Demokratie: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Demokratie (gr. Volksherrschaft) ist die gleichberechtigte Mitbestimmung aller an den Entscheidungen einer Gemeinschaft. | + | '''Demokratie''' (gr. ''Volksherrschaft'') ist nach heutigem Empfinden im Idealfall die ''gleichberechtigte'' Mitbestimmung ''aller'' an den Entscheidungen einer Gemeinschaft. So wird Demokratie allerdings nirgendwo praktiziert. In der Staatslehre bezeichnet der Begriff daher eine von mehreren Möglichkeiten zur Legitimation der Machtausübung. Menschen dürfen nach moderner Überzeugung nur über Menschen herrschen, wenn dies zu rechtfertigen ist. Die traditionelle Legitimation der Herrschaft durch die überlieferte "Krone" ([[Monarchie]]) hat seit 1789 allgemein an Überzeugungskraft eingebüßt, so dass heute sogar die verbliebenen Fürsten ihre Legitimation auf "demokratische" Mitwirkung des Volkes stützen, insbesondere auf die parlamentarische Regierungsform. |
== Was ist Demokratie im politischen Bereich? == | == Was ist Demokratie im politischen Bereich? == | ||
− | '''Demokratie''' geht von der Gleichheit aller Bürger aus. Die Demokratie setzt zudem | + | '''Demokratie''' geht von der Gleichheit aller Bürger aus. Der Gedanke der Gleichheit der Menschenwürde beruht auf dem Christentum. Antike 'Demokratien' waren keineswegs von der Gleichheit aller überzeugt (es gab mindere Rechte für Sklaven und Fremde, stärkere Rechte für Edle). Die heutige Demokratie setzt zudem den Gedanken von der Souveränität des Volkes voraus. Das Staatsvolk soll in der Demokratie an der Ausübung der Staatsgewalt teilhaben, zumindest durch ein Parlament die Gesetzgebung kontrollieren und wenigstens mittelbar die Regierung bestimmen können. |
− | Im politischen Bereich anerkennt die Kirche seit Jahrhunderten die Möglichkeit einer demokratischen Regierungsform und empfiehlt sie seit 1944 ([[Pius XII.]]) sogar, | + | Im politischen Bereich anerkennt die Kirche seit Jahrhunderten die Möglichkeit einer demokratischen Regierungsform und ''empfiehlt'' sie seit 1944 ([[Pius XII.]]) sogar, wobei bestimmte Bedingungen sie auszeichnen sollen: |
− | + | *hinreichend gut informierte Bürger, | |
+ | *Möglichkeiten der Mitbestimmung, | ||
+ | *rechtsstaatliche Verfahrensweisen und | ||
+ | *Gewaltenteilung (Gesetzgebende -, richterliche -, ausführende -, wirtschaftliche -, [[Medien|mediale]] Gewalt). | ||
− | Die Demokratiekritik vom Standpunkt unbedingter Werte aus ist jedoch selbst auf die Einhaltung demokratischer Verfahren angewiesen, um einen Bewusstseinswandel bewirken zu können. Denn Werte nur zu "proklamieren", wie mancherorts in islamischen Staaten, die nicht von den Bürgern praktiziert werden, kann gleichfalls in ein System öffentlicher Unwahrhaftigkeit einmünden. | + | Auch fördert die Anerkennung eines Wertefundaments als Basis die demokratische Willensbildung. |
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+ | Demokratische Verfahren allein können jedoch noch nicht garantieren, dass die [[Menschenrechte]] auch wirklich eingehalten werden und die Grundforderungen der Gerechtigkeit verwirklicht werden. | ||
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+ | Daher anerkennt die moderne Demokratie (meistens), dass sie ''ihr vorausliegende'', humane Wertentscheidungen wahren muss. (Diese werden meist in den schriftlichen Verfassungen explizit anerkannt und auch einer eigenen Verfassungsgerichtsbarkeit unterworfen.) Als tödlich für eine echte Demokratie könnte sich der [[Relativismus]] der Werte erweisen. [[Johannes Paul II.]] hat es so formuliert: "Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus" (vgl. [[Centesimus annus]], 46). | ||
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+ | Die Demokratiekritik vom Standpunkt unbedingter Werte aus ist jedoch selbst auf die Einhaltung demokratischer Verfahren angewiesen, um einen Bewusstseinswandel bewirken zu können. Denn Werte nur zu "proklamieren", wie mancherorts in islamischen Staaten, die nicht von den Bürgern praktiziert werden, kann gleichfalls in ein System öffentlicher Unwahrhaftigkeit einmünden. | ||
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+ | Eine moderne Idee, die in okkultistischen Kreisen vertreten wurde, war eine Art Mystik der Demokratie. Es wurde ein Sozial-Christus gepredigt. Ein [[Freimaurer]] schreibt: „Ich glaube, dass diese soziale Erlösung des Volkes in der neuen Gesellschaft durch die Thronbesteigung der Demokratie erfüllt wurde." Und noch schärfer am 26. Juli 1891: „Das reine [[Christentum]] ist der Sozialismus (Le christianisme pur, c'est le socialisme)". | ||
== Demokratie und Kirche == | == Demokratie und Kirche == | ||
− | In der Kirchenordnung [[ | + | In der Kirchenordnung des [[Hippolyt von Rom]] aus dem 3. Jahrhundert heißt es zwar, derjenige solle zum [[Bischof]] [[Ordination|ordiniert]] werden, der vom ganzen Volk erwählt worden sei. Auch [[Papst]] [[Coelestin I.]] betonte im 5. Jahrhundert, kein Bischof solle gegen den Willen der Gemeinde bestellt werden. |
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+ | Umstritten ist es, ob es sich bei der Bischofsernennung um eine Wahl im heutigen Sinne gehandelt hat, oder um eine [[Akklamation]], wie sie von der Ernennung des heiligen [[Ambrosius]] überliefert ist. | ||
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+ | Die unkritische Übertragung dieser frühkirchlichen Gedanken (welche die [[Heiligkeit]] der Gemeinde voraussetzen; "stimmberechtigt" wären heute also alle, die zumindest eine Osterbeichte nachweisen können) dient heute vornehmlich antipäpstlicher Stimmungsmache. In der Kirchengeschichte stellt die Durchsetzung des [[sakrament]]alen Amtsbegriffs nämlich einen mühselig errungenen Fortschritt dar. | ||
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+ | [[Papst]] [[Leo XIII.]] schreibt in [[Immortale dei]]: " Es gibt keine Gewalt, außer von [[Gott]]. (Nr. 4) Die Herrschergewalt ist aber an sich mit seiner Staatsform notwendig verknüpft; sie kann die eine oder andere Form annehmen, wenn diese das gemeinsame Wohl und Gedeihen wirksam fördert. Mag aber die Staatsverfassung sein welche sie wolle, immer haben jene, welchen die Gewalt innewohnt, vor allem auf Gott hinzublicken, den höchsten Regenten der Welt, und ihn als Vorbild und Richtschnur in der Leitung des Staates im Auge zu behalten." Ebenso im Apostolischen Brief [[Perlectae a nobis (Wortlaut)|Perlectae a nobis]] an Kardinal-Erzbischof von Paris vom 22. Oktober 1880: "Ohne Zweifel tadelt oder missbilligt die Katholische Kirche keine Staatsform und was von der Kirche selbst zum [[Gemeinwohl|gemeinsamen Nutzen]] eingesetzt ist, kann gedeihen, ob der Staat durch die Macht und Gerechtigkeit eines Einzigen oder Mehreren regiert wird. ... Niemand aber zweifelt, dass man in Allem, was nicht ungerecht ist, um der Erhaltung der Ordnung willen, welche die Grundlage der öffentlichen Wohlfahrt ist, den Vorgesetzten gehorchen müsse, daraus folgt aber nicht, dass durch den Gehorsam das gebilligt werde, was eben in der Verfassung oder in der Staatsverwaltung nicht gerecht ist. " | ||
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+ | In [[Notre charge apostolique]] verurteilt Papst [[Pius X.]] die französische [[Sillon-Bewegung]], die für eine Demokratie im christlichen Geiste wirken wollte. Die Verurteilung baut auf der Verwerfung von - der Philosophie des [[18. Jahrhundert]]s, - der [[Revolution]] und - dem [[Liberalismus]]. Pius X. anerkennt die Beweggründe und die Erfolge des Sillon, konstatiert aber, dass dieser in die Irre ging, da es an „historischem Wissen, gesunder [[Philosophie]], starker [[Theologie]]“ mangelte. | ||
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+ | Je demokratischer die "offene Gesellschaft" sich entwickelt, umso dringender, dass die Kirche die "Partei der Wahrheit" zu reicherem Leben bringt. Sie kann ihre eigene Aufgabe nur als [[Hierarchie]] erfüllen, gebunden im Sakrament. "Demokratie kann es in der Kirche nicht geben." Dies sagte [[Kurt Koch|Bischof Kurt Koch]] am 15. Juni 2007 und begründete dies mit zwei Argumenten: | ||
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+ | # Demokratie heißt, dass das Volk souverän ist und die '''gemeinsame Sache''' verwaltet. Souverän in der Kirche ist aber nicht das Volk, sondern [[Christus]]. | ||
+ | # Der Souverän gibt sich in einer Demokratie eine Verfassung. Dies ist für Christen das [[Evangelium]] und steht somit nicht zur Disposition. | ||
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+ | Konsequenz daraus wäre, gemäß Kurt Koch: "Denn eine Kirche, die auf demokratischen Mehrheitsbeschlüssen beruhen würde, wäre nicht mehr Werk Gottes, sondern würde sich zu einer bloßen Menschenkirche mutieren, in der es keine Beständigkeit mehr geben könnte. Denn alles, was eine Mehrheit einmal beschlossen hat, kann eine spätere Mehrheit wieder zurücknehmen; und alles, was Menschen gemacht haben, können spätere Generationen wieder aufheben." | ||
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+ | Unbeschadet dessen gibt es in organisatorischen Fragen, die nicht die göttliche Verfassung der Kirche berühren, auch in der Kirche Möglichkeiten der offenen Diskussion und eine gewisse Mitbestimmung; freilich muss in entsprechenden Räten wie [[Pfarrgemeinderat]], [[Pfarrkirchenrat]] und [[Pastoralrat]] stets die Verantwortung des Priesters bzw. Bischofs als Hirten anerkannt und demgemäß seine Entscheidungskompetenz innerhalb des geltenden [[Kirchenrecht]]s geachtet werden. | ||
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+ | == Wahlrecht und Wahlpflicht== | ||
+ | Jeder hat nach seinem eigenen [[Gewissen]] abzustimmen. Das Wahlrecht ist strenge Pflicht für alle Männer wie Frauen, die das Recht dazu haben, sich an den Wahlen zu beteiligen. Wer sich dessen enthält, insbesondere aus Gleichgültigkeit oder Feigheit, begeht an sich eine [[schwere Sünde]], lädt eine tödliche Schuld auf sich.<ref>Aus der Ansprache an die Delegierten der Internationalen Konferenz über Auswanderungsfragen, 17. Oktober 1951: aus [[Pius XII. sagt]], S. 305.</ref> | ||
− | + | ==Päpstliche Schreiben== | |
+ | '''[[Leo XIII.]]''' | ||
+ | * 1. November 1885 [[Enzyklika]] ''[[Immortale dei]]'' über die christliche Staatsordnung. | ||
+ | * 18. Januar 1901 [[Enzyklika]] ''[[Graves de communi]]'' über die [[katholische Aktion]] und die christliche Demokratie. ([[ASS]] XXXIII (1900-1901] 385-396). | ||
− | + | '''[[Pius X.]]''' | |
− | + | * 25. August 1910 [[Apostolisches Schreiben]] ''[[Notre charge apostolique]]'' verurteilt die französische [[Sillon-Bewegung]]. | |
− | + | '''[[Pius XII.]]''' | |
+ | * [[24. Dezember]] [[1944]] Weihnachtsrundfunkansprache ''[[Benignitas et humanitas]]'' über Demokratie und Welt[[friede]]n. | ||
+ | * 2. Oktober 1945 [[Ansprache]] ''[[Dacché piaque al Signore]]'' zum Beginn des neuen Gerichtsjahres der [[Sacra Rota Romana]]. | ||
− | + | ==Literatur== | |
+ | * Christine Schirrmacher: [[Islam]] und Demokratie – ein Gegensatz? SCM Hänssler: Holzgerlingen 2013 (Pb. 101 Seiten). <ref> [http://www.kath.net/news/42377 Islam und Demokratie – ein Gegensatz?] [[Kath.net]] am 10. August 2013</ref> | ||
+ | * [[Wolfgang Ockenfels]]: Auch [[Demokratie]] braucht [[Moral]]. (Reihe: Kirche und Gesellschaft, Nr. 332) [[Bachem Verlag]] Köln 2006 (16 Seiten; ISBN | ||
+ | 3-7616-1904-9). | ||
+ | * [[Georg May]]: Demokratisierung der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen. Herold Verlag Wien und München 1971/1976 (Mit Druckerlaubnis des Erzb. Ordinariates Wien vom 31.1.1970, Zahl 6770/69; 205 Seiten). | ||
+ | * Karl Buchheim: [[Ultramontanismus]] und Demokratie. Der Weg der deutschen Katholiken im [[19. Jahrhundert]] [[Kösel Verlag]] München 1963 (545 Seiten). | ||
− | == | + | ==Weblinks== |
+ | * [http://www.kath.net/news/45412 Demokratie lebt von Moral und Religion] [[Kath.net]] am 28. März 2014 | ||
+ | * [http://www.kath.net/news/55235 Ist Demokratie die 'totale Macht der Mehrheit'?] [[Kath.net]] am 20. Mai 2016 von [[Andreas Laun]] | ||
+ | * [[Rainer Woelki]]: [http://www.kath.net/news/70065 „Demokratisierung des Glaubens wäre das Ende der Kirche“] [[Kath.net]] am 13. Dezember 2019 | ||
− | + | == Anmerkungen == | |
+ | <references /> | ||
[[Kategorie: Gesellschaftsformen]] | [[Kategorie: Gesellschaftsformen]] | ||
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Aktuelle Version vom 6. April 2020, 19:34 Uhr
Demokratie (gr. Volksherrschaft) ist nach heutigem Empfinden im Idealfall die gleichberechtigte Mitbestimmung aller an den Entscheidungen einer Gemeinschaft. So wird Demokratie allerdings nirgendwo praktiziert. In der Staatslehre bezeichnet der Begriff daher eine von mehreren Möglichkeiten zur Legitimation der Machtausübung. Menschen dürfen nach moderner Überzeugung nur über Menschen herrschen, wenn dies zu rechtfertigen ist. Die traditionelle Legitimation der Herrschaft durch die überlieferte "Krone" (Monarchie) hat seit 1789 allgemein an Überzeugungskraft eingebüßt, so dass heute sogar die verbliebenen Fürsten ihre Legitimation auf "demokratische" Mitwirkung des Volkes stützen, insbesondere auf die parlamentarische Regierungsform.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Demokratie im politischen Bereich?
Demokratie geht von der Gleichheit aller Bürger aus. Der Gedanke der Gleichheit der Menschenwürde beruht auf dem Christentum. Antike 'Demokratien' waren keineswegs von der Gleichheit aller überzeugt (es gab mindere Rechte für Sklaven und Fremde, stärkere Rechte für Edle). Die heutige Demokratie setzt zudem den Gedanken von der Souveränität des Volkes voraus. Das Staatsvolk soll in der Demokratie an der Ausübung der Staatsgewalt teilhaben, zumindest durch ein Parlament die Gesetzgebung kontrollieren und wenigstens mittelbar die Regierung bestimmen können.
Im politischen Bereich anerkennt die Kirche seit Jahrhunderten die Möglichkeit einer demokratischen Regierungsform und empfiehlt sie seit 1944 (Pius XII.) sogar, wobei bestimmte Bedingungen sie auszeichnen sollen:
- hinreichend gut informierte Bürger,
- Möglichkeiten der Mitbestimmung,
- rechtsstaatliche Verfahrensweisen und
- Gewaltenteilung (Gesetzgebende -, richterliche -, ausführende -, wirtschaftliche -, mediale Gewalt).
Auch fördert die Anerkennung eines Wertefundaments als Basis die demokratische Willensbildung.
Demokratische Verfahren allein können jedoch noch nicht garantieren, dass die Menschenrechte auch wirklich eingehalten werden und die Grundforderungen der Gerechtigkeit verwirklicht werden.
Daher anerkennt die moderne Demokratie (meistens), dass sie ihr vorausliegende, humane Wertentscheidungen wahren muss. (Diese werden meist in den schriftlichen Verfassungen explizit anerkannt und auch einer eigenen Verfassungsgerichtsbarkeit unterworfen.) Als tödlich für eine echte Demokratie könnte sich der Relativismus der Werte erweisen. Johannes Paul II. hat es so formuliert: "Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus" (vgl. Centesimus annus, 46).
Die Demokratiekritik vom Standpunkt unbedingter Werte aus ist jedoch selbst auf die Einhaltung demokratischer Verfahren angewiesen, um einen Bewusstseinswandel bewirken zu können. Denn Werte nur zu "proklamieren", wie mancherorts in islamischen Staaten, die nicht von den Bürgern praktiziert werden, kann gleichfalls in ein System öffentlicher Unwahrhaftigkeit einmünden.
Eine moderne Idee, die in okkultistischen Kreisen vertreten wurde, war eine Art Mystik der Demokratie. Es wurde ein Sozial-Christus gepredigt. Ein Freimaurer schreibt: „Ich glaube, dass diese soziale Erlösung des Volkes in der neuen Gesellschaft durch die Thronbesteigung der Demokratie erfüllt wurde." Und noch schärfer am 26. Juli 1891: „Das reine Christentum ist der Sozialismus (Le christianisme pur, c'est le socialisme)".
Demokratie und Kirche
In der Kirchenordnung des Hippolyt von Rom aus dem 3. Jahrhundert heißt es zwar, derjenige solle zum Bischof ordiniert werden, der vom ganzen Volk erwählt worden sei. Auch Papst Coelestin I. betonte im 5. Jahrhundert, kein Bischof solle gegen den Willen der Gemeinde bestellt werden.
Umstritten ist es, ob es sich bei der Bischofsernennung um eine Wahl im heutigen Sinne gehandelt hat, oder um eine Akklamation, wie sie von der Ernennung des heiligen Ambrosius überliefert ist.
Die unkritische Übertragung dieser frühkirchlichen Gedanken (welche die Heiligkeit der Gemeinde voraussetzen; "stimmberechtigt" wären heute also alle, die zumindest eine Osterbeichte nachweisen können) dient heute vornehmlich antipäpstlicher Stimmungsmache. In der Kirchengeschichte stellt die Durchsetzung des sakramentalen Amtsbegriffs nämlich einen mühselig errungenen Fortschritt dar.
Papst Leo XIII. schreibt in Immortale dei: " Es gibt keine Gewalt, außer von Gott. (Nr. 4) Die Herrschergewalt ist aber an sich mit seiner Staatsform notwendig verknüpft; sie kann die eine oder andere Form annehmen, wenn diese das gemeinsame Wohl und Gedeihen wirksam fördert. Mag aber die Staatsverfassung sein welche sie wolle, immer haben jene, welchen die Gewalt innewohnt, vor allem auf Gott hinzublicken, den höchsten Regenten der Welt, und ihn als Vorbild und Richtschnur in der Leitung des Staates im Auge zu behalten." Ebenso im Apostolischen Brief Perlectae a nobis an Kardinal-Erzbischof von Paris vom 22. Oktober 1880: "Ohne Zweifel tadelt oder missbilligt die Katholische Kirche keine Staatsform und was von der Kirche selbst zum gemeinsamen Nutzen eingesetzt ist, kann gedeihen, ob der Staat durch die Macht und Gerechtigkeit eines Einzigen oder Mehreren regiert wird. ... Niemand aber zweifelt, dass man in Allem, was nicht ungerecht ist, um der Erhaltung der Ordnung willen, welche die Grundlage der öffentlichen Wohlfahrt ist, den Vorgesetzten gehorchen müsse, daraus folgt aber nicht, dass durch den Gehorsam das gebilligt werde, was eben in der Verfassung oder in der Staatsverwaltung nicht gerecht ist. "
In Notre charge apostolique verurteilt Papst Pius X. die französische Sillon-Bewegung, die für eine Demokratie im christlichen Geiste wirken wollte. Die Verurteilung baut auf der Verwerfung von - der Philosophie des 18. Jahrhunderts, - der Revolution und - dem Liberalismus. Pius X. anerkennt die Beweggründe und die Erfolge des Sillon, konstatiert aber, dass dieser in die Irre ging, da es an „historischem Wissen, gesunder Philosophie, starker Theologie“ mangelte.
Je demokratischer die "offene Gesellschaft" sich entwickelt, umso dringender, dass die Kirche die "Partei der Wahrheit" zu reicherem Leben bringt. Sie kann ihre eigene Aufgabe nur als Hierarchie erfüllen, gebunden im Sakrament. "Demokratie kann es in der Kirche nicht geben." Dies sagte Bischof Kurt Koch am 15. Juni 2007 und begründete dies mit zwei Argumenten:
- Demokratie heißt, dass das Volk souverän ist und die gemeinsame Sache verwaltet. Souverän in der Kirche ist aber nicht das Volk, sondern Christus.
- Der Souverän gibt sich in einer Demokratie eine Verfassung. Dies ist für Christen das Evangelium und steht somit nicht zur Disposition.
Konsequenz daraus wäre, gemäß Kurt Koch: "Denn eine Kirche, die auf demokratischen Mehrheitsbeschlüssen beruhen würde, wäre nicht mehr Werk Gottes, sondern würde sich zu einer bloßen Menschenkirche mutieren, in der es keine Beständigkeit mehr geben könnte. Denn alles, was eine Mehrheit einmal beschlossen hat, kann eine spätere Mehrheit wieder zurücknehmen; und alles, was Menschen gemacht haben, können spätere Generationen wieder aufheben."
Unbeschadet dessen gibt es in organisatorischen Fragen, die nicht die göttliche Verfassung der Kirche berühren, auch in der Kirche Möglichkeiten der offenen Diskussion und eine gewisse Mitbestimmung; freilich muss in entsprechenden Räten wie Pfarrgemeinderat, Pfarrkirchenrat und Pastoralrat stets die Verantwortung des Priesters bzw. Bischofs als Hirten anerkannt und demgemäß seine Entscheidungskompetenz innerhalb des geltenden Kirchenrechts geachtet werden.
Wahlrecht und Wahlpflicht
Jeder hat nach seinem eigenen Gewissen abzustimmen. Das Wahlrecht ist strenge Pflicht für alle Männer wie Frauen, die das Recht dazu haben, sich an den Wahlen zu beteiligen. Wer sich dessen enthält, insbesondere aus Gleichgültigkeit oder Feigheit, begeht an sich eine schwere Sünde, lädt eine tödliche Schuld auf sich.<ref>Aus der Ansprache an die Delegierten der Internationalen Konferenz über Auswanderungsfragen, 17. Oktober 1951: aus Pius XII. sagt, S. 305.</ref>
Päpstliche Schreiben
- 1. November 1885 Enzyklika Immortale dei über die christliche Staatsordnung.
- 18. Januar 1901 Enzyklika Graves de communi über die katholische Aktion und die christliche Demokratie. (ASS XXXIII (1900-1901] 385-396).
- 25. August 1910 Apostolisches Schreiben Notre charge apostolique verurteilt die französische Sillon-Bewegung.
- 24. Dezember 1944 Weihnachtsrundfunkansprache Benignitas et humanitas über Demokratie und Weltfrieden.
- 2. Oktober 1945 Ansprache Dacché piaque al Signore zum Beginn des neuen Gerichtsjahres der Sacra Rota Romana.
Literatur
- Christine Schirrmacher: Islam und Demokratie – ein Gegensatz? SCM Hänssler: Holzgerlingen 2013 (Pb. 101 Seiten). <ref> Islam und Demokratie – ein Gegensatz? Kath.net am 10. August 2013</ref>
- Wolfgang Ockenfels: Auch Demokratie braucht Moral. (Reihe: Kirche und Gesellschaft, Nr. 332) Bachem Verlag Köln 2006 (16 Seiten; ISBN
3-7616-1904-9).
- Georg May: Demokratisierung der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen. Herold Verlag Wien und München 1971/1976 (Mit Druckerlaubnis des Erzb. Ordinariates Wien vom 31.1.1970, Zahl 6770/69; 205 Seiten).
- Karl Buchheim: Ultramontanismus und Demokratie. Der Weg der deutschen Katholiken im 19. Jahrhundert Kösel Verlag München 1963 (545 Seiten).
Weblinks
- Demokratie lebt von Moral und Religion Kath.net am 28. März 2014
- Ist Demokratie die 'totale Macht der Mehrheit'? Kath.net am 20. Mai 2016 von Andreas Laun
- Rainer Woelki: „Demokratisierung des Glaubens wäre das Ende der Kirche“ Kath.net am 13. Dezember 2019
Anmerkungen
<references />