Rundfunkansprache vom 2. Dezember 1941
von Papst
Pius XII.
an katholische Jungmänner
über die Welt der Gnade
(Quelle: Gerechtigkeit schafft Frieden, Reden und Enzykliken des Heiligen Vaters Pius XII., Herausgegeben von Wilhelm Jussen SJ, Hansa Verlag Josef Toth Hamburg 1946, Kirchliche Druckerlaubnis Osnabrück am 9. Juli 1946 der bischöfliche Generalvikar Dr. Seling. S. 217-225.)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
Wunderwelt der Gnade
1 Wie sich. das Herz sehnt nach der Wiederkehr des Frühlings, der das Bild eurer frohen und blühenden Jugendzeit ist, so auch Unser Herz nach dem Wiedersehen mit euch in diesem gemeinsamen Vaterhaus. Noch größere Freude aber schenkt Uns der; Gedanke, in euch eine auserlesene Jugendschar zu sehen, ausgezeichnet durch den in der Kampfbahn errungenen Sieg, in der ihr alle euch mit der Frische und sprudelnden Fülle an Herz und Geist dem Dienste großer Ideale der Kirche gewidmet habt. Die stolzen Erfolge, in solch heißem Kampf errungen, erfüllen Uns mit Vaterstolz und Vaterfreude, zeigen Uns eine tapfere und mutige Jungmannschaft, die aus dem Glauben lebt; die sich an Christus und Seiner Kirche anschließt.; die über alles die göttliche Wahrheit setzt und mit glühendem Großmut Zeit, Handeln und Opfern heiligt.
2 So seid Uns willkommen, geliebte Söhne! Mit väterlicher Liebe geben Wir euch Unsere Genugtuung und Unsern Dank kund für das Ergebnis des „Opfertages" -, auch ein kleiner „Kampf", aber doch der hochherzige Auftakt künftiger, größerer Siege. In diesem „Opfertag" sehen Wir wieder die schöne Sitte aufleben, die dem Denken und der Frömmigkeit der ersten Christen entsprang, denen es oberstes Gesetz war, der Kirche und ihren Armen zu schenken, was sie durch ihren Fasttag und ihre Entsagung Gott zulieb erspart hatten.
3 Auch euer Opfer und eure Gabe sind Früchte der Gnade, die euch beseelt; auch sie ist Gegenstand eines „Kampfes" während eures Schuljahres und eures Studiums, das ihr erwähltet. Eine wundersame Welt öffnet sich so vor euch: die Welt der Himmelsheiligen, deren Fest wir gestern feierten; die Welt der Seelen im Reinigungsort;, die in ihren Peinen hoffen, einst den Heiligen beigesellt zu werden, für die die Kirche in diesem Monat besonders betet; die Welt der Gläubigen, die noch auf Erden wandern, die inmitten der Kämpfe und Siege ihre Seele zum himmlischen Vaterland erheben. In diesen drei Reichen herrscht die Gnade, die hier auf Erden die Sünder rechtfertigt die Büßenden tröstet, die Seligen verherrlicht. Ist jenes Gottesreich nicht eine wundersame Welt! Jenes große Reich der Gnade, das die Menschheit mit ihrem Schöpfer versöhnt,: sie von jeglicher Makel reinwäscht, ihr die Pforten ewigen Glückes öffnet, das durch die Schuld des Stammvaters verloren war? Es ist eine Welt, die ihr nicht mit den äußeren, körperlichen Sinnen greifen könnt, die aber doch nicht weniger wahr ist als das Sonnenlicht, das unsere Erde erleuchtet. Eine Welt, die das Auge des Glaubens euch als wirklich zeigt, als eine Wirklichkeit tiefer und größer als alles Eintägige und Unbeständige, was ihr seht, hört oder fühlt; eine Welt, die euch vor euch selber enthüllt, euch über die Umwelt erhebt und lehrt, dass ihr kraft der Heiligmachenden Gnade nicht nur Geschöpfe seid wie alle andern, sondern Gottes Kinder, teilhaft Seiner Natur; Brüder Jesu Christi und Seine Miterben, bestimmt für eine Erbschaft im Himmel; lebendige Glieder am Geheimnisvollen Leibe Christi, dessen Haupt Er ist und dessen Seele der Heilige Geist. In solcher Schau und Erwägung mögt ihr selbst die Tiefe und die Höhe und die Erhabenheit der Worte ermessen, die St. Paulus an euch richtet: „Euer Leih ist ein Tempel des Heiligen Geistes der in euch wohnt, der euch von Gott kam; ihr gehört nicht euch selber (1 Kor.6, 11)
Wahrer Adel des Menschen
4 Gott ist es, Der die Würde der Menschennatur schuf und noch wunderbarer Weise wiederherstellte; Der uns teilhaft machte der göttlichen Natur Seines Sohnes Jesus Christus; Der sich herabließ teilzunehmen an unsere Menschennatur: hier liegt der Grund der wahren und höchsten Würde eines jeden, der im Gnadenstande lebt. Was ist jene „Heiligmachende Gnade"? Jenes weiße Gewand, das bei .der Wiedergeburt. im Taufbrunnen uns umhüllt und zu Gotteskindern macht; ein Gewand, auf den wie Edelsteine Glaube, Hoffnung und Liebe glänzen jene Liebe, die Königin ist und Schutz nicht nur der Gnade selber, sondern aller Tugenden, aller Gaben in ihrem Gefolge. Liebe Jungmänner, wahrt und verteidigt diesen Adel und die Heiligmachende Gnade I Es ist ein Adel, der nicht aus dem Blute kommt, oder aus dem Ruhm von Ahnen oder Vorfahren, sondern aus dem Blute Christi, in Dessen Fluten die Märtyrer und Seligen des Himmels ihre Kleider weißwuschen (Offb 7, 15). Schützt dieses geheimnisvolle Kleid vor den Nachstellungen aller Feinde von innen und außen bei Tag und Nacht auf euern ganzen Lebenswege!
5 Solch hoher Adel legt wie jeder andere Adel Verpflichtungen auf, um so schwerer und verpflichtender, da es ein persönlicher Adel ist. Bewahren und Wachsen hängt nächst Gottes Hilfe von euch selbst ab. Denn das große Geheimnis der Erlösung vollzieht sich nicht in mechanischer und unpersönlicher Weise. In dem, der zum Gebrauch der Vernunft gelangt ist, Gut und Böse unterscheiden kann, ist stets freiwillige Mitarbeit erforderlich. Gott rettet nur den Menschen, der gerettet werden will. Deshalb gab Er ihm Freiheit, Gewissen und Verantwortung.
6 Die freie Mitarbeit des Menschen verlangt Gott in Seinem Reiche auf Erden, in Seiner weiten Kirche als sichtbare Vereinigung für die Ausbreitung und Erhaltung des Glaubens, für die Bekehrung und Rettung der Völker. Der Herr der Ernte sucht Mitarbeiter zum Helfen bei Saat und Ernte. Er will, dass wir alles; was wir mit eigenen Kräften auf dem Acker der Kirche leisten können, immer mit Christus, durch Christus und in Christus leisten und dann doch am Ende sagen: „Unnütze Knechte sind wir (Lk 17, 10).
7 Werft einen Blick auf jenes herrliche Bauwerk der Katholischen Lehre! Sie bietet sich heute unsern Blicken dar als ein Tempel des Glaubens .und der christlichen Weisheit, aufgeführt in mächtiger, geistiger Arbeit, nie unterbrochen während der Jahrhunderte; stets wachsame und streng, aus dem Glaubensschatz, den Christus den Aposteln übergab, erhebt sie die himmlischen Wahrheiten; stellt sie in helles, kristallklares Licht; schützt sie Ihrem Schild gegen die Angriffe Jeglicher Irrlehre. Betrachtet das bewundernswerte Schauspiel, wie sich Menschen und Völker heiligten, sich bildeten, sich formten und zu wahrem Christentum in Glaube und Sitte heranwuchsen! Durchblättert die Seiten der Kirchengeschichte, ihrer Leitung und Verwaltung, ihres Wachstums, ihres Kampfes, um ihr Leben und ihre Einheit gegen äußere und innere Feinde, gegen Häresie und Abfall zu wahren. Studiert und bewundert dieses Gottesgeheimnis, die Kirche, die auf dem Felsen Petri gebaut, sich in Kathedralen oder unansehnlichen Kapellen ausdehnt bis an die Grenzen der Erde; dann gebt Gott die Ehre und erkennet an, dass dieses Wunder nur möglich war, dank dem heldenmütigen Kampf der Menschen als willigen Mitarbeitern Gottes, denen von Jahrhundert zu Jahrhundert in dauerndem Wechsel der Zeiten solche Aufgaben anvertraut wurden! .
Christliche Lebenskunst
8 Was für die Kirche gilt, soll das nicht auch Geltung haben für das Glaubens- und Gnadenleben jedes Christen und eines jeden von euch? Die alten Griechen besitzen ein Sprichwort voller Weisheit: "της δαρετης ιδρωτα ϑεοι προπαροιϑεν εϑηκαν (Hesiod, Taten und Tage, v. 289); „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt". Die Götter der Fabel, die keine Rettung bringen, kennen wir nicht; nur den einen Gott, unsern Erlöser. Aber jenes Wahrwort könnt ihr zum Wahlspruch wählen. Es ist in der menschlichen Natur begründet, die zu Übernatur und Gnadenleben berufen ist. Allerdings mit der Einschränkung, dass Menschenkraft allein nie, so sehr sie sich auch anstrengen würde, genügt zur Erlangung der Gnade, die göttlichen Ursprungs alles Geschaffene und alle natürlichen Kräfte unendlich überragt: „Er wird Gnade verleihen. Er wird Ehre verleihen" (Ps 83, 12). Das allmähliche Voranschreiten und Wachsen in der Gnade, das in ihr Verharren und Fruchtbringen in Güte und Heiligkeit, das sich auch auf den Nächsten erstreckt, ist eine hohe Vollkommenheit, die Gott nicht ohne tägliche, stündliche Mitarbeit verleiht. Wie ohne dauernde leibliche Anstrengung nicht die natürlichen Kräfte wachsen, so ohne dauernde geistige Arbeit auch nicht die übernatürliche Festigkeit und Standhaftigkeit. Deshalb ist auch das Exerzitienbüchlein des heiligen Ignatius, das uns Anregungen und Normen zu einem christlichen Leben gibt, so wertvoll. Ihr habt schon einen Beruf ergriffen und werdet Ihn in wachsendem Maße erlernen; ein guter Christ zu werden, ist auch ein hoher Beruf, eine hohe Kunst, sogar die Kunst der Künste: die Lebenskunst.
9 Diese Kunst hat nur einen Meister: „Euer Meister ist Christus (Mt 23,10). Er ist ein bewundernswerter Meister, sanftmütig und demütig von Herzen - der Weiseste und Mächtigste, der mit Seinem eigenen Fleisch als Speise, mit Seinem eigenen Blut als Trank Seine Jünger nährt. Seine Schule ist der Altar, Sein Altar der Tisch, an dem wir das: Himmelsbrot genießen, das alle Süße in sich birgt. Liebe Jungmänner, sucht in der Teilnahme an Christi Gastmahl die Süße des flüchtigen Lebens in diesem Tale der Tränen! „Kostet und sehet, wie süß der Herr ist (Ps 33, 9) Seid eingedenk der geistigen Lebenskräfte, die aus der Heiligen Eucharistie fließen! Worin liegt ihre Wirksamkeit? Darin, dass ihr euch kampflos den Prüfungen und Gefahren für Tugend und Glauben aussetzen könnt, oder nicht vielmehr in der Kraft, die Christus euch in der Heiligen Kommunion reichen will, um euch, Seine Jünger und Soldaten zu ermutigen, den täglichen Kampf aufzunehmen und durchzufechten; der euch von der Sünde befreit, in der Tugend bestärkt, euch in Christus wachsen lässt? Im Christenleben, das zu jeder Stunde Kriegsdienst ist, gibt es keine Ruhe, weder Urlaub noch Abspannung noch Untätigkeit. Das Himmelreich leidet Gewalt und nur die, die Gewalt brauchen, reißen es an Sich (Mt 11,12). Man erobert es nicht durch Kleinmut und Feigheit.
Notwendigkeit der Gnade
10 Christi Altar ist auch eine Schule der Liebe; jener Liebe, die nicht in schönen Worten besteht, sondern in Tat und Wahrheit (1Joh 3,18); jener Liebe, die Erfüllung Seiner Gebote ist.
Wenn ihr meine Gebote haltet, verkündet der göttlich Meister, bleibt ihr in Meiner Liebe, wie auch Ich des Vaters Gebote halte und in Seiner Liebe bleibe" (Joh15, 10). Wollt ihr in Gottes Liebe bleiben, dem höchsten Gut, dem Leben der Seele? Bleibt Herr über euch selbst und über eure Leidenschaften! Wollt Ihr Christi Gebot erfüllen? Bewahrt euch ein jugendliches Herz, das um Christi Willen nicht zögert, mit der Welt, dem Fleische, dem Satan zu brechen! Ist auch der Weg zum Himmel eng und steil, eure Schritte geleitet Gottes mächtige Gnade, die euch schützt und hält; die die Schwachen stärkt, die Kranken heilt, die Gefallenen erhebt. Sie steht allzeit bereit, euch göttliches Leben zu schenken, zu erneuern, dessen. sprudelnde Wasser ins ewige Leben fließen, und im ewigen Strome münden, der Gott selber ist. Dorthin getragen und belebt von Christi Gnade, müsst ihr euern Weg gehen, den Weg der Gebote, des Kreuzes; den Weg, den Christus als erster gegangen.
11 In euerm Streben, liebe Söhne, schätzt das Leben der Seele höher als das des Leibes, denn nichts würde es euch nützen, tausend Jahre zu leben, die Welt zu erobern und eure Seele zu verlieren! Ist nicht die Gnade das Größte und Kostbarste, das ihr im Herzen tragt? Je kostbarer der Schatz, umso mehr Sorgfalt und Mutes bedarf es zu seinem Schutz und seiner Verteidigung. Schützt euer Gnadenleben, die Freundschaft mit Gott, ohne die wir im Leben der Übernatur nichts vermögen, denn ohne Mich, sagt der göttliche Erlöser, könnt ihr nichts tun“ (Joh 15, 5). Er, der die Wahrheit, Weg und Leben ist, soll auch Sonne eures Geistes und eurer Jugend sein! „Du bangst nicht vor dem Graun der Nacht, nicht vor dem Pfeile, am Mittag schwirrt, noch vor der Pest, die da im Dunkeln schleicht, noch vor der Seuche, die: am Mittag würgt" (Ps 90, 5.6). Das vorzüglichste Mittel Gnade zu erlangen und Christi Liebe, die in der Erfüllung Seiner Gebote besteht, ,zu bewahren, ist das Gebet. Es ist selbst eine Gnade und ruft Gnade herab. Betet! Betet in Gemeinschaft mit der Kirche, eurer Mutter, die am 1. Sonntag nach Pfingsten betet: „Gott, Du Stärke derer, die auf Dich hoffen, sei gnädig unserm Flehn´; weil ohne Dich die menschliche Schwäche nichts vermag, schenke uns die Hilfe Deiner Gnade, damit wir in Erfüllung Deiner Gebote Dir im Wollen und Tun wohlgefallen! Möchtet ihr mit diesem herrlichen Gebet euern edlen „Kampf“ krönen! (Ps 90,5.6)
Damit solcher Wunsch erfüllt werde, spenden Wir euch allen, euern Eltern, Verwandten und Freunden, sowie der ganzen geliebten Jungmannschaft in der Actio catholica samt ihren Führern und Förderern aus .väterlichem Herzen den Apostolischen Segen.