Liturgische Bewegung

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Als Liturgische Bewegung werden in der katholischen Liturgiegeschichte Bestrebungen bezeichnet, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil vornehmlich in Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien das Ziel verfolgten, die Bedeutung der Liturgie der katholischen Kirche tiefer zu erschließen und das Verständnis für sie zu fördern, um geistlich aus ihr zu leben. Ihr liegt die Einsicht zugrunde, dass "die Liturgie weder privater noch klerikaler Natur sein kann, sondern wesensgemäß Feier der Kirche ist".<ref>Theodor Maas-Ewerd, Art. Liturgische Bewegung in LThK, 3. Auflage, Bd. 6, Sp. 992.</ref>

Etappen der liturgischen Erneuerung im 20. Jahrhundert

Ausgangspunkte

Prosper-Louis-Pascal Guéranger war der Begründer der liturgischen Bewegung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als erster Abt des wiederbegründeten Benediktinerklosters Abbaye Saint-Pierre de Solesmes. Das Leitmotiv gab dann Papst Pius X. in seinem Motu Proprio Tra le sollecitudini vom 22. November 1903 lehramtlich vor: Er sprach zum ersten Mal von der „actuosa communicatio“ bzw. Participatio actuosa, der "tätigen Teilnahme [der Gläubigen] an den heiligen Mysterien und am öffentlichen feierlichen Gebet der Kirche" als erster, unentbehrlicher Quelle, aus der die Gläubigen "wahrhaft christlichen Geist" schöpfen können.<ref>Albert Gerhards, Benedikt Kranemann: Einführung in die Liturgiewissenschaft." Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2. Aufl., Darmstadt 2008, S. 102f.</ref> Dieser Terminus fand 60 Jahre später Eingang in die Konstitution Sacrosanctum Concilium des 2. Vatikanums.

Die liturgische Bewegung nahm ihren Ausgang in mehreren Benediktinerabteien: Solesmes in Frankreich und Beuron und Maria Laach in Deutschland sowie Mont César und Maredsous in Belgien. Durch deren Wirken erlangte der gregorianische Choral eine neue Blüte, es wurden Volksmessbücher – wie zum Beispiel der „Schott“ – herausgegeben. Der Papst würdigte diese Bemühungen, indem er in Tra le sollecitudini die Kirchenmusik als eigenständigen Wesensbestandteil der Liturgie mit spiritueller, gesamtreligiöser Bedeutung anerkannte.

Der belgische Benediktinermönch Lambert Beauduin (1873–1960) machte durch seine Rede beim belgischen Katholikentag am 23. September 1909 in Mecheln die Bewegung in Belgien und Holland bekannt. Auch In Frankreich und Italien gewann die Bewegung einige Zustimmung (Aimé-Georges Martimort, Cyprian Vagaggini, Giulio Bevilacqua); sie erstarkte jedoch besonders im deutschsprachigen Raum.

Die Flügel der Bewegung

Die Wahl Ildefons Herwegens zum Abt von Maria Laach 1913 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte der liturgischen Bewegung in Deutschland. In seinem Umfeld entwickelten Romano Guardini, Odo Casel und Johannes Pinsk ihre Gedanken. Guardini schuf mit seinem 1918 erschienenen Werk Vom Geist der Liturgie eine programmatische Zusammenfassung der Bewegung. Sein zentrales Anliegen war die „Weltzuwendung aus der Mitte des Glaubens“, und er sah „die eigentliche Würde des Menschen im Vollzug der Liturgie“. Dabei stand nach wie vor die tätige Teilnahme an der Liturgie im Vordergrund. Wichtiges Instrument war die Verwendung der Volkssprache für gemeindliche Elemente zusätzlich zum Latein der priesterlichen Liturgie, etwa in der Betsingmesse. Auch die Feier der Osternacht und die Verwendung des Volksaltars waren wichtigen Elemente.

Ein zweiter Flügel der Bewegung bestand in der Katholischen Jugendbewegung und den katholischen Jugendverbänden, vor allem Quickborn, Bund Neudeutschland und Katholischer Jungmännerverband mit ihren Zentren Burg Rothenfels und Haus Altenberg; bestimmende Persönlichkeiten waren auch hier Romano Guardini und der Generalsekretär des Katholischen Jungmännerverbandes, Ludwig Wolker. Wegen der deutschlandweiten Verbreitung der Jugendverbände und des planvollen Vorgehens Ludwig Wolkers fanden die Ideen im deutschen Klerus rasch weite Verbreitung.

In Österreich waren es der Augustinerchorherr Pius Parsch, der die Ideen ab 1922 im Stift Klosterneuburg pfarrlich zentriert verwirklichte und sie durch volkstümliche Schriften bekanntmachte, ähnlich das stark von Romano Guardini geprägte Oratorium in Leipzig mit den Seelsorgern Heinrich Kahlefeld. Josef Gülden, Klemens Tilmann und dem späteren Meißener Bischof Otto Spülbeck. In Innsbruck setzte sich der Liturgiewissenschaftler Josef Andreas Jungmann S.J. für eine liturgische Erneuerung und Reform (Liturgiereform) ein. Otto Spülbeck beispielsweise feierte in Leipzig bereits in den 1930er-Jahren Jugendmessen an einem freistehenden Tisch und weitgehend in deutscher Sprache.

Schrifttum

Die von Johannes Pinsk herausgegebenen Zeitschriften Liturgische Zeitschrift (1928–1933) und Liturgisches Leben (1934–1939) waren für die liturgische Bewegung einflussreich. Auch die Laien-Messbücher wie der Volks-Schott der Benediktinerabtei Beuron und das „Volksmessbuch“ des Maria Laacher Benediktiners Urbanus Bomm spielten eine große Rolle. Für Breitenwirkung sorgte das Heft Kirchengebet für den Gemeinschaftsgottesdienst, 1928 erstmals herausgegeben von Ludwig Wolker, das eine Auflage von 9 242 000 Exemplaren erreichte und die Form der Gemeinschaftsmesse über die Jugendverbände hinaus verbreitete.<ref>Thomas Labonté: Die Sammlung "Kirchenlied" (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 7.</ref> Die Ausgabe von 1930 bot erstmals den 1928 in einer privaten Initiative in Köln erarbeiteten Einheitstext des Mess-Ordinariums, wie er ab dann in alle Messbücher und Diözesangebetbücher übernommen wurde. Alle diese Schriften erhielten das bischöfliche Imprimatur.

Kritik

Doch es regte sich auch Kritik. Auf der einen Seite war es vielen nicht recht, dass liturgische Bestimmungen missachtet wurden, auf der anderen Seite wurde auch inhaltliche Kritik geübt. 1939 erschien Max Kassiepes Schrift Irrwege und Umwege im Frömmigkeitsleben der Gegenwart, die die Ziele der Bewegung scharf angriff. Der Oblatenmissionar Kassiepe war der Ansicht, dass eine Erneuerung des Glaubenslebens nicht dadurch erreicht werden könne, dass man sein Hauptaugenmerk auf liturgische Detailfragen lenke; dadurch verliere man den Blick für Wesentliches. Einen gewissen Ausgleich in den Auseinandersetzungen erreichte die von der Bischofskonferenz eingesetzte liturgische Kommission sowie die Enzyklika Mystici Corporis von Papst Pius XII. vom 29. Juni 1943.

Päpstliche und konziliare Anerkennung

Unter dem Einfluss der liturgischen Bewegung wurde eine unmittelbare Beteiligung bei der Messfeier angestrebt. So haben die Gläubigen bereits bei den Eucharistischen Kongressen von 1922 in Rom und 1924 in Amsterdam mit der Erlaubnis von Papst Pius XI. begonnen, dem zelebrierenden Geistlichen zu antworten und den Friedensgruß auszutauschen.<ref>aus: PÄPSTLICHES KOMITEE FÜR DIE EUCHARISTISCHEN WELTKONGRESSE, DIE EUCHARISTISCHEN WELTKONGRESSE für eine Neu- Evangelisierung, VATIKANISCHE VERLANGSBUCHHANDLUNG VATIKANSTADT 1991, S. 17.</ref>

In der Enzyklika Mediator Dei vom 20. November 1947 nahm Papst Pius XII. die Entwicklungen im Gottesdienst der Kirche, die von der liturgischen Bewegung bewirkt und bereits von einigen Bischofskonferenzen approbiert worden waren, ausdrücklich auf und bestätigte sie. In versöhnlichem Ton wurden einige neue Formen korrigiert. Insbesondere wird die aktive und passive Teilnahme der Gläubigen am heiligen Opfer ausdrücklich betont und gleichzeitig von der Konsekrationsvollmacht des geweihten Priesters abgehoben.

Auch die Reform der Liturgie der Karwoche, die Papst Pius XII. zwischen 1951 (Reform der Osternacht "ad experimentum") und 1955 vornahm, wurde durch die liturgische Bewegung angeregt und vorbereitet.

Das Motu proprio von Papst Johannes XXIII. vom 25. Juli 1960 reformierte die Rubriken im römischen Brevier und Missale. Sie ist nicht nur eine Kodifizierung der Dekrete früherer Päpste, sondern auch eine Verkürzung und Vereinfachung des Breviers, die aber keine grundlegenden Änderungen brachte (vgl. Die Rubriken für das Römische Brevier und Missale im Pontifikat Johannes XXIII., Pontifikat Johannes' XXIII, Nr. 2).

Die Konstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums und die nachfolgenden Liturgiereform von 1969 (sel. Papst Paul VI.) setzten dann die formalen Forderungen der Liturgischen Bewegung grundlegend um, mit der Absicht, nicht mit der liturgischen Tradition der Kirche zu brechen.

"Die liturgische Erneuerung ist die sichtbarste Frucht der ganzen Arbeit des Konzils. Wiewohl einige Schwierigkeiten auftauchten, wurde sie doch von den Gläubigen im allgemeinen froh und fruchtbringend angenommen. Liturgische Erneuerung kann nicht auf die Zeremonien, Riten, Texte usw. beschränkt werden; und auch die aktive Teilnahme der Gläubigen, die nach dem Konzil so glücklich anwuchs, besteht nicht nur in äußerlicher Aktivität, sondern vor allem in innerer und geistlicher Teilnahme, in einer lebendigen und fruchtbringenden Teilhabe am österlichen Geheimnis Jesu Christi (vgl. SC 11). Die Liturgie muss sehr klar den Sinn für das Heilige fördern und ihn aufleuchten lassen. Sie muss vom Geiste der Ehrfurcht vor Gott, der Anbetung und seiner Verherrlichung durchtränkt sein." (Exeunte coetu secundo, 1. Innere Erneuerung der Liturgie).

Papst Franziskus sieht in den Beschlüssen des Konzils und in der anschließenden Reform der Liturgie eine "Phase der Reife" der liturgischen Bewegung. Sie seien "nicht plötzlich vom Himmel gefallen", sondern "Frucht eines langen Weges", der von den Päpsten gefördert worden sei. Er nannte Pius X., der Änderungen in der sakralen Musik und der Messordnung für den Sonntag einführte, und die Liturgie-Enzyklika Mediator Dei von Pius XII. und dessen Reform der Karwoche und Ostervigil. Zwar gelte es heute, Oberflächlichkeiten und entstellende Praktiken zu beenden und "die Disziplin und die Regeln zu beachten". Dies heiße jedoch nicht, die Entscheidungen der Reform generell zu überdenken, sondern deren zugrundeliegende Gründe ins Bewusstsein zu heben. Es gebe kein Zurück zur "Alten Messe": "Wir können mit Sicherheit und Lehrautorität sagen, dass die liturgische Reform unumkehrbar ist", erklärte der Papst bei einer liturgiewissenschaftlichen Tagung im Vatikan im August 2017. Die Liturgie sei von ihrer Natur Liturgie des Volkes und nicht des Klerus, betonte er. "Es ist das Handeln Gottes selbst für sein Volk, aber auch das Handeln des Volkes, das Gott, der spricht, hört und mit Lob antwortet", so Franziskus.<ref>katholisch.de: Papst: Liturgiereform ist unumkehrbar, 24. August 2017.- domradio.de: Papst Franziskus: Liturgiereform unumkehrbar, 24. August 2017.</ref>

Literatur

Päpstliche Schreiben

Pius X.

Pius XII. (siehe: Pontifikat Pius' XII., Nr. 6)

Paul VI.

Johannes Paul II.

siehe auch: Neue liturgische Bewegung

Weblinks

Anmerkungen

<references />