Frauen in der Mission, die dem Ruf Christi gefolgt sind und auf den Vorposten der Kirche stehen, oft genug isoliert, ohne angemessene Mittel, nur vom Glauben getragen. Sie teilen die Not, das Leid und die Entbehrungen derer, denen sie die befreiende Botschaft des Evangeliums bringen. Wir denken an die Ordensfrauen, die wie fleißige Bienen in mütterlicher Aufopferung, die ein Bild der Ganzhingabe der Jungfrau Maria darstellt, im kontemplativen oder aktiven Leben ununterbrochen den Menschen in ihren geistlichen und materiellen Nöten beistehen, vor allem den Kindern, den Armen, den Kranken. Wir denken an die Familien, die sich ihrer Verpflichtung zum christlichen Aufbau der Gesellschaft bewusst sind. Wir denken an die jungen Menschen, die sich auf die Verantwortung von morgen vorbereiten und die Kraft haben, gegen den Strom von soviel ideologischem und moralischem Konformismus zu schwimmen, und hier richten wir ein besonderes Wort der Ermutigung an die Seminaristen und die Ordens-Novizen, die den Mut haben, ihr Leben Christus, dem Herrn, zu weihen.
Es ist eine Fülle des Lebens, die sich vor unserem Blick ausbreitet und die uns versichert, dass wir mit Zuversicht und Vertrauen auf das Morgen schauen können, wenn wir freien Herzens auf dem Weg weitergehen, den uns die vorsorgliche Güte Gottes weist.
Jetzt, an der Schwelle des neuen Jahres, kommen wir nicht umhin, allen unseren Söhnen in der Welt wie auch allen Menschen, gleich welcher Sprache und Nation - vor allem aber den von Entbehrung, Unterdrückung, Leid und unheilvollen Naturkatastrophen am härtesten geprüften - Glück und Freude zu wünschen. Dieser Wunsch kommt aus dem Glauben an das fleischgewordene Wort Gottes, das in die Welt gekommen ist, um die messianischen Gaben der Gerechtigkeit und des Friedens zu bringen.
In diesem Licht begrüßen wir das kommende Jahr. Denn auch dieses trägt schon den Stempel Gottes, und in seiner Entwicklung wird sich die Kontinuität des einzigartigen Erlösungs- und Heilsplanes zeigen, der alle Menschen umfasst. Die Kirche, erste Mitarbeiterin des mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes begonnenen Heilswerkes, setzt in der Zeit ihren Auftrag, zu verkündigen, zu lehren und zu heiligen, fort. Und sie ist auf ihrer geistlichen Ebene, aber auch auf materiellem Gebiet bereit, allen Menschen ihre Mitarbeit anzubieten. Denn ihre Söhne sind berufen, sich für den Fortschritt und die Weiterentwicklung der Menschheit zu engagieren, wie die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihrer programmatischen Begründung erklärt. Kein Hindernis, keine Schwierigkeit kann die Kirche von diesem Ziel abbringen, keine Verfolgung sie einschüchtern. Die Sprengkraft des Wortes Gottes, der einer von uns wurde, um alle zu erlösen, stützt mit der Konsequenz des Kreuzes und der Auferstehung das Werk, das die Kirche demütig, aber entschieden unter den Menschenbrüdern verfolgt. Sie ist aufgrund ihrer institutionellen wie charismatischen Natur berufen, zu zeigen, dass Christus das Licht der Welt ist (vgl. Joh 8, 12).
Das ist ihre Ehre und ihre Pflicht, aber andererseits auch die Aufgabe all ihrer Söhne. Das war immer schon so und ist es heute besonders. Alle Christen sind in dieser entscheidenden Stunde die in sich die Keime durchgreifender Erneuerung, aber auch zersetzender Kraft trägt: wie zu allen Zeiten der Umwälzung der Geschichte - berufen, ihren Beitrag zur Errichtung einer gerechteren und besseren Ordnung zu leisten, die auf der Achtung vor dem göttlichen Gesetz gründet, das allein die Achtung vor dem Menschen garantiert. Dunkle Schatten verdichten sich über der Menschheit: die blinde Gewalt, die Bedrohung des menschlichen Lebens im Mutterschoß, der brutale Terrorismus, der nach dem utopischen Plan einer aus der Asche der Zerstörung entstehenden Wiedergeburt nur Hass und Ruinen auftürmt, die Zunahme der Kriminalität, die Diskrimination und die Ungerechtigkeiten in aller Welt, der Verlust religiöser Freiheit, die Ideologie des Hasses sowie die durch die Pornographie der Massenmedien entfesselte Verteidigung der niederen Instinkte, die, mit pseudokulturellem Anstrich aus Durst nach Geld und einer schamlosen Ausbeutung der menschlichen Person bemäntelt, die frischen schöpferischen Energien des Geistes und des Herzens der Kinder und Jugendlichen durch ständige Drohungen und Verlockungen untergräbt und austrocknet. All das zeigt, wie die Hochschätzung der sittlichen Werte zugunsten einer geheimen und organisierten Aktion des Lasters und des Hasses erschreckend gesunken ist. Wir dürfen vor dieser Realität, die leider eine Hinterlassenschaft der am höchsten entwickelten Völker ist, nicht schweigen; um so mehr als eine kleine Minderheit, die im Verborgenen arbeitet und das so teuer erkaufte Geschenk der Freiheit missbraucht, nicht ungestraft weitere Anschläge auf das geordnete Zusammenleben und den Fortschritt der Menschen, auf die moralische Gesundheit der Mehrheit ausüben darf, die schon müde wird, nach so Hohem zu streben und in ihrem elementaren Bedürfnis nach aufbauender Arbeit eingeschüchtert ist, so daß sie vielleicht - das wäre sehr traurig - vor dem übel resigniert.
Wir appellieren an alle Menschen guten Willens mit dem Hinweis auf das, was wir in der letzten Botschaft zum bevorstehenden Weltfriedenstag 1978 gesagt haben. Vor allem rufen wir die Bischöfe, die Priester, die christlichen Männer und Frauen auf, durch geeignete Maßnahmen die Kräfte einzudämmen, die die sittliche Ordnung zersetzen, die Gewalttäter zu isolieren, die Ausbeuter abzudrängen und allen Aktionen, die im Widerspruch zur angeborenen Würde des Menschen stehen, zivilen und angemessenen Widerstand entgegenzustellen. Denn der Mensch ist das Ebenbild Gottes und von Christi Blut erlöst. Ein ängstliches Nachgeben könnte zu schrecklichen Konsequenzen führen. Denken wir daran, solange noch Zeit ist.
Die Zukunft liegt in den Händen Gottes, aber sie hängt auch vom Gewissen und der Arbeit der Menschen ab. Wir vertrauen darauf, dass die große und schweigende Mehrheit der gutwilligen, gesunden und gewissenhaften Menschen der ganzen Welt ohne Zögern und Furcht in ihrer Arbeit für den friedlichen Aufbau der menschlichen Gesellschaft fortzufahren versteht.
Bei Gelegenheit dieser weihnachtlichen Begegnung ist es unsere Gewohnheit, den Blick über die inneren Probleme der Kirche hinaus auch auf ihre Beziehung zur Welt zu richten, in der sich ihr Leben entwickelt und von deren Verhalten so oft die Möglichkeiten, ja die Freiheit der Kirche, sich nach außen kundzutun, abhängen, wie auch auf die internationale Lage, unter den Aspekten, die am engsten die sittliche Ordnung und die Solidarität - christlich ausgedrückt: die Liebe - unter den Menschen berühren.
Wenn wir Zeit dazu hätten, würden wir uns gern bei einem Gegenstand aufhalten, der durch seine Aktualität und Bedeutung in immer breiterem Maß die Aufmerksamkeit, man kann wohl sagen: der ganzen Welt auf sich zieht, nämlich der Achtung der Menschenrechte, nach deren Respektierung die Menschen und Völker aller Kontinente immer mehr das Bedürfnis verspüren, während die Beleidigungen, die man ihnen antut und denen man leider in so vielen Teilen der Welt begegnet, noch stärker verspürt werden.
Wir behalten uns vor, bei nächster Gelegenheit auf diese Frage zurückzukommen. Denn sie besitzt auch in unseren Augen einzigartige Bedeutung für unsere Zeit und verdient daher, zum Gegenstand besonderer Überlegungen gemacht zu werden.
Heute, im Licht dessen, der gekommen ist, um durch seine Geburt die Menschheit von der Knechtschaft der Sünde, dem Egoismus und Hass zu erlösen, möchten wir wenigstens allen, die aufgrund ungerechter Strukturen oder unter dem bösen Willen der Menschen leiden, unsere aufrichtige Teilnahme aussprechen und hoffen, dass das Bewusstsein einer Verpflichtung, die gleich läuft mit den höheren Interessen friedlichen menschlichen Zusammenlebens, die Oberhand gewinne über den Geist der Gewalttätigkeit, der dazu treibt, das gute Recht der anderen zu missachten, ob sie nun Einzelpersonen, soziale Gruppen oder ganze Völker seien.
Unsere Verbundenheit im Leiden und unsere guten Wünsche sprechen wir besonders all denen aus, die Unterdrückung und ungerechte Beschränkungen bei der Ausübung des ersten aller Menschenrechte erleiden, nämlich des religiösen Gewissens und des öffentlichen Bekenntnisses zum Glauben, entsprechend ihrer eigenen Überzeugung, ihrer eigenen Überlieferung oder ihrem eigenen Ritus. Ein Recht, das so oft und von allen, wenigstens in Worten, im Prinzip anerkannt und verkündet wurde (es möge genügen, an die Erklärungen und Pakte der Vereinten Nationen und - für Europa - an die jüngsten Verpflichtungen der Schlussakte der Konferenz von Helsinki zu erinnern), die aber so oft und auf vielfache Weise mit Füßen getreten werden (wie in unseren Tagen - um nur ein nahe liegendes Beispiel zu nennen - in der kleinen, aber uns so teuren Republik Albanien).
Wir möchten allen, die leiden, noch einmal sagen, dass unser Ohr nicht taub ist und unser Herz - muss das noch gesagt werden - nicht unempfindlich für die Klagen und Hilferufe, die von ihnen aufsteigen.
Unsere Pflicht und unser Vorsatz ist, mit allen unseren Kräften auf Wegen und Weisen, die uns möglich, geeignet und wirksam scheinen, ihnen zu helfen.
Wir möchten noch ein besonderes Wort zur Lage im Mittleren Osten anfügen. Wir verfolgen mit Aufmerksamkeit und ganz besonderem Interesse die dortige Entwicklung. Ohne in der Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Meinungen, die sich hier kundgeben, Partei ergreifen zu wollen, können wir doch nicht die Hoffnung verbergen und den Wunsch verschweigen, dass die in Gang befindlichen Initiativen, die so mutig sind, dass sie gewagt scheinen könnten, einen Prozess in Bewegung setzen, der endlich, dank der Beteiligung und dem guten und klugen Willen aller Verantwortlichen, Lösungen finden lässt, die den Kriterien der Gerechtigkeit, der Billigkeit und der politischen Hellsichtigkeit entsprechen und jenen menschlichen Empfindungen, die allein die so vielfältigen und in sich oft widersprüchlichen Forderungen, Erwartungen und Interessen in angemessener Weise ins Gleichgewicht bringen können.
Der Heilige Stuhl hat es nicht unterlassen, auch bei dieser Gelegenheit diskret, aber vertrauensvoll seine eigene Vorstellung kundzutun, speziell zu den Punkten, die seine Mission der Nächstenliebe und seine Verantwortung gegenüber den legitimen Interessen der Christenheit berühren. Wir wiederholen hier noch einmal den Wunsch, dass dieses seit Jahren bestehende schwierige Problem einer gerechten Lösung zugeführt werde, damit die Bevölkerung dieser an Welt- und Religionsgeschichte so reichen und gemarterten Gegend einen gerechten und dauerhaften Frieden genießen kann.
Wir empfehlen all unsere Wünsche, die Gegenstand dieser Ansprache waren, der mütterlichen Fürsprache der heilige Jungfrau und Mutter, der Königin des Himmels. Wir wenden uns an sie um die Gnade, in unseren Herzen den Sohn Gottes aufnehmen zu dürfen, wie sie ihn in ihren unbefleckten Schoß aufnahm, um ihn als Mutter der Kirche der Welt zu schenken. In diesen letzten Adventstagen wird sie uns den sichersten Weg zeigen, zu Christus zu kommen, und uns zu ihm hinführen.
Dass das kommende Weihnachtsfest nach dem Beispiel und unter dem Schutz Mariens eine entscheidende Begegnung des Glaubens und der Liebe mit unserem Erlöser werde, das ist unser noch einmal wiederholter Wunsch, begleitet von unserem herzlichen Segen.
Anmerkungen
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