Dignitas personae (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 15. Mai 2018, 13:16 Uhr

Instruktion
Dignitas personae

Kongregation für die Glaubenslehre
im Pontifikat von Papst
Benedikt XVI.
über einige Fragen der Bioethik
8. Dezember 2008

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; auch in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 183)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

1. Jedem Menschen ist von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod die Würde einer Person zuzuerkennen. Dieses Grundprinzip, das ein großes „Ja“ zum menschlichen Leben ausdrückt, muss im Mittelpunkt des ethischen Nachdenkens über die biomedizinische Forschung stehen, die in der Welt von heute eine immer größere Bedeutung gewinnt. Das Lehramt der Kirche hat sich schon mehrmals geäußert, um die damit zusammenhängenden moralischen Probleme zu klären und zu lösen. Von besonderem Gewicht war in dieser Hinsicht die Instruktion Donum vitae.<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung (22. Februar 1987): AAS 80 (1988), 70-102.</ref> Zwanzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung ist es jedoch angebracht, dieses Dokument fortzuschreiben.

Die Lehre der genannten Instruktion bleibt unverändert gültig. Dies gilt sowohl für die in Erinnerung gerufenen Prinzipien als auch für die vorgelegten moralischen Bewertungen. Neue biomedizinische Technologien, die im heiklen Bereich des menschlichen und familiären Lebens eingeführt worden sind, werfen aber weitere Fragen auf, vor allem auf dem Gebiet der Forschung mit menschlichen Embryonen und der Verwendung von Stammzellen zu therapeutischen Zwecken sowie in anderen Bereichen der experimentellen Medizin. So sind neue Probleme aufgetreten, die neue Antworten erfordern. Die Schnelligkeit der Entwicklungen auf wissenschaftlichem Terrain und deren Verbreitung durch die sozialen Kommunikationsmittel führen zu Erwartungen und Unsicherheiten in immer weiteren Kreisen der öffentlichen Meinung. Um derartige Probleme rechtlich zu regeln, sind die gesetzgebenden Versammlungen häufig aufgefordert, Entscheidungen zu treffen, die manchmal auch eine Volksbefragung einschließen.

Diese Gründe haben die Kongregation für die Glaubenslehre bewogen, eine neue Instruktion lehrmäßiger Natur zu verfassen, die einige neuere Fragestellungen im Licht der in der Instruktion Donum vitae formulierten Kriterien erörtert und sich andere bereits behandelte Themen, zu denen weitere Klärungen für notwendig erachtet wurden, erneut vornimmt.

2. Bei der Durchführung dieser Untersuchung wurde stets darauf geachtet, die wissenschaftlichen Aspekte – unter Zuhilfenahme der Studien der Päpstlichen Akademie für das Leben und einer großen Zahl von Fachleuten – zu berücksichtigen und sie anhand der Prinzipien der christlichen Anthropologie einer Prüfung zu unterziehen. Die Enzykliken Veritatis splendor<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendorüber einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre (6. August 1993): AAS 85 (1993), 1133-1228.</ref> und Evangelium vitae<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens (25. März 1995): AAS 87 (1995), 401-522.</ref> von Johannes Paul II. sowie andere Stellungnahmen des Lehramtes bieten klare methodische und inhaltliche Hinweise für die Prüfung der untersuchten Probleme.

Im mannigfaltigen philosophischen und wissenschaftlichen Panorama der Gegenwart gibt es viele qualifizierte Gelehrte und Philosophen, die in der medizinischen Wissenschaft gemäß dem hippokratischen Eid einen Dienst am gebrechlichen Menschen sehen, um Krankheiten zu heilen, Leiden zu lindern und die erforderlichen Behandlungen in gerechtem Maß der ganzen Menschheit zugänglich zu machen. Es fehlt jedoch nicht an Vertretern der Philosophie und der Wissenschaft, welche die fortschreitende Entwicklung der biomedizinischen Technologien mit einer im Grunde eugenischen Perspektive betrachten.

3. Wenn die katholische Kirche Prinzipien und moralische Bewertungen für die biomedizinische Erforschung des menschlichen Lebens vorlegt, folgt sie dem Licht der Vernunft wie auch des Glaubens. Sie trägt so zur Schaffung einer ganzheitlichen Sichtweise des Menschen und seiner Berufung bei, die all das aufzunehmen vermag, was in den Werken der Menschen und in den verschiedenen kulturellen und religiösen Traditionen, die nicht selten eine große Ehrfurcht vor dem Leben zeigen, an Gutem sichtbar wird.

Das Lehramt möchte ein Wort der Ermutigung und des Vertrauens gegenüber einer kulturellen Perspektive bringen, die in der Wissenschaft einen wertvollen Dienst am umfassenden Gut des Lebens und der Würde jedes Menschen sieht. Die Kirche schaut deshalb mit Hoffnung auf die wissenschaftliche Forschung und wünscht, dass sich viele Christen dem Fortschritt in der Biomedizin widmen und den eigenen Glauben in diesem Umfeld bezeugen. Sie wünscht zudem, dass die Früchte dieser Forschung auch in den armen und durch Krankheiten betroffenen Gebieten zur Verfügung gestellt werden, um die aus humanitärer Sicht dringendsten und dramatischsten Nöte angehen zu können. Schließlich möchte die Kirche jeder Person nahe sein, die an Leib oder Seele leidet, um nicht nur Trost, sondern Licht und Hoffnung zu schenken. So erhalten auch Zeiten der Krankheit und die Erfahrung des Todes einen Sinn, die eben zum Leben des Menschen gehören, seine Geschichte kennzeichnen und sie für das Geheimnis der Auferstehung öffnen. Der Blick der Kirche ist voller Zuversicht, denn «das Leben wird siegen: Dies ist unsere sichere Hoffnung. Ja, das Leben wird siegen, weil die Wahrheit, das Gute, die Freude und der echte Fortschritt auf der Seite des Lebens stehen. Auf der Seite des Lebens steht Gott, der das Leben liebt und es in Fülle schenkt».<ref>) Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der VII. Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben (3. März 2001), 3: AAS 93 (2001), 446.</ref>

Die vorliegende Instruktion richtet sich an die Gläubigen und an alle wahrheitssuchenden Menschen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio über das Verhältnis von Glaube und Vernunft (14. September 1998), 1: AAS 91 (1999), 5.</ref> Die Instruktion umfasst drei Teile: Im ersten Teil werden einige anthropologische, theologische und ethische Aspekte von grundlegender Bedeutung in Erinnerung gerufen; im zweiten Teil kommen neue Probleme bezüglich der Fortpflanzung zur Sprache; im dritten Teil werden einige neue Therapien untersucht, die eine Manipulation des Embryos oder des menschlichen Erbgutes mit sich bringen.

ERSTER TEIL: ANTHROPOLOGISCHE, THEOLOGISCHE UND ETHISCHE ASPEKTE DES MENSCHLICHEN LEBENS UND DER FORTPFLANZUNG

4. In den letzten Jahrzehnten haben die medizinischen Wissenschaften ihre Erkenntnisse über das menschliche Leben in den Anfangsstadien seines Daseins in beträchtlichem Maß weiterentwickelt. Sie sind dazu gelangt, die biologischen Strukturen des Menschen und den Prozess seiner Zeugung besser zu erkennen. Diese Entwicklungen sind gewiss positiv und unterstützenswert, wenn sie der Überwindung oder Korrektur von Pathologien dienen und zur Wiederherstellung des normalen Ablaufs der Zeugungsprozesse beitragen. Sie sind hingegen negativ und darum unannehmbar, wenn sie die Vernichtung von Menschen mit sich bringen oder Mittel gebrauchen, welche die Personwürde verletzen, oder wenn sie für Ziele eingesetzt werden, die dem Gesamtwohl des Menschen entgegenstehen.

Der Körper des Menschen kann von den ersten Stadien des Daseins an nie auf die Summe seiner Zellen reduziert werden. Der embryonale Mensch entwickelt sich Schritt für Schritt nach einem genau festgelegten „Programm“ und mit einem eigenen Ziel, das mit der Geburt jedes Kindes offenbar wird.

Es ist von Nutzen, hier an das grundlegende ethische Kriterium zu erinnern, das in der Instruktion Donum vitae vorgelegt wird, um alle moralischen Fragen zu bewerten, die sich im Zusammenhang mit Eingriffen in den menschlichen Embryo stellen: «Die Frucht der menschlichen Zeugung erfordert ab dem ersten Augenblick ihrer Existenz, also von der Bildung der Zygote an, jene unbedingte Achtung, die man dem Menschen in seiner leiblichen und geistigen Ganzheit sittlich schuldet. Der Mensch muss von seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden und infolgedessen muss man ihm von diesem Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Menschen auf Leben».<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, I, 1: AAS 80 (1988), 79.</ref>

5. Diese Feststellung ethischer Natur, die von der Vernunft als wahr und dem natürlichen Sittengesetz entsprechend erkannt werden kann, sollte zum Fundament jeder rechtlichen Ordnung gehören.<ref> Wie Benedikt XVI. in Erinnerung gerufen hat, haben die Menschenrechte, insbesondere das Recht jedes Menschen auf Leben, «ihre Grundlage im Naturgesetz, das in das Herz des Menschen eingeschrieben und in den verschiedenen Kulturen und Zivilisationen gegenwärtig ist. Die Menschenrechte aus diesem Kontext herauszulösen, würde bedeuten, ihre Reichweite zu begrenzen und einer relativistischen Auffassung nachzugeben, für welche die Bedeutung und Interpretation dieser Rechte variieren könnten und der zufolge ihre Universalität im Namen kultureller, politischer, sozialer und sogar religiöser Vorstellungen verneint werden könnte. Die große Vielfalt der Sichtweisen kann kein Grund sein, um zu vergessen, dass nicht nur die Rechte universal sind, sondern auch die menschliche Person, die das Subjekt dieser Rechte ist» (Ansprache an die Generalversammlung der UNO, 18. April 2008: AAS 100 (2008), 334).</ref> Sie setzt eine Wahrheit ontologischer Natur voraus. Die genannte Instruktion hat dies ausgehend von zuverlässigen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Kontinuität der Entwicklung des Menschen unterstrichen.

Wenn die Instruktion Donum vitae nicht definiert hat, dass der Embryo Person ist, um sich nicht ausdrücklich auf Aussagen philosophischer Natur festzulegen, so hat sie dennoch betont, dass es ein inneres Band zwischen der ontologischen Dimension und dem spezifischen Wert jedes Menschen gibt. Auch wenn das Vorhandensein einer Geistseele von keiner experimentellen Beobachtung ausgemacht werden kann, liefern die Schlussfolgerungen der Wissenschaft über den menschlichen Embryo doch «einen wertvollen Hinweis, um mit der Vernunft das Vorhandensein einer Person von diesem ersten Erscheinen eines menschlichen Lebens an wahrzunehmen: Sollte ein menschliches Individuum etwa nicht eine menschliche Person sein?»<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, I, 1: AAS 80 (1988), 78-79.</ref> Während seines ganzen Lebens, vor und nach seiner Geburt, kann nämlich in der Beschaffenheit des Menschen weder eine Änderung des Wesens noch eine Gradualität des moralischen Wertes behauptet werden: Er ist ganz Mensch und ganz als solcher zu achten. Der menschliche Embryo hat also von Anfang an die Würde, die der Person eigen ist.

6. Die Achtung vor dieser Würde gebührt jedem Menschen, denn er trägt die eigene Würde und den eigenen Wert unauslöschlich in sich eingeprägt. Der Ursprung des menschlichen Lebens hat aber seinen authentischen Ort in Ehe und Familie, wo es durch einen Akt gezeugt wird, der die gegenseitige Liebe von Mann und Frau zum Ausdruck bringt. Eine gegenüber dem Ungeborenen wahrhaft verantwortliche Zeugung «muss die Frucht der Ehe sein».<ref>Ebd., II, A, 1: l.c., 87.</ref> Die Ehe, die es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gibt, wurde «vom Schöpfergott weise und voraussehend eingerichtet, um unter den Menschen seinen Plan der Liebe zu verwirklichen. Darum streben die Ehegatten durch die gegenseitige personale Hingabe, die ihnen eigen und ausschließlich ist, nach jener Gemeinschaft der Personen, in der sie sich gegenseitig vervollkommnen, um mit Gott bei der Zeugung und Erziehung neuen menschlichen Lebens mitzuwirken».<ref>Paul VI., Enzyklika Humanae vitae (25. Juli 1968), 8: AAS 60 (1968), 485-486.</ref> In der Fruchtbarkeit der ehelichen Liebe machen Mann und Frau sichtbar, «dass am Ursprung ihres Ehelebens ein echtes „Ja“ steht, das in Gegenseitigkeit ausgesprochen und wirklich gelebt wird und stets für das Leben offen bleibt... Das natürliche Sittengesetz, das der Anerkennung der wahren Gleichheit zwischen den Personen und Völkern zugrunde liegt, sollte als die Quelle erkannt werden, an der sich auch die Beziehung der Eheleute in ihrer Verantwortung, Kinder zu zeugen, ausrichten muss. Die Weitergabe des Lebens ist in die Natur eingeschrieben, und ihre Gesetze bleiben eine ungeschriebene Norm, auf die alle Bezug nehmen müssen».<ref>Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Kongress der Päpstlichen Lateranuniversität anlässlich des 40. Jahrestages der Enzyklika Humanae vitae (10. Mai 2008): L’Osservatore Romano, 11. Mai 2008, 1; vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961), III: AAS 53 (1961), 447.</ref>

7. Die Kirche ist davon überzeugt, dass das, was menschlich ist, vom Glauben nicht nur aufgenommen und geachtet, sondern auch gereinigt, erhoben und vervollkommnet wird. Nachdem Gott den Menschen als sein Bild und Gleichnis geschaffen hatte (vgl. Gen 1,26), bezeichnete er sein Geschöpf als «sehr gut» (Gen 1,31), um es dann im Sohn anzunehmen (vgl. Joh 1,14). Im Geheimnis der Menschwerdung bekräftigte der Sohn Gottes die Würde des Leibes und der Seele, die für den Menschen konstitutiv sind. Christus hat die menschliche Leiblichkeit nicht verschmäht, sondern ihre Bedeutung und ihren Wert voll enthüllt: «Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf».<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 22.</ref>

Weil der Sohn Gottes einer von uns geworden ist, können wir «Kinder Gottes» (Joh 1,12), «der göttlichen Natur teilhaftig» (2 Petr 1,4) werden. Diese neue Dimension steht nicht im Widerspruch zur Würde des Geschöpfes, die von allen Menschen mit der Vernunft erkannt werden kann. Sie erhebt diese Würde vielmehr in einen anderen Horizont des Lebens, das Gott eigen ist und es gestattet, noch angemessener über das menschliche Leben und die Akte nachzudenken, die es ins Dasein setzen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 37-38: AAS 87 (1995), 442-444.</ref>

Im Licht dieser Gegebenheiten des Glaubens zeigt sich noch deutlicher und stärker die Achtung gegenüber dem menschlichen Individuum, die von der Vernunft gefordert ist: Darum gibt es keinen Gegensatz zwischen der Würde und der Heiligkeit des menschlichen Lebens. «Die verschiedenen Weisen, wie Gott sich in der Geschichte der Welt und des Menschen annimmt, schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Sie stützen und durchdringen sich gegenseitig. Sie alle haben ihre Quelle und ihr Endziel in dem weisen und liebevollen ewigen Plan, mit dem Gott die Menschen im voraus dazu bestimmt, „an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben“ (Röm 8, 29)».<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendor, 45: AAS 85 (1993), 1169.</ref>

8. Ausgehend vom Ineinander dieser beiden Dimensionen, der menschlichen und der göttlichen, wird der Grund für den unantastbaren Wert des Menschen besser verständlich: Er besitzt eine ewige Bestimmung und ist berufen, die dreifaltige Liebe des lebendigen Gottes zu teilen.

Dieser Wert kommt allen ohne Unterschied zu. Aufgrund der bloßen Tatsache seiner Existenz ist jeder Mensch ganz zu achten. Man muss die Einführung von Kriterien der Diskriminierung bezüglich der Menschenwürde aufgrund der biologischen, psychischen, kulturellen oder gesundheitlichen Entwicklung ausschließen. Im Menschen, der nach dem Bild Gottes erschaffen ist, spiegelt sich in jeder Phase seines Daseins «das Antlitz des eingeborenen Sohnes Gottes... Diese unermessliche und fast unbegreifliche Liebe zum Menschen offenbart, bis zu welchem Grad die menschliche Person würdig ist, um ihrer selbst willen geliebt zu werden, unabhängig von jeder anderen Voraussetzung – Intelligenz, Schönheit, Gesundheit, Jugendlichkeit, Unversehrtheit und so weiter. Schließlich ist das menschliche Leben immer ein Gut, denn „es ist in der Welt Offenbarung Gottes, Zeichen seiner Gegenwart, Spur seiner Herrlichkeit“ (Evangelium vitae, 34)».<ref>Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben und des Internationalen Kongresses zum Thema „Der menschliche Embryo in der Phase vor der Implantation“ (27. Februar 2006): AAS 98 (2006), 264. </ref>

9. Diese beiden Dimensionen des Lebens, die natürliche und die übernatürliche, helfen auch besser verstehen, in welchem Sinn die Akte, die den Menschen ins Dasein setzen und durch die sich Mann und Frau einander gegenseitig schenken, ein Abglanz der dreifaltigen Liebe Gottes sind. «Gott, der Liebe und Leben ist, hat Mann und Frau die Berufung zu einer besonderen Teilhabe an seinem Geheimnis personaler Gemeinschaft wie auch an seinem Werk als Schöpfer und Vater eingeprägt».<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, Einführung, 3: AAS 80 (1988), 75.</ref>

Die christliche Ehe «wurzelt in der natürlichen Ergänzung von Mann und Frau und nährt sich durch den persönlichen Willen der Gatten, ihr ganzes Leben miteinander zu teilen, das, was sie haben, und das, was sie sind: Deshalb ist diese Gemeinschaft die Frucht und das Zeichen eines tief menschlichen Bedürfnisses. Aber in Christus, dem Herrn, nimmt Gott dieses menschliche Bedürfnis auf, bestätigt, läutert und erhebt es und führt es durch das Ehesakrament zur Vollendung: Der in der sakramentalen Feier geschenkte Heilige Geist eröffnet den christlichen Ehegatten die Gabe einer neuen Gemeinschaft der Liebe, die lebendiges und wirkliches Bild jener einzigartigen Einheit ist, welche die Kirche zum unteilbaren mystischen Leib des Herrn Jesus macht».<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 19: AAS  74 (1982), 101-102.</ref>

10. Wenn die Kirche über die ethische Wertigkeit einiger Ergebnisse der neueren Forschungen der Medizin bezüglich des Menschen und seines Ursprungs urteilt, greift sie nicht in den Bereich ein, welcher der medizinischen Wissenschaft als solcher eigen ist, sondern erinnert alle Betroffenen an die ethische und soziale Verantwortung ihres Handelns. Sie ruft ihnen ins Gedächtnis, dass der sittliche Wert der biomedizinischen Wissenschaft abhängt von der unbedingten Achtung, die jedem Menschen in allen Momenten seines Daseins geschuldet ist, sowie vom Schutz der spezifischen Eigenart der personalen Akte, die das Leben weitergeben. Die vorliegende Stellungnahme gehört zur Sendung des Lehramtes, die Bildung der Gewissen zu fördern: also die Wahrheit, die Christus ist, authentisch zu lehren und zugleich die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, mit Autorität zu erklären und zu bestätigen.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 14.</ref>

ZWEITER TEIL: NEUE PROBLEME BEZÜGLICH DER FORTPFLANZUNG

11. Im Licht der genannten Prinzipien sind nun einige Probleme bezüglich der Fortpflanzung zu untersuchen, die seit der Veröffentlichung der Instruktion Donum vitae entstanden und deutlicher zum Vorschein getreten sind.

Techniken zur Unterstützung der Fruchtbarkeit

12. Was die Behandlung der Unfruchtbarkeit anbelangt, müssen neue medizinische Verfahren drei grundlegende Güter achten: a) das Recht jedes Menschen auf Leben und physische Unversehrtheit von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod; b) die Einheit der Ehe, welche die gegenseitige Achtung des Rechtes der Eheleute einschließt, dass der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird;<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, II, A, 1: AAS 80 (1988), 87.</ref> c) die eigentlich menschlichen Werte der Geschlechtlichkeit, die «erfordern, dass die Zeugung einer menschlichen Person als Frucht des spezifisch ehelichen Aktes der Liebe zwischen den Eheleuten angestrebt werden muss».<ref>Ebd., II, B, 4: l.c., 92.</ref> Techniken, die sich als Hilfestellung für die Zeugung erweisen, «sind nicht deshalb abzulehnen, weil sie künstlich sind. Als solche zeigen sie die Möglichkeiten ärztlicher Kunst. Aber man muss sie aus moralischer Sicht bewerten, indem man sie auf die Würde der menschlichen Person bezieht, die gerufen ist, die göttliche Berufung zum Geschenk der Liebe und zum Geschenk des Lebens zu verwirklichen».<ref>Ebd., Einführung, 3: l.c., 75.</ref>

Im Licht dieses Kriteriums sind alle Techniken der heterologen künstlichen Befruchtung<ref>Unter heterologer künstlicher Befruchtung oder Zeugung versteht man «die Techniken, die darauf ausgerichtet sind, künstlich eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und zwar ausgehend von Keimzellen, die mindestens von einem Spender stammen, der von den in der Ehe verbundenen Gatten verschieden ist» (ebd., II: l.c., 86).  </ref> sowie die Techniken der homologen künstlichen Befruchtung<ref>Unter homologer künstlicher Befruchtung oder Zeugung versteht man «die Technik, die darauf ausgerichtet ist, eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und dabei von den Keimzellen zweier verheirateter Eheleute ausgeht» (ebd.).  </ref>, die den ehelichen Akt ersetzen, auszuschließen. Zulässig sind hingegen Techniken, die sich als Hilfe für den ehelichen Akt und für dessen Fruchtbarkeit erweisen. Die Instruktion Donum vitae äußert sich dazu folgendermaßen: «Der Arzt steht im Dienst der Personen und der menschlichen Fruchtbarkeit: Er hat keine Vollmacht, über sie zu verfügen oder über sie zu entscheiden. Der medizinische Eingriff achtet die Würde der Personen dann, wenn er darauf abzielt, den ehelichen Akt zu unterstützen, indem er seinen Vollzug erleichtert oder ihm sein Ziel zu erreichen hilft, sobald er in normaler Weise vollzogen worden ist».<ref>Ebd., II, B, 7: l.c., 96; vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte (29. September 1949): AAS 41 (1949), 560.</ref> Bezüglich der künstlichen homologen Besamung heißt es: «Die homologe künstliche Besamung innerhalb der Ehe kann nicht zugelassen werden, mit Ausnahme des Falls, in dem das technische Mittel nicht den ehelichen Akt ersetzen, sondern ihn erleichtern und ihm helfen würde, sein natürliches Ziel zu erreichen».<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, II, B, 6: l.c., 94.</ref>

13. Erlaubt sind gewiss die Eingriffe zur gezielten Entfernung von Hindernissen, die der natürlichen Fruchtbarkeit entgegenstehen, wie zum Beispiel die hormonale Behandlung der Unfruchtbarkeit gonadischen Ursprungs, die chirurgische Behandlung einer Endometriose, die Öffnung der Eileiter oder die mikrochirurgische Wiederherstellung der Eileiterdurchgängigkeit. Alle diese Techniken können als echte Therapien betrachtet werden. Ist nämlich das Problem, das die Unfruchtbarkeit verursacht hat, einmal gelöst, kann das Paar eheliche Akte vollziehen, die zu einer Zeugung führen, ohne dass der Arzt direkt in den ehelichen Akt eingreifen muss. Keine dieser Techniken ersetzt den ehelichen Akt, der allein einer wahrhaft verantwortungsvollen Zeugung würdig ist.

Um dem Kinderwunsch nicht weniger steriler Paare entgegenzukommen, wäre es auch wünschenswert, das Verfahren zur Adoption der zahlreichen Waisenkinder, die für ihre angemessene menschliche Entwicklung ein familiäres Zuhause brauchen, zu unterstützen, zu fördern und durch geeignete gesetzliche Maßnahmen zu erleichtern. Schließlich ist anzumerken, dass man die Forschungen und Investitionen ermutigen soll, die sich mit der Prävention der Sterilität beschäftigen.

In-vitro-Befruchtung und willentliche Beseitigung von Embryonen

14. Dass die In-vitro-Befruchtung sehr oft die willentliche Beseitigung von Embryonen mit sich bringt, wurde schon in der Instruktion Donum vitae festgehalten.<ref>Vgl. ebd., II: l.c., 86.</ref> Einige meinten damals, dass dies auf eine zum Teil noch unvollkommene Technik zurückzuführen sei. Die Erfahrung der nachfolgenden Jahre hat jedoch gezeigt, dass alle Techniken der In-vitro-Befruchtung faktisch so angewandt werden, als ob der menschliche Embryo bloß eine Anhäufung von Zellen wäre, die man gebraucht, selektiert und ausscheidet.

Es ist wahr, dass etwa ein Drittel der Frauen, die auf die künstliche Befruchtung zurückgreifen, zu einen Kind gelangen. Wenn man das Zahlenverhältnis zwischen den produzierten und den wirklich geborenen Embryonen in Betracht zieht, muss man allerdings betonen, dass die Zahl der geopferten Embryonen sehr hoch ist.<ref>Auch in den entwickelteren Zentren der künstlichen Befruchtung beträgt die Zahl der geopferten Embryonen gegenwärtig mehr als 80%.</ref> Diese Verluste werden von den Fachleuten der In-vitro-Befruchtungstechniken als Preis hingenommen, den man zahlen müsse, um zu positiven Ergebnissen zu kommen. In Wirklichkeit ist es sehr besorgniserregend, dass die Forschung auf diesem Gebiet vorwiegend darauf abzielt, bessere Ergebnisse hinsichtlich des prozentuellen Verhältnisses zwischen geborenen Kindern und behandelten Frauen zu erreichen, aber nicht wirklich ein Interesse am Lebensrecht jedes einzelnen Embryos zu haben scheint.

15. Oft wird eingewandt, dass diese Verluste von Embryonen in der Mehrzahl der Fälle nicht beabsichtigt seien oder sogar gegen den Willen der Eltern und der Ärzte erfolgten. Man behauptet, dass es sich um Risiken handle, die sich nicht sehr von jenen unterschieden, die mit dem natürlichen Zeugungsprozess verbunden sind, und dass jene, die das Leben ohne Eingehen eines Risikos weitergeben möchten, praktisch auf die Weitergabe des Lebens verzichten müssten. Es ist wahr, dass nicht alle Verluste von Embryonen im Bereich der In-vitro-Befruchtung dieselbe Beziehung zum Willen der Beteiligten haben. Aber es ist auch wahr, dass das Aufgeben, Zerstören und Beseitigen von Embryonen in vielen Fällen vorgesehen und gewollt ist.

Die Embryonen, die im Reagenzglas produziert wurden und Defekte aufweisen, werden direkt ausgeschieden. Immer häufiger sind Fälle, in denen nicht sterile Paare auf künstliche Befruchtungstechniken zurückgreifen und dabei bloß eine genetische Selektion ihrer Kinder anstreben. In vielen Ländern ist die Stimulation des weiblichen Zyklus schon allgemein üblich, um zu einer größeren Zahl von Eizellen zu gelangen, die befruchtet werden. Von den produzierten Embryonen wird eine bestimmte Zahl in den Mutterschoß übertragen, die anderen werden für eventuelle weitere Behandlungen eingefroren. Der Grund der Mehrlingsübertragung besteht darin, nach Möglichkeit die Implantation wenigstens eines Embryos sicherzustellen. Das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, besteht in der Verwendung einer gegenüber dem erwünschten Kind größeren Zahl von Embryonen, in der Voraussicht, dass einige davon verloren gehen und in jedem Fall eine Mehrlingsschwangerschaft vermieden wird. In diesem Sinn bringt die Technik der Mehrlingsübertragung faktisch eine bloß instrumentelle Behandlung der Embryonen mit sich. Es fällt auf, dass die allgemeine Ethik und die Gesundheitsbehörden in keinem anderen Bereich der Medizin eine Technik mit einer so hohen Rate an negativen, tödlichen Ausgängen zuließen. Die Techniken der In-vitro-Befruchtung werden faktisch angenommen, weil man voraussetzt, dass der Embryo keine volle Achtung verdient, wenn er mit einem zu erfüllenden Kinderwunsch in Konkurrenz gerät. Diese traurige, oft verschwiegene Tatsache ist ganz und gar verwerflich. Denn «die verschiedenen Techniken künstlicher Fortpflanzung, die sich scheinbar in den Dienst am Leben stellen und die auch nicht selten mit dieser Absicht gehandhabt werden, öffnen in Wirklichkeit neuen Anschlägen gegen das Leben Tür und Tor».<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 14: AAS 87 (1995), 416.</ref>

16. Gemäß der Kirche ist es darüber hinaus ethisch unannehmbar, die Fortpflanzung vom ganz personalen Kontext des ehelichen Aktes zu trennen:<ref>Vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des II. Weltkongresses in Neapel über die menschliche Fruchtbarkeit und Sterilität (19. Mai 1956): AAS 48 (1956), 470; Paul VI., Enzyklika Humanae vitae, 12: AAS 60 (1968), 488-489; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, II, B, 4-5: AAS 80 (1988), 90-94.</ref> Die menschliche Fortpflanzung ist ein personaler Akt des Paares von Mann und Frau, der in keiner Weise delegiert oder ersetzt werden kann. Dass man bei den Techniken der In-vitro-Befruchtung die hohe Rate an tödlichen Ausgängen stillschweigend hinnimmt, zeigt in beredter Weise, dass der Ersatz des ehelichen Aktes durch eine technische Prozedur nicht nur unvereinbar ist mit der geschuldeten Achtung vor der Fortpflanzung, die nicht auf die bloß reproduktive Dimension eingeschränkt werden kann, sondern auch dazu beiträgt, das Bewusstsein der gebührenden Achtung vor jedem Menschen zu schwächen. Die Anerkennung dieser Achtung wird hingegen gefördert durch die Intimität der Verheirateten, die von ehelicher Liebe beseelt ist. Die Kirche hält den Wunsch nach einem Kind für berechtigt, und sie versteht die Leiden der Ehepaare, die mit Problemen der Unfruchtbarkeit konfrontiert sind. Dieser Wunsch kann jedoch nicht höher stehen als die Würde jedes menschlichen Lebens – bis zu dem Punkt, die Herrschaft darüber zu übernehmen. Der Wunsch nach einem Kind kann nicht seine „Produktion“ rechtfertigen, so wie der Wunsch, ein schon empfangenes Kind nicht zu haben, nicht dessen Aufgabe oder Vernichtung rechtfertigen kann.

In Wirklichkeit hat man den Eindruck, dass einige Wissenschaftler ohne jeglichen sittlichen Anhaltspunkt und im Bewusstsein der Möglichkeiten des technologischen Fortschrittes der Logik der bloß subjektiven Wünsche<ref>Auch immer mehr Personen, die nicht durch das eheliche Band vereint sind, greifen auf die Techniken der künstlichen Befruchtung zurück, um zu einem Kind zu gelangen. Dies schwächt die Institution der Ehe und lässt Kinder in einem Umfeld geboren werden, das ihrer vollen menschlichen Entwicklung nicht förderlich ist.</ref> und dem ökonomischen Druck nachgeben, der auf diesem Gebiet sehr groß ist. In Anbetracht der Instrumentalisierung des Menschen im Embryonalstadium muss man wiederholen: «Die Liebe Gottes macht keinen Unterschied zwischen dem neu empfangenen Kind, das sich noch im Leib seiner Mutter befindet, und dem Kleinkind oder dem Jugendlichen oder dem Erwachsenen oder dem alten Menschen. Sie macht keinen Unterschied, weil sie in jedem von ihnen die Spur seines Bildes und der Ähnlichkeit mit ihm sieht... Deshalb hat das Lehramt der Kirche ständig den heiligen und unantastbaren Charakter jedes Menschenlebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende verkündet».<ref>Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben und des Internationalen Kongresses zum Thema „Der menschliche Embryo in der Phase vor der Implantation“ (27. Februar 2006): AAS 98 (2006), 264.</ref>

Die Intracytoplasmatische Sameninjektion (ICSI)

17. Unter den Techniken der künstlichen Befruchtung hat die Intracytoplasmatische Sameninjektion<ref>Die Intracytoplasmatische Sameninjektion (ICSI) gleicht fast in allem den anderen Formen der In-vitro-Befruchtung. Sie unterscheidet sich von diesen Formen nur dadurch, dass die Befruchtung nicht spontan im Reagenzglanz geschieht, sondern durch Injektion einer einzelnen vorher selektierten Samenzelle – oder manchmal durch die Injektion von unreifen Elementen der männlichen Keimbahn – in das Zellplasma der Eizelle. </ref> zunehmend besondere Bedeutung erhalten. Die ICSI ist die am weitaus häufigsten angewandte Technik geworden, weil sie wirksamer ist und verschiedene Formen männlicher Sterilität überwinden kann.<ref> In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Fachleute über einige Risiken diskutieren, welche die ICSI für die Gesundheit des empfangenen Kindes mit sich bringen kann.</ref>

Die ICSI stellt eine Variante der In-vitro-Befruchtung dar und ist wie diese eine in sich unerlaubte Technik: Sie bewirkt eine vollständige Trennung der Fortpflanzung vom ehelichen Akt. Auch die ICSI wird nämlich «außerhalb des Leibes der Eheleute durch Handlungen dritter Personen durchgeführt, deren Kompetenz und technische Leistung den Erfolg des Eingriffs bestimmen; sie vertraut das Leben und die Identität des Embryos der Macht der Mediziner und Biologen an und errichtet eine Herrschaft der Technik über Ursprung und Bestimmung der menschlichen Person. Eine derartige Herrschaftsbeziehung widerspricht in sich der Würde und der Gleichheit, die Eltern und Kindern gemeinsam ist. Die Empfängnis in vitro ist Ergebnis einer technischen Handlung, welche die Befruchtung vornehmlich bestimmt; sie ist nicht Ausdruck und Frucht eines spezifischen Aktes ehelicher Vereinigung».<ref>Kongregation für die GlaubenslehreInstruktion Donum vitae, II, B, 5: AAS 80 (1988), 93.</ref>

Das Einfrieren von Embryonen

18. Eine der Methoden zur Steigerung der Erfolgsrate der In-vitro-Befruchtungstechniken besteht darin, die Zahl der aufeinanderfolgenden Behandlungen zu vermehren. Um die Eingriffe zur Entnahme von Eizellen nicht zu wiederholen, werden der Frau bei einem einzigen Eingriff mehrere Eizellen entnommen. Hierauf wird ein beträchtlicher Teil der in vitro erzeugten Embryonen eingefroren:<ref>Beim Einfrieren, auch Kryokonservierung genannt, werden die Embryonen auf sehr niedrige Temperaturen abgekühlt, um sie lange erhalten zu können.</ref> entweder für einen zweiten Behandlungszyklus, wenn der erste erfolglos bleibt, oder für den Fall eines weiteren Kinderwunsches der Eltern. Auch die Embryonen, die für die erste Übertragung bestimmt sind, werden manchmal eingefroren, weil die hormonale Stimulation im weiblichen Zyklus Wirkungen hervorruft, die es ratsam machen, vor der Übertragung der Embryonen in den Mutterschoß die Normalisierung des physiologischen Zustandes abzuwarten.

Die Kryokonservierung ist unvereinbar mit der Achtung, die den menschlichen Embryonen geschuldet ist: Sie setzt ihre Produktion in vitro voraus und ist mit schwerwiegenden Gefahren des Todes oder der Schädigung ihrer physischen Unversehrtheit verbunden, weil ein hoher Prozentsatz die Prozedur des Einfrierens und Auftauens nicht überlebt. Sie entzieht die Embryonen wenigstens zeitweise der mütterlichen Aufnahme und Austragung und setzt sie der Gefahr weiterer Verletzungen und Manipulationen aus.<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, I, 6: AAS 80 (1988), 84-85.</ref>

Zum größeren Teil bleiben die nicht gebrauchten Embryonen „Waisen“. Ihre Eltern wollen sie nicht, und manchmal verliert man ihre Spur. Dies erklärt, weshalb es in fast allen Ländern, in denen die In-vitro-Befruchtung durchgeführt wird, Banken mit Abertausenden von eingefrorenen Embryonen gibt.

19. Im Zusammenhang mit der großen Anzahl von schon bestehenden eingefrorenen Embryonen stellt sich die Frage: Was soll man mit ihnen machen? Einige stellen sich diese Frage, ohne ihren ethischen Charakter zu erfassen; sie werden nur von der gesetzlich auferlegten Notwendigkeit getrieben, nach einer bestimmten Zeit die Kryobanken zu leeren, um sie dann von neuem auffüllen zu lassen. Andere hingegen sind sich bewusst, dass eine schwere Ungerechtigkeit begangen worden ist, und fragen sich, wie man der Pflicht zur Wiedergutmachung nachkommen kann.

Klar unannehmbar sind die Vorschläge, diese Embryonen für die Forschung zu verwenden oder für therapeutische Zwecke einzusetzen; ein solches Vorgehen behandelt die Embryonen wie bloßes „biologisches Material“ und führt zu ihrer Vernichtung. Unzulässig ist auch der Vorschlag, diese Embryonen aufzutauen und, ohne sie zu aktivieren, für die Forschung zu verwenden, als ob es sich um gewöhnliche Leichen handelte.<ref> Vgl. die Nummern 34-35 dieser Instruktion.</ref> 

Auch der Vorschlag, sie unfruchtbaren Paaren als „Therapie der Unfruchtbarkeit“ zur Verfügung zu stellen, ist ethisch nicht akzeptabel, und zwar aus denselben Gründen, welche die heterologe künstliche Befruchtung sowie jede Form der Leihmutterschaft unerlaubt machen.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, II, A, 1-3: AAS 80 (1988), 87-89.</ref> Diese Praxis würde zudem diverse andere Probleme medizinischer, psychologischer und rechtlicher Art mit sich bringen.

Erwogen wurde außerdem der Vorschlag einer Art „pränatalen Adoption“ mit dem ausschließlichen Ziel, Menschen eine Gelegenheit zur Geburt zu bieten, die ansonsten zur Vernichtung verurteilt sind. Dieser Vorschlag ist lobenswert in seiner Absicht, menschliches Leben zu achten und zu schützen, enthält jedoch verschiedene Probleme, die den oben aufgezählten nicht unähnlich sind.

Alles in allem muss man festhalten, dass die Embryonen, die zu Tausenden verlassen worden sind, eine faktisch irreparable Situation der Ungerechtigkeit schaffen. Deshalb richtete Johannes Paul II. einen «Appell an das Gewissen der Verantwortlichen in der Welt der Wissenschaft und in besonderer Weise an die Ärzte, dass die Produktion menschlicher Embryonen eingestellt werde, denn man sieht keinen moralisch erlaubten Ausweg für das menschliche Los tausender und tausender „eingefrorener“ Embryonen, die doch immer Träger der Grundrechte sind und bleiben und deshalb rechtlich wie menschliche Personen zu schützen sind».<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Symposiums „Evangelium vitae und Recht“ und des XI. internationalen romanistischen Kanonistenkolloquiums (24. Mai 1996), 6: AAS 88 (1996), 943-944.</ref>

Das Einfrieren von Eizellen

20. Um die schweren ethischen Probleme im Zusammenhang mit der Kryokonservierung von Embryonen zu vermeiden, ist im Kontext der In-vitro-Befruchtungstechniken das Einfrieren von Eizellen vorgeschlagen worden. <ref>Man hat die Kryokonservierung von Eizellen auch in anderen Zusammenhängen vorgeschlagen, die hier nicht in Betracht gezogen werden. Mit Eizelle ist hier die weibliche Keimzelle gemeint, die noch nicht von der Samenzelle durchdrungen ist. </ref> Nach der Entnahme einer angemessenen Anzahl von Eizellen werden nur jene befruchtet, die in die Mutter übertragen werden. Die anderen Eizellen werden eingefroren, um später – im Fall des Misslingens des ersten Versuchs – möglicherweise befruchtet und übertragen zu werden.

Diesbezüglich ist klarzustellen, dass die Kryokonservierung von Eizellen im Zusammenhang mit dem Prozess der künstlichen Befruchtung als moralisch unannehmbar betrachtet werden muss.

Die Embryonenreduktion

21. Einige Techniken, die bei der künstlichen Befruchtung gebraucht werden, vor allem die Übertragung von mehreren Embryonen in den Mutterschoß, haben zu einer beträchtlichen Erhöhung des Prozentsatzes der Mehrlingsschwangerschaften geführt. Deshalb ist der Gedanke aufgekommen, eine sogenannte Embryonenreduktion vorzunehmen. Sie besteht in einem Eingriff, durch den die Zahl der Embryonen oder Föten im Mutterleib durch ihre direkte Beseitigung vermindert wird. Die Entscheidung, vorher sehr ersehnte Menschen zu vernichten, ist ein Paradox und führt oft zu Schmerz und Schuldgefühlen, die Jahre anhalten können. 

In ethischer Hinsicht ist die Embryonenreduktion eine vorsätzliche selektive Abtreibung. Es handelt sich dabei nämlich um die absichtliche und direkte Beseitigung von einem oder mehreren unschuldigen Menschen in der Anfangsphase ihres Daseins. Als solche ist sie immer ein schweres sittliches Vergehen.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 51; Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 62: AAS 87 (1995), 472.</ref>

Die Argumentationen, die zur ethischen Rechtfertigung der Embryonenreduktion angeführt werden, stützen sich oft auf Analogien mit Naturkatastrophen oder Notsituationen, in denen – trotz des guten Willens eines jeden – nicht alle betroffenen Personen gerettet werden können. Diese Analogien können aber in keiner Weise eine direkt abtreibende Praxis sittlich rechtfertigen. Andere Male beruft man sich auf moralische Prinzipien, etwa vom kleineren Übel oder von der doppelten Wirkung, die jedoch hier nicht anwendbar sind. Es ist nämlich niemals gestattet, eine in sich unerlaubte Handlung durchzuführen, auch nicht um eines guten Zweckes willen: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. 

Die Präimplantationsdiagnostik

22. Die Präimplantationsdiagnostik ist eine Form der pränatalen Diagnostik, die mit den Techniken der künstlichen Befruchtung verbunden ist und eine genetische Untersuchung der in vitro erzeugten Embryonen vor ihrer Übertragung in den Mutterschoß vorsieht. Sie wird zu dem Zweck durchgeführt, dass man die Sicherheit hat, der Mutter nur Embryonen zu übertragen, die keine Defekte haben oder mit einem bestimmten Geschlecht oder besonderen Merkmalen ausgestattet sind.

Im Unterschied zu anderen Formen der pränatalen Diagnostik, wo die diagnostische Phase deutlich von der Phase der eventuellen Beseitigung des kranken Kindes unterschieden ist und die Paare frei bleiben, es anzunehmen, folgt auf die Präimplantationsdiagnostik gewöhnlich die Vernichtung des Embryos, der „verdächtigt“ wird, Gen- oder Chromosomendefekte aufzuweisen oder Träger eines nicht gewollten Geschlechtes oder nicht erwünschter Merkmale zu sein. Deshalb ist die Präimplantationsdiagnostik – die immer mit der schon in sich unerlaubten künstlichen Befruchtung verbunden ist – faktisch auf eine qualitative Selektion mit der damit zusammenhängenden Beseitigung von Embryonen ausgerichtet, die eine frühabtreibende Praxis darstellt. Die Präimplantationsdiagnostik ist also Ausdruck jener eugenischen Mentalität, welche «die selektive Abtreibung in Kauf nimmt, um die Geburt von Kindern zu verhindern, die von Missbildungen und Krankheiten verschiedener Art betroffen sind. Eine solche Denkart ist niederträchtig und höchst verwerflich, weil sie sich anmaßt, den Wert eines menschlichen Lebens einzig und allein nach Maßstäben wie Normalität und physisches Wohlbefinden zu beurteilen, und auf diese Weise auch der Legitimation der Kindestötung und der Euthanasie den Weg bahnt».<ref>Johannes Paul II.Enzyklika Evangelium vitae, n. 63: AAS 87 (1995), 473.</ref>

Wenn man den menschlichen Embryo als bloßes „Labormaterial“ behandelt, kommt es zu einer Veränderung und Diskriminierung auch bezüglich des Begriffs der Menschenwürde. Die Würde kommt jedem einzelnen Menschen in gleicher Weise zu. Sie hängt nicht vom Plan der Eltern, vom gesellschaftlichen Stand, von der Bildung oder vom physischen Entwicklungsstand ab. Wenn zu anderen Zeiten trotz der allgemeinen Anerkennung der Erfordernisse der Menschenwürde eine Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Religion oder des gesellschaftlichen Standes geübt wurde, so gibt es heute eine nicht weniger schwerwiegende und ungerechte Diskriminierung, die dazu führt, dass man den ethischen und rechtlichen Status von Menschen, die mit schweren Pathologien oder Behinderungen behaftet sind, nicht anerkennt. So vergisst man, dass kranke und behinderte Personen nicht eine Art Sonderkategorie bilden, weil Krankheit und Behinderung zum Menschsein gehören und alle persönlich angehen, auch wenn man nicht direkt davon betroffen ist. Eine solche Diskriminierung ist unsittlich und müsste deshalb als rechtlich unannehmbar betrachtet werden, so wie es geboten ist, die kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Hindernisse auszuräumen, welche die volle Anerkennung und den Schutz der behinderten und kranken Personen untergraben.

Neue Formen der Interzeption und der Kontragestion

23. Neben den empfängnisverhütenden Mitteln im eigentlichen Sinn, welche die Empfängnis im Anschluss an einen Geschlechtsakt verhindern, gibt es andere technische Mittel, die nach einer Befruchtung vor oder nach der Einnistung des schon gebildeten Embryos in der Gebärmutter wirken. Diese Techniken sind interzeptiv, wenn sie die Einnistung des Embryos in der Gebärmutter verhindern. Sie sind kontragestiv, wenn sie die Vernichtung des schon eingenisteten Embryos zur Folge haben. 

Um die Verbreitung der Interzeptiva zu fördern,<ref>Die bekanntesten interzeptiven Mittel sind die Spirale (Intrauterinpessar) sowie die so genannte „Pille danach“. </ref> wird manchmal behauptet, dass ihre Wirkweise nicht genügend bekannt sei. Wahr ist, dass die Wirkweise der verschiedenen angewandten Mittel nicht immer zur Gänze bekannt ist. Experimentelle Studien zeigen aber, dass die nidationshemmende Wirkung gewiss vorhanden ist. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Interzeptiva immer, wenn sie eingenommen werden, eine Abtreibung bewirken, auch weil es nicht nach jedem Geschlechtsverkehr zu einer Befruchtung kommt. Man muss jedoch anmerken, dass bei denen, welche die Einnistung eines möglicherweise empfangenen Embryos verhindern wollen und deshalb solche Mittel wünschen oder verschreiben, im Allgemeinen die Vorsätzlichkeit zur Abtreibung vorhanden ist.

Wenn das Ausbleiben der Menstruation festgestellt wird, greift man gelegentlich auf die Kontragestion zurück,<ref>Die hauptsächlichen Mittel der Kontragestion sind Mifepriston (Pille RU 486), Prostaglandine und Methotrexat.</ref> die gewöhnlich in der ersten oder zweiten Woche nach Feststellung des Ausbleibens der Menstruation angewandt wird. Das erklärte Ziel besteht darin, die Menstruation wieder erscheinen zu lassen, aber in Wirklichkeit handelt es sich um die Abtreibung eines bereits eingenisteten Embryos.

Bekanntlich ist die Abtreibung «die beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz».<ref>Johannes Paul II.Enzyklika Evangelium vitae, 58: AAS 87 (1995), 467.</ref> Deshalb zählt die Anwendung der interzeptiven und der kontragestiven Mittel zur Sünde der Abtreibung und ist in schwerwiegender Weise unsittlich. Wenn man zur Gewissheit kommt, eine Abtreibung vorgenommen zu haben, bringt dies nach kanonischem Recht darüber hinaus einige schwere strafrechtliche Auswirkungen mit sich.<ref>Vgl. can. 1398 CIC und can. 1450 § 2 CCEO; vgl. auch can. 1323-1324 CIC. Die Päpstliche Kommission für die authentische Interpretation des CIC hat erklärt, dass mit dem strafrechtlichen Begriff der Abtreibung «die Tötung des Fötus auf jede Weise und in jedem Stadium vom Zeitpunkt der Empfängnis an» gemeint ist (Antworten auf Zweifel, 23. Mai 1988: AAS 80 (1988), 1818).  </ref>

DRITTER TEIL: NEUE THERAPIEN, DIE EINE MANIPULATION DES EMBRYOS ODER DES MENSCHLICHEN ERBGUTES MIT SICH BRINGEN

24. Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse haben neue Perspektiven für die regenerative Medizin und für die Therapie von Krankheiten auf genetischer Basis eröffnet. Vor allem die Erforschung der embryonalen Stammzellen und ihrer möglichen therapeutischen Anwendungen in der Zukunft hat großes Interesse geweckt, aber bis heute im Unterschied zur Forschung mit adulten Stammzellen zu keinen wirklichen Ergebnissen geführt. Weil manche der Auffassung waren, dass die eventuell durch embryonale Stammzellen erreichbaren therapeutischen Ziele verschiedene Formen der Manipulation und der Vernichtung von menschlichen Embryonen rechtfertigen könnten, haben sich im Bereich der Gentherapie, des Klonens und der Verwendung von Stammzellen einige Fragen ergeben, die einer sorgfältigen sittlichen Unterscheidung bedürfen.

Die Gentherapie

25. Mit dem Ausdruck Gentherapie meint man gewöhnlich die Anwendung genetischer Techniken auf den Menschen mit einer therapeutischen Zielsetzung, das heißt zum Zweck der Heilung von Krankheiten auf genetischer Basis. Seit kurzem wird auch versucht, die Gentherapie auf die Behandlung nicht erblicher Krankheiten, vor allem auf die Krebsbehandlung, anzuwenden.

Theoretisch kann die Gentherapie auf zwei Ebenen angewandt werden: an den somatischen Zellen sowie an den Keimzellen. Die somatische Gentherapie zielt darauf ab, genetische Defekte auf der Ebene der Körperzellen zu beheben oder zu vermindern, also auf der Ebene der nicht reproduktiven Zellen, aus denen die Gewebe und Organe des Körpers zusammengesetzt sind. In diesem Fall handelt es sich um gezielte Eingriffe in bestimmte Zellbezirke mit Auswirkungen, die auf das einzelne Individuum begrenzt sind. Die Keimbahntherapie hingegen möchte genetische Defekte beheben, die in den Zellen der Keimbahn vorhanden sind, und so bewirken, dass die erreichten therapeutischen Erfolge auf die eventuelle Nachkommenschaft des betreffenden Menschen übertragen werden. Eingriffe der somatischen Gentherapie sowie der Keimbahntherapie können vor der Geburt am Fötus vorgenommen werden, dann spricht man von Gentherapie im Mutterschoß, oder nach der Geburt am Kind oder am Erwachsenen.

26. Bezüglich der moralischen Bewertung muss man folgende Unterscheidungen berücksichtigen. Eingriffe in Körperzellen mit streng therapeutischer Zielsetzung sind prinzipiell sittlich erlaubt. Derartige Eingriffe wollen die normale genetische Beschaffenheit des betreffenden Menschen wiederherstellen oder Schäden entgegenwirken, die von genetischen Anomalien oder anderen damit verbundenen Pathologien herrühren. Weil die Gentherapie ernsthafte Risiken für den Patienten mit sich bringen kann, muss der allgemeine ethische Grundsatz befolgt werden, gemäß dem es notwendig ist, vor der Durchführung eines therapeutischen Eingriffs sicherzustellen, dass der behandelte Mensch nicht Risiken für seine Gesundheit oder seine grundlegende Unversehrtheit ausgesetzt ist, die exzessiv oder unverhältnismäßig sind im Vergleich zur Schwere der Pathologie, die geheilt werden soll. Auch die nach Aufklärung erfolgte Zustimmung des Patienten oder seines rechtmäßigen Vertreters ist erforderlich.

Anders ist die moralische Bewertung der Keimbahntherapie. Jede genetische Veränderung an den Keimzellen des betreffenden Menschen würde auf dessen eventuelle Nachkommenschaft übertragen. Weil die mit jeder Genmanipulation verbundenen Risiken beträchtlich und noch wenig kontrollierbar sind, ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sittlich nicht erlaubt, etwas zu tun, das mögliche davon herrührende Schäden auf die Nachkommen überträgt. In der Hypothese, die Gentherapie auf den Embryo anzuwenden, wäre außerdem hinzuzufügen, dass dies im technischen Kontext einer In-vitro-Befruchtung erfolgen müsste und man dann allen ethischen Einwänden gegen dieses Verfahren begegnen würde. Aus diesen Gründen muss man festhalten, dass die Keimbahntherapie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in allen ihren Formen sittlich nicht erlaubt ist.

27. Eine eigene Behandlung verdient die Hypothese, die Gentechnik für nicht therapeutische Zielsetzungen anzuwenden. Einige halten es für möglich, mit Hilfe genetischer Techniken Manipulationen vorzunehmen, die zu einer vermeintlichen Verbesserung oder Potenzierung der genetischen Ausstattung führen könnten. In manchen dieser Vorhaben zeigt sich eine Art Unzufriedenheit oder gar Ablehnung des Wertes, den der Mensch als Geschöpf und begrenzte Person hat. Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung und allen realen und möglicherweise damit verbundenen Risiken würde vor allem deutlich, dass solche Manipulationen eine eugenische Mentalität fördern, ein indirektes soziales Stigma gegenüber jenen einführen, die keine besonderen Gaben besitzen, und zugleich Begabungen in den Mittelpunkt stellen, die von bestimmten Kulturen und Gesellschaften geschätzt werden, aber an sich nicht das spezifisch Menschliche ausmachen. Dies widerspräche der grundlegenden Wahrheit der Gleichheit aller Menschen, aus der sich der Grundsatz der Gerechtigkeit ergibt. Die Missachtung dieses Grundsatzes würde auf lange Sicht gesehen das friedliche Zusammenleben unter den Menschen gefährden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer bestimmen könnte, welche Veränderungen positiv und welche negativ wären oder welche Grenzen man bei den einzelnen Wünschen nach angeblicher Verbesserung ziehen müsste, weil es konkret nicht möglich wäre, die Wünsche jedes einzelnen Menschen zu berücksichtigen. Jedwede Antwort auf diese Fragen würde von willkürlichen und diskutablen Kriterien abhängen. All das führt zu dem Schluss, dass eine solche Handlungsperspektive früher oder später dem Gemeinwohl schaden und zur Herrschaft des Willens einiger über die Freiheit anderer führen würde. Man muss schließlich festhalten, dass der Versuch, einen neuen Menschentyp zu schaffen, eine ideologische Dimension aufweist, gemäß der sich der Mensch anmaßt, den Platz des Schöpfers einzunehmen.

Wenn die Kirche diese Art von Eingriffen, die eine ungerechte Herrschaft des Menschen über den Menschen einschließen, ethisch negativ bewertet, will sie auch an die Notwendigkeit erinnern, zu einer Perspektive der Sorge um die Personen und der Erziehung zur Annahme des menschlichen Lebens in seiner konkreten geschichtlichen Begrenztheit zurückzukehren.

Das menschliche Klonen

28. Mit dem menschlichen Klonen ist die asexuelle und agamische Reproduktion des gesamten menschlichen Organismus gemeint, um eine oder mehrere „Kopien“ zu produzieren, die mit dem einzigen Stammelternteil genetisch im Wesentlichen identisch sind.<ref>Beim gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse werden zwei Techniken zur Durchführung des menschlichen Klonens vorgeschlagen: die Zwillingsspaltung und die Kernübertragung. Die Zwillingsspaltung besteht in der künstlichen Abspaltung einiger Zellen oder Zellgruppen vom Embryo in den ersten Phasen der Entwicklung und in der anschließenden Übertragung dieser Zellen in den Mutterschoß, um auf künstliche Weise identische Embryonen zu erlangen. Die Kernübertragung oder das Klonen im eigentlichen Sinn besteht darin, dass ein Kern, der einer embryonalen oder somatischen Zelle entnommen worden ist, in eine zuvor entkernte Eizelle eingeführt und hierauf aktiviert wird, so dass sich diese als Embryo entwickeln müsste.</ref>

Das Klonen wird mit zwei grundlegenden Zielsetzungen verbunden: als reproduktives Klonen, um die Geburt eines geklonten Kindes zu erlangen, sowie als therapeutisches Klonen, also zum Zweck des Forschung. Mit dem reproduktiven Klonen könnte man theoretisch einigen besonderen Ansprüchen nachkommen: etwa der Kontrolle über die menschliche Evolution; der Selektion von Menschen mit höheren Qualitäten; der vorhergehenden Selektion des Geschlechts; der Produktion eines Kindes, das die „Kopie“ eines anderen wäre; der Produktion eines Kindes für ein Paar, das an nicht behandelbaren Formen der Sterilität leidet. Das therapeutische Klonen wird hingegen als Mittel zur Herstellung von embryonalen Stammzellen erwogen, deren genetisches Erbgut vorausbestimmt ist, so dass das Problem der Abstoßung (Immuninkompatibilität) überwunden werden könnte; diese Form des Klonens ist also mit der Stammzellenthematik verbunden. Die Klonversuche haben in der ganzen Welt große Besorgnis geweckt. Verschiedene Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene haben negative Urteile über das menschliche Klonen abgegeben, und in den allermeisten Ländern wurde es verboten. Das menschliche Klonen, das die sittliche Verwerflichkeit der künstlichen Befruchtungstechniken auf extreme Weise deutlich macht, ist in sich unerlaubt, weil es einen neuen Menschen ohne Verbindung mit dem Akt der gegenseitigen Hingabe von zwei Ehegatten und, noch radikaler, ohne irgendeine Beziehung zur Geschlechtlichkeit ins Leben rufen will. Ein solches Vorgehen öffnet die Tür für Missbräuche und Manipulationen, die schwer gegen die Menschenwürde verstoßen.<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, I, 6: AAS 80 (1988), 84; Johannes Paul II., Ansprache beim Neujahrsempfang für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Korps (10. Januar 2005), 5: AAS 97 (2005), 153. </ref>

29. Beim Klonen mit einer reproduktiven Zielsetzung würde dem geklonten Menschen ein vorausbestimmtes genetisches Erbgut auferlegt; wie man gesagt hat, wäre er faktisch einer Art biologischer Sklaverei unterworfen, aus der er sich nur schwer befreien könnte. Dass eine Person sich das Recht anmaßt, willkürlich die genetischen Merkmale einer anderen Person zu bestimmen, ist ein schwerer Verstoß gegen dessen Würde und gegen die grundlegende Gleichheit aller Menschen.

Aus der besonderen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen vom ersten Augenblick des Daseins an ergibt sich die Originalität jeder Person, die verlangt, deren Einzigartigkeit und Unversehrtheit auch biologischer und genetischer Art zu achten. Jeder von uns begegnet im anderen einem Menschen, der das eigene Dasein und die eigenen Merkmale der Liebe Gottes verdankt. Nur die Liebe zwischen den Ehegatten ist eine Vermittlung dieser Liebe, die dem Plan des Schöpfers und himmlischen Vaters entspricht.

30. Noch schwerwiegender ist in ethischer Hinsicht das sogenannte therapeutische Klonen. Die Herstellung von Embryonen mit der Absicht, sie zu zerstören, auch wenn man dadurch Kranken helfen möchte, ist mit der Menschenwürde vollkommen unvereinbar, weil so ein Mensch im Embryonalzustand zu einem bloßen Mittel wird, das man gebraucht und vernichtet. Es ist in schwerwiegender Weise unmoralisch, ein menschliches Leben für eine therapeutische Zielsetzung zu opfern.

Die ethischen Einwände, die von mehreren Seiten gegen das therapeutische Klonen und gegen die Verwendung von im Reagenzglas erzeugten menschlichen Embryonen erhoben worden sind, haben einige Wissenschafter bewogen, neue Techniken zu entwickeln, von denen behauptet wird, dass man damit Stammzellen embryonaler Art herstellen könnte, ohne echte menschliche Embryonen zu vernichten.<ref>Neue Techniken dieser Art sind zum Beispiel die Anwendung der Parthenogenese auf den Menschen, die Übertragung eines alterierten Zellkerns (Altered Nuclear Transfer: ANT) und die assistierte Reprogrammierung einer Eizelle (Oocyte Assisted Reprogramming: OAR).</ref> Diese Techniken haben nicht wenige wissenschaftliche und ethische Fragen aufgeworfen, vor allem in Bezug auf den ontologischen Status des so erzeugten „Produktes“. Solange diese Zweifel nicht geklärt sind, muss man beachten, was die Enzyklika Evangelium vitae bekräftigt hat: «Der Einsatz, der auf dem Spiel steht, ist so groß, dass unter dem Gesichtspunkt der moralischen Verpflichtung schon die bloße Wahrscheinlichkeit, eine menschliche Person vor sich zu haben, genügen würde, um das strikteste Verbot jedes Eingriffs zu rechtfertigen, der zur Tötung des menschlichen Embryos vorgenommen wird».<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 60: AAS 87 (1995), 469.</ref>

Die therapeutische Verwendung der Stammzellen

31. Stammzellen sind undifferenzierte Zellen, die zwei grundlegende Merkmale aufweisen: a) die Fähigkeit, sich lange zu vermehren, ohne sich zu differenzieren; b) die Fähigkeit, Vorläuferzellen hervorzubringen, aus denen sich hoch differenzierte Zellen, wie etwa Nerven-, Muskel- oder Blutzellen, entwickeln.

Seit man experimentell festgestellt hat, dass Stammzellen, die in ein beschädigtes Gewebe eingefügt werden, die Zellwiederbevölkerung und die Regeneration dieses Gewebes begünstigen, haben sich für die regenerative Medizin neue Perspektiven eröffnet, die unter den Forschern in aller Welt großes Interesse geweckt haben.

Im Menschen sind bisher folgende Quellen für Stammzellen entdeckt worden: der Embryo in den ersten Stadien seiner Entwicklung, der Fötus, das Nabelschnurblut, verschiedene Gewebe des Erwachsenen (Knochenmark, Nabelschnur, Gehirn, embryonales Bindegewebe verschiedener Organe, usw.) und das Fruchtwasser. Anfangs konzentrierten sich die Studien auf die embryonalen Stammzellen, weil man meinte, dass nur diese eine große Fähigkeit zur Vermehrung und zur Differenzierung besäßen. Zahlreiche Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die adulten Stammzellen ebenfalls vielfältige Möglichkeiten bieten. Auch wenn es scheint, dass diese Zellen nicht dieselbe Erneuerungsfähigkeit und Plastizität wie die Stammzellen embryonalen Ursprungs haben, bescheinigen Studien und Experimente von hohem wissenschaftlichem Niveau diesen Zellen positivere Ergebnisse als den embryonalen Stammzellen. Die gegenwärtig angewandten therapeutischen Protokolle sehen die Verwendung von adulten Stammzellen vor. In diesem Bereich gibt es bereits viele Forschungslinien, die neue und vielversprechende Horizonte eröffnen.

32. Für die ethische Bewertung muss man die Methoden der Entnahme der Stammzellen sowie die Risiken ihrer klinischen und experimentellen Verwendung in Betracht ziehen. Was die Methoden für die Gewinnung der Stammzellen betrifft, ist auf ihren Ursprung zu achten. Als erlaubt sind die Methoden anzusehen, die dem Menschen, dem die Stammzellen entnommen werden, keinen schweren Schaden zufügen. Dies ist gewöhnlich der Fall bei der Entnahme: a) aus Geweben des erwachsenen Organismus; b) aus dem Nabelschnurblut bei der Geburt; c) aus Geweben von Föten, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Die Entnahme von Stammzellen aus dem lebendigen menschlichen Embryo führt hingegen unvermeidlich zu seiner Vernichtung und ist deshalb in schwerwiegender Weise unerlaubt. In diesem Fall «stellt sich die Forschung, abgesehen von den therapeutisch nützlichen Ergebnissen, nicht wirklich in den Dienst der Menschheit. Sie beschreitet nämlich einen Weg über die Vernichtung menschlicher Lebewesen, die dieselbe Würde besitzen wie die anderen Menschen und die Forscher selbst. Die Geschichte hat in der Vergangenheit eine derartige Wissenschaft verurteilt, und sie wird sie auch in Zukunft verurteilen – nicht nur, weil sie des Lichtes Gottes entbehrt, sondern auch, weil sie der Menschlichkeit entbehrt».<ref>Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalteten Internationalen Kongresses zum Thema „Welche Zukunft haben die Stammzellen für die Therapie?“ (16. September 2006): AAS 98 (2006), 694.</ref>

Die Verwendung von embryonalen Stammzellen oder daraus entwickelten differenzierten Zellen, die nach der Vernichtung der Embryonen möglicherweise von anderen Forschern geliefert werden oder im Handel erhältlich sind, ist sehr problematisch: Sie bedeutet eine Mitwirkung am Bösen und ruft Ärgernis hervor.<ref>Vgl. die Nummern 34-35 dieser Instruktion.</ref>

Bezüglich der klinischen Verwendung von Stammzellen, die auf erlaubten Wegen gewonnen worden sind, gibt es keine sittlichen Einwände. Es sind jedoch die gewöhnlichen Kriterien ärztlicher Ethik zu beachten. Dabei muss man mit großer Strenge und Klugheit vorgehen, eventuelle Risiken für die Patienten auf ein Minimum reduzieren, den Austausch unter den Wissenschaftlern fördern und der großen Öffentlichkeit eine vollständige Information bieten. Die Aufnahme und die Unterstützung der Forschung mit adulten Stammzellen ist zu unterstützen, weil sie keine ethischen Probleme mit sich bringt.<ref>Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalteten Internationalen Kongresses zum Thema „Welche Zukunft haben die Stammzellen für die Therapie?“ (16. September 2006): AAS 98 (2006), 693-695.</ref>

Versuche der Produktion von Hybriden

33. Vor kurzem wurden tierische Eizellen zur Reprogrammierung der Kerne von menschlichen Körperzellen verwendet. Mit diesem Verfahren, das gewöhnlich hybrides Klonen genannt wird, möchte man embryonale Stammzellen aus den sich bildenden Embryonen gewinnen, ohne menschliche Eizellen verwenden zu müssen. In ethischer Hinsicht stellen solche Prozeduren eine Beleidigung der Menschenwürde dar, weil genetische Elemente von Mensch und Tier vermischt werden und so die spezifische Identität des Menschen beeinträchtigt wird. Die eventuelle Verwendung von Stammzellen, die solchen Embryonen entnommen würden, brächte darüber hinaus wegen des Vorhandenseins von tierischem Genmaterial im Zellplasma zusätzliche gesundheitliche Risiken mit sich, die noch völlig unbekannt sind. Den Menschen bewusst solchen Risiken auszusetzen, ist moralisch und sittlich unannehmbar.

Die Verwendung von menschlichem „biologischem Material“ unerlaubten Ursprungs

34. Für die wissenschaftliche Forschung und für die Herstellung von Impfstoffen und anderen Produkten werden gelegentlich Zelllinien verwendet, die das Resultat einer unrechtmäßigen Handlung gegen das Leben oder die physische Unversehrtheit eines Menschen sind. Die Beziehung zur ungerechten Tat kann unmittelbar oder mittelbar sein, da es sich gewöhnlich um Zellen handelt, die sich leicht und in hohem Maß reproduzieren. Manchmal wird dieses „Material“ vermarktet, manchmal wird es von den staatlichen Einrichtungen, die per Gesetz dafür verantwortlich sind, unter den Forschungszentren unentgeltlich verteilt. All das führt zu verschiedenen ethischen Problemen im Bereich der Mitwirkung am Bösen und des Ärgernisses. Es ist deshalb angebracht, die allgemeinen Prinzipien darzulegen, auf deren Grundlage die Schaffenden mit rechtem Gewissen die Situationen bewerten und lösen können, in die sie eventuell bei ihrer beruflichen Tätigkeit geraten könnten.

Man muss zunächst daran erinnern, dass die sittliche Bewertung der Abtreibung «auch auf die neuen Formen des Eingriffs auf menschliche Embryonen angewandt werden muss, die unvermeidlich mit der Tötung des Embryos verbunden sind, auch wenn sie Zwecken dienen, die an sich erlaubt sind. Das ist bei der Durchführung von Versuchen an Embryonen gegeben, die auf dem Gebiet der biomedizinischen Forschung in wachsender Zunahme begriffen sind und in einigen Staaten gesetzlich erlaubt ist... Die Verwendung von Embryonen oder Föten als Versuchsobjekt stellt ein Verbrechen dar gegen ihre Würde als menschliche Geschöpfe, die das Recht auf dieselbe Achtung haben, die dem bereits geborenen Kind und jeder Person geschuldet wird».<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 63: AAS 87 (1995), 472-473.</ref> Die Durchführung von solchen Versuchen stellt immer ein schweres sittliches Vergehen dar.<ref>Vgl. ebd., 62: l.c., 472.</ref>

35. Eine andere Problematik entsteht, wenn Forscher „biologisches Material“ unerlaubten Ursprungs verwenden, das außerhalb ihrer Forschungszentren produziert wurde oder auf dem Markt erhältlich ist. Die Instruktion Donum vitae hat den allgemeinen Grundsatz formuliert, der in diesen Fällen befolgt werden muss: «Die Leichen menschlicher Embryonen und Föten, seien sie nun vorsätzlich abgetrieben oder nicht, müssen geachtet werden wie die sterblichen Überreste von anderen menschlichen Wesen. Besonders dürfen sie nicht Verstümmelungen oder Obduktionen ausgesetzt werden, solange ihr Tod nicht mit Sicherheit festgestellt wurde, und nicht ohne die Zustimmung der Eltern oder der Mutter. Darüber hinaus muss immer die moralische Forderung bestehen bleiben, dass dabei keine Beihilfe zu einer gewollten Abtreibung stattgefunden hat und dass die Gefahr des Ärgernisses vermieden wird».<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, I, 4: AAS 80 (1988), 83.</ref>

In diesem Zusammenhang ist das Kriterium der Unabhängigkeit, das von einigen Ethikkommissionen formuliert wurde, unzureichend. Dieses Kriterium besagt, dass die Verwendung von „biologischem Material“ unerlaubten Ursprungs immer dann ethisch zulässig wäre, wenn es eine klare Trennung gäbe zwischen jenen, die auf der einen Seite die Embryonen herstellen, einfrieren und töten, und den Forschern, die andererseits wissenschaftliche Experimente damit durchführen. Das Kriterium der Unabhängigkeit genügt nicht, um eine Widersprüchlichkeit im Verhalten jener zu beseitigen, die zwar das von anderen begangene Unrecht nicht gutheißen, aber zugleich für die eigene Arbeit das „biologische Material“ annehmen, das andere durch dieses Unrecht hergestellt haben. Wenn das, was unerlaubt ist, durch Gesetze abgestützt wird, die das gesundheitliche und wissenschaftliche System regeln, muss man sich von den ungerechten Aspekten dieses Systems distanzieren, um nicht den Eindruck einer gewissen Toleranz oder stillschweigenden Akzeptanz von schwer ungerechten Handlungen zu geben.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 73: AAS 87 (1995), 486: «Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen». Das Recht auf Einspruch aus Gewissensgründen, das Ausdruck der Rechtes auf Gewissensfreiheit ist, sollte von den bürgerlichen Gesetzen geschützt werden.</ref> Dies würde nämlich dazu beitragen, die Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar die Zustimmung zu verstärken, mit der einige medizinische und politische Kreise diese Handlungen betrachten.

Manchmal wird der Einwand erhoben, die vorausgehenden Überlegungen schienen vorauszusetzen, dass die Forscher guten Gewissens die Verpflichtung hätten, sich aktiv allen unerlaubten Handlungen, die im medizinischen Bereich begangen werden, zu widersetzen. Auf diese Weise würde ihre ethische Verantwortung in übertriebener Weise ausgeweitet. Die Verpflichtung, die Mitwirkung am Bösen und das Ärgernis zu meiden, betrifft in Wirklichkeit ihre gewöhnliche berufliche Tätigkeit, die sie in rechter Weise ordnen, durch die sie den Wert des Lebens bezeugen und bei der sie auch den schwer ungerechten Gesetzen Widerstand leisten müssen. Es ist klarzustellen, dass die Verpflichtung zur Ablehnung eines derartigen „biologischen Materials“ – auch wenn es keinen direkten Zusammenhang der Forscher mit den Handlungen der Techniker der künstlichen Befruchtung oder mit den Taten jener gibt, welche die Abtreibung vorgenommen haben, und auch wenn kein vorausgehendes Abkommen mit den Zentren der künstlichen Befruchtung besteht – von der Verpflichtung herrührt, sich bei der Ausübung der eigenen Forschungstätigkeit von einem schwer ungerechten gesetzlichen Rahmen abzugrenzen und klar den Wert des menschlichen Lebens zu bezeugen. Darum ist das oben genannte Kriterium der Unabhängigkeit notwendig, kann aber in ethischer Sicht nicht ausreichend sein.

Natürlich gibt es innerhalb dieses allgemeinen Rahmens differenzierte Verantwortlichkeiten. Aus gewichtigen Gründen könnte die Verwendung des genannten „biologischen Materials“ sittlich angemessen und gerechtfertigt sein. So dürfen zum Beispiel Eltern wegen der Gefahr für die Gesundheit der Kinder die Verwendung von Impfstoffen gestatten, bei deren Vorbereitung Zelllinien unerlaubten Ursprungs verwenden wurden, wobei jedoch alle verpflichtet sind, dagegen Einspruch zu erheben und zu fordern, dass die Gesundheitssysteme andere Arten von Impfstoffen zur Verfügung stellen. Man muss auch beachten, dass in Betrieben, die Zelllinien ungerechten Ursprungs verwenden, jene, die keine Entscheidungsvollmacht haben, nicht dieselbe Verantwortung tragen wie jene, die über die Ausrichtung der Produktion entscheiden.

Im Zusammenhang mit der dringend notwendigen Mobilisierung der Gewissen zugunsten den Lebens muss man die im Gesundheitswesen tätigen Menschen daran erinnern, dass «ihre Verantwortung heute enorm gewachsen ist. Sie findet ihre tiefste Inspiration und stärkste Stütze gerade in der dem Ärzteberuf innewohnenden, unumgänglichen ethischen Dimension, wie schon der alte und immer noch aktuelle hippokratische Eid erkannte: Dem gemäß wird von jedem Arzt verlangt, sich zur absoluten Achtung vor dem menschlichen Leben und seiner Heiligkeit zu verpflichten».<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 89: AAS 87 (1995), 502.</ref>

SCHLUSS

36. Gelegentlich hat man der Sittenlehre der Kirche vorgeworfen, zu viele Verbote zu enthalten. In Wirklichkeit gründet diese Lehre auf der Anerkennung und Förderung aller Gaben, die der Schöpfer dem Menschen gewährt hat, wie das Leben, die Erkenntnis, die Freiheit und die Liebe. Besondere Wertschätzung verdienen also nicht nur die menschlichen Tätigkeiten des Erkennens, sondern auch die praktischen Fähigkeiten, wie etwa die Arbeit und der technologische Einsatz. Dadurch ist der Mensch in Anteilnahme an der Schöpfermacht Gottes gerufen, die Schöpfung zu verwandeln, ihre vielfältigen Reichtümer auf die Würde und das Wohl aller Menschen und des ganzen Menschen auszurichten und auch über ihren Wert und ihre innere Schönheit zu wachen.

Die Geschichte der Menschheit bezeugt aber, wie der Mensch die Macht und die Fähigkeiten, die Gott ihm anvertraut hat, in Vergangenheit und Gegenwart missbraucht und so verschiedene Formen ungerechter Diskriminierung und Unterdrückung gegenüber den Schwächsten und Wehrlosesten verursacht hat. Die täglichen Anschläge auf das menschliche Leben; die Armut in großen Gebieten, in denen die Menschen vor Hunger und Krankheit sterben und von den geistigen und praktischen Reichtümern ausgeschlossen sind, die in vielen Ländern im Überfluss vorhanden sind; eine technologische und industrielle Entwicklung, die das konkrete Risiko eines Zusammenbruchs des Ökosystems aufkommen lässt; die Verwendung von wissenschaftlichen Forschungen auf physischem, chemischem und biologischem Gebiet für kriegerische Zwecke; die vielen Kriege, die noch heute Völker und Kulturen teilen: Dies sind nur einige sprechende Zeichen, wie der Mensch seine Fähigkeiten falsch gebrauchen, zum größten Feind seiner selbst werden und das Bewusstsein seiner besonderen Berufung als Mitarbeiter am Schöpfungswerk Gottes verlieren kann.

Doch parallel dazu zeigt die Geschichte der Menschheit einen wirklichen Fortschritt im Verständnis und in der Anerkennung des Wertes und der Würde jeder Person. Dies ist die Grundlage der Rechte und ethischen Imperative, mit denen man in Vergangenheit und Gegenwart die menschliche Gesellschaft aufzubauen versucht. Gerade im Namen der Förderung der Menschenwürde hat man deshalb alle Verhaltens- und Lebensweisen verboten, die dieser Würde entgegengesetzt sind. So sind etwa die nicht nur ethischen, sondern auch rechtlich-politischen Verbote der verschiedenen Formen von Rassismus und Sklaverei sowie der ungerechten Diskriminierungen und Marginalisierungen von Frauen, Kindern sowie kranken und behinderten Menschen ein eindrückliches Zeugnis für die Anerkennung des unveräußerlichen Wertes und der inneren Würde jedes Menschen und ein Zeichen für den wahren Fortschritt in der Geschichte der Menschheit. Anders ausgedrückt: Die Rechtmäßigkeit jedes Verbotes gründet auf der Notwendigkeit, ein echtes sittliches Gut zu schützen.

37. War der menschliche und soziale Fortschritt anfangs vor allem durch die Entwicklung der Industrie und der Produktion von Konsumgütern gezeichnet, so prägt ihn heute die Entwicklung der Informatik und der Forschungen auf dem Gebiet der Genetik, der Medizin und der Biotechnologien, die auch auf den Menschen angewandt werden. In diesen Bereichen, die für die Zukunft der Menschheit große Bedeutung haben, gibt es jedoch auch offenkundige, nicht annehmbare Missbräuche. «Wie vor einem Jahrhundert die Arbeiterklasse in ihren Grundrechten unterdrückt war und die Kirche sie mit großem Mut verteidigte, indem sie die hochheiligen Rechte der arbeitenden Person verkündete, so verspürt die Kirche in dieser Zeit, in der eine andere Kategorie von Personen im Grundrecht auf Leben unterdrückt ist, die Verpflichtung, mit demselben Mut die Stimme jenen zu geben, die keine Stimme haben. Sie erhebt immer den Schrei des Evangeliums in der Verteidigung derer, die in der Welt arm sind oder in ihren menschlichen Rechten bedroht, verachtet oder unterdrückt werden».<ref>Johannes Paul II., Schreiben an alle Bischöfe über „Das Evangelium des Lebens“ (19. Mai 1991): AAS  84 (1992), 319.</ref>

Kraft des Lehr- und Hirtenauftrags der Kirche hat sich die Kongregation für die Glaubenslehre verpflichtet gefühlt, die Würde und die grundlegenden, unveräußerlichen Rechte jedes einzelnen Menschen – auch in den Anfangsstadien seiner Existenz – zu bekräftigen und die Forderungen des Schutzes und der Achtung deutlich zu machen, welche die Anerkennung dieser Würde von allen fordert. 

Die Erfüllung dieser Verpflichtung beinhaltet den Mut, sich allen Praktiken zu widersetzen, die eine schwerwiegende, ungerechte Diskriminierung gegenüber den noch nicht geborenen Menschen darstellen, welche die Personwürde haben und als Bild Gottes erschaffen worden sind. Hinter jedem „Nein“ erstrahlt in der Mühe des Unterscheidens zwischen Gut und Böse ein großes „Ja“, das die  unveräußerliche Würde und den Wert jedes einzelnen unwiederholbaren Menschen anerkennt, der ins Leben gerufen worden ist. Die Gläubigen werden sich kraftvoll einsetzen, um eine neue Kultur des Lebens zu fördern. Sie sollen die Inhalte dieser Instruktion mit dem religiösen Gehorsam ihres Geistes annehmen und darum wissen, dass Gott immer die notwendige Gnade schenkt, um seine Gebote zu befolgen, und dass sie in jedem Menschen, vor allem in den Kleinsten, Christus selbst begegnen (vgl. Mt 25,40). Auch alle Menschen guten Willens, vor allem die Ärzte und die Forscher, die sich dem Dialog öffnen und nach der Wahrheit suchen, werden diese Prinzipien und Bewertungen zu verstehen und zu teilen wissen. Denn sie sind auf den Schutz des gebrechlichen Menschen in den Anfangsstadien des Lebens und auf die Förderung einer menschlicheren Zivilisation ausgerichtet.

Papst Benedikt XVI. hat in der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten am 20. Juni 2008 gewährten Audienz die vorliegende Instruktion, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden war, gutgeheißen und deren Veröffentlichung angeordnet.

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre,

am 8. September 2008, dem Fest der Geburt der seligen Jungfrau Maria.

William Kardinal Levada
Präfekt

Luis F. Ladaria, S.I..

Titularerzbischof von Thibica

Sekretär

Anmerkungen

<references />

Weblinks