Hildegard von Bingen: Scivias

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Visionärin und Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen mit ihrem Sekretär Volmar (Liber Scivias)

Sci vias seu visionum ac revelationum (lat.; dt.: Wisse die Wege<ref> vgl. Ps, 1</ref> oder von Visionen und Offenbarungen) ist die erste von Gott visionär-eingegebene Schrift, die Hildegard von Bingen in lateinischer Sprache durch ihren Sekretär Volmar aufgezeichnet hat. Sie entstand ab 1141 bis 1151. Ihr göttlicher Auftrag war: "Tu kund die Wunder, die du erfährst. Schreibe sie auf und sprich!" Die Schrift ist Hildegards erstes theologisches Werk. Es thematisiert die Schöpfung der Welt und die Erlösung des Menschen in Visionsbildern sowie deren Deutungen.

Der selige Zisterzienser-Papst Eugen III. las persönlich auf der Synode von Trier 1147/1148 den anwesenden Kardinälen, Bischöfen und Theologen aus dieser Schrift vor, ermunterte Hildegard zu weiteren Aufzeichnungen ihrer Visionen und erkannte sie als Privatoffenbarungen an.<ref>Hildegard von Bingen: Scivias Wisse die Wege. Eine Schau von Gott und Mensch in Schöpfung und Zeit, übersetzt und herausgegeben von Walburga Storch OSB Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. IX (616 Seiten; ISBN 3-629-00594-2).</ref>

Hildegard von Bingen: Der Weg der Welt - Wisse die Wege (in Auswahl übersetzt)

Reiche Bildsprache

Sonderbriefmarke zum 900. Geburtstag 1998 (Liber Scivias, II. Teil, 1. Vision)

In der Schrift verwendet Hildegard eine symbolreiche und deshalb oftmals verschlüsselte Bildersprache die eine intensive Beschäftigung mit dem Text verlangt und sich dem oberflächlichen Leser nicht erschließt.<ref>Hildegard von Bingen: Scivias Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. IX.</ref> Viele Bilder in Hildegards Visionen sind jedoch vertraut. Man kennt sie aus dem Alten Testament, aus den Apokalypsen der jüdischen und der christlichen Tradition, aus den Schriften der Kirchenlehrer und der Scholastiker, von romanischen Fresken und gotischen Portalen, von Bestiensäulen und mittelalterlichen Altarblättern, von den Symbolfiguren, die jahrhundertelang Kirche und Glauben, Hoffnung und Liebe verkörperten, Hoffart und Geiz, Laster und Bosheit.<ref>Hildegard von Bingen: Scivias, Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. XVII.</ref>

Die Farbenglut der Schau konfrontiert Hildegard mit zwei Erscheinungen: der "lux viventis", dem überwältigenden lebendigen Licht, in dem sie Kraft und Ruhe findet, aber auch mit dem Schatten des lebendigen Lichts, der "umbra lucis viventis", in dem sich Hildegard die Handlungsmotive und die innere Befindlichkeit ihrer Mitmenschen oder die Heilkräfte von Pflanzen, tierischen Nahrungsmitteln oder Steinen erschließen.<ref>Hildegard von Bingen: Scivias Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. XVI+XVI.</ref>

Themen des Inhalts

Die 26 Bildvisionen sprechen von der schuldhaften Verstrickung des Menschen. Die Äbtissin entfaltet eine den ganzen Kosmos umfassenden Theologie von der Liebe des Schöpfers zu seinem Geschöpf,<ref>Hildegard von Bingen: Scivias Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. IX.</ref> das Geheimnis des Bösen, das Wesen des Menschen, den Sinn der Geschichte, die Kraft der Kirche und der Sakramente.<ref>Hildegard von Bingen: Scivias, Pattloch Verlag 1997, Schutzumschlag.</ref> "Wisse die Wege" meint daher, "Erkenne die Verflechtungen der Schöpfung mit ihrem Schöpfer, begreife die Einheit der kosmischen Geheimnisse, schau auf Erlöser und Erlösung, begegne dem göttlichen Licht, öffne dich Gottes Erbarmen".<ref>Hildegard von Bingen: Scivias, Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. XVI.</ref>

Hildegards zentrales Thema ist die Auseinandersetzung zwischen Gott und dem Satan. In der Mitte dieses Kampfes steht der Mensch, der in der Kraft Gottes berufen ist, die zerstörenden Mächte zu überwinden.<ref>vgl. Hildegard von Bingen: Scivias Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. XIII.</ref> Die in der "Scivias"-Schrift breit aufgefächerte Auseinandersetzung mit der eigenen Schwäche, der menschlichen Verführbarkeit, führt in das tiefe Geheimnis der Schau - denn gerade aus dem Wissen um die Schuld ist das Verständnis der Erlösungshoffnung begründet, das Einfühlungsvermögen Hildegards in Verstrickung und Schuld.<ref>vgl. Hildegard von Bingen: Scivias Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. XVII.</ref> Ihre mystischen Erörterungen geben auch deutliche Hinweise auf soziale, ethische und kirchliche Zustände der Zeit.

vgl. auch: Hildegard von Bingen: Der Weg der Welt - Wisse die Wege#ZUR EINFÜHRUNG, S. 1-6</ref>

Inhaltsübersicht

I. Teil, 3. Vision
II. Teil, 3. Vision

Die Geschichte gliederte Hildegard in drei Teile:
1.) Das Mysterium des Dreieinigen Gottes und seiner Schöpfung.
2.) Die Erlösung und das Geheimnis der Kirche.
3.) Das Mitwirken der Menschen am Heilswerk bis zur Vollendung.<ref>Hildegard von Bingen: Scivias Pattloch Verlag 1997, Rosel Termolen in der Einleitung S. XVI.</ref>

I. Teil

  • 1. Vision: Gott und Mensch
  • 2. Vision: Urstand und Versagen der Schöpfung
  • 3. Vision: Gott, Kosmos und Mensch
  • 4. Vision: Der Mensch und sein Lebensweg
  • 5. Vision: Die Synagoge
  • 6. Vision: Die Chöre der Engel

II. Teil

  • 1. Vision: Der Erlöser
  • 2. Vision: Der dreieinige Gott
  • 3. Vision: Die Kirche, die Mutter der Gläubigen
  • 4. Vision: Mit Kraft gesalbt
  • 5. Vision: Die Stände der Kirche
  • 6. Vision: Das Opfer Christi und der Kirche
  • 7. Vision: Der Mensch in der Anfechtung

III. Teil

  • 1. Vision: Gott und der Mensch
  • 2. Vision: Das Heilsgebäude
  • 3. Vision: Der Turm des Ratsschlusses
  • 4. Vision: Die Säule des Wortes Gottes
  • 5. Vision: Der Eifer Gottes
  • 6. Vision: Das steinerne Gesetz
  • 7. Vision: Die Dreieinigkeit
  • 8. Vision: Die Mitarbeiter am Erlösungswerk
  • 9. Vision: Der Turm der Kirche
  • 10. Vision: Der Menschensohn
  • 11. Vision: Das Ende der Zeiten
  • 12. Vision: Der Tag der großen Offenbarung
  • Der neue Himmel und die neue Erde
  • 13. Vision: Lobpreis auf die Heiligen

Literatur

Lateinisch

  • Das Liber Scivias ist in zehn vollständigen Handschriften erhalten, davon sechs aus dem 12. Jahrhundert überliefert, darunter zwei illustrierte (Wiesbaden, Hess. Landesbibl., Hs. 1, seit 1945 verschollen, und Heidelberg, Univ.bibl., cod. Sal. X 16).<ref>www.geschichtsquellen.de</ref>
  • Textkritische Edition In: Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 43, 43A Edd. Adelgundis Führkötter OSB et Angela Carlevaris OSB Brepols Turnholti 1978.
  • Handschrift (Biblioteca Apostolica Vaticana), Pal. lat. 311; Besitzer: Biblioteca Apostolica Vaticana; Früherer Besitzer: Palatina Heidelberg; enthält 1va-205ra Hildegardis Bingensis, Liber Scivias. - Lateinisch, Pergament; entstanden in Rupertsberg (Bingen a. Rhein), vor 1179 (um 1170-1179).
  • Faksimile des Rupertsberger Kodex: Um 1175, Das inzwischen verschollene Original wurde zwischen 1927 und 1933 von Hand von Nonnen der Abtei St. Hildegard kopiert und somit bewahrt, 35 Miniaturen mit Gold und Silber (16 Ganzseitige, 15 halbseitige, 4 viertelblattgroße; 27 Prachtinitialen mit Gold- und Silberpartien, Akademische Druck- und Verlags-Anstalt Graz 2013 (234 Ds., ISBN 978-3-201-01962-0 - Normalausgabe in Leder und Schuber, 32.5 x 23.5 cm; vgl. Online).

Übersetzungen in die deutsche Sprache

  • Hildegard von Bingen, Wisse die Wege - Liber Scivias. Werke Band I, hg. von der Abtei St. Hildegard, Eibingen, neu übersetzt von Mechthild Heieck, eingeleitet von Sr. Maura Zátonyi OSB, Beuroner Kunstverlag 2012 (4. Auflage; 536 Seiten; ISBN 978-3-87071-215-0, kartoniert).
  • Hildegard von Bingen: Wisse die Wege : Scivias, Otto Müller Verlag Salzburg 2013 (Druckausg.: ISBN: 9783701301577; Online-Ressource (epub): ISBN 978-3-7013-5157-2; übersetzt von Heinrich Schipperges ?).
  • Hildegard von Bingen: Scivias - Wisse die Wege : Vollständige Übersetzung, Michael Imhof Verlag Petersberg, Kreis Fulda 2007 (1. Auflage; 600 Seiten; ISBN 978-3-86568-242-0 Gb.; wer übersetzt ?).
  • Hildegard von Bingen: Scivias Wisse die Wege. Eine Schau von Gott und Mensch in Schöpfung und Zeit, übersetzt und herausgegeben von Walburga Storch OSB Pattloch Verlag 1990, 1991, 1997 (616 Seiten; letzte: ISBN 3-629-00594-2); Erste vollständige Übersetzung der lateinischen textkritischen Edition In: Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 43, 43A Edd. Adelgundis Führkötter OSB et Angela Carlevaris OSB Brepols Turnholti 1978.
  • Hildegard von Bingen, Wisse die Wege, eine Schau von Gott und Mensch in Schöpfung und Zeit, Vollst. Übers. der lat. textkritischen Ed., übersetzt und herausgegeben von Walburga Storch OSB, Herder Verlag/ Spektrum 1992, 1996, 1997 (1./2./3. Aufl.; 615 S.; ISBN 978-3-451-04115-0).
  • Hildegard von Bingen, Wisse die Wege. Übersetzt von Paul Suso Holdener CSSR, Hovine Verlag Tournai (Belgien 1990 (706 Seiten).
  • Hildegard von Bingen, Wisse die Wege. Insel Verlag Frankfurt am Main 2008 (Taschenbuch; ISBN 978-3-458-35091-0; wer übersetzt ?).
  • Hildegard von Bingen, Wisse die Wege - Scivias, Nach dem Originaltext des illuminierten Rupertsberger Kodex der Wiesbadener Landesbibliothek ins Deutsche übertragen und bearbeitet von Maura Böckeler (Chorfrau der Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard zu Eibingen), 35 Kodextafeln in achtfarbigem Offsetdruck; 1954 (1. Auflage), 1955, 1961 (4. Auflage), 1963 (5. Auflage), (414 Seiten), 1981 (7. Auflage 433 Seiten), 1987 (8. Auflage).
  • Hildegard von Bingen: Leib und Seele: (Scivias 1. Buch, Vision 4) /. Übers. durch Marie-Louise Portmann. Überarbeitet durch Paul Suso Holdener, Hrsg. durch die Basler Hildegard-Gesellschaft 1987 (96 Seiten; ISBN 3-905143-21-1 (falsch) kart.).
  • Hildegard von Bingen: Wisse die Wege. Scivias. Nach dem Originaltext des illuminierten Rupertsberger Kodex der Wiesbadener Landesbibliothek ins Deutsche übertragen und bearbeitet von Maura Böckeler [2., neubearbeitete Auflage], Otto Müller Verlag Salzburg 1954, 1955 (3. Aufl., 414 S.), 1961 (4. Aufl., 416 S.), 1963 (5. Aufl., 430 S.), 1975 (6. Aufl., 430 S.), 1981 (7. Aufl.), 1987 (8. Aufl.), 1996 (9. Aufl.).
  • Der heiligen Hildegard von Bingen Wisse die Wege. Scivias. Nach dem Urtext des Wiesbadener kleinen Hildegardiskodex (Handschrift 1, seit 1945 verschollen) ins Deutsche übertragen und bearbeitet von Maura Böckeler OSB, mit 35 Tafeln nach den Miniaturen des Kodex, mit einem Geleitswort von DDr. Ildefons Herwegen OSB, Sankt Augustinus Verlag Berlin 1928 (LW., 507 S.).

Auszugsübersetzungen

Sekundärliteratur

  • Hiltrud Gutjahr OSB u. Maura Zátonyi OSB: Geschaut im lebendigen Licht. Die Miniaturen des Liber Scivias der Hildegard von Bingen erklärt und gedeutet. Mit einer kunsthistorischen Einführung von Lieselotte Saurma-Jeltsch. Hrsg. von der Abtei St. Hildegard, Rüdesheim/Eibingen, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2011 (1. Auflage, 143 S., ISBN 978-3-87071-249-5 Pp.).
  • Jeffrey F. Hamburger: Die "verschiedenartigen Bücher der Menschheit" : Johannes Tauler über den "Scivias" Hildegards von Bingen, Paulinus Verlag Trier 2005 (70 Seiten; ISBN 978-3-7902-0194-9 geh.).
  • Keiko Suzuki: Dissertation Universität Bern 1997: Bildgewordene Visionen oder Visionserzählungen : vergleichende Studie über die Visionsdarstellungen in der Rupertsberger "Scivias"-Handschrift und im Luccheser "Liber divinorum operum"-Codex der Hildegard von Bingen, Lang Verlag Bern-Berlin-Frankfurt a.M.-New York-Paris-Wien 1998 (315, 45 S., ISBN 978-3-906761-72-5 kart.).
  • Lieselotte E. Saurma-Jeltsch: 'Die Miniaturen im "Liber scivias" der Hildegard von Bingen: die Wucht der Vision und die Ordnung der Bilder, Reichert Verlag Wiesbaden 1998 ( 238 S., ISBN 978-3-89500-038-6 Gewebe).
  • Michael Zöller: Dissertation Universität Tübingen 1996: Gott weist seinem Volk seine Wege : die theologische Konzeption des "Liber Scivias" der Hildegard von Bingen (1098 - 1179), Francke Verlag Tübingen-Basel 1997 (610 S., ISBN 978-3-7720-2579-2 kart.).
  • Hildegard von Bingen. Hrsg. von Hildegard Schönfeld unter Mitarb. von Wolfgang Podehl: Scivias : die Miniaturen vom Rupertsberg, Pennrich Verlag Bingen 1979 (84 Seiten).

Vorlage:Hildegard von Bingen Opera

Weblinks

Anmerkungen

<references />