Sacrae disciplinae leges
Sacrae disciplina leges |
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Johannes Paul II.
Diener der Diener Gottes
zur bleibenden Erinnerung
An die ehrwürdigen Brüder Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Presbyter, Diakone und alle Mitglieder des Gottesvolkes!
zur Promulgation des neuen kirchlichen Gesetzbuches
25. Januar 1983
(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; siehe auch: DAS 1983, S. 747-752; Das deutsche Schreiben als Worddokument bei Kathtube zum Download; Die englische Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Die katholische Kirche pflegte im Laufe der Zeit die Gesetze der kirchlichen Lebensordnung zu revidieren und zu erneuern, damit diese bei steter Wahrung der Treue gegenüber ihrem göttlichen Stifter in geeigneter Weise der ihr anvertrauten Heilssendung entsprechen. Von eben diesem Vorsatz geleitet, erfülle ich endlich die Erwartung der ganzen katholischen Welt und verfüge heute, am 25. Januar 1983, die Veröffentlichung des revidierten Kodex des kanonischen Rechts. Während ich das tue, denke ich zurück an jenen 25. Januar des Jahres 1959, an dem mein Vorgänger seligen Angedenkens, Johannes XXIII., zum ersten Mal öffentlich seinen Entschluß zur Reform des gültigen kirchlichen Gesetzbuches bekanntgab, das zu Pfingsten des Jahres 1917 promulgiert worden war.
Diese Entscheidung zur Revision des kirchlichen Gesetzbuches wurde zusammen mit zwei anderen Entscheidungen getroffen, von denen dieser Papst ebenfalls an jenem Tag -gesprochen hat; sie betrafen die Absicht, eine Synode der Diözese Rom abzuhalten und ein Ökumenisches Konzil einzuberufen. Während das erste dieser Ereignisse die Revision des Kodex nicht berührte, so ist dagegen das zweite, nämlich das Konzil, von höchster Bedeutung für unser Thema und aufs engste mit ihm verknüpft.
Wenn man sich fragt, warum Johannes XXIII. deutlich die Notwendigkeit gespürt habe, die Reform des geltenden Gesetzbuches zu veranlassen, wird man die Antwort vielleicht in dem 1917 erlassenen Kodex des kanonischen Rechts selbst finden. Doch es gibt noch eine andere und zugleich entscheidende Antwort: daß nämlich die Reform des Kirchenrechts vom Konzil selbst, das der Kirche die meiste Aufmerksamkeit gewidmet hatte, durchaus gewollt und sogar gefordert zu sein schien.
Wie es sich nach der ersten Ankündigung der Revision des kirchlichen Gesetzbuches zeigte, war das Konzil ein ganz und gar auf die Zukunft hin ausgerichtetes Vorhaben. Hinzukommt, daß seine lehramtlichen Dokumente und insbesondere seine Lehre über die Kirche in den Jahren 1962-1965 auszuarbeiten waren; doch jeder sieht, daß die Intuition Johannes' XXIII. richtig war, und man darf mit Recht sagen, daß seine Entscheidung auf lange Sicht hin für das Wohl der Kirche Sorge trug.
Deshalb erfordert der neue Kodex, der heute veröffentlicht wird, notwendigerweise die vorausgehende Arbeit des Konzils; und obwohl er zugleich mit jener ökumenischen Versammlung angekündigt worden ist, folgt er ihr doch zeitlich in beträchtlichem Abstand nach, weil die Vorbereitungsarbeiten, die sich ja auf das Konzil stützen mußten, erst nach dessen Abschluß beginnen konnten.
Wenn ich heute an den Ausgangspunkt jenes Weges, also an den 25. Januar 1959, und an Johannes XXIII., den Initiator der Revision des kirchlichen Gesetzbuches, zurückdenke, so muß ich bestätigen, daß dieser Kodex nur dem einen Vorsatz entsprungen ist, nämlich, das christliche Leben zu erneuern; und aus diesem selben Vorsatz bezog die gesamte Konzilsarbeit ihre Richtlinien und ihren Verlauf.
Wenn wir jetzt Natur und Ablauf der Arbeiten, die der Promulgierung des neuen kirchlichen Gesetzbuches vorausgegangen sind, und die Art, wie diese Arbeiten hauptsächlich während der Pontifikate Pauls Vl. und Johannes Pauls 1. und danach bis zum heutigen Tag durchgeführt wurden, betrachten, muß mit aller Klarheit betont werden, daß diese Arbeiten in ausgesprochen kollegialem Geist zu Ende geführt wurden; und das trifft nicht nur auf die äußere Redaktion des Werkes zu, sondern gilt auch zutiefst für die Substanz der erarbeiteten Gesetzes selbst.
Dieses Merkmal der Kollegialität, durch das sich der Entstehungsprozeß dieses Kodex in hervorragender Weise auszeichnet, entspricht vollkommen der Lehre und dem Charakter des Zweiten Vatikanischen Konzils. Und deshalb läßt der Kodex nicht nur aufgrund seines Inhalts, sondern schon am Beginn deutlich den Geist dieses Konzils erkennen, in dessen Dokumenten die Kirche, das, "allumfassende Heilssakrament" (vgl. Lumen Gentium, Nr. 9, 48), als Volk Gottes dargestellt wird und ihr hierarchisches Gefüge auf das Kollegium der Bischöfe zusammen mit ihrem Haupt gegründet erscheint.
Aus diesem Grund erging also an die Bischöfe und Bischofskonferenzen die Einladung zur Mitarbeit an der Vorbereitung des neuen Kodex, damit auf einem so langen Weg in möglichst kollegialer Weise allmählich die Rechtsformeln heranreifen würden, die dann der ganzen Kirche zum Gebrauch dienen sollten. In sämtlichen Phasen dieses Unternehmens nahmen denn auch Experten an den Arbeiten teil, das heißt hervorragende Fachgelehrte der Theologie, der Geschichte und vor allem des kanonischen Rechts, die aus allen Teilen der Welt berufen wurden.
Ihnen allen möchte ich heute das Gefühl meiner herzlichen Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Da stehen zunächst vor meinen Augen die Gestalten der verstorbenen Kardinäle, die die Vorbereitungskommission geleitet haben: Kardinal Pietro Ciriaci, der das Werk begonnen hat, und Kardinal Pericle Felici, der viele Jahre hindurch den Gang der Arbeiten beinahe bis zu ihrem Abschluß geleitet hat. Sodann denke ich an die Sekretäre dieser Kommission: an den hochwürdigsten Msgr. und späteren Kardinal Giacomo Violardo und an P. Raimondo Bidagor aus der Gesellschaft Jesu, die beide zur Erfüllung dieser Aufgabe die Gaben ihrer Gelehrsamkeit und ihrer Weisheit in reichem Maße einbrachten. Zusammen mit ihnen gedenke ich der Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und aller Mitglieder jener Kommission sowie der Berater der einzelnen Studiengruppen, die in diesen Jahren für eine so anspruchsvolle Arbeit herangezogen wurden und die Gott inzwischen in die Ewigkeit abberufen hat. Für sie alle steigt mein Fürbittgebet zu Gott empor.
Aber ich will auch der Lebenden gedenken, allen voran des derzeitigen Pro-Präsidenten der Kommission, des ehrwürdigen Bruders Msgr. Rosalio Castillo Lara, der lange Jahre in einem so wichtigen Amt hervorragende Arbeit geleistet hat; und nach ihm des geliebten Sohnes Willy Onclin, Priester, der mit seinem unermüdlichen Fleiß und seiner Gewissenhaftigkeit viel zum glücklichen Abschluß des Werkes beigetragen hat, und aller übrigen, die in dieser Kommission, sei es als Kardinalsmitglieder, sei es als Offizialen, Konsultoren und Mitarbeiter in den Studiengruppen oder in anderen Gremien, ihre höchst wertvollen Beiträge zur Ausarbeitung und Fertigstellung eines so gewaltigen und umfassenden Werkes geleistet haben.
Wenn ich also heute den Kodex promulgiere, bin ich mir voll bewußt, daß dieser Akt Ausdruck meiner päpstlichen Autorität und Vollmacht ist und darum sozusagen Primatscharakter hat. Ich bin mir jedoch ebenso bewußt, daß dieser Kodex, was seinen Inhalt betrifft, die kollegiale Sorge aller meiner Brüder im Bischofsamt um die Kirche widerspiegelt; ja, aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Konzil muß dieser Kodex als Frucht der kollegialen Zusammenarbeit angesehen werden, die aus dem Zusammenfluß der in der ganzen Kirche verstreuten Kräfte von Experten und Spezialinstituten entstanden ist.
Da stellt sich nun die zweite Frage, was denn der Kodex des kanonischen Rechtes eigentlich ist. Um diese Frage richtig zu beantworten, muß man im Geist jenes ferne Rechtserbe wieder hervorholen, das in den Büchern des Alten und des Neuen Testaments enthalten ist und in dem die gesamte juridisch-gesetzgeberische Überlieferung der Kirche gleichsam als erster Quelle ihren Ursprung hat.
Denn der Herr Christus hat das reiche Erbe des Gesetzes und der Propheten, das durch die Geschichte und Erfahrung des Gottesvolkes im Allen Testament allmählich gewachsen war, keineswegs aufgehoben, sondern erfüllt (vgl. Mt 5, 17), so daß es sich in neuer und vertiefter Weise auf das Erbe des Neuen Testaments erstreckte. Obwohl also der hl. Paulus bei der Auslegung des Ostergeheimnisses lehrt, daß die Rechtfertigung nicht durch die Werke des Gesetzes, sondern durch den Glauben erfolgt (vgl. Röm 3, 28; vgl. Gal 2, 16), schließt er die verpflichtende Kraft des Dekalogs nicht aus (vgl. Röm 13, 8-10; vgl. Gal 5, 13-25; 6, 2) noch leugnet er die Bedeutung der Disziplin in der Kirche Gottes (vgl. 1 Kor, Kap 5 u. 6). So lassen uns die Schriften des Neuen Testaments noch viel besser die eigentliche Bedeutung der Disziplin begreifen und uns besser verstehen, daß sie aufs engste mit dem Heilscharakter des Evangeliums verbunden ist.
Unter diesen Umständen scheint es hinreichend klar, daß es keinesfalls das Ziel des Kodex ist, im Leben der Kirche den Glauben, die Gnade, die Charismen und vor allem die Liebe zu ersetzen. Im Gegenteil, Ziel des Kodex ist es vielmehr, der kirchlichen Gesellschaft eine Ordnung zu geben, die der Liebe, der Gnade und dem Charisma den Vorrang einräumt und zugleich ihren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft wie der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert.
Als das vorrangige gesetzgeberische Dokument der Kirche, das sich auf das juridische und gesetzgeberische Erbe der Offenbarung und der Überlieferung stützt, ist der Kodex als unerläßliches Instrument anzusehen, mit dessen Hilfe die erforderliche Ordnung im persönlichen wie gesellschaftlichen Leben wie in der Leitung der Kirche selbst sichergestellt wird. Deshalb muß der Kodex außer den grundlegenden, von ihrem göttlichen Stifter eingesetzten und auf der apostolischen oder einer anderen ganz alten Überlieferung fußenden Elementen der hierarchischen und organischen Struktur der Kirche und außer den wichtigsten Normen zur Ausübung des dreifachen der Kirche übertragenen Dienstamtes auch einige Regeln und Verhaltensnormen definieren.
Das Instrument, das der Kodex ist, entspricht voll dem Wesen der Kirche, wie es vom Lehramt des Zweiten Vatikanischen Konzils ganz allgemein und besonders in seiner Ekklesiologie dargestellt wird. Ja, dieser neue Kodex kann gewissermaßen als ein großes Bemühen aufgefaßt werden, die Ekklesiologie des Konzils in die Sprache des Kirchenrechts zu übersetzen. Wenn es auch unmöglich ist, das von der Lehre des Konzils gezeichnete Bild der Kirche vollkommen in die kanonistische Sprache zu übertragen, so muß der Kodex doch immer in diesem Bild, soweit das möglich ist, seinen festen Bezugspunkt haben.
Daraus entspringen einige grundlegende Richtlinien, von denen der neue Kodex als ganzer bestimmt wird, sowohl was seinen spezifischen Inhalt als die damit zusammenhängende Sprache angeht. Ja, man kann sagen, daß daraus auch jenes Wesensmerkmal herrührt, aufgrund dessen der Kodex als Vervollständigung der vorn Zweiten Vatikanischen Konzil vorgestellten Lehre angesehen wird, insbesondere was die dogmatische und die Pastoralkonstitution betrifft.
Daraus folgt, daß jenes grundlegende Neue, das, ohne jemals von der gesetzgeberischen Tradition der Kirche abzuweichen, im Zweiten Vatikanischen Konzil zu finden ist - besonders, was seine Ekklesiologie betrifft -, auch das Neue am neuen Kodex ausmacht.
Von den Elementen aber, die das wahre und besondere Bild der Kirche zum Ausdruck bringen, seien vor allem folgende erwähnt: die Lehre, durch die die Kirche als das Volk Gottes (vgl. Lumen Gentium, Nr. 2) und die hierarchische Autorität als Dienst dargestellt wird (vgl. ebd., Nr. 3); außerdem die Lehre, die die Kirche als Gemeinschaft ausweist und daher die notwendigen Beziehungen festsetzt, die zwischen den Teilkirchen und der Universalkirche und zwischen Kollegialität und Primat bestehen müssen; ebenso die Lehre, nach dem alle Glieder des Gottesvolkes, jedes auf seine Weise, an dem dreifachen, dem priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhaben. Mit dieser Lehre verbunden ist jene über die Pflichten und Rechte der Gläubigen und insbesondere der Laien; und schließlich der Einsatz, den die Kirche für den Ökumenismus aufbringen muß.
Wenn also das Zweite Vatikanische, Konzil aus dem Schatz der Überlieferung Altes und Neues hervorgeholt hat und seine Neuheit in diesen und anderen Elementen besteht, dann ist es offenkundig, daß auch der Kodex das charakteristische Merkmal der freue in der Neuheit und der Neuheit in der Treue widerspiegeln und sich ihm in seinem Inhalt und seiner spezifischen Ausdrucksweise gemäß anpassen mußte.
Der neue Kodex des kanonischen Rechts tritt zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit, da die Bischöfe der ganzen Kirche seine Promulgation nicht nur gefordert, sondern geradezu dringend und ungeduldig verlangt haben.
Und der Kodex des kanonischen Rechts wird in der Tat von der Kirche dringend benötigt. Denn weil auch sie nach Art eines sozialen und sichtbaren Gefüges gestaltet ist, braucht sie Normen, Gesetze, damit ihre hierarchische und organische Struktur sichtbar wird; damit die Ausübung der ihr von Gott übertragenen Ämter und Aufgaben, insbesondere die der kirchlichen Gewalt und der Verwaltung der Sakramente, ordnungsgemäß wahrgenommen wird; damit die gegenseitigen Beziehungen der Gläubigen in einer auf Liebe fußenden Gerechtigkeit gestaltet werden, wobei die Rechte der einzelnen gewährleistet und festgesetzt sind; damit schließlich die gemeinsamen Initiativen, die unternommen werden, um das christliche Leben immer vollkommener zu führen, durch die kanonischen Bestimmungen unterstützt, gestärkt und gefördert werden.
Schließlich müssen die Gesetze des Kirchenrechts ihrer juridischen Natur entsprechend beachtet werden; darum wurde möglichst große Sorgfalt darauf verwandt, bei der langen Vorbereitung des Kodex die Formulierung der Normen klar zu definieren und diese selbst auf ein solides juridisches, kanonisches und theologisches Fundament zu gründen.
Nach all diesen Überlegungen darf man wohl wünschen, daß die neue Kirchengesetzgebung sich als wirksames Instrument erweist, mit dessen Hilfe die Kirche sich selbst entsprechend dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils vervollkommnen kann und sich als immer geeigneter für die Erfüllung ihres Heilsauftrages in dieser Welt erweist.
Diese Überlegungen möchte ich voll Zuversicht allen anvertrauen, während ich dieses wichtigste Werk der kirchlichen Gesetzgebung für die lateinische Kirche promulgiere.
Gebe Gott, daß die Freude und der Friede, die Gerechtigkeit und der Gehorsam diesen Kodex empfehlen und daß die vom Haupt getroffenen Anordnungen von den Gliedern beachtet werden.
Im Vertrauen auf die Hilfe der göttlichen Gnade, gestützt auf die Autorität der hl. Apostel Petrus und Paulus, in der Gewißheit und mit dem Wunsch, daß die Bischöfe der ganzen Welt, die in kollegialer Gesinnung mit mir zusammengearbeitet haben, ihre Zustimmung geben, promulgiere ich aufgrund jener höchsten Vollmacht, die ich bekleide, mit dieser von jetzt ab für immer gültigen Konstitution den vorliegenden Kodex, so wie er geordnet und revidiert wurde.
Ich verfüge, daß er in Zukunft für die gesamte lateinische Kirche Rechtskraft besitzt, und vertraue der wachsamen Aufsicht aller Verantwortlichen, daß er beobachtet wird. Damit aber alle diese Gesetzesvorschriften einsehen und gründlich studieren können, ehe sie rechtskräftig werden, erkläre und verfüge ich, daß sie vom ersten Adventssonntag 1983 an verbindliche Rechtskraft erhalten. Das auch im Fall von gegenteiligen Anordnungen, Erlässen, Privilegien (auch wenn diese besonderer und eigener Erwähnung wert wären) oder Gewohnheiten.
Ich fordere daher alle geliebten Söhne und Töchter auf, die gegebenen Normen mit aufrichtigem Herzen und gutem Willen zu beobachten, in der zuversichtlichen Hoffnung, daß der Kirche eine neue Disziplin erblühe und damit auch die Rettung der Seelen unter dem Schutz der seligsten Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, gefördert werde.
im fünften Jahr meines Pontifikats.