Si diligis

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Ansprache
Si diligis

von Papst
Pius XII.
(Papst Pius XII. empfing die zur Heiligsprechung Pius' X. in Rom weilenden Mitglieder des Episkopates,
etwa 350 Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, in gemeinsamer Audienz)
über das Lehramt der Bischöfe (siehe: Magnificate dominum mecum)
31. Mai 1954

(Offizieller lateinischer Text: AAS 46 [1954] 313-317)

(Quelle: Herder-Korrespondenz, Neunter Jahrgang 1954/55, Drittes Heft, Dezember 1954, S. 466-468, Herder Verlag Freiburg im Breisgau; Römische Übersetzung).

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder !

"Wenn du liebst ... so weide!" Mit dieser Mahnung des göttlichen Heilandes an den Apostel Petrus beginnt das eucharistische Opfer zu Ehren eines oder mehrerer Päpste. Sie zeigt klar den Sinn des apostolischen Wirkens, seine beherrschende Tugend, den Ursprung und die Quelle seiner Verdienste.

Jesus Christus ist der ewige Hohepriester und Hirte, der zu unserem Heil große Wahrheiten lehrte, Wunder wirkte und Härten erduldete. Pius X., der Bischof von Rom, den Wir zu Unserer großen Freude in die Liste der Heiligen einreihen durften, wandelte auf den Spuren Jesu Christi und nahm dieses Gebot von seinen Lippen. Er erfüllte es in Treue: er liebte und weidete. Er liebte Christus und weidete seine Herde. Er schöpfte tief aus den himmlischen Reichtümern, welche die Liebe des Erlösers auf die Erde brachte, und teilte sie freigebig an die Herde aus: das Brot der Wahrheit, die himmlischen Geheimnisse, die reiche Gnade des Opfers und Sakramentes der göttlichen Eucharistie, Güte und Liebe, fürsorgende Leitung, unerschrockenen Mut in der Verteidigung der Herde. Ganz gab er sich selbst hin und auch alles, was ihm der Urheber und Geber alles Guten geschenkt hatte.

Zu Unserer Freude seid ihr, ehrwürdige Brüder, nach Rom gekommen, um mit Uns durch eure Teilnahme an den Feierlichkeiten diesem Bischof der Ewigen Stadt Bewunderung und Verehrung zu erweisen, dessen Leben der ganzen Kirche zum Ruhm gereicht, und um Gott zu danken, der durch diesen Papst in väterlicher Erbarmung alle mit überreichen Wohltaten beschenkt hat, die er zum ewigen Heil führt.

Freudigen und ergriffenen Herzens weilen Wir in euerer Mitte, geliebte Brüder, die ihr aus allen Teilen der Welt so zahlreich erschienen seid. Als Stellvertreter Jesu Christi, als "Mitältester" unter euch "Ältesten" wollen Wir Unsere Weisungen und Mahnungen kurz zusammenfassen in die Worte aus dem eben erwähnten Brief des ersten Papstes und Apostelfürsten: "Die Ältesten unter euch ermahne ich als ihr Mitältester und als Zeuge der Leiden Christi ... Weidet die euch anvertraute Herde Gottes und tragt für sie Sorge, nicht gezwungen, sondern gern, wie Gott es will ... als Vorbilder für die Herde, von Herzen" (vgl. 1 Petr. 5, 1-3). Diese Worte besagen dasselbe wie das Wort aus göttlichem Munde: "Wenn du liebst, ... so weide!", das den Eifer der Hirten zu tätiger Liebe anspornt.

In einigen Worten wollen Wir darlegen, was Wir soeben mit dem Ausspruch des hl. Petrus angedeutet haben.

Die Sorge für alle Kirchen, die Uns obliegt, und die Wachsamkeit, die Unser oberstes Amt Uns täglich auferlegt, veranlasst Uns dazu, bestimmte geistige Strömungen, seelische Stimmungen und Verhaltensweisen ins Auge zu fassen, auf die Wir auch euere Sorge und Wachsamkeit hinlenken möchten, damit ihr sie mit der Unsrigen vereinigt und dadurch der Herde Christi schneller und wirksamer geholfen werde. Es scheint sich nämlich um Anzeichen und Auswirkungen einer geistigen Ansteckung zu handeln, die nach der Sorge der Hirten rufen, damit sie nicht zu wuchern beginnen, sondern beizeiten geheilt und so bald wie möglich beseitigt werden. Es würde Unserem Vorhaben entsprechen, wenn Wir euch Punkt für Punkt darlegten, was euch als Nachfolgern der Apostel unter der Autorität des römischen Bischofs auf Grund eueres dreifachen, von Gott gesetzten Amtes und Rechtes zusteht (vgl. can. 329): die Lehrgewalt, das Priestertum und die Hirtengewalt. Da jedoch heute die Zeit nicht ausreicht, beschränken wir Unsere Rede hier auf den ersten Punkt und verschieben die beiden anderen, so Gott will, auf eine spätere Gelegenheit.

Christus der Herr hat die Wahrheit, die er vom Himmel brachte, den Aposteln und durch sie ihren Nachfolgern anvertraut. Wie er selbst vom Vater gesandt war, hat er die Apostel gesandt (Joh. 20, 21), alle Völker das zu lehren, was sie selbst vom Herrn vernommen hatten (vgl. Mt 28, 19-20). Die Apostel sind also durch göttliches Recht in der Kirche zu wahren Lehrern und Meistern bestellt worden. Außer den rechtmäßigen Nachfolgern der Apostel, dem römischen Oberhirten für die gesamte Kirche und den Bischöfen für die ihrer Sorge anvertrauten Gläubigen (vgl. can. 1326), gibt es in der Kirche Christi keine anderen Lehrer nach göttlichem Recht.

Doch sowohl die Bischöfe wie vor allem der oberste Lehrer in der Kirche und Stellvertreter Christi auf Erden können zu ihrer Hilfe und Beratung im Lehramt andere heranziehen, denen sie die Lehrvollmacht übertragen, sei es im besonderen, sei es durch Verleihung eines Amtes (vgl. can. 1328). Die so den Lehrauftrag erhalten, walten in der Kirche wohlgemerkt nicht im eigenen Namen und nicht auf Grund des Titels der theologischen Wissenschaft ihres Amtes als Lehrer, sondern kraft der Sendung, die sie vom rechtmäßigen Lehramt erhalten haben. Ihre Befugnis bleibt immer diesem untergeordnet und wird niemals eigenen Rechts oder unabhängig ausgeübt.

Die Bischöfe verlieren mit der Übertragung einer solchen Vollmacht niemals das Recht, zu lehren, und sind nicht der schweren Verpflichtung enthoben, über die Unversehrtheit und Zuverlässigkeit der Lehre, die ihre Hilfskräfte vortragen, sorgfältig zu wachen.

Deshalb verletzt oder beleidigt das rechtmäßige Lehramt der Kirche niemanden der von ihm mit der kanonischen Sendung Betrauten, wenn es sich genau darüber zu vergewissern wünscht, was jene, denen es den Lehrauftrag erteilt hat, mündlich in Vorlesungen sowie in den für die Hörer bestimmten Büchern, Kommentaren, Blättern, ferner in veröffentlichten Büchern und anderen Schriften lehren und verteidigen.

Wir beabsichtigen nicht, zu diesem Zweck die Rechtsnormen über die Büchervorzensur auf dies alles auszudehnen; es gibt ja viele andere Möglichkeiten, um sich über die Doktrin der Lehrenden sichere Auskunft zu verschaffen.

Diese vorsichtige Sorge des rechtmäßigen Lehramtes hat nichts von Misstrauen oder Argwohn an sich, so wenig wie die Ablegung des Glaubensbekenntnisses, welche die Kirche von den Lehrenden und vielen anderen verlangt (vgl. can. 1406 n.7 und 8). Die Übertragung der Lehrbefugnis besagt im Gegenteil Vertrauen, Wertschätzung und Ehrung für den, dem sie gewährt wird. Wenn der Heilige Stuhl zuweilen nachforscht und wissen will, was in bestimmten Seminarien, Kollegien, Hochschulen und Universitäten in den unter seine Autorität fallenden Gegenständen gelehrt wird, so wird auch er dabei von nichts anderem geleitet als vom Bewusstsein des Auftrags Christi und der ihm vor Gott obliegenden Verpflichtung, die gesunde Lehre zu schützen und sie unverderbt und unversehrt zu bewahren. Außerdem zielt solche Wachsamkeit auch auf die Verteidigung und Wahrung eueres Rechtes und Amtes, die euch anvertraute Herde mit dem unverfälschten Wort und der Wahrheit Christi zu nähren.

Nicht ohne schwerwiegenden Grund wollten Wir, ehrwürdige Brüder, dies in eurer Gegenwart betonen; denn leider suchen gewisse Lehrende zu wenig die Verbindung mit dem lebendigen Lehramt der Kirche und beachten zu wenig seine gemeingültige, in dieser oder jener Art klar vorgelegte Lehre; gleichzeitig aber messen sie zu viel Bedeutung dem eigenen Denken bei, der modernen Geistesrichtung und den Methoden anderer Wissenschaften, die, wie sie behaupten und glauben, allein den wahren Grundsätzen und Forderungen der Forschung entsprechen. Selbstverständlich schätzt und fördert die Kirche das Studium und den Fortschritt der menschlichen Wissenschaft sehr und hegt eine besondere Hochachtung für die Gelehrten, denen die Pflege der Wissenschaft Lebensaufgabe ist. Allein das, was die Religion und das sittliche Leben angeht, Wahrheiten, die jenseits der sinnfälligen Ordnung liegen, gehört zum ausschließlichen Amts- und Hoheitsbereich der Kirche.

In unserer Enzyklika Humani generis haben Wir Gesinnung und Haltung der oben Erwähnten beschrieben; ebenso haben Wir darauf aufmerksam gemacht, dass einige der dort verurteilten Irrungen ihren Ursprung gerade darin haben, dass die Verbindung mit dem lebendigen Lehramt der Kirche außer Acht blieb.

Die notwendige Verbindung mit dem Denken und der Lehre der Kirche hob mit ernsten Worten immer und immer wieder gerade auch der hl. Pius X. hervor in hochbedeutenden, euch allen wohlbekannten Dokumenten. Dasselbe wiederholte sein Nachfolger auf dem Stuhl Petri, Benedikt XV., der in seiner ersten Enzyklika (Ad beatissimi apostolorum principis, 1. Nov. 1914) die von seinem Vorgänger vorgenommene Verurteilung des Modernismus feierlich erneuerte und dann die Geistesrichtung der Anhänger dieses Systems folgendermaßen beschreibt: "Wer von diesem Geist beseelt ist, weist stolz zurück, was alt anmutet, sucht dagegen überall begierig nach Neuem: in der Art, über göttliche Dinge zu sprechen, in der Feier des Gottesdienstes, in den katholischen Lebensformen, ja sogar in der privaten Frömmigkeitsübung" (AAS, vol. VI, 1914, pag. 578).

Wenn heutzutage manche Lehrer und Professoren sich alle erdenkliche Mühe geben, Neues vorzutragen und voranzutreiben, nicht aber zu wiederholen, "was überliefert" ist, wenn sie immer nur Neues bieten wollen, so mögen sie einmal ruhig erwägen, was Benedikt XV. ihnen in der erwähnten Enzyklika vorhält: "Wir wollen das Gesetz der Alten heilig gehalten wissen: ,Nichts soll neu eingeführt werden, außer was überliefert ist.' Wenn dieses Gesetz unverletzt zu beobachten ist in den Dingen des Glaubens, so soll seinem Maßstab doch auch angepasst werden, was Veränderungen erfahren kann; auch da gilt meistens: ,Nicht neuer Inhalt, sondern neue Form'" (a. a. O.).

Was die Laien angeht, so weiß man, dass auch sie von den zuständigen Inhabern des Lehramtes bei der Verteidigung des Glaubens als Helfer und Helferinnen berufen oder zugelassen werden. Es genügt, an den Religionsunterricht, den Tausende von Männern und Frauen geben, wie an andere Formen des Laienapostolats zu erinnern. Dies alles verdient hohes Lob und kann, ja muss mit allem Eifer gefördert werden. Aber alle diese Laien sollen unter Autorität, Führung und Aufsicht derer stehen und bleiben, die durch göttliche Einsetzung in der Kirche Christi als Lehrer bestellt sind. Es gibt nun einmal in der Kirche, in Sachen des Seelenheils, keine Lehrtätigkeit, die dieser Gewalt und Aufsicht entzogen wäre.

In jüngerer Zeit hat man nun aber begonnen, hier und dort eine Theologie ins Leben zu rufen und zu verbreiten, die man Laientheologie nennt. Eine eigene Art Laientheologen ist aufgekommen, die sich als selbstherrlich ausgeben. Von dieser Theologie gibt es Vorlesungen, gedruckte Schriften, Zirkel, Lehrstühle, Professoren. Sie unterscheiden ihr Lehramt von dem öffentlichen Lehramt der Kirche und bringen es in Gegensatz zu ihm. Um ihr Vorgehen zu rechtfertigen, berufen sie sich zuweilen auf die Charismen der Lehre und Auslegung, von denen im Neuen Testament, besonders in den Briefen des hl. Paulus, öfter die Rede ist (z. B. Röm. 12, 6-7; 1 Kor. 12, 28-30). Sie berufen sich auch auf die Geschichte, die von den Anfängen des Christentums bis heute die Namen so vieler Laien aufführt, die zum Heil der Seelen die Wahrheit Christi in Schrift und Wort lehrten, ohne aber hierzu von den Bischöfen berufen zu sein, auch ohne die Vollmacht zur kirchlichen Lehrtätigkeit erbeten oder empfangen zu haben, sondern nur geführt von ihrem inneren Drang und apostolischen Eifer.

Dagegen ist jedoch festzuhalten: In der Kirche hat es nie gegeben, gibt es nicht und wird es nie ein rechtmäßiges Lehramt der Laien geben, das von Gott der Autorität, Führung und Aufsicht des kirchlichen Lehramtes entzogen wäre. Im Gegenteil bietet gerade die Verneinung der Unterordnung einen überzeugenden Beweis, dass die Laien, die so reden und handeln, nicht vom Geiste Gottes und Christi geführt werden.

Außerdem sieht jedermann, wie groß in dieser "Laientheologie" die Gefahr der Verwirrung und des Irrtums ist. Auch besteht die Gefahr, dass solche sich an den Unterricht anderer machen, die völlig ungeeignet, ja sogar hinterhältig und betrügerisch sind, wie sie der hl. Paulus beschreibt: "Es kommt ja die Zeit, da ... man aus Begierde nach Ohrenkitzel sich nach eigenem Sinn immer neue Lehrer sucht; von der Wahrheit wird man das Ohr abwenden und sich den Fabeln zuwenden" (vgl. 2 Tim. 4, 3-4).

Es liegt uns bei dieser Mahnung fern, Menschen irgendeines Standes und irgendeiner Gruppe, die sich von so heiligem Eifer angeregt fühlen, von einem tieferen Eindringen in die Glaubenslehre und ihrer Verbreitung abzuhalten.

Gebt aber ihr, ehrwürdige Brüder, euch von Tag zu Tag mehr Mühe, wie es die Aufgabe und Würde eures Amtes fordern, in die Höhen und Tiefen der übernatürlichen Wahrheit, in der ihr von Rechts wegen Führer seid, einzudringen und mit begeisterndem Wort und mit Hingabe die hehren Wahrheiten der Religion den Völkern zu verkündigen, die jetzt, von schweren Gefahren bedroht, im Denken und Fühlen vom Dunkel der Täuschung eingehüllt werden, damit die Menschen endlich in heilsamer Buße und geläuterter Liebe zu Gott zurückfinden, "von dem sich abwenden - fallen, zu dem sich hinwenden - wieder aufstehen, in dem verbleiben - feststehen, zu dem zurückkehren - wieder aufleben, in dem wohnen leben bedeutet" (S. Aug. Soliloquia, lib. I, 3, Migne P. L Tom. 32, col. 870).

Damit euer Wirken in dieser Hinsicht fruchtbar sei, rufen Wir die Hilfe des Himmels auf euch herab, und damit sie in reicher Fülle ströme, erteilen Wir euch und euren Gläubigen aus der Fülle des Herzens den Apostolischen Segen.