Magnificate Dominum

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Ansprache
Magnificate Dominum mecum

von Papst
Pius XII.
an die Kardinäle und Bischöfe
über das Priester- und Hirtenamt der Bischöfe (siehe: Si diligis)
2. November 1954

(Offizieller lateinischer Text: AAS 46 [1954] 666-677)

(Quelle: Herder-Korrespondenz, Neunter Jahrgang 1954/55, Drittes Heft, Dezember 1954, S. 121-126, Herder Verlag Freiburg im Breisgau)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitend

Verherrlicht den Herrn mit mir, und lasst uns vereint seinen Namen erheben" (Ps. 33, 4), denn wo durch eine gnadenvolle Gunstbezeigung Unsere Wünsche sich erfüllen, hat es sich glücklich gefügt, geliebte Söhne und Ehrwürdige Brüder, dass Wir Uns heute eurer willkommenen Anwesenheit erfreuen und eure erlauchte Versammlung vor Uns sehen. Auch die Tatsache und der Gegenstand des neuen liturgischen Festes der Gottesmutter Maria, der Königin des Himmels und der Erde, das Wir jüngst feierlich eingeführt haben, vermehrt Unsere fromme Freude, denn es ist durchaus geziemend, dass die Kinder frohlocken, wenn sie die Ehre der Mutter erhöht sehen. Wenn aber die seligste Jungfrau Maria Königin aller ist, so leitet sie doch an erster Stelle und in besonderer Weise euch, euer Planen und euer Wirken, sie, die mit dem einzigartigen und erhabenen Titel "Königin der Apostel" angerufen wird. Und da sie die Mutter der schönen Liebe, der Furcht und Erkenntnis Gottes und der heiligen Hoffnung ist (vgl. Eccl. 24, 24), was wünscht sie sehnlicher, was erstrebt sie inbrünstiger, als dass die wahre Verehrung des wahren Gottes in den Seelen immer tiefer Wurzel fasse, die Liebe stärker erglühe, die heilige Furcht Gottes das Denken leite und die Hoffnung, der unsterblichen Verheißungen gewiss, die Trauer der irdischen Verbannung mit Trost erfülle? Dies alles wird aber durch euren lebendigen Eifer in der Ausübung des apostolischen Amtes den Menschen vermittelt, damit sie ihr vergängliches Leben nüchtern, gerecht und fromm führen und so des unvergänglichen Glücks des Himmels teilhaft werden. Unter der Leitung und dem Schutz Marias, unserer allezeit jungfräulichen Mutter und Herrin, wollen Wir nun zu euch über einige Angelegenheiten sprechen, die, wie Wir voll Zuversicht glauben, euch und der mühevollen Arbeit, in der ihr den Acker Gottes bebaut, nutzbringend sein können.

Anfang Juni dieses Jahres haben Wir an die Bischöfe, die in großer Zahl aus aller Welt nach Rom gekommen waren, um Papst Pius X., dem damals von Uns die Ehren der Heiligen zuerkannt wurden, ihre Verehrung und Hingabe zu erzeigen, eine Ansprache gerichtet über das Lehramt, das kraft göttlicher huldvoller Anordnung den Nachfolgern der Apostel unter der Autorität des Römischen Bischofs zukommt. Indem Wir jetzt die sich bietende Gelegenheit benützen, um gleichsam die begonnene Rede fortzusetzen, möchten Wir über die beiden anderen Ämter sprechen, die, mit dem ersten eng verbunden, euch betreffen und euer Denken und Sorgen heischen, nämlich über das Priester- und Hirtenamt.

Der hl. Pius X. - Vorbild der Priester

Wenden wir Sinn und Herz wiederum dem heiligen Papst Pius X. zu. Aus seiner Lebensbeschreibung wissen wir, was für ihn der Altar und das eucharistische Opfer bedeuteten - von dem Tag an, da er dem Allerhöchsten sein Erstlingsopfer darbrachte und als Neupriester ergriffenen Herzens an den Stufen des Altares zum ersten Mal sprach: "Introibo ad altare Dei" - sein ganzes Priesterleben hindurch: während er Pfarrer war, als Spiritual im Priesterseminar, als er zum Bischof geweiht, zum Patriarchen und Kardinal ernannt, als er schließlich zum Papst gewählt wurde. Ihm waren der Altar und das eucharistische Opfer Haupt und Herz des inneren Lebens, Zuflucht und Stärke der Seele in Mühe und Bedrängnis, Quelle des Lichtes, des Starkmuts und des ständigen Eiferns für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen. Wie dieser Papst Vorbild des Lehrers war und bleibt, so war und bleibt er auch Vorbild des Priesters. Das eigentliche und vorzügliche Amt des Priesters war und ist immer, "zu opfern", so dass dort, wo keine eigentliche und wahre Opfervollmacht besteht, auch nicht von einem eigentlichen und wahren Priestertum die Rede sein kann.

Die Apostel als Priester Christi

Das gilt voll und ganz gerade vom Priester des Neuen Bundes. Seine höchste Vollmacht und Amtshandlung besteht darin, das eine und erhabenste Opfer des Höchsten und Ewigen Priesters, Christi des Herrn, darzubringen, das der göttliche Erlöser auf blutige Weise am Kreuze dargebracht und unblutigerweise beim Letzten Abendmahle vorweggenommen hat und das er ständig wiederholt haben wollte, indem er seinen Aposteln den Auftrag gab: "Tut dies zu meinem Andenken!" (Lk. 22, 19.) Also die Apostel, nicht alle Gläubigen, hat Christus selbst zu Priestern gemacht und bestellt und ihnen die Opfervollmacht gegeben. Über dieses erhabene Opferamt und diese Opferhandlung des Neuen Testaments lehrt das Konzil von Trient: "In diesem göttlichen Opfer, das in der Messe gefeiert wird, ist derselbe Christus enthalten und wird unblutig geopfert, der sich selbst am Kreuzaltar einmal blutig dargebracht hat ... Denn es ist ein und dieselbe Opfergabe, und der, welcher jetzt durch den Dienst der Priester opfert, ist derselbe, der sich selbst damals am Kreuz darbrachte; nur die Art des Opfers ist verschieden" (22. Sitzung, 2. Kap., Denzinger n. 940). Deshalb bringt der zelebrierende Priester, die Person Christi vertretend, das Opfer dar, und er allein, nicht das Volk, nicht die Kleriker und nicht einmal die Priester, die in frommer Andacht dem Opfernden dienen; wenngleich sie alle einen gewissen handelnden Anteil am Opfer haben können und haben. "Wenn die Christgläubigen auch am eucharistischen Opfer teilhaben, so kommt ihnen deshalb doch nicht auch die Priestergewalt zu" - haben Wir in Unserem Rundschreiben Mediator Dei über die heilige Liturgie betont.

Eucharistisches Opfer und Konzelebration

Was Wir bisher sagten, ist, das wissen Wir, euch, Ehrwürdige Brüder, zwar durchaus bekannt; dennoch hielten Wir es für erwähnenswert, da es gleichsam Grundlage und Beweis dessen ist, was Wir jetzt zu sagen haben. Es gibt nämlich einige, die nicht davon abstehen wollen, eine bestimmte wahre Opfergewalt beim Messopfer für alle andächtigen Teilnehmer, auch für die Laien, zu beanspruchen. Diesen gegenüber müssen Wir die Wahrheit ohne jede Unklarheit vom Irrtum scheiden. Schon vor sieben Jahren haben Wir im gleichen Rundschreiben den Irrtum derer verworfen, die unbedenklich erklärten, der Auftrag Christi "Tut dies zu meinem Andenken" beziehe sich schlechthin auf die gesamte Kirche der Gläubigen; erst später habe sich daraus das hierarchische Priestertum herausgebildet. Sie behaupten deshalb, das Volk sei im Besitz einer wahren priesterlichen Gewalt, der Priester handle kraft des von der Gemeinschaft übertragenen Amtes. Daher halten sie das eucharistische Opfer für ein wahres "Mitsammen-Zelebrieren - eine Konzelebration" und meinen, es wäre besser, wenn die mit dem Volk anwesenden Priester "mitzelebrierten", als wenn sie privat das Opfer darbrächten ohne Volk. - Bei der gleichen Gelegenheit haben Wir auch in Erinnerung gerufen, in welchem Sinn vom zelebrierenden Priester gesagt werden könne, dass er "das Volk vertrete"; deshalb nämlich, "weil er die Person Unseres Herrn Jesus Christus vertritt, insofern Er das Haupt aller Glieder ist und sich selbst für sie darbringt"; daher trete der Priester an den Altar als Diener Christi, unter Christus, aber über dem Volk stehend. Das Volk hingegen, das in keiner Weise die Person des göttlichen Erlösers darstelle und nicht Mittler zwischen sich selbst und Gott sei, könne füglich keineswegs Priestergewalt ausüben (AAS, 1947, S. 553-554). Dabei handelt es sich nicht nur um die Bemessung der Frucht, die aus der Darbringung des Eucharistischen Opfers oder dem Beiwohnen an ihm geschöpft wird - es ist ja durchaus möglich, dass jemand mehr Frucht gewinnt aus einer heiligen Messe, der er fromm und andächtig beiwohnt, als aus einer heiligen Messe, die er obenhin und nachlässig zelebriert -, es handelt sich vielmehr um die Feststellung der Natur, des Wesens der Handlung, die sich bei Anhören und bei der Darbringung der heiligen Messe vollzieht und aus der die Früchte des heiligen Opfers erfließen, von der Verehrung Gottes durch Anbetung und Danksagung gar nicht zu reden - die Früchte der Versöhnung und der Erhörung für jene, für die das Opfer dargebracht wird, wenn sie auch selbst dem Opfer nicht beiwohnen; ebenso die Früchte "für die Sünden, Strafen, Genugtuungen und anderen Anliegen der lebenden Gläubigen wie auch für die in Christus Verstorbenen, aber noch nicht vollständig Geläuterten" (Conc. Trid. Ses. XXII, cap. 2 - Denzinger n. 940). - Aus dieser Schau der Dinge ist die Behauptung, die heute nicht nur von Laien, sondern zuweilen auch von Theologen und Priestern aufgestellt und verbreitet wird, als Irrtum zu verwerfen, dass nämlich die Feier einer einzigen Messe, der hundert Priester in frommer Andacht beiwohnen, dasselbe sei wie hundert Messen, die von hundert Priestern zelebriert werden. Ganz gewiss nicht! Für die Darbringung des eucharistischen Opfers gilt: es sind so viele Handlungen des Hohenpriesters Christus, als zelebrierende Priester sind; keineswegs aber so viele, als Priester sind, die der Messe eines Bischofs oder Priesters fromm beiwohnen, denn indem sie dem heiligen Opfer beiwohnen, vertreten sie nicht die Person Christi und handeln nicht in ihr, sondern sind den christgläubigen Laien gleichzustellen, die der heiligen Messe beiwohnen.

Priestertum der Gläubigen

Im übrigen darf nicht geleugnet oder in Zweifel gezogen werden, dass die Gläubigen ein "Priestertum" besitzen, und dieses ist nicht gering zu schätzen oder in seiner Bedeutung herabzusetzen, denn der Apostelfürst redet in seinem ersten Brief die Gläubigen mit folgenden Worten an: "Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein zu eigen erworbenes Volk" (1 Petr. 2, 9). Kurz vorher sagt er dort, den Gläubigen komme zu "ein heiliges Priestertum, um durch Jesus Christus geistige, Gott wohlgefällige Opfer darzubringen" (a. a. O. 2, 5). Aber welches auch die wahre und volle Bedeutung dieser ehrenvollen Bezeichnung und ihrer sachlichen Grundlage sein mag: es ist festzuhalten, dass dieses allen Christen gemeinsame, hohe und geheimnisvolle "Priestertum" nicht nur dem Grad, sondern auch dem Wesen nach verschieden ist vom Priestertum in der eigentlichen und wahren Bedeutung, das begründet ist in der Gewalt, das Opfer Christi selbst in der Stellvertretung Christi des Hohenpriesters zu vollziehen.

Forderungen an die Liturgische Bewegung

Mit Freude haben Wir Kenntnis davon genommen, dass in vielen Diözesen eigene Institute für Liturgie entstanden sind, dass liturgische Vereinigungen gegründet und Förderer der Liturgie ernannt wurden, dass liturgische Tagungen einzelner oder mehrerer Diözesen zusammen stattfanden und internationale Kongresse abgehalten wurden oder vorbereitet werden. Gerne haben Wir gehört, dass hie und da auch Bischöfe persönlich an solchen Tagungen teilnahmen oder auf ihnen den Vorsitz führten. Diese Tagungen haben zuweilen ihre eigene Praxis, dass nämlich nur einer das heilige Opfer darbringt, die anderen aber (alle oder viele) diesem einen Opfer beiwohnen und in ihm die heilige Kommunion aus der Hand des Zelebranten empfangen. Wenn dies aus einem rechtmäßigen und vernünftigen Grund geschieht und der Bischof, um Anstoß bei den Gläubigen zu vermeiden, keine andere Anordnung trifft, ist nichts einzuwenden, vorausgesetzt dass dieser Handlungsweise nicht der von Uns oben erwähnte Irrtum zugrunde liege. Was dann die auf jenen Tagungen behandelten Themen angeht, so wurden Fragen zur Geschichte, zur Lehre oder zur lebenden Praxis erörtert; es wurden Entschließungen eingebracht und Vorschläge oder Wünsche formuliert, die der liturgischen Vervollkommnung notwendig oder nützlich erachtet wurden, die aber dem Urteil der zuständigen kirchlichen Autorität zu unterwerfen sind. Die Liturgische Bewegung erschöpfte sich jedoch nicht in der Abhaltung von Tagungen, sondern gleichzeitig und unablässig wuchs die praktische Betätigung, so dass die Gläubigen häufiger als bisher und in immer größerer Zahl sich zur aktiven Verbindung und Gemeinschaft mit dem Priester, der die heilige Handlung vollzieht, angetrieben fühlen. Indes, Ehrwürdige Brüder, wie sehr ihr auch - und gewiss mit vollem Recht - die Praxis und die Vervollkommnung der heiligen Liturgie fördert, lasst nicht zu, dass die auf diesem Gebiet in euren Diözesen sich Betätigenden sich eurer Leitung und Aufsicht entziehen und nach eigenem Ermessen die heilige Liturgie regeln und ändern, entgegen den in klaren Worten erlassenen Weisungen der Kirche: "Es ist ausschließlich Sache des Apostolischen Stuhls, die heilige Liturgie zu regeln sowie die liturgischen Bücher gutzuheißen" (can. 1257), und besonders für die Feier des heiligen Opfers: "Unter Verwerfung jeglicher entgegenstehender Gewohnheit soll der zelebrierende Priester genau und gewissenhaft die Anweisungen seiner rituellen Bücher beobachten und sich hüten, andere Zeremonien oder Gebete nach eigenem Gutdünken hinzuzufügen" (can. 818). Ihr selbst aber sollt solchen Versuchen und solcher mehr ungestümen als klugen Bewegung weder Gutheißung noch Vollmacht erteilen.

Der heilige Pius X. - Vorbild des Hirten

"Vorbilder für die Herde geworden - Topoi ginómenoi toú poimníou" (1 Petr. 5,3): diese Worte des heiligen Petrus gelten vor allem für den Bischof, der ja doch das Amt des Hirten innehat und ausübt. Das ganz eigentümliche Kennzeichen des Pontifikates Pius' X. ist in der Tat sein Verhalten als "Hirte". Bald nach seinem Aufstieg zum höchsten apostolischen Amt wurde allen klar, dass auf den Stuhl des Apostelfürsten ein Priester erhoben war, der in der Seelsorge groß geworden und von Beginn seines Priestertums an Seelenhirt gewesen und geblieben war, bis er der gesamten Herde Christi als Hirt gegeben wurde. Die unabänderliche Richtschnur seines HandeIns, Inbegriff und Sinn seines Lebens war das "Heil der Seelen". Wenn er "alles in Christus zu erneuern" wünschte, so wollte er es eben um des Heils der Seelen willen; diesem Ziel und dieser Aufgabe hat er gewissermaßen alles Eigene und Persönliche untergeordnet. Er war der gute Hirt inmitten seiner Herde, auf deren Bedürfnisse bedacht, ob der ihr drohenden Gefahren besorgt, darin aufgehend, die Herde Christi auf dem Wege Christi zu führen und zu leiten.

Doch wenn Wir jetzt zu euch sprechen, Ehrwürdige Brüder, Hirten eurer Herden, so haben Wir nicht die Absicht, hier das leuchtende Vorbild und die vollkommene Gestalt des heiligen Bischofs und Hirten nochmals zu zeichnen. Wir wollten vielmehr, wie Wir es schon bezüglich des Lehramtes und des Priestertums getan haben, auf einige Punkte hinweisen, die in unseren Tagen im besonderen Wink, Wort und Werk des geistlichen Hirten erheischen.

Kirche und Öffentlichkeit

Zunächst begegnet man heute Richtungen, welche die Gewalt der Bischöfe - den Papst nicht ausgenommen -, insofern sie Hirten der ihnen anvertrauten Herde sind, einzuschränken und zu begrenzen sich anmaßen. Und zwar engen sie deren Autorität, Verantwortung und Aufsicht auf die Grenzen ein, die das rein Religiöse, die Verkündigung der Glaubenswahrheiten, die Anleitung zu den Übungen der Frömmigkeit, die Verwaltung der Sakramente der Kirche und die Vornahme der liturgischen Funktionen umfassen. Sie wollen die Kirche aber fernhalten von allen Angelegenheiten, die, wie sie sagen, "das wirkliche Leben" betreffen, da dieselben außerhalb ihrer Zuständigkeit lägen. Kurz wird diese Geisteshaltung in öffentlichen Reden bestimmter katholischer Laien, auch solcher, die hohe Ämter bekleiden, zuweilen ausgesprochen, indem sie sagen: "Gerne sehen, hören und besuchen wir die Bischöfe und Geistlichen in den Kirchen und in ihrem Amtsbereich; aber in der Öffentlichkeit, in den öffentlichen Gebäuden, in denen die Dinge des diesseitigen Lebens und dieser Erde behandelt und entschieden werden, wollen wir sie weder sehen noch ihre Stimme hören. Dort sind wir Laien keineswegs aber die Geistlichen, gleichviel welcher Würde und welchen Grades - die befugten Richter."

Solchen Irrtümern gegenüber ist mit aller Entschiedenheit festzuhalten: Die Gewalt der Kirche ist keineswegs an die Grenzen der, wie sie es nennen, "rein religiösen Angelegenheiten" gebunden; vielmehr unterliegt ihrer Zuständigkeit auch der ganze Umfang des Naturgesetzes (lex naturalis), dessen Festlegung, Ausdeutung und Anwendung, soweit deren sittlicher Charakter in Betracht kommt. Die Beobachtung des Naturgesetzes gehört nämlich nach Gottes Anordnung zu dem Weg, auf dem der Mensch seinem übernatürlichen Ziel zustreben soll. Nun aber ist die Kirche auf dem Wege zum übernatürlichen Ziel die Führerin und Hüterin der Menschen. Diesen Standpunkt haben schon die Apostel und nachher, von den ersten Zeiten an, die Kirche immer eingenommen; sie nimmt ihn auch heute ein, und zwar nicht nach Art eines privaten Führers und Ratgebers, sondern kraft des Auftrags und der Autorität des Herrn. Wenn es sich daher um Vorschriften und Entscheidungen handelt, welche die rechtmäßigen Oberhirten (also der Papst für die gesamte Kirche, die Bischöfe für die ihrer Sorge anvertrauten Gläubigen) in Dingen des Naturgesetzes erlassen, dürfen die Gläubigen sich nicht auf den Satz berufen (der Privatmeinungen gegenüber angewendet zu werden pflegt): "Die Autorität gilt so viel wie ihre Gründe." Selbst wenn jemandem eine Anordnung der Kirche aus den erbrachten Gründen nicht gerechtfertigt erscheint, bleibt doch die Verpflichtung des Gehorsams. Dies war der Sinn, und dies sind die Worte des heiligen Pius X. in seiner Enzyklika Singulari quadam vom 24. September 1912 (AAS vol. 4, 1912, S. 658): "Es ist einem Christen, was er auch immer tut, auch im Bereich der irdischen Dinge nicht erlaubt, die übernatürlichen Werte unberücksichtigt zu lassen; er soll im Gegenteil gemäß den Vorschriften der christlichen Weisheit alles auf das höchste Gut als auf sein letztes Ziel einstellen. Alle seine Handlungen, soweit sie sittlich gut oder böse sind, soweit sie also mit dem natürlichen und göttlichen Recht übereinstimmen oder davon abweichen, unterstehen dem Urteil und Rechtsspruch der Kirche." Und sogleich überträgt er diese allgemeine Regel auf das soziale Gebiet: "Der soziale Bereich und die ihm unterstellten Fragen ... sind nicht rein wirtschaftlicher Natur und deshalb nicht so, dass sie ohne Rücksicht auf die Autorität der Kirche geregelt werden könnten, denn es ist im Gegenteil nur zu wahr, dass sie (die Soziale Frage) in erster Linie eine sittliche und religiöse Frage ist und deshalb zuerst vom Sittengesetz her und nach dem Entscheid der Religion gelöst werden muss" (a. a. 0., S. 658-659).

Die Zuständigkeit der Kirche in Fragen nicht "rein religiöser" Natur

Auf dem sozialen Gebiet gibt es nun nicht nur eine, sondern eine Reihe, und zwar sehr wichtiger Fragen, seien es rein soziale, seien es sozial-politische, die zugleich die ethische Ordnung, das Gewissen und das Heil der Seelen betreffen, von denen man daher in keiner Weise sagen kann, sie stünden außerhalb der Gewalt und Verantwortung der Kirche. Ja es gibt auch außerhalb der sozialen Ordnung Fragen nicht "rein religiöser" Natur: über politische Angelegenheiten, die eine einzelne oder auch alle Nationen angehen und welche die sittliche Ordnung berühren, die Gewissen belasten und die das Erreichen des letzten Zieles nicht geringer Gefahr aussetzen können und sehr oft wirklich aussetzen. So die Frage nach dem Ziel und den Grenzen der Zivilgewalt, die Beziehungen zwischen dem Einzelmenschen und der Gesellschaft; die sogenannten "totalitären Staaten", gleichviel aus welcher weltanschaulichen Grundlage sie entstanden oder abgeleitet sein mögen, die sogenannte totale "Laisierung des Staates" und des öffentlichen Lebens, die restlose Durchführung der "Laisierung" der Schule, die sittliche Natur des Krieges, der rechtmäßige oder nicht rechtmäßige Krieg, wie er heute geführt wird, und ob der Mensch mit religiösem Gewissen seine Mithilfe zum Krieg zulassen oder verweigern soll, die sittlichen Bindungen und Grundlagen, durch die die Nationen in ihren gegenseitigen Beziehungen geleitet werden und an die sie gehalten sind.

Der wahren Natur der Dinge, ja sogar der gesunden Vernunft würde widersprechen, wer behaupten wollte, die angeführten Belange und viele andere derselben Art lägen außerhalb der sittlichen Ordnung und deshalb lägen sie auch oder könnten sie jedenfalls außerhalb des Bereichs der Gewalt liegen, die von Gott gesetzt wurde, um für die rechte Ordnung zu sorgen, um die Gewissen und Handlungen der Menschen geradlinig ihrem letzten Ziele zuzuführen und zuzuleiten; und zwar nicht etwa nur "im Verborgenen", innerhalb der Wände der Kirche und der Sakristei, sondern ebenso, und noch viel mehr, öffentlich, mit lautem Ruf "von den Dächern" (um mit dem Herrn zu sprechen; vgl. Mt 10,27), in der Frontlinie und mitten im Kampf zwischen der Wahrheit und dem Irrtum, zwischen der Tugend und dem Laster, zwischen der "Welt" und dem Reich Gottes, zwischen dem Fürsten dieser Welt und Christus, dem Erlöser der Welt.

Verpflichtende Kirchenordnung

Es bleibt noch Weniges hinzuzufügen in Sachen der kirchlichen Disziplin. Klerus und Laien mögen wissen, dass die Kirche berufen und befähigt ist und dass innerhalb der allgemein geltenden Grenzen des Rechts die Ortsordinarien, jeder für die ihm anvertrauten Gläubigen, berufen und befähigt sind, die Kirchenordnung festzusetzen und auf ihre Einhaltung zu dringen, d. h. die äußere Handlungsweise und das Verhalten in dem, was die äußere Ordnung betrifft, was aber nicht aus der Natur oder aus unmittelbarer göttlicher Einsetzung sich herleitet oder darin seinen Bestand hat. Es ist dem Klerus und den Laien nicht erlaubt, sich dieser Ordnung zu entziehen; alle müssen sich vielmehr befleißigen, dass durch treue Einhaltung der kirchlichen Disziplin die Tätigkeit des Hirten sich leichter und wirksamer gestalte, die Verbindung zwischen der Herde und dem Hirten sich festige, in derselben Herde ein friedliches Zusammenleben und ein Zusammenwirken herrsche, dass der eine dem andern zum Beispiel und zur Hand sei.

Die "Mündigkeit" darf nicht missverstanden werden Indes, was Wir soeben sagten über das Recht der Bischöfe, als der Hirten der einem jeden anvertrauten Herde, ist in allem, was den Glauben, die Sittenlehre und die kirchliche Zucht angeht, einer oft versteckt und kaum greifbar murrenden Kritik ausgesetzt, und es erhält nicht das gebührende feste Ja, auch aus dem Grunde nicht, weil andere, überhebliche moderne Richtungen, deren Symptome sich hier mehr, dort weniger offenbaren, eine gefahrvolle Verwirrung stiften. Das Bewusstsein der Mündigkeit, von dem von Tag zu Tag mehr die Rede ist, bewirkt, dass die Geister von irgendwelcher schwer bestimmbaren leidenschaftlichen Unruhe mehr und mehr beherrscht werden. Nicht wenige Männer und Frauen der heutigen Zeit halten die Führung und Aufsicht der Kirche für unwürdig der Lebensart, die einem Erwachsenen zukommt; sie reden dies nicht nur so hin, sie sind davon ganz überzeugt. Sie wollen nicht wie Unmündige "unter Vormündern und Verwaltern" sein (Gal. 4,2); sie wollen als Erwachsene angesehen und behandelt werden, die selbständig sind und selbst bestimmen, was bei gegebener Gelegenheit zu tun oder zu lassen sei. Die Kirche - so äußern sie unbedenklich - möge ihre Dogmen vorlegen und Gesetze für unser Handeln erlassen. Wenn diese aber in Beziehung zum Leben des einzelnen zu setzen sind und praktische Anwendung finden sollen, dann möge sie sich zurückhalten und sich ja nicht einmischen; sie soll jeden Gläubigen nach seinem Urteil und Gewissen handeln lassen. Und das, so behaupten sie, müsse um so mehr geschehen, weil die Kirche und ihre Diener die wirklichen, konkreten Umstände nicht kennen, ihnen ja im allgemeinen die Verhältnisse fremd seien, sowohl was die Menschen innerlich bewege wie ihre äußeren Lebensbedingungen, in welche die einzelnen hineingestellt seien und in denen sie sich entschließen und handeln müssten. Außerdem wollen sie alle für ihr Inneres keinen Ratgeber oder Vermittler zwischen sich und Gott haben, gleichviel welcher Würde oder welchen Namens er sei. Diese tadelnswürdigen Ansichten haben Wir vor zwei Jahren, in den Ansprachen vom 23. März und 18. April 1952, behandelt und ihre Beweise geprüft. Über die Bedeutung, die "dem Mündigsein " zugeschrieben wird, sagt man zutreffend, es sei gerecht und billig, dass die Erwachsenen nicht geleitet werden wie Kinder. Der Apostel sagt von sich selbst: "Als ich noch ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind, urteilte ich wie ein Kind. Als ich ein Mann geworden, legte ich das Kindhafte ab" (1 Kor. 13,11). Es ist keine richtige Erziehungskunst, wenn man eine andere Methode befolgt, und der ist kein wahrer Seelenhirt, der etwas anderes im Auge hat, als die ihm anvertrauten Gläubigen "zur Mannesreife, zum Vollmaß des Alters Christi" zu führen (Eph. 4,13). Aber es ist etwas ganz Verschiedenes, erwachsen zu sein und das Kindhafte abgelegt zu haben - und erwachsen und darum nicht der rechtmäßigen Führung und Leitung unterworfen zu sein. Regieren besagt nicht etwas wie eine Bevormundung von Kindern, sondern wirksame Lenkung Erwachsener auf das Ziel der Gemeinschaft hin.

Richtlinien für die Bischöfe

Weil Wir nun aber zu euch sprechen, Ehrwürdige Brüder, und nicht zu den Gläubigen: wenn in eurer Herde Keime und Anzeichen jener Art zu sprießen und zu wachsen beginnen, dann macht die Gläubigen darauf aufmerksam, 1) dass Gott in der Kirche Seelenhirten bestellt hat, nicht damit sie der Herde eine Last auferlegen, sondern damit sie für der Herde Wachstum und Gedeihen sorgen und sie schützen; 2) dass durch die Führung und Wachsamkeit der Hirten die wahre Freiheit der Gläubigen gesichert werde; dass sie so bewahrt werden vor der Knechtschaft des Irrtums und Lasters, dass sie so stark gemacht werden gegen die Anreize aus dem bösen Beispiel und dem Umgang mit schlechten Menschen, unter denen sie sein und leben müssen; 3) dass sie also gegen die Klugheit und die sich selbst geschuldete Liebe handeln, wenn sie die ihnen sozusagen dargereichte Hand Gottes und seine angebotene sichere Hilfe abweisen. Wenn ihr aber unter den Klerikern und Priestern solche findet, die von jener falschen Neigung und Unsitte angesteckt sind, so haltet ihnen die ernsten Mahnungen Unseres Vorgängers Benedikt XV. entgegen, der dazu sagt: "Eines aber ist, das nicht mit Schweigen übergangen werden darf: alle, die Priester sind, alle wollen Wir als Unsere innigstgeliebten Söhne mahnend daran erinnern, wie sehr es notwendig ist, zu ihrem eigenen Heil wie zu fruchtbarer priesterlicher Tätigkeit, dass sie eng mit ihrem Bischof verbunden und ihm treu gehorsam sind. Tatsächlich sind von jener Überheblichkeit des Geistes und jenem Trotz, die ein Zeichen unserer Zeit sind, nicht alle Diener des Heiligtums, wie Wir es schon beklagten, ausgenommen; nicht selten geschieht es den Hirten der Kirche, dass sie Leid und Bekämpfung von dorther erfahren, von wo sie mit Recht Trost und Hilfe hätten erwarten sollen" (Litt. Encycl. Ad Beatissimi Apostolorum Principis, 1. Novembris 1914; AAS vol. 6, 1914, pag. 579).

Bis hier hin machten Wir einige Ausführungen über den Gegenstand der Hirtensorge, dann auch über die Personen, deren Heil die Hirtensorge gilt; es wäre nicht recht, wenn Wir unsere Ansprache beendeten, ohne dass Wir Uns mit den Hirten selbst beschäftigten. Auf Uns und auf euch Hirten sind jene göttlichen Worte des Ewigen Hirten anzuwenden: "Ich bin der gute Hirt. Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (vgl. Joh. 10, 10-11). Zu Petrus aber sprach der Herr: "Wenn du mich liebst, so weide meine Lämmer, weide meine Schafe" (vgl. Joh. 21,15; 17). Diesen guten Hirten stellt Er den Mietling gegenüber, der sich und das Seine sucht und nicht bereit ist, das Leben hinzugeben für die Herde (vgI. Joh. 10, 12-13); Er stellt ihnen entgegen die Schriftgelehrten und Pharisäer, die, regierungs- und herrschsüchtig und auf ihre eigene Ehre bedacht, Moses' Lehrstuhl innehatten, die unerträglich schwere Lasten banden und sie den Menschen auf die Schultern luden (vgl. Mt 23,14). Von seinem Joch aber sagt der Herr: "Nehmt mein Joch auf euch! Denn mein Joch ist süß, und meine Bürde ist leicht" (vgl. Mt 11,29-30).

Zu einer fruchtbaren und wirkungsvollen Führung des Hirtenamts trägt der häufige wechselseitige Verkehr unter den Bischöfen sehr bei. So vervollkommnet der eine den andern in Sachen der Erfahrung und Praxis; ihre Amtsführung gleicht sich mehr die eine der anderen an; die Verwunderung der Gläubigen wird vermieden, die häufig nicht einsehen, warum in der einen Diözese die Dinge so gehandhabt werden, in der anderen, ihr vielleicht angrenzenden, jedoch anders, ja zuweilen sogar ganz entgegengesetzt. Um dies aber zu erreichen, dazu vermögen sehr viel die gemeinsamen Konferenzen, die fast überall schon in Übung sind, wie auch die feierlicher abzuhaltenden Provinzial- und Plenarkonzilien, die im Kirchlichen Gesetzbuch angeordnet und unter feste Gesetzesbestimmungen gestellt sind.

Zur Verbindung und zum Austausch unter den Brüdern im Bischofsamt muss die Verbindung und der lebendige, häufige Austausch mit dem Apostolischen Stuhl kommen. Seit den ältesten Zeiten des Christentums besteht der Brauch, sich an den Apostolischen Stuhl zu wenden - in Fragen der Glaubenslehre, aber auch der Verwaltung und Disziplin. Beweise und Beispiele dafür liefern die alten Geschichtsquellen ergiebig. Und die Päpste haben, um ihre Meinung gefragt, nicht als Privattheologen geantwortet, sondern kraft ihrer Autorität, in dem Bewusstsein der von Christus dem Herrn empfangenen Gewalt, die ganze Herde und jedweden ihrer Teile zu regieren. Dasselbe ergibt sich aus den Tatsachen und Fällen, wo die römischen Päpste, ohne befragt zu sein, aufgekommene Streitfragen entschieden oder Zweifelsfälle vor ihr Gericht zogen. Die Verbindung und der sachgemäße Austausch mit dem Heiligen Stuhl haben also ihren Ursprung nicht in der Sucht, alles zu konzentrieren und gleichzuschalten, sondern in göttlichem Recht und in der Eigenart der Verfassung der Kirche Christi. Und dies ist nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil der Bischöfe, deren Leitung die Einzelherden anvertraut sind; denn aus der Verbundenheit mit dem Apostolischen Stuhl erhalten sie in Zweifelsfällen Licht und Sicherheit, in Schwierigkeiten

Rat und Kraft, für ihre Unternehmungen Hilfe, in Sorge und Not Erleichterung und Trost. Umgekehrt erhält aus den Beziehungen der Bischöfe zum Apostolischen Stuhl der letztere ausführlichere Kenntnis über den Stand der Gesamtkirche; er erfährt auch besser und schneller, welche Gefahren drohen und welche Mittel zur Heilung der Übel angewandt werden könnten.

Ehrwürdige Brüder, am Vorabend seines Leidens betete Christus zum Vater für die Apostel und für alle ihre Nachfolger im apostolischen Amt: "Heiliger Vater, bewahre sie in Deinem Namen, sie, die Du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir. Wie Du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt ... Die Liebe, mit der Du mich geliebt hast, sei in ihnen, und ich in ihnen" (Joh. 17,11 18 26).

So haben also Wir, Mitältester und Stellvertreter des Ewigen Hirten auf Erden, zu euch, Unseren Brüdern, den Ältesten (1 Petr. 5,1) und Hirten eurer Herden, gesprochen an den Gräbern des Apostelfürsten und des heiligen Papstes Pius X.; zum Schluss Unserer Ausführungen wenden Wir mit Bedacht Unsere Gedanken wieder der Messe "Si diligis" zu, von der Wir ausgingen und in deren "Präfation" wir beten: "Du wollest als ewiger Hirte deine Herde nicht verlassen, sondern durch deine heiligen Apostel sie immerfort schützen und schirmen. Gib, dass jene Männer sie führen und leiten, die Du ihr gegeben hast, auf dass sie als Hirten und Vorsteher an Deiner Statt in ihr wirken"; und im zweiten Gebet nach der Kommunion fügen wir bei: "Herr, wir bitten, vermehre in Deiner Kirche den Geist der Gnade, den du ihr verliehen, dass auf die Fürbitte des heiligen Papstes Pius nicht dem Hirten der Gehorsam der Herden und der Herde nicht des Hirten Obsorge fehle!"

Das walte Gott zu euer aller Bestem nach dem Maß seiner göttlichen Huld!