Schweizer Staatskirchentum

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In der Schweiz ist die religiöse, kirchliche (kanonische) von der staatskirchlichen (staatskirchenrechtlichen) Organisationsform zu unterscheiden.

Neben den kirchlichen Strukturen (Pfarrei - Bistum - Weltkirche) gibt es eine zweite Struktur, die zusammenfassend als Schweizer Staatskirchentum bezeichnet werden kann. Dabei ist zu beachten, dass in jedem Kanton der Schweiz die staatskirchenrechtliche Organisationsform unterschiedlich sein kann, wie auch die Namen für die jeweiligen Institutionen. Die Schweiz ist zwar säkularisiert, aber die Religion wird vom Staat dominiert. Der Staat erkennt nämlich seinerseits nur die staatlichen Organisationsformen der Kirche an, nicht aber die Kirche und deren supranationales Kirchenrecht selbst. Die Schweiz hat erst seit dem Papstbesuch im Jahre 2004 einen Botschafter beim Kirchenstaat.

Struktur / Organisation

Da es 26 unterschiedliche Systeme und Namen gibt, sei hier nur beispielhaft Bezug genommen auf den Kanton St. Gallen:

  • Auf der Stufe der Pfarrei gibt es die Kirchgemeinde. Alle Katholiken sind Mitglieder der Kirchgemeinde und müssen auch dieser die Kirchensteuer abliefern. Der Kirchenrat oder -vorstand leitet die Amtsgeschäfte und wird demokratisch gewählt.
  • Aus den Kirchgemeinden werden Vertreter in die Landeskirche gewählt, im Kanton St. Gallen trägt diese den Namen Katholisches Kollegium (Katholisches Konfessionsteil des Kantons St. Gallens). Es ist ein Parlament, genannt Synode.
  • Aus den Vetretern wird eine Art "Exekutive" (SG: Administrationsrat) gewählt, die, nebenbei gesagt, im Bistum St. Gallen Bischofskandidaten von einer Liste des Papstes streichen kann.
  • Die einzelnen Landeskirchen sind zwar in der "Römisch-katholischen Zentralkonferenz" zusammengefasst (kurz: RKZ). Diese ist aber privatrechtlich verfasst.

System

Der Pfarrer gehört zwar meist zum Kirchenrat, aber oft nur mit beratender Stimme, wie im Kanton St. Gallen. Erst durch die Wahl durch die Kirchgemeindeversammlung eines Pfarradministrators oder -moderators zum Pfarrer hat ein Priester die Rechte eines Pfarrers. Bei einer Nichtwahl kann der Bischof einen Priester nur interimistisch weiter in so einer Kirchgemeinde belassen. Das Gehalt bekommt der Pfarrer, wie alle kirchlichen Angestellten, von der Kirchgemeinde.
An einigen Orten gibt es für den Pfarrer sogar die Pflicht, sich einer regelmässigen Wiederwahl stellen zu müssen.

Jeder Kanton in der Schweiz hat einen eigenen Vertrag (Konkordat) mit dem Heiligen Stuhl. Ein Bistum hat daher bis zu elf Verhandlungspartner (so das Bistum Basel).

Ansprechpartner für den Staat, die Katholiken in der Schweiz betreffend, sind Repräsentanten der staatskirchlichen Organisationen, also der Sekretär der RKZ, der Präsident der Landeskirche.

Die Ausbildung von kirchlichen Mitarbeitern kann ein Bischof lediglich bei seinem Regens, bei seinem diözesanen Programm, bestimmen. Jedoch sind Professoren an den Universitäten nicht vom Bischof beauftragt, sondern vom Aufsichtsrat einer Universität. Dies gilt aber nur bedingt für die beiden theologischen Hochschulen in Lugano und Chur.

Kirchensteuer

Die finanziellen Mittel, die die Kirchgemeinde einziehen darf, kann sie selber verwalten, ausgeben, usw. Wenig davon geht ans Bistum, an die Pfarrei, weit mehr an die kantonale staatskirchliche Organisationsform. Die Kirchensteuer wird auf kommunaler Ebene (Kirchgemeinde) erhoben, dann ungefähr im Verhältnis 1:10:100 an Bistum, Landeskirche und Kirchgemeinden verteilt. Die Aufgabe der Kirchgemeinden wäre es, für den Unterhalt aufzukommen, jedoch die Seelsorge nicht inhaltlich zu dominieren. Doch haben finanzielle Entscheidungen bekanntlich immer auch pastorale Auswirkungen.

Prinzipien

  • Der Staat erkennt nur eine Organisation innerhalb des Staates an, die sich demokratisch organisiert. Prinzip Demokratie.
  • Die Entscheide werden von der Basis, vom Volk, gefällt. Prinzip Volkskirche/Basiskirche.

Problemfelder

  • Ein Pfarrer, der wiedergewählt werden muss von seinen Gläubigen, befindet sich de facto in einer "Maulkorbsituation". Die Lehre der Kirche kann so nicht mehr authentisch verkündigt werden; und wenn nur in einer "untergrundkirchlichen Situation".
  • Ein Bischof der Schweiz ist beschnitten in seinen kanonischen Rechten, einen Pfarrer für eine Pfarrei zu bestellen.
  • Der Bischof/Pfarrer ist finanziell abhängig von den Kirchgemeinden/Landeskirchen, die Machtkonzentration liegt bei den staatskirchenrechtlichen Institutionen.
  • Ein Bischof kann sein zukünftiges Personal in der Ausbildung nicht von etwaigen Irrlehrern fernhalten.
  • Die Bischofsbestellung ist abhängig von demokratisch-volkskirchlichen Einstellungen, der Papst kann den Konkordaten zufolge nicht ohne Weiteres einen Bischof einsetzen, wie er dies in fast allen Diözesen der Welt durchsetzen kann.
  • Ein Bischof hat durch die Beschneidung seiner kanonischen Kompetenzen mitunter nur noch repräsentative Funktionen (siehe Konflikt in der Pfarrei St. Anna, Röschenz (BL).
  • Die katholische Kirche als solche ist kein gleichwertiger Partner für die Schweizerische Eidgenossenschaft.
  • Es gibt allerdings keine Kirchenprovinz in der Schweiz, alle Bischöfe sind formal dem Papst direkt unterstellt. (Das II. Vatikanische Konzil hat aber klar abgelehnt, solche exemten Situationen fortzuführen.)
  • Durch die dopppelte Struktur wird die Kirche in der Schweiz gelähmt.
  • Die durchsetzungsstärksten Laien bekommen in diesem System eine ihnen nicht zukommende, autoritäre Rolle in der Kirche.
  • Es tritt eine Art Spaltung auf zwischen den staatskirchenrechtlichen und kanonischen Strukturen.
  • Der Staat zwingt so die Kirche in ein demokratisches Korsett und will die Kirche so in den Strukturen demokratisieren. Damit sind Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Katholiken verbunden; trotz der vertraglichen Zusicherung der Schweiz, sich bei den Religionsgemeinschaften (auch in strukturellen und organisatorischen Belangen) nicht einzumischen.
  • Eine Abspaltung der Nationalkirche bzw. der Kantonalkirchen der Schweiz von der röm.-kath. Universalkirche droht.

Geschichte

Diese staatskirchenrechtliche Organisationsform ist stark durch protestantische Einflüsse gewachsen und kann nicht mit dem kanonischen Recht in Einklang gebracht werden. Der gegenwärtige Zustand hängt auch mit den Folgen des Vatikanum I zusammen (Primat, Unfehlbarkeit).

"Im Jahre 1875, auf dem Höhepunkt des Kulturkampfs, ließ Bismarck in Preussen ein Gesetz einführen, das die Schaffung von “Kirchengemeinden” vorsah. Diese demokratisch gewählten und strukturierten Gremien sollten fortan unabhängig vom Bischof und vom Pfarrer das Kirchenvermögen verwalten. Der Verfasser dieses Gesetzes, der evangelische Kirchenrechtler Paul Hinschius, erläuterte damals, welches Ziel dieses Gesetzes habe: Es biete “den Laien die Möglichkeit, bei der Verwaltung ihrer kirchlichen Vermögensangelegenheiten sich dem alles beherrschenden Einfluss des Klerus zu entziehen, und [es] kann der Ausgangspunkt für eine Zurückweisung der klerikalen Bevormundung auch in anderen Beziehungen werden”."

"In der Schweiz ist das Rezept der Kulturkämpfer [nach 1870], die Kirche durch die Schaffung einer zweiten Hierarchie zu spalten und zu lähmen, aufgegangen. Schon mitten im Kulturkampf verloren die Katholiken per Mehrheitsentscheid der Mitglieder der Kirchgemeinden etwa in Zürich oder Bern ihre Kirchgebäude an die Christkatholiken. Diese vermochten sich in der Folge indes nie wirklich zu etablieren und stellen heute eine Religionsgemeinschaft mit einigen Tausend Mitgliedern dar. Nachhaltiger ist die Wirkung des Kirchgemeinde- und ‘Landeskirchen’-Systems, das bis heute in den meisten Kantonen besteht. Es führt zu einer zweiten Kraft in der Kirche. Denn wie seinerzeit von Bismarck in Deutschland geplant, liegt in der Schweiz die Finanzkompetenz bei den Kirchgemeinden, die sie unabhängig vom Bischof und vom Pfarrer wahrnehmen."

"Was Bismarck in Deutschland nicht gelungen ist, hat sich also wenigstens in der deutschsprachigen Schwe­iz - und diese ist das Problem - verwirklichen lassen. Die Entstehung des Systems war freilich in den einzelnen Kantonen verschieden. Es gab ursprünglich drei Typen, deren Entwicklung jedoch heute überall im Vollausbau des ‘Landeskirchen’- und Kirchgemeindesystems konvergiert. In ursprünglich reformierten Kantonen wie etwa Bern oder Zürich wurden die Katholiken an ihren Bischöfen vorbei von intoleranten Kräften regelrecht in das ‘Landeskirchen’- und Kirchgemeindesystem hineingezwungen. In konfessionell gemischten - so genannt ‘paritätischen’ - Kantonen wie etwa dem Aargau setzten sich im 19. Jahrhundert die Katholiken - gut gemeint - für ein solches System ein, weil sie dadurch verhindern konnten, dass die Reformierten über katholische Angelegenheiten (mit-)entscheiden konnten.

In katholischen Kantonen der Innerschweiz existierte teilweise schon seit dem Spätmittelalter ein auf die Pfarreien beschränktes ‘Kirchgemeinde’-System, das schon damals dem kirchlichen Recht widersprach, in der Praxis aber meist mehr oder weniger funktionierte, weil die beteiligten Laien noch im Sinne der Kirche handelten. Allerdings kennt man schon aus dieser Zeit Berichte, wonach die Pfarrer geknechtet worden seien und sie bei heiklen Themen Ordensleute hätten auf die Kanzeln schicken müssen. Aber es waren noch andere Zeiten. Viele Laien haben sich mit gutem Willen und mit besten Absichten zum Teil über lange Zeit vor allem auf der Ebene der ‘Kirchgemeinden’ für die Kirche eingesetzt und gute Arbeit geleistet. Und auch heute ist sicher nicht nur der Geist Bismarcks am Werk: Viele Laien wirken auch heute noch in den erwähnten Gremien mit in der ehrlichen Absicht, der Kirche zu dienen, oft auch deshalb, weil es ja keine andere Möglichkeit gibt."

(Zitate entnommen: Kath.net)

Kirchensteuer als 'Gretchenfrage'

Ein Schreiben des Rates zur Auslegung der Gesetzestexte Ende 2005 hat für einige Diskussionen gesorgt. In dem Schreiben sagt der damalige Präsident Julian Kardinal Herranz, dass ein ein Austritt aus einer staatskirchenrechtlichen Organisation (sprich Kirchgemeinde, Staat) nicht dem Glaubensabfall gleichzusetzen sei. Wenn ein Katholik also den Austritt aus der Kirchgemeinde, nicht aber der Kirche, verlangt, sei er als katholisch anzusehen. Kath.net-Dokument

Doch dies wäre, konsequent zu Ende gedacht, das Ende der Form wie in den deutschsprachigen Ländern die Kirchensteuer einzuziehen, bzw. das Ende des staatskirchenrechtlichen Gefüges der Schweiz, käme es zu einem von vielen (auch treuen) Laien mitgetragenen Kirchensteuerboykott.

Literatur / Zitate

  • S.H. Papst Johannes Paul II. anlässlich des ad-limina Besuchs der Schweizer Bischöfe, Sept. 97:

„Das Leben der Ortsgemeinden muss sich in die Strukturen einfügen, die der Kirche eigen und anders geartet sind als die bürgerlichen Institutionen."

„Ja, ich denke schon, dass in vieler Hinsicht das amerikanische Modell besser ist. Europa war im Staatskirchentum festgefahren; die Leute, die nicht einer Staatskirche zugehören wollten, sind nach Amerika gegangen und haben also bewusst einen Staat geschaffen, der selber nicht eine Kirche vorschreibt, der aber nicht einfach als religiös neutral erfahren wurde, sondern als der Raum, in dem Religionen sich bewegen können und auch öffentliche Gestaltungsfreiheit haben, nicht bloss ins Private verwiesen sind. Insofern kann man ohne Zweifel von Amerika lernen. Dass wir das jetzt nicht so einfach auf uns übertragen können, ist mir klar, aber der Vorgang, dass der Staat Raum gibt für Religionen, sie aber nicht selber vorgibt, aber doch wieder davon lebt, dass sie da ist und öffentlich Gestaltungskraft hat, ist sicher eine positive Form.“

Weblinks