Carl Feckes: Das Mysterium der heiligen Kirche

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Das Geheimnis der heiligen Kirche
Carl Feckes

Quelle: Carl Feckes: Das Mysterium der heiligen Kirche. Ihr Sein und Wirken im Organismus der Übernatur, Ferdinand Schönigh Verlag Paderborn 1951 (287 Seiten, 3. Auflage, Imprimatur Paderbornae, d. 15 m. Aug. 1950 Vicarius generalis. Dr. Rintelen). Leicht bearbeitet von Benutzer:Oswald.

I. Teil: Das Heilswerk des Gottmenschen

I. Kapitel: Jesus Christus als Haupt

Christus das Haupt und die Glieder seines Leibes (vgl. Kol 1, 18)

"Der eingeborene Sohn Gottes, der jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt, und zu keiner Zeit den armen Kindern Adams seine Hilfe verweigert hat, wurde in der Fülle der Zeiten, die nach ewigem Plane gesetzt war, dem Menschen ähnlich und erschien sichtbar, indem er unsere Leibesgestalt annahm, damit die irdischen und fleischlichen Menschen den neuen Menschen anzögen, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit, und so den einen mystischen Leib bildeten, deren Haupt er selbst sein soll .“

Mit diesen schönen Worten deuteten jene Theologen, welche das Vatikanische Konzil vorbereiteten, das Heilswerk der Erlösung. In der Lehre von dem neuen Haupte des Menschengeschlechtes und dem Gliedsein der Menschen am mystischen Leibe Jesu Christi sahen sie den Kern des göttlichen Erlösungsplanes. Von ihr aus glaubten sie unmittelbar "zur echten katholischen Lehre vom Wesen der Kirche" voranschreiten zu können, da „in den Heiligen Schriften die Kirche Christi durch keine Formel häufiger, genauer und ausdrücklicher bestimmt wird als durch diese: sie ist der mystische Leib Christi. Pius' XII. Kirchenenzyklika hat dieses Anliegen aufgegriffen und zu einem autoritativen Ende geführt, da sie erklärt: "Bei einer Wesenserklärung dieser wahren Kirche Christi, welche die heilige, katholische, apostolische, römische Kirche ist, kann nichts Vornehmeres und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden als jener Ausdruck, womit sie als ,der mystische Leib Christi' bezeichnet wird. Dieser Name ergibt sich auch und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig darüber vorgebracht wird!'

Wir schließen uns dieser Auffassung an. Damit ist die Aufgabe gestellt, das Erlösungswerk des Gottmenschen unter dem Leitmotiv seines Hauptseins zu schildern.

1. In der Bildersprache der Heiligen Schrift

Der Morgenländer lebt in der Welt farbenprächtiger Bilder. "Und er sprach zum Volke über vieles in Gleichnissen", bezeugt Matthäus (13, 3) von der Lehrweise des Herrn. In Bildern kündeten Jesus und seine Apostel insbesondere jene tieferen Geheimnisse des Glaubens, die, allem Verstehen entrückt, nur im Gleichnisse ihre beglückende Lebensnähe bewahren.

Von solch geheimnisvoller Art ist jenes Band, das durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes zwischen dem Erlöser und seinen Brüdern dem Fleische nach geknüpft ward. "Unsere enge Verbindung mit Christus im Leibe der Kirche ist, wie mit Recht der heilige Augustinus sagt, etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und Göttliches.“ Darum hüllen die Heiligen Schriften dies Verhältnis in den Schleier des Bildes. Aber ein einziges Bild genügt ihnen nicht, um die Fülle jener Wahrheit wiederzugeben, welche den Kerngedanken der Erlösung in sich begreift. In immer neuen Gleichnissen preisen sie die gnadenhaften Beziehungen des Gottmenschen zum erlösten Geschlechte.

Vom Haupte und dem Leibe hörten wir eben sprechen. Das ist jenes Bild, das vor allen anderen den Vorrang erhalten hat. Ihm treten ergänzend zur Seite die Bilder vom Weinstocke und den Reben, von Mann und Frau, vom Eckstein und Hausbau, vom Erfüllen und Ergänzen.

In der denkwürdigen Abschiedsstunde gibt Jesus dem innigen Verhältnisse zu seinen Jüngern, das trotz des Scheidens bestehen bleiben soll, in dem Bilde vom Weinstocke und den Reben (Joh.15, 1 ff.) den stärksten Ausdruck. "Ich bin der Weinstock; ihr seid die Reben" (V. 5).

Hatte einst der Prophet Hosea (10, 1) gekündet: "Ein rankender Weinstock ist Israel", so spricht nun jener, der gekommen ist, die Propheten zu erfüllen: "Ich bin der wahre Weinstock" (V. 1). Zu einem guten Weinstocke gehören Zweige und deren Früchte, damit sich in ihnen seine Lebenskraft auswirken kann. Darum steht auch Jesus nicht allein. Auch er muss in Jüngern und Gläubigen seine Erfüllung finden. "Ihr seid die Reben." So naturgemäß und eng gehören seine Jünger zu ihm wie die Zweige zum Weinstocke. So sehr leben sie aus seiner Kraft wie die Zweige aus dem Stamm. Als "wahren Weinstock" inmitten des Menschengeschlechtes hat der himmlische Vater ihn gepflanzt; denn der "Vater ist der Weingärtner" (V. 1). In dieser wertvollen Beifügung unterscheidet Jesus deutlich zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen in seiner Erscheinung. Nur durch sein Menschwerden konnte er als Weinstock gepflanzt werden. Nur durch sein Menschsein hat er die Naturverbundenheit mit den Menschen. Aber er würde kein fruchtbringender Weinstock für das Menschengeschlecht sein, wenn er nicht als Pflanzung Gottes mit der Gotteskraft in Verbindung stände. Nur durch seine Einheit mit dem Vater kann er dem Menschengeschlechte Neues bringen. Darum schreibt Jesus das Reinigen der Zweige, das Abtrennen alles Verdorrten der ihm innewohnenden Gottheit oder dem Vater zu. Denn leider vollendet sich das Verbundensein mit dem göttlichen Weinstocke nicht bei allen Zweigen in einer Edelfrucht. Wo aber Früchte ansetzen, da sind dem Ertrage keine Grenzen gezogen (V. 2). Die Apostel stehen wegen der gläubigen Annahme der Worte Jesu schon in diesem fruchtbringenden Verhältnis zu ihm (V. 3). Darum fordert er sie auf, diese Verbindung aufrechtzuerhalten, weil sie ohne die Kraft des Weinstockes ganz unfähig seien, etwas zu tun; "denn ohne mich könnt ihr nichts tun" (V. 5). Sie leben völlig aus der Kraftquelle Jesus. Diese lebensvolle Verbindung mit Jesus bewirkt, dass die Jünger Anteil gewinnen an der bittenden Allmacht Christi: "So möget ihr bitten, um was ihr wollt, es wird euch zuteil werden" (V.7). Wie der Weinstock vom Vater gepflanzt wurde, so ist die Verherrlichung des Vaters das Ziel der Pflanzung und der fruchtbringenden Reben (V. 8).

Dieser schöne Vergleich des göttlichen Heilandes enthält grundlegende Wahrheiten über Christi Verhältnis zu uns: Die notwendige Ergänzung oder Erfüllung des Gottmenschen durch uns, die Naturgleichheit zwischen ihm und uns, sein Verbundensein mit der göttlichen Kraft, die völlige Abhängigkeit der Menschen von ihm als ihrer Kraft- und Lebensquelle, die Anteilnahme an Jesu Vorrechten.

Im engsten Zusammenhange mit diesem Geheimnisse stehen die Worte der Verheißung des allerheiligsten Altarssakramentes (Joh. 6, 53ff.). Wenn auch unsere Lehre an sich hier nicht entwickelt wird, so ist sie doch zum vollen Verständnis vorauszusetzen. Jesus spricht von der innigsten Verbindung zwischen sich und den Seinen in der heiligen Eucharistie durch das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes. Es ist von größter Bedeutung, dass Christus in dieser Rede gerade die menschliche Seite seiner Erscheinung so stark betont und die Anstoß erregenden Worte vom Fleischessen nicht zurücknimmt. Denn klarer und krasser kann die Zusammengehörigkeit Jesu und des Menschengeschlechtes nicht zum Ausdruck gebracht werden. Wer diesen Zusammenhang durch den Genuss seines Fleisches und Blutes bejaht, der wird diesem lebendigen und lebenspendenden Fleische einverleibt und erhält seinerseits das, wodurch dieses Fleisch lebt, den Anteil am göttlichen Leben. Gerade das Sakrament der heiligen Eucharistie wird sich für ein tiefes Verständnis des mystischen Herrenleibes oder der Kirche als wesenhaft erweisen.

Der Herold unserer Wahrheit ist der heilige Paulus. Er wird nicht müde, in den verschiedensten Bildern und Wendungen die enge Verbundenheit der Christen mit Christus zu schildern und das Leben der Christen aus Christus zu betonen. Paulus spricht von dieser geheimnisvollen Stellung und machtvollen Wirksamkeit Christi in seinen Hauptbriefen, dem Römer- und 1. Korintherbriefe, und nachdrücklich in den Gefangenschaftsbriefen, dem Kolosser- und Epheserbrief. Zwischen diesen beiden Briefepochen liegt ein Fortschreiten des Gedankens.

Im Römerbriefe ist die Lehre von der Schuldgemeinschaft der Menschen der Ausgangspunkt. "Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod, und so ist der Tod auf alle Menschen übergegangen, weil alle gesündigt hatten" (5,12). Alle Menschen gehören dem Geschlechte Adams an und darum der durch ihn begründeten Schuldgemeinschaft. Diesem Adam steht Jesus Christus und seine Gemeinschaft der Gnade, Wahrheit und Gerechtigkeit gegenüber. "Durch den Gehorsam des einen werden alle zu Gerechten gemacht" (V. 20).

In diese Gnadengemeinschaft Christi werden wir durch die Taufe aufgenommen (6, 3ff.). Denn durch sie treten wir in eine reale Beziehung zu Christus: wir sterben mit ihm, wir werden mit ihm begraben, wir stehen mit ihm auf, wir leben mit ihm. Das Anteilnehmen an Christi Gemeinschaft offenbart sich als ein Eingebautwerden in Christi Lebensstände.

Ist aber jeder einzelne so innig in Christus eingetaucht, dann können die vielen Gläubigen untereinander nicht ohne Verbindung sein. Sie gehören im Gegenteil so sehr zueinander, dass ihre Verbundenheit sogar eine Leibeinheit bildet (12, 3f.). "Wir bilden alle zusammen einen Leib in Christus, die einzelnen sind aber untereinander Glieder, ausgestattet mit verschiedenen Gaben, je nach der Gnade, die uns verliehen" (V. 5f.). Dieser eine Leib ist in Christus gegeben. Er ist ein Christusleib. Noch sagt Paulus nicht, in welchem Verhältnisse dieser Leib zu Christus steht. Er gibt nur zu verstehen, dass Christus das Einheits- und Bildungsprinzip dieses Leibes ist.

Von der Christusangehörigkeit des Menschen erfahren wir durch den 1. Korintherbrief, dass sie auf den ganzen Menschen sich erstreckt. Auch unser Leib gehört dem Herrn und ist für ihn da, wie aber auch der Herr für den :Leib (6, 12ff.). "Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind?" (V. 15). Wie Mann und Frau in der Ehe zu einem Fleische werden, so wachsen auch wir mit Christus zu einem Geiste zusammen. "Wer dagegen .dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm" (V. 17). Hier hebt schon das andere Bild von Mann und Frau an.

Diese geistige Verschmelzung beruht auf einer fleischlichen Grundlage, auf der Teilnahme am Fleische Christi.

"Ist der Segenskelch, den wir segnen, nicht die Teilnahme am Blute Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht die Teilnahme am Leibe Christi?" (10,16). Da es aber nur ein Brot. ist, an dem alle Christen teilnehmen, so wachsen sie durch diesen Gemeinschaftsbesitz zu einem Leibe zusammen. "So sind wir alle nur ein Leib" (V. 17).

Einer ist der mystische Leib Christi, einer der Geist dieses Leibes, aber vielfältig die Gaben des Geistes. Darum herrscht im Christusleibe weder Einerleiheit noch Zwiespältigkeit, sondern organische Einheit, wie es beim menschlichen Körper und seinen verschiedenen Gliedern der Fall ist (12; 12 ff.). Diesen einen Körper identifiziert Paulus zuerst mit Christus selbst (V. 12 u.13), während er etwas später (V. 27) die Korinther in ihrer Gesamtheit als den Leib Christi bezeichnet, im einzelnen aber als Teilglieder. Auf diesem Untergrunde malt Paulus ein herrliches Bild der Gemeinschaft der Heiligen (V. 21 ff.). Durch das Einssein in einem Christusleibe herrscht innigster Austausch von Schmach und Ehre zwischen den Gliedern.

In den Darlegungen dieser beiden Hauptbriefe ist bemerkenswert, dass Christus und die Gläubigen nicht wie Haupt und Leib gegenübergestellt werden. Das gegenseitige Verhältnis ist. überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern das Bild ist so gewendet, dass lediglich die in Christus vorhandene Einheit aller Teilglieder durch den Vergleich mit einem Leibe ausgedrückt wird. Dieser Leib wird weiterhin ganz allgemein als Christusleib bezeichnet. Christus schafft und ist die Einheit. Da das Einbezogenwerden in den Christusleib sich als ein Eingehen in Christi Lebensstände und damit als ein Belebtwerden und Leben vom geistig gedachten Christus darstellt, so erscheint Christus als der Beseeler, als das Pneuma seines Leibes.

Von dieser Vorstellungsweise weicht die Darstellung in den Gefangenschaftsbriefen ab, oder besser gesagt, das Bild wird voller ausgewertet. Dazu zwangen den heiligen Paulus Irrlehrer, denen Christus und seine Gnade nicht mehr genügten. Den Glauben an eine Vielheit von Mittlern zwischen Gott und den Menschen wollten sie den Neugetauften aufdrängen. Da erhob sich Paulus, um diese Mittelwesen mit dem Nachweise abzutun, dass Christus allein genügt, da er Herr des Alls, Herr aller Geistesmächte ist. Darum ist Christus auch das überragende und erfüllende Haupt seiner Kirche.

Der Brief an die Kolosser beginnt mit einer Schilderung der erhabenen Stellung Christi. "Er ist das Ebenbild Gottes, des Unsichtbaren, der Erstgeborene vor aller Schöpfung" (1, 15). "Alles ist durch ihn und für ihn erschaffen. „Er steht an der Spitze von allem" (16f.). Wie Christus als "Erstgeborener aller Schöpfung" der erschaffenen Welt vorsteht, so als "der Erstgeborene unter den Toten" der erlösten Welt. "Er ist das Haupt des Leibes, der Kirche" (V. 18).

Christi Vorrangstellung in der erschaffenen und in der erlösten Welt fußt auf einem einzigartigen Tatbestande: "Es war Gottes Wille, in ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen" (V. 19). Der Gesamtheit aller denkbaren oder wirklichen Mittelwesen, welche nach den Irrlehrern erst zusammen die Fülle der göttlichen Kräfte darstellen, stellt Paulus den einen Christus als die ganze Fülle der Gottheit gegenüber. "Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit wesenhaft" (2,9). Christus besitzt für sich das ganz, worin viele andere sich teilen müssen. Von solch einzigartiger Fülle kann wahrhaft göttliches Leben auf die Menschen niederströmen. "Ihr seid in ihm dieser Fülle teilhaftig geworden" (2,10).

Die Herrschaft über die ganze Kirche und die lebendige Beeinflussung aller Gläubigen erhält Christus an dieser Stelle zugesprochen. Für Paulus liegt dies im Bilde vom Haupte und Leibe beschlossen.

Wer in dieser Sicht Christus und sein Werk begreift, der darf sich wie Paulus seiner Leiden, die er dafür erduldet, freuen. Denn so leistet er für den Leib Christi, die Kirche, was an den Leiden Christi noch aussteht (V. 24). Ein viel gebrauchtes, aber auch vielgestaltig erklärtes Wort! Wohl ist der Gedanke einfach, dass Paulus für die Brüder und damit für die Kirche als den Leib Christi leidet. Aber welches sind die Mängel am Leiden Christi, die Paulus ergänzen möchte? Woher nimmt er das Recht, seine Leiden Christusleiden zu nennen? Die Erklärungen der Exegeten sind mannigfaltig. Unchristlich wäre ohne Zweifel die Auslegung, als ob Christi Leiden für die Erlösung der Welt nicht ausgereicht hätten und darum von Paulus ergänzt werden müßten. Ob man nun erklärt: Christusleiden, das sind die Leiden, welche Christus in seinem mystischen Leibe erduldet; oder Christus hat für jeden einzelnen und die Kirche insgesamt bestimmte Leiden vorgesehen, die voll werden müssen, so dass im Bestimmen des Maßes die Berechtigung der Apposition liegt; oder aber: es sind Leiden im Dienste Christi vollbracht, und deren Maß ist bei Paulus noch nicht voll; oder ob man für die bekannte Auslegung sich einsetzt: die Leiden des Hauptes Christi werden ergänzt und vervollständigt durch die Leiden des mystischen Leibes; erst dann ist das Leidensmaß des Ganz-Christus erreicht, man wird für keine Spielart die letzte Entscheidung mit Sicherheit treffen können. Aus allen Erklärungen leuchten aber zwei Gedankengänge heraus: entweder handelt es sich um ein gewisses Ergänzen der Leiden des Hauptes in seinem mystischen Leibe oder um ein Vollwerden der Leiden Pauli, die wir wegen seiner Verbundenheit mit Christus als Christusleiden bezeichnen dürfen. Die erste so beliebte Vorstellung., die wir als eine christliche, weil von den Vätern vertretene, festhalten dürfen, lässt sich nicht mit Sicherheit als eine paulinische bezeichnen. Aber aus beiden Auslegungen spricht die enge Verbundenheit von dem, was die Christen angeht, mit Christus selbst, eine Verbundenheit, die in der Väterauslegung zur Idiomenkommunikation, zur Vertauschung der Aussagen zwischen Christus und Kirche sich auswächst.

Gleichzeitig mit dem Briefe an die Kolosser wurde der Brief an die Epheser geschrieben. Daher herrscht innige Gedankengemeinschaft zwischen beiden Briefen, aber der Epheserbrief schenkt eine reichere Ausbeute.

Gleich zu Anfang spricht ein gewaltiger Lobeshymnus auf Gottes Erlösung die enge Verbundenheit zwischen Christus und den Gläubigen aus. Alle Ratschlüsse und Heilstaten Gottes sind gefasst und ausgeführt "in Christus Jesus". Darum gipfelt der Heilsplan darin, dass Gott in der Fülle der Zeiten alles, was im Himmel und auf Erden ist, in Christus rekapitulierte, d. h. in Christus wie in einem Brennpunkte zusammenfasste (V. 10).

Diesem Heilsmittelpunkte Jesus Christus muss der Primat zukommen, über alle Mächte, Gewalten und Herrschaften hat Gott ihn in der Tat gesetzt (V. 21). "Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn zu dem alles überragenden Haupte der Kirche gemacht, die sein Leib ist" (V. 22). Wiederum stehen sich Christus und Kirche gegenüber wie Haupt und Leib. Aber das Hauptsein enthält mehr als Vorstehen und Beherrschen; darum nennt Paulus die Kirche: "Die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt" (V. 23). Die Kirche ist das Pleroma oder die Fülle Christi. Was soll das heißen? Ist die Kirche als Leib Christi ein Christum Erfüllendes oder ein von Christus Erfülltes?

Die ältere Exegese trat durchweg für die erstere Wendung ein, ohne deswegen die zweite auszuschließen, und sah auf Grund dieser Stelle die Kirche als eine Ergänzung, eine Vervollständigung Christi. Wie zum Haupte ein Leib gehört, so zu Christus seine Kirche. Sie bildet seinen Leib, in dem das Haupt sein Betätigungsfeld besitzt. Haupt und Leib zusammen, Christus und Kirche, bilden dann den vollständigen Christus, den Ganz-Christus, wie Augustinus sich auszudrücken beliebte. So wurde es ein Vätergedanke, die Kirche als die notwendige Ergänzung Christi zu fassen. Der Gedanke ist in sich richtig und fruchtbar, als ein Gedanke der Väter außerordentlich wertvoll; ob er auch genuin paulinisch ist, bleibt fraglich. Doch ist er sicherlich eine notwendige Folgerung aus dem engen Verhältnisse, das Paulus zwischen Christus und der Kirche obwalten lässt, und deckt sich mit dem Bilde vom Weinstocke, dem die Reben nicht fehlen dürfen.

Die neuere Exegese nimmt das Wort Pleroma lieber nur in der zweiten Möglichkeit: die Kirche ist ganz von Christus erfüllt, sie ist voll von seinem Geiste und Leben. Nach dem Zusammenhange, der eine Machtstellung und Erhöhung Christi betonen will, und der Bedeutung "der Fülle" im Kolosserbriefe, dürfte diese Auslegung die wahrscheinlichere sein. Auch so bleibt das Wort Pauli vom Pleroma von großer Wucht; denn es drückt plastisch die Christuserfülltheit der Kirche, ihr Sein und Leben nur aus Christus, aus.

Im zweiten Kapitel geht Paulus auf den großen Zwiespalt zwischen Juden und Heiden ein, den Christus überwunden hat. Es geschah nicht, indem er aus den Heiden Juden oder aus den Juden Heiden machte, sondern indem er beide in die Gemeinschaft seiner Person aufnahm und daraus den einen neuen Menschen bildete (V. 14 u. 15) und diesen einen Leib durch den Tod am Kreuze mit Gott versöhnte (V. 16). So hat Christus im Erlösungswerke selbst die ganze Menschheit sich angeeignet und mit ihr als mit seinem mystischen Leibe das Kreuzesholz bestiegen. Die Folgen so enger Verbindung können nicht ausbleiben. Sie offenbaren sich vor, allem in der Heidenwelt : aus Fremdlingen und Beisassen sind Vollbürger und Hausgenossen Gottes geworden (V. 19).

Durch den Ausdruck "Hausgenossen" wird Paulus verleitet, das Bild zu ändern und zu dem vom Hausbau überzugehen. An diesem Bau sind die Apostel und Propheten die Fundamente, Christus aber der Eckstein (V. 20). Eckstein hieß schon im Alten Bunde der Messias wegen seiner Macht und Herrlichkeit. Ein Eckstein stützt das ganze Gebäude, gibt ihm seine Richtung, drückt ihm sein Gepräge auf. Nur durch den Einbau in Christus, nur wenn man auf ihn hin sich richtet, kann der Mensch ein Stein am schönen Gottestempel werden, den die Christen immerfort erbauen (V. 21). Seinen Schwung und Rhythmus erhält das lebendige Weiterbauen vom Eckstein her.

Einem so erstandenen Baue fehlt die Einheit nicht. "Ihr seid ja ein Leib und auch ein Geist" (4,4). Aber wiederum wehrt sich der Apostel dagegen, dass Einheit der Kirche Einerleiheit besage. In souveräner Freiheit hat vielmehr der zum Himmel aufgefahrene Christus seine Gnadengaben ausgeteilt (V. 7). "So bestimmte er die einen zu Aposteln, die andern zu Propheten, wieder andere zu Verkündigern des Evangeliums oder zu Hirten und Lehrern" (V. 11). Ihrer aller bedarf er zum Aufbau seines Leibes (V. 12). Denn wachsen muss dieser Leib. Zu einem vollkommen ausgewachsenen Mannesleibe soll er werden und das Vollmaß der Christusfülle erreichen (V. 1.3). "Wir sollen in Liebe nach jeder Hinsicht in den hineinwachsen, der das Haupt ist, in Christus" (V. 15). Vom Haupte her ist dies Wachsen bestimmt, von dorther wird es geleitet, aber es bedient sich dabei der Einzelglieder. Ein jedes Glied soll mitbauen entsprechend der Arbeit, die ihm zugewiesen ist. Aber es arbeitet in der Kraft des Hauptes. Denn Gewebe und Bänder verbinden den Leib mit dem Haupte, dem Zentrum der Kraft, damit der Leib durch des Hauptes Kraft und den Dienst der Glieder in Liebe erbaut werde (V. 16).

In diesem prachtvollen Bilde hat Paulus nicht nur die Stellung Christi als Haupt und seinen gewaltigen Einfluss auf den Leib erneut zur Anschauung gebracht, sondern auch die Ämter und Gaben der Kirche in ihrem tiefsten Sollen bestimmt. Sie sind die Mittel, deren sich das Haupt bedient, um den Aufbau seines Leibes sicherzustellen und zu vollenden. Dieser Leib, die Kirche, ist ganz und gar christusbezogen. Vom Christus dem Haupte geht sein Wachsen aus. Er ist auch das Maß seines Wachsens. Darum findet er nur in ihm sein Ziel.

Zwei Bilder hat Paulus hier ineinander gewoben, um den Kern des Erlösungsplanes zu zeichnen. Sie genügen ihm jedoch nicht, um die ganze Herrlichkeit dieses Geheimnisses enthüllen zu können. Er gesellt ihnen im fünften Kapitel dieses Briefes ein neues hinzu: das Bild von der Ehe oder der bräutlichen Liebe. Im Hohenliede fand er es in den glühendsten Farben vorgezeichnet. So wie einst Jahve das auserwählte Volk geliebt und sich mit ihm verbunden hatte, so hat "Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen" (V. 25). Diese innige Liebe stellt Paulus den christlichen Eheleuten als leuchtendes Vorbild hin. "So sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib" (V. 28). Mann und Frau werden ein Fleisch, ein Leib, aber der Mann ist in dieser Zweieinheit "das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist, er, der Erlöser seines Leibes" (V.23).

Da Christus das Haupt ist, so ist ihm die Kirche untertan (V. 24). Aber Christus übt keine Gewalt-, vielmehr eine Liebesherrschaft aus. So sehr liebt er die Kirche, dass er sich für sie hingegeben hat, um sie zu reinigen und zu heiligen, "um sich die Kirche herrlich zu gestalten" (V. 26). Christus will eine Braut "ohne Flecken oder Runzel, heilig und makellos" (V. 27). Auf Grund dieser vollen Hingabe, die von der Kirche durch ehrfürchtige Scheu erwidert wird, besteht eine Art Identität zwischen Braut und Bräutigam, zwischen Christus und Kirche. Er kann die Kirche nicht hassen, weil er sein eigenes Fleisch nicht hassen kann, sondern muss sie wie dieses nähren, hegen und pflegen (V. 28-30). Zwar gilt der nachfolgende schöne Vers der Genesis: "Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Frau anhangen" (V. 31), nicht mehr unmittelbar von Christus, dennoch ließe er sich in schönster Weise auf ihn und seine Braut anwenden: der ewige Gottessohn verlässt den himmlischen Vater, nimmt Fleisch an und hängt den Menschen, hängt seiner Kirche auf Grund dieser Naturgemeinschaft auf das innigste an, so dass er mit ihnen eine unauflösliche Einheit bildet. Alle Kraft, die er aus der himmlischen Heimat mitgebracht hat, alles, was er besitzt, schenkt er seiner Braut, damit sie seiner Größe würdig sei. Die innigste Interessen-, Lebens- und Liebesgemeinschaft umschlingt Christus und seine Kirche.

Die Stellung, welche die Briefe des heiligen Paulus in der christlichen Welt einnehmen, versichert uns, dass seine Gedanken über das Verhältnis Christi zur Kirche weiterlebten. In der Tat haben diese Bilder und Gedanken der Heiligen Schrift ihren Weg durch die Jahrhunderte der Christenheit gemacht. Große Denker und liebeglühende Herzen haben sie weiterhin geformt. Traten sie zeitweilig einmal in den Hintergrund, dann hat der Geist Gottes ihnen wieder und wieder frisches Leben eingehaucht. So ist es auch in unseren Tagen geschehen.

Wir wollen diesen Weg der geschichtlichen Entwicklung nicht verfolgen, sondern aus der Bildersprache der Heiligen Schrift zur gedanklichen Durchdringung dieser geoffenbarten Wahrheit voranschreiten.

2. Gedankliche Durchdringung

Übersicht: Der Organismus des Leibes Christi kann so dargestellt werden

In allen Geheimnissen unseres heiligen Glaubens, welche den Menschen betreffen, pflegt der Übernatur die Natur voranzugehen. Auch das gnadenvolle Verhältnis Jesu zur Menschheit besitzt ein Fundament in der Natur unseres Geschlechtes. Die Stellung des Gottmenschen als Haupt wäre undenkbar, wenn nicht das Menschengeschlecht von Natur so organisiert wäre, dass es ein geschlossenes Ganzes bildete. Weil es eine natürliche Einheit und ein natürliches Haupt in Adam besitzt, konnte es in Christus eine übernatürliche Einheit und ein göttliches Haupt erhalten.

Es ist eine von Gott gewollte Eigenart unseres Geschlechtes, dass die Millionen und Milliarden von Menschen ein artgleiches Wesen besitzen. Das zwingt zum Zusammendenken und lässt die Vielheit der Ausführung gegenüber der Einheit des Wesens zurücktreten. Wie man bei einem Bilde oder Buche von einem Werke spricht, auch wenn es in tausend Exemplaren verbreitet ist, so muss auch das Menschengeschlecht richtiger als ein Wesen in vielen Ausführungen und nicht als eine Anhäufung vieler Wesen aufgefasst werden.

Noch innigeren Zusammenhang besitzt es. Die Arteinheit wird zur Stammeseinheit. Alle Menschen haben ihre gleichartige Natur von einem Stammvater erhalten. Man vergleicht darum das Menschengeschlecht mit einem Baume. Wie selbst zahllose Äste, weil einer Wurzel entsprossen, eine Einheit bleiben, so „muss die Gesamtheit der Menschen, die von einem Stammvater ihre Natur empfangen haben, wie eine Gemeinschaft oder besser wie der eine Leib eines Menschen verstanden werden". Alle Menschen sind in gewissem Sinne nur ein Mensch. Wenn darum im Baume auch die entferntesten Zweige miteinander in realer Verbindung stehen, dann hat auch jedes Glied des Menschengeschlechtes mit jedem anderen, auch den vergangenen und zukünftigen, einen realen Zusammenhang.

In diesen natürlichen Geschlechtszusammenhang tritt Jesus Christus als Sohn der Jungfrau Maria ein. Durch seine Geburt aus Maria, einer Adamstochter, ist Christus den anderen Menschen ähnlich und stammverwandt. Er ist ein Zweig und eine Frucht des aus Adam hervorgegangenen Geschlechtes, ein Glied in dieser unendlichen Kette. Darum nennt er sich selbst mit Vorliebe den Menschensohn. Wie könnte auch von Weinstock und Reben, von Mann und Frau bei Christus und den Menschen die Rede sein, wenn keine Naturgleichheit die Grundvoraussetzung dazu schaffte. "Der heilig macht, und die geheiligt werden, sind ja einer Abstammung. Darum schämt er sich nicht, sie seine Brüder zu nennen und zu sagen: Ich will Deinen Namen meinen Brüdern verkünden. Denn nicht den Engeln gilt seine Sorge, sondern den Kindern Abrahams. Darum musste er in allem seinen Brüdern ähnlich werden" (Hebr. 2,11 ff.); "Christus ist zwar, wie der Aquinate sagt, das Haupt der Engel. Denn Christus steht über den Engeln auch seiner

Menschheit nach. Ebenso erleuchtet und beeinflusst Er die Engel auch als Mensch. Soweit jedoch die Naturgleichheit in Frage kommt, ist Christus nicht das Haupt der Engel. Aber nicht nur unsere Natur hat Christus angenommen, sondern Er ist auch in der Gebrechlichkeit, Leidensfähigkeit und Sterblichkeit seines Leibes unser Blutsverwandter geworden."

Christus ward in allem befunden als Mensch. Doch ist er mehr als sie. Es war Gottes Wille, in ihm seine ganze Fülle wohnen zu lassen. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh. 1, 14). Menschennatur und Gottesnatur sind in Christus hypostatisch oder personal geeint. "In ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig" (Kol. 2,9). Der aus Maria geborene Zweig des Menschheitsbaumes ist die Eintrittspforte der Gottheit ins Geschlecht.

Wenn in einem Metallgewebe der elektrische Strom an einer Stelle einsetzt, erfasst er das ganze Gewebe. Wenn ein Netz an einer Masche emporgezogen wird, so wird diese zum Angelpunkt des ganzen Netzes, an ihr heben sich alle Maschen mit. Wenn nun eine Menschennatur vom Sohne Gottes angenommen und in seine göttliche Person aufgenommen wird, bleibt dann dieser Zweig nur Zweig unter Zweigen? Wenn die Kraft des Allerhöchsten ein Glied des solidarischen Menschengeschlechtes erfasst, kann dies ohne Folgen für das übrige Geschlecht sein, wenn eine reale Verbindung vorhanden ist? Die göttliche Offenbarung hat darauf die Antwort gegeben: Christus ist das alles überragende Haupt, das alles in allem erfüllt. Jesus Christus wird kraft der unendlichen Anziehungs- und Durchdringungskraft seiner Gottheit das Haupt seiner Brüder. Das Geschlecht wird sein Leib und empfängt aus seiner Fülle Gnade um Gnade. Christus ist Haupt, das Menschengeschlecht sein Leib.

Das ist ohne Zweifel bildhaft gesprochen. Aber es kann kein Bild ohne Wirklichkeit sein. Denn wirklich ist die solidarische Einheit der Menschen, wirklich das personale Wohnen der Gottheit in Christus. Darum ist auch Wirklichkeit, was dieser Grundlage folgt und die Heilige Schrift durch dieses Bild künden will. Welche Wirklichkeit umgreift aber dieses Bild? Was heißt Haupt sein?

Diese Frage dürfen wir nicht nach unseren modernen naturwissenschaftlichen Anschauungen beantworten. Andere Zeiten haben das Bild geformt, andere Naturauffassungen liegen ihm zugrunde. Doch haben wir nicht notwendig, uns in diese Anschauungen mühsam hineinzudenken. Wer aufmerksam den Texten der Heiligen Schrift gefolgt ist, dem ist auch schon die Wirklichkeit sichtbar geworden, welche durch dieses Bild zum Ausdruck kommen soll. Anstatt diese Andeutungen zu wiederholen und dann systematisch zu ordnen, lassen wir uns einfach vom heiligen Thomas von Aquin belehren, der diese Arbeit schon geleistet hat. Unter seiner Führung forschen wir der Wirklichkeit dieses Gleichnisses nach.

In meisterlicher Kürze deutet der Aquinate das Hauptsein in seiner theologischen Summe: "Drei Dinge sind hierbei zu beachten: Die Stellung des Hauptes, seine Vollkommenheit und seine Kraft. Seine Stellung: Das Haupt ist der erste Teil des Menschen, von oben her gerechnet; deshalb pflegt man alles Anfangende Kopf zu nennen. Seine Vollkommenheit: Das Haupt ist Sitz aller inneren und äußeren Sinne, die übrigen Glieder nur Sitz des Tastsinns. Seine Kraft: vom Haupte geht die Kraft und Bewegung der übrigen Glieder aus; es lenkt ihre Tätigkeiten; denn ihm wohnt die Kraft der Sinne und Bewegung inne. Darum nennt man den Lenker eines Volkes sein Haupt.“ Dreierlei enthält nach Thomas dieses Bild: Das Haupt hat einen Ordnungs- und Ehrenvorrang. Das Haupt hält den höchsten Vollkommenheitsgrad inne. Das Haupt ist Ausgang aller Kraft und Bewegung. Noch besser ließe sich diese Dreiheit in eine Zweiheit verdichten. Der Vorrang und die Besitzfülle liegen in der statischen, das Lenken und Bewegen in der dynamischen Ordnung.

Christus ist unser göttliches Haupt. Der Gottmensch ist demnach das weitaus edelste und würdigste Glied des Geschlechtes, seine Krone und seine schönste Frucht. „Er steht an der Spitze von allem." In seiner Fleischwerdung gipfelt alles Menschheitsgeschehen; Er ist der Höhepunkt der Menschenwelt. Darum müssen alle übrigen Menschen auf ihn hingerichtet sein. Sie finden nur in ihm ihren Sinn und ihr Ziel. "Und alles hat in ihm seinen Bestand." In ihm wird die Menschheit zu einer neuen, engeren und herrlicheren Einheit zusammengefasst als bisher.

Mag Christus auch schlechthin Herr und König aller Geschöpfe sein, so ist er doch ganz besonders "Haupt" im Reiche der Übernatur. Hier liegt sein eigentliches Hauptsein. "Denn in ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig." Eine neue Vollkommenheit hat durch ihn im Menschengeschlechte Platz genommen: das göttliche Leben. Er besitzt es in unübertrefflicher Fülle. Ihm ist es zu eigen wie dem Quellgrunde selbst. "Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, voll der Gnade und Wahrheit'" (Joh.1, 14). Wer könnte seine Gnadenschätze erforschen?

Wenn aber das Haupt mehr besitzt als seine Glieder, wenn es höhere Kräfte zu eigen hat, als sie dem Menschen von Natur verliehen sind, wird Christus sie seinen Brüdern vorenthalten? Wurde er nicht deswegen Haupt, damit sein Leib aus seiner Fülle empfange Gnade um Gnade? Christus ist in der Tat der übernatürliche Kraft- und Lebensquell des mit ihm verbundenen Menschengeschlechtes. Er gibt von seinem herrlichen Besitze mit. Er beschenkt die Seinigen mit göttlichem Leben. Er durchherrscht und belebt, er bewegt und treibt in der Ordnung der Übernatur das ganze Menschengeschlecht. Ströme heiliger Gnaden gehen von ihm aus und durchziehen seinen mystischen Leib. Ein jedes Glied lebt und arbeitet übernatürlich nur aus ihm. Es betet, ringt und siegt in ihm. "Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Das Haupt Christus wird zur alles tragenden und bewegenden Seele seines Leibes. Wenn im Hauptsein Jesu Christi der Kern des Erlösungsplanes liegt, dann müssen wir ihn offenbar in dieser Dynamik sehen, für welche das statische Verhältnis nur Voraussetzung ist.

Noch schärfer tritt dies heraus, wenn wir vom Leibe her die Wirklichkeit dieses Bildes ausdeuten. Ein Leib muss nach der Art des Hauptes gestaltet sein; sonst passen beide nicht zusammen. "Die er vorhererkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden" (Röm. 8, 29). In Christus hat das Menschengeschlecht durch Gottes Liebe ein Anrecht erhalten, nach dem "Ebenbilde des Unsichtbaren", nach seinem Haupte Christus gestaltet zu werden. Es ist für eine Vergöttlichung empfänglich geworden und erwartet Anteil am göttlichen Leben. Die Gotteskindschaft ist durch die Fleischwerdung des Sohnes Gottes als ein Rechtspfand in der Menschheit niedergelegt und mit ihr die Gaben der Unsterblichkeit und ewigen Seligkeit. Diese göttlichen Gaben liegen nun nicht mehr jenseits des Menschengeschlechtes. Sie sind nicht mehr unerreichbar hoch. Sie müssen auch den Gliedern zuteil werden.

Von wem sollten sie einem Leibe anders zukommen als von seinem Haupte? "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2, 20). Wie die Zweige aus dem Safte des Stammes sich aufbauen, wachsen und Frucht ansetzen, so müssen und dürfen die Menschen aus der Kraftfülle ihres göttlichen Hauptes übernatürlich leben und tausendfältige Frucht bringen. Christus ist die einzige und letzte Quelle unserer übernatürlichen Kraft und Fruchtbarkeit.

In noch andern Bildern haben die Kirchenväter diese Kernwahrheit der Menschwerdung ihren Zuhörern deutlicher zu machen versucht. Sie verglichen Christus mit einem Sauerteige, der die ganze Masse durchzieht und in Bewegung setzt. Sie sahen in ihm die Lilie, welche ihren herrlichen Duft über alles ausströmt. Vielleicht ist kein Bild passender als das von der glühenden Holzkohle, die inmitten eines Holzstoßes liegt und alles in Glut versetzt, was mit ihr in Berührung steht. Das Feuer war den Alten das höchste Element, ein Gleichnis der Gottheit. Wenn auch die glühende Kohle mit dem noch nicht entzündeten Holze von gleicher Art ist und es auch stets bleibt, so gestaltet doch das Feuer sie um und umkleidet sie mit höheren Eigenschaften. Von diesem glühenden Holze geht das Feuer auf alle Hölzer über, so dass alle von seiner Glut leben und nach seinem Vorbilde sich gestalten.

So umgreift das Bild von Haupt und Leib eine volle Wirklichkeit und birgt einen unermesslichen Lebenswert. Weil aber diese übernatürliche Wirklichkeit für unser irdisches Verstehen geheimnisvoll und unergründlich bleibt, können wir von ihr nur in Bild und Gleichnis sprechen. Um ihre Übernatürlichkeit zu charakterisieren und Verwechslungen hintanzuhalten, ist der Ausdruck "das mystische Haupt und der mystische Leib" gebräuchlich geworden. "Dieses Wort unterscheidet zunächst den gesellschaftlichen Leib der Kirche, dessen Haupt und Lenker Christus ist, von dessen physischen Leib, der, aus der jungfräulichen Gottesmutter geboren, jetzt zur Rechten des Vaters thront und unter den eucharistischen Gestalten verborgen ist. Ebenso schließt diese Bezeichnung jeden natürlichen Leib, sei es einen physischen, sei es einen sogenannten moralischen, aus.“

Wer an Hand der Heiligen Schrift das Bild zu deuten versteht, dem offenbart es die wahrhaft erhabene Stellung, welche der Gottmensch in unserer Mitte einnimmt. Vor allem schenkt es ihm ein Verstehen der innigsten Einheit zwischen Christus und uns. Wie Haupt und Leib den einen Menschen ausmachen, so sind Christus und das Geschlecht in den Augen Gottes der eine neue Mensch, in gewissem Sinne eine einzige übernatürliche oder mystische Person. "Es ist die uralte, ständig von den Vätern weitergegebene Lehre, der göttliche Erlöser bilde zusammen mit seinem gesellschaftlichen Leibe nur eine einzige mystische Person oder den ganzen Christus. ... Das mystische Haupt, welches Christus ist, und die Kirche, die hier auf Erden wie ein zweiter Christus seine Stelle vertritt, stellt den einen neuen Menschen dar, durch den Himmel und Erde verbunden werden." Darum sieht der himmlische Vater uns in seinem Sohne und seinen Sohn in uns. Er liebt uns deshalb mit jener Liebe, mit der er seinen Eingeborenen liebt, und trägt kein größeres Verlangen als die Herrlichkeiten seines fleischgewordenen Sohnes auch den Menschen zu schenken.

Mit Recht hat man wegen dieser engen Verbundenheit in dem gnadenhaften Verhältnisse des Gottmenschen zum Gesamtgeschlechte eine Art Erweiterung oder Fortsetzung seiner heiligen Menschwerdung gesehen. Was sich dort einmalig durch die hypostatische Union zugetragen hat, das hat sich - naturgemäß in analoger, d. h. abgeschwächter Weise - in der Richtung: Gottmensch - Menschengeschlecht wiederholt. Was die personale Union der hochheiligen Menschheit Jesu Christi an Ehren und Würden, an göttlichen Gnaden und Gütern gebracht hat, das hat auch ihre Erweiterung und Fortsetzung in analoger Form den Gliedern verschafft.

Besser hätte ich nicht gesagt: sie hat diese Güter den Menschen verschafft. Es ist ja nicht richtig, dass schon die Menschwerdung des Logos uns mit Gott versöhnte und zu Kindern Gottes machte. Dies verdanken wir erst seinem Opfertode am Kreuze. Der Weisheit Gottes entsprang der Plan, nicht dem mühelosen Fleischwerden, sondern dem mühevollen Sühneverdienst die übernatürliche Belebung der Glieder vorzubehalten. Aber der bloße Eintritt der Gottheit ins Geschlecht hat dieses wenigstens für die Güter des Hauptes empfänglich gemacht. Wenn im Holzstoße eine brennende Kohle sich befindet, dann sind alle Hölzer in nächster Gefahr, von der Glut ergriffen zu werden. Aber noch ist die Glut nicht ihr Eigen. So verhält es sich auch mit Christi Eintritt ins Menschenreich. Man darf deswegen sagen: Der Leib besitzt ein Anrecht auf die Güter seines Hauptes.

Um den Unterschied zwischen dem wirklichen Besitzen der Gotteskindschaft und der bloßen Empfänglichkeit zu kennzeichnen, sprechen die Theologen neben der aktuellen Gliedschaft in Christus von einer potentiellen Gliedschaft. "Man kann als Glieder des mystischen Leibes nicht nur die ansehen, welche ihm tatsächlich angehören, sondern auch jene, welche nur der Möglichkeit (Potenz) nach seine Glieder sind. Spricht man also ohne Einschränkung, so ist Christus in der Tat für alle Zeiten das Haupt aller Menschen, aber in verschiedenem Grade."

Von dieser potentiellen Gliedschaft sprechen wir in dieser gedanklichen Durchdringung, wogegen die Texte der Heiligen Schrift und der Kirchenenzyklika von der aktuellen kündeten. Darum nannte Paulus Christus das Haupt der Kirche, und wir nannten ihn das Haupt aller Menschen. Für gewöhnlich verstehen wir unter dem Begriff "mystischer Herrenleib" nur die Kirche und ihre Gläubigen; denn wir haben gewöhnlich den von der Gnade des Hauptes wirklich belebten Leib vor Augen. Das aber schließt nicht aus, dass wir alle Menschen aller Zeiten von der Menschwerdung an mit ihrem Erlöser geheimnisvoll, wenn auch nur potentiell und ideell verbunden wissen. Vom irdischen Erlöserwirken handeln wir vorläufig. Darum haben wir im ersten Teile im allgemeinen nur die potentielle Gliedschaft in Christus Jesus vor Augen.

Der reiche Ertrag, den die Ausdeutung des Bildes "Haupt-Leib" liefert, rechtfertigt seine bevorzugte Stellung in der christlichen Literatur. Aber jeder Vergleich hat seine schwachen Seiten. So vermissen wir z. B. bei diesem Bilde das Herausstellen der Grund kraft, welche den herrlichen Erlösungsplan bestimmt hat und in Christus lebendig ist: die göttliche Liebe und Hingabe. Schwerer drückt noch die Gefahr, welche in einer falschen Ausdeutung der mit diesem Bilde gegebenen Einheit gelegen ist. Es ist gewiss ein Vorzug dieses Vergleiches, dass er uns die enge Verbundenheit von Christus und Menschheit bzw. Kirche tief erleben lässt. Christus kann nicht ohne das Menschengeschlecht gedacht werden, wie das Haupt nicht ohne den Leib. Wir dürfen in gewissem Sinne von einer mystischen Person sprechen. Diese tiefe Einigung darf aber, selbst in der aktuellen Gliedschaft, nicht so ausgelegt werden, als ob die Gläubigen physisch in Christus aufgingen, als ob sie ihre Selbständigkeit und Freiheit verlören. Wir dürfen uns nicht zu einem mystizistischen Panchristismus, zu einer Allverschmelzung in Christus fortreißen lassen. Manche bedenken zu wenig, dass der Apostel Paulus nur bildlich gesprochen hat, unterlassen die so notwendige Unterscheidung und bringen so einen ganz verkehrten Begriff von Einheit auf. Sie lassen nämlich den göttlichen Erlöser und die Glieder der Kirche zu einer einzigen physischen Person zusammenwachsen. Paulus weiß zwar um die wunderbare innige Verbindung Christi mit seinem mystischen Leib, aber er stellt sie dennoch wie Braut und Bräutigam einander gegenüber."

Diese Gefahren werden in vollendeter Weise durch dieses andere Bild der Heiligen Schrift überwunden: das Bild vom bräutlich-ehelichen Verhältnisse. Wie der Apostel Paulus im Epheserbriefe beide Bilder miteinander verknüpft, so sollte stets der eine Vergleich durch den anderen seine Ergänzung finden. Zwar redet Paulus nur von Christus und der Kirche, aber wir dürfen auch in diesem Falle weitergreifen, wie es auch die Väter getan haben, denen dieses Bild besonders lieb war. Mit ihnen sehen wir der tatsächlichen Vermählung Christi mit der Kirche eine potentielle oder virtuelle vorausgehen: die Verbindung zwischen Christus und allen Menschen. Als der Sohn Gottes im Schoße der Jungfrau mit einem Fleische als dem Erstling sich personal verband, verknüpfte er mittels dieses einen alles Fleisch bräutlich mit sich. Der Gottmensch als Bräutigam gliederte sich alles Fleisch als seine Braut und seine Frau an, allerdings vorerst nur virtuell.

Das Bild von der Vermählung ist, wie schon angedeutet wurde, deshalb so wertvoll, weil es uns davor bewahrt, die Menschwerdung selbst mit ihrer Erweiterung zu vermischen. Es wahrt klar den Unterschied zwischen der personalen Union von göttlicher und menschlicher Natur in dem einen Christus und der bräutlichen Verbindung Christi mit allen Menschen. In einer personalen Union kann es nämlich keine Zweiheit der Personen geben. Jede eheliche Verbindung gründet aber in der Verschiedenheit der Personen und fordert immerdar die Erhaltung ihrer Selbständigkeit.

Aber in dieser negativen Sicht erschöpft sich der Wert dieses Bildes nicht. Es drückt auch in anschaulicher Weise die Innigkeit und Fruchtbarkeit der mystischen Einheit der Menschen in Christus aus.

Trotzdem die Eheleute verschiedene Personen sind und stets bleiben, werden sie doch moralisch eins durch die Eintracht ihrer Gesinnung und in der Hingabe ihrer Liebe. Diese moralische Einheit hat im leiblichen Besitzrecht sogar eine physische Grundlage, die im ehelichen Vollzuge eine Einheit des Fleisches bewirkt. Darum ist auch ihre persönliche Einheit keine bloß moralische wie zwischen zwei Freunden. So tief greift sie vielmehr ein, dass die Frau seine Selbständigkeit gegenüber dem Manne weithin aufgibt, ihm untertan wird, seinen Namen annimmt, in ihm sein Haupt und seinen natürlichen Stellvertreter besitzt. Darum nimmt es auch umgekehrt an seinem Stande, an seinen Ehren, seinen Rechten und Verdiensten Anteil.

So bleibt auch in dem bräutlich-ehelichen Verhältnisse Christi zur Menschheit die Verschiedenheit und die Individualität der Personen gewahrt. Ihre Vereinigung beruht auf der Liebe, die den eingeborenen Gottessohn zur Menschheit hintreibt und von der begeisterten Anhänglichkeit der Seelen an ihn erwidert wird. Diese moralische Einigung hat ihre physische Grundlage in der Einheit des Fleisches, das Christus mit seinen Brüdern teilt. Sie wächst in der aktuellen Vermählung durch den Genuss des eucharistischen Fleisches Christi zu einer noch höheren ontischen Verknüpfung aus. Auch die mit Christus vermählte Menschheit, allerdings die nicht nur potentiell, sondern aktuell vermählten Menschen geben ihre Selbständigkeit gegenüber ihrem Bräutigam Christus auf, sie werden ihm als ihrem Haupte gänzlich untertan, nehmen seinen Namen an und wollen und sollen ein zweiter Christus werden. Christus ist ihr Haupt, ihr natürlicher Stellvertreter, der Vermögensverwalter der ihr zugedachten göttlichen Schätze. Christus vertritt seine Braut im Gebete, im Leiden und Sühnen. Andererseits steigen aber die Menschen zur Teilnahme an seiner Würde, an seinem Stande, an seiner Fülle, an seiner Herrlichkeit auf.

3. Der geborene Mittler

Die Frau hat im Manne seinen natürlichen Stellvertreter. Er hat das Recht, in beider Namen zu handeln. Er vertritt die gemeinsamen Rechte, leistet aber auch die Familienverpflichtungen ab. Auf diesem Tatbestande beruht Jesu Christi stellvertretender Sühnedienst für die gefallene Menschheit. Aber Christus leistet noch mehr. Er heiligt auch seine Glieder und schenkt ihnen am Leben Gottes Anteil. Christus ist zugleich ein Leben spendendes Haupt. In beiden Fällen, im Sühnen und im Verschenken, vermittelt Christus. Er vermittelt zwischen der beleidigten Gottheit und den sündigen Menschen. Er vermittelt zwischen Gottesleben und Menschenwelt, Natur und Übernatur.

Im Gedanken der Mittlerschaft, in den die Ausdeutung der biblischen Bilder mündet, pflegen wir seit altersher das Erlösungswerk Christi, seine Stellung und Aufgabe zu begreifen. Ist aber die Kirche der Ausbau des Erlösungswerkes, so wird der Gedankenkreis der Mittlerschaft, da er jenes Werk so vorzüglich charakterisiert, auch den Zugang zum Mysterium der Kirche bedeutend erleichtern.

Die klassischen Worte vom Mittler hat Paulus niedergeschrieben: "Es gibt nur einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Christus Jesus, der sich als Lösegeld für alle dahingegeben hat" (1.Tim.2, 5). Das Wertvollste an diesen Worten hebt Augustinus heraus. "Nicht deswegen ist Christus Mittler, weil er das göttliche Wort ist; denn das völlig unsterbliche und ganz glückselige göttliche Wort steht dem Elend der Sterblichen fern; sondern Mittler ist er, weil Mensch." Nicht der Sohn Gottes als Mitinhaber der göttlichen Natur, sondern nur der fleischgewordene Gottessohn, nur der Logos als Inhaber der menschlichen Natur ist der große Versöhner zwischen Gott und den Menschen. Auf dieser Grundlage ist er Haupt, auf ihr auch Mittler.

"Die Extreme werden in einem Mittleren geeint", sagt der heilige Thomas. Vermitteln setzt Verschiedenheit voraus. Darum kann der Mittler weder mit dem einen noch mit dem anderen der Extreme identisch sein. Er muss vielmehr von beiden unterschieden sein. Mit Nachdruck betont Thomas: "Zum Wesen des Mittleren gehört es, dass es von den beiden Extremen entfernt sei."

In unserem Falle, wo die beiden Extreme ein Höherer und ein Niederer sind, verlangt die Mittelsteilung, dass der Mittler über dem einen und unter dem andern steht. Dies trifft aber auf Christus als Gott nicht zu. "Denn als Gott unterscheidet er sich in seinem Wesen und seiner Herrschermacht nicht vom Vater und Heiligen Geist." Dagegen sind in der Konstitution des Menschen Jesus diese Forderungen erfüllt. "Denn als Mensch ist er von Gott ferne in seiner Natur und von den Menschen in seiner Würde, Gnade und Glorie." Christus steht als wahrer Mensch unter Gott, wie er selbst sagt: "Der Vater ist größer als ich" (Joh. 14,28), oder wie Paulus sagt: "Des Mannes Haupt ist Christus, Christi Haupt aber Gott" (1. Kor. 11, 2). Jedoch als Haupt des Geschlechtes überragt er an Ehre, Würde und Gnade alle Menschen, ja er ist ein Mensch, der durch die hypostatische Union über den Kreis der Menschen hinausragt.

Wir müssen diesen scharfen Trennungsstrich zwischen den Extremen und dem Mittleren ziehen, um den Blick für die Lehre des heiligen Paulus freizuhalten: Einer ist der Mittler, der Mensch Jesus. Denn diesem Trennungsstriche entspricht eine trostvolle, lebenswarme Zueignung: Der Mittler muss beiden Teilen nahe stehen; er muss mit beiden verbunden sein. Wie der Mensch Jesus Christus durch seine wahre menschliche Natur mit der Menschheit auf das engste verbunden ist, so würde dem Menschen Jesus ein seinsgemäßes Verbundensein mit der Gottheit fehlen und dadurch seine naturhafte Mittelsteilung entleert werden, wenn er nicht durch Personeneinheit mit der Gottheit verbunden wäre.

So gewährt die geheimnisvolle Lehre von der hypostatischen Union dem Menschen Jesus diese mittlere Stellung. Sie schafft in ihm die notwendige Verbundenheit und Verschiedenheit. Als Mensch unter Gott und doch persönlich mit ihm verbunden, als Mensch verbunden mit den Menschen und doch kraft seiner Personalität ihnen weit überlegen. Hier treffen sich die Lehren von dem göttlichen Haupte und vom Mittler in voller Identität. Verbundensein und Überlegenheit schaffen für Christus die Stellung des Hauptes, Verbunden sein und doch durch Überlegenheit Getrenntsein sichern seine Mittelsteilung. Haupt sein heißt Mittler sein.

Aber Mittler sein als Haupt, Mittler sein auf der Seinsgrundlage der hypostatischen Union besagt, dass Christus nicht ein beliebiger Vermittler ist, nicht einer unter vielen, sondern dass er ein seinsgemäßer, wesenhafter, geborener Mittler ist. Darum ist er in seiner Art der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen, wie es auch nur ein einziges übernatürliches Haupt geben kann. Er ist Mittler schlechthin und im absoluten Sinne. Christus ist so einzig und schlechthin Mittler zwischen dem Menschengeschlechte und dem Gott der Übernatur, dass es nie neben ihm, höchstens unter ihm noch andere Mittler geben kann: "Ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus,"

Ist Jesus Christus durch seine Konstitution der geborene Mittler, so liegt schon in dieser Seinsgegebenheit ein Vermitteln, wie es nur ihm zukommen kann. Schon sein bloßes Dasein schafft eine Brücke zwischen den beiden Extremen, Gott und Mensch. Der Mensch Jesus ist das der Menschheit zugewandte Antlitz Gottes und das vergöttlichte Angesicht der Menschheit.

Darum nennt der Apostel Paulus unseren Herrn "das Ebenbild Gottes denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten, leuchtete in unserem Herzen auf, um die Erkenntnis von der göttlichen Herrlichkeit Jesu Christi leuchten zu lassen" (2. Kor. 4, 4-6). In diesem menschlichen Antlitze Gottes leuchtet vor allem die Menschenfreundlichkeit des unendlichen Gottes auf: "Dann aber erschien die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes" (Tit. 3, 4). So regt uns unser Mittler und Haupt zur Erkenntnis und Liebe Gottes an und stellt eine immerwährende Aufforderung zur Verehrung Gottes in einem uns Menschen greifbaren Gegenstande dar. In Christus können wir besser und leichter Gott zum Gegenstande unserer Liebe und Anbetung machen.

Hinwiederum ist unser Haupt das übernatürliche, Gott zugekehrte Antlitz der Menschen. Er ist das verklärte Bild, das Edelbild der Menschen und macht als solches das Menschengeschlecht zum Gegenstande des göttlichen Wohlgefallens. Dieses göttliche Antlitz der Menschen ist eine ständige Aufforderung an Gott, den Gliedern des Hauptes Anteil an seinem ureigenen Leben zu schenken. Die Grundlage ist gelegt, auf der die beglückende Tat des Austausches sich vollziehen kann.

4. Der heilige Gabenaustausch

Menschen bauen eine Brücke für den Austausch ihrer Waren und Geistesgüter. Der Mensch Jesus ist die von Gott errichtete Brücke zwischen ihm und den Menschen, die dem lebendigen Austausch zwischen Gotteswelt und Menschenleben dienen soll. Mit Recht müht sich deshalb der heilige Thomas um die Dynamik des Mittleren, um „das Amt des Verbindens". "Es verbindet aber dadurch, dass es das, was dem Einen gehört, dem Anderen bringt."

Auch diesen vermittelnden Austausch vermag Christus als Gott nicht zu vollziehen. Denn als Gott vermag er nicht etwas, das Eigentum anderer ist, zu den Menschen zu tragen. "Der Vater und der Heilige Geist besitzen ja nichts, was nicht auch dem Sohne zu eigen wäre, so dass er vom Eigentume des Vaters oder des Heiligen Geistes als einem fremden Besitze etwas zu anderen hintragen könnte." Aber von Jesus als Mensch gilt: "Als Mensch kommt es ihm jedoch zu, die Menschen mit Gott zu vereinen, indem er Gottes lehren und Geschenke den Menschen überreicht und für die Menschen vor Gott sühnt und fleht." Einer ist unser Mittler, der Mensch Jesus.

Denken wir zuerst an seine Vermittlung zu Gott hin. Die Menschheit rückt in ihrem Haupte Jesus Christus der Gottheit so nahe, dass sie in ihren Leistungen an die Unendlichkeit Gottes heranreicht. Denn die Menschen handeln in der Richtung auf Gott nur noch in ihm, und er handelt in ihrem Namen. Im Gottmenschen, in der lebendigen Vereinigung mit ihm können wir Menschen Gott einen Kult der Anerkennung und Lobpreisung, des Dankes und der Anbetung darbringen, der seiner göttlichen Größe entspricht. "Per ipsum et cum ipso et in ipso est tibi, Deo Pa tri omnipotenti, in unitate Spiritus Sancti omnis honor et gloria", beten wir in der Heiligen Messe. Damit bringt Christus der Menschen völlige Hingabe und Huldigung, ihr Können und ihre Kraft, ihr Sein und Haben zu Gott; so dem einen gebend, was dem anderen gehört. In Christus tut ferner die Menschheit genug für die große Unbill der entzogenen Ehren, der Sünden. Sie tut genug, indem sie ihre Edelfrucht, ihr Haupt Jesus als hinreichenden Sühnepreis Gott hingibt; so das, was ihr gehört, dem anderen gebend. In ihm, der alles dem Vater unterwerfen und dadurch einen will, dient die Menschheit ihrem Gott und Herrn, nicht mehr vom Gesetze gezwungen als Sklavin, sondern in der freien Liebe eines gehorsamen Kindes, das vollkommen sein will, weil der Vater vollkommen ist. So bringt Jesus die edelste Gabe der Menschen, ihre Freiheit, zu Gott. In dieser Weise vertritt Christus die Menschen bei Gott als ihr Prophet, der in ihrem Namen das Lob Gottes kündet, vertritt sie als ihr Priester, der in seinem heiligen Opfer den unendlichen Tribut entrichtet, vertritt dies königliche Geschlecht als ihr König im freien Dienste vor Gott. Er gibt so alles, was unser ist, Gott. Darum kann auf den Lippen unserer Kirche das per Dominum nostrum Jesum Christum nie enden.

Wie der heilige Thomas sagte, muss ein Mittler eine doppelseitige Tätigkeit entfalten. Darum muss der Mensch Jesus auch die Tätigkeit Gottes zur Kreatur hin in seine Hand nehmen. Zwei Namen, die unserem Gott in der Heiligen Schrift mit Vorliebe gegeben werden, künden am besten den Inhalt dieser vermittelnden Tätigkeit: Licht und Leben. „Durch Moses wurde das Gesetz gegeben, durch Jesus Christus kam die Gnade und Wahrheit", sagt Johannes in seinem Prologe (Joh. I, 17). Jesus übermittelte an die Welt der Geschöpfe das göttliche Licht, die Wahrheit, deren verkörpertes Wort er ist. Er erhebt die Menschen zur Teilnahme an der göttlichen Erkenntnis. Jesus Christus ist der Prophet und Lehrer, von Gott bestellt durch die Salbung seiner Menschheit mit der Gottheit, zur Übermittlung übernatürlicher Erkenntnis. „Denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch geoffenbart" (Joh.15, 15). So bringt er das, was dem einen gehört, dem anderen. Wie er als Wort des Vaters seine Gedanken und Geheimnisse uns enthüllt, so vermittelt er als der Sohn des Vaters die göttliche Sohnschaft, die Gotteskindschaft an die Menschen und ist so der von Gott bestellte Priester zur Übermittlung seiner Gaben. „Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade" (Joh. 1, 16). Seine Fülle ist aber die Fülle Gottes. So bringt er, was dem einen gehört, dem anderen. Weil Jesus vom Vater alle Macht empfangen hat, muss er als von Gott bestellter König ein neues Reich, das der göttlichen Herrschaft, auf Erden aufrichten. In ihm ergreift Gott von neuem Besitz vom Menschengeschlechte. Und Jesus bewirkt durch seine sanfte Hirtengewalt, dass die göttliche Herrlichkeit und Herrschaft auf Erden erstrahlt. Aber er gründet dieses Reich nach göttlicher Weisheit so, dass er im Aufrichten den Untergebenen Anteil an der göttlichen Macht und Herrlichkeit verleiht, sie zu Beisitzern zur Rechten des Vaters, zu Mitrichtern über den Erdkreis macht. Hat Jesus so das letzte, was Gottes ist, den Menschen gebracht, dann ist der paulinische Endzustand erreicht, auf den seine vermittelnde Tätigkeit hinstrebt, dass „Gott alles in allem sei" (1. Kor. 15,28).

So ist der Mensch Jesus Christus der Mittler Gottes an die Geschöpfe, ihnen Gottes Wissen mitteilend in seinem Lehramte, Gottes Leben verleihend durch sein Priesteramt, Anteil an Gottes Herrschaft schenkend durch sein Königsamt.

II. Kapitel: Der Weg der Heiligung

Gott hat eine lebendige Brücke zwischen seinem Leben und der Menschenwelt geschlagen. Mag es für den materiellen Warenaustausch gleichgültig sein, durch welches Hilfsmittel die Waren befördert werden, für den Austausch geistigen Lebens ist es anders. Hier schaltet sich der lebendige Geist ein und drückt der vermittelten Idee seinen Stempel auf. Was Christus vermittelt, ist höchstes geistiges, ja göttliches Leben; er überträgt es aber durch seine hochheilige Menschheit. Der Mensch Jesus ist Mittler und seine wahre Menschheit der Weg unserer Heiligung. Darum kann sich der heilige Gabenaustausch nicht durch Christus vollziehen, ohne dass er ihm jene charakteristische Note aufdrückte, die durch sein lebendiges Menschsein bestimmt ist. Wir können diese Eigenart des göttlichen Vermittlungsweges nicht unberücksichtigt liegen lassen. Denn die Vermutung spricht dafür, dass sie im fortgesetzten Heilswerke, in der Kirche, ihre Nachbildung gefunden hat.

1. Das Sühneverdienst des Hauptes

Lebendiges Menschtum ist geistiges Ringen und sittliches Mühen. Der Mensch muss nach ewigen Gesetzen streben und arbeiten, wenn er etwas zu eigen haben und als solches andern verschenken will. Geht, wie wir sahen, durch die lebendige Menschheit Jesu der Zustrom göttlichen Lebens, dann kann es demnach nicht bei einem bloßen Hindurchfließen sein Bewenden haben. Er gleicht vielmehr dem Strome, der sich in mühevoller Arbeit sein Bett selbst graben muss. Nach diesem Gesetze ließ der Himmlische Vater seinen fleischgewordenen Sohn in einem mühevollen Gehorsamsleben es sich erwerben, das gnadenspendende Haupt seiner Brüder zu sein. Wie tief hat dies der Hebräerbrief (5,7 ff.) empfunden: „In den Tagen seines Erdenlebens hat er Bitten und Flehen unter lauter Rufen und Tränen vor den gebracht, der ihn vor dem Tode bewahren konnte. Und obschon er der Sohn Gottes war, lernte er durch Leiden den Gehorsam kennen. So vollendet, wurde er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils."

Aber in diesen herben Worten liegt mehr als bloß Geschenktes strebsam miterwerben, um es als eigen zu besitzen und dann verschenken zu können. Es klingt wie das Stöhnen von Wassern, die durch gewaltige Hindernisse sich hindurch pressen müssen. Es liegt in der Tat im Wege des Gnadenstromes ein unüberwindlicher Felsen: die Sünde, die Schuld. „Dazu musste er aber zuvor in den Tod gehen, um die Sünden hinwegzunehmen, die unter dem ersten Bunde geschehen waren" (Hebr. 9, 15). Des Mittlers Mühen, seine vermittelnde Aufgabe offenbart sich als genugtuendes Sühnen und blutiges Befreien.

Das mühsame Verdienen und das stellvertretende Genugtun Jesu Christi ist eine Grundlehre unseres Glaubens. Sie bilden den Beitrag der lebendigen Brücke zum Strom der göttlichen Gnaden. Gerade um dieses charakteristischen Beitrages willen bediente sich Gott des Menschen Jesus als einer lebendigen Vermittlung. Gott wollte die Sühne des Menschengeschlechtes durch dessen geborenen Stellvertreter seiner Gerechtigkeit zuliebe und um der Größe seiner Geschöpfe willen das Selbstverdienen des göttlichen Lebens durch ihr Haupt. Das Sühneverdienst Jesu Christi ist der Weg unserer Heiligung.

Aus den Tiefen seiner Barmherzigkeit, frei und ungezwungen, schuf Gott das göttliche Haupt der Menschen Jesus Christus. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Gott an seinem fleischgewordenen Sohne ein so großes Wohlgefallen hatte, dass er seinetwegen auch seine Glieder trotz aller vorliegenden Sünden in Gnaden wieder aufgenommen hätte. Aber Gott wollte auch seine andere große Eigenschaft, seine Gerechtigkeit, in diesem größten aller göttlichen Werke zu herrlicher Darstellung bringen. Darum verlangte er Genugtuung und Sühne. Er wollte, dass dadurch das Menschengeschlecht sich für das neue Gottesleben in seinem Haupte würdig mache. Im armen Leben Jesu und in seinem bittern Leiden hat die göttliche Gerechtigkeit die großartigste Darstellung gefunden.

Zugleich müssen wir in diesem Werke der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit die Größe göttlichen Schaffens auch deswegen anstaunen, weil er hierdurch die Zweitursachen an dem größten göttlichen Werke Anteil nehmen lassen konnte. Denn in diesem Verdienen müssen liegt eine unendliche Erhebung des Menschengeschlechtes und seiner Kräfte. Es wurde durch sein Haupt in den Stand gesetzt, einen hinreichenden Erlösungspreis für seine Sünden und Vergehen zu bezahlen. Es konnte durch die Hinopferung seines Hauptes die Gotteskindschaft sich wirklich und rechtlich verdienen. Noch enger wurde dadurch die Einheit zwischen Gott und den Menschen, als sie auf Grund der bloßen Mittelstellung Jesu schon vorhanden war. Nunmehr binden die Hingabe und der Preis des Blutes Christi, wodurch Gott, freilich weil er zuerst in Liebe den Grund dazu gelegt, sich gebunden und verpflichtet fühlt. Gott wirkt zwar letzthin alles, aber nicht allein. Er zieht vielmehr die geschaffenen Kräfte mit heran, damit sie durch sein AIIwalten nicht erniedrigt, sondern geadelt werden.

Man kann diese Gedanken nicht entwickeln, wie unsere Sprechweise zeigt, ohne die tiefe Lehre von der Stellung Jesu Christi als eines Hauptes der Menschen hinzuzuziehen. Erst wenn es ein Sühnen und Verdienen des ganzen Geschlechtes in seinem Haupte ist, dann erhalten diese beiden charakteristischen Noten ihre ganze Leuchtkraft. So eng hängen das Verdienen der Erlösung für alle Menschen und die Lehre von einem neuen Haupte zusammen, dass der heilige Thomas glaubt, die eine Wahrheit nur aus der anderen verständlich machen zu können. Auf den Einwurf: Das Wort des Psalmisten (61,13): .,Du vergiltst einem jeden nach seinen Werken", treffe nicht zu, wenn uns die Verdienste Christi angerechnet würden, antwortet er: „Christus und seine Glieder sind eine mystische Person. Deshalb sind die Werke des Hauptes in etwa auch solche der Glieder." Das Sühneverdienst Christi ist das Sühneverdienst des mit seinem Leibe verbundenen Hauptes für diesen Leib und des in seinem Haupte lebenden Leibes für sich selbst. Es ist ein striktes Verdienen, weil es das Verdienen der einen mystischen Person, die aus Haupt und Gliedern besteht, für sich selbst ist. Da das Haupt der Sühne und des Gnadenverdienens für sich nicht bedarf, weil in ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt, so um greift das Sühneverdienst Jesu Christi ein natürliches Überfließen auf die Glieder.

Sind aber Christus und die Menschen aufs engste verbunden, dann können für die Glieder keine anderen Gesetze in Frage kommen, als sie für das Haupt gültig waren. In dem fortgesetzten Erlösungswerke, in der Kirche, werden uns daher die Merkmale des Sühneverdienstes als göttliche Baugesetze wieder begegnen müssen. Sie tragen dann das Ihre zur Gestaltung der Kirche bei wie hier zur Gestaltung der Mittlertätigkeit. Das wird vor allem das Merkmal von der Heranziehung der Zweitursachen sein.

2. Das Ursakrament Gottes

Haupt und Mittler des Menschengeschlechtes ist der Mensch Jesus. Der Nachdruck, den wir auf Christi Menschsein bisher schon legen mussten, wurde durch das mühevolle Sühneverdienst Jesu Christi noch verstärkt. Denn nur Christus als Mensch kann verdienen, nicht aber als „das ganz glückselige göttliche Wort". Seine menschliche Kraft und Tat, übernatürlich erhoben durch die Fülle der Gnaden, unendlich im Werte durch die personale Union, hat Christus am Kreuze für seine Brüder eingesetzt. Seine gnadenerfüllte Menschheit wurde damals zum Urquell der Heiligung. Aus ihr wird nunmehr immerfort das göttliche Leben der Menschen gespeist. Jesu Menschheit ward zum Ursakramente Gottes.

Darum wollen wir in diesem neuen Lichte nochmals den heiligen Gabenaustausch verfolgen. Denn eben durch sein verdienstvolles Leben und seinen blutigen Tod hat Christus die Gaben der Menschen zu Gott und die Gnaden Gottes zu den Menschen getragen.

Der heilige Opfertod des Menschen Jesus schließt die tiefste Anerkennung der göttlichen Majestät und Oberhoheit in sich. "Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu erfüllen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat',' (Joh. 5, 30). In der gehorsamen Hingabe an den Willen Gottes vollendet sich des Menschen sittliches Tun. Darum ist der gehorsame Kreuzestod die höchste sittliche Tat des Menschengeschlechtes. Durch sie hat Christus des ganzen Geschlechtes sittliche Leistungskraft zu Gott getragen, zur ewigen Anerkennung seiner Majestät.

Bei dieser Tat Jesu handelt es sich um eine Leistung inmitten einer sündigen Menschheit. Dadurch erhält Christi Tun vor den Augen des beleidigten Gottes die Form der Sühne. Sie besteht in einem Aufsichnehmen und Abtragen, bis der Sühnende soviel auf sich genommen hat, als der Beleidigte seinerseits auf sich nehmen musste. Der Mittler Christus trägt seine Mühen als des Geschlechtes Sühnewille und Sühnekraft zur Gottheit hin.

Aber der heilige Kreuzestod ist mehr als Verdienen und Genugtuung, er ist Opfer. Das Opfer hat die Form weihevoller Hingabe. Es ist ein Sichweihen und Sichhingeben. Es ist ein bewusster Verzicht auf die Eigenständgkeit des Geschöpfes, ein Weggeben des geschöpflichen Seins an Gott. Durch Christi Opfer ward das gesamte geschöpfliche Sein dem dreimal heiligen Schöpfer dargereicht. So sind die Worte des Heilandes zu verstehen: „Für sie weihe ich mich" (Joh. 17, 19).

In seinem menschlichen Mühen, Sühnen und Opfern, durch seine heilige Menschheit hat der Mittler Christus die ganze Menschheit, in sich als dem Haupte vereint, zu Gott getragen.

Wie aber hat Christus durch die gleiche Heilstat die Güter Gottes den Menschen gebracht? Musste nicht auch dies nicht nur durch das Mittel seiner heiligen Menschheit geschehen, sondern auch gerade durch sein Sühneverdienst? Ohne Zweifel war unseres Hauptes heilige Tat für Gott der mächtige Antrieb, die Brüder des fleischgewordenen Wortes mit der Gotteskindschaft und seinen heiligen Gaben zu beschenken. Hat aber Gott mit eigener Hand, 'unmittelbar seine Gaben in den Herzen der Menschen niedergelegt, oder durfte die lebendige Brücke zwischen Gott und den Menschen so sehr mitwirkender Austauschweg sein, dass Christus als Quell der Gnaden aus seiner Fülle die Glieder mit den göttlichen Gnaden und Gaben beschenkte? Ist Christus, seine heilige Menschheit und deren Werk, bloß die moralische oder auch die physische Ursache der Belebung der Glieder?

Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir von der ganz sicheren Grundlage ausgehen, welche lautet: Die Gnade als eine übernatürliche Wirklichkeit entspringt nur der göttlichen Ursächlichkeit. Kein Geschöpf hat über die Gnade eine Kausalkraft, kann effektiv oder physisch die Gnade bewirken; auch nicht der Mensch oder die heilige Menschheit Jesu. „Kein Geschöpf, sagt der heilige Thomas, kann den Heiligen Geist verleihen; nur Gott kann es. Kein Geschöpf kann die Heiligmachende Gnade mitteilen, da in ihr der Heilige Geist geschenkt wird." Die Gotteskindschaft ist Anteilnahme am trinitarischen Leben. Sie steht zu hoch für alle geschaffene Kraft.

Die Gnade in den Seelen der Glieder Christi schafft demnach nur Gott. Das menschliche Mühen Christi vermittelt sie nur moralisch. „Christus als Mensch ist nur die Verdienstursache unserer Rechtfertigung." Er gibt nicht aus der eigenen Fülle physisch weiter. Er gibt weiter; das wohl, aber auf einem Umwege. Er wirkt mit Hilfe seiner Gnadenfülle durch sein verdienstvolles menschliches Tun auf Gott ein, dass dieser gibt und geben ,muss. Jesus selbst deutet darauf hin, wenn er im Gleichnisse vom Weinstocke fein unterscheidet: Mein Vater ist der Weingärtner; er reinigt jede Frucht und fördert sie. Allerdings wirkt der Vater nur an uns, weil wir durch die Menschwerdung zu Gliedern des Leibes Christi wurden und das Haupt seinem Leibe das Recht auf göttliches Leben verdiente. Für uns konnte aber Christus nur deswegen rechtlich verdienen, weil er unser Haupt ist und mit uns eine mystische Person ausmacht. Seinetwegen und nur seinetwegen gibt darum der Himmlische Vater seine Gnaden. So sind wir in der Tat in ihm auserwählt, in ihm gerechtfertigt, in ihm geheiligt. Die hochheilige Menschheit ist und bleibt für uns der Quell unserer Heiligkeit, das Ursakrament unserer Rechtfertigung. Wer mit ihr nicht in Verbindung tritt, kann der Gnaden Gottes nicht teilhaftig werden.

In dieser Erklärung vom Wirken der Menschheit Christi im Gnadenschaffen sind alle Theologen einig. Vergleichen wir aber diese Ausdeutung mit den früheren Ausführungen vom Hauptsein, so will uns scheinen, dass wir diesen nicht voll gerecht geworden sind, als ob wir etwas zurückgenommen hätten, was wir auf Grund der Heiligen Schrift glaubten sagen zu dürfen. Es verblassen die glutvollen Bilder der Heiligen Schrift und die Sprechweise der Väter. Leidet denn nicht das Bild vom Weinstocke und den Reben, in dem doch die Reben vom Safte des Weinstockes selbst belebt werden müssen? War denn nicht das Bild vom Haupte so gemeint, dass die Glieder vom Haupte selbst übernatürlich bewegt und belebt werden? Wenn das nun alles nur moralisch zu verstehen ist, dann ist aus der Krone unseres göttlichen Hauptes der schönste Edelstein herausgebrochen.

Wir begreifen, wie die Sprache der Heiligen Schrift und der Väter dazu drängten, von einer physischen Mitwirkung der heiligen Menschheit und der menschlichen Taten unseres Hauptes auf den Gnadenempfang seiner Glieder zu sprechen. Auch Thomas von Aquin folgte diesem Drange, wenn er sich die Frage stellte: „Hat das Leiden Christi unser Heil nach Art einer effektiv schaffenden Ursache bewirkt ?“

In seiner Antwort bringt Thomas durch eine geschickte Unterscheidung eine befriedigende Lösung: „Die effektiv schaffende Ursache ist doppelter Art: Hauptursache und I Instrumentalursache. Hauptbewirker des menschlichen Heiles ist Gott. Weil aber Christi Menschheit ein Instrument der Gottheit ist, darum schafft alles Tun und Leiden Christi nach werkzeuglicher Art in Kraft Gottes effektiv das menschliche Heil mit Voll und ganz wahrt der Aquinate Gottes Ehre, dem er als dem einzig möglichen Verursacher der Übernatur das Gnadenschaffen vorbehält. Aber er baut in Gottes Wirken Christi menschliches Tun als mitschaffendes Werkzeug ein. Von Gott gehen die Gnaden durch die hochheilige Menschheit Jesu auf uns. Gott der Herr und Jesus der Mensch bewirken in harmonischem Zusammenwirken effektiv oder physisch die Gotteskindschaft in uns.

Viele Theologen sind dem heiligen Thomas in dieser Auffassung gefolgt. Sie lehnen natürlich die soeben dargestellte moralisch-rechtliche Wirksamkeit nicht ab, sondern erhöhen sie durch den Einbau der instrumentalphysischen Mitwirksamkeit der Menschheit Christi im Gnadenschaffen. Sie können so die Bilder der Heiligen Schrift und die Sprechweise der Väter vom Leben spendenden Fleische des Logos in ihrer vollen Wirklichkeit und Schönheit nehmen.

Lebenspendendes Haupt, Ursache und Quell der Gnade ist die hochheilige Menschheit Jesu Christi als Werkzeug, Leiter und Organ göttlicher Wirksamkeit. Das ist die Menschheit Christi in ganz hervorragender Weise. Denn die hochheilige Menschheit des Erlösers ist ein Werkzeug Gottes, das mit der Gottheit hypostatisch vereint ist. Sie ist ein Organ, in dem die Kraft Gottes gerade deshalb wirkt, weil Gott selbst substantiell in der innigsten Einheit mit ihr verbunden ist. In dieser Betätigung der Menschheit Christi sieht Thomas von Aquin geradezu einen Zweck der Menschwerdung. „Christi Menschennatur wurde in die göttliche Person aufgenommen, damit sie werkzeugIich schaffe, was allein Gottes eigene Taten sind, wie von Sünden reinigen, durch Gnaden erleuchten." Wie die Seele in den leiblichen Organen, ja im ganzen Leibe ein Werkzeug besitzt, das der Seele ausschließlich und eigentümlich angehört, so ist auch die Menschheit Christi das Gott verbundene und ihm eigentümliche Instrument zur Begnadigung der Menschen. Darum trifft die Bezeichnung Scheebens: dynamisch-organische Wirksamkeit fein und scharf die besondere Eigenart der Mitwirkung der Menschheit Christi.

Die hochheilige Menschheit Jesu Christi wird damit das eine große Sakrament unseres heiligen Glaubens, das Ursakrament des Christentums. Zur Teilnahme an der Menschheit Christi, dem Organe der Gottheit, drängt alles christliche Leben hin. Im Genusse des lebenspendenden Fleisches Christi scheint die volle Heiligkeit der Glieder Wirklichkeit werden zu können.

In diesem Ursakramente Gottes gründet der sakramentale Aufbau der Kirche.

III. Kapitel: Christi Mittlertaten

Aufgabe des Mittlers ist es, das, was dem einen gehört, dem anderen zu bringen. Der Gabenaustausch des Mittlers Jesu wurde in einem allgemeinen Umriss schon aufgezeigt. Für unsere Aufgabe ist es aber notwendig, auch die einzelnen Mittlertaten in ihrer Eigenart und Tragweite zu kennzeichnen, weil sie sich gerade in ihrer Sonderart in der Gestaltung der Kirche widerspiegeln könnten. Man beachte nur, wie sich in der früheren Umrisszeichnung die Ausdrücke "Lehramt, Priesteramt, Hirtenamt" von selbst einstellten; daraus mag man die Bedeutung genauerer Ausführungen für das Mysterium der Kirche ahnen.

Diese drei Ämter sind in der Tat der Inbegriff der Mittlertätigkeiten Jesu. Obwohl diese Dreizahl weder wesensnotwendig noch stets üblich gewesen ist, so beruht sie doch auf trefflichen Sachgründen und gewährt einen tiefen Einblick in den Organismus göttlicher Heilstaten. In das Verständnis dieser Teilung eindringen, heißt auch für die Gestaltung dieser Ämter innerhalb der Kirche Verstehen gewinnen.

Diese drei Ämter entsprechen dem Heilsbedürfnisse der Menschen, das auf Belehrung, Heiligung und Leitung hingerichtet ist. Sie geben getreu das Verhältnis Christi des Hauptes zu den einzelnen Gliedern wieder: Einladung zur aktuellen Gliedschaft oder Unterweisung der Glieder über ihre Berufung, Vollzug der Gliedschaft oder übernatürliche Ausstattung und Heiligung der Glieder, Bewahrung der Gliedschaft oder Anleitung zur Vollendung. Sie entsprechen den Hauptakten, in denen sich die aktuelle Gliedschaft auswirkt: Christus beginnt sein Werk mit der Offenbarung und Berufung - ihm antwortet das Glied durch den Glauben; Christus verleiht das neue Leben der Gotteskindschaft - darauf antwortet das Glied mit dem frohen Vertrauen, dass sich dies an ihm vollzogen habe, mit der Hoffnung, dass es zur herrlichen Frucht - sich entfalten werde; Christus führt die Glieder durch seine liebevolle Gnadenleitung - wir antworten mit der Umfassung seines Willens und seiner Leitung, mit der Liebe, in der sich das Einssein mit Gott verwirklicht.

Da alle drei Ämter einem letzten Ziele untergeordnet sind, so stehen sie miteinander in innigster, organischer Wechselbeziehung. Die drei Ämter bedingen, ergänzen und durchdringen einander. Diese organische Wechselbeziehung ist von Wichtigkeit, weil sie vor einseitiger Auffassung bewahrt. Dies gilt besonders für ihre Weiterführungen im mystischen Herrenleibe, wo sie nicht immer durch die Einheit des Trägers miteinander verknüpft sind.

Das Lehramt bereitet die Wirksamkeit des Priesteramtes vor, indem es zur Gliedschaft am Leibe Christi einladet. Dieses hinwieder liefert die Grundlage für das Hirtenamt; denn leiten und lenken kann erst statthaben, wenn das Reich Gottes mit Hilfe des Priesteramtes aktuelle Glieder gewonnen hat. Wie der Glaube Wurzel und Anfang der Rechtfertigung ist, so ist das Lehramt Grundlage aller Mittlertätigkeiten Christi und der Kirche. Die grundlegende rund darum dienende Stellung des Lehramtes kommt darin zum Ausdruck, dass sich seine Betätigung den Funktionen der anderen eingliedern lässt. Schaut man auf die Mitteilung göttlichen Wissens, so lässt es sich zum Priesteramte zählen; denn bei Gott fallen Wissen und Leben nicht auseinander. Betont man dagegen die Geltendmachung der Wahrheit und der Sitten, dann schneidet es sich mit dem Hirtenamte. Im ersten Falle kommt zum Ausdruck, dass die frohe Botschaft eine Kraft Gottes ist, die Leben weckt und darum zum Priestertum gehört. Im zweiten Falle erscheint mehr der Wille Gottes in den Satzungen seines Reiches; damit fällt es dem Hirtenamte zu. So ist auch zu verstehen, dass man in früherer Zeit nur von einer doppelten Macht sprach: der Weihegewalt und der Jurisdiktionsgewalt. Wenn man aber das Lehramt einseitig der Leitungsgewalt ausliefert, vernachlässigt man zu leicht seinen lebenspendenden, priesterlichen Charakter. Christi Lehramt ist nicht nur mit königlicher Macht, sondern auch mit priesterlicher Lebensfülle umkleidet.

Das Priesteramt ist das zentrale Amt, ohne welches das Lehramt seiner Auswirkung und das Hirtenamt seiner Grundlage entbehrte. Es verleiht als Zentralamt den beiden anderen Ämtern ihren feinsten Gehalt, indem es sie zum priesterlichen Lehramte und zum priesterlichen Hirtenamte stempelt. Es ist das Zentralamt, weil in ihm das Ziel der Inkarnation sich vollzieht: das Zeugen von Gotteskindern, die lebendige Eingliederung in Christus, das Verbundensein mit Gott.

Das Hirtenamt ist die Vollendung der anderen und ihre notwendige Ergänzung. Gerade als priesterliches Königsamt gefasst, vollendet es das Priesteramt, indem es die Gnaden verteilt, die Christus als Priester für seinen Leib erworben hat. Doch kann es nur den Stromlauf der Gnaden ordnen und überwachen, in der Ausführung bedarf es der Dazwischenkunft des Priesteramtes. Seine Aufgabe ist es, die Anordnungen zu treffen, damit das Priesteramt Christi sich an seinen Gliedern auswirken kann, damit die Glieder immer vollkommener und inniger in das Haupt Christus hineinwachsen können. Ihm ist es aufgegeben, dem einzelnen Gliede den Weg zu weisen, auf dem es sich vollenden und seiner besonderen Aufgabe im Herrenleibe gerecht werden kann. Den ganzen Leib aber muss es zum Altersmaße der Christusfülle hinführen. Es sichert vor allem Einheit und Reinheit des Leibes Christi; denn Christus kann dem Himmlischen Vater nur eine reine, makellose Braut vorstellen. Es begründet, schützt und verteidigt diese Einheit und Reinheit gegen Feinde von außen und innen. Weil es diesem Amte obliegt, die Anordnungen zu treffen, welche den Weg bereiten, weil es Hindernisse wegräumen, Feinde abhalten muss, darum wird diesem Amte trotz aller mütterlichen Liebe stets ein herber Zug zu eigen sein. Selbst bei Jesus, dem milden Hirten der Seelen, nimmt seine Gestalt fordernde, ernste, entschiedene, ja erschreckende Züge an.

1. Der Lehrer der Geheimnisse Gottes

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Über dem Neuen, das der Eintritt des Sohnes Gottes ins Menschengeschlecht diesem schenkte, dürfen wir nicht übersehen, dass seine Fleischwerdung sich auf dem düsteren Hintergrunde der Sünde vollzog. Im Mitverdienen der Gnaden trat diese Linie durch das Merkmal des Genugtuns in Erscheinung. Nicht weniger charakteristisch zeichnet sie in die einzelnen Mittlertaten ihren Schatten ein. Diesem Umstande schreibt es sich zu, dass wir im frohen Gefühle des Erlöstseins die Befreiung aus der bösen Erbschaft Adams vielfach stärker betonen als die erhaltene Neuheit des Lebens und Besitzens.

Auch das Lehramt Jesu Christi wirkte durch die Erlösung, die es dem Verstande brachte, befreiend. Es erlöste den Menschen vom bangen Fragen nach den letzten Zielen seines Daseins. Es setzte den traurigen Irrwegen menschlichen Suchens ein seliges Ende und stellte das menschliche Erkennen in die Absolutheit göttlicher Gewissheit hinein. „Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der Finsternis" (Joh. 8,12). Volle Klarheit und göttliche Gewissheit vermittelte das fleischgewordene Wort seinen Brüdern.

Wie hoch wir als irrende Menschen dieses Geschenk auch preisen mögen, so lässt es sich doch nicht in Vergleich setzen zur Verkündigung der Geheimnisse Gottes,. die „in anderen Zeitaltern den Menschenkindern nicht so kundgetan wurden" (Eph. 3,5). Wie der Sohn Gottes seiner eigenen Menschheit die tiefste und umfassendste: Kenntnis göttlicher Weisheit und Wahrheit schenkte, so hat er auch seinem Mystischen Leibe daran Anteil verschafft. „Alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch geoffenbart" (Joh. 15, 15). Darum nennt der göttliche Heiland seine Jünger nun nicht mehr Knechte - denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut -, sondern Freunde. Sie dürfen wissen um die verborgenen Heilspläne, sogar um das trinitarische Innenleben Gottes. Christus macht durch sein Lehramt seine Brüder zu Mitwissern der Geheimnisse Gottes.

Damit macht er aber schon durch sein Lehramt seine Glieder zu Teilnehmern am göttlichen Leben. „Das Leben des Vaters in der heiligsten Dreifaltigkeit besteht darin, dass er das Wort, den Sohn, spricht, dass er in einem einzigen, einfachen, ewigen Akt einen Sohn zeugt, der ihm wesensgleich ist und dem er die Fülle seines Seins und seiner Vollkommenheiten mitteilt.

Und jedes Zeugnis, das Gott der Welt über Christi Gottheit gibt, wie z. B. die Stimme Gottes bei der Taufe Jesu, ist nur der hörbare Widerhall dieses Zeugnisses, das der Vater sich selbst im geheimnisvollen Sein seiner Gottheit gibt und dem er Ausdruck verleiht durch ein Wort, das sein ganzes Sein, sein innerstes Leben kennzeichnet." Wenn die Menschen im Glauben dieses Zeugnis Gottes, das Christus uns vermittelt hat, nachsprechen, „dann wird unser Leben zum Widerklang des Lebens des Vaters, der von Ewigkeit her seinen Sohn in einem ewigen Worte ,spricht'; und da das Leben Gottes nie aufhört, alle Zeiten umspannt, eine ewige Gegenwart ist, vereingen wir uns mit dem Leben Gottes selbst."

Christi mittlerisches Lehramt ist ein königliches Lehramt, weil er im vollsten Sinne des Wortes als Augenzeuge der übernatürlichen Welt spricht. „Wir reden, was wir wissen, und wir bezeugen, was wir gesehen" (Joh. 3, 11). Seine Lehrbefähigung und Lehrberechtigung beruhen letzthin auf jener höheren Grundlage, auf der er auch Haupt ist, auf einer personalen Verbindung mit der Gottheit. Dadurch ist er die sichtbar gewordene göttliche Wahrheit selbst, und seine menschliche Rede ist im strengsten Sinne eine Rede Gottes selbst. Darum konnte er seinen Jüngern sagen: „Kenntet ihr mich, so würdet ihr auch meinen Vater kennen" (Joh.8, 19). Weil Jesus die sichtbar gewordene göttliche Weisheit und Wahrheit ist, darum spricht fast noch mehr als sein Mund seine ganze Erscheinung, sein ganzes Leben und Tun. Sie vermitteln göttliche Weisheit.

Dem wahrhaft königlichen Charakter seines Lehramtes entspricht es, dass nie mehr ein noch höherer Lehrer aufstehen kann als die fleischgewordene Weisheit Gottes. Sie bringt der Welt die letzte und höchste Gottesoffenbarung. Eine höhere Weisheit als die in Christus Jesus gibt es nicht. Darum beginnt der Hebräerbrief mit den denkwürdigen Worten: „Zu wiederholten Malen und auf mannigfache Art hat Gott einst in den Propheten zu den Vätern gesprochen; am Ende dieser Tage hat er in seinem Sohne zu uns gesprochen" (Hebr. 1, 1 f.). Darum kann es nach diesem Menschheitslehrer keinen Lehrer im vollen Sinne des Wortes mehr geben. „Auch Lehrer lasst euch nicht nennen; denn einer ist euer Lehrer, Christus“ (Matth.23, 10).

Wie Christus als Haupt aller Menschen selbstverständlich ein universales Lehramt besitzt, das an alle sich wendet und für alle verpflichtend ist, so ist es noch nach einer anderen Seite hin von universaler Ausschließlichkeit. Nur wer diese grundlegende mittlerische Funktion des Hauptes in sich aufnimmt, kann in den fruchtbringenden Lebensverband mit ihm eintreten. Wie oft hat Christus beteuert, dass der, welcher nicht glaubt, keinen Anteil an ihm haben kann! „Wer auf den Sohn Gottes nicht hören will, wird das Leben nicht sehen, sondern dem Zorne Gottes verfallen" (Joh. 3,36).

Das verstehen wir tiefer, wenn wir es positiv wenden. Christi Lichtbringen ist eben schon Leben bringen. So charakterisiert es Jesus selbst: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der Finsternis (des Irrtums), sondern hat das Licht des Lebens" (Joh. 8,12). Darum hebt Paulus unermüdlich am Glauben das rechtfertigende und am tieferen Eindringen in die Heilswahrheiten das sittlich weiterführende Moment hervor. „Durch Jesus Christus haben wir kraft des Glaubens den Zutritt zu dem Gnadenstande erlangt, in dem wir leben" (Röm. 5, 2). Alle Erkenntnisse, welche Christus vermittelt, dienen dem lebendigen Tun. „Lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe" (Matth. 28,19). Darin offenbart sich das Lehramt Jesu Christi als ein priesterliches Lehramt. Nicht im Wissen bringen feiert es seinen Endtriumph, sondern im Bringen des Lebens. Dem priesterlichen Lehrer Christus ist es gegeben, die Einwirkung seines äußeren Wortes durch das innere Ziehen seiner Gnade zu begleiten. Er steht nicht wie andere dem Erfolg seines Unterrichtes ohnmächtig gegenüber, er wirkt zu gleicher Zeit innerlich auf seine Hörer ein, erleuchtet ihren Geist, stärkt ihre Fassenskraft, bereitet ihre Zustimmung wirksam vor. Damit nähert sich Christi Lehren den spezifischen Funktionen des Priesteramtes, ja, sie fließen ineinander über.

Die Aufgabe des Mittlers schließt einen wechselseitigen Austausch in sich. Zwar ist nicht erforderlich, dass bei jeder Mittlertat diese Doppelrichtung sich vorfinde. Im mittlerischen Lehramte erscheint zunächst nur die eine Richtung: von Gott zu den Menschen. Aber auch die andere findet sich vor. Fassten wir bisher Christus als den Mund Gottes, der zu uns spricht, so ist doch Christus auch als der Mund der Geschöpfe zum Vater hin zu bewerten. Welche Antwort lassen die Menschen der geschenkten göttlichen Erkenntnis zuteil werden?

Im Schoße der Gottheit ist das göttliche Wort als Abglanz der Herrlichkeit des Vaters „durch sein bloßes Sein sozusagen der Lobgesang der Gottheit, ein lebendiges Loblied, das die Ehre des Vaters besingt, indem es die Fülle seiner Vollkommenheit wesensgleich zum Ausdruck bringt. Das ist der nie endende Lobeshymnus, der unaufhörlich im Schoße des Vaters ertönt. Durch die Menschwerdung nimmt die heilige Menschheit Christi teil an der Huldigung, die das ewige Wort dem Vater darbringt, und stimmt hienieden das Loblied an, das dem geheimnisvollen Schoße der Gottheit entstammt. Auf den Lippen Christi, des Gottmenschen, nimmt dieser Lobgesang menschlichen Ausdruck, menschliche Laute und damit zugleich einen anbetenden Charakter an." Dem gottmenschlichen Vorbilde schließen sich die Glieder an. Wenn im Lukasevangelium Offenbarungen Gottes berichtet werden, wie bei Zacharias, bei den Hirten, bei Simeon, so enden sie stets mit der Feststellung: sie lobten und priesen Gott. Lob Gottes, Preis Gottes, Verherrlichung Gottes, Anerkennung seiner Größe und seiner Werke, das ist die Antwort der Menschen auf ihr Teilnehmen dürfen am Wissen Gottes. Das ist zugleich die von den Menschen aufwärts steigende Linie des Lehramtes Christi, die einen unverkennbar priesterlichen Zug trägt. Am deutlichsten tritt sie beim erhöhten Christus hervor. Er wird wirklich zum Munde seines Leibes, durch den alle Anbetung, Lobpreisung und Ehrung, die dem Glauben der Kirche entströmen, an den Vater gehen.

2. Der Hohepriester der Menschen

Jesus Christus, der ewige Hohepriester

In so einzigartiger Weise trägt das Priestertum den mittlerischen Zug, dass der heilige Thomas sagen kann: „Es ist gerade des Priesters Aufgabe, Mittler zwischen Gott und dem Volke zu sein. Denn Göttliches gibt er dem Volke - weshalb Priester soviel heißt wie Heiliges gebend - und des Volkes Bitten trägt er zu Gott und bietet ihm Sühne für die Sünden dar." Darum kristallisieren sich die Betätigungen des Mittlers Jesu Christi in seinen priesterlichen Funktionen. Im Opfertode am Kreuze erstrahlt ,majestätisch und heilig der Mensch Jesus in seiner großen Aufgabe, das vermittelnde und lebenspendende übernatürliche Haupt des Geschlechtes zu sein. Wir sind also im Begriffe, in das Allerheiligste unseres Glaubens einzutreten.

In klassischer Form hat der Hebräerbrief Mittelstellung und Mittlertätigkeit der Priester zum Ausdruck gebracht: „Jeder Hohepriester wird aus der Zahl der Menschen genommen, wird für die Menschen bestellt in ihren Angelegenheiten bei Gott, damit er Gaben und Opfer für die Sünden darbringe, welcher Mitleid haben kann mit denen, die unwissend sind und irren... Auch nimmt sich niemand selbst die Ehre, sondern wer von Gott berufen wird wie Aaron" (Hebr. 5,1 ff.).

Eine MitteIstellung ist erreicht, wenn jemand mit bei den Extremen in Verbindung steht und doch von beiden getrennt und unterschieden ist. Dass der Priester aus den Menschen genommen wird, zeigt seine Verbundenheit mit dem unteren Gliede und seine Verschiedenheit von dem oberen an. Nicht Gott ist Priester, sondern ein Mensch. Als Mensch ist er aus dem Kreise seiner Brüder, ihnen so verbunden, dass er mit ihnen fühlt und mit den unwissenden und irrenden Menschen Mitleid haben kann.

Dies trifft voll auf unser Haupt Jesus Christus zu. Wir kennen seine Mittelsteilung als Mensch, und als Mensch ist er auch der Hohepriester unseres Geschlechtes. Ist er doch als Mensch unter der Gottheit und als unser Bruder aus dem Menschengeschlechte. „Denn wir haben keinen Hohenpriester, der mit unseren Schwächen nicht Mitgefühl haben könnte; in allem ist er ja ebenso versucht worden wie wir; doch ist er ohne Sünde" (Hebr. 4,15).

Indem gesagt wird: „Auch nimmt sich niemand selbst die Ehre, sondern wer von Gott berufen wird", kennzeichnet der Hebräerbrief das Ausgeschiedensein des Priesters aus seinen Brüdern und sein Verbundensein mit Gott. Durch seine spezielle Berufung gehört der priesterliche Mensch, soweit er Priester ist, zum Kreise Gottes. Obwohl aus dem Volke genommen und im Volke stehend, ist er aus demselben herausgehoben und über seine Brüder erhaben.

Ob dieser Berufung von Seiten Gottes ist der Priester mehr als ein bloßer Repräsentant der Gemeinschaft in ihrem öffentlichen Gottesdienste. Sie stempelt ihn in erster Linie zum Repräsentanten Gottes, zum Bevollmächtigten des Allerhöchsten. Im Namen Gottes nimmt er für Gott die Gaben des Volkes in Empfang und trägt als von Gott bestellter Fürbitter die Bitten und Bedürfnisse des Volkes vor Gott. Um am Priester die Repräsentation Gottes hervorzuheben, spricht man vom hierarchischen Priestertum.

Hierarchischer Priester im vollsten und wahrsten Sinne des Wortes ist der Mensch Jesus Christus, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. So sehr repräsentiert er Gott, dass er in seinem personalen Sein eins mit ihm ist. Darum ist auch sein Menschsein so erhaben über das der Brüder, dass er als getrennt und geschieden von ihnen erscheint.

Warum soll aber der Priester mehr als Repräsentant Gottes denn als Vertreter der Gemeinschaft angesehen werden? Das beantwortet seine Mittlertätigkeit, welche der Hebräerbrief mit den Worten wiedergibt: „für die Menschen bestellt in ihren Angelegenheiten bei Gott, damit er Gaben und Opfer für die Sünden darbringe“.

Mit diesen einfachen Worten ist Tiefes ausgedrückt. „Für die Menschen bestellt." Warum muss er von Gort eigens bestellt werden? Warum genügt es nicht, wenn das Volk den Besten und Reinsten aus seinen Reihen erwählt? Weil Gott die Menschen über ihre Natur erhoben hat und zur innigsten übernatürlichen Vereinigung mit sich und seinem Leben führen will. Vor dem Gott der Übernatur besitzt kein Mensch aus seiner Natur heraus – mag er auch ganz rein und fleckenlos sein - Würdigkeit und Wohlgefallen. Hier vermag nur Gottes Macht den dieser Größe würdigen Gottesdienst zu formen. Hier kann nur göttliche Kraft die Gabe des Volkes zu einem wohlgefälligen Brandopfer weihen. Mit düsterer Farbe hat die Sünde diesen Bestand noch verschärft. „Gaben und Opfer für die Sünden." Des Menschen Unwürdigkeit ist mehr als Nacktheit; sie ist durch die Sünde verschuldete Unwürdigkeit, ja Verworfenheit. Vor dem Aufstiege zur Gottheit muss der Sünder fragen, wie er zuerst den versöhnen kann, welchen er beleidigt hat. Bei diesem doppelten Mangel kann niemand sich selbst das Zeugnis geben, dass sein Hintreten vor Gott diesem genehm sei. Diesem doppelten Mangel kann niemand abhelfen als nur Gott selbst. Und das tut Gott in der priesterlichen Berufung. Seine Allmacht und Liebe drückt dem priesterlichen Menschen Anteilnahme an seiner Heiligkeit ein. Es liegt im priesterlichen Charakter eine sachliche Anteilnahme an Gottes Heiligkeit, welche bleibt und nicht vergeht, welche ganz unabhängig von des Priesters persönlicher Reinheit und Würde ist. In dieser Kraft kann der Priester die Gaben des Volkes segnen; sie werden dadurch Gott angenehm. In dieser Würde kann er wirksam beten und flehen, und Gott erhört sein Volk, selbst sein gefallenes und untreu gewordenes. Die Dazwischenkunft des Priesters als des Repräsentanten Gottes bewirkt die vollkommene Heiligkeit und fehlerfreie Vollkommenheit des Gottesdienstes und sichert seine volle Annehmbarkeit und seine wirkliche Annahme bei Gott.

Die göttlichen Affekte liegen aber bei dem unwandelbaren Gotte in seinen Taten. Der Dienst seines Volkes ist Gott angenehm, besagt: Der Gottesdienst hat Wirkungen und Früchte, die nur göttlicher Liebe entströmen können. Größeres aber kann selbst göttliche Liebe nicht tun als die Sünden verzeihen und dem Beleidiger das göttliche Leben schenken. Mit unfehlbarer Sicherheit bewirkt Gott dies durch seines Priesters vemittelnde Heiligkeit "Ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliger Stamm, ein zu eigen erworbenes Volk" (1.Petr 2,9); das schafft Gott durch seines Repräsentanten Kraft.

Wie wundervoll kennzeichnet diese große Priesteraufgabe die Deutung des heiligen Thomas von Aquin sacerdos = sacra dans Sie umschließt ein zweifaches Geben des Heiligen „Als ein Mittlerer zwischen Gott und dem Volke ist der Priester aufgestellt Wie es ihm zufällt, des Volkes Gaben Gott darzubringen, so ist es auch sein Amt, die von Gott geheiligten Geschenke dem Volke zu überbringen.“ Ein Geben an Gott von Seiten und im Namen des Volkes, ein Heiligmachen seiner Gaben, aber in Gottes Kraft. Ein Spenden göttlicher Gnaden an die Menschen im Namen Gottes und in Gottes Kraft. So ist der Priester ein doppelter Repräsentant. Er repräsentiert Gott vor dem Volke und das Volk vor Gott. Der Priester ist wahrhaft der Mittler, der den heiligen Gabenaustausch vollzieht.

Bei keinem von Gott bestellten Priester ist diese echte Mittlerschaft klarer und natürlicher gegeben als beim Menschen Jesus. Als Haupt des Geschlechtes vertritt er seinsgemäß das ganze Geschlecht. Er ist der geborene Repräsentant der Menschheit vor Gott. Weil aber Jesus Christus personal mit Gott verbunden ist, ist er auch der natürliche Repräsentant Gottes vor dem Volke. Er allein hat darum kraft seines Seins Auftrag und Macht, alles Flehen und Rufen seine, Brüder vor Gott zu bringen. Er nimmt alle, Menschen Gebet in das seine auf und macht es angenehm vor Gott. Er allein besitzt eine vollkommene, absolute Priesterheiligkeit. Darum entsühnt und heiligt er das ganze Geschlecht Jesus allein schafft aus der sündigen Menschheit seinem Gott „ein zu eigen erworbenes Volk, ein auserwähltes Geschlecht".

In diese, innigen Verknüpfung von Priester und Haupt offenbart sich das Priestertum Christi als ein wahrhaftiges Hohepriestertum. Sein Priestertum ist ein königliches Priestertum, das einzig vollkommene Priestertum im Menschengeschlechte. Wie Christi Priestertum keiner Steigerung fähig ist, so ist es auch keiner Ergänzung bedürftig. Nur einer kann der Menschen Priester sein das göttliche Haupt. Als Haupt ist Christus der Hohepriester aller Menschen. Ohne ihn kann kein Mensch gerecht und heilig sein.

Mit beredten Worten weist Paulus auf diese Vollkommenheit hin, indem er das angesehene aaronitische Priestertum zum Vergleiche wählt „Während jene ohne Eidschwur Priester wurden, ist es Jesus kraft eines Eides durch den, der zu ihm sprach: ,Der Herr hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen. Du bist Priester in Ewigkeit. Darum ist er der Bürge für einen höheren Bund. Während es dort zahlreiche Priester gab, weil der Tod sie hinderte, es immer zu bleiben, besitzt dieser ein unvergängliches Priestertum, weil er in Ewigkeit bleibt. Darum vermag er auch endgültig die zu retten, die durch ihn Gott nahen Er lebt ja immerdar, um für sie einzutreten. Ein solcher Hoherpriester ziemte uns heilig, schuldlos, rein, nicht aus der Zahl der Sünder, sondern über alle Himmel erhaben; der nicht wie die anderen Hohenpriester tagtäglich nötig hat, zuerst für seine eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die Sünden des Volkes Denn das hat er ein für allemal getan, da er sich selbst zum Opfer brachte" (Hebr 7,20) Nach diesem Hohenpriester ist für keinen Priester im Menschengeschlechte mehr Raum; es sei denn in Beziehung auf Christus.

Des göttlichen Hauptes priesterliche Tat, die den heiligen Gabenaustausch vollzog, war sein blutiger Opfertod am Kreuze.

3. Das Opfer des Menschengeschlechtes

Mit seltener Übereinstimmung steht in der Geschichte der Menschheit geschrieben, dass Priester und Opfer einander zugeordnet sind. Stets sah man im Opfer die eminent priesterliche Tat, in der des Priesters heilige Vollmacht sich erschöpft. Trotzdem liegt die Verknüpfung von Priester und Opfer nicht so offen da, wie es scheint. Ohne die Kenntnis dieser Verbindung gewinnen wir aber keinen tiefen Einblick in die Großtat des Hohenpriesters aller Menschen, in die Opferhingabe unseres göttlichen Hauptes am Kreuze.

Die Leitidee des Opfers hat der heilige Augustinus aufgestellt: „Ein wahres Opfer ist jegliches Werk, das ausgeführt wird, um dadurch in heiliger Gemeinschaft Gott anzuhangen, mit andern Worten: jedes Werk, das auf jenes Zielgut sich bezieht, dessen Besitz uns wahrhaft beseligen kann." Jedes Werk, durch das wir die heilige Gemeinschaft mit Gott erzielen möchten, heißt Opfer. Das vollmenschliche Werk wird aber von einer leibseelischen Zweieinheit bestimmt. Was die Seele erstrebt, drückt sie in einer äußeren Tat aus. So drängt auch die innere Opfergesinnung nach äußerer Opfertat und „das sichtbare Opfer ist des unsichtbaren Opfers heiliges Zeichen." Zweierlei gestaltet des Leib-Seele-Wesens Opferwerk: die Opfergesinnung als das formende Element und die Opferhandlung, in dem das Innere sich zeigt und vollendet.

Im Anschluss an diese Leitidee kennzeichnet ein Wort des heiligen Thomas die bestimmende Opfergesinnung. „Die Seele gibt sich Gott im Opfer hin als der Quelle ihres geschaffenen Seins und als dem Endpunkt ihrer Glückseligkeit." Im Opfer will der Mensch Gott als das erste Prinzip seines Seins, als den Geber alles Guten, und als das letzte Prinzip seines Seins, als das Endziel seines Strebens, anerkennen. Der Mensch will im Opfer sein ganzes Wesen und Leben als eine Ehrengabe für Gott verwenden, um dadurch selbst die volle Glückseligkeit zu erhalten. Darum können alle Handlungen des Menschen, in denen er dieses Streben betätigt, als Opfer bezeichnet werden.

Aber nicht jede äußere Tat, welche solcher Gesinnung entstammt, beschenken wir mit dem Ehrennamen "Opfer" ; es sei denn, dass wir in den weiten Räumen der Aszetik weilen. In streng dogmatischer Sicht erhalten nur jene Werke den Opfertitel, in denen um dieser Gesinnung willen an ihrer materiellen Darbringung etwas "geschieht", um mit Thomas zu sprechen. "Opfer wird es genannt, wenn an der Gott dargereichten Sache etwas geschieht, z. B. Tiere werden getötet oder verbrannt, Brot wird gebrochen, gegessen und gesegnet." Eine Weihegabe an Gott ist noch keine Opfergabe, ein bloßes Schenken noch kein Opfern. Wie sehr auch beides sich gleichen mag, wie verwandt auch die Gesinnungen und Ziele sind, so ist doch die Art ihrer Symbolkraft und die Form ihres Wirkens verschieden. Die Weihegabe wird erst zum Opfer, wenn aus der Opfergesinnung heraus an ihr etwas „geschieht", wenn ein ritueller Akt vorgenommen wird, mag es zerschneiden, segnen oder was immer sein. Durch diesen rituellen Akt, der oft eine physische Veränderung der Weihegabe hervorruft, bewirkt die innere Opfergesinnung eine geheimnisvolle, religiöse Umwandlung der Opfergabe. Der äußere Ritus der physischen Umgestaltung symbolisiert die beabsichtigte innere Umgestaltung der Opfergabe zu einer geheiligten Sache. Er soll mehr als symbolisieren; er soll diese Sakralität auch bewirken. Im Opfer wird nicht bloß Gott etwas geschenkt, sondern zu einer sakralen Sache gestaltet. „Opfer wird es von daher genannt, dass der Mensch etwas Sakrales schafft." Es wird zu etwas Sakralem, das heißt: es ist dem geschöpflichen Eigenstande entzogen worden und ragt nun in den Seinskreis Gottes hinein, um die Majestät Gottes und die Hinordnung aller auf Gott zu bezeugen.

Niemand kann aber etwas in den göttlichen Bezirk hineinheben als Gott selbst. Hat Gotteskraft durch Menschenhand die innere Umgestaltung vollbracht, dann hat Gott im gleichen Akte auch des Menschen Opfer bejaht. Durch die Konsekration der Gabe antwortet Gott auf das Streben der Menschen. Die konsekrierte Opfergabe wird ,ein Zeugnis göttlicher Annahme und Huld. Darum wirkt sie schenkend und spendend auf den Opfernden zurück. Die heilig gewordene Opfergabe wird zum Heiligungsmittel des Menschen. Denn nicht, dass die Opfergabe in den heiligen Gottesbezirk hineinragt, ist der letzte Sinn des Opfers, sondern dass der Opfernde selbst etwas Sakrales und Heiliges werde, d. h. in die heilige Gemeinschaft mit Gott eintrete und so das Ziel seines Strebens durch Gottes Güte erreiche.

Ein Opfer ist um so wertvoller, je weniger die äußere Gabe und die innere Gesinnung, Materie und Form auseinanderfallen. Wenn die Opfermaterie nicht nur äußerlich durch die rituelle Handlung mit der Opferform in Verbindung gebracht wird, sondern wenn sie eine innere Verbindung mit der Form aufweist, dann kommt die Idee des menschlichen Opfers in vollendeter Form zur Gestaltung. Dies trifft für den Menschen in seinem geistig beseelten Leibe zu, der eine von der Seele und ihrer Opfergesinnung wesentlich durchwehte Opfermaterie sein kann. Die Hingabe des leiblichen Lebens durch den Ritus der Blutvergießung würde das höchste Opfer des Menschen sein. In diesem Akte spräche er seinen vollen Verzicht auf sein eigenständiges, geschöpfliches Sein aus, um in die heilige Gottesgemeinschaft hineinzustreben. Weil jedoch dem Menschen über sein eigenes leibliches Leben nicht das vollkommene Verwendungsrecht zusteht, weil er nur den Tod erdulden, aber nicht aktiv zur Opfergabe gestalten darf, so muss er zu Ersatzmitteln, zu weniger wertvollen sinnlichen Gaben und Handlungen greifen, die sein Leben symbolisieren sollen. Damit bleibt das Opfer des Menschen nach der Seite des Objektes stets unvollkommen.

Hinzu kommt ein zweiter Mangel, oder feiner ausgedrückt, die erste Mangelhaftigkeit der äußeren Gabe ist ein Reflex der menschlichen Unfähigkeit, seinen Geist in einer so vollkommenen Opfergesinnung Gott darzubringen, wie es die unendliche Majestät Gottes erforderte. In seiner Opfertätigkeit kann der schwache Mensch höchstens seinen guten Willen bekunden und der Hoffnung Ausdruck geben, dass er in Kraft vieler Opfer durch allmählich allseitige Heiligung und Verklärung seines Lebens zu einer würdigen Ehrengabe für Gott werde.

Diese innere Mangelhaftigkeit des Opfers gilt für den Bereich des übernatürlichen Seins und Strebens - und darum handelt es sich in der jetzigen Weltordnung - in absoluter Weise. Auch die glühendste Opfergesinnung des natürlichen Menschen ist wie kalt und leer im Bereiche der Gotteskindschaft. Doch in ihr steht der Mensch nicht bloß nackt und leer da. Sondern als Sünder und Abtrünniger tritt er nach Adams Fall vor die Majestät des beleidigten Gottes hin. Mag es wahrscheinlich sein, dass Gott im bloßen Naturzustande den Opferritus des Menschen gleichsam naturgegeben mit seiner konsekratorischen Kraft verbunden hätte, so schließt der tatsächliche, dauernde Sündenzustand des Menschengeschlechtes dies völlig aus.

Und hätte selbst der Mensch nicht durch die Sünde den Abgrund zwischen sich und Gott so unüberbrückbar tief gemacht, seiner schwachen Kraft wäre es nie gelungen, seinen eigenen Kreis zu sprengen und in die übernatürliche Höhe der Gotteskindschaft hineinzureichen. Hier kann nicht seine Kraft, hier kann fürwahr nur Gottes Kraft eine Sache so weihen, dass sie die unendliche Majestät eines dreifaltigen Gottes bezeugt und dem Opfernden Anteilnahme am innergöttlichen Leben schenkt.

Von allen Seiten häufen sich im Bereich der Übernatur die Mängel menschlichen Opferns. Es scheint fast so, dies solle so sein, damit der allseitige Ruf nach dem erschalle, der sie beheben kann, nach dem Priester als dem Sachwalter göttlicher Kräfte. Ihn hat Gott ja aus der Schar der Brüder herausgehoben, damit er sein Vertreter vor dem Volke sei. Er hat ihm im Priestercharakter Anteilnahme an göttlicher Heiligkeit und Kraft verliehen, damit er die Gaben des Volkes heilige und die Vollkommenheit seines Gottesdienstes sichere. Seine Dazwischenkunft verbürgt, dass der Opferritus mehr als symbolisiert, dass er bewirkt, was er erstrebt. Aus der Priesterheiligkeit fließt die Sakralität der Opfergabe. Sie gestaltet das Opfer zu einem objektiv wirksamen Heiligungsmittel. Denn die Kraft des Opfers hängt nun am wenigsten von der Würdigkeit des opfernden Menschen ab, sondern wird in erster Linie .durch die sachliche Sakralität gewährleistet, die Gott selbst dem Priester eingeprägt hat.

So bewirkt auch hier die Dazwischenkunft des hierarchischen Opferpriesters als eines echten Mittlers zweierlei: Heiliges Gott gebend: die Gaben zu Opfern machend, die Gott annehmen kann und will; und Heiliges dem Volke gebend: die Gewalt in der Kraft Gottes, das Opfer zu einem unfehlbaren Heiligungsmittel zu machen. Ferner symbolisiert die Dazwischenkunft des Priesters die Tatsache und die Höhe der übernatürlichen Ordnung.

Wie im Hebräerbriefe Jesus als der vollkommene Hohepriester des Menschengeschlechtes nachgewiesen wird, so betont er auch die unerreichbare Erhabenheit des Opfers Christi. „Christus hingegen erschien als Hoherpriester der künftigen Güter. Er trat durch ein höheres und vollkommeneres Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht ist, das heißt, nicht von dieser Welt stammt, auch nicht mit dem Blute von Böcken und Rindern, sondern mit seinem eigenen Blute ein für allemal in das Allerheiligste ein, da er eine ewige Erlösung vollbracht hat. Nun heiligt schon das Blut von Böcken und Stieren, um wie viel mehr wird das Blut Christi, der kraft seines ewigen Geistes sich selbst als makelloses Opfer Gott dargebracht hat, euer Gewissen von toten Werken reinigen, damit ihr dem lebendigen Gotte dient !" (Hebr. 9, 11f.).

„Auch braucht er nicht immer wieder sich zum Opfer darzubringen, wie der Hohepriester Jahr für Jahr mit fremdem Blut in das Allerheiligste eintritt; sonst hätte er seit Erschaffung der Welt, oftmals leiden müssen. So aber ist er nur einmal, am Ende der Zeiten, erschienen, um durch das Opfer seiner selbst die Sünden zu tilgen. Und wie dem Menschen einmal bestimmt ist zu sterben, so hat sich auch Christus einmal geopfert, um die Sünden aller hinwegzunehmen“(Hebr. 9, 25ff.). „Christus hat nur das eine Opfer für die Sünden dargebracht und sich dann für immer zur Rechten Gottes gesetzt. Mit dem einen Opfer hat er für immer die zur Vollendung geführt, die sich heiligen lassen" (Hebr. 10, 12ff.).

Der wahre Hohepriester der Menschen und das ganz vollkommene Opfer des Menschengeschlechtes gehören innigst zueinander. Aus der erhabenen Vollkommenheit des Opfers Christi erwächst dessen Eigenschaft, das eine Opfer des gesamten Menschengeschlechtes zu sein, durch das der göttliche Mittler für das Gesamtgeschlecht den heiligen Gabenaustausch vollzogen hat. Deshalb seien der erhabenen Vollkommenheit des Opfers Christi noch einige Worte gewidmet.

Jenes Opfer ist das wertvollste, in dem die Opfermaterie an der Opfergesinnung innerlich Anteil nimmt. Nur der Leib des Menschen kann diese wertvolle Opfergabe darstellen. Sie nahm der Hohepriester Jesus zu seinem Opfer. „Schlacht- und Brandopfer hast du nicht gewollt, aber einen Leib hast du mir bereitet" (Hebr. 10,5). Nur er allein konnte es unter allen Menschen, weil er in Wahrheit von sich sprechen konnte: „Niemand kann mir das Leben entreißen; ich gebe es freiwillig hin" (Joh. 10, 18). Es war kein opferndes Erdulden, sondern ein aktives zum Opfer Gestalten; er nahm sich selbst im Opferakte am Kreuze das Leben. Doch das allein genügt nicht, wenn durch die Hingabe des Lebens der Opfernde damit dem Reiche der Lebendigen entrissen und so die heilige Gemeinschaft mit Gott nicht für den lebendigen, den ganzen Menschen fruchtbar wird. „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch", sagt treffend der heilige Irenäus. Darum fährt Christus an der betreffenden Stelle fort: „Ich habe die Macht, es hinzugeben, und die Macht, es wiederzugewinnen." In dem gleichen Augenblicke, in dem er sein Leben hingibt, kann er es durch Neubelebung wieder in sich haben. Christus behält trotz der Hinopferung seines Lebens sein Leben voll und ganz in seiner Gewalt. So kann er als lebendiger Mensch seine Opfertat fruchtbar werden lassen, für sich in seiner Verherrlichung, für seine Brüder in deren Heiligung.

Noch in anderer Weise zeigt sich die vollkommene Gestalt des Opfers Christi. Seine Opfergabe wird nicht erst dadurch sakral, dass sie äußerlich in die Hände eines geweihten Priesters gelegt wird, der sie durch einen Ritus in den sakralen Zustand versetzt. Christi Opfergabe besitzt ihre Heiligkeit von vornherein in der vollkommensten Weise dadurch, dass sie in eine heilige Person innerlich aufgenommen ist.

Ganz überflüssig dürfte es sein, auch nur ein Wort auf den Nachweis zu verlieren, dass die Opfergesinnung des Menschensohnes an Reinheit und Vollkommenheit den höchsten Grad erreichte, der überhaupt möglich ist. Es war ja der Sinn seines Lebens, den Vater zu verherrlichen und für den Menschen die Gottesgemeinschaft wiederzugewinnen.

Dieses in sich vollkommene Opfer ist schon dadurch das Opfer des menschlichen Geschlechtes, dass es von seinem Haupte dargebracht wird. Als Haupt ist Christus der natürliche Vertreter aller Menschen. Als Haupt kommt ihm das Recht und die Pflicht zu, im Namen aller zu handeln. In ihm als dem Haupte ist die Opfergesinnung der ganzen Menschheit vereinigt.

Doch nicht nur von Seiten des Priesters ist das Opfer Jesu Christi ein Opfer des ganzen Geschlechtes, sondern ebenso von Seiten der Opfergabe. Darin prägt sich der mittlerische Charakter dieses Opfers noch deutlicher aus. Allein schon durch den Umstand, dass seine Opfergabe das menschliche Leben ist, ist Christi Opfergabe nicht nur symbolisch, sondern real ein Äquivalent für alle sonstigen Opfergaben, da sie alle beisammen den Wert eines Menschenlebens nicht aufwiegen. Darum kann sie schon auf diesen Grund hin eine Substitution für alle Opfer insgesamt sein.

Vollkommen repräsentiert diese Opfergabe das ganze Menschengeschlecht, wenn ihre Beziehung zum Geschlechte im Lichte der Lehre vom Haupte gesehen wird. Sein menschliches Fleisch ist eine vom Menschengeschlechte ihm durch Maria dargereichte Gabe und, weil es die Edelfrucht des Geschlechtes, sein Haupt darstellt, eine Gabe, die das ganze Geschlecht mitenthält, so dass in ihm alle Menschen mitgeopfert werden. Es ist zugleich eine Gabe des Menschengeschlechtes, die dem Hohenpriester nicht nur äußerlich übergeben, sondern in seine Person aufgenommen wurde, sein innerstes Eigentum bildete und dadurch von seiner Opfergesinnung ganz beseelt und durchdrungen war. Da durch ihre Aufnahme das ganze Menschengeschlecht dem Haupte eingegliedert wurde, so wurde in ihr das ganze Menschengeschlecht eine wertvolle, heilige Opfergabe vor Gott, ganz durchdrungen von des ewigen Sohnes heiliger Opfergesinnung.

So schneiden sich in der mittlerischen Opfertat des Hohenpriesters Jesu Christi Opfergabe und Opfergesinnung, subjektive Würdigkeit des Opfernden und sakrale Heiligkeit des Priesters, Opferpriester und Opfergabe, ja sogar opfernder Mensch und angerufene Gottheit. „Viererlei ist in jedem Opfer zu beachten: wem, von wem, was und für wen es dargebracht wird. So blieb der eine wahre Mittler, der durch sein Friedensopfer uns Gott versöhnte, eins mit jenem, dem es dargebracht wurde, machte in sich eins, für welche er es darbrachte, und war selbst eins als Opfernder und Opfergabe so." Jesus vertritt als Priester Gott vor dem Geschlechte und wiederum als Haupt das Geschlecht vor Gott. Er vereinigt zugleich das ganze Geschlecht als eine Opfergabe in sich und bringt es dem Himmlischen Vater dar zur höchsten Anerkennung seiner unendlichen Majestät und zur vollkommensten Erlangung seiner göttlichen Huld. Darum dient sein Opfer zur innerlichsten Heiligung des ganzen Geschlechtes. Wir stehen im heiligen Opfer Jesu Christi am Kreuze vor dem höchsten religiösen Akte des Menschengeschlechtes, durch den die heilige Gottesgemeinschaft für immer und für alle geschaffen wird. In Christus Jesus als Priester und Opfergabe, d. h. in seinem erhabenen Haupte, insofern er Priester und Opfer ist, bringt das Menschengeschlecht dem ewigen Gott ein absolut vollkommenes Opfer dar, ein Lob-, Anbetungs-, Dank- und Sühneopfer, das in seinem unendlichen Werte an die Unendlichkeit Gottes heranreicht. Darum ist für Gott das Hohepriestertum Jesu Christi und seine hoch heilige Menschheit als Opfergabe der Durchgangspunkt seines Gnadenschaffens, durch das den Menschenkindern die höchstmögliche Anteilnahme an seiner Natur und Herrlichkeit geschenkt wird: die Gotteskindschaft. Im Opferpriestertume Jesu Christi offenbart sich die lebenspendende Kraft des göttlichen Hauptes und kristallisiert sich die mittlerische Tätigkeit des Menschen Jesus. In tiefster Weise wird in ihm das, was des einen ist, dem anderen gebracht.

4. König und Hirt

In seinem Rundschreiben zur Einsetzung des Festes „Christi Königstag" unterscheidet Pius XI. ein Königsein Christi im übertragenen und im eigentlichen Sinne. König des Verstandes, des Willens und des Herzens wird Christus in übertragener Weise genannt. Aber „auch im eigentlichen Sinne gebührt königlicher Name und königliche Gewalt Christus dem Gottmenschen. Denn nur insofern Christus auch Mensch ist, kann von ihm gesagt werden, dass er vom Vater Herrschaft, Ruhm und Reich empfängt."

Worauf gründet sich diese königliche Stellung des Menschen Jesus? „Auf welchem Fundamente aber diese königliche Würde und Macht unseres Herrn gründet, lehrt uns schon Cyrill von Alexandrien: Um es kurz zu sagen, Christus hat die Herrschergewalt über jegliche Kreatur nicht durch gewaltsame Anmaßung noch auf Grund irgendeines äußeren Titels, sondern durch seine Wesenheit und Natur (zu Luk.l0). Das heißt: seine Herrschergewalt wurzelt in jener wunderbaren Vereinigung, die wir die hypostatische nennen. Auf Grund dieser Vereinigung muss Christus nicht nur von den Engeln und Menschen als Gott angebetet werden, sondern Engel und Menschen schulden ihm in seiner menschlichen Natur Gehorsam und sind ihm unterworfen; denn allein schon durch die hypostatische Union hat Christus die Herrschaft über jede Kreatur."

Die hypostatische Union, die den Menschen Christus zum Haupte, Mittler, Lehrer und Priester seines Geschlechtes machte, salbte ihn auch zu unserem König. Diese Königsmacht ist im Bilde vom Haupte eingeschlossen. „Das Haupt ist ja, um ein Wort des heiligen Ambrosius zu gebrauchen, die ,königliche Burg' des Leibes. Von ihm als dem mit den vorzüglichen Fähigkeiten ausgestatteten Glied werden naturgemäß alle übrigen geleitet, über die es gesetzt ist, um für sie Sorge zu tragen." Dementsprechend bestimmt auch Thomas: „Das Haupt wirkt in doppelter Weise auf die Glieder: durch einen inneren Einfluss, der dem ganzen Körper Leben und Bewegung gibt, und durch ein äußeres Lenken.

Der Gesichtssinn und die anderen Sinne, die :m Haupte ihren Sitz haben, leiten nämlich den Menschen in seinen äußeren Handlungen8S." Der innere Einfluss offenbart sich im Hohenpriestertume, das Lenken und Leiten kommt dem „Hirten und Hüter eurer Seelen" (1. Petr. 2,25) zu. Hirtenamt nennen wir mit Vorliebe nach dem Vorbilde der Heiligen Schrift Christi Königtum. Denn Christus hat „auf die Ausübung dieses seines irdischen Herrscherrechtes vollkommen verzichtet; er verachtete Besitz und Verwaltung irdischer Dinge und überließ die irdischen Dinge ihren Besitzern und überlässt sie ihnen noch heute." Das göttliche Haupt lenkt nur ein übernatürliches Reich. In ihm gilt weniger die Herrlichkeit und Macht des Regierenden als die Liebe und Güte des Sorgenden.

Damit haben wir zwei wichtige Eigenschaften des Königsamtes Jesu Christi erfasst. Es ist ein geistiges Amt. Es soll das Innere des Menschen ergreifen, in seiner Seele sich ausbreiten und erst vom geheiligten Inneren aus nach außen sich kundtun; denn diese Auswirkung ist für den sinnlich-geistigen Menschen eine notwendige Folge.

Da Christi Königsherrschaft eine geistige ist, „so muss notwendig sein königliches Amt die Eigenart des Erlöser - und Priesteramtes annehmen und teilhaben an ihnen.“ Indem der Papst mit diesen Worten Christi Königsamt als ein priesterliches bezeichnet. hebt er seinen feinsten Zug heraus. Seine Herrschergewalt tritt ganz in den Dienst des zentralen Mittleramtes, des Hohenpriestertums. Sie will nichts anderes als die Obsorge dafür übernehmen, dass das heilige Priesteramt in ungehinderter und fruchtbringender Weise sich betätigen kann. Es ist etwas voneinander Verschiedenes: die Gnade verdienen, in die heilige Gottesgemeinschaft einführen, Gotteskinder zeugen und anderseits in dieser Heiligung der Seelen eine Ordnung bestimmen und sie aufrechterhalten, die verdienten Gottesgaben mit Einsicht, Weisheit und Klugheit verteilen, die vollzogene Gottesgemeinschaft, solange sie noch keine ewige Dauer und Festigkeit erhalten hat, vor den Gefahren von innen und den Feinden von außen schützen. Darum steht wegen dieser Unterschiedenheit neben der priesterlichen Gewalt Christi seine königliche; unterschieden von ihr, aber nicht getrennt von ihr.

Aus diesen Eigenschaften des priesterlichen Hirtenamtes, die ganz vom Umkreis des übernatürlichen Hauptseins gedeckt werden, klärt sich das Ziel, dem alle seine Bemühungen zustreben. Es ist ein zweifaches: alle erforderlichen Vorbereitungen und Anordnungen treffen, damit der Priester die Gotteskinder zeugen könne und dann der gewonnenen heiligen Gemeinschaft zu unerschütterlicher Festigkeit und größter Innigkeit, zu weiterem Wachstum, zur Vollendung verhelfen. Von diesen Zielpunkten aus wird es uns gelingen, die Mittlertaten des Hirten Jesus genauer zu fassen.

Wenn das Hirtenamt dem Wirken des Hohenpriesters den Weg zu bereiten hat, so ist seine vordringlichste Aufgabe, die noch irrenden Schäflein der guten Weide zuzuführen. Diese erste Hirtentätigkeit umfasst alle Maßnahmen und Anordnungen unseres Hauptes Jesus Christus, in denen er regelt, wie das einzelne Glied zur aktuellen Gliedschaft kommen kann. Hierhin gehören die Aufforderung zur Buße, die Forderung des Glaubens, die Anordnung der Taufe, die Einsetzung der heiligen Eucharistie.

Diese aktuelle Eingliederung ermöglicht dem Menschen ein Schöpfen aus dem Kraftquell Christus und verpflichtet Ihn, nach den Anregungen und Weisungen zu leben, die vom Haupte ausgehen. Denn das Glied muss nach dem Bilde des Hauptes sich formen. Diese Anregungen und Weisungen zu einem Christus-Leben umschließen eine neue Art von Hirten-Funktionen, nämlich seine sittlichen Anforderungen und Gebote, seine liebevolle Aufforderung zur Vollkommenheit.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Christus das Haupt eines Leibes ist und ihm nichts mehr am Herzen liegt, als ein ganzes Geschlecht von Heiligen zu zeugen, um mit ihm verbunden als ewiges Lobopfer in der Gottesgemeinschaft zu verharren. So ist eine dritte Kategorie von Anordnungen des Hirten Jesus notwendig, welche den Zusammenschluss der Einzelglieder zu einem geordneten organischen Leibe bezwecken. Das Haupt weist jedem Gliede seinen Platz und seine Aufgabe an. „Von ihm aus wird der ganze Leib durch den Dienst eines jeden Gliedes zusammengefügt und zusammengehalten und jedem Teile seine bestimmte Arbeit zugemessen. So vollzieht sich das Wachstum des Leibes" (Eph. 4,16).

Tragen wir alle diese Anordnungen zusammen, so können wir alle zu einer Hauptgruppe vereinen. Mit ihnen will Jesus der Zeugung der Gotteskinder und der Schaffung seines mystischen Leibes den Weg weisen. Diese erste Hauptgruppe besteht zu allermeist aus vorbereitenden Anordnungen des irdischen Christus, die er in seinen Lehr- und Wanderjahren getroffen hat. "Da eine Gemeinschaft von Menschen zu leiten nichts anderes bedeutet, als sie durch zweckmäßiges Planen und geeignete Mittel auf rechtem Weg zum vorbestimmten Ziele zu führen, so ist leicht einzusehen, dass unser Heiland all das auf ganz wunderbare Weise ausübt. Er selbst lehrte uns, als er auf Erden weilte, durch Vorschriften, Räte und Mahnungen. Und überdies erteilte er seinen Aposteln und deren Nachfolgern eine dreifache Gewalt.“

Aus den Briefen des heiligen Paulus geht aber hervor, dass er sich nicht so sehr den irdischen als vielmehr den erhöhten und verklärten Christus als Haupt und Lenker, als Sachwalter und sorgenden Hirten seines Leibes denkt. Der erhöhte Herr ist es, der in voller Souveränität seine Gnadengaben an die einzelnen Glieder austeilt, die einen zu Aposteln, die anderen zu Lehrern, Propheten, Hirten bestimmt, jedem seine Arbeit und seine Gabe gibt, um im Aufbau des Leibes Christi alle beitragen zu lassen. Darin eröffnet sich ein Ausblick auf ein e zweite Hauptgruppe mittierischer Funktionen des Hirten Jesus, die er vom Himmel her gesetzt hat und stets noch setzt. „Unser göttlicher Erlöser lenkt und leitet auch selbst unmittelbar die von Ihm gegründete Gesellschaft. Er selber regiert nämlich im Geiste und Herzen der Menschen, beugt und spornt nach seinem Wohlgefallen sogar den widerspenstigen Willen. Durch diese innere Leitung sorgt Er nicht nur für die einzelnen, sondern trägt auch Fürsorge für die Gesamtkirche so." Christus will der treue Hirte seiner Herde bleiben, bis sein Mystischer Leib in freier Liebe mit ihm zusammen dem Vater ewig dient.

Bevor jedoch dies Wirklichkeit werden kann, müssen vom Weinstocke alle Reben, die keine Frucht gebracht haben, entfernt und fortgeworfen werden. Der Hirte wird zum richtenden König. Denn der Vater „hat das ganze Gericht dem Sohne übertragen" (Joh. 5,22). Seine letzte Mittlertat als König und Hirte zielt darauf hin, die einzelnen als Glieder seines Leibes entweder dauernd anzuerkennen oder ewig abzulehnen. Die einen führt Christus in die aktuellste, vollkommenste, unlösbare Gliedschaft ein, die anderen dagegen, die Verdammten, löst er selbst aus der potentiellen Gliedschaft und übt an ihnen seine Strafgerechtigkeit aus. Damit hat er die Gottesherrschaft in volle Erscheinung treten lassen, bei den einen durch freiwilligen Gehorsam, bei den anderen durch Zwang.

Mit der Aufrichtung der vollen und ewigen Gottesherrschaft beschließt Jesus Christus, unser übernatürliches Haupt, seine mittlerischen Tätigkeiten als Lehrer, Priester und Hirte. Ihrer bedarf es nicht mehr, da alle unmittelbar von Gott erfüllt sind und Gott alles in allem ist. Besser und richtiger sagen wir: Christus krönt damit sein Lehr-, Priester- und Hirtenamt. Er krönt sein Lehramt, indem er die Glieder seines Mystischen Leibes, die bisher im Dunkel des Glaubens verharrten, durch Teilnahme an seiner seligen Schau alle Geheimnisse, Wahrheiten und Schönheiten Gottes sehen und erfassen lässt. Er krönt sein Priesteramt, indem er, mit seinem Mystischen Leibe in vollkommener Opfergesinnung verharrend, seine Brüder an der innersten trinitarischen Lebensgemeinschaft teilhaben lässt. Dadurch krönt er auch sein Hirtenamt, indem er als König eines freien Geschlechtes die ewige und beglückende Gottesherrschaft sichert, weil eben seine Glieder durch ihn an dieser Herrschaft Gottes teilnehmen. Nicht nur vom irdischen, sondern auch vom ewigen Gottesreiche gilt das Gebet aus dem Kanon der heiligen Messe: „Durch ihn, mit ihm und in ihm ist dir, Gott, dem allmächtigen Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Ehre und Herrlichkeit. Amen."

II. Teil: Von Christus zur Kirche

Die Opfertat des Hohenpriesters Jesus Christus hat den heiligen Gabenaustausch zwischen Gott und den Menschen vollzogen. Das Menschengeschlecht ist entsühnt, geheiligt und vergöttlicht. Der Zustand der vollendeten Erlösung und der glückseligen Gottesgemeinschaft kann beginnen.

Die herrliche Gottesgemeinschaft beginnt aber nur für das Haupt. Der Glaube lehrt uns, dass vorerst nur Christus, „der Anfang, der Erstgeborene unter den Toten" (Kol. 1,18), durch seine Auferstehung den Tod überwindet, dass nur er zum Himmel auffährt und sich zur Rechten des Vaters setzt. Die selige Gottesgemeinschaft beginnt damit für das Gesamtgeschlecht nur soweit, als es in seinem Haupte zusammengefasst ist. Aber sie beginnt, und dieser Anfang muss sich vollenden, weil der Leib notwendigerweise seinem Haupte nachfolgt.

Die Opfertat des Hohenpriesters kann für das Gesamtgeschlecht gar nicht anders als in stückweiser Nachfolge wirksam werden, weil das Menschengeschlecht in den Zeitenablauf eingespannt ist. Der mystische Herrenleib ist raum-zeitlich gebunden. Nach und nach tauchen erst seine Glieder aus dem Strome der Zeit auf. Nach und nach können erst aus dem mit dem göttlichen Haupte potentiell und ideell verbundenen Geschlechte die aktuell zu verbindenden Glieder emporsteigen; dann erst kann aus ihnen ein mystischer Leib aktuell sich formen.

Ein Zwischenstadium tut sich auf. Ein Raum ersteht zwischen der .einmaligen Erlösungstat am Kreuze und dem endgültigen Eingang des ganzen Leibes in die ewige Glückseligkeit. Dieser Raum ist durch die Entsündigung und Heiligung jener ausgefüllt, welche unterdessen aus dem Schoße der Zeiten ans Licht des Tages steigen. Es ist das Stadium des Gliedwerdens für die einzelnen Menschenkinder. Es ist das Stadium ihres jeweiligen Zusammenschlusses zu einem irdischen Herrenleibe.

Das Hineingestelltsein in den Strom der Zeit scheidet notwendigerweise die einmalige Opfertat für das ganze Geschlecht - deshalb objektive Erlösung genannt – von der Heiligung des Einzelmenschen - subjektive Erlösung geheißen. Objektive und subjektive Erlösung sind zeitlich getrennt, aber der Idee und der Kraftquelle nach sind sie identisch; darum aufs innigste miteinander verbunden. Die Erlösungsidee vom göttlichen Haupte und die für das ganze Geschlecht ausreichende Kraft des Kreuzesopfers eint ihre raum-zeitliche Unterschiedenheit.

Die innere Einheit erfordert, dass Christus auch für dieses Zwischenstadium die einzige Lebensquelle ist. Sein universales Mittleramt muss das Lebendigmachen und die Beseligung der Einzelglieder so umfassen, dass er in Wahrheit Lehrer, Priester und Hirte eines jeden Gliedes ist.

Wir stoßen damit zu der entscheidenden Frage vor: Wie übt Jesus Christus im Raume der subjektiven Erlösung sein Mittleramt aus? In welche Gestalt kleidet sich in diesem Zwischenstadium seine Mittlertätigkeit? - Die noch zu erarbeitende Antwort wird lauten: Sie kleidet sich in die Gestalt der Kirche und hüllt sich in das Wirken der kirchlichen Organe. Die Verwirklichung der Gliedschaft ist der Übergang zur Kirche. Die jeweils aktualisierte irdische Leibgemeinschaft Christi ist die Kirche.

1. Die Eingliederung in Christus

Das Gebundensein der Menschen an den Strom der Zeit bedingt ein Zwischenstadium mit einem fortgesetzten Gliedwerden der Einzelmenschen. In diesem Raume gewinnt das Wort von der Stabilisierung und Perennierung des Erlösungswerkes, von der Fortsetzung des Heilswerkes in Zeit und Raum hinaus volle Wahrheit. Gottes Werke wachsen aber organisch weiter. Darum kann auch Christi Werk nicht anders weiterwachsen als nur im Anschluss an seine objektive Erlösungstat. Was im göttlichen Haupte und in dessen Mittlertat einmal grundgelegt ist, muss sich im gleichen Rhythmus weiter entfalten.

Dieses organische Herauswachsen der subjektiven Erlösung aus der objektiven verdrängt eine Eingliederungsart, welche kurzsichtigen Menschen als die natürlichste erscheinen könnte. Es verbietet, die aktuelle Eingliederung in Christus als einen rein mechanischen Prozess zu verstehen. Strömte jedem Menschen bei seinem Eintritt in die Welt die Gnade schlicht und einfach zu, nur weil er erst nach dem Kreuzestode diese Welt betritt und ein Zweig am Menschheitsbaume wird, so könnte man dies ein rein mechanisches Überfließen der christlichen Rechtfertigung und Heiligung nennen. Wie die Erbsünde auf diesem Wege Eigentum aller wird, welche aus dem Fleische und dem Willen des Mannes geboren sind, so geschähe es in diesem Falle analog mit der Gnade Christi. Das aber verbietet Christi Hauptsein. Das verbietet die Fleischwerdung des Sohnes Gottes. Ein anderes Grundverhältnis, als es zwischen dem Stammvater Adam und seinen Nachkommen obwaltet, begründete die Menschwerdung zwischen Christus und seinen Brüdern. Die Gnade des göttlichen Hauptes kann nicht mechanisch-physiologisch die Gnade der Glieder werden.

Zwei Häupter besitzt das Menschengeschlecht: Adam und Christus. Aus dem einen lebt es in der Ordnung der Natur, aus dem anderen im Reiche der Übernatur. Das bedingt ein jeweils verschiedenes Verhältnis der Glieder Z)um Haupte.

Adam ist der physische Stammvater aller Menschen. Von ihm aus wird das menschliche Leben bis in die entferntesten Geschlechter weitergegeben. Wie Zweige entsprießen die Menschen ihrer Stammwurzel. Daran hat auch die Sünde Abrahams nichts geändert. „Das Geschlecht, wie es physisch in Adam präformiert war, musste und muss bis zum Pleroma aus dem Blutquell Adams allein sich entwickeln. Auch sündig geworden bestand es für allemal; und selbst der Erlöser konnte nur ein Sohn Adams werden; also nicht Vater des adamitischen Geschlechtes." Wie könnte sonst das Menschengeschlecht vor Gott dastehen gleichsam als ein Mensch? Niemals konnte Christus die Rolle eines physischen Stammvaters übernehmen. „Zwei physische Stammväter erträgt das eine Geschlecht, wie es nach Gottes Idee besteht und sich entfaltet, nimmermehr." Niemals darf auch nur der Anschein erweckt werden, als ob Christus ein neuer physischer Stammvater der Menschen geworden wäre. Christus würde damit die natürliche Grundlage seiner eigenen Stellung erschüttern.

Wie Adam physiologisch Haupt ist, so ist auch das Erben von Adam physiologischer Art. Weil die einzelnen Menschen wie Zweige ihm entwachsen, müssen sie den Charakter und die Eigenart ihrer Stammwurzel tragen. Wir erben daher nicht nur Adams Natur, sondern auch die Güter und Defekte seiner Natur; darum auch die Erbschuld als einen Mangel menschlicher Natur. Gott hatte nämlich dem Menschengeschlechte in Adam die Heiligmachende Gnade als ein Familien- und Erbgut übergeben. Adam hat es als Repräsentant aller für das Gesamtgeschlecht verloren. In die Erbsünde wird darum der Mensch physiologisch verstrickt. Die natürliche Zeugung, der Weg der Natur, ist auch der Weg der Sünde. Aus diesem physiologischen Vorgang kann nichts anderes entstehen als eine Menschennatur, beraubt der Übernatur. Das Erben von Adam ist demnach ein schlichtes Entstammen von ihm, ein einfaches, gleichsam mechanisches Herauswachsen aus ihm.

In dieses geschlossene Geschlecht tritt Jesus Christus ein. Weil „aus der Frau geboren" (Gal. 4, 4), ist er ein Zweig dieses Geschlechtes; weil aber aus der Kraft des Allerhöchsten gezeugt, trifft ihn die Geschlechtsschuld nicht. Als Sohn Gottes bringt er vielmehr etwas völlig Neues in die Menschheit hinein. So vollzieht sich in Christus eine Neusetzung innerhalb des Geschlechtes. Sie entstammt dem besonderen Gnadenwillen Gottes und wird in ein natürlicherweise geschlossenes Geschlecht hineingepflanzt. Darum ist unsere Verbindung mit Christus eine andersartige, als sie mit Adam ist. Ihr widerspricht notwendig jene Art der Weitergabe, die dem Entstammen von Adam entspricht. Ein mechanisch-physiologisches Weitergeben der Gnade Christi an uns stände nicht in Parallele zu Christi Werden und Hauptsein. Einem besonderen Liebeswillen Gottes entstammt das göttliche Haupt. Nur eine besondere Vermittlung wird dieser besonderen Liebestat gerecht. Sie darf nicht einem Naturprozesse mechanisch nachfolgen. Durch ein wie selbstverständlich in der Gnade Christi Geborenwerden würde verdunkelt, dass wir das Heil der neuen Barmherzigkeit Gottes verdanken. Darum hat Gott Geburt und Wiedergeburt getrennt. „Wer nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geiste, kann in das Reich Gottes nicht eingehen. Was aus dem Fleische stammt, ist Fleisch; was aber aus dem Geiste stammt, ist Geist" (Joh. 5, 5f.). Erst auf dem dunklen Hintergrunde einer Geburt in Schuld hebt sich die Wiedergeburt in Christus klar und hell ab. Erst das Nochtotsein für die Übernatur lässt nach einem Lebensquell Ausschau halten. Nur wenn es einer besonderen Hinbewegung zu Christus bedarf, dann erscheint Christus als die besondere Liebestat Gottes gegenüber der Sündentat der Menschen. Christus ist dann wahrhaft als das neue Haupt In der Übernatur, als die einzige Quelle unseres Heiles und der einzige Grund der Gnade herausgestellt. Nur ein nicht-mechanisches Erben der Güter Christi steht in organischer Verbindung mit seinem Hauptsein. Darum schildert die Heilige Schrift das Gewinnen der Erlösungsfrüchte als eine besondere Annäherung an Christus - "Schließet euch an ihn an, den lebendigen Stein" (1. Pell. 2, 4) - als ein hinzukommendes Anziehen Christi - "Ziehet den alten Menschen samt seinen Werken aus und ziehet den neuen an" (Kol. 3, 4) - und stellt Geburt und Wiedergeburt einander gegenüber. Es findet eine eigentliche, besondere Hinbewegung der Menschenkinder zum göttlichen Haupte statt, durch die sie erst Gotteskinder werden.

Durch die besondere Hinbewegung zu Christus, die einem Angegliedertwerden an ein Haupt, einem Eingepflanztwerden in einen Rebstock gleicht, wird eine tiefe, immer tiefer werdende Einheit von Christus und seinen Gliedern erzeugt. Während die von Adam ausgehende Einheit bei der Vermehrung zahlloser Individuen in einem gewissen Sinne stets geringer wird und weniger straff erscheint, bleibt dagegen die Verbindung mit Christus und die Einheit des Mystischen Leibes stets gleich eng, ja kann durch Wachsen in der Gnade noch enger und stärker werden.

„Was aus dem Fleische stammt, ist Fleisch; was aber aus dem Geiste stammt, ist Geist." Christi geistiges Hauptsein gestaltet diese Hinbewegung zu einer Tat des Geistes. Wohl bedarf Christi Hauptsein der materiellen Geschlechtseinheit als Grundlage. Aber das ist nur die Grundlage Ihre Form stammt von oben, von Gott. Christus ist göttliches, übernatürliches, also geistiges Haupt. Darum vollzieht sich weder das Werk der objektiven noch der subjektiven Erlösung materiell-mechanisch, sondern durch die sittliche Tat des Geistes. Die freie Kraft seiner heiligen Menschheit hat der Sohn Gottes im Sühneverdienst zur Mitarbeit aufgerufen. Sein ganzes leben war sittliche Tat. Im hohenpriesterlichen Opfer fand sie ihre Krönung. Darum erweckt Gott zur Eingliederung die sittliche Kraft der Menschen. Aus freien Geistestaten sollen wir Kinder des Lichtes werden. Einer freien Mitarbeit des Menschen muss die Eingliederung in Christus Raum gewähren. Dann steht die subjektive Erlösung in Parallele zur objektiven. So offenbart sich in beiden das Heranziehen der geschaffenen Zweitursachen zum Wirken der göttlichen Erstursache. Aus dem Sühneverdienst und dem freien Opfer des Erlösers wächst organisch nur eine freie, geistige Hinbewegung der Menschen zu Christus heraus.

In die freie Mitarbeit der Menschheit Christi hat die Sünde ihre dunkle Linie gezeichnet. Es war kein bloßes Mitverdienen, sondern Sühneverdienst. Es war ein strenges Genugtun der göttlichen Gerechtigkeit durch die blutige Gehorsamstat am Kreuze. Sollten wir in der subjektiven Erlösung diese düstere Schattierung ganz vermissen müssen? Sollte in ihr nicht auch die Gerechtigkeit Gottes ihre Verherrlichung finden? Die freie, geistige Hinbewegung sichert die Parallelität. In ihr wird der Abkehr des Menschen von Gott durch eine eigene Abkehr von den Geschöpfen genuggetan, der sündhaften Hinwende zu den Geschöpfen durch eine eigene Hinwendung zum Schöpfer. Auch hier bedarf es der Mühen.

Gottes Werke wachsen organisch weiter. Zu Beginn der objektiven Erlösung stand Gottes Tat, da er das neue Haupt frei und souverän setzte. Sie blieb trotz des Mittuns der Menschheit Christi Gottes Tat, da sein menschliches Tun nur durch die personale Union unendlichen und heiligenden Wert hatte. Darum muss auch in der subjektiven Erlösung die freie Hinbewegung des Menschen eine Gnadentat Christi sein. So entspricht es einzig Christi Hauptsein: „Ohne mich könnt ihr nichts tun." Jede übernatürliche Bewegung im Menschengeschlechte kann nur vom Haupte ausgehen. Sie erfolgt nur in des Hauptes Kraft. Kein Menschenkind, das je aus dem Strome der Zeiten auftaucht, wird sich darum auf Christus hinbewegen können, wenn seine Gnade ihn nicht ruft. Jesus Christus muss für jedes Einzelglied das bewegende Gnadenhaupt sein. „Christus ist schon durch seine Person und sein Werk der universale Mittler, aber für den einzelnen wird Christus als Mittler immer neu gesetzt." Jeden Menschen muss er gesondert belehren und ihm Priester sein. Er selbst muss dessen Gotteskindschaft behüten und zur Vollreife des Mannesalters führen. Der göttliche Bräutigam ist selbsteigen darum bemüht, eine jede Seele zu seiner Braut zu gestalten. Das freie Mittun des Menschen weitet das mittlerische Wirken unseres Hauptes aus. „Dadurch, dass der Gnadenplan Gottes das Heil aller objektiv erworben und grundgelegt werden ließ durch die Erlösungstat Christi, er aber die Zuwendung der durch Christus erworbenen und verdienten Gnaden an die einzelnen Menschen einer besonderen Gnadentat v6rbehielt, stellte er das fortdauernde und fortwirkende Mittlerwerk Christi in einer besonderen Mittlertätigkeit Christi auch für den einzelnen in ein besonders helles Licht." Neben dem einmaligen mittlerischen Wirken Jesu Christi, von dem im ersten Teile die Rede war, erhebt sich nunmehr ein erweitertes Mittlerwirken Christi, das den ganzen Ablauf der Zeiten umfasst.

Christus das Gnadenhaupt und freie Menschenkraft arbeiten zusammen, um ein totes Reis aus der Schuldgemeinschaft Adams in den Gnadenstrom des göttlichen Weinstockes einzuführen. Die Führung hat das Haupt. Wenn aber als Gnadenvermittler ein fleischgewordener Gottessohn weiterschafft, dann kann er es nur durch seine heilige Menschheit tun, die den Weg zu Gott bedeutet. Dann muss auch in der subjektiven Erlösung der Mensch Christus die lebendige Brücke und seine Menschheit das Ursakrament Gottes bleiben. Nur der Kontakt mit diesem Ursakrament Gottes, nur ein Schöpfen aus der heiligen Opfergabe des Hohenpriesters kann den Eintritt in die selige Gottesgemeinschaft ermöglichen. Gottes Werke wachsen organisch weiter. Darum enthüllte sich die individuelle Eingliederung in Christus als eine besondere geistige Hinbewegung des Menschen auf Christus hin, welche vom Mittler Jesus mittels seiner heiligen Menschheit gnadenhaft angeregt und durchgeführt wird.

2. Die Grundstruktur der subjektiven Erlösung

Aus der objektiven Heilstat wuchsen d r e i Grundzüge für die Eingliederung in Christus und das Christusleben der Glieder heraus: Das erweiterte Gnadenvermitteln Christi, die Verbindung mit seiner belebenden Menschheit, die freie Mitbetätigung menschlichen Willens. Der Verfolg dieser Züge wird die Tore zur Kirche aufstoßen.

Das in Raum und Zeit erweiterte Mittlerwirken Jesu Christi fußt auf der einmaligen Mittlertat am Kreuze. Es empfängt von dieser Tat sein Gesetz. Da die subjektive Erlösung die Einmaligkeit und Absolutheit der objektiven nie bedrohen darf, so darf das erweiterte Heilswirken Jesu Christi seine einmalige Kreuzestat nie in den Schatten stellen. Kein neues Schaffen im Sinne eines selbständigen Neusetzens darf zutage treten. Vielmehr muss sein erweitertes Mittlerwirken an die einmalige Heilstat sich so anlehnen, dass sie diese in ihrem Glanze noch erhöht.

Diese Grundforderung entkleidet das erweiterte Mittlerwirken jeder erdenklichen irdischen Form. Es setzt nämlich außer dem dauernden Schaffen bis an das Ende der Zeiten ein gleichzeitiges Wirken in vielen Räumen voraus. Wenn es auch kaum als metaphysisch völlig unmöglich bezeichnet werden kann, der mit der Gottheit hypostatisch vereinten Menschheit Jesu Christi, namentlich der glorreich auferstandenen, eine solche Wirkmöglichkeit zuzusprechen, so erscheint doch dieser Weg eines fortgesetzten irdischen Mittlerschaffens als weniger angebracht. Tritt der ewige Sohn Gottes einmal in die engen Schranken von Zeit und Raum ein, dann ist es folgerichtiger, ihn diese Schranken auch nicht durchbrechen zu lassen, bevor das ganze Werk in allen Einzelheiten vollendet ist. Um so mehr gilt dies, wenn der Gottessohn der Sünden wegen diese Schranken auf sich genommen hat. Mag auch objektiv und ideell die Sünde durch seinen Tod überwunden sein, so .doch noch nicht subjektiv und real im Einzelmenschen. Endgültig ist sie erst am Jüngsten Tage vernichtet. Der so fortdauernden Sünde wegen verbleibt der Erlöser in jenen Schranken, welche die Sünde ihm auferlegte, er entäußert sich noch nicht sichtbar vor den Menschen der demütigen Knechtsgestalt. In Christi Verhalten finden diese Gedanken ihre Bestätigung. Christus hat sich nach seiner Auferstehung nur im engsten Kreise seiner Jünger teilweise der Schranken von Raum und Zeit entledigt, und zwar nur mit dem Ziele, bei seinen Jüngern den Glauben an die urchristliche Fundamentalwahrheit, an seine Auferweckung, d. h. an die göttliche Bestätigung und Annahme seiner Opferhingabe sicherzustellen.

Gerade aus der göttlichen Annahme des heiligen Opfers spricht ein noch stärkerer Grund gegen die irdische Form des erweiterten Mittlerwirkens. Es gibt neben der Ordnung der vollziehenden Erlösung auch einen Stand der vollzogenen Erlösung. In der einmaligen Gehorsamstat Christi am Kreuze ist die Erlösung vollzogen und wesentlich gesetzt. Das Menschengeschlecht ist reif, in die überirdische, ewige Gemeinschaft Gottes einzutreten. Diesen Zustand der vollendeten Erlösung stellt die Auffahrt Christi in den Himmel dar. Der Eintritt des Hauptes in die Glorie des Vaters, seine volle Verklärung ist das Siegel Gottes auf den Neuen Bund. Es ist noch mehr: Es ist eine Pfandhinterlegung. Dem Haupte als dem wichtigsten Gliede wird und muss der übrige Leib folgen. Die Menschheit ist mittels Christi in ihrem wesentlichsten Bestandteile schon in der unzerreißbaren Gottesgemeinschaft. So wird durch den Einzug des verklärten Hauptes in den Himmel betont, dass die Erlösung des Geschlechtes prinzipiell vollzogen ist. Die absolute Einmaligkeit der Erlösung, welche der Hebräerbrief so stark betont, könnte bedroht erscheinen, wenn das erweiterte Mittlerwirken Christi an ein irdisches Arbeiten gebunden wäre. Dagegen wird ein Weiterschaffen des himmlischen Christus nur um so stärker die einmalige mittlerische Tat des im Fleische erschienenen und im Fleische tätig gewesenen Gottessohnes unterstreichen.

Ein wirksames Weiterwirken Christi auf die Menschheit verlangt anderseits die Lehre von dem einen Mittler; darum auch von dem zum Himmel aufgefahrenen Mittler. Da er für jeden Menschen die lebendige Brücke und das lebenspendende Haupt sein muss, so müssen die Menschen einen wahren Lebensverkehr mit Christus pflegen können. Dazu genügt eine Verbindung mit Christus als nur historischer Persönlichkeit keineswegs. Mit den Personen und Taten der geschichtlichen Vergangenheit kann man nur durch die Erinnerung in eine gedankliche Gemeinschaft treten, aber keine wahre Lebensgemeinschaft unterhalten. Voller Lebensverkehr geht von dem einen Lebendigen zu einem andern gegenwärtig Lebendigen. Darum muss der eine Mittler Christus einen lebendigen Austausch mit seinen Gliedern unterhalten und im erlösten Geschlechte wirklich weiterwirken; demnach trotz der verlangten Auffahrt.

Dies Weiterwirken muss der Form und dem Ziele seines Hauptseins entsprechen. Es muss der Geistigkeit, Übernatürlichkeit und Göttlichkeit des Mittlers angepasst sein. Nicht ins Materielle sollen die Glieder hinabsinken, sondern zum Geiste Gottes hinaufsteigen. Keine Fleischesgemeinschaft gründete Christus, sondern die geistige Einheit seines Mystischen Leibes. Wie könnte aber diese Form seiner Mittlertat deutlicher zum Bewusstsein kommen als durch die Auffahrt in den Himmel? Sein verklärtes, himmlisches Sein gestattet ihm einen lebensnahen und dennoch geistigen und aufwärts ziehenden Lebensverkehr mit seinen Gliedern, einen Lebensverkehr, der die Absolutheit der objektiven Heilstat nicht anzutasten braucht.

Dieses geistige Fortwirken des himmlischen Christus in sein erlöstes Geschlecht hinein an Stelle eines irdisch-fleischlichen Wirkens schafft Raum für einen wahrhaft geistigen Anschluss der Glieder an ihn. Dieser war bekanntlich bei seinen jüdischen Zeitgenossen oft bedroht. Nun aber ist die Freiheit des Geistes zu größeren Taten aufgerufen. Zweifelsohne würde das Mittlerwirken eines auferstandenen, aber irdischen Christus dem Dunkel des Glaubens sein tiefstes Dunkel, sein bestes Verdienst nehmen. Die liebevolle Hingabe an das neue Haupt erforderte vom Menschen bei weitem nicht jene Höhe der sittlichen Anstrengung und jene Tiefe der Liebestreue, wie sie die tatsächlich verwirklichte Ordnung heute erfordert.

In dem Betonen des geistigen Weiterwirkens des himmlischen Christus liegt eine große Gefahr. Man kann die Geistigkeit dieses Wirkens so überbetonen, dass nicht mehr Christus der Mensch als Mittler erscheint, nicht mehr seine hochheilige Menschheit als das Ursakrament Gottes zur Verwirklichung kommt. Diese Grundtatsache darf aber nie verdunkelt werden. Sie verlangt, dass auch das Weiterschaffen des himmlischen Christus dieses wichtige Heilsmittel in Erscheinung treten lässt. Dazu verlangt der Mensch seiner Natur gemäß nach einem sinnengebundenen Kontakt mit dem Mittler Christus. Den raum-zeitlichen Menschen erfasst Christus nicht naturhaft und ganz, wenn er sein .himmlisches Wirken nicht in diesen Rahmen eintreten .lässt. Das Leib-Seele-Wesen steigt nur mit Hilfe seiner Sinne und der Körperwelt in das Reich des Geistes und Gottes auf.

Fordert die Lehre vom Hauptsein Jesu Christi für die subjektive Erlösung ein dauerndes Heilswirken Jesu Christi, so lässt sich die Form dieses erweiterten Mittlerwirkens nunmehr folgendermaßen bestimmen: Diese neue Wirkart muss so beschaffen sein, dass sie dem gesamten irdisch-fleischlichen Wirken des historischen Christus nichts von seiner einmaligen Absolutheit nimmt, sondern dieses Abgeschlossensein noch unterstreicht. Es muss ein geistiges, pneumatisches Weiterwirken sein, um dem Hauptsein Jesu Christi und der Art seiner Gemeinschaft zu entsprechen. Anderseits muss diese Wirkart des erhöhten Christus in Raum und Zeit auftreten; denn sie soll raum-zeitliche Glieder am Leibe Christi aktualisieren und aus raum-zeitlichen Menschen einen mystischen Leib aufrichten. Ohne ein Sichtbarwerden seiner Tätigkeit kann das nicht erreicht werden. Gleichzeitig soll in dem geistigen Weiter leben nicht zugrunde gehen, dass die Menschheit Jesu das Ursakrament ist. Versteht es diese Wirkart, in Parallele zur objektiven Erlösung, das Mitwirken der Zweitursachen möglichst weit heranzuziehen, ohne dadurch das Erstwirken des Gnadenhauptes zu beeinträchtigen, dann wären alle Forderungen erfüllt, die von den Gesetzen der objektiven Erlösung her an das Weiterschaffen Christi zu erheben sind. Menschliche Einsicht muss freilich bekennen, dass sie außerstande wäre, diesen ungeheuerlichen Forderungen genug zu tun. Wir fänden nie den Weg, solch verschiedenartige oder gar gegensätzliche Eigenschaften in einer Wirkart miteinander zu vereinen. Jesus Christus aber hat diese Wirkart in der sakramentalen Organisation seiner Kirche meisterlich verwirklicht. Im nächsten Hauptteile zeigen wir es auf. Jetzt dürfen wir es noch nicht. Denn wir wären damit schon mitten in der Kirche selbst.

Wird die Eingliederung der Menschen in Christus vorzüglich vom Heilshaupte her ihre Struktur erhalten, so ist doch das zu formende Material nicht ohne jeden Einfluss auf ihre Gestaltung. Denn aus lebendigen Menschenseelen soll Christusleben erblühen. Ihre lebendige Kraft bestimmt die Rechtfertigung in ähnlicher Weise mit, wie die menschliche Kraft Christi das Heil mitverursachte Das Mithereinziehen der Zweitursachen formt ebenfalls die Struktur der subjektiven Erlösung.

Wir erkannten dieses Mitwirken der Zweitursachen bereits als eine freie Hinbewegung des Menschen zum göttlichen Haupte, getragen freilich von seiner Gnade. Dies freie Hinbewegung hat das Konzil von Trient in klassischer Form geschildert: "Die Menschen bereiten sich dadurch zur Rechtfertigung vor, dass sie, aufgeweckt und unterstützt von der göttlichen Gnade, durch Anhören den Glauben in sich aufnehmen und sich frei zu Gott hinbewegen voll aufrichtigen Glaubens, dass alles wahr ist, was Gott geoffenbart und verheißen hat, vor allem aber dies, dass der Gott Entfremdete von Gott durch sein Gnade gerechtfertigt werde, durch die Erlösung, die da ist in Christus Jesus. Weil sie sich als Sünder erkennen, werden sie heilsamer Weise von Furcht vor Gottes Gerechtigkeit erschüttert. Dann aber wenden sie sich zur Betrachtung der göttlichen Barmherzigkeit und werden dadurch zur Hoffnung aufgerichtet, in dem festen Vertrauen, Gott werde ihnen um Christi willen gnädig sein. Darum beginnen sie, ihn als den Quell aller Gerechtigkeit in Liebe zu umfangen und wenden sich mit Hass und Abscheu gegen die Sünde." Wir können sagen: Erfordert werden, Glaube, Hoffnung und Liebe. Die freie Hinbewegung zum Haupte setzt ein Wissen voraus, dass Jesus Christus das Haupt, der Lehrer, Priester und Hirte ist. Sie verlangt ein Anerkennen dieser Tatsachen demütigem Glauben. Dieser bedingt seinerseits, dass man seine ganze Zuversicht und Hoffnung auf ihn setzt, den alleinigen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Es endet darin, dass man seine ganze Liebe dem neuen Haupte schenkt; denn nur die Liebe vereint und verbindet, spendet und lässt sich beglückt beschenken. Aller Rechtfertigung Fundament ist der Glaube, wie aller Krone die Liebe ist. "Durch den Glauben an Jesus Christus seid ihr alle Kinder Gottes" (Gal. 3,26). Der Glaube stellt die erste geistige Verbindung mit Christus her. In diesem Glauben hoffen und lieben wir. "Wer an mich glaubt, geht in mich ein; wer in mich eingeht, besitzt mich." Der in der Liebe noch zu formende Glaube ist das Fundament aller Rechtfertigung.

Dieses gläubige Sich-Anlehnen an das Heilshaupt Jesus Christus kann nur der Lehrer und Priester aller Menschen bewirken. Ihn nennt der Apostel "den Begründer und Vollender unseres Glaubens" (Hebr. 12,2). Durch seinen menschlichen Mund kann er freilich die einzelnen nicht mehr aufrufen, so wie er einst die Jünger zum Glauben an sich geführt hat. Der an die Sinne gebundene Mensch will aber belehrt und gerufen werden, wie es seiner Menschennatur entspricht, d. h. durch das menschliche Wort. Diese beiden Erfordernisse: Hinführung seitens Christi zum Glauben in menschlicher Weise, prägen der Vermittlung des Heilsglaubens an die Einzelmenschen bestimmte Züge und Formen auf, die schwer miteinander vereinbar sind. Gott hat sie wundervoll miteinander vereint in der Richtung des autoritativen Lehrauftrages Jesu an die Apostel. Damit wird wieder ein Stück Kirche sichtbar. Die Durchführung dieses Gedankens überlassen wir daher dem Folgenden.

Ein drittes Mal treten wir in die Hallen der Kirche ein, wenn wir die Eingliederung in ihrer notwendigen Beziehung zur heiligen Menschheit Jesu Christi ins Auge fassen. Aus diesem von Gott gepflanzten Weinstocke müssen die Rebzweige leben, wachsen und Frucht tragen. Eine solch lebendige Verbindung mit Christi Menschheit ergibt sich nicht unmittelbar aus Christi Eintritt ins Geschlecht. Diese allgemeine Verbundenheit ist ja, wie wir früher sahen, nur Grundlage seines Hauptseins und verschafft dem Menschen nur ein Anrecht auf die Güter des Hauptes. Sie lässt aber noch nicht den Strom der Gnaden fließen. Eine andere Verbindung mit Christi Menschheit muss gefordert werden, eine direkte, eine unmittelbar verknüpfende. Noch genauer: Es muss eine Verbindung mit der geopferten Menschheit Jesu Christi sein, weil nur durch die Opferhingabe der Gabenaustausch möglich geworden ist. Christi Opfergabe muss Gottes Ursakrament auch für die subjektive Begnadigung bleiben.

Niemand hat auf diese engere, lebenspendende Verbindung nachdrücklicher hingewiesen als Jesus selbst. " Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esset und sein Blut nicht trinket, so habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben ... Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich durch den Vater lebe, so wird auch der, der mich isst, durch mich leben" (Joh. 6, 53ff.). In diesen Worten verlangt der göttliche Heiland einen engen Anschluss an sein Fleisch und Blut, ein direktes Verbundensein mit seiner Menschennatur. Er fordert es unter Androhung des ewigen Todes. Dass Christus sich diesen engen Anschluss ganz in Parallele zu seinem erweiterten Mittlerwirken von seinem irdischen Fleische und einem irdischen Essen losgelöst dachte, dass er die Möglichkeit einer geistigen Vereinigung mit seinem verklärten Leibe im Auge hatte, deuten seine Worte an: "Ihr nehmt Anstoß daran? Wenn ihr nun den Menschensohn dahin auffahren seht, wo er vordem war? Der Geist ist es, der lebendig macht. Das Fleisch nützet nichts" (Joh. 6, 62). Den Weg dazu eröffnete er selbst beim letzten Abendmahle, als er sein Fleisch und Blut unter den Gestalten von Wein und Brot seinen Jüngern reichte und sie aufforderte: "Tut dies zu meinem Andenken !" (Lk. 22, 19).

In dem Geheimnisse der Eucharistie ist der von uns gesuchte volle Anschluss an Christi Menschheit gegeben. Wir werden in ihm wahrhaft und ganz Christus inkorporiert. "Die Mitteilung des Leibes und Blutes des Herrn bezweckt nichts Geringeres als uns in das, was wir genießen, umzuwandeln." Die reale Einheit des fleischgewordenen Gottessohnes mit jedem Einzelgliede wird hier volle Wirklichkeit. Wir sind in mystischer Realität ein Leib mit Christus geworden, von seinem Geiste beseelt. "Die diesem Sakramente eigene Wirkung besteht darin, eine solche Umwandlung des Menschen in Christus zu erzeugen, dass er in Wahrheit sprechen kann: ,Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus in mir."

Dass Christus in der heiligen Eucharistie sich mit uns verbindet, um ein Leib mit uns zu werden, der von einem Geiste beseelt wird, ist die klare Lehre unseres heiligen Glaubens. Wir dürfen daher in der heiligen Eucharistie eine sinngemäße, ja notwendige Fortsetzung der Menschwerdung sehen. "Wenn nämlich der Sohn Gottes seiner Lebensgemeinschaft mit den einzelnen Gliedern seines Leibes den höchsten Grad von Innigkeit und die festeste Grundlage geben wollte; wenn die Verbindung des einzelnen Menschen mit Christus als dem Kanale und mit dem ewigen Vater als der Quelle des übernatürlichen Lebens eine in jeder Beziehung vollendete werden, wenn endlich die Einheit des Geschlechtes mit Christus dessen substantielle Einheit mit dem Vater vollkommen darstellen sollte: so war es durchaus angemessen und sogar relativ notwendig, dass der Same des höheren Lebens nicht bloß, in der Mitte des Geschlechtes, sondern auch in jedem einzelnen Gliede desselben substantiell niedergelegt würde, dass zu der auf der Geschlechtseinheit beruhenden bzw. zu der durch die Taufe herzustellenden organischen Verbindung der einzelnen Menschen mit dem Gottmenschen noch eine realere und innigere, eine substantielle Verbindung hinzuträte, in welcher die Glieder nicht nur durch wirkliche Verwandtschaft oder organische Beziehung, sondern durch wirkliche Aufnahme der Substanz ihres Hauptes ein Leib mit ihm würden; dass also das gottmenschliche Haupt nicht bloß virtuell und mittelbar jedem Gliede nahe stünde, wie das Haupt in dem natürlichen Körper, sondern dass es, wie beim letzteren die ihn informierende Seele, mit seiner eigenen Substanz in die einzelnen Glieder einginge, sie durchdringe und sie so mit seiner göttlichen Herrlichkeit und Kraft erfüllte. Die Bedeutung der Eucharistie liegt also darin, dass in ihr die reale Einheit des Sohnes Gottes mit allen Menschen vollendet und besiegelt wird, dass die Menschen ihm vollkommen in der innigsten und realsten Weise inkorporiert werden, um als seine Glieder auch an seinem Leben teilzunehmen." Gott hat den wahrhaft göttlichen Plan der Menschwerdung in einer erweiterten Menschwerdung in denkbar göttlichster Weise vollendet. Dies geschieht durch die heilige Eucharistie, durch die ein jedes Glied des mystischen Leibes nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar mit dem lebenspendenden Haupte in Verbindung steht und zu innigster Einheit mit Christus und durch Christus mit Gott geführt wird. "Ich habe die Herrlichkeit (des göttlichen Lebens), die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins sind" (Joh.17,22f.).

In diese innigste Einheit mit der heiligen Menschheit Christi treten, ist aber unmöglich, ohne in ihre Opferhingabe am Kreuze einbezogen zu werden. "Sooft ihr nämlich dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt" (1 Kor. 11,26). "Die Eucharistie", sagt der heilige Thomas, "ist das Sakrament des Leidens Christi, so dass der Mensch durch seine Verbindung mit dem hingeschlachteten Christus vollendet wird." Essen von Christi Fleisch und trinken von seinem Blute heißt essen von der geopferten Menschheit Jesu Christi. "Haben nicht die, welche die Opfer essen, Anteil am Opferaltare?" (1 Kor. 10, 18). In der heiligen Eucharistie sich von Christus inkorporieren lassen, fordert, von Christi Opfergesinnung beseelt, selbst. eine Opfergabe sein wollen.

Nach dem Willen Christi ist die Eucharistie Opferbrot. Darum muss sie eine Erneuerung oder Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers in sich begreifen. Warum aber soll es Opferbrot und Gegenwärtigkeit des Kreuzesopfers sein? Weil das göttliche Haupt am Kreuze das vollkommene Opfer der ganzen Menschheit dargebracht und darin objektiv und ideell das Menschengeschlecht als Opfergabe vor Gott hingestellt hat. Sooft nun am Menschheitsbaume ein neuer Zweig sich bildet, muss Christus ihm die Möglichkeit bieten, die für ihn schon geschehene Opferhingabe sich persönlich zu eigen zu machen. Er muss dem Einzelgliede die Möglichkeit bieten, in freier Opfergesinnung dem Haupte zu folgen und durch ihn ein Gott angenehmes Opfer zu werden. Die Lebenstat des Hauptes muss ein jedes Glied zu seiner eigenen Lebenstat machen.

Der mystische Herrenleib soll jeweils ein Opferleib sein. Daher setzt der Hohepriester aller Menschen in seinem eucharistischen Opfer für jede Zeit und jedes Glied sein wahres vollkommenes Opfer gegenwärtig.

Weil aber Christus dies nur tun kann, indem er sich der sinnlichen Gaben von Brot und Wein und des priesterlichen Tuns bedient, hat er eine wunderbare Möglichkeit eröffnet, in einer realen und innigen Weise die Opfertat des Hauptes seins- und gesinnungsgemäß sich anzueignen und so in Christus eine Gott annehmbare Opfergabe zu werden. In der heiligen Eucharistie mit der Opfertat seines Hauptes vereint, verharrt der mystische Leib in der heiligsten Opfergesinnung vor Gott und benarrt dadurch in der beseligenden Gottesgemeinschaft.

So wächst die höchste Tat des fleischgewordenen Gottessohnes zur höchsten Tat und zum beseligendsten Sein der Gotteskinder organisch weiter. Dieses hohe Ziel erreicht Christus nur, indem er sich und seine Opfertat in die sakramentale Welt eintreten lässt. Denn in ihr kann er, wie später klar werden wird, wegen der eigenartigen Struktur dieser Seinsart sein Opfer vervielfachen und zum Opfer eines jeden Gliedes machen, - ohne die Einmaligkeit und Absolutheit der Kreuzestat anzutasten.

Ein zweites Mal hat die Anwendung der Ideen und Gesetze der objektiven auf die subjektive Erlösung in die sakramentale Welt hineingeführt. In die sakramentale Welt und in die Ordnung eines autoritativen Lehrinstitutes eintreten heißt in die Welt der Kirche eintreten. Die Tore zur Kirche sind aufgetan.

III. Teil: Die Kirche als Glaubensgeheimnis

I. Kapitel: Gestalt und Sinn der Kirche

Vor seinem Weggange aus dieser Welt hat der Sohn Gottes das Ziel seiner Menschwerdung in die Worte gekleidet: "Ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind. Ich werde in ihnen sein, wie du in mir bist, auf dass sie vollkommen eins sind" (Joh. 17, 22 f.). In engster Verbindung mit der Weitergabe des göttlichen Lebens steht. das Einssein der vergöttlichten Menschen. So finden im Hochgebete des göttlichen Heilandes die Bilder vom Weinstocke und den Reben, vom Haupte und dem Leibe ihre Bestätigung.. Die Menschen können das göttliche Leben nur erhalten, wenn sie als Rebzweige dem vom Vater gepflanzten Weinstocke eingepfropft werden. Ein Gnadenleben gibt es nur im Einssein mit dem mystischen Leibe. Die Erlösung ist stets Eingliederung. Das Leben und Wachsen der Heiligkeit ist stets Gliedleben. Der einzelne lebt aus dem Ganzen, und das Ganze steht und fällt mit dem Leben der Glieder. Dem Einzelmenschen das Heil schenken und den mystischen Leib aufbauen, ist die gleiche Gegebenheit. In der Gemeinschaft mit Christus bleiben und darin sich vollenden, ist notwendigerweise: im mystischen Leibe verharren und ihn zur Vollreife bringen.

Trotz dieser sachlichen Gleichstellung, die dem Ausgangspunkte unserer Darlegungen entspricht, sind wir zur Durchführung unserer Untersuchung gezwungen, vorerst diese zwei Gegebenheiten scharf zu trennen: Gliedwerden und als Glied leben. Einen wilden Schössling auf den Weinstock Christus aufpfropfen, ist ein Sachverhalt, der vom Leben und Fruchtansetzen aus dem Safte unterschieden ist. Zum Einpfropfen oder zum Hereinziehen in den Lebensverband bedarf es an sich anderer Vorrichtungen als zum Fruchtansetzen aus dem ständig hindurch flutenden Safte. Dies lehrt für viele Gebiete die Erfahrung. Darum kann auch in unserem Falle Christus bestimmte Einrichtungen getroffen haben, die nur der Eingliederung, nur der Belebung der Toten dienen. Ganz anderer Mittel könnte er sich dann bedienen, um ein Gottesleben der schon Eingegliederten und ein inneres Wachsen des mystischen Leibes zu ermöglichen. Hält man die ersteren Einrichtungen getrennt für sich, so baut sich vor unseren Augen ein System von Heilsvorrichtungen auf, durch welche der Mittler Christus die einzelnen Menschen entsühnen und begnadigen möchte, damit sie Glieder sein können. Aus ihnen entwickelt sich das Bild einer Heilsveranstaltung Christi. Die Kirche ist vom Gliedwerden her Heilsanstalt. Nimmt man hinwiederum diejenigen Organe für sich, welche das Haupt in seinem Leibe ausgebildet hat, damit die Menschen in Verein mit ihm ein Gottesleben führen können, dann erscheint die Kirche als der mystische Herrenleib. Als die große Opfergemeinde vollzieht dann der Leib in Verein mit dem Haupte die heilige Opferhingabe und besitzt in ihr die selige Gottesgemeinschaft. Als Volk Gottes verharren die Erlösten im ständigen Lobpreise Gottes. Ein doppeltes Kirchenbild tut sich auf: Kirche als Heilsanstalt, Kirche als Herrenleib.

Aber die sachliche Gleichstellung, die zu Anfang hervorgehoben wurde, macht es unmöglich, dass diese gedankliche Unterschiedenheit in voller Schroffheit verwirklicht sein kann. Beide Kirchenbilder müssen irgendwie zusammengehören. Ihre Vereinigung kann nun rein äußerlich, kann aber auch innerlich sein. Christus könnte einen Teil der Kirche zur Heilsanstalt ausgebaut, den anderen zum Herrenleib erhoben haben. Die Heilsanstalt wäre etwa die Vorhalle zum Herrenleibe. Durch eine straffe Eingliederungsschule träten die Menschen in die beglückende Gemeinschaft freier Gotteskinder. So gehörten zwar beide Teile zweckdienlich zusammen, aber diese äußere Einigung würde das Auseinander beider Vorrichtungen und Kirchenbilder bestehen lassen. Ein Auseinander ist immer in Gefahr, zum Gegeneinander zu werden. In einer innerlichen Vereinigung müßten beiderlei Vorrichtungen und Kirchenbilder sich gegenseitig so durchdringen, dass sie in ihrer Sinndeutung und in ihrem Aufgabenkreise sich schnitten und ineinander verschmolzen wären. Dann wäre die Heilsanstalt auch der Herrenleib, und der Herrenleib würde die Heilsanstalt in sich setzen. In großartiger Einheit stände die erweiterte Menschwerdung da. Die Kirche wäre dann ein reines Spiegelbild der Fleischwerdung und der objektiven Erlösertat.

Obwohl wir ahnen, welchen Plan Christus verwirklicht hat, so dürfen wir doch nicht bloß gefühlsmäßig einer Lösung zustimmen und auf dieser dürftigen Grundlage ein begeistertes Loblied der Kirche singen. Wir müssen vielmehr dieses Idealbild von der Kirche aus den bisher gewonnenen Grundlagen organisch herauswachsen sehen. Dann gewinnen wir erst Einblick in die Werke Gottes.

Schritt für Schritt haben wir aus den Gesetzen des objektiven Heilswerkes die Struktur der subjektiven Erlösung gewonnen. So soll jetzt aus der Grundstruktur der Eingliederung die Gestalt der Kirche organisch herauswachsen und ihr gottgewolltes Sein und Wirken aus den Gesetzen des irdischen Christuslebens und des erhöhten Christusseins gedeutet werden. Der Eingliederungsgedanke führt aber zunächst zum Bilde der göttlichen Heilsanstalt.

1. Die Heilsanstalt Christi

Die Kirche ist durch die Sakramente die übernatürliche Quelle des Heils

Ausgangspunkt und Grundlage alles Gliedwerdens ist der Glaube. Wer nicht vernommen hat, dass Jesus Christus der Mittler und Lebensquell unseres Geschlechtes ist, kann sich seinem belebenden Einflusse nicht hingehen. Wie aber könnte der Mensch von Wahrheiten, die wegen ihres übernatürlichen Charakters allem Suchen seines Verstandes entrückt sind, Kenntnis nehmen, wenn sie ihm nicht kundgetan werden? Zwei Wege des Kundtuns sind möglich, seitdem der fleischgewordene Gottessohn beim Vater weilt: ein unsichtbarer Weg, auf dem der erhöhte Christus in rein innerlicher Weise den einzelnen Menschen anspricht, oder ein sichtbarer Weg, den Paulus im Römerbriefe treffend geschildert hat: "Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie von ihm hören, wenn ihnen niemand predigt? Wie kann man predigen, wenn man nicht gesandt ist?" (Röm.10,14f.).

Den Weg bloß innerlicher, unmittelbarer Beeinflussung jedes Einzelmenschen – man könnte ihn den Weg der Privatoffenbarung nennen - hat Jesus nicht gewählt. Warum er ihn nicht wählte, liegt in der Natur des Menschen und im Sinn der Menschwerdung tief begründet. Er wäre weder dem Ausgangs- noch dem Zielpunkte der Glaubensvermittlung entsprechend.

Er widerspricht der Menschennatur. Der Mensch ist im natürlichen Wissen vollständig auf die Gemeinschaft seiner Mitmenschen angewiesen. Das Werden seiner natürlichen Kenntnisse baut auf dem Unterrichte und der Weisheit der Älteren auf. Selbst sein eigenständig erarbeitetes Wissen will der Mensch an der Zustimmung der Mitmenschen messen. "Der Mensch ist aber durch ein von Natur ihm gegebenes Bedürfnis zur Berichtigung und Befestigung seiner Meinungen und Urteile auf seine Mitmenschen angewiesen: er wird nur dann ruhig, wenn er sie außer sich wiederfindet; und seine Subjektivität scheint ihm in dem Maße objektiv zu werden oder zu sein, je öfter sie sich außer ihm vervielfältigt; ein Beweis, wie alle Menschen ein zusammengehöriges Ganzes bilden. Der unsichtbare Weg der Privatoffenbarung zerrisse dieses Naturgesetz der Zusammengehörigkeit. Eine jede Seele stände allein dem sich unsichtbar offenbarenden Gotte gegenüber. "Das übernatürliche Leben bedeutete so im Gegensatz zum natürlichen geradezu die Aufsplitterung der Gemeinschaft, die Zerreibung der Menschheit in einen Berg von geistigen Sandkörnern ohne Bindemittel im Heiligsten." Religion wäre eine völlige Privatsache geworden. So kann Gott nicht wählen, der sich stets der Natur angleicht und gerade im Geheimnisse der Erbschuld und Erlösung deutlich gezeigt hat, dass er nicht in erster Linie den Einzelmenschen, sondern das Geschlecht sieht.

Ein solcher Weg stände in vollem Gegensatze zur Inkarnation des Sohnes Gottes. Das erweiterte Mittlerwirken Jesu Christi widerspräche seiner einmaligen irdischen Lehrtätigkeit. "Hätte sich dasselbe (das göttliche Wort) den Herzen der Menschen eingesenkt, ohne die Knechtsgestalt anzunehmen, und somit überhaupt ohne auf eine leibliche Weise zu erscheinen, so würde es auch nur eine unsichtbare, innere Kirche gestiftet haben. Indem nun aber das .Wort Fleisch geworden ist, sprach es sich selbst auf eine äußerlich wahrnehmbare, menschliche Weise aus, es redete als Mensch zu Menschen und litt und wirkte nach Menschenart, um die Menschen für das Reich Gottes wiederzugewinnen, so dass das Mittel, das zur Erreichung dieses Zieles gewählt wurde, der durch die Natur und die Bedürfnisse des Menschen bedingten allgemeinen Unterrichts- und Erziehungsmethode völlig entsprach. Dies war entscheidend für die Beschaffenheit jener Mittel, durch welche der Sohn Gottes auch noch nach seiner Entrückung aus den Augen der Welt in der Welt und für die Welt wirken wollte. Hatte sich die Gottheit in Christo in gewöhnlicher menschlicher Weise tätig erwiesen, so war damit die Form, in welcher sein Werk fortgesetzt werden sollte, gleichfalls bezeichnet. Die Predigt seiner Lehre bedurfte nun einer sichtbaren, menschlichen Vermittlung und musste sichtbaren, nach gewöhnlicher Art lehrenden und erziehenden Boten anvertraut werden, Menschen mussten zu Menschen sprechen und mit ihnen verkehren, um das Wort Gottes zu ihnen zu bringen."

Wer den Sinn der Menschwerdung erfasst hat und einen organischen Zusammenhang zwischen dem irdischen und dem erweiterten Wirken Christi verlangt, muss jede nur unsichtbare, rein private Belehrung von Seiten des himmlischen Hauptes als untragbar verneinen.

Aus dieser Negation folgt notwendigerweise eine Position: Christus hat durch irdisches Lehren seine Gottesweisheit anderen Menschen anvertrauen wollen, welche sie in gewohnter Weise von Geschlecht zu Geschlecht .weitertragen sollen. Menschen lehren, was er sie gelehrt; Menschen verkünden, was er aufgetragen. Menschen sind die sichtbaren Werkzeuge, durch welche Jesus Christus die mittlerischen Funktionen seines Lehramtes fortsetzt. Wenn die Menschen einem fleischgewordenen Gottesworte glauben sollen, wenn Jesus Christus als Mensch den Glauben in ihnen erwecken soll, dann muss dieser fleischgewordene Gott sie lehren durch menschliche Boten, die seine hoch heilige Menschheit vertreten.

Es gibt aber noch eine andere sichtbare Vermittlung, die der Erweckung des Glaubens dienen kann, nämlich die Schrift. Wir wissen jedoch, dass Christus seine Lehre nicht aufgezeichnet noch befohlen hat, sie aufzuzeichnen, vielmehr einzig befahl, zu lehren, was er gesagt habe. "Geht hin und lehret alle Völker; lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe“ (Matth. 28, 19). Die heiligen Schriften sind nicht unmittelbar Schrift Jesu, sondern Niederschlag der apostolischen Predigttätigkeit. Dabei bleibt bestehen, dass die Heilige Schrift einen kostbaren Schatz von einzigartigem und unersetzlichem Werte bildet. Sie ist eben der erste Niederschlag der Lehrverkündigung, verdankt dem besonderen Antriebe des Heiligen Geistes ihren Ursprung und erfreut sich seiner besonderen Vorsorge. Wegen der Verknüpfung der Heiligen Schrift mit dem Lehrauftrage Christi ist die Heilige Schrift nicht das geoffenbarte Buchstabenwort, an das der Glaube sich mechanisch festbindet. Sie ist unter der Hilfe des Heiligen Geistes aus dem lebendigen Worte der Glaubensboten geboren und von ihnen auch bezeugt. Darum wird die Heilige Schrift vom Gläubigen nicht als historisches Produkt gelesen, sondern fort und fort aus dem Munde der jeweiligen Glaubensboten als das von ihnen immerdar bestätigte und darum stets gegenwärtige Wort Gottes vernommen und angenommen.

Wir dürfen es auch innerlich begründet finden, dass das fleischgewordene Wort sich nicht der Schrift, des toten Kunstproduktes, bediente. Wie er mit dem Vater den Heiligen Geist aushaucht, so spricht er sein lebendiges Innere in das lebendige, zündende Wort aus. Auf Menschen wirkt das gesprochene Wort viel natürlicher und tiefer ein als ein Buch. Dieses ist weniger Ausdruck des Menschenwesens, denn Zeuge seiner Bildung. Auch würde die schriftliche Aufzeichnung und Vermittlung der mit der subjektiven Erlösung stets intendierten Absicht Jesu, die Gemeinschaft seines mystischen Leibes aufzubauen, entgegenstehen. Doch dürfen wir diesen Grund hier noch nicht geltend machen, weil er aus dem Rahmen einer bloßen Heilsanstalt schon herausführt. Aber er schenkt uns einen ersten Hinweis auf eine innerliche Durchdringung der beiden Kirchenbilder.

Entsprechend seinem Charakter als menschgewordenem Gottesworte und parallel zu seiner irdischen Lehrtätigkeit wählte der Gottmensch Jesus Christus statt der Schrift das durch Menschen zu vermittelnde Wort. Dadurch blieb die Verkörperung göttlicher Wahrheit, die wir im Gottmenschen begreifen, nicht auf einen kurzen Augenblick beschränkt. In der Form der lehrenden Glaubensboten wurde sie abermals lebendig nachgebildet. Sie repräsentieren mit aller Deutlichkeit Christus, den Mund Gottes.

Weil die lehrenden Boten die heilige Menschheit Christi fortbilden, verwirklichen sie in der erweiterten Inkarnation das göttliche Gesetz, dem jene im Erlöserwirken diente: die Heranziehung der Zweitursachen. Menschliche Kraft und menschliches Tun wird organisch in die Verwirklichung der Gliedschaft eingebaut.

Aber das Wirken der Zweitursachen birgt die Gefahr in sich,. das erstursächliche Arbeiten Gottes zu verdunkeln. Das darf aber nicht sein. So könnte auch hier die Gefahr auftauchen, dass die Weitergabe der frohen Botschaft durch Menschen das Lehren des absoluten Menschheitslehrers Christus in den Schatten stellte. Es muss daher an dieser menschlichen Weitergabe etwas aufzuweisen sein, was sie eindeutig als Lehren Christ:, als sein erweitertes Mittlerwirken charakterisiert. Die menschlichen Boten müssen unzweideutig als lediglich stellvertretende Boten zu erkennen sein. Diese Aufgabe löst die Mitgabe der göttlichen Autorität.

An sich wäre es denkbar, dass Jesus die Verkündigung der frohen Botschaft sich so gewünscht hätte, dass ein jeder, der ihren heilsamen Frieden an sich verspürte, sie beglückt weitergetragen hätte. In einer freien Weitergabe wanderte dann das Wort Gottes um den Erdkreis. Wenn dem so wäre, dann müsste gefragt werden: Hat denn der Gottmensch, der schon in seinen irdischen Tagen erleben musste, dass die Menschen den kostbaren Inhalt seiner Lehre missdeuteten, solche Gefahren bei einer freien Weitergabe der Frohbotschaft nicht vorausgesehen und nicht befürchtet? Sollte er nicht der Tatsache gesteuert haben, dass Unsicherheit und Zweifel entstehen, dass man sagt: Hier ist Christus und da ist Christus, wo er nicht ist? Darf er, der absolute Menschheitslehrer, es zulassen, dass dann notgedrungen an seine Stelle menschliche Autoritäten, Führerpersönlichkeiten, Schulautoritäten sich setzen? Ist Christus das lehrende Haupt, will er alle durch das Mittel menschlicher Boten lehren, dann muss es durch Boten geschehen, die mit seinen Worten auch seine Sicherheit, seine Unfehlbarkeit, seine Autorität mit sich tragen. Boten muss er aussenden, von denen er das kühne Wort wagen kann, ja wagen muss: "Wer euch hört, hört mich; wer euch verachtet, verachtet mich" (Lk. 1, 16). Erst so ist in der Fortsetzung seines Lehramtes auch die göttliche Seite seines Lehrerseins zum Ausdruck gebracht. Nur die mitgegebene göttliche Autorität der Glaubensboten sichert die absolute Autorität des Menschheitslehrers. Die Ausstattung mit seiner göttlichen Autorität, die kein bloßer Mensch aus sich beanspruchen kann, lässt im Wirken der menschlichen Boten seine gottmenschliche Erstursächlichkeit nicht verdunkelt erscheinen, sondern erst recht deutlich werden. "Die Autorität der Kirche vermittelt dagegen alles, was in der christlichen Religion auf Autorität beruht und Autorität ist, d. h. die christliche Religion selbst: so dass uns Christus selbst nur insofern die Autorität bleibt, als uns die Kirche Autorität ist. Eine äußere Autorität, wie Christus, können wir uns nie rein geistig vermitteln, es enthielte einen Widerspruch, zu dessen Beseitigung nur eins von beiden am Ende übriget: entweder gänzlich darauf zu verzichten, dass in Christo Gott zu dem Zwecke in die Geschichte eingetreten sei, dass die Menschheit bleibend durch ihn bestimmt werden solle, oder die Tatsache durch eine lebendig und bestimmt sprechende Tatsache zu vernehmen. Autorität bedarf also zu ihrer Vermittlung der Autorität. Indem Christus die zureichende Autorität für alle Zeiten sein wollte, schuf er durch dieselbe etwas ihr Gleichartiges, eben darum sie Bezeugendes und Darstellendes, das ewig die seinige den Geschlechtern der Menschen nahe zu bringen die Bestimmung hat; er gründete ein glaubwürdiges Institut, um den wahren Glauben an sich fortwährend möglich zu machen.“ Nur in den autoritativ sprechenden Glaubensboten hören wir mit Sicherheit Christus sprechen. In ihren Worten kündet wahrhaft Christus und nur Christus seine frohe Botschaft seinen Brüdern.

Christus ist es, der lehrt. So darf man mit vollstem Rechte sagen, da im Wirken Christi mittels bevollmächtigter Boten die Bedingungen erfüllt sind, die für das erweiterte Mittlerschaffen im letzten Abschnitte erhoben wurden. Sein Wirken verbleibt durch seine Boten in Raum und Zeit. Aber durch seine Autorität ist es ein Wirken des erhöhten Christus. Er bezieht die menschlichen Zweitursachen ins Werk der Erlösung ein, doch lassen sie das einmalige Lehren des irdischen Christus nur um so heller erstrahlen.

Der Glaube ist das Fundament der Rechtfertigung. Diese Grundlage hat sich auch für die Gestalt und Sinndeutung der Kirche grundlegend erwiesen. Denn aus ihr erwächst die Organisation der von Christus bevollmächtigten Boten. Das erweiterte mittlerische Lehren uns er es Hauptes verkörpert sich in der Gestalt einer lehramtlichen Organisation. Vor unserer subjektiven Glaubenszustimmung erhebt sich als eine Heilsveranstaltung Christi eine Lehrorganisation. Vor jeder Eingliederung trägt die Kirche schon Gestalt und Form: das Bild der göttlichen Lehrmeisterin. Seinen tiefsten Sinn hat das Geheimnis der Menschwerdung erschlossen.

Die Eingliederung in den Weinstock Christus hat durch die gläubige Hingabe an Christi Wort in seinen Boten ihren Anfang genommen. Im Glauben hat sich eine erste Verbindung der Menschen mit der belebenden Menschheit Christi vollzogen. Sie findet ihre Fortsetzung im Bade der Wiedergeburt, in dem der Mensch dem alten, sündigen Adam abstirbt und im himmlischen Adam neu ersteht. Nun ist der Mensch dem göttlichen Weinstocke aufgepfropft und lebt aus dessen Kraft. Aber diese sog. virtuelle Eingliederung zielt noch über sich hinaus. Die seinsmächtigste und innigste Vereinigung mit dem Haupte hat Christus dem Sakramente seines Fleisches und Blutes zugewiesen. In ihm wird das Glied wahrhaft mit Christus eins, ganz in Christus umgebildet und in seine heilige Opferhingabe hineingezogen. jetzt ist der Mensch der beseligenden Gottesgemeinschaft würdig.

Den heilsnotwendigen Anschluss an seine heilige Menschheit hat Christus in diesen Geschehnissen an irdische Zeichen und Worte gebunden. Denn zu Nikodemus spricht er von dem Wasser und dem Heiligen Geiste, durch die der Mensch wiedergeboren werden müsste; und er befiehlt seinen Jüngern: "Gehet hin und taufet alle im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" (Matth.28, 19). Beim letzten Abendmahle sehen wir ihn Brot und Wein in seine Hände nehmen, und zu den Aposteln sprechend: "Das ist mein Leib", reicht er ihnen sein Fleisch und Blut für das Leben der Welt. Bedeutungsvoll fügt er hinzu: "Tut dies zu meinem Andenken '" (Lk. 22, 19f.). Dadurch hat Christus das Wiedergeborenwerden aus Gott und das Besitzen des Lebens, ja das Auferwecktwerden am Jüngsten Tage - durch diese Ausdrücke kennzeichnet er selbst die Wirkung dieser irdischen Dinge und Formen (Joh. 3, 5; 6,48ff.) - an Gegenstände und Geschehnisse dieser materiellen Welt geknüpft. Eindeutig ist damit zum Ausdruck gebracht, dass die übernatürliche Gnade und Gotteskindschaft nicht in rein unsichtbarer Weise vom Haupte an die Glieder weitergegeben wird. Ihre Mitteilung ist an sichtbare Organe und Werkzeuge gebunden. Diese sichtbaren Kanäle der Christusgnaden sind die vom Hohenpriester bestimmten Wege der Gliedschaftsverwirklichung. Wir nennen diese Art der Gnadenvermittlung die sakramentale Gnadenvermittlung. Taufe, Eucharistie und andere heilige Zeichen, welche Christus zur Vermittlung gewählt hat, bilden den sakramentalen Heilsorganismus. Wir sehen davon ab, wie viele solcher Gnadenzeichen Christus bestimmt hat, da es in diesem Zusammenhange nicht auf die Zahl, sondern nur auf die Tatsache der sakramentalen Ordnung ankommt. Auch ist es nicht von grundlegender Bedeutung, ob und wie auch außerhalb der Sakramente Gnadenempfang möglich ist.

Die Angemessenheit der sakramentalen Gnadenvermittlung hat der heilige Thomas durch einen dreifachen heilspädagogischen Gesichtspunkt zu bestimmen versucht. "Aus einem dreifachen Grunde sind Sakramente zum Heile der Menschen erfordert. Der erste ergibt sich aus der eigenartigen Veranlagung der menschlichen Natur, durch Körperliches und Sinnhaftes zum Geistigen und Seelischen emporzusteigen. Nun entspricht es aber der göttlichen Vorsehung, für jedes Wesen seiner Veranlagung gemäß zu sorgen. Darum verleiht die Weisheit Gottes dem Menschen die Heilsmittel entsprechenderweise unter körperlichen und sinnfälligen Zeichen, die man Sakramente nennt. Die zweite Begründung entnimmt man dem Sündenzustande des Menschen. Aus Begierde hat er sich den körperlichen Dingen hingegeben. Ein Heilmittel soll aber dem Menschen an der Stelle verabreicht werden, wo die Krankheit sitzt. Darum war es angemessen, dass Gott durch körperliche Gegebenheiten dem Menschen die Seelenmedizin darreichte. Wäre ihm nämlich das Geistige rein in sich dargeboten worden, so hätte sich der Geist des Menschen, weil dem Körperhaften verschrieben, ihm nicht zugewandt. Die dritte Begründung entspringt dem Drang der Menschen nach Betätigung. Menschliche Arbeit kreist aber vorzüglich um die Körperwelt. Zu hart wäre es dem Menschen gefallen, sich einer körperlichen Betätigung gänzlich zu enthalten. Deshalb wurde ihm in den Sakramenten eine sinnhafte Betätigung ermöglicht, deren er sich mit heilbringendem Nutzen widmen kann. Damit wird abergläubischer und schädlicher Übung vorgebeugt. So wird der Mensch durch die sakramentale Ordnung entsprechend seiner Natur durch sinnfällige Mittel emporgezogen; er übt sich aus der Erkenntnis heraus, dass er den Körpern verhaftet ist, in der Demut, weil durch Materielles ihm geholfen wird; er enthält sich schädlichem Tatendrang durch die heilsamen sakramentalen Handlungen." Eine feine Beobachtung der menschlichen Natur spricht aus diesen Worten und offenbart die sakramentale Heilsvermittlung als eine geschickte und nützliche Anpassung göttlichen Wirkens an die Bedürfnisse des Menschen. Man kann diese Ausführungen des Aquinaten noch um einen Gedanken verstärken. Es geht dadurch von der sichtbaren Welt eine Beeinflussung des Geistes aus, die bis in sein Innerstes dringt. Das liegt in ihrer Symbolkraft und konkreten Bestimmtheit. Die konkrete Bestimmtheit der Sakramente wird dem heilsuchenden Menschen zu einer Versicherung seines Gnadenlebens. Eine unsichtbare Wirklichkeit ist die Gnade, deren Teilhabe uns nie bewusst würde, wenn die sichtbaren Sakramente uns nicht als Herolde und Zeugen dienten.

Gottes Werke werden jedoch nie groß genug angeschaut, wenn sie vom Menschen her beurteilt werden. Wer die sakramentale Welt nur heilspädagogisch schaut, denkt nicht tief und göttlich genug. Er würde vor allem dem Christologischen unseres Heils zu wenig gerecht. Ein Vergleich mit dem paradiesischen Urzustande klärt uns darüber auf. Schauen wir auf den ursprünglichen Schöpfungsplan Gottes im Urzustande, so zeigt sich, dass wir auch dort einer ähnlichen Vermittlung göttlicher Gnaden begegnen. Im Urzustande wäre die Vermittlung der Kindschaft Gottes an den Zeugungsakt gebunden gewesen, wenn auch nicht an ihn als das bezeichnende und verursachende Sakrament, so doch als den nicht zu umgehenden Durchgangspunkt. Man kann nun nicht gut sagen, dass diese Verknüpfung an einen rein natürlichen Akt - also nicht etwa wie bei der Taufe an einen eigens bestimmten Akt - gewählt sei, um den Nachkommen Adams die ihnen mitgeteilte Gnade besonders klar zum Bewusstsein zu bringen. Der Grund ist vielmehr darin zu suchen, dass Gott die Gnade als Geschlechts- und Erbgut schenkte. Er wollte die übernatürliche Fruchtbarkeit mit der natürlichen Fruchtbarkeit des Geschlechtes verknüpfen, aus beiden ein harmonisches Ganzes bildend, der einen die natürliche Unterlage bietend, der anderen die übernatürliche Weihe schenkend.

Wegen dieser Gegebenheit im Urplane muss sich in der sakramentalen Ordnung mehr aussprechen als eine feine Anpassung an den Menschen oder gar eine Heilspädagogik für den gefallenen Menschen. In der Tat sollte durch die sakramentale Ordnung der Urplan des Paradieses im Erlösungsplane noch übertroffen werden. In seiner meisterlichen Art zeichnet ihn Scheeben: "Dass im Gottmenschen eine göttliche Person selbsteigen in eine sichtbare Natur hinein- und in derselben und durch sie an die Menschen herantrat, hat seinen Grund nicht bloß darin, dass es dadurch dem Menschen möglich würde, unter der sichtbaren Hülle seinen Gott leichter zu fassen und zu lieben, sondern noch mehr darin, dass diese göttliche Person dadurch im vollsten Maße sich nach außen offenbarte und in der innigsten und universalsten Weise mit dem Menschengeschlechte in Verbindung trat. Nur durch diesen Eintritt in die sichtbare und leibliche Menschennatur konnte der Sohn Gottes einen mystischen Leib gewinnen, indem er mit einem ganzen Geschlechte, dessen Einheit wesentlich durch seine Leiblichkeit bedingt ist, sich vereinigte und dieses ganze Geschlecht in sich aufnahm. Da nun die vom Sohne Gottes angenommene leibliche Natur als solche die wesentliche Bedingung seiner Einheit mit dem Geschlechte, diese Einheit aber wiederum der Grund der höchsten Erhebung des Geschlechtes und damit zugleich der Teilnahme desselben an der übernatürlichen geheimnisvollen Kraft seines Hauptes ist: so war es ganz natürlich, dass die geheimnisvolle Gnadenkraft des Sohnes Gottes nur durch das Vehikel seiner leiblichen Menschheit in das Geschlecht eintrat. Und nicht bloß war dieses Gebundensein der Gnadenkraft an ein leibliches Vehikel hier ganz selbstverständlich, wir müssen auch hinzufügen: diese Verbindung war, weit entfernt, die Gnade oder ihren Empfänger herabzuwürdigen, im Gegenteil gerade dazu angetan, beide weit mehr zu ehren und zu verherrlichen, als sie ohne eine solche Verbindung geehrt und verherrlicht worden wären. Denn gerade da wird die Gnade am meisten verherrlicht, wo sie nur auf Grund einer unaussprechlich innigen, persönlichen Verwandtschaft mit Gott, dessen Natur sich in ihr ausgießt, mitgeteilt wird; und nirgendwo wird auch der Empfänger der Gnade mehr geehrt als da, wo er nicht als Fremder, sondern als Glied des eingeborenen Sohnes Gottes mit den Vorzügen desselben überschüttet wird.

Die erhabenste Verbindung Gottes und seiner übernatürlichen Gnadenkraft mit der sichtbaren, materiellen Natur geschieht also gerade durch den sakramentalen Charakter des Gottmenschen, dadurch, dass sein Fleisch wahrhaft und wesentlich die Fülle der Gottheit in sich enthält und damit zu einer caro vivificans wird, aus der für uns das übernatürliche Leben sprudelt. Natürlich wird damit auch das Fleisch selbst auf wunderbare Weise verherrlicht, indem es als Träger einer übernatürlichen Kraft auftritt, und zwar wird es in Christus noch unendlich mehr verherrlicht als bei Adam. Bei Adam war es nur der Konduktor der Gnadenkraft, die nicht wesentlich und substantiell mit ihm verbunden war; im Gottmenschen aber wird es, gleichsam als Glied der göttlichen Person, auch das wirkliche Organ derselben in ihrer übernatürlichen Wirksamkeit.

Wenn nun aber einmal das Christentum in seiner Grundlage durch und durch sakramental ist, und wenn eben diese Sakramentalität es in der ganzen Größe seines übernatürlichen, geheimnisvollen Wesens darstellt, dann muss natürlich auch das ganze auf jener Grundlage sich erhebende Gebäude einen sakramentalen Charakter an sich tragen. Ist einmal der Sohn Gottes im sichtbaren Fleische der Menschheit nahegetreten und hat er in diesem Fleische seine wunderbare Kraft niedergelegt, dann muss auch seine fortwährende Gegenwart hienieden, seine substantielle Vereinigung mit der ganzen Menschheit und seine übernatürliche Wirksamkeit in derselben sich in sakramentaler Weise vollziehen; sonst würde der Aufbau seiner Grundlage nicht entsprechen, würde der heranwachsende Baum von der in seiner Wurzel liegenden Idee und Tendenz abweichen.

Wie der Sohn Gottes durch die Menschwerdung seine leibliche Einheit mit dem Geschlechte zur Grundlage seiner übernatürlichen Einheit mit demselben machte, so musste er auch diese letzte Einheit dadurch krönen, dass er die erstere zum Abschluss brachte; das tat er, indem er sich der leiblichen Nahrung substituierte, dieselbe in sein Fleisch und Blut verwandelnd. Und da er nun seinem eigenen Fleische eine so wunderbare Fruchtbarkeit verliehen, so musste er dieselbe auch von da aus in seinen mystischen Leib, die Kirche, und in die ihr dienenden materiellen Elemente ausgießen. Daher ließ sich die vergöttlichende, übernatürliche Kraft des Gottmenschen, welche den Geist des Menschen und den Leib desselben erheben und verklären sollte, bis in die Tiefe der materiellen Natur herab, um von da aus den Geist, wie von beiden Seiten, von oben und von unten, ihn umspannend, zu durchdringen und zu verklären. Gerade die materielle Natur, die sonst den Geist von seiner natürlichen Höhe herabzuziehen geeignet ist, wurde durch die Inkarnation so hoch erhoben, dass sie fortan in der Kraft Gottes zur übernatürlichen Erhebung des Geistes mitwirken sollte. Das ist die erhabene Idee, welche wir uns von dem sakramentalen Organismus des Christentums und von dem Wesen und der Bedeutung der sakramentalen Mysterien in demselben zu machen haben."

Im Mittelpunkte dieser erhabenen Idee steht der Entschluss Gottes: Weiterführung des Ursakramentes. In der Menschwerdung hat Gott eine sichtbare Natur zum Organ der Gottheit gemacht. Darum begegnet uns in den Sakramenten ein ähnliches Verbundensein von Natürlichem und Übernatürlichem. Gott baut den Urquell und das erste, übervolle Gnadenorgan in ähnlich strukturierten Organen und Gnadenkanälen weiter aus. Am deutlichsten und tiefsten offenbart sich dies am Sakramente der Eucharistie, dem Mittelpunkte der sakramentalen Welt. Durch nichts hätte Christus die Bezogenheit der sakramentalen Welt auf seine gnadenvolle Menschheit deutlicher zum Ausdruck bringen können, als dadurch, dass er das Sakrament seines Fleisches und Blutes zur Zentralsonne der sakramentalen Welt machte. Durch diese Bezogenheit auf das Ursakrament erhält die sakramentale Welt einen so ausgeprägt christologischen Stempel, dass sie immerfort Christus als den Hohenpriester und seine heilige Menschheit als die Opfergabe bezeugt.

Gleich als ob diese Bezeugung nicht eindringlich genug geschehen könnte, hat Christus sie noch in einer anderen Eigenschaft des sakramentalen Organismus niedergelegt. Das Dingliche und Unpersönliche des Sakramentalismus oder der Charakter des opus operatum ist ein laut kündender Hinweis auf Christi einziges Priestertum. Nicht mit der sittlich religiösen Betätigung des Gläubigen oder des Priesters, sondern mit der objektiven Setzung des Gnadenzeichens ist die Gnade Christi verbunden. Nicht das menschliche Wirken schafft das neue Leben, nicht das Glauben und Büßen des Sünders - das sind nur Vorbedingungen, außerdem noch von der zuvorkommenden Gnade getragen, um Hindernisse wegzuräumen, das Ventil offen zu stellen -, sondern etwas ganz Unpersönliches, ein an sich totes Zeichen, an sich tote Worte des Spenders bringen das Heil ex opere operato hervor. "Die Formel ex opere operato will also gerade das Tiefste im Christentum wahren, das wofür der heilige Paulus litt und stritt, die völlige Ungeschuldetheit der Gnade und den Gedanken, dass Christus ist ,alles in allem'. Weil darum das Unpersönliche des Sakramentsbegriffes unmittelbar aus dem Herzen des Christentums quillt, darum ist es so alt wie das Christentum selbst und so alt wie der Leib Christi, die Kirche... Da, wo Christus im Mittelpunkt steht, wo mit dem Wort Ernst gemacht wird, dass wir aus Seiner Fülle alles empfangen haben, da scheiden alle menschlichen Heilsursachen aus. Da gibt es keine menschlichen Mittler, wie Augustin gegen die Donatisten bemerkt. Da ist Christus allein am Werk. Als in der korinthischen Gemeinde sich einzelne Gläubige an charismatische Persönlichkeiten anschlossen und eine Petrus-, Paulus- und eine Apollogemeinde bildeten, als ob sie ihr Heil auf diese menschlichen Persönlichkeiten bauen wollten, da wehrte sich Paulus mit der flammenden Glut des Christuszeuge gegen solche Vermenschlichungen des Evangeliums. ,Was ist denn Apollo, was Paulus, ... Diener dessen, durch welchen ihr gläubig geworden seid... einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist: Jesus Christus' (1 Kor. 3, 4). Um die Herausstellung und Sicherung dieser Grundlage des Christentums handelt es sich im kirchlichen Sakramentsbegriff. In Jahrhunderte langen Kämpfen gegen die Montanisten, Novatianer und Donatisten und späterhin wieder gegen die Waldenser, Albigenser und Hussiten wiederholte die Kirche das Wort des heiligen Augustin: ,Die Sakramente heiligen durch sich selbst, nicht durch die Menschen.' Denn nicht die Menschen taufen und absolvieren, sondern Christus allein. Indem das christliche Sakrament gerade durch seinen unpersönlichen Charakter alle menschlichen Zwischenautoritäten ausschaltet, gewährleistet es den unmittelbaren, freien Lebensaustausch zwischen dem Haupt und seinen Gliedern."

So sind in der sakramentalen Organisation verwirklicht: feinste Anpassung an die Menschennatur, Heiligung und Erhöhung der materiellen Schöpfung, folgerichtige Weiterführung der Menschwerdung des Sohnes Gottes, Betonung der lebenspendenden Menschennatur des Gottmenschen, Bezeugung der Ungeschuldetheit des neuen Lebens, stärkster Hinweis auf Christi alleiniges Hohepriestertum. Zugleich hat damit der Herr entsprechend der Zweitursächlichkeit seiner hoch heiligen Menschennatur auch zur Gliedschaftsverwirklichung geschöpfliches Sein und Tun herangezogen. Aber es dient dazu, seine Erstursächlichkeit um so mehr hervorleuchten zu lassen.

Die Anlehnung an die heilbringende Menschheit Jesu Christi schafft zur Belebung und Begnadigung der Menschen die sakramentale Organisation. Diese sakramentale Organisation, von Christus eingerichtet, steht somit als etwas Fertiges vor dem, der sich gläubig dem Worte Gottes geöffnet hat. Wer sich seinem absoluten Lehramte, verkörpert in den autoritativ lehrenden Boten, beugt, der gibt sich nunmehr seinem vollkommenen Hohenpriestertume, das in den Sakramenten verkörpert ist, hin. Raum zu schaffen für dieses erweiterte Mittlerwirken des ewigen Hohenpriesters ist der Sinn der sakramentalen Welt. Mit dieser Sinngebung hat Christus die Gestalt seiner Kirche geprägt. Seine Kirche stellt sich dar als eine sakramentale Heilsanstalt. Als sakramentale Heilsanstalt ist sie das Organ des Hohenpriesters Jesus Christus.

Fordert die sakramentale Organisation notwendigerweise auch ein kirchliches Priestertum? Sind sakramentale Heilsanstalt und Priesterkirche identisch?

Zunächst scheint diese Frage verneint werden zu müssen. Es ist nämlich nicht einzusehen, dass es zur Bedienung der sakramentalen Organisation unbedingt eines besonderen Priesterstandes bedarf. Warum sollte nicht der Mensch sich selbst ihrer bedienen? Warum sollte nicht der Gläubige in wahrer Bruderliebe dem Gläubigen helfen, indem sie sich gegenseitig als ein wahrhaft priesterliches Geschlecht die Gaben des Hauptes vermitteln? Man möchte hier an die Worte Schells denken: "Immer aber ist es nicht der Mensch selbst, sondern der Nächste, der ihm das Sakrament spendet; das ist die priesterliche Weihe, welche die, Nächstenliebe von der Gnadenordnung empfangen hat als die große Diakonie der Heilsgnade." Es bedarf ja bei der Taufe und Ehe nicht notwendig des Priesters. Darum dürfen wir aus der sakramentalen Organisation an sich höchstens auf das allgemeine Priestertum des Volkes Gottes schließen.

Vom allgemeinen zum besonderen Priestertume dürfte am klarsten der Mittelpunkt der sakramentalen Welt, die heilige Eucharistie, weiterführen. Scheint zunächst der Vollzug dieses Sakramentes besonders leicht durch jeden Gläubigen geschehen zu können, so fordert doch gerade dieses Sakrament am stärksten den menschlichen Priester, weil es ein Opfer ist. Vergegenwärtigen wir uns, was früher von Priester und Opfer gesagt wurde, dann begreifen wir, dass hier der besondere Priesterstand in Erscheinung tritt. Die Heiligung des Volkes Gottes und seinen Eintritt in die Gottesgemeinschaft hat Gott durch die Einschaltung des kirchlichen Priestertums von der unsicheren Basis ethischer Heiligkeit - denn unsicher und unvollkommen ist, solange wir auf Erden leben, selbst die Heiligkeit der Gotteskindschaft – auf die sichere und vollkommene Grundlage der sakralen Heiligkeit eines Priestertums verlegt. Damit ruht die Heiligung des Volkes auf einer sakralen Heiligkeit, die, wie das Lehramt an der Autorität Christi teilhat, an der sicheren, vollkommenen Sakralität Christi Anteil erhalten hat. Mit solcher Hilfe pflegt Christus unter Ausschaltung aller Abhängigkeit vom menschlich Unsicheren in seinem mystischen Leibe das absolut vollkommene Opfer weiter. Wenn aber die heilige Eucharistie in der Hand eines gesonderten Priestertums liegt, dann auch die Bedienung der ganzen sakramentalen Organisation, die ja ein Rankenwerk um die heilige Eucharistie ist; es sei denn, dass Notwendigkeiten wie bei Taufe und Ehe es anders fordern.

Ein Bedenken gegen die Stringenz dieses Beweises darf allerdings nicht unterdrückt werden. Ist denn die Gotteskindschaft nur als ein ethisches Heiligsein zu bewerten? Bewirkt sie nicht das allgemeine Priestertum der Gläubigen und stellt somit auch eine sachliche Teilnahme an Christi vollkommener Sakralität dar? Warum soll zum eucharistischen Opfer jene sakrale Heiligkeit nicht genügen, welche im Tauf- oder Firmcharakter gegeben ist? Warum bedarf es noch eines besonderen, des hierarchischen Priestertums?

Ein Grund dafür scheint mir die immer wieder hervortretende Betonung des Christo zentrischen zu sein. Wie durch Boten, welche mit göttlicher Autorität gesandt und ausgerüstet sind, viel deutlicher zum Bewusstsein gebracht wird, dass Christus selbst die Seinen belehrt, als wenn die frohe Botschaft von jedem, der sie empfangen hat, begeistert weitergetragen würde, so lässt auch eine besondere Bedienung der sakramentalen Welt viel schärfer hervortreten, dass Christus es ist, der die Gnaden spendet und unter diesen Zeichen seine Glieder heiligen will, als wenn sie jedem Gläubigen uneingeschränkt zur Verfügung" ständen. Die besondere Hinbewegung zu einem hierarchischen Priester verkündet Schritt für Schritt, dass wir uns zu einem Heilsquell hinbewegen, der außer uns und über uns liegt, zu dem lebenspendenden Haupte Jesus Christus. In doppelter Weise weist dann die sakramentale .Welt auf Christus hin: die geheiligten und heiligenden materiellen Dinge auf seine hoch heilige Menschheit, die als fruchtspendende Opfergabe symbolisiert wird; die vom Priester zu sprechenden Worte oder die priesterliche Tätigkeit auf den Menschen Jesus als den Opferpriester, der seinen heiligen Leib mit seiner Opfergesinnung durchglühte und dadurch wahrhaft zum Ursakramente seines Geschlechtes schuf. Dann erscheint das sakramentale Wirken viel klarer und betonter als das erweiterte Mittlerwirken des ewigen Hohenpriesters Jesus Christus.

Einen weiteren Beweggrund entnehmen wir gerade dem im Hohenpriestertume Jesu Christi zum Ausdruck gekommenen Grundgesetze von dem Heranziehen der menschlichen Zweitursachen. Wie der Logos sich der heiligen Menschheit Christi bediente, um die Welt zu erlösen, so bedient sich hinwiederum der Mensch und Mittler Jesus Christus der Menschen und der sichtbaren Natur als Zweitursachen, um das Erlösungsverdienst und seine Früchte den Menschen zukommen zu lassen. Wie nun der Lehrer und Wahrheitskünder Jesus in den gesandten Boten sich seinen Mund schuf, durch den sein Wort alle erreicht, so wollte der Hohepriester sich im kirchlichen Priestertume die fruchtbaren Organe für die Zeugung der Gotteskinder schaffen. Menschen wollte er in seiner Güte zur Anteilnahme an diesem schönsten und geheimnisvollsten Akte seiner irdischen Sendung berufen. Wie Christus zur Wahrheitsverkündigung nicht alle Gläubigen, sondern bestimmte Menschen berief, so beruft er auch zur Mitzeugung der Gotteskinder nur bestimmte Menschen, damit gerade durch diese Auswahl das Gesetz der herangezogenen Zweitursächlichkeit anschaulich zur Darstellung komme.

Wir wollen nicht übersehen, dass die Herausstellung bestimmter Menschen als Heilsträger auch der Heilspädagogik dient. Die Gewissheit des Heils erscheint dem an die Sinne gebundenen Menschen viel sicherer, wenn er es aus der Hand autorisierter Träger und damit in gewissem Sinne sichtbar empfängt. Da er es aber nicht aus dem Dazwischentreten geistesmächtiger oder heiligmäßiger Menschen erhält, vielmehr von Menschen, die nichts anderes aufzuweisen haben als ihren priesterlichen Weihecharakter, so wird vom heilsuchenden Menschen ein Akt echter Demut verlangt. Aber dieses Absehen von persönlicher Heiligkeit lenkt gerade den Blick der Menschen über den kirchlichen Priester hinaus auf den wahren Heilsquell, den ewigen Hohenpriester Jesus Christus. Soll die rein sachliche Vermittlung nach der Absicht Christi nicht gerade diesem Ziele dienen? Die Zweitursachen müssen auf die Erstursache hinweisen.

Wir erblicken im hierarchischen Priestertum die Organe, deren sich der himmlische Hohepriester bedient, um aus Toten Gotteskinder zu zeugen. Diese enge Verbindung zwischen Christus und dem sakramentalen Priestertume zwecks Zeugung und Heiligung der Gotteskinder macht die heilsanstaltliche Kirche, deren Exponenten die Priester sind, zum Mutterschoße, den der ewige Hohepriester befruchtet. Die Heilsanstalt wird zur Mutter der Gläubigen. Von dieser Mutterschaft der Kirche hat Scheeben unvergleichlich schöne Worte niedergeschrieben: "Nicht bloß wollte er (Christus) als Bräutigam mit allen In die Gemeinschaft der Kirche aufgenommenen Menschen sich so vermählen, dass dieselben für ihre Person an seiner Würde und Herrlichkeit teilnehmen könnten; die Kirche sollte in einem Teile ihrer Glieder als seine Braut auch wahrhaft Mutter werden über die in ihrem Schoße für ihn als den Bräutigam wiedergeborenen Kinder, damit die himmlische Wiedergeburt des Menschengeschlechtes der natürlichen Zeugung desselben, der Organismus der Familie des Gottmenschen dem der irdischen Familie entspräche. Zu dem Ende vermählt er sich mit einem Teile der Glieder der Kirche noch auf eine ganz besondere Weise, legt in ihre Hände das mystische Gemeingut der Kirche nieder, beschattet sie vorzüglich mit der Kraft des Heiligen Geistes, damit sie ihm seine Kinder gebären und dieselben in die innigste Gemeinschaft mit ihm selbst einführen. Das ist das große Mysterium der Mutterschaft der Kirche in ihrem Priestertume ... Aber das volle Verständnis seiner Bedeutung muss man noch, tiefer suchen. Das kirchliche Priestertum soll Christus selbst im Schoße der Kirche - in der Eucharistie und in den Herzen der Gläubigen – durch die Kraft des in der Kirche waltenden Geistes Christi wiedergebären und dadurch seinen mystischen Leib organisch heranbilden." Diese ergreifenden Worte zeigen uns deutlich, dass wir von unserem Ausgangspunkte, der Eingliederung des einzelnen durch eine Heilsanstalt, schon in die Darstellung und den Aufbau eines mystischen Herrenleibes hinübergewandert sind. Von hier aus lässt sich das kirchliche Priestertum am tiefsten erfassen. Darin liegt zugleich ein Hinweis auf den innigen Zusammenhang, welcher zwischen dem doppelten Kirchenbilde besteht.

Aus dem Gesagten begreifen wir, warum Christus seine Heilsanstalt zu einer sakramentalen Priesterkirche gestaltete Sakrament und Priestertum erscheinen als jene Heilsveranstaltung des Gottmenschen, durch die sich die Zeugung und Heiligung der Gotteskinder von Seiten unseres Hauptes vollzieht.

Es wäre leicht, vom Gedanken der Mutterschaft aus die innere Notwendigkeit eines Hirtenamtes aufzuweisen. Da jedoch dieser Gedanke stärker dem anderen Kirchenbilde angehört, dürfen wir ihn hier, wo wir von der Eingliederung des Einzelmenschen ausgehen, nicht heranziehen. Aber ein anderer Gedanke steht zur Verfügung. Wenn die Zuwendung des Erlösungsverdienstes ein von Christus organisiertes und autorisiertes Lehramt und Priestertum erfordert, dann dürfen wir erwarten, dass in Parallele hierzu auch die Fortsetzung seines Hirtenamtes in menschlichen Trägern erheischt wird. Eigentlich ist das Hirtenamt schon da. Ein autoritatives Lehren, die Weitergabe dieses Lehrauftrages, die im Laufe der Zeit notwendig werdenden Glaubensentscheidungen sind schon Äußerungen eines jurisdiktionellen Dienstes, gehören ebenso dem Hirtenamte wie dem Lehramte an. Nicht weniger legt die keineswegs einfache sakramentale Organisation den Gedanken nahe - was eben jedwede Organisation tut - dass ein Aufsichtsamt, eine Leitung erfordert ist.

Tiefer werden wir jedoch dem kirchlichen Hirtenamte gerecht, wenn wir an den erhöhten Hirten und Führer der Seelen denken. Der königliche Hirte ist und bleibt der Hüter und Wächter seiner Gläubigen. Mag er als priesterlicher Hirte seine Schafe auf kostbare Weide geführt haben, so steht doch diese Weide mitten in dieser bösen Welt. Ihre falsche Schönheit kann die Schäflein noch herauslocken. Der böse Feind kann in das Reich des guten Hirten einbrechen. Es ist das Amt des Menschensohnes, seine Brüder zu warnen, zu schützen, zu verteidigen. Sie sind wohl Glieder seines Leibes, Rebzweige am heiligen Weinstocke geworden, aber noch sind sie nicht herangereift zum Altersmaße der Christusfülle. Dahin muss das Haupt ihnen den Weg weisen. Unablässig muss er sie antreiben, hundertfältige Frucht zu bringen. Gerade diese Hirtensorge ist eine gewichtige Funktion des ewigen Hirten unserer Seele. Widersprach ein unsichtbares Belehren und Heiligen der Natur des Menschen und dem Sinne der Inkarnation, dann tut es ein unsichtbares Führen nicht weniger. ja, man darf sagen: noch mehr. Eher ist es möglich, den Menschen, das Leib-Seele-Wesen, unsichtbar zu heiligen als unsichtbar zu führen. Sichtbare menschliche Führer wollen aber mit göttlicher Autorität umkleidet sein. Sie müssen mit Christi Hirtengewalt ausgestattet sein. Anders kann in ihnen Christi Führen und Sorgen nicht zur Auswirkung kommen; sonst können die Menschen in einem langen Leben, in den Jahrtausenden den sicheren Weg nicht finden, der zur Vollendung ihres Christuslebens führt. Darum hören wir Christus sprechen: "Wer euch hört, hört mich. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Weide meine Lämmer, weide meine Schafe" (Lk. 10, 16; Joh. 20, 21 i 21/ 16). In den von Christus gesetzten Hirten warnt Christus, befiehlt Christus, leitet Christus, führt Christus mit dem Ziele, dass wir ganz von Gott erfüllt werden.

Indem Christus den von ihm bestellten Hirten diese Sinndeutung gibt, prägt er die Gestalt seiner Kirche zur Form des Vaterhauses, in dem und durch das die geheiligten Gotteskinder zur Vollreife erzogen werden. Wir aber erfassen damit das Bild seiner Kirche als einer leitenden und erziehenden Mutter. Wir erkennen ihre Hirten als die Väter, durch deren Leitung wir auf die blühenden Auen eines ewigen Lebens geführt werden sollen.

Fügen wir die erhaltenen Einzelbilder zu einer Gesamtschau aneinander. Unser Ausgangspunkt war das Gliedwerden der einzelnen Menschen. Auf Grund der Strukturgesetze, welche der subjektiven Erlösung eignen, erstand jeweils ein Stück Kirche: das Institut autoritativ bestellter Boten, eine fertige sakramentale Organisation, ein kirchliches Priestertum und eine autoritative Leitung. Vor dem Ergreifen des Heils von Seiten des Einzelmenschen steht somit eine aus der objektiven Heilstat herausgewachsene, von Christus gesetzte Einrichtung. Vor der subjektiven Erlösung steht die Kirche als Heilsanstalt Christi da. Die subjektive Erlösung geht durch jene Veranstaltungen, in denen Christus als der ewige Lehrer, Priester und Hirte wirkt. Sie geht durch die Kirche als Heilsanstalt. Als Heilsanstalt stellt die Kirche den Arbeitsraum und die Arbeitsbedingungen für das erweiterte Mittlerschaffen unseres Hauptes und Mittlers dar.

Es ist die letzte Sinndeutung alles sichtbar-sinnlichen Getriebes der Kirche, dass es dem erweiterten Mittlerwirken unseres göttlichen Hauptes und geborenen Mittlers als dessen Arbeitsbedingungen dient und damit Zeugnis gibt vom Christozentrischen unseres Heils. Da die Eingliederung die Grundlage für den Aufbau eines aktualisierten mystischen Herrenleibes bildet, so ist die Gestalt der Kirche als einer Heilsanstalt die Grundform der Kirche. Man könnte auch sagen: Das Heilsanstaltliche bildet das Quadergestein der Kirche, das sie tragende Gerüst. Der einzelne Christ, in erster Linie von der Sorge um das eigene Heil erfüllt, wird daher diese Gestalt der Kirche am schnellsten erfassen und am stärksten von ihr gefesselt sein. Da diese Gestaltung der Kirche den einzelnen am persönlichsten packt, so nimmt es nicht wunder, dass der irregeleitete, sich abtrennende Christ gerade dieser Formgebung, in der die ganze Autorität des einen und einzigen Mittlers seinem Tun entgegentritt, aufzureißen und niederzureißen sucht. Das aber erfordert notgedrungen, dass die Kirche gerade diese Seite ihrer Gestaltung in ihren Lehrentscheidungen immer wieder betonen und sicherstellen musste.

Wenn wir auch im Bilde der Heilsanstalt die tragende Grundform der Kirche sehen, so ist damit keineswegs ausgemacht, dass wir darin auch ihre eigentliche Wesensform, ihre schönste Gestalt, ihre tiefste Sinndeutung erblicken. Wir dürfen vielmehr noch tiefer in das Mysterium der erweiterten Menschwerdung eindringen. Der fortlebende Christus enthüllt seine letzte Schönheit in der Gestalt des Herrenleibes.

2. Der mystische Herrenleib

Wie wir auf die Eingliederung der Einzelmenschen gestoßen sind, weil wir von dem großen Geheimnisse des Hauptseins Christi und seiner objektiven Mittlertätigkeit für das Gesamtgeschlecht ausgegangen sind, so müssen wir jetzt zwecks tieferer Erfassung des Mysteriums der Kirche nochmals zu dieser tragenden Hauptidee greifen. Der Ausdruck "Eingliederung" enthält zudem einen Hinweis auf ein Größeres. Die Einzelerlösung zielt über sich hinaus. Sie ist als Beitrag zur Verwirklichung dessen zu sehen, was in der Inkarnation grundgelegt wurde: zur Aktualisierung des mystischen Leibes Christi. Von dieser Gesamtidee der Erlösungstat erhält die Kirche eine Sinndeutung, welche ihr die Einzelerlösung nicht geben kann. Aus dieser Sinndeutung wird sich auch ein anderes Kirchenbild abheben.

Die Einheit des Menschengeschlechtes ist das natürliche Fundament für Christi Hauptsein. Als Art- und Stammeseinheit bewirkt sie, dass die individuelle Fülle aller Menschen wie ein Mensch angesehen werden darf. Der herrliche Urplan, in dem Gott Gnade und Schuld an die natürliche Fruchtbarkeit band, zeigt, wie Gott in seinen Heilsplänen diese Einheit sieht und will. Für sein übernatürliches Wirken ist die Gesamtheit aller Menschen der eine, wahre und ganze Mensch. Mittels der Gesamtheit zielt er auf den einzelnen. Als Glied ist er Gegenstand göttlichen Wirkens.

Diesem Urplane schließt sich der Plan der Erlösung an. In Jesus Christus schafft Gott den neuen Adam, schafft Gott die neue Menschheit, die nun dauernd mit ihm verbunden ist und das Kindschaftsverhältnis zu ihm nie mehr löst. Jesus Christus ist der neue, wahre Mensch. Dieses Wort darf nicht nur in seiner individuellen Bedeutung, sondern muss noch viel mehr im universalen Sinne genommen werden: Jesus Christus ist der eine wahre Mensch im Sinne der Gesamtheit aller Menschen. Darum war seine Kreuzestat eine Erlösung und Heiligung des Gesamtgeschlechtes. Als Gemeinschaftswesen, nicht als Einzelatome hat Christus uns erlöst.

So ist grundlegend gewiss: Jesus Christus ist Gemeinschaft. Der neue, ganze, wahre Mensch ist ohne Gemeinschaft gar nicht denkbar, wie das Haupt nicht ohne den Leib, der Bräutigam nicht ohne die Braut. Die Christusgemeinschaft ist darum seit der Menschwerdung und insbesondere seit der heiligen Opfertat stets da. Sie liegt objektiv vor. Sie wird nicht erst geschaffen, indem dieser und jener gläubig wird. Sie. entsteht nicht, weil die Gläubigen entstehen, sich vereinen und zusammentun. Sie ist vor ihnen da. Die Christusgemeinschaft muss, lediglich in den Gliedern ebenfalls jene Form annehmen, welche sie vom Haupte her stets hat: eine aktuelle. Sie muss auch in den Gliedern voll Gestalt und Leben gewinnen.

Die auch in den Gliedern aktualisierte Christusgemeinschaft nennen wir den mystischen Herrenleib oder die Kirche. Darum besteht nach dem Vollgehalte des göttlichen Erlösungsplanes der tiefste und wahrste Sinn der Kirche darin: der in die volle, lebenerfüllte Wirklichkeit übergeführte mystische Leib Christi zu sein. "Bei einer Wesenserklärung der Kirche Christi kann nichts Vornehmeres und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden als jener Ausdruck, womit sie als ,der mystische Leib Jesu Christi' bezeichnet wird." Die Kirche ist die verwirklichte Christusgemeinschaft. Die Kirche ist letzthin die in Christus gewonnene und festgehaltene Gemeinschaft der Menschen mit Gott. Diese Sinndeutung ist ohne Zweifel von der bisherigen einer Heilsanstalt, einer Organsation Christi wesentlich verschieden. Beide Sinndeutungen stehen zunächst völlig getrennt nebeneinander. Denn die Mitglieder einer Anstalt, d. h. jene, die sich dieser Organisationsmittel bedienen, bilden unter sich nichts mehr als eine organisierte Gesellschaft. Sie sind aus sich noch keine echte Gemeinschaft.

Schaut Gott in seinen Heilsplänen vor allem die Gesamtheit, hat Christus das Geschlecht als solches erlöst, so gebührt das gesamte Erlösungsverdienst in erster Linie der Gesamtheit als seinem Leibe. Der Sitz des Christusgeistes ist in der Gemeinschaft zu suchen, die Niederlage seiner Gnaden in der Gemeinschaft, die fortgesetzte Menschwerdung im Umkreis der Gemeinschaft zu finden.

Weil die Güter und Gaben des Hauptes in der Christusgemeinschaft niedergelegt sind, muss die Gemeinschaft des Leibes Christi als Schatzwalterin der Güter Christi auch Organ der Wirksamkeit Christi auf die Einzelglieder sein. Wie jedes Haupt nur durch seinen Leib dem Einzelgliede sich zuwendet und seine Kraft ihm zukommen lässt, so ist auch im mystischen Herrenleibe der einzelne Mensch mittels der Gemeinschaft Betätigungsfeld Christi. Der Einzelchrist wird durch den mystischen Leib vom göttlichen Haupte erreicht, gebildet und geformt. In dieser Gemeinschaft und durch sie wendet Christus seine Erlöserverdienste dem einzelnen Menschen zu.

Mit Recht nennt man deswegen die Christusgemeinschaft oder die Kirche das große christliche Sakrament oder besser das Übersakrament. "So ist die Kirche jene übernatürliche Lebensgemeinschaft mit dem Gottmenschen, durch deren Funktionen er mittels der von ihm eingeflößten göttlichen Kraft ausschließlich die Gnadenmitteilung und Erlösung in bezug auf die Menschheit ausübt. Daher ist die Kirche das einzige Organ Christi, das Organ Gottes selbst, das übernatürlich beseelte und belebte Werkzeug seiner Offenbarung in Wahrheit und Gnade an die Menschheit. Demnach ist die Kirche zwar nicht ein besonderes Sakrament unter den sieben in ihr hinterlegten Sakramenten, aber sie ist Sakrament im großen, ein "Übersakrament", nämlich sinnlich wahrnehmbares Zeichen, d. h. sichtbare Gemeinschaft mit Christus, welche das bewirkt, was sie bedeutet, nämlich die Hervorbringung der Gnade in den Seelen der Menschen.“

Eine wunderbare Linie der Heilsvermittlung tut sich auf: Christi hochheilige Menschheit, das Ursakrament Gottes, durch das die Erlösung aller bewirkt und die heilbringende Gottesgemeinschaft einmal für immer hergestellt worden ist. Der mystische Leib des Herrn: das große Übersakrament, in dem und durch das für den einzelnen die selige Gottesgemeinschaft Wirklichkeit wird. Die heilige Eucharistie, der sakramentale Herrenleib: das kirchliche Zentralsakrament, in dem die hochheilige Menschheit Christi mit dem kirchlichen Element sich mischt, um dadurch die innigste Einheit zwischen Haupt und Gliedern und der Glieder unter sich zu erzielen. Heilige Zeichen umlagern den sakramentalen Mittelpunkt: die anderen Sakramente; sie sollen zur eucharistischen Vereinigung teils hinführen, teils sie ermöglichen, teils sie weiter ins Leben einbauen. Diese herrliche Linie steigt aus der göttlichen Uridee heraus: der Fleischwerdung des Sohnes Gottes.

Die Auffassung der Kirche als des christlichen Übersakramentes lenkt unsern Blick auf die früher erarbeitete sakramentale Gestaltung der Heilsanstalt zurück. Die Vorstellung der kirchlichen Gemeinschaft als des Organes Christi zur Einwirkung auf die Einzelglieder erinnert an die Sinndeutung der Heilsanstalt, der Arbeitsraum und die Arbeitswerkzeuge des erhöhten Christus zu sein. Hier öffnet sich ein Ausblick auf den Zusammenhang der beiden Kirchenbilder. Eine Ahnung steigt auf von der innerlichen Durchdringung von Heilsanstalt und Herrenleib. Hier zwingt sich die Schlussfolgerung auf: Will Christus durch die Gemeinschaft des Leibes den einzelnen erreichen und hat Christus zur Gliedschaftsverwirklichung bestimmte Heilsveranstaltungen getroffen, dann muss man wohl diese Veranstaltungen als solche Gebilde an seinem Leibe auffassen, durch welche dieser sich betätigen will. Die Organisationsmittel der Heilsanstalt sind nichts anderes als die wirkenden Organe des Herrenleibes.

Diese Gleichsetzung findet in einem wichtigen Tatbestande eine überraschende Bestätigung. Die von Christus erwählten Mittel der Heilsanstalt erweisen sich als im höchsten Grade gemeinschaftsbildend und gemeinschaftsbetont. Sie bezeugen damit, dass sie nach ihrem tiefsten Gehalte Organe der Christusgemeinschaft sind. Da sie in der Kraft des Ganzen wirken, zielt auch ihr Wirken auf das Ganze hin. Darum standen wir bei der Sinndeutung der heilsanstaltlichen Mittel oft vor der Lage, den dort einzuhaltenden Rahmen zu überschreiten. Diese Ansätze bauen wir nun aus.

Schon bei dem erweiterten Lehren Christi, das nicht mit Hilfe der Schrift, sondern mittels lebendiger Verkündigung stattfindet, wurde darauf hingewiesen, dass gerade die schriftliche Aufzeichnung der Absicht Jesu, die Gemeinschaft seines mystischen Leibes aufzubauen, entgegenstände. "Schrieb Christus ein Buch, oder gaben die Apostel einem jeden ein solches in die Hände, so ergriff es dieser, setzte sich abgeschlossen mit demselben an seinen Tisch, zog sich die Begriffe heraus, und keine Kirche, kein gemeinsames Leben wurde erzeugt." Steht aber an erster Stelle das lebendige Wort und seine zündende Weitergabe, dann "wurde dadurch die Grundlage dazu gelegt, dass sich der Schüler fest an den Lehrer, der Einzelne an das Ganze hielt. Leise und unvermerkt kam die Notwendigkeit zum Bewusstsein, dass der Einzelne ohne das Ganze nichts sei. Ehe durch eine allgemeine Verbreitung des Buchstaben das egoistische Prinzip eine feste Nahrung und Ausbildung erhielt, hatte sich gemeinsam schon das Christentum so gestaltet und alles zu einem festen Ganzen verbunden, dass der Buchstabe dem Geist, der Begriff dem Leben, das Selbstsüchtige dem Gemeinsamen nimmermehr den Sieg abgewinnen konnte." Im lebendig gesprochenen Worte ist der soziale Zusammenhang von vornherein gesetzt. Das Wort ist ursprunghaft und zielstrebend sozial bestimmt. Gerade die urchristliche Zeit bestätigt es, indem ihr Bemühen immer dahin abzielte, sich um das echte, reine Apostelwort wie um einen stützenden Einheitspunkt zu scharen. Bei Wesen, die mit Erkenntnis ausgestattet sind, ist die Einheit der geistigen Überzeugung das Grunderfordernis einer sich aufbauenden oder bestehenden Gemeinschaft. Das Institut der mit der Autorität Christi umkleideten Glaubensboten schafft und sichert diese Grundforderung und erweist sich damit als ein lebensnotwendiges Organ einer mystischen Christusgemeinschaft.

Noch mehr gemeinschaftsbetont und gemeinschaftsbildend ist das Zentralsakrament des Christentums, die heilige ,Eucharistie. Darauf hat schon der heilige Paulus hingewiesen: " Weil es nur ein Brot ist, so sind wir alle nur ein Leib; wir alle nehmen ja an dem einen Brote teil" (1. Kor. 10, 12). Es ist ein in der Väterliteratur recht lebendiger, ja sich vordrängender Gedanke, dass durch das eucharistische Brot die mystische Einheit der vielen Gläubigen in Christus nicht nur dargestellt, sondern in ihrem tiefsten Gehalte erst begründet und verwirklicht wird. So erläutert der heilige Chrysostomus die zitierte Paulusstelle: "Was sage ich, ,Gemeinschaft'? Jener Körper sind wir selbst. Denn was ist, das Brot? Der Leib Christi. Was werden aber jene, die an dieser Gemeinschaft Anteil haben? Der Leib Christi; nicht viele Leiber, sondern ein Leib." Für die Väter ist es identisch, in die Gemeinschaft mit dem lebenspendenden Fleische Christi eintreten und in die Gemeinschaft mit dem mystischen Leibe Christi eintreten, welcher die Kirche ist. Hilarius von Poitiers identifiziert kurzerhand: "Er bildete uns zu einem neuen Leben um und verwandelte uns in einen neuen Menschen, indem er uns in den Leib seines Fleisches hineinstellte. Denn dieser ist selbst die Kirche, durch das Sakrament seines Leibes sie ganz in sich enthaltend." Darum ist es ein und dasselbe, von der heiligen Eucharistie, von Christus, von der Kirche ausgeschlossen sein. Dieser Vätergedanke ist bei Thomas von Aquin noch ganz lebendig, wenn er diese mystische Leibeinheit einfach als "die innere Gnade dieses Sakramentes" bezeichnet. In gleicher Stärke tritt das Gemeinschaftsmoment der heiligen Eucharistie in der Lehre des Tridentinums hervor. Christus wollte, dass dies Sakrament sei "das Symbol jenes einen Leibes, dessen Haupt er selbst ist. Wir sollen ihm nach seinem Willen als Glieder angehören, damit wir alle ein und dasselbe hießen und keine Spaltungen in uns wären."

Ist aber die heilige Eucharistie jenes Ferment, das die übernatürliche Einheit des mystischen Leibes Christi schafft und erhält, dann hat das Priestertum, welches mit der Eucharistie aufs engste verknüpft ist, den gleichen, gemeinschaftsbetonten Charakter. Es geht von ihm eine die Gemeinschaft aufbauende und erhaltende Kraft aus. Das Priesteramt, bei welchem mittels der heiligen Eucharistie alle Sakramente niedergelegt sind, erweist sich so als lebensnotwendiges Organ am Leibe Christi. Das Mittel, welches Christus erwählt hat, um am Einzelmenschen sein hohespriesterliches Wirken fortzusetzen, enthüllt sich als jener Bestandteil der Gemeinschaft, durch den es sich bewahrheitet, dass die Christusgemeinschaft das Organ der Wirksamkeit Christi zum einzelnen hin ist.

An sich ist es selbstverständlich, dass das Hirtenamt einheitsbildend ist. Das liegt in der Natur des Leitens und Führens. Damit ist aber noch nicht ausgemacht, ob seine Tätigkeit in der Bildung eines Vereins, einer Gesellschaft ihren letzten Sinn besitzt oder ob sie darüber hinaus zum Aufbau eines mystischen Leibes beitragen kann. Die Beantwortung dieser Frage stellen wir noch etwas zurück.

Die Mittel der Heilsanstalt haben sich als Organe des mystischen Leibes ausgewiesen. Damit gewinnt die Christusgemeinschaft ein bestimmtes Aussehen. Durch den Unterschied zwischen Amtsträgern und Nichtamtsträgern erweist sich nämlich in stärkster Form der Herrenleib als eine organische Einheit. Die Einheit der Christusgemeinschaft ist demnach keine mechanische oder arithmetisch addierte Einerleiheit, sondern eine gegliederte und gestufte Einheit. Sie besagt ein Für-, Mit- und Untereinander der Teilglieder. Sie ist Einheit in der Fülle. Es liegt im Wesen einer jeden echten Gemeinschaft, Ungleichheit der Glieder aufzuweisen. "Noch ein Moment im Wesen der Gemeinschaft ist hier besonders hervorzuheben. Gemeinschaft ist so wenig eins mit Gleichheit, dass sie vielmehr deren direktes Gegenteil ist. jede allgemeine oder besondere Gemeinschaft beruht einerseits auf Wesensverwandtschaft, anderseits aber auch auf einem gewissen Gegensatz der Glieder. Sie lässt sich nicht denken ohne Verschiedenheit der Glieder in bezug auf Natur und Würde, auf Über- und Unterordnung, durch welche Verschiedenheit sie sich eben allein zu einer lebendigen Einheit ergänzen können. Demnach sehen wir auch in allen tatsächlich existierenden Gemeinschaften Über- und Unterordnung, nirgends ist ein Glied dem anderen in bezug auf Stellung und Macht völlig gleich. In der Familie regiert der Mann und Vater, im Staate der Fürst durch vielfache Vermittelung zwischengestellter Beamter, - selbst in der Freundschaft macht sich dieses Gesetz der Ungleichheit stets geltend, wo sie von langer Dauer, d. h. wirklich Freundschaft ist." Diesem Grundgesetz der Gemeinschaft würde die Christusgemeinschaft widersprechen, wenn sie neben der gemeinsamen Wesensverwandtschaft: Anteilnahme an Christi göttlichem Leben keine Unter- und Überordnung in der gleichen Idee aufweisen würde. Noch mehr fiele aber ins Gewicht, dass dann das Werk der erweiterten Inkarnation in schroffem Gegensatz zur Inkarnation selbst stünde. Es widerspräche der natürlichen Grundlage des Erlösungsgeheimnisses, d. h. der Natureinheit und Naturgemeinschaft der Menschen, die deutlich ein Für-, Mit- und Übereinander zeigt und fordert. Es widerspräche in etwa auch Christi Hauptsteilung, da ein so umfassender Organismus nicht gut nur ein Organ, bloß ein Haupt besitzen kann. Die Christusgemeinschaft kann folgerichtig keine addierte Masse sein, sondern muss einen Organismus darstellen, muss Für-, Mit-, Unter- und Übereinander der Glieder ihr eigen nennen. Der Leib Christi muss, wenn anders er als Leib gefasst werden darf, Glieder und Organe mit eigenen Aufgaben und Funktionen haben, die diese Gemeinschaft als Gemeinschaft erst deutlich machen. "Wie in der Natur ein Leib nicht aus einer beliebigen Zusammensetzung von Gliedern entsteht, sondern mit Organen ausgestaltet sein muss, das heißt mit Gliedern, die verschiedene Aufgaben haben und die in geeigneter Ordnung zusammengesetzt sind, so muss die Kirche hauptsächlich deshalb ein Leib genannt werden, weil sie aus einer organischen Verbindung von Teilen erwächst und mit verschiedenen, aufeinander abgestimmten Gliedern versehen ist." Natürlich gibt es im Herrenleibe noch mehr Organe als bloß die Amtsgewalten.

Wie sicher und gegeben diese Gedanken sind, ersehen wir aus dem heiligen Paulus. Sooft er von der Gemeinschaft des Leibes Christi spricht, spricht er von seiner Organisation, von den verschiedenartigen Gnadengaben und Ämtern. "Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber es ist ein und derselbe Geist. Es gibt verschiedene Ämter, aber es ist ein und derselbe Herr" (1. Kor. 12, 4f.). "Und so bestimmte er die einen zu Aposteln, die anderen zu Propheten, wieder andere zu Verkündern des Evangeliums oder zu Hirten und Lehrern" (Eph.4, 11). Es ist die Meinung des Apostels, dass die Christusgemeinschaft wesensnotwendig eine differenzierte ist. Wie sie selbst vorweg gegeben ist, so ist auch die Differenzierung vorweg gegeben und hat sich nicht erst rückläufig aus dem Zusammenschluss der Gläubigen zum Verein oder zur Religionsgesellschaft ergeben. Wie könnte das auch anders sein, wenn Lehrer, Priester und Hirten als vom Haupte Christus gesandt vor diejenigen hintreten, welche aufgerufen und eingegliedert werden sollen? Der Leib Christi muss eine differenzierte, organische Gemeinschaft sein.

Diese Differenzierung birgt eine mehrfache Sinndeutung in sich. Gerade die gewaltigen Unterschiede in der Kirche, welche oft denen Anstoß bereiten, die für die Idee des mystischen Leibes begeistert sind, macht es erst deutlich, dass hier eine Gemeinschaft vorliegt, die den feinen Namen eines Herrenleibes verdient. Wer wird denn bei einer gleichmäßigen Masse, einem ungegliederten Konglomerate von Gemeinschaft sprechen? Davon kann nur die Rede sein, wenn ein innerlich gegebenes Ziel Verschiedenartigen gemeinsam ist, wenn alle ihre verschiedenen Kräfte in dessen Dienst stellen, wenn bindende und verbindende Bande die vielen umschlingen und zu dem einen Ziele hintreiben, welches die Gemeinschaft selber ist. Durch nichts tritt darum auch in der Gemeinschaft "Leib Christi" der Gemeinschaftscharakter mehr hervor als durch das Über-, Unter- und Füreinander, durch die bindenden Kräfte der Gewalten.

Noch tiefer müssen wir greifen. Nur die Differenzierung offenbart die kirchliche Gemeinschaft klar genug als den Leib des Herrn, d. h. als einen Leib, der Christi ist. Nur wenn Differenzierung oder Überordnung vorliegt, kann ein Glied auf ein anderes Einwirkungen ausüben. Nur so kann es in der Christusgemeinschaft Organe geben, die zeugen, Organe, die lenken und leiten, Organe, die regulieren. Nur so kann das oft betonte Heranziehen der Zweitursachen auch im Leibe Christi Platz finden. Nun geschieht aber dieses Einwirken autoritativ im Namen und in der Vollmacht Christi. Daher betont das Wirken eines Organs auf ein anderes das Christologische des neuen Heils, wie bei der Heilsanstalt mehrfach aufgezeigt wurde. Die durch die Gewalten gegebene Differenzierung macht die Gemeinschaft der Kirche als eine Christusgemeinschaft offenbar. Da diese Sinndeutungen der Organe am mystischen Leibe Christi jener parallel läuft, welche Christus der Heilsorganisation gegeben hat, enthüllt sich wiederum die Überkreuzung der beiden Kirchenbilder.

Die Mittel der Heilsanstalt müssen im Lichte dieser Identifizierung nach ihrem tiefsten Gehalte als Organe der Christusgemeinschaft angesehen werden. Da in einem Organismus die Organe dafür bestimmt sind, den Organismus zu erhalten, ihn weiter aufzubauen, ihn zu vervollkommnen und zu regenerieren, so ist es die Gesamtaufgabe aller Gewalten als Organe am mystischen Leibe Christi, die Glieder zu zeugen und damit den Herrenleib zu schaffen, ihn zu erhalten und zu schützen, ihn zur Altersfülle Christi zu führen und ihn immer wieder zu regenerieren, sei es durch Aufnahme neuer Glieder oder Abstoßen faul und schädlich gewordener Teile.

Als den Organen der Christusgemeinschaft ist den Gewalten eine Struktur zu eigen, die man passender Weise eine kirchliche nennt. Das soll heißen: Die Gewalten sind nur die Vertreter, die in der Kraft und im Auf trage des Ganzen tätig sind. Die Kirche tauft, wenn der Priester tauft, die ganze Kirche opfert, wenn der Priester opfert. Der ganze Herrenleib ist zeugend und erziehend tätig. "Hierbei ist aber besonders auch das noch zu beachten, dass die einzelnen Priester auch nicht für ihre Person Stellvertreter Christi sind, sondern nur als Glieder der amtlichen Gemeinschaft mit Christo, des ganzen corpus der einen Stellvertretung. Christus selbst bringt das Opfer dar durch seine Stellvertretung in der Kirche. Die eine ganze amtliche Kirche ist es, welche in allen Fällen stellvertretend das Opfer darbringt, nicht etwa der eine Priester; dieser ist dagegen nur Repräsentant der Stellvertretung Christi. Die ganze Kirche, das ganze Priestertum ist es, welches im einzelnen opfert. Daher gibt es keine Privatmesse." In den Gewalten ist in Wirklichkeit die ganze Gemeinschaft als das Organ Christi schlechthin, als das Übersakrament tätig.

Diese Sinndeutung der kirchlichen Gewalten als der Organe des mystischen Herrenleibes ist für das moderne Kirchenbild von so entscheidender Bedeutung, dass wir gut daran tun, in Hinwendung zu den einzelnen Gewalten diesen tiefsten Sinn immer neu zu erfassen. Die intimste Aufgabe in der Christusgemeinschaft besitzt das Priestertum, die Weihegewalt. Sie ist die Keimzelle neuer Glieder. Sie ist das Brautgemach, in dem Christus mit einer gläubig gewordenen Seele seine Vermählung feiert. Darum umgibt das Priesterliche in der Kirche stets ein zarter Schleier des Bräutlichen und Mütterlichen.

Das Geheimnis der priesterlichen Gewalt im Herrenleibe ist aber noch geheimnisvoller, noch göttlicher. Denn sie ermöglicht die Vermählung Christi mit der Einzelseele gerade dadurch, dass sie Christus selbst im Schoße der Kirche, d. h. in der heiligen Eucharistie erzeugt. "Das kirchliche Priestertum soll Christus selbst im Schoße der Kirche - in der Eucharistie und in den Herzen der Gläubigen - durch die Kraft des in der Kirche waltenden Geistes Christi wiedergebären und dadurch seinen mystischen Leib organisch heranbilden, wie Maria durch die Kraft desselben Heiligen Geistes das Wort in seiner eigenen Menschheit geboren und ihm seinen wahren Leib gegeben hat. Die wunderbare Empfängnis und Geburt Christi aus dem Schoße der Jungfrau ist das Vorbild und zugleich der Grund der weiteren geistigen Empfängnis und Geburt Christi in der Kirche durch das Priestertum, und dieses Priestertum steht zu dem Gottmenschen in einer ähnlichen Beziehung wie Maria zu dem in sie herabsteigenden und aus ihr geborenen Sohne Gottes.

Wie Maria durch die Überschattung des Heiligen Geistes den Sohn Gottes in ihrem Schoße empfing, durch ihr Jawort ihn vom Himmel herabzog und ihn, den Unsichtbaren, der Welt in sichtbarer Gestalt schenkte: so empfängt der Priester durch die Kraft desselben Geistes den menschgewordenen Sohn Gottes, um ihn im Schoße der Kirche unter den eucharistischen Gestalten niederzulegen. Durch das Priestertum wird somit Christus von neuem geboren, gleichsam durch eine Fortsetzung seiner wunderbaren Geburt aus Maria, und das Priestertum selbst ist eine Nachbildung und Ausdehnung der geheimnisvollen Mutterschaft Mariä in Bezug auf den Gottmenschen. Es ist dasselbe für den eucharistischen Christus, was Maria für den menschwerdenden Gottessohn.

Mit dieser Mutterschaft, welche die Kirche in ihrem Priestertume über den in ihren Schoß aufzunehmenden Christus hat, verbindet sich, oder vielmehr aus derselben geht hervor ihre geheimnisvolle Mutterschaft über ihre einzelnen Glieder. Christus wird ja in der Eucharistie nur deshalb in die Kirche eingeführt, weil dieselbe mit ihm zu einem Leibe vereinigt, weil er in ihren Gliedern wiedergeboren werden soll. Deshalb ruht im Priestertume durch die Überschattung des Heiligen Geistes auch die Macht, Christus in den Herzen der Gläubigen und die Gläubigen in Christus wiederzugebären, um dann Christus in seinem wahren Leibe substantiell mit ihnen zu vereinigen und sie mit dessen eigenem Fleische und Blute in ihrem neuen, übernatürlichen Leben zu nähren.

Die Einführung des wahren Leibes Christi in die Eucharistie zur Vereinigung mit seinem mystischen Leibe und die Bildung dieses mystischen Leibes selbst, das sind die Funktionen und damit auch die Gründe der erhabenen Mutterschaft, welche wir der Kirche in ihrem Priestertume zuschreiben müssen... Unaussprechlich hoch ist die Würde, die dadurch dem Priestertum und in ihm der Kirche verliehen wird, Mutter des Gottmenschen in seiner sakramentalen Existenz und der Menschen zu ihrem höheren göttlichen Sein zu sein. Wunderbar, unbegreiflich ist die Fruchtbarkeit, welche die Kirche in dieser Mutterschaft offenbart, unaussprechlich die Vereinigung mit dem sie überschattenden Heiligen Geiste, der in ihrem Schoße und durch sie ähnliche Wunder wirkt wie in dem reinsten Schoße Marias.

Diese übernatürliche Mutterschaft ist das Zentralgeheimnis der Kirche als einer organisch gebildeten Gesellschaft. Denn gerade durch sie wird die kirchliche Gemeinschaft erst zu einer wohlgegliederten, in der die Kinder durch die Mutter mit dem Vater verbunden werden; durch sie wird auch der Körper der Kirche, der mystische Leib Christi, aus sich selbst heraus weitergebildet und !ortgeführt; durch sie wird die reale Gegenwart und die reale Vereinigung des Hauptes mit seinen Gliedern erhalten und vollzogen.“

Die übernatürliche Mutterschaft der Kirche verleiht der Kirche als Gesamtheit des Christusleibes ein Mutterrecht über die einzelnen Teilglieder. Wie die Leben verleihende Tätigkeit einer irdischen Mutter dieser das Recht verleiht und die Pflicht auferlegt, ihre Kinder zu leiten und zu erziehen, bis sie zur Vollreife gelangt sind, so enthält die Mutterschaft der Christusgemeinschaft ein Mutterrecht über die Teilglieder und legt der Gesamtheit eine Mutterpflicht ihnen gegenüber auf. "Aber als Mutter soll sie sich in ihren Kindern nicht nur fruchtbar erweisen durch Mitteilung bzw. Erneuerung einer stets zunehmenden Gemeinschaft mit Christus und seinem himmlischen Vater; sie soll auch die Tätigkeit ihrer Kinder, welche dieselben zum Behufe ihres Eintrittes in jene Gemeinschaft oder in derselben zu deren Offenbarung und Weiterbildung entfalten müssen, leiten und regeln, sie soll dieselben belehren und erziehen...Und leiten, regieren soll sie ihre Kinder so, dass dieselben an ihrer Hand sicher und vertrauensvoll dem geheimnisvollen ÜberIrdischen Ziele entgegengehen können, welches Sie in ihrem göttlichen Haupte schon längst antizipiert und in Besitz genommen haben." Zur Ausübung dieses Mutterrechtes, besser dieser heiligen und schweren Mutterpflicht bedarf eine Gemeinschaft entsprechender Organe. Hiermit enthüllt sich die Hirtengewalt in der Kirche als ein notwendiges und bedeutungsvolles Organ der Christusgemeinschaft, als ein Mysterium, das trotz aller Herbheit der Jurisdiktion aus der bräutlichen Zartheit der Priestergewalt sich herleitet und darum dem tiefer Blickenden immer wieder diese mütterlich sorgenden Züge offenbart.

Die Verbindung der Hirtengewalt mit dem Geheimnis der Mutterschaft ist so eng, dass man darauf schließen möchte, dass jene Organe des Leibes Christi, welche den Mutterschoß bilden, auch das Vaterhaus sind, in dem die Erziehung statthat. Vermöge dieser Beziehung scheint die Priestergewalt zur Ausübung der Hirtengewalt naturgemäß berufen zu sein.

Aber in diesem Schlusse steckt ein Fehler, dessen Aufdeckung für die Trennung der kirchlichen Gewalten von großer Bedeutung ist. Es darf nämlich nicht vergessen werden, dass die Priestergewalt als Organ der Gemeinschaft betrachtet werden muss. Sie zeugt nicht sich, sondern dieser Gemeinschaft Kinder, gewinnt damit nicht für sich, sondern als Organ nur für die Christusgemeinschaft Mutterrechte und Mutterpflichten. Die Priestergewalt verleiht darum ihren Trägern an sich keine Erziehungsrechte, sondern lässt höchstens ihre Inhaber für diese Aufgabe geeignet erscheinen. Ähnliche Gedanken legt die Betrachtung nahe, dass es völlig unterschiedene Betätigungen sind: erzeugen und erziehen, innerlich heiligen und äußerlich leiten, den Leib Christi qualitativ wachsen lassen und ihn quantitativ vermehren, so sehr diese Dinge gerade in der Christusgemeinschaft ineinander übergehen. Auch wäre zu beachten, dass auch die priesterliche Fruchtbarkeit der Leitung und Normierung bedarf. Denn nicht die wilde, sich ausgießende, damit schließlich sich gegenseitig hindernde und ertötende Fruchtbarkeit des Urwaldes kann das Vorbild der priesterlichen Fruchtbarkeit sein, sondern die überreiche und stets geordnete Fruchtbarkeit des dreifaltigen Gottes. Schließlich würde ohne Hirtengewalt der öffentliche Gottesdienst der Kirche als sichtbarer Christusgemeinschaft ohne Ausdruck und Ordnung sein. So bedarf der mystische Herrenleib aus innerer Notwendigkeit der Hirtengewalten, die von der priesterlichen Gewalt an sich getrennt sind, aber auf ihr aufbauen und mit ihr verknüpft sind. Im Bischofsamte besitzt die Kirche dieses Organ.

In der Sinndeutung dieses Amtes liegt es beschlossen, dass es diesen Organen übertragen ist, den mystischen Leib des Herrn den jeweiligen Verhältnissen so anzupassen, dass er als echter Organismus sich alles dienstbar macht, in allem sich auswirkt, ohne jedoch sich selbst oder einen seiner Wesensbestandteile preiszugeben. "Eine solche Entwicklung und Anpassung ist in der Tat sehr nötig. Da die kirchliche Gemeinschaft selbst in beständigem Flusse begriffen ist durch die stets wachsende Zahl ihrer Mitglieder und überdies in einer Welt steht, die im Strom der Jahrtausende treibt, so ändern sich sowohl die innerkirchlichen Verhältnisse wie die außerkirchlichen Beziehungen unaufhörlich. Schon allein die Tatsache, dass die Mitgliederzahl eine so veränderliche Größe ist und im Laufe der Jahrhunderte immer zunimmt, verlangt eine Eingliederung von immer neuen Teilgemeinschaften und ihre Einordnung in das kirchliche Ganze. Von noch größerer Mannigfaltigkeit sind die Verhältnisse der Umwelt, die Verschiedenheiten von Zeitaltern und Ländern, von Rassen und Völkern, in die sich die Kirche hineingestellt sieht. Diese Mannigfaltigkeit ist so groß und einem so heftigen Wechsel unterworfen, dass jenes uralte Bild wohl angebracht ist, das die Kirche als Schiff darstellt, wie es von Petrus durch die Wogen der Zeit gelenkt wird."

Weil es den Hirten übertragen ist, das Wachsen und Leben des mystischen Leibes allen Verhältnissen anzupassen, weil sie für die Fortdauer und die Ordnung der Kirche verantwortlich sind, hängt es besonders von ihrem Wirken ab, ob in jedem Zeitalter und durch alle Zeiten insgesamt ein solcher mystischer Leib gegeben ist, der des einen Hauptes Christi dadurch wahrhaft würdig ist, dass er nur ein Leib ist. "Wenn aber die Kirche ein Leib ist, so muss sie etwas Einziges und Unteilbares sein." Diese Einheit und Unteilbarkeit verlangt in einer sichtbar unsichtbaren Gemeinschaft eine äußerliche Darstellung. "In ihrer Einheit muss es sich offenbaren, dass die Glieder und Organe der Kirche, wie sie einen Leib Christi bilden und um die Eucharistie herum als um ihre gemeinsame Lebensquelle sich sammeln, und wie sie berufen sind, die höchste Einheit, die der Dreifaltigkeit, darzustellen, so auch in der Entfaltung ihres Lebens und ihrer Tätigkeit ein festgeschlossenes Ganzes bilden, in welchem die Einheit und Harmonie des äußeren sozialen Lebens der treue Reflex seiner inneren, geheimnisvollen Wesenseinheit ist!'." Zu dieser Aufgabe ist die Hirtengewalt berufen. In der Einheit der Hirtengewalt kann und muss sich die Einheit des Herrenleibes kundtun.

Damit liegt es nahe, dass die Einheit des Leibes Christi, die mit der Einheit seines Hauptes, ja derjenigen der Dreifaltigkeit wetteifert, darin sich vollendet, dass alle Hirtengewalt in dem einen römischen Hohenpriester niedergelegt ist. In der Papstgewalt kulminiert die Einhit der Kirche. In ihm wird die Kirche nach ihrer sichtbaren Seite so vollkommen und wahrhaft eins, wie sie es nach ihrer inneren Seite hin ist. Da alle übrigen Priester nur in Verbindung mit ihm ihre Hirtengewalt ausüben können und ihre Priestergewalt ausüben dürfen, so ist der Papst nicht so sehr die Spitze der Kirche, um sie als einheitliches Ganzes abzuschließen, als vielmehr ihr tragender Grund, die Grundfeste des heiligen Gottestempels. Im Papste als dem tragenden Grunde der Christusgemeinschaft spiegelt sich am vollkommensten die Aufgabe des Hauptes Christus wieder. Der Papst wird dadurch zum eigentlichen und wahren Stellvertreter Christi. "Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses Leibes, nämlich Christus. Er hört zwar nicht auf, die Kirche auf geheimnisvolle Weise in eigener Person zu regieren, auf sichtbare Weise jedoch leitet Er sie durch den, der auf Erden seine Stelle vertritt." Das Christologische des neuen Lebens und des mystischen Leibes wird im sichtbaren Stellvertreter Christi am eindeutigsten und tiefsten greifbar. Nie stehen wir dem unsichtbaren Haupte Christus näher als in unserer Beziehung zu seinem sichtbaren Stellvertreter. Durch ihn ist die himmlische Braut innig mit ihrem göttlichen Haupte und Bräutigam verbunden.

Die Sinndeutung des mystischen Herrenleibes hat uns über die Grundform der Kirche hinaus in die letzten und feinsten Tiefen der Kirche hineingeführt und ihre mannigfachen Schönheiten enthüllt. Als eine besonders begrüßenswerte Frucht wurde uns die gegenseitige innerste Durchdringung der beiden Kirchenbilder geschenkt. Der Herrenleib ist die Heilsanstalt. Beide decken sich in ihrem Sinn und sind einig in Ziel und Mitteln. "Innerhalb der Kirche als Leib besteht die Kirche als Gebäude, im Leben bewährt sich die Ordnung, innerhalb der Organisation die Architektur.“ Es gibt nicht zwei sachlich dIsparate Kirchenbilder, sondern nur zwei Ansichten der einen übernatürlichen Wirklichkeit, deren Fülle mit einem Blick zu fassen, zu schwer fällt.

Die innere Begründung der Kirche ist damit zum Abschluss gelangt. Aus dem Heilsplane vom göttlichen Haupte und der Opferhingabe am Kreuze erwuchs organisch die Gestalt der Kirche und erschloss sich ihr Sinngehalt. Das Geheimnis ihres Wesens ward uns kund. An diese heilige Kirche glauben wir als an das heiligste ,Vermächtnis des fleischgewordenen Gottessohnes.

3. Die Bindung der Kirche an Christus

Die innere Begründung der Kirche fußt auf dem Verhältnisse des fleischgewordenen Gottessohnes zum gesamten Menschengeschlechte. Aus der Verbundenheit Christi mit der Menschheit erwächst Gestalt und Form der Kirche. Darum ruht der Sinn ihrer Einrichtungen in dem Worte: christozentrisch. Wir müssen uns also der vollen Bedeutung dieses Wortes für das Wesen der Kirche bewusst werden. In dieser Erkenntnis vollendet sich die Sinndeutung der heiligen Kirche.

Zumeist ist uns nur eine Beziehung der Kirche zu Christus gegenwärtig: Christus hat die Kirche gestiftet. Sie ist ein Gebäude, das er erbaut, ein heiliger Gottestempel, von ihm in seinem Blute errichtet. Er hat die Glaubensboten hinausgesandt, er hat die Priester und Hirten bestellt, er hat das Felsenfundament in Petrus gelegt. Sie ist die Mutter, die er uns geschenkt. Sie ist das Vaterhaus, in dem er uns wohnen lässt. In dieser Legitimation tritt die Kirche vor uns hin. Darum sehen wir in ihrer Verknüpfung mit Christus vor allem die Art der bewirkenden Ursache wirksam.

Christus ist in der Tat in mehr als einer Weise der Stifter seiner Kirche. Als Gott ist er zugleich mit dem Vater und dem Heiligen Geiste ihre erste Ursache. Nur Gott allein kann ja Quelle der Übernatur sein. Da aber der Sohn Gottes zum Erlösungswerke und damit zur Gründung der Kirche seiner Menschheit sich bediente als eines Werkzeuges, das in seine Person aufgenommen wurde, muss er auch als Mensch als Mitbegründer der übernatürlichen Heilsanstalt betrachtet werden. Als letztes Glied in diesem Verhältnisse tritt hinzu, dass Christus die Verdienstursache seiner Kirche ist; ohne sein Erlösungsverdienst wäre sie nicht geschaffen worden.

Es ist ohne Zweifel ein enges Band, das so in dreifacher Weise um Kirche und Christus geschlungen ist. Wer aber nur dieses Stiftungsverhältnis sieht, hat die inhaltsreichen Bilder der Offenbarung nicht ausgeschöpft, Ihm wird die letzte tiefinnere Bindung der Kirche an Christus nie sichtbar werden, und das Geheimnis eines fortlebenden Christus bleibt ihm unbekannt. Das Wort "christozentrisch" hat einen volleren und helleren Klang.

Die oft herangezogene Parallelität zwischen objektiver und subjektiver Erlösung weist auf Christus als Exemplarursache seiner Kirche hin. Christus ist das Urbild und Muster, nach dem die Kirche gestaltet ist. Sie ist der Abglanz der Herrlichkeit Christi. Was in Christus wie in einem Brennpunkte und in höchster Vollkommenheit vorhanden ist, findet sich in der Kirche auseinandergelegt und unvollkommen nachgebildet wieder. Er ist ja das Haupt, das die Fülle in sich begreift; sie ist sein Leib, der nach der Form des Hauptes gebildet sein will. Er ist der zweite Adam, der aus seiner geöffneten Seite die Kirche als seine Männin, als sein Gleichnis hervorgehen lässt. Der Vergleich zwischen Urbild und Nachbild könnte in zahllosen Einzelheiten ausgeführt werden. Nichts trägt aber in der Kirche so getreu das Abbild ihres Stifters als die Amtsgewalten. Ihr Lehren, Heiligen und Leiten setzt seine Mittlertaten in rein menschlichem Gewande fort und weist auf sie zurück. Was er übermenschlich groß getan, tut sie in der bescheidenen Form der Einzelhandlung.

Grundlegend ist aber die Kirche darin Nachbild Christi, dass seine Gottmenschheit, d. h. die geheimnisvolle Verbundenheit von Göttlichem und Menschlichem, von Natürlichem und Übernatürlichem, von Sichtbarem und Unsichtbarem Nachahmung findet. Seine Gottmenschheit ist der wahre Grund, warum auch in der Kirche in ganz seltener Verbundenheit Göttliches an Menschliches, Übernatürliches an Natürliches, Unsichtbares an Sichtbares gebunden erscheint. "Wie Christus, das Haupt und Urbild der Kirche, nicht ganz ist, wenn man in Ihm entweder nur die menschliche, sichtbare oder bloß die göttliche, unsichtbare Natur betrachtet, sondern wie Er Einer aus beiden und in beiden Naturen ist: so sein mystischer Leib." Die Kirche ist deshalb eine sichtbare Christusgemeinschaft, welche die unsichtbare Gottesgemeinschaft enthält und bewirkt. Ihre Boten sprechen ein menschliches Wort, das von der göttlichen Autorität und dem Ziehen der Gnade unsichtbar umkleidet ist. Ihre Sakramente bewirken durch sichtbare Zeichen die unsichtbare Gnade. Ihr sichtbares Führen schafft die unsichtbare Christusfülle. Dieses lneinssein ist so göttlich groß und gewagt, dass es dem kleinen Menschenauge unerträglich dünkt. Und doch bindet gerade es die Kirche so fest an Christus, dass die Geschichte zeigt: Wer dem Trugbilde einer rein unsichtbaren Kirche oder - was dem gleichkommt - einer Kirche der Heiligen und Auserwählten nachjagt, sieht sich schließlich gezwungen, an der wahrhaftigen Fleischwerdung des Sohnes Gottes und an seiner erhabenen Gestalt sich zu vergreifen.

Dieses Ineinssein, in dem die Kirche am treuesten ihrem Urbilde folgt, ist deswegen so schwer, weil das Einbeziehen menschlicher Zweitursachen in den Strom des göttlichen Lebens die Menschlichkeiten, das Fehlbare und Sündliche in der Kirche möglich macht. Dies mag freilich eine Belastung sein, so dass viele sich daran ärgern wie einst an des armen Zimmermanns Sohn. Wie aber gerade seine schwache Menschennatur den Sündern den Mut eingab, sich ihm vertrauensvoll zu nähern, wie er durch die Übernahme unserer Schwachheiten die Verlorenen zu göttlicher Höhe erhob, so ermöglicht dieses Ineins seiner Kirche, auch Unvollkommene, ja Sünder in ihrem Schoße mütterlich zu bergen und der Verzweiflung zu entreißen. Indem sie diese Armen mütterlich an sich zieht und auch ihnen ihre Heilsquellen öffnet, vermag sie sie nach und nach emporzuheben und dem Haupte wirklich und fruchtbar anzugliedern. Ein Element, das flutendes Leben enthält, wird hier sichtbar: ein stetes Hinstreben und Sichentwickeln, ein Emporwachsen der Glieder zur Christusfülle. ja, ohne das Menschliche und Unvollkommene wäre die Schönheit der Kirche etwas kalt und starr. Ihr fehlte das Lebendige des Strebens und das Warme des Lebens.

Durch diese Zielursächlichkeit steigt die Kirche noch näher zu Christus heran. Der menschgewordene Gottessohn beherrscht so sehr alles Irdische, dass dieses nur noch Sinn hat, wenn es in Christus sein Ziel hat. Wie alles in der Welt für die Gläubigen bestimmt ist und ihnen frommt, so sind noch mehr die Erlösten zum Dienste und zur Verherrlichung Christi bestimmt. Dienst und Verherrlichung Christi ist die Aufgabe der Kirche. Ist die Kirche auf Grund der Exemplarursache ein Nachbild und Spiegelbild Christi, so kommt durch den Gedankenkreis des Zielstrebens hinzu: Sie soll zu Christus hinstreben, ein zweiter Christus werden, zum Vollmaße der Christusfülle kommen. Die Reben sollen immer mehr Frucht bringen. Der Leib soll immer mehr in das Haupt hineinwachsen. Alle Glieder sollen immer stärker ihre Gaben zum Aufbau des Leibes herbeitragen. Näher will die Kirche zu Christus kommen, vollkommener in seiner Nachfolge werden. Die Christusgemeinschaft stellt nicht nur in ihrer Mannigfaltigkeit und Einheit, ihrem Zeugen und Bilden von Gotteskindern ein treffliches Nachbild Christi dar, sondern dieses Nachbild ist in einer stetigen, pulsierenden Tätigkeit, in einem ständigen Streben und Arbeiten auf Christus hin, um in dieser Umhüllung ihn immer besser darzustellen und, soweit wie möglich, zu erreichen. Damit werden gerade die Amtsgewalten immer lebenerfüllter; wie sie am deutlichsten Christi Bild tragen, so schaffen sie auch am innigsten an diesem Ziele. Aus der sonst nur durch sozialen Trieb entstandenen und durch die Organisation von oben gehaltenen Verbundenheit aller Christen wird durch die Zielursächlichkeit eine wahre, echte Gemeinschaft, weil alle in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihre Gnaden und Gaben zusammentragen, um ein wertvolles Nachbild Christi darzustellen. Nicht nur ein jeder für sich, sondern auch alle in ihrer Einigung zusammen erstreben das eine Ziel, ein zweiter Christus zu werden. Darum ist „die Kirche gleichsam die Fülle und Ergänzung des Erlösers". Darum umschlingen geheimnisvolle, übernatürliche Bande alle Christgläubigen, die eine uns Menschen sonst unbekannte Einigung schaffen. Das lässt sich nicht schöner ausdrücken, als es der heiligen Paulus getan hat, wenn er von den Gliedern eines Leibes und ihrer verborgenen, wundersamen Abhängigkeit voneinander spricht. Welch gewaltiger Lebensimpuls durchströmt die Kirche! Alle Völker und Nationen, alle Kräfte und Begabungen muss sie in den Dienst Christi einspannen, weil nur ein Universum des Heils das Ziel sichern kann: Christus würdig nachzubilden. Darum gibt es in der Kirche keine starre Ruhe und keine abgeschlossene Entwicklung. Scheint auch in ihr zunächst alles gleich und unverändert zu bleiben, mögen auch ihre Dogmen uralt sein, mag auch ihr liturgisches Leben einer ehemaligen Zeit anzugehören scheinen, so ist doch in Wahrheit selbst in diesen anscheinend unbeweglichen Erscheinungen ein ununterbrochenes Werden und Fließen, um aus der Gabe aller Zeiten und Völker jene Christusgemeinschaft zu bilden, die eine würdige Braut des himmlischen Bräutigams ist.

Wer treibt die Kirche zu diesem Ziele? Wer sichert dieses hohe Ziel? Wiederum Christus selbst, der ja für die Kirche die Quelle aller Bewegungen, ihre dynamische Mitte darstellt. Im Bilde vom Haupte spielte ja das Haupt die leben spendende und taten volle Rolle einer Seele. Paulus nennt den Herrn den Geist seines Leibes. Dadurch wird die Kirche wirklich zum fortlebenden Christus. Unter dem Gesichtspunkte einer Formalursache erfasst man die tiefste und innigste Bindung der Kirche an Christus.

Nennen wir Christus die Wesensform oder die Formalursache der Kirche, so wollen wir damit nicht behaupten, dass Christus durch physische Inhärenz seine Kirche mitkonstituierte, so wie Leib und Seele zusammen den Menschen bilden. Wir wollen damit nur in stärkster Weise zum Ausdruck bringen, dass die Kirche allein von Christus her Dasein besitzt und ganz von Christi Kraft lebt. Es soll damit nur gesagt werden, dass er so wie eine Seele der Kirche anzusehen sei, d. h. dass er sich und seine Kraft aufs vollkommenste soweit seiner Kirche übergibt, als es ohne Seinsverschmelzung möglich ist. Ein pantheistischer Christusmystizismus darf in den Vorstellungen der Gläubigen keinen Eingang finden. Er kann keinen Platz in unserem Kirchenbilde finden, weil die Verschmelzung von Christus und Kirche zu einer einzigen physischen Person gegen alles logische Denken verstoßen würde. Er darf keinen Platz finden, weil er religiös unerträglich in seinen Folgerungen wäre. Dann müßten alle Mängel, Fehler und Sünden der Kirche von Christus persönlich getragen und ihm zugeschrieben werden. Daraus versteht man die ernsten Worte der Kirchenenzyklika Pius' XII. gegen solche Bestrebungen. "Solch irreführende Lehre steht in vollem Widerspruch zum katholischen Glauben, zur Überlieferung der Väter und ebenso zur Ansicht und zum Geiste des Völkerapostels." Darum sprechen wir besser von Christus als dem Quasiformprinzip seiner Kirche. Vor allem rufen wir deswegen mit Pius XII. das Bild der Ehe auf, das die Gefahren vermeiden lehrt. Hier bleiben zwei Personen bestehen, und doch wachsen sie zur tiefsten Einheit ineinander, nicht nur zu einer moralisch-juristischen, sondern die zwei in einem Fleische sind auch eine gewisse physische Einheit. Der Leib des einen wird auch der Leib des anderen; beide verschmelzen zu einem Geiste, d. h. zu einer Liebe und geistigen Einheit. So ist es zwischen Christus und der Kirche.

Die Kirche muss als Braut Christi betrachtet werden. Nur zu dem Zwecke ist die Kirche ins Dasein gerufen, dass sie die Braut Christi sei. Vor der bräutlichen Verbindung mit Christus ist sie gar nicht da. Sie kann nur als Braut Christi Dasein besitzen. Noch christozentrischer ist das Geheimnis der Braut Christi. Sie ist eine Braut, hervorgegangen aus dem Herzensinnern des Bräutigams. „Nun steige unser Bräutigam ans Kreuz, er steige ans Kreuz und entschlafe dort im Tode! Es möge seine Seite geöffnet werden und die jungfräuliche Braut hervorgehen! Wie einst Eva aus der Seite des Adam gebildet wurde, so werde nun aus der Seite des sterbenden Christus, der am Kreuze hängt, die Kirche gebildet! Wunderbares Mysterium: die Braut wird aus dem Bräutigam geboren!“ „In ununterbrochener Reihenfolge weisen die Zeugnisse der heiligen Väter darauf hin, dass die Kirche am Kreuze aus der Seite des Erlösers geboren worden sei als neue Eva und Mutter aller Lebendigen. Wo der große Ambrosius von der durchbohrten Seite Christi spricht, führt er aus: „Jetzt wird sie gebaut, jetzt gestaltet, jetzt gebildet und jetzt erschaffen“." Als Braut Christi ist die Kirche der zu befruchtende Mutterschoß, in dem Christus seine Gotteskinder zeugen kann. Dieser Mutter überantwortet er seine Gnadenkinder, damit sie diese für das ewige Leben erziehe und als vollendete Gottessöhne ihm zuführe. Es ist ganz eigenartig: damit es deutlich sei, dass die Kirche für Christus Braut, Mutterschoß und Erzieherin sei, damit es klar zum Bewusstsein gelange, dass er ,Quasiformprinzip seines Leibes sei, gerade dafür sind in erster Linie die kirchlichen Gewalten bestimmt. Denn durch die Ämter wird alles Tun der Braut christozentrisch und christologisch bestimmt. Das Wirken der Ämter, von dem so manche glauben, dass es dem feinen Gedanken vom Herrenleibe am meisten im Wege stehe, hütet in Wirklichkeit den tiefsten Sinn der Kirche.

"Die Frau ist gebunden, solange der Mann lebt", sagt Sankt Paulus (1. Kor. 7, 39). So ist die Kirche als heilige Braut an den fleischgewordenen Gottessohn für immer gebunden. Sie geht nicht zugrunde, weil er nimmer stirbt. Sie kann ihm nicht untreu werden, da sie außer ihm kein Dasein hat. Vielmehr ist in jedem Augenblicke das Ziel ihres Strebens und der tiefste Sinn ihres Tuns: wie sie dem Herrn gefalle.

II. Kapitel: Vom Wesensbild der Kirche

Der Versuch, Gestalt und Form der Kirche aus der Idee der Menschwerdung und den Gesetzen der objektiven Erlösung abzuleiten oder wenigstens verständlich zu machen, führte in das Innerste dieses Glaubensgeheimnisses hinein. Ein Wesensbild der Kirche ist damit vor unseren Augen entstanden. Es kann sich also nun nicht mehr darum handeln, seine Zeichnung erst vorzunehmen. Wir wollen jetzt das Erarbeitete nur sammeln und unter einem anderen Gesichtswinkel das Wesensbild dieses heiligen Mysteriums anschauen. Darüber hinaus sollen jedoch aus diesem Wesenskern die darin verborgenen Schätze, die den wesentlichen Reichtum der Kirche bilden, gehoben und beschaut werden. Immer neu werden wir dadurch der Kirche froh.

1. Das Vollbild der Kirche

Einschub:

deutsch lateinisch göttliche Tugend Wer Wo
Die triumphierende Kirche ecclesia triumphans liebende Engel und Heilige in der Anschauung Gottes oder der Heimat des Himmels
Die kämpfende oder streitende Kirche ecclesia militans glaubende Pilger in der Fremde (2 Kor 5, 6+9),
der Erde oder der Welt
Die leidende Kirche ecclesia patiens hoffende Arme Seelen im Läuterungsort oder
dem Fegfeuer

Jeder Mensch trägt von Jugend auf ein bestimmtes Kirchenbild in seiner Seele. Die Zeitanschauungen, in denen er groß geworden ist, die Art und Weise, wie er in reifender Jugendzeit mit der Kirche bekannt wurde, haben an diesem Bilde geformt. Unbewusst hat ein jeder Leser während der im letzten Kapitel unternommenen inneren Begründung der Kirche dieses Bild mit dem dort entstandenen verglichen. Meistenteils ist er wohl zu der Überzeugung gekommen, dass er nur ein Teilbild der ganzen göttlichen Herrlichkeit in seinem Herzen trug. Dieses Tatbestandes wollen wir uns in aller Ehrlichkeit voll bewusst werden, um klarer zu einem wahren Vollbild der heiligen Kirche zu gelangen. Wir gehen von einigen Teilbildern aus, prüfen ihre Brauchbarkeit und kennzeichnen ihre Ergänzungsbedürftigkeit, um dadurch das Ganze dieses Gottesgeheimnisses zu gewinnen.

a) Die Versammlung der Gläubigen oder das Volk Gottes

Wer vom Boden des Natürlichen her an die Kirche herantritt, wird sie mit Vorliebe als eine Vereinigung von Menschen betrachten, welche die gleiche religiöse Überzeugung teilen und diese Gemeinsamkeit durch Zusammenschluss ausdrücken und pflegen. Gerade dem neuzeitlichen Menschen liegt dieser Gesichtspunkt nahe. Vom Staatsleben her sind wir zu sehr gewohnt, an statt von der einen Kirche von Kirchen, Bekenntnisgemeinschaften oder Konfessionen zu reden. Hinzu tritt die individualistische Neigung des neuzeitlichen Menschen, die Betonung seiner persönlichen religiösen Erfahrung. Wer mit vielen Protestanten die göttliche Offenbarung in erster Linie als einen Anruf Gottes an die einzelne Seele sieht und darum die individuelle Antwort des einzelnen in den Vordergrund stellt, kann in der Kirche, soweit sie überhaupt aus dem Inneren des Menschen nach außen tritt, nicht viel mehr als einen zweckhaften Zusammenschluss gleich oder ähnlich gestimmter religiöser Menschen sehen.

Man braucht diese Auffassung nur kurz mit unseren bisherigen Ausführungen zu vergleichen, um sofort zu erkennen, dass man mit der Bestimmung der Kirche als eines Zusammenschlusses gleichgestimmter Menschen zwar etwas Richtiges gesagt hat, aber zugleich nichts Oberflächlicheres und Äußerlicheres von ihr sagen konnte. So die Kirche sehen und bestimmen wollen, hieße, sie ganz in das bürgerliche Getriebe hinabziehen und sich am weitesten von dem Bekenntnisse entfernen: "Ich glaube an eine heilige Kirche". Dabei braucht man gewiss nicht so weit zu gehen, dass man die Kirche jeder religiösen Sekte gleichstellt und dem Vereinsregister unterwirft. Immer jedoch schließt eine solche Sicht die Gefahr des Indifferentismus ein. "In einem schweren Irrtum", sagt darum Pius XII. mit Recht, "befinden sich jene, die sich die Kirche als eine Art menschlicher Organisation denken mit einer bestimmten satzungsmäßigen Ordnung und mit äußeren Riten, aber ohne Mitteilung übernatürlichen Lebens.“

Es gibt aber auch eine gehobene Auffassung von der Kirche als der Vereinigung der Gläubigen. Vom Glauben an die Göttlichkeit der Kirche ausgehend, bejaht man die Einzigartigkeit dieser religiösen Vereinigung als einer Versammlung der wahrhaft Gläubigen oder als des Volkes Gottes. Dennoch hat schon im letzten Jahrhundert ein Laientheologe, Friedrich Pilgram, die Mängel dieser Auffassung mit Recht getadelt. „Der Begriff, Versammlung der Gläubigen' ist in sich mangelhaft, keine Definition, sondern eine bloße Deskription. Er sagt bloß aus, worin die Kirche besteht, nämlich in den Gläubigen. Die Gläubigen, oder, wie neuere Akatholische sich ausdrücken, die ,Summa der Getauften', sind aber bloß das Material der Kirche, gleichsam der Stoff, aus dem die Versammlung zusammengefügt ist. Mit der Erkenntnis des Stoffes, in und aus dem etwas besteht, weiß ich aber noch gar nichts von der Art seiner Konstruktion, mit der Bestimmung des Menschen-Materials der ,Gläubigen', aus denen die, Versammlung' zusammengefügt ist, weiß ich noch gar nichts von der Weise der Zusammenfügung. Zum Begriff der Sache gehört aber doch vor allem auch das, wie sie natura zustande gekommen ist und besteht; wenn ich eine, Versammlung oder Vereinigung von Menschen verstehen will, so muss ich vor allem wissen den Plan, die Idee, das geistige Grundgesetz, in und nach dem sie konstruiert ist. Verlangen wir doch auch bei einem steinernen Gebäude nicht bloß das Material zu kennen, aus dem es errichtet ist, sondern vor allem den Baustil. Gerade der Bauplan und Stil ist in der Erkenntnis eines Gebäudes das Wesentlichste und dagegen die Kenntnis des Materials, der Natur der Steine, nur von untergeordnetem Belang. So kommt es auch für die Erkenntnis menschlicher Verbindungen als solcher zunächst und zumeist auf den Plan, den Stil, an." Die Idee, den Plan, das geistige Grundgesetz der Kirche zu finden, darauf waren unsere bisherigen Bemühungen hingerichtet. Sie offenbaren darum am klarsten, welch ergänzungsbedürftiges Teilbild der Kirche in der Benennung steckt: Versammlung der Gläubigen, Summa der Getauften, Volk Gottes.

Dennoch gibt auch Pilgram zu, dass in diesem Teilbilde eine wichtige Seite der Kirche, sogar eine wesentliche ausgedrückt wird. Es enthält einen "höchst wichtigen Moment des ganzen vollen Kirchenbegriffes“, der nicht vernachlässigt werden darf. Es ist ja bezeichnend, dass gerade der älteste Name "Ecclesia" vom Versammeltsein der Gläubigen her genommen ist und in Anlehnung an die alttestamentliche Vorstellung auch die neutestamentlichen Bücher die Christen gerne als das neue Volk Gottes sehen. Der Römische Katechismus bevorzugt diese Bezeichnung. "Die streitende Kirche ist die Versammlung aller Gläubigen, die noch auf Erden leben.“ Auch Leo XIII. vergisst in seiner Zeichnung der Kirche nicht zu bemerken: "Insofern sie aus Menschen besteht, ist sie eine menschliche Vereinigung." Wir haben zwar mit Recht betont, dass die Kirche als Heilsanstalt Christi vor den gläubigen Menschen besteht und als Herrenleib vor deren Eingliederung schon gegeben ist. Diese objektive Seite der Kirche kann aber ebenfalls einseitig überbetont werden, wie wir noch sehen werden. Davor bewahrt der Gedanke an die Versammlung der Gläubigen. Dieses Teilbild lässt eben nicht vergessen, dass konkrete Menschen mit individuellen Eigenschaften und Bedürfnissen das Material bilden, aus dem der Herrenleib wie aus lebendigen Steinen erbaut ist und jeweils erbaut wird. Es erinnert daran, dass der ganze Mensch mit seinem gesamten Sein und Tun in die heilige Opferhingabe hineingezogen werden muss. Alle Glieder müssen ihre verschiedenen Gaben herbeitragen, wenn ein vollgültiges Nachbild Christi erstehen soll. Diejenige Kirche, welche sich intensiv als Volk Gottes fühlt, bleibt lebendige Gegenwart. Sie ist stets darauf bedacht, in Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse und Gegebenheiten "ein heiliges Geschlecht, einen heiligen Stamm, ein zu eigen erworbenes Volk“ (1. Petr. 2, 9) zu bilden. Dadurch bekommen für das Leben der Kirche auch die persönlichen Eigenschaften und Gaben der Glieder eine große Bedeutung. Das Leben des Herrenleibes bewahrt seine Fülle und seinen Reichtum. "Das Auge darf zur Hand nicht sagen: Ich bedarf deiner Dienste nicht. Der Kopf darf zu den Füßen nicht sprechen: Ich habe euch nicht nötig. Vielmehr sind gerade die schwachen Glieder am Leibe besonders notwendig" (1.Kor.12,21f.). Dieses Teilbild wahrt die volle Einbeziehung der Laien ins Kirchenbild und spornt die Menschen und Völker an, in heiligem Wetteifer ihre individuellen Gaben zum Aufbau des ganzen Leibes herbeizutragen.

b) Die Zuordnung von Wesen und Erscheinung

Eine Kirche, welche nicht eine kleine Anzahl von Gläubigen, sondern viele Millionen Anhänger zählt, ja dazu bestimmt ist, das ganze Menschengeschlecht zu umfassen, bedarf notwendigerweise der zusammenhaltenden und leitenden Organe. Die Versammlung der Gläubigen kann der ordnenden Hände, das Volk Gottes nicht der lenkenden Gewalten entbehren. Damit ist die Frage aufgeworfen, woher diese Organisation stammt und wie ihr Verhältnis zur Grundidee des Volkes Gottes ist. Aus der falschen Lösung dieses Problems kann ein Teilbild der Kirche entstehen, das man kaum als brauchbar bezeichnen kann. Dieses Teilbild besagt die Zuordnung der Organe zur Kirchenidee als der Erscheinungen zum Wesen. Der Urgrund dieser Auffassung liegt in der idealistischen Philosophie und der liberalen, modernistischen Theologie. Wenn auch die Übertragung auf katholisches Denken alles Häretische ausschließen will, so erzeugt sie doch eine Teilansicht von der Kirche, die dieser göttlichen Gegebenheit nicht gerecht wird.

Der Idealismus sieht im Glauben lediglich ein System von religiösen Ideen und im Christentume bloß eine Geistesbewegung. Wie Gedanken, die in einer gewissen Zeit liegen, auf einen empfänglichen Geist stoßen, von ihm klarer 'und tiefer erfasst werden, um mit der Glut seiner Persönlichkeit in die Umwelt zurückgetragen zu werden und dort eine starke Bewegung auszulösen, so habe Christus die Vorstellungen und Erwartungen vom Reiche Gottes in dem Gedanken vom Vatergotte so klar und zündend vereint, dass an seinem Gotterleben eine gewaltige religiöse Bewegung sich entzündete. Die Seelen der Seinen wurden da von ergriffen, und aus dem neugeschaffenen Seeleninneren sei nach und nach das herausgewachsen, was wir Kirche nennen. Mit dem netten Leben entfaltete sich eine Kirche, eine straff und straffer organisierte religiöse Gemeinschaft. So seien alle Gewalten und Ämter aus dem flutenden Glaubensleben herausgewachsen, nicht aber direkt von Christus gegründet. Der religiöse Geist habe sich in der Gestalt einer Kirche gleichsam verkörpert. Die Kirche hat sich so von innen nach außen entwickelt. Darum sind alle Gewalten und Einrichtungen der Kirche der relativen Entwicklung unterworfen.

Es ist selbstverständlich, dass kein Katholik einer solchen Gründungsgeschichte seiner Kirche zustimmen kann. Sie widerspricht der ausdrücklichen Erklärung des unfehlbaren Lehramtes. Darauf weiter einzugehen, liegt nicht in unserer Absicht. Dieser Hinweis sollte lediglich dazu dienen, die Entstehung eines Teilbildes zu erklären, das unter Ablehnung aller modernistischen Tendenzen mehrfach gewählt worden ist, um für die Kirche Verständnis und Liebe zu erwecken.

Dieses Teilbild, das vor allem in die Welt der Gebildeten Eingang gefunden hat, baut auf der Unterscheidung der idealistischen Philosophie von Idee und Erscheinung auf. Es scheidet zwischen einer Innen- und Außenseite der Kirche, zwischen ihrem inneren idealen Wesen und ihrer äußeren Erscheinung in harten irdischen Formen. Die Innenseite und das Wesen sind rein und gut. Hell und klar erstrahlt die Idee vom Reiche Gottes und der Gotteskindschaft. Aber diese Idee muss sich bei ihrem Herabsteigen auf diese Erde vermaterialisieren. Die unsichtbare Gotteskindschaft muss in der Menschenwelt sichtbare Gestalt annehmen, der Geist muss sich verkörpern, das innere Leben sich organisieren. Ohne eine Verkümmerung der Idee kann das nicht statthaben. So stehen sich in der Kirche zwar notwendig, aber zu unserm Bedauern Unsichtbares und Sichtbares, Gottesleben und Organisation, Gnade und Gewalten, Geist und Amt wie Innen und Außen, wie Wesen und Erscheinung gegenüber. Unsere ganze Liebe gehört dem Inneren. Mit dem Äußeren finden wir uns ab, weil nun einmal in dieser Welt Leben und Idee in besserer Gestalt nicht Platz nehmen können. Vielleicht schwingt man sich noch so weit auf, ob dieser Einsicht das sichtbare Getriebe der Kirche, ihre Ämter und Gewalten verständnisvoll zu bejahen und mit verhaltener Liebe zu umfangen.

Ohne Zweifel wohnte dieser Sicht von Anfang an eine apologetische Tendenz inne. Man empfand bitter die Kirchenflucht des modernen Menschen und wollte seinem Empfinden entgegenkommen. Es darf zugegeben werden, dass man auf diesem Wege manchem Gebildeten bessere Einblicke in den Sinn der Kirche vermitteln kann. Wir begrüßen es, wenn durch psychologische Anpassung ein froheres Kirchenbild in den Herzen der Gläubigen entsteht.

Aber die Ergänzungsbedürftigkeit dieses Bildes muss um so stärker betont werden, je mehr es einer falschen Sicht der Kirche gleichkommt. Und dies tut dieses Teilbild stärker als jedes andere. Bleibt man nämlich bei diesem psychologischen Anpassungsergebnis als einer echten Wesensschau der Kirche stehen oder gibt es dafür aus, dann schafft man im Kirchlichen eine Trennung, die mitten durch das Wesen der Kirche hindurchgeht. Man wird dem göttlich großen Geheimnisse nicht gerecht. Zwei Beispiele mögen das erläutern. Wie man beim Gottmenschen seine Menschheit nicht bloß als "Erscheinung" seiner Gottheit, die sein innerstes "Wesen" sei, beim Menschen den Leib nicht nur als "Erscheinungsform" des "Wesens", der Seele, fassen darf, sondern erst das notwendige und substantielle Zusammensein beider Faktoren das Wesen ausmacht, ebenso wenig kann man bei der Kirche die Ämter und das neue Leben, Außen und Innen, in dieser Weise trennen. Erst ihr Zusammensein ist Kirche. "Beide ergänzen und vervollkommnen einander wie in uns Leib und Seele und gehen von Einem und demselben aus, unserm Erlöser." Dem fleischgewordenen Gottessohne und dem gottmenschlichen Wirken entspricht als Fortsetzung und Ergänzung nur eine sichtbar-unsichtbare Christusgemeinschaft. Das ist die Idee und das Wesen der Kirche; nur und erst dieses Zusammensein ist Kirche. Darum ist jenes Teilbild nicht imstande, das Sichtbare, Geformte, Organisierte an der Kirche als so innerlich notwendig und unveränderlich zu begreifen und so dem Wesen der Kirche einzubauen, dass es gerade dazu dient, die innige Verbindung der Kirche mit ihrem Haupte, die Parallelität des irdischen Mittlerwirkens mit dem erweiterten himmlischen zu vollziehen. Zu groß ist die Gefahr, Notwendiges und Wesentliches an der Kirche zu aposteriorischen Elementen herababzudrücken, ja die ganze Kirche zu einer solchen Erscheinungsform werden zu lassen, während doch die Betonung ihres apriorischen Gehaltes wesentlich ist. So gewiss man sagen kann, dass die aufgezeigten apriorischen Elemente nicht ins Dasein treten, solange keine Gläubigen vorhanden sind und der Heilige Geist noch nicht gekommen ist, so wahr ist es aber auch, dass sie nicht aus den Gläubigen und dem Heiligen Geiste kommen wie Verkörperungen ihres Lebens und Wirkens, sondern aus dem Willen Christi und insofern ein Vorher vorliegt, das dann durch die Kraft des Heiligen Geistes aktualisiert wird.

c) Die Heilsanstalt

Stellen die bisher besprochenen Teilbilder entweder das Material, aus dem die Kirche besteht, oder ein Bruchstück ihres Wesens einseitig heraus, so schenkt ein drittes Teilbild gerade dem Elemente seine ganze Aufmerksamkeit, das vom zweiten Teilbilde stiefmütterlich behandelt wird: der Heilsorganisation. Es stellt die Kirche als die von Christus gestiftete Heilsanstalt zur Erlangung des ewigen Lebens dar. Aus der historischen Übersicht kennen wir dieses Bild als das vorzüglichste Kirchenerlebnis der nachtridentinischen Zeit. Vom Verein oder der freien Versammlung der Gläubigen sind wir, soziologisch geschaut, zur Anstalt übergegangen. Kann in einem Vereine ein jeder Mensch nach seinem Gutdünken kommen und gehen, kann darum ein Verein unmöglich als verpflichtende göttliche Stiftung betrachtet werden, da er sich mit dem Auseinandergehen der Mitglieder wesensgemäß auflöst, so ist eine Anstalt ebenso wesensgemäß von ihren Besuchern unabhängig. In freier Liebe oder auch aus Notwendigkeit kann sie von einem Höheren errichtet werden, der alle Menschen zum Eintritt einladet oder auffordert. Er verspricht denen, die eintreten und den gestellten Forderungen sich unterziehen, eine Gegengabe, in diesem Falle das ewige Leben, und schenkt es ihnen durch die Vermittlung dieser Anstalt.

Die Anstalt ist und bleibt eine göttliche Stiftung., mögen die Menschen sie bejahen oder ablehnen.

Dieses Teilbild stimmt mit dem überein, was in einem früheren Abschnitt aus der Eingliederungsidee für die Gestalt und den Sinn der Kirche erarbeitet wurde. Aus Glaube, Taufe und Eucharistie erstand das Institut der legitimen Glaubensboten, die sakramentale Organisation mit dem Priestertume, das Hirtenamt. Es ergab sich eine Kirche als Heilsorganisation Christi, um die Früchte seines Todes den einzelnen in rechter Weise zuzuwenden. Dieses Bild ist stets das erste, das sich ergibt, wenn es sich ,um einen positiven oder gar übernatürlichen Eingriff Gottes handelt. Es ist darum auch diese Seite die erste, die wir an der Kirche sehen: eine gewaltige, fein aufgebaute Organisation zur Vermittlung des ewigen Lebens, das Christus erworben hat. Es wird auch stets das erste sein, was man der Kirche als eigen zuschreibt: die amtlichen Verkünder der frohen Botschaft, die Sakramente als die Kanäle der Gnade, die Priester als Verwalter der Sakramente und nicht zuletzt die Hirten, welche in das religiöse Leben des einzelnen eingreifen. Wir können aber auf Grund unserer Untersuchungen noch einen Schritt weitergehen und sagen: es handelt sich hier nicht nur um das erste, was in die Augen fällt, sondern es ist auch das Grundlegende an einer Wesensbestimmung der Kirche, dass sie Heilsveranstaltung Christi ist. Was immer auch wir sonst noch diesem Teilbilde hinzufügen mögen - und wir werden noch etwas Wesentliches hinzufügen müssen, wie die früheren Ausführungen über den Herrenleib zeigten, - es kann nie allein für sich dastehen, sondern muss sich immer auf dieses Fundament stützen, hängt ohne diese Grundlage in der Luft. Aber wir müssen auch umgekehrt bekennen: ohne das, was wir noch hinzufügen müssen, ist dieses Kirchenbild hart und eckig; es fehlt ihm der rechte warme Inhalt. Auch hier liegt nur ein Teilbild vor, das der Ergänzung dringend bedarf.

Die Einseitigkeit der Wesensbestimmung der Kirche: Heilsanstalt Christi zu sein, wird mit Recht von Fr. Pilgram scharf gegeißelt: "Andere haben, ebenso vom Grundbegriff der ,Anstalt' ausgehend und nicht bestimmend, worin das Wesen der Kirche als Anstalt besteht, dieselbe nach Analogie anderer Anstalten in der Welt als ein äußeres Mittel zu äußeren Zwecken dargestellt. Die ,Anstalten' in der Welt sind ihren Zuständen nach meist äußerliche und mechanische Einrichtungen, die nicht ihren Selbstzweck in sich, sondern ihr Ziel und ihren Schwerpunkt außer sich haben, und in denen daher die Persönlichkeiten, welche die Anstalt verwalten, einzeln für sich wie in ihrer Gesamtheit nicht lebendige Träger ihrer Einrichtungen und Gesetze, nicht freie Organe eines lebendigen Leibes, sondern nur tote Werkzeuge und Maschinen sind, durch welche die äußerlichen und rein objektiv konstruierten Gesetze und Einrichtungen der ,Anstalt' ihre mechanischen Prozesse vollziehen. Wie die modernen Staaten in hohem Grade zu Mechanismen in diesem Sinne geworden - man denke nur an den Mechanismus der Bürokratie -, so hat man auch die Kirche vielfach sich als eine solche ,Anstalt' denken wollen; Bischöfe und Priester wurden nach dieser Ansicht als eben solche Maschinen gefasst, wie es die weltlichen Staatsbeamten zum Teil sind, nämlich als pure, reine Werkzeuge und äußere Mittel, vermittelst derer die Kirchen-, Anstalt' den außer ihr selbst liegenden Zweck des Seelenheils der Menschen erstrebe." Wer in der Kirche nur Heilsanstalt sehen wollte, machte sich schließlich, da Christus und Kirche auf derselben Linie liegen, einer sehr traurigen Verkennung Christi schuldig, indem er auch in ihm nur den von oben geschickten Beamten Gottes sähe, der einen außerhalb seiner Person liegenden Auftrag ausgeführt hätte. Aus unserer Zeichnung des Heilswirkens Christi ersieht man aber, wie stark man damit die Stellung und Aufgabe Christi verzeichnen würde. Sieht man in Christus den Beamten, aber nicht das gegebene Haupt und den geborenen Mittler, dann trennt man Christus von seinen Brüdern. Er steht außer ihnen und ist ihnen wesensfremd, wogegen doch eine so innige Einheit und Verbundenheit obwaltet, dass in Christus alle Erlösung objektiv vollzogen ist, weil er Haupt ist. Wer in der Kirche nur Heilsanstalt sieht und nur dies betont, trennt ebenso in ertötender Weise das Anstaltliche und Organisatorische von den lebendigen Gläubigen und der religiösen Gemeinsamkeit, tut den verhängnisvollen Abgrund zwischen der "eigentlichen" Kirche und dem Kirchenvolke auf, wogegen doch unsere Ausführungen die innigste Harmonie zwischen diesen beiden Teilbildern verlangten. Die Kirche erscheint dann als etwas, das dem gläubigen Leben gleichsam gegenübersteht, als etwas, das seinen Zweck außer sich hat, nämlich die Seligkeit der Gläubigen. Die Kirche sinkt dann zu einer Lehranstalt und einem Erziehungsinstitute herab. "Man bedient sich allerdings nicht der passendsten Ausdrucksweise, wenn man die Kirche, hinsichtlich ihres Ursprungs, als eine Stiftung oder Anstalt bezeichnet. Der Zusammenhang der Kirche mit dem Werke der Erlösung, welches doch niemand für eine bloße Stiftung halten wird, ist zu innig, naturwüchsig und beziehungsweise notwendig, als dass die Bezeichnung eines Institutes den Begriff ihres Wesens erschöpfen könnte. Wäre die christliche Religion ein bloßer Lehrbegriff, so möchte die Kirche als deren Trägerin freilich eine bloße Lehranstalt oder Schule sein und wäre die christliche Religion, wie wenigstens vorwaltend der Alte Bund, nur Aufstellung eines besonderen Gesetzeskodex, dann könnte wiederum die Kirche eine Erziehungsanstalt heißen. Nun ist zwar die christliche Religion das eine und das andere, sie ist jedoch wesentlich mehr als beides." Die Kirche ist in diesem Teilbilde nicht mehr die sich opfernde Menschheit, nicht mehr der im Opferzustande befindliche und beharrende Leib Christi, nicht mehr die Gemeinschaft der Menschen in Christus mit Gott. "Die Kirche als Gemeinschaft der Menschheit in Christo mit Gott und unter sich hat notwendig ihren Zweck, ihr Ziel in sich selbst; denn der höchste Zweck der Menschheit ist ja eben die Verherrlichung Gottes durch die Vereinigung mit ihm. In dieser Vereinigung der Menschen mit Gott in seinem Reiche ist ja auch der sekundäre Zweck in seiner Schöpfung, nämlich die Seligkeit der Geschöpfe, enthalten... Ist nun die Kirche diese Vereinigung, Gemeinschaft selbst, so liegt offenbar der höchste Zweck, wie der Menschheit, auch der Kirche, in ihr selbst, und sie erfüllt ihn durch sich selbst, durch ihr eigenes Dasein. Die Kirche ist kein Mittel zu irgendeinem Zwecke außer ihr; sofern sie ein Mittel ist, ist sie ein solches Mittel, welches in sich selbst seinen Zweck erfüllt. Vielmehr aber ist zu sagen, dass sie ein solcher Zweck, ein solches Ziel ist, welches an und in der Sache selbst, als innerer Selbstzweck liegt und an und in sich selbst auch die Mittel zu seiner Verwirklichung enthält und in sich trägt.“

Es gilt also, auf der einen Seite das Heilsanstaltliche an der Kirche nicht zu übersehen, wozu in neuester Zeit manche Ansätze vorhanden waren, sondern das, was Grundlage ist, auch immer grundlegend sein zu lassen, auf der andern Seite jedoch nicht zu meinen, in dieser einen Wesensseite das Vollbild der Kirche hinreichend gezeichnet zu haben.

d) Der Herrenleib

Diesem Teilbilde steht in neuester Zeit ein anderes Teilbild, das den feinsinnigen Namen "Corpus Christi mysticum, Herrenleib" trägt, gegenüber. Auch dieser vorzügliche Gedanke kann vereinseitigt werden, und er ist in den stürmischen Zeiten des Neuerwachens hier und da vereinseitigt worden. Man lief von diesem Teilbilde her Sturm gegen das Organisatorische und gegen das sichtbare Getriebe der Kirche, soweit es nicht liturgisch war. Es darf also das jetzt zu behandelnde Teilbild nicht mit jenem Bilde vom mystischen Herrenleibe verwechselt werden, das im vorhergehenden Kapitel gezeichnet wurde. Der gleiche Name besagt nicht dasselbe. Denn in jener Zeichnung gingen die Heilsanstalt und der Herrenleib eine innerliche und innige Verschmelzung miteinander ein. Jetzt ist eine Auffassung vom Corpus Christi mysticum gemeint, in der man vom Heilsanstaltlichen möglichst viel niederzuhalten sucht. Es ist jene schiefe Auffassung vom mystischen Herrenleibe, deren wegen Pius XII. das Rundschreiben „Mystici corporis Christi" erließ.

An diesem Teilbilde - selbst in dieser einseitigen Weise verstanden - ist manches zu rühmen. jede Subjektivierung der Kirche ist ausgeschlossen. Die Kirche wird nämlich nicht als ein bloßes Mittel angesehen, um die persönliche Glückseligkeit zu sichern. Hier ist die Kirche als die Christus- und Gottesgemeinschaft Selbstzweck. Man wird nicht von der Anstaltskirche nach guter Führung mit dem ewigen Leben abgelohnt. Man setzt vielmehr in himmlischen Formen das fort, was man als Glied des Herrenleibes als seine irdische Lebensaufgabe betrachtete. "Sie (die Kirche) hat bei all ihren Funktionen nicht den einzelnen als solchen - das individuelle Seelenheil für sich, - sondern den einzelnen im Auge, wie er ihr Glied, Bürger der kirchlichen res publica ist oder sein soll. Der Zweck des Seelenheils ist ihr nur ein besonderer und eingeordneter in dem allgemeinen Zwecke der Verherrlichung Gottes, der auf Erden in der Verwirklichung und im Leben der Kirche im Ganzen besteht und im einzelnen sich nur an einem Teilnehmer an diesem Leben realisiert." Die Zusammengehörigkeit aller Menschen in Christus kommt schön zum Ausdrucke, und der Gläubige bleibt sich damit der Hauptaufgabe des Menschengeschlechtes bewusst, der Verherrlichung Gottes zu dienen. Als ein heiliger Opferleib will die Kirche ununterbrochen Gottes Lob singen, Gottes Ehre preisen, Gottes Liebe anbeten und in der Gottesgemeinschaft selig sein. Der Duft aus dem Heiligtume umschwebt dieses Teilbild.

In einer Vereinseitigung dieses Teilbildes, das den feinsten Inhalt unseres Glaubensgeheimnisses birgt, läge aber eine Gefahr. Diese Gefahr, der nicht immer ernst genug begegnet wird, zeigt die Ergänzungsbedürftigkeit auf und ist uns stets ein Warnungszeichen, den Begriff "Herrenleib" nie einseitig und damit falsch auszudeuten. Eine Überbetonung des Sakralen kann die Gefahr mit sich bringen, die Kirche schon jetzt aus dieser Welt herauszustellen. Sagten wir vom ersten Teilbilde: hier kann die Kirche verbürgerlicht werden, so könnte hier der Auffassung Vorschub geleistet werden, als ob Kirche und Welt zwei völlig getrennte Sphären seien. Die Kirche wäre nicht mehr der Sauerteig, der alles durchdringen soll, nicht mehr die weltumspannende und weltumwandelnde Macht Christi. Man stößt sich bei Vereinseitigung gerne an allem, was gerade dieser Weltaufgabe dient: am Kirchenrechte, an den Verwaltungsformen, an den weltlich anmutenden Forderungen der Kirche. Flüchtet man aber aus der Welt, dann ist die Versuchung groß, aus der Gegenwart in eine idealisierte Vergangenheit zu fliehen und das stets flutende Leben der Kirche erstarren zu lassen. Die Kirche als der fortlebende Christus ist aber stete Gegenwart. Heute müssen Christusaufgaben erledigt werden. Heute muss die Kirche wachsen und dem Ziele der Christusförmigkeit näher kommen.

Wir können die Gefahren dieses Teilbildes am leichtesten aus der kirchlichen Entwicklung des Ostens erkennen. Dort hat sie niemand klarer erschaut und schärfer formuliert als der große Solowjew. Die Ergänzungsbedürftigkeit dieses Teilbildes hat er folgendermaßen ausgedrückt: "Der Osten, orthodox in bezug auf die Theologie, doch nicht in bezug auf das Leben, verstand wohl die Gottmenschheit Christi, konnte jedoch die gottmenschliche Bedeutung der Kirche nicht verstehen. Er wollte in der Kirche nur das Göttliche, doch nicht das Gottmenschliche haben. Für den Osten war die Kirche nur ein Heiligtum, in vollendeter Form gegeben, durch die Überlieferung bewahrt und durch die Frömmigkeit angeeignet. Und wahrlich, Letzteres ist das Allererste in der Kirche; für den Osten war es das Erste und das Letzte. Die Kirche, die in bezug auf ihr Fundament übermenschlich ist, kann sich jedoch nicht bloß auf dieses göttliche Fundament begrenzen; sie soll auch den ganzen Bau unseres Lebens umfassen.

Die Kirche oder das Gottesreich soll nicht nur über uns stehen, nur ein Gegenstand unserer Verehrung und Anbetung sein - sie soll auch in uns selbst für die ganze Menschheit als eine regierende Macht und ein freies Leben da sein. Bei seinem einseitigen Hängen an den göttlichen Grundfesten der Kirche vergaß der Osten die Vollendung derselben innerhalb der Menschheit. Wenn jedoch die Kirche einmal gegründet ist, so bedeutet das nicht, dass sie schon vollkommen ist und dass wir zu ihrer Vollendung nichts mehr zu tun haben. Die Kirche ist etwas Unveränderliches, etwas unabhängig von uns Bestehendes, doch die Kirche ist auch etwas durch uns selbst Entstehendes, etwas Veränderliches und Bewegliches. Das, was unwandelbar ist in der Kirche - die ununterbrochene Sukzessivität ihres Priestertums, die ewige Wahrheit ihres Dogmas, die wirksame Kraft ihrer Sakramente – das alles hat eine direkte Beziehung zu Gott und fordert vom Menschen eine bloße Anerkennung und Annahme. Dagegen hat alles, was in der Kirche beweglich und veränderlich ist, was allmählich und historisch auf ihrem göttlichen Fundamente aufgebaut wird, eine direkte Beziehung zum Menschen und fordert von ihm Selbstbetätigung.

Die Vereinigung der beiden Elemente jedoch wird unbedingt durch den gottmenschlichen Charakter der Kirche gefordert."

Genau so denkt Pius XII.: "Wie Christus, das Haupt und Urbild der Kirche, nicht ganz ist, wenn man in Ihm entweder nur die menschliche, sichtbare, oder bloß die göttliche, unsichtbare Natur betrachtet, sondern wie Er Einer aus beiden und in beiden Naturen ist: so sein mystischer Leib; hat doch das Wort Gottes eine menschliche leidensfähige Natur angenommen, damit nach der Gründung einer sichtbaren und mit dem göttlichen Blute geweihten Gesellschaft der Mensch durch eine sichtbare Leitung den Weg zum Unsichtbaren zurückfinde."

e) Das ganze Kirchenbild

Die göttliche Fülle der Kirche bricht sich in drei Teilbildern: Volk Gottes, Heilsanstalt, Herrenleib. Jedes Teilbild birgt kostbaren Inhalt und offenbart wertvolle Momente. Sie greifen bei richtiger, tiefer Schau ineinander. Wie die Einrichtungen der Heilsanstalt über sich hinaus auf den Herrenleib weisen, wie der Herrenleib als das Übersakrament Organe fordert, welche mit den heilsanstaltlichen Gegebenheiten identisch sind, so strebt die Versammlung der Gläubigen zu einem Zusammenschluss, der die natürlichen sozialen Veranlagungen der Menschen übersteigt, und der mystische Leib ist ohne die gläubigen Glieder und das lebendige Tun des Volkes Gottes nicht denkbar. Das Vollbild der Kirche umfasst diese drei Teilbilder. Je mehr unser persönliches Kirchenbild diesem Vollbilde sich annähert, um so voller und tiefer erfassen wir den herrlichen Gottesgedanken, der sich in diesem Geheimnisse ausspricht. Je stärker unser Kirchenerlebnis von diesem Vollbilde lebt, um so treuer und inniger wird unsere Liebe den fortlebenden Christus umfassen.

Es ist gut, sich einmal dieser drei Teilbilder und ihres Zusammenhangs klar bewusst zu sein, aber es ist nicht notwendig, dies stets vor Augen zu haben. Sie lassen sich nämlich mit leichter Mühe in dem einen Kirchenbilde begreifen, das wir bisher gezeichnet haben. Die Namen "Leib oder Braut Christi", welche wir der Offenbarung verdanken, brauchen nur in ihrem wahren Vollsinne genommen und gedeutet zu werden, dann enthalten sie alles, was wir von einem vollgültigen Kirchenbilde verlangen müssen. Das Bild vom mystischen Herrenleibe, nach den Weisungen der Heiligen Schrift und der Tradition richtig gedeutet, enthält das ganze Mysterium der heiligen Kirche. Darum hat auch Pius XII. in seiner Kirchenenzyklika das Bild vom mystischen Leibe Jesu Christi als das Vorzüglichere und das Vornehmere herausgestellt, um dieses das ganze Wesen der Kirche zentriert und aus ihm das echte, katholische Vollbild der Kirche herausgearbeitet.

Unternehmen wir den Versuch, das Vollbild der Kirche durch das Mittel der Sprache so kurz und treffend zur Darstellung zu bringen, dass eine Art Wesensbestimmung vorliegt, so dürfte folgende Prägung sich empfehlen:

Die Kirche ist der mystische Leib Jesu Christi, den der Gottmensch auf Grund seines hohenpriesterlichen Opfers ins Dasein gerufen hat und durch die Kraft des Heiligen Geistes und den Dienst der kirchlichen Ämter immerfort erhält und belebt.

In dieser Formulierung erscheint plötzlich ganz unvorbereitet ein neuer Faktor: Die Kraft des Heiligen Geistes. Da vom Vollbilde die Rede ist, so darf nichts unterschlagen werden, was zum Wesen der Kirche gehört. Ohne den Heiligen Geist gibt es aber kein Mysterium der Kirche. Hat doch ihr Stifter selbst gesagt: "Es ist gut für euch, dass ich hingehe. Denn gehe ich nicht hin, so wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber hin, so werde ich ihn euch senden" (Joh. 16,7). Erst durch die Mitteilung des Heiligen Geistes ist Kirche. Darum gehört die Sendung und die Kraft des Heiligen Geistes zum Vollbilde der Kirche. Wenn dies bisher mit keinem Worte erwähnt wurde, so geschah es der Vereinfachung und Klarheit wegen. Wir haben uns einer erlaubten methodischen Verkürzung bedient. Es ist nun höchste Zeit, diese aufzuheben, damit kein schiefes Bild vom Mysterium der heiligen Kirche entstehe.

2. Der Heilige Geist, die Seele der Kirche

Der Heiliger Geist, dargestellt als Taube im Petersdom (vgl. Mt 4, 16)

Mit der Kirche als der erweiterten Menschwerdung kann der Heilige Geist nur dann in wesentlicher Beziehung stehen, wenn er auch mit dem Fleischwerden des Sohnes Gottes und den Erlösertaten des geborenen Mittlers wesenhaft verknüpft ist. Ruht der Geist Gottes über dem göttlichen Haupte, dann gehört auch das Verweilen des Heiligen Geistes in der Kirche zu ihrem Wesen. Denn der Geist des Hauptes muss der Geist des Leibes sein.

Über die Beziehungen des Heiligen Geistes zur Menschwerdung des Sohnes Gottes und zum Erlöserwirken hat Papst Leo XIII. sich geäußert: "Dieses große Werk aber, wenngleich es der ganzen Dreieinigkeit zugehört, wird dem Heiligen Geiste als eigen zugeschrieben; denn von der reinsten Jungfrau erzählen die Evangelien: ,Es fand sich, dass sie empfangen hatte vom Heiligen Geiste' und: ,Was in ihr erzeugt ist, das ist vom Heiligen Geiste´. Und mit Recht wird dieses demjenigen zugeschrieben, der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist. Dieses große Geheimnis der Gottseligkeit ist hervorgegangen aus der Fülle göttlicher Liebe gegen die Menschen. Durch die Wirkung des Heiligen Geistes ist aber nicht nur die Empfängnis Christi geschehen, sondern auch die Heiligung seiner Seele vollzogen worden, welche in der Heiligen Schrift ,Salbung' genannt wird. So vollbrachte er alle Werke unter der Teilnahme des Heiligen Geistes, besonders aber sein Opfer. ,In dem Heiligen Geiste brachte er sich selbst Gott als unbeflecktes Opfer dar´." Empfängnis, Salbung, Erlöserwirken sind jene drei Momente, in denen nach der Lehre Leos XIII., der sich auf die Heilige Schrift beruft, die Beziehungen des Heiligen Geistes zu Christus offenbar werden. In den gleichen Gegebenheiten: im Fleischwerden des Sohnes Gottes, im Ausschmücken der heiligen Menschheit Christi mit der Fülle der Gnaden, im Erlöserwirken, namentlich im hohenpriesterlichen Opfer, liegen aber zugleich die Grundlagen des Hauptseins und der Mittlertätigkeit des Gottmenschen Jesus Christus.

Auf die Empfängnis weist die Heilige Schrift selbst hin. Es fragt sich nur, warum die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Menschwerdung hervorgehoben wird, trotzdem sie ein Werk aller drei göttlichen Personen ist. Man kann es wie Leo XIII. mit dem Motiv der Inkarnation begründen, die sich als Großtat der Menschenfreundlichkeit und Liebe Gottes kundtut. Darum ist der Heilige Geist und sein ewiger Ausgang aus der Liebe des Vaters und des Sohnes die unwandelbare Bestätigung dieses Ratschlusses der höchsten Liebe. In die gleiche Richtung weist der Zweck der Menschwerdung. Er besteht in der Teilnahme des Menschen am göttlichen Leben. Dieses Ziel beruht auf dem ewigen Wohlgefallen Gottes an seiner eigenen, dreieinigen Fülle, und diese ist auch der Ursprungsgrund des Heiligen Geistes. Darum steht er in besonderer Beziehung zur Menschwerdung.

Eine anscheinend unfruchtbare Frage haben die scholastischen Theologen beim Inkarnationsdogma aufgeworfen, ob nämlich Christus ein Geschöpf genannt werden könne. Sie haben mit dem heiligen Thomas diese Frage dahin beantwortet, dass sie nur mit größter Vorsicht bejaht werden könne, weil es wohl für die menschliche Natur, nicht aber für das Personsein des Gottmenschen zutreffe. Als End- und Zielpunkt des Entstehens und Erzeugens gilt für sie das in sich subsistierende Sein, welches im Reiche des Geistes die Bezeichnung „Person“ trägt. Wo ein solches selbständiges Sein entsteht, da liegt Erzeugen und Erschaffen vor, da ist schöpferische Tätigkeit, die betreffenden Worte des Vaters entströmt. Zu diesem nackten Sein tritt nun nach diesen Theologen seine Ausstattung zum Wirken, seine Ausrichtung auf ein Ziel, seine Ausschmückung zum Schönsein hinzu. Anregen, antreiben, streben machen, zum Ziele hinführen entspringt aber nicht dem schöpferischen Befehle des Vaters, sondern der entzündenden, schmückenden und vollendenden Liebe des Heiligen Geistes. Der Gottmensch Jesus Christus ist nun deswegen nicht schlechthin ein Geschöpf, weil er nicht in allem ein neues selbständiges Sein darstellt. Zwar wurde die Menschheit Jesu Christi aus dem Nichts erschaffen, wie jede Frucht am Menschheitsbaume, aber ihr fehlt das selbständige, eigene, menschliche Fürsichsein. Es fehlt darum dem befehlenden Worte des Vaters das Ziel; denn das Zielgebende, die Person des Logos, ist schon vorhanden. Die Menschheit Jesu wurde vielmehr statt zum eigenen Sein zum Sohn-Gottes-Sein bestimmt. Sie bekam ein Ziel, das schon bestand. Nicht ihre Erschaffung, sondern ihre Hinordnung auf den Logos steht im Blickpunkte. In der heiligen Menschwerdung tritt die Hervorbringung eines neuen Seins in gewissem Sinne zurück, wogegen das Zielgeben und Ausschmücken in den Vordergrund rückt. Darum entstammt der Gottmensch Jesus Christus nicht so sehr dem befehlenden Fiat des Vaters als dem Impetus der göttlichen Liebe des Heiligen Geistes. Von ihr wird die anzunehmende Menschheit ergriffen, von ihr zur hypostatischen Einigung befähigt. Die in das Geschöpf eindringende, zielgebende, belebende und vollendende Gotteskraft ist die des Heiligen Geistes.

Wollen wir noch tiefer das Verhältnis zwischen Christus und dem Heiligen Geiste auffassen, dann müssen wir von den Sendungen der göttlichen Personen flach außen ausgehen. Die Sendungen haben das Eigentümliche an sich, dass in ihnen die ewigen Ausgänge des trinitarischen Lebens nach außen hervortreten. Sie werden in der geschaffenen Welt fortgesetzt, und diese erhält damit Anteil an dem ewigen trinitarischen Leben Gottes. Beruht darauf die ganze Schönheit der heiligmachenden Gnade als der Gotteskindschaft, so erst recht die Menschwerdung. In dieser dehnt Gott der Vater durch die Annahme einer menschlichen Natur von Seiten des Logos das Verhältnis der natürlichen Vaterschaft, in dem er zu seinem Sohne steht, auch auf einen Menschen aus, indem er seinen Sohn nicht nur im Innern seines Schoßes, sondern auch nach außen hin in eine geschaffene menschliche Natur hineingebiert. Er teilt sich nach außen in einem so hohen Maße mit, dass er, der Vater, in einem Menschen sein natürliches Ebenbild schauen kann.

Wenn aber in der Inkarnation der erste innergöttliche Prozess, der Ausgang des Sohnes vom Vater, nach außen tritt, dann auch der zweite, der Ausgang des Heiligen Geistes von Vater und Sohn. Denn dieser zweite Ausgang steht nicht parallel neben dem ersten, sondern ist im ersten begründet :und in ihm eingeschlossen. Der Sohn, der seiner Person nach in eine menschliche Natur hinabsteigt, bringt naturnotwendig auch die von ihm ausgegangene Person des Heiligen Geistes in seine geschaffene Natur mit. Mit dem Sohne und in dem Sohne und durch den Sohn wird auch der Heilige Geist gesandt. Als der Sohn Gottes ins Menschengeschlecht eintrat, trat auch der Heilige Geist in persönlicher und besonderer Weise ins Geschlecht, freilich entsprechend seinem ganz anderen Personsein auch in einer anderen Art und Weise.

Es würde aber dem Wirken des Heiligen Geistes gar wenig entsprechen, wenn er die hypostatische Union, die Berufung der Menschheit Christi zu den Gütern und Vollkommenheiten der Gottheit, nur so weit geführt hätte, dass sie daran bloß prädikativ oder rein existentiell teilnähme, nicht aber eigenständig und lebendig, soweit das der geschaffenen Natur möglich ist. Um daher ihre höchste Ähnlichkeit und intimste Lebensgemeinschaft mit Gott zu verwirklichen, strömte der Heilige Geist mit seinen Gaben aus dem Logos in die mit diesem vereinigte Menschheit. Durch das Wirken des Heiligen Geistes empfing die Menschheit Jesu Christi die überreiche Herrlichkeit ihrer gnadenvollen Ausrüstung, die unendliche Fülle der präternaturalen, göttlichen Güter. Diese Salbung mit dem Heiligen Geiste, auf welche die Heilige Schrift oft hinweist, war die Quelle aller messianischen Kräfte und Vollmachten. Durch diese Salbung mit dem Heiligen Geiste und durch seine Gaben wurde Jesus der Prophet, Priester und König.

Außer der Empfängnis Christi und der Salbung seiner hochheiligen Menschheit spricht Leo XIII. davon, dass alle Werke Christi unter der Teilnahme des Heiligen Geistes vollbracht seien, besonders sein heiliges Opfer. Hier handelt es sich nicht mehr um Entgegennahme der Gnadengaben seitens der Menschheit Christi, sondern um ihre aktuelle Benützung. Jene kann ohne Betätigung des freien Willens statthaben, diese nicht. Da das Axiom aber sagt: Die Handlungen gehören der Person an, so scheint die Tätigkeit Christi in einer so speziellen Weise mit der zweiten Person in Beziehung zu stehen, dass eine besondere Mitwirkung des Heiligen Geistes ausgeschlossen erscheint. Und doch dürfen wir diesen Schluss nicht ziehen. Eigens merken die Evangelisten an, dass die erste messianische Tat Jesu, sein Weg in die Wüste, auf den Geist, der sich bei der Taufe manifestiert hatte, zurückzuführen sei (Matth.4, 1). Auf die Anregung des Heiligen Geistes kehrte er nach Galiläa zurück (Lk.4, 14). Durch den Geist Gottes trieb er die bösen Geister aus (Matth.12, 28). Bei dem Berichte der Jünger über die Wunder, welche sie wirken konnten, "frohlockte er im Heiligen Geiste" (Lk. 10,2]). Bei der Einhauchung des Heiligen Geistes zur Kraft der Sündenvergebung merken die Väter mehrfach an, wie damit offenbar gemacht werden soll, dass eine menschliche Autorität ohne die Mitwirkung des Heiligen Geistes nicht imstande sei, dieses oder ein ähnliches göttliches Werk zu vollbringen; also kann auch der Menschensohn nur in der Kraft des von seiner Gottheit ausgehenden Heiligen Geistes Sünden nachgelassen, Wunder gewirkt haben. Leo XIII. weist auf den Hebräerbrief (9, 14) hin, in dem gerade das größte messianische Werk, die Darbringung des hohenpriesterlichen Opfers, auf die Kraft des Heiligen Geistes zurückgeführt wird. Die hypostatische Union hebt die Bedürftigkeit jedes geschaffenen Wesens nach den Anregungen, Unterstützungen, Erleuchtungen und Stärkungen des Heiligen Geistes für das übernatürliche Wirken an sich nicht auf. Darum empfing auch Jesus als Mensch die Einflüsse des Heiligen Geistes.

Bei dieser Darstellung des Verhältnisses Jesu zum Heiligen Geiste kann sich die Frage erheben, ob dabei nicht der Logos als der persönliche und unumschränkte Herr seiner Menschheit ungebührlich zurücktrete. Das ist nicht der Fall, da der Logos seine Menschheit gerade durch jenen Geist leitet, erleuchtet und stärkt, der ewig von ihm ausströmt und den er selbst in der Zeit in seine Menschheit einströmen lässt. Es ist also umgekehrt. Keineswegs trennt der Heilige Geist durch seinen Einfluss die Menschheit Jesu von der unmittelbaren Verbindung mit der zweiten göttlichen Person, sondern, weil Geist des Sohnes, macht er sie gerade zu einem bereitwilligen und lenksamen Werkzeuge derselben. Je inniger die hypostatische Union gedacht wird, um so wirkungsvoller muss in ihr der ewige trinitarische Lebensprozess nach außen hervortreten und fortgesetzt werden, um so natürlicher ist die unmittelbare Lebensgemeinschaft der Seele Jesu mit dem Vater und dem Heiligen Geiste.

Ist der Heilige Geist der Geist des Hauptes, dann auch der Geist des Leibes. "Denn nicht für sich selbst", sagt Cyrill von Alexandrien", "hat der eingeborene Sohn den Heiligen Geist empfangen; denn der Heilige Geist ist ja, weil es sein Geist ist, in ihm und ist gegeben durch ihn. Wenn er ihn also empfängt, dann geschah es, weil er, Mensch geworden, die ganze menschliche Natur in sich tragend und in sich zusammenfassend, auch sie in ihrer Ganzheit wiederherstellen soll. Man urteilt also richtig und gemäß der Heiligen Schrift, wenn man sagt: Christus hat nicht für sich den Heiligen Geist empfangen, sondern er hat ihn vielmehr für uns in sich aufgenommen; denn er bildet für uns den Durchgangspunkt alles Guten." Besteht die Sendung des menschgewordenen Logos darin, seinen Brüdern an seinem Kindschaftsverhältnisse zum Vater Anteil zu verleihen, und lässt er zur Erreichung dieses Zweckes seinen ewigen Ausgang vom Vater weiterhin nach außen treten, so kann er das nach dem Gesetze der innergöttlichen Ausgänge nicht, ohne den Heiligen Geist, der von ihm ausgeht, mitzusenden. Was darum der Heilige Geist der realen Menschheit des Sohnes Gottes bedeutete, das bedeutet er in gleicher, wenn auch analoger Weise seinem mystischen Leibe. Es muss demnach das Dasein und das Wirken des Heiligen Geistes ein Wesenselement der heiligen Kirche sein.

Um in das Verhältnis des Heiligen Geistes zur Kirche einen Einblick zu gewinnen, gehen wir von der Analogie zwischen der einmaligen und erweiterten Menschwerdung aus und benutzen das Axiom: Was der Heilige Geist der physischen Menschheit des Sohnes Gottes bedeutete, das bedeutet er in analoger Weise seinem mystischen Leibe.

Wie durch die Überschattung mit dem Heiligen Geiste im Schoße Mariens die Menschheit. Christi gebildet wurde, so wird durch die Mitteilung des Heiligen Geistes der mystische Leib, die Kirche, gebildet. Wie das Ziel jener Tätigkeit mehr das Ausschmücken betraf, so wird auch hier ein neues, übernatürliches, göttliches Gutsein des Menschengeschlechtes eingeleitet und verwirklicht. Somit schafft der Heilige Geist die Kirche. Er leitet den Lebensstrom des Hauptes in den Leib, damit er aus seinem Todesschlafe erwache und vom Haupte lebe. Er verschafft dem Haupte einen wirklich lebendigen Leib. Er formt die Kirche zum mystischen Leibe des Herrn. Er zeugt für Christus die einzelnen Gotteskinder, aus denen der Leib Christi besteht. Er belebt und formt die geschöpflichen Zweitursachen, welche das Haupt zur Vollendung seines Werkes herbeizuziehen sich gewürdigt hat. Er befruchtet den geheimnisvollen, heiligen Mutterschoß, den die Kirche darstellt; weshalb Sakrament, Priester und Heiliger Geist miteinander unauflöslich verbundene Begriffe sind.

"Wie im ersten Augenblicke der Menschwerdung der Sohn des Ewigen Vaters die mit Ihm wesensvereinigte Menschennatur mit dem Vollmaß des Heiligen Geistes ausstattete, damit sie ein geeignetes Werkzeug der Gottheit beim blutigen Erlösungswerk würde, so wollte Er in der Stunde seines kostbaren Todes seine Kirche durch reichere Gaben des Trösters bereichert sehen, damit sie beim Austeilen der göttlichen Erlösungsfrüchte ein fähiges, niemals versagendes Werkzeug des fleischgewordenen Wortes würde." Darum ist der Heilige Geist auch für die Kirche als dem Leibe Christi der sie ausschmückende, der sie zierende Geist, auf dass sie in Wahrheit die makellose, tugendreiche, gnadenvolle Braut Christi sei und "damit sie selbst und ihre einzelnen Glieder von Tag zu Tag unserm Erlöser ähnlicher werden".

Er schenkt ihr in erster Linie den Besitz der Wahrheit, worauf der göttliche Heiland gerade in Verbindung mit der Aussendung des Heiligen Geistes hingewiesen hat. "Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommt, wird er euch in alle Wahrheit einführen" (Joh..16,13). Das Bringen der Wahrheit ist mit dem trinitarischen Ausgang des Logos so innig verbunden, dass keiner als Kind des Vaters ins trinitarische Leben hineingezogen werden kann, der nicht an der göttlichen Wahrheit, hypostasiert im Sohne, teilhat. Durch den Heiligen Geist ist daher die Kirche als Grundfeste und Säule der Wahrheit geschaffen; denn als Geist des Sohnes ist er der Geist der Wahrheit. Besitzt sie so innig den Heiligen Geist, dann kann sie nicht anders als unfehlbar sein und kein Makel des Irrtums darf ihr anhaften. Darum ist es der Heilige Geist, der Unklarheiten entscheidet, Irrtümer aufdeckt, der die Heiligen Schriften inspiriert, die großen Lehrer der Kirche befruchtet, dem Lehramte zur Seite steht. Er lässt das heilige Glaubensgut sich immer klarer und reicher entfalten. Der Heilige Geist ist es, welcher der hörenden Kirche ein verstehendes Ohr verleiht und sie bereit macht zur Aufnahme der Offenbarungen Gottes, der den wahrhaft gläubigen Menschen, mögen sie auch ungelehrt sein, den feinen Unterscheidungssinn gibt und sich ablehnend verhalten lässt gegen alles, was nicht den Geist Christi trägt. Diese wesenhafte Beziehung mischen unserem Glauben und dem Heiligen Geiste, dem Lehren und Verstehen bringt unsere Kirche zum Ausdruck, wenn sie bei jeder Verkündigung des Wortes Gottes sich des Beistandes des Heiligen Geistes versichert.

Die göttliche Wahrheit macht den Menschen frei. Macht ihn frei von den Ketten der Sünde und der Leidenschaft, so dass er sich dem göttlichen Lebensstrome, der vom Haupte auf die Glieder fließt, willig hingibt, und von ihm zum lebendigen Gliede am Leibe Christi und zum wahren Gotteskinde um geschaffen wird. Dieser Gnadenstrom fließt nach der Anordnung Jesu Christi durch die heiligen Sakramente. Wer ist es aber, der diese an sich toten Dinge zu Lebenspendern macht, der Wort und Materie so ertüchtigt, dass sie Kanäle göttlicher Gnaden sind? Wer schenkt den Menschen durch die Sakramente das göttliche Leben? Niemand anders als der Heilige Geist, der Lebendigmacher. „Er ist es, der infolge seines himmlischen Odems in allen Teilen des Leibes als das Prinzip jeder wirklich zum Heile ersprießlichen Lebensbetätigung angesehen werden muss.“ Er eifert um jedes Glied am Leibe Christi, auf dass es ein geheiligtes, fruchtbringendes Glied werde. Hier ist der Heilige Geist so recht in seinem Gebiete; denn das Gutmachen und Zieren, das Schmücken und Ausstatten, das Verknüpfen und Besiegeln, das sind jene Beziehungen, in denen er, das ewige Liebesband zwischen Vater und Sohn, seinen ewigen Ausgang zur Fortsetzung und Darstellung bringen kann. Auch diese Betätigung bringt die Kirche dem Bewusstsein der Gläubigen nahe. Sich erinnernd an die Worte des Heilandes bei Nikodemus (loh. 3,5), ruft sie in der Taufwasserweihe die Kraft des Heiligen Geistes in den Brunnen der Wiedergeburt hinab. In der heiligen Firmung gibt sie gar jedem Christen den Heiligen Geist selbst zu eigen, damit er Zeuge und Streiter Christi sei. Bei der Verleihung der Lossprechungsgewalt hauchte Christus seine Jünger mit den Worten an: "Empfanget den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen" (Joh. 20, 22). Wie stark verknüpft die Liturgie, namentlich die morgenländische, die Verwandlung von Brot und Wein in das Fleisch und Blut Christi mit dem Wirken des Heiligen Geistes! Hier ist das Hauptbetätigungsfeld des Heiligen Geistes; denn was er einst im geheiligten Mutterschoße der Jungfrau vollzogen, Christus zu erzeugen, das wiederholt er in einer anderen Weise im Mutterschoße der Kirche, um den eucharistischen Heiland und im Gläubigen den zweiten Christus zu zeugen.

Steht die Kirche in wesentlicher Beziehung zum Heiligen Geiste, dann ist es undenkbar, dass es ihr jemals an übernatürlichem Leben, Heiligkeit und Fruchtbarkeit mangele. Durch ihn gehört zum Wesensbild der Kirche Heiligkeit und Fruchtbarkeit. Solange es noch Menschen gibt, die zu aktuellen Gliedern am Leibe Christi gemacht werden können, so lange hat der Heilige Geist noch ein Betätigungsfeld, so lange hat er seine Sendung noch nicht vollendet. Dadurch gehört die Unzerstörbarkeit zum Wesen der Kirche.

Da der Heilige Geist jedes Glied mit dem Haupte verknüpft, darum auch die Glieder mit- und untereinander. "Dem Geiste Christi als dem unsichtbaren Prinzip kommt die Aufgabe zu, alle Teile des Leibes untereinander sowie mit ihrem erhabenen Haupte zu verbinden." Denn er will den einen, heiligen Leib Christi aus der Vielheit der Glieder gestalten. Darum verleiht er seine Gaben gerne im Hinblick auf das Ganze. Darin kommt wieder das trinitarische Geheimnis zum Ausdruck. Die Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes muss schließlich auf den zurückweisen, der gesandt hat, den Vater, den ewigen Ausgangs und erhabenen Einheitspunkt der heiligen Trinität. Auf ihn aber führt zurück das Einigungsband der Gottheit, die hypostasierte Liebe, der Heilige Geist. Dieser Geist der Einheit und Liebe krönt darum sein Werk, die Kirche, wenn er aus den geheiligten Menschen die große heilige Einheit, die Liebesgemeinschaft der Kirche schafft und in dieser überwältigenden Einheit das vollendetste Abbild der majestätischen Einheit Gottes hervorzaubert. So sehr ist der Heilige Geist ein einheitsschaffender Geist, dass Möhler in seinem Jugendwerke: Die Einheit der Kirche, schreiben konnte: "Würde sich aber die unmittelbare Mitteilung des Heiligen Geistes wiederholen, so dass er sich unvermittelt durch schon Begeistete auf irgend jemand herabfließe, so müsste es ein befreundeter, ja derselbe Geist sein, und darum der von ihm Durchdrungen mit Unwiderstehlichkeit zu den Verwandten sich hingezogen fühlen; er müsste in die Gemeinschaft desselben geistigen Lebens treten, wie es auch bei Paulus der Fall war." Aber in dieser Art hat es der Heilige Geist nicht verwirklicht. Er schafft viel mehr die Einheit, indem er sich mittelbar auf die einzelnen niederlässt, durch die Vermittlung der Apostel.. "Nur wo die Apostel lebten und wirkten", schreibt darum Möhler weiter, "verbreitete sich das neue Leben hin; und wie zu ihrer Zeit räumlich voneinander Entfernte nur durch die von den Gesandten des Herrn ausgehende unmittelbare Lebensmitteilung denselben Geist erhielten, so sollten die der Zeit nach von ihnen Entfernten vermittelst der Glieder, die seiner durch sie teilhaftig wurden, ihn erhalten, so dass alle Zwischenreihen nur Fortpflanzungsstufen bilden, die spätesten Reihen aber, wie die räumlich voneinander entlegensten, von einem und demselben Geiste belebt, eine Gemeinschaft darstellen, sich zu einem gemeinschaftlichen Leben gestalten, eine Kirche ausmachen sollten." So ist die Beziehung zum Heiligen Geiste der Kirche wesensnotwendig, um die eine heilige Einheit des Leibes Christi zu sein, weil ein Leib nur da denkbar ist, wo er von einem Geiste beseelt wird. Diese Einheit schafft er durch die Amtsorgane, durch die Hierarchie, die darum in besonderer Weise sich des Wirkens des Heiligen Geistes erfreut. Sie soll den Geist Christi weiterleiten und dadurch Leben Schenken und Einheit schaffen. "Die rechtliche Sendung der Kirche und ihre Befugnis zu lehren, zu leiten und die Sakramente zu spenden besitzen deshalb die himmlische Kraft 'und Gewalt, Christi Leib aufzubauen, weil Christus Jesus am Kreuz seiner Kirche den Quell göttlicher Gaben eröffnete. So ward sie instandgesetzt, den Menschen eine stets unfehlbare Lehre zu künden, sie durch die von Gott erleuchteten Hirten zu leiten und mit himmlischen Gaben zu überschütten."

Der Heilige Geist leitet die Kirche durch die Gefahren dieser Zeitlichkeit hindurch zum ewigen Gestade. Eindringlich weist die Apostelgeschichte auf den Heiligen Geist als den führenden und beratenden Lenker der Kirche. Als Petrus zögerte, die Heiden in die Kirche aufzunehmen, veranlasste ihn der Heilige Geist zu diesem entscheidenden Schritt in die Weltweite. "Petrus. dachte noch immer über das Gesicht nach.. Da sprach der Geist zu ihm: ,Sieh, drei Männer suchen dich. Geh hinab und geh ohne Bedenken mit ihnen' “ (Apg.10,.19f.). Er befahl dem Philippus, sich dem äthiopischen Kämmerer zu nähern (Apg. 8, 29). Der Geist des Herrn verwehrte dem Apostel Paulus, durch weitere Gebiete Asiens zu ziehen, und lockte ihn durch ein Traumgesicht nach Europa hinüber, das für die Geschichte des Reiches Gottes so wichtig werden sollte (Apg. 16, 6ff.). Er trieb ihn nach Jerusalem zurück und damit in die Gefangenschaft hinein, um den Völkerapostel nach Rom zu ziehen (Apg. 20, 22). Er besetzte die Ämter; die Diakone sollten nämlich Männer voll des Heiligen Geistes sein {Apg. 6, 3). Er spricht: "Sondert mir den Barnabas und Saulus für die Aufgabe aus, zu der ich sie berufen habe" (Apg. 13, 2). Ganz allgemein lehrt Paulus: "Der Heilige Geist hat euch zu Bischöfen bestellt, die Kirche Gottes zu weiden" (Apg. 20,28). Die erste Kirche mehrte ihren Bestand, wie es Apg. 10, 13 heißt, durch den Beistand des Heiligen Geistes. Auf ihn führte die junge Kirche, wie die Geschichte des Ananias und der Saphira zeigt, die Disziplin der Kirche zurück. Nicht ohne den Heiligen Geist trafen die Apostel die wichtige Entscheidung ihres Konzils. Auf den Heiligen Geist berief sich Paulus in seinem Rate betreffs der Jungfräulichkeit (1. Kor. 7, 40). Immerfort hat sich nach dem Beispiele der apostolischen Kirche das kirchliche Lehr- und Hirtenamt unter der Leitung und Aneiferung, dem Schutze und dem Beistande des Heiligen Geistes gewusst.

Wegen dieser vielfachen und engen Beziehungen des Heiligen Geistes zur Kirche hat man den Heiligen Geist die Seele der Kirche genannt. "Was in unserem Leibe die Seele", hat Augustinus gesagt, "das ist der Heilige Geist im Leibe Christi, der die Kirche ist." Ungezählte haben dies Wort wiederholt. Mit ihm stimmt der Aquinate überein; er nennt den Heiligen Geist "die letzte und wichtigste Vollendung des ganzen mystischen Leibes, wie es die Seele im vernunftbegabten Körper ist." Leo XIII. stimmt zu, indem er mit Berufung auf Augustinus sagt: "Zur hinlänglichen Bestätigung mag es dienen, dass eben, wie Christus das Haupt der Kirche ist, der Heilige .Geist ihre Seele ist." Sein Wort hat Pius XII. in seiner Kirchenenzyklika wiederholt.

Wie all unser Sprechen von den Glaubensgeheimnissen unvollkommen ist, muss man auch bei dieser Benennung im Auge behalten, dass der Heilige Geist nicht im wörtlichen Sinne die Seele der Kirche sein kann. Der Heilige Geist ist nicht das Formalprinzip der Kirche. Geist und Kirche verhalten sich nicht zueinander wie Form und Materie, wie Leib und Seele, durch deren seinshafte, physische Einigung ein neues Drittes wird. Es soll durch diese Formulierung nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Tätigkeit des Heiligen Geistes in der Kirche eine sehr große Ähnlichkeit mit der Aufgabe einer Seele im Leibe besitzt. Die Seele hat eine mehrfache Aufgabe gegenüber dem Leibe. Aus verschiedenartigem Material formt sie die einzelnen Glieder und schweißt sie zur engsten Einheit zusammen, damit dem Leibe eine wundervolle Harmonie und Schönheit schenkend. In welches Chaos ohne sie die Elemente des Leibes zerfallen, zeigt der Tod. Die Seele verleiht dem Leibe Wärme, Bewegung, Leben. Am erstarrten Leibe erkennt man den Fortzug der Seele. So schenkt auch der Heilige Geist im Bade der Wiedergeburt den Menschen übernatürliches Sein und macht sie dadurch zum Mitaufbau eines mystischen Leibes geeignet. jedem Teile weist er seinen bestimmten Platz zu. Aus den mannigfachsten Völkern und Menschen formt er die eine Kirche, deren Harmonie bewundernde Blicke auf sich zieht. Ein Glaube, eine Liebe, ein Kult, ein Gehorsam. Seit der Herabkunft des Heiligen Geistes besitzt die Kirche glutvolles Leben, dräuende Bewegung. Wie die Seele ganz im ganzen Leibe und ganz in jedem Teile ist, so ist der Heilige Geist ganz in der gesamten Kirche und auch ganz in jedem Christen. "Er ist ganz im Haupte, ganz im Leibe, ganz in den einzelnen Gliedern." Aus diesen Vergleichspunkten rechtfertigt sich die Sprache der Väter und der Theologen: Der Heilige Geist ist die Seele der Kirche. Ist er aber der Kirche wie eine Seele, dann gehört der Heilige Geist wesenhaft zum Vollbilde der Kirche.

In besonders inniger Weise hat sich der Heilige Geist, wie mehrfach angedeutet wurde, mit den kirchlichen Gewalten und den Sakramenten verbunden. Auch hierin gleicht er der Seele, welche durch eigene Organe auf die übrigen Bestandteile einwirkt. "Er ist es, der, obwohl selbst in allen Gliedern gegenwärtig und in ihnen in göttlicher Weise tätig, dennoch in den untergeordneten auch durch die Dienstleistung der übergeordneten wirkt." Den Hauptorganen teilt der Heilige Geist in bevorzugter Weise seine Kraft mit, da von ihrem Tun und Lassen das Wohl und Wehe der ganzen Kirche abhängt. Aber ein noch tieferer Sinn liegt darin verborgen. Wie die kirchlichen Gewalten den zum Himmel aufgefahrenen Gottmenschen seiner Menschheit nach vertreten, so vertritt ihn der Heilige Geist seiner Gottheit nach. Das In ein von Heiligem Geist und kirchlichen Organen ist die volle Stellvertretung des fleischgewordenen Gottessohnes, die wahrhafte Fortsetzung und Erweiterung der heiligen Menschwerdung. Die kirchlichen Amtsgewalten bilden die raumzeitlichen Arbeitsbedingungen für das erweiterte Mittlerwirken Christi, der Heilige Geist sein himmlisches Arbeitsprinzip. Wie die Einheit und Verbindung von Heiligem Geist und kirchlichen Organen zu bestimmen ist, ohne in pantheistischer Verirrung zu viel und ohne kalten Rationalismus zu wenig zu sagen, hat in ausgezeichneter Weise Dieringer aufgewiesen: "Der Heilige Geist ist bleibend gesendet, und die menschlichen Organe Christi sind bleibend gesendet, aber nicht so, damit jener auf seine und diese auf ihre Weise dem erhaltenen Berufe nachkommen, sondern so, damit jener durch diese und diese in jenem ihre Aufgabe lösen. Die Stellvertretung Christi auf Erden ist folglich auch wieder eine Einheit, wie Christus selbst, aber eine solche, welche zwischen der hypostatischen und oder moralischen Verbindung die Mitte hält. Der Heilige Geist ist wie der Logos eine wahre göttliche Person, und auch die anderen Organe Christi sind wahre Menschen, welche in Petrus ihre persönliche Einheit besitzen; aber in ihrer bleibenden Verbindung personiert die menschliche Stellvertretung nicht im Heiligen Geiste, sondern - dieser wirkt durch sie und sie durch ihn. Von einer bloß moralischen Innung aber unterscheidet sich diese Einheit durch ihren wahrhaft wundervollen Charakter: jene kommt, durch Gleichheit der wechselseitigen Gesinnung zustande, kann daher auch nur so lange dauern, als jene Wechselseitigkeit besteht; diese dagegen ist eine göttlich gesetzte, nie auflösliche Verbildung."

Wie beim Gottmenschen ist man auch bei seiner Kirche versucht, die Frage aufzuwerfen: Trennt diese wesenhafte Beziehung der Kirche zum Heiligen Geiste, durch die der Heilige Geist sogar zur Seele der Kirche wird, die Kirche nicht zu weit von Christus, ihrem Haupte? Wie kann man den Heiligen Geist die Seele der Kirche nennen, wenn man das Haupt schon als eine Quasiformalursache bezeichnet hat? Christi Hauptsein erwies sich doch in der dynamischen Ordnung als das .Arbeiten einer Seele. Muss man der Klarheit wegen nicht fordern: entweder Christus oder der Heilige Geist, aber nicht beide gleicherweise? Wir antworten zuerst mit einem Hinweis auf den heiligen Paulus, der einmal dem Heiligen Geiste, ein anderes Mal Christus die gleichen Betätigungen im mystischen Leibe und am Einzelgliede zuspricht, so dass man geneigt sein könnte, eine völlige Identifikation des Geistes mit Christus bei ihm anzunehmen. Die kirchliche Denk- und Sprechweise schließt sich also der göttlichen Offenbarung an. Wir antworten mit einem Hinweis auf einen schon ausgesprochenen Gedankengang: Ebenso wenig wie die Menschheit Christi dadurch vom Logos getrennt wird, dass der Geist des Sohnes in dieser Menschennatur weht und webt, ebenso wenig lässt die Stellung des Heiligen Geistes als der Seele der Kirche die Stellung Christi als des Hauptes der Kirche verblassen. Sie wird im Gegenteil dadurch erst ermöglicht und betont. Es wird durch das Verbundensein des Heiligen Geistes mit der Kirche erst verständlich, wie der verklärte, himmlische Christus überhaupt das belebende Haupt seiner Kirche sein kann. Auch dahin weist die göttliche Offenbarung, wenn sie nie den irdischen, sondern nur den erhöhten Christus mit dem Heiligen Geiste gewissermaßen gleichsetzt. Niemals spricht sie von einer Erlösung durch den Heiligen Geist. Die Berührungspunkte betreffen immer nur den erhöhten Christus in seiner Beziehung zum mystischen Leibe. Also muss die Einschaltung des Heiligen Geistes hier so notwendig sein, dass ohne ihn der himmlische Christus nicht wie ein belebendes Haupt wirken könnte. Wenn der Heilige Geist mit seinem Wohnen und Wirken in der Kirche nicht erst die lebendigen Beziehungen zum himmlischen Christus schaffen würde, dann läge sogar die Gefahr nahe, in den Beziehungen der Kirche zu Christus, so wie sie von uns dargestellt wurden, bloße Allegorien, nicht aber eine lebendige und voll wahre Wirklichkeit zu sehen. Auch hier hilft der Vergleich mit der Seele. Gleich der einen Seele ist es der eine gleiche Heilige Geist, der Haupt und Leib, Organe und Glieder durchformt, belebt und einander zuordnet. Dieser eine Geist schafft die Einheit von Haupt und Leib und ermöglicht es dadurch dem Haupte, auch nach seiner menschlichen Seite und mit seinen menschlichen Kräften das belebende und bewegende Prinzip seines Leibes zu sein. Es bewahrheitet sich hier das Wort des Herrn: "Es ist gut für euch, dass ich hingehe. Denn gehe ich nicht hin, so wird der Beistand nicht zu euch kommen ; gehe ich aber hin, so werde ich ihn euch senden. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem Meinigen nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein und so habe ich euch gesagt: Er wird von dem Meinigen nehmen und es euch verkünden" (Joh. 16, 4ff.). Im Lichte der göttlichen Ausgänge erscheint der Heilige Geist als Geist des Sohnes wahrhaft als das Arbeitsprinzip des himmlischen, verklärten Christus. So trennt der Heilige Geist nicht, sondern er verbindet, wie es seinem Personalcharakter entspricht.

Die Mitteilung des Heiligen Geistes und seine Einbeziehung in das Mysterium der heiligen Menschwerdung und ihrer Fortsetzung in der Kirche baut die Kirche in das Urgeheimnis unseres heiligen Glaubens, das Mysterium der Trinität, ein und schenkt ihr damit die letzte, reifste Schönheit. Die Kirche ist gerade "durch den Heiligen Geist der letzte freie Ausfluss des innertrinitarischen Gotteslebens in die Welt geworden, und der Strom ihres Geheimnisses mündet wieder in das tiefste Urgeheimnis aller Offenbarung, in das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit. Ohne diese Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Wesensbildung der Kirche wäre das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung nicht in jenem Zusammenhang, in jener Harmonie mit dem Zentralgeheimnis des Christentums, dem tiefsten und ewigen Geheimnisse Gottes selbst."

3. Hierarchische Gemeinschaft

Die Kirche ist der letzte Ausfluss des innergöttlichen Lebens in die Welt. Als Werk der göttlichen Sendungen gründet die Kirche im geheimnisvollen Urleben des dreieinigen Gottes. In der seligen Gemeinschaft mit diesem drei faltigen Leben ruht ihr Ziel. Ohne das Geheimnis der Trinität wird auch das Mysterium der Kirche nicht voll erkannt. Darum kann ein Hinblicken auf die Urgemeinschaft der göttlichen Drei die Struktur der kirchlichen Gemeinschaft verständlicher machen. Ob ihrer trinitarischen Bezogenheit ist die Gemeinschaft des mystischen Herrenleibes notwendig eine hierarchische Gemeinschaft.

Hierarchisch nenne ich im Lichte der innergöttlichen Ausgänge eine Gemeinschaft, welche durch vollkommene Mitteilung und innigste Durchdringung nicht weniger gekennzeichnet ist als durch völlige Bezogenheit und stärkste Hingabe Eine solch einzigartige Gemeinschaft besteht auf Grund der innergöttlichen Zeugung zwischen dem fleischgewordenen Gottessohne und seinem himmlischen Vater Diese Gemeinschaft ihres Hauptes mit dem Vater ahmt die Kirche ihrerseits in ihrer Beziehung und Gemeinschaft mit Christus nach Diese hinwiederum findet in der Gemeinschaft des Bischofes zu seinen Gläubigen ihr Echo. Eine wunderbare Analogie verbindet diese Gemeinschaften miteinander Neues Licht verbreitet sie über die Kirche und enthüllt noch mehr die Gesetze ihres eigenartigen Lebens In diese neue Schönheit der Kirche lassen wir uns wieder durch einen Blick auf ihr Vorbild, den fleischgewordenen Gottessohn, einführen.

Urbild aller hierarchischen Gemeinschaften ist die göttliche Hierarchie Ihr Wesen und Gesetz hat uns der Sohn Gottes verkündet Gott wohnt nach seiner Offenbarung nicht in schweigender Größe und Einsamkeit. Er zeugt in Ewigkeit seinen Sohn. Er schenkt Ihm die Fülle seines Seins und Lebens, seiner Ewigkeit und Majestät, seiner Weisheit und Kraft. Immerfort zeugt der Vater seinen Sohn, immerfort empfängt der Sohn vom Vater. Nichts hat der Vater dem Sohne vorenthalten In allem weiß der Sohn den Vater als seine Quelle. Nichts anderes will er darum, als was der Vater will. Der Einklang und der Gleichklang mit dem Vater ist seine höchste Wonne. Tiefstes Ineins verbindet sich mit völliger Hingabe an den Ursprung.

Diesen eingeborenen Sohn hat der Vater in die Welt gesandt. Das Gesetz seiner Gemeinschaft mit dem Vater hat er mit in diese Welt gebracht. Dieses Gesetz bestimmt sein Leben und Tun "Ich hin vom Vater ausgegangen, und er hat mich gesandt" (Joh 16,28) Aber Ausgang und Sendung bedeuten keineswegs Trennung; vielmehr "ich und der Vater sind eins" (Joh 10,30) Anders kann es gar nicht sein, da der Vater sein eigenes göttliches Leben dem Sohne mitgegeben hat "Wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er dem Sohne gegeben, das Leben in sich selbst zu haben" (Joh 5,26) Gemeinsamkeit des Lebens besagt Gemeinsamkeit des Besitzens und Handeins. "Alles, was der Vater hat, ist mein" (Joh 16,15) "Der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut" (Joh. 5, 20) "Die Worte, die ich zu euch rede, sage ich nicht aus mir selbst, und auch die Werke vollbringt der Vater, der in mir wohnt" (Joh 14, 10) "Was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn. Denn wie der Vater die Toten erweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will. Auch richtet der Vater niemand; er hat vielmehr das ganze Gericht dem Sohne übertragen. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat" (Joh 5, 19ff). Weil der Vater bis zur Stunde tätig ist, darum muss es auch der Sohn sein (Joh 5,17). Es herrscht zwischen beiden eine vollkommene Gemeinschaft des Lebens und des Handeins, der Macht und der Ehre.

Aber in dieser göttlichen Gemeinschaft bestimmt der Vater. Darum ist es eine hierarchische Gemeinschaft. "Christi Haupt ist Gott", sagt der Apostel (1. Kor 11, 4). Er drückt nur schärfer aus, was Christus selbst gesagt hat: "Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu erfüllen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat" (Joh 5,30). Darum kann der Sohn nichts aus sich selbst tun; er tut nur das, was er den Vater tun sieht (Joh. 5, 19). "Ich kann nichts aus mir selbst tun. Ich richte, wie ich höre" (Joh. 5, 30). "Die Werke, die der Vater zu vollbringen mir aufgegeben hat, eben die Werke, die ich vollbringe, sind Zeugen für mich, dass mich der Vater gesandt hat" (Joh. 5, 36). Darum ist Jesus nicht auf seine Ehre bedacht, sondern allein auf die Ehre des Vaters. In seinem Auftrage und zu seinem Dienste steht er in dieser Welt. Darum hat der Vater "ihn nicht allein gelassen; denn ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt" (Joh 8,29). Wer darum den Sohn sieht, sieht den Vater. Wer an ihn glaubt, wird gerettet. Wer mit ihm Gemeinschaft hat, der hat die beseligende Gemeinschaft mit Gott.

Diese selige Gemeinschaft mit dem Vater auf die Menschen auszudehnen, ist der Sinn der Sendung des Sohnes. "Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn weiter kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebtest, in ihnen sei und ich in ihnen" (Joh.17, 26). Gottes Liebe und Gottes Leben sollen in den Menschen wohnen, aber durch Christus, der in ihnen wohnt. Christus wird als ein Mittler, der das Leben in sich selbst hat, zum Zentrum und Quell einer neuen Gemeinschaft hierarchischer Art. Es bildet sich die Christus-Hierarchie.

Auch die Christushierarchie ist in erster Linie durch innige Einheit und völlige Mitteilung gekennzeichnet. Sie erreicht darin zwar nicht das göttliche Vorbild. Christus und die gläubigen Menschen sind eins wie Weinstock und Reben. Christus ist nicht ohne die Seinen denkbar wie das Haupt nicht ohne den Leib. Wo Christus ist, da sind seine Glieder; wo die Glieder sind, da ist Christus. "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Matth.18,20). "Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Joh 14,23). So sehr identifiziert sich Christus mit den Seinen, dass er zu Paulus spricht: "Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?" (Apg. 9, 4).

Doch diese Christusgemeinschaft ist hierarchischer Art. Christus das Haupt hat den Vorrang der Ehre, der Fülle und der Macht. Er bestimmt in dieser Gemeinschaft. Auf ihn zielt sie hin. Verflucht ist, wer an seinem Gesetze etwas ändern will; und verflucht, wer auch nur eines der Kleinen ärgert, die an ihn glauben. Christförmig in ihrem Denken und Tun zu werden, ist so das Ziel der Glieder, wie er dem Vater gleichförmig sein wollte. Nur in seinem Namen ist Heil. Nur in seiner Gewalt dürfen die göttlichen Gaben, die er auf die Erde brachte, verwaltet und ausgeteilt werden. Dieser hierarchische Charakter der Christusgemeinschaft ist uns zur Genüge bekannt geworden.

Wie der himmlische Vater seinem menschgewordenen Sohne alles gab, um ihn damit selbst zum Quell einer neuen hierarchischen Gemeinschaft zu machen, so hat auch Christus im Geben seines Lebens und seiner Macht sein Empfangen vom Vater nachgebildet. Er gibt zuerst seinen Aposteln, um dadurch sie hinwiederum zu Mittelpunkten einer neuen hierarchischen Gemeinschaft zu machen. Christus baut nach dem göttlichen Urbilde seine Kirche weiter. Darum gründet er die apostolische Hierarchie.

"Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20, 21). Durch diese Sendung betont Christus die innige Einheit zwischen sich und den Aposteln, so dass er sprechen kann: "Ich bin in ihnen verherrlicht" (Joh 17,10). Er ist in ihnen wie der Vater in ihm. "Wahrlich ich sage euch: wer einen aufnimmt, den ich sende, der nimmt mich auf' (Joh 13,20). Er will sogar bei ihnen sein alle Tage bis ans Ende der Welt (Matth. 28,20).

Was ihm vom Vater gegeben worden ist, um eine hierarchische Gemeinschaft zu bilden, das gibt er seinen Aposteln weiter, damit sie vollenden können, was er grundgelegt hat. "Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker. Taufet sie und lehret sie alles halten, was ich euch befohlen habe" (Matth. 28, 16ff.). "Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben" (Joh. 17,8). "Freunde habe ich euch genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, das habe ich euch geoffenbart" (Joh.15, 15). "Was ich euch im Dunkeln sage, das kündet im Lichte. Was euch ins Ohr geflüstert wird, das ruft von den Dächern!" (Matth. 10,27). Nur an das wird der Beistand sie erinnern, was er ihnen gesagt hat. Wie Christus den Aposteln das Leben und das Wort, die er vom Vater empfangen hat, weitergibt, so verleiht er ihnen auch seine vom Vater erhaltene Autorität und Gewalt. "Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat" (Lk. 10, 17). Wer an ihn glaubt, wird sogar die Werke verrichten können, die er vollbracht hat, sogar noch größere (Joh. 10, 14).

In dieser Art hat sich Christus mit seinen Aposteln identifiziert, sie mit seiner Kraft ausgestattet, damit sie befähigt seien, hinwiederum Zentrum einer neuen Gemeinschaft werden zu können. Wie stark die Apostel davon durchdrungen sind, zeigt uns das apostolische Bewusstsein des alternden Johannes. "Was wir also gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt. Unsere Gemeinschaft besteht mit dem Vater und dem Sohne Jesus Christus" (1. Joh 1,3). Nur in der Apostelgemeinschaft ist Christus und das ewige Leben.

Mit jedem Apostel hat Christus sich identifiziert. Er hat ihn zum beherrschenden Prinzip einer hierarchischen Gemeinschaft gemacht. Dieses Weiterbauen war vonnöten, wenn Christus entsprechend seiner Fleischwerdung durch menschliche Mittler alle Menschen in seine umfassende Christus- und Gottesgemeinschaft einbeziehen wollte. Viele Apostelgemeinschaften bildeten sich, da der Apostel mehrere waren und Ihrer Nachfolger viele sind. Aber sie sollen sein und bleiben Zellen der einen Christusgemeinschaft. Darum sorgte der Herr auch für die Einheit der vielen Apostelgemeinschaften, indem er dem Apostelkollegium ein Haupt gab, das ihn ganz vertreten sollte. In seiner Obhut ist die Einheit der Apostelgemeinschaften, die Einheit der Christusgemeinschaft, die Einheit der Kirche gewahrt. Im sichtbaren Stellvertreter Christi, in Petrus und seinen Nachfolgern, wird die apostolische Hierarchie volle Wirklichkeit. Den Petrus hat Christus zum Felsenfundamente seiner Kirche gemacht; ihm hat er die Schlüssel des Himmelreiches übergeben. Er hat die Aufgabe erhalten, seine Brüder zu stärken; denn sein Glaube kann um des Gebetes Christi willen nicht wanken. Er soll alle Schafe, alle Lämmer weiden. Christus bleibt selbstverständlich Haupt, Lehrer, Priester, Hirte seiner Kirche, aber Petrus soll der sichtbare Leiter seiner Kirche an seiner Statt sein.

Mit Recht bestimmt daher das Konzil von Florenz: "Der apostolische Stuhl und der römische Hohepriester hat im ganzen Erdkreise den Primat inne. Er ist der Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche, aller Christen Vater und Lehrer." Diese Worte wiederholt das Vatikanische Konzil und bestimmt die Gewalt des Papstes als eine wahre und unmittelbare Bischofsgewalt über die ganze Kirche und jeden Gläubigen.

Der Papst ist in Wahrheit der sichtbare Stellvertreter Christi und darum Haupt der Kirche, wie Christus Haupt ist, wenn auch jenes Hauptsein nicht das umgreift, was dieses Bild bei Christus ausdrückt; denn er ist bloß Stellvertreter Christi, nicht Christus selbst. Wie es ohne Christus keine Kirche gibt, so gibt es ohne den Papst keine Kirche Christi. Als ihr Haupt kann er soviel wie die ganze Kirche zusammen, da ihm alle Macht und Gewalt gegeben ist. Sein Hauptsein darf aber nicht so aufgefasst werden, als ob der Papst ein zwischen Christus und Kirche eingeschobenes sekundäres Haupt wäre. "Man kann nicht behaupten", sagt Pius XII., "durch den in der Kirche aufgestellten Rechtsprimat sei dieser mystische Leib mit einem doppelten Haupte versehen. Denn Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses Leibes, nämlich Christus. Dass Christus und sein Stellvertreter auf Erden nur ein einziges Haupt ausmachen, hat Bonifaz VIII. feierlich erklärt und seine Nachfolger haben diese Lehre immerfort wiederholt." So lauten die Worte Bonifaz' VIII.: "Der einen und einzigen Kirche geziemt ein Leib, ein Haupt, nicht zwei Häupter, als wenn sie ein Ungeheuer wäre; also ein Haupt, d. h. Christus und Christi Stellvertreter Petrus und des Petrus Nachfolger .“ Ein Haupt mit Christus, ein Lehrer mit Christus, ein oberster Priester mit Christus, ein Gesetzgeber mit Christus, gleichsam der sichtbar weiterlebende Christus. "Wahrlich, ein Schafstall Christi ist die Kirche, dessen oberster eine Hirte Christus, selbst im Himmel herrschend, auch nur einen, ,ihn stellvertretenden obersten Hirten auf Erden zurückließ, in dessen Stimme die Schafe Christi Stimme hören.“

In dieser innigen Einheit mit Christus ist der Papst Quelle und Prinzip aller kirchlichen Gewalt. Alle anderen empfangen von ihm; er selbst empfängt von niemandem. "Obwohl Petrus vieles allein erhielt, so fiel doch niemandem etwas zu, woran er nicht auch seinen Anteil hätte. Auf der ganzen Erde wird nur Petrus dazu erkoren, das Haupt aller berufenen Völker, sämtlicher Apostel und aller Väter der Kirche zu sein. Darum ist auch Petrus trotz der vielen Priester und trotz der vielen Hirten unter dem Volke Gottes doch im eigentlichen Sinne der Leiter aller derer, über die in erster Linie auch Christus herrscht. Bedeutenden und bewundernswerten Anteil an ihrer Macht hat also die göttliche Gnade diesem Manne gegeben. Und wenn auch nach ihrem Willen die übrigen Häupter der Kirche manches mit ihm teilen sollen, so hat sie doch alles, was sie anderen gewährte, stets nur durch ihn verliehen."

In der päpstlichen Hierarchie, welche mit betontem Nachdruck stets den Titel "apostolisch" trug, spiegelt sich in vollendeter Form die Christushierarchie, die Gemeinschaft der Kirche mit ihrem Haupte Christus. Im Papste offenbart sich die Kirche als eine wahrhaft hierarchische Gemeinschaft. Das göttliche Urbild und das Christus-Vorbild ergießt sich in das Bild der Papstkirche.

Aber im Papste endet diese Linie noch nicht. Wie es in der Gesamtkirche ist, so ist es analog in jedem ihrer Vollorgane, in jeder Partikularkirche oder Diözese. "Was Wir hier von der allgemeinen Kirche sagten, das muss auch von den besondern christlichen Gemeinschaften gesagt werden. Jede von ihnen wird von Christus Jesus durch das Wort und die Regierungsgewalt ihres eigenen Bischofs geleitet." Jedem Apostel hat Christus einst mit seiner Macht und Gewalt umkleidet und ihn ausgesandt, damit er zum Mittelpunkte einer neuen hierarchischen Gemeinschaft werde. Diese Tat Christi wirkt weiter und wird Wirklichkeit überall dort, wo ein Nachfolger der Apostel eine Gemeinschaft um sich sammelt. In dieser kirchlichen Hierarchie im engeren Sinne oder in der bischöflichen Hierarchie vollendet sich die Gemeinschaft der Menschen mit Christus und Gott.

Man kann den einzigartigen Aufbau der Kirche nicht schärfer verzeichnen, als wenn man diese sich durch die Diözesen in Verwaltungsbezirke aufgeteilt denkt wie in Provinzen. Der Bischof ist kein Provinzbeamter noch der päpstliche Statthalter seines Bezirkes. Im Bischofe ruht im wesentlichen die ganze Christusgewalt, wie im Papste, nur beschränkt auf ein begrenztes Gebiet und nicht unabhängig vom Papste. "Darum sind die kirchlichen Oberhirten nicht bloß als vorzüglichere Glieder der allgemeinen Kirche anzusehen, sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine ihm anvertraute Herde. Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht völlig eigenen Rechtes, sondern der dem Römischen Papste gebührenden Gewalt unterstellt.“ Das Geheimnis der universellen Kirche ist auch das Geheimnis der Einzelkirche. "Was auch immer dem Ganzen zukommt, scheint gewissermaßen auch dem Teile zu geziemen.“ Die Einzelkirche empfängt durch ihren Bischof alle Christusgaben, alle Gnaden, Sakramente und Gewalten. Nur zweierlei hat sie nicht erhalten: Das Privileg der Unzerstörbarkeit und Unfehlbarkeit in sich, obwohl sie es in Gemeinschaft mit den anderen auch ihr Eigen nennen darf.

Seit alters her - die Briefe des Märtyrers Ignatius von Antiochien sind ein leuchtendes Zeugnis - hat die Christenheit im Bischofe den Stellvertreter Christi gesehen, durch dessen Gemeinschaft allein man an Kirche, Christus und Gott Anteil hat. "Es ist klar, dass wir den Bischof ansehen müssen wie den Herrn selbst.“ "Daher ist es notwendig, dass ihr ohne den Bischof nichts tut. Solange ihr nämlich eurem Bischof untertan seid wie Jesus Christus, scheint ihr mir nicht nach Menschenart zu leben, sondern nach Jesus Christus.“ Wie Ignatius schon sagte: "Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die Katholische Kirche ist“, so wiederholt es Cyprian: "Wissen sollst du, dass der Bischof in der Kirche ist wie die Kirche im Bischofe. Und wenn einer nicht mit dem Bischofe ist, dann ist er Fluch nicht in der Kirche.“ Eine so innige Durchdringung von Bischof und Kirche findet statt, wie sie zwischen Christus und Kirche vorbildlich gegeben ist. Darum schreitet der christliche Gedanke zu der Formulierung vor: "Die Bischöfe sind die Bräutigame der Kirche an Stelle Christi.“ Diese innige Verbindung versinnbildet der Bischofsring. Er erinnert den Bischof an seine Kirche als an die ihm angetraute Braut. Er steht an Christi Stelle, übernimmt seine Rechte und Pflichten, bereit wie Christus sein leben für seine Braut dahinzugeben, damit sie rein und makellos bleibe.

Der Bischof ist der Vater seiner Gläubigen. Er ist im kirchlichen Einzelorganismus die Quelle, von der - wenigstens der Idee nach - alles übernatürliche Leben ausströmt. In sinniger Weise kommt dies bei der Spendung der Sakramente zum Ausdruck. Durch das Sakrament der Priesterweihe ist er in seinen Priestern der Grund aller Sakramentenspendung. Bußsakrament und Ehe hängen von Seiner Jurisdiktion ab, sowie die Firmung ihm allein zusteht. Bei der Taufe und Krankenölung soll der Priester Materien gebrauchen, denen der Bischof durch von ihm geweihte Öle die letzte Disposition gegeben hat. Bei der Feier der heiligen Eucharistie, dem Sakramente der Einheit, fand es früher in der Übersendung der Partikel seinen Ausdruck. Irgendwie gehen demnach alle Sakramente, welche in der Einzelkirche gespendet werden, auf den Bischof zurück, am klarsten durch die Weihe der Priester als seiner Gehilfen. Der Bischof ist auch der vorzügliche Hirte und der verantwortliche Lehrer seiner Herde. Er leitet und lenkt sie, hegt und hütet sie, um sie, tritt bewahrt, dem obersten Hirten der Seelen zuführen zu können. So ruht in ihm alle Vollmacht, und seine Priesterschaft ist "der schön gewundene geistliche Kranz, der seinen Sitz umgibt. Mit seinen Priestern hat er nicht mehr Gewalt als ohne sie; sie aber keine Gewalt ohne ihn.

In der Bischofsgemeinschaft endet das Abbild der göttlichen Hierarchie. Denn der Bischof wählt wohl Mitarbeiter und sendet sie aus, aber er sendet sie nicht mit Vollgewalt über einen Wesensteil des mystischen Leibes des Herrn. Darum bilden die Priester in den Pfarreien keine neue hierarchische Gemeinschaft, die den anderen als selbständiges Organ ebenbürtig sei und sie analog nachbilde. Sie sind in der Tat nur Statthalter und Vertreter des Bischofes. Nicht Organe sind die Pfarreien, sondern größere oder kleinere Zellengewebe, die als solche selbstverständlich etwas von der Struktur des Ganzen an sich tragen.

Im Lichte dieses kirchlichen Gemeinschaftsgedankens verstehen wir besser das Gebet des göttlichen Heilandes am Abende seines Lebens. Im hohenpriesterlichen Gebete betet er in bevorzugter Weise für die Apostel als die Kernpunkte der einzelnen hierarchischen Gemeinschaften, und erst über die Apostel betet er auch für die, welche im Glauben die Gemeinschaft mit ihnen aufnehmen. Damit betet Jesus in gleicher Reihenfolge für die Nachfolger der Apostel und ihre Gemeinschaften.

Abwärts steigt die hierarchische Gemeinschaft des dreieinigen Gottes über die Christushierarchie in die kirchliche Gemeinschaft der apostolischen, der päpstlichen und bischöflichen Hierarchie, um durch den, den der Vater, und durch die, welche Christus gesandt hat, alle Menschen, welche die Sendung Gottes gläubig aufnehmen, in die ewige Gemeinschaft der göttlichen Drei hinaufzuführen. Im innigsten Ineinander und im völligen Abhangen sollen sie das göttliche Urbild darstellen, geheimnisvoll hier auf Erden, in vollendeter Herrlichkeit im ewigen Äon. Wenn letzteres Wirklichkeit geworden ist, dann entfällt alle kirchliche und apostolische Hierarchie, da Christus dort keiner sichtbaren Stellvertreter mehr bedarf. Aber es bleibt des ewigen Urbildes vollendetes Abbild im fleischgewordenen Gottessohne und seinen Gliedern.

4. Baugesetze und Wesenseigenschaften

Die hierarchische Gemeinschaft ist die Grundstruktur des mystischen Herrenleibes. Sie offenbart ein Baugesetz der Kirche. Analog zur Sendung lautet das erste Baugesetz der Kirche: Die Konstruktion der Kirche geht von oben nach unten; darum geht in der Kirche der Zug vom Göttlichen ins Menschliche hinein. Planmäßig ist die Kirche von oben her gebaut worden, und immer wird so weitergebaut werden. Darum wird stets das Obere oder das Göttliche ins Untere, ins Menschliche, ins Sichtbare eingeführt.

Die Herstellung der Gottesgemeinschaft bedeutet gnadenvolles Sich-Herablassen Gottes zu den Menschen. Um das göttliche Leben im Menschengeschlechte zu erwecken, sendet Gott seinen eingeborenen Sohn sichtbar in die Welt und gibt dem Geschlechte ein neues Haupt. Schon bei dieser ersten Tat schließt der göttliche Baumeister Göttliches in Menschliches ein. Nach dem Vorbilde des Vaters leitet Christus den göttlichen Lebensstrom weiter. Er wählt die Apostel aus, damit nach seiner Himmelfahrt sichtbare Bauleute und sichtbare Organe vorhanden seien. In sie hinein gießt er aber seinen Heiligen Geist. Als sichtbare Boten sendet er sie, die aber durch die menschliche Sprache das göttliche Wort verkünden. Zu Priestern salbt er sie, damit sie durch sichtbare Handlungen die sichtbare Materie zu Kanälen der unsichtbaren, göttlichen Gnade bereiten. Zu Hirten bestellt er sie, damit sie durch fassbare Amtshandlungen und Gesetze die unsichtbare Gottesgemeinschaft behüten und befestigen. So baut der Gottmensch planmäßig weiter nach den Ideen Gottes, die in seiner eigenen Zweieinheit verwirklicht sind.

Ein Fortleben des so von Gott Gesetzten und Begonnenen ist demnach nur möglich, wenn die von den Aposteln mit Amtsvollmachten ausgestatteten Nachfolger ihrerseits wiederum dies Bauen von oben planmäßig weiterführen.

Als solche Bauleute haben sich die Apostel gefühlt. "Denn wir sind Werkleute Gottes, ihr aber Gottes Ackerfeld, Gottes Bauwerk. Nach der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als weiser Baumeister den Grund gelegt. Ein anderer aber baut darauf weiter" (1. Kor. 3, 9ff.). So wird immer in der Kirche Christi gebaut, indem von oben her, in planmäßiger Anordnung gebaut wird. In keinem Falle kann daher eine kirchliche Amtsvollmacht von unten her ihrem Träger verliehen werden, etwa von der Versammlung der Gläubigen. Auch kann kein Mensch aus seiner Begabung, Heiligkeit oder Wunderkraft ein Recht auf Amtsgewalt ableiten. In dem kunstgerechten Gottestempel kann nur der ein mitbauender Gehilfe sein, der sein Bauen vom ersten Baumeister herleiten kann.

"Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Tempel aufbauen !" (1. Petr. 2,5). Durch freie Geistestaten gelangt der Mensch zur göttlichen Gemeinschaft. Seine persönlichen Gaben bringt der Mensch zum Aufbau des Christusleibes mit. Auch die Versammlung der Gläubigen gehört zum Vollbilde der Kirche. Davon leitet sich ein zweites Baugesetz her, das dem ersten entspricht. Die Baukonstruktion der Kirche geht auch von unten nach oben. Darum geht in der Kirche ein Zug vom Menschlich-Sinnhaften zum Göttlichen hin. Dem Legen und Pflegen des Samenkorns entspricht ein organisches Wachsen. Aus irdischen Tiefen steigt der Mensch, sich immer mehr vergeistigend, zur Höhe des Gottesgeistes hinauf. Das Glied am Leibe Christi steigt durch das Sichtbare zum Unsichtbaren empor. Man gelangt durch das Hören zum Glauben, durch das Empfangen der Heilsbotschaft zum inneren Besitz eines göttlichen Wissens. Durch die sichtbaren Gnadenmittel erlangt man die unsichtbare Gnade. Durch die sichtbare Kirchengemeinschaft wird man der unsichtbaren Gottesgemeinschaft teilhaft. Der planmäßig eingebaute Stein am Gottestempel wächst als lebendiges Glied immer tiefer in das Haupt hinein. Indem die Kirche durch ihre Amtsträger immer mehr Menschen in den Leib Christi einbaut, wächst dieser durch den Zustrom der vielfachen Gaben organisch in die Länge und Breite. Aber nicht nur quantitativ wächst er, sondern vor allem qualitativ, indem der immer eifrigere Gebrauch der Gnadenmittel und namentlich der heiligen Eucharistie das einzelne Glied immer tiefer mit Christus geistig eint, so dass jedes Glied immer mehr denkt, will und lebt, wie Christus es getan.

Im Sinne dieses zweiten Baugesetzes, das ein organisches Wachsen fordert, darf man die Kirche nie als etwas schon Vollendetes auffassen. Wer den Leib des Herrn irgendwann oder irgendwie als vollendet ansieht, gibt die Fülle und Unendlichkeit preis, welche der Kirche als dem Abbilde Gottes in analoger Weise zukommen. Er lässt das gewaltigste Leben, das der Herr ins Dasein rief, in den kleinen Grenzen von Zeit und Raum erstarrt sein. Erst der Leib in seiner Mannes- und Altersfülle, d. h. der von allen Christen aller Zeiten gebildete Herrenleib, ist "die gottgefällige Opferhingabe, geheiligt im Heiligen Geiste" (Röm. 15, 16).

Soll darum das Reich Gottes kein wild aufeinander getürmtes Steinfeld, sondern ein Tempelbau sein, kein wild wachsender Urwald, sondern ein wohl gesätes und geregeltes Saatfeld Gottes, kein krankhaft wucherndes Zellengewebe, sondern ein wirklich organischer Leib, so ist vonnöten, dass die Baumeister weiter walten und die einzelnen sich eingliedern lassen, dass man nach dem einen Gesetze planmäßig von oben nach unten weiterbaue und nach dem anderen organisch von unten nach oben heranwachse: "zum Aufbau des Leibes Christi", wie Paulus sagt (Eph.4, 12), in diesem Wortspiele beide Gesetze zum Ausdruck bringend. Über beiden Gesetzen aber waltet als oberstes Gesetz der Kirche das Gesetz der Liebe. Denn an der größten Liebestat Gottes, an der Menschwerdung des Sohnes Gottes und seiner Opferhingabe, entzündet sich nie erlöschende Liebe. Die Christusgemeinschaft ist eine Liebesgemeinschaft. Nach dem Beispiele und dem Worte des Herrn dient der Bruder durch sein Amt in Liebe dem Bruder, und der Bruder nähert sich in Liebe dem amtstragenden Bruder, damit durch die liebende Hingabe aneinander alle Nachahmer Gottes werden, der uns zuvor geliebt hat. "Geliebte, lasst uns einander lieben; denn die Liebe stammt aus Gott. Jeder, der liebt, ist aus Gott geboren. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (1 Joh. 4,7ff.).

In diesen Baugesetzen kommen mehrere Wesenseigentümlichkeiten der Kirche zum Vorschein. Wir brauchen nur für die Verbundenheit von Göttlichem und Menschlichem einzusetzen: von Sichtbarem und Unsichtbarem, um die von den Theologen als Wesenseigenart behandelte Sichtbarkeit der Kirche zu besitzen. Man betont die Sichtbarkeit der Kirche, weil man durch Irrlehren dazu genötigt ist. In Wirklichkeit bildet, wie mir scheinen will, die Sichtbarkeit nur in Verbindung mit der Unsichtbarkeit ein eigentliches Wesensmoment. Eine sichtbar-unsichtbare Christusgemeinschaft zu sein, ist eine Wesenseigenart der Kirche. "Diese Verbindung von sichtbaren und unsichtbaren Bestandteilen muss, weil dieselbe natürlich und nach Gottes Willen eingepflanzt ist, so lange fortdauern, als die Kirche selbst besteht." Die Sichtbarkeit der Kirche erstreckt sich weiter, als sie allgemein aufgewiesen wird. Zur Sichtbarkeit der Versammlung der Gläubigen und zur Sichtbarkeit ihres anstaltlichen Charakters kommt als wichtiges Glied die Sichtbarkeit ihrer Bezugnahme und Verbundenheit mit dem sichtbaren menschlichen Faktor in Christus. Gewiss kann nur der Glaube die Wahrheit dieser Verbundenheit und Beziehung bejahen, aber keiner kann wegleugnen, dass sie nach dem Willen und der Intention der Gläubigen da sein soll, behauptet und dargestellt wird. So will z. B. der Bischof dadurch ein sichtbarer Stellvertreter Christi .sein, dass er entsprechend dieser Eigenschaft sein Handeln formt. Alle Riten der Kirche und das ihnen entsprechende Gehaben der Amtsträger und der Gläubigen sprechen diese Intention klar aus. Sie findet an der scharfen Betonung der apostolischen Sukzession, der Apostolizität ihrer Lehre, ihres Kultus, ihrer Hierarchie volle Unterstützung.

Daraus ergibt sich von selbst, wie durch das erste Baugesetz die Wesenseigenheit der Apostolizität zur Kirche gehört. Hinter dem Sichtbaren und Menschlichen der Kirche steckte nur eitle Träumerei und menschlicher Wahn, nicht aber unsichtbare Gotteskraft und heiliges Gottesleben, wenn es nicht durch die apostolische Abfolge den Anschluss an das Ursakrament Gottes, an die eigene Menschheit Christi, oder die Mittlerschaft der Kirche nicht Anschluss an die Mittlerschaft unseres Hauptes fände. Die Apostolizität ist darum der stete Ausweis der kirchlichen Ansprüche. Es darf sich aber nicht nur bloß allgemein Gemeinschaft mit Christus durch die Apostel forterben, sondern auch die besondere Gemeinschaft, die durch den hierarchischen Charakter gekennzeichnet ist. Denn der oberste Baumeister der Kirche baut immerdar nach dem Gesetze seine Kirche weiter, das in seiner eigenen Hauptsteilung vorgezeichnet ist. Ja, die Menschwerdung ist von so bestimmendem Charakter für ihre Fortsetzung, die Kirche, dass die Apostolizität der Kirche bis dahin reichen muss, dass alles Wesentliche an der Kirche im unmittelbaren Willen Christi gründet und keineswegs nur Produkt einer von Christus inaugurierten Bewegung sein kann.

Unseren Ausführungen über die Kirche lag als bestimmende Idee die Idee vom göttlichen Haupte des Menschengeschlechtes zugrunde. Gerade aus dieser Idee fließt eine der wichtigsten Wesenseigentümlichkeiten der Kirche. Dem einen Haupte kann nur ein Leib entsprechen, dem einen Bräutigam nur die eine Braut, dem einen Baumeister nur ein heiliger Tempel. Diese Einzigkeit der Kirche liest man unmittelbar aus dieser Grundauffassung heraus. "Wenn aber die Kirche ein Leib ist, so muss sie etwas Einziges und Unteilbares sein." Die Kirche ist die eine heilige Gemeinschaft mit Gott, der eine Opferleib. Will man die Einzigkeit der Kirche nur von der Seite des Glaubens oder der einen Wahrheit, die ja sicher nur eine sein kann, begründen, so mag man eine Begründung geboten haben, welche auf uns Menschen einen tiefen Eindruck zu machen geeignet ist. Da sie aber nur einem Teilmomente der Inkarnation entnommen ist, so ist sie nicht tief und erschöpfend genug. Wer die Kirche nur als Versammlung der Gläubigen und nur als Anstalt sieht, wird es schwer haben, die Einzigkeit der Kirche sicherzustellen; denn nicht nur mehrere Gemeinschaften im Namen Christi sind möglich, sondern prinzipiell ebenso mehrere Arten der Heilsvermittlung oder Anstalten, solange sie in ihren Glaubenswahrheiten sich nicht widersprechen. Dagegen ist durch das Zurückgreifen auf die Einheit des Menschengeschlechtes, auf das eine Hauptsein Christi für alle Menschen, auf die enge Verbundenheit zwischen dem Menschengeschlechte und Jesus Christus, die nur durch die Bilder vom Leibe oder der göttlichen Vermählung gepackt werden kann, das Moment der Einzigkeit eine gegebene Selbstverständlichkeit. Im Bilde der einen Braut findet es wohl den stärksten Ausdruck. So steht hinter der Absolutheit der Kirche die Absolutheit Christi.

Aus dem gleichen Grundgedanken fließt, dass diese Einzigkeit auch stärkste Einheit besagt. Wir folgen da dem heiligen Paulus, der stets bei der Verschiedenheit der Gaben und Ämter auf den einen Leib und sein einigendes und einheitliches Haupt hinweist. "Ihr seid ja ein Leib und ein Geist, zu einer Hoffnung berufen. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe! Ein Gott und Vater aller" (Eph.4, 4 f.). Der Apostel zählt auf die Einheit des Geistes, die Übereinstimmung der Lehre, die Gleichheit der Kultformen. Nur eine wesenhafte Einheit kann es ermöglichen, dass aus den unendlichfach variierten Gliedern des geheiligten Geschlechtes ein mystischer Leib und ein heiliger Tempel erwächst. Wie weit gerade die heilige Eucharistie als Sakrament der Gemeinschaft und das hierarchische Amt diese Einheit erzeugen, ist uns schon zum Bewusstsein gekommen. Dass Christus diese Einheit so stark gründen, sichern und zur Darstellung bringen wollte, wie es durch den Primat Petri und seiner Nachfolger geschieht, finden wir im Hinblick auf die einheitliche Größe des Gottmenschen, auf das eine Haupt und die immer fortschreitende Differenzierung des Menschengeschlechtes mehr als konvenient. Nichts ist so sehr geeignet, die von uns immer hervorgehobene Stellung und Aufgabe Christi in der Menschheit darzustellen und festzuhalten als das Papsttum.

Bringt man die Einheit in der Kirche mit dem Gedanken vom Leibe Christi in Verbindung, dann ist man davor bewahrt, eine Einerleiheit zu fordern. Nicht mechanische Einerleiheit, sondern nur organische Einheit kann das Prinzip der Kirche sein. Organische Einheit besagt aber, wie ein Blick in die Natur lehrt, starke Differenziertheit der Glieder, stärkste Verschiedenheit der Aufgaben und Ämter, der Gaben und Gnaden. Diese Differenziertheit ist um so starker, je höher die betreffende Lebensstufe liegt. Erst auf dem Hintergrunde der Verschiedenheit erstrahlt die Einheit der heiligen Kirche als göttliche Mitgift. Das Zusammenspiel von Einheit und Verschiedenheit kann innerhalb der Kirche, abgesehen von wesentlichen Punkten, nach der Zeitlage und Entwicklung, nach der Eigenart der in der Kirche als Baumaterial vorliegenden Menschen und Völker mannigfach sein. Kampfsteilung erfordert straffere Organisation; so ist erst im Kampfe der Christenheit die Bedeutung des Primates voll zum Bewusstsein gekommen. Eine Kirche, die nicht nur im Abendlande lebt, sondern in den verschiedensten Kulturkreisen voll und ganz zu Hause ist, würde von selbst eine größere Mannigfaltigkeit aufweisen. Im Idealfalle, wenn die Kirche die Welt in intensiver und extensiver Richtung ganz überwältigt hätte, würde zwar die Mannigfaltigkeit das größte Ausmaß haben und doch ihre Einheitlichkeit am schönsten durchleuchten. "Merke auf das Geheimnis der kirchlichen Einheit, wo weder die Einheit die Vielheit verdrängt noch die Mannigfaltigkeit die Einheit stört.“

Dass Einzigkeit und Einheit eine wesentliche Unveränderlichkeit in sich schließen, ist selbstverständlich. Unsere früheren Ausführungen würden geradezu eine Wiederkunft Christi im Sinne eines neuen Erscheinens im irdischen Fleische verlangen, wenn an der Kirche etwas Wesentliches geändert werden sollte. Die stärkste Sicherung dieser Unveränderlichkeit hat Christus durch die Unfehlbarkeit des Lehramtes getroffen, deren Garant der Heilige Geist ist, welcher als Geist des Sohnes und als belebende Kraft der Menschheit Jesu mit eifersüchtiger Liebe über die Fortsetzung der heiligen Menschwerdung, seines Werkes, wacht. Einzigkeit und Einheit verlangen aber nur eine wesentliche Unveränderlichkeit. So ist der Erstarrung vorgebeugt, die zum Begriffe eines Organismus nicht passen würde, und dem Mitschaffen der Zweitursachen, das in der Entwicklung und der Differenzierung zum Ausdruck kommt, Raum geboten.

Die tragende Idee vom neuen, göttlichen Haupte des gesamten Menschengeschlechtes erlaubt noch nach der materiellen Seite hin, die im Begriffe des Gesamtgeschlechtes gegeben ist, eine Ausbeute. Das Hauptsein aller Menschen begründet die Allgemeinheit oder Katholizität der heiligen Kirche. Christus soll und will Lehrer, Priester und Hirte eines jeden Gliedes sein, um es als lebendiges Glied sich einzuverleiben. Die Absolutheit des Hauptseins Christi verlangt die Heilsnotwendigkeit seines Mittleramtes und damit auch die seiner Kirche. Ein Abweichen von der allgemeinen Heilsnotwendigkeit der Kirche käme einem völligen Zerschlagen unserer Grundlegung gleich.

Diese Allgemeinheit der Kirche realisiert sich in Zeit und Raum. In der Zeit durch eine ununterbrochene Kontinuität. Es ist nach unserer Grundlegung nicht denkbar, dass die Kirche in irgendeinem Augenblicke bis zum Ende der Welt nicht vorhanden wäre. Die Kirche muss ferner innerlich dazu geeignet sein, allen Menschen aller Zonen und Zeiten Heilsvermittler sein zu können.

Wir können jedoch die Katholizität der Kirche noch in einem anderen Sinne sehen. Die vom Hohenpriester Jesus Christus objektiv hergestellte und in jedem Menschen noch subjektiv herzustellende heilige Gemeinschaft mit Gott umfasst den ganzen Menschen. Das Opfer verlangt die Aufgabe der gesamten Eigenständigkeit des Menschen. Der mystische Leib Christi ist Opferleib und will mit seinem Haupte im Opferzustande als Anbetungs- und Lobopfer ewig verharren. Von der Opferhingabe darf darum nichts ausgeschlossen werden, was des Menschen ist; alles muss in die heilige Gemeinschaft mit Gott eingeschlossen werden. Von hier aus wird die stärkste, aber auch schönste Begründung für die Tatsache offenbar, dass kein Lebensgebiet dem Bereiche der Kirche völlig entzogen sein kann. Da sie alle geheiligt werden müssen, so wie alle an der Zerreißung der Gottesgemeinschaft in ihrer Weise Anteil nahmen, muss die Kirche ihnen den Weg zu ihrer Aufgabe im Dienste Gottes und Christi weisen und vor allem sie segnen und heiligen.

Eine Wesenseigentümlichkeit der Kirche fehlt noch. Aber wir brauchen sie nur auszusprechen, um ihre Gegebenheit im Lichte des Grundgedankens zu erkennen: die Heiligkeit der Kirche. Dem heiligen Baumeister entspricht nur ein heiliger Tempel, dem heiligen Haupte nur ein heiliger Leib, dem heiligen Bräutigam nur eine heilige Braut. Dafür hat ja der göttliche Bräutigam sein Leben hingegeben, dass er eine heilige, makellose Braut sich erwerbe. Die Kirche ist innerlich und substantiell, nicht nur wegen ihres Stifters, ihres Zieles oder ihrer Mittel heilig. Denn die Kirche ist die Christusgemeinschaft oder die Gemeinschaft der Menschen mit Gott. Als solche ist sie heilig, da keine wahrhafte Gemeinschaft mit Gott, dem dreimal Heiligen, bestehen kann, die nicht eine heilige Gemeinschaft wäre. Aber auch die Menschen in der Kirche sind heilig, soweit sie eben in der Kirche sind, d. h. an der Gottes- und Christusgemeinschaft Anteil haben. Irgendwie ist darum jeder Christ heilig, selbst der Sünder noch, insofern er den unauslöschlichen Taufcharakter in sich trägt.

Da aber die Kirche weder in ihrer Gesamtheit noch in den Einzelgliedern jene vollendete Durchdringung von Göttlichem und Menschlichem besitzt, die bei ihrem Haupte Christus durch die Einheit der Person gegeben ist, so besagt diese mindere Mischung nicht eine durchweg vollendete und unfehlbare Heiligkeit. Namentlich ist deswegen ihre substantielle Heiligkeit nicht ohne weiteres auch die persönliche oder ethische ihrer Glieder. "Ihr kann man es nicht zum Vorwurf machen, wenn einige ihrer Glieder krank oder wund sind. Wenn man in der Kirche einiges wahrnimmt, was die Schwäche unserer menschlichen Natur verrät, so fällt das nicht ihrer weltlichen Verfassung zur Last, sondern vielmehr der beklagenswerten Neigung der einzelnen zum Bösen. Diese Schwäche duldet ihr göttlicher Stifter." Die Kirche hat es immer abgelehnt und muss es innerlich notwendig ablehnen, sich als die Gemeinde der vollendeten Heiligen, der ganz Reinen anzusehen. Jeder Spiritualismus ist der Kirche als der fortgesetzten Fleischwerdung wesensfremd. Soweit die Gottesgemeinschaft im Einzelgliede vollzogen ist, soweit ist es auch heilig. Soweit sie nicht vollzogen ist, soweit steht der Mensch außerhalb der Heiligkeit. Die menschliche Seite der Kirche ist zugleich heilig und noch nicht heilig. Darum hat man der heiligen Kirche sogar den Namen einer Kirche der Sünder gegeben.

In keinem Augenblicke der Geschichte der Kirche ist daher die Verwirklichung der Gottesgemeinschaft nach ihrer ganzen Potentialität ausgeschöpft. Darum wird keine Wesenseigentümlichkeit mehr zur Aufgabe als diese selbstverständlichste. Hier ist das weiteste Betätigungsfeld des ewigen Hohenpriesters und seiner Stellvertreter. Die Erreichung einer unwandelbaren und vollendeten Gottesgemeinschaft in jedem Gliede und möglichst für alle Menschen ist die alles belebende Aufgabe der Kirche als solcher und auch die persönlichste eines jeden Einzelgliedes.

So offenbart die Wesengeigenart der Heiligkeit, dass die Kirche trotz allen Bauens und Wachsens, trotz vielseitiger Vollkommenheiten und Schönheiten auf dieser Erde niemals ganz vollendet und ganz vollkommen sein wird noch sein kann. Sie ist immer Kirche im Kommen. Die Kirche ist als echter Organismus in stetem Wachsen begriffen. Die Wesenseigentümlichkeiten der Kirche sind zugleich Aufgaben für die Kirche. Davon zeugen die Differenzierungen im Wesenselemente der Einheit, die Veränderlichkeiten in dem der Unveränderlichkeit, die Aufgabe, alles zu erfassen und heiligend zu durchdringen. Wie es von ihrem göttlichen Stifter heißt (Lk. 2,52): "Und er nahm zu an Weisheit, Alter und Wohlgefallen bei Gott und den Menschen", so muss auch die Kirche wachsen und zunehmen im Bereiche des Menschengeschlechtes und vorzüglich vor dem Angesichte ihres heiligen Gottes.

5. Die Spannungen im Wesen und Leben der Kirche

Gewiss ist in der Kirche das Ziel der Gemeinschaft auch das Ziel des Einzelgliedes. Denn die Christusgemeinschaft will das ewige Heil und die größtmögliche Heiligkeit aller Menschen und jedes einzelnen Mitgliedes. Ein jedes Glied will seine Heiligkeit und sein ewiges Heil und in Bruderliebe auch das aller Mitbrüder. Weil nur Eingliederung in den Christusleib Gottesgemeinschaft vermittelt und nur tiefere Eingliederung sie vollendet, so sind die letzte Vervollkommnung der christlichen Persönlichkeit und das vollständig und völlig Gliedsein identisch. Was im Interesse der Gemeinschaft liegt, ist darum in objektiver Sicht auch im Interesse des einzelnen gelegen. Förderung des Gemeinschaftslebens ist Förderung der christlichen Persönlichkeit. Wachsen der christlichen Persönlichkeit ist Aufbauarbeit am mystischen Leibe. Spannungen und Konflikte zwischen Gemeinschaftsleben und Persönlichkeitsausbildung sind demnach in der Kirche prinzipiell und objektiv unmöglich.

Christus will, dass die Menschen nur in freier Geistesarbeit seinen Leib aufbauen und in Freiheit ihr gesamtes menschliches Tun und Lassen christförmig bestimmen. Alle Mitglieder der Kirche stehen immerfort in der drängenden Aufgabe, ihr ganzes Wesen übernatürlich zu durchformen und ihr Leben bis zur geringsten Tätigkeit christförmig zu gestalten. Diese Aufgabe ist schwer und langwierig. Darum haben die meisten Christen trotz jahrelangen Christseins manche Seiten ihres Wesens und manches Gebiet ihres Lebens noch nicht dieser Durchformung unterzogen, sie noch nicht oder noch nicht restlos in die Opferhingabe an Gott einbezogen. Solche Christen befinden sich teilweise im Zustande des Gliedseins am Herrenleibe - soweit nämlich ihre Christusnachfolge gedrungen ist - teilweise aber auch - soweit ihre Unvollkommenheit reicht - in gewissem Sinne noch außerhalb. Ihnen kann daher noch nicht für das Ganze ihrer Persönlichkeit das Wollen der kirchlichen Gemeinschaft und das Streben der eigenen Persönlichkeit völlig identisch sein. Sie werden notgedrungen die Kirche nicht nur als beglückende Christusgemeinschaft, sondern auch als drängende und zwingende Heilsanstalt empfinden. Ihnen erscheinen die Ämter der Kirche nicht in all ihrem Tun als dienende Ämter der Bruderliebe, sondern als bindende und bedrückende Gewalten.

Diese Spannung zwischen dem Sein und Sollen der Glieder dringt um so tiefer in das Leben der christlichen Gemeinschaft ein, als auch die Inhaber der Gewalten dem gleichen Gesetze der Unvollkommenheit unterworfen sind. Menschliche Schwächen sind mitbestimmend in der Handhabung der Ämter und in der Leitung der Gemeinschaft. Ihre Forderungen sind nicht immer dem objektiven Bestande völlig angepasst, sondern von der fehlerhaften Persönlichkeit des Amtsträgers mitgefärbt. Hinzu tritt, dass eine Gemeinschaft die notwendige Anpassung an die Gegebenheiten der Zeit nicht so schnell vollziehen kann, als es der Einzelpersönlichkeit möglich ist. Diese Umstände verschärfen und vergrößern die Spannungen des christlichen Lebens. ja, sie können sich zum Ärgernis nehmen an der Kirche und damit zur tiefsten Tragik auswachsen. Schmerzlich weit kann sich die Wirklichkeit von jener ideellen Identifikation entfernen, von der wir ausgegangen sind.

Schon diese Spannungen sind groß und tragisch. Die Geschichte der Kirche ist von ihnen erfüllt. Sie machen den Weg des fortlebenden Christus und mancher Christen zu einem Schmerzenswege. Und doch sind diese Spannungen nur aus den Unvollkommenheiten des fehlenden Menschen geboren. Sie durchfurchen das Leben der Kirche und ihrer Mitglieder, lassen aber ihr Wesen unberührt. Genauer und tiefer gesehen, sind aber diese Spannungen die Exponenten anderer Spannungen, die in das Wesen der Kirche eingreifen, ja aus dem Wesen der Kirche geboren sind. Sie gehören notwendig zum Wesen und Leben der Kirche, weil sie als die irdische Braut des Herrn dem Gesetze der Kontingenz ihren Tribut zahlen muss. Je tiefer sie mit dem Wesen der Kirche verbunden sind, um so tragischer können ihre Auswirkungen im Leben der Kirche sein. Um so heiliger ist auch die Aufgabe, welche sie den Gliedern des Herrenleibes stellen. Um so dringender ist unsere Pflicht, an ihnen nicht vorüberzugehen, sondern sie in das Vollbild der Kirche einzureihen, da wir ohne sie das Geheimnis des fortlebenden Christus weniger gut verstehen würden. Gerade das Gesetz der Kontingenz und die Tragik unausgeglichener Spannungen zeigen uns die Kirche als die Braut Christi auf, welche mit brennender Lampe in heißer Ungeduld auf die Ankunft des Bräutigams wartet, der sie aller Unvollkommenheit entheben soll.

Niemand hat wohl besser und klarer diese Problematik im Wesen der Kirche aufgezeigt als Karl Neundörfer in seinem Aufsatze: Geistkirche oder Rechtskirche. Ihn wollen wir daher sprechen lassen, wo es sich darum handelt, diese Problematik klar zu erkennen:

"Der religiöse Glaube erscheint zunächst als etwas durchaus Persönliches. Ist er doch nach einem Worte der Schrift ein Festhalten an Dingen, die man erhofft, ein Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht“ (Hebr 11, 1). Dieses Überzeugtsein und Festhalten aber erfordert den Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Wobei aber die Persönlichkeit sich voll einsetzt, darin will sie sich auch frei auswirken. So liegt es nahe, in der ganzen Sphäre des Glaubens alles nur auf die Persönlichkeit abzustellen und der Gemeinschaft keinerlei Rechte einzuräumen. Und doch ist auch der persönliche Glaube ohne die Gemeinschaft nicht möglich. Paulus sagt in dieser Hinsicht: ,Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nie gehört haben? Wie von ihm hören, wenn ihnen niemand predigt?' (Röm 11, 14). Darin ist nicht etwas besonders Christliches, sondern etwas allgemein Menschliches ausgesprochen. Kein ,Ich' kann sich entfalten ohne das ,Du'.

So gesehen steht die Gemeinschaft im Dienste der Persönlichkeit. Aber sie strebt immer danach, sich vielmehr zum Herrn der Persönlichkeit zu machen. Jede Gemeinschaft verlangt Opfer von ihren Gliedern und zwar Opfer bis zum letzten, Opfer des Lebens und des Gewissens. Der Einzelne erscheint dann um der Gemeinschaft willen geschaffen, nicht die Gemeinschaft um des Einzelnen willen. Und dieses allgemeine Problem jeder Gemeinschaft wirkt sich auch in der religiösen Gemeinschaft aus. Auch hier zeigen sich rein natürlich begründete Gegensätze zwischen einer mehr individualistischen und einer mehr kollektivistischen Auffassung, zwischen einer, die um des individuellen Glaubens willen die Gemeinschaft zu zersprengen 'und einer, die um der Gemeinschaft willen jeden Glauben zu vergewaltigen droht.

Und diese Spannung verstärkt sich noch, wenn wir aus dem Bereiche der Naturreligion in das der Offenbarungsreligion treten. Die Kirche ist Stiftung Gottes, Leib Christi, Organ des Heiligen Geistes, einzig, heilig, unfehlbar, und lässt so ein persönliches Meinen und Wollen gegen sich noch weniger aufkommen, als eine Gemeinschaft, die im rein natürlichen Bereiche sich als Selbstzweck setzt. Aber anderseits wächst' im Bereiche der Offenbarungsreligion auch wieder Sinn und Recht der Persönlichkeit. Der einzelne Gläubige erscheint als Kind Gottes, Bruder Christi, Tempel des Heiligen Geistes, erfüllt mit übernatürlichem göttlichen Leben und darum teilhaft auch der göttlichen Freiheit. Gottes und des Geistes Wirken muss eben in doppelter Weise gedacht werden, als transzendent und immanent, als ,über' den Einzelnen schwebend durch die Kirche und als in dem Einzelnen wohnend durch die Seele. Wo eine dieser Möglichkeiten ohne die andere geglaubt und behauptet wird, stoßen Persönlichkeit und Gemeinschaft, Glaube und Kirche, notwendig zusammen.

Nehmen wir die Notwendigkeit der Kirche einmal als gegeben, so springt ein neues Problem hervor: das der Ordnung dieser Gemeinschaft. jede Gemeinschaft bedarf der Ordnung. Aber diese Ordnung kann innerlich durch den Geist oder äußerlich durch das Recht bewirkt werden. Geistkirche oder Rechtskirche? - heißt darum dieses Problem. Man könnte versucht sein, in der christlichen Urgemeinde und in der heutigen katholischen Kirche die beiden Seiten dieses Gegensatzes verkörpert zu sehen.

Was muss das bestimmende Prinzip einer kirchlichen Ordnung sein: Geist oder Recht? Das Wesen der Kirche als einer Gemeinschaft von Gläubigen scheint unbedingt und ausschließlich eine geistige Ordnung zu verlangen. Schreibt doch Paulus (1. Kor. 12, 13): ,In der Taufe sind wir alle durch einen Geist zu einem Leibe verbunden. Wir sind alle mit einem Geiste durchtränkt.' Und was hätten auch Religion und Kirche vor anderen Mächten voraus, wenn sie nicht Mächte des Geistes wären? Fassen wir aber die Wirklichkeit der Kirche ins Auge, wie sie von Anfang war und menschlichem Ermessen nach immer bleiben wird, so sehen wir, dass der Heilige Geist tatsächlich nicht immer alle, die zur Kirche gehören wollten, in gleicher Weise und genügender Stärke erfüllt. Soll aber unter solchen Ordnung sein, die nicht vom Geiste erfüllt sind, so kann sie nur auf dem Rechte beruhen. Wird das verkannt und auf den Geist gebaut, der in Wahrheit fehlt, so rächt sich das, wie bei vielen Sekten, von selbst. Dann täuscht man sich und anderen ein Erfülltsein vom Geiste vor, sucht solches Erfülltsein mit künstlichen Mitteln zu erzwingen und verfällt so dem Geiste der Lüge, welcher von echter Religion sicher weiter abführt als eine Ordnung des Rechtes.

Sind so Geist und Recht gleich notwendig für die Kirche, so stehen sie doch in steter Spannung zueinander. Der ,Geist' ist wie der Wind, er weht, wo er will (Joh. 3,8): er widerstrebt der festen Ordnung und droht so auch das zu verflüchtigen, was fest sein sollte. Das ,Recht' anderseits sucht alles in seinen Bann zu ziehen, auch das, was rechtlicher Bindung widerstrebt, und droht so zu mechanisieren, was lebendig bleiben müsste.

Nach diesen Aufweisen Neundörfers haben wir es mit einer aus der Sache selbst sich ergebenden Problematik zu tun. Zwei Rehen mit mehreren, sich entsprechenden, aber gegensätzlich gelagerten Gliedern ergeben sich. Auf der einen Seite stehen: Geist, Liebe, Leben, persönliche Freiheit; auf der anderen: Amt, Macht, Recht, Gemeinschaftsforderungen. Das Tragische an dieser Problematik besteht darin, dass beide Seiten wesensnotwendig zu sein scheinen, wenn von Kirche die Rede sein soll, und doch beide Reihen gegeneinander arbeiten. Diese Gegensätzlichkeit wird zur Unversöhnlichkeit, wenn sich in diese sachliche Problematik die oben aufgezeigte Fehlerhaftigkeit der Menschen eindrängt, wenn schwache und nicht vollkommen heilige Hände dieses gefahrvolle Spiel der Gegensätze mitspielen. Die Unversöhnlichkeit wird gar zur vollen Tragik, wenn diese Problematik so empfunden wird, wie es seitens mancher moderner Menschen geschieht. Ganz durchtränkt von Begeisterung für das Wehen des Geistes, für die Alleinberechtigung der Liebe, für die Entfaltung der Persönlichkeit, sieht er in seiner Kirche im Gegensatz zu seinem Empfinden oder, wie er vermeint, gar zum Evangelium nur den Durchbruch der anderen Seite, nur Amtscharakter und nur Machtbedürfnisse und nur Vergewaltigung der persönlichen Freiheit. Dann wird die Tragik der Gegensatzpaare zum Konflikt mit der Kirche und führt 2Jur Abwendung von dem Produkte, das Menschenhand aus göttlichem Samen gemacht haben soll. An die Lösung der hiermit aufgeworfenen Fragen gehen wir rein grundsätzlich und nur dogmatisch heran.

Um zum Grundsätzlichen vorzustoßen, stellen wir an die Spitze die Feststellung Neundörfers, dass die Spannungen zwischen Geist und Amt, Recht und Liebe, Gemeinschaft und Persönlichkeit eine rein sachliche Problematik jeder KirchenentfaItung sind und nicht, wie Heiler als Sprecher vieler moderner Seelen es glauben machen möchte, eine bloß geschichtliche der römischen Kirche darstellen. Darum sind sie auch so alt, wie das Christentum selbst, und sogar im Bilde des Gottmenschen kreuzen sich die beiden Ordnungen der Gerechtigkeit und Liebe.

Um die Problematik, welche diese Sachgegebenheit im Gefolge hat, zu bewältigen, sind theoretisch vier Möglichkeiten gegeben, die auch im Laufe der Geschichte von Kirchengebilden ergriffen worden sind. Es können einmal Recht rund Macht so eindeutig über Liebe, Geist rund Freiheit triumphieren, dass diese keinen störenden Einfluss mehr ausüben können. Das Resultat kann am besten am Gebilde des vollen Staatskirchentums abgelesen werden. Umgekehrt können auch Geist und Freiheit das Recht und die Gemeinschaftsforderungen fast völlig ausrotten. Diesen Weg nimmt immer die Sekte. Deshalb ist hier typisch der Kampf gegen Autorität, Hierarchie, Sakramente, die Proklamierung der Gemeinde der Heiligen und der absoluten Weltflucht. Man kann jedoch auch die beiden Ordnungen nebeneinander liegen lassen und das Dilemma dadurch unschädlich zu machen suchen, dass man die beiden Reihen verschiedenen Wirkkreisen zuweist. Diesen Weg hat Luther versucht, indem er auf der einen Seite ein Gottesreich forderte, das stark nach Art der Sekten gedacht war, und anderseits dem Recht dadurch seinen Anteil einräumte, dass er es ganz der weltlichen Gewalt übertrug. Doch die harte Wirklichkeit zwang ihn, deswegen seine Kirche zu' ihrem Schaden zu weit dem Staate auszuliefern. Die vierte Möglichkeit besteht darin, dass man weder theoretisch eine Seite verneint noch praktisch ein Übergewicht schafft, sondern jedem Faktor innerhalb der Kirche seinen Platz einräumt, für ihre ideelle Harmonie eintritt und sich bemüht, in jeder Lage die tatsächliche auch zu verwirklichen. Das ist die Ansicht und der Weg der Katholischen Kirche.

Diese Stellungnahme ist der Katholischen Kirche durch ihr innerstes Wesen vorgezeichnet. Denn nach den früheren Darlegungen über das Wesen der Kirche stellt sich ihre grundsätzliche Auffassung so dar: Es ist freilich im menschgewordenen Gottessohne gerade die Güte und Liebe Gottes offenbar geworden. Darum ist sein Reich ein Reich der Gnade und Liebe, ein Reich froher Gotteskinder. Das neue Leben sollen sie sich den ganzen Einsatz ihrer Persönlichkeit kosten lassen. Die Freiheit wird zur größten Leistung aufgerufen. Nicht Knechte nennt uns der Herr, sondern seine Freunde, die in völliger Freiheit ihm folgen. Seinen Freunden sendet der Herr seinen Heiligen Geist, der sie stärken und führen soll. Dieser Geist des Hauptes will Leben wecken und Leben fördern mit der Urgewalt seiner Gotteskraft, und er weht, wo und wie er will.

Trotzdem verbindet sich diese Gotteskraft in erster Linie mit den Ämtern und wirkt durch sie. Es gibt im Mystischen Leibe Ämter mit bestimmten Aufgaben und daher mit göttlichen Rechten. Es gibt eine Über- und Unterordnung und darum Herrschende und Beherrschte. Es steht neben, ja vor der christlichen Persönlichkeit die Gemeinschaft des Herrenleibes. Aus ihr muss die Einzelpersönlichkeit leben, ihr sich einfügen und in ihr den Platz ausfüllen, der ihr durch die Spitzen der Gemeinschaft vom Heiligen Geiste angewiesen wird.

Die Notwendigkeit beider Reihen ist nach den früheren Ausführungen so zwingend, dass die eine Reihe nicht ohne die andere gedacht werden darf. Erst das Zusammensein beider Reihen schafft jene Kirche, welche ein echtes Abbild ihres Hauptes ist.

Diese grundsätzliche Stellung der Katholischen Kirche liegt in ihrem ganzen Welt- und Gottesbilde tief verankert. Denn wer wie sie auch nicht im geringsten auf dem Boden einer dualistischen Weltanschauung steht, sondern an den einen Herrn und Gott aller Dinge glaubt, der kann unmöglich die beiden Reihen: Geist, Liehe, Freiheit - Amt, Recht, Gemeinschaft als gegebene und doch unlösbare Gegensätze stehen lassen. Er ist vielmehr dahin gezwungen, beide Reihen auf Gott zurückzuführen, beide Reihen, weil sie Vollkommenheitskomponenten einschließen, in Gott in absoluter und eminenter Weise wieder zu finden. Ihr Hinaufgehobenwerden ins Reich des einen absoluten und unendlichen Gottes hat aber nicht die üble Folge, die beim Dualismus eintreten muss, dass sich die Spannung zwischen ihnen ins Absolute und damit ins völlig Widersinnige und Sich-ausschließende steigert, sondern dass sie in einer höheren Einheit sich treffen und ineinanderfallen. Allerdings das Wie erkennt der schwache Menschengeist nicht, das bleibt ein Geheimnis des Göttlichen. Nehmen wir ein Beispiel: Recht und Liebe oder, um es noch besser zuzuspitzen, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind zwei Begriffe, deren Einklang wir nicht finden, sondern die für uns auf den gegensätzlichen Endpunkten einer Linie liegen. Lässt man der Gerechtigkeit ihren Lauf, so ist für Barmherzigkeit kein Raum da; denn der Barmherzige will gerade der vernichtenden Gerechtigkeit in die Arme fallen und den Bedauernswerten schützen. Aber beide sind Gott, und zwar einerseits die unendliche, absolute, vollste Gerechtigkeit und anderseits die unendliche, unerschöpfliche Barmherzigkeit. Beide sind der eine einfache Gott, so dass wir vor dem undurchdringlichen Geheimnisse stehen, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in ihrer höchsten Potenz real ineinanderfallen.

So sehr stehen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Gott, bzw. in ihrer vollendetsten Form und Reinheit zusammen, dass sich dieses lneins selbst in den Werken Gottes ausprägt. Thomas von Aquin stellt darum das Gesetz auf: "Es ist notwendig, dass in jedem Werke Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sich finden." Es gibt kein Werk und keine Tat Gottes, in der nicht beide Eigenschaften ihren Ausdruck finden. Sobald aber in den Werken Gottes die wunderbare Einheit sich in Strahlen zerlegen muss, dann sind es nicht an sich die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, welche ein Zueinanderstehen vereiteln, sondern die Schwäche des Nachbildes und die Geringfügigkeit seiner Aufnahmefähigkeit. Dann kann es nicht anders sein, als dass das eine göttliche Werk mehr die Gerechtigkeit Gottes, das andere mehr seine Barmherzigkeit widerspiegelt, aber keines die eine Eigenschaft ohne die andere. Wenn auch im Nachbilde die geheimnisvolle Einheit sich bricht, so streben die Teile wie Bruchstücke aufeinander hin und fordern einander. Aber dieser innerste Kern der Zusammengehörigkeit wird dadurch verdeckt, dass das Nachbild einer Eigenschaft mehr Raum gewähren muss. Dadurch entfernen sich beide voneinander, oft so sehr, dass sie von uns, die ebenfalls nur endlich sind und deshalb den innersten Kern einer Sache nicht leicht fassen. wie unversöhnliche Gegensätze empfunden werden. Mit dieser Auffassung steht im Einklange, dass in den schönsten und erhabensten Gotteswerken der beste Einklang von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu finden ist, wie vor allem im Werke der Erlösung. Aus diesem innersten Einklang fließt ein Gesetz: Wer ein endliches Nachbild göttlicher Gerechtigkeit in sich selbst verabsolutiert, erreicht, dass der innere Wesenskern, der ja zu seinem Gegensatze strebt und mit ihm innerlich verbunden ist, dahin ausschlägt, dass er nicht nur seinen Gegensatz, sondern auch sich selbst vernichtet. Instinktiv erfassen wir dieses Gesetz, wenn wir sagen: Die schärfste Gerechtigkeit, d. h. eine dem Buchstaben anhangende Gerechtigkeit wird notwendig zum schreiendsten Unrecht; denn sie ist anderen auch vorhandenen und zu berücksichtigenden Werten nicht gerecht geworden. Umgekehrt wirkt sich die weichste Barmherzigkeit, die wir als die vollendete zu preisen geneigt sind, zum größten Schaden des Betreffenden aus und wird zum Verderb. Die Liebe wird damit zur Lieblosigkeit.

Ähnliches lässt sich an dem anderen Gegensatzpaare von Geist und Amt zeigen. Wir können Gott seiner Schöpfung gegenüber das Amt der Leitung und Vorsorge zuschreiben. Keiner wird leugnen, dass Gott mit dem größten Aufwand an Geist seine Schöpfung wundervoll leitet und regiert, und doch tut er dies nach wuchtigen, schweren, unnachgiebigen Gesetzen. Beides muss in Gottes. Tätigkeit eins sein. Denn trotz aller Gesetzmäßigkeit deucht uns die Weltleitung so lebendig und persönlich, so originell und frei zu sein, wie es nur einem großen Geiste möglich ist, und doch arbeitet der göttliche Geist im Rahmen einer ganz wunderbaren Gesetzesmaschine, die doch nie bloß Maschine wird. Ähnliches wirkt sich beim großen Gotteswerke der Erlösung aus. In Jesus Christus treffen wir das Wehen des Heiligen Geistes in urgegebener Form; darum eine Freiheit und Souveränität, welche alle staunen macht. Auf der anderen Seite geschieht in seinem Amte eines Lehrers, Priesters und Hirten nichts, was dem Amtscharakter, d. h. dem Auftrage vom Vater nicht entsprechen könnte; in peinlichster Genauigkeit wird Christus seinem Auftrage gerecht, und ebenso unerbittlich fordert er für sein Amt Anerkennung und Unterwerfung. In Christus sind Amt und Geist in vollendeter Harmonie beieinander, dienen einander, setzen einander. Geist und Amt können sich also, absolut genommen, nicht widersprechen, sondern müssen irgendwie im innersten Kerne sich treffen und verwandt sein. Diese Zusammengehörigkeit findet darin ihre Bestätigung, dass in den kleinen menschlichen Nachahmungen Überspitzungen zur Selbstvernichtung führen. Pochen auf den Geist ist noch stets zur fadesten und ödesten Geistlosigkeit ,geworden, Pochen aufs Amt führt zur Tyrannis, die kein dienendes Amt mehr ist.

Viel schöner sehen wir es in dem letzten Gegensatzpaare: Gemeinschaft und Persönlichkeit. Im christlichen Urgeheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit ist die für Menschenverstand unbegreifbare Harmonie von Gemeinschaft und Persönlichkeit. Diese göttliche Gemeinschaft ist unendlich tief und allseitig, tiefer und allseitiger als irgendeine andere. Restlos alles ist ihnen gemeinsam, nicht nur als ein Haben des gleichen Besitzes, sondern als ein Gleichsein im gleichen Etwas, des gleichen Wesens, der gleichen Natur, so dass Vater, Sohn und Heiliger Geist der eine gleiche Gott ist. Ihre Gemeinschaft ist wesenhaftes Ineins. Und doch hat in Gott dieses Gemeinsam sein ein Widerspiel: die Selbstbewahrung jeder göttlichen Person. Alles schenkt der Vater dem Sohne, alles geben sie dem Heiligen Geiste, nur eins nicht: die Art und Weise ihres Besitzens, ihres Ursprungseins, ihres Personseins. Sie kann nicht weggegeben werden. ja, sie ist erst durch den Gegensatz zum anderen Ich, zum Du konstituiert.

Doch noch tiefer liegt das Rätsel. Stände die Person nicht in undurchbrechlichem Insichstehen da, sondern könnte sie, per impossibile, einmal mitgeschenkt werden, dann wäre in Gott gar keine zweite und dritte Person möglich. Einer stände in einsamer Größe da, eine Gemeinschaft göttlicher Personen wäre undenkbar; denn das Ergebnis wäre immer wieder er selbst. Und schenkte anderseits der Vater nicht alles restlos, dann käme ein Zusammensein göttlicher Personen nicht zustande, sondern der vom Vater ,Gezeugte' wäre nur ein Geschöpf. So bedingt zutiefst in Gott die Gemeinschaft die Person und die Person die Gemeinschaft.

Im Lichte dieses Mysteriums kann Gemeinschaftsform und Persönlichkeitspflege nicht innerlich im Gegensatze zueinander stehen. Vielmehr erkennen wir, dass die Gemeinschaftsfunktion der individuellen Persönlichkeitspflege nicht bloß äußerlich angehängt werden darf, sondern Persönlichkeit setzt und bildet. Nur das unvollkommene Nachbild des kreatürlichen Bereiches kann beide als Gegensatz erscheinen lassen. Ihr innerster Kern muss aber so aufeinander hin tendieren, dass sie sich selbst zugrunde richten, wenn sie sich überspitzen. Utopischer Kommunismus hat bis heute immer noch zum Kampf aller gegen alle geführt, zur Aufhebung wirklicher Gemeinschaft und zur öden Erstarrung des Lebens. Übertriebene Persönlichkeitspflege führt zur ekelerregenden Fratzenhaftigkeit, der keiner mehr Persönlichkeitswert zusprechen kann.

Hier ließe sich noch ein anderes Gegensatzpaar einfügen, das für die Kirche von Wichtigkeit ist: Gesetz und Leben. Gesetz scheint uns Bindung und Leben Freiheit. Das ist in sich richtig, aber falsch wäre es, wenn wir Gesetz gleich Leblosigkeit und Leben gleich Gesetzlosigkeit fassten. Das kann schon deswegen nicht sein, weil Gott, der das unendliche Leben besitzt und ist, nicht die größte Gesetzlosigkeit oder Willkür seiner selbst ist, sondern jenes Leben, das in keinem Punkte, in keinem noch so winzigen Punkte, wenn wir einmal menschlich von Gott sprechen wollen, seines Seins und Lebens anders sein kann, als er ist. Ist Gott deswegen der schrecklichste Sklave seines eigenen Lebensgesetzes? Im Gegenteil, weil er mit dem Gesetze seiner selbst identisch ist, darum ist ihm seine Notwendigkeit seine höchste Wonne, eine sich ganz frei fühlende und nicht anders wollende Seligkeit.

Mir will scheinen, dass wegen dieses Tatbestandes ein Leben, je höher es steht und darum Gott näher kommt, um so mehr mit Gesetzen verbunden ist, aber von jenem Augenblicke an, wo diese Gesetze ihm innerlich eingegangen sind, sich gerade deswegen um so freier und lebensvoller fühlt. Eine volle Deckung und ein Aufheben jeglichen Gegensatzes kann freilich im endlichen Nachbilde nicht erreicht werden. Oder ist es falsch, wenn man behauptet, dass das Pflanzenleben viel mehr Gesetzen mit empfindsameren Normen unterworfen ist als das anorganische Sein? Wie leicht wird im Gegensatz zum robusten Naturkörper im Leben der Pflanze ein Gesetz verletzt, und schon ist das Leben der Pflanze bedroht. Nur wenn das Wachsen der Pflanze ganz im Rahmen seiner Gesetze verläuft, dann erst ist sie frei, d. h. dann erst kann sie ihre Kräfte und ihr Leben ganz entfalten. Gilt das nicht noch viel mehr vom Menschenleben? Und selbst das geistige Leben, dem wir am liebsten schrankenlose Freiheit zu diktieren möchten, gehorcht keinem anderen Grundgesetze. So zart und empfindsam sind die Gesetze des Denkens, dass ein ganz kleiner Fehler und Verstoß gegen die Regeln des Denkens nicht nur wie im Sinnenleben eine Erschütterung bringt, sondern von der Wahrheit in den Irrtum versetzt, also in den Tod des denken den Lebens. Ist aber nicht die wahre Freiheit und die Blüte des Geisteslebens erreicht, ist nicht die Bahn frei zu edelstem und reichstem Schaffen, wenn die Gesetze des Denkens, wie man sagt, in Fleisch und Blut übergegangen sind? "Je gebildeter und humaner die Menschen in einem Staate sind, desto gebundener sind sie durch weise Ordnungen, heilige Gesetze, ehrwürdige Sitten und Gewohnheiten, welche die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten verständig begründen, so dass in der Tat mit jeder höheren Stufe der inneren Befreiung die äußeren Bande auch nach dieser Richtung hin wachsen... Aber eben diese Bande, durch welche die Gemeinschaft erst als eine wirkliche sich darstellt, erzielen das Gegenteil von sich selbst und setzen den inneren Menschen in Freiheit."

Solche Gedanken verlangen für das von Christus uns geschenkte Leben: Wenn die heiligmachende Gnade Anteilnahme am göttlichen Leben ist, also das dem Geschöpfe höchstmögliche Leben, dann muss gerade dieses Leben in einem großen Rahmen von Gesetzen eingespannt sein, weil es so zart und empfindsam ist und daneben sofortiger und schrecklicher Tod lauert. Nur dasjenige Gnadenleben, dem seine Gesetze Selbstverständlichkeiten geworden sind, ist frei, um sich voll auszuwirken und zur Vollkommenheit des Vaters im Himmel emporzusteigen. Das ist die wahre Freiheit der Kinder Gottes, von der der heilige Paulus spricht und die vom heiligen Petrus gedeutet wird, wenn er sagt: "Ihr seid zwar Freie, aber ihr sollt euch als Knechte Gottes zeigen" (1. Petr. 2,16). Auch hier scheinbar Gegensatz zwischen Leben und Gesetz, in Wirklichkeit aber sind sie im Tiefsten ihres Wesens miteinander verbunden. Im geschöpflichen Nachbild macht sich freilich oft ein starker Gegensatzcharakter bemerkbar. Und doch ist es (1.ucQ in diesem Falle so, dass Übertreibungen der Gesetzesmaschine, wie die Geschichte belehrt, Gesetzlosigkeit, Anarchie erzeugen, und Überbetonen des Lebens, d. h. das freie, wilde Ausleben trägt den Todeskeim unwiderruflich in sich.

Ziehen wir aus diesen Gedankengängen die rechte Folgerung für die Kirche, dann ergibt sich: Gehört die Kirche, weil sie der mystische Leib Christi und die Fortsetzung der heiligen Menschwerdung ist, zu den höchsten Gotteswerken, so werden gerade in ihr diese Gegensatzpaare von Geist und Amt, Recht und Liebe, Macht und Freiheit, Gesetz und Leben, Gemeinschaftsforderungen und Persönlichkeitspflege zu finden sein. Für die Notwendigkeit dieser Doppelreihe setzen sich nicht nur die kirchlichen Lehrentscheidungen ein, dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass es im mystischen Leibe nicht anders sein kann, als es bei seinem Haupte, Jesus Christus, zu beobachten ist, dafür legt nicht nur die ganze Kirchengeschichte ein eindeutiges Zeugnis ab; vielmehr glauben wir, nun auch von Gott her einen bescheidenen Blick in die innere Notwendigkeit und das Einander-sich-Bedingen dieser Gegensatzpaare geworfen zu haben. Wir müssen sogar von dieser Schau her sagen: Ist die Kirche wirklich eines der größten Gotteswerke, dann werden gerade in ihr diese Gegensatzpaare in besonderer Ausprägung zur Verwirklichung kommen müssen. Wir können der Kirche keine große Liebesentfaltung, kein starkes Leben, kein volles Geistwehen und der christlichen Persönlichkeit keine denkbar reichste und freie Entfaltung wünschen, wenn wir nicht gleichzeitig Recht, Amt und Gemeinschaft eine gleiche Entfaltung gönnen. Beide Reihen müssen uns im Leben unserer Kirche lieb und teuer sein, weil erst bei starker Ausprägung bei der Reihen die Kirche sich als ein hervorragendes göttliches Werk offenbart. So unsere grundsätzliche Stellung.

Aber aus dieser grundsätzlichen Schau ergibt sich auch eine etwas bittere Wahrheit. In der geschöpflichen Zone, also auch in der Kirche, liegt der Einklang und Gleichklang beider Reihen leider tief in ihrem Innern verborgen. Auch ihre geschöpfliche Verwirklichung in der Kirche kann den Gegensatzcharakter nicht vermeiden. Die Breitseite ihrer voneinander abgekehrten Seiten erscheint hier voll und ganz und wird im Vergleich mit der Göttlichkeit des Werkes um so tiefer empfunden. Aber Gegensatz ist nicht kontradiktorischer Widerspruch, sondern Widerspiel, und Widerspiel besagt aufeinander Bezogensein, einander Dienen und Fördern. Aber Gegensätzlichkeit besagt auch Spannung und enthält Konfliktsstoffe, um so mehr, wenn die Gegensatzpaare in besonderer Ausprägung verwirklicht sind und ihre Handhabung in die Hand kleiner, endlicher, einseitiger Menschen gelegt ist, die einem So hohen Gotteswerke nur dann gewachsen sein können, wenn sie selbst göttlich, d. h. vollkommen heilig sind. Darum taucht hier die Gefahr auf, dass die rechte Mischung und der innere Einklang nicht gefunden, sondern das Schwergewicht auf eine Seite gelegt wird, und der Missklang, der Konflikt, die Tragik steht riesengroß vor uns.

Auch diese Tragik ist von Gott gewollt oder zugelassen. Sie soll seinen heiligen Plänen dienen. Wie es vom Haupte der Kirche heißt: "Dieser ist gesetzt zur Auferstehung und zum Falle vieler in Israel und zum Zeichen, dem man widersprechen wird" (Lk. 2,34), so soll die göttliche Herrlichkeit und Größe des fortlebenden Christus in unscheinbarer, ja Anstoß erregender Verhüllung erscheinen, damit die Stolzen Ärgernis nehmen, die Demütigen aber gerettet werden. Mit ihrem Stifter, der in seiner armen Knechtsgestalt die Anerkennung seiner Landsleute nicht finden konnte, soll auch die Kirche, auf ihre menschliche Schwachheit hinweisend, sprechen: "Selig, wer an mir sich nicht ärgertl“ (Matth. 11, 6). Selig, wer die Göttlichkeit der Kirche nicht sichtbar greifen kann und doch glaubt. Noch einem zweiten Ziele dient diese Tragik. Da sie nach unserer grundsätzlichen Schau dadurch nicht behoben werden kann, dass man die gewünschte Gegenseite verabsolutiert, so zwingt sie dem Menschen die Aufgabe auf, zur goldenen Mitte zu zielen. Diese zu finden oder länger an ihr festzuhalten, ist so schwer, dass damit den einzelnen wie der Gesamtheit eine Aufgabe gesetzt ist, an der sie zu vollkommener Heiligkeit emporwachsen können. Der Spannungsgegensatz wird, wie Rademacher es richtig ausgedrückt hat, zu einem Lebensgesetz der Kirche, und zwar zu einem Lebensgesetze, das am tiefsten zur Ausbildung der echten christlichen Persönlichkeit beitragen kann.

Diese wichtige Stellung, welche das Gesetz der Spannungen im leben des Gotteskindes und des gesamten mystischen Leibes einnimmt, gebietet es, unsere grundsätzlichen Ausführungen durch einen Blick auf die einzelnen Gegensätze und die dadurch gegebenen Aufgaben verständlicher zu machen. Um aber nicht in Wiederholungen zu verfallen, seien für die einzelnen Gegensatzpaare jeweils nur die besonders beachtenswerten Gesichtspunkte herangezogen. Wir beginnen mit dem Gegensatz von Geist und Amt. Kein geschöpfliches Gebilde ist außer Christi eigener hoch heiliger Menschheit so stark und so persönlich vom Heiligen Geiste durchweht wie die Kirche, der fortlebende Christus, deren Seele er ist. Dieser Lebensodem durchweht den ganzen mystischen Leib des Herrn, arbeitet und wirkt in jedem Gliede. Aber nicht in wilder, ungestümer, angeblich göttlicher Gesetzlosigkeit strömt er durch die Christenheit dahin, vielmehr verbindet er sich aus innerer Notwendigkeit mit bestimmten Organen, den Ämtern und Amtspersonen. Warum das? Damit die Geisteserfülltheit der Glieder nicht zur subjektiven Geistlosigkeit werde. Mehrfach haben wir gesehen, dass gerade die Ämter dazu dienen, um das Christozentrische, das Theozentrische zu betonen und gebührend in Erscheinung treten zu lassen. Dadurch wird im Gnadenleben die Freiheit des Waltens Gottes, das Unabhängigsein von menschlichen Bedingtheiten, d. h. das Walten und Wirken des Heiligen Geistes betont. Er will in freiem Gnadenwalten den mystischen Leib des Herrn schaffen, nicht aus unseren Werken und Verdiensten, nicht aus unserer Gerechtigkeit. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass die Wirkung des Amtes prinzipiell von der subjektiven Heiligkeit oder Geisterfülltheit des Amtsträgers unabhängig ist. So bedient sich der Geist des Amtes, und das Amt dient dem Geiste, seine Aufgabe am mystischen Leibe des Herrn fördernd.

Infolgedessen wäre es falsch, wenn das Amt vergisst, dass es in Wirklichkeit nur Diener des Geistes ist, und sich selbst dem Geiste gleichsetzte. Wenn der Amtsträger sich so gibt, als ob er allein im selbstherrlichen Besitze des Geistes, Herr des Geistes wäre, dann wird das Amt zur brutalen Gewalt, die jedes Arbeiten des Geistes im Leibe Christi verhindern möchte. Wird ihm auch die objektive Vermittlung der Gnaden und damit des Geistes aus höheren Gründen niemals entzogen, deswegen nicht entzogen, weil es in der in ihrem Inneren heiligen Kirche unmöglich ist, dass das Amt bis zur letzten und vollen Erstarrung seiner selbst kommt, so bestraft Gott solche Übersteigerungen, die in der Kirche möglich und geschichtlich sind, rückläufig, wie sich aus unserer Spekulation ergibt, mit einer Erstarrung des christlichen Lebens. Noch feiner bestraft Gott. Außerhalb des Amtes erweckt er geisterfüllte Personen, die zur Beschämung der Amtsträger die Kirche reformieren. Wie sehr aber Gott seinen eigenen Lebensgesetzen, der inneren Zugehörigkeit von Geist und Amt treu bleibt, hat sich im Laufe der Kirchengeschichte immer dadurch gezeigt, dass solche Reformatoren, die hinwiederum ihre eigene Geisterfülltheit überspitzten und sie nicht dem auch im missbrauchten Amte noch wehenden Geiste unterstellen wollten, kläglich gescheitert sind; die es aber taten, wurden zum Nutzen und Ruhm der Kirche.

Die Spannung zwischen Geist und Amt, persönlicher Frömmigkeit !und amtlicher Normierung kann auch in unser persönliches Leben eingreifen und damit zur persönlichen Aufgabe werden. Aus innerer Notwendigkeit heraus kann nach unserer Grundlegung diese persönliche Aufgabe nicht darin bestehen, dass man auf sein eigenes Geisteswehen sich zurückzieht, sondern darin, dass man es der Beurteilung durchs Amt unterwirft und die Harmonie erstrebt. Gewiss kann das unter Umständen recht schmerzlich sein und zu tiefer Tragik führen. Der einzelne muss diese Tragik um eines höheren Zieles willen tragen können. Dieses höhere Ziel besteht nach meiner Ansicht darin, dass für den Geistträger nach göttlichen Plänen immer eine Stunde der Versuchung und der Verdemütigung kommen muss, damit er in dieser Stunde der Demut von der Gefahr subjektiver Geistüberspitzung gereinigt werde. Hat er diese Nacht des Geistes, wie ich sie einmal nennen möchte, durchschritten, dann kann er gewiss sein, dass Gott dafür sorgen wird, dass das, was er in ihn gelegt hatte, nunmehr als Gotteswerk, nicht als Menschenwerk zur Erfüllung kommt, sei es auch, dass der zeitlich so begrenzte Mensch diese Erfüllung nicht mehr erlebt. In diese Spannung spielt aber ein anderes Gegensatzpaar noch hinein, welches das Tragenmüssen mitbestimmt, nämlich das von Gemeinschaft und Persönlichkeit.

Mit dieser Behandlung des ersten Gegensatzpaares von Geist und Amt deckt sich, was über Leben und Gesetz, Recht und Liebe gesagt werden könnte. Es hieße sich wiederholen, wenn wir die gleichen Gedankengänge auf diese Gegensatzpaare übertrügen. Wir wollen vielmehr unseren Ausführungen durch jene Gedanken eine Ergänzung geben, die andere sich über das schwierige Problem von Recht und Liebe in der Kirche gemacht haben, so z. B. der große Theologe Möhler.

Möhlers Auffassung hat zur Voraussetzung eine bestimmte Idee vom Amte des Bischofes. Er sagt darüber: "Die Idee eines Bischofes aber wird nach der ausdrücklichen Vorstellung unserer Periode (d. h. der ersten Jahrhunderte), und wie sie aus dem Wesen der Katholischen Kirche hervorgeht, also bestimmt werden müssen: alle Gläubigen fühlen sich, sobald das bildende heilige Prinzip in ihnen rege geworden, so aneinandergezogen, und nach Vereinigung strebend, dass diese inneren Bewegungen nicht eher sich befriedigt fühlen, bis sie sich in einem Bilde abgedrückt sehen. Der Bischof ist also die anschaulich gewordene Vereinigung der Gläubigen an einem bestimmten Orte; die persongewordene Liebe derselben zueinander, die Manifestation und der lebendige Zentralpunkt der nach Einigung strebenden Christengesinnung, und weil diese in dem Bischof der beständigen Anschauung hingegeben ist, die zum Bewusstsein gekommene Liebe der Christen selbst, und das Mittel, sie festzuhalten." Aus dieser Idee vom Bischofe versteht Möhler die Entwicklung zu Recht und Amt folgendermaßen: "Dieses älteste Verhältnis des Bischofs zur Gemeinde musste aber sehr geändert werden, nachdem sich der Charakter der Gemeindeglieder selbst sehr geändert hatte. Wenn die ersten Christen aus den gefühlten Bedürfnissen nach Erlösung sich zum Christentum gewendet hatten, so wurde dies bald ziemlich anders; es gab sofort geborene Christen, die dennoch oft dem Christentume völlig entfremdet waren, und bei welchen erst jene Bedürfnisse geweckt werden mussten, nachdem sie doch schon der Kirche eingegliedert waren; es traten viele aus unreinen Absichten über; andere hatten das Christentum mehr mit dem Verstande als dem Gemüte ergriffen; noch andere hatten es in augenblicklicher Rührung mehr in die Gefühle aufgenommen, als dass seine Annahme mit einer neuen Schöpfung des ganzen Menschen begleitet gewesen wäre; es kamen Zeiten langer Ruhe, in welchen die Christen erschlafften und sinnlichen Genüssen erlagen. Als nach dem langen Genusse eines ungestörten Friedens abermals eine Verfolgung ausgebrochen war, zeigte sich die Beschaffenheit der meisten Christen... Bei solchem Charakter der Christen konnte nicht mehr von ihnen gesagt werden: ,Sie waren ein Herz und ein Sinn'; denn wo Sinnlichkeit herrscht, ist Trennung und Zerfall; jetzt ging der Bischof nicht mehr aus der höchsten in allen Gläubigen wirkenden, vereinigenden Tätigkeit der Liebe hervor, er verhielt sich jetzt immer mehr zu der Gemeinde, wie das Gesetz zum Menschen, in welchem die Gesinnung unkräftig und unheilig ist. Das Gesetz gebietet jetzt, was dem Menschen zuwider ist; der Bischof trat jetzt immer mehr in jene Stellung ein, in welcher er mehr andeuten und mehr vollführen musste, was sein und werden sollte, als dass sein Dasein schon ausgesprochen hätte, was da war. Gemeinde und Bischof traten jetzt immer mehr auseinander, und erschienen gewissermaßen als solche, die Verschiedenes wollen; in ihm musste das Christentum sprechen - zu solchen, die erst Christen werden wollten; ihn hatten frühere, heiligere Zeiten als das gemeinschaftliche Bild aller ausgesprochen, damit er jetzt wieder zu allen spreche und sich ihnen einbilde; damit er das sprechende Bild der ersten Liebe sei, die verlassen worden, damit er also dieselben Gesinnungen nicht untergehen lasse, und von neuem erzeuge, die ihn erzeugt hatten. Oder können wir auch nur wünschen, dass der Bischof jetzt das Bild seiner Gemeinde, dass sein Wille und ihr Wille identisch sei? Er erscheint darum jetzt oft handelnd ohne und gegen den Willen der Mehrheit der Gemeinde, nur die wenigen Besseren sind auf seiner Seite, und er musste es tun, wenn die Sache des Christentums, wenn Ordnung und Zucht nicht leiden, ja wenn sie nicht untergehen sollten ... Nicht die Bischöfe eigentlich haben sich erhoben, sondern das Volk ist gesunken, wodurch dann jene freilich höher und mächtiger als früher erscheinen mussten.“

Im Lichte dieser Begriffe und Entwicklungen bestimmt Möhler das Organisatorisch-Rechtliche an der Kirche. "Die gesamte Kirchenverfassung ist darum nichts anders, als die verkörperte Liebe, der Antitypus des einzelnen Bischofs in seiner Diözese; auf der einen Seite als der Ausdruck der inneren nach Vereinigung strebenden Bewegungen der Gläubigen, auf der anderen die Rückwirkung auf diese, um sie selbst zu fixieren und in ihrer Reinheit und Kraft zu bewahren.“ Wenn man auch weder den Ansichten Möhlers über den Idealzustand des ersten Christentums und die damit bedingte Ansicht von der Idee eines Bischofs als der örtlichen Verkörperung der Gemeinschaftsliebe in dieser Form zustimmen noch seine Auffassung von der Stellung der Kirchenverfassung im Wesen der Kirche sich zu eigen machen kann, da sie zu deutlich von den Anschauungen des deutschen Idealismus über die Entwicklung einer Idee und dem Begriffspaare, Wesen - Erscheinung getragen ist, so enthalten sie doch vortreffliche und brauchbare Gedanken, um für Recht und Organisation in der Kirche Verständnis zu wecken und damit anzuleiten, über Äußerlichkeiten und Menschlichkeiten die großen tragenden Ideen nicht zu übersehen.

Hat Möhler eine Aufgabe des Rechtes in der Kirche dadurch fein und richtig gekennzeichnet, dass er es eine Art Banngrenze für alle Christen sein lässt, die nicht ganz nach dem Sein der Gotteskindschaft ihr Leben und Handeln einrichten - und wer wollte nicht als schwacher und unvollkommener Christ gerne zugeben, dass er dieser Banngrenze bedürfe -, so macht Neundörfer auf zwei weitere Aufgaben des Rechtes in der Kirche aufmerksam. Durch das Recht wird die Universalität und die Freiheit der Kirche geschützt. "Das Kirchenrecht aber ist – richtig verstanden - ein Schutz dieser Weite, und die Kirchenmacht - richtig gehandhabt - ein Schutz dieser Freiheit. Jedes Recht hat die Aufgabe, nicht nur die einzelnen Glieder einer Gemeinschaft in ihrer Bewegung zu beschränken, sondern sie auch vor Willkür der Gemeinschaftsleitung zu schützen. Gerade der Rechtsformalismus, der oft als so lästig empfunden wird, hat historisch wie psychologisch besonders diese Aufgabe. Er ist den Herrschenden oft noch lästiger als den Untergebenen, und es stünde besser um den persönlichen Spielraum - auch innerhalb der Kirche -, wenn es überall genau nach dem Recht und nicht so oft nach Willkür ginge. Nach außen hin aber braucht die Kirche Macht, um sich vor Verstaatlichung zu schützen. Eine Kirche ohne eigene Macht ist wie ein Leib ohne feste Knochen: Sie kann entweder gar nicht oder nur mit Krücken auf den Füßen stehen. Es war ein gesunder und durchaus religiöser Selbsterhaltungstrieb, der im Mittelalter das Papsttum sich wehren und organisatorisch sich entfalten ließ gegenüber einem Kaisertum, das kirchliche Ämter zu weltlichen Zwecken missbrauchte und das ganze religiöse Leben simonistisch verseuchte.“ Indem Christus selbst seiner Kirche die Grundzüge göttlichen Rechtes verlieh, hat er zur weiteren Ausbildung eines wandelbaren Kirchenrechtes den Anstoß gegeben. Er wollte ihn geben, weil seine Kirche stark und mächtig genug sein muss, um im Ablaufe ihres Lebens den vielen großen Gefahren gewachsen zu sein.

Die Kirchengeschichte bestätigt uns, dass Leben und Recht sich nicht widerstreiten, sondern einander setzen und fördern. An jede starke religiöse Bewegung hat sich stets eine Zeit der Rechtsentwicklung angeschlossen, um das neu erwachte Leben in schützende Hut zu nehmen und um das, was zuerst von der Begeisterung einiger Menschen getragen war, der Allgemeinheit zufließen zu lassen. Auf zwei Beispiele sei hingewiesen: Dem religiösen Frühling franziskanischen Geistes folgten die Rechtsschöpfungen Gregors IX., dem neuen Glaubensleben der Gegenreformation die gesetzgeberische Tätigkeit des Trienter Konzils. Pius X. hat zugleich die Frömmigkeitsbewegung unserer Tage und die Neufassung des kirchlichen Rechtes eingeleitet. Genau so zeigt die Kirchengeschichte, dass laue Glaubenszeiten mit Überspitzungen des Kirchenrechts einhergehen, wie es ja unserem Spannungsgesetze entspricht. Den klarsten Beweis liefert das Spätmittelalter.

Dieser schematische Geschichtsausblick führt uns wieder auf die grundsätzliche Aufgabe des Rechtes in der Kirche Christi zurück. Die Rechtskirche hat darin ihren Sinn, dass sie der Liebeskirche den Weg bereite, ihr Wirken ermögliche; denn beide streben in ihrem innersten Kerne aufeinander hin. Das Rechtliche und Organisatorische der Kirche trägt und hält ihr Gnadenhaftes und Heiliges, so wie die hochheilige Menschheit Jesu Christi der raum-zeitliche Behälter des Göttlichen auf Erden war. Wo wäre ohne das Lehramt und seine unnachgiebigen Urteilssprüche jene göttliche Wahrheit geblieben, welche der Lehrer aller Menschen verkündete? Wer bemühte sich noch rum Christi Gaben und Gnaden, wenn sie nicht von der Kirchenmacht als das unbedingt Heilsnotwendige den Menschen geradezu aufgezwungen würden? Nicht ohne Berechtigung hat man gesagt, die abgefallene Christenheit lebe von der alten Mutterkirche, und zwar auch von ihrer rechtlichen Seite, noch heute sei sie ihre unsichtbare Stütze.

Das letzte Gegensatzpaar im Wesen und Leben der Kirche, Gemeinschaft und Persönlichkeit, hat eine besonders große Bedeutung, nicht nur aus dem sachlichen Grunde, weil die Pole: Amt, Macht und Recht in ihrer Berechtigung und Aufgabe nur im Lichte der Gemeinschaftsidee ganz erkannt werden können, sondern auch zeitgeschichtlich deswegen, weil nach den langen Irrungen des Individualismus und Liberalismus der Wert der Gemeinschaft wieder erkannt worden ist. Solange man einseitig auf den einen der konträren Werte, den der Persönlichkeit, hinstarrt und die Gemeinschaft nur im Sinne eines Zweckverbandes sieht, kann man das Wesen der Kirche nicht erfassen und muss notgedrungen mit dem Leben der Kirche in Spannung geraten, wenn man nicht um des Einsatzes willen, d. h. um des ewigen Heiles willen die harten Opfer der Persönlichkeitshingabe leistet. Wir sind heute zwar wieder zu einer anderen Auffassung vom Gemeinschaftswert vorgedrungen, aber es fehlt noch weithin an der praktischen Verwirklichung der Christusgemeinschaft gegenüber, obwohl sie das beste Recht auf diese Verwirklichung besitzt.

Unter allen Gemeinschaftsgebilden lässt sich nämlich nur die Christusgemeinschaft am stärksten mit einem Organismus vergleichen. Das Ganze ist hier wirklich vor den Teilen. Die Teile leben nur, insofern sie wirklich Teilglieder am Leibe Christi sind. Die vielen Glieder werden von einem Geiste wie von einer Seele zusammengehalten. Die Gemeinschaft hat in diesem Falle nicht nur auch einen Wert, sondern sie steht der Persönlichkeit gegenüber im Überwerte. Bedingt doch die Christusgemeinschaft eine Durchformung der ganzen Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit im Sinne des reinen Naturseins befindet sich der Christusgemeinschaft gegenüber noch im Außenbezirke. Nur die übernatürlich durchformte und erhobene Persönlichkeit kann in einem übernatürlichen Organismus Vollglied sein. Nichts verlangt die Opferhingabe unseres Hauptes Jesus Christus so sehr wie die volle Hingabe dessen, was unser Ureigenstes ,und kreatürlich Selbständigstes ist: die Hingabe unserer Persönlichkeit. Sie gerade soll dadurch in die glückselige Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes aufgenommen werden.

Bei dieser Sachlage könnte es scheinen, als ob das Recht der Persönlichkeit und der ganz persönlichen Beziehungen zu Gott aufgegeben seien. Doch diese Gefahr liegt nicht vor, da in der Christusgemeinschaft das Ziel der einzelnen und der Gemeinschaft identisch ist. Der einzelne will sein Heil, und die Gemeinschaft will das Heil jedes einzelnen. Die Verhältnisse liegen hier vielmehr umgekehrt. Je mehr der einzelne seine eigene Seele heiligt und sich mit Christus verbindet, desto mehr dient er der Gesamtheit, und je mehr sich einer bemüht, dieser Gemeinschaft zu dienen, je mehr er in ihr lebt und sich ihr konform macht, um so mehr einigt er sich mit Christus und fördert sein eigenes Heil. Da die Gemeinschaft der Kirche nicht zustande gekommen ist durch einen Vertrag, in dem man einen Teil seiner Eigenständigkeit preisgegeben hat, so ist darum die katholische Gemeinschaft nicht so geartet, dass die Persönlichkeit mit Gewalt sich ihrer erwehren müsste, um nicht erdrückt zu werden und möglichst viel für sich zu retten. Es ist vielmehr so, dass in der Kirche die christliche Persönlichkeit mit ihrem eigenen Wesen und mit ihrem Tiefsten und Besten daran beteiligt ist, wie es mit der Kirche steht. Der einzelne kann sich der Kirche gegenüber ebenso wenig unbeteiligt fühlen wie im Organismus eine Zelle gegenüber dem Ganzen. Der einzelne kann sich nicht einseitig auf die Pflege seiner Persönlichkeit zurückziehen, ohne an seiner christlichen Persönlichkeit Schaden zu leiden, weil diese ohne Gemeinschaft undenkbar ist. Ebenso kann es der Kirche nicht gleichgültig sein, ob ihre Glieder wertvolle, eigenstarke christliche Persönlichkeiten sind oder nicht. Suchte die Kirche ihre Größe und Kraft auf Kosten der christlichen Persönlichkeit, so rächte sich dies zwangsläufig dadurch, dass sie die Kraft und Größe des eigenen Lebens gefährdete.

Trotz dieser grundsätzlichen Spannungsunmöglichkeit bleibt im praktischen leben eine Spannung, die sogar zum tragischen Konflikte werden kann. Diese Spannung wird zur wesentlichen Aufgabe für den katholischen Menschen. Darüber haben die grundlegenden Ausführungen schon unterrichtet. Sagten wir damals, dass diese Aufgabe im Erzielen der goldenen Mitte liegt, so müssen wir nun dem katholischen Menschen noch eine andere Aufgabe zuweisen, die aus der tragischen Tatsache sich ergibt, dass die Erzielung der goldenen Mitte nicht immer, ja meist nicht in die Hand des einzelnen gegeben ist. Worin besteht die Aufgabe der christlichen Persönlichkeit, wenn ihr diese Möglichkeit nicht geschenkt ist? Sie ist durch den Gemeinschaftssinn oder den Kindessinn gegenüber der Kirche gekennzeichnet. Diese Antwort mag hart und unverständlich klingen. Sie ist so gewaltig, dass nur der sie freudig und froh bejahen kann, der die Kirche ganz übernatürlich zu sehen und zu werten versteht.

Die Kirche ist als der fortlebende Christus eine übernatürliche Gemeinschaft von so hohem Werte, dass dieser sich dem ihres Hauptes annähert. Aus diesem Vergleiche verstehen wir, warum nach Christi Willen die Gesamtheit des mystischen Leibes eine gewaltige Überlegenheit gegenüber dem einzelnen hat, ihr Wille seinem Willen, ihr Urteil seinem Urteil, ihr Interesse seinem Interesse übergeordnet sein soll. Die Kirche trägt dem einzelnen gegenüber ein Antlitz göttlicher Autorität. Verstärken wir dies durch den Gedanken, dass Christus seiner Kirche den dauernden Beistand des Heiligen Geistes verliehen hat, so dass sie trotz aller Fehler und Schwankungen nie zugrunde noch von ihrer Wesensbasis abgehen kann, nie in einem Pole sich tatsächlich verabsolutiert, sondern stets rechtzeitig den Rückweg finden wird. Das ist aber der Einzelpersönlichkeit, die in eine Spannung zwischen Geist und Amt, Recht und Liebe, Gemeinschaft und Persönlichkeit gerät, nicht verheißen. Bauend selbst auf zustehendem Recht, kann sie sich verabsolutieren, kann leicht den Ausgleich und den Rückweg nicht mehr finden, kann zerschellen. Nicht nur, weil ein zu starkes Hinstreben zum Gegenpol nach dem Gegensatzgesetze leicht in Gefahr bringt, nicht nur den Gegenspieler, sondern auch sich selbst zu verlieren, vielmehr auch aus der ganzen Stellung, welche die christliche Persönlichkeit als eine christliche im Ganzen der Christusgemeinschaft einnimmt, kann in allen vorkommenden Spannungen im Leben der Kirche die Aufgabe des einzelnen letzthin nur lauten: Kindessinn gegenüber der Kirche, gehorsame Liebe, auch wenn ihr Antlitz einmal von Runzeln und Makeln entstellt sein sollte, auch wenn ihre Forderungen unsere Persönlichkeit nicht so entfalten lassen, als es uns richtig dünkt. Einen Schaden erleidet sie, aber nur nach dem Maßstabe der Natur, weil in übernatürlicher Sicht eine hundertfache Frucht ihn wettmacht. Denn das Fundament einer jeden christlichen Persönlichkeit ist und bleibt nach dem Vorbilde der höchsten und tiefsten christlichen Persönlichkeit, unseres Hauptes Jesus Christus, das Opfer bringen können, und wenn's sein sollte, das große Opfer seiner selbst. Die besten Gelegenheiten dieser Tugendübung liegen im Kindsein gegenüber der Kirche, im demütigen Sichbeugen vor ihrem Willen. Unmittelbar vor Gott können wir uns selten beugen, weil er meist nur mittelbar an uns herantritt. Wer nur vor dem fordernden Gotte sich beugen wollte, dessen Demut wäre verdächtig, weil sie leicht Anbetung des eigenen Ichs und seines Gottesbildes sein kann. Darum besteht die Probe unserer Demut im kindlichen Hinhorchen auf den Willen der Kirche. Wen Gott zur höchsten Stufe der Demut führen will, von dem verlangt er auch die Hinopferung seiner natürlichen Persönlichkeit. Dieses Opfer macht erst wirklich groß. Ja, dieses Opfer gestaltet uns nicht nur zu großen, übernatürlichen Persönlichkeiten, sondern wird bei der geheimnisvollen Tat- und Leidensgemeinschaft unserer Kirche dazu dienen, dass durch von uns verdiente Gnaden die schmerzlich empfundenen Runzeln und Makel aus dem Antlitze unserer geliebten Mutter schwinden.

Durch die Spannungen der Gegensatzpaare ist der christlichen Persönlichkeit eine schöne und hohe Aufgabe gestellt. Teilnehmen darf sie in dieser größten Opferhingabe an jenem Werke, für das der menschgewordene Gottessohn sich hingegeben hat. Wie seine hochheilige Menschheit in freiem Opfern den mystischen Leib sich erwarb, so sollen wir im freien, opferfrohen Mitwirken den mystischen Leib des Herrn erbauen. Durch das Widerspiel der Spannungen ruft der göttliche Baumeister jedes Glied seines mystischen Leibes dazu auf, Mitgestalter für die Ausschmückung einer würdigen Gottesbraut zu werden. "Wo immer uns der offenbarende Gott entgegentritt, ist Er picht ein Gott weichlichen Schäferspiels, sondern ein Gott der Heiligkeit und Gerechtigkeit, der ernsthaften Tat, des sittlichen Entscheids, des Ringens um die Krone, des Laufens auf der Rennbahn, bis dass man den Preis gewinnt. Die neue Ordnung der Gnade hebt die alte Ordnung der sittlichen Verantwortung vor Gott nicht auf. Das gilt nicht nur von den Gliedern der Kirche, sondern auch von der Kirche als Kirche. Auch sie untersteht dem großen Gesetz, dass das Himmelreich Gewalt leidet. Wohl hat sie als die im Gottmenschen begründete, überpersönliche Einheit der Erlösten ihre eigene Wesensgestaltung, ihre Eigengesetzlichkeit, ihr Eigenleben. Und immer wird der Heilige Geist bei ihr sein, auf dass sie ihrer gottgeschenkten Wesensform treu bleibe. Aber anderseits ist es doch ebenso wahr, dass sich die kirchliche Wesenheit nicht ohne, sondern durch die Gläubigen ausprägen muss. In seinen Gliedern und durch sie soll der Leib Christi sich behaupten und vollenden. Insofern ist die Kirche nicht bloß eine Gabe, sondern auch eine Aufgabe für die Gläubigen. Sie haben das gute Erdreich zu bereiten und zu pflegen, in dem das Samenkorn des Gottesreiches Wurzeln fassen und gedeihen mag. Mit anderen Worten: Das Leben der Kirche, die Entwicklung ihres Glaubens und ihrer Liebe, die Ausbildung der Dogmen, der Moral, des Kults, des Rechts steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem persönlichen Glaubens- und Liebesleben der Glieder des Leibes Christi. Im Aufstieg und Niedergang der irdischen Kirche belohnt und bestraft Gott Verdienst und Missverdienst der Gläubigen. So darf man in einem wahren Sinne mit Paulus (Eph. 2, 21. 22) sagen, dass die von Christus gestiftete Kirche doch auch zugleich von den Gläubigen miterbaut wird. Immer noch wird am Tempel Gottes gebaut (serm. 163,3); eben jetzt baut man an seinem Hause, d. i. an der Kirche (en. 2,6 in ps. 29), lautet ein tiefsinniges Wort des heiligen Augustin. Gott wollte eine Kirche, die in ihrer Ausreifung und Vollendung zugleich die Frucht des eigenen gnadendurchwirkten Lebens der Gläubigen, ihres Betens und Liebens, ihrer Treue, Buße und Hingabe sei, und darum stiftete er sie nicht von Anfang an als etwas Fertiges und Vollendetes, sondern als ein Unvollkommenes, das immerzu aufbauender Tat Raum lässt und dazu aufruft, und in dessen innerer Geschichte Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit fortgesetzt triumphiert."

Diese Aufgabe erinnert daran, dass nicht nur die Glieder, sondern, weil die Glieder, darum auch der gesamte Leib Christi sich noch im unfertigen Zustande der Entwicklung befindet und darum die Kampfeszeichen des mühsam nach einem höchsten Ziele Strebenden an sich "tragen muss. Unfertigkeiten, Runzeln, Makel, Erstarrungen, Unvollkommenheiten jeder Art mahnen stets daran, dass wir unsere Häupter emporheben sollen, um auf die Ankunft des Gottessohnes zu warten, der dann erst seine Braut allem Kämpfen und Ringen entheben will. Das übernatürliche Haupt des geheiligten Menschengeschlechtes will sein Lehr-, Priester- und Hirtenamt durch eine höchst eigene und persönliche Tat abschließen und krönen. Seinem Eingriff soll sein mystischer Leib die letzte übernatürliche Durchformung und Verklärung verdanken. Er selbst will alles Irdische und Unvollkommene von ihr abstreifen und ihre heilige Opferhingabe vollenden. "Und die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, sah ich aus dem Himmel von Gott herabkommen, ausgestattet wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat" (Apk. 21, 2). Dann wird der göttliche Bräutigam seine heilige, durch sein Blut ihm angetraute Braut, die in unvergänglicher Schönheit und vollendeter Vollkommenheit erstrahlt, seinem himmlischen Vater vorstellen, damit er sie teilnehmen lasse an dem überströmenden, beseligenden trinitarischen Leben des unendlichen Gottes.

Maria und die Kirche

Aus der Menschwerdung des Sohnes Gottes suchten wir die Kirche Christi zu begreifen. An seinem Fleischwerden hat aber Maria als seine Mutter einen wesentlichen Anteil. Darum kann ihr Bild nicht völlig außerhalb des Mysteriums der Kirche liegen. Weil Christus nur dadurch unseres Geschlechtes Haupt ist, dass er durch Mariens echte Mutterschaft in einem realen Zusammenhange mit den Menschen steht, muss Maria zur neuen Wirklichkeit des mystischen Herrenleibes eine Beziehung haben. Maria und Kirche sind durch die Menschwerdung miteinander verknüpft.

Dafür bürgt die Liturgie unserer Kirche, die das Hohelied und mehrere Psalmen gleichermaßen für die Gottesmutter und für die Kirche verwendet. Jede von ihnen ist nach diesen Texten die Braut Gottes, fleckenlos und rein. Beide sind die bevorzugten Wohnstätten Gottes. Beider Bilder sind im Hohenliede sogar ineinandergewoben, so, wie auch die von der Apokalypse geschilderte Frau, das mit der Sonne umkleidet ist, von Maria und von der Kirche Züge erhalten hat. Die Bilder dieser beiden übernatürlichen Größen sind so fest miteinander verbunden, dass, Scheeben meint, man könne die katholische Idee von der Kirche ebenso durch die katholische- Idee von Maria beleuchten, wie auch umgekehrt.

Diese Verknüpfung zwischen Maria und Kirche soll noch aufgewiesen werden. Zwar fügen wir dadurch dem Wesensbilde der Kirche nichts Neues hinzu, aber die innige Harmonie zwischen diesen beiden Glaubensgrößen bietet die Möglichkeit, neue Schönheiten im Bilde der Kirche aufzufinden.

Schon ein oberflächlicher Vergleich zeigt, dass Maria ein Typus der Kirche ist. Wie Maria als die jungfräulich reine Magd vom Heiligen Geiste befruchtet wird, um der Welt Christus zu gebären, so ist auch die Kirche die fleckenlose Braut Jesu Christi, vom Heiligen Geiste ertüchtigt, um dem Gottmenschen immerdar neue Gotteskinder zu zeugen. Maria ist die Mutter des Christus und die Kirche die Mutter der Christen. Solcher Vergleichspunkte könnten noch viele aufgezählt werden. Dem betrachtenden Geiste bieten sie viele Anregungen. Aber für ein tieferes Eindringen sind sie so lange bedeutungslos, als es nicht gelungen ist, dem Typus und Antitypus aus der theologischen Idee beider Größen eine reale Unterlage zu bieten. Dann beruht diese Ähnlichkeit nicht mehr auf einer gewissen Zufälligkeit. Dann wurde vielmehr wegen einer übergreifenden göttlichen Idee. die eine übernatürliche Wirklichkeit bewusst nach jener anderen geformt. Da die volle katholische Idee von der Kirche schon hinreichend herausgestellt ist, so verlangt die Bewältigung dieser Aufgabe, dass die volle katholische Idee von der Gottesmutter wenigstens ganz kurz geboten werde.

Die tragende Idee im katholischen Marienbilde ist ihre jungfräuliche Gottesmutterschaft. Maria trägt zum Entstehen ihrer heiligen Leibesfrucht gleichviel bei wie eine jede irdische Mutter. Der Gottmensch trägt Fleisch von ihrem Fleische, und in diesem Fleische hat er am Kreuze die Menschen mit Gott versöhnt. Dass Maria zum Fleischwerden des Sohnes Gottes ihr Jawort gab, dazu ihre volle mütterliche Mitarbeit leistete, bleibt ihr nie auszulöschender Ruhmestitel.

Da schon jede irdische Mutter den tiefsten Kern ihrer Leibesfrucht, die geistige Seele und damit des Kindes Personsein, nicht vom mitzeugenden Vater erhält, sondern auf Grund der väterlichen Zeugungstat vom mitschaffenden Gott, so erscheint mit Recht einer jeden Mutter ihr Kind als etwas von Gott Geschenktes, das sich in ihrem Schoße mit Fleisch umkleidet. In diesem Lichte erscheint die Mutterschaft als eine geistige Beziehung zwischen der Person der Mutter und der des Kindes. Was in der irdischen Mutterschaft nur unvollkommen Wirklichkeit ist, erhält in der übernatürlichen Mutterschaft Mariens überragende Bedeutung. Denn hier existiert die zu empfangende und zu gebärende Person schon vorher als ewiger Logos. In voller Wirklichkeit erhält ihre Leibesfrucht den Charakter eines von oben geschenkten Kindes. Bei Maria ist es wirklich so, dass die zu gebärende Person, der ewige Sohn Gottes, sich selbst in Mariens Schoß mit ihrem Fleische umkleidet, dort unter ihrer Mithilfe eine Menschennatur sich baut. Er, der Logos, nimmt sie, Maria, zur Mutter. Er selbst knüpft die persönlichen Verbindungen zu ihr. Es ist ein huldvolles Sich herablassen von seiner Seite und ein Hinaufgezogenwerden Mariens zur Höhe des göttlichen Seinskreises ihres Kindes.

Unter diesem Gesichtswinkel erstrahlt die Naturtätigkeit Mariens als Mutter getragen, geformt und gekrönt von einer besonderen persönlichen Verbindung zwischen ihr und dem Kinde, die nicht bloß auf den leiblichen Dienst abgestimmt sein kann, sondern als ein Sich-schenken der ewigen, unendlich reichen, göttlichen Person an Mariens Person nichts anderes sein kann, als was jedes persönliche Schenken Gottes bezweckt: Maria zum Gotteskinde zu machen, Maria zu einer Gottesbraut zu gestalten, geeignet zur göttlich-mystischen Vermählung.

Insofern die Vermählung des fleischgewordenen Logos mit der Seele seiner Mutter eine ganz andere Basis hat als bei den anderen Menschen, besitzt diese göttliche Vermählung einen viel höheren Grad. Die gottesmütterliche Braut oder die bräutliche Gottesmutter, wie wir Maria nennen können, ist die Gottesbraut schlechthin, das auserwählte Gotteskind, das Heiligtum des Heiligen Geistes, die wahre Braut des Hohenliedes. Über alle anderen Menschenkinder erscheint sie durch ihre einzigartige gottesmütterliche Brautschaft hinaufgehoben und ihrem göttlichen Sohne nahe gerückt. Ihm steht sie näher als uns, da sie nur zu dem Zwecke ins Dasein gerufen ist, die auserwählte, mütterliche Braut ihres gottmenschlichen Sohnes zu sein, dem neuen himmlischen Adam die neue Eva zu werden.

Von diesem Zielpunkte her verstehen wir die verschwenderische Gnadenfülle, die über Maria ausgegossen wurde: ihre dauernde Jungfrauschaft, ihre Unversehrtheit und Unverweslichkeit. Aber der Sohn Gottes will zu seiner besonderen Braut nicht die Jungfrau nur dem Leibe nach, sondern vor allem der Seele nach. Daher ihre unbefleckte Empfängnis, ihre Begierdelosigkeit, ihr Freisein von jeder Sünde. Noch wichtiger ist ihr positiver Brautschatz: die Fülle der Gnaden und Tugenden.

Aber Maria ist wie alle Erdenkinder eine wahre Tochter Adams, der Sünde und dem Tode rechtlich verstrickt. Darum kann ihr göttlicher Sohn und Bräutigam ihr diesen unermesslich kostbaren Brautschmuck nicht schenken, wenn nicht als Erlöser, wenn nicht unter dem Preise seines kostbaren Blutes. So wird Maria zur erlösten und erkauften Braut, aber zur Ersterlösten und zur Vorerlösten und damit zum strahlenden Vorbild aller Erlösten. Der Sünde zwar an sich als Adams Tochter rechtlich verhaftet, hat sie jedoch als gottesmütterliche Braut vom ersten Augenblicke ihres Daseins an sie nie gekannt. In Maria hat der Erlöser des Menschengeschlechtes den ersten und vollsten Triumph über Sünde, Tod und Teufel erfochten. Darum verkostet sie auch in der leiblichen Himmelfahrt als erste neben ihrem Sohne und Herzensbräutigam die volle Beseligung.

Nicht allein um zu schmücken, hat der Gottmensch seine Liebesgaben über Maria ausgegossen. Wie die erste Eva die Sünde Adams unterstützte und ergänzte, so ward auch die neue Eva dem neuen Adam zur Errettung beigesellt. Ist doch schon ihre leiblich-mütterliche Tätigkeit ein Mitwirken, und zwar das grundlegende, zum Erlöserwirken. Diese Tätigkeit baut sich auf ihrem freien, sittlichen Jawort auf und stellt damit eine gewollte Anbahnung der Erlösung dar. Hier erscheint Maria als die Eva des Neuen Bundes, welche im Namen des Gesamtgeschlechtes den göttlichen Anruf zur Erlösung und zur göttlichen Vermählung beantwortet, freilich dazu durch ihre Vorerlösung ertüchtigt. Ihr Jawort war jedoch ein Jawort zum Opfertode ihres heiligen Sohnes; denn dazu wollte er Mensch werden. Diesem Anfange entspricht es, wenn die katholische Welt die unter dem Kreuze stehende Gottesmutter nur als Mitopfernde sich denken kann. Sie gibt im Sohne und durch ihren Sohn ihre eigene Leibesfrucht zum Heile der Welt hin. Ihr Mittun ist nichts anderes als ein Nicht-zurückstehen-Wollen der Braut; kein wesentlicher Beitrag, aber eine Verschönerung des großen Versöhnungsopfers. Sie steht da als die durch ihre bräutliche Gottesmutterschaft geweihte Stellvertreterin der zu erlösenden Menschheit, die im Namen des Geschlechtes mittut, damit auch von dieser Seite her das hohepriesterliche Opfer als ein Menschheitsopfer erscheine.

In diesem Augenblicke wurde Maria wahrhaft Mutter aller Erlösten, die sie in Schmerzen gebar. Durch ihr leidvolles Mitopfern bei der hohenpriesterlichen Tat ihres Sohnes wird sie in der Kraft ihres Bräutigams zur Mutter eines herrlichen Geschlechtes.

Wir sehen Maria unter dem Kreuze als Stellvertreterin der Menschheit ihr durch Vorerlösung ermöglichtes Jawort geben. Darum ist diese Gottesbraut auch der geeignete, Ort, wo der sterbende Erlöser den ganzen Reichtum seiner Erlösung niederlegt. Maria wird zur Depositarin und Schatzwalterin der Erlösungsfrüchte, in deren mütterliche Obhut der Erlöser in Johannes alle Menschen empfiehlt.

Von hier aus ist die universale Gnadenvermittlung Mariens notwendiger Abschluss des Marienbildes. Dem Mitwirken und dem Mitverwalten entspricht ein Mitausteilen. Sie ist die große Fürbitterin der Menschheit im Himmel. Sie betätigt diese Fürbitte als ein ihr übertragenes Amt, ohne dessen Mitbetätigung ihr göttlicher Sohn keine Gnaden austeilen will. Das Haupt des mystischen Leibes will nur in Verein mit dem Herzen dieses Leibes sich heilige Glieder angliedern.

Wer diese volle katholische Idee von Maria, der bräutlichen Gottesmutter, aufmerksam verfolgt hat, dem sind die Ansatzpunkte eines Zusammenhanges zwischen Maria und Kirche aufgestoßen. Wir wollen sie einzeln deutlich machen, ohne eine jede voll darstellen zu können. Es wird sich dann zeigen, wie treffend Scheeben sich geäußert hat, wenn er Maria darin als ein Vorbild der Kirche sieht, dass in ihrer Person die Idee der Kirche ursprünglich und in vollkommenster Weise verwirklicht ist. Weil sie aber anderseits auch zur Kirche gehört, Wurzel und Herz derselben bildet, erhält die Idee der Kirche als eines dem himmlischen Christus zur Seite stehenden helfenden Prinzips in Maria ihre volle konkrete und lebendige Gestalt.

Ist Maria die Ersterlöste, in welcher der Welterlöser den vollsten und herrlichsten Triumph über die Sünde und den Teufel erfochten hat, dann ist Maria das leuchtende Idealbild aller Erlösten. Sie ist der Urtyp aller, mit denen der fleischgewordene Logos die göttliche Vermählung feiern will. Nach dem Bilde seiner mütterlichen Braut wird Christus in seinem erweiterten Mittlerschaffen alle Gottesbräute gestalten. Sein Ziel ist auch das Ziel seiner Kirche, durch deren Organe er ja weiterschafft; sein Ziel auch das Streben der Erlösten. Über dem Mühen der Kirche schwebt gewiss in erster Linie das Gestalten wollen nach dem Bilde Jesu Christi; aber in rein menschlichen Formen wurde es nie schöner nachgebildet als von ihm selbst in seiner Mutter. Darum feuert ihr Siegesbild das Schaffen der Kirche an, wenn es auch in keinem Heiligen erreicht wird.

So hoch steht Mariens gottesmütterliches Brautbild über allen Nachahmungen, dass alle Glieder des mystischen Leibes vereint ihm an Schönheit, Reichtum und Heiligkeit nicht gleichkommen können. Maria als Vorerlöste ist, wenn wir die Kirche als Gesamtheit aller Nacherlösten fassen, der Gesamtkirche Vorbild und Typus. Kein Wunder, dass dann der göttliche Bräutigam das Bild seiner zweiten Braut, der Kirche, nach dem Bilde der ersten formte. Es finden sich ganz auffallende Parallelen. So sieht sich z. B. die Kirche gerne als die reine, geheiligte, jungfräuliche Gottesbraut. Trotz aller menschlichen Schwächen sagt die Kirche von sich, dass sie in ihrem inneren Wesen so rein und makellos ist und bleibt, wie sie aus dem Herzen Jesu hervorgegangen ist. Ein Ausdruck dieser Wirklichkeit ist ihre unwandelbare Treue, ihre wesentliche Unveränderlichkeit und, ganz deutlich, der Brautschmuck ihrer Unfehlbarkeit.

Doch Maria ist mehr als Vorbild. Maria ist Mutter der Christenheit, Mitgestalterin der neuen Christusbilder. Sie hat, wenn auch in abgeleiteter und uneigentlicher Weise, in der Kraft des göttlichen Bräutigams das Heil der Welt mitverdient, hat uns alle unter dem Kreuze in Schmerzen mitgeboren. Aber auch die Kirche ist unsere Mutter. Haben wir sie nicht als den heiligen Mutterschoß kennen gelernt, in dem der fortwirkende Christus seine Gotteskinder zeugt? Leitet sich nicht aus ihrem Mutterrecht ihre erzieherische Gewalt über uns ab? Es gibt also zwei Mütter unserer christlichen Existenz, und damit wird deutlich, wie die Ideen von Maria und Kirche ineinander verschmelzen. Worin liegt diese Verschmelzung? Darin, dass die Kirche für die subjektive Erlösung das bedeutet, was Maria im Vollzuge der objektiven darstellte. Beide verwirklichen das Gesetz der Heranziehung der Zweitursächlichkeit. Wir erkannten Maria, die neue Eva, als Gehilfin des himmlischen Adam, als Stellvertreterin des Menschengeschlechtes, die zum Beginne und Beschlusse des Erlösungswerkes, zum Mittlerwerden und Mittlertun des heiligen Hauptes das bräutliche Jawort gibt. So ist die Kirche unter dem Bilde der Heilsanstalt, wie unsere früheren Ausführungen deutlich gemacht haben, die neue, irdische Gehilfin des fortwirkenden Christus. Ihre Mitarbeit verlangt der himmlische Christus. Aber sie ist wie Maria eine Helferin, die ganz allein von ihm lebt und tüchtig gemacht worden ist, die darum Christi Stellung und Tun nicht verdunkelt, sondern um so heller erstrahlen lässt.

Wie Maria den irdischen Christus gebiert, so gebiert die Kirche den eucharistischen. Wie Mariens Leben um Christi Erziehung und Behütung kreist, so kreist das innerste Leben und Sorgen der Kirche um das eucharistische Gut. Wie Maria den irdischen Christus der Welt schenkt, damit sein heiliges Fleisch die Welt erlöse und aus seiner Hingabe Gotteskinder entsprießen, so soll das eucharistische Fleisch und Blut der Kirche lebendige Gotteskinder gestalten. Wie Maria unter dem Kreuze mitopferte, so opfert die ganze Kirche bei jedem heiligen Messopfer mit. Wie Maria unter dem Kreuze den ganzen Gnadenschatz der Erlösung empfängt, um ihn geistigerweise als Fürbitterin zu verwalten, so hat auch die Kirche ihn empfangen, empfängt ihn in jedem heiligen Opfer gleichsam von neuem, um ihn ministeriell zu verwalten und auszuteilen. Wie Maria die himmlische, authentische Fürbitterin bei ihrem Sohne ist, so hat auch die Kirche die Kraft des authentischen, machtvollen Betens für ihre Kinder.

Wenn aber Maria nach ihrer Himmelfahrt die universale Fürbitterin und Gnadenausteilerin ist, greift dann ihr Wirken nicht auch unmittelbar in das Werk der subjektiven Erlösung, in das Wirken der Kirche selbst ein? Das tut es allerdings. Damit entsteht eine neue Verschmelzung der beiden Bilder. Neben dem sichtbaren Wirken der Kirche geht das unsichtbare, mittlerische Wirken des erhöhten Christus einher, und bei ihm steht Maria als die himmlische Vermittlerin aller Gebete und Gnaden. So ist Maria ein immerdar tätiges Organ des mystischen Leibes Christi. Sie besitzt in ihm einen Wirkungskreis und eine Wirkart, die ihrer einzigartigen Stellung als Braut und Mutter des Hauptes entspricht.

Es ist nie die Art der Braut, öffentlich hervorzutreten. Darum verschwindet auch Maria im öffentlichen Leben ihres Sohnes. Nur vor den Augen Gottes wirkt sie bei der Geburt und dem Opfertode Jesu verborgen mit. Darum hat Maria auch keinen Platz im äußeren, sozialen Organismus der Kirche inne, weder in den Urtagen der Kirche, noch weniger nach ihrer Himmelfahrt. Ihr Mitwirken ist vielmehr von stiller, verborgener Art. Aber sie hat dafür Anteil an der innerlichsten Aufgabe des mystischen Hauptes, an der Vermittlung des Lebens an die Glieder.

Man hat versucht, auch Mariens organische Stellung und Betätigung im mystischen Herrenleibe durch ein analoges Organ im natürlichen Leibe zu verdeutlichen. Indem man dabei einseitig an ihre Betätigung im Himmel dachte, an Maria als den Durchgangspunkt aller auszuteilenden Gnaden, hat man dafür den Hals genommen. Schön kann man dieses Bild nicht finden. Nicht nur schöner, sondern zur Versinnbildlichung geeigneter und die übernatürliche Stellung Mariens umfassender wiedergebend, scheint es mir zu sein, wenn man mit anderen Theologen Maria das Herz des mystischen Leibes nennt.

Dieses Bild versinnbildlicht zunächst in geeigneter Weise das Verhältnis. Mariens zu Christus. "So findet insbesondere das Verhältnis Marias als der mütterlichen Braut des Logos eine vollkommene Analogie in dem organischen Wechselverhältnisse, welches zwischen dem Zentralorgan des animalischen Leibes, dem Herzen, mit dem Haupte desselben besteht. Hier wird nämlich das Haupt vom Herzen durch das von ihm ausgehende Blut gespeist und verdankt daher diesem seinen materiellen Bestand, während das Haupt seinerseits vermittelst der von ihm ausgehenden Nerven seinen Lebensgeist dem Herzen mitteilt und dadurch insbesondere auch das ihm von diesem geleistete Ministerium möglich macht." So verdankt Christus seinen menschlichen Bestand der Mutter, und doch konnte sie den mütterlichen Dienst ihm nur durch die Kraft des von ihm ausgehenden Heiligen Geistes leisten. Dieser Heilige Geist aber gestaltete die Geburtsstätte des Hauptes in verschwenderischer Fülle mit den übernatürlichen Gaben des neuen Hauptes aus, so dass sie in vollendeter Weise ein Abbild des im Fleisch erscheinenden Gottessohnes, erkorene Braut des Logos sein konnte. Auch als Urbild aller Gotteskinder wird Maria durch das Symbol des Herzens bezeichnet; denn nach der Denkwelt der alten Naturwissenschaft, nach der wir uns richten müssen, ist das Herz das erste Organ, das gebildet wird, zugleich auch das kostbarste und wertvollste.

Was könnte aber treffender Mariens Stellung zu den übrigen Gliedern des mystischen Leibes symbolisieren als das Herz? In jeder Familie ist ja die Mutter das Herz, und Maria ist die Mutter der großen Gottesfamilie, der Kirche. Bedingen und unterstützen nicht die Funktionen des Herzens in mannigfacher Weise den Einfluss des Hauptes auf die übrigen Glieder? Wie das Herz im Verborgenen, aber dafür unaufhörlich tätig ist, so auch die unsichtbare, nimmer ermüdende Fürbitterin Maria.

Standen Maria und Kirche zunächst nebeneinander wie Vorbild und Abbild, so offenbart sich nun ein tiefes Ineinandergreifen. Maria und Kirche bilden ein organisches Ganzes. Christus hat, tiefer und wahrer geschaut, keine zwei Bräute und wir keine zwei Mütter. Die göttliche Vermählung ist eine einzige, unauflösliche Größe. Es ist eine Braut und eine Mutter. Das kommt dadurch zustande, dass die Kirche in vollster Abhängigkeit von Maria steht und wirkt. Die Kirche ist dadurch Braut Christi, dass sich Mariens Brautschaft auf sie ausdehnt. Die Kirche wird dem ersten Heiligtume des Heiligen Geistes, der Jungfrau Maria, gleichsam angebaut.

Wie die heilige Eucharistie eine Fortsetzung der Fleischwerdung und die Gotteskindschaft eine Fortsetzung der natürlichen Gottessohnschaft Jesu Christi ist, so ist die Mutterschaft der Kirche eine Fortsetzung der Gottesmutterschaft Mariens. Selbst im Opfer sind Maria und Kirche eins, weil das eucharistische Opfer eins ist mit dem Kreuzesopfer. Die Kirche schließt sich in ihrem Opferwillen und in ihrer Opferhingabe, die sie nur durch Mariens himmlische Gnadenvermittlung ihr eigen nennen kann, der Hingabe Mariens unter dem Kreuze an. So sind Maria und Kirche in lebendiger Verbindung eins.

Dieses organische Ganze, Maria und Kirche, heißt wiederum Kirche. Es ist die Kirche im volleren Sinne. In diesem Kirchenbegriff ist Maria als der vollkommenste und edelste Teil, als das Herz des mystischen Leibes eingeschlossen. Die Kirche im vollsten Sinne schließt selbst Christus ein, ihr alles beseelendes und belebendes Haupt.

Im Mysterium der heiligen Kirche begreifen wir somit die Größe und Erhabenheit des Erlösungsplanes Gottes.