Dienst am Frieden
Dienst am Frieden |
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der Päpste, des II. Vatikanischen Konzils und der Bischofssynode von 1963 bis 1980
1980
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zum Geleit
- 2 Einführung
- 3 Abkürzungen
- 4 1. Papst Johannes XXIII.: Enzyklika Pacem in terris vom 11. April 1963
- 5 2. Papst Paul VI,: Weihnachtsbotschaft vom 23. Dezember 1963
- 6 3. Papst Paul VI,: Enzyklika Ecclesiam suam vom 6. August 1964
- 7 4. Papst Paul VI,: Ansprache zum Angelus am 8, August 1965 mit besonderer Bezugnahme auf den 20. Jahrestag des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima
- 8 5. Papst Paul VI,: Ansprache bei der Generalaudienz am 26. August 1964 mit besonderer Bezugnahme auf den 50. und 25. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten und Zweiten Weltkriegs
- 9 6. Papst Paul VI.: Ansprache an die Vertreter der internationalen Presse in Bombay am 4. Dezember 1964
- 10 7. Papst Paul VI.: Weihnachtsbotschaft vom 22. Dezember 1964
- 11 8. Papst Paul VI.: Ansprache vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 4. Oktober 1965
- 12 9. II. Vatikanisches Konzil: Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes vom 7. Dezember 1965
- 13 10. Papst Paul VI.: Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, U Thant, über das Anliegen der Abrüstung vom 24. Januar 1966
- 14 11. Papst Paul VI.: Enzyklika Christi matri vom 15. September 1966
- 15 12. Papst Paul VI.: Enzyklika Populorum progressio vom 26. März 1967
- 16 II. UM EINE SOLIDARISCHE ENTWICKLUNG DER MENSCHHEIT
- 17 13. Papst Paul VI.: Ansprache bei der Generalaudienz am 7. Juni 1967 mit besonderer Bezugnahme auf den 3. Israelisch-Arabischen Krieg
- 18 14. Papst Paul VI.: Botschaft "an alle Menschen guten Willens" vom 8. Dezember 1967 mit der Aufforderung, künftig den 1. Januar auf der ganzen Welt als "Tag des Friedens" zu begehen
- 19 15. Papst Paul VI.: Ansprache in der Petersbasilika zum "Tag des Friedens" am 1. Januar 1968
- 20 16. Papst Paul VI.: Ansprache an das Diplomatische Korps am 8. Januar 1968
- 21 17. Papst Paul VI.: Ansprache zum Angelus am 1. September 1968 mit besonderer Bezugnahme auf die militärische Intervention in die Tschechoslowakei
- 22 18. Papst Paul VI.: Botschaft an den Präsidenten der 23. Vollversammlung der Vereinten Nationen, Emilio Arenales Catalan, vom 4. Dezember 1968 zum 20. Jahrestag der Veröffentlichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
- 23 19. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1969 vom 8. Dezember 1968
- 24 20. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1970 vom 30. November 1969
- 25 21. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1971 vom 14. November 1970
- 26 22. Bischofssynode: Dokument De iustitia in mundo vom 6. November 1971
- 27 23. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1972 vom 8. Dezember 1971
- 28 24. Papst Paul VI.: Ansprache an die Teilnehmer des 39. Lehrgangs des NATO-Verteidigungsrats am 3. Februar 1972
- 29 25. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1973 vom 8. Dezember 1972
- 30 26. Papst Paul VI.: Erklärung vor der Vereinigung der Ausländischen Presse in Italien am 24. Januar 1973 zum Abschluss des Waffenstillstandsabkommens der Pariser Vietnam-Konferenz
- 31 27. Papst Paul VI.: Ansprache zum Angelus am 28. Januar 1973 mit besonderer Bezugnahme auf das Waffenstillstandsabkommen der Pariser Vietnam-Konferenz
- 32 28. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1974 vom 8. Dezember 1973
- 33 29. Papst Paul VI. und Bischofssynode: Gemeinsamer "Aufruf über Menschenrechte und Versöhnung" am 23. Oktober 1974
- 34 30. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1975 vom 8. Dezember 1974
- 35 31. Papst Paul VI.: Ansprache an das Diplomatische Korps am 11. Januar 1975
- 36 32. Papst Paul VI.: Schreiben an Erzbischof Casaroli, Sonderdelegierter bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki, vom 25. Juli 1975
- 37 33. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1976 vom 18. Oktober 1975
- 38 34. Papst Paul VI.: Ansprache auf dem Petersplatz anläßlich der internationalen Soldatenwallfahrt am 23. November 1975
- 39 35. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1977 vom 8. Dezember 1976
- 40 36. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1978 vom 8. Dezember 1977
- 41 37. Papst Paul VI.: Botschaft an die Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen vom 24. Mai 1978, verlesen von Erzbischof Casaroli in New York am 6. Juni 1978
- 42 38. Papst Johannes Paul I.: Ansprache an das Diplomatische Korps am 31. August 1978
- 43 39. Papst Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1979 vom 8. Dezember 1978
- 44 40. Papst Johannes Paul II.: Enzyklika Redemptor hominis vom 4. März 1979
- 45 41. Papst Johannes Paulll.: Homilie bei der Messe im Konzentrationslager Birkenau am 7. Juni 1979 im Anschluss an den Aufenthalt im Konzentrationslager Auschwitz
- 46 42. Papst Johannes Paul II.: Predigt beim Gottesdienst in Drogheda am 29. September 1979
- 47 43. Papst Johannes Paul II.: Ansprache vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober 1979
- 48 44. Papst Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1980 vom 8. Dezember 1979
- 49 45. Papst Johannes Paul II.: Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO in Paris am 2. Juni 1980
- 50 Anmerkungen
Zum Geleit
Die Frohe Botschaft, die Jesus Christus den Menschen brachte, ist eine Botschaft der Befreiung und Umkehr der Menschen von der Sünde, von Egoismus und Hass, eine Botschaft der Liebe und der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des Friedens. Die Kirche hat die Aufgabe, das Evangelium den Menschen heute zu verkünden. Sie würde ihrer Sendung untreu, wenn sie nicht mit allen Kräften darauf hinwirken würde, die Grundlagen des Friedens zu erhalten und fortzuentwickeln, die Bereitschaft zum Frieden in den Menschen, in den Völkern zu stärken und die Regierenden an ihre Verantwortung zu erinnern, dem Frieden zu dienen und Gewalt und Krieg zu verhüten.
Wie häufig wurde in der Vergangenheit, wie häufig wird in der Gegenwart auf elementare Weise gegen die Botschaft des Friedens verstoßen! Infolge der Weltkriege wurde Europa in diesem Jahrhundert zum Schauplatz unermeßlicher materieller und sittlicher Zerstörungen, geistiger Katastrophen und menschlichen Leids. Dank des verantwortlichen Handeins seiner Staatsmänner und des Aufbauwillens seiner Bevölkerung ist Europa aus den Trümmern wiedererstanden. Es ist gelungen, den Frieden in diesem Teil der Welt seit nunmehr 35 Jahren zu sichern und zu bewahren. Von einer Nach-Kriegszeit kann freilich nur in einem begrenzten Sinn gesprochen werden. Seit 1945 hat es neue Spannungen, neue Formen der Gewalttätigkeiten und, zumal in Asien und Afrika, neue Kriege gegeben. Der Rüstungswettlauf führte dazu, dass allein in diesem Jahr die ungeheure Summe von etwa 900 Milliarden DM weltweit für Rüstung und Verteidigung ausgegeben wird. Die Konzeption und Herstellung vor allem nuklearer Waffen führte zur Anhäufung einer unvorstellbaren, lebensvernichtenden Zerstörungskraft. Die Frage nach dem Frieden stellt sich deshalb dringender denn je. Sie ist nicht isoliert, sondern im Zusammenhang einer weltweiten Entwicklung zu sehen. Um so größer ist die Verantwortung all derer, die das geistige, gesellschaftliche und politische Zusammenleben der Menschen gestalten und beeinflussen. Sie alle sind aufgerufen, die nationale und die internationale Ordnung auf das Fundament der unbedingten Achtung der Würde und der Rechte jedes Menschen, auf die Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Völker zu gründen. Alle sind zur Verständigung, zum friedlichen Ausgleich und zur Zusammenarbeit verpflichtet. Das beschwörende Wort, das Papst Pius XII. am Vorabend des Zweiten Weltkriegs an die Regierenden und Völker richtete: "Nichts ist mit dem Frieden verloren. Aber alles kann mit dem Krieg verloren sein", hat nichts von seiner grundsätzlichen Bedeutung und Aktualität eingebüßt.
Auch für die Katholiken unseres Landes ist der Friede ein erstrangiger, unverzichtbarer Wert im innen- und außenpolitischen Bereich, und sie erwarten mit Recht, dass die Kirche alles in ihrer Macht Stehende unternimmt, um den Frieden zu erhalten. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, was die Kirche für den Frieden getan habe und tue. Bisweilen wird die Meinung vertreten, die Kirche habe hier versagt; sie sorge sich zwar· um das Leben der ungeborenen Kinder, aber nicht ebenso entschieden um den Frieden und die Verhinderung von Gewalt und Krieg. In der Tat, auch die Kirche und wrr..aue, die Zeugen der Frohen Botschaft sein wollen, können niemals genug für die Verwirklichung der Rechte des Menschen tun. Unser Gewissen gebietet uns, uns entschlossen und mit ganzer Kraft für den Frieden einzusetzen. Dabei dürfen wir anerkennen, dass die Kirche in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten diese ihre Verpflichtung immer klarer erkannt hat. Seitdem Papst Benedikt XV. während des Ersten Weltkriegs sich - leider vergeblich - bemühte, den Frieden zu vermitteln, haben die Päpste in den großen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten ihr ganzes moralisches Gewicht in die Waagschale geworfen, um auf die Gesinnung der Menschen, auf die öffentliche Meinung und auf das Gewissen der Staatsmänner einzuwirken, um Hass und falschem Machtstreben Einhalt zu gebieten, die Versöhnung anzubahnen und einen Frieden in Gerechtigkeit und Freiheit herbeizuführen. Die Kirche kann sich nur auf ihren religiös-sittlichen Auftrag berufen, um die Menschen, Völker und Staatsmänner wachzurütteln. Dass der Friede, ein Grundwert des Gemeinwohls, auch heute bedroht ist, hat seine Ursache darin, dass Egoismus, Hass und Machtbesessenheit nicht überwunden sind. Die Kirche weiß um die zerstörerische Macht der Sünde, sie ruft uns und die Völker deshalb nicht nur zur Erkenntnis der Brüderlichkeit der Menschen, sondern auch zur Umkehr auf. Ohne die ständige Umkehr des Herzens und des Willens wird die Sicherung des Friedens und seiner Voraussetzungen auf Dauer nicht gelingen.
Der vorliegende Band wurde von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, Mönchengladbach, vorbereitet. Möge das Studium der hier vereinigten Texte dazu beitragen, die Vielfalt der mit der Bewahrung und dem Aufbau einer friedlichen Ordnung verbundenen Probleme zu überdenken; möge dadurch die Einsicht in die sittlichen Grundlagen des Friedens vertieft, das Gewissen geschärft und dazu ermutigt werden, das schwierige Werk der Friedensarbeit zu tun.
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Einführung
Der vorliegende Band enthält Stellungnahmen der Päpste, des II. Vatikaninischen Konzils und der Bischofssynode aus den Jahren 1963 bis 1980. Es handelt sich um eine auf das Wichtigste konzentrierte Auswahl von 45 zentralen Äußerungen aus einer Fülle von veröffentlichten, das Thema des Friedens betreffenden Dokumenten. Die Sammlung erstreckt sich auf einen Zeitraum, indem weltgeschichtliche und kirchlich-theologische Entwicklungen von außerordentlicher Tragweite vor sich gegangen sind. Es ist ein Ziel dieses Quellenbandes, die ideellen Grundlagen und die positiv-normativen Elemente der kirchlichen Friedensauffassung vorzustellen, die einerseits naturrechtlich, andererseits theologisch-christologisch begründet sind.
Gegenüber dem hier betonten lehrmäßigen Aspekt tritt der Bezug auf die Außenpolitik des Hl. Stuhls im engeren Sinn zurück. Der wichtige Bereich der vatikanischen Friedensdiplomatie dieser Jahre wird erst dann, wenn die Akten einmal zugänglich sein werden, adäquat gewürdigt werden können. Weiterhin wurde aus sachlichen Erwägungen - bis auf einige begründete Ausnahmen - auf die Wiedergabe von Texten verzichtet, die sich auf die mehr innerstaatlich-sozialen Handlungs- und Konfliktfelder beziehen, welche mit den Stichworten: Staatsgewalt, passives und aktives Widerstandsrecht, Klassenkampf, revolutionäre Gewaltanwendung, Terrorismus angedeutet werden können. Eine ihrer Bedeutung angemessene Berücksichtigung dieser Problemkreise hätte zudem den Umfang der Publikation gesprengt.
Der Band beginnt mit dem auszugsweisen Abdruck der vom 11. April 1963 datierten Enzyklika Pacem in terris (Nr. 1) von Papst Johannes XXIII. Dieses Dokument ist im vorliegenden Zusammenhang wegweisend, da es eine differenzierte Lehre vom Frieden im Sinne des auf der Schöpfungsordnung basierenden menschlichen Zusammenlebens enthält. Johannes XXIII. ruft "alle Menschen guten Willens" dazu auf, das Gefüge der staatlich-gesellschaftlichen Ordnung an den Prinzipien der Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit zu orientieren.
Als letztes Dokument des Bandes (Nr. 45) ist der Schlussteil der Ansprache wiedergegeben, die Papst Johannes Paul II. während seines Frankreichbesuchs am 2. Juni 1980 vor dem Exekutivrat der UNESCO hielt. In dieser Ansprache erinnerte der Papst an den Wert "der zweckfreien Erkenntnis der Wahrheit" als Voraussetzung einer schöpferischen Kultur. Er warnte zugleich vor einer ethischen Desorientierung der Wissenschaften und wandte sich - vor allem in Anbetracht der zerstörerischen Gewalt der Nuklearwaffen - mit einem eindringlichen Appell an die Vernunft und das Gewissen der versammelten Wissenschaftler, ihre Arbeit "in den Dienst des menschlichen Lebens zu stellen".
Wenn in der vorliegenden Auswahl die Äußerungen von Papst Paul VI. einen Schwerpunkt bilden, so ist zu bedenken, dass der Pontifikat dieses Papstes fast den gesamten von diesem Band erfassten Zeitraum währte. Doch abgesehen davon, hat Paul VI. von Anfang an die Sorge um den Frieden in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns gestellt. Beispielhaft geschah dies etwa in seinen Weihnachtsbotschaften von 1963 (Nr. 2) und 1964 (Nr. 7) sowie in seiner Antrittsenzyklika Ecclesiam suam (Nr. 3), die der Bedeutung des "Dialogs" als eines grundlegenden Beitrags für das Gestaltungsverhältnis von Kirche und Welt gewidmet ist. In der Enzyklika Populorum progressio (N r. 12) vom 26. März 1967 entfaltete Paul VI. in der Konsequenz seines christozentrischen Denkens die Forderung nach einer umfassenden, weltweiten "Entwicklung". Wie zuvor Pacem in terris, so verlieh auch diese Enzyklika der Sache des Friedens über den Raum der Kirche hinaus neue Impulse.
In seiner Botschaft vom 8. Dezember 1967 (Nr. 14) rief Paul VI. alle Menschen dazu auf, künftig den 1. Januar als "Tag des Friedens" zu begehen. Die seitdem jährlich veröffentlichten Botschaften zum Weltfriedenstag Papst Johannes Paul II.hat diese Tradition aufgenommen und fortgeführt - dienen nicht nur dem Anliegen, den Frieden als vorrangige Aufgabe darzustellen, sondern auch dazu, die religiöse und geistig-sittliche Substanz der Friedensethik der Päpste sichtbar und publik zu machen.
Das unermüdliche Eintreten Pauls VI. für den Frieden ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner persönlichen geschichtlichen Erfahrungen zu sehen. In seiner Ansprache zum Gedenken an den Ausbruch der beiden Weltkriege (Nr. 5) vom 26. August 1964 zeigte sich Paul VI. außerordentlich besorgt über das Phänomen des Zusammenbruchs einiger Grundprinzipien der internationalen Moral, "von denen man glaubte, sie seien nach den tragischen Erfahrungen zweier Weltkriege ein fest erworbener Besitz geworden". Paul VI. sah sich der immer wieder aufbrechenden Friedlosigkeit (vgl. bes. Nr. 13,17 und 21) konfrontiert, vor allem dem seit Mitte der sechzig er Jahre eskalierenden Vietnamkrieg. Das Kriegsgeschehen in Südostasien hat den Papst tief getroffen. Er ist bei unzähligen Gelegenheiten, hauptsächlich bei seinen Audienzen, darauf zurückgekommen. Hier kann es nur darum gehen, sich auf einige exemplarische Äußerungen zu beschränken (N r. 11, 15, 16, 26, 27, 31). Die Hoffnungen des Papstes auf einen Frieden, "der auf der Gerechtigkeit und Freiheit der Menschen gegründet ist", sowie auf einen Frieden ohne Vergeltung haben sich nicht erfüllt. Wie sehr sich Paul VI. bis zuletzt um den Frieden mühte, bezeugt seine Botschaft an die Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen (Nr. 37) vom 24. Mai 1978.
Während der Beratungen des II. Vatikanischen Konzils haben die Fragen der "Förderung des Friedens" und der "Vermeidung des Krieges" eine bedeutende Rolle gespielt. Die Konzilsväter haben mit diesen Problemen schwer gerungen. Das Ergebnis ihrer Überlegungen und Debatten findet sich im V. Kapitel der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, dessen grundsätzliche Passagen in diesen Band aufgenommen worden sind (vgl. Nr. 9). Angesichts der ungeheuren Zerstörungskapazität der "wissenschaftlichen Waffen" sah sich das Konzil gezwungen, "die Frage des Krieges mit einer ganz neuen inneren Einstellung zu prüfen". Der von den Konzilsvätern erarbeitete Text sucht den gegebenen Schwierigkeiten gerecht zu werden: Demnach kann einer Regierung "das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung" nicht abgesprochen werden, "solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet ist", und "wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind". Daneben hat sich das Konzil die schon von den letzten Päpsten ausgesprochene Verurteilung des "totalen Krieges" zu eigen gemacht. Es war zudem davon überzeugt, dass der Rüstungswettlauf"kein sicherer Weg" sei, "den Frieden zu sichern", da er nicht die Ursachen des Krieges beseitige. Der Rüstungswettlauf, erklärte das Konzil, sei "eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit": "Er schädigt unerträglich die Armen". Die Konzilsväter traten schließlich dafür ein, mit allen Kräften eine Epoche vorzubereiten, "in der auf der Basis einer Übereinkunft zwischen allen Nationen jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann". Bis dahin sollte man "wirklich mit der Abrüstung beginnen, nicht einseitig, sondern in vertraglich festgelegten gleichen Schritten und mit echten wirksamen Sicherungen". Der Friede sollte nicht "durch den Schrecken der Waffen auferlegt" werden, sondern "aus dem gegenseitigen Vertrauen der Völker erwachsen".
Die Bischofssynode, das von Paul VI. neu geschaffene weltkirchlich-synodale Gremium, hat bei ihrer Zusammenkunft 1971 in Rom ein Dokument (Nr. 22) verabschiedet, das - der Titel De iustitia in mundo weist darauf hin - die Frage nach den Ursachen der Ungerechtigkeit einerseits und die Frage nach der Verwirklichung der Gerechtigkeit andererseits sowie deren theologische Begründung in das Zentrum der Überlegungen rückt. Ebenso wird in dem von Papst Paul VI. und der Bischofssynode 1974 gemeinsam erlassenen "Aufruf über Menschenrechte und Versöhnung" (Nr. 29) die Frage des Friedens unmittelbar berührt.
Papst Johannes Paul I., dem nur ein Pontifikat von 33 Tagen beschiede war, ist hier mit seiner Ansprache an das Diplomatische Korps (Nr. 38) vom 31. August 1978 vertreten, in der er an das primär pastorale Wirken des HI. Stuhls erinnert, wozu als genuines Arbeitsfeld auch die "so delikate Aufgabe, den Frieden zu errichten", gehört.
In seiner Enzyklika Redemptor hominis (Nr. 40) vom 4. März 1979 hat Papst Johannes Paul II.die Grundzüge eines vom Glauben an Christus getragenen Humanismus entworfen. Wie er schreibt, ist jeder Mensch von Christus betroffen. Christus hat sich jedem Menschen verbunden. In diesem Geheimnis gründet die Achtung, die Freiheit und die Würde jedes "einzelnen", "konkreten", "geschichtlichen" Menschen. Darin besteht die "menschliche Dimension" der Erlösung. Derselbe Papst hat am 2. Oktober 1979 in seiner Ansprache (Nr. 43) vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York ein leidenschaftliches Bekenntnis für die Achtung der Menschenwürde und die Verwirklichung der Menschenrechte abgelegt und darauf eine "neue Sicht" des Friedens gegründet. Gleichzeitig h er, wie schon seine Vorgänger Johannes XXIII. (vgl. Nr. 1) und Paul , (vgl. Nr. 8, 10, 18), die ideelle Begründung und die Zielsetzung der UNO; bejaht und anerkannt. In der Erinnerung an das Unrecht des Zweiten Weltkriegs, das der Mensch und polnische Staatsbürger Karol Wojtyla existentiell erfahren hat, und in der Erinnerung an die Massenmorde in Auschwitz (vgl. Nr. 41) zieht Papst Johannes Paul II. die Konsequenz, indem er da aufruft, sowohl "die Rechte der Nationen zu sichern: ihre Rechte auf Existenz, auf Freiheit, auf Unabhängigkeit, auf eine eigene Kultur und a eine echte Entwicklung", als auch der Verachtung des Menschen und seiner Grundrechte, der Erniedrigung des Menschen durch den Menschen gleich von welchem politischen System verübt und von welchem Land begangen", ein Ende zu setzen.
Was die Frage der Übersetzungen betrifft, so wird die auszugsweise Wiedergabe der Enzyklika Pacem in terris (Nr. 1), der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Nr. 9), der Enzyklika Populorum progressio (Nr. 12), des Dokuments der Bischofssynode 1971 De iustitia in mundo (Nr. 22) und der Enzklika Redemptor hominis (Nr. 40) in der auf Anregung der deutschen Bischöfe hergestellten bzw. von ihnen genehmigten Fassung abgedruckt. Die teilweisen Abdrucke der Weihnachtsbotschaften des Jahres 1963 (Nr. 2) und 1964 (Nr. 7), der Enzyklika Ecclesiam suam (Nr. 3) und der Botschaft zum Weltfriedenstag 1970 (Nr. 20) sind mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der "Herder-Korrespondenz" entnommen. Als Fundort für die Dokumente Nr. 5, 6, 8, 11, 13-16 diente der IV. Band des von Arthur Utz und Brigitta v. Galen herausgegebenen Sammelwerks "Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung" (Aachen 1976). Die Dokumente Nr. 10, 17-19,21 werden in der Form wiedergegeben, wie sie in dem von Konrad W. Kraemer herausgegebenen Band "Papst Paul VI. an die Welt. Ansprachen und Botschaften 1963-1969" (Osnabrück 1970) enthalten sind bzw. wie sie die Katholische Nachrichten-Agentur zur Verfügung stellte. Das Dokument Nr. 4 wurde für diesen Band eigens übersetzt, wie überhaupt von Fall zu Fall, wo dies erforderlich war, Verbesserungen nach dem Original vorgenommen worden sind. Da seit dem Oktober 1971 eine deutsche Ausgabe des "Osservatore Romano" erscheint, wurden die hier gebotenen Übersetzungen (Nr. 23 ff.) benutzt, wobei zum Teil ihr Abdruck in "Wort und Weisung" (Dokumente Nr.29-39) und in den vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen "Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls" (Dokumente Nr. 40-43, 45) zugrundegelegt worden ist.
Die Dokumente wurden in chronologischer Reihenfolge angeordnet und durchnumeriert. Der Dokumentenkopf enthält in der Regel den Autor, die Bezeichnung des literarischen Genus, den Ort und das Erscheinungsdatum. Gelegentlich wird auch der besondere Anlass erwähnt. Um dem Leser den Zugang zu den Originaltexten in den "Acta Apostolicae Sedis" bzw. im "Osservatore Romano" zu erleichtern, wurden die diesbezüglichen Angaben hinzugefügt.
Die Wiedergabe der Dokumente ist dahingehend vereinheitlicht worden, dass sämtliche Anmerkungen in den Text eingearbeitet wurden. Die Anreden in den Enzykliken, Botschaften und Ansprachen entfallen generell, wie in der Regel auch die Begrüßungs- und Schlussformeln. Auslassungen sind mit ( ... ) gekennzeichnet.
Die den Texten hinzugefügten Randstichworte haben den Zweck, die Hauptgesichtspunkte der jeweiligen Sinnabschnitte fortlaufend festzuhalten. Die Randstichworte der Enzyklika Pacem in terris entsprechen weitgehend den vom deutschen Übersetzer stammenden Zwischenüberschriften. Die Randstichworte von Gaudium et spes sind praktisch mit den auch im Original vorhandenen abschnittseinleitenden Stichworten identisch. Da die deutsche Übersetzung der Enzyklika Populorum progressio (Paulinus Verlag, Trier 1967) bereits mit Marginalien versehen war, wurden diese - außer zweien - übernommen.
Dem Band ist ein ausführliches Register beigegeben. Auf diese Weise sollen die tragenden Elemente und Prinzipien der hier dokumentierten Lehre vom Frieden besser erschlossen werden können, d. h. Begriffe Achtung vor dem Leben, Menschenwürde, Menschenrechte, Entwicklung, Abrüstung, Gerechtigkeit, Freiheit, Brüderlichkeit u. dgl. Damit wird zugleich deutlich, wie grundlegend die differenzierte und wertorientierte kirchliche Friedenskonzeption sich von einem Friedensbegriff unterscheidet, der einem eindimensionalen Denken gleich welcher Richtung oder einer machiavellistischen Auffassung der Politik verhaftet ist.
Günter Baadte
Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle
Abkürzungen
AAS Acta Apostolicae Sedis
AL Leonis XIII Maximi Pontificis Acta
OR Osservatore Romano
PL Patrologia Latina
1. Papst Johannes XXIII.: Enzyklika Pacem in terris vom 11. April 1963
AAS 55 (1963) 257-304
1. Der Friede auf Erden, nach dem alle Menschen zu allen Zeiten sehnlichst verlangten, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott gesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird.
2. Aus den Fortschritten der Wissenschaften und den Erfindungen der Technik ersehen wir deutlich, dass in den Lebewesen und in den Naturkräften eine wunderbare Ordnung herrscht, und auch, dass der Mensch gewürdigt wird, die Ordnung zu entdecken und geeignete Werkzeuge anzufertigen, um sich dieser Kräfte zu bemächtigen und sie zu seinem Nutzen zu gebrauchen.
3. Aber der Fortschritt der Wissenschaften und die Erfindungen der Technik offenbaren vor allem die unendliche Größe Gottes, der die Gesamtheit der Dinge und den Menschen selbst erschuf. Er schuf, so sagen Wir, aus dem Nichts die Gesamtheit der Dinge und verschwendete auf sie die Fülle seiner Weisheit und Güte. Daher lobt der Psalmist Gott mit den Worten: "Herr, Herr, wie wunderbar ist dein Name auf dem ganzen Erdenrund" (Ps 8,2); und an einer anderen Stelle: "Wie zahlreich sind deine Werke, Herr! Alles hast du mit Weisheit gemacht" (Ps 103, 24). Den Menschen aber schuf Gott "nach seinem Bild und Gleichnis" (vgl. Gen 1,26), ausgestattet mit Verstand und Freiheit, und bestellte ihn zum Herrn aller Dinge, wie der Psalmist es bekennt: "Du hast ihn nur wenig unter die Engel gestellt, mit Ruhm und Ehre ihn gekrönt; du hast ihm Macht verliehen über deiner Hände Werk, alles hast du ihm zu Füßen gelegt" (Ps 8,60.
4. Zu der vorzüglichen Ordnung des Universums steht nun aber die Unordnung unter den einzelnen wie unter den Völkern in krassem Widerspruch, wie wenn die Beziehungen, die sie untereinander verbinden, nur mit Gewalt geregelt werden könnten.
5. Jedoch hat der Schöpfer der Welt die Ordnung ins Innere des Menschen eingeprägt; sein Gewissen tut sie ihm kund und befiehlt ihm unbedingt, sie einzuhalten: "Sie lassen erkennen, dass der Inhalt des Gesetzes ihren Herzen eingeschrieben ist, indem ihnen ihr Gewissen Zeugnis gibt" (Röm 2, 15). Wie könnte es auch anders sein? Denn was Gott auch immer gemacht hat, das offenbart seine unendliche Weisheit, und zwar um so klarer, je größer die Vollkommenheit ist, deren es sich erfreut (vgl. Ps 18, 8-11).
6. Eine falsche Ansicht gibt jedoch häufig Anlass zu einem Irrtum. Viele meinen, die Beziehungen, die zwischen den einzelnen Menschen und dem Staat bestehen, könnten durch dieselben Gesetze geregelt werden, durch welche die vernunftlosen Kräfte und Elemente des Universums gelenkt werden. Diese Gesetze aber, die von ganz anderer Art sind, können selbst verständlich nur dort entnommen werden, wo sie der Schöpfer aller Dinge eingeschrieben hat, nämlich aus der Natur der Menschen.
7. Durch diese Gesetze werden die Menschen deutlich belehrt, wie sie ihn gegenseitigen Beziehungen im Zusammenleben mit anderen Menschel gestalten sollen; wie die Beziehungen zu regeln sind, die zwischen den Staatsbürgern und den staatlichen Behörden bestehen; ferner, wie die Staaten einander begegnen sollen; schließlich, in welcher Weise die einzelnen Menschen und Staaten und anderseits die Gemeinschaft aller Völker sich gegeneinander zu verhalten haben. Dass diese Gemeinschaft endlich gegründet werde, ist heute ein dringendes Erfordernis des allgemeinen Wohls.
I. DIE ORDNUNG UNTER DEN MENSCHEN
8. An erster Stelle ist die Ordnung darzustellen, die unter Menschen herrschen muss.
9. Jedem menschlichen Zusammenleben, das gut geordnet und fruchtbar sein soll, muss das Prinzip zugrunde liegen, dass jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Wie sie allgemein gültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 [194: 9-24; Johannes XXIII., Ansprache, 4.1. 1963: AAS 55 [1963] 89-91).
10. Wenn wir die Würde der menschlichen Person nach den Offenbarungswahrheiten betrachten, müssen wir sie noch viel höher einschätzen. Den die Menschen sind ja durch das Blut Jesu Christi erlöst, durch die himmlische Gnade Kinder und Freunde Gottes geworden und zu Erben der ewigen Herrlichkeit eingesetzt.
11. Bezüglich der Menschenrechte, die Wir ins Auge fassen wollen, stellen Wir gleich zu Beginn fest, dass der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung. Dazu gehören Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erholung, ärztliche Behandlung und die notwendigen Dienste, um die sich der Staat gegenüber den einzelnen kümmern muss. Daraus folgt auch, dass der Mensch ein Recht auf Beistand hat im Falle von Krankheit, Invalidität Verwitwung, Alter, Arbeitslosigkeit oder wenn er ohne sein Verschulden sonst der zum Leben notwendigen Dinge entbehren muss (vgl. Pius Xl Divini redemptoris: AAS 29 [1937] 78; Pius XII., Pfingstansprache, 1. 6. 1941: AAS 33 [1941]195-205).
12. Von Natur aus hat der Mensch außerdem das Recht, dass er gebührend geehrt und sein guter Ruf gewahrt wird, dass er frei nach der Wahrheit suchen und unter Wahrung der moralischen Ordnung und des Allgemeinwohls seine Meinung äußern, verbreiten und jedweden Beruf ausüben darf; dass er schließlich der Wahrheit entsprechend über die öffentlichen Ereignisse in Kenntnis gesetzt wird.
13. Zugleich steht es dem Menschen kraft des Naturrechts zu, an der geistigen Bildung teilzuhaben, d. h. also auch das Recht, sowohl eine Allgemeinbildung als auch eine Fach- und Berufsausbildung zu empfangen, wie es der Entwicklungsstufe des betreffenden Staatswesens entspricht. Man muss eifrig darauf hinarbeiten, dass Menschen mit entsprechenden geistigen Fähigkeiten zu höheren Studien aufsteigen können, und zwar so, dass sie, wenn möglich, in der menschlichen Gesellschaft zu Aufgaben und Ämtern gelangen, die sowohl ihrer Begabung als auch der Kenntnis entsprechen, die sie sich erworben haben (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 [1943] 9-24).
14. Zu den Menschenrechten gehört auch das Recht, Gott der rechten Norm des Gewissens entsprechend zu verehren und seine Religion privat und öffentlich zu bekennen. Denn wie Lactantius treffend sagt, "werden wir mit der Bestimmung geboren, Gott, unserem Schöpfer, den gerechten und schuldigen Gehorsam zu erweisen; ihn allein sollen wir anerkennen, ihm folgen. Durch dieses Band der Frömmigkeit sind wir Gott verpflichtet und verbunden; und daher hat auch die Religion ihren Namen" (Divinae Institutiones IV28,2: PL 16,535). Zur gleichen Sache stellte Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. nachdrücklich fest: "Diese wahre und der Kinder Gottes würdige Freiheit, welche die Würde der menschlichen Person in vornehmster Weise schützt, ist größer als alle Gewalt und alles Unrecht; sie ist der Kirche immer ein Anliegen und besonders teuer. Diese Art von Freiheit haben die Apostel ständig für sich in Anspruch genommen, die Apologeten in den Schriften unverbrüchlich festgelegt, die Martyrer in unermeßlicher Zahl durch ihr Blut geheiligt" (Libertas praestantissimum: AL 8 [1888] 237-238).
15. Darüber hinaus haben die Menschen das unantastbare Recht, jenen Lebensstand zu wählen, den sie für gut halten, d. h. also, entweder eine Familie zu gründen, wobei in dieser Gründung Mann und Frau gleiche Rechte und Pflichten haben, oder das Priestertum oder den Ordensstand zu ergreifen (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 [1943] 9-24).
16. Die Familie, die auf der Ehe ruht, die selbstverständlich frei geschlossen, eins und unauflöslich ist, muss als die erste und natürliche Keimzelle der menschlichen Gesellschaft angesehen werden. Daraus folgt, dass für sie sowohl auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet als auch in kultureller und sittlicher Hinsicht möglichst gut gesorgt werden muss. Dies alles dient dazu, die Familie zu festigen und in der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen.
17. Pflege und Erziehung der Kinder aber sind an erster Stelle das Recht der Eltern (vgl. Pius XI., Casti connubii: AAS 22 [1930]539-592; Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 [1943] 9-24).
18. Wenn Wir Uns nun dem Bereich der Wirtschaft zuwenden, so ergibt sich für den Menschen auf Grund des Naturrechtes nicht nur, dass ihm Arbeitsmöglichkeit gegeben werden muss, sondern auch, dass er seine Arbeit frei übernimmt (vgl. Pius XII., Pfingstbotschaft, 1. 6. 1941: AAS 33 [1941] 201).
19. Mit diesen Rechten ist ohne Zweifel auch das Recht auf solche Arbeitsbedingungen verbunden, unter denen weder die Körperkräfte geschwächt noch die guten Sitten zugrunde gerichtet werden, noch dem rechten Wachsen und Gedeihen der Jugendlichen Schaden zugefügt wird. Bezüglich der Frauen gilt, dass ihnen solche Arbeitsbedingungen zugestanden werden, die den Bedürfnissen und Pflichten der Ehefrauen und Mütter entsprechen (vgl. Leo XIII., Rerum novarum: AL 11 [1891] 128 f.).
20. Aus der Würde der menschlichen Person entspringt auch das Recht, im Bewusstsein eigener Verantwortung wirtschaftliche Unternehmungen zu betreiben (vgl. Johannes XXIII., Mater et magistra: AAS 53 [1961] 442). Hier muss auch erwähnt werden, dass der Arbeiter Anspruch auf gerechten Lohn hat. Er muss im Verhältnis zu den zur Verfügung stehenden Mitteln dem Arbeiter und seiner Familie eine menschenwürdige Lebenshaltung gestatten. Darüber sagt Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII.: "Der naturgegebenen persönlichen Arbeitspflicht entspricht folgerichtig das naturgegebene persönliche Recht, durch Arbeit für das eigene Leben und das Leben der Seinen Vorsorge zu treffen. So ist der Befehle der Natur auf das erhabene Ziel der Erhaltung des Menschen hingeordnet" (vgl. Pfingstbotschaft, 1. 6. 1941: AAS 33 [1941] 201).
21. Ferner leitet sich aus der Natur des Menschen das Recht auf Privateigentum, auch an Produktivgütern, her. Dieses Recht, wie Wir an anderer Stelle gesagt haben, "schützt in wirksamer Weise die Würde der menschlichen Person und erleichtert die Ausübung der beruflichen Verantwortung in allen Lebensbereichen. Es fördert die Ruhe und Beständigkeit des menschlichen Zusammenlebens in der Familie und fördert den inneren Frieden und die Wohlfahrt des Landes" (Mater et magistra: AAS 53 [1961] 428).
22. Schließlich ist es angebracht, zu bemerken, dass das Recht auf Eigentum zugleich eine soziale Funktion einschließt (vgl. ebd. 430).
23. Daraus aber, dass die Menschen von Natur aus gemeinschaftsbezogen sind, entsteht das Recht der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Sie können den Gemeinschaftsgründungen die Form geben, die sie für die geeignetere halten, um das Ziel zu erreichen, das sie sich gesteckt haben, und in diesen Gemeinschaften aus eigenem Antrieb und aus eigener Verantwortung handeln und diese zum gewünschten Ziel hinlenken (vgl. Leo XIII., Rerum novarum: AL 11 [1891]134-142; Pius XI., Quadragesimo anno: AAS 23 [1931]199 f.; Pius XII., Sertum laetitiae: AAS 31 [1939] 635-644). 24. In der Enzyklika Mater et magistra haben Wir selbst sehr eindringlich darauf hingewiesen, wie sehr es nottut, dass recht viele Vereinigungen oder Körperschaften, die zwischen Familie und Staat stehen, gegründet werden, die den Zwecken genügen, die der einzelne Mensch nicht wirksam erreichen kann. Diese Vereinigungen und Körperschaften sind als überaus notwendige Instrumente zu betrachten, um die Würde und Freiheit in Hinblick auf die Wahrung ihrer Eigenverantwortlichkeit zu schützen (vgl. AAS 53 [1961] 430).
25. Jedem Menschen muss das Recht zugestanden werden, innerhalb der Grenzen seines Staates seinen Wohnsitz zu behalten oder zu ändern; ja es muss ihm auch erlaubt sein, sofern gerechte Gründe dazu raten, in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1952: AAS 45 [1953]33-46). Auch dadurch, dass jemand Bürger eines bestimmten Staates ist, hört er in keiner Weise auf, Mitglied der Menschheitsfamilie und Bürger jener universalen Gesellschaft und jener Gemeinschaft aller Menschen zu sein.
26. Dazu kommt, dass mit der Würde der menschlichen Person das Recht verknüpft ist, am öffentlichen Leben aktiv teilzunehmen und zum Gemeinwohl beizutragen. Dazu sagte Unser Vorgänger Pius XII.: "Weit entfernt, nur Gegenstand und gleichsam ein passives Element des sozialen Lebens zu sein, ist und muss er vielmehr dessen Träger, Grundlage und Ziel sein" (vgl. Weihnachtsbotschaft 1944: AAS 37 [1945] 12).
27. Zur menschlichen Person gehört auch der gesetzliche Schutz ihrer Rechte, der wirksam und unparteiisch sein muss in Übereinstimmung mit den wahren Normen der Gerechtigkeit, wie Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII. mahnt: "Aus der gottgesetzten Rechtsordnung ergibt sich das unveräußerliche Recht des Menschen auf Rechtssicherheit und damit auf einen greifbaren Rechtsbereich, der gegen jeden Angriff der Willkür geschützt ist" (vgl. Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 [1943] 21). 28. Die bisher von Uns erwähnten Rechte, die aus der Natur hervorgehen, sind in dem Menschen, dem sie zustehen, mit ebenso vielen Pflichten verbunden. Diese Rechte und Pflichten haben ihren Ursprung, ihre Nahrung und unzerstörbare Kraft vom Naturgesetz, durch das sie verliehen oder geboten sind.
29. Um dafür einige Beispiele anzuführen: das Recht des Menschen auf Leben hängt mit der Pflicht zusammen, sein Leben zu erhalten; das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein mit der Pflicht, ehrenhaft zu leben; das Recht, frei nach der Wahrheit zu forschen, mit der Pflicht, immer tiefer und weiter nach der Wahrheit zu suchen.
30. Daraus folgt auch, dass in der menschlichen Gemeinschaft dem natürlichen Recht des einen eine Pflicht der anderen entspricht: die Pflicht nämlich jenes Recht anzuerkennen und zu achten. Denn jedes Grundrecht des Menschen leitet seine Kraft und Autorität aus dem natürlichen Sittengesetz her; dieses verleiht jenes Recht und legt die entsprechende Pflicht auf. Diejenigen also, die zwar ihre Rechte in Anspruch nehmen, aber ihre Pflichten ganz vergessen oder nicht entsprechend erfüllen, sind denen zu vergleichen, die ein Gebäude mit einer Hand aufbauen und es mit der anderen wieder zerstören.
31. Da die Menschen von Natur aus Gemeinschaftswesen sind, müssen sie miteinander leben und ihr gegenseitiges Wohl anstreben. Das geordnete Zusammenleben erfordert deshalb, dass sie gleicherweise Rechte und Pflichten wechselseitig anerkennen und erfüllen. Daraus ergibt sich auch, dass jeder großmütig seinen Beitrag leisten muss, um jenes soziale Milieu zu schaffen, durch das die Rechte der Bürger immer sorgfaltiger und segensreicher gewahrt und ihre Pflichten ebenso erfüllt werden.
32. Um dafür ein Beispiel anzuführen: Es genügt nicht, dem Menschen das Recht auf das Lebensnotwendige zuzugestehen, wenn man nicht auch nach Kräften dahin wirkt, dass ihm auch das, was zum Lebensunterhalt gehört, in genügendem Maße zur Verfügung steht.
33. Dazu kommt, dass die Gemeinschaft der Menschen nicht nur geordnet, sondern auch möglichst fruchtbar sein muss. Das verlangt dringend, dass sie ihre Rechte und Pflichten gegenseitig anerkennen und erfüllen, dass sie aber darüber hinaus auch alle gemeinschaftlich an den so vielfaltigen Unternehmungen teilnehmen, die der heutige Stand der Zivilisation erlaubt, nahelegt oder fordert.
34. Außerdem verlangt die Würde der menschlichen Person, dass es dem Menschen möglich gemacht wird, aus eigenem Entschluss und in Freiheit zu handeln. Im Zusammenleben hat er deshalb mit gutem Grund Rechte zu pflegen, Pflichten zu erfüllen und sich aus eigenem Antrieb und Entschluss in den so zahlreichen Werken, die durchzuführen sind, für andere in der Gemeinschaft dienend einzusetzen; und zwar so, dass jeder nach seiner Überzeugung, seinem Urteil und Pflichtbewusstsein handelt und nicht vorwiegend auf Grund von äußerem Zwang und Druck. Wenn eine Gemeinschaft von Menschen allein auf Gewalt aufgebaut ist, so ist sie nicht menschlich; die einzelnen haben dann keine Freiheit mehr, während sie doch im Gegenteil anzuspornen sind, ihr Leben selber zu entfalten und an ihrer Vervollkommnung zu arbeiten.
35. Das bürgerliche Zusammenleben ist deshalb dann als gut geordnet, fruchtbar und der menschlichen Würde entsprechend anzusehen, wenn es auf der Wahrheit gründet, wie der Apostel Paulus mahnt: "Darum leget ab die Lüge, ein jeder rede die Wahrheit mit seinem Nächsten; denn wir sind Glieder untereinander" (Eph 4,25). Das wird dann sicher der Fall sein, wenn jeder seine Rechte und besonders seine Pflichten gegenüber den anderen anerkennt. Überdies wird das Zusammenleben so sein, wie Wir es soeben gezeichnet haben, wenn die Menschen, von der Gerechtigkeit geleitet, sich bemühen, sowohl die Rechte anderer zu achten, als auch die eigenen Pflichten zu erfüllen; wenn sie in solchem Bemühen von der Liebe beseelt sind, dass sie die Nöte der anderen wie ihre eigenen empfinden und die anderen an ihren Gütern teilnehmen lassen, und somit danach streben, dass auf der Welt die höchsten geistigen Werte unter allen verbreitet werden. Aber auch das genügt noch nicht; denn die menschliche Gemeinschaft wächst durch die Freiheit zusammen, und zwar in Formen, die der Würde der Menschen angemessen sind. Da diese von Natur aus vernunftbegabt sind, tragen sie deshalb auch die Verantwortung für ihr Tun.
36. Das Zusammenleben der Menschen ist deshalb, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, als ein vordringlich geistiges Geschehen aufzufassen. In den geistigen Bereich gehören nämlich die Forderungen, dass die Menschen im hellen Licht der Wahrheit ihre Erkenntnisse untereinander austauschen, dass sie ihre Rechte wahrzunehmen und ihre Pflichten zu erfüllen in den Stand gesetzt werden, dass sie angespornt werden, die geistigen Güter zu erstreben, dass sie aus jeder ehrenhaften Sache, wie immer sie beschaffen sein mag, einen Anlass zu gemeinsamer rechtschaffener Freude gewinnen, dass sie in unermüdlichem Wollen das Beste, was sie haben, einander mitzuteilen und voneinander zu empfangen suchen. Diese Werte berühren und lenken alles, was sich auf Wissenschaft, Wirtschaft, soziale Einrichtungen, Entwicklung und Ordnung des Staates, Gesetzgebung und schließlich auf alle übrigen Dinge bezieht, die äußerlich das menschliche Zusammenleben ausmachen und in ständigem Fortschritt entwickeln.
37. Die Ordnung jedoch, die im menschlichen Zusammenleben waltet, ist ganz geistiger Art: auf der Wahrheit aufruhend, ist sie nach den Geboten der Gerechtigkeit zu verwirklichen; sie verlangt, durch gegenseitige Liebe beseelt und zur Vollendung geführt zu werden; schließlich ist sie in ungeschmälerter Freiheit zu einer täglich menschenwürdigeren Harmonie zu gestalten.
38. Aber diese Art von Ordnung, deren Prinzipien sich auf alle erstrecken und absolut und unveränderlich sind, geht ganz vom wahren, und zwar vom persönlichen und die menschliche Natur übersteigenden Gott aus. Denn da Gott die erste Wahrheit aller Dinge und das höchste Gut ist, ist er zugleich die erhabene Quelle, aus der die menschliche Gemeinschaft allein wahrhaft Leben schöpfen kann, um so recht geordnet, fruchtbar und der menschlichen Würde angemessen zu sein (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942: AAS 35 [1943] 14). Hierher gehört jenes Wort des heiligen Thomas von Aquin: "Dass aber die menschliche Vernunft die Richtschnur des menschlichen Willens ist, an der seine Gutheit gemessen werden muss, das hat sie aus dem ewigen Gesetz, welches die göttliche Vernunft ist ... Daraus folgt klar, dass die Gutheit des menschlichen Willens viel mehr vom ewigen Gesetz abhängt als von der menschlichen Vernunft" (Summa theol. I/II. q. 19, a.4; vgl. a.9).
39. Unsere Gegenwart ist durch drei Merkmale gekennzeichnet:
40. Vor allem stellt man den wirtschaftlich-sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse fest. Die Arbeiter machten zunächst, vordringlich auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, ihre Rechte geltend; dann taten sie den Schritt zur Wahrung ihrer politischen Interessen; schließlich richteten sie ihren Sinn besonders darauf, in angemessener Weise an den Gütern der Kultur teilzunehmen. Deshalb sind die Arbeiter heutzutage auf der ganzen Welt besonders darauf bedacht, nie nur als Sache ohne Verstand und Freiheit gewertet zu werden, die andere ausbeuten, sondern als Menschen in allen Bereichen menschlicher Gemeinschaft, d. h. auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, im Staat und schließlich auch auf dem Feld der Wissenschaften und der Kultur.
41. An zweiter Stelle steht die allgemein bekannte Tatsache, dass die Frau am öffentlichen Leben teilnimmt, was vielleicht rascher geschieht bei den christlichen Völkern und langsamer, aber in aller Breite, bei den Völkern, welche als Erben anderer Überlieferungen auch andere Lebensformen und Sitten haben. Die Frau, die sich ihrer Menschenwürde heutzutage immer mehr bewusst wird, ist weit davon entfernt, sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen; sie nimmt vielmehr sowohl im häuslichen Leben wie im Staat jene Rechte und Pflichten in Anspruch, die der Würde der menschlichen Person entsprechen.
42. Schließlich bemerken wir in unseren Tagen, dass die ganze Menschheitsfamilie im sozialen wie im politischen Leben eine völlig neue Gestalt angenommen hat. Da nämlich alle Völker für sich Freiheit beanspruchen oder beanspruchen werden, wird es bald keine Völker mehr geben, die über andere herrschen, noch solche, die unter fremder Herrschaft stehen. 43. Denn die Menschen aller Länder und Völker sind entweder bereits Bürger eines freien Staatswesens oder werden es bald sein. Keine einzige Stammesgemeinschaft will in Zukunft noch unter fremder Herrschaft stehen. Denn in der Gegenwart schwinden die Anschauungen, die so viele Jahrhunderte überdauerten, auf Grund derer sich gewisse Menschengruppen für untergeordnet hielten, während andere sich überlegen dünkten, sei es wegen ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Stellung, sei es wegen des Geschlechtes oder ihres gesellschaftlichen Ranges.
44. Dagegen verbreitete und behauptete sich weitgehendst die Auffassung, dass alle Menschen in der Würde ihrer Natur unter sich gleich sind. Deshalb wird, wenigstens theoretisch, eine Diskriminierung der Rassen in keiner Weise mehr anerkannt. Und dies ist von größter Bedeutung und größtem Gewicht für die Entwicklung eines menschlichen Zusammenlebens nach den Prinzipien, die Wir erwähnt haben. Sofern in einem Menschen das Bewusstsein seiner Rechte erwacht, muss in ihm auch notwendig das Bewusstsein seiner Pflichten entstehen, so dass, wer bestimmte Rechte hat, zugleich auch die Pflicht hat, sie als Zeichen seiner Würde zu beanspruchen, während die übrigen Menschen die Pflicht haben, diese Rechte anzuerkennen und hochzuschätzen.
45. Wenn so das Grundgefüge der Beziehungen zwischen den Bürgern auf die Rechte und Pflichten abgestellt wird, entdecken die Menschen immer mehr die geistigen Werte, nämlich was Wahrheit, was Gerechtigkeit, was Liebe und was Freiheit ist. So werden sie sich bewusst, Glieder einer solchen Gemeinschaft zu sein. Doch nicht genug! Auf diesem Wege kommen die Menschen dazu, den wahren Gott als die Menschennatur überragendes persönliches Wesen besser zu erkennen. So halten sie schließlich die Beziehungen zu Gott für das Fundament ihres Lebens, das sie sowohl in ihrem Inneren leben als auch gemeinsam mit den übrigen Menschen gestalten.
II. DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MENSCHEN UND DER STAATSGEWALT INNERHALB DER POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN ( ... )
III. DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN
80. Was unsere Vorgänger oftmals gelehrt haben, das wollen auch Wir nun mit Unserer Autorität bekräftigen: Es bestehen zwischen den Nationen gegenseitige Rechte und Pflichten. Deshalb sollen auch ihre Beziehungen von der Norm der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der tatkräftigen Solidarität und der Freiheit bestimmt werden. Das gleiche natürliche Sittengesetz, das die Lebensordnung unter den einzelnen Bürgern regelt, soll auch die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten leiten.
81. Dies ist leicht zu begreifen, wenn man bedenkt, dass die Staatslenker keineswegs ihre natürliche Würde einbüßen können, wenn sie so im Namen und für die Interessen ihrer Gemeinschaft arbeiten; darum ist es ihnen nicht erlaubt, dem sie verpflichtenden natürlichen Sittengesetz, das die Grundnorm der Sittlichkeit selbst ist, untreu zu werden.
82. Im übrigen ist es ganz undenkbar, dass Menschen gezwungen sein sollten, ihr Menschsein aufzugeben, weil sie mit der Leitung des Staates beauftragt sind. Haben sie doch im Gegenteil gerade deshalb den Rang dieser höchsten Würde erlangt, weil sie in Anbetracht ihrer ausgezeichneten Geistesgaben und Anlagen als die vortrefflichsten Glieder des Staates befunden wurden.
83. Es folgt auch schon aus der moralischen Ordnung selbst, dass die bürgerliche Gemeinschaft der Menschen einer Autorität bedarf, durch die sie geleitet wird, und dass die Autorität nicht gegen ebendiese Ordnung ausgespielt werden kann; sonst würde sie sofort hinfällig werden, da ihr das Fundament entzogen wäre. Dies ist die Mahnung Gottes selbst: "Höret nun, ihr Könige, und merket wohl, lernet, ihr Richter der Enden der Erde! Lauschet, ihr Herrscher über die Volksmenge, die ihr euch brüstet mit Völkermassen! Denn vom Herrn ward euch die Macht gegeben und die Herrschaft vom Höchsten, der eure Werke prüfen und eure Pläne untersuchen wird" (Weish 6,2-4).
84. Auch hinsichtlich der Regelung der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten muss die Autorität für die Förderung des Gemeinwohls aller eintreten, da sie doch in erster Linie zu diesem Zweck eingesetzt ist.
85. Zu den obersten Gesetzen des Gemeinwohls gehört aber, dass die moralische Ordnung anerkannt wird und ihre Gebote unverletzt bewahrt werden: "Die rechte Ordnung unter den Staaten muss aufgebaut sein auf der unverrückbaren Grundlage jenes Sittengesetzes, das vom Schöpfer selbst durch die Ordnung der Natur erlassen und unaustilgbar in die Herzen der Menschen geschrieben ist ... Wie ein Leuchtturm muss das göttliche Sittengesetz mit dem Strahl seiner Grundsätze allen menschlichen und staatlichen Bemühungen die Richtung weisen. Seine heilsamen und wohltätigen Warnungssignale müssen alle befolgen, wollen sie nicht Arbeit und Mühe zur Aufrichtung einer Neuordnung von vornherein zum Schiffbruch in stürmischer See verurteilen" (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1941: AAS 34 [1942] 16).
86. An erster Stelle gilt, dass die gegenseitigen Beziehungen der. politischen Gemeinschaften untereinander von der Wahrheit bestimmt sein müssen. Die Wahrheit verlangt aber, dass es darin keine Diskriminierung der Rassen geben darf; unantastbar und unerschütterlich gilt darum, dass alle Staaten, was ihre natürliche Würde angeht, untereinander gleichgestellt sind. Jeder hat also das Recht auf Dasein, auf Entfaltung, auf den Besitz der dazu notwendigen Mittel und auch darauf, dass er in der Verwirklichung alles dessen die Hauptverantwortung übernimmt. Desgleichen kann er rechtmäßig verlangen, dass er geachtet und dass ihm die gebührende Ehre erwiesen wird.
87. Die Erfahrung lehrt, dass die Menschen sehr häufig und auch in hohem Maße voneinander verschieden sind an Wissen, Tugend, Geisteskraft und an Besitz äußerer Güter. Daraus kann aber niemals ein gerechter Grund abgeleitet werden, dass diejenigen, die den übrigen überlegen sind, diese irgendwie von sich abhängig machen; vielmehr haben sie, und zwar alle und jeder einzelne, die größere Verpflichtung, den anderen zur Vervollkommnung zu verhelfen, die nur in gegenseitigem Bemühen zu erringen ist.
88. So kann es vorkommen, dass auch unter den Nationen die einen den anderen voraus sind an wissenschaftlichem Fortschritt, an menschlicher Kultur und an wirtschaftlicher Entwicklung. Doch diese Vorzüge erlauben es ihnen keineswegs, zu Unrecht andere zu beherrschen, sondern sollen ihnen vielmehr ein Ansporn sein, mehr zum gemeinsamen Fortschritt der Völker beizutragen.
89. Die Menschen können nicht ihrer Natur nach anderen überlegen sein, da alle mit der gleichen Würde der Natur ausgezeichnet sind. Folglich unterscheiden sich auch die staatlichen Gemeinschaften nicht voneinander hinsichtlich der ihnen von Natur aus innewohnenden Würde; die einzelnen Staaten gleichen nämlich einem Körper, dessen Glieder die Menschen sind. Übrigens zeigt die Erfahrung, dass die Völker in allem, was irgendwie die Würde ihres Namens betrifft, äußerst empfindsam sind, und zwar mit Recht.
90. Ferner gebietet die Wahrheit, dass man sich bei dem Gebrauch der vielfaltigen Möglichkeiten, die durch den Fortschritt der modernen Publikationsmittel geschaffen wurden und durch welche die gegenseitige Kenntnis der Völker gefördert wird, von vornehmer Sachlichkeit leiten lasse. Dies schließt nicht aus, dass es für die Völker gerechtfertigt ist, ihre Vorzüge in das rechte Licht zu rücken. Abzulehnen sind jedoch jene Formen der Nachrichtengebung, durch die unter Missachtung der Gebote der Wahrheit und Gerechtigkeit der Ruf eines Volkes verletzt wird (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1940: AAS 33 [1941] 5-14).
91. Die· gegenseitigen Beziehungen der Staaten müssen gemäß den Forderungen der Gerechtigkeit geregelt werden. Dies bedeutet, dass die beiderseitigen Rechte anerkannt und die gegenseitigen Pflichten erfüllt werden.
92. Die Staaten haben das Recht auf Dasein, auf Entfaltung und Erwerb der für ihren Fortschritt notwendigen Mittel wie auch das Recht auf ihre Erstzuständigkeit dabei sowie das Recht, ihren guten Ruf und die ihnen gebührenden Ehren zu sichern. Daraus folgt, dass die Staaten in gleicher Weise verpflichtet sind, diese Rechte im einzelnen zu achten und alles zu unterlassen, was eine Verletzung derselben bedeuten könnte. Wie nämlich die Menschen in ihren privaten Angelegenheiten ihren eigenen Vorteil nicht zum ungerechten Schaden anderer suchen dürfen, so dürfen auch die Staaten nicht - wenn sie nicht ein Verbrechen begehen wollen - einen solchen Vorteil erstreben, durch den anderen Nationen Unrecht zugefügt oder sie ungerecht bedrückt würden. Hier scheint das Wort des heiligen Augustinus zutreffend: "Fehlt die Gerechtigkeit, was sind dann die Reiche anderes als große Räuberbanden?" (De civitate Dei IV; 4: PL 41, 115; vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1939: AAS 32 [1940] 5-13).
93. Es kann natürlich vorkommen, wie es auch tatsächlich geschieht, dass die Vorteile, welche im Kampf der Interessen die politischen Gemeinschaften für sich zu erringen suchen, einander widerstreiten. Die daraus entstehenden Gegensätze sollen aber nicht mit Waffengewalt und nicht mit Trug und List gelöst werden, sondern, wie es sich für Menschen geziemt, in gegenseitigem Einvernehmen auf Grund reiflicher sachlicher Überlegung und unparteiischer Schlichtung.
94. Hierher gehört ein besonderes Wort über jene Tendenz im Staatsleben, die seit dem 19. Jahrhundert sich überall verbreitete und zunahm: dass die Menschen gleicher Abstammung politisch selbständig und zu einer Nation vereint sein wollen. Dies kann jedoch aus verschiedenen Gründen nicht immer erreicht werden. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass sich völkische Minderheiten innerhalb des Gebietes einer anderen Nation finden, woraus dann schwerwiegende Fragen entstehen.
95.Hierzu muss offen gesagt werden: Was immer gegen diese Völker zur Unterdrückung der Lebenskraft und des Wachstums ihres Stammes unternommen wird, ist eine schwere Verletzung der Gerechtigkeit, und dies um so mehr, wenn solche verwerfliche Gewaltanwendung auf die Ausrottung des Stammes selbst abzielt.
96. Vielmehr entspricht es vollkommen den Geboten der Gerechtigkeit, wenn die Staatslenker sich tatkräftig bemühen, die Lebensbedingungen der Minderheit zu heben, namentlich in dem, was deren Sprache, Kultur, Herkommen und Gebräuche sowie wirtschaftliche Unternehmungen und Initiativen betrifft (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1941: AAS 34 [1942] 10-21).
97. Dennoch muss bemerkt werden, dass die Minderheiten - sei es in Reaktion auf die ihnen aufgezwungene schwierige Lage, sei es als Nachwirkung geschichtlicher Ereignisse - nicht selten dazu neigen, die Besonderheiten ihres Stammes über Gebühr hervorzuheben, und zwar so sehr, dass sie selbst die menschlichen Werte, die allen eigen sind, so herabmindern, als ob das Wohl der Menschheitsfamilie dem Wohl ihres eigenen Stammes dienen müsse, nicht aber umgekehrt. Es entspricht aber der gesunden Vernunft, dass diese Bürger auch die Vorteile anerkennen, die ihnen aus ihrer besonderen Lage erwachsen; dass nämlich der tägliche Umgang mit Bürgern einer anderen Kultur nicht wenig beiträgt zur Vervollkommnung ihres Geistes und Herzens, da sie sich allmählich die Tugenden des anderen Stammes innerlich aneignen können. Doch dies wird nur dann eintreten, wenn die Minderheiten eine gewisse Gemeinschaft mit den sie umgebenden Völkern pflegen und an deren Gebräuchen und Einrichtungen teilzunehmen suchen, nicht aber, wenn sie Zwistigkeiten säen, die unzählige Schäden verursachen und den Fortschritt der Nationen aufhalten.
98. Da die gegenseitigen Beziehungen der Staaten gemäß der Wahrheit und Gerechtigkeit geregelt werden sollen, müssen sie besonders durch tatkräftige Solidarität gefördert werden. Dies kann durch eine vielfältige gegenseitige Zusammenarbeit erreicht werden, wie es in unserer Zeit mit gutem Erfolg auf dem Gebiete der Wirtschaft, der Sozialarbeit, der Politik, der Kultur, des Gesundheitswesens und des Sportes geschieht. Diesbezüglich müssen wir uns vor Augen halten, dass die Staatsgewalt ihrer Natur nach nicht dazu eingesetzt ist, die Menschen in die Grenzen der jeweiligen politischen Gemeinschaft einzuzwängen, sondern vor allem für das Gemeinwohl des Staates zu sorgen, das von dem der ganzen Menschheitsfamilie gewiss nicht getrennt werden kann.
99. Dies bedeutet, dass die einzelnen staatlichen Gemeinschaften in der Wahrung ihrer Interessen einander nicht nur nicht schaden dürfen, sondern auch mit Rat und Tat sich zusammentun sollen, wenn die Anstrengungen der einzelnen Staaten die gewünschten Ziele nicht erreichen können. In diesem Falle muss man sehr darauf achten, dass die Vorteile, die sich für die einen Staaten ergeben, den anderen nicht mehr Schaden als Nutzen bringen.
100. Auch das universale Gemeinwohl verlangt, dass in jeder einzelnen Nation der Verkehr jeglicher Art zwischen Bürgern und zwischen sozialen Gruppen gefördert werde. Denn da es in vielen Teilen der Erde Stammesgruppen gibt, die der Abstammung nach mehr oder weniger voneinander verschieden sind, muss man Vorsorge treffen, dass nicht die Glieder eines Volksstammes am Umgang mit denen des anderen gehindert werden. Dies wäre in offenem Widerspruch zu einer Zeit wie der unsrigen, in der die Entfernungen unter den Völkern beinahe aufgehoben sind. Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Menschen eines jeden Stammes neben ihren besonderen Anlagen, die sie von den anderen unterscheiden, auch mit diesen gemeinsame Eigenschaften besitzen, Eigenschaften, die eine bedeutende Rolle in ihrem stetigen Aufstieg und ihrer Vervollkommnung, besonders der geistigen, spielen. Sie haben also das Recht und die Pflicht, ihr Leben in Gemeinschaft mit den übrigen Gliedern der Gemeinschaft zu verbringen.
101. Es ist allgemein bekannt, dass mancherorts auf Erden ein ungleiches Verhältnis zwischen der Fläche des bestellbaren Landes und der Zahl der Einwohner besteht, anderswo zwischen den Bodenschätzen und den zur Verfügung stehenden Mitteln zu deren Ausbeutung. Daraus entspringt die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit zum Zweck eines leichteren Austausches der Güter, der Kapitalien und der Menschen (vgl. Johannes XXIII., Mater et magistra: AAS 53 [1961] 439).
102. Hier halten Wir es für angebracht, dass, soweit möglich, das Kapital die Arbeit suche, nicht aber die Arbeit das Kapital. Auf diese Weise wird vielen die Möglichkeit einer Vermögensmehrung geboten, ohne dass sie zu ihrem großen Kummer gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, einen anderen Wohnsitz zu suchen, in einer neuen Lage sich zurechtzufinden und mit anderen Menschen neue Beziehungen aufzunehmen.
103. Da Wir, von Gott selbst bewegt, gegenüber allen Menschen die Gesinnung väterlicher Liebe hegen, betrachten Wir mit großem Schmerz das Los derer, die aus politischen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Viele und unglaubliche Leiden begleiten ja ständig die große, in unserer Zeit wahrlich ungezählte Menge dieser Flüchtlinge.
104. Diese Erscheinung zeigt, dass die Regierungen gewisser Nationen die Grenzen der gehörigen Freiheit allzu sehr einengen, in deren Bereich es den einzelnen gestattet sein soll, ein menschenwürdiges Leben zu führen. In solchen Staaten wird zuweilen sogar das Recht auf Freiheit selbst in Frage gestellt oder auch ganz aufgehoben. Wenn dies geschieht, wird die rechte Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft völlig umgestürzt; denn die Staatsgewalt ist ihrer Natur nach zum Schutz des Wohles der Gemeinschaft bestimmt. Ihre erste Aufgabe besteht darin, den Raum der Freiheit anzuerkennen und ihre Rechte in vollem Umfang zu sichern.
105. Deshalb ist es angezeigt, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass diese Flüchtlinge mit der Würde einer Person ausgestattet sind und dass ihnen die Rechte einer Person zuerkannt werden müssen. Diese Rechte können die Flüchtlinge dadurch, dass sie des Bürgerrechtes ihrer politischen Gemeinschaft beraubt wurden, nicht verlieren.
106. Zu den Rechten der menschlichen Person gehört es auch, sich in diejenige Staatsgemeinschaft zu begeben, in der man hofft besser für sich und die eigenen Angehörigen sorgen zu können. Deshalb ist es Pflicht der Staatslenker, ankommende Fremde aufzunehmen und, soweit es das wahre Wohl ihrer Gemeinschaft zulässt, dem Vorhaben derer entgegenzukommen, die sich einer neuen Gemeinschaft anschließen wollen.
107. Bei dieser Gelegenheit anerkennen und loben Wir daher öffentlich alle jene Bemühungen, die im Sinne der Grundsätze der brüderlichen Verbundenheit und der christlichen Liebe sich zum Ziele setzen, die Mühsal derer zu lindern, die aus ihrer Heimat anderswohin auszuwandern gezwungen sind.
108. Und Wir möchten nicht unterlassen, alle rechtschaffenen Menschen lobend hinzuweisen auf jene internationalen Einrichtungen, die auf diesem wichtigen Gebiet alle ihre Kräfte einsetzen.
109. Anderseits sehen Wir nicht ohne großen Schmerz, dass in den wirtschaftlich gut entwickelten Staaten ungeheuere Kriegsrüstungen geschaffen wurden und noch geschaffen werden und dass dafür die größten geistigen und materiellen Güter aufgewendet werden. So kommt es, dass die Bürger dieser Nationen keine geringen Lasten zu tragen haben und andere Staaten, die sich wirtschaftlich und sozial entwickeln sollten, der notwendigen Hilfeleistungen entbehren.
110. Als rechtfertigenden Grund für diese militärische Rüstung pflegt man anzugeben, dass unter den gegenwärtigen Umständen der Friede nur durch das Gleichgewicht der Rüstungen gesichert werden kann. Die militärische Rüstungssteigerung an einer Stelle hat also zur Folge, dass auch anderswo das Bestreben aufzurüsten zunimmt. Und wenn eine Nation mit Atomwaffen ausgerüstet ist, gibt dies anderen Nationen Anlass, dass auch sie sich solche Waffen mit gleicher Zerstörungskraft zu verschaffen suchen.
111. Infolgedessen befinden sich die Völker beständig in Furcht, wie vor einem Sturm, der jeden Augenblick mit erschreckender Gewalt losbrechen kann. Und das nicht ohne Grund, denn an Waffen fehlt es tatsächlich nicht. Wenn es auch kaum glaublich ist, dass es Menschen gibt, die es wagen möchten, die Verantwortung für die Vernichtung und das Leid auf sich zu nehmen, die ein Krieg im Gefolge hat, so kann man doch nicht leugnen, dass unversehens und unerwartet ein Kriegsbrand entstehen kann. Und wenn auch die ungeheuere militärische Rüstung heute die Menschen davon abschrecken dürfte, einen Krieg zu beginnen, so besteht dennoch Grund zur Befürchtung, dass die schon für Kriegszwecke unternommenen Kernwaffenexperimente, wenn sie nicht aufhören, die verschiedenen Arten des Lebens auf Erden in schwere Gefahr bringen können.
112. Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend, dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; dass ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; dass Atomwaffen verboten werden; und dass endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen. "Es darf nicht gestattet werden", mahnte Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII., "dass das Grauen eines Weltkrieges mit seiner wirtschaftlichen Not, seinem sozialen Elend und seinen sittlichen Verirrungen zum dritten Mal über die Menschheit komme" (vgl. Weihnachtsbotschaft 1941: AAS 34 [1942]17; Benedikt XV., Aufruf an die Regierenden der kriegführenden Staaten, 1. 8. 1917: AAS 9 [1917] 418). 113. Allerdings müssen alle davon überzeugt sein, dass das Ablassen von der Rüstungssteigerung, die wirksame Abrüstung oder - erst recht - die völlige Beseitigung der Waffen so gut wie unmöglich sind, wenn dieser Abschied von den Waffen nicht allseitig ist und auch die Gesinnung erfasst, das heißt, wenn sich nicht alle einmütig und aufrichtig Mühe geben, dass die Furcht und die angstvolle Erwartung eines Krieges aus den Herzen gebannt werden. Dies setzt aber voraus, dass an die Stelle des obersten Gesetzes, worauf der Friede sich heute stützt, ein ganz anderes Gesetz trete, wonach der wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit der militärischen Rüstung, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann. Wir sind entschieden der Meinung, dass dies geschehen kann, da es sich um eine Sache handelt, die nicht nur von den Gesetzen der gesunden Vernunft befohlen wird, sondern auch höchst wünschenswert und überaus segensreich ist.
114. Zunächst handelt es sich um eine Sache, die die Vernunft gebietet. Denn wie alle wissen oder wenigstens wissen sollten: die Beziehungen der Staaten untereinander sind ebenso wie die der einzelnen Menschen nicht durch Waffengewalt, sondern nach den Gesetzen der gesunden Vernunft, also nach den Gesetzen der Wahrheit, Gerechtigkeit und der tätigen Solidarität, zu regeln.
115. Danach aber muss man mit Leidenschaft streben. In der Tat, wer hätte nicht den brennenden Wunsch, dass des Krieges Unheil abgewendet, der Friede dagegen unversehrt bewahrt und täglich mehr gesichert werde?
116. Endlich ist der Friede von höchstem Wert für alle: für die einzelnen Menschen, für den häuslichen Herd, für die Völker und schließlich für die gesamte Menschheitsfamilie. Diesbezüglich hallt in Unseren Ohren noch die mahnende Stimme Unseres Vorgängers Pius XII. nach: "Nichts ist mit dem Frieden verloren. Aber alles kann mit dem Krieg verloren sein" (Radiobotschaft, 24. 8. 1939: AAS 31 [1939] 334).
117. Wir, die Wir auf Erden die Stelle Jesu Christi, des Welterlösers und des Urhebers des Friedens, vertreten und, von väterlicher Liebe gegenüber allen Menschen angetrieben, den brennenden Wunsch der ganzen Menschheitsfamilie deuten, Wir halten es für Unsere Aufgabe, alle Menschen und besonders jene, die die Staaten lenken, zu bitten und zu beschwören, keine Sorge und keine Mühe zu scheuen, bis endlich der Lauf der menschlichen Dinge mit der menschlichen Vernunft und Würde übereinstimmt.
118. Bei den Zusammenkünften der Männer, die durch ihre Klugheit und Autorität hervorragen, sollte gründlich geprüft werden, wie auf der ganzen Welt die gegenseitigen Beziehungen der Staaten in menschlicherem Gleichgewicht neu zu gestalten sind; Wir meinen ein Gleichgewicht, das auf gegenseitigem Vertrauen, auf aufrichtiger Gesinnung bei Vertragsschlüssen und auf unverletzlichen Vereinbarungen gegründet ist. Diese Frage soll aber von allen Seiten so erwogen werden, dass eine Grundlage gefunden wird, auf der freundschaftliche, feste und segensreiche Bündnisse entstehen können.
119. Wir Unsererseits bitten Gott ohne Unterlass, dass er durch seine himmlische Kraft diesen Arbeiten Erfolg verleihe und sie fruchtbar mache.
120. Eine weitere Forderung ist, dass die gegenseitigen Beziehungen der Staaten in Freiheit zu ordnen sind. Das heißt, dass keine Nation das Recht hat, irgend etwas zu tun, wodurch sie andere ungerechterweise unterdrückt oder sich ungebührlich in deren Angelegenheiten einmischt. Vielmehr sollen alle den anderen helfen, damit diese sich mehr und mehr ihrer Pflichten bewusst werden, selbst die Initiative zu Neuem und Nützlichem ergreifen und aus eigenen Kräften auf jedwedem Gebiete Fortschritte machen.
121. Da alle Menschen durch die Gemeinsamkeit des Ursprungs, der christlichen Erlösung und des letzten Zieles untereinander verbunden sind und dazu berufen, eine einzige christliche Familie zu bilden, haben Wir in der Enzyklika Mater et Magistra die wirtschaftlich fortgeschrittenen Staaten ermahnt, jenen Völkern, deren wirtschaftliche Entwicklung sich noch im Aufbau befindet, alle nur mögliche Hilfe zu leisten (AAS 53 [1961] 440 f.).
122. Mit großer innerer Genugtuung müssen Wir sagen, dass diese Mahnungen heute weitgehend angenommen worden sind, und Wir hegen die Hoffnung, dass sie in Zukunft noch weiter aufgegriffen werden, damit die wirtschaftlich bedürftigeren Völker bald so weit voranschreiten, dass ihre Bürger ein Leben führen können, das der Menschenwürde entspricht.
123. Und doch muss man sich immer wieder vor Augen halten, dass man jenen Völkern so zu Hilfe kommen muss, dass sie ihre Freiheit unversehrt wahren können. Auch müssen sie wissen, dass bei diesem wirtschaftlichen Fortschritt und sozialen Aufstieg ihnen selbst die erste Verantwortung zukommt und dass sie dabei die Hauptarbeit zu leisten haben.
124. Deshalb hat Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII. weise gelehrt: "Im Rahmen einer sittlich begründeten neuen Ordnung ist kein Platz für die Antastung der Freiheit, Unverletzlichkeit und Sicherheit anderer Nationen, gleichviel welcher Ausdehnung und Wehrhaftigkeit sie sein mögen. So unvermeidlich es ist, dass die überragende Leistungsfähigkeit und Macht von Groß-Staaten der wirtschaftlichen Gruppenbildung zwischen ihnen selbst und den kleineren schwächeren Staaten die Wege weist, so muss doch - wie für alle im Rahmen des Allgemeininteresses auch für die kleineren Staaten unbestritten bleiben das Recht auf die Achtung vor ihrer politischen Freiheit, auf die wirksame Wahrung jener Neutralität, die ihnen nach Natur- und Völkerrecht bei politischen Verwicklungen zusteht, auf den Schutz ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Denn nur so werden sie das Gemeinwohl, dem materiellen und geistig-sittlichen Wohlstand ihres eigenen Volkes entsprechend, erreichen können" (vgl. Weihnachtsbotschaft 1941: AAS 34 [1942] 16 f.).
125. Daher müssen die höherentwickelten Staaten bei der vielfältigen Hilfeleistung für die bedürftigeren die besonderen Eigenarten eines jeden Volkes und die von seinen Vorfahren überkommenen Bräuche unbedingt achten und sich in jeder Weise vor der Absicht hüten, eine Vorherrschaft auszuüben. Wenn sie sich daran halten, "werden sie nicht wenig dazu beitragen, alle Staaten zu einer Gemeinschaft zu verbinden, deren einzelne Glieder im Bewusstsein ihrer Rechte und Pflichten übereinstimmend zur Wohlfahrt aller beitragen" (Johannes XXIII., Mater et magistra: AAS 53 [1961] 443).
126. Mehr und mehr hat sich in unseren Tagen die Überzeugung unter den Menschen verbreitet, dass die Streitigkeiten, die unter Umständen zwischen den Völkern entstehen, nicht durch Waffengewalt, sondern durch Verträge und Verhandlungen beizulegen sind.
127. Freilich gestehen Wir, dass diese Überzeugung meist von der schrecklichen Zerstörungsgewalt der modernen Waffen herrührt, von der Furcht vor dem Unheil grausamer Vernichtung, die diese Art von Waffen herbeiführen kann. Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten.
128. Leider sehen Wir jedoch häufig Völker, die der Furcht als dem sozusagen höchsten Gesetz verfallen sind und deshalb größte Summen für die Rüstung ausgeben. Sie erklären - und es ist kein Grund vorhanden, warum man ihnen nicht glauben sollte -, dass sie dabei nicht, die Absicht haben, andere anzugreifen, sondern sie nur von einem Angriff abzuschrecken.
129. Trotz allem ist zu hoffen, die Völker werden durch freundschaftliche wechselseitige Beziehungen und Verhandlungen die Bande der menschlichen Natur besser anerkennen, durch die sie aneinander geknüpft sind; sie werden ferner deutlicher einsehen, dass es zu den hauptsächlichen Pflichten der menschlichen Natur gehört, darauf hinzuwirken, dass die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen und den Völkern nicht der Furcht, sondern der Liebe gehorchen sollen, denn der Liebe ist es vor allem eigen, die Menschen zu jener aufrichtigen, äußeren und inneren Verbundenheit zu führen, aus der für sie so viel Gutes hervorzusprießen vermag.
IV. DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN EINZELNEN POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN UND DER VÖLKERGEMEINSCHAFT
130. Die neueren Fortschritte in Wissenschaft und Technik, die das menschliche Verhalten so stark beeinflussen, leiten die Menschen der ganzen Erde zu immer größerer Zusammenarbeit und innerer Verbundenheit an. Tatsächlich hat sich heute der Austausch von Gütern, Ideen und Menschen sehr verstärkt. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den einzelnen, den Familien und den internationalen sozialen Organisationen sind sehr stark angewachsen, und auch die Fühlungnahme zwischen verschiedenen Regierungen ist häufiger geworden. Die Volkswirtschaften der verschiedenen Staaten verflechten sich stufenweise so sehr, dass aus diesem Zusammenschluss gewissermaßen eine Wirtschaftsgemeinschaft der ganzen Welt entsteht. Schließlich hängen sozialer Fortschritt, Ordnung, Sicherheit und Ruhe jedes einzelnen Staates notwendig mit denselben Gegebenheiten in allen übrigen Nationen zusammen.
131. Bei dieser Sachlage ist es klar, dass die einzelnen Staaten, wenn sie von den übrigen getrennt sind, keineswegs in der Lage sind, ihre Interessen wahrzunehmen und sich entsprechend zu entwickeln, da der Wohlstand und der Fortschritt des einen Staates den Wohlstand und den Fortschritt des anderen teils zur Ursache hat, teils verursacht.
132. Kein Zeitalter wird die Einheit der menschlichen Schicksalsgemeinschaft zerstören, da diese aus Menschen besteht, die gleichberechtigt an der naturgegebenen Würde teilhaben. Deshalb fordert die in der Natur des Menschen gründende Notwendigkeit immer, dass in geziemender Weise jenes umfassende Gemeinwohl angestrebt wird, welches die gesamte Menschheitsfamilie angeht.
133. In den vergangenen Zeiten konnten die Staatslenker, wie es scheint, hinreichend für das universale Gemeinwohl sorgen. Sie suchten es zu erreichen durch Diplomaten, durch Zusammenkünfte und Gespräche auf höchster Ebene und durch Abschluss von Konventionen und Verträgen, durch Mittel und Wege also, die sich im Rahmen des Naturrechts, des Völkerrechts oder des internationalen Rechts hielten.
134. In unseren Tagen aber haben die gegenseitigen Beziehungen der Staaten große Veränderungen erfahren. Denn das gemeinsame Wohl aller Völker wirft einerseits schwierige Fragen von höchster Tragweite auf, besonders bezüglich der Wahrung von Sicherheit und Frieden in der ganzen Welt. Anderseits können die Lenker der einzelnen Nationen, da sie unter sich gleichberechtigt sind und obgleich sie sehr viele Kongresse veranstalten und ihre Anstrengungen vervielfältigen, um geeignetere Rechtsmittel zu finden, die Probleme doch nicht in genügender Weise lösen. Nicht dass es ihnen am guten Willen oder an Unternehmungsgeist fehlte, sondern weil ihre Autorität nicht über die nötige Macht verfügt.
135. Deshalb sind bei dem heutigen Zustand der menschlichen Gesellschaft sowohl die staatliche Organisation als auch der Einfluss, über welchen die einzelne Staatsgewalt bei allen übrigen Nationen des Erdkreises verfUgt, als ungenügend anzusehen, um das gemeinsame Wohl aller Völker zu fördern.
136. Wer vollends aufmerksam einerseits das innere Wesen des Gemeinwohls und anderseits Natur und Wirksamkeit der politischen Gewalt bedenkt, sieht sehr deutlich, dass die beiden notwendigerweise aufeinander abgestimmt sein müssen. Denn wie die moralische Ordnung die staatliche Gewalt erfordert zur Förderung des Gemeinwohls im bürgerlichen Zusammenleben, so fordert sie auch, dass die staatliche Gewalt diese Aufgabe wirksam durchführen kann. Daher kommt es, dass die staatlichen Einrichtungen - in denen die politische Gewalt Gestalt annimmt, wirkt und ihr Ziel verfolgt - so angelegt und von solcher Gestalt und Wirkkraft sind, dass sie zum Gemeinwohl in jenen Methoden und Maßnahmen führen, welche der jeweiligen Situation entsprechen.
137. Da aber heute das allgemeine Wohl der Völker Fragen aufwirft, die alle Nationen der Welt betreffen, und da diese Fragen nur durch eine politische Gewalt geklärt werden können, deren Macht und Organisation und deren Mittel einen dementsprechenden Umfang haben müssen, deren Wirksamkeit sich somit über den ganzen Erdkreis erstrecken muss, so folgt um der sittlichen Ordnung willen zwingend, dass eine universale politische Gewalt eingesetzt werden muss.
138. Diese allgemeine politische Gewalt, deren Macht überall auf Erden Geltung haben soll und deren Mittel in geeigneter Weise zu einem universalen Gemeinwohl führen sollen, muss freilich durch Übereinkunft aller Völker begründet und nicht mit Gewalt auferlegt werden. Denn um ihres Amtes wirksam zu walten, muss diese Gewalt allen gegenüber sich voll und ganz unparteiisch verhalten und bestrebt sein, das allgemeine Wohl aller Völker zu fördern. Würde dagegen diese allgemeine Autorität von den mächtigeren Nationen gewaltsam eingesetzt, wäre mit Recht zu fürchten, dass sie entweder nur den Interessen einiger weniger dienen oder von einer einzigen Nation abhängen würde; und so wären Kraft und Wirksamkeit ihres HandeIns in Gefahr. Denn wenn die Nationen untereinander auch sehr verschieden sind hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und ihrer militärischen Macht, so sind sie doch sehr darauf bedacht, ihre Rechtsgleichheit und die Werte ihres Eigenlebens zu wahren. Deshalb unterstehen politische Gemeinschaften mit Recht nur unwillig einer Gewalt, die ihnen entweder aufgebürdet wurde oder die sie nicht mitbegründet haben oder der sie sich nicht freiwillig gebeugt haben.
139. Wie das Gemeinwohl der einzelnen Staaten nicht bestimmt werden kann ohne Rücksicht auf die menschliche Person, so auch nicht das universale Gemeinwohl aller Staaten zusammen. Deshalb muss die universale politische Gewalt ganz besonders darauf achten, dass die Rechte der menschlichen Person erkannt werden und ihnen die geschuldete Ehre zuteil wird, dass sie unverletzlich sind und wirksam gefördert werden. Das kann sie entweder unmittelbar aus sich tun, sofern es der einzelne Fall erheischt, oder durch Schaffung von solchen Lebensbedingungen auf der ganzen Welt, mit deren Hilfe die Lenker der Einzelstaaten leichter ihre Aufgabe zu erfüllen instand gesetzt werden.
140. Wie in den Einzelstaaten die Beziehungen zwischen der staatlichen Gewalt und den Bürgern, den Familien und den zwischen ihnen und dem Staat stehenden Verbänden durch das Subsidiaritätsprinzip gelenkt und geordnet werden müssen, so müssen durch dieses Prinzip natürlich auch jene Beziehungen geregelt werden, welche zwischen der Autorität der universalen politischen Gewalt und den Staatsgewalten der einzelnen Nationen bestehen. Denn dieser universalen Autorität kommt als besondere Aufgabe zu, jene Fragen zu behandeln und zu entscheiden, die sich bezüglich des universalen Gemeinwohls stellen, und zwar in wirtschaftlicher, sozialer und politischer wie auch in kultureller Hinsicht: Fragen, die wegen ihres Gewichtes, wegen ihres weit verflochtenen Zusammenhangs und ihrer Dringlichkeit als zu schwierig angesehen werden müssen, als dass sie von den Lenkern der Einzelstaaten glücklich gelöst werden könnten.
141. Es ist natürlich nicht Aufgabe dieser universalen Autorität, den Machtbereich der Einzelstaaten einzuschränken oder ihre Angelegenheiten an sich zu ziehen. Sie muss sich im Gegenteil um die Schaffung solcher Daseinsbedingungen auf der ganzen Welt bemühen, in denen nicht nur die Staatsgewalt jeder einzelnen Nation, sondern auch die einzelnen Menschen und die sozialen Gruppen in größerer Sicherheit ihre Angelegenheiten erledigen, ihre Pflichten erfüllen und ihre Rechte ausüben können (vgl. Pius XII., Ansprache an Jugendliche der Katholischen Aktion Italiens, 12. 9. 1948: AAS 40 [1948] 412).
142. Wie allen bekannt ist, wurde am 26. Juni 1945 die Organisation der Vereinten Nationen (UN) gegründet, der in der Folgezeit kleinere Institutionen beigefügt wurden, die sich aus bevollmächtigten Mitgliedern verschiedener Nationen zusammensetzen. Ihnen sind große, in allen Teilen der Welt zu erfüllende Aufgaben auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem, erzieherischem Gebiet und auf dem Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesen übertragen. Ferner stellen sich die Vereinten Nationen als Hauptaufgabe, den Frieden unter den Völkern zu schützen und zu festigen sowie freundschaftliche Beziehungen unter ihnen zu pflegen und zu entwickeln, die auf den Grundsätzen der Gleichheit, der gegenseitigen Hochachtung und der vielfältigen Zusammenarbeit auf allen Gebieten menschlicher Aktivität gründen.
143. Ein Akt von höchster Bedeutung ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. In der Präambel dieser Erklärung wird eingeschärft, alle Völker und Nationen müssten in erster Linie danach trachten, dass alle Rechte und Formen der Freiheit, die in der Erklärung beschrieben sind, tatsächlich anerkannt und unverletzt gewahrt werden.
144. Wir verkennen nicht, dass gegenüber einigen Kapiteln dieser Erklärung mit Recht von manchen Einwände geäußert worden sind. Nichtsdestoweniger ist diese Erklärung gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf der Welt zu betrachten. Denn durch sie wird die Würde der Person für alle Menschen feierlich anerkannt, und es werden jedem Menschen die Rechte zugesprochen, die Wahrheit frei zu suchen, den Normen der Sittlichkeit zu folgen, die Pflichten der Gerechtigkeit auszuüben, ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Darüber hinaus werden noch andere Rechte ausgesprochen, die mit den erwähnten in Zusammenhang stehen.
145. Es ist daher zu wünschen, die Vereinten Nationen möchten ihre Organisation und ihre Mittel immer mehr der Weite und dem hohen Rang ihrer Aufgaben anzupassen imstande sein, damit bald die Zeit komme, in der diese Vereinigung die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann; Rechte, die deswegen allgemein, unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen. Und das um so mehr, weil die Menschen gegenwärtig in ihrer Nation mehr an der Gestaltung des öffentlichen Lebens teilhaben, mitlebhafterem Interesse die Anliegen aller Völker ununterbrochen verfolgen und sich immer mehr bewusst sind, dass sie als lebendige Glieder zur allgemeinen Menschheitsfamilie gehören.
V. PASTORALE WEISUNGEN ( ... )
166. Was Wir bisher über die Fragen ausgeführt haben, welche die menschliche Gesellschaft gegenwärtig so beunruhigen und die mit dem Fortschritt der Menschheitsfamilie eng zusammenhängen, das hat Unserem Herzen jene starke Sehnsucht eingegeben, von der alle Menschen guten Willens entflammt sind: dass auf dieser Erde der Friede gesichert werde.
167. Da Wir - wenn auch dieses Amtes unwürdig - der Stellvertreter dessen sind, den der Prophet in göttlicher Sehergabe den Friedensfürsten (vgl. Is 9,6) genannt hat, halten Wir es für Unsere heilige Pflicht, Unsere sorgenden Überlegungen und Unsere ganze Kraft der Förderung dieses allumfassenden Gutes zu weihen. Der Friede muss jedoch ein leeres Wort bleiben, wenn er sich nicht in jenem Ordnungsgefüge entwickelt, das Wir voller Hoffnung in diesem Rundschreiben in den Umrissen angedeutet haben: Wir meinen ein Ordnungsgefüge, das in der Wahrheit gegründet, nach den Richtlinien der Gerechtigkeit erbaut, von lebendiger Liebe erfüllt ist und sich schließlich in der Freiheit verwirklicht.
168. Es handelt sich hier um eine so hohe und so bedeutende Aufgabe, dass ein Mensch - sei er auch höchsten Lobes würdig und vom besten Willen beseelt - sie nie erfüllen könnte, wenn er sich nur auf seine eigene Kraft verließe. Dass die menschliche Gesellschaft soweit als möglich ein Abbild des Gottesreiches werde, dazu braucht es dringend der Hilfe des göttlichen Geistes.
169. Die Sache selbst fordert von uns, in diesen heiligen Tagen flehentliche Gebete an den zu richten, der in seinem bitteren Leiden und Sterben nicht nur unsere Schuld, den Quell der Zwietracht, des Elends und der Ungerechtigkeiten, getilgt, sondern auch durch sein Blut das Menschengeschlecht mit seinem himmlischen Vater versöhnt hat: "Er selbst ist ja unser Friede, er hat das Getrennte vereint, ... und so kam er, euch, den Fernen wie auch den Nahen, den Frieden kundzutun" (Eph 2,14-17).
170. Auch in der heiligen Liturgie dieser Ostertage hören wir dieselbe Botschaft: "Nach seiner Auferstehung stand unser Herr Jesus inmitten seiner Jünger und sprach: ,Der Friede sei mit euch, alleluja': Da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen" (Resp. ad Mat, Freitag in der Osterwoche). Christus selbst hat uns ja den Frieden geschenkt und zum Vermächtnis gegeben: "Den Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Joh 14, 27).
171. Diesen Frieden, den der göttliche Erlöser uns gebracht hat, müssen wir von ihm in eindringlichem Gebet erbitten. Christus möge von den menschlichen Herzen entfernen, was immer den Frieden gefährden kann; er möge alle zu Zeugen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der brüderlichen Liebe machen. Er möge auch den Geist der Regierenden erleuchten, dass sie mit angemessenem Wohlstand ihren Bürgern auch das schöne Geschenk des Friedens sichern. Endlich möge Christus selbst den Willen aller Menschen entzünden, dass sie die Schranken zerbrechen, die die einen von den andern trennen; dass sie die Bande gegenseitiger Liebe festigen, einander besser verstehen; dass sie schließlich allen verzeihen, die ihnen Unrecht getan haben. So werden unter Gottes Führung und Schutz alle Völker sich brüderlich umarmen, und so wird stets in ihnen der ersehnte Friede herrschen.
172. Zum Schluss wünschen Wir, Ehrwürdige Brüder, dass dieser Friede zu der euch anvertrauten Herde gelange, zum Nutzen vor allem der Schwächsten unter den Menschen, die der Hilfe und des Schutzes besonders bedürfen. So erteilen Wir euch, den Welt- und Ordenspriestern, den gottgeweihten Männern und Frauen, allen Christgläubigen, namentlich denen, welche Unseren Ermahnungen hochherzig Folge leisten werden, in väterlicher Liebe den Apostolischen Segen. Allen Menschen guten Willens aber, an die sich dieser Unser Brief ebenfalls richtet, erflehen Wir Heil und Segen von Gott dem Allmächtigen. ( ... )
2. Papst Paul VI,: Weihnachtsbotschaft vom 23. Dezember 1963
AAS 56 (1964) 55-62
( ... )
Bei diesem Rundblick über die Völker können Wir nicht umhin, Uns noch einem anderen höchsten Bedürfnis der Menschheit zuzuwenden: dem Frieden.
Gerade das Weihnachtsfest legt Uns den Gedanken daran nahe. Wie wir alle wissen, stellt es sich uns vor als eine Friedensbotschaft, vom Himmel auf die Erde gebracht für alle Menschen guten Willens.
Einen Hinweis darauf bietet Uns die große Enzyklika Unseres verehrten und betrauerten Vorgängers, Johannes' XXIII., die von der grundlegenden Frage des Friedens in dieser unserer modernen Welt handelte, deren Umwandlungen und Streitfragen ständig zum Nachdenken über die Natur, die Formen, die Schwächen, die Bedürfnisse und die Entwicklungen dieser Probleme verpflichten.
Jene Enzyklika hat uns, wenn man so sagen kann, die neue Problematik des Friedens und des Dynamismus der Elemente gelehrt, aus denen er sich ergeben muss: seine klassische Begriffsbestimmung nach Augustinus, "Ruhe der Ordnung", erscheint uns heute mehr das Ergebnis einer geordneten Bewegung der die Ruhe und die Sicherheit des Friedens bildenden Faktoren als der gleichbleibenden Statik: als Gleichgewicht der Bewegung.
Wir fühlen Uns aber noch mehr durch eine doppelte Tatsache dazu verpflichtet, den Frieden zum Gegenstand Unserer Weihnachtswünsche zu machen. Erstens gewahren Wir nunmehr ein nicht zu unterdrückendes Bedürfnis im Bewusstsein der neuen Generationen: die Jugend will den Frieden! Zweitens sehen Wir: der Friede ist immer noch schwach, der Friede ist immer noch zerbrechlich, der Friede ist immer noch bedroht. Und an nicht wenigen, zum Glück festumschriebenen Punkten der Erde wird er gestört.
Unsere Beobachtung lässt Uns wegen anderer naheliegender Erwägungen zittern: der Friede gründet sich heute mehr auf die Furcht als auf die Freundschaft, er wird mehr durch den Schrecken vor den mörderischen Waffen verteidigt als durch das gegenseitige Bündnis und Vertrauen unter den Völkern! Und wenn der Friede morgen - was Gott verhüten möge - gebrochen würde, dann wäre der Untergang der ganzen Menschheit möglich.
Wie können wir ein frohes Weihnachten feiern, während eine solche Drohung über den Geschicken der Welt liegt? Deshalb wird Unser Glückwunsch zur dringenden Bitte an alle Menschen guten Willens, an alle Menschen, die verantwortlich sind auf dem Gebiet der Kultur und der Politik: setzt euch mit dem Problem des Friedens von Grund auf auseinander! Mit dem des wahren Friedens, nicht mit jenem anderen, der von einer heuchlerischen Propaganda gepriesen wird, um den Gegner einzuschläfern und die eigene Kriegsrüstung zu verbergen, nicht mit jenem schwächlichen und prahlerischen Frieden, der den unerlässlichen, geduldigen, aufreibenden, aber allein wirksamen Verhandlungen ausweicht, nicht mit jenem Frieden, der sich nur auf das unsichere Gleichgewicht der widerstreitenden Wirtschaftsinteressen oder auf den Traum hochmütiger Vormachtsstellungen gründet. Mit dem wahren Frieden, sagen Wir, der seine Sicherheit auf die kluge Beseitigung oder wenigstens auf die Minderung der Ursachen stützt, durch die er gefährdet werden kann, die da sind: nationalistische - und ideologische Überheblichkeit, das Wettrüsten, das Misstrauen gegenüber den bestehenden Methoden und Einrichtungen, die für das geordnete und brüderliche Zusammenleben unter den Völkern geschaffen sind. Frieden in der Wahrheit, in der Gerechtigkeit, in der Freiheit und in der Liebe, das wünschen Wir.
Hier kommt Unser Weihnachtswunsch auf ein anderes, mit dem des Friedens eng zusammenhängendes Bedürfnis, zu der grundlegenden Frage: Warum leben die Menschen nicht miteinander im Frieden? Warum sind die Menschen nicht geeint?
Ihre Einigung ist das große menschliche Bedürfnis der heutigen Zeit. Die Kultur, die dieses Bedürfnis weckt und ihm großenteils dient, genügt ihm letztlich nicht, sie verschärft es vielmehr durch einen unkritischen Pluralismus der von ihr verbreiteten Ideen. Es fehlt den Menschen an Einheit in den Grundsätzen, in den Ideen, in den Auffassungen vom Leben und von der Welt. Und solange sie uneins sind, verkennen, hassen und bekämpfen sie sich. Daraus sieht man die Bedeutung des Faktors der Lehre für die Geschicke der Menschheit. Man sieht, was für ein Glück für uns das Kommen Jesu Christi in die Welt bedeutet. Er kam, um eine einzige und allgemeine Beziehung der Menschen zu Gott, dem himmlischen Vater, herzustellen. Dieser religiöse Bezug ist das solideste und fruchtbarste Fundament der Einheit unter den Menschen in der Achtung, ja in der Entfaltung ihrer einzelnen und jeweiligen Persönlichkeit. Die wahre gesellschaftliche Verwirklichung des Friedens kommt aus der religiösen christlichen Einheit. Und diese von Christus eingesetzte Einheit im Denken und in der Geschichte möchte auch Unser höchster Wunsch sein, für den Frieden, für die Eintracht, für die Liebe, für das Verstehen, für das Glück der Menschen guten Willens.
Wir rufen ihn in die Welt hinein mit den Glocken der heiligen Weihnacht. Wir richten ihn in besonderer Weise an jene, von denen Wir annehmen müssen, dass sie besser als die anderen in der Lage sind, ihn entgegenzunehmen: die noch von Uns getrennten Christen und die glücklich mit Uns verbundenen Katholiken: ut unum sint, dass alle geeint seien. Dies war der erhabene und letzte Wunsch Christi vor seinem Leiden. Dies sei er auch für Uns am Gedächtnistage seines Kommens auf die Welt.
( ... )
3. Papst Paul VI,: Enzyklika Ecclesiam suam vom 6. August 1964
AAS 56 (1964) 609-659
( ... )
Was das große und umfassende Problem des Friedens in der Welt angeht, so möchten Wir hier dazu bemerken, dass Wir Uns nicht nur besonders verpflichtet fühlen, es wachsam und aufmerksam zu verfolgen, sondern ihm auch Unsere ständige und wirksame Sorge zuzuwenden. Dieses Bemühen wird durch Unser Amt begrenzt. Es wird sich deshalb nie auf ausschließlich zeitliche Belange richten oder sich in eigentlich politischen Formen äußern. Es geht Uns vielmehr darum, mitzuhelfen, die Menschen zu einer Art des Fühlens und HandeIns anzuleiten, das jeden gewaltsamen und kriegerischen Konflikt ablehnt, und sie für jede rechtlich mögliche und friedfertige Regelung internationaler Beziehungen bereitzumachen. Ebenso möchten Wir der Sache des Friedens dadurch dienen, dass Wir Unsere Kraft und Unseren ganzen Fleiß darauf verwenden, die obersten Grundsätze menschlichen Zusammenlebens zu verkünden, die helfen, Egoismus und Leidenschaften, die Quellen bewaffeneter Konflikte, zu zügeln, und ein friedliches Zusammenleben und eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Völkern fördern. Wir sind auch bereit, bei gegebener Gelegenheit zu intervenieren, um den streitenden Parteien zu einem ehrenvollen und brüderlichen Ausgleich zu verhelfen. Wir vergessen nicht, dass diese von der Liebe eingegebene Hilfe eine Pflicht ist, die sich angesichts der Lehrmeinungen einerseits und der Entwicklung der allen Menschen gemeinsamen politischen Organisationen anderseits dem Bewusstsein von Unserer Verpflichtung gegenüber der menschlichen Gesellschaft immer mehr aufdrängt. Denn diese besteht ja darin, alle Menschen durch das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, das Christus durch sein Kommen in diese Welt begründet hat, einander näherzubringen.
( ... )
Wir können aber Unseren Blick von der heutigen Welt nicht abwenden, ohne einen verlockenden Wunsch zu äußern: dass nämlich Unser Vorhaben, Unsern Dialog in seiner naturgegebenen Vielseitigkeit zu pflegen und zu fördern, der Sache des Friedens unter den Menschen dienen möge: einerseits als Methode, die die menschlichen Beziehungen nach den Normen einer vernünftigen und aufrichtigen Sprache zu ordnen sucht, anderseits als Beitrag an Erfahrung und Klugheit, der in allen die Betrachtung der höchsten Werte wieder zu beleben vermag. Die Eröffnung eines Dialogs, wie es der Unsrige sein will - ohne persönliches Interesse, sachlich, ehrlich -, entscheidet sich von selbst für einen freien und ehrenvollen Frieden; er schließt Verstellung, Rivalitäten, Betrug und Verrat aus. Er verurteilt einen Angriffskrieg, einen der auf Eroberung und Vormacht ausgeht, als Verbrechen und Verderben. Er muss sich außer auf die internationalen Beziehungen auf höchster Ebene auch auf das innerstaatliche Zusammenleben und dessen soziale, familiäre und individuelle Voraussetzungen erstrecken, um jeder Institution und jedem Menschen den Sinn, die Verpflichtung und den Geschmack am Frieden einzugeben.
( ... )
4. Papst Paul VI,: Ansprache zum Angelus am 8, August 1965 mit besonderer Bezugnahme auf den 20. Jahrestag des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima
OR 182 (9./10. 8. 1965)
( ... )
Wir haben die Aufmerksamkeit dem Bild einer Gruppe des Volkes zugewandt, welches weint und sich krümmt, um das Gedenken an die unzähligen Opfer jener entsetzlichen Zerstörung in Erinnerung zu rufen und zu ehren, und um die beschwörende Bitte an die Menschheit zu richten, von Gott zu erflehen, dass ein solches Blutbad menschlichen Lebens und eine solche Schmähung jeder Gesittung sich nicht wiederholen möchten. Das ist ein zu Herzen gehender, menschlicher und bewegender Anstoß.
Und Wir, die Wir so oft und auf verschiedene Weise immer wieder dargelegt haben, dass die Atomwaffen geächtet werden sollten. Wir vereinigen uns nun mit diesem Unserem demütigen Gebet am Sonntag mit jenem Wehklagen, mit jener Bitte und mit jener Hoffnung.
Wir wollen beten, dass die Welt niemals wieder einen solch unseligen Tag wie denjenigen von Hiroshima schauen muss.
Wir wollen beten, dass die Menschen niemals mehr ihre Zuversicht, ihre Überlegungen, ihr Prestige auf derart unheilvolle und schändliche Waffen setzen.
Wir wollen beten, damit die furchtbare Fertigkeit, solche Waffen zum Schrecken der Völker herzustellen, zu vervielfachen und aufzubewahren, von allen einmütig und aufrichtig geächtet werde.
Wir wollen beten, damit diese mörderische Waffe künftig nicht alles, selbst auch noch den Frieden, ausrottet, dass sie nicht für immer die Ehre der Wissenschaft verletzt und dass sie nicht die Freude am Leben auf der Erde ausgelöscht haben wird.
Wir wollen beten, damit stattdessen die Brüderlichkeit, der Friede und die Liebe der Welt gesichert seien; und wir erinnern daran, dass Christus allein uns diese höchsten Güter garantieren kann; allein Er, unser Erlöser, der unser Bruder wurde, als Maria ihr "Fiat" sprach, das Wir jetzt zu seiner Ehre wiederholen.
5. Papst Paul VI,: Ansprache bei der Generalaudienz am 26. August 1964 mit besonderer Bezugnahme auf den 50. und 25. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten und Zweiten Weltkriegs
AAS 56 (1964) 759-763
( ... )
Das Herannahen des fünfundzwanzigsten Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges lässt in Unserer Seele die ergreifende Erinnerung an den Abend des 24. August 1939 wiederaufleben, als Wir, aufgrund Unserer Tätigkeit im Dienste Papst Pius' XII. seligen Angedenkens, das Glück hatten, der Verlesung seiner damaligen Radiobotschaft beizuwohnen, die von Kraft und Sorge zu beben schien, bei der seine Stimme ernst und feierlich klang als Stimme eines Propheten Gottes und eines Vaters der ganzen Welt. Seine durchdringenden Worte klingen noch in Unserem Innern nach: "Heute, da ... die Spannung der Geister einen solchen Grad erreicht zu haben scheint, dass man das Losbrechen des fürchterlichen Kriegssturmes für unmittelbar bevorstehend halten muss, richten Wir aus väterlichem Herzen einen neuen und noch eindringlicheren Aufruf an die Regierungen und an die Völker ... Nur durch die Macht der Vernunft, nicht der Waffen, wird sich die Gerechtigkeit eine Bahn schaffen. Die Reiche, die nicht auf dem Fundament der Gerechtigkeit gründen, sind nicht von Gott gesegnet. Eine moralfreie Politik verrät ihre eigenen Urheber. Unmittelbar droht die Gefahr, aber noch ist es Zeit. Nichts ist mit dem Frieden verloren. Aber alles kann mit dem Krieg verloren sein. Mögen sich die Menschen wieder verständigen. Mögen sie wieder Verhandlungen aufnehmen" (AAS 31 [1939] 334).
Diese Worte blieben ungehört von dem, der von einem kurzen, entscheidenden Krieg träumte, der ihm Macht und Ruhm bringen sollte. Eine Woche danach brach der Krieg aus.
Es war der Zweite Weltkrieg. Hatte der Erste, an dessen fünfzigsten Jahrestag man sich in diesen Tagen erinnert hat, nicht gelehrt mit seinen Millionen Toten, Versehrten, Verwundeten, Waisen und seinen ungeheuren Ruinen? Tatsächlich wurden nach dem Ersten Weltkrieg edelmütige und energische Anstrengungen gemacht, um die Nationen in einer friedlichen Gemeinschaft zu organisieren, aber ohne die Geister und die internationalen Beziehungen hinreichend auf jenes Vertrauen in Wahrheit und Liebe hin zu entwickeln, das die Menschen zu Brüdern und bereit machen muss, eine Welt gegenseitiger Achtung und allgemeiner Wohlfahrt zu schaffen. Auch vor dem hasserfüllten, blutigen Drama des Ersten Weltkrieges hatten Unsere Vorgänger weise, beschwörende Ermahnungen, klagende, schmerzerfüllte Rufe ergehen lassen. Es ist ein Irrtum, es ist absolut historisch unzutreffend, einen so milden und humanen Papst wie den hl. Pius X. der Mitverantwortung am Ausbruch des Krieges von 1914 anzuklagen, wie man es zu schreiben gewagt hat. Und noch heute klingt in den Herzen derer, die diesen Krieg durchlitten haben, das fürchterlich wahre Wort Benedikts XV. von dem "sinnlosen Gemetzel", mit dem er diesen Krieg bezeichnete. Auch damals haben die Worte des Stellvertreters Christi ein tiefes Echo in den Herzen der Völker und eine wenn auch verspätete Anerkennung im Geist der Denker und Historiker, aber nur geringe und wirkungslose Aufnahme bei den Regierungen der Nationen und den Lenkern der öffentlichen Meinung gefunden.
Das Misstrauen, mit dem man die Warnungen des päpstlichen Lehramtes umgeben hat, wird Uns nicht hindern, Unsere väterlichen Mahnungen zum Frieden zu wiederholen, wenn die historische Stunde und die Pflicht Unseres Apostolischen Amtes es fordern. Das feierliche, eindrucksvolle Wort, das Unser unmittelbarer Vorgänger, Johannes XXIII. seligen Angedenkens, mit seiner Enzyklika Pacem in terris der Welt zugerufen hat, ist nicht umsonst erklungen; die Welt hat gespürt, dass es eine doppelte Anziehungskraft hatte, die der Weisheit und der Güte. Es scheint Uns, dass die Wiederkehr des fünfzigsten bzw. des fünfundzwanzigsten Jahrestages der beiden Weltkriege, die die erste Hälfte unseres Jahrhunderts mit Blut bedeckt haben, eine günstige Gelegenheit bietet, diese Friedensbotschaften widerhallen zu lassen und ihr Andenken und ihre Mahnung lebendig und wirksam zu erhalten.
Der Friede ist ein überaus hohes Gut für die Menschheit, die in der Zeit lebt; aber er ist ein zerbrechliches Gut, das von vielen wechselnden, komplexen Faktoren hervorgebracht wird, in denen der freie, verantwortliche Wille des Menschen ständig eine Rolle spielt. Daher ist der Friede nie ein für alle Male gefestigt und gesichert; er muss in jedem Augenblick neu überdacht und neu wiederhergestellt werden; er wird rasch geschwächt und verfällt, wenn er nicht beständig auf die wahren Prinzipien zurückgeführt wird, die allein ihn hervorbringen und erhalten können.
Heute sind wir Zeugen eines besorgniserregenden Phänomens: des Zusammenbruchs einiger grundsätzlicher Prinzipien, auf die der Friede sich stützen muss und von denen man glaubte, sie seien nach den tragischen Erfahrungen zweier Weltkriege ein fest erworbener Besitz geworden. Zu gleicher Zeit sehen wir einige gefährliche Ideen wiederaufleben, die von neuem zu einer kurzsichtigen Suche nach Gleichgewicht führen oder, besser gesagt, nach einem unsicheren Waffenstillstand in den Beziehungen der Nationen untereinander und in den Ideologien der Völker.
Von neuem verdunkelt sich der Begriff von der Heiligkeit und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, und von neuem werden die Menschen gemessen nach ihrer Zahl und ihrer eventuellen kriegerischen Effizienz und nicht nach ihrer Würde, ihren Bedürfnissen, ihrer verbindenden Brüderlichkeit.
Es zeigen sich neue Symptome wiederauflebender Auseinandersetzungen und Feindseligkeiten zwischen den Völkern, zwischen einzelnen Stämmen, zwischen verschiedenen Kulturen; dieser Geist der Zwietracht wird durch Nationalstolz, Prestigepolitik, Rüstungswettlauf, soziale und wirtschaftliche Gegensätze herbeigeführt.
Es kehrt jene illusorische Idee wieder, dass der Friede sich nur auf die abschreckende Wirkung extrem mörderischer Waffen gründen kann; und während man auf der einen Seite edelmütig aber machtlos über Rüstungsbeschränkung und -abbau diskutiert und verhandelt, fährt man auf der anderen Seite fort, die zerstörerische Kraft des Kriegsapparates weiter zu entwickeln und zu vervollkommnen.
Immer geringer wird die Furcht und der Abscheu vor dem Krieg, der doch als Gewaltmittel untauglich ist, internationale Probleme zu lösen, während an verschiedenen Punkten auf der Erde die furchterregenden Funken kriegerischer Zwischenfälle aufschießen, die die Vermittlungsfähigkeit jener Organe entkräften, die dazu geschaffen wurden, den Frieden zu sichern und der Methode freier und ehrenhafter diplomatischer Verhandlungen das ausschließliche Recht der Konfliktlösung vorzubehalten.
Dadurch wird der politische und ideologische Egoismus zur ausdrücklichen Verhaltensregel im Völkerleben; man macht Anschläge auf die Ordnung ganzer Nationen, indem man von außen her subversive Propaganda und revolutionäre Unruhen organisiert; man missbraucht sogar pazifistische Erklärungen, um soziale und politische Konflikte zu begünstigen. Es kommen wieder auf Egoismus, Gruppeninteresse, leidenschaftliche Spannungen, Hass unter den Völkern; es nimmt ab die Pflege der Loyalität, der Brüderlichkeit, der Solidarität; es nimmt ab die Liebe.
Wenn die Sicherheit der Völker immer noch auf der Hypothese der legitimen, kollektiven Anwendung bewaffneter Macht beruht, so müssen Wir daran erinnern, dass die Sicherheit noch mehr auf den Bemühungen um gegenseitiges Verstehen, auf dem großmütigen, loyalen gegenseitigen Vertrauen, auf dem Geist programmatischer Zusammenarbeit zum allgemeinen Nutzen und besonders zur Hilfe für die Entwicklungsländer beruht. Das heißt, sie beruht auf der Liebe.
Und dieses Goldene Wort ist es, das Wir erwähnen und rühmen wollen, um über die Erinnerung an die furchtbaren Kriege der Vergangenheit den weißen Mantel des Friedens zu breiten.
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Menschen guten Willens, hört Unsere demütige, brüderliche und väterliche Stimme, die, indem sie die unauslöschliche Erinnerung an zwei ungeheure Konflikte wieder heraufbeschwört, nicht leere, furchterregende Phantome auf die gegenwärtige Weltszene projiziert, vielmehr will sie der Aufforderung zur weisen und verantwortungsvollen Besinnung, der Mahnung, der menschlichen Würde und der brüderlichen Eintracht vor allen Interessen, vor allen Werten den Vorrang zu geben, der Ankündigung von Glück und Wohlergehen, die nicht mehr aus dem Krieg, sondern aus dem Frieden in Aufrichtigkeit und Güte stammen, Eingang in das Innerste der Herzen verschaffen.
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6. Papst Paul VI.: Ansprache an die Vertreter der internationalen Presse in Bombay am 4. Dezember 1964
AAS 57 (1965) 135
Obwohl Unsere Pilgerfahrt nach Bombay knapp bemessen und voller Verpflichtungen ist, hatten Wir den Wunsch, eine kurze Zeit der Begegnung mit Ihnen zu widmen. Wir danken Ihnen für Ihre intensive Arbeit im Zusammenhang mit Unserem Besuch und möchten Sie zugleich daran erinnern, dass die Presse, die Sie vertreten, ein mächtiges Instrument im Dienst des Guten sein kann. Bleiben Sie immer der Wahrheit treu, bedenken Sie Ihre Verantwortung vor der Öffentlichkeit und vielleicht vor der Geschichte.
Wir vertrauen Ihnen Unsere besondere Botschaft an die Welt an. Möchten doch die Nationen den Rüstungswettlauf beenden und ihre Ressourcen und Energien der brüderlichen Hilfe für die Entwicklungsländer widmen! Möge doch jede Nation, die "Gedanken des Friedens und nicht der Betrübnis" und des Krieges denkt, selbst einen Teil ihrer Rüstungsausgaben einem großen Weltfonds zuwenden zur Behebung der vielen Probleme, die so viele Völker bedrängen: Ernährung, Bekleidung, Unterbringung und ärztliche Betreuung.
Vom Friedensaltar des Eucharistischen Kongresses aus möge Unser angstvoller Ruf zu allen Regierungen der Welt dringen. Möge Gott ihnen eingeben, diesen friedvollen Kampf gegen die Leiden ihrer notleidenden Brüder zu führen!
7. Papst Paul VI.: Weihnachtsbotschaft vom 22. Dezember 1964
AAS 57 (1965) 176-183
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In diesem Jahre handeln Unsere Botschaft und Unser Glückwunsch von der Brüderlichkeit. Eine Brüderlichkeit, ihr Menschen, die ihr Uns hört, die wahrer, wirksamer und universaler ist als jene, die die Menschen bereits eint. Ja, die Brüderlichkeit!
Wir haben noch in Uns den lebendigen Eindruck Unserer kürzlichen Reise nach Bombay.
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Ein Gefühl tiefer Sympathie hat Uns dabei bestätigt, was das Christentum seit Jahrhunderten sagt und was die Entwicklung der Kultur langsam und schrittweise erkennt und verkündet: die Menschen sind Brüder. Die Beziehungen zwischen den Menschen werden so leicht und vielfältig, dass sie zur Liebe werden müssten. Die Entfernungen sind so kurz und fast unbedeutend, dass die Liebe universal werden muss. Der Begriff des Nächsten, der bereits im Evangelium vom Samariter die konventionellen Grenzen überschritt, umfasst die ganze Menschheit: jeder ist unser Nächster. Die offensichtlichen Bedürfnisse der anderen sind so klar und flehend, und die Möglichkeit, ihnen Hilfe zu bringen, nimmt heute in so überreichem Maße zu, dass es jedem einleuchtet, worauf sich heute der Aufbau der Kultur richten muss: die Solidarität unter den Menschen zu begründen, damit es keinem an Brot und Anerkennung fehle und damit sich alle das Gemeinwohl zum höchsten Anliegen machen.
Der kulturelle Fortschritt entdeckt als Anspruch und Errungenschaft das, was Christus, der als Mensch wie wir, unser Lehrer wurde, uns schon auf den Seiten seines Evangeliums gelehrt hatte, das nie ganz begriffen und noch nicht allgemein verwirklicht wurde: "Ihr alle seid Brüder" (Mt 23,8), d.h. gleich, solidarisch und verpflichtet, in jedem von euch das Abbild des himmlischen Vaters zu sehen und einander zu helfen, das Ziel zu erreichen: die Fülle des Menschseins und die Gotteskindschaft aus Gnade in diesem Leben und die ewige Seligkeit im zukünftigen.
Heute ist Brüderlichkeit geboten. Freundschaft ist das Prinzip jedes modernen menschlichen Zusammenlebens. Anstatt im Mitmenschen den Fremden, den Rivalen, den Unsympathischen, den Gegner und Feind zu sehen, müssen wir uns daran gewöhnen, in ihm den Menschen zu sehen, uns gleich, würdig der Achtung und Wertschätzung, der Hilfe und der Liebe genau wie wir. Es kommt Uns das wundervolle Wort des heiligen afrikanischen Lehrers in den Sinn: "Dilatentur spatia caritatis", die Grenzen der Liebe mögen sich weiten (Sermo 69,1: PL 38, 440). Fallen müssen die Schranken des Egoismus, und die Behauptung der rechtmäßigen Sonderinteressen darf nie den anderen zur bedrückenden Last werden und niemals eine sinnvolle Gemeinschaft aufheben. Die Demokratie, auf die sich heute das menschliche Zusammenleben beruft, muss sich einer universalen Idee öffnen, die die Grenzen und die Hindernisse aus dem Weg räumt für eine wirksame Brüderlichkeit.
Wir wissen, dass diese Auffassung heute im Herzen der Menschheit großen Anklang findet. Wir meinen, besonders die Jugend weiß, dass dieser Wahrheit die Zukunft gehört und dass sie gründet in der Entwicklung der Kultur, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Es sind Ideale, aber sie sind nicht utopisch. Sie sind schwierig, aber sie sind der Mühe und des Einsatzes wert. Wir sind durchaus dafür. Wir sind für die Jugend, die aus der Welt ein Haus für alle machen möchte, nicht ein System von Schützengräben für eine unversöhnliche Zwietracht und einen fortwährenden Kampf. Wir wissen aber, dass diese schönen Auffassungen leicht in Vergessenheit geraten. In bestimmten Stunden der Geschichte dämmern sie auf, und sofort verdunkeln sie sich, weil widrige Wolken aufsteigen. Der Weg des wahren Fortschritts ist beschwerlich und unsicher. Der menschliche Widerstand kennt bei der Suche nach dem Höchsten entmutigende Niederlagen. Der Mensch ist unbeständig. Die Eroberung der Wahrheit ist schwierig. Das Gute ist schwer. Der Hass ist viel leichter als die Liebe.
Darum möchten Wir der Welt das unerschöpfliche und stets aktuelle Erbe der göttlichen und menschlichen Lehre und der sittlichen Kraft, das dem Katholizismus eigen ist, zur Verfügung stellen, um das Bemühen der Menschen guten Willens für das gemeinsame Wohlergehen, für den universalen Frieden und für die Brüderlichkeit aller Menschen zu unterstützen. Unser Angebot ist aufrichtig. Die Kirche denkt darüber nach im Ökumenischen Konzil. Sie schöpft es aus ihrem Herzen, das erfüllt ist von der neuen Liebe, die Christus in die Welt gebracht hat. Sie bietet dieses Erbe dar mit demütiger und freundschaftlicher Geste zur freien Annahme von Seiten der modernen Welt, die es nicht zurückweisen kann, wenn sie wirklich die eigene Rettung liebt.
Uns sind die Hindernisse nicht unbekannt, die sich ständig der menschlichen Brüderlichkeit entgegenstellen, und mit Schmerzen beobachten Wir, dass sie jetzt in einer dialektischen Phase sind, die ihnen eine noch größere Klarheit und bisweilen eine gefährlichere Wirksamkeit gibt.
In der festlichen Freude der Weihnacht ist es nicht möglich, über die Hindernisse zu sprechen, die den dramatischen und beängstigenden Aspekt der gegenwärtigen geschichtlichen Wirklichkeit zeigen. Aber es ist auch nicht erlaubt, die drohende Gefahr zu verschweigen in dieser Botschaft elementarer Aufrichtigkeit.
Es sei Uns gestattet, unter vielen vorhandenen und möglichen Formen beiläufig einige konkret zu nennen, die sich gegen die Brüderlichkeit unter den Menschen stellen. Wir deuten sie nur eben an, um sie gleichsam durch Beispiele zu erläutern.
Erstens: der Nationalismus, der die Völker trennt, indem er die einen gegen die anderen stellt und zwischen ihnen Barrieren gegensätzlicher Ideologien, geistiger Enge, ausschließlicher Interessen und autarkischen Ehrgeizes aufrichtet, wenn es sich nicht gar um machthungrige und übermächtige Imperialismen handelt. Dieser Feind der menschlichen Brüderlichkeit gewinnt heute an Kraft. Er schien schon fast überwunden, wenigstens im Prinzip, nach der tragischen Erfahrung des letzten Weltkrieges. Er erhebt sich wieder. Wir bitten Staatslenker und Völker, zu wachen und diesen billigen Instinkt nach Prestige und Machtstreben zu mäßigen. Er könnte wieder verhängnisvoll werden. Wir haben den Wunsch, dass von allen die Arbeit" der Organisationen unterstützt und geachtet werde, die geschaffen sind, um die Nationen in treuer und gegenseitiger Zusammenarbeit zu einen, um Kriege zu verhindern und Konflikten vorzubeugen, um die Gegensätze in geduldigen Verhandlungen und günstigen Abmachungen zu lösen, um das Bewusstsein und die Geltung des internationalen Rechtes zu fördern und schließlich um dem Frieden seine feste Sicherheit und sein dynamisches Gleichgewicht zu geben.
Ein weiteres Hindernis, das ebenfalls wiederauflebt, ist der Rassismus. Er stellt die verschiedenen Rassen der großen Völkerfamilie einander entgegen, weckt Überheblichkeiten, Misstrauen, Eigenbrötelei, Diskriminierung und zuweilen Unterdrückung zum Schaden der gegenseitigen Rücksicht und der geschuldeten Achtung, die aus den verschiedenen Volksgruppen ein friedliches Zusammenleben von Brudervölkern machen sollen.
Mit Entsetzen müssen wir sodann einen Militarismus feststellen, der nicht so sehr auf die rechtmäßige Verteidigung der einzelnen Länder und auf die Erhaltung des allgemeinen Friedens bedacht ist, sondern vielmehr auf immer mächtigere und mörderischere Aufrüstung ausgeht. Sie verschlingt gewaltige Energien an Menschen und Mitteln, schürt Macht- und Kriegsdenken und führt dazu, den Frieden auf die trügerische und unmenschliche Grundlage der gegenseitigen Furcht zu gründen. Auch in dieser Hinsicht wagen Wir zu wünschen, die Führer der Völker möchten verstehen, mit klugem und großmütigem Herzen auf dem Wege der Abrüstung weiterzugehen, und sie sollten hochherzig, wenn auch nur zum Teil und schrittweise, die Verwendung der Militärausgaben zu humanitären Zwecken erwägen, und zwar nicht nur zum Vorteil der eigenen Staaten, sondern auch zum Wohle der Länder, die sich noch in der Entwicklung und in Not befinden: der Hunger und das Elend, die Krankheit und die Unwissenheit fordern noch Hilfe. Wir zögern nicht, an diesem Tage der Güte und der Brüderlichkeit den dringenden Ruf der heute noch unabsehbaren Massen von Armen und Leidenden Uns zu eigen zu machen, die einer schnellen und spürbaren Hilfe bedürfen. Gute und hochherzige Menschen, die ihr denen helfen könnt, die hungern, die leiden und in Elend und Verlassenheit dahinleben, vernehmt in Unserer Stimme die gottmenschliche Stimme Christi, unseres Bruders in jedem Notleidenden!
Könnten Wir bei dieser traurigen Aufzählung von Hindernissen gegen die brüderliche Verbundenheit den Klassengeist vergessen, der noch so scharf und mächtig ist in der Gesellschaft von heute? Und den Geist der Parteiungen, der Ideologien, Methoden, Interessen, Organisationen im ganzen Gefüge der verschiedenen Gemeinschaften? Auf der einen Seite bringen diese verwickelten und ausgedehnten sozialen Gegebenheiten die Menschen mit gemeinsamen Interessen zur Einheit untereinander, aber anderseits reißen sie so oft unüberbrückbare Abgründe auf zwischen den verschiedenen menschlichen Schichten und machen aus deren systematischer Abwehrhaltung eine Lebensfrage; damit geben sie unserer technisch und wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaft das traurige und bittere Antlitz der Zwietracht und des Hasses. Die Gesellschaft ist nicht glücklich, weil sie nicht brüderlich ist. Wir kennen die gewaltigen Schwierigkeiten, welche die Probleme des freien und freundschaftlichen sozialen Zusammenlebens scheinbar unlösbar machen. Doch was Uns betrifft, werden Wir nicht müde werden, die Liebe zum Nächsten als das Grundprinzip einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zu predigen und zu hoffen, dass die Richtigkeit des Gedankens und die geschichtliche Erfahrung dazu führen, die Grundsätze zu überprüfen, in denen viele der sozialen Gegensätze ihren Ursprung haben, und die Richtlinien des Gemeinschaftslebens mehr dem Menschen gemäß und der Wahrheit entsprechend zu formulieren. Auch für diesen Wiederaufbau der modernen Gesellschaft nach den unabweisbaren Forderungen eines friedlichen Zusammenlebens, der gegenseitigen Zusammenarbeit unter den verschiedenen sozialen Klassen und unter den verschiedenen Nationen und nach den Forderungen eines glücklichen Zusammenlebens hat unser altes Evangelium, in dem heute die Seite des Friedens auf Erden für die Menschen guten Willens aufgeschlagen ist, der menschlichen Brüderlichkeit neue und lebendige Worte zu bieten. Beim Hören Unserer Botschaft wird sich mancher vielleicht fragen: Ist nicht gerade die Religion ein Grund der Spaltung unter den Menschen?
Besonders die katholische Religion, die so dogmatisch ist, so anspruchsvoll, so ausgeprägt: verhindert sie nicht einfaches Gespräch und ein selbst- verständliches Sichverstehen unter den Menschen? Ja, gewiss! Die Religion, die katholische Religion genauso wie jede andere, ist ein Element der Unterscheidung unter den Menschen, wie es die Sprache ist, die Kultur, die Kunst, der Beruf; aber sie ist an sich kein Element der Spaltung. Zwar kann das Christentum durch die Neuheit des Lebens, die es in die Welt bringt, ein Grund von Trennungen und Gegensätzen sein, die aus dem kommen, was es der Menschheit an Gutem verleiht: Das Licht leuchtet in der Finsternis. Auf diese Weise hebt es die Bereiche in der Welt des Menschen ab. Aber es ist nicht die Art des Christentums, gegen die Menschen zu kämpfen; wenn überhaupt, dann für die Menschen zur Verteidigung dessen, was in ihnen heilig und unverlierbar ist: das grundlegende Streben nach Gott und das Recht, dies in den entsprechenden Formen des Kultes auszudrücken. Die Kirche kann daher nicht anders, als öffentlich ihr Bedauern auszusprechen, wenn ein solches unbezwingbares Streben hintertrieben, gehindert, versperrt, ja sogar bestraft wird durch die Gewalt der öffentlichen Macht, die in diesem Fall sich anmaßt, auf ein Gebiet überzugreifen, das außerhalb ihrer Befugnisse liegt. Dieser Punkt verlangt eine ausführlichere und tiefer begründete Antwort. Wir können jedenfalls das wiederholen, was die Kirche heute verkündet: die rechte und wohlverstandene religiöse Freiheit; das Verbot, den anderen wegen seines Glaubens - wenn er nicht gegen das Gemeinwohl ist - anzuklagen, um einen nicht in Freiheit angenommenen Glauben aufzuerlegen oder um gehässige Zurücksetzungen oder ungehörige Schikanen vorzunehmen; die Achtung vor dem, was an Wahrem und Gutem in jeder Religion und in jeder menschlichen Meinung ist, besonders in der Absicht, die bürgerliche Eintracht und jede gute Zusammenarbeit auf allen Gebieten zu fördern.
Die Wahrheit bleibt fest und unveränderlich, und die Liebe trägt deren segensbringendes Licht hinaus.
Dies ist heute mehr denn je Unser Programm, da Wir überzeugt sind, dass die Welt Liebe braucht. Sie muss die Fesseln des Egoismus überwinden und sich für eine aufrichtige, moderne und weltweite Brüderlichkeit öffnen.
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8. Papst Paul VI.: Ansprache vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 4. Oktober 1965
AAS 57 (1965) 877-885
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Diese Begegnung - Sie sind sich dessen bewusst - hat einen doppelten Charakter: sie ist zugleich von Einfachheit und von Größe geprägt. Von Einfachheit, denn der, der zu Ihnen spricht, ist ein Mensch wie Sie. Er ist Ihr Bruder und sogar einer der kleinsten unter Ihnen, den Vertretern souveräner Staaten, denn er besitzt nur - wenn Sie uns einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachten wollen - eine minimale, fast nur rein symbolische zeitliche Macht, gerade das Minimum, das nötig ist, um frei zu sein in der Ausübung seiner geistlichen Mission und jenen, die mit ihm verhandeln, die Sicherheit zu geben, dass er von keiner Souveränität dieser Welt abhängig ist. Er hat keine weltliche Macht, keinerlei Ehrgeiz, mit Ihnen in Wettstreit zu treten. Wir haben denn auch nichts zu verlangen, keine Frage aufzuwerfen, höchstens könnten Wir einen Wunsch äußern, um eine Erlaubnis bitten: die Erlaubnis, Ihnen in dem, was in Unseren Zuständigkeitsbereich fällt, uneigennützig, bescheiden und in der Liebe dienen zu können. Das ist die erste Erklärung, die Wir abzugeben haben. Wie Sie sehen, ist sie so einfach, dass sie für diese Versammlung, die gewohnt ist, äußerst wichtige und schwierige Angelegenheiten zu behandeln, unbedeutend erscheinen mag.
Und doch - Wir sagten es Ihnen, und Sie alle spüren es - ist dieser Augenblick von einer eigenartigen Größe erfüllt; er ist groß für Uns, er ist groß für Sie.
Einmal für Uns. Sie wissen sehr wohl, wer Wir sind. Welches auch immer Ihre Meinung über den Römischen Papst sein mag, Sie kennen Unsere Mission: Wir sind Träger einer Botschaft für die ganze Menschheit. Und Wir sind das nicht nur in Unserem eigenen Namen und in dem der großen Familie der Katholiken, sondern auch im Namen der christlichen Brüder, die die Gefühle, die Wir hier ausdrücken, teilen, und namentlich derer, die Uns ausdrücklich aufgetragen haben, ihr Sprecher zu sein. Dem Boten gleich, der am Ziel einer langen Reise das ihm anvertraute Schreiben überreicht, so haben auch Wir das Bewusstsein, den - wenn auch noch so kurzen - unvergleichlichen Augenblick zu erleben, da sich ein Wunsch erfüllt, den Wir seit fast zwanzig Jahrhunderten im Herzen tragen. Ja, Sie wissen es. Seit langem sind Wir unterwegs. Wir sind Träger einer langen Geschichte. Wir feiern hier den Epilog einer mühsamen Pilgerfahrt auf der Suche nach einem Zwiegespräch mit der ganzen Welt, seit dem Tag, da Uns aufgetragen wurde: "Gehet hin und verkündet allen Völkern die Frohe Botschaft!" Und Sie sind es, die alle Völker vertreten.
Lassen Sie uns Ihnen sagen, dass Wir für Sie alle eine Botschaft haben, ja dass Wir einem jeden von Ihnen eine frohe Botschaft zu übermitteln haben.
1. Unsere Botschaft will zunächst eine feierliche moralische Ratifizierung Ihrer Institution sein. Diese Botschaft kommt aus Unserer geschichtlichen Erfahrung. Gewissermaßen als "Experte für Menschlichkeit" überbringen Wir dieser Organisation die Unterstützung Unserer letzten Vorgänger, die des ganzen katholischen Episkopats und Unsere eigene, überzeugt davon, dass diese Organisation der gebotene Weg für die moderne Zivilisation und den Weltfrieden ist.
Wenn Wir dieses sagen, sind Wir Uns bewusst, sowohl im Namen der Toten als auch der Lebenden zu sprechen: der Toten, die in den furchtbaren Kriegen der Vergangenheit fielen und die von Eintracht und Weltfrieden träumten; der Lebenden, die überlebt haben und die in ihrem Herzen im voraus jene verurteilen, die versucht sein sollten, solche Kriege zu wiederholen; und noch anderer Lebender: der heutigen jungen Generationen, die vertrauensvoll vorwärts schreiten und mit gutem Recht eine bessere Menschheit erwarten. Wir machen auch die Stimme der Armen, der Enterbten, der Unglücklichen zu der Unseren, und all jener, die nach Gerechtigkeit, nach menschenwürdigem Dasein, Freiheit, Wohlstand und Fortschritt verlangen. Die Völker wenden sich zu den Vereinten Nationen als zu ihrer letzten Hoffnung auf Eintracht und Frieden: Wir überbringen hier, mit dem Unseren, ihren Tribut an Ehre und Hoffnung. Darum ist dieser Augenblick auch für Sie groß.
2. Wir wissen, dass Sie sich dessen voll bewusst sind. Hören Sie weiter Unsere Botschaft! Sie ist ganz auf die Zukunft ausgerichtet. Das Gebäude, das Sie errichtet haben, darf nie wieder in Trümmer gehen. Es muss vervollkommnet und den Erfordernissen der Weltgeschichte angepasst werden. Sie repräsentieren eine Stufe der Entwicklung der Menschheit. Von nun an ist es unmöglich, zurückzuweichen, man muss voran schreiten.
Der Vielheit von Staaten, die einander nicht mehr ignorieren können, schlagen Sie eine äußerst einfache und fruchtbare Form der Koexistenz vor: damit, dass Sie zunächst die einen wie die anderen anerkennen und auszeichnen. Gewiss verleihen Sie den Staaten nicht die Existenz, Sie erklären aber jede Nation für würdig, in der geordneten Versammlung der Völker ihren Platz einzunehmen. Sie verleihen jeder nationalen souveränen Gemeinschaft eine Anerkennung von hohem moralischem und rechtlichem Wert und garantieren ihr eine ehrenvolle internationale Staatsbürgerschaft. Das ist bereits ein großer, der Sache der Menschheit geleisteter Dienst: die nationalen Subjekte der Weltgemeinschaft genau zu definieren und zu ehren, ihnen rechtliche Grundlagen zu verschaffen, die ihnen die Anerkennung und die Achtung aller sichern und die ein geordnetes und stabiles System internationalen Lebens entstehen lassen. Sie sanktionieren das große Prinzip, dass die Beziehungen unter den Völkern durch die Vernunft, durch Gerechtigkeit, Recht und Verhandlungen geregelt werden müssen und nicht durch Zwang, nicht durch Gewaltanwendung, nicht durch Krieg und auch nicht durch Terror und Täuschung.
So muss es auch sein. Und gestatten Sie Uns, Sie dazu zu beglückwünschen, dass Sie den Zugang zu dieser Versammlung auch den jungen Völkern freigaben, den Staaten, die erst vor kurzem zur Unabhängigkeit und nationalen Freiheit gelangt sind. Deren Anwesenheit hier ist der Beweis für die Universalität und Großherzigkeit, die die Prinzipien dieser Institution beseelen. So muss es auch sein. Das ist Unser Lob und Unser Wunsch. Und wie Sie sehen, tragen Wir bei des nicht von außen an Sie heran, sondern Wir entnehmen es dem Geist Ihrer Institution.
3. Ihr Statut geht noch weiter, und Unsere Botschaft schreitet zusammen mit ihm fort. Sie sind da und arbeiten dafür, die Nationen zu einen und die Staaten zu verbinden, auf eine kurze Formel gebracht: Die einen mit den anderen zusammenzutun. Sie sind eine Vereinigung. Sie sind eine Brücke zwischen den Völkern. Sie sind ein Netz von Beziehungen unter den Staaten. Wir wären versucht, zu sagen, dass Ihr Charakteristikum in der zeitlichen Ordnung gewissermaßen das widerspiegelt, was unsere Katholische Kirche in der geistlichen Ordnung sein will: einzig und universal. Man kann auf der natürlichen Ebene beim geistigen Aufbau der Menschheit nichts Höheres ersinnen. Ihre Berufung ist es, nicht nur einige, sondern alle Völker zu verbrüdern. Ein schwieriges Unterfangen? Ganz sicher. Aber das ist nun einmal Ihre Sache, Ihr edles Bemühen. Wer sähe nicht die Notwendigkeit, allmählich dazu zu kommen, eine Weltautorität einzusetzen, die in der Lage ist, im rechtlichen und politischen Bereich wirksam tätig zu sein? Hier wiederholen Wir nochmals Unseren Wunsch: Schreiten Sie voran! Ja, Wir sagen noch mehr: Wirken Sie dahin, dass jene, die sich von Ihnen abgewandt haben, zurückkehren. Überlegen Sie, wie jene in Ehre und Loyalität zu Ihrem Pakt der Brüderlichkeit gerufen werden können, die ihm noch nicht angehören. Wirken Sie dahin, dass die noch Außenstehenden das gemeinsame Vertrauen wünschen und verdienen, und seien Sie dann so edelmütig, es ihnen zu gewähren. Und Sie alle, die das Glück und die Ehre haben, in dieser Versammlung der friedliebenden Gemeinschaft zu tagen, hören Sie Uns: Sorgen Sie dafür, dass dem wechselseitigen Vertrauen, das Sie eint und Ihnen gestattet, Gutes und Großes zu tun, niemals Schaden zugefügt wird, dass es nie verraten wird.
4. Die Logik dieses Wunsches, der, so kann man sagen, zur Struktur Ihrer Organisation gehört, veranlasst Uns, ihn noch durch weitere Grundsätze zu ergänzen: Niemand soll, in seiner Eigenschaft als Mitglied Ihrer Union, über den anderen stehen: Keiner über dem anderen. Das ist der Grundsatz der Gleichheit. Wir wissen natürlich, dass noch andere Faktoren als die bloße Zugehörigkeit zu Ihrer Organisation in Betracht zu ziehen sind. Die Gleichheit gehört aber auch zur Verfassung Ihrer Organisation; nicht, dass Sie an sich alle gleich wären, aber hier machen Sie sich gleich. Es mag sein, dass dies für einige von Ihnen ein Ausdruck großer Tugend ist. Gestatten Sie, dass Wir Ihnen das sagen, Wir, der Vertreter einer Religion, die das Heil durch die Demut ihres göttlichen Stifters bewirkt. Es ist unmöglich, Bruder zu sein, wenn man nicht demütig ist. Denn der Stolz, so unabwendbar er scheinen mag, ruft Spannungen hervor und Kämpfe um Prestige, Vorherrschaft, Kämpfe für Kolonialismus und Egoismus. Der Stolz bricht die Brüderlichkeit.
5. Und hier erreicht Unsere Botschaft ihren Höhepunkt. Zuerst negativ: Es handelt sich um das Wort, das Sie von Uns erwarten und das Wir nicht aussprechen können, ohne Uns seiner Schwere und Feierlichkeit bewusst zu sein: Niemals mehr die einen gegen die anderen, niemals, niemals mehr! Ist nicht die Organisation der Vereinten Nationen gerade aus dieser Zielsetzung entstanden: gegen den Krieg und für den Frieden? Hören Sie die klaren Worte eines großen Verstorbenen, John Kennedys, der vor vier Jahren erklärte: "Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, sonst setzt der Krieg der Menschheit ein Ende." Es bedarf keiner weiteren Worte, um die erhabene Zielsetzung Ihrer Organisation zu verkünden. Es genügt, daran zu erinnern, dass das Blut von Millionen Menschen, dass unerhörte und unzählige Leiden, dass sinnlose Massaker und entsetzliche Ruinen den Pakt sanktionieren, der Sie eint in einem Eid, der die zukünftige Geschichte verändern muss: Nie wieder Krieg, nie wieder Krieg! Der Friede, der Friede muss das Geschick der Völker und der ganzen Menschheit leiten!
Dank und Ehre Ihnen, die Sie seit zwanzig Jahren für den Frieden arbeiten und die Sie diesem heiligen Anliegen sogar hochgestellte Personen geopfert haben! Dank und Ehre Ihnen für die Konflikte, die Sie verhindert oder beigelegt haben. Die Ergebnisse Ihrer Anstrengungen zugunsten des Friedens, bis in die allerletzten Tage, verdienen, selbst wenn sie noch nicht endgültig sind, dass Wir Uns zum Sprecher der ganzen Welt machen und Ihnen in ihrem Namen Glückwunsch und Dank abstatten.
Sie haben, geehrte Herren, ein großes Werk vollbracht und vollbringen es weiterhin: Sie lehren die Menschen den Frieden. Die UNO ist die große Schule, in der man diese Erziehung erhält, und Wir sind hier in der Aula Magna dieser Schule. Wer immer hier Platz nimmt, wird Schüler und Lehrer in der Kunst, den Frieden zu bauen. Und wenn Sie diesen Saal verlassen, dann schaut die Welt auf Sie als die Architekten, die Erbauer des Friedens.
Der Friede, Sie wissen das, wird nicht nur durch Politik und durch ein Gleichgewicht der Kräfte und Interessen erbaut. Der Friede wird mit dem Geist, den Ideen, den Werken des Friedens erbaut. Sie arbeiten an diesem großen Werk. Aber Sie stehen noch am Anfang Ihrer Bemühungen. Wird die Welt jemals dazu kommen, den Geist des Partikularismus und des Krieges, der bislang einen so großen Teil ihrer Geschichte gewoben hat, zu ändern? Es ist schwer, eine Voraussage zu machen; doch es ist leicht, zu sagen, dass man sich entschlossen auf den Weg zur neuen, zur friedlichen Geschichte machen muss, zujener, die echt und ganz menschlich sein wird, zujener, die Gott den Menschen guten Willens versprochen hat. Die Wege dahin sind ihnen vorgezeichnet: Der erste ist der der Abrüstung.
Wenn Sie Brüder sein wollen, dann legen Sie die Waffen nieder! Man kann nicht lieben mit Angriffswaffen in den Händen. Die Waffen, vor allem die verheerenden Waffen, die die moderne Wissenschaft Ihnen gegeben hat, verursachen, schon ehe sie Opfer und Ruinen fordern, Angstträume, ungute Gefühle, Alpdruck, Misstrauen, finstere Entschlüsse. Sie erfordern Riesenausgaben, sie behindern Pläne der Solidarität und nützlicher Arbeit und verfälschen den Charakter der Völker. Solange der Mensch jenes schwache, unbeständige und sogar böse Wesen, als das er sich oft zeigt, sein wird, so lange werden Defensivwaffen leider nötig sein. Aber Ihr Mut und Ihre Tapferkeit drängen Sie dazu, nach Mitteln zu suchen, um die Sicherheit des internationalen Lebens ohne Zuflucht zu den Waffen zu gewährleisten. Das ist ein Ihrer Anstrengungen würdiges Ziel. Das erwarten die Völker von Ihnen. Das muss erreicht werden! Und darum muss das einhellige Vertrauen in diese Institution wachsen, darum muss Ihre Autorität wachsen, und dann wird - so kann man hoffen - das Ziel erreicht. Sie werden sich den Dank der Völker verdienen, die von den drückenden Rüstungsausgaben und vom Alpdruck des ständig drohenden Krieges befreit werden.
Wir wissen - und wie sollten Wir Uns nicht darüber freuen? -, dass viele von Ihnen Unseren Appell für die Sache des Friedens, den Wir im Dezember letzten Jahres von Bombay aus an alle Staaten gerichtet haben: wenigstens einen Teil der durch Rüstungsbeschränkung erzielten Einsparungen für die Entwicklungsländer zu opfern, wohlwollend aufgenommen haben. Wir erneuern hier diesen Appell mit dem Vertrauen, das Ihre Gesinnung der Menschlichkeit und der Großherzigkeit Uns einflößt.
6. Von Menschlichkeit und Großherzigkeit sprechen, heißt, auf ein weiteres Grundprinzip der Vereinten Nationen eingehen, ihre positive Höchstleistung. Man ist hier nicht nur am Werk, um Konflikte unter den Staaten zu beschwören, sondern um die Staaten zu befähigen, füreinander zu arbeiten. Sie begnügen sich nicht damit, die Koexistenz unter den Nationen zu erleichtern. Sie tun einen viel größeren Schritt vorwärts, der Unseres Lobes und Unserer Unterstützung würdig ist: Sie organisieren die brüderliche Zusammenarbeit unter den Völkern. Hier entsteht ein System der Solidarität. Es bewirkt, dass hohe Zielsetzungen in der Ordnung der Zivilisation die einmütige und geordnete Unterstützung der ganzen Völkerfamilie zum Wohle aller erhalten. Das ist das Schönste an dieser Organisation der Vereinten Nationen. Das ist ihr eigentlich menschliches Antlitz. Das ist das Ideal, das die Menschheit auf ihrer Pilgerschaft durch die Zeiten erträumt. Das ist die größte Hoffnung der Welt. Wir wagen zu sagen: Das ist der Abglanz des Planes Gottes - ein alles übersteigender Plan voller Liebe - für den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft auf Erden, ein Abglanz, wo die himmlische Botschaft des Evangeliums irdisch wird. Hier scheint Uns tatsächlich, dass Wir das Echo der Stimmen Unserer Vorgänger vernehmen, namentlich die des Papstes Johannes XXIII., dessen Botschaft Pacem in terris unter Ihnen eine so ehrenvolle und bedeutsame Resonanz ausgelöst hat.
Was Sie hier verkünden, sind die Grundrechte und Grundpflichten des Menschen, seine Würde, seine Freiheit und vor allem die Religionsfreiheit. Wir spüren, dass Sie die Interpreten dessen sind, was das Höchste in der menschlichen Weisheit ist, Wir würden fast sagen: ihr heiliger Charakter. Denn es handelt sich vor allem um das Leben des Menschen, und das Leben des Menschen ist heilig. Niemand darf es antasten. In Ihrer Versammlung muss die Achtung vor dem Leben, auch in dem, was das große Problem der Geburten betrifft, ihre höchste Anerkennung und ihre angemessene Verteidigung finden. Ihre Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass genügend Brot auf dem Tisch der Menschheit ist, und nicht darin, eine künstliche Geburtenkontrolle, die unvernünftig wäre, zu fördern mit dem Zweck, damit die Zahl der zum Tisch des Lebens Geladenen zu vermindern.
Es genügt aber nicht, die Hungernden zu nähren. Man muss auch jedem Menschen ein Leben sichern, das mit seiner Würde in Einklang steht. Sie mühen sich darum. Wird da nicht vor Unseren Augen durch Sie die Weissagung erfüllt, die sich so gut aufIhre Institution anwenden lässt: "Sie werden ihre Schwerter einschmelzen, um daraus Pflüge zu machen, und ihre Lanzen, um daraus Sensen zu schmieden" (Jes 2, 4)? Denn Sie stellen die wunderbaren Energien der Erde und die prächtigen Erfindungen der Wissenschaft nicht mehr in den Dienst des Todes, sondern in den des Lebens für das neue Zeitalter der Menschheit.
Wir wissen, mit welch wachsender Intensität und Wirksamkeit die Organisation der Vereinten Nationen und die von ihr abhängigen Weltorganismen arbeiten, um den Regierungen, die es nötig haben, zu helfen, ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu beschleunigen.
Wir wissen, mit welchem Eifer Sie daran gehen, das Analphabetentum zu besiegen und die Kultur in der Welt auszubreiten, den Menschen ein angemessenes modernes Gesundheitswesen zu verschaffen, die wunderbaren Hilfsmittel der Wissenschaft, der Technik und der Organisation in den Dienst des Menschen zu stellen: All das ist großartig und verdient das Lob und die Unterstützung aller, inbegriffen Unsere eigene.
Auch Wir möchten darin ein Beispiel geben, selbst wenn die Geringfügigkeit Unserer Mittel es nicht zulässt, ihre praktische Auswirkung zahlenmäßig zu erfassen. Wir wollen Unsere karitativen Institutionen weiter ausbauen gegen den Hunger der Welt und für ihre hauptsächlichen Bedürfnisse. So und nicht anders schafft man den Frieden.
7. Noch ein Wort, geehrte Herren, ein letztes Wort: Der Bau, den Sie errichten, beruht nicht auf rein materiellen und irdischen Grundlagen, denn dann wäre er ein auf Sand gebautes Haus. Der Bau ruht vor allem auf unserem Gewissen. Ja, der Augenblick der "Umkehr", der persönlichen Wandlung, der inneren Erneuerung ist gekommen. Wir müssen uns daran gewöhnen, auf eine neue Art den Menschen zu denken, auf eine neue Art auch das gemeinsame Leben der Menschen, auf eine neue Art endlich auch die Wege der Geschichte und die Geschicke der Welt, nach dem Wort des hl. Paulus: "Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit" (Eph 4,23). Nun ist die Stunde gekommen, da sich ein Halt aufdrängt, ein Moment der Sammlung, der Besinnung, fast des Gebetes: unseren gemeinsamen Ursprung zu überdenken, unsere Geschichte, unser gemeinsames Geschick. Niemals war der Appell an das moralische Gewissen der Menschen so nötig wie heute, in einer von einem derartigen Fortschritt der Menschen gekennzeichneten Epoche. Denn die Gefahr kommt weder vom Fortschritt noch von der Wissenschaft, die im Gegenteil, wenn sie gut eingesetzt werden, eine große Zahl schwerwiegender Probleme, die die Menschheit bedrängen, lösen können. Die wahre Gefahr lauert im Menschen, der über immer mächtigere Instrumente verfügt, die sowohl in den Untergang als auch zu den höchsten Errungenschaften führen können.
In einem Wort: Der Bau der modernen Zivilisation muss auf geistigen Prinzipien errichtet werden, den einzigen, die fähig sind, ihn nicht nur zu stützen, sondern auch zu erleuchten und zu beseelen. Und diese unerlässlichen Prinzipien höherer Weisheit können nur, das ist, wie Sie wissen, Unsere Überzeugung, auf dem Glauben an Gott gründen. Der unbekannte Gott, von dem der hl. Paulus zu den Athenern auf dem Areopag sprach? Unerkannt von jenen, die doch, ohne es zu ahnen, ihn suchten und ihm nahe waren, wie das bei so vielen Menschen unseres Jahrhunderts der Fall ist? Für Uns, auf jeden Fall, und für alle jene, die die unaussprechliche Offenbarung annehmen, die Christus uns von ihm gemacht hat, ist es der lebendige Gott, der Vater aller Menschen.
9. II. Vatikanisches Konzil: Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes vom 7. Dezember 1965
AAS 58 (1966) 1025-1120
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V. KAPITEL: Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft
77. In unseren Jahren, in denen die Leiden und Ängste wütender oder drohender Kriege noch schwer auf den Menschen lasten, ist die gesamte Menschheitsfamilie in einer entscheidenden Stunde ihrer Entwicklung zur Reife angelangt. Allmählich ist sie sich untereinander näher gekommen, und überall ist sie sich schon klarer ihrer Einsicht bewusst. Da kann sie ihre Aufgabe, die Welt für alle überall wirklich menschlicher zu gestalten, nur erfüllen, wenn alle sich in einer inneren Erneuerung dem wahren Frieden zuwenden. Dann strahlt unserer Zeit jene Botschaft des Evangeliums, die dem höchsten Sehnen und Bemühen der Menschheit entspricht, in neuem Licht auf jene Botschaft, die die Friedensstifter selig preist, "denn sie werden Kinder Gottes heißen" (Mt 5,9).
Darum möchte das Konzil den wahren und hohen Begriff des Friedens klarlegen, die Unmenschlichkeit des Krieges verurteilen und mit allem Ernst einen Aufruf an alle Christen richten, mit Hilfe Christi, in dem der Friede gründet, mit allen Menschen zusammenzuarbeiten, um untereinander in Gerechtigkeit und Liebe den Frieden zu festigen und all das bereitzustellen, was dem Frieden dient.
78. Der Friede besteht nicht darin, dass kein Krieg ist; er lässt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein "Werk der Gerechtigkeit" (Jes 32,17). Er ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muss. Zwar wird das Gemeinwohl des Menschengeschlechts grundlegend vom ewigen Gesetz Gottes bestimmt, aber in seinen konkreten Anforderungen unterliegt es dem ständigen Wandel der Zeiten; darum ist der Friede niemals endgültiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe. Da zudem der menschliche Wille schwankend und von der Sünde verwundet ist, verlangt die Sorge um den Frieden, dass jeder dauernd seine Leidenschaft beherrscht und dass die rechtmäßige Obrigkeit wachsam ist. Dies alles genügt noch nicht. Dieser Friede kann auf Erden nicht erreicht werden ohne Sicherheit für das Wohl der Person und ohne dass die Menschen frei und vertrauensvoll die Reichtümer ihres Geistes und Herzens miteinander teilen. Der feste Wille, andere Menschen und Völker und ihre Würde zu achten, gepaart mit einsatzbereiter und tätiger Brüderlichkeit das sind unerlässliche Voraussetzungen für den Aufbau des Friedens. So ist der Friede auch die Frucht der Liebe, die über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag.
Der irdische Friede, der seinen Ursprung in der Liebe zum Nächsten hat, ist aber auch Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat und der von Gott dem Vater ausgeht. Dieser menschgewordene Sohn, der Friedensfürst, hat nämlich durch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und in einem Leib wiederhergestellt. Er hat den Hass an seinem eigenen Leib getötet (vgl. Eph 2,16; Kol 1,20-22), und durch seine Auferstehung erhöht, hat er den Geist der Liebe in die Herzen der Menschen ausgegossen.
Das ist ein eindringlicher Aufruf an alle Christen: "die Wahrheit in Liebe zu tun" (Eph 4,15) und sich mit allen wahrhaft friedliebenden Menschen zu vereinen, um den Frieden zu erbeten und aufzubauen.
Vom gleichen Geist bewegt, können wir denen unsere Anerkennung nicht versagen, die bei der Wahrung ihrer Rechte darauf verzichten, Gewalt anzuwenden, sich vielmehr auf Verteidigungsmittel beschränken, so wie sie auch den Schwächeren zur Verfügung stehen, vorausgesetzt, dass dies ohne Verletzung der Rechte und Pflichten anderer oder der Gemeinschaft möglich ist.
Insofern die Menschen Sünder sind, droht ihnen die Gefahr des Krieges, und sie wird ihnen drohen bis zur Ankunft Christi. Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen und so die Sünde überwinden, überwinden sie auch die Gewaltsamkeit, bis sich einmal die Worte erfüllen: "Zu Pflügen schmieden sie ihre Schwerter um, zu Winzermessern ihre Lanzen. Kein Volk zückt mehr gegen das andere das Schwert. Das Kriegshandwerk gibt es nicht mehr" (Jes 2,4).
Erster Abschnitt: Von der Vermeidung des Krieges
79. Obwohl die jüngsten Kriege unserer Welt ungeheuren materiellen und moralischen Schaden zugefügt haben, setzt der Krieg doch jeden Tag in irgendeinem Teil der Welt seine Verwüstungen fort. Es droht sogar beim Gebrauch wissenschaftlicher Waffen, gleich welcher Art, eine Barbarei der Kriegführung, die die Kämpfenden zu Grausamkeiten verleitet, die die vergangener Zeiten weit übersteigt. Die Kompliziertheit der heutigen Lage und die Verflochtenheit der internationalen Beziehungen ermöglichen zudem neue hinterhältige und umstürzlerische Methoden, Kriege zu tarnen und in die Länge zu ziehen. In vielen Fällen gibt der Einsatz terroristischer Praktiken der Kriegführung eine neue Gestalt.
Diesen beklagenswerten Zustand der Menschheit vor Augen, möchte das Konzil vor allem an die bleibende Geltung des natürlichen Völkerrechts und seiner allgemeinen Prinzipien erinnern. Das Gewissen der gesamten Menschheit bekennt sich zu diesen Prinzipien mit wachsendem Nachdruck. Handlungen, die in bewusstem Widerspruch zu ihnen stehen, sind Verbrechen; ebenso Befehle, die solche Handlungen anordnen; auch die Berufung auf blinden Gehorsam kann den nicht entschuldigen, der sie ausführt. Zu diesen Handlungen muss man an erster Stelle rechnen: ein ganzes Volk, eine Nation oder eine völkische Minderheit aus welchem Grunde und mit welchen Mitteln auch immer auszurotten. Das sind furchtbare Verbrechen, die aufs schärfste zu verurteilen sind. Höchste Anerkennung verdient dagegen die Haltung derer, die sich solchen Befehlen furchtlos und offen widersetzen.
Für den Kriegsfall bestehen verschiedene internationale Konventionen, von einer recht großen Anzahl von Ländern mit dem Ziel unterzeichnet, die Unmenschlichkeit von Kriegshandlungen und -folgen zu mindern, etwa die Konventionen zum Schutz der Verwundeten und Kriegsgefangenen und verschiedene ähnliche Abmachungen. Diese Verträge müssen gehalten werden. Außerdem müssen alle, insbesondere die Regierungen und die Sachverständigen, alles tun, um diese Abmachungen nach Möglichkeit zu verbessern und dadurch die Unmenschlichkeiten des Krieges besser und wirksamer einzudämmen. Ferner scheint es angebracht, dass Gesetze für die in humaner Weise Vorsorge treffen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, vorausgesetzt, dass sie zu einer anderen Form des Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sind.
Allerdings - der Krieg ist nicht aus der Welt geschafft. Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen. Die Regierenden und alle, die Verantwortung für den Staat tragen, sind verpflichtet, das Wohl der ihnen anvertrauten Völker zu schützen, und sie sollen diese Sache ernst nehmen. Der Einsatz militärischer Mittel, um ein Volk rechtmäßig zu verteidigen, hat jedoch nichts zu tun mit dem Bestreben, andere Nationen zu unterjochen. Das Kriegspotential legitimiert auch nicht jeden militärischen oder politischen Gebrauch. Auch wird nicht deshalb, weil ein Krieg unglücklicherweise ausgebrochen ist, damit nun jedes Kampfmittel zwischen den gegnerischen Parteien erlaubt.
Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.
80. Mit der Fortentwicklung wissenschaftlicher Waffen wachsen der Schrecken und die Verwerflichkeit des Krieges ins Unermeßliche. Die Anwendung solcher Waffen im Krieg vermag ungeheure und unkontrollierbare Zerstörungen auszulösen, die die Grenzen einer gerechten Verteidigung weit überschreiten. Ja wenn man alle Mittel, die sich schon in den Waffenlagern der Großmächte befinden, voll einsetzen würde, würde sich daraus eine fast totale und gegenseitige Vernichtung des einen Gegners durch den anderen ergeben, abgesehen von den zahllosen Verwüstungen in der Welt, die dem Gebrauch solcher Waffen als verhängnisvolle Nachwirkungen folgen.
All dies zwingt uns, die Frage des Krieges mit einer ganz neuen inneren Einstellung zu prüfen (vgl. Johannes XXIII., Pacem in terris, 11.4. 1963: AAS 55 [1963] 291: "Darum ist es in unserer Zeit, die sich des Besitzes der Atomkraft rühmt, sinnlos, den Krieg als geeignetes Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten."). Die Menschen unseres Zeitalters sollen wissen, dass sie über ihre kriegerischen Handlungen einmal schwere Rechenschaft abzulegen haben. Von ihren heutigen Entscheidungen hängt nämlich weitgehend der Lauf der Zukunft ab.
Deshalb macht sich diese Heilige Synode die Verurteilung des totalen Krieges, wie sie schon von den letzten Päpsten ausgesprochen wurde (vgl. Pius XII., Ansprache, 30. 9. 1954: AAS 46 [1954] 589; ders., Radiobotschaft, 24. 12. 1954: AAS 47 [1955]15 ff.; Johannes XXIII., Pacem in terris: AAS 55 [1963] 286-291; Paul VI., Ansprache an die Vereinten Nationen, 4.10. 1965: AAS 57 [1965] 877-885), zu eigen und erklärt: Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist.
Die besondere Gefahr des modernen Krieges besteht darin, dass er sozusagen denen, die im Besitz neuerer wissenschaftlicher Waffen sind, die Gelegenheit schafft, solche Verbrechen zu begehen, und in eine Art unerbittlicher Verstrickung den Willen des Menschen zu den fürchterlichsten Entschlüssen treiben kann. Damit in Zukunft so etwas nie geschieht, beschwören die versammelten Bischöfe des ganzen Erdkreises alle, insbesondere die Regierenden und die militärischen Befehlshaber, sich jederzeit der großen Verantwortung bewusst zu sein, die sie vor Gott und der ganzen Menschheit tragen.
81. Die wissenschaftlichen Waffen werden nun allerdings nicht nur zum Einsatz im Kriegsfall angehäuft. Weil man meint, dass die Stärke der Verteidigung von der Fähigkeit abhänge, bei einem Angriff des Gegners blitzartig zurückzuschlagen, dient diese noch jährlich wachsende Anhäufung von Waffen dazu, auf diese ungewöhnliche Art mögliche Gegner abzuschrecken. Viele halten dies bis heute für das wirksamste Mittel, einen gewissen Frieden zwischen den Völkern zu sichern.
Wie immer man auch zu dieser Methode der Abschreckung stehen mag die Menschen sollten überzeugt sein, dass der Rüstungswettlauf, zu dem nicht wenige Nationen ihre Zuflucht nehmen, kein sicherer Weg ist, den Frieden zu sichern, und dass das daraus sich ergebende sogenannte Gleichgewicht kein sicherer und wirklicher Friede ist. Statt dass dieser die Ursachen des Krieges beseitigt, drohen diese dadurch sogar eher weiter zuzunehmen. Während man riesige Summen zur Herstellung immer neuer Waffen ausgibt, kann man nicht genügend Hilfsmittel bereitstellen zur Bekämpfung all des Elends in der heutigen Welt. Anstatt die Spannungen zwischen den Völkern wirklich und gründlich zu lösen, überträgt man sie noch auf andere Erdteile. Neue Wege, von einer inneren Wandlung aus beginnend, müssen gewählt werden, um dieses Ärgernis zu beseitigen, die Welt von der drückenden Angst zu befreien und ihr den wahren Frieden zu schenken.
Darum muss noch einmal erklärt werden: Der Rüstungswettlauf ist eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit, er schädigt unerträglich die Armen. Wenn hier nicht Hilfe geschaffen wird, ist zu befürchten, dass er eines Tages all das tödliche Unheil bringt, wozu er schon jetzt die Mittel bereitstellt.
Gewarnt vor Katastrophen, die das Menschengeschlecht heute möglich macht, wollen wir die Frist, die uns noch von oben gewährt wurde, nützen, um mit geschärftem Verantwortungsbewusstsein Methoden zu finden, unsere Meinungsverschiedenheiten auf eine Art und Weise zu lösen, die des Menschen würdiger ist. Die göttliche Vorsehung fordert dringend von uns, dass wir uns von der alten Knechtschaft des Krieges befreien. Wohin uns der verhängnisvolle Weg, den wir beschritten haben, führen mag, falls wir nicht diesen Versuch zur Umkehr machen, das wissen wir nicht.
82. Es ist also deutlich, dass wir mit all unseren Kräften jene Zeit vorbereiten müssen, in der auf der Basis einer Übereinkunft zwischen allen Nationen jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann. Das erfordert freilich, dass eine von allen anerkannte öffentliche Weltautorität eingesetzt wird, die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten. Bevor aber diese wünschenswerte Autorität konstituiert werden kann, müssen die jetzigen internationalen höchsten Gremien sich intensiv um Mittel bemühen, die allgemeine Sicherheit besser zu gewährleisten. Da der Friede aus dem gegenseitigen Vertrauen der Völker erwachsen sollte, statt den Nationen durch den Schrecken der Waffen auferlegt zu werden, sollten alle sich bemühen, dem Wettrüsten ein Ende zu machen. Man soll wirklich mit der Abrüstung beginnen, nicht einseitig, sondern in vertraglich festgelegten gleichen Schritten und mit echten und wirksamen Sicherungen (vgl. Johannes XXIII., Pacem in terris, wo von der Abrüstung die Rede ist: AAS 55 [1963] 287).
Inzwischen sind Versuche, wie sie schon unternommen wurden und noch werden, die Gefahr des Krieges abzuwenden, keineswegs gering zu schätzen. Man sollte vielmehr den guten Willen der überaus vielen stützen, die, beladen durch ihr hohes Amt, aber zugleich im Gewissen bedrängt durch die Schwere ihrer Verantwortung, darauf hinwirken, dass der Krieg, den sie verabscheuen, aus der Welt geschafft werde, wenn sie auch nicht an der Kompliziertheit der faktischen Verhältnisse vorbeisehen können. Inständig muss man zu Gott beten, dass er ihnen die Kraft gibt, dieses hohe Werk der Liebe zu den Menschen, den kraftvollen Aufbau des Friedens immer wieder neu zu beginnen und tapfer durchzuhalten. Dies verlangt heute sicher von ihnen, dass sie mit Geist und Herz über die Grenzen ihrer eigenen Nation hinausschauen, dass sie auf nationalen Egoismus und den Ehrgeiz, andere Nationen zu beherrschen, verzichten, dass sie eine tiefe Ehrfurcht empfinden für die ganze Menschheit, die sich so mühsam schon auf eine größere Einheit hinbewegt.
Über die Probleme des Friedens und der Abrüstung sind schon tiefe, mutige und unermüdliche Forschungen angestellt worden. Internationale Kongresse befassten sich damit. Man sollte dies alles als erste Schritte zur Lösung dieser so schwierigen Fragen ansehen und für die Zukunft noch intensiver fördern, wenn man praktikable Ergebnisse erreichen will. Indessen soll man sich hüten, sich nur auf die Anstrengungen einiger zu verlassen, ohne die eigene Einstellung zu überprüfen. Denn die Staatsmänner, die das Gemeinwohl ihres eigenen Volkes zu verantworten und gleichzeitig das Wohl der gesamten Welt zu fördern haben, sind sehr abhängig von der öffentlichen Meinung und Einstellung der Massen. Nichts nützt ihnen ihr Bemühen, Frieden zu stiften, wenn Gefühle der Feindschaft, Verachtung, Misstrauen, Rassenhass und ideologische Verhärtung die Menschen trennen und zu Gegnern machen. Darum sind vor allem eine neue Erziehung und ein neuer Geist in der öffentlichen Meinung dringend notwendig. Wer sich der Aufgabe der Erziehung, vor allem der Jugend, widmet und wer die öffentliche Meinung mitformt, soll es als seine schwere Pflicht ansehen, in allen eine neue Friedensgesinnung zu wecken. Wir alle müssen uns wandeln in unserer Gesinnung und müssen die ganze Welt und jene Aufgaben in den Blick bekommen, die wir alle zusammen zum Fortschritt der Menschheit auf uns nehmen können.
Täuschen wir uns nicht durch eine falsche Hoffnung! Wenn Feindschaft und Hass nicht aufgegeben werden, wenn es nicht zum Abschluss fester und ehrenhafter Verträge kommt, die für die Zukunft einen allgemeinen Frieden sichern, dann geht die Menschheit, die jetzt schon in Gefahr schwebt trotz all ihrer bewundernswürdigen Wissenschaft jener dunklen Stunde entgegen, wo sie keinen anderen Frieden mehr spürt als die schaurige Ruhe des Todes. Aber während die Kirche Christi mitten in den Ängsten dieser Zeit lebt und diese Worte ausspricht, hört sie nicht auf, zuversichtlich zu hoffen. Unserer Zeit will sie immer wieder - gelegen oder ungelegen - die apostolische Botschaft verkünden: "Seht, jetzt ist die Zeit der Gnade" zur Bekehrung der Herzen; ,jetzt ist der Tag des Heils" (vgl. 2 Kor 6,2).
Zweiter Abschnitt: Der Aufbau der internationalen Gemeinschaft
83. Um den Frieden aufzubauen, müssen vor allem die Ursachen der Zwietracht in der Welt, die zum Krieg führen, beseitigt werden, an erster Stelle die Ungerechtigkeiten. Nicht wenige entspringen allzu großen wirtschaftlichen Ungleichheiten oder auch der Verzögerung der notwendigen Hilfe. Andere entstehen aus Herrschsucht und Missachtung der Menschenwürde und, wenn wir nach den tieferen Gründen suchen, aus Neid, Misstrauen Hochmut und anderen egoistischen Leidenschaften. Da der Mensch so viel Unordnung nicht ertragen kann, folgt daraus, dass die Welt auch ohne das Wüten des Krieges dauernd von zwischenmenschlichen Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen vergiftet wird. Weil außerdem dieselben Übel auch in den Beziehungen unter den Völkern zu finden sind müssen, will man sie überwinden oder verhüten und die zügellose Gewaltanwendung verhindern, die internationalen Institutionen besser und enge: zusammenarbeiten und koordiniert werden; ebenso muss auf die Bildung neuer Organe für die Förderung des Friedens unermüdlich hingearbeitet werden.
84. Um bei der wachsenden gegenseitigen engen Abhängigkeit aller Menschen und aller Völker auf dem ganzen Erdkreis das allgemeine Wohl der Menschheit auf geeignetem Weg zu suchen und in wirksamer Weise zu erreichen, muss sich die Völkergemeinschaft eine Ordnung geben, die der heutigen Aufgaben entspricht, vor allem im Hinblick auf die zahlreicher Gebiete, die immer noch unerträgliche Not leiden.
Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Institutionen der internationalen Gemeinschaft den verschiedenen Bedürfnissen der Menschen nach Kräften Rechnung tragen, und zwar sowohl in den Bereichen des sozialen Lebens, z.B. Ernährung, Gesundheit, Erziehung, Arbeit, als auch in besonderen Situationen, die hier und dort entstehen können, z.B. die allgemein bestehende Notwendigkeit, den Aufstieg der Entwicklungsländer zu fördern, die Leiden der Flüchtlinge in der ganzen Welt zu lindern oder auch Auswanderer und ihre Familien zu unterstützen. Die bereits bestehenden internationalen Institutionen, sowohl auf weltweiter wie auf regionaler Ebene, machen sich ohne Zweifel um die Menschheit hoch verdient. Sie erscheinen als erste Versuche, eine internationale Grundlage für die Gemeinschaft der ganzen Menschheit zu schaffen, damit so die schweren Fragen unserer Zeit gelöst werden: den Fortschritt überall zu fördern und Kriege in jeder Form zu verhindern. Die Kirche freut sich über den Geist wahrer Brüderlichkeit zwischen Christen und Nichtchristen, der auf all diesen Gebieten zu immer größeren Anstrengungen drängt, um die ungeheuere Not zu lindern.
85. Die heutige enge Verbundenheit der Menschheit erfordert auch auf wirtschaftlichem Gebiet eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Wenn auch fast alle Völker politische Unabhängigkeit erlangt haben, ist es doch noch lange nicht so weit, dass sie von allzu großen Ungleichheiten und jeder Form ungebührlicher Abhängigkeit frei und jeder Gefahr schwerer innerer Konflikte enthoben sind. Die Entwicklung einer Nation hängt von menschlichen und finanziellen Hilfen ab. Die Bürger einer jeden Nation müssen durch Erziehung und Berufsausbildung für die verschiedenen Aufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft vorbereitet werden. Dazu ist die Hilfe ausländischer Fachkräfte erforderlich, die bei ihrem Einsatz nicht als Herren auftreten dürfen, sondern Helfer und Mitarbeiter sein sollen. Materielle Hilfe wird den aufstrebenden Völkern nicht zuteil werden, wenn die Praktiken des heutigen Welthandels sich nicht von Grund auf ändern. Darüber hinaus müssen von den hochentwickelten Ländern Hilfen in Form von Zuschüssen, Krediten und Kapitalinvestitionen gewährt werden. Diese sollen von der einen Seite großherzig und ohne Profitsucht gewährt und von der anderen in ehrenhafter Haltung angenommen werden. Um zu einer echten weltumfassenden Wirtschaftsordnung zu kommen, muss auf übertriebenes Gewinnstreben, nationales Prestige, politische Herrschsucht, militaristische Überlegungen und Machenschaften zur zwangsweisen Verbreitung von Ideologien verzichtet werden. Viele wirtschaftliche und soziale Systeme werden vorgeschlagen. Es ist zu wünschen, dass Fachleute eine gemeinsame Grundlage für einen gesunden Welthandel finden können. Das wird leichter zu erreichen sein, wenn die Einzelnen ihre Vorurteile ablegen und zu einem aufrichtigen Dialog bereit sind.
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88. Zum Aufbau einer internationalen Ordnung, in der die rechtmäßigen Freiheiten aller wirklich geachtet werden und wahre Brüderlichkeit bei allen herrscht, sollen die Christen gern und von Herzen mitarbeiten, und das um so mehr, als der größere Teil der Welt noch unter solcher Not leidet, dass Christus selbst in den Armen mit lauter Stimme seine Jünger zur Liebe aufruft. Das Ärgernis soll vermieden werden, dass einige Nationen, deren Bürger in überwältigender Mehrheit den Ehrennamen "Christen" tragen, Güter in Fülle besitzen, während andere nicht genug zum Leben haben und von Hunger, Krankheit und Elend aller Art gepeinigt werden. Denn der Geist der Armut und Liebe ist Ruhm und Zeugnis der Kirche Christi.
Lob und Unterstützung verdienen jene Christen, vor allem jene jungen Menschen, die freiwillig anderen Menschen und Völkern ihre persönliche Hilfe zur Verfügung stellen. Es ist jedoch Sache des ganzen Volkes Gottes, wobei die Bischöfe mit Wort und Beispiel vorangehen müssen, die Nöte unserer Zeit nach Kräften zu lindern, und zwar nach alter Tradition der Kirche nicht nur aus dem Überfluss, sondern auch von der Substanz. Das Sammeln und Verteilen von Mitteln muss, zwar ohne starre und einförmige Organisation, jedoch ordnungsgemäß, in den Diözesen, den Ländern und in der ganzen Welt durchgeführt werden, und das in Zusammenarbeit der Katholiken mit den übrigen Christen, wo immer es angebracht erscheint. Denn der Geist der Liebe verbietet durchaus nicht die wohl überlegte und organisierte Durchführung einer sozialen und caritativen Aktion, sondern fordert sie sogar. Darum ist es auch notwendig, dass diejenigen, die sich dem Dienst in Entwicklungsländern widmen wollen, in geeigneten Instituten ausgebildet werden.
89. Kraft ihrer göttlichen Sendung verkündet die Kirche allen Menschen das Evangelium und spendet ihnen die Schätze der Gnade. Dadurch leistet sie überall einen wichtigen Beitrag zur Festigung des Friedens und zur Schaffung einer soliden Grundlage der brüderlichen Gemeinschaft unter den Menschen und Völkern, nämlich die Kenntnis des göttlichen und natürlichen Sittengesetzes. Darum muss die Kirche in der Völkergemeinschaft präsent sein, um die Zusammenarbeit unter den Menschen zu fördern und anzuregen. Das geschieht sowohl durch ihre öffentlichen Institutionen wie durch die umfassende und aufrichtige Zusammenarbeit aller Christen, deren einziger Beweggrund der Wunsch ist, allen zu dienen. Das wird um so eher gelingen, wenn alle Gläubigen im Bewusstsein ihrer menschlichen und christlichen Verantwortung in ihrem eigenen Lebensbereich daran mitwirken, den Wunsch zu tatkräftiger Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft zu wecken. Besondere Sorgfalt ist dabei auf die Bildung der Jugend zu verwenden, vor allem in der religiösen und staatsbürgerlichen Erziehung.
90. Eine hervorragende Form des internationalen Wirkens der Christen ist zweifellos die Mitarbeit, die sie einzeln und organisiert in den vorhandenen oder zu gründenden Institutionen zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen leisten. Darüber hinaus können die verschiedenen katholischen internationalen Organisationen auf vielfache Weise zum Aufbau einer friedlichen und brüderlichen Völkergemeinschaft beitragen. Sie verdienen gestärkt zu werden durch erhöhten Einsatz gut vorgebildeter Mitarbeiter, durch Vermehrung der notwendigen Hilfsmittel und durch geeignete Koordinierung der Kräfte. Denn in unserer Zeit sind sowohl zum Erfolg von Aktionen als auch zu dem notwendig gewordenen Dialog gemeinsame Bemühungen erforderlich. Solche Vereinigungen tragen außerdem nicht wenig dazu bei, den Sinn für die Weltprobleme zu entwickeln, was den Katholiken gemäß ist, und das Bewusstsein wahrhaft weltweiter Solidarität und Verantwortung zu wecken.
Schließlich ist zu wünschen, dass die Katholiken zur rechten Erfüllung ihrer Aufgabe in der internationalen Gemeinschaft eine tatkräftige und positive Zusammenarbeit anstreben mit den getrennten Brüdern, die sich gemeinsam mit ihnen zur Liebe des Evangeliums bekennen, und mit allen Menschen, die den wahren Frieden ersehnen.
Aber angesichts der zahllosen Drangsale, unter denen der größere Teil der Menschheit auch heute noch leidet, hält es das Konzil für sehr zweckmäßig, ein Organ der Gesamtkirche zu schaffen, um die Gerechtigkeit und Liebe Christi den Armen in aller Welt zuteil werden zu lassen. Seine Aufgabe soll es sein, die Gemeinschaft der Katholiken immer wieder anzuregen, den Aufstieg der notleidenden Gebiete und die soziale Gerechtigkeit unter den Völkern zu fördern.
10. Papst Paul VI.: Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, U Thant, über das Anliegen der Abrüstung vom 24. Januar 1966
AAS 58 (1966) 135-136
Sie wissen, mit welcher Aufmerksamkeit Wir die Anstrengungen verfolgen, welche die Organisation der Vereinten Nationen für den Frieden unternimmt.
Zu dem Zeitpunkt, da die Abrüstungskommission in Genf ihre Sitzungen wieder aufnimmt, möchten Wir an Sie einen dringenden Appell richten, angeregt durch den Wunsch, dass die Bemühungen des Komitees zu einem positiven und konkreten Resultat führen und so der Realisierung der Abrüstung, die so einmütig erwartet und gewünscht wird, einen Schritt näher kommen.
Wir fühlen Uns zu dieser Botschaft ermutigt durch die kürzliche Stellungnahme der mehr als zweitausend katholischen Bischöfe, die in Rom zum Ökumenischen Konzil zusammengekommen waren. In gleicher Weise fühlen Wir Uns aber auch durch das Echo ermutigt, das Unser Appell in Bombay vor der Abrüstungskommission gefunden hat, und durch die wohlwollende Aufnahme, die Unsere Ansprache vor der Vollversammlung der Organisation der Vereinten Nationen in der Weltöffentlichkeit gefunden hat.
Indem Wir Unsere Stimme für das große Anliegen der Abrüstung erheben, ist es Uns bewusst, dass Wir treu dem Weg folgen, der Uns durch Unsere Vorgänger gewiesen worden ist. Und um nur die letzten anzuführen: Man weiß, mit welcher Klarheit Pius XII. das Problem seit der ersten Kriegsweihnacht seines Pontifikats anging. Indem er die rechtmäßige Ordnung beschwor, die auf die Ruinen des Krieges folgen würde, sagte er: "Damit einer Solcherweise hergestellten Ordnung die Angelpunkte eines wahren Friedens, Ruhe und Dauer, beschieden seien, müssen die Nationen von der drückenden Sklaverei des Wettrüstens befreit werden sowie von der Gefahr, dass die materielle Gewalt, anstatt das Recht zu schützen, zu seiner tyrannischen Vergewaltigung führt. Friedensverträge, die nicht auf einer gegenseitigen, organischen, fortschreitenden, vereinbarten Abrüstung sowohl in der praktischen als in der geistigen Ordnung beruhen und die Abrüstung nicht loyal durchzuführen sich bemühen, werden über kurz oder lang ihre Schwäche und den Mangel an Lebenskraft offenbaren" (AAS 32 [1940] 10). Die Gerechtigkeit, die Weisheit, den Sinn für Menschlichkeit proklamierte seinerseits auch Johannes XXIII. in seiner denkwürdigen Enzyklika Pacem in terris, in der er die Einstellung des Wettrüstens fordert; und zwar fordert die Enzyklika die ordnungsgemäße Abrüstung aufgrund eines gemeinsamen Beschlusses und begleitet von wirksamen Kontrollen.
Wenn Wir Unsererseits auf dieses Problem eingehen, verkennen wir weder die Vielschichtigkeit des Problems, noch ignorieren Wir die enormen Schwierigkeiten, mit denen sich die bewährten Einrichtungen der UNO seit ihrer Gründung mit einer Beharrlichkeit und Sachgerechtigkeit auseinandersetzen, denen man seine Hochachtung nicht versagen kann. Aber man kann es nicht leugnen: Jeder Tag, der vergeht, macht es deutlicher, dass sich ein dauerhafter Frieden unter den Menschen nur dann ausbreiten kann, wenn er durch eine wirksame, allgemeine und kontrollierte Abrüstung erlangt wird. Jeder Tag, der vergeht, zeigt aber auch gleicherweise noch schmerzlicher und noch dramatischer den Gegensatz zwischen den riesigen Summen, die für die Aufrüstung ausgegeben werden, und der ungeheuren materiellen Not, in der noch die Hälfte der Menschheit lebt, die darauf wartet, dass ihren elementarsten Bedürfnissen entsprochen wird.
Wir vertrauen darauf, Herr U Thant, dass Sie diese Unsere Intervention als ein Zeugnis der Hochschätzung entgegennehmen, die Wir der Autorität der Vereinten Nationen und den großen Fähigkeiten der Mitglieder des "Komitees der 18" entgegenbringen.
Sie dürfen darin auch das Echo der glühenden Hoffnung der Menschen dieser Zeit erkennen zu deren Sprecher Wir Uns im Namen des Ökumenischen Konzils bei Ihnen glaubten machen zu müssen.
Das sind die Gefühle, aus denen heraus Wir Unsere Wünsche für einen vollen Erfolg der Bemühungen in Genf aussprechen und auf Sie und die, die an ihnen teilnehmen, den Segen des allmächtigen Gottes herabrufen.
11. Papst Paul VI.: Enzyklika Christi matri vom 15. September 1966
AAS 58 (1966) 745-749
Die Drohung großen und schwerwiegenden Unheils lastet auf der Menschheitsfamilie, da in Ostasien ein blutiger Kampf geführt wird und ein heftiger Krieg tobt; dies mahnt Uns, was dem Frieden dient, soweit es an Uns ist, mit aller Kraft zu tun. Zugleich beunruhigen Uns Berichte über das, was in anderen Ländern geschieht, wie das Wettrüsten mit Nuklearwaffen, das sinnlose Streben nach Vergrößerung der eigenen Nation, die maßlose Überbetonung der eigenen Rasse, umstürzlerische Tendenzen, Segregation, Verbrechen, Mord an Unschuldigen. All dies kann zu den schlimmsten Katastrophen führen.
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Nunmehr erheben Wir wiederum Unsere Stimme "mit lautem Rufen und Tränen" (Hebr 5,7), um die Lenker der Staaten mit Bitten zu bestürmen, damit sie alles daransetzen, dass der Brand sich nicht ausweitet, sondern gänzlich erstickt wird. Wir zweifeln nicht, dass alle rechtgesinnten Menschen, welcher Rasse, Farbe, Religion und sozialen Klasse sie auch angehören mögen, ebenso denken wie Wir. Alle, die es angeht, mögen daher die nötigen Bedingungen schaffen, damit die Waffen niedergelegt werden, bevor es durch das Gewicht der Ereignisse nicht mehr möglich sein wird. Diejenigen, in deren Macht das Heil der Menschheitsfamilie steht, mögen -' wissen, dass ihnen in unserer Zeit eine besonders schwere Gewissenspflicht auferlegt ist. Dieses ihr Gewissen mögen sie befragen und an ihr eigenes Volk, an die Welt, an Gott, an die Geschichte denken; sie mögen bei sich bedenken, dass ihr Name für alle Zukunft gesegnet sein wird, wenn sie mit Weisheit dieser Unserer Mahnung Folge leisten. Im Namen Gottes rufen Wir: Haltet ein! Zusammenkünfte sind notwendig, Beratungen und ehrliche Verhandlungen. Jetzt müssen die Dinge geregelt werden, und sei es mit Unannehmlichkeiten und Nachteilen, denn später müssen sie vielleicht unter ungeheuren Verlusten und fürchterlichen Verwüstungen geordnet werden, von denen sich heute noch niemand eine Vorstellung machen kann. Es muss aber ein Friede hergestellt werden, der auf der Gerechtigkeit und der Freiheit der Menschen gegründet ist und die Rechte der Menschen wie der Gemeinschaften achtet, sonst würde er schwach und unsicher.
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12. Papst Paul VI.: Enzyklika Populorum progressio vom 26. März 1967
AAS 59 (1967) 257-299
Weltweite Ausmaße der sozialen Frage
1. Die Entwicklung der Völker wird von der Kirche aufmerksam verfolgt: vor allem derer, die dem Hunger, dem Elend, den herrschenden Krankheiten, der Unwissenheit zu entrinnen suchen; derer, die umfassender an den Früchten der Zivilisation teilnehmen und ihre Begabung wirksamer zur Geltung bringen wollen, die entschieden ihre vollere Entfaltung erstreben. Das Zweite Vatikanische Konzil wurde vor kurzem abgeschlossen. Seither steht das, was das Evangelium in dieser Frage fordert, klarer und lebendiger im Bewusstsein der Kirche. Es ist ihre Pflicht, sich in den Dienst der Menschen zu stellen, um ihnen zu helfen, dieses schwere Problem in seiner ganzen Breite anzupacken, und sie in diesem entscheidenden Augenblick der Menschheitsgeschichte von der Dringlichkeit gemeinsamen Handeins zu überzeugen.
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5. Erst jüngst haben Wir schließlich in dem Bestreben, den Wünschen des Konzils zu entsprechen und zugleich dem Interesse des Apostolischen Stuhles an der großen und gerechten Sache der Entwicklungsländer Ausdruck zu geben, es für Unsere Pflicht erachtet, die Behörden der Römischen Kurie durch eine Päpstliche Kommission zu ergänzen, deren Aufgabe es sein soll, "im ganzen Volk Gottes die Einsicht zu wecken, welche Aufgaben die Gegenwart von ihm fordert: die Entwicklung der armen Völker vorantreiben, die soziale Gerechtigkeit zwischen den Nationen fördern; den weniger entwickelten Nationen zu helfen, dass sie selbst und für sich selbst an ihrem Fortschritt arbeiten können". Gerechtigkeit und Friede ist Name und Programm dieser Kommission. Wir zweifeln nicht daran, dass sich mit Unseren katholischen Söhnen und den christlichen Brüdern alle Menschen guten Willens vereinen werden, um diese Vorhaben in die Tat umzusetzen. Deshalb richten Wir heute an alle diesen feierlichen Aufruf zu gemeinsamem Werk in Fragen der Entwicklung, einer umfassenden für jeden Menschen, einer solidarischen für die Menschheit.
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I. UMFASSENDE ENTWICKLUNG DES MENSCHEN
1. Das Problem
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2. Die Kirche und die Entwicklung
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14. Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben, wie ein Fachmann auf diesem Gebiet geschrieben hat: "Wir lehnen es ab, die Wirtschaft vom Menschlichen zu trennen, von der Entwicklung der Kultur, zu der sie gehört. Was für uns zählt, ist der Mensch, jeder Mensch, jede Gruppe von Menschen bis hin zur gesamten Menschheit" (L.-J. Lebret OP, Dynamique concrète du developpement. Economie et Humanisme. Les Editions Ouvrieres [Paris 1961] 28).
15. Nach dem Plan Gottes ist jeder Mensch gerufen, sich zu entwickeln, weil das Leben eines jeden Menschen von Gott zu irgendeiner Aufgabe bestimmt ist. Von Geburt an ist allen keimhaft eine Fülle von Fähigkeiten und Eigenschaften gegeben, die Frucht tragen sollen. Ihre Entfaltung, Ergebnis der Erziehung durch die Umwelt und persönlicher Anstrengung, gibt jedem die Möglichkeit, sich auf das Ziel auszurichten, das ihm sein Schöpfer gesetzt hat. Mit Verstand und freiem Willen begabt, ist der Mensch für seinen Fortschritt ebenso verantwortlich wie für sein Heil. Unterstützt, manchmal auch behindert durch seine Erzieher und seine Umwelt, ist jeder seines Glückes Schmied, seines Versagens Ursache, wie immer auch die Einflüsse sind, die auf ihn wirken. Jeder Mensch kann durch die Kräfte seines Geistes und seines Willens als Mensch wachsen, mehr wert sein, sich vervollkommnen.
16. Dieses Wachstum der menschlichen Persönlichkeit ist nicht dem freien Belieben des Menschen anheimgestellt. Wie die gesamte Schöpfung auf ihren Schöpfer hingeordnet ist, so ist auch das geistbegabte Geschöpf gehalten, von sich aus sein Leben auf Gott, die erste Wahrheit und das höchste Gut, auszurichten. Deshalb ist auch für uns die Entfaltung der menschlichen Person unsere oberste Pflicht. Mehr noch, dieser durch persönliche und verantwortungsbewusste Anstrengung zur Ausgewogenheit gekommene Mensch ist darüber hinaus zu einer höheren Würde berufen. Durch seine Eingliederung in den lebendigmachenden Christus gelangt er zu einer neuen Entfaltung, zu einem Humanismus jenseitiger, ganz anderer Art, der ihm die höchste Lebensfülle schenkt: das ist das letzte Ziel und der letzte Sinn menschlicher Entfaltung.
17. Der Mensch ist aber auch Glied der Gemeinschaft. Er gehört zur ganzen Menschheit. Nicht nur dieser oder jener, alle Menschen sind aufgerufen, zur vollen Entwicklung der ganzen menschlichen Gesellschaft beizutragen. Die Kulturen entstehen, wachsen, vergehen. Aber wie jede Woge der steigenden Flut weiter als die vorhergehende den Strand überspült, schreitet auch die Menschheit auf dem Weg ihrer Geschichte voran. Erben unserer Väter und Beschenkte unserer Mitbürger, sind wir allen verpflichtet, und jene können uns nicht gleichgültig sein, die nach uns den Kreis der Menschheitsfamilie weiten. Die Solidarität aller, die etwas Wirkliches ist, bringt für uns nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Pflichten.
18. Die Entfaltung des einzelnen und der ganzen Menschheit wäre in Frage gestellt, wenn die wahre Hierarchie der Werte abgebaut würde. Da das Verlangen des Menschen, sich die notwendigen Güter zu beschaffen, berechtigt ist, folgt, dass die Arbeit, durch die wir jene Güter erlangen, zur Pflicht wird: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen" (2 Thess 3,10). Aber der Erwerb zeitlicher Güter kann zu maßloser Gier führen, zum Verlangen nach immer mehr Besitz und zum Streben nach immer größerer Macht. Die Habsucht der einzelnen, der Familien, der Völker kann die Armen und die Reichen packen und bei den einen wie den andern einen erstickenden Materialismus hervorrufen.
19. Mehr haben ist also weder für die Völker noch für den einzelnen das höchste Ziel. Jedes Wachstum hat seine zwei Seiten. Es ist unentbehrlich, damit der Mensch mehr Mensch werde, aber es sperrt ihn wie in ein Gefängnis ein, wenn es zum höchsten Wert wird, der dem Menschen den Blick nach oben versperrt. Dann verhärtet sich das Herz, der Geist verschließt sich, die Menschen kennen keine Freundschaft mehr, sondern nur noch das eigene Interesse, das sie gegeneinander aufbringt und entzweit. Das ausschließliche Streben nach materiellen Gütern verhindert das innere Wachstum und steht seiner wahren menschlichen Größe entgegen. Sowohl die Völker als auch die einzelnen, die von der Habsucht infiziert sind, offenbaren deutlich eine moralische Unterentwicklung.
20. Die Entwicklungshilfe braucht immer mehr Techniker. Noch nötiger freilich hat sie weise Menschen mit tiefen Gedanken, die nach einem neuen Humanismus Ausschau halten, der den Menschen von heute sich selbst finden lässt, im Ja zu den hohen Werten der Liebe, der Freundschaft, des Gebets, der Betrachtung (vgl. J. Maritain, Les conditions spirituelles du progrès et de la paix. Rencontres des cultures a I'UNESCO sous le signe du Concile recuménique Vatican II. Mame [Paris 1966] 66). Nur so kann sich die wahre Entwicklung voll und ganz erfüllen, die für den einzelnen, die für die Völker der Weg von weniger rnenschlichen zu menschlicheren Lebensbedingungen ist.
21. Weniger menschlich: das sind die materiellen Nöte derer, denen das Existenzminimum fehlt; das ist die sittliche Not derer, die vom Egoismus zerfressen sind. Weniger menschlich: das sind die Züge der Gewalt, die im Missbrauch des Besitzes oder der Macht ihren Grund haben, in der Ausbeutung der Arbeiter, in ungerechtem Geschäftsgebaren. Menschlicher: das ist der Aufstieg aus dem Elend zum Besitz des Lebensnotwendigen, die Überwindung der sozialen Missstände, die Erweiterung des Wissens, der Erwerb von Bildung. Menschlicher: das ist das deutlichere Wissen um die Würde des Menschen, das Ausrichten auf den Geist der Armut (vgl. Mt 5,3), die Zusammenarbeit zum Wohle aller, der Wille zum Frieden. Menschlicher: das ist die Anerkennung letzter Werte von Seiten des Menschen und die Anerkennung Gottes, ihrer Quelle und ihres Zieles. Menschlicher: das ist endlich vor allem der Glaube, Gottes Gabe, angenommen durch des Menschen guten Willen, und die Einheit in der Liebe Christi, der uns alle ruft, als Kinder am Leben des lebendigen Gottes teilzunehmen, des Vaters aller Menschen.
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3. Die Aufgabe
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II. UM EINE SOLIDARISCHE ENTWICKLUNG DER MENSCHHEIT
43. Die allseitige Entwicklung des Einzelmenschen muss Hand in Hand gehen mit der Entwicklung der gesamten Menschheit; beide müssen sich wechselseitig unterstützen. Wir sagten in Bombay: "Der Mensch muss dem Menschen begegnen. Die Völker müssen sich als Brüder und Schwestern begegnen, als Kinder Gottes. In diesem gegenseitigen Verstehen und in dieser Freundschaft, in dieser heiligen Gemeinschaft müssen wir mit dem gemeinsamen Werk und der gemeinsamen Zukunft der Menschheit beginnen" (Ansprache an die Vertreter der nichtchristlichen Religionsgemeinschaften, 3. 12. 1964: AAS 57 [1965] 132). Deshalb schlugen Wir vor, konkrete Mittel und praktische Formen der Organsiation und Zusammenarbeit zu suchen, um die verfügbaren Hilfsmittel gemeinsam zu nutzen und so eine echte Gemeinschaft unter den Völkern zu stiften.
44. Diese Pflicht betrifft an erster Stelle die Begüterten. Sie wurzelt in der natürlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit der Menschen, und zwar in dreifacher Hinsicht: zuerst in der Pflicht zur Solidarität, der Hilfe, die die reichen Völker den Entwicklungsländern leisten müssen; sodann in der Pflicht zur sozialen Gerechtigkeit, das, was an den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den mächtigen und schwachen Völkern ungesund ist, abzustellen; endlich in der Pflicht zur Liebe zu allen, zur Schaffung einer menschlicheren Welt für alle, wo alle geben und empfangen können, ohne dass der Fortschritt der einen ein Hindernis für die Entwicklung der anderen ist. Diese Angelegenheit wiegt schwer; von ihr hängt die Zukunft der Zivilisation ab.
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1. Die Hilfe für die Schwachen
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51. Man muss aber noch weiter gehen. Als Wir anläßlich des Eucharistischen Weltkongresses in Bombay weilten, forderten Wir die obersten Lenker der Staaten auf, sie möchten einen Teil der Beträge, die sie für Rüstungszwecke ausgeben, zur Schaffung eines Weltfonds verwenden, um so den notleidenden Völkern zu helfen CBotschaft an die Journalisten in Bombay, 4.12.1964: AAS 57 [1965] 135). Was für den unmittelbaren Kampf gegen das Elend gilt, hat seine Bedeutung auch für die Entwicklungshilfe. Nur eine weltweite Zusammenarbeit, für die der gemeinsame Fonds Symbol und Mittel wäre, würde es erlauben, unfruchtbare Rivalitäten zu überwinden und ein fruchtbares und friedliches Gespräch unter den Völkern in Gang zu bringen.
52. Ohne Zweifel bleibt daneben auch Raum für bilaterale und multilaterale Abkommen: sie geben die Möglichkeit, die Abhängigkeitsverhältnisse und Bitterkeiten, die noch als Folgen der Kolonialzeit geblieben sind, durch Freundschaftsbeziehungen auf dem Boden rechtlicher und politischer Gleichheit zu ersetzen. Eingebettet in Programme weltweiter Zusammenarbeit, wären sie über jeden Verdacht erhaben. Die Empfänger brauchten kein Misstrauen und keine Furcht zu haben vor einem sogenannten Neokolonialismus, der unter dem Schein finanzieller und technischer Hilfe politischen Druck und wirtschaftliches Übergewicht ausübt, um eine Vormachtstellung zu verteidigen oder zu erobern.
53. Wer sähe nicht, dass ein solcher Fonds manche Vergeudung, zu der heute Furcht oder Stolz verleiten, verhindern könnte? Wenn so viele Völker Hunger leiden, wenn so viele Familien in Elend sind, wenn so viele Menschen in Unwissenheit dahinleben, wenn so viele Schulen, Krankenhäuser, richtige Wohnungen zu bauen sind, dann ist jede öffentliche und private Vergeudung, jede aus nationalem oder persönlichem Ehrgeiz gemachte Ausgabe, jedes die Kräfte erschöpfende Wettrüsten ein unerträgliches Ärgernis. Wir müssen das anprangern! Möchten Uns doch die Verantwortlichen hören, bevor es zu spät ist!
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2. Recht und Billigkeit in den Handelsbeziehungen
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62. Noch andere Hindernisse stellen sich dem Aufbau einer gerechteren und nach dem Prinzip der wechselseitigen Solidarität geordneten menschlichen Gesellschaft heute entgegen: der Nationalismus und der Rassenwahn. Es ist verständlich, dass die Völker, die erst jüngst ihre politische Unabhängigkeit erlangt haben, eifersüchtig auf ihre noch zerbrechliche nationale Einheit bedacht sind und sich bemühen, sie zu schützen. Es ist ebenfalls normal, dass die Völker einer alten Kultur stolz sind auf das Erbe, das ihnen die Geschichte überliefert hat. Aber diese berechtigten Gefühle müssen doch überhöht werden durch eine Liebe, die alle Glieder der Menschheitsfamilie umfasst. Der Nationalismus trennt die Völker voneinander und schadet ihrem wahren Wohl. Er wirkt sich dort besonders schädlich aus, wo die Schwäche der Volkswirtschaften vielmehr die Gemeinsamkeit von Anstrengungen, Erkenntnissen und finanziellen Mitteln fordert, um die Entwicklungsprogramme zu verwirklichen und den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zu fördern.
63. Der Rassenwahn ist keineswegs eine Eigenart der jüngst erst zur politischen Selbständigkeit gelangten Völker, wo er sich unter den Rivalitäten der Stammesverbände und der politischen Parteien verbirgt, zum großen Schaden der Gerechtigkeit und zur Gefahr für den inneren Frieden. Während der Kolonialzeit wütete er oft zwischen den Kolonisatoren und den Eingeborenen. Er verhinderte so ein fruchtbares gegenseitiges Verständnis und ließ als Folge vieler Ungerechtigkeiten bittere Abneigung entstehen. Und noch immer verhindert er die Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern; er ist ein Ferment der Trennung und des Hasses inmitten der Staaten, wenn sich, unter Missachtung der unaufgebbaren Rechte der menschlichen Person, die einzelnen und die Familien ihrer Rasse oder Hautfarbe wegen ungerecht einer Ausnahmeregelung unterworfen sehen.
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65. Das muss unbedingt erstrebt werden. Es scheint, dass diese Solidarität unter den Völkern der Erde immer mehr Wirklichkeit wird. Sie muss es allen Völkern erlauben, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen. Die Vergangenheit war zu oft von den Gewalttaten der Völker gegeneinander gekennzeichnet. Möge der Tag kommen, wo die internationalen Beziehungen von gegenseitiger Achtung und Freundschaft geprägt sind, von gegenseitiger Zusammenarbeit, von gemeinsamem Aufstieg, für den sich jeder verantwortlich fühlt. Die jetzt aufstrebenden ärmeren Völker fordern ihren Anteil am Aufbau einer besseren Welt, in der die Rechte und die Aufgaben eines jeden geachtet werden. Dieses Verlangen ist berechtigt, jeder muss es hören und darauf antworten.
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3. Die Liebe zu allen
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Entwicklung der neue Name für Friede
76. Die zwischen den Völkern bestehenden übergroßen Unterschiede der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, wie auch der Lehrmeinungen, sind dazu angetan, Eifersucht und Uneinigkeiten hervorzurufen und gefährden so immer wieder den Frieden. Nach der Rückkehr von Unserer Friedensreise zur UNO haben Wir vor den Konzilsvätern gesagt: "Die Daseinsbedingungen der Entwicklungsländer verdienen unsere gespannte Aufmerksamkeit, deutlicher gesagt: unsere Liebe zu den Armen in dieser Welt - und es sind unzählige Scharen - muss hellhöriger, aktiver, hochherziger werden" CAAS 57 [1966] 896). Das Elend bekämpfen und der Ungerechtigkeit entgegentreten heißt nicht nur die äußeren Lebensverhältnisse bessern, sondern auch am geistigen und sittlichen Fortschritt aller arbeiten und damit zum Nutzen der Menschheit beitragen. Der Friede besteht nicht einfach im Schweigen der Waffen, nicht einfach im immer schwankenden Gleichgewicht der Kräfte. Er muss Tag für Tag aufgebaut werden mit dem Ziel einer von Gott gewollten Ordnung, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt (vgl. Pacem in terris, 11. 4. 1963: AAS 55 [1963] 301).
77. Weil die Völker die Baumeister ihres eigenen Fortschritts sind, müssen sie selbst auch an erster Stelle die Last und Verantwortung dafür tragen. Aber sie werden es nicht schaffen, wenn sie gegenseitig isoliert bleiben. Regionale Übereinkünfte unter den schwachen Völkern zu gegenseitiger Unterstützung, umfassende Hilfeleistungsabmachungen und noch gewichtigere Zusammenschlüsse und gemeinsame Vorhaben sind sozusagen Meilensteine auf dem Weg zur Entwicklung, der auch zum Frieden führt.
78. Diese internationale Zusammenarbeit auf Weltebene braucht Institutionen, die sie vorbereiten, aufeinander abstimmen, leiten, bis eine Rechtsordnung geschaffen wird, die allgemein anerkannt ist. Von ganzem Herzen ermutigen Wir die Organisationen, die bisher schon das Werk der kulturellen Entwicklung der Völker in die Hand genommen haben, und Wir wünschen, dass ihre Autorität wachse. "Ihre Aufgabe ist es", so sagten Wir vor den Vertretern der Vereinten Nationen in New York, "nicht einige, sondern alle Völker einander brüderlich näherzubringen .... Wer sieht nicht die Notwendigkeit ein, allmählich zur Errichtung einer die Welt umfassenden Autorität zu kommen, die imstande ist, auf der rechtlichen wie auf der politischen Ebene wirksam zu handeln?" (AAS 57 [1965] 880) 79. Manche mögen solche Hoffnungen für utopisch halten. Es könnte aber sein, dass sich ihr Realismus als irrig erweist, dass sie die Dynamik einer Welt nicht erkannt haben, die brüderlicher leben will, die sich trotz ihrer Unwissenheit, ihrer Irrtümer, ihrer Fehler, ihrer Rückfälle in die Barbarei, ihres Abschweifens vom Weg des Heils, langsam, ohne sich darüber klar zu sein, ihrem Schöpfer nähert. Dieser Weg zu einer größeren Menschlichkeit verlangt Anstrengungen und Opfer. Aber auch die Widrigkeiten, angenommen aus Liebe zu unseren Brüdern, tragen bei zum Fortschritt der gesamten Menschheitsfamilie. Die Christen wissen sehr wohl, wieviel ihre Vereinigung mit dem Sühnopfer des göttlichen Erlösers beiträgt zur Erbauung des Leibes Christi, damit er nämlich seine Fülle erlangt in der Vereinigung des Volkes Gottes (vgl. Eph 4,12; Lumen gentium, 13).
80. Auf diesem Weg müssen wir alle solidarisch sein. Darum halten Wir es für Unsere Pflicht, allen die gewaltige Bedeutung dieses Anliegens und die dringende Notwendigkeit der Aufgabe vor Augen zu stellen. Jetzt schlägt die Stunde der Tat: das Leben so vieler unschuldiger Kinder, der Aufstieg so vieler unglücklicher Familien zu einem menschlichen Leben, der Friede der Welt, die Zukunft der Kultur stehen auf dem Spiel. Alle Menschen, alle Völker haben ihre Verantwortung zu übernehmen.
Schlussmahnung
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13. Papst Paul VI.: Ansprache bei der Generalaudienz am 7. Juni 1967 mit besonderer Bezugnahme auf den 3. Israelisch-Arabischen Krieg
AAS 59 (1967) 633-636
Diese Unsere allwöchentliche familiäre Ansprache über die Dinge des Reiches Gottes wird heute unterbrochen durch den unvorhergesehenen, unheilvollen Lärm eines neuen Krieges, der jenes uns besonders heilige und teure Land zum Schauplatz hat, in dem Jesus, unser Meister, der Erlöser der Welt, geboren wurde, lebte, das Evangelium verkündete, seine Kirche gründete, gekreuzigt wurde und starb als Opfer für das Heil der Menschheit; wo er auferstand und das neue Leben stiftete, das die Menschen in dieser Zeit wieder geboren werden lässt, sie heiligt und zu Brüdern macht und sich in seliger Vollkommenheit in der Ewigkeit entfalten soll. Ein neuer Krieg! Wir hätten geglaubt, nie mehr eine solche Tragödie in der gegenwärtigen und zukünftigen Geschichte der Völker sehen zu müssen nach den entsetzlichen (und nach dem Urteil der Einsichtigen unnötigen und absurden), jedesmal noch schlimmeren Leiden, die die Menschen schon zweimal in diesem Jahrhundert sich selber zugefügt haben. Wußten wir nicht, was Krieg ist? Die Worte des großen Humanisten des 16. Jahrhunderts Erasmus kommen Uns in den Sinn, die auf einer ihm gewidmeten Stele in einem Park in Den Haag eingraviert sind: Der Krieg wird nur von denen geliebt, die ihn nicht kennen. Unsere Generation sollte zur Genüge wissen, was Krieg ist und was ein moderner Krieg sein kann; doch schon scheint seine entsetzliche Wirklichkeit vergessen; aufs neue setzt man Vertrauen in seine blinde, tödliche Gewalt und glaubt, damit Ordnung und Gerechtigkeit unter den Menschen herstellen zu können.
Seit mehr als zwanzig Jahren wird der Friede, immer wieder der Friede gepredigt; und dies ist das Resultat? Außer dem bitteren Schmerz angesichts dieses neuen Konflikts bedrückt den Geist die Enttäuschung über die Unaufrichtigkeit oder über die Nutzlosigkeit menschlicher Bemühungen zur Schaffung des Friedens in der Welt: Worte, Propaganda, Hoffnungen, Institutionen, Versprechungen, Statute, Voraussagen, nichts nützt also, um aus dem Herzen der Menschen und aus ihrer Politik den Dämon des Hasses, der Gewalt, der Rache, der Grausamkeit zu entfernen. Soll etwa die zynische antike Definition des wilden Menschen: Homo homini lupus, nach Jahrhunderten der Zivilisation und nach dem leuchtenden Morgenrot der neuen Zeit immer noch gültig sein?
Geliebte Söhne: Wir werden nicht am Frieden verzweifeln, weil Wir nicht an den Menschen verzweifeln wollen und weil Wir immer auf die unwiderstehliche, wenn auch langsame und angefochtene Kraft des Evangeliums und die barmherzige Hilfe Gottes vertrauen wollen.
Ihr erwartet nicht, dass Wir in diesem Augenblick und an diesem Ort irgendein Werturteil über den im Gang befindlichen Konflikt aussprechen. Ein einziges Wort wollen Wir Uns zu eigen machen unter all den weisen und kompententen, die Wir in diesem schwierigen Augenblick angesichts der bereits entfesselten Tragödie gehört haben: Sie mögen die Kampfhandlungen einstellen, zuerst daran denken, Menschenleben zu retten; dann möge man die gerechten und vernünftigen Verhandlungen wiederaufnehmen; man möge den Institutionen zur Schaffung friedlicher Beziehungen unter den Nationen Vertrauen schenken; und Gott gebe, dass verantwortungsbewusste, hochherzige Männer alle Gemüter kraftvoll zu einer ausgewogenen Lösung in Gerechtigkeit und Eintracht hinlenken und so der Menschheit das unermeßliche Leid so vieler Opfer und so vieler Ruinen, geschweige denn die Schande eines neuen allgemeinen Konflikts ersparen können.
Wir möchten noch ein weiteres Wort hinzufügen und Unseren lebhaften Wunsch nach Schutz der Heiligen Stätten wiederholen; es ist in der Tat von höchstem Interesse für alle Angehörigen der geistigen Nachkommenschaft Abrahams, Juden, Muselmanen, Christen, dass Jerusalem zur offenen Stadt erklärt wird und, freigehalten von allen militärischen Operationen, von den Kriegsfolgen verschont bleibt, die es schon getroffen haben und leicht noch mehr bedrohen. Wir machen diesen flehenden Appell im Namen der ganzen Christenheit, die seinetwegen in großer Angst ist, zugleich machen Wir Uns zu diesem Zweck zum Interpreten der ganzen zivilisierten Menschheit bei den Regierungen der einander feindlichen Nationen und bei den militärischen Führern der kämpfenden Heere: Möge Jerusalem der Kriegszustand erspart bleiben, und möge die heilige Stadt Zuflucht für die Wehrlosen und Verwundeten bleiben als Symbol der Hoffnung und des Friedens für alle.
Aber indem Wir hier in der Aula katholischer Brüderlichkeit und christlichen Gebets zu euch sprechen, wollen Wir eure Aufmerksamkeit weniger auf die verwirrten Zustände der äußeren Welt lenken als auf die innere Welt eurer Seelen und der Seelen all jener, die ein Echo dieser Unserer - religiösen Ermahnung erreicht, um eurer Liebe und eurer Frömmigkeit die zwei Pflichten anzuempfehlen, die Wir in dieser angsterfüllten Stunde für die wichtigsten halten. Die erste ist gerade die Pflicht der Liebe, der Liebe im tiefsten Grunde der Herzen, in den Gefühlen, in den Urteilen, in den Hoffnungen, möge sie noch so einfältig und utopisch erscheinen.
Wir müssen die Menschen lieben, alle Menschen, wer sie auch sein mögen, auch in diesen unruhigen Zeiten, selbst wenn wir ihre Handlungen tadeln oder verurteilen. Unser Vorsatz der ökumenischen Liebe darf nicht den rasch erregten Leidenschaften der öffentlichen Meinung nachgeben; wie ein prophetischer Traum soll in uns die Vision von einer Menschheit fortbestehen, die in einer nach und nach immer gerechteren und menschlicheren Ordnung zusammengeschlossen ist. Wir wollen nicht zulassen, dass das Gift der Antipathie und des Hasses die christlichen Herzen lähme, die das Konzil erst vor kurzem so wirkungsvoll für die universale Liebe aufgeschlossen hat. Wenn der Kriegszustand soviel physisches und moralisches Unglück in der Welt schafft, so soll er in uns den um so stärkeren Vorsatz zum Guten wecken und eine umso größere Fähigkeit erzeugen, es zu ersehnen und zu vollbringen.
Und die zweite Pflicht ist, wie ihr wohl erratet, das Gebet, ein tiefes und gütiges Gebet für die Versöhnung der Menschen untereinander, ein kraftvolles Gebet für die Erlangung der Vorherrschaft des Gerechtigkeitssinnes, ein demütiges Gebet, um die Tugend des Verzeihens und der Wiederversöhnung zu erlangen, ein glühendes Gebet des Glaubens, das den Beistand der barmherzigen Allmacht des himmlischen Vaters verdient. Dies wird die Art und Weise sein, in der wir alle zur Rückkehr des Friedens und zum wahren Fortschritt der Menschheit beitragen können. In dieser Weise liebt und betet, geliebte Söhne, mit Unserem Apostolischen Segen.
14. Papst Paul VI.: Botschaft "an alle Menschen guten Willens" vom 8. Dezember 1967 mit der Aufforderung, künftig den 1. Januar auf der ganzen Welt als "Tag des Friedens" zu begehen
AAS 59 (1967) 1097-1102
Wir wenden Uns an alle Menschen guten Willens und rufen sie auf, am ersten Tag des Kalenderjahres, am 1. Januar 1968, auf der ganzen Welt einen "Tag des Friedens" zu begehen. Unser Wunsch wäre es, dass dieser Tag auch weiterhin jedes Jahr begangen werde, als Wunsch und Gelöbnis zu Beginn des Kalenderjahres, das den Weg des Menschenlebens in der Zeit einteilt und regelt, als Wunsch und Gelöbnis, dass der Friede mit seinem gerechten und wohltuenden Gleichgewicht in Zukunft den Ablauf der Geschichte bestimmt.
Wir glauben, dieser Vorschlag entspricht dem Sehnen und Trachten der Völker, ihrer Regierungen, der internationalen Organisationen, die sich für die Erhaltung des Friedens in der Welt einsetzen, der religiösen Institutionen, die ein so großes Interesse an der Bewahrung des Friedens haben, den kulturellen, politischen und sozialen Bewegungen, die sich dem Ideal des Friedens verschrieben haben, der Jugend, die mit lebendigerem Scharfblick die auf eine friedliche Entwicklung ausgerichteten neuen Wege der Zivilisation erfasst, der besonnenen Menschen, die erkennen, wie sehr der Friede heute notwendig, zugleich aber auch bedroht ist.
Der Vorschlag, den ersten Tag des neuen Jahres dem Frieden zu widmen sollte nicht ausschließlich als Unsere persönliche Angelegenheit, als religiöse, das heißt katholische, angesehen werden; er sollte vielmehr die ganz spontane Zustimmung aller wahren Freunde des Friedens finden, so als ob er ihrer eigenen Initiative entspränge; auch sollte er auf verschiedene Weise realisiert werden je nach dem besonderen Charakter eines jeder einzelnen, der sich bewusst ist, wie schön und wichtig in der Vielfalt der modernen Menschheit der Zusammenklang aller Stimmen auf der Welt ist, um dieses grundlegende Gut, den Frieden, zu preisen.
Die Katholische Kirche will nur, in der Absicht, zu dienen und ein Beispiel zu geben, "diese Idee lancieren". Sie hofft, dafür nicht nur die Zustimmung weitester Kreise der zivilisierten Welt, sondern überall auch zahlreiche geschickte Verfechter zu finden. Ihre Förderer sollen fähig sein, dem "Tal des Friedens", der zu Beginn jedes neuen Jahres begangen werden soll, das ernste und kraftvolle Gepräge einer verantwortungsbewussten Menschheit zu geben, die befreit ist von der traurigen Fatalität bewaffneter Konflikte und der Weltgeschichte in zivilisierter Ordnung einen glücklicheren Verlauf zu geben vermag.
Die Katholische Kirche wird ihre Söhne einladen, den "Tag des Friedens" mit den religiös-sittlichen Ausdrucksformen der christlichen Frömmigkeit zu begehen. Sie erachtet es aber als ihre Pflicht, alle jene, die mit ihr dieser "Tag" begehen wollen, auf einige Punkte aufmerksam zu machen, die ihm sein Gepräge geben sollen, vor allem auf die Notwendigkeit, den Frieden vor den Gefahren, die ihn fortlaufend bedrohen, zu schützen: vor der Gefahr, dass der Egoismus in den Beziehungen unter den Nationen weiterbesteht; vor der Gefahr, dass sich die Bevölkerungen mancher Länder zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen aus Verzweiflung darüber, dass ihr Rech! auf Leben und Menschenwürde nicht anerkannt und geachtet wird; vor der Gefahr, die gerade heute so schreckliche Ausmaße angenommen hat, dass gewisse Mächte ihre Zuflucht zu Vernichtungswaffen nehmen, über die sie bereits verfügen und für die sie riesige Summen aufwenden - diese Rüstungsausgaben nötigen zu sorgenvollen Überlegungen angesichts der drückenden Armut, die die Entwicklung vieler Völker hemmt -; vor der Gefahr, dass man glaubt, internationale Kontroversen könnten nicht auf dem Weg der Vernunft gelöst werden, d.h. durch Verhandlungen auf der Grundlage des Rechts, der Gerechtigkeit und der Billigkeit, sondern nur mit Gewaltmitteln, die Schrecken und Tod verbreiten.
Der Friede gründet subjektiv auf einem neuen Geist, der das Zusammenleben der Völker beseelen muss, auf einer neuen Auffassung vom Menschen, seinen Pflichten und seiner Bestimmung. Ein weiter Weg ist noch zurückzulegen, damit diese Auffassung Allgemeingut wird und sich auswirken kann. Eine neue Pädagogik muss die neuen Generationen dazu führen, dass sich die Nationen gegenseitig achten, dass die Völker untereinander Brüder werden, dass die verschiedenen Völkerschaften unter sich für ihren Fortschritt und ihre Entwicklung zusammenarbeiten. Die hierfür gegründeten internationalen Institutionen müssen von allen unterstützt werden. Sie müssen besser bekannt gemacht werden. Sie müssen mit der Autorität und den Mitteln, die ihrer hohen Sendung entsprechen, ausgestattet werden. Der "Tag des Friedens" soll auch eine Ehrung für diese Institutionen sein; er soll ihrer Tätigkeit Ansehen verleihen, das Vertrauen in sie und auch die Hoffnung auf sie stärken, wodurch in ihnen das Bewusstsein der Größe ihrer Verantwortung und des ihnen anvertrauten Auftrags wachgehalten und gefestigt werden soll.
Eine Warnung muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden: den Frieden kann man nicht auf hohlem Wohlschwall gründen, der zwar Anklang finden kann, weil er ein tiefes und echtes Sehnen der Menschen anspricht, der aber auch dazu dienen kann, und leider oft dazu gedient hat, das Fehlen eines echten Friedensgeistes und wahrer Friedensabsichten zu verbergen oder sogar umstürzlerische Absichten und Aktionen oder Parteiinteressen zu tarnen. Man kann auch legitimerweise nicht von Frieden sprechen, wo dessen feste Grundlagen nicht anerkannt und geachtet werden, nämlich Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Liebe in den Beziehungen zwischen den Staaten und, innerhalb einer jeden Nation, zwischen den Bürgern untereinander und zu ihren Behörden, sowie Freiheit der Einzelmenschen und der Völker, und zwar staatsbürgerliche, kulturelle, moralische und religiöse Freiheit. Sonst hat man keinen Frieden - auch dann nicht, wenn es rein zufällig gelingt, durch Unterdrückung einen Anschein von Ordnung und Legalität zu schaffen -, sondern ein ständiges und unaufhaltsames Keimen von Revolutionen und Kriegen.
Wir laden darum alle besonnenen und tatkräftigen Menschen ein, diesen Tag dem wahren Frieden zu weihen, dem gerechten und ausgleichenden Frieden, der sich auf die ehrliche Anerkennung der Rechte der menschlichen Person und auf die Unabhängigkeit jeder Nation gründet.
Es ist auch zu wünschen, dass die Verherrlichung des Friedensideals nicht die Feigheit jener begünstige, die sich fürchten, ihr Leben im Dienst ihres Landes und ihrer Brüder einzusetzen, während diese sich für die Verteidigung von Gerechtigkeit und Freiheit aufopfern, die sich vor der Verantwortung drücken und dem unvermeidbaren Risiko zu entfliehen suchen, das nun einmal mit der Erfüllung großer Pflichten und hochherziger Unternehmungen verbunden ist. Friede heißt nicht Pazifismus. Er verbirgt keine feige und bequeme Lebensauffassung. Er verkündet im Gegenteil höchste und allgemeingültige Lebenswerte: Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Liebe.
Und weil Wir diese Werte verteidigen, stellen Wir sie unter das Banner des Friedens und laden die Menschen und Nationen ein, zu Beginn des neuen Jahres dieses Banner hochzuheben. Es soll das Schiff der Menschheit durch die unvermeidlichen Stürme der Geschichte hindurch zum Hafen seiner höchsten Bestimmung führen.
An Euch, geliebte Brüder im Bischofsamt, an Euch, geliebte Söhne und Gläubige unserer heiligen Katholischen Kirche, richten Wir die Einladung, die Wir eben verkündet haben: den ersten Tag des bürgerlichen Jahres, den 1. Januar des kommenden Jahres, ganz besonders dem Gedanken und dem Willen zum Frieden zu widmen.
Diese Feier soll den liturgischen Kalender nicht abändern, der den Neujahrstag der Verehrung der Gottesmutterschaft Mariens und dem allerheiligsten Namen Jesu vorbehält. Diese lieblichen heiligen Gedenkfeiern sollen vielmehr das Licht der Güte, Weisheit und Hoffnung ausstrahlen auf das Erflehen, Bedenken und Fördern des so großen, heißersehnten Gutes, des Friedens, dessen die Welt so sehr bedarf.
Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, es wird euch aufgefallen sein, wie oft Wir über den Frieden sprechen. Wir tun es nicht, um einer rasch erworbenen Gewohnheit nachzugeben, auch nicht, weil dieses Thema gerade viel besprochen ist. Wir tun es, weil Wir meinen, dass Unsere Pflicht als oberster Hirt es von Uns fordert. Wir tun es, weil Wir sehen, wie ernst der Friede bedroht ist. Wir tun es in der Vorausahnung fürchterlicher Ereignisse, die sich für ganze Nationen und vielleicht sogar für einen großen Teil der Menschheit katastrophal auswirken können. Wir tun es, weil in den letzten Jahren der Geschichte unseres Jahrhunderts sehr klar die Tatsache zutage getreten ist, dass der Friede der einzige, wahre Weg des menschlichen Fortschritts ist (nicht die Spannungen ehrgeiziger Nationalismen, nicht gewaltsame Eroberungen, nicht Unterdrückungen, die nur eine falsche bürgerliche Ordnung schaffen). Wir tun es, weil der Friede zum Geist der christlichen Religion gehört, weil für den Christen den Frieden verkünden Jesus Christus verkünden heißt. "Er ist unser Friede" (Eph 2,14). Sein
Evangelium ist "das Evangelium des Friedens" (Eph 6,15). Durch sein Opfer am Kreuz hat er die Aussöhnung aller Menschen vollzogen, und wir, seine Jünger, sind aufgerufen, "Friedensstifter" (Mt 5,9) zu sein. Letztlich kann der Friede nur aus dem Evangelium hervorgehen, der Friede, der die Menschen nicht schwach und feige macht, sondern in ihrer Seele die Neigungen zu Gewalttat und Unterdrückung durch die kraftvollen Verstandes- und Herzenstugenden eines echten Humanismus ersetzt. Und endlich tun Wir es auch, weil Wir nicht möchten, dass Uns jemals von Gott oder der Geschichte der Vorwurf gemacht wird, geschwiegen zu haben angesichts der Gefahr eines neuen Krieges unter den Völkern, der, wie alle wissen, unvorstellbare Formen apokalyptischen Schreckens annehmen könnte.
Immer wieder muss man vom Frieden sprechen. Die Welt muss dazu erzogen werden, den Frieden zu lieben, ihn aufzubauen, ihn zu verteidigen. In den Menschen unserer Zeit und in den kommenden Generationen müssen Sinn und Liebe für den Frieden, der auf der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Liebe gründet (vgl. Johannes XXIII., Pacem in terris), geweckt werden: gegen alles, was schon wieder beginnt, einen neuen Krieg vorzubereiten (Stimulierung des Nationalismus, Aufrüstung, Herausforderung zum Umsturz, Rassenhass, Rachsucht usw.) und gegen die Tücke eines rein taktischen Pazifismus, der den Gegner, den man überwältigen will, narkotisiert und in den Geistern den Sinn für Gerechtigkeit, Pflicht und Opfer tötet.
Die große Idee des Friedens soll gerade für uns Jünger Christi zu Beginn des neuen Jahres 1968 ihren Festtag haben.
Wir, die wir an das Evangelium glauben, können diese Gedenkfeier mit einer wunderbaren Fülle eigener wirkmächtiger Ideen durchdringen: so mit der Idee von der unantastbaren universellen Bruderschaft aller Menschen, die sich aus der einzigen, höchsten, liebevollsten Vaterschaft Gottes herleitet, aus der Gemeinschaft, die - in re vel in spe - uns alle mit Christus vereint, und aus der prophetischen Berufung, die im Heiligen Geist das Menschengeschlecht zur Einheit nicht nur der Gesinnung, sondern auch des Tuns und des Schicksals ruft. Wir können, wie sonst niemand, von der Nächstenliebe sprechen. Wir können aus dem christlichen Gebot des Verzeihens und der Barmherzigkeit Fermente für die Erneuerung der Gesellschaft gewinnen. Vor allem haben wir, ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, eine einzigartige Waffe für den Frieden zu unserer Verfügung: das Gebet mit seiner wunderbaren moralischen Kraft und dem ihm verliehenen übernatürlichen Beistand in der geistigen und politischen Erneuerung. Das Gebet bietet jedem die Gelegenheit, persönlich und aufrichtig im eigenen Ich nach den Wurzeln der etwa vorhandenen Neigung zu Groll und Gewalttat, die sich im Herzen eines jeden finden können, zu forschen. Beginnen wir darum das Jahr des Heils 1968 (Jahr des Glaubens, der zur Hoffnung wird) mit dem Gebet für den Frieden, und zwar wir alle und nach Möglichkeit gemeinsam in unseren Kirchen und in unseren Häusern. Darum bitten Wir euch jetzt. Keine Stimme soll fehlen im großen Chor der Kirche und der Welt, die Christus, der sich für uns geopfert hat, anfleht: Dona nobis pacem.
15. Papst Paul VI.: Ansprache in der Petersbasilika zum "Tag des Friedens" am 1. Januar 1968
AAS 60 (1968) 36-39
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Jedoch, schon wenn Wir dieses schicksalhafte Wort: Friede, dieses wie kein anderes freundschaftliche und menschliche Wort, aussprechen und wiederholen, erhebt sich ein Gefühl in Unserem Geist, das Wir nicht verschweigen können, auch wenn es Unseren Friedenswunsch zu ersticken und die Hoffnung, die er mit sich bringt, zu enttäuschen sucht. Es ist die gefühlsmäßige Ahnung der Schwierigkeiten, die sich der Erreichung des Friedens entgegenstellen. Die gegenwärtigen Verhältnisse in der Welt lassen diese Schwierigkeiten offenbar werden und forcieren sie mit solcher Gewalt, dass sie schicksalhaft und unüberwindlich scheinen: Der Friede existiert z.B. heute in verschiedenen Teilen der Welt nicht, insbesondere nicht in einer Region, die von uns räumlich weit entfernt, aber uns geistig um so näher ist: ihr versteht sehr wohl, dass Wir Vietnam meinen. Und während es Uns im leidenschaftslosen Abwägen der staatlichen Interessen, die im Spiel sind, und der Ehre der kriegführenden Parteien noch schien, der Weg zum Frieden sei noch immer offen und gangbar, auch wenn er mit Überwindung von Schwierigkeiten und nur schrittweise zurückgelegt werden könne, da tauchten schon wieder neue erschreckende Hindernisse auf, um mit neuen Problemen und neuen Drohungen die verwickelte Frage noch mehr zu komplizieren und die Gefahren, die Feindseligkeiten, die Ruinen, die Tränen und die Opfer noch zu vermehren. Wir möchten das furchtbare Unglück eines immer mehr um sich greifenden Krieges, eines Krieges ohne Ende beschwören. Wir wagen es, die in den Konflikt verwickelten Mächte anzuflehen, alles zu versuchen, was eine ehrenvolle Lösung für diese schmerzliche Streitfrage herbeiführen kann; die gleiche Mahnung richten Wir an alle internationalen Institutionen, die dazu in der Lage sind. Und Wir beschwören die kämpfenden Parteien, noch heute einen ehrlichen und dauerhaften Waffenstillstand in diesem so schweren und erbarmungslosen Kampf einzulegen. Ist es denn nicht für alle wünschenswert, ist es denn nicht praktisch möglich, dass loyale Verhandlungen die Eintracht unter den Bewohnern dieses geliebten und liebenswerten Landes wiederherstellen, indem sie ihre Unabhängigkeit und Freiheit garantieren? Wir glauben es, Wir wünschen es in spe, contra spem. Und darin bestärkt Uns die für einige Stunden gewährte Verlängerung des Waffenstillstands, der für diesen Jahreswechsel schon festgesetzt war, gemäß dem Geist Unserer Einladung zu diesem Tag des Friedens: ein kleines, fast rein symbolisches Zeichen, aber doch ein bedeutungsvoller Ausdruck der Gefälligkeit und für Uns wie sicherlich für alle sehr willkommen als Vorzeichen besserer Ereignisse.
Das traurige Beispiel Vietnams genügt als Beweis dafür, wie schwierig der Friede ist, selbst wenn er erreicht werden könnte. Der Friede wird schwierig, wenn es sich um einen ideologischen Kampf handelt. In diesem Fall wird die Situation durch die Verwirrung der Urteile und Meinungen noch verschlimmert. Die Welt schaut zu, ereifert sich, kommentiert und bedauert, versucht zu verstehen, auf welcher Seite die Gerechtigkeit ist; und angesichts der Schwierigkeit, die richtige Lösung zu finden, verspürt sie die Versuchung, den Frieden unter die Utopien einzureihen: eine große Utopie, würdig, den besten Triebkräften der Geschichte zugezählt zu werden, aber dazu bestimmt, immer trügerisch zu bleiben.
Dieser Aspekt des Friedensproblems, nämlich die Schwierigkeit, den Frieden zu erlangen und zu erhalten, ist das Hauptrnotiv, das Uns veranlasst, davon zu sprechen, und Uns verpflichtet, selbst gegen alle Wahrscheinlichkeit zu erklären, dass der Friede immer möglich ist, dass der Friede immer verpflichtend ist. Dies Vertrauen und diese Pflicht bewegen Unseren Feldzug für den Frieden. Ja, der Friede ist möglich, weil die Menschen im Grunde gut sind und auf die Vernunft, die Ordnung, das Gemeinwohl hingeordnet sind; er ist möglich, weil er in den Herzen der neuen Menschen ist, der Jugendlichen, all derer, die den Weg der Kultur intuitiverfasst haben; er ist möglich, weil die Stimmen, die ihn fordern, überaus kostbar sind, jene Unserer Söhne, jene der Opfer der menschlichen Konflikte, der Verwundeten, der Flüchtlinge, der Ausgebombten, jene der trauernden Mütter, jene der Witwen und jene der Gefallenen; Stimmen, die alle: Friede, Friede! rufen. Ja, er ist möglich, weil Christus auf die Welt gekommen ist und die Brüderlichkeit aller Menschen verkündet und die Liebe gelehrt hat.
Gewiss, der Friede ist schwierig, weil er oft trotz aller Äußerungen guten Willens, bevor er in die Ereignisse und äußeren Ordnungen eingehen kann, in den Seelen sein muss, in denen sich der Egoismus, der Stolz, der Traum von Macht und Herrschaft, die Ideologie der Exklusivität, der Gewalt und der Rebellion mit dem Rache- und Blutdurst eingenistet haben. Geliebte Brüder und Söhne: Auf die Überwindung inhumaner Ideen, des Hochmuts und der Kriegsleidenschaft ist der Tag des Friedens ausgerichtet; und auf die Heranbildung von Herzen, die stark sind in der Liebe und in der Erkenntnis, dass jeder Mensch ein Bruder ist, dass das menschliche Leben heilig ist, dass die Großmut des Verzeihens und die Fähigkeit zur Versöhnung hohe soziale und politische Tugenden sind, zielt Unser Bemühen für den Sieg des Friedens hin.
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16. Papst Paul VI.: Ansprache an das Diplomatische Korps am 8. Januar 1968
AAS 60 (1968) 91-96
Wir danken Ihnen, Exzellenzen, liebe Herren, für Ihre Anwesenheit und für die Wünsche, die wie immer mit soviel Zartgefühl der Gesinnung und des Ausdrucks formuliert wurden. Nehmen Sie Ihrerseits Unsere von Herzen kommenden Wünsche entgegen, dass Gott Sie selbst und Ihre Nationen segne und Ihnen allen ein glückliches Jahr verleihe.
Aber was ist ein glückliches Jahr für Diplomaten? Und kann man wirklich aufrichtig und ohne Ironie einen solchen Wunsch aussprechen? Scheint nicht das Schauspiel, das wir vor Augen haben, mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den, zumindest teilweisen, Mißerfolg der Diplomatie zu beweisen und Zweifel an der Möglichkeit, Ordnung und Frieden unter den Völkern herrschen zu lassen, zu erwecken?
Was sehen wir anderes in so vielen Ländern seit zwanzig Jahren und trotz der Anstrengungen der Diplomatie als Spannungen, Keime von Zwietracht, eine fast ununterbrochene Serie von Auseinandersetzungen und kalten und heißen Kriegen - letztere, Gott Dank, räumlich beschränkt, aber doch ständig mit der furchtbaren Drohung verbunden, sich auszuweiten -, kurz: eine wandernde Feuersbrunst, deren Herde, wenn sie in einem Teil der Erde erlöschen, an einem anderen wieder aufflammen. Man könnte fast sagen, ein böser Geist, ein unsichtbarer Dirigent wache im Dunkel darüber, dass die Glut des Krieges niemals vollständig unter den Menschen ausgelöscht wird.
Wir wollen hier nicht wiederholen, was Wir in Unserer Botschaft zum 1. Januar gesagt haben. Aber können wir vergessen, in diesem Augenblick, da Wir Wünsche austauschen, nach diesen strahlenden Festen, die die Menschheit zu Freude und Hoffnung einluden, dass ein unglückliches geliebtes Land im Südosten Asiens noch immer die Beute eines gräßlichen Krieges ist, dessen Ende nach menschlichem Ermessen nicht abzusehen ist?
Muss man also den Krieg als unabwendbares Schicksal hinnehmen? Muss man die Ohnmacht oder - beinahe - den Bankrott der Diplomatie konstatieren? Muss man sie als ehrwürdige Institution der Vergangenheit betrachten, die gewiss ruhmreiche Zeiten erlebt hat, deren Zeit aber jetzt vorbei ist und die keinen Platz in unserer modernen Zeit mehr hat, in der auf jeden Fall ihre klassischen Formen von einst unvorhergesehenen und ungewohnten Kontakten Platz machen müssen? Man könnte versucht sein, sie beiseite zu stellen, wie man etwa ein altes Kriegsgerät ins Museum stellt, das der Fortschritt der Bewaffnung unnütz werden ließ.
Aber es ist nur zu offensichtlich, dass der Verzicht auf die Diplomatie die furchterregenden Probleme der modernen Welt nicht lösen, sondern nur vollständig unlösbar machen würde.
Was bliebe denn anderes übrig als der Rückgriff auf die Gewalt, auf eine Gewalt, die in unseren Tagen ein solches Ausmaß angenommen hat und die durch den Fortschritt der Wissenschaft derartige Möglichkeiten der Zerstörung erworben hat, dass ihre Anwendung das Überleben der ganzen Menschheit in Frage stellen könnte. Ein erschreckendes Dilemma, das keine andere Alternative hat! Denn die Beziehungen der Völker untereinander werden notwendigerweise entweder auf der Vernunft oder auf der Gewalt basieren; es gibt nur den Weg der Verständigung oder der Vernichtung; es gibt nur Diplomatie oder Krieg. Und dasjenige von beiden, von dem Wir wünschen, dass es beiseite gestellt wird wie eine unbrauchbar gewordene Institution, deren Zeit vorbei ist, und das man ein für allemal entschlossen zu den Altertümern stellen sollte, weil es nicht mehr dazu taugt, die menschlichen Probleme unserer Zeit zu lösen, das ist nicht die Diplomatie, liebe Herren, sondern der Krieg. Indem Wir dies aussprechen, fühlen Wir Uns zutiefst einig mit all jenen, die wie Sie ihr Leben und ihre Kräfte einsetzen in Verfolgung dieses hohen Ideals des Kampfes gegen den Krieg, man könnte auch sagen, gegen den Wahnsinn der Menschen, für den Sieg der Vernunft und des Rechts, für das Kommen eines gerechten und dauerhaften Friedens auf dieser Erde.
Die Diplomatie vermag nicht immer und überall - man sieht es leider nur zu oft -, den Frieden zu schaffen und zu erhalten. Aber sie bemüht sich darum, sie arbeitet dafür, sie setzt alle ihre Kräfte und Fähigkeiten dafür ein und erfindet immer neue Initiativen, mit einer Geduld, einer Ausdauer; einer Hartnäckigkeit, die Bewunderung erregen und für die sie, heute wie gestern, die Achtung und den Dank der Menschheit verdient.
Es ist wahr, es gibt eine gewisse Form der Diplomatie, die es verdiente, als überholt und abgeschafft betrachtet zu werden. Es ist diejenige, die für immer vor der Geschichte mit dem allzu berühmten Namen des florentinischen Edelmannes Niccolo Machiavelli verbunden ist jene, die man definieren könnte als "die Kunst, um jeden Preis Erfolg zu haben", sogar auf Kosten der Moral; jene, deren einzige Triebfeder das Interesse, deren einzige Methode die Geschicklichkeit, deren einzige Rechtfertigung der Erfolg ist; jene, die nicht zögert, die Sprache mehr zum Verschleiern als zum Ausdruck der Gedanken zu gebrauchen; jene, die in der Aktion nicht zurückschreckt vor der Anwendung von Kniffen, Listen und Betrügereien.
Aber verdient eine solche Verfahrensweise überhaupt noch den Namen Diplomatie? Ist sie nicht vielmehr eine ihrer unwürdige Karikatur? Wenn solche beklagenswerten Methoden früher hier und da Diplomatie genannt wurden - jedoch nach Art einer Betrügerware, die sich unter einem Etikett und dem äußeren Anschein der Echtheit verbirgt -, heißt es dann, zu viel Optimismus beweisen, wenn man annimmt, dass die heutige Diplomatie, Gott Dank, von vielen dieser Schwächen befreit und von einem höheren moralischen Ideal beseelt ist? Es ist wahr, sie hat sich von einem gewissen Formalismus befreit, von einer allzu skrupulösen Befolgung der Etikette und des Protokolls; sie hat auf gewisse äußerliche Formen verzichtet. Würden diese alle sie in der Tat nicht mehr behindern als fördern? Dagegen geht sie direkter die realen, konkreten Probleme des Gemeinschaftslebens an, vor allem jenes, das alle anderen beherrscht, das Problem des Friedens. Der Diplomat von heute, der die Lage der Menschheit kennt, übt weniger die Kunst, um jeden Preis Erfolg zu haben, als die - weitaus schwierigere -, die internationale Ordnung zu begründen und zu erhalten, die Kunst, vernünftige menschliche Beziehungen unter den Völkern anzuknüpfen. Es ist ihm oft gelungen, aus der Enge steriler Antagonismen von einst herauszutreten, er ist im wahrsten Sinn Schöpfer des Friedens geworden, der Mann des Rechts, der Vernunft, des Dialogs, und zwar des aufrichtigen Dialogs. Denn die Aufrichtigkeit scheint Uns unentbehrlich für eine echte Diplomatie. Und wenn Wir hier den Tugendkatalog des Diplomaten aufstellen müssten, so würden Wir noch die Geduld hinzufügen, denn er braucht viel Geduld, heute vielleicht mehr als früher; und Wir würden noch einen klugen Realismus hinzufügen, der das Mögliche und Unmögliche einer gegebenen Situation ermessen kann; und Wir würden das ganze Gebäude krönen durch die Großmut, die überall das Kennzeichen des wahrhaft kultivierten, von Humanismus durchdrungenen Menschen ist, vor allem, wenn er die Ehre hat, ein Christ zu sein.
Man möge nicht befürchten, dass der Diplomat, dessen Bild wir hier skizzieren, durch ein Übermaß an Idealismus das Interesse seines eigenen Landes aus dem Auge verlieren wird, das - darin sind sich alle einig - den Vorrang behalten muss. Der Sinn des Interesses wird sich nur erweitert und in den objektiven Sinn der Gerechtigkeit und Billigkeit integriert haben; er wird sich in gewissem Sinn universaliert haben. Die öffentliche Meinung der Gegenwart täuscht sich hierin nicht: der beste Diplomat ist in ihren Augen derjenige, der die umfassendsten Formeln und Programme findet, die sich über die begrenzten Interessen einer Nation oder einer Gruppe von Staaten erheben, um auf einem höheren Niveau das Interesse aller zum allgemeinen Wohl der Menschheit zu erreichen.
Zweifellos erreichen nicht alle dies Ideal. Wer wollte behaupten, dass die Diplomatie von heute ganz tadelsfrei ist? Aber das Heilmittel für ihre Schwächen ist zumindest evident: in dem Maße, in dem sie bereit ist, in ihre Ziele und ihre Methoden die höchsten Werte der moralischen und geistigen Ordnung aufzunehmen, kann sie hoffen, jene Missstände zu beseitigen, denen eine Institution dieser Art fast notwendigerweise nicht entgehen kann.
Wenn sie es tut, wenn sie sich vornimmt, vor allem und wahrhaft uneigennützig auf Erden das Recht, die Gerechtigkeit und den Frieden herrschen zu lassen, dann steht sie in tiefem Einverständnis mit der Katholischen Kirche. Wen wundert es dann noch, wenn der Papst nicht nur hier vor Ihnen ihr sein Lob ausspricht, sondern dass er persönlich bei den höchsten internationalen Instanzen tätig wird, wenn er ihre besten Initiativen empfiehlt und unterstützt, wenn er sich selbst gelegentlich zum Botschafter des Friedens macht?
Die wahre Diplomatie, die sich an den Kriterien der Moral orientiert und das wahre Wohl der internationalen Gemeinschaft im Auge hat, besitzt in den Augen der Kirche schon - um einen berühmten Ausdruck Tertullians zu gebrauchen - eine "natürlicherweise christliche Seele". Sie ist in der Schule dessen, der auf die Erde gekommen ist, "Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind", zu bringen. Sie trägt in sich die Sorge um das Recht, den Durst nach Wahrheit und Gerechtigkeit, der sie in die Nähe der Seligkeiten des Evangeliums rückt und ihr Dynamik und - wenigstens auf lange Sicht - sicheren Erfolg verleiht.
Sie sehen, geehrte Herren, dass Wir wie Sie Vertrauen in die Diplomatie und ihre Wirksamkeit haben. Und wenn Wir so sprechen, dann glauben Sie nicht, dass es - was hier unangebracht wäre - mit Rücksicht auf die besonders qualifizierte Hörerschaft, die Sie darstellen, geschieht. Es geschieht auch nicht; weil Wir persönlich während vieler Jahre, unter dem Pontifikat Pius' XII., an der täglichen Arbeit der päpstlichen Diplomatie teilgenommen haben. Es geschieht, weil Wir Vertrauen in die menschliche Vernunft haben. Wenn die Diplomatie dem moralischen Ideal, wie Wir es dargestellt haben, treu ist, was ist sie dann anderes als die Anwendung jener Lösungen auf die menschlichen Beziehungen, die der Vernunft, dem - dem Menschen eingeborenen - Sinn für Recht und Gerechtigkeit, d. h. letztlich dem, was den Menschen auszeichnet, seiner Würde und seinem Adel, entsprechen? Wir sagen es ohne Zögern: an der Diplomatie verzweifeln hieße am Menschen verzweifeln. Eines Tages wird die Vernunft das letzte Wort behalten.
Die Misserfolge der Diplomatie - die leider nur zu real sind, Wir sagten es schon - sollen Unser Vertrauen nicht erschüttern; sie sind, wie Wir meinen und hoffen, nur vorübergehend. Wir beten und wünschen wie Sie und, dessen sind wir gewiss, alle Gutgesinnten, dass der Sieg der Vernunft über die Leidenschaft, des Friedens und der Bruderliebe über alle Arten von Eigennutz und Egoismus beschleunigt werde. Der Sieg der Diplomatie wird in unserer aufgewühlten Welt von heute letztlich der Sieg der Weisheit und des gesunden Menschenverstandes sein.
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17. Papst Paul VI.: Ansprache zum Angelus am 1. September 1968 mit besonderer Bezugnahme auf die militärische Intervention in die Tschechoslowakei
OR 201 (2./3. 9.1968)
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Welches Gefühl beherrscht uns dabei? Es ist nicht leicht zu sagen, denn es ist ein komplexes Gefühl. Es entsteht aus einer tiefen Erschütterung der Geister. Wir hatten geglaubt, dass nicht mehr möglich sei, was jetzt geschehen ist. Die Grundpfeiler der internationalen Ordnung sind erschüttert: Wieder einmal ist die Vergewaltigung durch Waffen und Einschüchterung als Mittel zugelassen, um die Beziehungen unter den Staaten gewaltsam zu bestimmen. Nationale Unabhängigkeit und Würde sind schwer verletzt, bedroht die Sicherheit anderer Nationen. Ein fremder Wille zwingt sich dem bürgerlichen Leben eines Volkes auf, Polizeiterror steigert die psychologische Spannung in der Bevölkerung. Das alles lastet auf jener Nation und verbreitet Unbehagen und Angst allüberall in der freien und zivilisierten Welt.
Zur Erschütterung der Geister gesellt sich ein anderes Gefühl: das edle und natürliche Gefühl der Solidarität mit dem, der leidet. Dieses Gefühl ist begleitet von dem Bedürfnis, mit neuer Energie die moralischen Grundsätze zu bekräftigen, die die Achtung vor der menschlichen Person schützen und auf deren Basis sich die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen entwickeln müssen. Dies könnte ein positives Ergebnis der jetzigen unleidlichen Situation sein, aber es ist ein Ergebnis, das langsam reift und das die Geschichte gewöhnlich nur am Ende bitterer Erfahrungen hervorbringt.
So dringt denn oft ein Gefühl der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins an das Schicksal in die Seele dessen ein, der Gewalt erleidet, und desjenigen, der zuschaut, ohne Hilfe bringen zu können.
Aber das ist genau der Punkt, an dem die Zufluchtnahme zum Gebet logisch und dringlich wird, besonders für uns Christen.
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18. Papst Paul VI.: Botschaft an den Präsidenten der 23. Vollversammlung der Vereinten Nationen, Emilio Arenales Catalan, vom 4. Dezember 1968 zum 20. Jahrestag der Veröffentlichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
AAS 61 (1969) 60-61
Die Vereinten Nationen haben im Jahre 1948, nach der tragischen Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, feierlich ihre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte veröffentlicht. Im vergangenen "Jahr der Menschenrechte" ist dieses kostbare Dokument der gesamten Menschheit eindringlich als ein Ideal für die Gemeinschaft der Menschen vor Augen geführt worden. Die Verwirklichung dieses Zieles, so dringlich wie je zuvor, ist immer noch die höchste Aufgabe der Vereinten Nationen. Sie bleibt die Grundlage einer wirksamen brüderlichen Zusammenarbeit unter den Menschen, ohne die ein wahrer Friede nicht erreicht werden kann. Anlässlich Unseres unvergesslichen Besuches der Vollversammlung der UNO haben Wir Unsere Übereinstimmung mit dem Programm der Vereinten Nationen auf dem so wichtigen Gebiet der Menschenrechte festgestellt, in dem Wir an dieses Ideal erinnert haben, das der Traum der Menschheit auf ihrer Pilgerschaft im Zeitlichen und die größte Hoffnung für die Welt ist. Wir haben erklärt, dass sie hiermit "die Grundrechte und Grundpflichten des Menschen, seine Würde und seine Freiheit, vor allem seine religiöse Freiheit" verkünden. In der Sache haben sie der Welt Ideale vorgehalten, die verantwortungsvolle Menschen stets zu verwirklichen strebten, grundlegende Prinzipien, wie sie auch in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten zum Ausdruck kommen: "Alle Menschen sind gleich geschaffen; sie sind durch ihren Schöpfer mit gewissen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet, darunter sind das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück."
Die Erklärung der Menschenrechte ist heute von gleicher Wichtigkeit; sie hat einen Kurs vorgezeichnet, der nicht aufgegeben werden darf, wenn die Menschheit ernsthaft den Frieden schaffen will. Die Geschehnisse unserer Tage machen jedoch unglücklicherweise offenbar, dass dieses Streben nach brüderlicher, von einer Atmosphäre der Achtung und des Verstehens geprägten Zusammenarbeit in vielen Teilen der Welt in krassem Gegensatz zum tatsächlichen Geschehen steht: Menschen werden wegen ihrer Rasse, ihrer Weltanschauung oder ihres Glaubens diskriminiert und verfolgt; schwächere Nationen werden gewaltsam unterdrückt; Gewaltregime berauben die Bürger ihrer Rechte und Freiheiten; anstatt Konflikte durch Verhandlungen zu lösen, wird auf Drohung und Gewaltanwendung zurückgegriffen. Es besteht eine direkte Beziehung zwischen Menschenrechten und Frieden. Es ist unmöglich, dort wahren und dauernden Frieden zu haben, wo die Menschenrechte nicht anerkannt, verletzt und mit Füßen getreten werden.
Die Katholische Kirche kann und wird sich ihrer Verantwortung für die Einheit der Menschheitsfamilie nicht entziehen. Sie will der menschlichen Ordnung keine neuen Strukturen auferlegen oder sie juridischen Normen unterwerfen. Aber sie muss darauf bestehen, dass die Ordnung der menschlichen Gesellschaft bestimmt wird von dem Grundsatz der Anerkennung, der Bewahrung und der Förderung der Menschenrechte. Die Katholische Kirche hat den 1. Januar zum Welttag des Friedens erklärt; überall soll deutlich gemacht werden, dass die Förderung der Verwirklichung der Menschenrechte der Weg zum Frieden ist. Damit folgen wir dem Beispiel Jesu Christi: Er brachte der Kirche die Botschaft der Liebe. In ihr wurzeln die Normen des moralischen Lebens. Sie rechtfertigt die Achtung der menschlichen Person.
Sie und alle Ihre Mitglieder, die Sie das Streben und Trachten aller Menschen repräsentieren, möchten Wir ermutigen und aufrufen, nicht nachzulassen in Ihren Bemühungen, die Erklärung der Menschenrechte zu verwirklichen und so den Frieden zu schaffen, den die Menschen in aller Welt so sehnlich herbeiwünschen. Wir werden durch unermüdliches Gebet Gottes Segen erflehen für die Bemühungen der Vereinten Nationen um die Menschen - Brüder und Schwestern der einen Menschheitsfamilie und Kinder des einen Gottes.
19. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1969 vom 8. Dezember 1968
AAS 60 (1968) 769-774
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Was man in der Gegenwart sagt zur Entwicklung der internationalen Beziehungen, zur gegenseitigen Abhängigkeit der einzelnen Völker in ihren Interessen, zum Streben der jungen Staaten nach Freiheit und Unabhängigkeit, zu den Anstrengungen der Zivilisation für die Ermöglichung einer einheitlichen und weltweiten Organisation auf rechtlicher Grundlage, zu den unberechenbaren Gefahren und Katastrophen im Falle von erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen, zur Psychologie des heutigen Menschen in seiner Sehnsucht nach ungestörtem Glück und weltweiten menschlichen Kontakten, zum Fortschritt der ökumenischen Bewegung und der wechselseitigen Achtung vor persönlicher und sozialer Freiheit - das alles festigt in Uns die Überzeugung: Der Friede ist eines der höchsten - Güter des menschlichen Lebens auf Erden und von erstrangiger Bedeutung. Ihm gilt das gemeinsame Streben aller Menschen. Er ist ein Ideal, das einer Menschheit würdig ist, die Herr ihrer selbst und der Welt ist. Der Friede ist notwendig, um das Erreichte festzuhalten und Neues zu erreichen. Er ist ein fundamentales Gesetz für den Austausch der Gedanken, für den Lauf der Kultur, der Wirtschaft und der Kunst. Ja, der Friede ist eine nicht mehr zu unterdrückende Forderung in der Gesamtsicht des menschlichen Schicksals. Denn der Friede ist Sicherheit, der Friede ist Ordnung. Er ist gerechte und dynamische Ordnung, möchten Wir sagen, die in einem ständigen Aufbau begriffen ist. Ohne den Frieden gibt es kein Vertrauen, ohne Vertrauen aber gibt es keinen Fortschritt. Vertrauen muss in der Gerechtigkeit und in der Redlichkeit verwurzelt sein. Nur in einer Atmosphäre des Friedens festigt sich das Recht, wächst die Gerechtigkeit, atmet die Freiheit. Wenn dies die Bedeutung des Friedens ist, wenn dies der Wert des Friedens ist, so ist der Friede eine Pflicht.
Der Friede ist die Pflicht der Geschichte in der Gegenwart. Wer über die Lehren nachzudenken weiß, die die Geschichte der Vergangenheit uns gibt, kommt sofort zur notwendigen Schlussfolgerung: für unsinnig muss eine Rückkehr zum Krieg, zu Kampf- und Blutvergießen, ja zum Verderben erklärt werden, das rein psychologisch hervorgerufen wird durch die Waffen und gegnerischen Kräfte, die sich bis hin zur Vernichtung von Menschen bekämpfen, die Bürger dieser Erde sind, der gemeinsamen Heimat unseres zeitlichen Lebens. Wer als Mensch denkt und empfindet, kann sich nur für den Frieden einsetzen. Wer über die Ursachen der Zwistigkeiten der Menschen nachdenkt, muss zugeben, dass sie einen Mangel an menschlichem Empfinden, aber nicht echte Tugend für des Menschen sittliche Größe anzeigen. Die Notwendigkeit eines Krieges konnte nur unter außergewöhnlichen, faktisch und rechtlich nicht abwendbaren Umständen gerechtfertigt werden, die sich jedoch niemals mehr in der heutigen Gesellschaft verwirklichen dürften. Vernunft, nicht Gewalt, soll die Geschicke der Völker entscheiden. Gegenseitiges Verständnis, Verhandlungen sowie Schiedssprüche, aber nicht Feindseligkeiten, Blutvergießen und Sklaverei sollen die schwierigen Beziehungen der Menschen untereinander bestimmen. Weder zeitweiliger Waffenstillstand noch unbeständiges Gleichgewicht der Kräfte, noch der Schrecken vor Gegenmaßnahmen und Vergeltungsakten, noch erfolgreiche Übergriffe und Gewalttätigkeiten können einen Frieden gewährleisten, der diesen Namen verdient. Man muss den Frieden wollen. Man muss den Frieden lieben. Man muss den Frieden schaffen. Er muss das Ergebnis sittlichen Bemühens sein und dem Geist der Freiheit sowie großmütiger Gesinnung entspringen. Er mag als ein Traum erscheinen; ein Traum, der Wirklichkeit wird kraft einer neuen und höheren Idee vom Menschen.
Ein Traum möchten Wir sagen, weil die Erfahrung der letzten Jahre und das Auftreten neuer Strömungen, die undurchsichtig und fragwürdig sind in ihren Ideen über den radikalen und anarchistischen Kampf, über die Erlaubtheit und Notwendigkeit jedweder Gewaltanwendung, über die Politik der Macht und Vorherrschaft, über Wettrüsten und die Bejahung von Hinterlist und Betrug als Methoden, über die unvermeidbare Notwendigkeit der Demonstration der Macht, die Hoffnung auf eine friedliche Ordnung der Welt auf rechtlicher Grundlage zu ersticken scheinen. Doch diese Hoffnung bleibt bestehen, weil sie bestehen bleiben muss. Sie ist das Licht des Fortschrittes und der Zivilisation. Die Welt kann nicht auf ihren Traum vom universalen Frieden verzichten. Gerade weil der Friede immer im Werden begriffen ist, weil er stets unvollständig ist, immer zerbrechlich, immer bedroht, immer schwierig, verkünden Wir ihn. Als eine Pflicht. Eine Pflicht, der man sich nicht entziehen kann. Eine Pflicht derjenigen, die für das Schicksal der Völker Verantwortung tragen. Eine Pflicht aller Bewohner dieser Erde. Denn alle müssen den Frieden lieben; alle müssen zusammen helfen, um jene Gesinnung in der Öffentlichkeit, jenes Bewusstsein in der Gemeinschaft zu schaffen, das den Frieden ersehnen lässt und möglich macht. Der Friede muss zuallererst in den Herzen der Menschen wohnen, um dann im äußeren Geschehen Wirklichkeit zu werden.
Ja, der Friede ist eine umfassende, eine ständige Pflicht. Um diesen Grundsatz der modernen Zivilisation in Erinnerung zu bringen, laden Wir die Welt ein, auch im kommenden Jahr 1969 den "Tag des Friedens" am I. Januar zu begehen. Es ist ein Wunsch, eine Hoffnung, eine Aufgabe! Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Jahres mögen das Licht des Friedens, über die Erde hin aufstrahlen lassen!
Wir wagen der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass mit den anderen vor allem junge Menschen Unsere Einladung aufnehmen als einen Ruf, der imstande ist, deutlich zu machen, was an Neuem, an Lebensnahem, an Großem ihre in Aufruhr geratenen Herzen bewegt, weil der Friede eine Änderung der Missstände verlangt und eins geht mit der Sache der Gerechtigkeit.
In diesem Jahr begünstigt ein Umstand Unseren an alle gerichteten Vorschlag: Es wurde der 20. Jahrestag der Verkündung der Menschenrechte begangen. Dies ist ein Ereignis, das alle Menschen angeht - den einzelnen wie die Familie, die Gruppen und Verbände wie die Nationen. Keiner darf es vergessen, keiner darf darüber hinweggehen, weil alle zur grundsätzlichen Anerkennung einer menschenwürdigen Bürgerschaft im Vollsinn des Wortes aufgerufen sind, die jeder einzelne auf Erden besitzt. Von dieser Anerkennung her kommt der ursprüngliche Anspruch auf Frieden, und damit das Thema des Weltfriedenstages, welches lautet: "Die Förderung der Menschenrechte - ein Weg zum Frieden." Um dem Menschen das Recht auf Leben, Freiheit, Gleichheit, Kultur, auf die Segnungen der Zivilisation, auf die personale und soziale Würde zu gewährleisten, ist der Friede notwendig. Wo er sein Gleichgewicht und seinen Einfluss verliert, dort werden die Menschenrechte unsicher und in Frage gestellt. Wo der Friede nicht ist, verliert das Recht sein menschliches Antlitz. Wo die Menschenrechte nicht beachtet, verteidigt und gefördert werden, wo man mit Gewalttätigkeit oder Betrug gegen die unveräußerliche Freiheit des Menschen verstößt, wo seine Persönlichkeit ignoriert oder herabgesetzt wird, wo Diskriminierung, Sklaverei und Intoleranz herrschen, dort kann kein wahrer Friede sein. Friede und Recht sind sich gegenseitig Ursache und Wirkung: Der Friede fördert das Recht, und das Recht seinerseits fördert den Frieden.
Wir wollen hoffen, dass diese Gründe für jeden Menschen, für jeden Personenkreis, für jede Nation Gültigkeit besitzen! Wir wollen hoffen, dass die überragende Bedeutung der Sache des Friedens weite Kreise zum Nachdenken bringen und zur Tat aneifern möge! Friede und Menschenrechte sollen nach Unserem Wunsch ein Gegenstand sein, auf den die Menschen in der Geburtsstunde des neuen Jahres ihre Gedanken lenken. Unsere Einladung ist aufrichtig, sie kennt kein anderes Ziel als das Wohl der Menschheit. Unsere Stimme ist zwar schwach, aber deutlich. Sie ist die Stimme eines Freundes, der wünscht, dass sie vernommen werde, nicht so sehr wegen der Persönlichkeit dessen, von dem sie ausgeht, als vielmehr wegen der Sache, die sie anspricht. Es ist die Welt, an die sie sich wendet, die Welt, die denkt, die Möglichkeiten hat, die wächst, die arbeitet, die leidet, die in Erwartung ausharrt. Möge diese Stimme nicht ungehört verhallen! Der Friede ist eine Pflicht!
Unserer Botschaft kann nicht die Kraft fehlen, die sie vom Evangelium erhält, dessen Diener Wir sind, vom Evangelium Jesu Christi.
An alle Menschen auf der Welt wendet sich Unsere Botschaft, genau wie das Evangelium.
Doch noch unmittelbarer Euch, ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, Euch, liebe Söhne und Töchter, Gläubige der Katholischen Kirche, wiederholen Wir die Einladung zur Feier des "Tages des Friedens". Die Einladung wird zum Gebot, nicht Unser Gebot, wohl aber das Gebot des Herrn, der in uns überzeugte und eifrige Werkleute für die Sache des Friedens haben will, gleichsam als Bedingung, um zu den Seligen zählen zu dürfen, die mit dem Namen der Kinder Gottes ausgezeichnet sind (Mt 5, 9). An Euch richtet sich Unsere Stimme: Sie wird zum lauten Ruf, weil für uns Gläubige der Friede eine noch tiefere und geheimnisvollere Bedeutung annimmt, weil er für uns den Wert geistiger Fülle sowie des persönlichen Heiles wie jenes der Gemeinschaft und der Gesellschaft hat. Der Friede hier auf Erden und in der Zeit ist Abglanz und Vorspiel zum himmlischen und ewigen Frieden.
Der Friede bedeutet für uns Christen nicht nur äußeres Gleichgewicht, rechtliche Ordnung, ein Gesamt an geordneten Beziehungen im öffentlichen Leben, für uns ist Friede in erster Linie das Ergebnis der Verwirklichung des Planes der Liebe und Weisheit, mit dem Gott die übernatürliche Verbindung mit der Menschheit wiederherstellen wollte. Der Friede ist die erste Wirkung dieser neuen göttlichen Heilsordnung, die wir Gnade nennen. "Gnade und Friede" schreibt der Apostel wiederholt. Er ist ein Geschenk Gottes, das zum bestimmenden Faktor des christlichen Lebens wird. Er ist eine Erscheinung des messianischen Wirkens, die ihr Licht und ihre Hoffnung auch auf die Stätte unseres Erdenlebens widerstrahlt und Kraft verleiht aus jenen tiefsten Gründen, auf die sie den eigenen Frieden gründet. Der Friede Christi fügt zur Würde, Bürger der Erde zu sein, jene andere der Kindschaft des himmlischen Vaters hinzu und zur Gleichheit aller Menschen untereinander jene der christlichen Brüderlichkeit. Bei den Auseinandersetzungen der Menschen, die den Frieden gefährden und verletzen, entkräftet der Friede Christi die Vorurteile und widerlegt die Beweggründe, indem er den Wert einer sittlichen, ideellen und höheren Ordnung aufzeigt und die wunderbare religiöse und bürgerliche Tugend edelmütigen Verzeihens sichtbar werden lässt. Der Unzulänglichkeit menschlicher Bemühungen um einen festgegründeten und dauerhaften Frieden gewährt der Friede Christi die Hilfe seines unerschütterlichen Optimismus. Der Unzuverlässigkeit und dem Trug einer Politik ehrgeizigen Prestiges und materiellen Interesses rät der Friede Christi zur Politik der Liebe. Einer häufig zu feigen und ungeduldigen Gerechtigkeit, die ihre Forderungen mit Waffengewalt aufrechterhält, flößt der Friede Christi die unbesiegte Kraft des Rechtes ein, das sich aus den wesentlichen Grundlagen der menschlichen Natur und der übernatürlichen Bestimmung des Menschen herleitet. Der Friede Christi ist nicht Angst vor Stärke und Widerstand, er empfängt seinen Geist vom erlösenden Opfer. Der Friede Christi ist nicht Feigheit, die dem Unglück und dem Versagen der Menschen erfolg- und widerstandslos nachgibt. Der Friede Christi hat Einsicht in Leid und Not der Menschen und weiß helfende Liebe für die Armen, die Schwachen, die Entrechteten, die Leidenden, die Gedemütigten und die Besiegten zu finden. Der Friede Christi ist also mehr als jede andere humanitäre Formel um die Wahrung der Menschenrechte besorgt.
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20. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1970 vom 30. November 1969
AAS 61 (1969) 794-798
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Wir bekräftigen es: Friede ist die Welt des Menschen, insofern sie so ist, wie sie dem Ideal nach sein soll. Wir möchten aber betonen: Der Friede ist nichts Statisches, das ein für allemal erworben wird. Er ist nicht etwas unbeweglich in Ruhe Verharrendes. Denn dann wäre die berühmte Definition des hl. Augustinus falsch verstanden, der den Frieden als "die Ruhe in der Ordnung" bezeichnet (De civ. Dei XIX, 13: PL 7, 640). Wir dürfen uns von der Ordnung keinen abstrakten Begriff machen, sondern müssen festhalten, dass die menschliche Ordnung mehr ein Tun ist als ein Zustand. Die Ordnung hängt mehr von Wissen und Willen derer ab, die sie herstellen und sich ihrer erfreuen, als von der Gunst der Umstände. Und da es sich um menschliche Ordnung handelt, kann sie immer mehr vervollkommnet werden, das heißt, sie wird ständig neu gesetzt und weiterentwickelt. Ordnung besteht nämlich in einer fortschreitenden Bewegung, die wie das Gleichgewicht beim Flug von einer treibenden Kraft getragen werden muss.
Warum sagen wir dies? Weil sich unsere Rede besonders an die Jugend richtet. Wenn wir vom Frieden sprechen, liebe Freunde, empfehlen wir euch nicht ein System, das jede Initiative lähmt und sich egoistisch abkapselt. Frieden kann man nicht genießen, wenn man ihn nicht schafft. Friede ist nicht eine erreichte Ebene, er ist eine höhere Ebene, der wir alle und jeder einzelne zustreben müssen. Er ist keine lähmende Ideologie, sondern eine seinserfüllte Idee, die uns alle für das Gemeinwohl verantwortlich macht und uns verpflichtet, unsere ganze Kraft für ihn einzusetzen. Der Friede ist das Anliegen der Menschheit.
Wenn jemand diese Auffassung gründlich durchdenkt, wird er viele Dinge entdecken. Er wird feststellen, dass man die Ideen, die die Welt dirigieren, von Grund auf erneuern muss. Er wird feststellen, dass alle diese Leitideen wenigstens zum Teil falsch sind, weil sie partikulär, nicht umfassend genug und selbstbezogen sind. Er wird feststellen, dass im Grunde nur eine Idee wahr und gut ist, die der allumfassenden Liebe, das heißt des Friedens. Er wird endlich feststellen, dass diese Idee höchst einfach und zugleich sehr schwierig ist. In sich sehr einfach, denn der Mensch ist für die Liebe geschaffen, für den Frieden. Sie ist aber auch schwierig. Wie kann man lieben? Wie kann man die Liebe zu einem allgemeinen Prinzip erheben?
Wie kann die Liebe ihren Platz einnehmen in der Geisteshaltung des modernen Menschen, die ganz durchdrungen ist von Kampf, von Egoismus und von Hass? Wer kann von sich sagen, dass er Liebe im Herzen hat? Liebe zur ganzen Menschheit? Liebe zur Menschheit, die da im Kommen ist, zur Menschheit von morgen, zur Menschheit des Fortschritts, zur wahren Menschheit, die nicht bestehen kann, wenn sie nicht einig ist. Diese Einigung darf freilich nicht durch Gewalt noch durch selbstsüchtige Berechnung herbeigeführt werden, die den Menschen ausnutzt, sondern durch brüderliche Liebe. Dann wird jener, der in diese Schule der großen Friedensidee eintritt, feststellen, dass heute, und zwar sofort, eine neue weltanschauliche Erziehung beginnen muss, eine Erziehung zum Frieden. Jawohl, der Friede beginnt im tiefsten Herzen des Menschen. Zuerst muss man den Frieden erkennen, ihn bejahen, ihn wollen, ihn lieben. Dann werden wir ihn erleben und ihn in einer erneuerten Menschheit zum Ausdruck bringen: in der Weltanschauung, in der Gesellschaftslehre und in der Politik. Werden wir uns bewusst, liebe Brüder, wie großartig diese Zukunftsvision ist. Mutig wollen wir das erste Programm in Angriff nehmen: die Erziehung zum Frieden. Wir sind uns bewusst, wie paradox dieses Programm erscheint. Es scheint außerhalb der Wirklichkeit zu stehen, außerhalb der erfahrbaren, der philosophischen, der sozialen und geschichtlichen Wirklichkeit ... Der Kampf ist das Gesetz. Der Kampf in der Kraft des Erfolges. Ja, der Kampf ist die Gerechtigkeit. Ein unerbittliches Gesetz: In jeder Phase menschlichen Fortschrittes stellt es sich neu. Auch heute, nach den furchtbaren Erlebnissen des letzten Krieges, ist es nicht der Friede, sondern der Kampf, der sich durchsetzt. Selbst brutale Gewalt findet wieder Anhänger und Bewunderer. Jede Forderung nach Gerechtigkeit, jede Erneuerung auf dem Weg des Fortschritts vollzieht sich unter der Flagge der Revolution. Es ist wie ein Verhängnis: Nur Gewalt öffnet den Weg, der dem Menschen vom Schicksal bestimmt ist. Brüder! Ein schwieriges Problem, das es zu bedenken und zu lösen gilt! Wir wollen nicht bestreiten, dass Kampf notwendig sein kann, dass ihn die Gerechtigkeit zuweilen als Waffe braucht, ja dass er hochherzige, heldenhafte Pflicht werden kann. Keiner wird daran zweifeln, dass dem Kampf Erfolg beschieden sein kann. Doch wir sind der Auffassung, dass der Kampf nie zum Leitstern werden kann, den die Menschheit braucht. Ja, wir meinen, es ist für unsere Gesellschaft höchste Zeit, sich von anderen Ideen leiten zu lassen als von Kampf, Gewalt, Krieg und Unterdrückung, um die Welt zu wahrer Gerechtigkeit für alle Menschen zu führen. Wir sind der Überzeugung, der Friede hat nichts mit Feigheit, mit Verzagtheit und Schwäche zu tun. Der Friede muss ganz allmählich, wenn möglich von jetzt an, moralische Stärke an die Stelle brutaler Gewalt setzen. Er muss die verhängnisvolle und allzu oft trügerische Kraft der Waffen und Gewaltmaßnahmen sowie der materiellen und wirtschaftlichen Übermacht durch Vernunft, durch Gespräch und moralische Größe ersetzen. Friede bedeutet, dass der Mensch aufhört, Wolf gegenüber seinem Mitmenschen zu sein. Friede ist der Mensch in seiner unbesiegbaren sittlichen Stärke. Diese muss in der heutigen Welt den Ausschlag geben. Sie gibt den Ausschlag. Voll Bewunderung begrüßen wir die Bemühungen des heutigen Menschen, die der Sicherung des Friedens in der Welt und Geschichte der Gegenwart gelten: der Friede als Weg, als internationale Einrichtung, als redliche Verhandlungsbasis, als auferlegte Selbstbeherrschung in den Auseinandersetzungen in sozialen und territorialen Fragen, als Anliegen, das weit über Fragen des Prestiges, der Vergeltung und persönlicher Rache steht. Große Fragen stehen bereits auf der Tagesordnung, um den Sieg des Friedens zu sichern: Vor allem die Abrüstung, der Atomwaffensperrvertrag, die Möglichkeit eines internationalen Schiedsgerichts, die Ablösung des Wettbewerbs durch die Zusammenarbeit, die Ermöglichung eines friedlichen Zusammenlebens trotz verschiedener Weltanschauungen und Regierungssysteme, die Hoffnung schließlich, dass ein Teil der Rüstungsausgaben den in der Entwicklung befindlichen Völkern zur Verfügung gestellt wird. Einen Beitrag für den Frieden sehen wir darin, dass die ganze Welt heute Terrorakte, Folterungen von Gefangenen, Vergeltungsmaßnahmen gegen die unschuldige Bevölkerung, Konzentrationslager für Zivilgefangene, die Tötung von Geiseln usw. zutiefst beklagt. Das Gewissen der Welt wird solche Verbrechen nicht mehr zulassen, deren Unmenschlichkeit jene mit Schande bedeckt, die sie vollbringen. Es ist nicht unsere Aufgabe, ein Urteil über die augenblicklichen Spannungen unter den Völkern, Rassen, Stämmen und sozialen Schichten zu fällen. Aber es entspricht unserer Sendung, das Wort "Frieden" den sich Befehdenden zuzurufen. Es ist unsere Sendung, die Menschen daran zu erinnern, dass sie Brüder sind. Es ist unsere Sendung, die Menschen in gegenseitiger Liebe und Versöhnung zu führen, sie zum Frieden zu erziehen. Wir haben deshalb für alle, die sich für die Erziehung zum Frieden einsetzen, Worte der Anerkennung, der Ermutigung und der Zuversicht. Auch in diesem Jahr laden wir alle Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein, alle verantwortlichen Stellen, alle öffentlichen Organe, die Politiker, Lehrer und Künstler, vor allem die Jugend, doch mit aller Entschiedenheit diesen Weg einer echten und weltweiten Zivilisation zu gehen. Es gilt, die Erfüllung der biblischen Verheißung zu erlangen: Gerechtigkeit und Friede werden einander treffen und sich einen.
Ihnen, liebe Brüder und Söhne des gleichen Glaubens an Christus, möchten wir noch ein Wort über unsere Pflicht hinzufügen, die Menschen, wie wir vorhin sagten, zu gegenseitiger Liebe, Versöhnung und Verständigung zu führen. Wir haben darüber von Jesus Christus genaue Anweisungen erhalten. Wir haben sein Beispiel und fühlen die Verpflichtung, die Christus aus unserem Munde entgegennimmt, wenn wir die vertrauten Gebetsworte an Gottvater richten: "Und vergibt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Dieses "wie" lässt uns zittern. Es legt eine Gleichung fest, die uns, wenn wir ihr entsprechend handeln, zum Segen und Heil gereicht. Handeln wir ihr zuwider, so wird sie uns zum Gericht (vgl. Mt 18,21-35).
Die Verkündigung der Frohbotschaft der Vergebung erscheint in der menschlichen Politik als etwas Widersinniges, denn in der natürlichen Ordnung lässt die Gerechtigkeit oft kein Verzeihen zu. In der christlichen, d. h. übernatürlichen Heilsordnung ist Verzeihen nichts Widersinniges. Es ist schwierig, aber nicht widersinnig. Wie enden die Auseinandersetzungen im weltlichen Bereich? Wie sieht der Friede aus, den man letztlich dabei erreicht? In der verfänglichen und zornigen Auseinandersetzung der Gegenwart, die von Menschen geführt wird, die durch Leidenschaften, Stolz und Groll in ihrem Handeln bestimmt werden, erscheint der Friede, der einen Konflikt beschließt, gewöhnlich als Auflage, als Überwältigung, als Joch, das der Schwächere und Unterlegene hinnehmen muss. Oft ist er nur ein Aufschub bis zu einem neuen Aufstand. Man nimmt ein protokollarisches Statut an, hinter dem man heuchlerisch die immer noch feindselige Gesinnung verbirgt. Diesem Frieden, der unbeständig ist und allzuoft nur vorgetäuscht wird, fehlt die endgültige Lösung des Konflikts, die Vergebung, der Verzicht des Siegers auf die erlangten Vorteile, die den Besiegten erniedrigen und ihn hoffnungslos unglücklich machen. Dem Besiegten fehlt hingegen die Kraft zur Versöhnung. Kann Friede ohne verzeihende Milde wirklicher Friede sein? Kann Friede wahr sein, wenn er mit dem Gefühl der Vergeltung eingegangen wird? Beide müssen sich an jene höhere Gerechtigkeit wenden, die die Vergebung ist. Sie allein löst die unlösbar erscheinenden Prestigefragen und ermöglicht eine neue Freundschaft. Eine schwierige Lehre? Aber ist sie nicht großartig? Ist sie nicht höchst aktuell? Ist sie nicht wahrhaft christlich?
Für die hohe Schule des Friedens wollen wir, Brüder und Söhne in Christus, zunächst uns selbst vorbereiten. Lesen wir wieder einmal die Worte der Bergpredigt (vgl. Mt 5, 21-26; 38-48; 6, 12, 14-15). Dann wollen wir danach trachten, sie in Wort und Beispiel der Welt zu verkündigen.
21. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1971 vom 14. November 1970
AAS 63 (1971) 5-9
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Blicken wir auf dieses herannahende neue Jahr, und beobachten wir zwei Ordnungen von allgemeinen Tatsachen, welche die Welt, die Völker, die Familien und die einzelnen Personen angehen. Diese Tatsachen, scheint Uns, wirken tief und unmittelbar auf unsere Geschicke ein. Jeder von uns kann das vorausahnen.
Betrachtet eine erste Ordnung von Tatsachen. In Wahrheit ist es keine Ordnung, sondern eine Unordnung. Denn die Tatsachen, die wir in diese Kategorie einreihen, bezeichnen alle eine Rückkehr zu Gedanken und Taten, die von der tragischen Erfahrung des Krieges her doch unmöglich scheinen und sein müssten. Am Ende des Krieges hatten alle gesagt: Genug. Genug womit? Genug mit all dem, was dieses Hinmorden von Menschen und die ungeheure Zerstörung verursacht hatte. Sofort nach dem Krieg, am Beginn der heutigen Generation, kam der Menschheit klar zu Bewusstsein: Es genügt nicht, bloß Gräber zu errichten, Wunden zu heilen, das Zerstörte wieder aufzubauen, der Erde ein neues und schöneres Ansehen zurückzugeben, man muss vielmehr die Ursachen des erfolgten Weltbrandes aus dem Wege räumen. Die Ursachen: Sie aufzufinden und zu beseitigen; dies war die weise Einsicht. Die Welt atmete auf. Es schien wirklich, als ob eine neue Epoche begänne, eine Epoche eines allumfassenden Friedens (vgl. Vergil, Bucolica IV, 2: "Eine große Ordnung entsteht zu Beginn der Welt."). Alle schienen zu durchgreifenden Veränderungen bereit zu sein, um neue Konflikte zu vermeiden. Von den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen begann sich ein Horizont wunderbarer sittlicher und sozialer Erneuerung abzuzeichnen; man sprach von Gerechtigkeit, von Menschenrechten, von der Unterstützung der Schwachen, von geordnetem Zusammenleben, von planvoller Zusammenarbeit, von Einigung auf Weltebene. Große Gesten sind vollzogen worden; die Sieger, zum Beispiel, sind den Besiegten zu Hilfe gekommen; große Institutionen sind gegründet worden; die Welt fing an, sich nach den Grundsätzen der Solidarität und des allgemeinen Wohlstandes zu organisieren. Der Weg hin zum Frieden, als der normalen und satzungsmäßigen Bedingung für das Leben auf der Welt, schien definitiv vorgezeichnet.
Was aber sehen wir nach fünfundzwanzig Jahren dieses wirklichen und idyllischen Fortschritts? Wir sehen vor allem, dass die Kriege, hier und dort, immer noch wüten, dass sie als unheilbare Wunden erscheinen, die sich auszuweiten und zu verschlimmern drohen. Wir sehen, dass die sozialen, rassischen und religiösen Diskriminierungen andauern und, hier und dort, sogar zunehmen. Wir sehen, dass die Mentalität von einst wiederkehrt; der Mensch scheint sich, zunächst auf psychologische, dann auf politische Haltungen der Vergangenheit wieder festlegen zu wollen. Die Dämonen von gestern stehen wieder auf. Es kehrt die Vorherrschaft der wirtschaftlichen Interessen zurück (" ... indem wir den Primat der materiellen Werte anerkennen, machen wir den Krieg unvermeidlich ... ": Zundel, Le poème de la sainte liturgie, 76) und mit ihr die Möglichkeit, sie leicht zur Ausbeutung der Schwachen zu missbrauchen. Der Hang zum Hass (" ... es gibt wenige Dinge, die so sehr ein Volk zerstören wie der Hang zum Hass": Manzoni, Morale cattolica /,7) und Klassenkampf kehrt wieder, und es entsteht somit erneut eine krankhafte Anfälligkeit für internationale Konflikte und für Bürgerkriege; es kehrt das Wettrennen um Nationalprestige und politische Macht zurück; ebenso die harte Frontstellung zwischen entgegengesetzten Ambitionen, zwischen engstirnigen und unversöhnlichen Partikularismen der Rassen und der ideologischen Systeme; man bedient sich erneut der Folter und des Terrors sowie des Verbrechens und der Gewalttätigkeit als eines idealen Feuers, ohne jedoch dabei auf den Brand zu achten, der daraus entstehen könnte; man versteht den Frieden wieder als ein reines Gleichgewicht mächtiger Gewalten und erschreckender Rüstungen; man verspürt erneut den Schauer der Angst, dass eine verhängnisvolle Unachtsamkeit unvorstellbare und nicht mehr aufzuhaltende Zusammenstöße heraufbeschwören könnte. Was geschieht? Wo geht es hin? Was ist versäumt worden? Oder was hat gefehlt? Müssen wir resignieren, daran zweifeln, dass der Mensch überhaupt imstande ist, einen gerechten und sicheren Frieden aufzubauen, und so darauf verzichten, die neuen Generationen zu einer Haltung der Hoffnung und des Friedens zu erziehen? (Was das Übel des Krieges betrifft, vgl. Augustinus, De civitate Dei, 1. XIX 7: " ... wer diese Übel erträgt und sie hinnimmt, ohne dass sich das Herz zusammen krampft, oder noch schlimmer, wenn einer glaubt, sich damit zufrieden geben zu können, weil er auch das menschliche Empfinden verloren hat: dieser hat die Menschlichkeit verloren".)
Zum Glück zeichnet sich auch ein anderes Bild von Ideen und Tatsachen vor unseren Augen ab; es ist das eines fortschreitenden Friedens. Denn trotz alledem geht es weiter auf dem Weg des Friedens. Es gibt zwar Unterbrechungen, es gibt Widersprüche und Schwierigkeiten; aber der Friede macht sich dennoch Bahn und bezeugt in der Welt, dass er nicht zu besiegen ist. Alle merken es: der Friede ist notwendig. Er hat für sich den sittlichen Fortschritt der Menschheit, die entschlossen auf die Einheit hin ausgerichtet ist. Einheit und Friede sind Geschwister, wenn sie in Freiheit miteinander verbunden sind. Der Friede gewinnt durch seine steigende Wertschätzung in der öffentlichen Meinung, die von der Sinnlosigkeit des Krieges überzeugt ist, der um seiner selbst willen geführt und als einziges und verhängnisvolles Mittel angesehen wird, um Streitfälle zwischen Menschen zu schlichten. Dem Frieden kommt auch das immer dichtere Netz von menschlichen Beziehungen zugute: auf kultureller, wirtschaftlicher, kommerzieller, sportlicher und touristischer Ebene; man muss zusammenleben, und es ist schön, sich zu kennen, sich zu achten, einander zu helfen. Eine grundsätzliche Solidarität entsteht in der Welt; diese begünstigt den Frieden. Die internationalen Beziehungen entwickeln sich immer mehr und schaffen die Voraussetzungen und auch die Garantie einer gewissen Eintracht. Die großen internationalen und übernationalen Einrichtungen erweisen sich hier providentiell, sowohl am Beginn als auch bei der Krönung des friedlichen Zusammenlebens der Menschheit.
Vor diesem doppelten Bild, in dem sich im Hinblick auf den uns so teuren Frieden gegensätzliche Erscheinungen überlagern, scheint Uns eine einzige ambivalente Beobachtung angestellt werden zu können. Wir stellen die doppelte Frage, die den bei den Aspekten der zweideutigen Szenerie der heutigen Welt entspricht:
- Wie gerät heute der Friede in Verfall?
- Und wie schreitet heute der Friede voran?
Was ist es, das sich bei dieser einfachen Analyse, sei es im negativen oder positiven Sinne, besonders hervorhebt? Es ist immer der Mensch. Ein entwerteter Mensch im ersten Fall, ein aufgewerteter Mensch im zweiten. Wir wagen hier ein Wort zu gebrauchen, das zwar in sich selber zweideutig erscheinen mag, das aber, in seiner tiefen Forderung verstanden, immer noch ein zündendes und sehr erhabenes ist: die Liebe, die Liebe zum Menschen, die der höchste Wert auf Erden ist. Liebe und Frieden bedingen sich gegenseitig. Der Friede, der wahre, menschliche Friede, ist eine Frucht der Liebe (vgl. Thomas, II-IIae, 29,3). Der Friede setzt eine gewisse "Identität der Wahl" voraus, und eben das ist Freundschaft. Wenn wir den Frieden wollen, so müssen wir anerkennen, dass es nötig ist, ihn auf eine festere Grundlage zu bauen, als es der Mangel an Beziehungen (heute sind die Beziehungen zwischen den Menschen unvermeidlich, sie nehmen zu und drängen sich auf), Beziehungen von selbstsüchtigem Interesse (diese sind unsicher und oft trügerisch), oder auch ein Netz von bloß kulturellen oder beiläufigen Beziehungen sind (letztere können zweischneidig sein, für den Frieden oder den Kampf). Der wahre Friede muss gegründet sein auf Gerechtigkeit, auf der Achtung vor der unverletzlichen Würde des Menschen, auf der Anerkennung einer unauslöschlichen und beglückenden Gleichheit unter den Menschen, auf dem Grundsatz der menschlichen Brüderlichkeit; der Achtung also und der Liebe, die man jedem Menschen schuldet, weil er ein Mensch ist. Ja, es bricht das siegreiche Wort hervor: weil er Bruder ist. Mein Bruder, unser Bruder.
Auch dieses Bewusstsein einer allgemeinen Brüderlichkeit unter den Menschen bricht glücklicherweise in unserer Welt mehr und mehr durch, wenigstens im Prinzip. Wer sich darum bemüht, die neuen Generationen zur Überzeugung zu erziehen, dass jeder Mensch unser Bruder ist, legt die Fundamente für den Bau des Friedens. Wer in der öffentlichen Meinung das Bewusstsein für eine menschliche Brüderlichkeit formt, die alle Grenzen übersteigt, bereitet den Boden für bessere Zeiten. Wer die Wahrung der politischen Interessen ohne Gefühle des Hasses und des Klassenkampfes als dialektische und organische Notwendigkeit des sozialen Lebens versteht, öffnet dem menschlichen Zusammenleben einen immer wirksamen Fortschritt des Gemeinwohls. Wer dazu verhilft, in jedem Menschen, über die körperlichen, ethnischen und rassischen Merkmale hinaus, ein Wesen zu sehen, das ihm gleich ist, verwandelt die Erde aus einem Epizentrum von Trennungen, Antagonismen, Tücken und Racheakten in ein geordnetes Betätigungsfeld ziviler Zusammenarbeit. Denn wo die Brüderlichkeit unter den Menschen im Grunde verkannt wird, da ist im Grunde auch der Friede zerstört. Der Friede ist hingegen der Spiegel wahrer, authentischer, moderner Menschlichkeit, die über jede anarchistische Manie zur Selbstverstümmelung triumphiert. Der Friede ist jene große Idee, welche die Liebe zwischen den Menschen feiert, die sich als Brüder entdecken und sich entscheiden, als solche zu leben. Dies ist Unsere Botschaft für das Jahr 1971. Sie pflichtet als Stimme, die sich aus dem öffentlichen Gewissen erhebt, der Erklärung der Menschenrechte bei: "Alle Menschen sind von Geburt aus frei und einander gleich an Würde und an Rechten; sie sind mit Vernunft und Gewissen ausgestattet und müssen sich zueinander wie Brüder verhalten." Bis zu dieser Höhe ist die Gesellschaftslehre gekommen. Wir wollen nicht mehr umkehren, nicht die Werte dieser grundsätzlichen Errungenschaft wieder verlieren. Suchen wir vielmehr, mit Verstand und Mut, diese Formel anzuwenden, die das Ziel des menschlichen Fortschritts ist: "Jeder ist mein Bruder." Das ist der Friede, im Sein und im Werden. Und es gilt für alle!
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22. Bischofssynode: Dokument De iustitia in mundo vom 6. November 1971
Folgende Kapitel sind abgedruckt:
- EINLEITUNG
- I. GERECHTIGKEIT UND MENSCHLICHE GESELLSCHAFT
- 1 Die Krise der weltweiten Solidarität
- 2 Recht auf Fortschritt
- 3 Schweigende Opfer der Ungerechtigkeit
- 4 Die Notwendigkeit des Dialogs
- II. DIE BOTSCHAFT DES EVANGELIUMS UND DIE SENDUNG DER KIRCHE
- 1 Gottes Gerechtigkeit als Heil durch Christus
- 2 Die Sendung der Kirche, der Hierarchie und der Christen
- III. DIE VERWIRKLICHUNG DER GERECHTIGKEIT
- 4 Ökumenische Zusammenarbeit
- 5 Aktivität im internationalen Bereich
23. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1972 vom 8. Dezember 1971
AAS 63 (1971) 865-868
Wir kommen erneut auf das Thema des Friedens zu sprechen, weil wir vom Frieden eine sehr hohe Vorstellung haben, die nämlich, dass er ein wesentliches und grundlegendes Gut der Menschheit in dieser Welt ist, und zwar der Zivilisation, des Fortschritts, der Ordnung und der Brüderlichkeit. Wir sind der Meinung, dass die Idee des Friedens noch immer einen beherrschenden Einfluss hat und haben sollte, und dass sie sogar noch an Bedeutung zunimmt, wenn und wo ihr von entgegen gesetzen Ideen oder Tatsachen widersprochen wird. Es ist eine notwendige Idee, eine Idee, die fordert und inspiriert. Sie fasst in sich die Sehnsucht, die Anstrengungen und die Hoffnungen der Menschen zusammen. Sie hat den Charakter eines Zieles: und als solches steht sie am Anfang und am Ende des Handeins eines jeden einzelnen und der Gemeinschaft.
Daher meinen wir, dass es äußerst wichtig ist, vom Frieden eine genaue Idee zu haben, indem man diese von Pseudovorstellungen befreit, die sie nur allzuoft begleiten, sie entstellten und verdrehen. Dieses möchten wir zuerst den Jugendlichen sagen: Ist etwa der Friede ein Zustand, der das Leben lähmt, wo dieses gleichzeitig seine Vollendung und seinen Tod fände? Das Leben ist Bewegung, ist Wachstum, bedeutet Arbeit, Anstrengung und Eroberung ... : Ist nicht auch der Friede von der gleichen Art? Selbstverständlich! Aus eben dem Grunde, dass er mit dem höchsten Gut des Menschen auf seiner Pilgerschaft in der Zeit zusammenfallt, und dass dieses Gut niemals vollständig erobert ist, sondern von ihm immer wieder neu und unaufhörlich Besitz ergriffen werden muss, ist der Friede auch die zentrale Idee und der Ansporn zu einsatzfreudigem Eifer.
Das aber will nicht besagen, dass der Friede mit der Macht identisch ist. Dies möchten wir vor allem den Menschen sagen, die Verantwortung tragen. Denn für sie, denen die Aufgabe und die Pflicht obliegt, ein geordnetes Verhältnis der Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe zu gewährleisten: der Familie, der Schule, des Betriebes, einer Gemeinschaft, einer sozialen Schicht, einer Stadt oder des Staates, besteht fortwährend die Versuchung, ein derartiges geordnetes Verhältnis der Beziehungen, das den Anschein des Friedens erhält, mit Gewalt aufzuzwingen. Damit wird die Unbestimmtheit des menschlichen Zusammenlebens für die Menschen zur Qual und zur Ursache der Korruption, eine lebendige Lüge, eine Atmosphäre, wie sie sich mitunter aus einem unrühmlichen Sieg ergibt, ein andermal aus sinnloser Gewaltherrschaft, aus gewaltsamer Unterdrückung und auch aus einem Gleichgewicht sich ständig widerstreitender Kräfte, die sich gewöhnlich zur drohenden Gefahr eines gewaltsamen Konflikts ausweiten, der durch seine vielfältigen Zerstörungen deutlich zeigt, wie trügerisch der Friede gewesen ist, der einzig und allein durch das Übergewicht der Macht und der Gewalt aufgezwungen worden war.
Der Friede ist kein Hinterhalt (vgl. Job 15,21). Der Friede ist nicht eine Herrschaft der Lüge (vgl. Jer 6, 14). Noch weniger ist er eine totalitäre und erbarmungslose Tyrannei und auch nicht mehr Anwendung von Gewalt; wenigstens sollte es jedoch die Gewalt nicht wagen, sich den erhabenen Namen des Friedens zu geben.
Es ist schwer, aber unerlässlich, sich vom Frieden einen richtigen Begriff zu machen. Schwer für denjenigen, der sich der unmittelbaren Einsicht verschließt, die uns sagt, dass der Friede zu den menschlichen Urdingen gehört. Das ist indes der richtige Weg, um zur wahren Entdeckung des Friedens zu gelangen. Wenn wir uns fragen, von wo er sich herleitet, werden wir uns dessen bewusst, dass seine Wurzeln in der Aufrichtigkeit des Menschen liegen. Ein Friede, der nicht auf einer wahren Achtung des Menschen gründet, ist selbst kein wahrhaftiger Friede. Und wie nennen wir diese Aufrichtigkeit des Menschen? Wir nennen sie Gerechtigkeit. Und die Gerechtigkeit, ist sie nicht eine unwandelbare Göttin? Ja, sie ist es in ihren Ausdrucksformen, die wir Rechte und Pflichten nennen und die wir in unseren großen Rechtsbüchern niederlegen, d.h. in den Gesetzen und Verträgen, die den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen jene Festigkeit verleihen, die nicht verletzt werden darf. Es ist die Ordnung, der Friede. Wenn aber die Gerechtigkeit, nämlich das, was sie ist und was sie sein muss, andere und bessere Ausdrucksformen hervorbringen würde als jene, die bereits in Geltung sind, was würde dann geschehen?
Bevor wir hierauf antworten, müssen wir die Frage stellen: Ist diese Hypothese, nämlich die Annahme einer Entwicklung des Bewusstseins für Gerechtigkeit, annehmbar, wahrscheinlich und wünschenswert? Selbstverständlich!
Das ist eine Tatsache, welche die moderne Welt besonders kennzeichnet und sie von der antiken unterscheidet. Das Bewusstsein für Gerechtigkeit nimmt heute allgemein zu. Keiner, so glauben wir, stellt dieses Phänomen in Abrede. Wir wollen jetzt nicht dabei verweilen, den tieferen Ursachen dieser Tatsache nachzugehen. Wir alle aber wissen, dass heute der Mensch, jeder Mensch, durch die Ausweitung der Bildung ein neues Bewusstsein von sich selbst besitzt. Jeder weiß heute, dass er menschliche Person ist, und er fühlt sich als Person; er hat ein Gespür dafür, dass er unverletzbar und den anderen gleichberechtigt ist, dass er frei ist und Verantwortung trägt. Fügen wir auch hinzu: dass er etwas Heiliges ist. Auf diese Weise wird das Bewusstsein des Menschen geprägt von einer anderen und besseren, nämlich umfassenderen und tiefer anfordernden Erkenntnis der beiden Sphären seines Personseins, nämlich seiner doppelten moralischen Inanspruchnahme durch Rechte und Pflichten, und es geht ihm auf, dass Gerechtigkeit nicht etwas Statisches ist, sondern voller Dynamik. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das nicht einfachhin individuellen Charakter trägt, noch einigen auserlesenen und besonderen Gruppen vorbehalten bleibt. Es ist ein Phänomen, das nunmehr die ganze Gemeinschaft erfasst und weltweit geworden ist. Die Entwicklungsländer rufen es mit lauter Stimme aus. Es ist die Stimme der Völker, die Stimme der Menschheit: sie fordert eine neue Form der Gerechtigkeit, eine neue Grundlage für den Frieden.
Warum zögern wir noch, nachdem wir alle von dieser unwiderstehlichen Forderungen überzeugt sind, dem Frieden die Gerechtigkeit als Grundlage zu geben?
Bleibt nicht, wie von der letzten Bischofssynode hervorgehoben worden ist, sowohl innerhalb der nationalen Gemeinschaften als auch auf internationaler Ebene noch eine weit größere Gerechtigkeit zu verwirklichen als bisher?
Ist es z.B. gerecht, dass es noch ganze Völker gibt, denen die freie und rechtmäßige Ausübung des vom menschlichen Geist am sorgsamsten gehüteten Rechtes verwehrt wird, nämlich der Religion?
Welche Autorität, welche Ideologie, welches geschichtliche oder bürgerliche Interesse kann sich anmaßen, das religiöse Empfinden in seiner berechtigten und menschlichen Ausdrucksweise (wir sprechen nicht vor abergläubischen, fanatischen oder ungestümen Formen) zu unterdrücken und zu ersticken? Und welche Namen sollen wir einem Frieden geben, der sich aufdrängen will, indem er diesen grundlegenden Gerechtigkeitsanspruch mit Füßen tritt?
Und wo andere unbestreitbare Formen der Gerechtigkeit, sei es unter deI Völkern oder im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, verletzt und missachtet werden, könnten wir da sicher sein, dass das Ergebnis solcher Anwendungen von Gewalt der wahre Friede ist? Ein dauerhafte Frieden? Und wäre er dauerhaft, ist er auch gerecht und menschlich? Ist nicht auch die Pflicht, jedes Land in die Lage zu versetzen, seine eigene Entwicklung im Rahmen einer Zusammenarbeit zu fördern, die von jeglicher Absicht oder Berechnung wirtschaftlicher oder politischer Macht frei ist, ebenso ein Bestandteil der Gerechtigkeit?
Das Problem wird äußerst ernst und verwickelt. Es ist nicht unsere Aufgabe, es noch zuzuspitzen oder nach einer praktischen Lösung zu suchen. Das liegt nicht in der Zuständigkeit dessen, der von dieser Stelle ausspricht.
Aber gerade von dieser Stelle aus klingt unsere Einladung, uns auf den Frieden zu besinnen, wie ein Aufruf, die Gerechtigkeit zu verwirklichen. "Gerechtigkeit schafft Frieden" (vgl. Is 32, 17). Wir wiederholen dies heute mit einer noch einprägsameren und dynamischeren Formel: "Wenn du den Frieden willst, setze dich ein für die Gerechtigkeit."
Unsere Einladung verkennt nicht die Schwierigkeiten in der konkreten Verwirklichung der Gerechtigkeit, schon bei ihrer Bestimmung und dann bei ihrer Verwirklichung. Niemals geht es dabei ohne irgendeinen Verzicht auf eigenes Prestige und persönliche Interessen. Vielleicht braucht es mehr Hochherzigkeit, sich den Vernunftgründen der Gerechtigkeit und des Friedens zu stellen, als für das eigene echte oder nur vermeintliche Recht zu kämpfen und es dem Gegner aufzuzwingen.
Wir haben großes Vertrauen, dass die beiden Ideale von Gerechtigkeit und Frieden zusammen aus sich heraus im heutigen Menschen die moralischen Energien zu ihrer Verwirklichung hervorbringen können, und hoffen auf ihren fortschreitenden Sieg. Ja, wir bauen noch mehr auf die Tatsache, dass der heutige Mensch von sich aus bereits die Einsicht in die Wege des Friedens hat, um sich selbst zum Bahnbrecher jener Gerechtigkeit zu machen, die diese Wege auftut und sie mutig in verheißungsvoller Hoffnung beschreiten lässt.
Daher wagen wir es, von neuem unsere Einladung zum Weltfriedenstag auszusprechen. Zu diesem Jahr 1972 tun wir das unter dem ernsten und Zuversicht gewährenden Zeichen der Gerechtigkeit, und zwar mit dem sehnlichsten Wunsche, dadurch Initiativen ins Leben zu rufen, die zugleich Ausdruck des Willens zur Gerechtigkeit und des Willens zum Frieden sind.
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24. Papst Paul VI.: Ansprache an die Teilnehmer des 39. Lehrgangs des NATO-Verteidigungsrats am 3. Februar 1972
AAS 64 (1972) 212-214
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Sie haben als Militärs und Zivilisten aus den verschiedenen Teilen Europas, aus der Türkei und aus Nordamerika an diesem Lehrgang teilgenommen, um ihre Fachkenntnisse bei einem strategisch höchst qualifizierten Generalstab weiter zu vertiefen. Bald werden Sie dazu berufen, bedeutende Funktionen innerhalb des atlantischen Bündnisses zu übernehmen. So fordern wir Sie auf, immer mehr das zu verwirklichen, was in unseren Augen das zweifache Ziel dieser Organisation darstellen muss: Solidarität unter den Nationen zur Festigung des Friedens und Verteidigung einer Kultur, der wir uns alle zu Recht verbunden fühlen.
Selbst wenn eine solche Institution vorwiegend den Eindruck einer militärischen Macht bietet, was der Realismus ihr aufzuerlegen scheint, sind wir doch der Meinung, dass Ihr wahres Ziel der Friede bleibt und Sie weiterhin den Wunsch haben, alles, was in Ihrer Macht steht, zu tun, um die Achtung vor dem Recht der Völker und ihrem berechtigten Streben nach Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten, neuen Konflikten und neuen Ungerechtigkeiten zuvorzukommen und - sagen wir es offen - gerade zu verhindern, dass man erneut zu den Waffen greift. Geht nicht der allgemeine Wunsch und das tiefe Interesse der Menschheit dahin, dass sich die ausschließlich militärischen Bündnisse mehr und mehr in normale Beziehungen umwandeln und auf diese Weise eine harmonische Entfaltung aller menschlichen Werte ermöglicht wird?
Dies begann schon im Rahmen Ihres Lehrgangs. Es ist uns willkommen, eine gewisse Realisierung dieser internationalen Solidarität zu erkennen, von der wir wünschen, dass sie sich immer weiter ausbreiten möge. Sie knüpfen in der Tat menschliche Verbindungen zwischen verschiedenen Völkern, die sich in der Sorge um Frieden und Kultur eins wissen. Hier können Sie sich der gemeinsamen Werte dieser Völker bewusst werden. Diese Werte gründen in einer Vorstellung vom Menschen und der Kultur, die es um so mehr zu verteidigen und zu fördern gilt, als sie von einem Geist geprägt ist, der aus echter christlicher Tradition erwuchs. Wie Sie wissen, lehnt es eine solche Kultur ab, kriegerische Leidenschaften und das Streben nach stolzem Ansehen zu nähren. Sie verwirft die Herrschgier. Sie vermeidet es, den Menschen zu einem Objekt herabzuwürdigen, das man für materielle Zwecke missbraucht. Für das Gleichgewicht zwischen den Völkern zählt sie nicht allein auf Machtbündnisse. Vielmehr setzt sie auf die Rechte der menschlichen Person und fördert den Geist des Dienens sowie den Sinn für das Gemeinwohl und die internationale Solidarität. Sie, diese Kultur, ist auf der Suche nach einem echten Frieden, der allem voran durch die Verwirklichung der Gerechtigkeit beginnt, wie es in dem drängenden Appell heißt, den wir zu Beginn dieses Jahres an alle Völker richteten. Und wer soll der höchst Garant für diese Gerechtigkeit und für diesen Frieden sein, wenn nicht Gott, der seine Ebenbildlichkeit und seine Würde in das Herz der Menschen gesenkt hat und der sie alle dazu aufruft, als Brüder zu leben nach der Liebesbotschaft Christi, die wir unaufhörlich wiedergeben wollen?
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25. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1973 vom 8. Dezember 1972
AAS 64 (1972) 753-759
Unsere Botschaft ist einfach wie eine Axiom: der Frieden ist möglich. Ein Chor von Stimmen bestürmt Uns: das ist uns bereits bekannt; ja, er bedrängt und erdrückt Uns gleichsam: der Friede ist nicht nur möglich, er ist bereits Wirklichkeit. Der Friede ist schon hergestellt, antwortet man Uns. Wir empfinden noch die Trauer über die unzähligen Opfer der Kriege, die dieses Jahrhundert, das den Höhepunkt des Fortschritts darstellt, mehr noch als die vergangenen Jahrhunderte mit Blut befleckt haben; noch sehen wir auf dem Antlitz unserer älteren Generationen die furchtbaren Narben der letzten kriegerischen und bürgerlichen Konflikte eingezeichnet; und die letzten offen gebliebenen Wunden wecken in den Gliedern des neuen Volkes noch den Schauder des Entsetzens, sobald man von der üblichen Hypothese eines neuen Krieges spricht. Die Vernunft hat endlich gesiegt: die Waffen schweigen und verrosten in den Lagerräumen als bereits unbrauchbare Werkzeuge des überwundenen Wahnsinns; hohe und weltweit anerkannte Institutionen garantieren allen Unversehrtheit und Unabhängigkeit; das internationale Leben ist durch Dokumente geregelt, deren Gültigkeit inzwischen nicht mehr in Frage gestellt wird, und durch Einrichtungen, die unverzüglich tätig werden, um nach den aufgestellten Maßstäben des Rechts und der Gerechtigkeit jede mögliche Kontroverse zu lösen; der Dialog zwischen den Völkern gehört bereits zu den alltäglichen Erscheinungen und ist aufrichtig; darüber hinaus macht ein großartiges Geflecht gemeinsamer Interessen die Völker untereinander solidarisch. Der Frieden ist bereits ein fester Bestandteil der Zivilisation. Stört den Frieden also nicht, antwortet man Uns, indem ihr ihn wieder neu zur Diskussion stellt. Wir haben andere, neue und originelle Fragen zu behandeln; der Frieden ist bereits wirklich, der Frieden ist sicher; er ist nunmehr außer Diskussion!
Ist das wahr? Wenn es nur so wäre!
Dann aber wird die Stimme dieser Verfechter des Friedens, die ihn schon als Sieger über alle Widerstände sehen, etwas bescheidener und unsicherer und räumt ein, dass es in der Tat leider hier und da noch schmerzliche Situationen gibt, wo der Krieg noch immer grausam wütet. Leider! Es handelt sich dabei nicht um Konflikte, die in den Annalen der Geschichte begraben sind, sondern die hier und jetzt ausgetragen werden; es sind keine vorübergehenden Episoden, da es sich um Auseinandersetzungen handelt die schon Jahre andauern; sie berühren nicht nur die Oberfläche, da sie in die Reihen der schwer bewaffneten Heere und in die wehrlosen Menschenrnassen der Zivilbevölkerung tief einschneiden; sie sind nicht leicht beizulegen, da sich alle Verhandlungs- und Vermittlungskünste als unfähig erwiesen haben; sie dienen nicht dem allgemeinen Ausgleich in der Welt, denn sie steigern noch das Potential eines Prestiges, das verletzt wurde, das Maß der unerbittlichen Rache, einer immer wieder hervorbrechenden organisierten Unordnung. Man darf nicht achtlos daran vorbeisehen, als ob die Zeit ihr natürliches Heilmittel wäre, da ihr Gift in die Herzen dringt, die humanitären Ideale zersetzt, ansteckend wirkt und sich wie ein verhängnisvolles Erbe auf die jüngste Generation überträgt, die sich dann zum Aufbegehren verpflichtet fühlt. Die Gewalt wird wieder Mode; sie umgibt sich sogar mit dem Panzer der Gerechtigkeit. Sie breitet sich aus, als wäre sie etwas Normales, begünstigt von allen Formen eines meuchlerischen Verbrecherturns und allen Listen der Feigheit, der Erpressung, der Mittäterschaft, und sie wird zu einem apokalyptischen Gespenst, das mit unerhörten Werkzeugen mörderischer Zerstörung ausgerüstet ist. Kollektive, familiäre, soziale, völkische, nationale und rassische Egoismen brechen wieder auf. Das Verbrechen flößt keinen Schrecken mehr ein. Die Grausamkeit wird verhängnisvoll wie die Chirurgie eines Hasses, den man für berechtigt hält. Der Völkermord erscheint als das mögliche Monstrum eines radikalen Heilmittels. Und hinter diesen schaurigen Schreckensgestalten plant man gigantisch mit kaltblütigem und unfehlbarem Kalkül die Wirtschaft der Aufrüstung und des Profits auf den Märkten, wodurch der Hunger noch vermehrt wird. Die Politik greift somit wieder auf ihre unverzichtbaren Programme der Macht zurück.
Und der Frieden?
O ja, der Frieden! Er kann, so meint man, in gleicher Weise überleben und bis zu einem gewissen Grade auch unter den ungünstigsten Verhältnissen in der Welt bestehen. Auch in den Schützengräben des Krieges, in den Pausen des Guerillakrieges oder in den Trümmern jeder normalen Ordnung gibt es noch Winkel und Augenblicke der Ruhe; der Frieden passt sich sogleich an und kommt auf seine Weise zur Blüte. Ist es aber dieser Rest von Lebenskraft, den wir als wirklichen Frieden, das Ideal der Menschheit, bezeichnen können? Ist es diese bescheidene und wunderbare Fähigkeit zur Erholung und Entspannung, ist es dieser verzweifelte Optimismus, der die tiefste Sehnsucht des Menschen nach Ordnung und vollkommener Gerechtigkeit zu stillen vermag? Können wir Frieden nennen, was in Wirklichkeit dessen Verfälschungen sind? "Wo sie öde Trümmerfelder hinterlassen, nennen sie es Frieden!" (C. Tacitus). Oder würden wir einen Waffenstillstand als Frieden bezeichnen? Eine einfache Gefechtspause? Eine Unterdrückung, der man den Charakter eines unabänderlichen Rechts gegeben hat? Eine äußere Ordnung, die auf Gewalt und Angst gründet? Oder ein vorübergehendes Gleichgewicht einander widerstreitender Kräfte? Eine in eiserner Umklammerung erstarrte Spannung zwischen gegensätzlichen Mächten? Eine notwendige Heuchelei, von der die Geschichte voll ist? Gewiss, viele Dinge können auch in unsicheren und ungerechten Verhältnissen friedlich gedeihen. Man muss realistisch sein, sagen die Opportunisten: nur das ist der mögliche Frieden; eine Übereinkunft, ein teil weiser und zerbrechlicher Ausgleich. Die Menschen seien eines besseren Friedens nicht fähig.
Somit müsste sich also die Menschheit am Ende des 20. Jahrhunderts mit einem Frieden begnügen, der sich aus einem diplomatischen Gleichgewicht und einer gewissen Regelung einander widerstreitender Interessen ergibt, und nichts mehr?
Wir gestehen zu, dass eine vollkommene und stabile tranquillitas ordinis (Ruhe in der Ordnung), d.h. ein absoluter und endgültiger Frieden unter den Menschen, selbst wenn sie einen hohen und umfassenden Grad der Zivilisation erreicht haben, nichts anderes als ein Traumbild sein kann, aber nicht ein falsches, sondern ein unvollendetes; ein Ideal, das nicht irreal ist, sondern verwirklicht werden soll. Alles nämlich ist im Verlauf der Geschichte unbeständig, und auch die Vollkommenheit des Menschen ist nicht eindeutig und bestimmt. Die menschlichen Leidenschaften erlöschen nicht. Der Egoismus ist eine giftige Wurzel, die man nie ganz aus der Seele des Menschen auszureißen vermag. In der Seele der Völker nimmt er allgemein die Form und die Kraft eines Grundmotivs an; er dient als ideale Philosophie. Und eben deshalb bedroht uns ein Zweifel, der verhängnisvoll werden kann. Ist der Frieden also nie möglich? Der Zweifel verwandelt sich bei einigen sehr leicht zur unheilvollen Gewissheit: der Frieden ist unmöglich!
Eine neue, oder vielmehr eine alte Anthropologie ersteht zu neuem Leben: der Mensch ist geschaffen, um den Menschen zu bekämpfen: homo homini lupus (Die Menschen sind untereinander wie Wölfe). Der Krieg ist unvermeidlich. Der Rüstungswettlauf, wie könnte man ihn vermeiden? Er ist eine vorrangige Forderung der Politik; und dann ist er auch ein Gesetz der internationalen Wirtschaft. Er ist eine Prestigefrage. Zuerst das Schwert, dann der Pflug. Es scheint, dass diese Überzeugung vorherrschend ist, auch bei einigen Entwicklungsländern, die sich nur mit Mühe in die moderne Zivilisation eingliedern. Zum unvermeidlichen Nachteil der elementaren Lebensbedingungen legen sie sich ungeheure Opfer auf durch Einsparungen in der Ernährung, im Gesundheits- und Bildungswesen, im Bau von Straßen und Wohnungen, selbst unter Vernachlässigung echter wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit -, um nur ja bewaffnet zu sein und den eigenen Nachbarn Furcht einzuflößen und Knechtschaft aufzuerlegen; oft denken sie nicht mehr daran, ihnen ihr Freundschaft anzubieten, nicht Zusammenarbeit, nicht gemeinsamen Wohlstand, sondern den finsteren Anblick der Überlegenheit in der Kunst der Beleidigung und des Krieges. Der Frieden ist, so denken und behaupten viele, das Ideal und als Wirklichkeit unmöglich.
Hört dagegen Unsere Botschaft; die Eure, Ihr Menschen guten Willens, die Botschaft der gesamten Menschheit: der Frieden ist möglich! Er muss möglich sein!
Ja, denn dies ist die Botschaft, die zu uns dringt von den Kriegsschauplätzen der beiden Weltkriege und der anderen jüngsten militärische Konflikte, durch die die Erde mit Blut befleckt wurde. Es ist die geheimnisvolle und gewaltige Stimme der Gefallenen und der Opfer der vergangene Konflikte; es ist die mitleidsvolle Klage der unzähligen Gräber auf den Soldatenfriedhöfen und der dem Unbekannten Soldaten geweihten Denkmäler: Frieden, Frieden, nicht Krieg. Der Frieden ist die Bedingung und der Inbegriff des menschlichen Zusammenlebens.
Ja, denn der Frieden hat die Ideologien besiegt, die sich ihm widersetzen. Der Frieden ist vor allem eine Bedingung des Geistes. Endlich wird es zahllosen Menschen und insbesondere den jüngeren Generationen bewusst, dass der Frieden logisch und menschlich notwendig ist: es muss möglich sein, sagen sie, zu leben, ohne zu hassen und ohne zu töten. Eine neue und weltweite Erziehung drängt sich auf, die Erziehung zum Frieden. Ja, denn die heranreifende Vernunft der Bürger hat diesem selbstverständlichen Anliegen Ausdruck verliehen: an statt die Lösung der menschlichen Streitigkeiten dem irrationalen und barbarischen Duell der blinden und tödlichen Macht der Waffen zu überlassen, wollen wir neue Institutionen schaffen, wo der Dialog Raum hat, wo Gerechtigkeit und das Recht sich zu äußern vermögen und eine strenge und friedliche Regelung in den internationalen Beziehungen herbeiführen. Diese Institutionen, als erste unter ihnen die Organisation der Vereinten Nationen, sind gegründet worden; ein neuer Humanismus trägt und achtet sie: eine feierliche Verpflichtung macht diejenigen, die ihnen als Mitglieder angehören, untereinander solidarisch; eine positive und weltweite Hoffnung erkennt sie an als geeignete Mittel der internationalen Ordnung, der Solidarität und der Brüderlichkeit unter den Völkern. Der Frieden findet dort seinen eigentlichen Sitz und seine Werkstatt.
Ja, Wir wiederholen es, der Frieden ist möglich, da er in diesen Institutionen seine grundlegenden Charakterzüge wiederfindet, die ein irriger Friedensbegriff leicht vergessen lässt: der Frieden muss vernünftig, nicht leidenschaftlich sein, hochherzig und nicht egoistisch; der Frieden darf nicht träge und passiv sein, sondern dynamisch, aktiv und auf Fortschritt ausgerichtet, je nachdem berechtigte Forderungen der erklärten und ausgeglichen formulierten Menschenrechte neue und bessere Ausdrucksformen verlangen; der Frieden darf nicht schwach, unfähig und knechtisch sein, sondern stark, sei es durch die moralischen Gründe, die ihn rechtfertigen, oder sei es durch die einmütige Zustimmung der Nationen, die ihn aufrechtzuerhalten haben. Dies ist ein äußerst wichtiger und delikater Punkt: Wenn diese modernen Einrichtungen, durch die der Frieden gefördert und geschützt wird, für ihre eigentliche Aufgabe nicht geeignet sein sollten, was wäre dann wohl das Schicksal der Welt? Die Unwirksamkeit dieser Einrichtungen könnte im Bewusstsein der Menschheit eine verhängnisvolle Enttäuschung hervorrufen; der Frieden und mit ihm der Fortschritt der Zivilisation blieben als Besiegte auf der Strecke. Unsere Hoffnung und Überzeugung, dass der Frieden möglich ist, würde zuerst durch den Zweifel, durch den Spott, den Skeptizismus und schließlich durch Verneinung erstickt werden. Welch ein Ende! Es widerstrebt Uns, an einen solchen Zusammenbruch zu denken! Man muss im Gegenteil die grundlegende Behauptung von der Möglichkeit des Friedens in folgende zwei Sätze auflösen, die diese ergänzen:
- Der Frieden ist möglich, wenn man ihn will;
- und wenn der Frieden möglich ist, dann ist er eine Pflicht.
Dies bedeutet zu entdecken, welche sittlichen Kräfte notwendig sind, um das Problem des Friedens positiv zu lösen. Man muss, Wir möchten es noch einmal sagen, den Mut zum Frieden haben. Einen Mut höchsten Ranges; nicht den der rohen Gewalt, sondern den der Liebe: jeder Mensch ist mein Bruder, und es kann keinen Frieden ohne eine neue Gerechtigkeit geben. Dies möchten Wir hier wiederholen. Ihr mächtigen und verantwortungsbewussten Menschen, die Ihr durch Eure Zusammenarbeit die Macht und die Pflicht habt, den Frieden herbeizuführen und zu verteidigen! Und vor allem Ihr Führer und Lehrer der Völker! Wenn das Echo dieser einladenden Botschaft an Euer Ohr gelangt, möge sie sich auch in Eure Herzen senken und euch mit neuer Gewissheit von der Möglichkeit des Friedens stärken. Bewahret die Vernunft und bedenkt diese paradoxe Gewissheit; setzt Eure Kräfte dafür ein, gewährt ihr trotz allem Euer Vertrauen und macht daraus mit Hilfe Eurer Überzeugungskunst ein Thema für die öffentliche Meinung, nicht um die Herzen der jungen Generation zu entmutigen, sondern um sie zu einem menschlicheren und mannhafteren Denken zu befähigen! Gründet und baut in Wahrheit, in Gerechtigkeit, in Liebe und in Freiheit den Frieden für die kommenden Jahrhunderte, indem wir mit dem Jahr 1973 beginnen, ihn als Möglichkeit zu verteidigen und als Wirklichkeit zu begrüßen. Dies war das Programm, das Unser Vorgänger Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris umrissen hat, von der wir im April 1973 den 10. Jahrestag ihres Erscheinens begehen. Wie Ihr vor zehn Jahren mit Ehrerbietung und Dank die väterliche Stimme aufgenommen habt, so vertrauen Wir, dass die Erinnerung an jene große Flamme, welche er in der Welt angezündet hat, die Herzen zu neuen und entschlosseneren Vorsätzen für den Frieden stärke und ermutige.
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26. Papst Paul VI.: Erklärung vor der Vereinigung der Ausländischen Presse in Italien am 24. Januar 1973 zum Abschluss des Waffenstillstandsabkommens der Pariser Vietnam-Konferenz
OR (Dt. Ausg.) 5 (2. 2. 1973)
Wir haben mit euch in dieser Nacht die offizielle Nachricht vom positiven Abschluss der Verhandlungen über den Frieden für Vietnam erfahren; sie war gleichzeitig vom Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie von den Regierungen in Hanoi und Saigon bekanntgegeben worden. Wir sind mit all jenen verbunden, die sich über diese Nachricht freuen! Wir wollen es nicht versäumen, hierzu unsere Glückwünsche zum Ausdruck zu bringen und Frieden, Freiheit, Eintracht und Wohlergehen zu wünschen sowohl der Bevölkerung von Süd-Vietnam als auch der von Nord-Vietnam. Allen, die sich um die Beilegung dieses endlosen und mörderischen Konfliktes verdient gemacht haben, wollen wir unsere Genugtuung aussprechen! Wir möchten ihnen die Worte des Evangeliums wiederholen: Selig, die Frieden stiften, denn sie verdienen es, Kinder Gottes genannt zu werden!
In besonderer Weise fühlen wir uns jedoch all denen nahe, die durch diesen Krieg - und in welchem Ausmaße! - gelitten haben. Wo sind, liebe Vietnamesen, eure Toten? Und wie viele sind es? Der Gott der Lebenden und Vater aller wird sie nicht vergessen, und wir beten, dass er sie zu sich in das ewige Leben aufnehmen möge. Wir denken jetzt aber auch an die Witwen, die Waisen und die Kinder, die ohne Heim, ohne Familie und ohne Betreuung geblieben sind; wir denken an die Verwundeten, die Kriegsversehrten, an die Flüchtlinge und die Armen. Wir erbitten für diese Mitmenschen, die sich in Leid und Not befinden, die Hilfe wohlgesinnter Menschen und der Wohltätigkeitsorganisationen. Mehr denn je gilt es nun, Vietnam zu helfen! Wenn seine erschütternde Prüfung so lange gedauert hat, so muss doch die Periode des Wiederaufbaues kurz sein und schnell und wirksam die Hilfeleistungen. Es geht nicht nur darum, jenes Volk zu fördern und die Ruinen zu beseitigen, sondern in der gesamten zivilisierten Welt das Bewusstsein des Guten, der menschlichen Solidarität, der Freiheit, der Ordnung und der Hoffnung wiederherzustellen.
Reis, Kleidung, Arzneien, Wohnungen, Schulen, Straßen, Arbeit, Kirchen und was sonst eine geordnete Gesellschaft noch erfordert, dürfen jenem leidgeprüften Land nicht fehlen. Ja, seine traditionelle Vorliebe für friedliches Zusammenleben und künstlerische Gestaltung muss neu erblühen. Wir wünschen und werden fortfahren, alles zu tun, was in unseren Kräften steht, dass sich diese Erneuerung wirklich vollzieht, vom Waffenstillstand zum Frieden.
Der Waffenstillstand ist ein Verstummen der Waffen; es ist notwendig, dass er sich weiterentwickelt und in einen wirklichen Frieden verwandelt.
In der Tat! Hört unsere demütige und von Herzen kommende Stimme, ihr lieben Vietnamesen und ihr alle, die ihr auf die Beendigung dieses Konfliktes wartet! Der wahre Frieden gründet in den Herzen, nicht auf dem Sieg der Waffen, nicht auf politischer Übermacht, nicht auf völkischem Dünkel und auch nicht auf dem Gleichgewicht der Kräfte und Interessen; er gründet in der Liebe, in der Tatsache, dass wir Brüder sind. Die große Anstrengung, die es jetzt zu unternehmen gilt, besteht darin, die Liebe, das Vertrauen, die Sympathie und die Geduld in den verbitterten Herzen neu zu entfachen. Ein jeder muss den Frieden in sich selbst neu schaffen, um den Frieden mit anderen wiederherstellen zu können. In der Tat, eine paradoxe Wahrheit lautet: Nicht Vergeltung, sondern gegenseitiges Verzeihen. Es ist Jesus Christus, der uns dies gelehrt hat, und wir geben es an euch weiter, zu eurem Glück und Frieden. Und damit grüßen und segnen wir euch.
27. Papst Paul VI.: Ansprache zum Angelus am 28. Januar 1973 mit besonderer Bezugnahme auf das Waffenstillstandsabkommen der Pariser Vietnam-Konferenz
OR (Dt. Ausg.) (2. 2. 1973)
Ist der Krieg zu Ende? Wenigstens eine der blutigen Auseinandersetzungen, die noch in der Welt im Gange sind? Der Krieg in Vietnam, der jahrelang dieses liebenswerte Land verwüstet hat und sozusagen die ganze Welt mitzittern und leiden ließ? Ist er wirklich zu Ende? Wir wollen es aus ganzem Herzen glauben und hoffen.
Nun befinden wir uns in der Nachkriegszeit, um die wir uns, als Bürger der Welt und besonders als Christen, sehr wohl kümmern müssen. Hilfsmaßnahmen von erschreckendem Umfang erweisen sich als notwendig, um die Ruinen wieder aufzubauen, die Not zu beseitigen und die Solidarität im Leiden zu beweisen. Das traurige Erbe dieses Krieges geht auch uns alle an. Keine Waffen, keine Polemiken mehr, sondern Hilfe.
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Aber noch eine weitere Pflicht haben wir zu erfüllen, nämlich in uns zu gehen. Ein Geschehen wie das in Vietnam kann eine große und sehr ernste Lehre für die Menschheit sein, die von der neuen Zeit dazu aufgerufen ist, die Prinzipien und Methoden, die das Zusammenleben der Menschen regeln müssen, gründlich zu überprüfen. So müssen wir zum Beispiel in uns die Überzeugung von der zerstörerischen Irrationalität des Krieges stärken. Wir müssen unser Gespür für Gerechtigkeit, Ordnung und Freiheit vertiefen und von daher das Netz der internationalen und sozialen Beziehungen gestalten, wenn wir eine stabilere und menschlichere Welt haben wollen. Wir müssen die Gerechtigkeit auf die Wahrheit gründen das heißt auf die Aufrichtigkeit des Wortes und die objektive Realität der Situation.
Dieser Gedanke über die Wahrheit als dem Fundament einer echter Ordnung und einer Gerechtigkeit, die die Schwester des Friedens ist wurde uns von Papst Johannes in seiner Enzyklika Pacem in terris mit tiefer Weisheit dargelegt und eingeprägt. Wir täten gut daran, sie wieder zu lesen, da sie noch immer von großer Aktualität ist.
Wird es zum Beispiel hier nun einen "wahren" Frieden geben? Wir alle erwarten eine Bestätigung durch Taten. Bitten wir nun die Königin des Friedens, Maria, dass es wirklich so sein möge.
28. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1974 vom 8. Dezember 1973
AAS 65 (1973) 668-673
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Vielleicht meint ihr, über den Frieden alles zu wissen: darüber ist schon so viel und von allen gesprochen worden. Vielleicht ruft dieses allzu häufige Wort ein Gefühl der Übersättigung, der Langeweile hervor, vielleicht auch der Furcht, dass dieses faszinierende Wort eine trügerische Magie in sich berge, dass es nunmehr bloß noch eine missbrauchte rhetorische Worthülse sei, ja sogar einen gefährlichen Zauber ausübe. Die augenblickliche geschichtliche Situation, die gekennzeichnet ist von beklagenswerten Vorkommnissen internationaler Konflikte, von unversöhnlichen Klassenkämpfen, von revolutionärem Aufbegehren nach Freiheit, von Unterdrückung der Rechte und elementarer Freiheitsansprüche des Menschen sowie von unvorhergesehenen Symptomen der Unsicherheit in der Weltwirtschaft, scheint das triumphierende Ideal des Friedens zu zerstören, als ob es die Statue eines Idols wäre. Der leeren und kraftlosen Worthülse, die der Friede in der Welt unserer politischen und geistigen Erfahrung dieser letzten Zeit darzustellen scheint, zieht man jetzt wieder den Realismus der Tatsachen und Interessen vor, und man meint wieder, der Mensch sei das ewige, unlösbare Problem eines lebendigen Selbst-Konfliktes. Der Mensch ist so - ein Wesen, das in seinem Herzen das Verhängnis des Bruderkrieges trägt.
Im Gegensatz zu diesem wiederauflebenden harten Realismus schlagen wir nicht leere Worte vor, die von den neuen, übermächtigen Erfahrungen nur so fortgespült würden, sondern einen unbesiegbaren Idealismus, den des Friedens, der sich Schritt um Schritt durchsetzen muss.
Ihr Menschenkinder, ihr Menschen guten Willens, kluge Menschen, leidende Menschen, glaubt unserem erneuten, demütigen Wort, unserem unermüdlichen Rufen. Der Friede ist das Ideal der Menschheit. Der Friede ist notwendig. Der Friede ist verpflichtend. Der Friede ist ein Vorteil. Unsere Idee ist keine unlogische und fixe Idee; sie ist keine Besessenheit, keine Illusion. Sie ist vielmehr eine Sicherheit, ja eine Hoffnung. Er entscheidet über die Zukunft der Kultur, das Schicksal der Welt - er, der Friede.
Zutiefst davon überzeugt, dass er, der Friede, das Ziel einer Menschheit ist, die sich immer mehr ihrer selbst bewusst wird und ihre Kultur auf der Erde entfaltet, wagen wir heute für das neue Jahr und für die künftigen Jahre zu verkünden, was wir schon im vergangenen Jahr gesagt haben: der Friede ist möglich.
Was im Grunde die Festigkeit des Friedens und die Entfaltung der Geschichte in dieser Richtung gefährdet, ist die heimliche skeptische Überzeugung, dass er praktisch unmöglich ist. Ein wunderschöner Begriff, so denkt man, ohne es auszusprechen, eine herrliche Synthese aller menschlichen Bestrebungen, aber ein poetischer Traum, trügerische Utopie. Eine berauschende, aber schwächende Droge. Wiederum steigt es in den Köpfen gleichsam mit unentrinnbarer Logik auf: was zählt, ist allein die Macht. Im besten Falle werde der Mensch die gegensätzlichen Kräfte ins Gleichgewicht untereinander bringen. Doch könne man in der menschlichen Organisation auf Macht und Gewalt nicht verzichten.
Bei diesem grundlegenden Einwand müssen wir einen Augenblick verweilen, um ein mögliches Missverständnis zu klären, welches den Frieden nicht nur mit physischer, sondern auch mit moralischer Schwachheit verwechselt, mit dem Verzicht auf das wahre Recht und die angemessene Gerechtigkeit, mit der Flucht vor dem Risiko und dem Opfer, mit furchtsamer Resignation, die vor der Übermacht des anderen zurückweicht und sich deshalb mit der eigenen Versklavung abfindet. Das ist nicht der echte Friede. Unterdrückung ist nicht der Friede. Feigheit ist nicht der Friede. Eine rein äußere, durch Furcht aufgezwungene Ordnung ist nicht der Friede. Die kürzliche Feier des 25. Jahrestages der Verkündigung der Menschenrechte erinnert uns daran, dass der wahre Friede auf das Bewusstsein um die unantastbare Würde der menschlichen Person gegründet sein muss, aus der unverletzliche Rechte und entsprechende Pflichten erwachsen.
Es ist freilich wahr, dass der Friede dem gerechten Gesetz und der rechtmäßigen Autorität Rechnung tragen muss. Aber er wird niemals im Gegensatz stehen zum Allgemeinwohl und zur moralischen Freiheit des Menschen. Der Friede wird sich auch zu schweren Verzichtleistungen bereit finden können im Wettstreit um Prestige, im Wettrüsten, im Vergessen von Beleidigungen, durch Erlassen von Schulden. Er wird sogar hochherzig bereit sein zum Verzeihen und zur Wiederversöhnung. Aber niemals durch unwürdiges Feilschen mit der menschlichen Würde, niemals durch Sicherung eigener, egoistischer Interessen zum Nachteil der berechtigten Interessen anderer, niemals durch Feigheit. Der Friede wird nie möglich sein ohne Hunger und Durst nach Gerechtigkeit. Er wird niemals der erforderlichen Mühe entbehren, die Schwachen zu verteidigen, den Armen zu helfen und die Interessen der Unterdrückten zu fördern. Der Friede wird niemals ein Verrat an den höheren Interessen des Lebens sein (vgl. Joh 12,25).
Der Friede darf aber deswegen nicht als eine Utopie angesehen werden. Die Gewissheit um den Frieden gründet nicht nur in dem, was ist, sondern ebenso in dem, was wird. Er ist, wie das Leben des Menschen, dynamisch. Sein Reich umfasst auch und vor allem den sittlichen Bereich, nämlich den Bereich der Pflichten. Man muss den Frieden nicht nur erhalten, man muss ihn schaffen. Der Friede muss deshalb ständig und in fortschreitendem Maß bejaht werden. Ja wir sagen: der Friede ist nur möglich, wenn er als Pflicht angesehen wird. Es genügt nicht einmal, dass er sich auf die für gewöhnlich sehr berechtigte Überzeugung gründet, er bedeute einen Vorteil. Er muss vom Bewusstsein der Menschen Besitz ergreifen als eine der höchsten ethischen Zielsetzungen, als eine moralische Notwendigkeit, als eine ananke (wie die Griechen sagten), die sich wesentlich aus den Erfordernissen des menschlichen Zusammenlebens ergibt.
Diese Entdeckung, zu der uns der positive Denkprozess unserer Vernunft hinführt, lehrt uns einige Prinzipien, von denen wir niemals abweichen dürfen. Zunächst klärt sie uns auf über die eigentliche Natur des Friedens. Der Friede ist vor allem eine Idee, ein inneres Gebot, ein geistiger Schatz. Der Friede muss erwachsen aus einer tiefen, geistlichen Auffassung von der Menschheit: die Menschheit muss in Frieden leben, d. h. sie muss geeint sein, in der Tiefe ihres Seins solidarisch verbunden. Das Fehlen dieser grundlegenden Sicht war und ist noch jetzt der tiefere Grund für die Heimsuchungen, die im Verlauf der Geschichte Verwüstungen angerichtet haben. Den Kampf der Menschen untereinander als eine strukturelle Forderung der Gesellschaft aufzufassen, stellt nicht nur einen optisch-philosophischen Irrtum dar, sondern ist ein potentielles und dauerndes Vergehen gegen die Menschheit. Die Gesellschaft muss sich endlich freimachen von dem alten abergläubischen, aber immer noch wirksamen trügerischen Satz: homo homini lupus (Der Mensch ist gegenüber seinem Mitmenschen wie ein Wolf). Dieser Grundsatz wütet seit der Tat des Kain. Der Mensch von heute muss den moralischen und prophetischen Mut aufbringen, sich von dieser angeborenen Wildheit freizumachen, und zur Schlussfolgerung gelangen, dass es eben die Idee des Friedens ist, die wesentlich naturgegeben, notwendig, verpflichtend und deshalb möglich ist. Man muss von nun an die Menschheit, die Geschichte, die Arbeit, die Politik, die Kultur und den Fortschritt in ihrer Hinordnung auf den Frieden sehen.
Aber was gilt diese geistige, subjektive, innere und persönliche Idee? Welchen Wert hat sie, die so wehrlos, so fern von dem erlebten, machtvollen und großartigen Geschehen unserer Geschichte ist? In dem Maße, da die tragische Erfahrung des letzten Weltkrieges aus der Erinnerung schwindet, müssen wir leider zwischen den Nationen und in der politischen Dialektik der Gesellschaft eine sich verschärfende Neigung zum Streit feststellen. Das Kriegspotential und die Kampfmittel haben sich im Vergleich zu dem, worüber die Menschheit vor den Weltkriegen verfügte, nicht vermindert, sondern sind beträchtlich angewachsen. Seht ihr nicht, so kann uns irgendein Beobachter entgegenhalten, dass die Welt auf Konflikte zusteuert, die noch furchtbarer und schrecklicher sind als die von gestern? Seht ihr nicht die geringe Wirkung der Propaganda für den Frieden und den mangelnden Einfluss der internationalen Institutionen, die während der Zeit des Neuaufbaus der durch die Weltkriege blutüberströmten und erschöpften Welt entstanden sind? Wohin geht die Welt? Bereitet sie sich nicht auf noch katastrophalere und verabscheuungswürdigere Konflikte vor? Leider! Wir müssten vor solch bedrängenden und grausamen Schlussfolgerungen verstummen wie vor einem aussichtslosen Verhängnis!
Aber nein! Sind denn auch wir blind und töricht? Nein, Brüder! Wir sind uns dessen sicher, dass unsere Sache, die Sache des Friedens, sich als stärker erweisen muss. Erstens, weil sie, die Idee des Friedens, trotz des Wahnsinns der entgegengesetzten Politik in den Überlegungen aller verantwortlichen Menschen bereits den Sieg davongetragen hat. Wir haben Vertrauen in ihre heutige kluge Umsicht und machtvolle Geschicklichkeit. Keine Regierung eines Volkes kann heute noch den Krieg wollen; alle streben nach dem allgemeinen Frieden der Welt. Das ist etwas Außerordentliches! Wir wagen, sie zu beschwören, niemals mehr ihr eigenes oder vielmehr das gemeinsame Friedensprogramm aufzugeben! Zweitens: Es sind vor allem und noch vor den Sonderinteressen die Ideen, die die Welt leiten, trotz des entgegengesetzten äußeren Anscheins. Wenn die Idee des Friedens die Herzen der Menschen wirklich gewinnt, ist der Friede gerettet; ja noch mehr, er wird die Menschen retten. Es ist überflüssig, dass wir in dieser unserer Rede Worte darauf verwenden, nachzuweisen, welch mächtigen Einfluss eine Idee hat, die geistiger Besitz des Volkes, d. h. der öffentlichen Meinung, geworden ist. Sie ist heute die Königin, die in Wirklichkeit die Völker regiert. Ihr unwägbarer Einfluss prägt und führt sie. Und schließlich sind es die Völker, d. h. die wirksame öffentliche Meinung, die die Regierenden regiert. Das ist wenigstens weithin so. Drittens schließlich: Wenn die öffentliche Meinung sich zu einer Kraft entfaltet, die das Schicksal der Völker mitbestimmt, so hängt das Schicksal des Friedens auch von einem jeden von uns ab. Denn jeder von uns ist Teil des gesellschaftlichen Organismus, der auf demokratische Weise handelt, welche in verschiedener Form und in unterschiedlichem Maße heute das Leben der modern organisierten Nationen charakterisiert. Dieses wollten wir sagen: der Friede ist möglich, wenn ihn jeder von uns will; wenn jeder von uns den Frieden liebt, seine innere geistige Einstellung auf den Frieden hin erzieht und formt, den Frieden verteidigt und sich für den Frieden einsetzt. Jeder von uns muss in seinem eigenen Gewissen den verpflichtenden Aufruf hören: "Der Friede hängt auch von dir ab."
Gewiss kann der Einfluss des einzelnen auf die öffentliche Meinung nur sehr gering sein; aber er ist nie vergeblich. Der Friede lebt dadurch, dass die Menschen ihn wollen, wenn auch nur einzeln und auf anonyme Weise. Wir wissen alle, wie sich das Phänomen der öffentlichen Meinung bildet und äußert: eine ernste, machtvolle Aussage ist schnell verbreitet. Die individuelle Bejahung des Friedens muss zu einem gemeinschaftlichen Ja werden, zu einer Zustimmung des Volkes und der Gemeinschaft der Völker, muss Überzeugung, geistige Leitlinie, Aktion werden; muss darauf ausgerichtet sein, das Denken und Handeln der neuen Generationen zu durchdringen und sich in die Welt, die Politik, die Wirtschaft, die Erziehung, die Zukunft, die Kultur und Zivilisation Eingang zu verschaffen. Und das nicht aus dem Gefühl der Furcht und der Flucht, sondern durch den schöpferischen Impuls der neuen Geschichte und der Neugestaltung der Welt; nicht durch Trägheit und Egoismus, sondern durch die sittliche Kraft und größer gewordene Liebe zur Menschheit. Der Friede bedeutet Mut, Weisheit und Pflicht, und schließlich dient er in einem tieferen Sinn den eigenen Interessen und dem Glück.
Dieses alles wagen wir euch zu sagen, Brüder, euch Menschen dieser Welt, die ihr auf grund irgendeines Titels das Steuer der Welt in Händen haltet, Menschen mit Weisungsgewalt, Menschen der Kultur und der Wirtschaft: es ist notwendig, dass ihr euer Handeln entschlossen und klug auf den Frieden hin ausrichtet; er bedarf eurer. Wenn ihr wollt, könnt ihr es! Der Friede hängt auch und im besonderen von euch ab.
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29. Papst Paul VI. und Bischofssynode: Gemeinsamer "Aufruf über Menschenrechte und Versöhnung" am 23. Oktober 1974
OR (Dt. Ausg.) 45 (8. 11. 1974)
Seit der Synode von 1971 sind zwei Gedenktage von besonderer Bedeutung für Kirche und Welt vorübergegangen: der zehnte Jahrestag der Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. (1963) und der fünfundzwanzigste Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (1948). Beide Dokumente erinnern uns daran, dass die Menschenwürde sowohl Verteidigung wie Weiterentwicklung der Menschenrechte verlangt.
Wir sind hier zu einer neuen Synode versammelt, deren Thema die Evangelisierung, die Verkündigung der Frohbotschaft Jesu, ist. Zwar sind die Wahrheiten über Menschenwürde und Menschenrechte allen einsichtig; und doch meinen wir, erst im Evangelium ihren vollendeten Ausdruck zu finden und zugleich den stärksten Antrieb, uns für ihre Bewahrung und Förderung einzusetzen. Die enge Verbindung zwischen dieser unserer Verpflichtung und dem eigentlichen Dienstamt der Kirche ist auf dieser Synode im Austausch unserer pastoralen Erfahrungen deutlich geworden; denn hier ging es um die alle Nationen umspannende Weite der Kirche, ihre Anwesenheit im innersten Erlebnisbereich der Völker, ihre Anteilnahme an den Leiden derer, deren Rechte mit Füßen getreten oder verletzt werden.
Eingedenk dieser Erfahrungen im Licht des Evangeliums, richten wir diesen Aufruf über Menschenrechte und Versöhnung an die Kirche und an die ganze Welt, vor allem aber an alle, die Verantwortung tragen. Wir wollen so unsere Stimme erheben zugunsten derer, die stumme Opfer der Ungerechtigkeit sind.
Menschenwürde wurzelt in der Tatsache, dass ein jeder von uns Bild und Abglanz Gottes in sich trägt. Darin beruht die wesenhafte Gleichheit aller Menschen. Durch allseitige Entwicklung wird dieses Bild Gottes im Menschen immer deutlicher. In unserer Zeit ist diese Wahrheit der Kirche immer tiefer zum Bewusstsein gekommen; daher ist sie der festen Überzeugung, dass die Förderung der Menschenrechte zum Auftrag des Evangeliums gehört und zur Herzmitte ihres Dienstes.
In ihrem Verlangen, sich immer tiefer zum Herrn zu bekehren, möchte die Kirche ihren Dienst stets treuer versehen dadurch, dass sie in ihrem eigenen Bereich die Menschenrechte besser würdigt und anerkennt. Sie ist sich aufs neue der Rolle der Gerechtigkeit in ihrem eigenen Dienst bewusst geworden. Die bereits erreichten Fortschritte ermutigen uns zu weiteren Anstrengungen, um dem Willen des Herrn vollkommener zu entsprechen. Aus ihrer eigenen Erfahrung weiß die Kirche, dass ihr Einsatz für die Förderung der Menschenrechte in der Welt eine ständige Selbstprüfung und Reinigung ihres eigenen Lebens, ihrer Gesetze, Institutionen und Planungen verlangt. Schon die Synode von 1971 hat darum erklärt, dass ,jeder, der es wagt, zu den Menschen über Gerechtigkeit zu sprechen, selber in ihren Augen gerecht erscheinen muss". Das Wissen um unsere eigenen Grenzen, Fehler und Versäumnisse der Gerechtigkeit gegenüber hilft uns, die Fehler anderer besser zu verstehen. In der Kirche wie in anderen Einrichtungen oder Gruppen bedarf es der Reinigung in Bezug auf die inneren Vorgänge und im Hinblick auf die Beziehungen zu sozialen Strukturen und Systemen, deren Menschenrechtsverletzungen tadelnswert erscheinen. Kein Volk ist heutzutage frei von Verfehlungen gegen die Menschenrechte. Jedoch ist es nicht Aufgabe der Synode, besondere Verletzungen namhaft zu machen. Das geschieht besser auf Ortsebene. Hingegen wollen wir durch Wort und Tat alle diejenigen ermutigen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, alle diejenigen ermuntern, die von Amts wegen die Menschenrechte zu fördern haben, und allen denen Hoffnung geben, die unter der Verletzung ihrer Rechte leiden. Wir wollen hier die Aufmerksamkeit auf jene Rechte lenken, die heute am meisten bedroht sind.
Das Recht auf Leben: Dieses Recht ist grundlegend und unabdingbar. Heutzutage wird es aufs schwerste bedroht durch Empfängnisverhütung, Sterilisierung, Abtreibung, Euthanasie, weltweite Anwendung der Folter, Gewalt gegen Unschuldige, Geißel des Krieges, Völkermord, Massenbewegungen gegen das Recht auf Leben. Der Rüstungswettlauf ist für die ganze Welt ein kostspieliger Wahnsinn; erzeugt er doch die Mittel, mit denen eine noch weit größere Zerstörung des Lebens möglich wird. Das Recht auf Nahrung: Dieses Recht ist unmittelbar mit dem Recht aufLeben verbunden. Millionen von Menschen sind heute von Hungersnot bedroht. Die Völker der ganzen Welt müssen sich zu einer gemeinsamen Tat solidarischen HandeIns bei der bevorstehenden Welternährungskonferenz der Vereinten Nationen aufraffen. Wir rufen die Regierungen auf, ihre Einstellung zu den Opfern des Hungers zu wandeln, dem Gebot der Gerechtigkeit und Versöhnung zu folgen und schleunigst Mittel und Wege zu finden, die Notleidenden mit Nahrung zu versorgen.
Soziale und wirtschaftliche Rechte: Versöhnung hat Gerechtigkeit zur Voraussetzung. Allzu große Unterschiede zwischen Macht und Reichtum in der Welt, und oft innerhalb ein und desselben Volkes, sind schwere Hindernisse auf dem Weg zur Versöhnung. Konzentration von Wirtschaftsrnacht in den Händen weniger Nationen oder multinationaler Gruppen, ein strukturelles Missverhältnis in den Handelsbeziehungen und der Preisgestaltung, Mangel an Ausgleich zwischen Wirtschaftswachstum und entsprechender Beteiligung auf nationaler und internationaler Ebene, Arbeitslosigkeit und Diskriminierungen bei der Einstellung von Arbeitern sowie die Spannweite der Konsumgewohnheiten auf der Welt - alles das verlangt nach Reform, wenn Versöhnung überhaupt möglich sein soll. Politische und kulturelle Rechte: Versöhnung im gesellschaftlichen Bereich und die personalen Rechte erfordern, dass der einzelne sein eigenes Schicksal wirksam mitbestimmen kann. Er hat daher ein Recht darauf, in freier und verantwortlicher Weise an politischen Entscheidungsvorgängen teilzunehmen. Er hat ein Recht auf unbehinderten Zugang zu den Informationsquellen, auf Rede- und Pressefreiheit und auf Meinungsfreiheit. Er hat ein Recht auf Erziehung und ebenso darauf, über die Erziehung seiner Kinder zu entscheiden. Einzelne und Gruppen müssen sicher sein, nicht aus politischen oder ideologischen Gründen verhaftet, gefoltert und eingesperrt zu werden, und allen, auch den Gastarbeitern, muss der Rechtsschutz ihrer persönlichen, sozialen, kulturellen und politischen Rechte verbürgt werden. Wir verurteilen jede Behinderung oder Beschränkung von Rechten aus rassischen Gründen. Wir beschwören die Völker und protestierende Gruppen, Versöhnung zu suchen, indem sie der Verfolgung anderer Einhalt gebieten und politischen Gefangenen und Ausgewiesenen eine von Billigkeit und Milde geprägte Amnestie gewähren.
Recht auf Religionsfreiheit: Dieses Recht lässt auf einzigartige Weise die Personwürde aufleuchten, so wie sie aus dem Wort Gottes und auch aus der Vernunft wahrnehmbar wird. Heutzutage wird sie von verschiedenen politischen Systemen versagt, so dass Verkündigung, religiöse Erziehung und sozialer Dienst behindert werden. Wir rufen alle Regierungen auf, die Rechte auf Religionsfreiheit in Worten anzuerkennen und durch Taten zu fördern, jede Art von Diskrimination abzuschaffen und allen ohne Rücksicht auf die Form ihres religiösen Bekenntnisses die vollen Rechte und Freiheiten zu gewähren, die den Bürgern zustehen.
Wir begehen ein Heiliges Jahr der Erneuerung und Versöhnung, das uns an das Große Versöhnungsjahr des Alten Bundes erinnert (Lev 25) und an die Vollmacht zur Vergebung, die Christus uns geschenkt hat (Lk4,18-19; Eph 2,13-17). Darum betonen wir, dass die Kirche selbst Zeichen und Quelle der Versöhnung zwischen allen Völkern sein muss. Die Völker haben ein Recht zu hoffen; die Kirche muss heute Zeichen und Quelle der Hoffnung sein. Darum gewährt sie selbst Vergebung allen denen, die sie verfolgt oder verleumdet haben und verspricht Aufgeschlossenheit und einfühlendes Verständnis allen denen, die sie in Frage stellen, sie in die Schranken fordern und sich mit ihr messen wollen.
Wir fordern endlich alle Männer und Frauen auf, ihre Verantwortung und ihre Gewissenspflicht hinsichtlich der Rechte anderer zu erkennen. Im Licht unserer Einsicht in die uns übertragene Evangelisierung und bestärkt in unserer Pflicht, die Frohbotschaft zu verkünden, bekunden wir unsere Entschlossenheit, die Menschenrechte und die Versöhnung überall in der Kirche und in der ganzen Welt von heute nach Kräften zu fördern.
30. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1975 vom 8. Dezember 1974
AAS 67 (1975) 61-67
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Unsere Botschaft ist sehr einfach, sie ist aber gleichzeitig so fordernd, dass sie verletzend erscheinen könnte. Besteht denn nicht schon Friede? Was kann man noch anderes und mehr tun als das, was für den Frieden schon getan worden ist und immer noch geschieht? Geht die Geschichte der Menschheit nicht bereits durch eigene Kraft einem weltweiten Frieden entgegen?
Ja, so ist es; oder besser, so scheint es. Aber der Friede muss "geschaffen" werden, muss ständig geweckt und verwirklicht werden. Er geht hervor aus einem unsicheren Gleichgewicht, das nur in der Bewegung aufrechterhalten wird und im Verhältnis zu ihrer Schnelligkeit steht. Selbst die Einrichtungen, die in der Rechtsordnung und im internationalen Zusammenleben die Aufgabe und das Verdienst haben, den Frieden zu verkünden und zu wahren, erreichen ihre providentielle Aufgabe nur dann, wenn sie sich ständig um ihn bemühen, wenn sie es verstehen, in jedem Augenblick den Willen zum Frieden wach zu halten, den Frieden herbeizuführen. Diese Notwendigkeit ergibt sich hauptsächlich aus der Herkunft des Menschen heraus, aus dem fortlaufenden Entwicklungsprozess der Menschheit. Menschen folgen auf Menschen, Geschlechter auf Geschlechter. Auch wenn sich keine Veränderung in den bestehenden juridischen und geschichtlichen Situationen ergeben sollte, wäre trotzdem ein ständiger Einsatz notwendig, um die Menschheit zur Treue zu den grundlegenden Rechten der Gesellschaft zu erziehen. Diese müssen gewahrt bleiben und werden die Geschichte auf unbegrenzte Zeit hin bestimmen unter der Voraussetzung, dass die wechselnden Menschen und die Heranwachsenden, die an die Stelle der verschiedenen Vorfahren treten, unablässig zu Zucht und Ordnung zum Wohl der Allgemeinheit und zum Ideal des Frieden erzogen werden. Den Frieden schaffen bedeutet unter diesem Gesichtspunkt zum Frieden erziehen. Und das ist weder eine geringe noch eine leichte Aufgabe.
Wir wissen aber, dass sich nicht nur die Menschen auf dem Schauplatz der Geschichte ändern. Auch die Dinge ändern sich. Nämlich die Probleme, von deren ausgewogener Lösung das friedliche Zusammenleben der Menschen untereinander abhängt. Keiner kann behaupten, dass die bürgerliche Gesellschaft und das internationale Zusammenleben schon in einer vollkommenen Weise organisiert sind. Es bleiben möglicherweise immer noch viele, sehr viele Probleme offen. Die von gestern und die von heute. Morgen werden neue entstehen, und alle warten auf eine Lösung. Ihre Lösung, so möchten wir betonen, kann und darf niemals mehr durch gewalttätige Konflikte, die aus Egoismus entstehen, und noch viel weniger durch mörderische Kriege zwischen den Menschen herbeigeführt werden. So haben es gelehrte Männer gesagt, die die Geschichte der Völker und die wirtschaftlichen Zusammenhänge der Nationen studiert haben. Auch wir, machtlos gegenüber den Auseinandersetzungen der Welt, jedoch stark durch ein göttliches Wort, haben es ausgesprochen: Alle Menschen sind Brüder. Endlich scheint die gesamte Welt dieses Grundprinzip angenommen zu haben. Wenn also die Menschen Brüder sind, unter ihnen aber immer noch Konfliktursachen bestehen und sich solche noch bilden, so , ist es notwendig, dass der Friede wirksam und in kluger Weise verwirklicht werde. Den Frieden muss man schaffen, man muss ihn herbeiführen, man muss ihn erfinden, man muss ihn verwirklichen mit stets wachem Geist, mit immer neuen und unermüdlichen Willen. Wir sind deshalb alle von dem Grundsatz überzeugt, der der heutigen Gesellschaft die Erkenntnis vermittelt, dass der Friede weder einfach hingenommen noch aufgezwungen werden darf; er muss einfallsreich und vorausschauend gewirkt werden. Wir sind erfreut, dass diese Leitgedanken für das Gemeinschaftsleben in der Welt heute wenigstens im Prinzip allgemein angenommen sind. Wir möchten den verantwortlichen Männern und den Institutionen, die heute die Aufgabe haben, den Frieden auf Erden zu fördern, danken, sie loben und ermutigen, dass sie diesen Grundsatz als Ausgangspunkt für ihr Wirken gewählt haben: Nur der Friede selbst kann den Frieden erzeugen. Ihr Menschen alle, lasst uns die Botschaft des letzten Ökumenischen Konzils bis an die Grenzen der Erde als prophetisches Wort wiederholen: "Mit allen unseren Kräften müssen wir jene Zeit vorbereiten, in der auf der Basis einer Übereinkunft zwischen allen Nationen jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann ... Der Friede muss aus dem gegenseitigen Vertrauen der Völker erwachsen, statt den Nationen durch den Schrecken der Waffen auferlegt zu werden.
Die Staatsmänner, die das Gemeinwohl ihres eigenen Volkes zu verantworten und gleichzeitig das Wohl der gesamten Welt zu fördern haben, sind sehr abhängig von der öffentlichen Meinung und Einstellung der Massen. Nichts nützt ihnen ihr Bemühen, Frieden zu stiften, wenn Gefühle der Feindschaft, Verachtung, Misstrauen, Rassenhass und ideologische Verhärtung die Menschen trennen und zu Gegnern machen. Darum sind vor allem eine neue Erziehung und ein neuer Geist in der öffentlichen Meinung dringend notwendig.
Wer sich der Aufgabe der Erziehung, vor allem der Jugend, widmet und wer die öffentliche Meinung mitformt, soll es als seine schwere Pflicht ansehen, in allen eine neue Friedensgesinnung zu wecken.
Wir alle müssen uns wandeln in unserer Gesinnung und müssen die ganze Welt und jene Aufgaben in den Blick bekommen, die wir alle zusammen zum Fortschritt der Menschheit auf uns nehmen können" (Gaudium et spes, 82).
Darauf gerade zielt unsere Botschaft in ihrem eigentlichen und zentralen Anliegen, indem sie bekräftigt, dass der Friede soviel wert ist, wie er sich noch bevor er im Äußeren Wirklichkeit wird - im Innern zu verwirklichen strebt. Man muss den Geist sozusagen entwaffnen, wenn man den Rückgriff auf Waffen, die den Körper verwunden, wirksam verhindern will. Man muss dem Frieden, d. h. allen Menschen, die gemeinsame geistige Basis des Denkens und Liebens geben. Es genügt nicht, schreibt Augustinus, der Schöpfer einer neuen Stadt, es genügt nicht die Gleichheit in ihrer Natur, um die Menschen untereinander zu verbinden; man muss sie lehren, eine gleiche Sprache zu sprechen, d. h. sich zu verstehen, eine gemeinsame Kultur zu haben, dieselben Gefühle zu teilen; andernfalls "wird der Mensch es vorziehen, lieber mit seinem Hund zusammen zu sein als mit einem fremden Menschen" (vgl. Civ. Dei XIX, 7: PL 41, 634).
Diese Verinnerlichung des Friedens ist echter Humanismus, ist echte Zivilisation. Sie ist glücklicherweise bereits im Gange. Sie reift mit dem Fortschritt der Welt. Sie findet ihre Überzeugungskraft in dem weltweiten Ausmaß der vielfaltigen Beziehungen, die die Menschen unter sich herstellen. Es ist ein langwieriges und schwieriges Unterfangen, das sich aber aus vielen Gründen von selbst aufdrängt: die Welt schreitet auf ihre Einheit zu. Dennoch dürfen wir uns keine Illusionen machen. Während sich die friedliche Eintracht unter den Menschen ausbreitet - durch die fortschreitende Entdeckung der gegenseitigen Ergänzung und Abhängigkeit der Länder, durch wirtschaftlichen Austausch, durch die Verbreitung einer gleichen Sicht des Menschen, die jedoch stets den ursprünglichen Charakter und die Besonderheit der verschiedenen Kulturen achtet, ferner durch die Erleichterungen von Reisen und durch die sozialen Kommunikationsmittel usw. -, müssen wir feststellen, dass sich heute neue Formen von eifersüchtigem Nationalismus geltend machen, wobei man sich aus Gründen der Rasse, der Sprache und der Tradition in eigenbrötlerischer Weise abkapselt. Weiterhin gibt es überaus beklagenswerte Situationen von Elend und Hunger. Es entstehen mächtige multinationale Wirtschaftsgebilde, die voller egoistischer Gegensätze sind. In der Gesellschaft werden Ideologien wirksam, die andere ausschließen und beherrschen wollen. Mit beängstigender Leichtigkeit brechen territoriale Konflikte aus. Vor allem aber wachsen Zahl und Gewalt mörderischer Waffen von katastrophaler Zerstörungsmacht, wobei man dem Schrecken sogar den Namen Frieden gibt. Gewiss, die Welt geht auf ihre Einheit zu. Indes vermehren sich jedoch erschreckende Vermutungen, dass fatale Zusammenstöße leichter möglich werden und furchtbare Ausmaße annehmen können. Diese werden in gewisser Hinsicht sogar als unvermeidlich und notwendig angesehen, als ob sie von der Gerechtigkeit selbst gefordert würden. Wird also die Gerechtigkeit eines Tages nicht mehr die Schwester des Friedens, sondern des Krieges sein (vgl. Augustinus, ebd.)?
Wir spielen nicht mit Utopien, weder mit optimistischen noch mit pessimistischen. Wir wollen uns an die Wirklichkeit halten. Da weisen uns die Zeichen illusorischer Hoffnungen und beklagenswerter Verzweiflung erneut darauf hin, dass in der monumentalen Maschinerie unserer Zivilisation irgendetwas nicht gut funktioniert; sie könnte durch Mängel in ihrer Konstruktion zu einem unbeschreiblichen Weltbrand explodieren. Wir sprechen von Mängeln, nicht von gänzlichen Fehlern. Die Mängel liegen im Geistig-Religiösen, von dem wir jedoch zugeben, dass es in allgemeiner Form in der friedlichen Entwicklung der jetzigen Geschichte schon anwesend und wirksam ist und jede wohlwollende Anerkennung und Ermutigung verdient. Haben wir nicht selbst der UNESCO unseren Preis zuerkannt, der nach Papst Johannes XXIII., dem Autor der Enzyklika Pacem in terris, benannt ist?
Doch wagen wir zu sagen, dass es noch mehr zu tun gilt. Man muss das Geistig-Religiöse so aufwerten und zur Geltung bringen, dass es gelingt, nicht nur Konflikte unter den Menschen zu verhindern, sie für den Frieden und eine geordnete Zivilisation bereit zu machen, sondern die Menschen miteinander zu versöhnen, d. h. den Frieden herbeizuführen. Es genügt nicht, die Kriege einzudämmen, Kämpfe einzustellen, Feuerpausen und Waffenstillstand aufzuzwingen, Grenzen und Beziehungen zu regeln, Bereiche gemeinsamer Interessen zu schaffen; es genügt nicht, die Möglichkeit radikaler Auseinandersetzungen durch den Schrecken vor unerhörten Zerstörungen und Leiden zu bannen. Es genügt kein aufgezwungener Friede, kein zweckbedingter und provisorischer Friede. Wir müssen nach einem Frieden trachten, der geliebt wird, frei und brüderlich ist, d. h. in der Versöhnung der Menschen gründet. Wir wissen, dass es schwierig ist; schwieriger als jedes andere Bemühen. Aber es ist nicht unmöglich und auch nicht illusorisch. Wir haben Vertrauen in die grundsätzliche Güte der Menschen und der Völker: Gott hat nämlich die Geschöpfe zum Heil befähigt (vgl. Weish 1,14). Das umsichtige und stete Bemühen um die gegenseitige Verständigung unter den Menschen, sozialen Schichten, Staaten, Völkern und Kulturen bleibt nicht ohne Frucht. Wir freuen uns - besonders jetzt vor dem Internationalen Jahr der Frau, das von den Vereinten Nationen ausgerufen wurde - über die immer stärkere Beteiligung der Frauen am Leben der Gesellschaft, zu der sie dank der ihnen von Gott gegebenen Eigenschaften einen spezifischen Beitrag von großem Wert leisten. Intuition, schöpferische Veranlagung, Einfühlungsvermögen, Sinn für Frömmigkeit und Mitempfinden, eine große Fähigkeit zum Verstehen und Lieben - das ermöglicht es den Frauen, in ganz besonderer Weise die Vermittler der Versöhnung in den Familien und in der Gesellschaft zu sein. Ebenso bereitet es uns besondere Freude, feststellen zu können, dass die Erziehung der Jugend zu einem neuen, weltweiten Gespür für die menschliche Gemeinschaft, zu einer Geisteshaltung, die weder Skepsis noch Feigheit oder Untauglichkeit mit sich bringt und auch die Gerechtigkeit nicht vergisst, sondern von Hochherzigkeit und Liebe bestimmt ist, schon begonnen hat und weiter voranschreitet. Sie besitzt ungeahnte Schätze für die Versöhnung und vermag den Weg zu einem Frieden in Wahrheit, Ehrenhaftigkeit, Gerechtigkeit und Liebe, der deshalb gefestigt ist, auch in der neuen Geschichte der Menschheit zu zeigen. Versöhnung! Denkt ihr daran, ihr Jugendlichen, Menschen, die ihr Einfluss ausübt und Verantwortung tragt, die ihr frei und von Hochherzigkeit beseelt seid? Könnte dieses magische Wort nicht auch in den Wortschatz eurer Hoffnungen und eurer Erfolge Eingang finden? Dies also ist unsere zuversichtliche Botschaft für euch: Die Versöhnung ist der Weg zum Frieden! Für euch, Söhne und Töchter der Kirche! Brüder im Bischofsamt, Priester und Ordensleute, für euch, die ihr dem Laienstand angehört und euch für die Sache der Kirche einsetzt, sowie für alle Gläubigen! Die Botschaft über die Versöhnung als Weg zum Frieden verlangt noch eine Ergänzung, auch wenn diese euch schon geläufig ist. Sie dient nicht nur zur Vervollständigung, sondern ist ein wesentlicher Teil unserer Botschaft, wie ihr wißt. Denn sie ruft euch allen in Erinnerung, dass die erste, unverzichtbare Versöhnung, die es zu erlangen gilt, jene mit Gott ist. Für uns Gläubige kann es keinen anderen Weg zum Frieden geben als diesen. In der Bestimmung dessen, was unser Heil ist, fallen vielmehr die Versöhnung mit Gott und unser eigener Friede zusammen; die eine ist die Ursache der anderen. Dies hat Christus bewirkt. Er hat die Trennung aufgehoben, welche die Sünde in unseren lebenswichtigen Beziehungen mit Gott immer wieder verursacht. Wir erinnern unter den vielen diesbezüglichen Worten des hl. Paulus nur an dies eine: "Das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt hat" (2 Kor 5, 18).
Das Heilige Jahr, das wir soeben beginnen, möchte uns wieder neu zu dieser ersten und glückseligen Versöhnung aufrufen: Christus ist unser Friede; er ist der Urheber für unsere Versöhnung in der Einheit seines mystischen Leibes (vgl. Eph 2, 14-16). Wir würden zehn Jahre nach Abschluss des II. Vatikanischen Konzils gut daran tun, den theologischen und ekklesiologischen Gehalt dieser Grundwahrheiten unseres Glaubens und unseres christlichen Lebens gründlich zu überdenken.
Daraus ergibt sich eine logische und verpflichtende Konsequenz, die zugleich auch einfach ist, wenn wir wirklich in Christus sind: wir müssen das Gespür für unsere Einheit vervollkommnen; für die Einheit in der Kirche und für die Einheit der Kirche; die erste ist die mystische und konstitutive Gemeinschaft (vgl. 1 Kor 1, 10; 12, 12-27); die zweite ist die ökumenische Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen (vgl. Unitatis redintegratio). Beide erfordern eine ihnen je eigene Versöhnung, die der gesamten christlichen Gemeinschaft jenen Frieden vermitteln soll, der eine Frucht des Geistes ist, die seiner Liebe und seiner Freude folgt (vgl.Gal 5, 5,22). Auch in diesen Bereichen müssen wir "Frieden machen!" Euch wird sicherlich unser "Apostolisches Schreiben über die Versöhnung innerhalb der Kirche" erreichen, das in diesen Tagen veröffentlicht worden ist. Wir bitten euch inständig im Namen Jesu Christi, dieses Dokument zu überdenken und daraus Vorsätze zur Versöhnung und zum Frieden zu ziehen. Möge keiner meinen, diese unbeugsamen Forderungen der Gemeinschaft mit Christus, Versöhnung und Frieden, missachten zu dürfen, indem er sich auf verbreitete Haltungen des Widerspruchs gegen seine Kirche zurückzieht, sorgen wir im Gegenteil dafür, dass alle gemeinsam und jeder einzelne für sich zu der kindlich-vertrauensvollen, bescheidenen und positiven Auferbauung dieser ihrer Kirche einen neuen und loyalen Beitrag leisten. Erinnern wir uns etwa nicht der letzten Worte des Herrn zur Verteidigung seines Evangeliums: "Lass sie vollkommen eins sein, damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast" (Joh 17, 23)? Werden wir wohl die Freude haben, die fernseienden Brüder, die nach wie vor geliebt sind, zur früheren unbeschwerten Eintracht zurückkehren zu sehen?
Wir müssen beten, dass dieses Heilige Jahr der Katholischen Kirche die unaussprechliche Hoffnung auf die Wiederherstellung der Einheit mit verschiedenen Gruppen von Brüdern gebe, die schon so nahe bei dem einen Schafstall sind, jedoch noch zögern, die Schwelle zu überschreiten. Wir werden auch für diejenigen beten, die treuen Glaubens anderen Religionen angehören, auf dass sich der freundschaftliche Dialog, den wir mit ihnen begonnen haben, weiterentwickele und wir gemeinsam für den Weltfrieden zusammenarbeiten können.
Vor allem aber müssen wir für uns selbst von Gott die Demut und die Liebe erbitten, um dem lauteren und beständigen Bekenntnis unseres Glaubens die Anziehungskraft der Versöhnung und das bestärkende und frohe Charisma des Friedens zu geben.
Mit unserem Segensgruß möge "der Friede Gottes, der alle Vernunft übersteigt, euer Herz und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren" (Phil 4, 7).
31. Papst Paul VI.: Ansprache an das Diplomatische Korps am 11. Januar 1975
AAS 67 (1975) 97-103
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Die Botschaft der Versöhnung, die die Katholische Kirche in diesem Heiligen Jahr an die Menschheit richtete, scheint uns in der Tat für die internationale Gemeinschaft nicht weniger von Bedeutung zu sein als für die Völker, die in den verschiedenen nationalen Gemeinschaften zusammenleben, und die Gruppen, in die sie sich unterteilen.
Exzellenzen und sehr geehrte Herren! Unser Blick richtet sich heute mit wachsender Sorge auf die Entwicklung einer Weltsituation, die sich - wie es auch anderen scheint - zunehmend verschlechtert, weshalb man bereits von einem Übergang von der "Nachkriegs-" zu einer "Vorkriegsphase" spricht.
Falls das der Wirklichkeit entsprechen sollte, brauche ich vor Ihnen, den Experten in diesen Problemen, nicht deren beängstigende Tragweite hervorzuheben.
Gab es nicht schon bisher eine Art Gemeinsamkeit in der pessimistischen Beurteilung dessen, was für die Welt der Ausbruch eines Konfliktes bedeuten könnte? Wenn dieser nicht räumlich begrenzt bleibt, was für die betroffenen Opfer immer noch schmerzlich genug ist, würde er fast unvermeidlich zu einem Atomkrieg ausarten. Dieser "Schrecken", den man mühsam in einer Art "Gleichgewicht" zu halten versucht, ist und wird allgemein als die wichtigste, wenn nicht sogar einzige Garantie gegen derlei Abenteuer angesehen. Diese scheinen sogar denjenigen als zu gewagt, die sich für stark genug halten könnten, den Gegner zu überwinden und erfolgreich aus dem Konflikt hervorzugehen.
Der Hl. Stuhl hat sich, wie Sie wissen, über die Formel vom "Gleichgewicht des Schreckens" als Mittel zur Erhaltung des Friedens nie begeistert gezeigt. Ohne die praktischen, wenn auch im Grunde nur negativen Vorteile zu verkennen, die eine solche Formel für eine bestimmte Zeit zu bieten vermag, ist sie dem Apostolischen Stuhl stets zu weit entfernt von jenem sittlichen Fundament erschienen, auf dem der Friede allein gedeihen kann. Sie ist zu kostspielig schon durch den ständigen Rüstungswettlauf; zu kostspielig, sagten wir, bezüglich der Mittel und Energien, die hingegen für ganz andere Ziele, für das Wohl und den Fortschritt aller Völker eingesetzt werden müssten. Gleichzeitig lenkt sie von der Bereitschaft zur Eintracht und zum gegenseitigen Verständnis ab. Sie schützt nicht genügend vor Herrschsucht und Gewalt, die die Ursachen so vieler Spannungen und Konflikte bilden, auch wenn sie in berechtigter Notwehr hervorgerufen wird oder durch eine Abwehrreaktion in falscher Einschätzung der Gefahr.
Diese Zerbrechlichkeit der gegenwärtigen Situation wird leider von all dem bestätigt, auf das wir oben hingewiesen haben.
Unser traditioneller Wunsch zum Jahresbeginn, der noch vom Licht des Weihnachtsfestes überstrahlt ist und sich gleichsam spontan ergibt durch die Anwesenheit einer so erlesenen Personengruppe, deren spezifische Aufgabe es gerade ist, Missverständnissen oder Konflikten zuvorzukommen und sie zu lösen sowie gute oder wenigstens korrekte Beziehungen zwischen den Staaten zu gewährleisten, ist in diesem Jahr noch lebhafter, noch eindringlicher, ja geradezu flehentlich.
Es ist ein Flehruf zu Gott, dem Urheber des Friedens; aber auch an die Menschen, vor allem an jene, die sich mit mehr Möglichkeiten und deshalb auch mit größerer Verantwortung auf diesem Gebiet einsetzen können.
Der Stimme der Gewalt, die immer noch ihre eigenen Vernunftgründe für eine gewaltsame oder wenigstens aufgenötigte Lösung der verwickelten Interessen und Rechte zur Geltung zu bringen versucht, die sich seit dem Ende des letzten Weltkrieges wiedergebildet haben und immer komplizierter werden, muss unermüdlich die kraftvolle und gelassene Stimme der Vernunft entgegengestellt werden. Jene Stimme, die die besondere Funktion und Sendung der umsichtigen und weisen Diplomatie nicht durch die Hinterlist anderer einschüchtern oder durch Misstrauen schwächen lassen darf, auf dass sie nicht eines Tages plötzlich vom Lärm der Waffen erstickt wird.
In der Tat, die Welt bedarf - heute vielleicht mehr als in den vergangenen Jahren - der mutigen und beständigen Bemühungen einer geschickten Diplomatie, die den Frieden in seiner ganzen Dimension, in seinen Ursachen und Bedingungen, die ihn möglich und sicher machen, zu sichern trachtet. Deshalb möchten wir all denen unsere Anerkennung aussprechen, die sich in diesem Sinn bereits einsetzen. Diesen "Bauleuten des Friedens" sind wir schon öfter begegnet und konnten ihnen, wie erst kürzlich, noch persönlich danken. Wir ermutigen sie, angesichts der Schwierigkeiten nicht die Zuversicht zu verlieren, sondern ihre Bemühungen mit zähem Einsatz, mit Ausdauer, mit Klugheit und Umsicht noch zu verstärken, indem sie stets den menschlichen Forderungen der Gerechtigkeit Rechnung tragen, die das Fundament jedes wahren und beständigen Friedens ist. Gleichzeitig wollen wir sie auch der Entschlossenheit dieses Apostolischen Stuhles versichern, für die Sache und die Anliegen des Friedens nicht nur seine moralische Unterstützung, sondern auch jede konkrete Hilfe anzubieten, die ihm möglich ist.
Darin, so glauben wir, liegen der tiefere Sinn und die Bedeutung der Tatsache begründet, dass der Hl. Stuhl fast weltweit als Glied der internationalen Gemeinschaft anerkannt und gehört wird. Ferner sehen wir darin auch eines der wesentlichen Ziele der diplomatischen Beziehungen, die der Hl. Stuhl mit einer immer größeren Zahl von Staaten unterhält und noch weiter aufnimmt.
Wir möchten überdies die jetzige Gelegenheit dazu benutzen, um noch einige Überlegungen über die sogenannte "Diplomatie des Hl. Stuhls" vorzutragen, wie wir es schon bei anderen Anlässen tun konnten.
Sie ist nicht vom Wunsch nach menschlichem Prestige oder nach Einmischung in Angelegenheiten bestimmt, die der Natur der Katholischen Kirche fremd sind. Sie ist deshalb auch nicht Ausdruck einer unbiblischen Haltung. Sie steht nicht in Widerspruch zum Missionsauftrag der Kirche; noch weniger kann sie darauf ausgerichtet sein, dieser ihrer Sendung Schwierigkeiten oder Hindernisse zu bereiten.
Erste und grundlegende Zielsetzung solcher Diplomatie besteht vielmehr gerade darin, der Kirche überall und in jeder geschichtlichen, politischen oder sozialen Situation den ihr zustehenden rechtmäßigen Freiheits- und Lebensraum zu sichern, auch wenn dies nicht immer leicht ist und nicht immer in angemessener Weise geschätzt wird. Erste und wesentliche Eigenschaft, die man von allen zu einem solchen Dienst Berufenen fordert, ist ein fester Glaube, vereint mit dem Entschluss, auf diese Weise treu und selbstlos der Kirche zu dienen.
Aber dieser Dienst für die Kirche berührt auch die Interessen der staatlichen Gesellschaft. Einmal in Bezug auf den "religiösen Frieden", auf den er hinarbeitet, für eine gebührende Anerkennung der Rechte der Religion unter gleichzeitiger Respektierung der rechtmäßigen Kompetenzen und der hohen und notwendigen Zielsetzungen des Staates. Dann aber auch bezüglich der Garantie für eine geordnete Entfaltung der Tätigkeit der Kirche, die auf die Heranbildung der Bürger zu staatlichem und moralischem Empfinden, zu friedlichem Zusammenleben und zu einem gemeinsamen Einsatz für einen gerechten Fortschritt der staatlichen Gemeinschaft ausgerichtet ist.
Eine weitere Aufgabe sehen der Hl. Stuhl und seine Diplomatie in besonderer Weise als die ihre an. Es ist jene, die die "Menschenrechte" betrifft, die von den Staaten und den übernationalen Organisationen bereits angenommen sind und zu denen sie sich bekennen. Zu ihrer Respektierung und immer besseren Förderung bietet die Katholische Kirche ihre Mitarbeit an, eine Mitarbeit, die sich an der Treue zu ihrer Lehre ausrichtet und um so wertvoller wird durch die Universalität ihrer Präsenz und ihres HandeIns. Auf dem Schauplatz der Welt von heute will der Hl. Stuhl einen modernen und friedliebenden Beitrag zum internationalen Leben liefern - treu gegenüber den eigenen Prinzipien, aber gleichzeitig auch loyal gegenüber den anderen Mitgliedern der Völkergemeinschaft, auch dann, wenn bezüglich mancher entscheidender Probleme die jeweiligen Auffassungen nicht vollkommen übereinstimmen.
Seine Diplomatie möchte tatkräftig den immer neuen und verwickelteren Problemen begegnen, mit denen sie konfrontiert wird, wie z. B. das Bevölkerungsproblem, der Hunger, die Umweltverschmutzung, und das in einem Geiste der Gerechtigkeit und der Zusammenarbeit, nicht aber der Konkurrenz oder, was noch schlimmer wäre, der Unterdrückung.
Mit anderen Worten, der Hl. Stuhl will sich entschlossen dafür einsetzen, dass Solidarität und Brüderlichkeit an die Stelle jener geistigen Haltung treten, die sich immer wieder durchzusetzen versucht und eine ständige Bedrohung für das friedliche Zusammenleben der Völker bedeutet, nämlich des Egoismus der Nationen, der Gruppen, der Rassen oder der Kultur. Anders ausgedrückt, und um auf den symbolischen Hinweis zurückzukommen, der aus den Worten Ihres Sprechers hervorging: der Hl. Stuhl will Menschen und Völker dazu bewegen, sich nicht in sich selbst zu isolieren und ausschließlich auf ihre eigenen Interessen zu sehen, sondern die Tore des Verstehens und der Herzen zu öffnen für die Rechte, für die Bedürfnisse, für die rechtmäßigen und berechtigten Erwartungen und Bestrebungen der anderen; aller anderen, auch jener, die ihm entfernter sind, oder die wegen ihrer Schwäche nicht die Möglichkeit haben, ihren Forderungen durch Drohungen Nachdruck zu verleihen.
Wir möchten daher unseren eindringlichen Aufruf für ein rechtzeitiges und Erfolg verheißendes Eintreten für den Frieden nicht allein auf jene Gebiete der Welt beschränken, in denen die Gefahren für eine Ausweitung des Konflikts besonders groß sind und sogar die Großmächte und ihre Verbündeten einzubeziehen drohen. Wir denken hier an den Vorderen Orient, auf den wir so oft in unseren Ansprachen immer wieder hinweisen, wie auch auf die neuen und drohenderen Komplikationen, die durch den sogenannten "Krieg um die Energiequellen" verursacht werden. Wir wiederholen unseren eindringlichen Appell, die so schwierigen Probleme nicht nur mit politischer Klugheit und Weitsicht, sondern im Geiste der Gerechtigkeit und der Beobachtung der Normen des Völkerrechts zu lösen.
Auch in anderen Gebieten der Welt gibt es keinen Frieden, dort, wo die Bevölkerung dauernd unter dem Schrecken des Krieges oder der Armut, des Hungers und des Elends leidet. Ihnen steht die Gleichgültigkeit oder zumindest Teilnahmslosigkeit einer öffentlichen Meinung, die müde oder abgelenkt ist durch andere Sorgen, gegenüber. Deshalb möchten wir uns ihren flehenden Ruf nach Frieden und Gerechtigkeit zu eigen machen. Unsere Gedanken gehen in besonderer Weise nach Vietnam - das so lange Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Welt stand - und nach Kambodscha, denen in diesen Tagen das Wiederaufflackern noch nicht erloschener Herde von Feindseligkeiten und Guerilla droht. Dadurch gerät das Gleichgewicht in Gefahr, das auch dort unsicher geblieben ist, wo ausdrückliche Verträge alle verantwortlichen Parteien zu einer stufenweisen Normalisierung der Situation verpflichtet hatten, die allzu lange erschüttert war. Möge es nicht zutreffen, dass das Gewissen der zivilisierten Welt eine Tragödie vergesse oder ihr interesselos gegenüberstehe, die durch ihre lange Dauer nichts an ihrem Schmerz verliert.
Mögen sich auch innerhalb der einzelnen Völker die Tore der Verständigung und der Liebe weit auftun, dort, wo Konfliktsituationen vorhanden sind oder nicht selten auch blutige Spannungen geschürt werden durch Vergeltungsschläge, Aufruhr und Unterdrückung.
Möge der Aufruf alle zum ernsten Nachdenken darüber veranlassen, dass wir auch bei entgegengesetzten Standpunkten und Interessen niemals die Achtung vergessen dürfen, die wir den Grundrechten und der Würde des Menschen schulden, selbst dem Gegner, ja sogar - mit der gebotenen Vorsicht - dem Schuldigen gegenüber.
Diese unsere Ansprache kann nicht schließen ohne ein klares Bekenntnis zum Optimismus. Zu jenem christlichen Optimismus, der dem Vertrauen auf das segenbringende Wirken der göttlichen Vorsehung entspringt, die die Geschichte leitet. Ihr bringen wir im Gebet die Wünsche der gesamten Menschheit dar, ihre Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, nach einem unbeschwerten Leben, nach Wohlergehen, nach moralischem, kulturellem und sozialem Fortschritt, wie ihn jedes Mitglied der großen Menschheitsfamilie erstrebt. Wir bekennen uns auch zu jenem menschlichen Optimismus, der an die Möglichkeiten und das zutiefst Gute im Menschen glaubt, an den Willen des Menschen, durch die Zusammenarbeit aller den Traum eines menschenwürdigen Lebens auf dieser Erde zu verwirklichen.
Vielleicht handelt es sich mehr um eine Hoffnung als um eine Vorausschau. Es ist ein Wunsch. Der Wunsch, den wir durch Ihre Vermittlung der Gesamtheit der Völker zum Ausdruck bringen und dem wir jene weiteren anfügen, die wir für jeden von Ihnen und für Ihre hohe Aufgabe hegen. Der allmächtige Gott erhöre Sie!
32. Papst Paul VI.: Schreiben an Erzbischof Casaroli, Sonderdelegierter bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki, vom 25. Juli 1975
AAS 67 (1975) 477-480
Im Juni 1973 haben wir uns zur Förderung einer Initiative entschlossen, die dem unschätzbaren und so sehr herbeigewünschten Gut des Friedens zu dienen bestimmt war. Sie erschien uns von großer Bedeutung nicht nur für die Völker Europas, sondern für die ganze Völkerfamilie. Ganz in diesem Geiste haben wir die an den Hl. Stuhl ergangene Einladung angenommen, in den ihm eigenen Formen an der Konferenz unmittelbar teilzunehmen, die sich mit der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beschäftigen sollte und ihre erste Sitzungsperiode im Juli 1973 in Helsinki abhielt. Nach den arbeitsreichen Verhandlungen in Genf, die fast zwei Jahre gedauert haben, steht jetzt die Schlussphase bevor, in der das Schlussdokument von den höchsten Vertretern der Staaten unterzeichnet wird. Diese werden sich vom 30. Juli bis zum 1. August in Helsinki versammeln. Wir haben uns entschlossen, Sie als unseren Sonderdelegierten zu der Konferenz zu entsenden.
Wir bitten Sie gleichzeitig, unsere herzlichen Grüße und unsere guten Wünsche all jenen hohen Persönlichkeiten auszurichten, die ihre Länder auf der Konferenz vertreten, aber auch anderen hochgestellten Mitgliedern der jeweiligen Delegationen. Sagen Sie ihnen, dass wir der geleisteten Arbeit großen Respekt entgegenbringen, dass wir für sie beten und mit den Erwartungen, die die Konferenz verständlicherweise geweckt hat, unsere besten Wünsche verbinden. Man kann sagen, dass diese Konferenz an einem Wendepunkt in der tausendjährigen Geschichte des europäischen Kontinents stattfindet, einer Geschichte von einzigartigem Charakter, sei es wegen der erstaunlichen Fülle an Reichtümern des menschlichen Geistes, sei es wegen der Dichte bedeutender Ereignisse.
Auf dem Gipfel dieser langen und oft leidvollen Geschichte besitzt Europa aufgrund der Vielfalt dessen, was jedes Volk dieses Kontinents mit der ihm jeweils eigenen Begabung beigetragen hat, ein ideales gemeinsames Erbe. Es gründet sich wesentlich auf die christliche Botschaft, die all seinen Völkern verkündet und von ihnen aufgenommen wurde. Sie umfasst über die heiligen Werte des Glaubens an Gott und der Unverletzlichkeit des Gewissens hinaus die Werte der Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, der Würde des Denkens, das sich der Suche nach der Wahrheit widmet, der Gerechtigkeit für den einzelnen und die Gemeinschaft, des Rechtes endlich als Verhaltensnorm bei den Beziehungen zwischen den Bürgern, den Institutionen und den Staaten.
Wir schauen auf dieses einzigartige und unzerstörbare Erbe gern wie auf einen Friedensquell, gerade jetzt, wo die hervorragenden Vertreter der Staaten Europas, der USA und Kanadas Seite an Seite im schönen Finnland sich begegnen wollen.
Wir haben die tragische Erfahrung zweier schrecklicher Kriege hinter uns, die im Verlauf von dreißig Jahren in Europa begannen, wie in einem gewaltigen Brand viele Millionen Opfer gekostet und weite blühende Gebiete verwüstet haben, um in den brudermörderischen Auseinandersetzungen schließlich auch noch viele nicht-europäische Völker zu erfassen. Jetzt aber wollen die Vertreter der Völker eine Ordnung aufbauen, die sich auf die klaren und festen Grundsätze des internationalen Rechtes gründet und Europa - und die Welt - vor drohenden neuen Erfahrungen mit Zerstörung und Tod, die noch sehr viel schrecklicher wären als je zuvor, bewahren soll. Sie wollen zugleich eine größere Zusammenarbeit auf den verschiedenen Gebieten menschlichen Schaffens einleiten und dafür begrenzte, aber konkrete Maßnahmen treffen. Sie hoffen, dass eine solche Zusammenarbeit den Frieden sicherer macht und so zu einem gesteigerten und intensiveren Austausch jener Werte beitragen wird, die die geistige Kraft Europas ausmachen.
Das Papsttum ist in seiner religiösen Sendung zwar wesentlich auf die ganze Welt hin geöffnet, es hat aber seinen Sitz in Europa. Daher ist es mit der Geschichte dieses Kontinents auch enger verbunden, und sein brennender Wunsch ist mehr als verständlich, es möge in treuer Einhaltung der unterzeichneten Verpflichtungen bald zu verheißungsvollen und greifbaren Früchten kommen. Die Anerkennung der Wechselbeziehungen der Sicherheit zwischen den verschiedenen Staaten gründet sich auf die feierlichen Beschlüsse: Verzicht auf Anwendung von Gewalt oder Drohung damit, Beilegung der Differenzen auf friedliche Weise und ehrliche Einhaltung internationaler Verpflichtungen; die Entschlossenheit, korrekte und freundschaftliche gegenseitige Beziehungen zu entwickeln, die sich auf Achtung vor der legitimen Souveränität und den Rechten gründet, die jedem Land zugleich mit seiner menschlichen, politischen, kulturellen und sozialen Wirklichkeit zuzuerkennen sind; ferner die Achtung vor der Selbstbestimmung eines jeden Volkes; das gemeinsame Interesse an einer weiteren Entwicklung der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem, technischem, sozialem, kulturellem und humanitärem Gebiet; dies alles sollte schon von sich aus genügen, um die große, heikle und schwierige Aufgabe aufzuzeigen, die der Politik der teilnehmenden Staaten gestellt ist.
Wir sprechen von Staaten, weil diese die entsprechenden Rechtssubjekte internationalen Beziehungen sind. Uns geht es jedoch mehr um Völker, die ja die lebendige Wirklichkeit der Staaten ausmachen, ihr Sein und sind und das Motiv ihres Handeins abgeben. Diese Völker mit unterschiedlichen Sprachen und Überlieferungen, die Europa mehr einen als trennen, blicken mit erwartungsvoller Aufmerksamkeit auf die feierliche Erklärungen, die man unterzeichnen wird. Hunderte Millionen von Menschen, Männern und Frauen, junge und alte, möchten untereinander immer unbeschwerter, freier und menschlicher leben, man kann auch sagen, sie möchten sich des Friedens in Gerechtigkeit erfreuen. Sie wünschen, sich durch eine Sicherheitsgarantie für jeden Staat bestätigt zu sehen, aber sie fühlen sich auch ermutigt durch die Bekräftigung der legitimen Rechte und fundamentalen Freiheiten der Menschen. Es ist eine Genugtuung für den Hl. Stuhl, unter diesen Rechten die Religionsfreiheit besonders betont zu sehen, während er mit nicht minderem Interesse die Möglichkeiten für den Schutz menschlicher Werte und menschliche Entfaltung verfolgt, die sich hieraus für einzelne, Gemeinschaften, wandernde Menschen, Volksgruppen, nationale Minderheiten und schließlich für Bevölkerungen ganzer Gebiete ergeben.
Mit Recht hat man besonders die Möglichkeit berücksichtigt, Kontakt zwischen Personen und Institutionen oder Organen zu erleichtern. Möge all diejenigen, die sich jetzt in noch größerer Freiheit in den verschiedenen Ländern Europas begegnen, immer mehr Botschafter lebendiger und überzeugender Freundschaft und des Friedens sein, Symbole und Garanten zugleich für Frieden und Freundschaft zwischen ihren Ländern!
Es geht sowohl um den Frieden in Europa als auch um den Frieden zwischen Europa und der ganzen Welt. Wenn sie ihre historische und gegenwärtige Verantwortung berücksichtigen, die sie derzeit im internationalen Rahmen haben, zeigen die Länder Europas, und mit ihnen die USA und Kanada, dass sie sich des engen Bandes bewusst sind, das zwischen Frieden und Sicherheit in Europa und dem der Welt besteht, zumal wenn man den Mittelmeerraum betrachtet. Sie bekräftigen erneut ihre Entschlossenheit, zur Lösung der großen Probleme der Wechselbeziehungen und der Zusammenarbeit, die das Leben der internationalen Gemeinschaft betreffen, im Geist echter Solidarität beizutragen.
Dies sind die Hoffnungen und Wünsche, die wir im Namen Gottes und kraft des von Herzen kommenden Wunsches nach Frieden und Versöhnung unter allen Völkern aussprechen wollen.
33. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1976 vom 18. Oktober 1975
AAS 67 (1975) 666-671
Wir wagen es, uns mit gebührendem Respekt auch in diesem Jahr 1976 wie in den vorhergehenden Jahren wieder mit unserer Friedensbotschaft an Sie zu wenden.
Sie beginnt mit einer Einladung, die Sie bereitwillig anhören mögen, freundlich und geduldig, denn das große Anliegen des Friedens verdient Ihr aufmerksames Ohr und Ihr Nachdenken, auch wenn es scheinen mag, dass unsere Stimme zu diesem Thema, das am Beginn jedes neuen Jahres wiederkehrt, sich wiederholt; und auch wenn Sie auf Grund Ihrer Studien und vielleicht noch mehr Ihrer Erfahrungen schon alles über den Frieden in der Welt zu wissen glauben.
Vielleicht kann es für Sie dennoch von einigem Interesse sein, zu erfahren, welches unsere spontanen Empfindungen sind, die sich aus der unmittelbaren Erfahrung des geschichtlichen Geschehens, in das wir alle hineingestellt sind, bei diesem unerbittlichen Thema des Friedens ergeben.
Unsere ersten Empfindungen sind hier zwei, wobei die eine zur anderen im Gegensatz steht. Wir sehen vor allem mit Freude und Hoffnung, dass die Idee des Friedens sich weiter verbreitet. Sie gewinnt an Bedeutung und Raum im Bewusstsein der Menschheit. Mit ihr entwickeln sich auch die Strukturen einer Friedensordnung; es mehren sich die akademischen Veranstaltungen, die verantwortungsbewusst zu seiner Förderung durchgeführt werden; die Lebensgewohnheiten entfalten sich im Sinne des Friedens: Reisen, Kongresse, Tagungen, Gedankenaustausch, Studien, Freundschaften, Zusammenarbeit, Hilfeleistungen ... Der Frieden gewinnt an Boden. Die Konferenz von Helsinki im Juli und August 1975 ist ein Ereignis, das in dieser Hinsicht hoffen lässt.
Doch sehen wir leider zur gleichen Zeit Phänomene sich weiter behaupten, die dem Sinn und Ziel des Friedens entgegengesetzt sind. Auch diese Phänomene nehmen zu, wenn auch oft im verborgenen. Die klaren Symptome beginnender oder künftiger Konflikte sind aber nicht zu übersehen. So erwacht zum Beispiel mit dem Nationalgefühl, einem berechtigten und durchaus begrüßenswerten Ausdruck einer vielgestaltigen Volksgemeinschaft, der Nationalismus. Indem dieser das Nationalgefühl bis zu Formen eines kollektiven Egoismus und eines ausschließlichen kollektiven Gegensatzes übersteigert, lässt er im Bewusstsein gefährliche und sogar schreckliche Keime gegenseitiger Rivalität und durchaus wahrscheinlicher Streitigkeiten wieder aufleben.
Es wächst über alle Maßen - was einen allein schon vor Furcht erzittern lässt - bei vielen einzelnen Nationen das Waffenarsenal jeglicher Art. Wir haben den begründeten Verdacht, dass der Waffenhandel auf den internationalen Märkten oft Rekordhöhen erreicht. Und das unter dem geradezu besessen vorgetragenen Vorwand, dass die Verteidigung, auch wenn sie als rein hypothetisch und potentiell gedacht wird, einen zunehmenden Rüstungswettlauf erfordere, da allein durch das Gleichgewicht der Waffen auf beiden Seiten der Friede gesichert sei.
Diese Aufzählung der negativen Faktoren, die die Stabilität des Friedens untergraben, ist nicht vollständig. Können wir eine Welt friedlich nennen, die durch unversöhnliche Ideologien mit mächtigen und fanatisch geführten Organisationen zutiefst gespalten ist, wo die Völker selber sich teilen und, falls ihnen dazu Freiheit gewährt wird, sich noch weiter in ihrem Inneren in Fraktionen und Parteien aufspalten, die den Seinsgrund für ihre Existenz und ihre Tätigkeit darin finden, ihre Anhänger mit unversöhnlichem Hass und systematischem Kampfwillen innerhalb derselben sozialen Schicht zu vergiften? Das scheinbar Normale solcher politischen Situationen macht sie doch nicht weniger gespannt, denn jeder hält die eiserne Faust bereit, um im gleichen Augenblick den Gegner zu vernichten, wo dieser ein Zeichen verhängnisvoller Schwäche verrät. Ist das Frieden? Ist das noch Kultur? Bedeutet Volk nur ein Agglomerat von Bürgern, die sich bis zu den extremsten Konsequenzen feindlich gegenüberstehen?
Und wo ist der Frieden an den Brandherden der bewaffneten Konflikte oder dort, wo er gerade noch gewahrt wird, nur weil man zu noch gewaltsameren Explosionen keine Möglichkeit hat? Wir verfolgen mit Bewunderung die Anstrengungen, mit denen man sich zur Zeit darum bemüht, diese Konfliktherde und Zentren der Guerillatätigkeit zu beseitigen, die seit Jahren das Antlitz der Erde entstellen, sich jeden Augenblick in gigantischen Kämpfen zu entladen und so ganze Kontinente, Rassen, Religionen und Sozialsysteme zu erfassen drohen. Wir können aber auch nicht die Brüchigkeit eines Friedens übersehen, der nur ein Waffenstillstand vor bereits sich abzeichnenden künftigen Konflikten ist, d. h. ein Zustand der Ruhe, der nur mit leeren Worten, die man sich heuchlerisch gegenseitig abnimmt, als friedlich bezeichnet werden kann.
Der Frieden ist, wie wir zugeben, in der geschichtlichen Wirklichkeit das Werk einer beständigen Therapie. Seine Gesundheit ist von Natur aus heikel, denn sie bedeutet die Herstellung von Beziehungen zwischen tatsächlich dem Machtrausch verfallenen, unbeständigen Menschen. Sie erfordert ständiges und umsichtiges Mühen jener höheren schöpferischen Phantasie, die wir Diplomatie, internationale Ordnung, Dynamik der Verhandlungen nennen. Armer Friede! Was sind denn deine Waffen? Die Furcht vor unerhörten und verhängnisvollen Weltbränden, die die Menschheit dezimieren, ja fast völlig vernichten könnten? Die Resignation angesichts geschehener Unterdrückung wie Kolonialismus, Imperialismus oder Revolution, die nicht mehr nur plötzlich Gewalt anwendet, sondern darin unersättlich beständig geworden ist und sich in schrecklicher Weise am Leben erhält? Die Präventiv- und Geheimwaffen? Eine kapitalistische, d. h. egoistische Organisation der Wirtschaft, die durch den Hunger dazu gezwungen wird, sich zu mäßigen und ruhig zu verhalten? Der narzißtische Zauber einer geschichtlich gewordenen Kultur, die großsprecherisch überzeugt ist, ihr wäre ein ewiger Sieg bestimmt? Oder etwa die großartigen organisatorischen Strukturen, die das internationale Leben vernünftiger gestalten und ordnen wollen?
Wird ein Frieden, der ausschließlich auf solchen Grundlagen basiert, ausreichen, ein sicherer, fruchtbarer, glücklicher Friede zu sein?
Es braucht mehr. Daher unsere Botschaft. Vor allem muss man dem Frieden andere Waffen geben als die, die zum Töten und Auslöschen der Menschheit bestimmt sind. Man muss ihm vor allen Dingen moralische Waffen geben, solche, die dem internationalen Recht Macht und Geltung verschaffen, angefangen mit der Einhaltung der Verträge. Pacta sunt servanda! Dieser Grundsatz ist immer noch gültig für den, der solide Beziehungen zwischen den Staaten will, dauerhafte Gerechtigkeit zwischen den Nationen und ein gutes Gewissen der Völker. Der Friede bekommt so seinen Schutzschild. Und wenn die Verträge ungerecht sind? Von daher erhalten die neuen internationalen Institutionen ihre Rechtfertigung, die Konsultationen, Studien, Beratungen ermöglichen und sogenannte Defacto-Lösungen absolut ausschließen sollen, also die Entfesselung blinder Gewalttätigkeiten. Statt wirklich ihr Ziel zu erreichen, nämlich einer gerechten Sache wirksam zum Sieg zu verhelfen, haben sie immer wieder das Blutopfer unschuldiger Menschen und unzählige Zerstörungen im Gefolge. Die Waffen, mit einem Wort die Kriege, sind vom Programm der Zivilisation auszuschließen. Eine weitere Waffe des Friedens ist die überlegte Abrüstung. Wie es beim Propheten Jesaja heißt: "Zu Pflugscharen schmieden sie um ihre Schwerter, ihre Lanzen zu Winzermessern" (2,4). Und hören wir auch die Worte Christi: "Steck dein Schwert in die Scheide. Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen" (Mt 26,52). Utopie? Aber wie lange noch?
Hier betreten wir das Gebiet der Zukunftsforschung mit den Fragen nach einer Idealmenschheit, einer neuen Menschheit, die noch werden muss, noch erzogen werden muss, einer Menschheit, die sich befreit hat von ihren ungeheuren und mörderischen Rüstungen, die sich dafür (wieder) ethische Prinzipien zu eigen gemacht hat, die ihre zweite Natur und ihre Stärke sind. Theoretisch gibt es diese Prinzipien schon, aber in der Praxis sind sie noch unentwickelt, schwächlich und zerbrechlich. Sie beginnen erst in das tiefere, lebendige Bewusstsein der Völker einzudringen. Ihre Schwäche, die der "realistischen" Diagnose historischer und anthropologischer Studien unheilbar scheint, ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass die Abrüstung allgemein und generell sein müsste, soll sie nicht zum unverzeihlichen Fehler eines utopischen Optimismus, einer blinden Naivität und verlockenden Gelegenheit werden, die nur dem Machtanspruch anderer von Nutzen ist. Entweder rüsten alle ab, oder man unterlässt strafbar seine Selbstverteidigung. Hat im Rahmen des historischen, konkreten menschlichen Zusammenlebens nicht das Schwert seine Daseinsberechtigung gehabt im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens (Röm 13,4)? Wir müssen das zugeben. Ist aber nicht in die Welt eine umwandelnde Kraft, eine Hoffnung gekommen, die nicht illusorisch ist, ein neuer und wirklicher Fortschritt, eine Zukunft und Erwartung, die Wirklichkeit werden kann, seitdem der Meister, der Prophet des Neuen Testaments, die Dekadenz der archaischen, primitiven und instinktiven Lebensweise aufgezeigt hat? Und dies mit Worten, die Macht haben, nicht nur anzuklagen und zu verkünden, sondern, unter bestimmten Bedingungen, neue Menschen zu schaffen. Er sagte: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben; ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen ... Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten! Wer aber jemanden umbringt, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein!" (Mt 5, 17,21-22).
Hier geht es nicht mehr um eine simple, naive und gefährliche Utopie. Das ist das neue Gesetz einer Menschheit, die voranschreitet und den Frieden mit einem unerhörten Grundsatz ausrüstet: "Ihr alle aber seid Brüder" (Mt 23,8). Wenn das Wissen um die Brüderlichkeit aller wirklich beginnt in das Herz aller Menschen einzudringen, werden sie dann noch Waffen brauchen, um blinde und fanatische Mörder ihrer eigenen unschuldigen Brüder zu werden und für den Frieden Massaker von unglaublicher Brutalität anzurichten wie am 6. August 1945 in Hiroshima? Hat im übrigen unsere Zeit nicht ein Beispiel dafür, was ein schwacher Mensch kann, mit nichts als dem Prinzip der Gewaltlosigkeit ausgerüstet, nämlich Gandhi, um ein Volk von mehreren hundert Millionen Menschen die Freiheit und Würde einer neuen Nation zu verschaffen?
Die Zivilisation schreitet voran im Gefolge eines Friedens, der als Waffe nur den Ölzweig trägt. Und hinter ihr folgen die Gelehrten mit ihren dicken Bänden über das Recht der Menschheit auf eine ideale Entwicklung. Dann die Politiker, die nicht mehr Fachleute in der Kalkulation der notwendigen militärischen Mittel zur Gewinnung von Kriegen und zur Beherrschung besiegter und gedemütigter Menschen sind, sondern Fachleute für die psychologischen Mittel zur Entwicklung des Wohlstandes und der Freundschaft. Auch die Gerechtigkeit schließt sich diesem freundlichen Zug an. Sie ist nicht mehr hochfahrend und grausam, sondern allein darum bemüht, die Schwachen zu verteidigen, die Gewalttäter zu bestrafen und eine Ordnung zu sichern, die schwierig ist, aber die einzige, die diesen hohen Namen zu tragen verdient: die Ordnung in Freiheit und bewusster Verpflichtung.
Freuen wir uns: denn dieser Zug setzt seinen Weg, wenn auch von hartnäckigen Angriffen und unerwarteten Zwischenfällen gestört, in dieser tragischen Zeit unter unseren Augen fort, mit etwas verlangsamtem, aber sicherem Schritt und zum Heil der ganzen Welt, ein Zug, der entschlossen ist, die echten Waffen des Friedens zu gebrauchen.
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34. Papst Paul VI.: Ansprache auf dem Petersplatz anläßlich der internationalen Soldatenwallfahrt am 23. November 1975
AAS 67 (1975) 721-724
Eure Gegenwart im Rahmen des Heiligen Jahres hier auf dem Petersplatz ist einmalig und bedeutsam! Wir sehen in euch Soldaten der verschiedenen Waffengattungen und Spezialeinheiten aus vielen, auch fernen Ländern in großer Zahl vertreten. Wir betrachten es als Auftrag unseres apostolischen Amtes, uns nun mit einigen überlegten, von Herzen kommenden Worten an euch zu wenden: Diese Worte sollen eine Aufforderung an euch sein, gleich den anderen Gläubigen die Ideale der religiösen Erneuerung und der Wiederversöhnung zu den eurigen zu machen; sie sollen ein Ansporn sein, dass ihr den Mut zum christlichen Zeugnis aufbringt; sie sollen euch aber auch daran erinnern, dass euer Leben "unter den Waffen" in der Erfüllung eurer besonderen Aufgaben niemals getrennt werden darf von einer konsequenten, männlichen und festen religiösen und sittlichen Überzeugung.
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Aber warum seid ihr nach Rom gekommen? Warum hat man euch eingeladen? Eure Anwesenheit hier könnte zunächst paradox erscheinen.
Ihr seid Soldaten, und zweifellos verbinden die meisten damit die Vorstellung von Kraft, Einsatz, Disziplin, Tüchtigkeit, Kühnheit und Tapferkeit. Aber genügt damit der Soldat nicht sich selbst - in seiner jugendlichen Kühnheit und seinem Mut? Kann er beten, Gott um Vergebung bitten? Ihr seid als Waffenträger ganz auf Disziplin eingestellt, ihr verlangt und ihr übt Disziplin. Wie aber kann ein Soldat vor Christus, der "sanftmütig und demütig von Herzen" ist, hintreten (vgl. Mt 11,29); der in der dunklen Prüfung seines Leidens dem Petrus den klaren Befehl gab, das schon gezückte Schwert wieder in die Scheide zu stecken (vgl. Joh 18,10-11).
Ihr seid hierher gekommen als Vertreter verschiedener Nationen. Aber stellt eure Anwesenheit hier angesichts der dauernden Spannungen, von denen die Völker heimgesucht werden, nicht eine Art Opposition dar? Eine Konfrontation zweier Welten, die einander in unvereinbarem Gegensatz gegenüberzustehen scheinen?
Doch es handelt sich - wir wiederholen es noch einmal - nur scheinbar um eine paradoxe Situation. Denn in Wirklichkeit seid ihr hierher gekommen aus dem gemeinsamen Wunsch nach Gebet und innerer Erneuerung.
Indem ihr hier brüderlich vereint in Gesang und Gebet aktiv an der Liturgie teilnehmt, seid ihr "ein Herz und eine Seele geworden" (Apg 4,32) trotz aller Unterschiede in Mentalität, Sprache und Zivilisation, eins geworden in der gleichen Regung des Glaubens und der Liebe.
So löst sich das scheinbare Paradoxon auf, und es wird sichtbar, was ihr wirklich seid, was eure Anwesenheit hier auf dem Petersplatz für euch alle bedeutet.
Ihr seid gekommen, weil auch ihr Menschen seid. Und der Mensch braucht Gott und Christus, er kann auf Religion, auf das Heil nicht verzichten. Er hat das dringende Verlangen, sein Sehnen nach der Begegnung mit dem Sohn Gottes erfüllt zu sehen.
Ihr seid gekommen, weil ihr mehr als jeder andere den Frieden braucht. Für diesen Frieden wollt und sollt ihr euch einsetzen. Die Erinnerung an die letzten Kriege - die beiden Weltkriege und die immer wieder ausbrechenden lokalen Konflikte - erfüllt uns mit brennendem Schmerz: wie viele Gefallene haben diese Kriege zurückgelassen, das Leben so vieler junger Menschen vernichtet, wie viel unschuldiges Blut vergossen! Unser treues und ehrendes Gedenken gelte diesen unzähligen Gefallenen. Möge ihren unsterblichen Seelen der Friede unseres barmherzigen Erlösers Jesus Christus zuteil werden! Eure Waffen sollen nicht dem Angriff dienen, sondern immer und überall und ausschließlich der Verteidigung; einer Verteidigung, die, so Gott will, niemals den Waffengebrauch notwendig machen , dürfte, sondern sich einzig und allein um Stärkung der Gerechtigkeit und des Friedens bemüht (vgl. Röm 13,4; Lk 3,14; 14,31): also um Verhütung von Konflikten, um redliches Einvernehmen, um großmütige Friedensschlüsse und großherzige Vergebung.
So gesehen wird eure Anwesenheit schließlich zu einer großen Apologie: Ihr seid gekommen, um die Gerechtigkeit zu feiern, die die Garantie ist für Zivilisation, staatliche Ordnung, gegenseitige Achtung der Völker und Nationen. Eure Waffen seien Symbol der Verteidigung dieser Gerechtigkeit, deren Frucht der Friede ist. In diesem Licht erhält eure Funktion in der Gesellschaft ihre volle Bedeutung. Ihr seid in der Tat Männer der Pflicht und der Disziplin, wenn es um Opfer für das Wohl der Allgemeinheit, also um den höchsten Gipfel der Liebe geht ("Es gibt" - sagt Christus - "keine größere Liebe als die, wenn einer sein Leben gibt für seine Freunde", Joh 15,13).
Darin besteht der ganze Friede. Hier haben wir uns als Brüder, als Freunde, als Christen eingefunden. Großherzig und freudigen Sinnes, wie euer gesegnetes Zeitalter, das voll pulsierender Bewegung auf die Zukunft zugeht, seid ihr die Garantie besserer Zeiten. Dieser Friede hat seine wahre Wurzel allein in Jesus Christus. Mit denselben Gefühlen wie der Hauptmann im Evangelium begegnet ihr heute, im Bußgeist des Heiligen Jahres, Christus, aus dem ihr die Kraft schöpft, die nötig ist, den die Kriege nährenden Hass zu beherrschen und die Einheit der Liebe wiederherzustellen.
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35. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1977 vom 8. Dezember 1976
AAS 68 (1976) 707-714
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Auf der Zeittafel der Psychologie der Menschheit hat der Friede nach dem letzten Weltkrieg eine glückliche Stunde verzeichnet. Auf den ungeheuren Trümmern, die in den verschiedenen Ländern zwar recht unterschiedlich, aber doch überall vorhanden waren, hat sich schließlich nur der Friede als siegreich erwiesen. Unverzüglich sind wie in einem frühlingshaften Aufbruch jene Werke und Institutionen entstanden, die dem Frieden zugeordnet sind; viele von ihnen bestehen noch und sind noch immer in voller Kraft. Sie sind die Errungenschaften der neuen Welt, und die Welt tut gut daran, auf sie stolz zu sein und deren Wirksamkeit und Entfaltung aufrechtzuerhalten. Es sind die Werke und Einrichtungen, die einen Schritt vorwärts in der Entwicklung der Menschheit bezeichnen.
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Diese heilsame Phase des Friedens gibt jedoch Raum für neue Auseinandersetzungen, seien sie noch Bestandteile wiederauflebender Streitigkeiten, die nur provisorisch beigelegt worden waren, seien sie neue geschichtliche Phänomene, die aus den sich ständig entwickelnden sozialen Strukturen entstehen. Der Friede gerät wiederum in Bedrängnis, zunächst in den Herzen der Menschen, dann in den begrenzten örtlichen Auseinandersetzungen und schließlich in erschreckenden Aufrüstungsprogrammen, die das Potential furchtbarer Zerstörungen kaltblütig berechnen, die selbst unsere Fähigkeit übersteigen, sie in anschaulichen Ausmaßen zu beschreiben. Äußerst lobenswerte Versuche werden hier und da unternommen, um derartige Katastrophen zu verhindern, und wir selbst wünschen, dass sie die unermeßlichen Gefahren abzuwehren vermögen, für deren frühzeitige Überwindung diese Versuche ein wirksames Mittel suchen.
Menschen, die ihr unsere Brüder seid! Dies allein genügt nicht. Die Idee des Friedens als ein richtungweisendes Ideal für das tatsächliche Handeln in der menschlichen Gesellschaft scheint einer fatal um sich greifenden Unfähigkeit der Welt, sich selbst in Frieden und mit Frieden zu regieren, zunehmend zu unterliegen. Der Friede ist keine von selbst gegebene Wirklichkeit, wenn auch das tiefe Streben der menschlichen Natur darauf ausgerichtet ist. Friede besagt Ordnung, und nach Ordnung strebt jedes Ding, jede Tatsache wie nach einer vorgegebenen Bestimmung, wie nach ihrem eigenen Seinsgrund, der zwar vorher erkannt, aber nur in Begleitung und unter Mitwirkung vielfältiger Faktoren verwirklicht wird. Deshalb ist der Friede ein Gipfel, der eine innere komplexe Struktur zu seiner Aufrechterhaltung voraussetzt. Er ist wie ein flexibler Körper, der durch ein kräftiges Skelett gestärkt werden muss. Er ist ein Gebilde, das seine Stabilität und seine Vorzüglichkeit der stützenden Kraft von Ursachen und Bedingungen verdankt, die leider nur allzuoft fehlen, und selbst wenn sie wirksam sind, nicht immer die ihnen zugewiesenen Funktionen erfüllen, damit die Pyramide des Friedens an ihrer Basis stabil und in ihrem Ausmaß hoch ist.
Angesichts dieser Analyse des Friedens, die seine Vorzüglichkeit und seine Notwendigkeit bekräftigt, gleichzeitig aber auch dessen Unbeständigkeit und Brüchigkeit offenbart, betonen wir jedoch erneut unsere Überzeugung: Friede ist geboten, Friede ist möglich. Dies ist unsere stets wiederkehrende Botschaft, die sich das Ideal der Zivilisation zum Inhalt macht, auf die Erwartungen der Völker antwortet, die Hoffnung der Kleinen und Schwachen unter den Menschen stärkt und die Sicherheit der Starken mit der Gerechtigkeit adelt. Es ist die Botschaft des Optimismus, die Vorankündigung der Zukunft. Der Friede ist kein Traum, weder eine Utopie noch eine Illusion. Und noch weniger ist er eine Sisyphusarbeit: Nein, er kann verlängert und gefestigt werden; er kann die schönsten Seiten der Geschichte kennzeichnen, und das nicht nur mit den Annalen der Macht und des Ruhmes, sondern noch weit mehr mit jenen wertvolleren der menschlichen Tugenden, der im Volk verwirklichten Güte, des gemeinschaftlichen Wohlstands, der wahren Kultur: der Kultur der Liebe. Ist Friede wirklich möglich? Ja, er ist es; er muss es sein. Seien wir aber aufrichtig: Wir wiederholen es: Der Friede ist geboten, er ist möglich, jedoch nicht ohne das Zusammentreffen vieler nicht leicht zu erfüllender Bedingungen. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Erörterung der Voraussetzungen des Friedens sehr schwierig und sehr langwierig ist. Wir wagen es nicht, sie hier in Angriff zu nehmen. Wir überlassen sie den Experten. Doch wollen wir im folgenden wenigstens einen Aspekt aufgreifen, dem ohne Zweifel eine vorrangige Bedeutung zukommt. Es genügt uns hier, ihn zu nennen und ihn den guten und einsichtigen Menschen zur Besinnung zu empfehlen. Es ist die Beziehung zwischen dem Frieden und der Auffassung, die die Welt vom menschlichen Leben hat.
Friede und Leben: beides sind höchste Güter in der zivilen Ordnung und stehen in Wechselbeziehung zueinander.
Wollen wir den Frieden? Dann müssen wir das Leben verteidigen! Dieser zweifache Begriff "Friede und Leben" kann fast wie eine Tautologie oder wie ein rhetorischer Slogan erscheinen, ist es aber nicht. Er stellt eine Errungenschaft dar, die entlang des Weges des menschlichen Fortschritts lange umstritten gewesen ist; es ist ein Weg, der sein Endziel noch immer nicht erreicht hat. Wie viele Male bezeichnete das Begriffspaar "Friede und Leben" in der dramatischen Geschichte der Menschheit eher einen grausamen Zusammenstoß der beiden Größen und nicht deren brüderliche Verbindung. Der Friede ist mit dem Tod und nicht mit dem Leben gesucht und herbeigeführt worden; das Leben behauptete sich nicht mit dem Frieden, sondern mit dem Kampf - als einer traurigen Notwendigkeit zur eigenen Verteidigung.
Die Verwandtschaft zwischen Friede und Leben scheint sich aus der Natur der Dinge zu ergeben, jedoch nicht immer und noch nicht aus der Logik der Gesinnung des Verhaltens der Menschen. Dies ist, wenn wir die Dynamik des menschlichen Fortschritts verstehen wollen, das Paradox, das Neue, das wir während dieses Jahres des Heiles 1977 und dann für immer geltend machen müssen. Es ist nicht leicht und nicht einfach, damit Erfolg zu haben, denn zu viel Einwände, erschreckende Einwände, die im ungeheueren Arsenal der Pseudoüberzeugungen, der empirisch oder utilitaristisch begründeten Vorurteile, der sogenannten Staatsraison oder der geschichtlichen und traditionellen Gepflogenheiten gehütet werden, widersetzen sich und bilden noch heute Hindernisse, die unüberwindlich zu sein scheinen, mit dieser tragischen Schlussfolgerung: Wenn Friede und Leben sich zwar unlogischerweise, jedoch praktisch voneinander lösen können, so zeichnet sich am Horizont der Zukunft eine Katastrophe ab, die in unseren Tagen maßlos und ohne rettende Hilfe für den Frieden und für das Leben sein könnte. Hiroshima ist dafür ein furchtbares und beredtes Zeugnis sowie ein in dieser Hinsicht erschreckend prophetisches Beispiel. Wenn der Friede auf grund einer beklagenswerten Hypothese als losgelöst von der mit ihm naturgemäß verbundenen Achtung vor dem Leben aufgefasst würde, so könnte er sich als ein trauriger Triumph des Todes erweisen. Es kommen einem die Worte von Cornelius Tacitus in den Sinn: " ... wo sie Verwüstung anrichten, nennen sie es Frieden" (Agricola, 30). Anderseits kann man ebenso mit egoistischer und fast abgöttischer Vorliebe das privilegierte Leben einiger auf Kosten der Unterdrückung oder sogar Beseitigung anderer überschwänglich preisen: Ist das Friede?
Um in diesem Konflikt, der sich aus einem mehr theoretischen und sittlichen zu einem tragisch konkreten entwickelt und noch heute so viele Bereiche des menschlichen Zusammenlebens entweiht und mit Blut befleckt, den Schlüssel der Wahrheit wiederzufinden, muss man ohne weiteres erneut den Vorrang des Lebens als einen Wert und eine Vorbedingung für den Frieden anerkennen. Die entsprechende Formel lautet: ;,Wenn du den Frieden willst, verteidige das Leben!" Das Leben ist der Gipfel des Friedens. Wenn die Logik unseres Handeins von der Heiligkeit des Lebens ausgeht, ist der Krieg als normales und gewohntes Mittel zur Durchsetzung des Rechtes und somit des Friedens im Grunde geächtet. Der Friede ist nichts anderes als der unbestreitbare Sieg des Rechts und schließlich die beglückende Achtung vor dem Leben.
Hierfür könnten wir eine lange Reihe von Beispielen anführen; endlos ist aber auch die Reihe waghalsiger Abenteuer, oder besser gesagt, wirklicher Katastrophen, bei denen das Leben in vermeintlicher Konkurrenz mit dem Frieden aufs Spiel gesetzt wird. Wir übernehmen die Einteilung in "drei wesentliche Imperative", die zu diesem Thema bereits vorgenommen worden ist. Wenn wir einen wahren und glücklichen Frieden haben wollen, dann müssen wir, so lauten diese Grundforderungen, "das Leben verteidigen, das Leben heilen, das Leben fördern".
Dadurch ist sogleich die Politik der starken Aufrüstung in Frage gestellt. Der alte Satz, der auch heute noch wie früher in der Politik gern angewandt wird: "Wenn du den Frieden willst, bereite dich zum Krieg vor", ist ohne grundsätzliche Vorbehalte nicht annehmbar (vgl. Lk 14,31). Gestützt und ermutigt durch die einfache Klarheit unserer Prinzipien, klagen wir darum das falsche und gefährliche Programm des "Rüstungswettlaufs" an, des geheimen Ringens der Völker um die militärische Vorherrschaft. Es mag sein, dass ein neuer Krieg - wie schrecklich würde dieser sein - durch einen glücklichen Rest von Weisheit oder durch eine stillschweigende, aber auch so schon furchterregende stählerne Macht im Gleichgewicht der todbringenden feindlichen Kräfte nicht zum Ausbruch kommt. Muss uns aber nicht der unendlich große Aufwand an finanziellen Mitteln und an menschlicher Kraft traurig stimmen, der dazu dienen soll,jedem einzelnen Staat eine Ausrüstung mit immer kostspieligeren, immer wirkungsvolleren Waffen zu verschaffen, zum Schaden der zivilen Haushalte, für Schulen, die Kultur, die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen. Friede und Leben ertragen enorme und unermeßliche Lasten, um einen Frieden zu erhalten, der auf einer andauernden Bedrohung des Lebens gegründet ist, oder auch um das Leben zu verteidigen durch eine ständige Bedrohung des Friedens. Man wird entgegnen, dies sei unvermeidlich. Das mag stimmen bei einer immer noch so unvollkommenen Auffassung von der menschlichen Zivilisation. Wir sollten aber wenigstens zugeben, dass diese grundsätzliche gegenseitige Bedrohung von Leben und Frieden, die der Rüstungswettlauf herbeiführt, eine in sich selbst trügerische Formel darstellt, die korrigiert und überwunden werden müsste. Wir sprechen darum unsere Anerkennung aus für die bereits unternommenen Bemühungen, diesen absurden kalten Krieg einzudämmen und schließlich ganz zu beseitigen, diesen Zustand, der durch die andauernde Vermehrung des jeweiligen Machtpotentials der Nationen entsteht, als wenn diese unentwegt Feinde untereinander sein müssten und als ob sie unfähig wären zu erkennen, dass diese Auffassung von den internationalen Beziehungen eines Tages zwangsläufig zum Zusammenbruch des Friedens und zur Vernichtung unzähliger Menschenleben führt.
Aber nicht nur der Krieg zerstört den Frieden. Jedes Vergehen gegen das Leben ist ein Attentat auf den Frieden, besonders wenn dabei die Sitten des Volkes verletzt werden, wie dies heute häufig durch die furchtbare und zuweilen vom Gesetz geregelte Leichtfertigkeit geschieht, mit der das ungeborene Leben durch die Abtreibung ausgelöscht wird. Man pflegt zugunsten der Abtreibung folgende Gründe zu nennen: die Abtreibung soll die bedrohliche Vermehrung der Bevölkerung eindämmen, sie soll Lebewesen beseitigen, die verunstaltet leben müssten, in sozialer Diskriminierung oder in proletarischem Elend und so fort. Die Abtreibung scheint also ==' eher dem Frieden zu nützen, als ihm zu schaden. Aber so ist es gerade nicht! Die Tötung eines menschlichen Lebewesens, sei es vor der Geburt, sei es danach, verletzt in erster Linie das unantastbare Moralprinzip, auf das sich die Auffassung von der menschlichen Existenz immer beziehen muss: das Leben des Menschen ist unantastbar und heilig vom ersten Augenblick seines natürlichen Lebens an in der Zeit. Es ist heilig: Was bedeutet das? Das heißt, dass dieses Leben jeglicher willkürlichen Macht der Zerstörung entzogen ist; es ist unantastbar und so wertvoll, dass es alle Hochschätzung, alle Pflege und jedes auch große Opfer verdient. Dieser Sinn für den heiligen, das heißt für den unantastbaren, unverletzbaren Wert eines menschlichen Lebens ist für den, der an Gott glaubt, spontan und instinktiv gegeben; er ist verpflichtend aufgrund des transzendenten Gesetzes Gottes. Aber auch für denjenigen, der nicht das Glück hat, Gottes schützende und richtende Hand über jedem Menschenleben anerkennen zu können, ist dieser Sinn notwendigerweise als intuitive Einsicht in die menschliche Würde gegeben. Das wissen und empfinden auch diejenigen, die das Unglück gehabt haben, mit der damit verbundenen unerbittlichen Schuld und den immer wiederkehrenden Gewissensbissen willentlich ein Leben ausgelöscht zu haben. Die Stimme des unschuldigen Blutes schreit im Herzen des Mörders mit schriller Eindringlichkeit. Innerer Friede ist nicht möglich auf dem Wege egoistischer Spitzfindigkeiten! Und selbst dann wäre ein Attentat auf den Frieden, das heißt auf den allgemeinen Schutzwall für die Ordnung, für ein menschenwürdiges und gesichertes Zusammenleben, geschehen. Das Leben des einzelnen und der Friede aller sind immer durch ein unauflösliches Band innerer Verwandtschaft miteinander verbunden. Wenn wir wünschen, dass der Fortschritt der sozialen Ordnung sich nach festen Prinzipien richtet, dürfen wir ihn nicht in seinem wesentlichen Kern, der Achtung vor dem menschlichen Leben, verletzen. Auch unter diesem Gesichtspunkt gehören Friede und Leben in solidarischer Verbundenheit zur Basis einer geordneten und zivilisierten Kultur.
Die Überlegungen könnten noch lange bei den hundertfältigen Formen verweilen, unter denen der Angriff auf das Leben heute zur Gewohnheit zu werden scheint, dort wo das Verbrechen einzelner sich so organisiert, dass daraus ein kollektives Verbrechen wird. So verschafft man sich das Schweigen und die Mithilfe von ganzen Gruppen von Mitbürgern. So erweitert man privates Rachebedürfnis zu einer feigen kollektiven Verpflichtung. So macht man aus dem Terrorismus eine Art von legitimem politischem oder sozialem Handeln. Aus der Folter durch die Polizei wird dann eine wirksame Methode der Staatsgewalt, nicht mehr die Ordnung wiederherzustellen, sondern sie auf schändliche Weise zu unterdrücken. Unmöglich kann der Friede dort aufblühen, wo die Unverletzlichkeit des Lebens in solcher Weise in Gefahr gebracht wird. Wo die Gewalt losbricht, stirbt der wahre Friede. Wo aber die Menschenrechte wirklich ernst genommen und öffentlich anerkannt und verteidigt werden, dort kann der Friede zu einer Atmosphäre werden, in der sich das soziale Zusammenleben glücklich und wirkungsvoll entwickelt.
Zeugnisse für unseren zivilen Fortschritt sind die Texte der internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte, zur Verteidigung des Kindes, zur Sicherstellung der grundlegenden Freiheiten des Menschen. Sie stellen ein Ruhmesblatt für den Frieden dar, weil sie Schutz für das Leben sein wollen. Sind sie vollständig? Werden sie beachtet? Wir alle erkennen, dass unsere Zivilisation sich in solchen Erklärungen ausdrückt und in ihnen die Garantie der eigenen Wirklichkeit findet. Diese wird vollkommen und großartig sein, wenn solche Erklärungen in die Gewissen und in die Sitten eingehen; sie wird armselig und verunstaltet sein, wenn diese tote Buchstaben bleiben.
Ihr Menschen auf dem Höhepunkt des 20. Jahrhunderts, ihr habt eine ruhmreiche Charta unterzeichnet, in der die Fülle menschlicher Entwicklung erreicht wird, wenn diese Charta euren wahren Willen wiedergibt; ihr habt jedoch vor der Geschichte eure moralische Verurteilung unterschrieben, wenn diese Charta nur das Dokument einer leeren und rhetorischen Willensäußerung oder einer juristischen Heuchelei darstellt. Als Maßstab gilt: der Ausgleich des wahren Friedens mit der Würde des Lebens. Nehmt unsere dringende Bitte an, dass dieser Ausgleich Wirklichkeit werde und ein neues Leitbild aufsteige am Horizont unserer Zivilisation, das Leitbild des Lebens und des Friedens, und, so wiederholen wir, die Kultur der Liebe wachse.
Ist damit alles gesagt?
Nein - wir müssen noch eine ungewohnte Frage hinzufügen: Wie kann dieses Programm zivilisatorischen Fortschritts verwirklicht werden? Wie können Leben und Friede wirklich miteinander verbunden werden?
Wir wollen eine Antwort geben in Worten, zu denen diejenigen keinen Zugang haben, die den weiten Horizont der Realität auf die natürliche Sichtweise beschränkt haben. Aber wir müssen uns hierin auf die vom Glauben geprägte Realität beziehen, die wir "übernatürlich" nennen. Der Glaube ist nötig, um jenes Zusammenspiel der Wirkkräfte im gesamten menschlichen Leben zu entdecken: hier kommt das transzendente Walten Gottes ins Spiel und befähigt unser Wirken zu Ergebnissen höherer Ordnung, die uns, menschlich gesprochen, unmöglich erscheinen. Das Leben mit Gott, lebendig und aufrichtig, ist nötig, um solche Ergebnisse zu ermöglichen. Der "Gott des Friedens" (Phil 4,9) muss uns beistehen.
Wohl uns, wenn wir das erkennen und glauben, wenn wir in diesem Glauben die innere Einheit von Leben und Frieden zu entdecken wissen und verstehen, sie in konkretes Handeln umzusetzen.
Zu den hier dargelegten Gedanken, die dem Leben den Vortritt vor dem Frieden einräumen und diesen von der Unverletzlichkeit des Lebens abhängig machen, gibt es jedoch eine entscheidende Ausnahme. Sie ergibt sich, wenn ein anderes Gut hinzutritt, das höher als das Leben selbst ist. Ein Gut von einem Wert, der den des Lebens selbst weit übersteigt, wie die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die bürgerliche Freiheit, die Nächstenliebe, der Glaube ... Christus selbst sagt uns hierzu: "Wer das eigene Leben liebt (d. h. mehr als diese höheren Güter), der wird es verlieren" (vgI. Joh 12,25). Das zeigt uns, dass so, wie der Friede in seiner Beziehung zum Leben verstanden werden und wie aus einem geordneten, dem Leben zugesicherten Wohlergehen der Friede selbst als Harmonie hervorgehen muss, die die menschliche Existenz in ihrem inneren und sozialen Bezug ordnet und glücklich macht, auch diese menschliche Existenz selbst, das Leben nämlich, sich nicht seiner höheren Bestimmung entziehen kann und darf, die ihm den ersten Daseinsgrund verleiht. Warum lebt man? Was gibt denn dem Leben außer einer durch den Frieden gesicherten Ordnung seine Würde, seine geistige Fülle, seine sittliche Größe und auch seine religiöse Ausrichtung? Geht denn etwa der wahre Friede verloren, wenn wir der Liebe in ihrer höchsten Ausdrucksform, die das Opfer ist, in unserem Leben ein Heimatrecht einräumen? Wenn das Opfer tatsächlich zum Erlösungsplan gehört und verdienstvoll sein kann für eine Existenz, die die Gestalt und das Maß der Zeit übersteigt, wird es dann nicht auf einer höheren, überzeitlichen Ebene den Frieden wiederfinden, den wahren, hundertfältigen Frieden des ewigen Lebens? (vgl. Mt 19,29). Wer den Weg der Nachfolge Christi geht, kann diese vom Glauben geprägte Redeweise verstehen (Mt 19,11). Und warum sollten wir nicht diesen Weg der Nachfolge gehen? Er, Christus, "ist unser Friede" (vgl. Eph 2,11).
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36. Papst Paul VI.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1978 vom 8. Dezember 1977
AAS 70 (1978) 49-55
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Der Friede ist, werden wir uns dessen gleich am Anfang bewusst, keine rein ideale Traumvorstellung, keine verlockende, jedoch unergiebige und unerreichbare Utopie. Der Friede ist und muss eine Wirklichkeit sein; eine Wirklichkeit, die dynamisch ist und in jedem Zeitalter der Zivilisation neu hervorgebracht werden muss, so wie das Brot, von dem wir uns nähren, das eine Frucht der Erde und der göttlichen Vorsehung, aber zugleich auch ein Ergebnis der menschlichen Arbeit ist. So ist auch der Friede kein Zustand allgemeiner Unbeschwertheit, wo jener, der sich ihrer erfreut, von jeder Sorge befreit und vor jeder Störung sicher wäre und sich ein beständiges und idyllisches Wohlergehen erlauben könnte, das eher Trägheit und Hedonismus gleicht als wacher und bereiter Tatkraft. Der Friede ist ein Gleichgewicht, das auf Bewegung beruht und ständig geistige und zur Tat drängende Energien entfaltet. Er ist ein lebendiger Schutzwall, der immer wieder klug gestaltet werden muss.
Wir bitten deshalb, auch am Beginn dieses neuen Jahres 1978, alle Menschen guten Willens, die Verantwortlichen für die kollektive Gestaltung des sozialen Lebens, die Politiker, die Intellektuellen, die Publizisten, die Künstler, alle, die auf die öffentliche Meinung Einfluss haben, die Lehrer in den Schulen, die Meister der Künste, der Frömmigkeit und schließlich diejenigen, die den Waffenhandel aufWeltebene mit großem Geschick planen und durchführen, sie alle bitten wir inständig, sich hochherzig und mit lauterer Bereitschaft wiederum den Überlegungen über den Frieden in der Welt heute zu öffnen und darüber nachzudenken!
Zwei bedeutende Phänomene drängen sich, wie wir meinen, der allgemeinen Aufmerksamkeit bei der Beurteilung des Friedens gleichsam von selbst auf.
Das erste Phänomen ist in einzigartiger Weise positiv und besteht in der fortschreitenden Entwicklung des Friedens. Der Friede ist eine Idee, die im Bewusstsein der Menschheit an Geltung gewinnt. Er ist im Vormarsch begriffen, er geht der Idee des Fortschritts voran und begleitet sie, die ihrerseits auf die Einheit des Menschengeschlechts abzielt. In der Geschichte unserer Zeit, das sei zu ihrem Lob gesagt, entdecken wir schon überall kostbare Blüten mutiger Initiativen zugunsten des Friedens, eines Friedens, der klug ausgedacht, gewollt, planvoll vorbereitet, feierlich bekräftigt und verteidigt wird: Helsinki lehrt das. Diese Hoffnungen werden bestärkt durch die nächste Sondersitzung der Generalversammlung der UNO, die sich mit dem Problem der Abrüstung befassen wird, wie auch durch die zahlreichen Anstrengungen einflussreicher und einfacher Leute, die sich für den Frieden einsetzen.
Niemand wagt es heute, Programme mörderischer Auseinandersetzungen, d.h. von Kriegen, als Grundlagen für Wohlfahrt und Ruhm auszugeben. Auch dort, wo die gemeinschaftlichen Forderungen eines legitimen nationalen Interesses, das sich auf Ansprüche stützt, die mit den vorherrschenden Rechtsgrundsätzen übereinzustimmen scheinen, sich noch nicht mit kriegerischen Mitteln als etwaigem Lösungsweg Geltung zu verschaffen vermögen, hegt man die Hoffnung, dass die verzweifelte Zufluchtnahme zum Einsatz von Waffen, die heute mehr denn je irrsinnig morden und zerstören, vermieden werden kann. Das Gewissen der Welt ist nämlich geängstigt angesichts der Möglichkeit, dass unser Friede nur ein Waffenstillstand ist und dass ein unermeßlicher Weltbrand blitzartig ausbrechen könnte. Wir wünschten uns, diese furchtbare Bedrohung vertreiben zu können, indem wir mit lauter Stimme feststellen, wie absurd ein moderner Krieg ist und wie darum der Friede eine absolute Forderung geworden ist, ein Friede, der nicht auf dem Übergewicht der Waffen, die heute mit einer ungeheuren Zerstörungskraft ausgestattet sind, wie uns die Tragödie von Japan in Erinnerung ruft, und auch nicht auf der strukturellen Gewalt, wie einige politische Systeme sie anwenden, begründet werden kann, sondern auf einer geduldigen, sachbezogenen und verständnisvollen Methode in Gerechtigkeit und Freiheit, wie sie von den großen internationalen Institutionen, die es heute gibt, entwickelt und beachtet wird. Wir vertrauen darauf, dass die richtunggebende Unterweisung unserer großen Vorgänger, der Päpste Pius XII. und Johannes XXIII., bei diesem fundamentalen Thema auch weiterhin die Weisheit der heutigen Lehrer und Politiker befruchtet.
Nun möchten wir auf ein zweites Phänomen zu sprechen kommen, eine negative Entwicklung, die paralIel zur Entwicklung des Bewusstseins vom Frieden verläuft: wir meinen das Phänomen der Gewalttätigkeit aus Leidenschaft oder sogar mit ideologischer Begründung. Sie breitet sich immer mehr im modernen, zivilisierten Leben aus und nützt dabei die Möglichkeiten, die dem Bürger für sein Leben zur Verfügung stehen, aus, um dem eigenen Mitbürger eine Falle zu stellen und ihn, meist auf hinterhältige Weise, zu treffen, nur weil dieser auf legalem Wege den eigenen Interessen entgegensteht. Diese Gewalt, die man noch privat nennen kann, auch wenn sie sich in ihrer verschlagenen Art in geheimen Gruppen und Banden organisiert, nimmt gegenwärtig Besorgnis erregende Ausmaße an, so dass sie schon fast zur Gewohnheit wird. Man könnte sie wegen ihrer Gesetzes verachtenden Ausdrucksformen zu den allgemeinen Verbrechen zählen; aber die Erscheinungsweisen, unter denen die Gewalt seit einiger Zeit in bestimmten Kreisen auftritt, erfordern doch eine eigene, vielseitige und schwierige Analyse. Jene Gewalttätigkeit entspringt einem VerfalI des moralischen Gewissens, das ohne Erziehung geblieben ist, keinen äußeren Halt gefunden hat und oft von einem Pessimismus gegenüber der Gesellschaft durchdrungen ist, der im Geist des Menschen den Geschmack und die Einsatzbereitschaft für eine selbstverständliche Rechtschaffenheit sowie jenen noch schöneren und edleren Wert im Herzen des Menschen, die Liebe in ihrer wahren, echten und treuen Art, zerstört hat. Die seelische Verfassung des gewalttätigen Menschen enthält oft in ihrer Tiefe auf perverse Weise das Motiv einer Rache, also eines Verlangens nach Gerechtigkeit, das noch nicht Erfüllung fand. Dieses Motiv formt sich in bitteren und eigensüchtigen Vorstellungen aus; es kennt keine Regeln mehr und lässt sich von keinem Irrweg zurückhalten. Das Durchsetzbare tritt an die StelIe des Rechten; die einzige Grenze ist die Furcht vor staatlichen oder privaten Sanktionen. Darum gehören die Aktion aus dem Dunkel und das feige Handeln durch Hinterhalt und Verrat, die die Gewalt auch noch mit einem straflos verbleibenden Erfolg belohnen, zum gewöhnlichen Erscheinungsbild heutiger Gewalttätigkeit.
Gewalttätigkeit ist nicht Tapferkeit. Sie ist die Explosion einer blinden Energie, die den Menschen, der sich ihr überlässt, entwürdigt, weil sie ihn vom Niveau der verständigen Überlegung auf die Ebene der Leidenschaft herabzieht. Und dort, wo der Gewalttätige die Selbstkontrolle behält, sucht er doch unwürdige Wege, um sich durchzusetzen, Wege der Hinterlist, der Überraschung, der physischen Überwältigung eines Gegners, der schwächer und vielleicht wehrlos ist. Er nutzt den Schock aus, das Entsetzen, das er erzeugt, den nervlichen Zusammenbruch der Betroffenen. So wird klar ersichtlich, wer in diesem ungleichen Kampf der wahrhaft Feige ist.
Auch das System der Gewalt, das unter dem Namen "Gegenseitige Abrechnung" bekannt ist, enthält niederträchtige Formen des Hasses, des angestauten Grolls, der Feindschaft, die zusammen eine Gefahr für unser Zusammenleben bilden und sogar das Gemeinschaftsleben entwerten, indem sie die Gefühle der Menschlichkeit zersetzen, die doch die vorrangige und unersetzliche Grundlage jeglicher Gemeinschaft, sowohl der Familie wie auch der Nachbarschaft und des Staates, bilden.
Die Gewalttätigkeit ist antisozial schon wegen der Methoden, die es ihr ermöglichen, sich in einer Gruppe von Komplizen zu organisieren, bei der die Schweigepflicht den Zusammenhalt festigt und einen Schutzschild darstellt. Eine entartete Auffassung von Ehre gibt ihr einen Anschein von Gewissen. Dies ist eine der heute verbreiteten Fehlformen des echten Gemeinschaftssinnes. Sie deckt mit dem Schleier des Geheimen und durch die Androhung schonungsloser Vergeltungsaktionen gewisse Gruppierungen des kollektiven Egoismus, ist der allgemeinen Legalität gegenüber mißtrauisch und versteht es immer wieder, sich der Kontrolle zu entziehen, plant gleichsam zwangsläufig kriminelle Handlungen, die mitunter zu Formen eines erbarmungslosen Terrorismus entarten, der das Ende des eingeschlagenen Irrweges bildet und bedauerliche Repressionen hervorruft. Die Gewalttätigkeit führt zur Revolution und die Revolution zum Verlust der Freiheit. Die soziale Zielsetzung, für die die Gewalt ihre unselige Aktivität entfaltet, ist falsch. Wenn sie auch als gewaltsame Reaktion manchmal gewisse vernünftige Beweggründe besitzt, wendet sie sich jedoch schließlich gegen sich selbst und gegen die Anliegen, die solche Initiativen hervorgerufen haben. Es ist vielleicht hier der Ort, an das kurze Wort Christi zu erinnern, mit dem er sich gegen den impulsiven und rachsüchtigen Gebrauch des Schwertes wendet: "Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen" (Mt 26, 52). Denken wir also stets daran: Gewalttätigkeit ist nicht Stärke. Sie erhebt nicht, sondern erniedrigt den Menschen, der sich ihrer bedient.
In dieser Friedensbotschaft sprechen wir von der Gewalt, die im Gegensatz zum Frieden steht. Wir haben noch nicht vom Krieg gesprochen; aber auch dieser verdient weiterhin unsere Verurteilung, wenn er auch heute von immer mehr Menschen abgelehnt wird und sich sowohl sozial wie politisch immer qualifiziertere Kräfte in anerkennenswerter Weise gegen ihn stellen. Dazu wird der Krieg ja sogar durch die Furchtbarkeit der eigenen Waffen abgewehrt, über die er bei einem eventuellen tragischen Ausbruch unmittelbar verfügen könnte. Die Angst, die allen Völkern und insbesondere den stärksten unter ihnen gemeinsam ist, schränkt die Möglichkeit ein, dass der Krieg sich zu einem Weltbrand entfesselt. Zur Furcht, die mehr eine gedankliche als reale Barriere darstellt, kommen jedcich, wie wie schon gesagt haben, weitere planvolle Initiativen auf höchster politischer Ebene hinzu, die alle darauf hinwirken, dass nicht nur die Kräfte der möglichen Konfliktpartner ausbalanciert werden, sondern auch der äußerste Unsinn eines Krieges deutlich aufgezeigt wird. Insgesamt bemühen sie sich darum, unter den Völkern immer engere Verbindungen herzustellen und diese dann mit immer mehr Solidarität, Freundschaft und Menschlichkeit nach und nach anzureichern. Gebe Gott, dass es so geschieht!
Dennoch können wir nicht unsere Augen vor der traurigen Wirklichkeit des begrenzten Krieges verschließen, sei es, dass ein solcher in bestimmten Gebieten noch tatsächlich existiert, sei es, dass er auch, psychologisch gesehen, von den bedrohlichen Möglichkeiten der gegenwärtigen Geschichte noch immer nicht endgültig ausgeschlossen ist. Unser Krieg gegen den Krieg ist noch nicht gewonnen, und unser Ja zum Frieden ist eher noch ein Wunsch als tatsächliche Wirklichkeit. Denn in so vielen geographischen und politischen Situationen, die noch keine gerechte und friedliche Lösung gefunden haben, bleibt die Möglichkeit künftiger Konflikte noch immer bestehen. Unsere Liebe zum Frieden muss wachsam bleiben; viele andere Gesichtspunkte als nur die Gefahr eines neuen Weltkrieges verpflichten uns dazu, den Frieden auch außerhalb der militärischen Schützengräben zu bedenken und als Wert herauszustellen.
Wir müssen heute in der Tat den Frieden unter seinem, sagen wir, metaphysischen Aspekt verteidigen, der ursprünglicher und wichtiger ist als der geschichtliche und kontingente Fall einer zeitweiligen Unterbrechung der Kriegshandlungen und der äußeren tranquillitas ordinis. Wir wollen das Problem des Friedens betrachten, so wie es sich im menschlichen Leben selbst widerspiegelt. Unser Ja zum Frieden weitet sich aus zu einem Ja zum Leben. Der Friede muss nicht nur auf die Schlachtfelder gebracht werden, sondern überallhin, wo sich die Existenz des Menschen verwirklicht. Es gibt, oder besser, es muss auch einen Frieden geben, der diese Existenz nicht nur vor den kriegerischen Waffen schützt, sondern der ebenso das Leben als solches gegen jegliche Gefahr, jedes Unheil und jedwedes Hindernis verteidigt.
( … )
37. Papst Paul VI.: Botschaft an die Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen vom 24. Mai 1978, verlesen von Erzbischof Casaroli in New York am 6. Juni 1978
AAS 70 (1978) 399-407
Aus Anlass der Sondersitzung, die die Vollversammlung der Vereinten Nationen dem Problem der Abrüstung widmet, haben wir das Echo einer weitverbreiteten Erwartung vernommen: Hat nicht auch der Hl. Stuhl etwas zu sagen zu einem Thema von so brennender Aktualität und so lebenswichtiger Bedeutung für die Zukunft der Welt?
Obgleich nicht Mitglied ihrer Organisation, verfolgt der Hl. Stuhl mit größter Aufmerksamkeit und tiefer Sympathie die vielfältigen Aktivitäten der UNO. Er teilt ihre Sorgen und ihre hochherzigen Absichten. Daher können wir gegenüber einer derartigen Erwartung nicht gleichgültig bleiben. So ergreifen wir sehr gern die uns gebotene Möglichkeit, uns wieder einmal an die Vollversammlung der Vereinten Nationen zu wenden. Wir hatten ja bereits die Ehre, dies persönlich tun zu dürfen in jenem schon weit zurückliegenden Oktober 1965. Die jetzige Gelegenheit ist freilich im Leben Ihrer Organisation und für die gesamte Menschheit absolut außergewöhnlich.
1. ( ... ) Wir kommen zu Ihnen als Vertreter einer Kirche, der mehrere Hunderte Millionen von Menschen aller Kontinente angehören. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir zugleich den Erwartungen und Hoffnungen weiterer Hunderter von Millionen Menschen, Christen und Nichtchristen, Glaubender und Nichtglaubender, Ausdruck verleihen: Wir möchten sie wie in einem gewaltigen Chor zusammenfassen, dessen Ruf aufsteigt zu Gott und zu denen, die von Gott die Verantwortung für das Schicksal der Völker empfangen haben.
2. Unser Wort möchte zunächst Ausdruck unserer Anerkennung zu ihrem Entschluss sein, auf so hoher Ebene mit Entschiedenheit das Problem der Abrüstung anzupacken. Das ist ein Akt des Mutes und der Weisheit, zugleich die Antwort auf eine äußerst ernste und dringliche Forderung. Unser Wort ist zugleich ein Wort des Verständnisses. Wir kennen die außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die Sie zu überwinden haben, und wir sind uns im klaren über das Gewicht Ihrer Verantwortung. Aber wir vertrauen auch auf die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit Ihres Engagements.
Unser Wort möchte vor allem - wenn Sie gestatten - ein Wort der Ermutigung sein.
3. Die Völker zeigen soviel Interesse für das Thema Ihrer Debatten, weil sie glauben, abrüsten bedeute in erster Linie, dem Krieg seine Werkzeuge aus der Hand zu nehmen. Denn der Friede ist ihr Traum, ist ihre tiefste Erwartung.
Der Wille zum Frieden ist auch der edle und tiefere Grund, der Sie zu dieser Versammlung geführt hat. In den Augen der Staatsmänner stellt sich freilich das Abrüstungsproblem in deutlicherer und zugleich komplizierterer Form dar.
Vor die gegebene Situation gestellt, fragt sich der Staatsmann nicht ohne Grund, ob es richtig und ob es möglich sei, den Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft das Recht abzusprechen, selbst für ihre legitime Verteidigung zu sorgen und sich auch die dazu notwendigen Mittel zu verschaffen.
Stark ist die Versuchung, sich zu fragen, ob die bestmögliche Sicherung des Friedens nicht tatsächlich im Grunde weiterhin im alten System des Gleichgewichts der Kräfte unter den Staaten und Staatengruppen besteht. Ein Friede ohne Waffen ist immer Gefahren ausgesetzt; gerade seine Schwachheit reizt zum Angriff.
Vor diesem Hintergrund könne und müsse man - so wird gesagt - parallel Bemühungen entwickeln, die einerseits darauf zielen, die Methoden und Organismen zu vervollkommnen, mit denen man Konflikte und Zusammenstöße verhüten oder friedlich lösen kann. Andererseits müssten Kriege, die nicht verhindert werden können, weniger unmenschlich gemacht werden. Gleichzeitig könne und müsse man versuchen, wechselseitig die Waffenarsenale in einer Weise abzubauen, dass bestehende Gleichgewichte nicht gestört werden, und doch die Versuchung, zu den Waffen zu greifen, geringer wird, und die enormen Militärbudgets schrumpfen.
Dies scheint die Sicht des politischen Realismus zu sein. Er beruft sich auf Vernunft und Erfahrung. Weiterzugehen ist in den Augen vieler ein unnützer, ja sogar gefährlicher Versuch.
4. Unterstreichen wir es sofort: jeder substantielle Fortschritt auf eine Verbesserung der Konfliktverhütungsmechanismen, auf eine Beseitigung der besonders gefährlichen und unmenschlichen Waffen und auf eine Senkung des Rüstungsniveaus und der militärischen Ausgaben hin wird von uns als sehr kostbares und wertvolles Ergebnis begrüßt werden.
Aber das genügt noch nicht. Denn die Frage nach Krieg und Frieden stellt sich heute in neuen Begriffen. Nicht dass sich die Prinzipien geändert hätten. Die Aggression eines Staates gegen einen anderen war gestern genauso unerlaubt, wie sie es heute ist. Auch in der Vergangenheit war ,jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abzielt, ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen" (Gaudium et spes, 80). Und obwohl man das Heldentum derer ehren sollte, die sogar ihr Leben im Dienst des Vaterlandes oder für eine andere edle Sache opfern, so ist doch der Krieg in sich selbst ein im höchsten Maße irrationales und moralisch verwerfliches Mittel zur Regelung der Beziehungen zwischen den Staaten, es sei denn, er diente einer legitimen Verteidigung.
Heute dagegen stehen dem Krieg Mittel zur Verfügung, die "seinen Schrecken und seine Verwerflichkeit ins Unermeßliche gesteigert" haben (ebd.).
Die dem Streben nach dem Gleichgewicht der Kräfte innewohnende Logik treibt jeden der Gegner zum Versuch, sich ein gewisses Maß an Überlegenheit zu verschaffen aus Angst, einmal in eine benachteiligte Lage zu geraten. Diese Logik hat - zusammen mit dem unglaublichen Fortschritt der Menschheit auf den Gebieten der Wissenschaft und der Technik - zur Erfindung von immer raffinierteren und mächtigeren Vernichtungswaffen geführt. Sie haben sich angehäuft, und kraft eines fast autonomen Prozesses zeugen sie sich fort in unaufhörlicher Eskalation quantitativer wie qualitativer Art unter unermeßlicher Verschwendung von Menschen und Mitteln. So stellen sie heute ein Potential dar, das mehrfach ausreicht, alles Leben auf unserem Planeten zu vernichten.
Die Entwicklung der Atomwaffen stellt ein besonderes Kapitel dar, und zwar gewiss das typischste und eindrucksvollste Beispiel für dieses Bemühen um Sicherheit durch ein Gleichgewicht der Kräfte und des Schreckens. Aber darf man darüber den "Fortschritt" übersehen, der leider auf dem Gebiet anderer Massenvernichtungswaffen erzielt wurde und weiter erzielt wird, wie auch bei Waffen, die ganz besonders schweren Schaden anrichten können, aber gerade deswegen als besonders gutes Abschreckungsmittel angesehen werden?
Aber selbst wenn das "Gleichgewicht des Schreckens" dazu dienen konnte und noch für einige Zeit dazu dienen kann, das Schlimmste zu verhüten, wäre es doch eine tragische Illusion, zu meinen, der Rüstungswettlauf könne bis ins Unendliche so weiter gehen, ohne eine Katastrophe heraufzubeschwören.
Gewiss geht diese Überlegung - wenigstens unmittelbar - vor allem die Großmächte und jene Länder an, die mit ihnen Blöcke bilden. Aber es ist nur schwer vorstellbar, dass sich die anderen Länder nicht davon betroffen fühlen könnten.
Die Menschheit steht daher vor der Verpflichtung, sich auf sich selber zu besinnen und sich zu fragen, wohin sie unterwegs ist, oder besser: in welchen Abgrund sie sich zu stürzen im Begriff ist. Sie muss sich vor allem fragen, ob nicht der Ausgangspunkt ihres Denkens grundfalsch ist und daher radikal geändert werden muss.
An Gründen für einen Wandel dieser Art fehlt es gewiss nicht, mögen es nun Gründe der Moral, der Sicherheit oder des besonderen bzw. allgemeinen Interesses sein.
Gibt es aber einen Ersatz für die Sicherheit - wie unsicher und aufwendig sie auch sein mag -, nach der jeder strebt, indem er sich die Mittel zur eigenen Verteidigung beschafft?
5. Wenige Probleme erscheinen heute derart unausweichlich und schwierig wie das der Abrüstung. Wenige Probleme entsprechen derart den Bedürfnissen und Erwartungen der Völker und rufen gleichzeitig so viel Misstrauen, Skepsis und Entmutigung hervor. Wenige Probleme verlangen von denen, die sich mit ihnen beschäftigen müssen, derart viel Idealismus und ausgeprägten Wirklichkeitssinn. Es ist ein Problem, das - wie es scheint auf derselben Ebene steht wie eine prophetische Vision, offen für Hoffnungen auf die Zukunft. Und doch kann man es nicht ernsthaft aufgreifen, ohne fest auf dem Boden der harten, konkreten Wirklichkeit von heute zu bleiben.
Die Abrüstung erfordert daher eine außergewöhnliche Anstrengung der Intelligenz und des politischen Willens von Seiten aller Mitglieder der großen Völkerfamilie, um jene Forderungen auf einen Nenner zu bringen, die einander zu widersprechen und sich gegenseitig auszuschließen scheinen.
Das Abrüstungsproblem ist im wesentlichen ein Problem des gegenseitigen Vertrauens. Es wäre deshalb weitgehend vergeblich, nach Lösungsmöglichkeiten für den technischen Aspekt der Abrüstung zu suchen, wenn es nicht gelänge, jene Situation von der Wurzel her zu heilen, die wie Humus den Rüstungswettlauf nährt.
Selbst die Furcht vor den neuen Waffen droht unwirksam zu werden, und "zwar um so mehr, je weniger auf anderen Wegen die Sicherheit der Staaten und eine Lösung jener Probleme garantiert werden, die sie in lebenswichtigen Punkten herausfordern könnten.
Wenn man also - wie es sich nahelegt - substantielle Schritte auf dem Weg der Abrüstung machen will, ist es unerlässlich, Mittel zu finden, die das Gleichgewicht des Schreckens durch das Gleichgewicht des Vertrauens ersetzen.
Aber ist das praktisch möglich? Und in welchem Ausmaß?
Ein erster Schritt besteht gewiss darin, mit gutem Glauben und gutem Willen nach einer Verbesserung des Klimas und der Wirklichkeit der internationalen Beziehungen zu streben, vor allem unter den Großmächten und den Staatengruppen. Auf diese Weise könnten Ängste und Argwohn, die sie heute noch trennen, abgebaut werden, und es fiele ihnen leichter, an den ernsthaften Friedenswillen auf allen Seiten zu glauben. Das ist ein langwieriges und kompliziertes Bemühen, wir möchten es aber mit aller Kraft unterstützen.
Entspannung muss auf dem erwiesenen Willen zu gegenseitiger Achtung aufgebaut sein. In diesem ihrem echten Sinn verstanden, ist sie Voraussetzung dafür, dass der Prozess der Abrüstung in Gang kommt. Die Einzelmaßnahmen einer ausgewogenen und angemessen kontrollierten Abrüstung fordern dann ihrerseits wieder die Entspannung und helfen ihr, sich zu behaupten.
Die internationale Situation ist jedoch allzusehr den Wandlungen und Launen des in tragischer Weise freien Willens ausgesetzt. Ein solides internationales Vertrauen braucht daher auch Strukturen, die objektiv geeignet sind, die Sicherheit und die Achtung oder Anerkennung des guten Rechtes aller gegen einen immer möglichen bösen Willen mit friedlichen Mitteln zu garantieren. Anders gesagt: Dazu ist eine internationale Ordnung nötig, die imstande ist, allen das zu bieten, was sich heute jeder mit dem Besitz von Waffen und der Drohung mit ihnen, wenn nicht sogar durch ihren Einsatz, zu sichern versucht.
Aber läuft man nicht Gefahr, auf diese Weise einer Utopie zu verfallen? Wir glauben entschieden mit Nein antworten zu können und zu müssen. Zwar handelt es sich wirklich um eine extrem schwierige Aufgabe. Doch ist sie nicht unlösbar für die Zähigkeit und Weisheit von Menschen, die sich ihrer Verantwortung vor der Menschheit und der Geschichte und vor allem vor Gott bewusst sind. Notwendig ist also ein höheres religiöses Bewusstsein. Selbst wer Gott aus dem Spiel lassen möchte, kann und muss die fundamentalen Forderungen des Sittengesetzes anerkennen, das Gott in die Herzen der Menschen eingeschrieben hat und das ihre Beziehungen untereinander auf der Grundlage von Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe regeln muss.
In dieser Stunde, da sich die Horizonte der Menschheit über die Grenzen unseres Planeten hinaus unermeßIich ausgeweitet haben, weigern wir uns zu glauben, dass der von einem solchen Bewusstsein beseelte Mensch unfähig sei, den Dämon des Krieges zu bannen, der ihn zu vernichten droht. Selbst wenn ihm dies gewaltige Anstrengungen und die vernunftgemäße Absage an veraltete Auffassungen abfordert, die Völker und Nationen weiter entzweien, sollte es ihm möglich sein.
6. Diesen Wunsch und diese Herzensangst einer Menschheit, die sich nach Frieden sehnt und ihn braucht, machen wir uns zu eigen und unterbreiten sie erneut Ihnen. Dabei sind wir uns bewusst, dass der Weg zur Errichtung einer neuen internationalen Ordnung, die Kriege und ihre Ursachen ausschließt und infolgedessen Waffen überflüssig macht, keinesfalls so kurz sein kann, wie wir es gerne wünschten.
Es ist daher unerlässlich, in der Zwischenzeit eine schrittweise, aber zugleich fast ungeduldige, ausgewogene, mutige Strategie des Friedens und der Abrüstung auszuarbeiten und voranzutreiben. Blick und Wille müssen dabei stets auf das Endziel einer allgemeinen und umfassenden Abrüstung gerichtet bleiben.
Wir haben weder die Kompetenz noch die Autorität, Ihnen die Methoden und Mechanismen einer solchen Strategie vorzuschreiben; in jedem Fall setzt sie sichere und wirksame internationale Kontrollsysteme voraus. Doch glauben wir, mit Ihnen darin einig zu gehen, dass man notwendigerweise einige Prioritäten setzen muss bei dem Bemühen, den Rüstungswettlauf zu bremsen und die Gewichtigkeit der vorhandenen Waffen zu vermindern.
a) Die nukleare Bewaffnung steht gewiss an erster Stelle; sie ist die schrecklichste Bedrohung für die Menschheit. Allen auf diesem Gebiet bis heute ergriffenen Initiativen sprechen wir unsere hohe Anerkennung aus; zugleich fühlen wir uns gedrängt, alle Länder, besonders diejenigen, die hier die Hauptverantwortung tragen, zu ermuntern, diese Initiativen fortzusetzen und weiterzuentwickeln auf das Endziel hin, das Arsenal der Atomwaffen völlig zu beseitigen. Gleichzeitig müssen Mittel gefunden werden, allen Völkern das unermeßliche Potential der Atomkraft für friedliche Zwecke zugänglich zu machen.
b) Gleich danach kommen die Massenvernichtungswaffen, die bereits vorhandenen und die möglichen, wie etwa die chemischen Waffen, die Strahlenwaffen und andere dieser Art, auchjene, die alles ohne Unterscheidung treffen oder die - um einen in sich selbst schon grausamen Ausdruck zu gebrauchen - übermäßig und unnötig grausame Wirkungen haben.
c) Erwähnt werden muss auch der Handel mit konventionellen Waffen. Sie sind sozusagen die Hauptnahrung für örtliche oder begrenzte Kriege. Im Vergleich zu der immensen Katastrophe, die ein Krieg bei Einsatz des gesamten Arsenals an strategischen und anderen Waffen für die Welt oder ganze Kontinente bedeuten würde, könnten solche Konflikte weniger ernst, wenn nicht unbedeutend erscheinen.
Doch die Zerstörungen und Leiden, die sie den betroffenen Teilen der Bevölkerung zufügen, sind nicht geringer als jene, die in ganz anderem Maßstab von einem allgemeinen Konflikt verursacht werden. Außerdem kann ein Ansteigen des Rüstungsbudgets die Wirtschaft von Ländern abwürgen, die oft erst noch auf dem Weg der Entwicklung sind. Gar nicht zu reden von der Gefahr, dass sich ein lokaler Konflikt in dieser inzwischen klein gewordenen Welt, in der die unterschiedlichsten Interessen einander behindern und widerstreiten, allmählich weit ausgedehntere Brände auslösen kann.
7. Der Rüstungswettlauf ist wirklich ein Skandal, die Aussicht auf Abrüstung dagegen eine große Hoffnung. Der Skandal besteht in dem schreienden Missverhältnis zwischen dem finanziellen und geistigen Gut, das in den Dienst des Todes gestellt wird, und dem wenigen, das man in den Dienst des Lebens stellt. Die Hoffnung dagegen ist, dass durch die Verminderung der Militärausgaben ein erheblicher Teil der heute von ihnen verschlungenen Gelder frei wird für ein ausgedehntes, weltweites Entwicklungsprogramm.
Wir leiden unter dem Skandal, wir fassen aber auch Hoffnung.
In diesem gleichen Saal, in welchem Sie heute versammelt sind, haben wir uns am 4. Oktober 1965 erlaubt, unseren Appell zu erneuern, den wir während unserer Reise nach Bombay im Dezember zuvor an alle Staaten gerichtet hatten: " ... für die Entwicklungsländer wenigstens einen Teil jener Gelder zur Verfügung zu stellen, die man durch eine Rüstungsbeschränkung einspart".
Wir wiederholen heute diesen Aufruf mit noch größerem Nachdruck und fordern alle Länder auf, einen organischen Plan zu erarbeiten und in die Tat umzusetzen, der sich einfügt in den Rahmen der Programme für den Kampf gegen Ungleichheiten, Unterentwicklung, Hunger, Krankheit und Analphabetentum. Die Gerechtigkeit fordert dies; das allgemeine Interesse legt es nahe. Denn der Fortschritt eines jeden Mitglieds der großen Menschheitsfamilie kommt dem Fortschritt aller zugute und hilft, den Frieden dauerhafter zu errichten.
8. Abrüstung, neue Weltordnung und Entwicklung - das sind drei untrennbar miteinander verknüpfte Imperative. Sie setzen freilich wesentlich eine Erneuerung der öffentlichen Meinung voraus.
Wir kennen und verstehen die Schwierigkeiten, die in diesen Imperativen liegen. Aber wir möchten und wir müssen Sie als für die Geschicke der Menschheit verantwortliche Persönlichkeiten in Ihrem Gewissen an die sehr schwerwiegenden Gründe erinnern, derentwegen Sie unbedingt Wege zur Überwindung der Schwierigkeiten finden müssen. Gehen Sie nicht auseinander, ohne die Fundamente gelegt und den unerlässlichen Anstoß zur Lösung des Problems gegeben zu haben, das der Grund Ihrer Versammlung ist. Morgen kann es zu spät sein.
Aber, so werden Sie fragen, welchen Beitrag kann und will der Hl. Stuhl zu diesem gewaltigen, gemeinsamen Bemühen um Abrüstung und Frieden leisten?
Die Frage ist berechtigt. Sie stellt uns unsererseits unsere Verantwortung vor Augen, der gegenüber freilich unsere Mittel sehr viel geringer als unser Wille sind.
Der Hl. Stuhl ist kein weltlicher Machtstaat und er besitzt keine politische Gewalt mehr. In einem feierlichen Vertrag hat er erklärt, dass er "sich von den irdischen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten fernhalten will und wird, ebenso den internationalen Kongressen, die zu diesem Zweck einberufen werden, es sei denn, dass beide einander gegenüberstehende Seiten gemeinsam an seinen Auftrag, Frieden zu stiften, appellierten. Er behält sich aber in jedem Fall das Recht vor, seine moralische und geistliche Autorität geltend zu machen" (Lateranvertrag, Art. 24). Wir nehmen mit Ihnen Anteil an Ihren Problemen, sind uns Ihrer Schwierigkeiten bewusst, sind stark gerade durch unsere Schwachheit. Wir sagen Ihnen daher in großer Schlichtheit: Wann immer sie glauben, der Hl. Stuhl könne die Hindernisse beseitigen helfen, die den Weg zum Frieden verbauen, wird er sich nicht hinter dem Hinweis auf seinen "überzeitlichen" Charakter verschanzen. Er wird sich nicht der Verantwortung entziehen, in die er durch gewünschte und erwartete Interventionen geraten könnte. So sehr schätzt der Hl. Stuhl den Frieden, so sehr liebt er ihn!
Auf jeden Fall werden wir weiterhin, ohne müde zu werden und ohne uns entmutigen zu lassen, mit lauter Stimme die Verpflichtung zum Frieden und die Grundsätze verkünden, die die Dynamik des Friedens regeln. Wir werden auf die Mittel hinweisen, mit denen man ihn erreichen und verteidigen kann, indem man auf grund gemeinsamer Abmachungen auf den Einsatz der Waffen verzichtet, die den Frieden zu zerstören drohen, während sie ihm zu dienen vorgeben.
Wir kennen die Macht einer öffentlichen Meinung, die von soliden, im Gewissen verwurzelten idealen Überzeugungen getragen wird. Daher werden wir weiterhin daran mitarbeiten, die neue Menschheit kraftvoll zum Frieden zu erziehen. Wir werden fortfahren, daran zu erinnern, dass es keine Abrüstung der Waffen gibt, solange nicht zuvor die Abrüstung der Herzen erfolgt.
Wir werden weiterhin für den Frieden beten.
Der Friede ist die Frucht des guten Willens der Menschen, aber er bleibt ständig Gefahren ausgesetzt, die der gute Wille allein nicht immer meistern kann. Das ist der Grund, warum die Menschheit den Frieden immer vor allem als ein Geschenk Gottes angesehen hat. Ihn bitten wir daher: Schenke uns den Frieden! Und wir bitten ihn, er möge Ihre Arbeiten leiten, damit deren Ergebnisse, die unmittelbaren und die künftigen, die Hoffnung der Völker nicht enttäuschen.
38. Papst Johannes Paul I.: Ansprache an das Diplomatische Korps am 31. August 1978
AAS 70 (1978) 705-708
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Wir haben bisher noch nicht die Ehre gehabt, Sie kennenzulernen. Unser früherer Aufgabenbereich beschränkte sich auf die Diözesen, die uns anvertraut waren, und auf die pastoralen Pflichten, die sich daraus ergaben, so in Vittorio Veneto und in Venedig. Dieser Dienst war aber auch schon Teilnahme an dem der Gesamtkirche.
Jetzt aber, auf dem Stuhl des Apostels Petrus, ist unsere Sendung wirklich universal geworden und verbindet uns nicht nur mit all unseren katholischen Söhnen und Töchtern, sondern mit allen Völkern, mit deren qualifizierten Vertretern und besonders mit den Diplomaten der Länder, die mit dem Hl. Stuhl offizielle Beziehungen haben aufnehmen wollen. Es ist uns eine große Freude, Sie in dieser Eigenschaft hier zu empfangen, Ihnen unsere Wertschätzung und unser Vertrauen zum Ausdruck zu bringen sowie das Verständnis, das wir für Ihre hohe Sendung hegen. Zugleich freuen wir uns, durch Sie auch jede einzelne der Nationen grüßen zu können, die Sie hier vertreten und auf die wir mit Hochachtung und Sympathie schauen, während wir ihnen von Herzen Fortschritt und Frieden wünschen. Diese Nationen treten uns um so konkreter und deutlicher vor Augen, wenn wir nicht nur ihren Bischöfen und Gläubigen, sondern auch ihren zivilen verantwortlichen Vertretern begegnen.
Ein jeder von Ihnen weiß, was unser verehrter Vorgänger in diesem Bereich der diplomatischen Beziehungen verwirklicht hat. Unter seinem Pontifikat haben sich die Missionen, die Sie leiten, vermehrt. Auch wir wünschen, dass die Beziehungen immer herzlicher und fruchtbarer werden zum Wohl Ihrer Mitbürger, zum Wohl der Kirche in Ihren Ländern und zum Wohl einer weltweiten Eintracht. Ferner werden die Kontakte, die Sie hier beim Hl. Stuhl untereinander haben können, auch dem gegenseitigen Verstehen und dem Frieden dienen. Wir bieten Ihnen unsere aufrichtige Mitarbeit an im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Mittel. Gewiss, die Funktion, die Sie hier wahrnehmen, ist unter den verschiedenen Aufgaben der Diplomaten sui generis, wie es ja auch die Sendung und die Zuständigkeit des Hl. Stuhls sind. Wir haben natürlich kein zeitliches Gut zum Tausch anzubieten, kein wirtschaftliches Interesse zu erörtern, wie dies zu Ihren Staaten gehört. Unsere Möglichkeiten für eine diplomatische Intervention sind begrenzt und von besonderer Art. Sie beeinträchtigen nicht die rein zeitlichen, technischen und politischen Angelegenheiten, die Ihre Regierungen betreffen. In diesem Sinn bezeugen unsere diplomatischen Vertretungen bei den höchsten zivilen Autoritäten - weit entfernt davon, nur ein Überbleibsel aus der Vergangenheit zu sein - unsere Achtung vor der legitimen zeitlichen Macht und das lebhafte Interesse, das man den menschlichen Belangen entgegenbringt, zu deren Förderung diese Macht ja bestimmt ist. Ferner sind Sie hier die Sprecher Ihrer Regierungen und die aufmerksamen Zeugen des geistlichen Wirkens des Hl. Stuhls. Beide Seiten sind hier vertreten, in gegenseitiger Achtung, im Austausch und in der Zusammenarbeit, ohne dabei die Kompetenzen zu verwischen.
Unser Dienst umfasst dabei zwei Ebenen. Auf Einladung hin kann der Hl. Stuhl als solcher auf der Ebene Ihrer Regierungen oder der internationalen Gremien mitwirken bei der Suche nach besseren Lösungen für die großen Probleme, wie Entspannung, Abrüstung, Frieden, Gerechtigkeit, humanitäre Hilfsmaßnahmen, Entwicklung ... Unsere Vertreter oder Delegierten nehmen, wie Sie wissen, freimütig und unabhängig dazu Stellung. Solche Beiträge, die dem Hl. Stuhl möglich sind, erhalten ihren besonderen Wert durch die weltweite Anerkennung, deren er sich erfreut, und durch die umfassende Vertretung der katholischen Welt, die er garantiert. Wir sind bereit, in diesem Bereich die bisher unternommene diplomatische internationale Aktivität fortzusetzen, soweit die Beteiligung des Hl. Stuhles erwünscht ist, Erfolg verspricht und im Rahmen unserer Möglichkeiten bleibt.
Unser Wirken in die Welt hinein liegt jedoch auch - und wir wollen hinzufügen: vor allem - auf einer anderen Ebene, die man als pastoral bezeichnen könnte und die für die Kirche wesentlich ist. Dabei geht es darum, durch die Dokumente und Aktionen des Hl. Stuhls und seiner Mitarbeiter in der gesamten Kirche zur Erhellung und Formung der Gewissen beizutragen, zunächst bei den Christen, aber auch bei allen Menschen guten Willens und durch sie die öffentliche Meinung zu beeinflussen auf der Ebene der Prinzipien, die eine wahre Zivilisation und eine echte Brüderlichkeit unter den Völkern garantieren: die Achtung vor dem Nächsten, vor seinem Leben und seiner Würde, der Einsatz für seinen geistigen und sozialen Fortschritt, Geduld und Bereitschaft zur Versöhnung bei der so delikaten Aufgabe, den Frieden zu errichten, kurz gesagt: alle Rechte und Pflichten des sozialen und internationalen Zusammenlebens, wie die Konzilskonstitution Gaudium et spes und so zahlreiche Botschaften des verehrten Papstes Paul VI. sie umschrieben haben. Solche Haltungen, die die christlichen Gläubigen annehmen oder zu ihrem Heil annehmen sollten, wenn sie der inneren Logik der Liebe im Evangelium folgen wollen, tragen dazu bei, die menschlichen Beziehungen und das soziale Feld mit seinen Institutionen nach und nach umzuformen; sie verhelfen den Völkern und der internationalen Gemeinschaft dazu, die Bedingungen für das Gemeinwohl zu garantieren und den tiefsten Sinn ihrer Entwicklung zu erfassen. Sie enthalten eine Stoßkraft für das soziale und politische Leben. Ihre Länder suchen eine moderne Zivilisation aufzubauen, oft mit genialen und großzügigen Mitteln; dem gilt unsere ganze Sympathie und unsere Ermutigung, solange diese Aktivitäten mit den moralischen Gesetzen übereinstimmen, die der Schöpfer dem Menschen ins Herz gelegt hat. Hat diese Zivilisation nicht wirklich ein Bedürfnis nach frischer geistiger Energie, nach grenzenloser Liebe, nach einer festverankerten Hoffnung? Genau dies wollen wir, zusammen mit der ganzen Kirche, so wie auch unser Vorgänger im Amt der Welt als unseren Beitrag schenken. Gewiss sind unsere Kräfte hierfür nur gering und schwach, aber wir vertrauen auf die Hilfe Gottes. So wird sich der Hl. Stuhl injenen Bereichen mit aller Kraft engagieren, und dieses Wirken möchten wir Ihrer Aufmerksamkeit nachdrücklich empfehlen.
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39. Papst Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1979 vom 8. Dezember 1978
AAS 71 (1979) 57-66
Das große Anliegen des Friedens zwischen den Völkern braucht alle friedenstiftenden Energien, die im Herzen des Menschen ruhen. Um sie freizusetzen und durch Erziehung heranzubilden, wünschte mein Vorgänger Papst Paul VI. noch kurz vor seinem Tod, dass der Weltfriedenstag 1979 unter das Motto gestellt werde: "Um zum Frieden zu gelangen, zum Frieden erziehen."
Während seines ganzen Pontifikates ist Paul VI. zusammen mit euch auf den schwierigen Wegen des Friedens gegangen. Er hat eure Angst geteilt, wenn dieser Friede bedroht war. Er litt mit jenen, die von den unglücklichen Folgen des Krieges betroffen waren. Er ermutigte alle Bemühungen, den Frieden wiederherzustellen. In allen Lagen zeigte er Zuversicht, gepaart mit unermüdlicher Energie.
In der Überzeugung, dass der Friede das Werk aller ist, hat er im Jahre 1967 die Idee eines Weltfriedenstages vorgelegt mit dem Wunsch, dass ihr alle sie euch zu eigen macht. Von da an gab seine Friedensbotschaft alljährlich den Verantwortlichen der Nationen und internationalen Organisationen die Gelegenheit, jene Aufgabe zu erneuern und öffentlich herauszustellen, die ihre Autorität rechtfertigt: den Menschen friedlichen Fortschritt und geordnetes Zusammenleben in Freiheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit zu ermöglichen. Die unterschiedlichsten Gemeinschaften trafen hierbei zusammen, um das unschätzbare Gut des Friedens zu feiern und ihre Bereitschaft zu bekräftigen, ihn zu verteidigen und zu fördern.
Aus den Händen meines verehrten Vorgängers übernehme ich diesen Wanderstab, gleichsam als Pilger für den Frieden. Ich bin unterwegs, an eurer Seite, mit dem Evangelium des Friedens. "Selig sind, die Frieden stiften." Ich lade euch darum ein, zu Beginn des Jahres 1979 den Weltfriedenstag zu begehen und ihn nach dem letzten Wunsch Pauls VI. unter das Thema der Friedenserziehung zu stellen.
Den Frieden erlangen: das ist die Summe und Krönung all unserer Sehnsucht. Friede - so sagen wir - bedeutet Erfüllung und Freude. Bei bilateralen und multilateralen Begegnungen und auf internationalen Konferenzen vermehrt man die Anstrengungen, ihn im Zusammenleben der Völker zu verwirklichen; einige ergreifen persönlich die mutige Initiative, um den Frieden herzustellen oder einen drohenden neuen Krieg zu verhindern. Gleichzeitig aber können wir Einzelmenschen oder Gruppen beobachten, die bei der Regelung ihrer verborgenen oder offenen Konflikte zu keinem Abschluss kommen. Stellt der Friede also vielleicht ein unerreichbares Ideal dar? Das tägliche Schauspiel der Kriege, der Spannungen und Spaltungen lässt Zweifel und Entmutigung aufkommen. Brandherde der Zwietracht und des Hasses scheinen sogar noch künstlich von einigen geschürt zu werden, die den Preis dafür nicht zu bezahlen brauchen. Und allzu oft ist die Kraft von Friedensgesten viel zu gering, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen, es sei denn, dass die herrschende Logik der Ausbeutung und Gewalt sich ihrer bemächtigt und sie in ihren Dienst nimmt.
An einigen Stellen vergiften furchtsames Zögern und die Schwierigkeit notwendiger Reformen die Beziehungen zwischen menschlichen Gemeinschaften, die schon durch eine lange und vorbildliche gemeinsame Geschichte vereint sind. Neue Machtträger neigen dazu, durch zahlenmäßige Überlegenheit oder durch brutale Gewalt einen Konflikt zu lösen, und das angesichts benachbarter oder weiter entfernter Staaten, die hilflos, aber manchmal auch interessiert und mit stillschweigender Zustimmung zusehen. Gerade die stärksten und die schwächsten Länder verlieren so das Vertrauen zu geduldigen, friedenstiftenden Maßnahmen.
Hinzu kommt, dass die Furcht vor einem schlecht abgesicherten Friedenszustand, militärische und politische Erfordernisse wie auch die Interessen von Wirtschaft und Handel zur Anhäufung von Vorräten oder zum Verkauf von Waffen mit furchtbarer Zerstörungskraft verleiten: der Rüstungswettlauf wird so für wichtiger gehalten als die großen Friedensaufgaben, die die Völker in neuer Solidarität verbinden müssten; er fördert vereinzelte mörderische Konflikte und steigert die Bedrohung in hohem Ausmaß. Es ist wahr: die Sache des Friedens leidet auf den ersten Blick an einer entmutigenden Schwäche.
Und doch hat man in fast allen öffentlichen Ansprachen auf der Ebene der einzelnen Nationen oder internationalen Gremien selten so viel vom Frieden gesprochen, von Entspannung, von Verständigung, von vernünftiger und gerechten Lösungen für Konflikte. Der Friede ist zum Schlagwort geworden, das beruhigt oder verführen will. Richtig verstanden, stellt dies jedoch auch ein positives Faktum dar: die öffentliche Meinung der Nationen würde es nicht mehr ertragen, wenn man den Krieg verherrlichte oder das Risiko eines Angriffskrieges auf sich nähme.
Um jedoch die Herausforderung anzunehmen, die sich aus der mühsamer Aufgabe des Friedens für die ganze Menschheit ergibt, braucht es mehr als nur Worte, mögen sie ehrlich oder demagogisch gemeint sein. Vor allem der Kreis der Politiker, das Milieu oder jene Zentren, von denen mehr oder weniger direkt, mehr oder weniger geheim die entscheidenden Schritte für den Frieden oder im Gegenteil die Verlängerung der Kriege und gewalttätigen Konflikte abhängen, müssen vom wahren Geist des Friedens durchdrungen werden. Das Mindeste müsste sein, dass man darin übereinstimmt, einige grundlegende klare Prinzipien anzuwenden, wie zum Beispiel: die Probleme der Menschen müssen in menschenwürdiger Weist behandelt werden und nicht mit Gewalt. Spannungen, Streitigkeiten und Konflikte müssen durch vernünftige Verhandlungen geregelt werden und nicht mit Druckmitteln. Ideologisch einander entgegengesetzte Richtungen müssen sich in einem Klima des Dialogs und der freien Aussprache begegnen. Die berechtigten Interessen bestimmter Gruppen müssen auch die ebenfalls berechtigten Interessen der anderen betroffenen Gruppen so wie die Forderungen des übergeordneten Gemeinwohls berücksichtigen. Der Griff zu den Waffen soll nicht mehr als geeignetes Mittel zur Konfliktlösung angesehen werden. Die unverlierbaren Menschenrechte müssen unter allen Umständen gewahrt bleiben. Es ist nicht erlaubt zu töten, und eine Lösung zu erzwingen.
Diese Prinzipien der Menschenwürde kann jeder Mensch guten Willens in seinem eigenen Gewissen verspüren. Sie entsprechen dem Willen Gottes für den Menschen. Damit sie bei den Mächtigen und bei den Schwachen zu festen Überzeugungen werden und jegliches Handeln prägen, muss ihnen ihre volle Bedeutung wieder zuerkannt werden. Dafür braucht es eine geduldige und lange Erziehung auf allen Ebenen.
Um dieses spontane Gefühl der Ohnmacht zu überwinden, gilt es als erste sinnvolle Aufgabe einer Erziehung, die diesen Namen verdient, unser Blickfeld über die traurigen vordergründigen Eindrücke hinaus zu erweitern, oder noch besser, erkennen und verstehen zu lernen, wie inmitten der tobenden Gewalt, die tötet, der Friede sich leise und still vorantastet, ohne zu ruhen, unablässig Wunden heilt und das Leben erhält und kräftigt. Von hieraus kann uns der Marsch zum Frieden möglich und erstrebenswert erscheinen, machtvoll und schon siegreich.
Vor allem müssen wir lernen, die Geschichte der Völker und der Menschheit nach Kriterien zu entziffern, die sachgerechter sind als jene, die nur eine Kette von Kriegen und Revolutionen kennen. Gewiss ist die Geschichte vom Lärm der Schlachten beherrscht. Aber es gibt auch die Ruhepausen der Gewalt, die es ermöglicht haben, jene dauerhaften kulturellen Werke zu schaffen, auf die die Menschheit stolz ist. Ja, man kann sogar inmitten der Kriege und Revolutionen Impulse zum Leben und Fortschritt vorfinden; diese entspringen einer Sehnsucht, die einer anderen Ordnung angehört als die Gewalt: eine Sehnsucht geistiger Art, wie zum Beispiel das Streben, eine gemeinsame Würde für alle Menschen anerkannt zu sehen oder die Seele und die Freiheit eines Volkes zu retten. Dort, wo eine solche Sehnsucht gegenwärtig war, wirkte sie ausgleichend sogar im Kern der Konflikte, verhinderte sie unheilbare Schäden, hielt sie die Hoffnung lebendig, eröffnete sie eine neue Chance für den Frieden. Dort, wo eine solche tiefere Sehnsucht fehlte oder zur Verherrlichung der Gewalt verfälscht wurde, überließ sie das Feld einer fortschreitenden Zerstörung, die dann zu einem andauernden wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang, ja sogar zum Untergang ganzer Zivilisationen geführt hat. Ihr Verantwortlichen der Völker könnt euch selbst zur Friedensliebe erziehen, wenn ihr in den wichtigen Abschnitten eurer nationalen Geschichte das Beispiel jener eurer Vorgänger entdeckt und heraushebt, die ihren Ruhm darin sahen, Früchte des Friedens aufkeimen zu lassen. "Selig sind, die Frieden stiften ... "
Ihr tragt heute zur Erziehung zum Frieden dadurch bei, dass ihr den großen Friedensaufgaben, die sich der Menschheit mit besonderer Dringlichkeit stellen, die größtmögliche Bedeutung beimesst. In euren Bemühungen, zu einer vernünftigen und solidarischen Nutzung der natürlichen Umwelt und des gemeinsamen Erbes der Menschheit zu gelangen, zur Beseitigung des Elends, das Millionen von Menschen bedrückt, zur Stärkung von Institutionen, die geeignet sind, die Einheit der Menschheitsfamilie auf nationaler und auf Weltebene zum Ausdruck zu bringen und zu vervollkommnen, werden die Menschen den einladenden Aufruf zum Frieden entdecken, der Versöhnung untereinander und Versöhnung mit der gesamten Schöpfung bedeutet. Indem ihr entgegen allen landläufigen demagogischen Überzeugungskünsten die Suche nach einfacheren Lebensweisen ermutigt, die weniger von den tyrannischen Impulsen der Instinkte nach Besitz, Konsum und Herrschaft bestimmt sind, sondern sich mehr von den tieferen Inspirationen der persönlichen Kreativität und der Freundschaft beeinflussen lassen, werdet ihr für euch selbst und für alle anderen einen weiten Raum von ungeahnten Möglichkeiten für den Frieden eröffnen.
So hemmend für den einzelnen Menschen das Gefühl ist, dass die bescheidenen Anstrengungen für den Frieden im begrenzten Bereich der Verantwortlichkeiten eines jeden durch die großen weltweiten politischen Debatten zunichte gemacht werden, die bestimmt sind von einer simplifizierenden Logik von Machtverhältnissen und Rüstungswettlauf, so befreiend ist anderseits der Anblick internationaler Einrichtungen, die von der Möglichkeit des Friedens überzeugt sind und sich leidenschaftlich für die Verwirklichung des Friedens einsetzen. Die Erziehung zum Frieden kann sich auch ein erneutes Interesse für die täglichen Beispiele von aufrichtigen Friedensstiftern auf allen Ebenen zunutze machen. Gemeint sind einzelne Menschen und Gruppen, die durch die Beherrschung ihrer Leidenschaften und durch ein gegenseitiges Sichannehmen und Respektieren ihren eigenen inneren Frieden gewonnen haben und ihn nach außen ausstrahlen; ebenso Völker, oft gerade die armen und geprüften unter ihnen, deren jahrtausendealte Weisheit vom höchsten Gut des Friedens geprägt ist und die oft den trügerischen Versuchungen zu einem übereilten und durch Gewalt erkämpften Fortschritt zu widerstehen verstanden in der Überzeugung, dass solche Erfolge die giftigen Keime neuer Konflikte in sich tragen.
In der Tat, lasst uns, ohne das Drama der Gewalttätigkeiten zu vergessen, unseren Blick und den der jungen Generationen auf diese Beispiele von Friedensstiftern lenken. Sie üben eine entscheidende Anziehungskraft aus. Sie rufen in uns vor allem die Sehnsucht nach dem Frieden wach, der für den Menschen lebensnotwendig ist. Diese neuen Energien werden dann helfen, eine neue Sprache des Friedens und neue Friedensgesten zu finden.
Die Sprache ist darauf angelegt, die Gedanken des Herzens zum Ausdruck zu bringen und Einheit zu schaffen. Wenn sie jedoch in vorgefassten Schemata gefangen ist, beeinflusst sie ihrerseits das Herz durch die ihr innewohnenden Tendenzen. Man muss deshalb auf die Sprache einwirken, um das Herz zu beeinflussen und einer möglichen Verführung durch die Sprache zu entgehen.
Es ist leicht festzustellen, bis zu welchem Punkt die bittere Ironie und die Härte im Urteilen, in der Kritik an anderen und vor allem am "Fremden", radikales Opponieren und Fordern in die besprochenen Beziehungen selbst eindringen und mit der Liebe im sozialen Bereich auch die Gerechtigkeit ersticken. Dadurch, dass man alles in Begriffen von Machtverhältnissen, Gruppen- und Klassenkämpfen und im Freund-Feind-Schema ausdrückt, bereitet man den geeigneten Nährboden für soziale Schranken, für Verachtung, Hass und Terrorismus und deren heimliche oder offene Verteidigung. Dagegen entspringen aus einem Herzen, das für das höchste Gut des Friedens gewonnen worden ist, die Bereitschaft zuzuhören und zu verstehen, die Achtung vor den anderen, die Rücksichtnahme, die in Wirklichkeit Stärke bedeutet, und das Vertrauen. Eine solche Sprache begibt sich auf den Weg der objektiven Tatsachen, der Wahrheit und des Friedens. Groß ist unter diesem Gesichtspunkt auch die erzieherische Aufgabe der sozialen Kommunikationsmittel. Ebenso ist es von Bedeutung, in welcher Weise man sich bei den gegenseitigen Begegnungen, Debatten und politischen Auseinandersetzungen auf nationaler und internationaler Ebene ausdrückt. Möget ihr, die ihr für die Völker und internationalen Organisationen Verantwortung tragt, es verstehen, eine neue Sprache, eine Sprache des Friedens zu finden: sie eröffnet schon durch sich selbst einen neuen Raum für den Frieden.
Das, was Friedensperspektiven freisetzen, was eine Sprache des Friedens bewirkt, muss sich schließlich auch in Gesten des Friedens ausdrücken. Andernfalls verflüchtigen sich die entstehenden Überzeugungen, und die Sprache des Friedens wird zur Rhetorik, die schnell in Misskredit fällt. Sehr zahlreich könnten die Friedensstifter sein, wenn sie sich ihrer Möglichkeiten und Verantwortung bewusst würden. Es ist die konkrete Friedenstat, die zum Frieden mitreißt. Sie lehrt diejenigen, die das hohe Gut des Friedens suchen, dass dieses Gut sich denen offenbart und anbietet, die Tag für Tag bescheiden alle Friedensmöglichkeiten, die sich für sie ergeben, in die Tat umzusetzen suchen.
Ihr Eltern und Erzieher! Verhelft den Kindern und den Jugendlichen zu einer Erfahrung des Friedens in den tausend täglichen Begebenheiten, denen sie in der Familie, in der Schule, beim Spiel, unter Kameraden, bei gemeinschaftlicher Arbeit, beim sportlichen Wettkampf, bei den vielfältigen Absprachen und notwendigen Kompromissen begegnen. Das Internationale Jahr des Kindes, das die Vereinten Nationen für 1979 ausgerufen haben, sollte die Aufmerksamkeit aller darauf lenken, was sogar die Kinder schon von sich aus zum Frieden beitragen können.
Ihr Jugendlichen, seid Erbauer des Friedens! Ihr seid insgesamt die Urheber dieses großen gemeinsamen Werkes. Widersteht den leichtfertigen Lösungen, die in der traurigen Mittelmäßigkeit liegen, und auch den sinnlosen Gewalttätigkeiten, zu denen euch mitunter Erwachsene, die mit sich selbst nicht in Frieden sind, missbrauchen möchten. Folgt den Wegen, wohin euch euer Gefühl der Dankbarkeit, der Lebensfreude und der Solidarität führt. Ihr liebt es, eure neuen Energien - die sich von den diskriminierenden Vorurteilen freihalten - in brüderlichen Begegnungen über die Grenzen hinaus einzusetzen, im Erlernen von Fremdsprachen, die den gegenseitigen Kontakt erleichtern, und im selbstlosen Dienst zugunsten der armen Länder. Ihr seid die ersten Opfer des Krieges, der eure Begeisterung erstickt. Ihr seid die Chance für den Frieden.
Ihr Partner im beruflichen und sozialen Leben! Der Friede ist für euch oft schwer zu verwirklichen. Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit und ohne Freiheit, ohne einen mutigen Einsatz zur Förderung des einen und des anderen. Die Kraft, die dafür erforderlich ist, muss geduldig sein, ohne zu resignieren oder aufzugeben, fest, ohne zu provozieren, klug, um aktiv den gewünschten Fortschritt vorzubereiten, ohne die Energien in flammenden Ausbrüchen gewalttätiger Proteste zu vergeuden, die schnell wieder in sich zusammenfallen. Gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen muss der Friede sich einen Weg bahnen, indem er sich für eine entschlossene Aktion entscheidet. Diese Aktion muss aber schon vom anvisierten Ziel geprägt sein, nämlich von einer besseren gegenseitigen Verständigungsbereitschaft der Personen und Gruppen. Die findet ein Regulativ im Willen zum Frieden, der aus der Tiefe des Menschen kommt, in den Erwartungen und in der Gesetzgebung der Völker. Es ist dieser geschulte und disziplinierte Wille zum Frieden, der den Blick schärft, um für Spannungen und selbst Konflikte die notwendige Ruhe zu finden, damit sich die fruchtbare und konstruktive Logik des Friedens entfalten kann. Das, was sich im sozialen Leben der Länder ereignet, hat eine beträchtliche Auswirkung - zum Besseren und zum Schlechteren - auf den Frieden zwischen den Nationen.
Es muss aber hier erneut betont werden, dass die vielfältigen Friedensgesten Gefahr laufen, entmutigt und teilweise zunichte gemacht zu werden durch eine internationale Politik, die auf ihrer Ebene nicht die gleiche Friedensdynamik entfaltet. Ihr Politiker, die ihr für die Völker und internationalen Organisationen verantwortlich seid, ich bekunde euch meine aufrichtige Wertschätzung und biete euren oft beschwerlichen Bemühungen, den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen, meine ganze Unterstützung an. Mehr noch, im Bewusstsein, dass es hierbei um das Glück und sogar das Überleben der Menschheit geht, und überzeugt von der großen Verantwortung, die ich trage, damit dem wichtigen Aufruf Christi: "Selig die Friedensstifter", entsprochen wird, wage ich es sogar, euch zu ermutigen, noch weiter zu gehen. Öffnet dem Frieden neue Tore. Tut alles, was in euren Kräften steht, um dem Weg des Dialogs gegenüber dem der Gewalt den Vorrang zu sichern. Dies gilt zunächst schon für den internen Bereich: Wie können die Völker den internationalen Frieden wahrhaft fordern, wenn sie selbst in Ideologien gefangen sind, nach denen sich Gerechtigkeit und Frieden nur dann erreichen lassen, wenn man all jene zur Ohnmacht verurteilt, die man von vornherein für unwürdig hält, Gestalter ihres eigenen Geschickes oder fähige Mitarbeiter für das Gemeinwohl zu sein? Seid überzeugt, dass die Ehre und der Erfolg bei Verhandlungen zwischen gegnerischen Parteien sich nicht am Grad der Unnachgiebigkeit in der Verteidigung der eigenen Interessen messen, sondern an der Bereitschaft zu gegenseitiger Achtung, zu Wahrhaftigkeit, Wohlwollen und Brüderlichkeit der Partner, mit einem Wort, an ihrer Menschlichkeit. Setzt Gesten des Friedens, sogar mutige, die mit den fatalen Verkettungen und der Last der von der Geschichte ererbten Leidenschaften brechen; webt weiter geduldig am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gewebe des Friedens. Schafft - die Stunde ist günstig, und die Zeit drängt - immer größere waffenfreie Zonen. Habt den Mut, die bedrückende Frage des Waffenhandels noch einmal grundsätzlich zu überprüfen. Versteht es, die latenten Konflikte rechtzeitig zu entdecken und friedlich zu lösen, bevor sie die Leidenschaften entfachen. Gebt den regionalen und weltweiten Formen der Solidarität geeignete institutionelle Rahmen. Verzichtet darauf, legitime und sogar geistige Werte für Interessenkonflikte zu benutzen; sie werden dadurch entwürdigt und machen die Auseinandersetzungen noch unerbittlicher. Wacht darüber, dass das berechtigte leidenschaftliche Verlangen nach dem Austausch der Ideen sich der Kraft der Argumente und nicht der Drohung und Waffengewalt bedient.
Indem ihr entschlossene Gesten des Friedens setzt, löst ihr die echten Erwartungen der Völker aus und findet in ihnen mächtige Verbündete im Einsatz für die friedliche Entwicklung aller Menschen. Ihr werdet euch selbst zum Frieden erziehen, werdet in euch feste Überzeugungen heranbilden und euch zu neuen Initiativen im Dienst der großen Sache des Friedens befähigen.
Diese vielfältige Erziehung zum Frieden - zwischen den Völkern, im eigenen Land, in der eigenen Umwelt, bei sich selbst - ist allen Menschen guten Willens aufgetragen, woran uns die Enzyklika Pacem in terris Papst Johannes' XXIII. erinnert. Der Friede ist ihnen allen in verschiedenem Maße greifbar. Und da "der Friede auf Erden ... nur dann begründet und gesichert werden kann, wenn die von Gott gesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird" (Pacem in terris, 1), finden die Gläubigen in ihrer Religion die Erleuchtung, den Ansporn, die Kraft, um für die Friedenserziehung zu arbeiten. Wahrhafte Frömmigkeit führt notwendig zum wahren Frieden. Indem die öffentliche Gewalt die Religionsfreiheit pflichtgemäß anerkennt, fördert sie zugleich die Entfaltung der Friedensgesinnung in der Tiefe der Herzen sowie in den von den Gläubigen geschaffenen Erziehungseinrichtungen. Was die Christen betrifft, so sind sie von Christus in besonderer Weise dazu erzogen und angehalten worden, Erbauer des Friedens zu sein: "Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen" (Mt 5, 9; vgl. Lk 10, 5, u.a.). Am Ende dieser Botschaft wird man verstehen, dass sich meine besondere Erwartung auf die Glieder der Kirche richtet, um sie für ihren Beitrag zum Frieden zu ermutigen und ihn in den großen von Gott in Jesus Christus geoffenbarten Friedensplan einzuordnen. Der spezifische Beitrag der Christen und der Kirche zu diesem gemeinsamen Werk wird um so besser gewährleistet sein, je mehr er sich aus seinen eigenen Quellen und seiner eigenen Hoffnung nährt.
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40. Papst Johannes Paul II.: Enzyklika Redemptor hominis vom 4. März 1979
AAS 71 (1979) 257-324
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- III. DER ERLÖSTE MENSCH UND SEINE SITUATION IN DER WELT VON HEUTE
- 13. Christus ist mit jedem Menschen verbunden
- 15. Die Ängste des heutigen Menschen
- 16. Fortschritt oder Bedrohung?
- 17. Menschenrechte:»Buchstabe« oder »Geist«
41. Papst Johannes Paulll.: Homilie bei der Messe im Konzentrationslager Birkenau am 7. Juni 1979 im Anschluss an den Aufenthalt im Konzentrationslager Auschwitz
AAS 71 (1979) 844-848
1. " ... der Sieg, der die Welt besiegt hat, ist unser Glaube" (1 Joh, 5,4). Diese Worte aus dem Briefdes Apostels Johannes kommen mir in den Sinn, und sie ergreifen mich zutiefst, wenn ich an diesem Ort weile, an dem ein besonderer menschlicher Sieg durch Glauben errungen wurde. Durch den Glauben, der die Liebe zu Gott und zum Nächsten weckt, die einzige Liebe, die größte Liebe - die, welche bereit ist, "das Leben für die Freunde hinzugeben" (vgl. Joh 15, 13; 10, 11). Es war also ein Sieg durch Liebe, die den Glauben zum äußersten, letzten Zeugnis befähigt.
Dieser Sieg durch Glaube und Liebe wurde an diesem Ort von einem Mann errungen, der den Namen Maximilian Maria trägt. Sein Familienname ist: Kolbe; "von Beruf' (wie es in den Registern des Konzentrationslagers verzeichnet steht): katholischer Priester; seine Berufung: Sohn des hl. Franziskus; von Geburt: Sohn einfacher, arbeitsamer und frommer Eltern, Weber aus der Umgebung von Lodz; durch Gottes Gnade und nach dem Urteil der Kirche: Seliger.
Diesen Sieg durch Glaube und Liebe hat dieser Mann an einem Ort errungen, der im Zeichen der Leugnung des Glaubens - des Glaubens an Gott und des Glaubens an den Menschen - und einer radikalen Verhöhnung nicht nur der Liebe, sondern von allem, was dem Menschen und der Menschheit heilig ist, errichtet wurde. Diese Anlage wurde auf dem Fundament des Hasses und der Verachtung des Menschen errichtet, im Namen einer entarteten Ideologie. Sie wurde auf Grausamkeit gebaut. Zu ihr führt ein heute noch vorhandenes Tor mit der zynischen Inschrift "Arbeit macht frei", denn zu ihrer Aussage stand die Wirklichkeit in einem radikalen Widerspruch.
An diesem Ort schrecklicher Qual, die vier Millionen Menschen verschiedener Nationen den Tod brachte, hat Pater Maximilian einen geistigen Sieg errungen, der dem Sieg Christi ähnlich ist, indem er freiwillig den Tod im Hungerbunker auf sich nahm - für einen Bruder. Dieser Bruder lebt noch heute in Polen.
Doch war er - Maximilian Kolbe - der einzige, der einen Sieg errang, den seine Mitgefangenen sofort spürten und den bis heute Kirche und Welt empfinden? Mit Sicherheit wurden hier viele ähnliche Siege errungen, so etwa der Tod im Krematorium des Lagers, den die Karmelitin Schwester Benedikta vom hl. Kreuz, in der Welt Edith Stein, erlitten hat, die berühmte Schülerin Husserls, die zu einer Zierde der heutigen Philosophie in Deutschland geworden ist und einer jüdischen Familie aus Wrodaw (Breslau) entstammt.
An diesem Ort, wo die Würde des Menschen auf so schreckliche Weise mit Füßen getreten wurde - der Sieg eines Menschen durch Glaube und Liebe! Kann sich eigentlich noch jemand wundern, dass der Papst, der in diesem Land geboren und erzogen wurde, der Papst, der auf den Sitz des hl. Petrus aus jener Diözese kam, in deren Gebiet das Lager Auschwitz liegt, seine erste Enzyklika mit den Worten Redemptor hominis begonnen hat - und dass er sie insgesamt der Sache des Menschen widmete, der Würde des Menschen, seinen Gefährdungen, schließlich seinen Rechten? Unveräußerlichen Rechten, die so leicht mit Füßen getreten und zunichte gemacht werden können ... durch den Menschen! Es genügt, ihn in eine andere Uniform zu stecken, ihm einen Gewaltapparat und Vernichtungsmittel zur Verfügung zu stellen, es genügt, ihm eine Ideologie umzuhängen, in der die Rechte des Menschen den Erfordernissen des Systems unterworfen werden, so vollständig, dass sie faktisch nicht existieren.
2. Ich komme heute als Pilger hierher. Man weiß, dass ich oft hier war ... Wie oft! Und viele Male bin ich in die Todeszelle von Maximilian Kolbe hinabgestiegen, stand ich vor der Todesmauer und bin zwischen den Trümmern der Krematorien von Brzezinka (Birkenau) umhergegangen. Ich konnte als Papst den Besuch hier nicht auslassen.
Ich komme also zu diesem besonderen Heiligtum, in dem sozusagen der Patron unseres so schweren Jahrhunderts geboren wurde, ähnlich wie vor 900 Jahren der hl. Stanislaus, der Patron der Polen unter dem Schwert in Rupella.
Ich komme, um gemeinsam mit euch allen zu beten, die ihr heute hierher gekommen seid - gemeinsam mit ganz Polen und mit ganz Europa. Christus will, dass ich als Nachfolger des Petrus vor der Welt Zeugnis gebe für das, was die Größe des Menschen unserer Zeit und sein Elend zugleich ausmacht. Was seine Niederlage und was sein Sieg ist.
So komme ich also und beuge mein Knie auf diesem Golgota unserer Zeit, vor diesen Gräbern, die großenteils keine Namen tragen, wie das große Grab des Unbekannten Soldaten. Ich knie vor allen Tafeln, die eine lange Reihe bilden und auf denen das Andenken an die Opfer von Oświęycim (Auschwitz) in folgenden Sprachen geschrieben steht: Polnisch, Englisch, Bulgarisch, Zigeunersprache, Tschechisch, Dänisch, Französisch, Griechisch, Hebräisch, Jiddisch, Spanisch, Flämisch, Serbokroatisch, Deutsch, Norwegisch, Russisch, Rumänisch, Ungarisch und Italienisch.
Ich verweile am Ende gemeinsam mit euch, liebe Teilnehmer dieser Begegnung, vor der Tafel mit hebräischer Inschrift. Sie weckt das Andenken an das Volk, dessen Söhne und Töchter zur totalen Ausrottung bestimmt waren. Dieses Volk führt seinen Ursprung auf Abraham zurück, der der "Vater unseres Glaubens" ist (vgl. Röm 4,12), wie Paulus von Tarsus sich ausdrückte. Gerade dieses Volk, das von Gott das Gebot empfing: "Du sollst nicht töten!", hat an sich selbst in besonderem Ausmaß erfahren müssen, was Töten bedeutet. An diesem Gedenkstein darf niemand gleichgültig vorbeigehen.
Ich habe noch eine ausgewählte Tafel: in russischer Sprache. Wir wissen, von welchem Volk sie spricht; wir wissen, welchen Anteil dieses Volk an dem schrecklichen Krieg um die Freiheit der Völker hatte; auch an dieser Tafel können wir nicht gleichgültig vorbeigehen.
Schließlich die letzte Tafel: in polnischer Sprache. Sechs Millionen Polen haben im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren, ein Fünftel der Nation. Ein Abschnitt mehr des jahrhundertelangen Kampfes dieser Nation, meiner Nation, für ihre fundamentalen Rechte unter den Völkern Europas; ein weiterer lauter Schrei für das Recht auf einen eigenen Platz auf der Karte Europas, eine weitere schmerzhafte Schuld für das Gewissen der Menschheit.
3. Oświęycim (Auschwitz) ist eine solche Schuld. Man kann es nicht nur besuchen oder aufsuchen. Man muss sich hier mit Furcht fragen, wo liegen die Grenzen des Hasses - die Grenzen der Vernichtung des Menschen durch den Menschen -, die Grenzen der Grausamkeit.
Oświęcim (Auschwitz) ist ein Zeugnis des Krieges. Der Krieg bringt ein außergewöhnliches Ansteigen des Hasses, der Zerstörung und der Grausamkeit mit sich. Und wenn man auch nicht leugnen kann, dass er neue Möglichkeiten menschlichen Mutes, des Heroismus und der Vaterlandsliebe offenbart, so überwiegt doch die negative Bilanz. Sie überwiegt mehr und mehr - je mehr der Krieg zu einem Spiel kalkulierter Vernichtungstechnik wird. Verantwortlich für den Krieg sind aber nicht nur die', die ihn direkt anzetteln, sondern auch jene, die nicht alles in ihrer Macht Liegende tun, um ihn zu verhindern. Es sei mir an dieser Stelle erlaubt, die Worte zu wiederholen, die Paul VI. vor der Organisation der Vereinten Nationen gesprochen hat: "Die Erinnerung müsste genügen, dass das Blut von Millionen von Menschen, unzählbare und unerhörte Leiden, nutzloses Gemetzel und schreckliche Ruinen den Pakt, der euch einigt, begründet haben. Dieser Eid müsste die künftige Geschichte der Welt ändern: nie wieder Krieg, nie wieder Krieg! Der Friede, der Friede muss die Geschicke der Völker und der gesamten Menschheit bestimmen" (AAS 57 [1965] 881).
Wenn jedoch diese große Mahnung von Auschwitz, der Schrei des hier gemarterten Menschen Frucht für Europa (und auch für die Welt) bringen soll, dann muss man alle Konsequenzen aus der Erklärung der Menschenrechte ziehen, wie Papst Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris betonte. In ihr wird ja "in feierlichster Form allen Menschen die Personwürde zuerkannt, wird als Konsequenz ihr grundlegendes Recht verkündet, in Freiheit nach der Wahrheit zu suchen, das Gute und Rechte zu tun, dazu das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Zugleich werden weitere Rechte verkündet, die mit jenen grundlegenden verbunden sind" (Johannes XXIII., Pacem in terris: AAS 55 [1963] 295-296).
Es gilt, zurückzukehren zur Weisheit des Altmeisters Pawel Wlodkowic, des Rektors der Jagellonen-Universität von Kraków (Krakau), und die Rechte der Nationen zu sichern: ihre Rechte auf Existenz, auf Freiheit, auf Unabhängigkeit, auf eine eigene Kultur und auf eine echte Entwicklung. Wlodkowic schreibt: "Wo die Macht stärker wirkt als die Liebe, sucht man die eigenen Interessen und nicht Jesus Christus; folglich entfernt man sich leicht von der Norm des göttlichen Gesetzes ... Jede Art von Recht steht gegen den, der diejenigen bedroht, die in Frieden leben wollen; dagegen steht das staatliche ... und das kanonische Recht ... , auch das Naturrecht nach dem Prinzip ,Was du für dich selbst willst, das tu auch dem anderen'. Dagegen steht schließlich das göttliche Recht; denn ... im Gebot ,Du sollst nicht stehlen' wird jede Art von Raub verboten und im Gebot ,Du sollst nicht töten' jegliche Gewalt" (Paul Wlodkowic, Saeventibus, 1415, Tract. II Salutio quaest. 4a; vgl. L. Ehrlich, Pisma wybrane Pawla Wlodkowica [Warszawa 1968] t. 1, 61; 58-59).
Niemals kann sich ein Volk auf Kosten eines anderen entwickeln, um den Preis seiner Eroberung und Versklavung, um den Preis seiner Ausbeutung und seines Todes. Das sind Gedanken Johannes' XXIII. und Pauls VI. über den Frieden in der gegenwärtigen Welt. Diese Worte spricht ihr unwürdiger Nachfolger, aber sie spricht gleichzeitig der Sohn des Volkes, das in seiner ferneren und näheren Geschichte vielfältige Marter von anderen erlitten hat. Erlaubt mir jedoch, dass ich diese anderen nicht beim Namen nenne - erlaubt mir, dass ich sie nicht nenne.
Wir stehen an einem Ort, an dem wir von jedem Volk und von jedem Menschen als Bruder denken wollen. Und wenn in dem, was ich gesagt habe, auch Bitterkeit war, meine lieben Brüder und Schwestern, habe ich das nicht gesagt, um irgend jemanden anzuklagen. Ich habe das gesagt, um zu erinnern. Ich spreche nämlich nicht nur mit den Gedanken an diejenigen, die umkamen - an vier Millionen Opfer auf diesem riesigen Feld -, ich spreche im Namen aller, deren Rechte irgendwo auf der Welt missachtet und vergewaltigt werden. Ich spreche, denn mich, uns alle verpflichtet die Wahrheit. Ich spreche, denn mich, uns alle verpflichtet die Sorge um den Menschen, und daher bitte ich alle, die mich hören, dass sie alle ihre Kräfte auf diese Sorgen um den Menschen konzentrieren. Die aber, die mich im Glauben an Jesus Christus hören, bitte ich, dass sie sich vereinen im Gebet um Frieden und Versöhnung.
4. Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher! Von Pest, Hunger, Feuer und Krieg ... auch von Krieg, erlöse uns, Herr! Amen.
42. Papst Johannes Paul II.: Predigt beim Gottesdienst in Drogheda am 29. September 1979
AAS 71 (1979) 1076-1085
1. Nachdem ich heute den Boden Irlands bei meiner Ankunft gegrüßt habe, führt mich meine erste irische Fahrt an diese Stelle hier, nach Drogheda. Der Ruf von Jahrhunderten sendet mich hierhin.
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5. Unser Christsein verlangt aber nicht von uns, vor schwierigen menschlichen Problemen unsere Augen zu verschließen. Es erlaubt uns nicht, gleichgültig zu sein und uns zu weigern, ungerechte soziale oder internationale Situationen zu sehen. Was das Christsein uns verbietet ist, Lösungen für diese Situationen auf dem Weg des Hasses, durch die Ermordung schutzloser Menschen oder durch terroristische Methoden zu suchen. Lasst mich noch mehr sagen: ein Christ versteht und erkennt den ehrenvollen und gerechten Kampffür die Gerechtigkeit an; der Christ lehnt es aber entschieden ab, Hass zu schüren, Gewalttätigkeit zu fördern oder zu provozieren oder zu kämpfen nur um des "Kampfes" willen. Das Gebot "Du sollst nicht töten" muss für das Gewissen der Menschheit verbindlich bleiben, wenn sich die furchtbare Tragödie und das Schicksal Kains nicht wiederholen soll.
6. Aus diesem Grund war es für mich ratsam, hierher zu kommen, bevor ich nach Amerika gehe, wo ich vor der Organisation der Vereinten Nationen über dieselben Probleme des Friedens und des Krieges, der Gerechtigkeit und der Menschenrechte zu sprechen hoffe. Der Kardinalprimas und ich haben zusammen entschieden, dass es besser sein würde, wenn ich hierher, nach Drogheda, käme und dass ich von hier aus den "Anfängen" des Glaubens und der Primatie in eurem Heimatland die Ehre erweise; dass ich ferner hier mit euch allen vor Gott und angesichts eurer ruhmreichen christlichen Geschichte über dieses dringende Problem, das Problem des Friedens und der Versöhnung, nachsinne.
Wir müssen vor allem klar erkennen, wo die Ursachen für diesen tragischen Kampf zu finden sind. Wir müssen jene Systeme und Ideologien beim Namen nennen, die für diese blutige Auseinandersetzung verantwortlich sind. Wir müssen ferner überlegen, ob die Ideologie der Subversion dem wahren Wohl eures Volkes und des einzelnen Menschen wirklich dient. Ist es möglich, das Wohl der einzelnen und der Völker auf Hass und Krieg zu gründen? Ist es richtig, die jungen Generationen in den Abgrund des Brudermordes zu treiben? Ist es nicht vielmehr notwendig, Lösungen für unsere Probleme auf anderen Wegen zu suchen? Macht es der brudermörderische Kampf nicht noch dringlicher, dass wir mit all unseren Kräften nach friedlichen Lösungen suchen? Diese Fragen werde ich in wenigen Tagen vor der Versammlung der Vereinten Nationen erörtern. Heute möchte ich sie hier, in diesem geliebten Land von Irland, von dem aus vor mir so viele andere nach Amerika aufgebrochen sind, zusammen mit euch erwägen.
7. Meine Botschaft an euch kann heute nicht verschieden von dem sein, was der hl. Patrick und der hl. Oliver Plunkett gelehrt haben. Ich verkündige, was sie verkündet haben: Christus, der der "Fürst des Friedens" (Jes 9,5) ist; der uns mit Gott und untereinander versöhnt hat (vgl. 2 Kor 5,16); der die Quelle aller Einheit ist. Diese Evangelientexte sprechen zu uns von Jesus als dem "Guten Hirten", dessen einziger Wunsch es ist, alle in einer Herde zusammenzuführen. Ich komme zu euch in seinem Namen, im Namen Jesu Christi, der dafür gestorben ist, "um die zerstreuten Gotteskinder zu sammeln" (Joh 11,52). Dies ist mein Auftrag, meine Botschaft für euch: Jesus Christus, der unser Friede ist. Christus "ist unser Friede" (Eph 2,11). Heute und immer wiederholt er für uns: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Joh 14,27). Niemals ist in der Geschichte der Menschheit bisher so viel über den Frieden gesprochen worden und ist er so heiß ersehnt worden wie in unseren Tagen. Die wachsende gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Völkern und Nationen führt dazu, dass fast jeder - wenigstens im Prinzip - sich zum Ideal der Brüderlichkeit unter allen Menschen bekennt. Große internationale Institutionen diskutieren über die friedliche Koexistenz der Menschheit. In der öffentlichen Meinung wächst das Bewusstsein von der Sinnlosigkeit des Krieges als Mittel zur Lösung von Streitfragen. Mehr und mehr wird der Friede als die notwendige Voraussetzung für brüderliche Beziehungen zwischen den Nationen und Völkern betrachtet. Der Friede wird zunehmend deutlicher als der einzige Weg zur Gerechtigkeit anerkannt; der Friede selbst ist das Werk der Gerechtigkeit. Und dennoch kann man immer wieder sehen, wie der Friede unterminiert und zerstört wird. Was ist der Grund dafür, dass unsere Überzeugungen nicht immer auch unsere Haltung und unsere Verhaltensweisen entsprechend bestimmen? Warum scheinen wir unfähig zu sein, alle Konflikte aus unserem Leben zu verbannen?
8. Friede ist die Frucht von vielen konvergierenden Haltungen und Gegebenheiten; er ist das Ergebnis sittlicher Beobachtung von ethischen Prinzipien, die in der Botschaft des Evangeliums gründen und dadurch noch größeren Nachdruck erhalten.
Ich möchte hier an erster Stelle die Gerechtigkeit nennen. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1971 hat mein verehrter Vorgänger, jener Pilger für den Frieden, Paul VI., gesagt: "Wahrer Friede muss sich auf Gerechtigkeit gründen, auf ein Gespür für die unantastbare Würde des Menschen, auf die Anerkennung einer unzerstörbaren und beglückenden Gleichheit unter den Menschen, auf das Grundprinzip menschlicher Brüderlichkeit, d. h. auf die jedem Menschen als Mensch geschuldete Achtung und Liebe." Dieselbe Botschaft habe ich in Mexiko und in Polen bekräftigt. Ich wiederhole sie nachdrücklich hier in Irland. Jeder Mensch besitzt unveräußerliche Rechte, die respektiert werden müssen. Jede menschliche Gemeinschaft - sei sie ethischer, historischer, kultureller oder religiöser Natur - hat ebenso Rechte, die zu achten sind. Der Friede ist jedesmal dann bedroht, wenn eines dieser Rechte verletzt wird. Das Sittengesetz, der Wächter der Menschenrechte und Beschützer der Menschenwürde, kann durch keinen Menschen oder keine Gruppe, auch nicht durch den Staat, aus welchem Grund auch immer, nicht einmal um der Sicherheit willen oder im Interesse von Gesetz und Ordnung, beiseite geschoben werden. Das Gesetz Gottes beurteilt alle Staatsraison. Solange auf einem der Gebiete, die die Würde der menschlichen Person berühren, sei es auf dem politischen oder ökonomischen Feld, im kulturellen oder religiösen Bereich, Ungerechtigkeiten fortbestehen, wird es keinen wirklichen Frieden geben. Die Ursachen der ungleichen Behandlungsweise müssen durch mutige und objektive Prüfung aufgezeigt und beseitigt werden, so dass jede Person nach dem Maß ihrer menschlichen Veranlagung als Mann oder Frau sich voll entfalten und heranreifen kann.
9. Zweitens kann der Friede nicht durch Gewalt herbeigeführt werden; Friede kann niemals in einem Klima des Terrors, der Einschüchterung und des Todes gedeihen. Jesus selbst sagt: "Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen" (Mt 26,52). Dies ist Gotteswort; es gebietet dieser Generation gewalttätiger Menschen, von Hass und Gewalt abzulassen und in sich zu gehen.
Ich vereine heute meine Stimme mit der Pauls VI. und meiner anderen Vorgänger, mit der Stimme eurer religiösen Führer und aller besonnenen Männer und Frauen und rufe euch mit der Überzeugung meines Glaubens an Christus und im Bewusstsein meiner Sendung zu, dass Gewalttätigkeit ein Übel ist, dass Gewaltanwendung als Lösung von Problemen unannehmbar und des Menschen unwürdig ist. Gewalt ist eine Lüge, denn sie verstößt gegen die Wahrheit unseres Glaubens, gegen die Wahrheit unserer Menschlichkeit. Gewalt zerstört, was sie zu verteidigen vorgibt: die Würde, das Leben, die Freiheit der Menschen. Gewalt ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, denn sie zerstört die eigentliche Wirkstätte der Gesellschaft. Ich bete mit euch, dass das sittliche Empfinden und die christliche Überzeugung der irischen Männer und Frauen niemals durch die Lüge der Gewalt verdunkelt und abgestumpft werden, dass niemand jemals Mord mit einem anderen Wort als eben Mord bezeichnet, dass der Spirale der Gewalt niemals das Merkmal einer unvermeidlichen Logik oder einer notwendigen Vergeltung beigemessen wird. Lasst uns stets daran denken, dass für immer das Wort gilt: "Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen."
10. Es gibt so dann noch ein anderes Wort, das zum Wortschatz eines jeden Christen gehören muss, vor allem, wenn Barrieren des Hasses und des Misstrauens aufgerichtet worden sind. Dies Wort ist Versöhnung. "Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe" (Mt 5,23-24). Dieses Gebot Jesu ist stärker als jede Barriere, die menschliche Unzulänglichkeit oder Böswilligkeit errichten kann. Selbst wenn unser Glaube an die grundlegende Güte des Menschen erschüttert und bedroht worden ist, wenn lange gehegte Überzeugungen und Haltungen unsere Herzen verhärtet haben, gibt es doch eine Quelle der Kraft, die stärker ist als jede Enttäuschung, Verbitterung oder jedes eingewurzelte Misstrauen; diese Kraft ist Jesus Christus, der Vergebung und Versöhnung in die Welt gebracht hat.
Ich appelliere an alle, die mich hören; an alle, die nach den vielen Jahren des Streites, der Gewalttätigkeit und gegenseitiger Entfremdung entmutigt sind: sie. sollen versuchen, was fast unmöglich erscheint, nämlich dem unerträglichen Geschehen ein Ende zu setzen. Ich bezeuge meine Anerkennung den vielen Anstrengungen, die von unzähligen Männern und Frauen Nordirlands unternommen worden sind, um den Weg der Versöhnung und des Friedens einzuschlagen. Der Mut, die Geduld und unbezähmbare Hoffnung dieser Männer und Frauen des Friedens haben das Dunkel dieser Jahre der Prüfung ein wenig erhellt. Der Geist christlichen Verzeihens, den so viele gezeigt haben, die persönlich gelitten haben, oder auch deren Angehörige, hat die Menschen tief beeindruckt. In den kommenden Jahren, wenn die Worte des Hasses und die Gewalttätigkeiten vergessen sein werden, werden es diese Worte der Liebe und die Taten des Friedens und der Vergebung sein, deren man sich noch erinnern wird. Dies ist es, was die kommenden Generationen bewegen wird.
Euch allen, die ihr mich hört, sage ich: Glaubt nicht an die Gewalt; unterstützt die Gewalt nicht! Dies ist nicht der christliche Weg. Es ist nicht der Weg der Katholischen Kirche. Glaubt an den Frieden und an die Vergebung und die Liebe; denn diese gehören zu Christus.
Gemeinschaften, die sich nahestehen in der Annahme von Jesu höchster Botschaft der Liebe, die sich in Friede und Versöhnung ausdrückt sowie in der Zurückweisung vonjeder Gewalt, stellen eine unwiderstehliche Macht dar, um das zu verwirklichen, was viele resigniert als unmöglich und unveränderlich annehmen.
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43. Papst Johannes Paul II.: Ansprache vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober 1979
AAS 71 (1979) 1144-1160
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2. Das formale Motiv meiner heutigen Teilnahme ist zweifellos die besondere Art der Zusammenarbeit, die den Apostolischen Stuhl mit der Organisation der Vereinten Nationen verbindet, wie gerade die Anwesenheit der Ständigen Mission eines Beobachters des Hl. Stuhls bei dieser Organisation bezeugt. Diese Verbindung, der der Hl. Stuhl große Beachtung schenkt, hat ihren inneren Grund in der Souveränität, die den Apostolischen Stuhl seit vielen Jahrhunderten auszeichnet. Diese ist zwar, was das entsprechende Territorium betrifft, auf den kleinen Vatikanstaat begrenzt; sie ist jedoch von der Notwendigkeit motiviert, dass die Päpste ihre Sendung in voller Freiheit ausüben und mit jedem möglichen Gesprächspartner, sei es eine Regierung oder eine internationale Organisation, unabhängig von jeder anderen Souveränität verhandeln können. Gewiss, das Wesen und die Ziele der besonderen geistlichen Mission des Apostolischen Stuhls und der Kirche bringen es mit sich, dass sich ihre Teilnahme an Aufgaben und Aktivitäten der UNO von der anderer Staaten als Gemeinschaften im politisch-weltlichen Sinne tief unterscheidet.
3. Der Hl. Stuhl hält nicht nur die eigene Zusammenarbeit mit der UNO für sehr wichtig, sondern hat auch seit der Gründung dieser Organisation immer seine eigene Wertschätzung und Zustimmung Hir die historische Bedeutung dieses obersten Forums des internationalen Lebens der heutigen Menschheit bekundet. Er hat auch stets ihre Funktionen und Initiativen unterstützt, die das friedliche Zusammenleben und gemeinsame Handeln unter den Nationen zum Ziel haben. Hierfür gibt es viele Beweise. In den mehr als 30 Jahren des Bestehens der UNO haben päpstliche Botschaften und Enzykliken sowie Dokumente des katholischen Episkopates und auch des Zweiten Vatikanischen Konzils ihr große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI. schauten mit Vertrauen auf diese wichtige Institution als Zeichen unserer Zeit voller Bedeutung und Hoffnung. Und auch derjenige, der jetzt vor Ihnen spricht, hat seit den ersten Monaten seines Pontifikats mehrfach die gleiche Zuversicht und Überzeugung wie seine Vorgänger ausgedrückt.
4. Diese zuversichtliche Überzeugung des Apostolischen Stuhls erwächst, wie gesagt, nicht aus rein politischen Gründen, sondern gerade aus der religiösen, moralischen Natur der Sendung der römisch-Katholischen Kirche.
Als universale Gemeinschaft, die Gläubige aus fast allen Ländern und Kontinenten, Nationen, Völkern, Rassen, Sprachen und Kulturen umfasst, ist diese wesentlich an der Existenz und Aktivität einer Organisation interessiert, die - wie wir schon ihrem Namen entnehmen können - Nationen und Staaten zusammenführt und vereint. Vereinen und zusammenführen, nicht trennen und Gegensätze fördern: so sucht die UNO Wege der Verständigung und der friedlichen Zusammenarbeit, indem sie mit den verfügbaren Mitteln und anwendbaren Methoden sich darum bemüht, Krieg, Spaltung und gegenseitige Zerstörung in dieser großen Familie, wie sie die heutige Menschheit darstellt, zu verhindern.
5. Dies ist das wahre Motiv, das wesentliche Motiv meiner Anwesenheit unter Ihnen, und ich möchte dieser hohen Versammlung meine Dankbarkeit bezeigen, dass sie diesem Motiv, das meinen Besuch vielleicht nützlich machen kann, ihre Beachtung geschenkt hat. Es ist sicher von besonderer Bedeutung, dass sich heute unter den Repräsentanten der Staaten, die auf der Souveränität einer Amtsvollmacht für ihr Territorium und ihre Bevölkerung beruhen, auch der Vertreter des Apostolischen Stuhls und der Katholischen Kirche befindet. Es ist die Kirche Jesu Christi, der vor dem Tribunal des römischen Richters Pilatus erklärte, ein König zu sein, aber König eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 18,36-37). Auf die Frage nach dem inneren Grund seines Königreiches unter den Menschen gab er zur Antwort: "Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege" (Joh 18,37). Wenn ich also heute vor den Repräsentanten der Staaten stehe, dann möchte ich nicht nur meinen Dank, sondern auch meine ganz besondere Freude bekunden, da die Einladung an den Papst, in Ihrer Versammlung das Wort zu ergreifen, einen Beweis dafür darstellt, dass die Organisation der Vereinten Nationen die religiös-moralische Dimension jener menschlichen Probleme anerkennt und respektiert, um die sich die Kirche mit Hilfe ihrer Botschaft der Wahrheit und der Liebe, die sie der Welt nahebringen muss, kümmert. Ganz sicher ist es für die Fragen, die Gegenstand Ihrer Aufgaben und Bemühungen sind - wie der sehr umfangreiche und organische Komplex von Einrichtungen und Aktivitäten ausweist, die im Rahmen der UNO wirken oder mit ihr zusammenarbeiten, vor allem im Bereich von Kultur, Gesundheit, Ernährung und Arbeit sowie auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomenergie -, besonders wichtig, dass wir uns im Namen des Menschen begegnen, verstanden in seiner vollen Einheit, in der ganzen Fülle und dem vielfältigen Reichtum seiner geistigen und materiellen Existenz, wie ich es in meiner Enzyklika Redemptor hominis, der ersten meines Pontifikats, dargelegt habe.
6. So ergreife ich die Gelegenheit dieser feierlichen Begegnung mit den Repräsentanten der Nationen der Welt, um in diesem Augenblick einen Gruß an alle Männer und Frauen zu richten, die auf dieser Erde leben, an jeden Mann, an jede Frau ohne irgendeine Ausnahme. Jedes menschliche Wesen, das unseren Planeten bewohnt, ist ja Mitglied einer bürgerlichen Gemeinschaft, einer Nation, von denen hier viele vertreten sind. Jeder von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, ist Repräsentant von einzelnen Staaten, von politischen Systemen und Strukturen, aber vor allem von bestimmten Gruppen von Menschen. Sie alle sind die Vertreter der Menschen, praktisch aller Menschen dieser Erde: konkreter Menschen. Gemeinschaften und Völker, die die gegenwärtige Phase ihrer Geschichte durchleben und zugleich in die Geschichte der ganzen Menschheit verwoben sind mit ihrer Individualität und der Würde der menschlichen Person, mit einer eigenen Kultur, mit persönlichen Erfahrungen und Sehnsüchten, Spannungen und Leiden, mit berechtigten Erwartungen. Von hier aus begründet sich jegliche politische Aktivität auf nationaler oder internationaler Ebene: letztlich kommt sie "vom Menschen her", wird sie "durch den Menschen" ausgeübt; geschieht sie "für den Menschen". Wenn jene Aktivität sich von dieser grundlegenden Beziehung und Sinnrichtung entfernt, wenn sie gewissermaßen sich selbst zum Ziel wird, dann verliert sie dadurch einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung. Ja, sie kann sogar Quelle einer speziellen Entfremdung werden; sie kann sich vom Menschen völlig lösen; sie kann in Widerspruch geraten zur Menschlichkeit als solcher. In Wirklichkeit ist die Existenzberechtigung jeglicher Politik der Dienst am Menschen, ist die unermüdliche und verantwortliche Sorge um die Probleme und wesentlichen Bereiche seiner irdischen Existenz in ihrer sozialen Dimension und Tragweite, von der gleichzeitig ja auch das Wohl einer jeden einzelnen Person abhängt.
7. Ich bitte, mich zu entschuldigen, wenn ich von Dingen spreche, die Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, sicher ganz evident sind. Es scheint mir jedoch sinnvoll zu sein, darüber zu sprechen; denn was menschliche Aktivitäten oft in Gefahr bringt, ist doch die Möglichkeit, dass man bei ihrem Vollzug die deutlichsten Wahrheiten und die grundlegendsten Prinzipien aus dem Blick verliert.
Es sei mir daher der Wunsch erlaubt, dass die Organisation der Vereinten Nationen wegen ihres universellen Charakters niemals aufhören möge, jenes "Forum", jene hohe Tribüne zu sein, von der aus alle Probleme des Menschen im Geist der Wahrheit und der Gerechtigkeit gewertet werden. Im Namen dieser Inspiration und durch diesen historischen Anstoß wurde am 26. Juni 1945, gegen Ende des furchtbaren Zweiten Weltkriegs, die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet, und es entstand am darauffolgenden 24. Oktober Ihre Organisation. Kurz danach entstand als ihr Grundgesetz die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (am 10. Dezember 1948), über die Rechte des Menschen als eines konkreten Individuums wie auch in seiner universalen Bedeutung. Dieses Dokument ist ein Meilenstein auf dem langen und schwierigen Weg der Menschheit. Wir dürfen ja den menschlichen Fortschritt nicht nur am Fortschritt der Wissenschaft und Technik messen, der gewiss die Ausnahmestellung des Menschen im Verhältnis zur Natur sichtbar macht, sondern gleichzeitig und mehr noch am Primat der geistigen Werte und am Fortschritt des moralischen Lebens. Gerade in diesem Bereich zeigt sich die volle Herrschaft des menschlichen Geistes mit Hilfe der Wahrheit im Verhalten der Person und der Gesellschaft sowie auch in der Herrschaft über die Natur; hier setzt sich die stille Macht des geistigen Bewusstseins des Menschen durch nach dem alten Ausspruch: "Das Menschengeschlecht lebt aus der praktischen und theoretischen Vernunft" (Genus humanum arte et ratione vivit).
Gerade damals, als die Technik in ihrem einseitigen Fortschritt auf kriegerische Zwecke hingelenkt wurde, auf Versuche, eine Hegemonie zu erlangen oder Eroberungen zu machen, wobei der Mensch den Menschen töten und eine Nation die andere zerstören sollte, indem sie sie der Freiheit oder sogar des Existenzrechtes beraubte - ich habe dabei immer das Bild des Zweiten Weltkriegs in Europa vor Augen, wie er vor rund 40 Jahren, am 1. September 1939, mit der Invasion Polens begann und am 9. Mai 1945 beendet wurde -, ist die Organisation der Vereinten Nationen entstanden. Und drei Jahre danach wurde das Dokument geschaffen, das, wie gesagt, als wahrer Meilenstein auf dem Wege des moralischen Fortschritts der Menschheit angesehen werden muss: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Regierungen und Staaten der Welt haben begriffen, dass sie sich zusammenschließen müssen, wenn sie sich nicht gegenseitig angreifen und zerstören wollen. Der wahre Weg zu dieser Einheit, der grundlegende Weg, führt anjedem einzelnen Menschen vorbei: durch die Festlegung, die Anerkennung und Achtung der unveräußerlichen Rechte der Personen und Völkergemeinschaften.
8. Heute, 40 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, möchte ich all das viele in Erinnerung rufen, das die Menschen und Nationen in jenen Jahren durchgemacht haben, eine Generation, die zum großen Teil heute noch lebt. Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, über einige dieser Erfahrungen noch einmal nachzudenken, und zwar an einem der Orte, wo die Verachtung für den Menschen und seine Grundrechte in einem besonders schmerzlichen und übergroßen Ausmaß zu Tage getreten ist: im Konzentrationslager von Auschwitz (Oświęycim), das ich während meiner Pilgerfahrt nach Polen im vergangenen Juni besucht habe. Dieser Ort mit seiner so traurigen Berühmtheit ist leider nur einer von vielen auf dem europäischen Kontinent. Schon die Erinnerung an einen einzigen davon müsste auf den Straßen der heutigen Menschheit ein Mahnmal dafür sein, jegliche Art von Konzentrationslager an jeder Stelle dieser Erde ein für allemal zu beseitigen. Für immer müsste aus dem Leben der Nationen und der Staaten all das verschwinden, was mit diesen fürchterlichen Erfahrungen in Verbindung steht, was ihre Fortsetzung darstellt - auch unter anderen Formen, also jegliche Art von physischer oder moralischer Tortur und Unterdrückung, gleich von welchem politischen System verübt oder in welchem Land begangen -, ein um so schmerzlicheres Handeln, wenn es unter dem Vorwand der "inneren Sicherheit" oder der Notwendigkeit, einen scheinbaren Frieden zu erhalten, geschieht.
9. Die verehrten Anwesenden mögen mir diese Erinnerung verzeihen: aber ich wäre der Geschichte unseres Jahrhunderts untreu, ich wäre nicht ehrlich vor der großen Sache des Menschen, der wir doch alle dienen möchten, wenn ich darüber schweigen würde, da ich doch jenem Land entstamme, auf dessen lebendigem Leib einmal "ein Auschwitz" erbaut worden ist. Der Sinn meiner Erinnerung, sehr verehrte Damen und Herren, ist allerdings, vor allem aufzuzeigen, aus welchen schmerzlichen Erlebnissen und Leiden von Millionen von Personen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Anfangsimpuls und Meilenstein für die Organisation der Vereinten Nationen entstanden ist. Der Preis dieser Erklärung sind Millionen unserer Brüder und Schwestern, die dafür mit ihrem eigenen Leiden und Opfer bezahlt haben, wie sie ihnen von einer Menschenverachtung zugefügt worden sind, die die Gewissen ihrer Unterdrücker, Ingenieure eines wahren Völkermordes, betäubt und abgestumpft hatte. Dieser Preis darf nicht umsonst bezahlt worden sein! Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - ergänzt durch zahlreiche weitere Erklärungen und Konventionen über sehr wichtige Bereiche der Menschenrechte, so zugunsten des Kindes, der Frau, der Rassengleichheit wie auch besonders durch die zwei internationalen Verträge über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und über bürgerliche und politische Rechte - muss für die Organisation der Vereinten Nationen der Grundwert bleiben, an dem sich das Gewissen ihrer Mitglieder ausrichten sollte und woraus sie sich ständig neue Anregung holen müssten. Wenn die Wahrheiten und Prinzipien, die in diesem Dokument enthalten sind, vergessen und übergangen würden und dabei die anfängliche Evidenz verlieren sollten, mit der sie im Augenblick der schmerzhaften Geburt aufleuchteten, dann könnte die hohe Zielsetzung der Organisation der Vereinten Nationen von einer neuen Zerstörung bedroht sein. So weit könnte es kommen, wenn über die einfache und zugleich eindringliche Sprache der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein gewisses Interesse endgültig die Oberhand gewänne, das man zu Unrecht als "politisch" ausgibt, hingegen oft nur Gewinn und einseitigen Profit zu Lasten von anderen bedeutet oder Machtwillen, dem die Interessen anderer gleichgültig sind, alles das also, was von seinem Wesen her dem Geist der Erklärung widerspricht. Das so verstandene "politische Interesse", die Herren mögen mir verzeihen, entehrt die hohe und schwierige Mission, die zu Ihrem Dienst für das Wohl Ihrer· Nationen und der ganzen Menschheit gehört.
10. Vor vierzehn Jahren sprach von dieser Tribüne mein großer Vorgänger Papst Paul VI. Er hat damals einige unvergessene Worte ausgesprochen, die ich heute wiederholen möchte:
"Niemals wieder Krieg, niemals! Niemals wieder die einen gegen die anderen" und auch nicht "der eine über den anderen", sondern immer und in jedem Fall "die einen mit den anderen".
Paul VI. hat der Sache des Friedens unermüdlich gedient. Auch ich will mit all meinen Kräften ihm darin nachfolgen und diesen seinen Dienst fortsetzen. Die Katholische Kirche verkündet an allen Orten der Erde eine Botschaft des Friedens, sie betet für den Frieden und erzieht den Menschen zum Frieden. An dieser Zielsetzung nehmen in engagierter Weise auch die Vertreter und Anhänger anderer Kirchen und Gemeinschaften sowie anderer Religionen der Welt teil. Und diese Arbeit, verbunden mit den Anstrengungen aller Menschen guten Willens, bringt sicher ihre Früchte. Allerdings beunruhigen uns immer wieder die kriegerischen Konflikte, die von Zeit zu Zeit ausbrechen. Wie sehr müssen wir dem Herrn danken, wenn es durch direkten Einsatz gelingt, den einen oder anderen abzuwenden, wie zum Beispiel die Spannung, die im vergangenen Jahr Argentinien und Chile bedrohte.
Wie sehr wünschte ich mir, dass man auch in der Krise des Nahen Ostens einer Lösung näher käme. Während ich bereit bin, jeden Schritt oder konkreten Versuch zur Beilegung des Konflikts zu würdigen, möchte ich doch daran erinnern, dass solche Schritte wertlos bleiben, wenn sie nicht wirklich den Grundstein für eine allgemeine und umfassende Friedenslösung in der Region darstellen, für einen Frieden, der sich unbedingt auf die gleiche Anerkennung der Rechte aller gründen und dabei notwendigerweise die Beachtung und gerechte Lösung des Problems der Palästinenser einschließen muss. Hiermit ist auch das Problem des friedlichen Zusammenlebens, der Unabhängigkeit und territorialen Integrität des Libanons verbunden nach der Art, durch die er ein Beispiel für eine friedliche und gegenseitig fruchtbare Koexistenz der einzelnen Gemeinschaften geworden ist und die, wie zu wünschen wäre, im gemeinsamen Interesse beibehalten werden sollte, wenn auch mit den Anpassungen, die von der Entwicklung der Situation gefordert sind. Ich wünschte mir auch ein besonderes Statut, das unter internationalen Garantien (wie schon mein Vorgänger Paul VI. bei Gelegenheit angeregt hat) den Respekt vor der einzigartigen Natur Jerusalems sichern soll, eines Patrimoniums, das der Verehrung von Millionen von Gläubigen der drei großen monotheistischen Religionen, des Judentums, des Christentums und des Islams, heilig ist.
Ebenso beunruhigen uns die Informationen über die Entwicklung der Rüstungen, die alles übersteigen, was bisher an Mitteln und Auswirkungen von Kampf und Zerstörung bekannt war. Auch von hier aus ermutigen wir die Entscheidungen und Abkommen, die den Rüstungswettlauf zu bremsen versuchen. Die Drohung einer Zerstörung, das Risiko, das sogar von der Übernahme gewisser "einschläfernder" Informationen ausgeht, lasten jedoch weiterhin schwer auf dem Leben der heutigen Menschheit. Auch der Widerstand gegenüber konkreten, praktischen Vorschlägen einer wirklichen Abrüstung - wie jene, die diese Versammlung im vergangenen Jahr auf einer Sondersitzung gemacht hat - beweist, dass es zusammen mit dem Friedenswillen, den alle erklären und die meisten wünschen, zugleich vielleicht verborgen oder nur hypothetisch, aber doch wirklich auch dessen Gegenteil und sogar seine Verneinung gibt. Die fortwährenden Vorbereitungen zum Krieg, auf die die Produktion von immer zahlreicheren, von immer stärkeren und komplizierteren Waffen in verschiedenen Ländern hindeutet, zeigen, dass man zum Krieg bereit sein will, und bereit sein bedeutet in der Lage sein, ihn auch zu provozieren, bedeutet auch, das Risiko auf sich zu nehmen, dass in irgendeinem Augenblick, irgendwo, in irgendeiner Weise jemand den fürchterlichen Mechanismus einer allgemeinen Zerstörung in Bewegung setzen könnte.
11. Darum ist eine ständige und sogar noch energischere Anstrengung notwendig, die darauf abzielt, schon die Möglichkeiten, einen Krieg zu provozieren, zu beseitigen, um solche Katastrophen unmöglich zu machen. Dabei geht es darum, auf die Haltungen und Überzeugungen, auf die Absichten und Interessen der Regierungen und Völker einzuwirken. Diese Aufgabe, die der Organisation der Vereinten Nationen und allen ihren einzelnen Organen immer gegenwärtig ist, betrifft jede Gesellschaft, jedes Regime, jede Regierung. Sicher trägt hierzu jede Initiative bei, die ein internationales Zusammenwirken bei der Entwicklungsarbeit zum Ziel hat. So hat es ja Paul VI. am Ende seiner Enzyklika Populorum progressio formuliert: "Wenn heute niemand mehr bezweifeln kann, dass Entwicklung gleichbedeutend ist mit Frieden, wer wollte dann nicht mit ganzer Kraft an dieser Entwicklung mitarbeiten?"<ref>Das Zitat wurde in diesem Wiki mit den Worten der offiziellen deutschen Übersetzung wiedergegeben vgl. Populorum progressio (Wortlaut)#Segen</ref> Diesem Ziel muss jedoch auch ein stetiges überlegtes Handeln dienen, das danach strebt, die Wurzeln selbst für Hass, Zerstörung und Verachtung freizulegen und für all das, was die Versuchung zum Krieg entstehen lässt: nicht nur im Inneren der Nationen, sondern auch im Kern der politischen Systeme, die für die Geschichte ganzer Gesellschaften verantwortlich sind. Bei diesem fast übermenschlichen Werk, der wirklichen Errichtung einer friedvollen Zukunft unseres Planeten, hat die Organisation der Vereinten Nationen zweifellos eine zentrale, führende Aufgabe, für die sie sich zu Recht auf die trefflichen Ideale in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bezieht. Diese Erklärung hat den Krieg wirklich an seiner weit verzweigten, tiefreichenden Wurzel getroffen; denn die Kriegslust in ihrer ursprünglichen, grundlegenden Bedeutung keimt und reift dort, wo die unveräußerlichen Menschenrechte verletzt werden.
Das ist eine neue Sicht der Sache des Friedens, zutiefst aktuell und zugleich wesentlicher und radikaler. Es ist eine Sicht, die das Entstehen des Krieges und in gewissem Sinne auch seine Substanz in allen möglichen Formen der Ungerechtigkeit unter allen ihren verschiedenen Aspekten erblickt; diese greift ja zunächst die Menschenrechte an, hierdurch zerreißt sie die organische Einheit der sozialen Ordnung und erschüttert schließlich das gesamte System der internationalen Beziehungen. Die Enzyklika Papst Johannes' XXIII., Pacem in terris, bringt hierzu eine synthetische Beurteilung aus dem Gedankengut der Kirche, die den ideellen Fundamenten der Organisation der Vereinten Nationen sehr nahekommt. Man muss sich also konsequenterweise hierauf stützen, hartnäckig und treu hieran festhalten, um den wahren "Frieden auf Erden" zu festigen.
12. Unter Anwendung dieses Prinzips müssen wir sorgfältig prüfen, welche hauptsächlichen Spannungen im Bereich der unveräußerlichen Menschenrechte das Gebäude des Friedens erschüttern könnten, den wir alle so heiß ersehnen und der auch das wesentliche Ziel der Bemühungen der Organisation der Vereinten Nationen bildet. Das ist nicht leicht, aber unumgänglich. Bei diesem Vorhaben muss sich jeder in eine völlig objektive Stellung bringen, sich von der Aufrichtigkeit führen lassen und von der Bereitschaft, die eigenen Vorurteile und Irrtümer anzuerkennen, ja sogar einverstanden zu sein, auf partikuläre Interessen auch politischer Art zu verzichten. Der Friede ist nun einmal ein höheres und wichtigeres Gut als jedes Einzelinteresse. Wenn wir diese Interessen der Sache des Friedens opfern, dienen wir ihr in vollkommener Weise. In wessen "politischem Interesse" könnte je ein neuer Krieg liegen?
13. Jede Analyse muss notwendigerweise von den gleichen Prämissen ausgehen: dass nämlich jedes menschliche Wesen eine Würde besitzt, die niemals - auch wenn die Person jeweils in einem konkreten sozialen und geschichtlichen Kontext lebt - herabgesetzt, verletzt oder zerstört werden darf, sondern die im Gegenteil geachtet und geschützt werden muss, falls man wirklich den Frieden aufbauen will. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die juridischen Hilfen auf internationaler wie nationaler Ebene versuchen durch eine Bewegung, deren kontinuierlichen Fortschritt man sich nur wünschen kann, ein allgemeines Bewusstsein für die Würde des Menschen zu wecken und wenigstens einige der unveräußerlichen Rechte des Menschen zu definieren. Es sei mir gestattet, einige unter den wichtigsten und allgemein anerkannten hier aufzuzählen: das Recht auf Leben und Freiheit und auf die Sicherheit der Person; das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung, auf Gesundheit, Erholung und Freizeit; das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Erziehung und Kultur; das Recht auf Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion sowie das Recht, seine Religion privat und in der Öffentlichkeit, für sich allein oder in Gemeinschaft zu bekennen; das Recht, seinen Lebensstand zu wählen, eine Familie zu gründen und alle notwendigen Voraussetzungen für ein Familienleben zu haben; das Recht auf Eigentum und auf Arbeit, auf angemessene Arbeitsbedingungen und einen gerechten Lohn; das Recht auf Versammlung und Zusammenschluss; das Recht auf Freizügigkeit im Ortswechsel im In- und Ausland; das Recht auf Staatsbürgerschaft und auf Wohnsitz; das Recht auf politische Mitbestimmung und das Recht auf Teilnahme an der freien Wahl des politischen Systems des Volkes, dem man angehört. Das Gesamt der Menschenrechte entspricht der Substanz der Menschenwürde in ihrem umfassenden Verständnis und nicht in einer Beschränkung auf nur eine einzige Dimension. Sie beziehen sich auf die Befriedigung der wesentlichen Bedürfnisse des Menschen, auf die Ausübung seiner Freiheit, auf seine Beziehung zu anderen Personen. Aber immer und überall sind sie auf den Menschen bezogen, auf seine volle Wirklichkeit als menschliches Wesen.
14. Der Mensch lebt gleichzeitig in der Welt der materiellen Werte wie in jener der geistigen Werte. Für den konkreten Menschen, der lebt und hofft, entsprechen die Bedürfnisse, die Freiheiten, die Beziehungen mit anderen niemals allein nur der einen oder der anderen Wertsphäre, sondern gehören immer beiden Sphären an. Dabei ist es durchaus legitim, die materiellen und die geistigen Werte jeweils getrennt zu betrachten, um besser zu verstehen, dass sich diese im konkreten Menschen nicht trennen lassen, und um andererseits zu sehen, dass jede Bedrohung der Menschenrechte, sei es im Bereich der materiellen, sei es im Bereich der geistigen Werte, gleich gefährlich für den Frieden ist, weil dieser sich immer auf den Menschen in seiner Ganzheit bezieht. Meine verehrten Zuhörer mögen mir erlauben, auf eine konstante Regel der Menschheitsgeschichte hinzuweisen, die schon in all dem enthalten war, was in Bezug auf die Menschenrechte und eine integrale Entwicklung des Menschen in Erinnerung gerufen worden ist. Diese Regel beruht auf der Beziehung zwischen den geistigen und den materiellen oder ökonomischen Werten. Innerhalb dieser Beziehung kommt der Vorrang den geistigen Werten zu, schon aufgrund de Natur dieser Werte wie auch aus Gründen, die das Wohl des Menschen be treffen. Der Vorrang der Geisteswerte bestimmt die besondere Bedeutung der irdischen und materiellen Güter sowie die Art ihres Gebrauchs, und gerade dadurch gehört er zur Grundlage eines gerechten Friedens. Diese Vorrang der geistigen Werte hat auch seinen Einfluss darauf, dass die materielle, technische und zivilisatorische Entwicklung wirklich dem dient, was den Menschen ausmacht, das heißt, dass sie den vollen Zugang zur Wahrheit, zur moralischen Entwicklung und zum Genuss der Kulturgüter ermöglicht, die wir ererbt haben, sowie zur Vermehrung dieser Güter durch unsere schöpferische Kraft. Nun aber ist es nicht schwer, festzustellen, dass die materiellen Güter nur in begrenztem Maße fähig sind, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen; von ihrer Natur her ist es schwer sie gerecht zu verteilen, und so provozieren sie in den Beziehungen zwischen denen, die sie besitzen oder daran teilhaben, und denen, die nichts davon haben, Spannungen, Streitigkeiten und Spaltungen, die nicht selten zum offenen Kampf werden können. Die geistigen Güter jedoch können zur gleichen Zeit vielen zur Verfügung stehen, unbegrenzt und ohne Verringerung des Wertes selbst. Im Gegenteil, je mehr Menschen an einem solchen Gut teilhaben, um so größer ist die Freude und Anteilnahme daran, um so mehr beweist dieses Gut dadurch seinen unzerstörbaren, ewigen Wert. Dies ist eine Wirklichkeit, die zum Beispiel durch die Werke des freien Schaffens, des Denkens, der Poesie, der Musik und der darstellenden Künste, die Früchte des menschlichen Geistes, bestätigt wird.
15. Eine kritische Analyse unserer heutigen Zivilisation ergibt, dass diese vor allem im letzten Jahrhundert wie nie zuvor zur Entwicklung der materiellen Güter beigetragen, aber auch in der Theorie und mehr noch in der Praxis eine Reihe von Haltungen hervorgebracht hat, bei denen in mehr oder weniger starkem Maße die Sensibilität für die geistige Dimension der menschlichen Existenz abgenommen hat. Die Ursache hierfür sind gewisse Voraussetzungen, durch die der Sinn des menschlichen Lebens vorwiegend auf die vielfältigen, materiellen und ökonomischen Bedingungen bezogen worden ist, das heißt auf die Erfordernisse der Produktion, des Handels, des Konsums, der Anhäufung von Reichtümern oder der Bürokratisierung, mit der man die entsprechenden Prozesse zu regulieren sucht. Ist sie nicht auch das Ergebnis davon, dass man den Menschen einer einzigen Betrachtungsweise und nur einer Wertsphäre untergeordnet hat?
16. Was haben diese Überlegungen mit der Sache des Friedens und des Krieges zu tun? Weil die materiellen Güter, wie ich schon vorhin gesagt habe, von ihrer Natur her Anlass zu Einschränkungen und Spaltungen geben, wird der Kampf um ihren Erwerb in der Menschheitsgeschichte unvermeidlich. Wenn wir diese einseitige Unterordnung des Menschen unter die materiellen Güter immer noch weiter pflegen, werden wir nicht imstande sein, diesen Zwangszustand zu überwinden. Wir könnten ihn mildern, ihn im Einzelfalle entschärfen, aber es wird uns nicht gelingen, ihn grundsätzlich und völlig zu beseitigen, wenn wir nicht den zweiten Wertbereich stärker ins Licht rücken und ihm vor den Augen eines jeden Menschen und aller Gesellschaften zu breiterer Anerkennung verhelfen: jener Wertbereich, der die Menschen nicht spaltet, sondern sie untereinander in Kontakt bringt, zusammenführt und einigt.
Ich bin der Meinung, dass die berühmte Präambel der Charta der Vereinten Nationen, in der die beteiligten Völker, "entschlossen, die kommenden Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren", feierlich den Glauben bekräftigen "an die Grundrechte des Menschen, an die Würde und den Wert der menschlichen Person, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von großen und kleine Nationen", jenen geistigen Wertbereich in den Vordergrund rücken will.
Man kann in der Tat die Kriegskeime nicht in einer nur oberflächlichen Weise, an den Symptomen, bekämpfen. Man muss es auf gründliche Weise tun und zu den Ursachen vorstoßen. Wenn ich mir eben erlaubt habe, die Aufmerksamkeit auf die geistigen Güter zu lenken, dann habe ich dies getan in der Sorge um die Sache des Friedens, der dadurch geschaffen wird, dass man die Menschen um jene Werte zusammenruft, die in höchstem Grade und zutiefst menschlich sind, die die Menschen über ihre Umwelt hinausheben und über ihre unzerstörbare Größe entscheiden: unzerstörbar trotz des Todes, dem jeder auf dieser Erde unterworfen ist. Ich möchte hinzufügen, dass die Katholische Kirche und - wie ich glaube, sagen zu können - die gesamte Christenheit gerade in diesem Bereich ihre besondere Aufgabe erblicken. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dazu beigetragen, festzustellen, was der christliche Glaube bei diesem Anliegen gemeinsam hat mit den verschiedenen nichtchristlichen Religionen. Die Kirche ist deshalb all denen dankbar, die sich dieser ihrer Mission gegenüber respektvoll und wohlwollend verhalten und sie nicht behindern oder erschweren. Die Analyse der Menschheitsgeschichte, insbesondere in ihrer gegenwärtigen Epoche, zeigt, wie sehr wir verpflichtet sind, die Tragweite jener Güter noch vollständiger darzulegen, wie wichtig diese Aufgabe für den Aufbau des Friedens ist und wie schwer jede Bedrohung der Menschenrechte wiegt. Ihre Verletzung, auch in Zeiten "des Friedens", ist eine Form des Krieges gegen den Menschen.
Es gibt anscheinend in der heutigen Welt zwei hauptsächliche Bedrohungen, die beide die Menschenrechte im Bereich der internationalen Beziehungen und im Innern der einzelnen Staaten oder Gesellschaften betreffen.
17. Die erste Art einer systematischen Bedrohung der Menschenrechte hängt, ganz allgemein gesprochen, mit der Verteilung der materiellen Güter zusammen, die sowohl innerhalb der einzelnen Gesellschaften wie auch aufWeltebene oft ungerecht ist. Es ist bekannt, dass diese Güter dem Menschen nicht nur als Reichtum der Natur gegeben sind, sondern ihm in noch größerem Maße zur Verfügung stehen als Ergebnis seiner vielfältigen Aktivität, angefangen bei der einfachsten Handarbeit bis zu den komplizierteren Formen industrieller Produktion sowie den Forschungen und Studien in höchst qualifizierten Spezialbetrieben. Verschiedene Formen der Ungleichheit im Besitz von materiellen Gütern und in ihrer Nutzung erklären sich oft aus verschiedenen Ursachen und Umständen geschichtlicher und kultureller Art. Wenn solche Umstände auch die moralische Verantwortung der Zeitgenossen verringern können, so schließen sie doch nicht aus, dass jene Situation der Ungleichheit das Zeichen der Ungerechtigkeit und des sozialen Schadens an sich trägt.
Wir müssen uns deshalb bewusst werden, dass die ökonomischen Spannungen, die in den einzelnen Ländern oder zwischen den Staaten oder sogar zwischen einzelnen Kontinenten bestehen, in sich selbst wesentliche Elemente enthalten, die die Menschenrechte einschränken oder verletzen; so zum Beispiel die Ausbeutung der Arbeitskraft und der vielfältige Missbrauch der Menschenwürde. Daraus folgt, dass das grundlegende Kriterium für einen Vergleich zwischen den sozialen, ökonomischen und politischen Systemen nicht das der beherrschenden Macht ist und sein darf, sondern das des menschlichen Wertes sein kann und muss, das heißt das Maß, in dem jedes von ihnen wirklich imstande ist, die verschiedenen Formen einer Ausbeutung des Menschen möglichst zu verringern, zu mildern und zu beseitigen und dem Menschen durch seine Arbeit nicht nur die gerechte Verteilung der unerlässlichen materiellen Güter zu sichern, sondern auch eine seiner Würde entsprechende Teilnahme am ganzen Produktionsprozess und am gesellschaftlichen Leben selbst, das sich in Verbindung mit diesem Prozess entfaltet. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mensch, wie sehr er auch zum Überleben von den Vorräten der materiellen Welt abhängt, doch nicht ihr Sklave sein darf, sondern ihr Herr. Die Worte aus dem Buch Genesis: "Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch" (Gen 1,28), bilden in einem gewissen Sinn eine erstrangige, wesentliche Leitlinie für das Gebiet der Ökonomie und der Arbeitspolitik.
18. Gewiss haben in diesem Bereich die ganze Menschheit und die einzelnen Nationen im letzten Jahrhundert einen beachtlichen Fortschritt gemacht. Aber immer wieder gibt es auf diesem Gebiet systematische Bedrohungen und Verletzungen der Menschenrechte. Als Unruheherde bestehen oft weiterhin die schrecklichen Ungleichheiten zwischen Menschen und Gruppen in übertriebenem Reichtum auf der einen Seite und der zahlenmäßigen Mehrheit der Armen oder sogar der Verelendeten auf der anderen Seite, die ohne Nahrung, ohne Arbeitsplatz und Schule in großer Zahl zu Hunger und Krankheit verurteilt sind. Eine gewisse Besorgnis ruft aber auch hervor, dass manchmal die Arbeit radikal vom Eigentum getrennt ist und der Mensch seiner Arbeitsstätte gleichgültig gegenübersteht, weil ihn nur ein Arbeitsvertrag mit ihr verbindet, ohne die Überzeugung, für ein Gut zu arbeiten, das ihm gehören wird oder für ihn bestimmt ist.
Es ist allgemein bekannt, dass der Graben zwischen der übertrieben reichen Minderheit und der großen Menge der Armen ein sehr schwerwiegendes Krankheitssymptom im Leben jeder Gesellschaft darstellt. Das gleiche muss man mit noch stärkerem Nachdruck von dem Graben sagen, der einzelne Länder und Regionen der Erde trennt. Gibt es einen anderen Weg, diese schwere Ungleichheit, die Bereiche der Übersättigung den Bereichen des Hungers und der Schwäche gegenübersetzt, zu überwinden als durch eine planvolle Zusammenarbeit aller Nationen? Hierzu ist vor allem eine Einheit nötig, die sich an echter Friedensbereitschaft inspiriert. Alles aber wird abhängen davon, ob diese Unterschiede und Kontraste im Bereich des "Besitzens von Gütern" systematisch und mit wirklich durchgreifenden Mitteln verringert werden, ob von der ökonomischen Weltkarte die Zonen des Hungers, der Unterernährung, der Verelendung, der Unterentwicklung, der Krankheit und des Analphabetismus verschwinden werden und ob die friedliche Zusammenarbeit nicht neue Bedingungen der Ausbeutung, der ökonomischen und politischen Abhängigkeit bringen wird, die nur eine neue Form des Kolonialismus wären.
19. Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die zweite Art einer systematischen Bedrohung richten, von der in der heutigen Welt der Mensch in seinen unantastbaren Rechten betroffen ist und die nicht weniger als die erste eine Gefahr für die Sache des Friedens darstellt: gemeint sind die verschiedenen Formen von Ungerechtigkeit im geistigen Bereich.
Man kann den Menschen tatsächlich auch in seiner inneren Beziehung zur Wahrheit verletzen, in seinem Gewissen, in seinen persönlichen Überzeugungen, in seiner Weltanschauung, in seinem religiösen Glauben wie auch im Bereich der sogenannten bürgerlichen Freiheiten, für die die Gleichheit der Rechte entscheidend ist, ohne Diskrimination aufgrund von Abstammung, Rasse, Geschlecht, Nationalität, Konfession, politischer Überzeugung u. ä. Gleichheit der Rechte meint den Ausschluss der verschiedenen Formen einer Privilegierung der einen und der Diskriminierung der anderen, seien es Personen, die derselben Nation entstammen seien es Menschen mit verschiedener Geschichte, Nationalität, Rasse oder Überzeugung. Der zivilisatorische Fortschritt drängt seit Jahrhunderten in diese Richtung: dem Leben der einzelnen politischen Gesellschaften eine Form zu geben, in der die objektiven Rechte des Geistes, des menschlichen Gewissens und seiner Kreativität, eingeschlossen seine Beziehung zu Gott, voll garantiert werden können. Und doch sind wir immer noch Zeugen von Bedrohungen und Verletzungen, die in diesem Bereich wiederkehren, oft ohne die Möglichkeit eines Rekurses bei höheren Instanzen oder wirksamer Gegenmaßnahmen.
Zusammen mit der Annahme von rechtlichen Formeln, die im Prinzip die Freiheiten des menschlichen Geistes, wie z. B. die Gedankenfreiheit, das freie Wort, die Religionsfreiheit und die Gewissensfreiheit, garantieren existiert oft eine Struktur des gesellschaftlichen Lebens, in der die Ausübung dieser Freiheiten den Menschen dazu verurteilt, wenn nicht im formalen Sinne, so doch de facto ein Bürger zweiter oder dritter Klasse zu werden, die eigenen Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Aufstiegs, des beruflichen Weiterkommens oder des Zugangs zu bestimmten leitenden Stellen beeinträchtigt zu sehen, ja sogar die Möglichkeit zur freien Erziehung der eigenen Kinder zu verlieren. Es ist eine Frage von größter Wichtigkeit, dass im innerstaatlichen wie auch im internationalen gesellschaftlichen Leben alle Menschen aus jeder Nation und aus jedem Land, unter jedem Regime und politischen System ihre Rechte in ganzer Fülle und bis in die Praxis hinein genießen können.
Nur wenn jedem Menschen ohne Diskriminierung ein solch volles, effektives Recht garantiert ist, ist auch der Friede an seinen Wurzeln gesichert.
20. Was die Religionsfreiheit betrifft, die mir als Papst in besonderer Weis am Herzen liegen muss, gerade auch in ihrer Beziehung zum Schutz de Friedens, so möchte ich hier als ideellen Beitrag zur Respektierung der geistigen Dimension des Menschen einige Prinzipien anführen, die in der Erklärung Dignitatis humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils enthalten sind:
"Weil die Menschen Personen sind, d. h. mit Vernunft und freiem Willen begabt und damit auch zu persönlicher Verantwortung erhoben, werden alle - ihrer Würde gemäß - von ihrem eigenen Wesen gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft. Sie sind auch dazu verpflichtet, an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben nach den Forderungen der Wahrheit zu ordnen" (Dignitatis humanae, 2). "Denn die Verwirklichung und Ausübung der Religion besteht ihrem Wesen nach vor allem in inneren, willentlichen und freien Akten, durch die sich der Mensch unmittelbar auf Gott hin ordnet; Akte dieser Art können von einer rein menschlichen Gewalt weder befohlen noch verhindert werden. Die Sozialnatur des Menschen erfordert aber, dass der Mensch innere Akte der Religion nach außen zum Ausdruck bringt, mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft steht und seine Religion gemeinschaftlich bekennt" (Dignitatis humanae, 3).
Diese Worte berühren den Kern des Problems. Sie zeigen auch, aufweIche Weise die Auseinandersetzung zwischen der religiösen und der agnostischen oder auch atheistischen Weltanschauung, die eines der "Zeichen der Zeit" unserer Epoche ist, doch korrekte und respektvolle menschliche Formen bewahren könnte, ohne die wesentlichen Gewissensrechte irgendeines Mannes oder irgendeiner Frau auf dieser Erde zu verletzten.
Der gleiche Respekt vor der Würde der menschlichen Person scheint auch zu fordern, dass dann, wenn im Hinblick auf nationale Gesetze oder internationale Konventionen der rechte Raum für die Ausübung der religiösen Freiheit diskutiert oder festgelegt werden sollte, auch diejenigen Institutionen hinzugezogen werden, die von ihrem Wesen her dem religiösen Leben dienen. Wenn man diese Beteiligung übergeht, läuft man Gefahr, in einem so intimen Bereich des Menschenlebens solche Normen oder Beschränkungen aufzuerlegen, die seinen wahren religiösen Bedürfnissen widersprechen.
21. Die Organisation der Vereinten Nationen hat das Jahr 1979 zum "Jahr des Kindes" erklärt. Ich möchte deshalb vor den versammelten Vertretern so vieler Nationen der Welt der Freude Ausdruck geben, die für jeden von uns die Kinder bedeuten, der Frühling des Lebens, der Anfang der zukünftigen Geschichte eines jeden hier vertretenen Vaterlandes. Kein Land der Welt, kein politisches System kann anders an seine eigene Zukunft denken als nur mit dem Blick auf diese neuen Generationen, die von ihren Eltern das vielfältige Erbe an Werten, Verpflichtungen und Hoffnungen der Nation, zu der sie gehören, zusammen mit dem Erbe der gesamten Menschheitsfamilie übernehmen. Die Sorge für das Kind noch vor seiner Geburt, vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an, und dann in den Jahren der Kindheit und der Jugendzeit ist die erste und grundlegende Probe für das Verhältnis des Menschen zum Menschen.
Was könnte man also einer jeden Nation und der ganzen Menschheit sowie allen Kindern der Welt Besseres wünschen als jene schönere Zukunft, in der die Achtung der Menschenrechte voll und ganz zur Wirklichkeit wird nach den Maßstäben des kommenden Jahres 2000?
22. Bei einer solchen Sicht müssen wir uns allerdings fragen, ob über dieser neuen Generation die Bedrohung der allgemeinen Vernichtung noch weiter zunehmen wird, für die die Mittel in der Hand der heutigen Staaten und vor allem der größeren Mächte der Erde bereitliegen. Müssen sie vielleicht von uns wie ein unausweichliches Erbe den Rüstungswettlauf übernehmen? Wie könnten wir ihnen diesen hemmungslosen Wettlauf erklären? Die Alten pflegten zu sagen: "Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor." Kann unsere Epoche aber noch daran glauben, dass die schwindelerregende Spirale der Aufrüstung dem Frieden in der Welt dient? Während man die Bedrohung durch einen möglichen Feind anführt, denkt man etwa daran, sich seinerseits ein Drohmittel in Reserve zu halten, um sich mit Hilfe des eigenen Vorrats an Vernichtungskraft behaupten zu können? Auch hier ist es wieder der dem Menschen dienende Sinn des Friedens, der daran ist, sich aufzulösen zugunsten von immer neuen möglichen Imperialismen.
Es drängt uns darum, von hier aus unseren Kindern, den Kindern aller Nationen der Erde in feierlicher Form zu wünschen, dass es niemals so weil komme. Und unablässig bete ich jeden Tag zu Gott, dass er uns in seiner Barmherzigkeit vor einem solch schrecklichen Tag bewahre.
23. Am Ende dieser Ansprache möchte ich noch einmal vor allen hier anwesenden hohen Repräsentanten der Staaten meine Wertschätzung und tiefe Liebe für alle Völker, für alle Nationen der Erde, für alle menschlichen Gemeinschaften zum Ausdruck bringen. Jede von ihnen hat ihre eigene Geschichte und Kultur: mein Wunsch sei, dass sie in Freiheit und auf der Grundlage der eigenen Geschichte leben und sich weiterentwickeln können. Denn dies ist der Maßstab für das Gemeinwohl einer jeden dieser Gemeinschaften. Ferner wünsche ich, dass jeder durch die moralische Kraft jener Gemeinschaft, die ihre Mitglieder zu Bürgern formt, leben und gestärkt werden könne. Mögen die staatlichen Autoritäten die wahren Rechte eines jeden Bürgers respektieren und sich dadurch um des Gemeinwohls willen des Vertrauens aller erfreuen. Weiterhin lautet mein Wunsch, dass alle Nationen, auch die kleinsten sowie jene, die noch keine volle Souveränität besitzen oder denen sie gewaltsam genommen wurde, sich in voller Gleichheit zusammen mit den anderen in der Organisation der Vereinten Nationen einfinden können. Möge die Organisation der Vereinten Nationen immer das oberste Forum für den Frieden und die Gerechtigkeit bleiben, der maßgebende Ort für die Freiheit der Völker und der Menschen in ihrer Sehnsucht nach einer besseren Zukunft.
44. Papst Johannes Paul II.: Botschaft zum Weltfriedenstag 1980 vom 8. Dezember 1979
AAS 71 (1979) 1572-1580
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1. Wenn es stimmt - und niemand zweifelt daran -, dass die Wahrheit der Sache des Friedens dient, so steht ebenso eindeutig fest, dass die Unwahrheit mit der Sache der Gewalt und des Krieges verbunden ist. Unter "Unwahrheit" sollen hier alle Formen und alle Stufen der Abwesenheit, der Verweigerung, der Missachtung der Wahrheit verstanden sein: die Lüge im eigentlichen Sinn, verkürzte und einseitige Information, parteiische Propaganda, Manipulation der Kommunikationsmittel u.a.
Ist es nötig, alle verschiedenen Formen aufzuzählen, unter denen diese Unwahrheit auftritt? Es soll genügen, auf nur wenige Beispiele hinzuweisen. Denn wenn auch zu Recht die Beunruhigung über das Anwachsen der Gewalt im gesellschaftlichen, nationalen und internationalen Leben und die Bedrohungen des Friedens immer klarere Gestalt annimmt, so ist doch die öffentliche Meinung oft weniger empfindsam für all jene Formen der Unwahrheit, die zur Ursache der Gewalt gehören und ihr einen fruchtbaren Boden bereiten.
Die Gewalt schwimmt in der Lüge und hat die Lüge nötig, um zu versuchen, sich durch Rechtfertigungen, die völlig außerhalb ihrer Natur liegen und sich sogar oft widersprechen, ein gewisses Ansehen vor der Weltmeinung zu verschaffen. Gilt das nicht auch von der Praxis, die darin besteht, diejenigen, die mit den eigenen Meinungen nicht übereinstimmen, als Feinde zu bezeichnen - um sie so besser bekämpfen oder mundtot machen zu können - und ihnen feindselige Absichten beizulegen, indem man sie durch eine geschickte Dauerpropaganda als Aggressoren brandmarkt?
Eine weitere Form der Unwahrheit zeigt sich in der Weigerung, die objektiv berechtigten und unveräußerlichen Rechte jener anzuerkennen und zu achten, die sich weigern, eine bestimmte Ideologie anzunehmen, oder sich auf ihre Gedankenfreiheit berufen. Es handelt sich um Verweigerung der Wahrheit, wenn man denjenigen aggressive Absichten unterschiebt, die - wie sie klar zeigen - nur den einzigen Wunsch haben, sich zu schützen und zu verteidigen gegenüber den realen Bedrohungen, die leider immer noch innerhalb der Nationen wie auch unter den Völkern bestehen. Empörung, die sich nur gegen einige ausgewählte Adressaten richtet, hinterhältige Verdächtigungen, Manipulation der Nachrichten, systematische Herabsetzung des Gegners als Person sowie in seinen Absichten und Handlungen, Erpressung und Einschüchterung: durch all dies wird die Wahrheit missachtet und ein Klima der Unsicherheit geschaffen, in dem man die Personen und Gruppen, die Regierungen und sogar die internationalen Organe zu resigniertem und komplizenhaftem Schweigen, zu teilweisen Kompromissen und unüberlegten Reaktionen zwingen will: alles Haltungen, die in gleicher Weise in Gefahr sind, das mörderische Spiel der Gewalt zu begünstigen und sich gegen die Sache des Friedens zu wenden. 2. An der Wurzel all dieser Formen der Unwahrheit liegt, indem sie sich gegenseitig verstärken, eine falsche Auffassung vom Menschen und seiner wesentlichen Antriebe. Die erste Lüge, die grundlegende Unwahrheit besteht darin, nicht an den Menschen zu glauben, an den Menschen mit seiner Fähigkeit zur Größe, aber auch in seinem Bedarf an Erlösung vom Bösen und von der Sünde, die in ihm ist.
Unter dem Einfluss von verschiedenen Ideologien, die oft im Gegensatz zueinander stehen, breitet sich die Idee aus, dass der Mensch und die Menschheit als ganze ihren Fortschritt vor allem durch den gewaltsamen Kampf erreichen. Man hat geglaubt, dies in der Geschichte aufzeigen zu können. Man hat viel Geist darauf verwandt, daraus eine Theorie zu machen. Man hat sich immer mehr daran gewöhnt, alle Vorgänge im gesellschaftlichen und internationalen Leben allein mit den Begriffen von Macht und Gegenmacht zu analysieren und sich als Folge davon so zu organisieren, dass die eigenen Interessen durchgesetzt werden können. Diese weitverbreitete Tendenz, durch Einsatz von Machtmitteln Gerechtigkeit zu schaffen suchen, wird zwar oft durch taktische oder strategische Rücksichtnahme in Schranken gehalten. Aber solange man die Drohhaltungen beibehält, solange man gewisse Gewaltanwendungen in einseitiger Weise und zum Belieben von Interessen und Ideologien fortsetzt, solange man die Behauptung aufrechterhält, der Fortschritt der Gerechtigkeit entstehe letztlich aus dem gewaltsamen Kampf, weichen alle maßvolle Abstufung, alle Zurückhaltung und Begrenzung regelmäßig der einfachen und brutalen Logik der Gewalt bis zur selbstmörderischen Verherrlichung der Gewalt um der Gewalt willen.
3. Den Frieden durch Werke des Friedens aufzubauen, ist bei dieser Verwirrung der Geister schwierig und erfordert erneuten Respekt vor der Wahrheit, wenn man nicht will, dass die einzelnen, die Gruppen und Nationen am Frieden zu zweifeln beginnen und neuen Gewalttätigkeiten zustimmen.
Die Wahrheit erneuern, das bedeutet zunächst, die Gewaltakte in all ihren Formen bei ihrem wahren Namen zu nennen. Man muss den Mord beim Namen nennen: Mord bleibt Mord; alle politischen oder ideologischen Rechtfertigungen ändern daran nichts, sondern verlieren dadurch im Gegenteil ihr eigenes Ansehen. Beim Namen genannt werden müssen ferner die Massaker an Männern und Frauen, gleich welcher Volkszugehörigkeit, welchen Alters oder welcher Stellung. Auch die Tortur muss man bei ihrem Namen nennen sowie - mit den jeweiligen Bezeichungen - alle Formen von Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, des Menschen durch den Staat, eines Volkes durch ein anderes Volk. Dies muss geschehen, nicht um vor sich selbst durch lautstarke Anklagen, die alles und jedes miteinander vermischen, ein gutes Gewissen zu haben - auf diese Weise würde man die Dinge gerade nicht bei ihrem Namen nennen-, und auch nicht, um einzelne Personen oder Völker zu brandmarken und zu verdammen, sondern um zu einem Wandel des Verhaltens und der Gesinnung beizutragen und dem Frieden eine Chance zu geben.
4. Die Wahrheit als Kraft des Friedens stärken bedeutet, sich ständig zu bemühen, auch für sich selbst nicht die Waffen der Lüge zu benützen, und sei es auch für einen guten Zweck. Die Lüge kann sich heimlich überallhin einschleichen. Um die Aufrichtigkeit - die Übereinstimmung mit uns selbst - auf die Dauer durchzuhalten, braucht es eine geduldige, mutige Anstrengung, um eine höhere und umfassende Wahrheit vom Menschen zu suchen und zu finden, in deren Licht wir die verschiedenen Situationen prüfen und vor allem uns selbst und unsere eigene Aufrichtigkeit beurteilen können. Es ist unmöglich, am Zweifel, am Argwohn und an skeptischer Gleichgültigkeit festzuhalten, ohne sehr schnell in Unaufrichtigkeit und Lüge abzugleiten. Wie ich schon weiter oben gesagt habe, ist der Friede bedroht, wenn Unsicherheit, Zweifel und Argwohn herrschen, und die Gewalt hat den Nutzen davon. Wollen wir wirklich den Frieden? Dann müssen wir uns sehr tief in unser eigenes Wesen versenken, um jene Schichten zu entdecken, wo wir uns, jenseits aller Spaltungen in uns und zwischen uns, in der Überzeugung bestärken können, dass die grundlegenden Antriebe des Menschen, die Kenntnis seiner wahren Natur, ihn zur Begegnung führen, zur gegenseitigen Achtung, zur Brüderlichkeit und zum Frieden. Diese anstrengende Suche nach der objektiven und universellen Wahrheit vom Menschen wird durch ihren Verlauf und ihr Ergebnis Menschen des Friedens und des Dialogs schaffen, die sich demütig und zugleich kraftvoll zu einer Wahrheit bekennen, die es ihnen immer deutlicher macht, dass man ihr dienen muss und sich nie ihrer bedienen darf zu eigensüchtigen Interessen.
5. Eine der Lügen der Gewalt besteht darin, zur eigenen Rechtfertigung zu versuchen, den Gegner sowie seine Handlungen und die sozio-kulturellen Strukturen, in denen er handelt und denkt, systematisch und radikal herabzusetzen. Der Mensch jedoch, der zum Frieden bereit ist, weiß den Teil der Wahrheit anzuerkennen, den es in jedem menschlichen Werk gibt, und vor allem auch jene Möglichkeiten zu größerer Wahrheit, die im Tiefsten eines jeden Menschen immer vorhanden sind.
Es ist durchaus nicht so, dass der Wille zum Frieden ihm die Augen vor den Spannungen, den Ungerechtigkeiten und den Kämpfen verschließt, die zu unserer Welt gehören. Er blickt ihnen voll ins Gesicht. Er nennt sie bei ihrem Namen, aus Achtung vor der Wahrheit. In seiner tiefen Übereinstimmung mit den Anliegen des Friedens muss er sogar noch empfindlicher für all das werden, was dem Frieden widerspricht. So ist er motiviert, die Erforschung der realen Ursachen des Bösen und der Ungerechtigkeit mutig voranzutreiben, um dann nach geeigneten Gegenmitteln zu suchen. Die Wahrheit ist die Kraft des Friedens, weil sie nach Art einer inneren Übereinstimmung die Wahrheitselemente sieht, die im anderen Menschen sind, und sie zusammenzufügen sucht.
6. Die Wahrheit erlaubt es nicht, am Gegner zu verzweifeln. Der zum Frieden bereite Mensch, der sich von ihr leiten lässt, identifiziert den Gegner nicht mit dem Irrtum, dem dieser unterliegt. Im Gegenteil, er nimmt den Irrtum in seinem tatsächlichen Ausmaß und appelliert an die Vernunft, an das Herz und das Gewissen des Menschen, um ihm zu helfen, die Wahrheit zu sehen und anzunehmen. Das verleiht der Anprangerung der Ungerechtigkeiten einen besonderen Charakter: eine solche Anprangerung kann nicht in jedem Fall verhindern, dass sich diejenigen, die für die Ungerechtigkeiten verantwortlich sind, gegenüber dem wahren Tatbestand hartnäckig verschließen, doch provoziert sie wenigstens nicht automatisch eine solche Verhärtung, für die ja oft die Opfer bezahlen müssen. Eine der großen Lügen, die die Beziehungen zwischen einzelnen Menschen und Gruppen vergiften, besteht darin, alle Aspekte der Handlung des Gegners, auch die richtigen und guten, pauschal in Misskredit zu bringen, um so dessen Verirrungen noch besser brandmarken zu können. Die Wahrheit wählt andere Wege, und deshalb bewahrt sie dem Frieden alle seine Chancen.
7. Vor allem gestattet die Wahrheit nicht, an den Opfern der Ungerechtigkeit zu verzweifeln; sie erlaubt nicht, diese in verzweifelte Resignation oder Gewalttätigkeit zu treiben. Sie ruft dazu auf, auch da noch auf die friedensstiftenden Kräfte zu setzen, die leidende Menschen und Völker im verborgenen besitzen. Indem sie diese im Bewusstsein ihrer Menschenwürde und unveräußerlichen Rechte bestärkt, glaubt sie, ihnen Kraft zu geben, die Mächte der Unterdrückung durch wirksame Pression zur Veränderung der Verhältnisse zu veranlassen, die wirkungsvoller ist als auflodernde Gewalt, die ja im allgemeinen keine Zukunft hat - es sei denn eine mit noch größeren Leiden. In eben dieser Überzeugung höre ich nicht auf, die Würde und die Rechte der Person zu betonen. Wie ich ferner in meiner Enzyklika Redemptor hominis geschrieben habe, zielt auch die Logik der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und die Einrichtung der Vereinten Nationen selbst darauf ab, "eine Grundlage für eine solche ständige Revision der Programme, Systeme und Regime zu schaffen, die unter diesem einzigen grundlegenden Gesichtspunkt zu geschehen hat, dem Wohl des Menschen, das heißt der Person in der Gesellschaft ... " (ebd., 17,4). Da der friedfertige Mensch auf das Licht der Wahrheit und der Aufrichtigkeit vertraut, ist er sich im klaren über die Ungerechtigkeiten, die Spannungen und die Konflikte, die noch immer bestehen. Anstatt jedoch die Frustrationen und Kämpfe zu verschlimmern, setzt er sein Vertrauen auf die höheren Fähigkeiten im Menschen, auf seine Vernunft und sein Herz, um Wege des Friedens ausfindig zu machen, die zu einem wirklich menschlichen und dauerhaften Ergebnis führen.
8. Um von einer weniger menschenwürdigen Situation im nationalen wie internationalen Leben zu einer menschlicheren Situation zu gelangen, ist der Weg lang und wird nur in Etappen bestritten. Der Mensch des Friedens weiß darum, er sagt es und findet in der Kraft der Wahrheit, wie ich sie soeben beschrieben habe, das notwendige Licht, um die richtige Orientierung zu bewahren. Der Mensch der Gewalt weiß das auch, aber er sagt es nicht und täuscht die öffentliche Meinung, indem er ihr eine radikale und schnelle Lösung in glänzenden Farben schildert und in Aussicht stellt; schließlich baut er die Lüge immer weiter aus, um die Verzögerungen zu "erklären", die die verheißene Freiheit und das zugesicherte Wohlergehen immer wieder erfahren.
Es gibt keinen Frieden ohne die Bereitschaft zu einem aufrichtigen und beständigen Dialog. Auch zur Wahrheit gelangt man im Dialog: sie stärkt somit dieses unerlässliche Mittel zum Frieden. Die Wahrheit fürchtet sich auch nicht vor ehrenvollen Vereinbarungen, weil sie das Licht mit sich bringt, das es gestattet, sich ohne Preisgabe von Überzeugungen und wesentlichen Werten dafür einzusetzen. Die Wahrheit führt die Geister zusammen; sie zeigt auf, was die bisher entgegengesetzten Seiten bereits eint; sie beseitigt das Misstrauen von gestern und bereitet den Boden für neue Fortschritte in Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, im friedlichen Zusammenleben aller Menschen. In diesem Zusammenhang kann ich nicht das Problem des Wettrüstens mit Stillschweigen übergehen. Die Situation, in der sich die Menschheit in unseren Tagen befindet, scheint einen tragischen Widerspruch in sich zu schließen zwischen den vielfältigen und engagierten Friedensbeteuerungen einerseits und der nicht weniger wirklichen, ja sogar schwindelerregenden Eskalation der Kriegsrüstung. Die Tatsache des Wettrüstens kann selbst gewisse Beteuerungen der Bereitschaft zu friedlicher Koexistenz dem Verdacht der Lüge und Heuchelei aussetzen. Mehr noch, kann sie nicht oft ganz einfach zu dem Eindruck berechtigen, dass jene Beteuerungen nur dazu dienen, gegenteilige Absichten zu verschleiern?
9. Man kann nicht ehrlicherweise die Gewaltanwendung anprangern, wenn man sich nicht zugleich darum bemüht, dieser durch mutige politische Initiativen zuvorzukommen, um die Bedrohungen des Friedens zu beseitigen, indem man die Wurzeln der Ungerechtigkeiten bekämpft. Der tiefe Sinn der Politik wird ebenso sehr verfälscht, wenn die Politik in Untätigkeit verharrt, wie wenn sie sich verhärtet oder in Gewalttätigkeit ausartet. In der Politik die Wahrheit tun, die den Frieden festigt, bedeutet den Mut haben, rechtzeitig die verborgenen Gegensätze aufzuspüren und im richtigen Augenblick in weitere Verhandlungen über Probleme einzutreten, die zur Zeit durch Gesetze oder Abmachungen neutralisiert sind, die bisher ihre Zuspitzung vermeiden halfen. Die Wahrheit tun bedeutet ferner den Mut haben, die Zukunft vorauszuplanen: neuen Bestrebungen Rechnung zu tragen, die sich aus dem kulturellen Fortschritt bei den einzeInen Menschen und den Völkern ergeben und mit dem Guten vereinbar sind, um die nationalen und internationalen Institutionen der Wirklichkeit einer Menschheit anzupassen, die sich auf dem Weg befindet.
Den Verantwortlichen der Staaten und den internationalen Institutionen steht also ein unermessliches Wirkungsfeld offen, um eine neue, gerechtere Weltordnung aufzubauen, die sich auf der Wahrheit vom Menschen und auf einer gerechten Verteilung sowohl der Reichtümer wie der Machtbefugnisse und der Verantwortlichkeiten gründet.
Ja, es ist meine Überzeugung: die Wahrheit festigt den Frieden von innen her, und ein Klima größerer Aufrichtigkeit gestattet den Einsatz der Energien des Menschen für das einzige Anliegen, das ihrer würdig ist: den vollen Respekt vor der Wahrheit über Natur und Ziel des Menschen als Quelle wahren Friedens in Gerechtigkeit und Freundschaft.
10. Es ist Aufgabe aller Menschen und aller Völker, den Frieden aufzubauen. Auch sind alle, weil sie Herz und Vernunft besitzen und nach Gottes Bild geschaffen sind, dazu befähigt, sich um jene Wahrheit und Aufrichtigkeit zu bemühen, die den Frieden sichern. Ich lade nun die Christen ein, in dieses gemeinsame Werk den spezifischen Beitrag des Evangeliums einzubringen; denn dieses führt uns hin zu den letzten Quellen der Wahrheit, zum menschgewordenen Wort Gottes.
Das Evangelium stellt deutlich die Verbindung ins Licht, die zwischen der Lüge und der mörderischen Gewalt besteht, wenn Christus sagt: "Jetzt wollt ihr mich töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit gesagt hat und diese Wahrheit habe ich von Gott gehört ... Ihr tut die gleichen Werke wie euer Vater ... Ihr stammt vom Teufel, er ist euer Vater, und ihr wollt das tun, was euer Vater will. Er war ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er lügt, sagt er das, was ihm eigen ist; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge" (Joh 8, 40.41.44). Deswegen also konnte ich in Drogheda in Irland so überzeugt sagen, was ich hier wiederhole: "Gewalt ist eine Lüge, denn sie verstößt gegen die Wahrheit unseres Glaubens, gegen die Wahrheit' unserer Menschlichkeit ... Glaubt nicht an die Gewalt; unterstützt die Gewalt nicht! Dies ist nicht der christliche Weg. Es ist nicht der Weg der Katholischen Kirche. Glaubt an den Frieden und an die Vergebung und Liebe; denn diese gehören zu Christus" (Predigt beim Gottesdienst in Drogheda, 29. 9. 1979).
Ja, das Evangelium Christi ist ein Evangelium des Friedens: "Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden" (Mt 5, 9). Die Triebkraft des Friedens des Evangeliums aber ist die Wahrheit. Jesus offenbart dem Menschen seine volle Wahrheit; er stellt ihn in seiner Wahrheit wieder her, indem er ihn mit Gott, mit sich selber und mit den anderen versöhnt. Die Wahrheit ist die Kraft des Friedens, weil sie die Einheit des Menschen mit Gott, mit sich selber und mit den anderen offenbart und wirkt. Die Wahrheit, die den Frieden bestärkt und aufbaut, schließt wesentlich Vergebung und Versöhnung ein. Vergebung und Versöhnung verweigern bedeutet, uns zu belügen und in die mörderische Logik der Lüge einzutreten.
11. Ich weiß, dass jeder Mensch guten Willens all dies von seiner persönlichen Erfahrung her verstehen kann, er braucht nur die Stimme in der Tiefe seines Herzens zu hören. Daher lade ich euch alle ein, euch alle, die ihr den Frieden festigen wollt, indem ihr ihm seinen Wahrheitsgehalt zuerkennt, der alle Lügen vertreibt: nehmt die Mühe des Nachdenkens und des Handeins auf euch, die ich euch für diesen 13. Weltfriedenstag vorlege: Befragt euch nach eurer Bereitschaft zur Vergebung und Versöhnung und setzt dort, wo ihr in Familie, Gesellschaft und Staat Verantwortung tragt, Taten des Verzeihens und der Versöhnung! Ihr werdet so die Wahrheit tun, und die Wahrheit wird euch frei machen. Die Wahrheit wird ungeahnte Einsichten und Energien freisetzen, um dem Frieden in der Welt eine neue Chance zu geben.
45. Papst Johannes Paul II.: Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO in Paris am 2. Juni 1980
OR (Dt. Ausg.) 23 (6. 6. 1980)
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20. Ihre Organisation ist ein Ort der Begegnung, einer Begegnung, die im weitesten Sinn den gesamten so wesentlichen Bereich der menschlichen Kultur umfasst. Dieses Gremium ist daher auch der angemessene Ort, um alle Wissenschaftler zu grüßen und zumal denen Ehre zu erweisen, die hier anwesend sind und die für ihre Arbeiten höchste Anerkennung und die größten Auszeichnungen auf Weltebene erlangt haben. Es sei mir aber gestattet, an dieser Stelle auch einige Wünsche vorzutragen, die zweifellos Geist und Herz der Mitglieder dieser hohen Versammlung beschäftigen. Was immer uns bei der wissenschaftlichen Arbeit erbauen mag - es erbaut uns wirklich und schenkt uns tiefe Freude: ich denke an den Weg der zweckfreien Erkenntnis der Wahrheit, der sich der Gelehrte mit größter Hingabe verschrieben hat, zuweilen trotz der Gefahr für seine Gesundheit und sogar für sein Leben -, so muss uns doch andererseits all das beunruhigen, was dem Grundsatz der Zweckfreiheit und Objektivität widerspricht, all das, was aus der Wissenschaft ein Werkzeug zur Erreichung von Zielen macht, die nichts mit ihr zu tun haben. Gewiss müssen wir uns um alles Sorge machen, was nichtwissenschaftlichen Zielsetzungen dient oder solche voraussetzt, was von den Wissenschaftlern Dienstbarkeit verlangt, ohne ihnen über die Zielsetzungen ein Urteil oder eine Entscheidung in voller Unabhängigkeit des Geistes, in menschlicher und sittlicher Aufrichtigkeit zu gestatten, was sie bedroht, sie hätten im Fall einer Verweigerung der Mitarbeit mit Konsequenzen zu rechnen.
Muss man diese unwissenschaftlichen Zielsetzungen, von denen ich rede, und dieses Problem, auf das ich hier hinweise, noch beweisen oder näher erläutern? Sie wissen, worauf ich mich beziehe. Es mag genügen, die Tatsache zu erwähnen, dass unter denen, die nach dem Ende des letzten Weltkriegs vor internationale Gerichte gestellt wurden, auch Wissenschaftler waren. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, verzeihen Sie mir diese Worte, aber ich wäre den Verpflichtungen meines Amtes untreu, wenn ich sie nicht aussprechen würde. Es geht mir nicht um die Vergangenheit; es geht mir um die Verteidigung der Zukunft der Wissenschaft und der menschlichen Kultur, ja noch mehr: um die Verteidigung der Zukunft des Menschen und der Welt! Ich denke an Sokrates, der in seiner ungewöhnlichen Gradheit die Meinung vertreten konnte, die Wissenschaft sei auch eine sittliche Tugend. Wenn er sich die Erfahrungen unserer Zeit vor Augen führen könnte, so müsste er seine Gewissheit erneut bekräftigen.
21. Wir sind uns bewusst, meine Damen und Herren, dass die Zukunft des Menschen und der Welt bedroht, radikal bedroht ist, trotz der gewiss edlen Absichten der Menschen des Wissens und der Wissenschaft. Sie ist bedroht, weil die glänzenden Ergebnisse ihrer Forschungen und Entdeckungen, vor allem auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, auf Kosten des ethischen Imperativs für Zielsetzungen ausgenutzt wurden und werden, die nichts zu tun haben mit den Erfordernissen der Wissenschaften selbst. Bis hin zu bewusster Zerstörung und Tötung, und das in einem bisher völlig ungeahnten Ausmaß mit wahrhaft unvorstellbaren Zerstörungen. Während die Wissenschaft aufgerufen ist, sich in den Dienst des menschlichen Lebens zu stellen, stellt man allzuoft fest, dass sie Zielsetzungen dienstbar gemacht wird, die die wahre Würde des Menschen, die das menschliche Leben zerstören. Das ist der Fall, wenn die wissenschaftliche Forschung selber sich solche Ziele setzt oder wenn ihre Ergebnisse in den Dienst von Zielen gestellt werden, die dem Wohl der Menschheit zuwiderlaufen. Das ist der Fall bei genetischen Manipulationen, bei biologischen Experimenten und beim Vervollkommnen chemischer, bakteriologischer und nuklearer Waffen. Zwei Überlegungen veranlassen mich, Ihrem Nachdenken vor allem die nukleare Bedrohung zu empfehlen, die auf der Welt heute lastet und die, wenn nicht abgewendet, zur Zerstörung der Errungenschaften der Kultur, der Ergebnisse der Zivilisation führen kann, die in Jahrhunderten von vielen Generationen aufgebaut wurden, die an den Primat des Geistes geglaubt und weder Kraft noch Mühe gescheut haben. Die erste Überlegung ist folgende: geopolitische Gründe, wirtschaftliche Probleme von weltweitem Ausmaß, schreckliche Missverständnisse, verletzter Nationalstolz, der Materialismus unserer Zeit und das Schwinden der moralischen Wertungen haben unsere Welt in eine Situation der Unbeständigkeit und in ein labiles Gleichgewicht gebracht, das jeden Augenblick infolge von Fehlurteilen, Fehlinformationen oder Fehldeutungen auseinander brechen kann.
Zu dieser beunruhigenden Aussicht kommt noch ein anderer Gedanke. Kann man in unseren Tagen noch sicher sein, dass die Zerstörung des Gleichgewichts nicht zum Kriege führt, und zwar zu einem Krieg, bei dem der Rückgriff auf nukleare Waffen nicht ausgeschlossen ist? Bis vor kurzem hat man noch behauptet, die Nuklearwaffen seien ein Mittel der Abschreckung, das den Ausbruch eines größeren Krieges verhindert, und das stimmt vermutlich. Man kann sich aber fragen, ob das immer so bleiben wird. Die Nuklearwaffen, welcher Art und Größe sie auch sein mögen, werden Jahr für Jahr vollkommener; sie werden auch in immer mehr Ländern ein Bestandteil der Rüstung. Wie darf man dann noch sicher sein, dass der Einsatz von Nuklearwaffen, auch als Mittel nationaler Verteidigung oder bei begrenzten Konflikten, nicht zu einer unvermeidlichen Eskalation führt und damit zu einem Ausmaß an Zerstörung, das die Menschheit sich nicht vorstellen, aber auch nicht bejahen kann? Muss ich nicht gerade Ihnen als Wissenschaftlern und Kulturschaffenden nahelegen, Ihre Augen nicht vor dem zu verschließen, was ein Atomkrieg für die ganze Menschheit bedeuten kann? (vgl. Predigt am Weltfriedenstag, 1. 1. 1980).
22. Meine Damen und Herren, die Welt kann nicht mehr lange auf diesem Weg weitergehen. Jedem Menschen, der sich der wirklichen Lage und der Gefahr bewusst geworden ist, der, wenn auch nur elementar, die jedem obliegende Verantwortung kennt, drängt sich die Überzeugung auf, die zugleich ein moralischer Imperativ ist: Wir müssen das Gewissen wachrütteln! Wir müssen die Macht des Gewissens in dem Maß steigern, in dem die Spannung zwischen Gut und Böse gewachsen und den Menschen gegen Ende des zweiten Jahrtausends als Aufgabe gestellt ist. Wir müssen überzeugt sein von dem Vorrang der Ethik gegenüber der Technik, vom Primat der Person gegenüber den Sachen, von der Überlegenheit des Geistes gegenüber der Materie (vgl. Redemptor hominis, 16). Die Sache des Menschen kommt voran, wenn sich die Wissenschaft mit dem Gewissen zusammenschließt. Der Wissenschaftler wird der Menschheit einen echten Dienst leisten, wenn er "den Sinn für die Transzendenz des Menschen gegenüber der Welt und Gottes gegenüber dem Menschen" bewahrt (Ansprache vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 10. 11. 1979, 4).
So wende ich mich heute, bei Gelegenheit meiner Anwesenheit am Sitz der UNESCO, als Sohn der Menschheit und Bischof von Rom direkt an Sie Wissenschaftler, an Sie hier Versammelte, an Sie höchste Autoritäten auf allen Gebieten des modernen Wissens. Ich wende mich durch Sie zugleich an Ihre Kollegen und Freunde in allen Ländern und Kontinenten.
Ich wende mich an Sie im Namen dieser schrecklichen Bedrohung, die auf der Menschheit lastet, und zugleich im Namen der Zukunft und des Wohls der Menschheit in der ganzen Welt. Ich bitte Sie dringend: Vereinen wir unsere Kräfte, um auf allen Gebieten der Wissenschaft den Primat des Sittlichen wieder aufzurichten und zu achten. Vereinen wir vor allem unsere Kräfte, um die Menschheitsfamilie vor der fürchterlichen Aussicht auf einen Atomkrieg zu bewahren.
Ich bin auf dieses Thema vor der Vollversammlung der Organisation der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober letzten Jahres eingegangen. Ich lege es auch Ihnen heute vor. Ich appelliere an Ihre Vernunft und an Ihr Herz, jenseits aller Leidenschaften, Ideologien und Grenzen. Ich wende mich an all jene, die ob ihrer politischen oder wirtschaftlichen Macht in der Lage sein können und es oft sind, den Wissenschaftlern die Arbeitsbedingungen und Zielsetzungen vorzuschreiben. Ich wende mich vor allem an jeden einzelnen Wissenschaftler persönlich und an die gesamte Gemeinschaft der internationalen Wissenschaft. Sie alle zusammen sind eine gewaltige Macht: eine Macht der Vernunft und des Gewissens! Erweisen Sie sich mächtiger als die Mächtigsten unserer zeitgenössischen Welt! Entschließen Sie sich, den Beweis Ihrer edelsten Solidarität mit der Menschheit zu erbringen, einer Solidarität, die auf der Würde der menschlichen Person gründet. Erbauen Sie den Frieden auf seinen Fundamenten, auf der Achtung aller Rechte des Menschen, derer, die mit seiner materiellen und wirtschaftlichen Situation, aber auch derer, die mit der geistigen und inneren Dimension seines Daseins in dieser Welt verbunden sind. Möge die Weisheit Ihnen Leitstern sein! Möge die Liebe Sie führen, jene Liebe, die die wachsende Drohung des Hasses und der Zerstörung besiegt! Männer und Frauen der Wissenschaft, bieten Sie alle Ihre moralische Autorität auf, um die Menschheit vor der nuklearen Zerstörung zu retten!
23. Es war mir heute vergönnt, einen der lebhaftesten Wünsche meines Herzens zu verwirklichen. Es war mir vergönnt, hier ins Innere des Aeropags zu gelangen, des Aeropags der ganzen Welt. Es war mir vergönnt, Ihnen allen etwas zu sagen, Ihnen, die Sie arbeiten für das Wohl und für die Versöhnung der Menschen und Völker auf allen Gebieten der Kultur, Erziehung, Wissenschaft und Information. Ihnen zu sagen und aus der Tiefe des Herzens zuzurufen: Ja, die Zukunft des Menschen hängt von der Kultur ab!
Ja, der Friede der Welt hängt vom Primat des Geistes ab! Ja, die friedliche Zukunft der Menschheit hängt von der Liebe ab!
Ihr persönlicher Beitrag, meine Damen und Herren, ist wichtig, ja er ist lebenswichtig. Er besteht im richtigen Angehen der Probleme, deren Lösung Sie Ihren Dienst widmen.
So heißt mein letztes Wort: Lassen Sie nicht nach, machen Sie weiter, immer weiter!
Anmerkungen
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