Inspectis dierum (Wortlaut)

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Instruktion
Inspectis dierum

der Kongregation für das katholische Bildungswesen
im Pontifikat von Papst
Johannes Paul II.
über das Studium der Kirchenväter in der Priesterausbildung
10. November 1989
(Offizieller lateinischer Text: AAS LXXXII [1990] 607-636)

(Quelle: DBK: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 96; auch in: DAS 1989, S. 1427-1450)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Thomas von Aquin, der Meister der katholischen Priesterausbildung

Einführung

1 Angesichts der besonderen Ansprüche, die heute an die theologischen Studien in den Instituten für die Priesterausbildung zu stellen sind, hat sich diese Kongregation seinerzeit mit dem Studium der Kirchenväter im Ganzen beschäftigt.<ref> Im Dokument Die theologische Ausbildung der künftigen Priester, 22. Februar 1976, Nr. 85-88.</ref> Heute möchte sie in der vorliegenden Instruktion auf einige Einzelprobleme dieses Gebietes eingehen.

Die Aufforderung zu intensiverem Studium der Patristik in den Seminarien und an den theologischen Fakultäten mag manche überraschen. Warum - so könnte man sich fragen - lädt man Professoren und Studenten zur Beschäftigung mit der Vergangenheit ein, wo doch heute in Kirche und Gesellschaft schon zahlreiche schwere Probleme da sind, die dringend gelöst werden müssen? Eine überzeugende Antwort auf diese Frage ergibt sich, wenn man einen Gesamtblick auf die Geschichte der Theologie wirft und aufmerksam einige Besonderheiten des heutigen kulturellen Klimas bedenkt, wenn man ferner auf die tiefreichenden Bedürfnisse und die neuen Ausrichtungen der Spiritualität und der Pastoral schaut.

2 Ein Rückblick auf die verschiedenen Etappen der Geschichte der Theologie zeigt, dass das theologische Denken nie auf die Sicherheit und Weisung gebende Präsenz der Väter verzichtet hat. Im Gegenteil war es sich immer lebendig bewusst, dass bei den Vätern etwas Einzigartiges, Unwiederholbares und bleibend Gültiges vorliegt, das weiterlebt und der Flüchtigkeit der Zeit widersteht. Papst Johannes Paul lI. hat dazu gesagt: „Die Kirche lebt noch heute von dem Leben, das sie bei ihren Vätern vorfindet; sie wird auch heute noch auf den Strukturen ihrer ersten Baumeister bei der Freude und Mühe ihres Weges und bei ihrer täglichen Last erbaut".<ref> Johannes Paul II., Apost. Schreiben Patres ecclesiae, 2. Jan. 1980: AAS, 72 (1980), S.5.</ref>

3 Die Betrachtung des heutigen kulturellen Klimas lässt ferner die zahlreichen Analogien deutlich werden, die die gegenwärtige Zeit trotz der evidenten Unterschiede mit der Epoche der Patristik verbinden. Wie damals, so geht auch heute eine Welt unter und eine andere kommt herauf. Wie damals, so vollzieht die Kirche auch heute eine delikate Unterscheidung der geistigen und kulturellen Werte in einem Prozess der Assimilierung und der Reinigung, die ihr die Wahrung ihrer Identität gestattet, wobei sie zugleich in der heutigen kulturellen Landschaft den ganzen Reichtum anbieten kann, den die menschliche Ausdruckskraft des Glaubens unserer Welt schenken kann und muß.<ref> Paul VI., Enzyklika Ecclesiam suam, 6. Aug. 1964: AAS, 56 (1964), S. 627-628.</ref> All das bildet für das Leben der ganzen Kirche und zumal für die Theologie eine Herausforderung, denn wenn diese ihre Aufgaben entsprechend erfüllen soll, muss sie auf die Werke der Väter zurückgreifen, wie sie analog sich an die Heilige Schrift hält.

4 Die Beobachtung der heutigen Wirklichkeit der Kirche zeigt endlich, dass die Bedürfnisse der allgemeinen Pastoral der Kirche und zumal die neuen Strömungen der Spiritualität gediegene Nahrung und verlässliche Quellen der Anregung brauchen. Angesichts der Sterilität so vieler Bemühungen denkt man spontan an den frischen Hauch wahrer Weisheit und christlicher Echtheit, der aus den Werken der Patristik aufsteigt. Dieser Hauch hat bereits, auch in neuerer Zeit, zur Vertiefung zahlreicher liturgischer, ökumenischer, missionarischer und pastoraler Probleme beigetragen, die vom II. Vatikanischen Konzil übernommen wurden und für die Kirche von heute als Quelle der Ermutigung und des Lichtes gelten. Die Väter zeigen auch heute noch ihre Lebenskraft und haben dem, der Theologie studiert oder lehrt viel zu sagen. Aus diesem Grund wendet sich die Kongregation für das katholische Bildungswesen heute an die für die Priesterausbildung Verantwortlichen und legt ihnen einige nützliche Überlegungen über die heutige Situation der patristischen Studien (I), über ihre tieferen Motive (II), über ihre Methoden (III) sowie über ihre konkrete Planung vor (IV).

Aspekte der heutigen Situation

Jedes Reden über die oben angedeuteten Themen setzt als Ausgangspunkt die Kenntnis der Situation voraus, in der sich die patristischen Studien heute befinden. Wir fragen also, welcher Platz ihnen heute bei der Vorbereitung der künftigen Priester eingeräumt wird, und welche Weisungen der Kirche dazu vorliegen.

Die Väter in den theologischen Studien heute

5 Der heutige Stand der Patristik in den Instituten der Priesterausbildung ist eng mit den allgemeinen Verhältnissen des theologischen Unterrichtes verknüpft: mit seinem Aufbau, seiner Struktur und Grundausrichtung; mit der Qualität und spezifischen Vorbereitung der Dozenten, mit dem intellektuellen und geistlichen Niveau der Alumnen, mit dem Zustand der Bibliotheken und allgemein mit der Verfügbarkeit der didaktischen Mittel. Seine Situation ist daher nicht überall gleich; sie ist nicht nur von Land zu Land verschieden, sondern auch in den verschiedenen Diözesen der einzelnen Nationen. Doch kann man hier auf Ebene der Gesamtkirche sowohl positive Aspekte als auch gewisse Situationen und Tendenzen namhaft machen, die zuweilen für die kirchlichen Studien Probleme stellen.

6 a) Die Einfügung der historischen Dimension in die wissenschaftliche Arbeit der Theologen, die zu Beginn unseres Jahrhunderts begann, hat die Aufmerksamkeit unter anderem auch wieder auf die Kirchenväter gelenkt. Dies erwies sich als außerordentlich vorteilhaft und fruchtbar, weil so eine bessere Kenntnis der christlichen Ursprünge, der Entstehung und der geschichtlichen Entwicklung verschiedener Fragen und Lehren möglich wurde, aber auch, weil das Studium der Väter von einigen wirklich gelehrten und hochgebildeten Fachleuten betrieben wurde, die das lebenswichtige Band zwischen der Überlieferung und den drängendsten Problemen von heute aufzuzeigen wussten. Dank dieses Zugangs zu den Quellen blieben die langwierigen und mühseligen Arbeiten der historischen Forschung nicht auf eine bloße Erforschung der Vergangenheit beschränkt, sondern haben auf die geistlichen und pastoralen Orientierungen der heutigen Kirche Einfluss gewonnen und zugleich den Weg in die Zukunft aufgezeigt. Natürlicherweise hat die Theologie davon am meisten Vorteil gehabt.

7 b) Dieses Interesse für die Väter geht heute noch weiter, wenn auch unter etwas anderen Verhältnissen. Trotz eines erheblichen allgemeinen Niedergangs der humanistischen Kultur ist da und dort auf patristischem Gebiet ein neues Erwachen zu spüren, das nicht nur ausgezeichnete Gelehrte aus dem Ordens- und Weltklerus, sondern auch zahlreiche Vertreter der Laienschaft erfasst hat. In letzter Zeit steigt die Publikation sehr guter Sammlungen von Texten der Kirchenväter und wissenschaftlicher Monographien erheblich an, was vielleicht am deutlichsten auf einen wirklichen Hunger nach dem geistlichen Erbe der Väter hinweist; ein tröstliches Zeichen, das sich natürlich auch an den theologischen Fakultäten und in den Seminarien positiv auswirkt. Dennoch weist die Entwicklung auf theologischem und kulturellem Gebiet allgemein gewisse Mängel und manche Hindernisse für eine ernsthafte Arbeit auf, die nicht übergangen werden dürfen.

8 c) Es fehlt heute nicht an theologischen Auffassungen und Tendenzen, die im Gegensatz zu den Hinweisen des Dekretes Optatam totius (Nr. 16) dem Zeugnis der Väter und allgemein der kirchlichen Überlieferung wenig Aufmerksamkeit schenken und sich auf eine direkte Gegenüberstellung der biblischen Aussagen und der sozialen Wirklichkeit sowie der konkreten Lebensprobleme, die mit Hilfe der Humanwissenschaften analysiert werden, beschränken. Es geht um theologische Strömungen, die von der historischen Dimension der Dogmen absehen, und für die die immensen Bemühungen der patristischen Zeit und des Mittelalters keinerlei wirkliche Wichtigkeit zu besitzen scheinen. In solchen Fällen wird das Studium der Väter nur noch minimal betrieben und praktisch in die globale Ablehnung der Vergangenheit einbezogen.

Wie man z. B. bei verschiedenen Theologien unserer Zeit, die vom Strom der Tradition abgelöst sind, sehen kann, wird in diesen Fällen die theologische Forschung entweder auf einen reinen Bibliszismus verkürzt, oder sie wird zum Gefangenem des eigenen historischen Horizonts und passt sich an die verschiedenen modischen Philosophien und Ideologien an. Der praktisch sich selbst überlassene Theologe glaubt Theologie zu betreiben, betreibt aber in Wirklichkeit nur Historizismus, Soziologismus usw., und er verflacht die Gehalte des Credo auf die rein irdische Dimension.

9 d) Negativ wirkt sich auf die patristischen Studien auch eine gewisse Einseitigkeit aus, die heute in verschiedenen Fällen bei den exegetischen Methoden zu beobachten ist. Die moderne Exegese, die sich der Hilfe der historischen Methode und der Literarkritik bedient, wirft auf die exegetischen Beiträge der Väter einen Schatten, weil sie angeblich allzu sehr vereinfachen und im wesentlichen für eine gründlichere Kenntnis der Heiligen Schrift unnütz sind. Solche Ausrichtungen lassen auf der einen Seite die Exegese verarmen und entstellen sie; sie zerbrechen aber vor allem die natürliche Einheit mit der Tradition und vermindern zweifellos die Hochachtung und das Interesse für die patristischen Werke. Die Exegese der Väter könnte uns dagegen die Augen für weitere Dimensionen der geistlichen Exegese und Hermeneutik öffnen, die die historisch-kritische Methode ergänzen und sie mit tief theologischen Einsichten bereichern würde.

10 e) Neben den Schwierigkeiten, die von gewissen exegetischen Ausrichtungen herkommen, sind auch jene zu erwähnen, die auf verfehlte Auffassungen der Tradition zurückgehen. In einigen Fällen verwendet man statt des Begriffs einer lebendigen Tradition, die voranschreitet und sich im Verlauf der Geschichte entfaltet, einen anderen allzu engen Begriff, der zuweilen als „integristisch" bezeichnet wird und die Tradition auf die bloße Wiederholung vergangener Vorstellungen verkürzt und aus ihr einen monolithischen festen Block macht, der für eine berechtigte Entwicklung und das notwendige Antworten des Glaubens auf neue Situationen keinen Raum lässt. Auf diese Weise kommen leicht Vorurteile für die Tradition als solche auf, und diese fördern nicht einen ungestörten Zugang zu den Kirchenvätern.

Merkwürdigerweise wirkt sich sogar der Begriff der lebendigen Tradition der Kirche auf die Wertschätzung der Zeit der Kirchenväter ungünstig aus, wenn nämlich Theologen den gleichen Wert sämtlicher geschichtlicher Epochen betonen und dabei nicht genügend den besonderen Charakter des Beitrags der Väter zum gemeinsamen Glaubensgut der Tradition berücksichtigen.

11 t) Viele Theologiestudenten verfügen heute, wenn sie von Schulen technischen Typs herkommen, nicht über jene Kenntnis der klassischen Sprachen, die für eine ernsthafte Beschäftigung mit den Werken der Väter notwendig ist. Daher leidet der Stand der Patristik in den Instituten für Priesterausbildung erheblich unter dem derzeitigen kulturellen Wandel, I der in wachsendem Maße vom wissenschaftlichen und technologischen Denken geprägt wird. Dieses betont fast ausschließlich das Studium der Natur- und Humanwissenschaften und vernachlässigt die humanistische Kultur.

12 g) Endlich sind in vielen Instituten der Priesterausbildung die Studienprogramme derart mit verschiedenen neuen Fächern, die man für notwendiger und aktueller hält, überladen, dass für die Patristik nicht genügend Raum bleibt. Diese muss sich daher mit wenigen Wochenstunden begnügen, oder sie wird einfach der alten Kirchengeschichte zugeordnet. Zu diesen Schwierigkeiten kommt in den Bibliotheken häufig das Fehlen von Sammlungen von Vätertexten und geeigneten bibliographischen Hilfen.

Die Väter in den Weisungen der Kirche

Die Ausführungen zum derzeitigen Stand der patristischen Studien wären nicht vollständig ohne die Erwähnung der entsprechenden amtlichen Normen der Kirche. Wie sich zeigen wird, stellen diese die theologischen, spirituellen und pastoralen Gehalte in den Werken der Väter deutlich heraus, um diese für die Vorbereitung der zukünftigen Priester fruchtbar zu machen.

13 a) Den ersten Platz nehmen hierbei die Hinweise des II. Vatikanischen Konzils zur theologischen Lehrmethode und zur Rolle der Tradition bei der Interpretation und Übermittlung der Heiligen Schrift ein.

In Nr. 16 des Dekretes Optatam totius wird für den dogmatischen Unterricht die genetische Methode vorgeschrieben, die ganz und gar nicht zur Notwendigkeit einer Vertiefung der Geheimnisse der Theologie, um sie „mit dem heiligen Thomas als Meister spekulativ tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu verstehen" (ebd.), in Gegensatz steht. Diese Methode betrachtet in ihrem zweiten Abschnitt den Beitrag der Kirchenväter aus dem Osten und Westen „zur treuen Überlieferung und zur Entfalt und der einzelnen Glaubenswahrheiten“ und erläutert ihn.

Diese für das Verständnis des dogmatischen Fortschritt so wichtige Methode wurde von kürzlich stattgefundenen außerordentlichen Bischofssynode 1985 erneut bekräftigt (vgl. Schlussbericht II, B, Nr. 4).

14 Die Wichtigkeit der Väter für die Theologie und zumal für das Verständnis der Heiligen Schrift ergibt sich ferner sehr klar aus einigen Erklärungen der Konstitution Dei Verbum über Wert und Rolle der Tradition: „Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift sind eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil. „Die Heilige Überlieferung gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter. ..; so ergibt sich, dass die Kirche ihre Gewissheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft. Daher sollen beide mit gleicher Liebe und Achtung angenommen und verehrt werden" (Nr. 9).

Wie man sieht, bildet die Heilige Schrift, die „die Seele der heiligen Theologie" und ihr „bleibendes Fundament" (Nr. 24) sein muss, mit der Heiligen Überlieferung eine unzertrennliche Einheit, „den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes. ..so dass keines ohne das andere besteht" (Nr. 10). Gerade „die Aussagen der heiligen Väter bezeugen die lebensspendende Gegenwart dieser Überlieferung, deren Reichtümer sich in Tun und Leben der glaubenden und betenden Kirche ergießen" (Nr. 8). Trotz der unleugbaren Fortschritte der modernen Exegese bemüht sich daher die Kirche auch heute, „zu einem immer tieferen Verständnis der Heiligen Schriften vorzudringen, um ihre Kinder unablässig mit dem Wort Gottes zu nähren; darum fordert sie auch in gebührender Weise das Studium der Väter des Ostens wie des Westens und der heiligen Liturgien" (Nr. 23).

15 b) Die Kongregation für das katholische Bildungswesen schärft in der Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis sowie im Dokument Die theologische Ausbildung der künftigen Priester die oben erwähnten Vorschriften des II. Vatikanischen Konzils ein und stellt einige wichtige Aspekte heraus: Angesichts bestimmter Tendenzen, die dogmatische Theologie zu verkürzen, wird die Integrität und Vollständigkeit der genetischen Methode betont,<ref> Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis, Nr. 79.</ref> deren Gültigkeit und deren didaktische Werte<ref> Die theologische Ausbildung der künftigen Priester, Nr. 89, 93.</ref> wie auch die für ihre richtige Anwendung geforderten Voraussetzungen;<ref> Ebd., Nr. 90,91.</ref> dazu wird ausdrücklich auf den historisch-patristischen Abschnitt hingewiesen.<ref> Ebd., Nr. 92, 4b.</ref>

Nach der Ratio fundamentalis<ref> Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis, Nr. 86.</ref> müssen Professoren und Alumnen in voller Treue dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift und in der Überlieferung anhangen und ihren lebendigen Sinn „vor allem aus den Werken der heiligen Väter" gewinnen. Diese verdienen große Hochachtung, weil „ihr Werk zur lebendigen Überlieferung der Kirche gehört, zu der sie nach Fügung der Vorsehung Gottes in einer für eine Synthese von Glauben und Vernunft günstigeren Zeit bleibend wertvolle Beiträge geliefert haben".<ref> Die theologische Ausbildung der künftigen Priester, Nr. 48.</ref>

Ein besseres Vertrautwerden mit den Vätern darf als das wirksamste Mittel zum Entdecken der lebendigen Kraft der theologischen Ausbildung<ref> Ebd., Nr. 74.</ref> und vor allem zum Eindringen in die Dynamik der Tradition gelten, „die vor einem übertriebenen Individualismus bewahrt und objektives Denken garantiert".<ref> Ebd., Nr. 49.</ref>

Damit solche Mahnungen nicht toter Buchstabe blieben, wurden im erwähnten Dokument über Die theologische Ausbildung der künftigen Priester einige Normen für das systematische Studium der Patristik erlassen (Nr. 85-88).

16 c) Im Verlauf der letzten Jahrzehnte wurden die Impulse für das Studium der Väter, die das Konzil und die Kongregation für das katholische Bildungswesen gegeben hatten, bei verschiedenen Gelegenheiten von den Päpsten neu hervorgehoben. Ihre Äußerungen zeichnen sich wie die ihrer Vorgänger durch den Reichtum ihrer Gesichtspunkte und ihre Bedeutsamkeit für die heutige theologische und geistige Lage aus.

„Das Studium der Väter ist für alle von großem Nutzen, aber eine gebieterische Notwendigkeit für jene, denen die vom Konzil eingeleitete theologische, pastorale und geistliche Erneuerung am Herzen liegt, und die dabei mitwirken möchten. Bei ihnen finden sich nämlich bleibende Gesichtspunkte, die für jede echte Erneuerung grundlegend sind".<ref> Paul VI., Brief an Kard. Michele Pellegrino zum Jahrestag des Todes von J.P. Migne, 10. Mai 1975; AAS, 67 (1975), S. 471.</ref> Das patristische Denken ist christozentrisch;<ref> Johannes Paul II., Ansprache Sono lieto, an die Professoren und Alumnen des Patristischen Institutes "Augustinianum", 8. Mai 1982: AAS, 74 (1982), S. 798: "Sich in die Schule der Väter begeben, bedeutet also, in ein besseres Kennen lernen Christi eingeführt werden und auch den Menschen besser kennen lernen. Diese wissenschaftlich unterbaute und erprobte Kenntnis wird der Kirche erheblich bei ihrer Sendung zur Predigt für alle helfen, die sie ja unermüdlich fortsetzt, dass nämlich Christus allein das Heil des Menschen ist".</ref> ein Beispiel für eine einheitliche, lebendige und im Kontakt mit den Problemen des pastoralen Dienstes gereifte Theologie;<ref> Paul VI., Ansprache „I Nostri passi“, zur Einweihung des Patristischen Institutes "Augustinianum", 4. Mai 1970: AAS, 62 (1970), S. 425: "Als Hirten spürten die Väter dann die Notwendigkeit, die Botschaft des Evangeliums an die zeitgenössische Mentalität anzupassen und sich selber wie das Volk Gottes mit der Nahrung der Wahrheit des Glaubens zu nähren. Das führte dahin, dass für sie Katechese, Theologie, Heilige Schrift, Liturgie sowie geistliches Leben und Pastoral sich zu einer einzigen Lebenseinheit verbanden, dass sie ferner nicht nur den Verstand ansprachen, sondern den ganzen Menschen, sein Denken, Wollen und Fühlen".</ref> ein sehr gutes Vorbild für die Katechese,<ref> Johannes Paul II., Apost. Exhort. Catechesi tradendae, 16. Oktober 1979: AAS, 71 (1979), S. 1287, Nr. 12.</ref> eine Quelle für die Kenntnis der Heiligen Schrift und der Überlieferung,<ref> Johannes Paul II., Anspr. Sono lieto, an die Professoren und Alumnen des Patristischen Institutes „Augustinianum", 8. Mai 1982: AAS, 74 (1982), S. 796 f.</ref> wie auch für die Kenntnis des ganzen Menschen und der echten christlichen Identität.<ref> Ebd., S. 797 f.</ref> Die Väter bilden nämlich „eine feste Struktur der Kirche, und sie erfüllen für die Kirche aller Jahrhunderte eine bleibende Funktion. Wenn daher die spätere Verkündigung und Lehraussage echt sein will, dann muss sie sich an ihrer Verkündigung und an ihrem Lehramt messen; jedes Charisma und jeder Dienst muss mit der lebenswichtigen Quelle ihrer Vaterschaft in Verbindung stehen; jeder Stein, der dem Bau neu hinzugefügt wird. ..muss sich in die von ihnen bereits geschaffenen Strukturen einfügen sowie sich mit diesen verfestigen und verknüpfen".<ref> Johannes Paul II., Apost. Schreiben Patres ecclesiae, 2. Jan. 1980: AAS, 72 (1980), S. 6.</ref>

Warum soll man die Kirchenväter studieren?

17 Offensichtlich können die patristischen Studien das notwendige wissenschaftliche Niveau nur erreichen und die erhofften Früchte bringen, wenn sie ernsthaft und liebevoll gepflegt werden. Die Erfahrung lehrt nämlich, dass die Väter ihren Reichtum an Lehre und Spiritualität nur dem erschließen, der sich tiefer einzudringen müht und immer mehr mit ihnen vertraut wird. Dozenten und Alumnen müssen sich daher wirklich anstrengen, und dafür kann man folgende Hauptmotive anführen:

1) Die Väter sind privilegierte Zeugen der Überlieferung; 2) sie haben uns eine theologische Methode überliefert, die zugleich lichtvoll und sicher ist; 3) ihre Schriften bieten einen kulturellen, spirituellen und apostolischen Reichtum, der sie zu großen Lehrern der Kirche von gestern und heute macht.

Privilegierte Zeugen der Überlieferung

18 Unter den verschiedenen Werten und Aufgaben, welche die Dokumente des Lehramtes den Vätern zuerkennen, steht an erster Stelle, dass sie privilegierte Zeugen der Überlieferung sind. Im Strom der lebendigen Überlieferung, der sich von den Anfangen des Christentums die Jahrhunderte hindurch bis in unsere Tage ergießt, nehmen sie eine ganz besondere Stellung ein, die sie gegenüber den anderen Führergestalten der Kirchengeschichte unverwechselbar macht. Sie haben nämlich die ersten tragenden Strukturen der Kirche sowie lehrhafte und pastorale Haltungen ausgeprägt, die für alle Zeiten gültig bleiben.

19 a) In unserem christlichen Bewusstsein sind die Väter immer mit der Überlieferung verbunden, da sie zugleich deren Führergestalten und Zeugen sind. Sie stehen der Reinheit der Ursprünge näher; einige von ihnen sind Zeugen der apostolischen Überlieferung, also einer Quelle, aus der die Überlieferung ihren Ursprung herleitet; zumal die Väter der ersten Jahrhunderte können als Autoren und Exponenten einer konstitutiven Überlieferung gelten, die spätere Zeiten zu bewahren und ständig zu entfalten haben. In jedem Fall haben die Väter übermittelt, was sie empfangen hatten, „sie haben die Kirche das gelehrt, was sie von der Kirche gelernt hatten";<ref> Augustinus, Opus imp. C. Jul. 1, 117: PL 45, 1125.</ref> „was sie in der Kirche vorfanden, haben sie festgehalten; was sie gelernt haben, haben sie gelehrt; was sie von den Vätern empfangen hatten, haben sie an die Söhne weitergegeben".<ref> Idem, Contra Jul. 2, 10, 34: PL 44, 698. </ref>

20 b) Geschichtlich betrachtet ist die Zeit der Väter die Zeit einiger wichtiger Erstlinge der Kirchenordnung. Sie haben „den ganzen Kanon der Heiligen Bücher" festgelegt,<ref> ll. Vat. Konzil, Konst. Dei verbum, Nr. 8.</ref> die grundlegenden Glaubensbekenntnisse (regulae fidei) formuliert, das Glaubensdepositum gegenüber den zeitgenössischen Häresien und den Kulturen verdeutlicht und so die Theologie eingeleitet. Sie sind es weiter, die die Grundlagen für die kirchenrechtliche Disziplin (statuta patrum, traditiones patrum) gelegt und die ersten Gestalten der Liturgie geschaffen haben, die ein verbindlicher Bezugspunkt für alle späteren liturgischen Reformen bleiben. Die Väter haben damit auf die Heilige Schrift die erste bewusste und überlegte Antwort gegeben und sie nicht als bloß abstrakte Theorie, sondern als tägliche pastorale Praxis der Erfahrung und Lehre im Herzen der liturgischen Versammlungen formuliert, die ja zum Bekenntnis des Glaubens und zur Feier des Kultes des auferstandenen Herrn zusammenkamen. So waren sie die Schöpfer der ersten großen christlichen Katechese.

21 c) Die Überlieferung, deren Zeugen die Väter sind, ist eine lebendige Überlieferung, die die Einheit in der Verschiedenheit sowie die Kontinuität im Fortschritt zeigt. Dies kann man an der Vielfalt der liturgischen Familien, der geistlichen, disziplinären und exegetisch-theologischen Überlieferungen sehen, die in den ersten Jahrhunderten da waren (z. B. die Schulen von Alexandrien und von Antiochien); unterschiedliche Überlieferungen, die aber alle im festen und unveränderlichen gemeinsamen Fundament des Glaubens geeint und verwurzelt waren.

22 d) Die Überlieferung, wie die Väter sie kannten und lebten, gleicht daher keinem monolithischen, unbeweglichen und toten Block, sondern einem vielfältigen und von Leben sprühenden Organismus. Sie ist eine Praxis des Lebens und der Lehre, die auf der einen Seite Unklarheiten, Spannungen und als vorläufig gedachte Forschungen kennt, auf der anderen aber auch rechtzeitige und mutige Entscheidungen von großer Originalität und entscheidender Wichtigkeit. Der lebendigen Überlieferung der Väter folgen bedeuten nicht, sich an die Vergangenheit als solche klammern, vielmehr mit einem Gefühl der Sicherheit und mutigen Freiheit der Linie des Glaubens anhangen und sich dabei ständig am Fundament orientieren: am Wesentlichen, das bleibt und sich nicht ändert. Es geht um eine absolute, in vielen Fällen „bis zum Vergießen des Blutes" durchgehaltene und bewährte Treue zum Dogma und jenen moralischen und disziplinären Grundsätzen, die ihre unersetzliche Funktion und ihre Fruchtbarkeit gerade dann zeigen, wenn neue Dinge hochkommen.

23 e) Die Väter sind also Zeugen und Garanten einer echten katholischen Tradition, und daher ist und bleibt ihre Autorität bei theologischen Fragen immer gewichtig. Wenn es notwendig war, die Abwegigkeit gewisser Denkrichtungen anzuprangern, hat sich die Kirche immer auf die Väter als Garanten der Wahrheit berufen. Verschiedene Konzilien, z. B. die von Chalzedon und Trient, beginnen ihre feierlichen Erklärungen mit einer Berufung auf die patristische Überlieferung und verwenden die Formel: „Im Gefolge der heiligen Väter. ..usw.". Auf sie bezieht man sich sogar in Fällen, wo die Frage an sich bereits durch Berufung auf die Heilige Schrift gelöst ist.

Auf dem Konzil von Trient<ref> Konzil von Trient, ed. Goeressiana, V (Acta ll) 91 ff.</ref> und auf dem I. Vatikanischen Konzil<ref> I. Vat. Konzil coll. Lac. 7, 251.</ref> wurde ausdrücklich der Grundsatz verkündet, die einmütige Übereinstimmung der Väter bilde eine sichere Regel für die Auslegung der Schrift, ein Grundsatz, der in der Geschichte der Kirche immer lebendig war und angewandt wurde. Er ist identisch mit dem Normcharakter der Überlieferung, den Vinzenz von Lerin<ref> Comm. primum 2, 10: PL 50, 639, 650.</ref> und vorher schon der hl. Augustinus formuliert hat.

24 f) Die Beispiele und Lehren der Väter als Zeugen der Überlieferung wurden besonders auf dem II. Vatikanischen Konzil hervorgehoben und geschätzt, das gerade durch sie ein lebendigeres Bewusstsein der Kirche von sich selber gewinnen und den sicheren Weg zumal für die liturgische Erneuerung, für einen fruchtbaren ökumenischen Dialog sowie für die Begegnung mit den nichtchristlichen Religionen aufzeigen konnte. Es machte nämlich für die heutigen Verhältnisse das alte Prinzip der Einheit in der Verschiedenheit und des Fortschritts in der Kontinuität der Überlieferung fruchtbar.

Theologische Methode

25 Der delikate Prozess der Einfügung des Christentums in die Welt der antiken Kultur sowie die Notwendigkeit, die Inhalte der christlichen Botschaft gegenüber der heidnischen Kultur und den Häresien klarzustellen, regten die Väter zur vernunftbezogenen Vertiefung und Darstellung des Glaubens mit Hilfe der Kategorien des am besten in den Philosophien ihrer Zeit und zumal in der besonders reich ausgearbeiteten hellenistischen Philosophie entwickelten Denkens an. Eine ihrer wichtigsten historischen Aufgaben war der Aufbau der theologischen Wissenschaft und die Festlegung einiger Koordinaten und Normen des Vorgehens in ihrem Dienst, die sich auch für die kommenden Jahrhunderte als gültig und fruchtbar erwiesen, wie es der hl. Thomas von Aquin in größter Treue zur Lehre der Väter in seinem Werk darlegen sollte.

Bei diesem Wirken als Theologen zeigen sich bei den Vätern einige besondere Haltungen und Gedanken, die von großem Interesse sind, und die man sich auch heute bei den kirchlichen Studien vor Augen halten muss:

a) ihr ständiges Zurückgreifen auf die Heilige Schrift und der Sinn für die Überlieferung;

b) das Bewusstsein von der Originalität des Christentums, trotz Anerkennung der in der heidnischen Kultur enthaltenen Wahrheiten;

c) die Verteidigung des Glaubens als höchstes Gut sowie die ständige Vertiefung des Gehaltes der Offenbarung;

d) der Sinn für das Geheimnis und die Erfahrung des Göttlichen.

Der Rückgriff auf die Heilige Schrift, der Sinn für die Überlieferung

26 a) Die Väter sind an erster Stelle und im wesentlichen Kommentatoren der Heiligen Schrift: „divinorum librorum tractatores".<ref> Augustinus, De lib. arb. ill. 21, 59; De Trin. ll. I, 2: PL 32, 1300; 42, 845.</ref> Gewiss zeigt ihre Arbeit hier von unserem heutigen Gesichtspunkt aus gewisse unleugbare Grenzen. Sie kannten unsere philologischen, geschichtlichen und anthropologisch-kulturellen Hilfsmittel nicht und konnten sie nicht kennen; auch waren ihnen die Forschungsthemen, die wissenschaftliche Dokumentation und Arbeit, wie sie der modernen Exegese zur Verfügung stehen, unbekannt, und daher muss ein Teil ihrer exegetischen Arbeit als hinfällig gelten. Doch sind ihre Verdienste für ein besseres Verständnis der Heiligen Bücher dennoch unermesslich. Sie bleiben für uns wahre Meister, und man kann sagen, unter vielen Gesichtspunkten sind die Exegeten des Mittelalters und der modernen Zeit überlegen, wegen „einer Art unmittelbarer Intuition der himmlischen Dinge, einer bewundernswerten Tiefsicht des Geistes, mit denen sie in größere Tiefen des göttlichen Wortes hinabreichten".<ref> Pius Xll., Enzyklika Divino afflante spiritu, 30. Sept. 1943: AAS, 35 (1943), S. 312.</ref> Das Beispiel der Väter kann die modernen Exegeten einen wahrhaft religiösen Zugang zur Heiligen Schrift wie auch eine Interpretation lehren, die sich ständig an das Kriterium der Gemeinschaft mit der Erfahrung der Kirche hält, die unter Führung des Heiligen Geistes durch die Geschichte wandelt. Werden diese beiden Deutungsgrundsätze, der religiöse und der spezifisch katholische, außer Acht gelassen oder vergessen, erweisen sich die modernen exegetischen Studien oft als verarmt und vermischt.

Die Heilige Schrift war für die Väter ein Gegenstand bedingungsloser Verehrung, Fundament des Glaubens und ständiges Predigtthema, Nahrung für ihre Frömmigkeit und Seele der Theologie. Sie haben immer an ihrem göttlichen Ursprung, an ihrer Irrtumslosigkeit und normgebenden Autorität, endlich an ihrem unerschöpflichen Reichtum an Kraft für Spiritualität und Lehre festgehalten. Es mag hier genügen, an das zu erinnern, was der hl. Irenäus über die Schriften geschrieben hat. Sie „sind vollkommen, weil vom Wort Gottes und seinem Geist eingegeben",<ref> Adv. haer. 2,28,2: PO 7, 805.</ref> die vier Evangelien aber sind „das Fundament und die Säule unseres Glaubens".<ref> Ebd., 3,1, I: PG 7, 844.</ref>

27 b) Die Theologie ist aus der exegetischen Tätigkeit der Väter „inmitten der Kirche" und zumal in den liturgischen Versammlungen entstanden, in Kontakt mit den geistlichen Bedürfnissen des Volkes Gottes. Diese Exegese, in der sich das geistliche Leben mit dem rationalen theologischen Denken verbindet, zielt immer auf das Wesentliche, wenn auch in Treue zum gesamten heiligen Glaubensdepositum. Sie ist gänzlich auf das Geheimnis Christi konzentriert, auf das sie alle Einzelwahrheiten in einer wunderbaren Synthese bezieht. Statt sich in zahlreiche Randprobleme zu verlieren, suchen die Väter das Ganze des christlichen Geheimnisses zu umfassen, indem sie der Grundbewegung der Offenbarung und der Heilsökonomie folgen, die von Gott über Christus zur Kirche geht, dem Sakrament der Vereinigung mit Gott und Ausspenderin der göttlichen Gnade, um zu Gott zurückzukehren. Dank dieser Einsicht, die auf ihren lebendigen Sinn für die Gemeinschaft der Kirche, auf ihre Nähe zu den christlichen Ursprüngen sowie auf ihre Vertrautheit mit der Schrift zurückgeht, betrachten die Väter das Ganze in seinem Kern, machen dieses Ganze in jedem einzelnen Teil voll präsent und verbinden jede Randfrage mit ihm. Den Vätern auf diesem ihrem theologischen Weg folgen, bedeutet daher, den wesentlichen Kern unseres Glaubens und das Spezifische unserer christlichen Identität leichter zu erfassen.

28 c) Die Verehrung und Treue der Väter gegenüber den Heiligen Büchern hält gleichen Schritt mit ihrer Verehrung und Treue gegenüber der Überlieferung. Sie betrachten sich nicht als Herren, sondern als Diener der Heiligen Schriften, empfangen sie von der Kirche, lesen und kommentieren sie in der Kirche und für sie, und befolgen getreu die Glaubensregel, die von der kirchlichen und apostolischen Überlieferung vorgelegt und erklärt wird. Der oben zitierte hl. Irenäus, dieser große Liebhaber und Verehrer der heiligen Bücher, ist der Auffassung: Wer die Wahrheit kennen lernen will, muss auf die Überlieferung der Apostel schauen.<ref> Ebd., 3, 3,1: PG7, 848.</ref> Im Anschluss daran sagt er, dass auch wenn diese uns nicht die Schriften hinterlassen hätten, würde die Überlieferung für unsere Unterweisung und unser Heil genügen.<ref> Ebd., 3, 4,1: PG7, 855.</ref> Origenes aber, der mit so viel Liebe und Leidenschaft die Schriften studierte und so viel für ihr Verständnis leistete, erklärt offen, als Glaubenswahrheiten seien nur jene zu glauben, die sich in keiner Weise von der „kirchlichen und apostolischen Überlieferung" entfernen.<ref> De principiis I, praef. 1; cf. In Mt comm. 46: PG 11, 116; cf. 13, 1667.</ref> Damit macht er aus der Überlieferung die Norm für die Deutung der Schriften. Der hl. Augustinus endlich, der mit besonderem Wohlgefallen die Schriften meditierte,<ref> Confess. II, 2, 3: PL 32, 809.</ref> spricht folgendes wunderbar klare und feste Prinzip aus, das sich wieder auf die Tradition beruft: „Ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu veranlassen würde".<ref> Contra ep. fund. 5, 6: PL 42, 176.</ref>

29 d) Wenn daher das II. Vatikanische Konzil erklärte: „Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes",<ref> II. Vat. Konzil Konst. Dei verbum, Nr. 10.</ref> dann hat es nur ein altes theologisches Prinzip bekräftigt, das von den Vätern angewandt und vertreten wurde. Dieses Prinzip, das ihre gesamte exegetische und pastorale Tätigkeit erhellt und geleitet hat, bleibt gewiss auch für die Theologen und Seelsorger von heute gültig. Daraus folgt konkret, dass die Rückkehr zur Heiligen Schrift, die eines der Hauptkennzeichen im heutigen Leben der Kirche ist, von einer Rückkehr zur Überlieferung, wie sie durch die Schriften der Väter bezeugt wird, begleitet sein muss, wenn sie die erhofften Früchte bringen soll.

Christliche Originalität und lnkulturation

30 a) Eine weitere wichtige und sehr aktuelle Eigenheit der theologischen Methode der Väter besteht darin, dass sie das Licht zum besseren Verständnis der Frage schenkt: „welche Kriterien der Glaube angesichts der Philosophie und des Wissens der Völker für seine Auseinandersetzung mit der Vernunft anwenden kann."<ref> II. Vat. Konzil, Dekr. Ad gentes, Nr. 22.</ref> Sie haben nämlich aus Schrift und Überlieferung das klare Bewusstsein von der Originalität des Christentums gewonnen bzw. die feste Überzeugung, dass die christliche Lehre einen wesentlichen Kern an geoffenbarten Wahrheiten enthält, die eine Norm für das Urteil über die menschliche Weisheit und zur Unterscheidung von Wahrheit und Irrtum abgeben. Wenn diese Überzeugung einige von ihnen dahin geführt hat, den Beitrag dieser Weisheit abzulehnen und die Philosophen sozusagen als „Patriarchen der Häretiker" zu betrachten, so hat das die meisten von ihnen nicht daran gehindert, diesen Beitrag mit Interesse und anerkennend aufzugreifen, weil er aus der einzigen Quelle der Weisheit, nämlich dem Wort Gottes stammt. Es mag hier genügen, an den heiligen Märtyrer Justinus, an Clemens von Alexandrien, Origenes, den hl. Gregor von Nyssa und zumal an den HI. Augustinus zu erinnern, der in seinem Werk De doctrina christiana dafür ein Programm entwickelt hat: „Wenn jene, die als Philosophen bezeichnet werden, Wahres und mit unserem Glauben Übereinstimmendes gesagt haben... brauchen sie uns nicht nur keine Furcht einzuflößen, wir müssen sie vielmehr für uns beanspruchen ... Haben nicht viele von unseren guten Gläubigen das getan? ... Cyprian ... Laktanz ... Victorinus ... Optatus und Hilarius, um nur schon Verstorbene zu erwähnen, und unzählige Griechen?"<ref> De doctr. chI: 2, 40, 60-61: PL 34, 63.</ref>

31 b) Zu diesem Bemühen um Assimilierung kommt das andere nicht weniger wichtige und von ihm untrennbare, das wir „Disassimilierung" nennen könnten. In der Norm des Glaubens verankert, haben die Väter zahlreiche Beiträge der griechisch-römischen Philosophie übernommen, aber deren schwere Irrtümer auch zurückgewiesen und besonders die Gefahr des Synkretismus vermieden, der in der damals vorherrschenden hellenistischen Kultur weit verbreitet war, ferner die des Rationalismus, der den Glauben auf die für hellenistisches Vernunftdenken annehmbaren Aspekte einschränken wollte. Der hI. Augustinus schreibt: „Gegen ihre großen Irrtümer gilt es die christliche Lehre zu verteidigen".<ref> Retract. I, I, 4: PL 32, 587.</ref>

32 c) Dank dieser scharfsinnigen Unterscheidung der in den verschiedenen Formen antiker Kultur verborgenen Werte und Grenzen wurden neue Zugänge zur Wahrheit und neue Möglichkeiten für die Verkündigung des Evangeliums eröffnet. Von den griechischen, lateinischen und syrischen Vätern belehrt... hat die Kirche so „von den Anfangen ihrer Geschichte an es gelernt, die Botschaft Christi mit dem Rückgriff auf die Begriffe und Sprachen der verschiedenen Völker darzulegen; sie hat sich ferner bemüht, sie mit der Weisheit der Philosophen zu erklären mit dem Ziel, das Evangelium, wenn es angebracht war, an die Fassungskraft aller, wie auch an die Ansprüche der Weisen anzupassen"<ref> II. Vat. Konzil Past. Konst. Gaudium et spes, Nr. 44.</ref> Mit anderen Worten haben die Väter im Bewusstsein des universalen Wertes der Offenbarung das große Werk christlicher Inkulturation, wie man es heute nennt, begonnen. Sie wurden zum Beispiel für eine fruchtbare Begegnung von Glauben und Kultur, Glauben und Vernunft, und blieben damit wegweisend für die Kirche aller Zeiten, wenn sie sich um die Verkündigung des Evangeliums vor Menschen sehr unterschiedlicher Kulturen und um die Arbeit in ihrer Mitte bemüht.

Wie man sieht, erweist sich die Kirche dank solcher Haltungen der Väter von ihren Anfängen an als „ihrem Wesen nach missionarisch",<ref> II. Vat. Konzil Dekret Ad gentes, Nr. 2.</ref> auch auf der Ebene des Denkens und der Kultur, und daher schreibt das II. Vatikanische Konzil vor: „Diese in diesem Sinn angepasste Verkündigung des geoffenbarten Wortes muss ein Gesetz aller Evangelisation bleiben".<ref> II. Vat. Konzil Past. Konst. Gaudium et spes, Nr. 44.</ref>

Verteidigung des Glaubens, dogmatischer Fortschritt

33 a) Die Begegnung der Vernunft mit dem Glauben hat innerhalb der Kirche zu zahlreichen und lange andauernden Kontroversen geführt. Diese betrafen die großen Themen der Trinität, der Christologie, Ekklesiologie, Anthropologie und Eschatologie. Wenn die Väter bei diesen Anlässen die das Wesen des Glaubens berührenden Wahrheiten verteidigten, wurden sie zu Initiatoren eines großen Fortschritts im Verständnis der dogmatischen Gehalte, und sie leisteten für die Entfaltung der Theologie einen wertvollen Beitrag. Ihre apologetische Aufgabe, die sie mit verantwortungsbewußtem pastoralem Eifer für das geistliche Wohl der Gläubigen wahrnahmen, wurde zum providentiellen Weg zu größerer Reife des ganzen Leibes der Kirche. Der hl. Augustinus sagte angesichts der immer zahlreicheren Irrlehrer: „Gott hat ihre Verbreitung zugelassen, damit wir uns nicht nur von Milch ernähren und nicht auf der Stufe der ersten Kindheit stehenbleiben",<ref> Augustinus, Tract. in Joh. 36, 6: PL 35, 1666.</ref> denn „wenn viele den Glauben betreffende Fragen von den Häretikern nachhaltig verwirrend erhoben werden, werden sie zugleich, um sie verteidigen zu können, sorgfältiger erforscht, klarer verstanden und nachhaltiger verkündet, so dass die vom Gegner aufgeworfene Frage eine Gelegenheit zum Lernen wird.“<ref> Idem, De civ. Dei 16, 2, 1: PL 41, 477.</ref>

34 b) So wurden die Väter zu Initiatoren des vernunftgemäßen Bedenkens der Offenbarungstatsachen, zu erleuchteten Promotoren jenes „intellectus fidei", der zum Wesen jeder echten Theologie gehört. Es war ihre providentielle Aufgabe, das Christentum nicht nur zu verteidigen, sondern es auch im Zusammenhang mit der griechisch-römischen Kultur zu überdenken; neue Formulierungen zu finden, um eine alte Lehre auszudrücken, nicht biblische Formulierungen für eine biblische Lehre; mit einem Wort, den Glauben in der Form menschlichen Sprechens auszudrücken, das voll katholisch, aber auch fähig war, den göttlichen Gehalt der Offenbarung unter ständiger Wahrung seiner Identität und Transzendenz auszusagen. Zahlreiche von ihnen in die trinitarische Theologie und Christologie eingeführte Begriffe (z. B. ousia, hypostasis, physis, agenesia, genesis, ekporeusis usw.) haben in der Geschichte der Konzilien eine entscheidende Rolle gespielt, sind in die dogmatischen Formulierungen eingegangen und damit zu Werkzeugen unseres heutigen theologischen Arbeitens geworden.

35 c) Der dogmatische Fortschritt, den die Väter nicht als rein intellektuelle abstrakte Aufgabe, sondern meist in den Homilien, mitten in ihrem liturgischen und pastoralen Wirken zustande brachten, bietet ein sehr gutes Beispiel für eine Erneuerung der Überlieferung in der Kontinuität.

Für sie wurde „der katholische Glaube, der von der Lehre der Apostel herkommt ...von einer Reihe von Nachfolgern übernommen und musste den Nachkommen unversehrt weitergegeben werden".<ref> Idem, Tract in Joh. 37, 6: PL 35, 167.</ref> Sie haben ihn daher mit größter Ehrfurcht und in voller Treue zu seinem biblischen Fundament behandelt, zugleich mit gebührender Offenheit des Geistes für neue Bedürfnisse und neue kulturelle Verhältnisse: dies sind aber die eben erwähnten Eigenheiten der lebendigen Überlieferung der Kirche.

36 d) Diese ersten Entwürfe der Theologie, wie sie uns von den Vätern übermittelt wurden, machen einige für sie typische Haltungen gegenüber den geoffenbarten Wahrheiten klar, die als bleibend gültig und damit auch für die Kirche von heute maßgebend gelten dürfen. Es geht um eine ein für allemal gelegte Grundlage, an der jede spätere Theologie Maß nehmen, und zu der sie eventuell zurückkehren muss. Wir haben hier ein Erbe vor uns, dass keiner Einzelkirche ausschließlich angehört, sondern allen Christen sehr teuer ist, reicht es doch in die Zeit vor dem Bruch zwischen dem christlichen Osten und Westen zurück und übermittelt uns gemeinsame Schätze an Spiritualität und Lehre; ein reich gedeckter Tisch, an dem sich die Theologen verschiedener Konfessionen immer begegnen können. Die Väter sind ja sowohl die Väter der östlichen Orthodoxie als auch die der katholischen lateinischen Theologie oder der Theologie der Protestanten und Anglikaner; sie werden gemeinsam studiert und verehrt.

Sinn für das Geheimnis, Erfahrung des Göttlichen

37 a) Wenn die Väter bei zahlreichen Gelegenheiten ihre Verantwortung als Denker und Forscher gegenüber der Offenbarung bewiesen haben und dabei sozusagen dem Programm des "credo ut intellegam" sowie des "intellego ut credam" gefolgt sind, haben sie dies immer als echte und wahrhaft gläubige Männer der Kirche getan, ohne im geringsten die Reinheit, oder wie der hI. Augustinus sagt, die "Jungfräulichkeit"<ref> Augustinus, Serm. 93, 4; 341, 5; usw.: PL 38, 574; 39, 1496.</ref> des Glaubens anzutasten. Als Theologen verließen sie sich nicht ausschließlich auf die Möglichkeiten der Vernunft, sondern auch auf die ausdrücklicher religiösen, die aus einer Erkenntnis mehr affektiven und existentiellen Charakters stammen und in der innigen Vereinigung mit Christus wurzeln, vom Gebet genährt sowie von der Gnade und den Gaben des Heiligen Geistes getragen werden. In ihren Haltungen als Theologen und Hirten zeigt sich in höchstem Maß der tiefe Sinn für das Geheimnis und die Erfahrung des Göttlichen. Dieser schützte sie gegen die immer wiederkehrenden Versuchungen einmal eines allzu weit getriebenen Rationalismus, dann auch eines platten und müden Fideismus.

38 b) Was bei ihrer Theologie am meisten auffällt, ist der lebendige Sinn für die Transzendenz der in der Offenbarung enthaltenen göttlichen Wahrheit. Im Unterschied zu nicht wenigen antiken und modernen Denkern zeigen sie eine tiefe Demut vor dem Geheimnis Gottes, wie es in den Heiligen Schriften enthalten ist, und sie wollen in ihrer Bescheidenheit lieber deren schlichte Kommentatoren sein und nichts hinzufügen, was deren Echtheit verfälschen könnte. Man kann sagen, dass diese Haltung der Ehrfurcht und Demut nichts anderes als das lebhafte Bewusstsein der unübersteigbaren Grenzen ist, die der menschliche Verstand angesichts der Transzendenz Gottes empfindet. Hier sei, abgesehen von den Homilien des hI. Johannes Chrysostomus über die Unbegreiflichkeit Gottes nur erwähnt, was der hl. Cyrillus, Bischof von Jerusalem, wörtlich schreibt, wenn er sich an die Katechumenen wendet: „Wenn es um Gott geht, ist das Eingeständnis der Unwissenheit eine große Wissenschaft";<ref> Catech. 6,2: PG 33,542.</ref> wie nach ihm der Bischof von Hippo, der hl. Augustinus, seinem Volk einprägsam sagt: „Besser ist ein gläubiges Nichtwissen als ein vermessenes Wissen“.<ref> Serm. 27, 4: PL 38, 179.</ref> Vor ihnen hatte der hl. Irenäus festgestellt, die Zeugung des Wortes sei unaussprechlich, und jene, die diese zu erklären vorgeben, „haben den Gebrauch der Vernunft verloren“.<ref> Adv. haer. 2,28,6.: PG 7, 809.</ref>

39 c) Angesichts dieses tiefen Sinnes für das Geistliche bieten uns die Väter ein Bild von sich selber als Männer, die nicht nur die göttlichen Dinge lernen, sondern sie auch und vor allem erfahren, wie Pseudo-Dionysius Areopagita, von seinem Lehrer „Hierotheos" sagt: „non solum discens sed et patiens divina".<ref> De Divinis Nominibus, II. 9: PG 3, 674, vgl. 648; Zitiert vom hl. Thomas von Aquin in S. 771. II-II. q. 45, a. 2.</ref> Sie sind in den meisten Fällen Spezialisten des übernatürlichen Lebens, die das, was sie in ihrer Kontemplation der göttlichen Dinge geschaut und verkostet haben, mitteilen; was sie also auf dem Weg der Liebe kennen gelernt haben, „per quandam connaturalitatem", wie der hI. Thomas von Aquin es formuliert hat.<ref> S. 771. II-II. q. 45, a. 2.</ref> In ihrer Ausdrucksweise kann man oft den wohltuenden Akzent der Mystiker feststellen, der eine große Vertrautheit mit Gott durchscheinen lässt, eine lebensmäßige Erfahrung des Geheimnisses Christi und der Kirche sowie einen ständigen Kontakt mit allen echten Quellen des theologalen Lebens, das ihnen als Grundbefindlichkeit des christlichen Lebens gilt. Man kann im Sinn des augustinischen „intellectum valde ama"<ref> Augustinus, Ep. 120, 3, 13: PL 33, 459.</ref> sagen, dass die Väter gewiss die Nützlichkeit der Spekulation schätzen, aber auch wissen, dass sie nicht genügt. Auch beim intellektuellen Bemühen um das Verständnis ihres Glaubens üben sie die Liebe, die den Erkennenden zum Freund des Erkannten macht<ref> Clemens von Alex., Stromata 2, 9: PG 8, 975-982.</ref> und so aus ihrer Natur heraus zur Quelle neuer Erkenntnis wird. Es gilt nämlich: "Kein Gut wird vollkommen erkannt, wenn es nicht vollkommen geliebt wird".<ref> Augustinus, De div. qq. LXXXIII. q. 35,2: PL 40, 24.</ref>

40 d) Diese methodischen Grundsätze, die zunächst mehr praktisch befolgt und im Leben angewandt als ausdrücklich formuliert wurden, waren auch Objekt ausdrücklicher Überlegungen der Väter. Hier genügt der Hinweis auf den hl. Gregor von Nazianz und die erste seiner fünf berühmten theologischen Reden, in denen er von der Weise, Theologie zu betreiben, spricht. Er betont die Notwendigkeit der Mäßigung, der Demut, der inneren Reinigung und des Gebetes. Ebenso erinnert der hI. Augustinus an den Stellenwert des Glaubens im Leben der Kirche. Wenn er auf die Rolle der Theologen dabei zu sprechen kommt, schreibt er, sie sollten „fromme, gelehrte und wahrhaft geistliche Menschen" sein.<ref> Ep. 118, 32: PL 33, 448.</ref> Er selbst bietet dafür ein Beispiel, wenn er das Werk De Trinitate schreibt, in dem er den „geschwätzigen Vernünftlern" antworten will, die „die bescheidenen Anfänge des Glaubens verachten und sich von einer unreifen und perversen Liebe zur Vernunft auf falsche Wege leiten lassen".<ref> De Trin. 1, 1, 1: PL42, 819.</ref>

Aus den angeführten Gründen kann man sagen, dass die theologische Tätigkeit der Väter für uns immer noch aktuell ist. Sie bleiben als Vertreter eines wichtigen, entscheidenden und untilgbaren Abschnitts der Theologie der Kirche Lehrer der Theologen wegen der beispielhaften Weise, wie sie ihre theologische Tätigkeit vollzogen haben, weil sie maßgebende Quellen und unersetzliche Zeugen für die Gehalte sind, die sie aus ihrem Bedenken und ihrer Meditation der geoffenbarten Wahrheit zu gewinnen verstanden.

Kultureller, spiritueller und apostolischer Reichtum

41 Die Schriften der Väter zeichnen sich nicht nur durch theologische Tiefe, sondern auch durch die großen kulturellen, geistlichen und pastoralen Werte aus, die sie enthalten. Unter diesem Gesichtspunkt sind sie nach der Heiligen Schrift, wie im Dekret Presbyterorum Ordinis (Nr. 19) erwähnt wird, eine der Hauptquellen für die Priesterausbildung und eine "fruchtbare Nahrung", die die Priester ihr ganzes Leben hindurch begleiten sollte.

42 a) Die lateinischen, griechischen, syrischen, armenischen... Väter tragen nicht nur zum literarischen Erbe ihrer jeweiligen Nationen bei. Wenn auch jeder in sehr unterschiedlichem Maß und in verschiedener Weise, so sind sie doch gleichsam die Klassiker der christlichen Kultur, die von ihnen begründet und aufgebaut, für immer das unauslöschliche Zeichen ihrer Urheberschaft an sich trägt. Im Unterschied zu den nationalen Literaturen, die den Genius der einzelnen Völker darstellen und formen, ist das kulturelle Erbe der Väter wahrhaft "katholisch" und universal, weil es lehrt, wie man zu aufrechten und echt christlichen Menschen wird und sich als solche verhält. Wegen ihres lebhaften Sinns für das Übernatürliche und wegen ihrer Unterscheidung der menschlichen Werte in Bezug auf das spezifisch Christliche, sind ihre Schriften in den vergangenen Jahrhunderten ein ausgezeichnetes Werkzeug der Bildung für ganze Generationen von Priestern gewesen, und sie bleiben auch für die Kirche von heute unerlässlich.

43 b) Vom kulturellen Standpunkt aus ist die Tatsache von großer Bedeutung, dass zahlreiche Väter eine ausgezeichnete Ausbildung in den Fächern der antiken griechischen und römischen Kultur erhalten haben. Aus dieser übernahmen sie die großen bürgerlichen und geistigen Errungenschaften und bereicherten damit ihre Abhandlungen, ihre Katechese und ihre Predigt. Sie drückten der alten „humanitas“ das Siegel des Christentums auf und schlugen damit als Erste eine Brücke zwischen Evangelium und profaner Kultur. Sie entwarfen für die Kirche ein reiches und anspruchsvolles kulturelles Programm, das die folgenden Jahrhunderte, zumal das ganze geistige, intellektuelle und soziale Leben des Mittelalters tiefreichend beeinflusst hat.<ref> Großen Einfluss hatten hier vor allem zwei Werke des hl. Augustinus: De civitate Dei und De doctrina christiana.</ref> Dank ihrer Lehrtätigkeit hatten viele Christen der ersten Jahrhunderte zu den verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens Zugang (Schulen, Verwaltung, Politik), und das Christentum vermochte alles in der alten Welt Gültige aufzuwerten, es vom weniger Vollkommenen zu reinigen und seinerseits zur Schaffung einer neuen, vom Evangelium inspirierten Kultur und Zivilisation beizutragen. Auf die Werke der Väter zurückgreifen bedeutet daher für die künftigen Priester, sich an den Quellen der christlichen Kultur zu nähren und besser die eigenen kulturellen Aufgaben in der Welt von heute zu verstehen.

44 c) Zur Spiritualität der Väter wurde schon im vorigen Abschnitt bemerkt, ihre ganze Theologie sei eminent religiös und ein wirklich „heiliges Wissen", das zugleich den Geist erleuchtet und das Herz erbaut und erwärmt. Hier sei über die eigentlich theologischen Elemente und Aspekte hinaus auf einige moralische Verhaltensweisen und Haltungen hingewiesen, die aus ihren Werken als grundlegende Elemente für die fortschreitende, oft schweigsame Ausbreitung des Sauerteigs aus dem Evangelium in der heidnischen Gesellschaft hervorleuchten und dann für immer im Bewusstsein und auf dem Antlitz der Kirche eingeprägt geblieben sind. Viele Väter waren „Konvertiten"; ihr Sinn für die Neuheit des Christentums verband sich bei ihnen mit der Sicherheit des Glaubens. Von daher brach in den christlichen Gemeinschaften ihrer Zeit eine „explosive Vitalität" auf, ein missionarischer Eifer und ein Klima der Liebe, das die Herzen zum Heroismus im täglichen persönlichen und sozialen Leben antrieb, zumal in der Praxis der Werke der Barmherzigkeit, des Almosengebens, der Sorge für die Kranken, Witwen und Waisen, der Hochachtung für die Frau und jede menschliche Person, der Kindererziehung, der Achtung vor dem werdenden Leben, der ehelichen Treue, Ehrfurcht und Großherzigkeit in der Behandlung der Sklaven, Freiheit und Verantwortung gegenüber den öffentlichen Mächten, Verteidigung und Unterstützung der Armen und Unterdrückten und aller Formen des Zeugnisses im Sinn des Evangeliums, wie es von den Umständen des Ortes und der Zeit gefordert war und oft bis zum letzten Opfer im Martyrium ging. Mit einer von den Lehren der Väter inspirierten Lebensführung zeichneten sich die Christen vor der sie umgebenden heidnischen Welt aus und brachten die Neuheit ihres Lebens zum Ausdruck, das sie von Christus mit der Übernahme der aszetischen Ideale der Jungfräulichkeit „propter regnum coelorum", der Loslösung von den irdischen Gütern, der Buße sowie des eremitischen oder gemeinschaftlichen Mönchslebens auf der Linie der „evangelischen Räte" und in wachsamem Warten auf den wiederkehrenden Christus erlangt hatten. Auch viele Formen der privaten Frömmigkeit (wie das Gebet in der Familie, das tägliche Gebet und die Praxis des Fastens) sowie der gemeinschaftlichen Frömmigkeit (z. B. die Feier des Sonntags und der hauptsächlichen liturgischen Feste als Teilnahme an den Heilsereignissen, die Verehrung der allerseligsten Jungfrau Maria, die Nachtwachen, Agapen usw.) gehen auf die Zeit der Väter zurück und empfangen ihre genaue theologisch-spirituelle Bedeutung aus ihrer Lehre.

Es ist daher klar, dass ein ständiges Vertrautwerden der Seminaristen mit den Werken der Väter ihr geistliches und liturgisches Leben sicher stärken und ein besonderes Licht auf ihre Berufung werfen wird, weil es diese in der tausendjährigen Überlieferung der Kirche verwurzelt und in direkte Verbindung zu dem Reichtum und der Reinheit der Ursprünge bringt. Zugleich werden sie dadurch Hilfe für die Entdeckung des Menschen in seiner Einheit und Totalität erfahren und lernen, bei der harmonischen Entfaltung der natürlichen und übernatürlichen Werte jenes höhere Ideal einer einheitlichen und integrierten Humanität zu schätzen und anzustreben, das als Modell christlicher Anthropologie dasteht.

45 d) Ein weiterer Grund für die Anziehungskraft der Werke der Väter und das Interesse an ihnen liegt darin, dass sie deutlich pastoral ausgerichtet, also für Ziele des Apostolates verfasst sind. Ihre Schriften sind Katechesen oder Homilien, Zurückweisungen von Häresien oder Antworten auf Fragen, geistliche Ermunterungen oder Handbücher, die für die Unterweisung der Gläubigen bestimmt sind. Daraus sieht man, dass die Väter sich mit den pastoralen Problemen ihrer Zeiten befasst sahen. Sie übten das Amt von Lehrern und Hirten aus und suchten an erster Stelle das Volk Gottes im Glauben, im Gottesdienst, in der Moral und Disziplin geeint zu halten. Vielfach gingen sie kollegial vor und tauschten gegenseitig Briefe lehrhaften und pastoralen Charakters aus, um eine gemeinsame Weise des Vorgehens zu fordern. Sie sorgten sich nicht nur um das geistliche Wohl ihrer Einzelkirchen, sondern um das der ganzen Kirche. Einige von ihnen wurden zu Verteidigern der Orthodoxie und zu Bezugspunkten für die übrigen Bischöfe der katholischen Welt (z. B. Athanasius in den arianischen Auseinandersetzungen, Augustinus in denen mit den Pelagianern), und sie stellten irgendwie persönlich das lebendige Bewusstsein der Kirche dar.

46 e) Nicht übergehen darf man ferner die Tatsache, dass die Väter in ihrem pastoralen Wirken dem Beobachter zwar ein reiches Bild der verschiedensten kulturellen und sozialen Probleme ihrer Zeit bieten, diese jedoch immer in sozusagen deutlich übernatürliche Koordinaten einfügen. Sie waren an der Unversehrtheit des Glaubens als Fundament der Rechtfertigung interessiert; er sollte in der Liebe als Band der Vollkommenheit aufblühen, die Liebe aber sollte den neuen Menschen und die neue Geschichte schaffen. Alles in ihrem pastoralen Wirken und in ihrer Lehre ist auf die Liebe hingeordnet, die Liebe aber auf Christus, den universalen Weg des Heiles.<ref> Augustinus, De civ. Dei 10, 32, 1-3: PL 41, 312 ff.</ref> Sie beziehen alles auf Christus, der alle Dinge zusammenfasst (Irenäus) , den Vergöttlicher der Menschen (Athanasius), den Gründer und König der Stadt Gottes, die die Gemeinschaft der Auserwählten ist (Augustinus). In ihrer geschichtlichen, theologischen und eschatologischen Sicht ist die Kirche der „Christus totus", der "seinen Weg nimmt und dabei diesen Pilgerweg mitten in den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes vollendet, angefangen in der Zeit des Abel, des ersten vom bösen Bruder getöteten Gerechten, bis zur Vollendung der Zeiten".<ref> Idem, De civ. Dei 18, 51, 2: PL 41, 614; vgl. II. Vat. Konzil, Konst. Lumen gentium, Nr. 8.</ref>

47 Wollen wir nun die Gründe zusammenfassen, die zum Studium der Werke der Väter veranlassen, können wir sagen, dass diese nach den Aposteln, wie der hl. Augustinus mit Recht gesagt hat, die Kirche gepflanzt, bewässert, erbaut, als Hirten geweidet und ernährt haben, die infolge ihres wachsamen und unermüdlichen Wirkens wachsen konnte.<ref> Contra Jul. 2, 10, 34: PL 44, 698.</ref> Soll die Kirche weiter wachsen, so ist eine gründliche Kenntnis ihrer Lehre und ihres Wirkens unerlässlich, denn es zeichnet sich dadurch aus, dass es in ausgezeichneter Weise zugleich pastoral und theologisch, katechetisch und kulturell, spirituell und sozial ist, und man kann sagen im Verhältnis zu dem, was in anderen Epochen der Geschichte geschah, einmalig dasteht. Und gerade diese organische Einheit der verschiedenen Aspekte des Lebens und der Sendung der Kirche macht sie auch für uns so aktuell und fruchtbar.

Wie soll man die Kirchenväter studieren?

48 Aus den vorhergehenden Gedanken über die aktuelle Situation und die tieferen Gründe für die patristischen Studien ergibt sich spontan die Frage nach ihrer Natur, ihren Zielen, und der zu befolgenden Methode, wenn man die Qualität dieser Studien fordern will. Sowohl für die Dozenten als auch für die Studenten ergeben sich hier zahlreiche Aufgaben, die weiter geklärt und verdeutlicht werden müssen, damit eine gediegene Bildungsarbeit zustande kommt, die der auf grund der Weisungen des II. Vatikanischen Konzils wünschenswerten Erneuerung gerecht wird.

Die Natur der patristischen Studien und ihre Zielsetzungen

49 a) Sehr wichtig ist, dass dieser Teil der kirchlichen Studien gemäß ihrer Natur und ihren Zielsetzungen klar umschrieben und organisch in das Ganze der theologischen Fächer eingefügt wird. Er gliedert sich in zwei sich gegenseitig befruchtende Bereiche, die sich unter verschiedenen Aspekten mit dem gleichen Objekt beschäftigen: einmal die Patristik, die mit dem theologischen Denken der Väter befasst ist, dann die Patrologie, deren Ziel Leben und Schriften der Väter ist. Während der erste Bereich ausdrücklich lehrhaften Charakter und viele Verbindungen zur Dogmatik (aber auch zur Moraltheologie, der spirituellen Theologie, der Heiligen Schrift und der Liturgie) aufweist, bewegt sich der zweite Bereich hauptsächlich auf der Ebene der historischen Forschung sowie der biographischen und literarischen Information und ist so natürlicherweise mit der Geschichte der alten Kirche verbunden. Durch ihren theologischen Charakter unterscheiden sich Patristik und Patrologie von der alten christlichen Literatur, einer sozusagen nicht theologischen literarischen Disziplin, die die stilistischen und philologischen Aspekte bei den alten christlichen Schriftstellern studiert.

50 b) Beim Aufgreifen der patristischen Studien muss man sich vor allem über die Autonomie der Patristik-Patrologie als Fach für sich mit eigener Methode innerhalb der Gesamtheit der Fächer klar sein, die Ziel des theologischen Unterrichtes sind. Ihre Autonomie als Teil der Theologie, in der streng die Grundsätze der historisch-kritischen Methode angewandt werden, ist unbestritten und muss vom Studenten als solche verstanden werden.

51 c) Zumal von der Patrologie wird erwartet, dass sie einen guten Überblick über die Väter und ihre Werke mit den individuellen Besonderheiten bietet, wobei ihre literarische und pastorale Tätigkeit in den historischen Zusammenhang einzuordnen ist. Angesichts ihres informativ-historischen Charakters steht nichts im Wege, dass sie sich der Mitarbeit des Professors für Kirchengeschichte bedient, wenn dies von einer besseren Aufteilung der verfügbaren Zeit oder dem Mangel an Lehrkräften gefordert wird. Wenn es sich so ergibt, kann man auch dem privaten Studium der Alumnen größeren Raum lassen und sie auf die Konsultation guter Handbücher, Lexika und anderer bibliographischer Hilfen verweisen.

52 d) Soll andererseits die Patristik ihre Aufgaben zur Zufriedenheit erfüllen, muss sie als eigenes Fach dastehen und eine enge Zusammenarbeit mit der Dogmatik pflegen. Im Dekret Optatam totius werden beide Fächer zu gegenseitiger Hilfe und Bereicherung aufgefordert, vorausgesetzt freilich, dass sie autonom und ihren jeweils spezifischen Methoden treu bleiben. Die Dogmatik leistet vor allem einen Dienst der Einheit. So bietet sie wie allen theologischen Fächern auch der Patristik die einende Sicht des Glaubens, hilft ihr, ihre Teilergebnisse zu systematisieren und zeigt ihr den Weg für ihre Forschungen und für die didaktische Tätigkeit des Lehrers auf. Der Dienst der Patristik für die Dogmatik besteht im Aufweisen und Verdeutlichen der Vermittlungsrolle hinsichtlich der Offenbarung Gottes, die die Väter in der Kirche und Welt ihrer Zeit geleistet haben. Es geht um eine Beschreibung des Rahmens der Theologie und des christlichen Lebens der patristischen Zeit in ihrer historischen Wirklichkeit, in voller Achtung vor der Besonderheit der historisch-kritischen Methode. Aus diesem Grund sagt das Dokument über Die theologische Ausbildung der künftigen Priester, der Unterricht in Patristik solle unter anderem darauf hinzielen, „den Sinn für die Kontinuität des theologischen Sprechens zu wecken, das auf die grundlegenden Daten antwortet, aber auch für seine Relativität, die den Aspekten und Anwendungen im einzelnen entspricht" (Nr. 87).

Die Methode

53 a) Das Studium der Patrologie und Patristik setzt in seinem ersten informativen Abschnitt den Rückgriff auf Handbücher und andere bibliographische Hilfen voraus; wenn man aber zur Behandlung der heiklen und komplexen Probleme der patristischen Theologie übergeht, kann keins dieser Hilfsmittel den direkten Rückgriff auf die Texte der Väter ersetzen. Die Patristik muss also im direkten Kontakt von Lehrer und Student mit den Quellen gelehrt und angeeignet werden. Doch angesichts der Schwierigkeiten, mit denen die Studenten oft zu ringen haben, wird es gut sein, ihnen zweisprachige Texte der Ausgaben, die wegen ihrer wissenschaftlichen Gründlichkeit bekannt sind, zur Verfügung zu stellen.

54 b) Das wissenschaftliche Studium der Texte erfolgt nach der historisch-kritischen Methode, analog ihrer Anwendung bei den biblischen Wissenschaften. Doch bleibt es bei der Verwendung dieser Methode notwendig, ihre Grenzen aufzuzeigen, und sie muss klug durch die Methoden der modernen Literarkritik und Hermeneutik ergänzt werden, wobei der Student entsprechend angeleitet wird, sie zu verstehen, richtig einzuschätzen und sich ihrer zu bedienen. Da es sich um ein theologisches Fach handelt, das in all seinen Abschnitten „ad lumen fidei" vorgeht, darf die Freiheit der Forschung ihren Gegenstand nicht auf reine Philologie und historische Kritik einengen. Die positive Theologie muss vielmehr als erste Voraussetzung den übernatürlichen Charakter ihres Objektes und die Notwendigkeit anerkennen, das Lehramt zu berücksichtigen. Die Studenten müssen sich daher bewusst werden, dass die Strenge der Methode, wie sie für die objektive Gültigkeit jeder patristischen Forschung unerlässlich ist, eine vorher festgelegte Marschrichtung nicht ausschließt, noch eine aktive Beteiligung des gläubigen Forschers behindert, der sich gemäß seinem „sensus fidei" in ein Klima des Glaubens versetzt und so vorangeht.

55 c) Die Reinheit der angedeuteten Methode erfordert ferner, dass Forscher wie Student von Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen frei sind, die sich auf dem Gebiet der Patristik gewöhnlich in zwei Tendenzen äußern: sich anachronistisch, unter Missachtung der lebendigen Überlieferung der Kirche in den Schriften der Väter zu verschanzen, so dass die nachpatristische Kirche bis heute als fortschreitend dekadent dasteht; ferner jene, die das historische Faktum willkürlich aktualisiert, ohne den berechtigten Fortschritt und die Objektivität der Situation zu berücksichtigen.

56 d) Wissenschaftliche und auch praktische Gründe, wie z. B. eine vernünftigere Einteilung der Zeit, legen die Zusammenarbeit zwischen den direkter an den Vätern interessierten Fächern nahe. Dieser Kontakt der verschiedenen Fächer hat seinen Ort vor allem in der Dogmatik, wo eine Synthese versucht wird, doch es können von ihm auch zahlreiche weitere Fächer Vorteil haben (Moraltheologie, geistliche Theologie, Liturgie und zumal die Bibelwissenschaft), die eine Bereicherung und Erneuerung durch den Rückgriff auf die patristischen Quellen brauchen. Die konkreten Weisen einer solchen Zusammenarbeit werden je nach Verhältnissen verschieden sein; andere Möglichkeiten und Bedürfnisse ergeben sich hier auf Ebene der Grundausbildung und andere auf Ebene der akademischen Spezialstudien.

Darlegung der Materie

57 a) Objekt des Kurses in Patristik und Patrologie ist das von der schulischen Praxis Festgelegte, das auch in den klassischen Textbüchern behandelt wird: Leben, Schriften und Lehre der Väter und kirchlichen Schriftsteller des christlichen Altertums; oder mit anderen Worten das biographische Profil der Väter sowie die literarische, historische und lehrmäßige Darstellung ihrer Schriften. Der große Umfang des Materials macht hier freilich eine Begrenzung und den Rückgriff auf ausgewählte Texte notwendig.

58 b) Der Dozent muss den Alumnen vor allem Liebe zu den Vätern, und nicht nur ihre Kenntnis vermitteln. Dazu ist nicht so sehr das Betonen der biographischen und bibliographischen Einzelheiten notwendig, sondern vielmehr der Kontakt mit den Quellen. Dazu muss eine Auswahl unter den verschiedenen Methoden der Darstellung der Materie getroffen werden; es sind im wesentlichen die folgenden vier:

1. Die analytische Methode oder das Studium der einzelnen Väter: das ist aber praktisch angesichts ihrer Zahl und der notwendig für dieses Fach beschränkten Zeit unmöglich;

2. Die panoramische Methode, die einen allgemeinen Überblick über die Zeit der Väter und ihre Vertreter bieten möchte: eine für die anfängliche Einführung sehr nützliche Methode, die aber für einen Kontakt mit den Quellen und eine Vertiefung in sie nicht ausreicht;

3. Die monographische Methode, die den einen oder anderen besonders repräsentativen Vater behandelt. Sie ist besonders für die konkrete Einführung in die Methode, den Vätern näherzukommen und sich in ihr Denken zu vertiefen, geeignet.

4. Endlich die thematische Methode, die das eine oder andere grundlegende Thema herausgreift und seine Entfaltung in den Werken der Väter verfolgt.

59 c) Nach dieser ersten Entscheidung steht eine andere an, nämlich welche Texte gelesen, geprüft und erklärt werden sollen. Vorzuziehen ist, dass die Wahl zunächst auf Texte fallt, die vor allem geistliche, pastorale, katechetische oder soziale Fragen behandeln, die im allgemeinen anziehender und auch leichter sind. Die schwierigeren lehrhaften Texte spart man sich für einen späteren Abschnitt auf. Sie werden dann sorgfaltig in ständigem Kontakt zwischen Dozent und Studenten bei den Vorlesungen, in den Kolloquien, bei den Seminaren und den Informationen studiert. So wächst die Vertrautheit mit den Vätern, die die beste Frucht der Lehrtätigkeit ist. Die wirkliche Krönung der Ausbildung wird freilich erst dann erreicht, wenn der Student einen von den Vätern als Freund gewinnt und sich seinen Geist zu eigen macht.

60 d) Unentbehrlich für die patristischen Studien ist eine gediegene Kenntnis der Kirchengeschichte, die eine einheitliche Sicht der Probleme, Ereignisse und Erfahrungen, sowie der neuen lehrmäßigen, spirituellen, pastoralen und sozialen Erkenntnisse in den verschiedenen Epochen möglich macht. So wird man sich der Tatsache klar, dass das christliche Denken zwar mit den Vätern beginnt, aber nicht mit ihnen endet. Daraus folgt, dass das Studium der Patristik und Patrologie nicht von der späteren Überlieferung absehen kann, eingeschlossen die scholastische, zumal in dem, was die Präsenz der Väter in dieser Überlieferung angeht. Nur so kommt die Einheit und die Entwicklung darin in den Blick, die auch den Sinn für einen Rückgriff auf die Vergangenheit umfasst. Dieser erscheint dann nicht als unnützer Archäologismus, vielmehr als ein kreatives Studium, das uns zu einer besseren Erkenntnis unserer Zeit und zur Vorbereitung der Zukunft verhilft.

Praktische Verfügungen

Wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, bilden die patristischen Studien einen wesentlichen Teil und ein anregendes Thema für den theologischen Unterricht und die gesamte Priesterausbildung. Es wird daher notwendig, die geeigneten Maßnahmen zu ihrer Förderung zu ergreifen, damit sie in den Seminarien und an den theologischen Fakultäten einen ihrer Wichtigkeit angemessenen Platz bekommen.

61 a) Da diese Studien direkt das Ziel des theologischen Unterrichts berühren, müssen sie als Hauptfach gelten, das mit ihrer eigenen Methode und der ihnen eigenen Materie vorzutragen ist. Abgesehen von dem, was oben zur Patrologie gesagt wurde (Nr. 51), darf man diesen Lehrstoff weder in der Kirchen- noch in der Dogmengeschichte und noch weniger in der antiken christlichen Literatur aufgehen lassen.

62 b) Der Patrologie-Patristik soll in der „Ratio institutionis sacerdotalis" und in den entsprechenden Studienprogrammen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, was eine genaue Festlegung ihrer Inhalte und Methoden einschließt, und es soll für sie eine genügende Zahl von Wochenstunden vorgesehen werden. Nicht zu viel erscheint ein Unterricht, der sich wenigstens auf drei Semester mit je zwei Wochenstunden erstreckt.

63 c) An den theologischen Fakultäten sollen über die normalen institutionellen Kurse des I. Zyklus hinaus Seminare mit geeigneten Übungen veranstaltet und schriftliche Arbeiten über patristische Themen gefördert werden. Im II. Zyklus der Spezialisierung trage man Sorge für die Weckung des wissenschaftlichen Interesses der Studenten durch spezielle Kurse und Übungen, in denen sie eine vertiefte Kenntnis der verschiedenen Themen zur Methode und Lehre gewinnen und sich auf ihre künftige Lehrtätigkeit vorbereiten können. Diese Qualifikationen können dann im III. Zyklus weiter durch die Vorbereitung von Thesen über patristische Themen vervollkommnet werden.

64 d) An den Instituten für Priesterausbildung soll der Vortrag der Patrologie-Patristik einer Person anvertraut werden, die sich auf dieses Thema an dafür errichteten Instituten spezialisiert hat, wie z. B. am Patristischen Institut „Augustinianum" in Rom. Der Dozent sollte nämlich die Fähigkeit besitzen, mit einer guten Methode direkt an die Quellen heranzugehen und die Werke seiner Kollegen auf diesem Gebiet mit reifer Einsicht beurteilen können. Er soll auch die menschlichen und religiösen Qualitäten besitzen, die Frucht seiner Vertrautheit mit den Vätern sind, und die er anderen weitergeben kann.

65 e) Zu bemerken bleibt, dass diese Spezialisierung nicht nur für den Vortrag der Patrologie-Patristik Wert hat, sondern auch für den Vortrag der dogmatischen Theologie, sowie für ein wirksames katechetisches, spirituelles und liturgisches Wirken sehr nützlich ist, wenn dieses von der Weisheit und dem ethisch-spirituellen Gleichgewicht der Väter geprägt ist.

66 f) Es ist klar, dass das Studium der Väter auch die entsprechenden Werkzeuge und Hilfen braucht, wie z. B. eine vom patristischen Standpunkt aus gut ausgestattete Bibliothek (Sammlungen, Monographien, Zeitschriften und Nachschlagewerke), wie auch die Kenntnis der klassischen und modernen Sprachen. Angesichts der bekannten Mängel bei den humanistischen Studien an den heutigen Schulen muss man das Mögliche für eine Verstärkung der Studien des Griechischen und des Lateinischen an unseren Bildungsinstituten tun.

Abschluss

67 Diese Kongregation wollte die Stimme des Konzils und der Päpste wieder aufgreifen und die Aufmerksamkeit der hochwürdigsten Herren Bischöfe und Ordensoberen auf ein für die gediegene Ausbildung der Priester, für den Ernst der theologischen Studien und für die Wirksamkeit der Pastoral in der heutigen Welt sehr wichtiges Thema lenken. So vertraut sie diese Überlegungen und Verfügungen ihrer bewussten Verantwortung sowie ihrer großen Liebe zur Kirche an, damit das Ideal einer angemessenen Ausbildung für die Priester unserer Zeit auch unter diesem Aspekt möglichst weitgehend verwirklicht wird. Endlich spricht sie den Wunsch aus, dass ein aufmerksameres Studium der Väter allen eine tiefere Vertrautheit mit dem Wort Gottes, der Kirche aber neue Jugendkraft schenkt, die in den Vätern immer Lehrer und Vorbilder gesehen hat und heute noch sieht.

Gegeben zu Rom, am Amtssitz der Kongregation,

am 10. November 1989,
dem Feste des Hl. Leo des Großen.
WILLIAM Card. BAUM
Präfekt
+JOSE SARAIVA MARTINS
Titularerzbischof von Tuburnica

Sekretär

Anmerkungen

<references />

Weblinks