Erster Pastoralbesuch nach Deutschland von Papst Johannes Paul II. im November 1980
ersten Pastoralbesuch in Deutschland |
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von Papst
Johannes Paul II.
15. bis 19. November 1980
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Samstag, den 15. November 1980
- 1.1 Bei der Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland (Flughafen Köln-Bonn)
- 1.2 Predigt bei der Hl. Messe in Köln
- 1.3 An den Bundespräsidenten und andere Autoritäten (Bonn)
- 1.4 Gruß an die Bürger in Bonn
- 1.5 An die Kolpinggemeinschaft in der Kirche der Minderbrüder in Köln
- 1.6 Gebet in der Kirche des Hl. Andreas in Köln
- 1.7 Treffen mit Wissenschaftlern und Studenten im Kölner Dom
- 2 Sonntag, den 16. November 1980
- 3 Montag, den 17. November 1980
- 3.1 An den Zentralrat der Evangelischen Kirche (Mainz)
- 3.2 An die Vertreter anderer christlicher Konfessionen (Mainz)
- 3.3 Treffen mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden (Mainz)
- 3.4 An die Gastarbeiter und Immigranten (Mainz)
- 3.5 Predigt bei der Hl. Messe für die Priester und Seminaristen (Fulda)
- 4 Dienstag, den 18. November 1980
- 4.1 An die Deutsche Bischofskonferenz (Fulda)
- 4.2 An die Laien im Dienst der Kirche (Fulda)
- 4.3 An das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Fulda)
- 4.4 Predigt in der Hl. Messe in Fulda
- 4.5 Predigt bei der Hl. Messe in der Gnadenkapelle (Altötting)
- 4.6 Gebet an die Gnaden-Madonna (Altötting)
- 4.7 An die Theologie-Professoren (Altötting)
- 5 Mittwoch, den 19. November 1980
- 5.1 Predigt bei der Hl. Messe für die Jugendlichen (München)
- 5.2 An die Alten (München)
- 5.3 An die Künstler und Journalisten (München)
- 5.4 Abreise aus der Bundesrepublik Deutschland (München-Riem)
- 5.5 Ansprache bei der Rückkehr nach Italien (Flughafen Fiumicino)
- 5.6 Papst Johannes Paul II. Telegramm:
- 6 Anmerkungen
- 7 Weblinks
Samstag, den 15. November 1980
Bei der Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland (Flughafen Köln-Bonn)
1. Mit tiefer innerer Bewegung und Dank gegenüber der göttlichen Vorsehung, die mich in unergründlichem Ratschluß auf den Stuhl Petri berufen hat, betrete ich heute deutschen Boden, dessen Volk und Land ich schon durch frühere Besuche persönlich kennen- und schätzen gelernt habe.
Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, danke ich aufrichtig für die ehrenvollen Worte der Begrüßung und erwidere Ihnen von Herzen den Ausdruck hoher Wertschätzung, mit dem Sie mich im Namen Ihres Volkes zu meinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland willkommen heißen. Zugleich grüße ich mit Ihnen die anwesenden Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft, das hier vertretene Diplomatische Korps sowie alle Bürger in Ihrem Land. Mein brüderlicher Gruß gilt insbesondere den kirchlichen Vertretern, vor allem dem so geschätzten hochwürdigsten Herrn Kardinal Joseph Höffner, in dem ich allen Hirten und Gläubigen der katholischen Kirche in Deutschland meine innige Verbundenheit, meine Zuneigung und Liebe bekunde.
2. Mit Freude habe ich der freundlichen Einladung der Deutschen Bischofskonferenz und des Herrn Bundespräsidenten zu diesem Besuch der Bundesrepublik Deutschland entsprochen. Wie ich schon in dessen Ankündigung am 10. August dieses Jahres hervorgehoben habe, möchte ich durch meine Pilgerreise in Ihr Land die gesamte große deutsche Nation ehren, deren Geschichte auf so enge Weise mit der Geschichte des Christentums und der Kirche verbunden ist und zutiefst von der christlichen Tradition geprägt wurde. Im Laufe der Jahrhunderte haben viele deutsche Männer und Frauen durch das Beispiel der Heiligkeit, durch Genialität im Bereich der Kunst und Wissenschaft, insbesondere auch durch tiefgründige philosophische Reflexion und theologische Forschung einen wertvollen Beitrag zum geistigen und kulturellen Erbe der Kirche und der ganzen Menschheit geleistet.
Gerade am heutigen Tage gedenken wir mit der Kirche in aller Welt eines solch hervorragenden Sohnes Ihres Landes, der sich sogar den ehrenvollen Beinamen "der Große" verdient hat, des heiligen Albertus Magnus, dessen 700. Todestag wir in diesem Jahr feierlich begehen. Seinem ehrwürdigen Grab und dem Ort seines letzten unermüdlichen Wirkens meine besondere Verehrung zu bezeugen ist bekanntlich der äußere Anlaß meiner jetzigen Pilgerreise. In ihm ehre ich zugleich den Genius des deutschen Volkes, ehre ich vor allem die katholische Kirche dieses Landes, die wie in der Vergangenheit bis unsere Tage ein hochangesehenes und lebendiges Glied der Weltkirche geblieben ist. Ihr inspirierender geistiger Einfluß wirkt auch heute, nicht zuletzt durch die maßgebliche Mitwirkung deutscher Oberhirten und Theologen bei den Beratungen und Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils, weit über die Grenzen dieses Landes in das Leben der Kirche hinein.
Das Verantwortungsbewußtsein der deutschen Katholiken über ihre Ortskirche hinaus findet einen konkreten Ausdruck unter anderem in den bekannten großen Bischöflichen Hilfswerken, im opferbereiten Einsatz für die Mission und in karitativen Aktionen für hilfsbedürftige Mitmenschen in aller Welt. Deshalb will dieser mein Besuch, in Anschluß an meine voraufgehenden drei großen apostolischen Reisen in Länder der Dritten Welt (Mexiko, Afrika, Brasilien), auch ein Ausdruck der Anerkennung und des Dankes dafür sein, daß sich die Kirche und insgesamt die Bürger Ihres Landes im Geist weltweiter brüderlicher Solidarität mit der notleidenden Bevölkerung jener von Hunger und Krankheit, von Naturkatastrophen und menschlichem Unvermögen gezeichneten Regionen in dieser Weise verbunden fühlen und ihnen hochherzig Hilfe und Beistand leisten.
3. Wie aber schon der genannte äußere Anlaß meines Besuches unterstreicht, hat auch meine apostolische Reise in die Bundesrepublik Deutschland - wie alle bisherigen - einen ausschließlich pastoralen und religiösen Charakter. Sie gilt ohne Ausnahme allen Menschen in diesem Land, zu denen ich im Namen Jesu Christi als ihr Freund und Bruder kommen darf; in einer besonderen Weise aber gilt sie meinen Glaubensbrüdern und -schwestern: den Oberhirten, Priestern, Ordensleuten und Laien in ihren vielfältigen Lebens- und Wirkungsbereichen, denen ich allen während meines fünftägigen Besuches an den verschiedenen Orten im einzelnen zu begegnen hoffe. Es drängt mich, zugleich von Herzen alle getrennten Glaubensbrüder zu grüßen. Ich freue mich über die vorgesehene persönliche Begegnung mit den maßgeblichen Vertretern ihrer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Gebe Gott, daß diese meine Pilgerreise über die konfessionellen Grenzen hinaus zu einer größeren gegenseitigen Verständigung und Annäherung unter allen Christen beitragen und das friedliche Zusammenleben aller Menschen in diesem Lande fördern möge.
Ich bin in die Bundesrepublik Deutschland gerade in dem Jahr gekommen, in welchem unsere evangelischen Brüder und Schwestern das Gedächtnis an die vor 450 Jahren verkündete Confessio Augustana gefeiert haben. Ich darf ihnen sagen, daß es mir ein besonderes Anliegen war, gerade jetzt bei ihnen zu sein. Möge hier, wo die Reformation ihren Anfang nahm, auch das Bemühen sich verdoppeln, in Treue zum einzigen Herrn der Kirche und seiner Botschaft alles Menschenmögliche zu tun, damit sein Herzenswunsch und sein Gebet sich erfüllen: "Laß alle eins sein".
4. Durch den mir vom Herrn anvertrauten Auftrag weiß ich mich insbesondere zu den Brüdern und Schwestern in der katholischen Kirche dieses Landes gesandt, um sie in ihrem Glauben und in ihrem Zeugnis für den gekreuzigten und auferstandenen Christus in der Welt von heute zu bestärken und sie zu ermutigen, angesichts der wachsenden Herausforderung einer religiös gleichgültigen Umwelt ihrer christlichen Berufung und Verantwortung für eine immer menschenwürdigere Gestaltung von Familie, Beruf und Gesellschaft um so entschlossener und mutiger zu entsprechen. Durch meine heutige Pilgerreise erwidere ich gleichsam den Besuch, den mir die deutschen Katholiken in den beiden ersten Jahren meines Pontifikates schon in so großer Zahl bei den wöchentlichen Generalaudienzen im Vatikan abgestattet haben. Wenn ich auch aus zeitlichen Gründen nur einige bedeutende Orte aufsuchen kann, so lade ich doch alle Gläubigen und Gemeinden, besonders jene Brüder und Schwestern, die durch Krankheit und andere Umstände an der persönlichen Teilnahme gehindert sind, herzlich ein, sich durch ihr Gebet und Opfer mit der großen betenden Gemeinde bei den Gottesdiensten der kommenden Tage geistig zu vereinen.
Möge durch unser gemeinsames Gotteslob, in dem wir zutiefst uns als Kirche erleben und sie in lebendiger Gemeinschaft verwirklichen, diese denkwürdige Begegnung des Nachfolgers Petri mit dem Gottesvolk in der Bundesrepublik Deutschland für alle zu Tagen der Gnade und der religiösen Erneuerung werden. Der heilige Albert der Große erbitte uns dafür Gottes Beistand und Segen!
Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, und allen, die mich zusammen mit Ihnen durch ihre Anwesenheit beehren, danke ich noch einmal aufrichtig für den freundlichen Empfang und die mir hierdurch gewährte herzliche Gastfreundschaft in Ihrem Land für meinen nun beginnenden Pastoralbesuch.
Gott segne alle Deutschen in der Welt!
Gott beschütze die Bundesrepublik Deutschland!
Predigt bei der Hl. Messe in Köln
1. ”Das Himmelreich ist gleich einem Netz...“.
Erlaubt mir, verehrter Oberhirt der altehrwürdigen Kirche von Köln, verehrte Mitbrüder, Kardinäle und Bischöfe, erlaubt mir, ihr alle, liebe Brüder und Schwestern, daß ich in dieser Eucharistiefeier die Bedeutung unserer außergewönlichen Begegnung am heutigen Tag mit Hilfe dieses Gleichnisses zu erläutern versuche, mit Hilfe der Worte Christi, der das Reich Gottes immer wieder durch Gleichnisse erklärt hat. Mit ihrer Hilfe verkündete er die Anwesenheit dieses Reiches mitten in der Welt.
Auch wir müssen uns in dieser Dimension begegnen. Das ist gewissermaßen die wesentliche Voraussetzung des heutigen Besuches des Nachfolgers des Apostels Petrus auf dem Bischofssitz von Rom bei eurer Kirche in Deutschland, bei euch hier in Köln, die ihr die Kirche Gottes darstellt, wie sie sich seit vielen Jahrhunderten um die römische ”Colonia Agrippina“ herausgebildet hat. Das herausragende Zeichen dieser Kirche ist bis heute ihr herrlicher Dom, dessen geistige Bedeutung euch beim diesjährigen Jubiläum wieder neu bewußt geworden ist: machtvoll kündet er vom Reich Gottes mitten unter uns.
Wir, die jetzt die Kirche Christi auf Erden bilden, auf diesem Stück deutscher Erde, müssen uns in der Dimension der Wahrheit vom Reich Gottes begegnen: Christus ist gekommen, um dieses Reich zu offenbaren und es auf dieser Erde einzuleiten, an jedem Ort der Erde, in den Menschen und zwischen den Menschen.
Dieses Reich Gottes ist mitten unter uns, so wie es in allen Generationen eurer Väter und Vorfahren gewesen ist. Wie sie bitten aber auch wir im ”Vater unser“ noch jeden Tag:”Dein Reich komme“.
Diese Worte bezeugen, daß das Reich Gottes immer vor uns liegt, daß wir ihm entgegengehen und dafür heranreifen inmitten der verschlungenen Wege, ja manchmal sogar der Irrwege unserer irdischen Existenz. Wir bezeugen mit diesen Worten, daß das Reich Gottes sich ständig verwirklicht und herannaht, auch wenn wir es so oft aus den Augen verlieren und seine vom Evangelium bestimmte Gestalt nicht mehr wahrnehmen. Es scheint oft, als ob die einzige und ausschließliche Dimension unserer Existenz ”diese Welt“ sei: ”das Reich dieser Welt“ mit seiner sichtbaren Gestalt, seinem atemberaubenden Fortschritt in Wissenschaft und Technik, in Kultur und Wirtschaft... atemberaubend und oft auch besorgniserregend! Wenn wir jedoch jeden Tag oder wenigstens dann und wann zum Beten niederknien, sprechen wir inmitten dieser Lebensumstände immer wieder dieselben Worte: ”Dein Reich komme“.
Liebe Brüder und Schwestern! Diese Stunden, in denen wir uns hier begegnen, die Zeit, die ich dank eurer Einladung und eurer Gastfreundschaft unter euch verbringen darf, ist die Zeit des Reiches Gottes: des Reiches, das schon ”da ist“ und zugleich jenes, das noch”kommt“. Darum müssen wir alles Wesentliche, was zu diesem Besuch gehört, mit Hilfe dieses Gleichnisses deuten, das wir im heutigen Evangelium hören: ”Das Himmelreich gleicht...“.
2. Wem gleicht es?
Nach den Worten Jesu, wie sie uns die vier Evangelisten überliefert haben, wird dieses Reich durch vielerlei Gleichnisse und Vergleiche erklärt. Der Vergleich von heute ist einer von vielen. Er erscheint uns besonders eng mit jener Arbeit verbunden, welche die Apostel Christi, darunter auch Petrus, sowie viele seiner Zuhörer am Ufer des Sees von Genesaret verrichteten. Christus sagt, das Himmelreich gleiche ”einem Netz, das man ins Meer warf, um Fische aller Art zu fangen!“. Diese einfachen Worte verändern völlig das Bild unserer Menschenwelt, wie wir es uns durch Erfahrung und Wissenschaft formen. Erfahrung und Wissenschaft können ja nicht jene Grenzen der ”Welt“ und der menschlichen Existenz in ihr überschreiten, die mit dem”Meer der Zeit“notwendig verbunden sind: die Grenzen einer Welt, in welcher der Mensch geboren wird und stirbt, entsprechend den Worten der Genesis:”Staub bist du und zum Staub mußt du zurück“. Der Vergleich Christi dagegen spricht von der Überführung des Meschen in eine andere”Welt“, in eine andere Dimension seiner Existenz. Das Himmelreich ist genau diese neue Dimension, die sich über dem ”Meer der Zeit“ eröffnet und zugleich das”Netz“ist, das in diesem Meer für das endgültige Geschick des Menschen und aller Menschen in Gott arbeitet.
Unser heutiges Gleichnis fordert uns auf, das Himmelreich als endgültige Erfüllung jener Gerechtigkeit zu erkennen, nach der der Mensch mit einer unüberwindlichen Sehnsucht verlangt, wie sie ihm der Herr ins Herz gelegt hat, jener Gerechtigkeit, die Jesus selbst wirkte und verkündete, jener Gerechtigkeit schließlich, die Christus mit seinem eigenen Blut am Kreuz besiegelt hat.
Im Himmelreich, dem ”Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ wird auch der Mensch sich selbst vollkommen finden. Denn der Mensch ist das Wesen, das aus der Tiefe Gottes hervorgeht und selbst eine solche Tiefe in sich birgt, daß nur Gott sie zu füllen vermag. Er, der Mensch, ist mit seinem ganzen Sein ein Abbild Gottes und ihm ähnlich.
3. Jesus hat seine Kirche auf die zwölf Apostel gegründet, von denen mehrere Fischer waren. Das Bild vom Netz lag so nahe. Jesus wollte sie zu Menschenfischern machen. Auch die Kirche ist ein Netz, verbunden durch den Heiligen Geist, verknüpft durch die apostolische Sendung, wirkmächtig durch die Einheit in Glaube, Leben und Liebe.
Ich denke in diesem Augenblick an das weitgespannte Netz der gesamten Weltkirche. Zugleich steht mir jede einzelne Kirche in eurem Land vor Augen, zumal die große Kirche von Köln und die benachbarten Bistümer. Und schließlich steht mir von Augen die kleinste dieser Kirche, die ”Ecclesiola“, die Hauskirche, der die jüngste Bischofssynode in Rom eine so große Aufmerksamkeit beim Thema über die ”Aufgaben der christlichen Familie“ geschenkt hat.
Die Familie: Hauskirche, einzigartige und unersetzliche Gemeinschaft von Personen, von der der hl. Paulus in der 2. Lesung von heute spricht. Er hat dabei natürlich die christliche Familie seiner Zeit vor Augen; was er sagt, müssen wir jedoch ebenso auf die Belange der Familien in unserer Zeit anwenden: das, was er den Ehemännern sagt, was er den Ehefrauen sagt, den Kindern und den Eltern. Und schließlich das, was er uns allen sagt: ”Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde und Geduld! Ertraget euch gegenseitig und vergebt einander... vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!“. Was für eine großartige Lektion an Ehe- und Familienspiritualität!
4. Aber wir dürfen die Augen auch vor der anderen Seite nicht verschließen; die Synodenväter in Rom haben sich sehr ernst auch mit ihr befaßt; ich meine die Schwierigkeiten, denen das hohe Ideal des christlichen Familienverständnisses und Familienlebens heute ausgesetzt ist. Die moderne Industriegesellschaft hat die Lebensbedingungen für Ehe und Familie grundlegend verändert. Ehe und Familie waren früher nicht nur Lebensgemeinschaft, sondern auch Produktions- und Wirtschaftsgemeinschaft. Sie wurden aus vielen öffentlichen Funktionen verdrängt. Das öffentliche Klima ist nicht immer freundlich gegenüber Ehe und Familie. Und doch erweisen sie sich in unserer anonymen Massenzivilisation als Zufluchtsort auf der Suche nach Geborgenheit und Glück. Ehe und Familie sind wichtiger denn je: Keimzellen zur Erneuerung der Gesellschaft, Kraftquellen, aus denen das Leben menschlicher wird. Ich darf das Bild aufgreifen: Netz, das Halt und Einheit gibt und heraushebt aus den Strömungen der Tiefe.
Lassen wir nicht zu, daß dieses Netz zerreißt. Staat und Gesellschaft leiten ihren eigenen Zerfall ein, wenn sie Ehe und Familie nicht mehr wirksam fördern und schützen und andere, nichteheliche Lebensgemeinschaften ihnen gleichstellen. Alle Menschen guten Willens, besonders wir Christen, sind aufgerufen, die Würde und den Wert von Ehe und Familie neu zu entdecken und überzeugend vorzuleben. Die Kirche bietet dazu aus dem Licht des Glaubens ihren Rat und ihren geistlichen Dienst an.
5. Ehe und Familie sind zutiefst verknüpft mit der personalen Würde des Menschen. Sie entspringen nicht nur dem Trieb und der Leidenschaft, auch nicht allein dem Gefühl; sie entspringen vor allem einem Entschluß des freien Willens, einer personalen Liebe, durch die die Gatten nicht nur ein Fleisch, sondern auch ein Herz und eine Seele werden. Die leibliche und sexuelle Gemenschaft ist etwas Großes und Schönes. Sie ist aber nur dann voll menschenwürdig, wenn sie in eine personale, von der bürgerlichen und kirchlichen Gemeinschaft anerkannte Bindung integriert ist.
Volle Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau hat darum ihren legitimen Ort allein innerhalb der ausschließlichen und endgültigen personalen Treuebindung in der Ehe. Die Endgültigkeit der ehelichen Treue, die heute vielen nicht mehr verständlich erscheinen will, ist ebenfalls ein Ausdruck der unbedingten Würde des Menschen. Man kann nicht nur auf Probe leben, man kann nicht nur auf Probe sterben. Man kalm nicht nur auf Probe lieben, nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen.
6. So ist Ehe auf Dauer, auf Zukunft ausgerichtet. Sie schaut über sich hinaus. Die Ehe ist der einzig angemessene Ort für die Zeugung und Erziehung von Kindern. Darum ist eheliche Liebe ihrem Wesen nach auch auf Fruchtbarkeit ausgerichtet. In dieser Aufgabe, menschliches Leben weiterzugeben sind die Ehegatten Mitwirkende mit der Liebe Gottes, des Schöpfers. Ich weiß, daß auch hier in der heutigen Gesellschaft die Schwierigkeiten groß sind. Belastungen zumal der Frau, enge Wohnungen, wirtschaftliche, gesundheitliche Probleme, oft sogar ausgesprochene Benachteiligung kinderreicher Familien stehen einem größeren Kinderreichtum im Wege. Ich appelliere an alle Verantwortlichen, an alle Kräfte der Gesellschaft: Tut alles, um Abhilfe zu schaffen. Ich appelliere vor allem aber an eure Gewissen und an eure persönliche Verantwortung, liebe Brüder und Schwestern. In eurem Gewissen müßt ihr im Angesicht Gottes die Entscheidung über die Zahl eurer Kinder fallen.
Als Eheleute seid ihr aufgerufen zu einer verantwortlichen Elternschaft. Diese aber meint eine solche Familienplanung, die die ethischen Normen und Kriterien beobachtet, wie es auch von der letzten Bischofssynode unterstrichen worden ist. Mit großem Nachdruck möchte ich euch in diesem Zusammenhang heute nur dies eine besonders in Erinnerung rufen: Die Tötung ungeborenen Lebens ist kein legitimes Mittel der Familienplanung. Ich wiederhole, was ich am 31. Mai dieses Jahres den Arbeitern in der Pariser Vorstadt Saint-Denis gesagt habe: ”Das erste Recht des Menschen ist das Recht auf Leben. Wir müssen dieses Recht und diesen Wert verteidigen. Andernfalls würde die ganze Logik des Glaubens an den Menschen, das ganze Programm eines wahrhaft menschlichen Fortschritts erschüttert werden und in sich zusammenbrechen“. Es geht in der Tat darum, dem Leben zu dienen.
7. Liebe Brüder und Schwestern! Auf der unerläßlichen Grundlage und Voraussetzung des Gesagten wollen wir uns jetzt dem tiefsten Geheimnis von Ehe und Familie zuwenden. Die Ehe ist in der Sicht unseres Glaubens ein Sakrament Jesu Christi. Eheliche Liebe und Treue sind umgriffen und getragen von Gottes Liebe und Treue in Jesus Christus. Die Kraft seines Kreuzes und seiner Auferstehung trägt und heiligt die christlichen Eheleute.
Wie die kürzliche Bischofssynode in ihrer Botschaft an die christlichen Familien in der Welt von heute hervorgehoben hat, ist die christliche Familie in besonderer Weise berufen, am Heilsplan Gottes mitzuwirken, indem sie ihren Gliedern beisteht, ”auf daß sie zu aktiven Mitträgern der Heilsgeschichte und zu lebendigen Zeichen des Liebesplanes Gottes für die Welt werden“.
Als sakramental gegründete”Kirche im Kleinen“oder Hauskirche müssen Ehe und Familie eine Schule des Glaubens und ein Ort des gemeinsamen Gebets sein. Ich messe gerade dem Gebet in der Familie große Bedeutung zu. Es gibt Kraft zur Bewältigung der vielfältigen Probleme und Schwierigkeiten. In Ehe und Familie müssen die menschlichen und christlichen Grundhaltungen wachsen und reifen, ohne die Kirche und Gesellschaft nicht Bestand haben können. Hier ist der erste Ort christlichen Laienapostolates und des gemeinsamen Priestertums aller Getauften. Solche vom christlichen Geist geprägte Ehen und Familien sind auch die wahren Seminarien, das heißt Pflanzstätten für geistliche Berufe zum Priester- und Ordensstand.
Liebe Eheleute und Eltern, liebe Familien! Was könnte ich euch bei dieser heutigen eucharistischen Begegnung herzlicher wünschen, als daß ihr alle und jede einzelne Familie eine solche”Hauskirche“seid, eine Kirche im Kleinen! Daß sich bei euch das Gleichnis vom Reich Gottes verwirkliche! Daß ihr die Gegenwart des Reiches Gottes erfahrt, indem ihr selbst lebendiges”Netz“seid, das eint und trägt und Halt gibt - für euch selbst und für viele um euch herum. Das ist mein Segenswunsch, den ich euch als euer Gast und Pilger und als Diener eures Heils ausspreche.
8. Und nun gestattet mir, daß ich mich am Schluß dieser grundlegenden Betrachtung über das Reich Gottes und die christliche Familie noch an den hl. Albert den Großen wende, dessen ”Siebenhundert-Jahr-Feier“ mich in eure Stadt geführt hat. Denn hier ist die Grabstätte dieses berühmten Sohnes eures Landes, der in Lauingen geboren wurde und in seinem langen Leben zugleich ein großer Wissenschaftler, ein geistiger Sohn des hl. Dominikus und der Lehrer des hl. Thomas von Aquin war. Er war einer der größten Geistesmenschen im 13. Jahrhundert. Er hat wie kaum ein anderer das ”Netz“ geknüpft, das Glaube und Vernunft, Gottesweisheit und Weltwissen miteinander verbindet. Wenigstens im Geiste besuche ich auch seine Geburtstadt Lauingen, wenn ich heute hier, in Köln, nahe bei seinem Grab weile und zusammen mit euch die Worte betrachte, durch die ihn die heutige Liturgie preist: ”Wenn Gott, der Höchste, es will, / wird er mit dem Geist der Einsicht erfüllt: / Er bringt eigene Weisheitsworte hervor, / und im Gebet preist er den Herrn. Er versteht sich auf Rat und Einsicht / und erforscht die Geheimnisse; / er offenbart den sittlichen Wert seiner Lehre, / und sein Ruhm ist das Bundesgesetz des Herrn. / Viele loben seine Einsicht; / sie wird niemals vergehen. / Sein Andenken wird nicht schwinden, / sein Name wird leben bis in ferne Geschlechter. / Von seiner Weisheit erzählt die Volksversammlung, / sein Lob verkündet die Gemeinde“.
Diesen Worten des weisen Jesus Sirach braucht man nichts hinzuzufügen. Man sollte aber auch keines auslassen. Denn sie beschreiben vollständig die Gestalt jenes Mannes, dessen sich euer Vaterland, eure Stadt zu Recht rühmen, der der ganzen Kirche zur Freude gereicht. Albertus Magnus, doctor universalis - Albert der Große, von umfassender Gelehrsamkeit: ein wahrer ”Jünger des Gottesreiches“!
Wenn wir heute miteinander die Berufung der christlichen Familie für den Aufbau des Reiches Gottes auf Erden bedacht haben, dann sollen uns die Worte des Gleichnisses Christi auch die tiefste Deutung dieses Heiligen geben, dessen wir heute feierlich gedenken. Christus sagt nämlich:”Jeder Schriftgelehrte also, der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist, gleicht einem Hausvater, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt“.
Einem solchen Hausvater gleicht auch der hl. Albert! Sein Vorbild und seine Fürsprache mögen mich begleiten, wenn ich bei meiner Pilgerreise durch euer Land versuche, als Menschenfischer das Netz dichter zu knüpfen und weiter auszuwerfen, damit Gottes Reich komme. Amen.
Ruf des Papstes für die Entführung eines elfjährigen Mädchens Bevor wir nun jedoch die Liturgiefeier fortsetzen, ist es mir im Rahmen unserer heutigen Besinnung auf Ehe und Familie noch ein Herzensanliegen, in euer aller Namen meine Betroffenheit über die kürzlich erfolgte unmenschliche Entführung eines elfjährigen Mädchens, Cornelia Becker, hier in eurem Land zu bekunden. Wir bangen zusammen mit den Eltern um das Schicksal ihrer Tochter. Wieder einmal fühlen wir schmerzlich, wozu menschliche Verirrung und Rücksichtslosigkeit fähig sind. Im Namen der Menschlichkeit appelliere ich an das Gewissen der Entführer: Laßt ab von eurem grausamen Tun! Gebt das unschuldige Kind Cornelia unverzüglich frei! - Wir wollen dieses Anliegen jetzt auch im Gebet vor Gott tragen, der Zugang zum Herzen der Menschen hat, wo unser Reden versagt. Beten wir mit den bangen Eltern um ein baldiges frohes Wiedersehn mit ihrer Tochter.
An den Bundespräsidenten und andere Autoritäten (Bonn)
Sehr verehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren!
1. Es ist mir eine besondere Freude, während meines Besuches in der Bundesrepublik Deutschland mit Ihnen, den höchsten und maßgeblichen Vertretern des politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und kirchlichen Lebens dieses Staates, zusammentreffen zu können. In Ihnen grüße ich zugleich alle, die in diesem Land für das Wohl und Geschick des ganzen Volkes Verantwortung tragen.
Aufrichtig danke ich dem Herrn Bundespräsidenten für den freundlichen Willkommensgruß und Ihnen allen, daß Sie mich durch Ihre Anwesenheit beehren. Ihre geschätzte Aufmerksamkeit gilt gewiß weniger meiner Eigenschaft als Souverän des äußerlich recht unscheinbaren Vatikanstaates, sondern dem mir anvertrauten religiösen Sendungsauftrag als oberster Hirte der katholischen Kirche. Dieser allein veranlaßt mich, im Geist meiner großen Vorgänger auf dem Stuhl Petri und entsprechend den neuen pastoralen Erfordernissen unserer Zeit immer wieder die Ewige Stadt für einige Tage zu verlassen, um meinen Glaubensbrüdern und -schwestern in den verschiedenen Ortskirchen und Kontinenten einen Pastoralbesuch abzustatten.
2. Meine Begegnungen mit den höchsten staatlichen und zivilen Autoritäten während meiner apostolischen Reisen wollen nicht nur Gesten der Höflichkeit und der Wertschätzung sein, sie sind zugleich Ausdruck der Solidarität und Mitverantwortung, zu der die Kirche sich kraft ihrer Sendung - unter Achtung der jeweiligen Zuständigkeiten - zusammen mit dem Staat für das Gemeinwohl der Bürger verpflichtet weiß. Obwohl das von Christus der Kirche gesetzte Ziel einer anderen, nämlich der religiösen Ordnung angehört, fließen - wie des II. Vatikanische Konzil betont - ”aus ebendieser religiösen Sendung Auftrag, Licht und Kraft, um der menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau und Festigung nach dem göttlichen Gesetz behilflich zu sein“.
Die Geschichte Ihres Volkes und des ganzen christlichen Abendlandes ist sehr reich an leuchtenden Beispielen und kostbaren Früchten solch mitverantwortlicher und vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Staat, Gesellschaft und Kirche. Beredte Zeugen dafür, wie Glaubenskraft und Weltgestaltung zusammenhängen, sind nicht nur die herrlichen Kathedralen, die altehrwürdigen Klöster und Universitäten mit ihren umfangreichen Bibliotheken und die vielen übrigen kulturellen und sozialen Einrichtungen, sondern ebenso auch die moderne technische Zivilisation und Kultur selbst, die ohne den entscheidenden geschichtlichen, geistig-sittlichen Beitrag des Christentums von ihren Ursprüngen her nicht zu verstehen ist. Sogar die neuzeitlichen areligiösen und antireligiösen Ideologien geben noch Zeugnis von der Existenz und dem hohen Wert dessen, was sie mit allen Mitteln zu leugnen und zu zerstören trachten.
3. Durch seinen bedeutenden geistig-religiösen, kulturellen und wissenschaftlichen Beitrag gebührt dem deutschen Volk in der Geschichte der Kirche und in der Geistesgeschichte Europas eine besondere Anerkennung. In seiner Vergangenheit gibt es zwar wie im Leben einer jeden Nation Licht und Dunkel, Beispiele höchster menschlicher und christlicher Größe, aber auch Abgründe, Prüfungen, Geschehnisse von tiefer Tragik. Es finden sich Zeiten, in denen das Leben dieser Nation der wahren menschlichen und christlichen Tugend entsprochen hat, jedoch auch solche, die zu dieser im bürgerlichen und internationalen Zusammenleben in Widerspruch standen. Stets aber hat Ihr Land es verstanden, sich sogar aus Zusammenbrüchen und Erniedrigungen - wie zum Beispiel denen des letzten Weltkrieges - neu zu erheben und wieder zu erstarken. Politische Stabilität, wissenschaftlich-technischer Fortschritt und der sprichwörtliche Fleiß der Bürger haben der Bundesrepublik Deutschland während der letzten Jahrzehnte innerhalb ihrer Grenzen zu Wohlstand und sozialem Frieden und darüber hinaus in der internationalen Völkergemeinschaft zu hohem Ansehen und Einfluß verholfen. Geblieben ist für Ihr Volk jedoch noch immer die schmerzliche Teilung, die - wie ich hoffe - schließlich in einem geeinten Europa ebenfalls die ihr gebührende friedliche Lösung finden möge.
Gestatten Sie mir, sehr geehrte Damen und Herren, daß ich an dieser Stelle von den Friedensbemühungen, durch die auch Ihr Land zur weltweiten Völkerverständigung maßgeblich beizutragen sucht, mit besonderer Freude die wachsende Verständigungsbereitschaft zwischen Ihren Bürgern und dem polnischen Volk hervorhebe. Hierbei gebührt bekanntlich auch den evangelischen Christen sowie den Bischöfen und Katholiken in beiden Ländern ein nicht geringes Verdienst. In allen leidvollen Beziehungen zwischen den Völkern gilt der Grundsatz: Nicht das Aufrechnen des gegenseitig sich zugefügten und erduldeten schweren Unrechts und Leids, sondern allein der Wille zur Versöhnung und die gemeinsame Suche nach neuen Wegen friedlichen Zusammenlebens können für die Völker den Weg in eine bessere Zukunft ebenen und gewährleisten.
Ebenso gereicht Ihren Verantwortlichen in Politik, Kirche und Gesellschaft zur besonderen Ehre, daß sie sich der schwerwiegenden Verantwortung, die den wohlhabenden Ländern gegenüber den Ländern der Dritten Welt obliegt, in zunehmendem Maß bewußt sind und ihr durch staatliche und kirchliche Programme und Initiativen wie auch durch konkrete Hilfsaktionen von seiten der Bürger zu entsprechen suchen. Auch auf diesem Gebiet ist schon manches Lobenswerte geschehen. Wie ich mich jedoch durch meine kürzlichen apostolischen Reisen in einige dieser Länder persönlich vergewissern konnte und die zuständige Nord-Süd-Kommission in ihrem Abschlußbericht mit großer Eindringlickeit hervorgehoben hat, sind noch weit größere Anstrengungen und noch entschiedenere Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene vorzunehmen, um dem Hunger und strukturellen Elend in den weniger privilegierten Ländern und Kontinenten noch wirksamer und erfolgversprechender zu begegnen. Wenn Entwicklung ein neuer Name für Frieden ist, wie Papst Paul VI. in seiner Enzyklika ”Populorum Progressio“ unterstrichen hat, so ist ein noch starkerer und selbstloserer gemeinsamer Einsatz für die Belange der Völker der Dritten Welt das vordringlichste Gebot der Stunde, um den Weltfrieden auf die Dauer zu sichern. Dazu dürfte auch eine merkliche Selbstbeschränkung der reichen Nationen kein unzumutbares Opfer sein.
4. Das viele Positive und Gute, das trotz mancher Unheilspropheten auch in der Welt von heute gerade dank der neuen technischen Errungenschaften mit einem um so größeren Wirkungsradius geschieht, um die Lebensbedingungen der ganzen Menschheitsfamilie und die eines jeden einzelnen Menschen immer menschenwürdiger zu gestalten, ist uns Anlaß zu Freude und Dank gegenüber Gott, der auch der Herr unserer Zeit ist. Die Kirche fördert und unterstützt kraft ihrer Heilssendung nach Möglichkeit, was immer zur Hebung und ganzheitlichen Entfaltung des Menschen beitragen kann, wie es ja gerade auch die vertrauensvolle partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche auf verschiedenen Gebieten und Ebenen in Ihrem Land deutlich veranschaulicht.
Doch muß diese Feststellung des Guten und Anerkennenswerten in der modernen Gesellschaft uns zugleich auch die Mängel und Gefahren erkennen lassen, denen der heutige Mensch zunehmend ausgesetzt ist. Je heller das Licht, um so klarer treten die Schattenseiten und das bedrohliche Dunkel von Fehlentwicklungen in Erscheinung. ”Eine kritische Analyse unserer heutigen Zivilisation ergibt“, wie ich im vergangenen Jahr in meiner Ansprache vor den Vereinten Nationen ausgeführt habe, ”daß diese vor allem im letzten Jahrhundert wie nie zuvor zur Entwicklung der materiellen Güter beitragen, aber auch in der Theorie und mehr noch in der Praxis eine Reihe von Haltungen hervorgebracht hat, bei denen in mehr oder weniger starkem Maße die Sensibilität für die geistige Dimension der menschlichen Existenz abgenommen hat. Die Ursache hierfür sind gewisse Voraussetzungen, durch die der Sinn des menschlichen Lebens vorwiegend auf die vielfältigen materiellen und ökonomischen Bedingungen bezogen worden ist, das heißt auf die Erfordernisse der Produktion, des Handels, des Konsums, der Anhäufung von Reichtümern oder der Bürokratisierung, mit der man die entsprechenden Prozesse zu regulieren sucht“.
Jeder vermeintliche Fortschritt ist nur dann wahrer Fortschritt, wenn er dem Menschen in seiner Gesamtheit dient. Diese Ganzheit des Menschen umfaßt zu den materiellen Werten wesensnotwendig auch die geistigen und sittlichen Werte. Deshalb dürfen wir auch ”den menschlichen Fortschritt nicht nur am Fortschritt der Wissenschaft und Technik messen... sondern gleichzeitig und mehr noch am Primat der geistigen Werte und am Fortschritt des moralischen Lebens“. Es ist somit ein sehr bedauerlicher und folgenschwerer Fehler, wenn man in der modernen Gesellschaft den berechtigten Pluralismus vielfach mit Wertneutralität verwechselt und im Namen einer falsch verstandenen Demokratie auf ethnische Normen und die Verwendung der moralischen Kategorie von Gut und Böse im öffentlichen Leben zunehmend verzichten zu können glaubt.
5. Diese Entwicklung, deren nachteilige Auswirkungen sich auch im innerkirchlichen Leben bemerkbar machen, erfüllt die Kirche mit wachsender Aufmerksamkeit und Sorge. Seit ihrer Gründung durch Jesus Christus, der vor Pilatus angesichts seines Todes feierlich bekannt hat, daß er dazu geboren und in die Welt gekommen sei, um für die Wahrheit Zeugnis zu geben, hat die Kirche kraft ihrer Sendung zusammen mit der Frohbotschaft von Erlösung und Heil als deren unerläßliche Voraussetzung stets mit Nachdruck gerade die geistig-sittliche Dimension der menschlichen Person bekannt, gefördert und verteidigt. Sie tut dies nicht nur aus Treue gegenüber der ihr anvertrauten offenbarten Lehre, sondern auch aus tiefem Verantwortungsbewußtsein für den Menschen, zu dessen Dienst und geistlichem Wohl sie sich gesandt weiß. Die Kirche bekennt sich zur Gottebenbildlichkeit des Menschen und damit zu seiner unantastbaren Würde. In ihr gründen letztlich seine unveräußerlichen Grundrechte wie auch die Grundwerte für menschenwürdiges gesellschaftliches Zusammenleben. Die Grundwertdiskussion, die in Ihrem Land während der letzten Jahre so rege stattgefunden hat, unterstreicht die besondere Aktualität und Notwendigkeit einer solchen neuen Rückbesinnung auf die tragfähigen Grundlagen unserer modernen Zivilisation und Gesellschaft.
Gemäß dem ihr übertragenen prophetischen Amt kann die Kirche es niemals unterlassen, im Namen der Wahrheit als sittliches Vergehen oder als Sünde zu bezeichnen, was offenkundig gegen die Würde des Menschen und Gottes Gebot verstößt. Sie kann insbesondere nicht schweigen, wenn so hohe Rechtsgüter wie das menschliche Leben, in welcher Form und in welchem Stadium auch immer, zur Disposition gestellt zu werden droht.
Die Kirche ist gesandt, von der Wahrheit Zeugnis zu geben, und leistet dadurch einen wertvollen Beitrag zu einer menschenwürdigen Gestaltung des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens.
Gelegen oder ungelegen erinnert sie an die hohe Würde und Berufung des Menschen als Gottes Geschöpf. Diese allen erkennbare Würde leuchtet in voller Klarheit und Größe in Jesus Christus auf, in der Botschaft seines Lebens und in seiner Lehre. In ihm allein erfährt - das ist christliche Glaubensüberzeugung - der Mensch die ganze Wahrheit über sich selbst. "Der Mensch kann sich im letzten nicht ohne Christus verstehen", wie ich in meiner Predigt auf dem Siegesplatz in Warschau betont habe. "Er kann weder begreifen, wer er ist, noch worin seine wahre Würde besteht, noch welches seine Berufung und was seine endgültige Bestimmung ist". Wenn Christen die in Christus erschlossene Wahrheit vom Menschen zur Grundlage ihres Lebenszeugnisses und gesellschaftlichen Handelns machen, dann ist dies ein Dienst an allen: die für alle erkennbare und von allen anzuerkennende Würde des Menschen kommt um so deutlicher und umfassender zu Geltung.
6. Ich möchte diese meine kurzen Überlegungen, sehr geehrte Damen und Herren, nicht beschließen, ohne Sie, insbesondere diejenigen unter Ihnen, die mit mir die gleichen Glaubensüberzeugungen teilen, dazu aufzurufen, sich der christlichen Grundlage der Geschichte Ihres Volkes und der christlich geprägten Grundverfassung Ihres heutigen Staates wieder neu bewußt zu werden. Eine tiefgreifende sittliche Erneuerung der Gesellschaft kann nur von innen, von den Wurzeln her wirksam erfolgen. Nachdem die scheinbar so verheißungsvollen großen Ideologien und Messianismen des letzten Jahrhunderts kläglich gescheitert sind und die Menschheit an den Rand des Abgrundes getrieben haben, ermutigt die Kirche heute um so nachdrücklicher die Völker und alle, die für sie Verantwortung tragen, sich nun wieder neu auf den Menschen selbst, auf seine wahre Würde und seine unveräußerlichen Grundrechte - mit einem Wort: auf den Menschen in Christus - zu besinnen, um von ihm her und zusammen mit ihm in hoffnungsvoller Zuversicht die Gegenwart für eine bessere Zukunft zu gestalten Allein daraus kann nicht nur für die einzelnen Nationen, sondern für Europa und die ganze Menschheit die Chance erwachsen für ein menschenwürdiges Bestehen der am Horizont der Geschichte immer bedrohlicher heraufziehenden Gefahren und für ein wahrhaft erfülltes Leben aller Völker und Menschen in Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden.
Hierfür erbitte ich Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, und Ihrem ganzen Volk von Gott, dem Ursprung und Ende aller Geschichte, Licht und Kraft sowie seinen bleibenden Schutz und Segen.
Gruß an die Bürger in Bonn
Gelobt sei Jesus Christus!
Von Herzen danke ich euch, liebe Brüder und Schwestern, daß ihr mir, dem apostolischen Pilger durch euer Land, zu solch später Stunde in eurer Stadt Bonn noch ein so herzliches Willkommen bereitet. Ich grüße die hier Anwesenden und alle Bewohner der Bundeshauptstadt mit dem Segenswort des Psalmisten: "Friede herrsche in deinen Mauern... Um meiner Brüder, um meiner Freunde willen rufe ich: Friede sei in dir!". Mein Gruß gilt insbesondere den obersten Repräsentanten der bürgerlichen und kirchlichen Gemeinde, dem Herrn Oberbürgermeister und dem Herrn Stadtdechanten. Zugleich grüße ich die Vertreter der christlichen Kirchen sowie der Jüdischen Gemeinschaft.
Eure ehrwürdige Münster-Basilika, bei der wir uns hier begegnen, birgt als kostbaren Schatz in der Krypta die Gräber eurer Stadtpatrone, der heiligen römischen Märtyrer Cassius und Florentius.
Diese frühe Gedächtnisstätte des Christentums erinnert euch stets an die christliche Wurzel eurer Stadt und eurer Kultur. Das heroische Bekenntnis zu Christus dieser beiden Glaubenszeugen, deren Gedenktag ihr jedes Jahr mit dem Magistrat der Stadt so festlich begeht, verpflichtet euch. Seid auch ihr heute ebenso überzeugte und überzeugende Christen! Die gegenwärtige Renovierung eures herrlichen Gotteshauses sei ein Anruf an euch. Auch wir, die lebendigen Bausteine des geistlichen Tempels der Kirche, müssen uns immer wieder in Jesus Christus erneuern, bis wir ihm völlig gleichgestaltet werden.
"Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes willen, fleh ich um Heil für dich". Mit diesen Worten desselben Psalms bitte ich um Gottes bleibenden Schutz und Segen für eure Stadt und alle ihre Bewohner. Gott segne die Familien mit ihren Kindern! Er segne die alten Menschen! Alle, die krank zu Bett liegen! Er segne jeden, der sich allein fühlt, der voller Sorgen und mutlos ist. Schließlich gilt unser besonderer Segenswunsch in dieser Bundeshauptstadt noch allen denen, die für die politischen Geschicke und das Wohl eures Volkes und die internationale Völkergemeinschaft große Verantwortung tragen. Möge Gott ihre Beratungen und Entscheidungen stets mit seinem Licht erleuchten!
Laßt uns nun für eure Stadt, für euer Volk und die ganze Kirche beten, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat:
Vater unser im Himmel...
An die Kolpinggemeinschaft in der Kirche der Minderbrüder in Köln
Liebe Kolpinggemeinschaft!
Der Dom, aus dem ich gerade komme, hat zwei gewaltige Türme, die wie Zeugen des Glaubens zum Himmel ragen. Die Minoritenkirche, gleichaltrig mit dem Dom, umfaßt zwei geistige Türme des Glaubens: Den bedeutenden Theologen Duns Scotus und den großen sozialen Volksseelsorger Adolph Kolping. Duns Scotus hat uns das Geheimnis der unbefleckten Empfängnis Mariens erschlossen und ihre Stellung im Heilsplan Gottes dargestellt. Der Immaculata wurde dieses Gotteshaus als erstes nördlich der Alpen geweiht. Neben dem Denker ruht in dieser Kirche der Seelsorger, Volksschriftsteller und Sozialapostel Adolph Kolping.
Adolph Kolping forderte die Neubesinnung des Menschen auf seinen inneren von Gott gegebenen Wert in der Familie, im Beruf, in der Kirche, im Staat und in der Gesellschaft. Sein Programm lautet: Jeder einzelne Christ verändert die Welt, wenn er christlich lebt. Adolph Kolping lebte in einer Zeit des politischen und sozialen Umbruchs. Er wußte, daß der einzelne auf sich allein gestellt nur wenig zur Besserung der Verhältnisse beitragen konnte. Deshalb baute er zielstrebig die katholischen Gesellenvereine auf, das heutige internationale Kolpingwerk. Er wollte damit Menschen in schwieriger sozialer Lage Geborgenheit und Heimat geben.
Als Adolph Kolping in Köln seine ersten Gesellenvereine gründete, wirkte auch Karl Marx in Köln.
Er rief zu Umsturz und Klassenkampf auf, Adolph Kolping wollte die Gesellschaft durch christliches Verhalten der Menschen wandeln. Grundlage für seine Arbeit waren die Botschaft Christi und die katholische Soziallehre, die durch seine schriftstellerische Tätigkeit Verbreitung fand und der er Impulse gegeben hat. Ich bin gekommen, Adolph Kolping und dem Internationalen Kolpingwerk, das sein Programm zeitgerecht verwirklicht, für den Beitrag zu Lösung der sozialen Fragen zu danken. Mit großer Freude hörte ich, daß das Kolpingwerk heute in 20 Ländern der Erde verbreitet ist und sich in jüngster Zeit sehr segensreich auch in der Dritten Welt ausbreitet.
Besonders erfreut bin ich darüber, daß sich überall so viele junge Menschen Eurem Werk anschließen und sich von ihm zu einer Haltung formen lassen, die Zeugnis vom Auftrag der frohen Botschaft gibt.
Ich weiß um Euer großes Verlangen nach der Seligsprechung Vater Kolpings. Dazu möchte ich Euch ermutigen und Eure Mühen segnen. Ich wiederhole, was ich 1978 hier gesagt habe: ”Solche Leitbilder wie Adolph Kolping brauchen wir für die Kirche von heute“.
Gebet in der Kirche des Hl. Andreas in Köln
Gott, du bist wunderbar in deinen Heiligen!
Von dir zum obersten Hirten der Kirche Jesu Christi bestellt, knie ich heute als Pilger am Grab des heiligen Albert nieder, um dich am Festtag der siebenhundertjährigen Wiederkehr seines Todes mit allen Gläubigen zu verherrlichen und dir für sein Leben und Wirken zu danken, durch das du ihn deiner Kirche zum Lehrer des Glaubens und Vorbild des christlichen Lebens gegeben hast.
Gott, unser Schöpfer, Urheber und Licht des menschlichen Geistes, du hast dem heiligen Albert in der treuen Nachfolge unseres Herrn und Meisters Jesus Christus eine tiefe Erkenntnis des Glaubens geschenkt. Die Schöpfung selbst wurde für ihn zur Offenbarung deiner Allmacht und Güte, indem er dich in der Kreatur tiefer erkennen und lieben lernte. Zugleich hat er die Werke menschlicher Weisheit, auch die Schriften nichtchristlicher Philosophen, durchforscht und sie für die Begegnung mit deiner Frohen Botschaft erschlossen. Du hast ihn durch die Gabe der Unterscheidung in einzigartiger Weise dazu befähigt, dem Irrtum zu wehren, die Wahrheit aber zu vertiefen und unter den Menschen auszubreiten. Dadurch hast du ihn zum Lehrer der Kirche und aller Menschen bestellt.
Mit der Fürbitte des heiligen Albert vereint, flehen wir zu dir um dein Erbarmen:
- Sende deiner Kirche auch in unserer Zeit Lehrer der Wahrheit, die den Menschen deine Frohe Botschaft durch Wort und heiligmäßigen Lebenswandel zeitgemäß zu deuten und zu verkünden vermögen.
Wir bitten dich, erhöre uns.
Öffne durch die Gnade eines lebendigen Glaubens die Herzen der Menschen, daß sie Gottes Gegenwart in der Schöpfung und in ihrem eigenen Leben erkennen und seinem heiligen Willen immer vollkommener entsprechen.
- Begleite und erleuchte den Dienst der Forscher und Gelehrten mit deinem Heiligen Geist und bewahre sie vor Stolz und Eigendünkel und schenke den Naturwissenschaftlern einen verantwortungsvollen Umgang mit den Gaben deiner Schöpfung.
- Schenke den Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft Einsicht und Verantwortungsbewußtsein, daß sie die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik für den Frieden und Fortschritt der Völker und nicht zu deren Schaden oder gar Vernichtung gebrauchen.
- Hilf uns allen, inmitten der vielfältigen Gefahren und Irrtümer unserer Zeit stets das Wahre zu erkennen und dir durch ein überzeugtes Leben aus dem Glauben in Treue zu dienen.
- Segne auf die Fürsprache des heiligen Albert alle Bürger dieses Landes, schenke dem deutschen Volk Frieden und Einheit und laß es stets seiner Verantwortung in der Gemeinschaft der Völker eingedenk sein.
- Begleite diesen meinen Pastoralbesuch in der Bundesrepublik Deutschland mit deinem besonderen Segen und Beistand, stärke alle Gläubigen in ihrer Liebe zu Christus und seiner Kirche, auf daß durch ihr christliches Lebenszeugnis in Wahrheit und Gerechtigkeit dein Name auch in der Welt von heute verherrlicht werde.
Bitte für uns, heiliger Albert, auf daß wir würdig werden der Verheißungen Christi.
Lasset uns beten: Gott, unsere Zuflucht und Stärke, du hast dem heiligen Bischof und Kirchenlehrer Albert die Kraft gegeben, das menschliche Wissen der ewigen Weisheit zuzuordnen. Stärke und beschütze auf seine Fürsprache unseren Glauben in der geistigen Verwirrung unserer Tage. Gib uns die Weite seines Geistes, damit uns auch der Fortschritt der Wissenschaften hilft, dich tiefer zu erkennen und dir näher zu kommen. Laß uns wachsen in der Erkenntnis der Wahrheit, die du selber bist, damit wir dich einmal zusammen mit allen Heiligen schauen dürfen von Angesicht zu Angesicht.
Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.
Treffen mit Wissenschaftlern und Studenten im Kölner Dom
Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt!
Liebe Brüder und Schwestern!
Sehr geehrte Damen und Herren!
1. Mit Freude und Dankbarkeit begrüße ich Sie, die Frauen und Männer aus dem wissenschaftlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland, die Studentinnen und Studenten aus den deutschen Hochschulen, die die europäische Wissenschaftsgeschichte so nachhaltig beeinflußt haben. Sie haben sich hier versammelt gleichsam stellvertretend für die vielen Forscher, Lehrer, Mitarbeiter und Studierenden in den Universitäten, Akademien und den anderen Forschungseinrichtungen. Sie vertreten ferner die vielen Mitarbeiter in der staatlichen und nichtstaatlichen Wissenschaftsförderung, die auf Entwicklung von Wissenschaft und Technologie einen nicht unerheblichen Einfluß ausüben und deshalb eine besondere Verantwortung für die Menschen tragen.
2. Das heutige Zusammentreffen soll als ein Zeichen der Gesprächsbereitschaft zwischen Wissenschaft und Kirche verstanden werden. Der heutige Tag selbst und der Ort geben dieser Begegnung eine besondere Bedeutung. Heute vor 700 Jahren starb im Dominikanerkonvent, nicht weit von diesem Dom, bei dessen Gründung er wohl anwesend war, Albert ”der Deutsche“, wie ihn die Zeitgenossen nannten; die Nachwelt hat ihm wohl als einzigen Gelehrten den Beinamen ”der Große“ gegeben.
Albert hat in seiner Zeit vielfältig gewirkt: als Ordensmann und Prediger, als Ordensoberer und als Bischof und als Friedensvermittler in seiner Stadt Köln. Weltgeschichtliche Größe gewann er aber als Forscher und Gelehrter, der das Wissen seiner Zeit umfassend beherrschte und in einem gewaltigen Lebenswerk neu gestaltete. Schon Zeitgenossen anerkannten ihn als "auctor", als Urheber und Mehrer der Wissenschaft; die Folgezeit zeichnete ihn als den "doctor universalis" aus.
Die Kirche beruft sich auf ihn, den sie zu ihren Heiligen zählt, als einen ihrer "Lehrer" und feiert ihn liturgisch unter diesem Titel.
Unsere Erinnerung an Albert den Großen soll aber nicht nur ein Akt schuldiger Pietät sein.
Wichtiger ist es, den wesentlichen Sinn seines Lebenswerkes gegenwärtig werden zu lassen, dem wir grundsätzliche und bleibende Bedeutung zumessen müssen. Werfen wir kurz einen Blick auf die geistesgeschichtliche Lage der Zeit Alberts: Ihr Kennzeichen ist das zunehmende Bekanntwerden des aristotelischen Schrifttums und der arabischen Wissenschaft. Das christliche Abendland hatte bis dahin die Tradition der christlichen Spätantike wiederbelebt und wissenschaftlich weiterentwickelt. Jetzt tritt ihm eine umfassende nichtchristliche Welterklärung entgegen, die sich nur auf profane Rationalität stützt. Viele christliche Denker, darunter sehr bedeutende, sahen in diesem Anspruch vor allem eine Gefahr. Sie glaubten die geschichtliche Identität der christlichen Tradition dagegen schützen zu müssen; denn es gab auch radikale einzelne und Gruppen, die einen ungelösten Widerstreit zwischen dieser wissenschaftlichen Rationalität und der Glaubenswahrheit erblickten und sich zugunsten dieser ”Wissenschaftlichkeit“ entschieden.
Zwischen diesen Extremen geht Albert den mittleren Weg: Der Wahrheitsanspruch rational begründeter Wissenschaft wird anerkannt; ja sie wird inhaltlich übernommen, ergänzt, korrigiert und weiterentwickelt in ihrer eigenständigen Rationalität. Eben dadurch wird sie zum Eigentum der christlichen Welt. Diese findet so ihr Weltverständnis ungemein bereichert, aber sie muß kein Wesenselement ihrer Tradition oder gar die Glaubensgrundlage aufgeben. Denn zwischen einer Vernunft, welche durch ihre gottgegebene Natur auf Wahrheit angelegt und zur Erkenntnis der Wahrheit befähigt ist, und dem Glauben, der sich der gleichen göttlichen Quelle aller Wahrheit verdankt, kann es keinen grundsätzlichen Konflikt geben. Der Glaube bestätigt gerade das Eigenrecht der natürlichen Vernunft. Er setzt es voraus; denn seine Annahme setzt jene Freiheit voraus, die nur dem Vernunftwesen eigen ist. Damit zeigt sich zugleich, daß Glaube und Wissenschaft verschiedenen Erkenntnisordnungen zugehören, die nicht ineinander überführbar sind. Dann aber erweist sich: Die Vernunft kann nicht alles aus sich selbst, sie ist endlich. Sie muß durch eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse fortschreiten, sie ist in einer Mehrheit von einzelnen Wissenschaften verfaßt. Die Einheit von Welt und Wahrheit mit ihrem Ursprung kann sie nur in je besonderen Wissensweisen erfassen: Auch die Philosophie und die Teologie sind als Wissenschaften endliche Bemühungen, welche die Einheit der Wahrheit nur in der Unterschiedlichkeit, also in einem offenen Ordnungsgefüge darstellen können.
Wiederholen wir: Albert vollzieht die anerkennende Aneignung der rationalen Wissenschaft in einem Ordnungsgefüge, in dem sie ihren Eigenstand bestätigt erhält - und doch bleibt sie darin auf das maßgebende Sinnziel des Glaubens bezogen. Damit hat Albert das Statut einer christlichen Intellektualität verwirklicht, dessen Grundsätze auch heute noch als gültig anzusehen sind. Wir schmälern nicht die Bedeutung dieser Leistung, wenn wir zugleich feststellen: Alberts Werk ist inhaltlich zeitgebunden und gehört insofern der Geschichte an. Die von ihm erbrachte ”Synthese“ behält exemplarischen Charakter, und wir tun gut daran, ihre Grundsätze im Gedächtnis zu behalten, wenn wir uns den gegenwärtigen Fragen von Wissenschaft, Glaube und Kirche zuwenden.
3. Viele sehen den Kern dieser Fragen im Verhältnis von Kirche und moderner Naturwissenschaft, und sie empfinden noch die Belastung durch jene berühmten Konflikte, die aus Eingriff kirchlicher Instanzen in den Prozeß wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts entstanden sind. Die Kirche erinnert sich daran mit Bedauern, denn wir wissen heute um die Irrtümer und Mängel dieser Verfahren. Wir können heute sagen, daß sie überwunden sind: Dank der Überzeugungskraft der Wissenschaft, dank vor allem der Arbeit einer wissenschaftlichen Theologie, welche das Glaubensverständnis vertieft und von Zeitgebundenem befreit hat. Das kirchliche Lehramt hat seit dem I. Vatikanischen Konzil mehrfach jene Grundsätze wieder in Erinnerung gerufen, zuletzt und ausdrücklich im II. Vatikanum, die schon in Alberts des Großen Werk erkennbar sind. Es hat ausdrücklich die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisordnungen von Glaube und Vernunft ausgesprochen, es hat die Autonomie und Freiheit der Wissenschaften anerkannt und ist für die Freiheit der Forschung eingetreten. Wir fürchten nicht, ja wir halten es für ausgeschlossen, daß eine Wissenschaft, die sich auf Vernunftgründe stützt und methodisch gesichert fortschreitet, zu Erkenntnissen gelangt, die in Konflikt mit der Glaubenswahrheit kommen. Dies kann nur dort der Fall sein, wo die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisordnungen übersehen oder verleugnet wird.
Diese Einsicht, die von den Wissenschaftlern vollzogen werden sollte, könnte die geschichtliche Belastung des Verhältnisses von Kirche und Naturwissenschaft überwinden helfen und einen partnerschaftlichen Dialog ermöglichen, wie er ja schon vielfach im Gange ist. Es geht dabei nicht nur um Vergangenheitsbewältigung, sondern um neuartige Probleme, die sich aus der Rolle der Wissenschaften in der heutigen Gesamtkultur ergeben.
Die naturwissenschaftliche Erkenntnis hat zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der menschlichen Technik geführt. In der Folge haben sich die Bedingungen des menschlichen Lebens auf dieser Erde in unerhörtem Maße verändert und weitgehend auch verbessert. Der Forschritt wissenschaftlicher Erkenntnis wurde zum Motor eines allgemeinen kulturellen Fortschritts. Technische Weltveränderung erschien vielen als Sinn und Ziel der Wissenschaft. Inzwischen hat sich gezeigt, daß der zivilisatorische Fortschritt nicht immer die Lebensumstände verbessert. Es gibt unbeabsichtigte und unvorhergesehene Folgen, die gefährlich und verderblich werden können. Ich erinnere nur an das ökologische Problem, das durch den Fortschritt der technisch-wissenschaftlichen Industrialisierung entstanden ist. So entstehen ernste Zweifel, ob denn der Fortschritt insgesamt dem Menschen diene. Solche Zweifel schlagen zurück auf die technisch verstandene Wissenschaft. Ihr Sinn, ihre Zielsetzung, ihre menschliche Bedeutung werden in Frage gestellt.
Besonderes Gewicht erhält diese Frage angesichts der Anwendung naturwissenschaftlichen Denkens auf den Menschen. Die sogenannten Humanwissenschaften haben durchaus wichtige und weiterführende Erkenntnisse über menschliches Tun und Verhalten erbracht. Sie stehen aber in Gefahr, in einer technisch bestimmten Kultur zur Manipulation des Menschen, zu Zwecken ökonomischer und politischer Herrschaft mißbraucht zu werden.
Wird die Wissenschaft wesentlich als ”technisch“ verstanden, so kann man sie als die Suche nach solchen Verfahren auffassen, die zu einem technischen Erfolg führen. Als ”Erkenntnis“ gilt dann, was zum Erfolg führt. Die der Wissenschaft vorgegebene Welt wird zum bloßen Komplex beeinflußbarer Phänomene, ihr Gegenstand ein funktionaler Zusammenhang, der auch nur auf seine Funktionalität hin untersucht wird. Solche Wissenschaft wird sich selbst als bloße Funktion auffassen können. Der Gedanke der Wahrheit wird dann entbehrlich, ja es wird zuweilen ausdrücklich auf ihn verzichtet. Die Vernunft selbst erscheint schließlich als bloße Funktion oder als Instrument eines Wesens, das den Sinn seines Daseins außerhalb von Erkenntnis und Wissenschaft, womöglich im bloßen Leben hat.
Unsere Kultur ist in allen Bereichen von einer Wissenschaft durchdrungen, die weithin funktionalistisch verfährt. Das gilt auch für den Bereich der Werte und Normen, der geistigen Orientierung überhaupt. Gerade hier stößt die Wissenschaft an ihre Grenze. Man spricht von einer Legitimationskrise der Wissenschaft, ja von einer Orientierungskrise unserer gesamten wissenschaftlichen Kultur. Wo liegt ihr Kern? Die Wissenschaft selbst kann nicht die umfassende Antwort auf die Frage nach dem Sinn geben, die sich in der Krise stellt. Wissenschaftliche Aussagen sind immer partikulär. Sie rechtfertigen sich nur im Hinblick auf einen bestimmten Ansatz, sie stehen in einem Prozeß des Fortschritts und sind in ihm korrigierbar und überholbar. Vor allem aber: Wie könnte etwas das Resultat eines wissenschaftlichen Ansatzes sein, was diesen Ansatz allererst rechtfertigt und also von diesem schon vorausgesetzt sein muß?
Die einzelne Wissenschaft kann die Sinnfrage nicht beantworten, ja sie nicht einmal im Rahmen ihres Ansatzes stellen. Und doch duldet diese Sinnfrage keinen unbegrenzten Aufschub ihrer Beantwortung. Wenn eine verbreitete Wissenschaftsgläubigkeit enttäuscht wird, so schlägt leicht die Stimmung um in Wissenschaftsfeindlichkeit. In diesen leeren Raum brechen unversehens Ideologien ein. Sie gebärden sich zuweilen zwar als ”wissenschaftlich“, verdanken aber ihre Überzeugungskraft dem dringenden Bedürfnis nach Antwort auf die Sinnfrage und dem Interesse an sozialer oder politischer Veränderung. Die funktionalistische wertfreie und wahrheitsentfremdete Wissenschaft kann durchaus in den Dienst solcher Ideologien treten; eine nur noch instrumentelle Vernunft droht unfrei zu werden. Schließlich gibt es noch neue Erscheinungen von Aberglaube, von Sektierertum und sogenannten ”neuen Religionen“, deren Auftreten mit der kulturellen Orientierungskrise zusammenhängt.
Diese Irrwege können aus dem Glauben her durchschaut und vermieden werden. Aber auch den gläubigen Wissenschaftler geht die allgemeine Krise an. Er wird sich fragen müssen, in welchem Geiste, in welcher Orientierung er selbst seine Wissenschaft betreibt. Er wird sich unmittelbar oder mittelbar der Aufgabe stellen müssen, Verfahren und Zielsetzung der Wissenschaft unter dem Aspekt der Sinnfrage ständig neu zu überprüfen. Wir sind mitverantwortlich für diese Kultur, und wir sind aufgefordert, an der Bewältigung der Krise mitzuwirken.
4. In dieser Situation rät die Kirche nicht zu Vorsicht und Zurückhaltung; sie rät zu Mut und Entschlossenheit.
Es gibt keinen Grund, sich der Wahrheit nicht zu stellen oder sie zu fürchten. Die Wahrheit und alles Wahre ist ein hohes Gut, dem wir uns mit Liebe und Freude zuwenden sollen. Auch die Wissenschaft ist ein Weg zum Wahren; denn in ihr entfaltet sich die gottgegebene Vernunft, die ihrer Natur nach nicht zum Irrtum, sondern zur Wahrheit der Erkenntnis bestimmt ist.
Dies muß auch für die technisch-funktional orientierte Wissenschaft gelten. Es ist eine Verkürzung, Erkenntnis nur als ”Methode mit Erfolg“ zu verstehen, aber umgekehrt ist es legitim, Erfolg als Ausweis für die Erkenntnis zu werten, aus der er folgt. Wir können die technische Welt, die des Menschen Werk ist, nicht als ein Reich sehen, das gänzlich von der Wahrheit entfernt ist. Auch ist diese Welt keineswegs sinnleer: es ist wahr, daß es die menschlichen Lebensverhältnisse entschieden verbessert hat, und die Schwierigkeiten, welche ungute Folgen des Fortschritts der technischen Zivilisation mit sich bringen, rechtfertigen es nicht, die Güter zu vergessen, die dieser Fortschritt selbst erbracht hat.
Es besteht kein Anlaß, unsere technisch-wissenschaftliche Kultur als gegensätzlich zur Schöpfungswelt Gottes zu sehen. Freilich ist klar, daß technische Erkenntnis zum Guten wie auch zum Bösen angewendet werden kann. Wer die Wirkungsweise von Giften erforscht, wird diese Erkenntnis zum Heilen wie auch zum Töten verwenden können. Aber es kann nicht zweifelhaft sein, wohin wir schauen müssen, um das Gute vom Schlechten zu unterscheiden. Technische, auf Weltveränderung gerichtete Wissenschaft rechtfertigt sich durch ihren Dienst am Menschen und an der Menschheit.
Man kann nicht sagen, daß der Fortschritt zu weit gegangen ist, solange noch viele Menschen, ja ganze Völker in bedrückenden und sogar menschenunwürdigen Verhältnissen leben, die mit Hilfe technisch-wissenschaftlicher Erkenntnis verbessert werden können. Gewaltige Aufgaben liegen noch vor uns, denen wir uns nicht entziehen können. Ihre Erfüllung ist ein brüderlicher Dienst am Mitmenschen, den wir ihm in eben der Weise schulden wie dem Bedürftigen das Werk der Barmherzigkeit, das seiner Not hilft.
Wir leisten dem Mitmenschen brüderlichen Dienst, weil wir in ihm jene Würde erkennen, die ihm als sittlichem Wesen zukommt; wir sprechen von personaler Würde. Der Glaube belehrt uns, daß es des Menschen Auszeichnung darstellt, Abbild Gottes zu sein; die christliche Tradition sagt dazu, der Mensch sei um seiner selbst willen da, nicht Mittel für irgendeinen Zweck. Darum ist die personale Menschenwürde jene Instanz, von der aus alle kulturelle Anwendung technisch-wissenschaftlicher Erkenntnis zu beurteilen ist.
Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn der Mensch selbst immer mehr Gegenstand der Forschung und Objekt von Humantechniken wird. Dies ist in sich noch kein unerlaubtes Vorgehen, da der Mensch ja auch ”Natur“ ist. Freilich ergeben sich hier Gefahren und Probleme, die aufgrund der weltumspannenden Auswirkungen der technischen Zivilisation schon heute die meisten Völker vor ganz neue Aufgaben stellen. Diese Gefahren und Probleme sind seit langem Gegenstand einer internationalen Diskussion. Es zeugt von dem hohen Verantwortungsbewußtsein der heutigen Wissenschaft, daß sie selbst sich dieser fundamentalen Fragen annimmt und sich mit wissenschaftlichen Mitteln um ihre Lösung bemüht. Die Human- und Sozialwissenschaften, aber auch die Kulturwissenschaften, nicht zuletzt Philosophie und auch Theologie haben die Reflexion des modernen Menschen über sich selbst und seine Existenz in der wissenschaftlich-technischen Welt in vielfältiger Weise vorangetrieben. Der Geist des neuzeitlichen Bewußtseins, der die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften beflügelt, hat sich auch die wissenschaftliche Erforschung des Menschen und seiner sozialen und kulturellen Lebenswelt zum Ziel gesetzt. Dabei wurde eine schier unüberschaubare Fülle von Erkenntnissen zutage gefördert, die sich ebenfalls auf das öffentliche und private Leben auswirken. Das soziale System der heutigen Staaten, das Gesundheits- und Bildungswesen, wirtschaftliche Prozesse und kulturelle Leistungen, sie alle sind mannigfach vom Einfluß dieser Wissenschaften (mit-) geprägt. Aber es kommt darauf an, daß die Wissenschaft den Menschen nicht entmündigt. Auch in der technischen Kultur muß der Mensch entsprechend seiner Würde frei bleiben; ja, es muß der Sinn dieser Kultur sein, ihm ein Mehr an Freiheit zu geben.
Die Einsicht in die personale Würde des Menschen und ihre maßgebende Bedeutung ist nicht erst durch den Glauben möglich. Sie ist auch der natürlichen Vernunft nicht verschlossen, die wahr und falsch, gut und böse unterscheidet und die Freiheit als Grundbedingung menschlichen Daseins erkennt. Es ist ein ermutigendes Zeichen, daß sie sich weltweit verbreitet; nichts anderes besagt ja der Gedanke der Menschenrechte, dem sich selbst jene nicht entziehen können, welche ihm in ihren Taten entgegenhandeln. Es besteht Hoffnung, und diese Hoffnung wollen wir ermutigen.
Es mehren sich auch die Stimmen, die sich mit der immanenten Beschränkung der Wissenschaften nicht zufriedengeben wollen und die nach der einen ganzen Wahrheit fragen, in der sich das menschliche Leben erfüllt. Es ist als ob Wissen und wissenschaftliche Forschung ins unendliche sich ausdehnten, so aber gerade sich wieder unaufhaltsam in ihre Ursprünge zurückbeugten: Die alte Frage nach dem Zusammenhang von Wissen und Glauben ist durch die Entwicklung der modernen Wissenschaften nicht überholt, sondern sie zeigt gerade in einer mehr und mehr verwissenschaftlichten Welt ihre volle lebenskräftige Bedeutung.
5. Wir haben bis jetzt vornehmlich von der Wissenschaft gesprochen, die im Dienst der Kultur und damit des Menschen steht. Es wäre aber zu wenig, sich auf diesen Aspekt zu beschränken. Gerade angesichts der Krise müssen wir uns daran erinnern, daß die Wissenschaft nicht nur Dienst für andere Zwecke ist. Die Erkenntnis der Wahrheit trägt ihren Sinn in sich selbst. Sie ist ein Vollzug humanen und personalen Charakters, ein menschliches Gut von hohem Rang. Die reine ”Theorie“ ist selbst eine Weise menschlicher ”Praxis“, und der Gläubige erwartet eine höchste, ihn ewig mit Gott vereinende ”Praxis“: sie ist Schau, sie ist also ”Theorie“.
Wir sprachen von ”Legitimationskrise der Wissenschaft“. Ja, die Wissenschaft hat ihren Sinn und ihr Recht, wenn sie als wahrheitsfähig und wenn die Wahrheit als menschliches Gut erkannt wird.
Dann rechtfertigt sich auch die Forderung nach der Freiheit der Wissenschaft; denn wie anders kann ein menschliches Gut zustande kommen als durch Freiheit? Frei muß die Wissenschaft sein auch in dem Sinn, daß nicht unmittelbare Zwecke, gesellschaftlicher Nutzen oder ökonomisches Interesse ihren Vollzug bestimmen. Das heißt nicht, daß sie von der ”Praxis“ prinzipiell getrennt werden muß. Aber um in die Praxis hineinzuwirken, muß sie zuvor durch die Wahrheit bestimmt sein, also zur Wahrheit frei sein.
Die freie und nur der Wahrheit verpflichtete Wissenschaft läßt sich nicht auf das Modell des Funktionalismus oder ein anderes festlegen, welches das Verständnis der wissenschaftlichen Rationalität einschränkt. Wissenschaft muß offen sein, ja auch vielfältig, und wir brauchen nicht Furcht vor dem Verlust einer einheitsgebenden Orientierung zu haben. Diese ist in der Dreiheit von personaler Vernunft, Freiheit und Wahrheit gegeben, in welcher die Vielfalt konkreter Vollzüge begründet und bewahrt ist.
Ich trage keine Bedenken, auch die Glaubenswissenschaft im Horizont einer so verstandenen Rationalität zu sehen. Die Kirche wünscht eine selbständige theologische Forschung, die vom kirchlichen Lehramt unterschieden ist, sich ihm aber verpflichtet weiß im gemeinsamen Dienst an der Glaubenswahrheit und am Volk Gottes. Es wird nicht auszuschließen sein, daß Spannungen und auch Konflikte entstehen. Aber dies ist auch im Verhältnis von Kirche und Wissenschaft niemals auszuschließen. Es hat seinen Grund in der Endlichkeit unserer Vernunft, die in ihrer Reichweite begrenzt und dazu dem Irrtum ausgesetzt ist. Dennoch können wir stets Hoffnung auf versöhnende Lösung haben, wenn wir auf die Wahrheitsfähigkeit ebendieser Vernunft bauen.
In einer vergangenen Epoche haben Vorkämpfer der neuzeitlichen Wissenschaft gegen die Kirche mit den Schlagworten Vernunft, Freiheit und Fortschritt gekämpft. Heute, angesichts der Sinnkrise der Wissenschaft, der vielfältigen Bedrohung ihrer Freiheit und des Zweifels am Fortschritt, haben sich die Kampfesfronten geradezu vertauscht. Heute ist es die Kirche, die eintritt
- für die Vernuft und die Wissenschaft, der sie die Fähigkeit zur Wahrheit zutraut, welche sie als humanen Vollzug legitimiert;
- für die Freiheit der Wissenschaft, durch die sie ihre Würde als menschliches personales Gut hat; - für den Fortschritt im Dienst einer Menschheit, die seiner zur Sicherung ihres Lebens und ihrer Würde bedarf.
Mit dieser Aufgabe steht die Kirche und stehen alle Christen im Zentrum der Auseinandersetzung unserer heutigen Zeit. Eine tragfähige Lösung für die drängenden Fragen nach dem Sinn der menschlichen Existenz, nach den Maßstäben des Handelns und nach den Perspektiven einer weiterreichenden Hoffnung ist nur in der erneuerten Verbindung des wissenschaftlichen Denkens mit der wahrheitssuchenden Glaubenskraft des Menschen möglich. Das Ringen um einen neuen Humanismus, auf den die Entwicklung des dritten Jahrtausends gegründet werden kann wird nur zum Erfolg führen, wenn in ihm die wissenschaftliche Erkenntnis wieder in lebendige Beziehung tritt mit der Wahrheit, die dem Menschen als Geschenk Gottes offenbart ist. Die Vernunft des Menschen ist ein großartiges Instrument für die Erkenntnis und Gestaltung der Welt. Sie bedarf aber, um die ganze Fülle der menschlichen Möglichkeiten zur Verwirklichung zu bringen, einer Öffnung für das Wort der ewigen Wahrheit, das in Christus Mensch geworden ist.
Eingangs sagte ich, unser Treffen heute solle ein Zeichen der Gesprächsbereitschaft zwischen Wissenschaft und Kirche sein. Ist nicht bei diesen Überlegungen deutlich geworden, wie dringend dieser Dialog ist? Beide Seiten sollten ihn nüchtern, hörend, beständig fortsetzen. Wir brauchen einander.
In diesem Dom werden seit Jahrhunderten die Gebeine der Weisen bewahrt und verehrt, die am Beginn des neuen Zeitalters, das mit der Menschwerdung Gottes angebrochen ist, sich aufmachten, um dem wirklichen Herrn der Welt zu huldigen. Diese Männer, in denen sich das Wissen ihrer Zeit vereinigte, werden so zum Leitbild für den wahrheitssuchenden Menschen überhaupt. Das Wissen, das die Vernunft erreicht, findet seine Vollendung in der Anbetung der göttlichen Wahrheit. Der Mensch, der auf diese Wahrheit zugeht, erleidet keine Einbuße seiner Freiheit, sondern wird in der vertrauensvollen Hingabe an den Geist, der uns durch das Erlösungswerk Jesu Christi zugesagt ist, zur vollen Freiheit und zu einer wirklich humanen Existenzerfüllung geführt.
Die Wissenschaftler und Studenten und Sie alle aber, die Sie heute hier zusammengekommen sind, rufe ich auf und bitte Sie, in Ihrem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis das letzte Ziel Ihrer Arbeit und Ihres ganzen Lebens ständig vor Augen zu haben. Dazu empfehle ich Ihnen besonders die Tugenden der Tapferkeit, die in einer zweifelnden, der Wahrheit entfremdeten und sinnbedürftigen Welt die Wissenschaft verteidigt, und der Demut, mit der wir die Endlichkeit der Vernunft vor der sie übersteigenden Wahrheit anerkennen. Es sind die Tugenden Alberts des Großen.
Sonntag, den 16. November 1980
Predigt bei der Hl. Messe in Osnabrück
Verehrte Mitbrüder,
liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
1. Als der Evangelist Johannes aus dem vertrauten Umgang mit seinem Meister und aus der tiefen Kenntnis des liebenden Herzens Jesu die Worte des heutigen Evangeliums geformt hat, das Abschiedsgebet des Herrn, da sah er vor sich die ersten christlichen Gemeinden: nur mühsam und langsam hatten sie sich gebildet, zunächst in Palästina, dann nach einer ersten Verfolgung und Flucht in Antiochien und von da aus unter dem missionarischen Elan des heiligen Paulus bis nach Kleinasien und Griechenland und sogar bis nach Rom. Aber immer noch war ihr Bestand ziemlich klein und gefährdet; als Minderheit lebten diese Gemeinden unter der großen Überzahl der Heiden im Römischen Reich.
Diese Christen will der Evangelist trösten und stärken, wenn er ihnen schreibt, wie Jesus selbst gerade für sie gebetet hat: ihnen hat Jesus den ”Namen“ Gottes geoffenbart - ihnen hat er seine ”Herrlichkeit“ geschenkt - in ihnen soll die Liebe sein, die zwischen Gott, dem Vater, und dem Sohn besteht - so sollen sie ”vollkommen eins sein“, wie Jesus mit dem Vater eins ist. Machtvolle Worte der Tröstung und der inneren Stärkung für ein anstrengendes Leben in der ”Zerstreuung“, in der ”Diaspora“!
Meine Brüder und Schwestern! Euch allen bringe ich heute dieses Evangelium, diese Frohe Botschaft, dieses wirksame Gebet Jesu: es gilt euch, den Gläubigen dieser altehrwürdigen Diözese, die soeben die Jubiläumsfeier ihres 1200jährigen Bestehens festlich begangen hat; es gilt allen Katholiken in der Diaspora Norddeutschlands und Skandinaviens, an die ich mich heute aus dieser Stadt Osnabrück, dem Bischofssitz des nördlichsten Bistums dieses Landes, besonders wenden möchte.
Ich grüße mit besonderer Freude die hier anwesenden Oberhirten aus dieser und den benachbarten Diözesen, insbesondere aus Berlin und aus Skandinavien, und ebenso die Priester und Gläubigen aus jenen Diasporagebieten und -ländern. Der oberste Hirte der Kirche, die geeint lebt unter vielen Völkern, ist zu euch gekommen, um mit euch zusammen Gott zu danken für euren Glaubensmut und euch darin zu bestärken, auch weiterhin lebendige Zeugen unserer Erlösung in Christus zu sein.
2. Die Glaubenssituation der Katholiken in dieser weiträumigen Diaspora ist sehr unterschiedlich und schwierig. Sie ist dazu, gerade in den norddeutschen Diözesen, noch von einem besonderen geschichtlichen Umstand entscheidend mitgeprägt. Nach Kriegsende sind Hunderttausende, die ihre alte Heimat verlassen mußten, darunter viele Katholiken, in große Gebiete dieser Bistümer eingeströmt und dort seßhaft geworden, die bis dahin eine fast ausschließlich evangelische Bevölkerung hatten. Neben ihrem geringen Gepäck an äußerer Habe brachten diese Menschen als kostbarsten Besitz vor allem ihren Glauben mit, oft nur symbolisiert im abgegriffenen Gebetbuch ihrer alten Heimat.
Viele von euch, liebe Glaubensbrüder und -schwestern, erinnern sich noch daran, wie sie damals in der Fremde eine neue Bleibe suchen mußten, wie es darum ging, die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu sichern, und wie zugleich Hunderte von neuen katholischen Gemeinden gegründet werden mußten. Ihr habt unter der Anleitung von tatkräftigen Priestern und Bischöfen neue Kirchen gebaut und Altäre errichtet. Obwohl ihr selbst Not littet und in großer Sorge um eure Familien lebtet, habt ihr euch in der neuen Heimat sogleich für den Aufbau des kirchlichen Lebens eingesetzt und dabei manches Opfer gebracht. Dadurch habt ihr vor aller Welt bekundet, daß ihr feststeht im Glauben, daß ihr euch durch das auferlegte Kreuz nicht verbittern ließet, ja sogar Leid in Segen und Zwietracht in Versöhnung wandeln konntet. Für dieses Beispiel der Glaubenstreue müssen wir euch allen sehr dankbar sein.
Im Rückblick auf die Entfaltung des kirchlichen Lebens in jenen schweren Jahren gedenken wir auch dankbar der vielen evangelischen Gemeinden in diesem Land, die lange Zeit ihre Kirchen auch den katholischen Christen geöffnet haben und so deren Seelsorgern die Möglichkeit gaben, die zerstreute Herde wieder zu sammeln.
3. In der Tat, harte Zeiten haben bittere Wunden geschlagen; aber der Herr hat auch geheilt und geholfen. Daran zu erinnern, scheint gerade heute angemessen, da euer Land durch den ”Volkstrauertag“ der unzähligen Toten des letzten Krieges gedenkt. Derselbe Herr Jesus Christus aber, der auch gestern mit seiner tröstenden Stärke beigestanden hat, wendet euch auch heute und morgen die Kraft seiner Liebe zu, damit wir immitten der Prüfungen dieser Zeit glaubwürdige Zeugen seiner befreienden Botschaft bleiben.
So habt ihr - nach den Worten der 2. Lesung der heutigen Liturgiefeier aus dem 1. Petrusbrief - sogar guten Grund, ”voller Freude zu (sein), obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müßt. Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, daß er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde“. Die Bewährung eures Glaubens: das ist eure Chance! Ein innerlicher reifer, verantwortungsbewußter Glaube: das kann euer Geschenk für die ganze Kirche sein! Und für euch selbst könnt ihr so ”das Ziel eures Glaubens erreichen, euer Heil“, das euch ”bei der Offenbarung Jesu Christi“ zuteil werden soll. ”Ihn habt ihr nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn jetzt nicht, aber ihr glaubt an ihn“. Durch seine Auferstehung von den Toten habt ihr ”eine lebendige Hoffnung” auf das ”unzerstörbare... unvergängliche Erbe..., das für euch im Himmel aufbewahrt ist“. ”Gottes Macht“ selbst ist es, die euch in diesem Glauben bestärkt, wenn ihr - so dürfen wir hinzufügen - das euch Mögliche tut, um euren Glauben lebendig und kraftvoll zu erhalten. Eure Lebenssituation als Christen in der Diaspora bildet dafür eine besondere Herausforderung.
Die wenigsten von uns können sich für ihre Glaubenspraxis heute noch einfach von einer starken gläubigen Umgebung mittragen lassen. Wir mussen uns vielmehr bewußt dafür entscheiden, bekennende Christen sein zu wollen und den Mut zu haben, uns von unserer Umgebung, wenn nötig, zu unterscheiden. Voraussetzung für solch ein entschiedenes christliches Lebenszeugnis ist, daß wir den Glauben als eine kostbare Lebenschance wahrnehmen und ergreifen, die den Lebensdeutungen und der Lebenspraxis der Umwelt überlegen ist. Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, um zu erfahren, wie der Glaube unser Leben bereichert, wie er in uns zuverlässige Treue im Lebenskampf bewirkt, wie er unsere Hoffnung stärkt gegen den Ansturm jeder Art von Pessimismus und Verzweiflung, wie er uns an allem Extremismus vorbei zu einem überlegten Engagement für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt motiviert, wie er uns schließlich im Leid trösten und aufrichten kann. Aufgabe und Chance der Diasporasituation ist es also, bewußter zu erfahren, wie der Glaube hilft, voller und tiefer zu leben.
4. Niemand aber glaubt nur für sich allein. Der Herr hat seine Jünger in eine Gemeinschaft berufen, in das pilgernde Gottesvolk, in die Kirche, die er wie einen lebendigen Leib mit seiner Lebenskraft durchwirkt. Dort wo mehrere Gläubige zum gemeinsamen Bekennen, Feiern, Beten und Handeln zusammenkommen, will der Herr ihnen begegnen. ”Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. Als wollte der Herr mit diesen Worten bereits auf eine Diasporasituation anspielen, spricht er nicht von tausend, nicht von hundert oder zehn, sondern von ”zwei oder drei“! Schon hier verspricht uns der Herr seine helfende Gegenwart!
Darüber hinaus bieten eure Diözesen und Pfarrgemeinden vielfältige Möglichkeiten, nicht nur einem oder zwei Mitchristen im Glauben zu begegnen, sondern ganzen Gemeinden und Gruppen. Dafür möchte ich an dieser Stelle allen Priestern und Laienhelfern von Herzen danken, die sich trotz großer Schwierigkeiten mit aufopferndem Eifer für ein reges und fruchtbares Gemeindeleben unermüdlich einsetzen. Zugleich bitte ich alle Gläubigen, die sich bietenden Gelegenheiten zum Besten ihres Glaubens und ihrer Zukunft in Gott zu nutzen. Seid besonders treu und zuverlässig im Besuch der heiligen Messe am Sonntag oder am Samstagabend. Und dort, wo die sonntägliche Eucharistiefeier wegen der großen Entfernungen nicht erreichbar ist, wo aber doch ein Wortgottesdienst, vielleicht mit Austeilung der heiligen Kommunion, sein kann, nehmt daran teil!
Wo wir in Jesu Namen versammelt sind, da ist er mitten unter uns.
5. Vor allem aber möchte ich euch dazu ermutigen, den Kontakt zu euren evangelischen Mitchristen in aufrichtigem Glauben zu suchen und zu vertiefen. Die ökumenische Bewegung der letzten Jahrzehnte hat euch hellsichtig dafür gemacht, wie sehr die evangelischen Christen in ihren Sorgen und Freuden mit euch verbunden sind und wieviel Gemeinsames ihr zusammen mit ihnen besitzt, dort wo ihr und sie den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus ehrlich und konsequent leben. So danken wir Gott aus ganzem Herzen, daß die verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften in euren Gegenden sich nicht mehr verständnislos gegenüberstehen oder sich sogar ängstlich voreinander abriegeln. Ihr habt vielmehr schon oft die beglückende Erfahrung gemacht, daß dann ein gegenseitiges Verstehen und Annehmen besonders leicht war, wenn beide Seiten ihren Glauben gut kannten, ihn freudig bejahten und die konkrete Gemeinschaft mit den eigenen Glaubensbrüdern hochschätzten. Ich möchte euch ermutigen, diesen Weg weiterzugehen.
Lebt euren Glauben als katholische Christen in Dankbarkeit vor Gott und eurer kirchlichen Gemeinschaft; gebt in aller Demut und ohne jede Selbstgefälligkeit ein glaubwürdiges Zeugnis von den inneren Werten eures Glaubens und ermutigt unaufdringlich und liebenswürdig auch eure evangelischen Mitchristen, ihre eigenen Glaubensüberzeugungen und religiösen Lebensformen auf Christus hin zu kräftigen und zu vertiefen. Wenn wirklich alle Kirchen und Gemeinschaften auf die Fülle des Herrn hinwachsen, wird uns sein Geist ganz gewiß den Weg zeigen, zur vollen inneren und äußeren Einheit der Kirche zu gelangen.
Jesus selbst hat um die vollkommene Einheit der Seinen gebetet: ”Alle sollen eins sein; wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“. So hörten wir soben im Evangelium. Und noch einmal, noch eindringlicher bittet Jesus seinen göttlichen Vater: ”Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollkommen eins sein, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“.
Diese Bitte um Einheit soll nach dem Willen Jesu gerade auch für alle jene Christen gelten, die sich gegenseitig im Glauben stützen und bestärken: ”Ich bitte nicht nur für sie“, so betet Jesus, ”sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben“. So dürfen wir zuversichtlich hoffen, daß alle ökumenischen Gespräche, alles gemeinsame Beten und Handeln von Christen verschiedener Konfessionen bereits in dieses innige Gebet Jesu eingeschlossen ist: ”Alle sollen eins sein: wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“. An dieser Einheit hängt die Glaubwürdigkeit der Botschaft von der Erlösung durch Christi Tod und Auferstehung: ”damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“. Eine Bedingung allerdings deutet der Herr im selben Gebet an: ”Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen sei“. Wir werden nur dann wirklich ”im Namen Jesu“ ökumenisch beten und handeln, wenn wir die Liebe zu Christus und zueinander bewahren und zur Grundlage aller Bemühungen um eine tiefere Einheit machen. Ich vertraue fest darauf, daß dieses Gebet des Sohnes Gottes, unseres Herrn und Bruders, um die Einheit aller Christen einmal seine volle Frucht bringen wird. Wir wollen ihn bitten, daß er an uns Wirklichkeit werden lasse, was der Prophet uns in der ersten Lesung heute angekündigt hat: ”So spricht Gott, der Herr: Ich hole euch aus den Völkern heraus, ich sammle euch in allen Ländern und bringe euch in euer Land. Ich gieße reines Wasser über euch, damit ihr rein werdet... Ich schenke euch ein neues Herz und gebe euch einen neuen Geist... Ich lege meinen Geist in euch hinein und bewirke, daß ihr nach meinen Gesetzen lebt und meine Gebote achtet und erfüllt. Dann werdet ihr mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“.
6. Liebe Brüder und Schwestern! Ihr lebt euren Glauben gewiß unter schwierigen Bedingungen.
Andere Diözesen eures Landes, die besser gestellt sind, stehen euch jedoch mit vielfältigen Hilfen solidarisch zur Seite, so vor allem durch die sehr verdiente und erprobte Einrichtung des Bonifatiuswerkes. Ihr wiederum beteiligt euch am Ansgarwerk, mit dem ihr den skandinavischen Diözesen brüderlichen Halt und Beistand gewährt. Im Reiche Gottes verliert derjenige ja nichts, der zu teilen versteht; im Gegenteil, er wird erst dann zu einem wahren Jünger Christi, der selbst für uns arm wurde, um uns alle reich zu machen.
Christsein in der Diaspora muß getragen sein vom Bewußtsein, zu einer großen Gemeinschaft von Menschen, zum Volk Gottes aus allen Völkern dieser Erde, zu gehören. Auch in der ”Zerstreuung“ seid ihr zusammen mit euren Priestern und Bischöfen auf vielfältige Weise mit der Kirche eures ganzen Landes und mit der Weltkirche verbunden. Darum sehe ich es als sehr glücklich an, daß ich als Bischof von Rom heute, am zweiten Tag meines Besuches in Deutschland, gerade in dieser Bischofsstadt mit ihren Verbindungen bis in den hohen Norden Europas, in eurer Mitte sein kann und mit euch die heilige Eucharistie feiere.
Eucharistie bedeutet Danksagung der gläubigen Gemeinde an den Herrn ”in der Gemeinschaft mit der ganzen Kirche“, wie wir im ersten Meßkanon beten. Wir wollen heute gemeinsam mit allen Gläubigen Gott besonders für die Gnaden danken, durch die er euren Glauben und eure Liebe zur Kirche auch unter schwierigen Umständen und in Zeiten schwerer Prüfungen bewahrt und gestärkt hat. Die Meßfeier selbst ist der nie versiegende Kraftquell für das religiöse Leben und die Glaubensbewährung eines jeden Christen. Sie erhält und nährt unsere Gemeinschaft mit Christus durch die lebendige Gemeinschaft mit seinem Mystischen Leib, der die Kirche ist.
Wenn uns gleich in der heiligen Kommunion das Brot des Herrn gebrochen und sein Leib gereicht wird, leben und verwirklichen wir deutlich und greifbar diese innerste Einheit des Leibes Christi, die Gemeinschaft aller Gläubigen. Werdet euch heute in froher Dankbarkeit dieser tiefen inneren Einheit der Kirche über alle menschlichen Grenzen und Schranken hinweg wieder neu bewußt! Tragt dieses Bewußstein wie einen kostbaren Schatz in eure Gemeinden, in eure Nachbarschaft, in eure Familien! Denn ihr seid als Gläubige niemals nur ”wenige“, niemals ”allein“, sondern stets vereint mit den ”Vielen“, die über die weite Welt hin mit euch in Glaube und Hoffnung dem Herrn Jesus Christus nachfolgen und seine erlösende Liebe bezeugen. Er ist die Kraft unseres Glaubens und der Grund unserer Zuversicht - er segne euch und eure Familien und führe euren Pilgerweg als katholische Christen eimal an sein ewiges Ziel, in die endgültige Heimholung aller Gläubigen aus der Zerstreuung dieser Zeit in sein ewiges Reich. Amen.
Angelus in Osnabrück
Liebe Brüder und Schwestern!
Es ist eine große Freude für mich, euch gleich zu Anfang mit diesem schönen Namen anreden zu dürfen: Brüder - Schwestern. Denn wir alle sind Kinder des einen gemeinsamen Vaters, von Gott in Christus geliebt und erlöst. So sind wir uns nicht fremd und unbekannt, auch wenn wir uns hier zum erstenmal begegnen. Ich grüße euch alle von ganzem Herzen, die ihr in diesem Dom versammelt seid, um mit mir zusammen das alte und vertraute Gebet des Engel-des-Herrn zu sprechen.
Unsere Gebetsgemeinschaft umfaßt aber heute mittag nicht nur euch hier, sondern viele andere Mitmenschen in ganz Deutschland, die die Last irgendeiner Behinderung in ihrem Leben zu tragen haben und sich doch gläubig unserem Mittagsgebet mit der Hilfe des Fernsehens und des Radios anschließen wollen. Auch diese möchte ich meine Brüder und Schwestern nennen, euch, die ihr in eurer Wohnung - allein oder mit euren Angehörigen und Freunden - oder auch in der größeren Gemeinschaft eines Heimes durch die Medien mit uns hier in Osnabrück verbunden seid. Mit euch allen zusammen werden wir gleich Gott loben und ihm danken für das große Geschenk seiner Liebe.
Diese Liebe ist der Grund eurer Hoffnung und eures Lebensmutes. Gott hat uns in Jesus Christus auf unüberbietbare Weise gezeigt, wie er jeden einzelnen Menschen liebt und ihm dadurch unendliche Würde verleiht. Gerade jene, deren Leib oder Seele von Behinderungen belastet sind, dürfen sich als Freunde Jesu, als besonders von ihm geliebt wissen. Er selbst sagt: ”Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.
Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11, 28-30). Was den Menschen als Schwäche und Gebrechen erscheint, ist für Gott ein Grund besonderer Liebe und Zuwendung. Und dieses Urteil Gottes ist dann auch für die Kirche und jeden einzelnen Christen Auftrag und Verpflichtung. Für uns Christen zählt weniger, ob jemand krank oder gesund ist; was letztlich zählt, ist dies: Bist du bereit, deine dir von Gott geschenkte Würde bewußt und gläubig in all deinen Lebenslagen und in deinem Verhalten als wahrer Christ zu verwirklichen - oder willst du diese Würde in einem oberflächlichen, verantwortungslosen Leben, in Sünde und Schuld vor Gott verspielen? Auch als Behinderte könnt ihr heilig werden, könnt ihr alle das eine hohe Ziel erreichen, das Gott jedem Menschen als seinem geliebten Geschöpf zugedacht hat.
Jeder Mensch erhält von Gott seine ganz persönliche Berufung, seinen besonderen Heilsauftrag.
Wie immer sich der Wille Gottes uns dartun mag, er ist letztlich für uns immer eine frohe Boschaft, eine Botschaft zu unserem ewigen Heil. Das gilt auch, wenn ihr als schwerbehinderte Menschen von Christus zu einer ganz besonderen Art der Nachfolge, zu Kreuzesnachfolge, berufen seid. Christus lädt euch im obengenannten Wort ein, eure Gebrechen als sein Joch, als einen Weg auf seinen Spuren, anzunehmen. Nur so werden euch die leidvollen Lasten nicht erdrücken. Die einzig richtige Antwort auf den Ruf Gottes zur Christusnachfolge, wie immer er konkret aussehen mag, ist die Antwort der allerseligsten Jungfrau Maria: ”Mir geschehe nach deinem Wort!“ (Lk 1, 38). Allein euer bereites ”Ja“ zum Willen Gottes, der sich oft unserem natürlichen Verstehen entzieht, kann euch selig machen und schenkt euch schon jetzt eine innere Freude, die durch keine Not von außen zerstört werden kann.
Ihr bedürft dazu natürlich auch der tatkräftigen Hilfe vieler gesunder Mitmenschen. Ich denke hierbei besonders an euch, die ihr als Helfer und Begleiter hierhergekommen seid oder, wo auch immer, den Behinderten hilfsbereit beisteht. Als Angehörige oder von Berufs wegen stellt ihr eure Fähigkeiten, eure Zeit und Kraft in den Dienst des Nächsten. Im Namen Jesu Christi, der euch im notleidenden Mitmenschen selber auf geheimnisvolle Weise begegnet, möchte ich euch für diesen aufopferungsvollen Dienst danken und euch gleichzeitig darin ermutigen. Solchen selbstlosen Dienern gelten die verheißungsvollen Worte des Herrn: ”Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid...; ich war krank, und ihr habt mich besucht - schwerbehindert, und ihr seid mir beigestanden. Nehmt das Reich in Besitz, das am Anfang der Welt für euch geschaffen worden ist“ (vgl. Mt 25, 31-46).
Ein ebenso herzliches Wort des Dankes und der Ermutigung richte ich auch an alle Priester, die als Behindertenseelsorger einen wichtigen Auftrag der Kirche erfüllen. Ihr seid in einer besonderen Weise Diener ihrer inneren, geistlichen Freude. Werdet nicht müde trotz des bedrängenden Priestermangels, den euch anvertrauten Behinderten mit priesterlichem Eifer und fachlichem Können die Frohe Botschaft zu verkünden. Helft ihnen, ihr Los im Lichte des Glaubens zu betrachten, der sie dieses als Berufung zur Teilnahme am Erlöserleiden Christi verstehen lehrt. Seid stark in Christus, der euch sendet und durch euch sein Heil unter den Menschen wirkt.
Schließlich sind alle Menschen und die ganze Gesellschaft aufgerufen, den Behinderten hilfreich beizustehen. Sie haben ein Anrecht darauf. Zwischen den Gesunden und ihnen darf es keine trennenden Barrieren und Mauern geben. Wer heute als gesund gilt, kann schon jetzt eine verborgene Krankheit in sich tragen; er kann morgen verunglücken und auf Dauer geschädigt werden. Wir alle sind Pilger auf einer sehr begrenzten Wegstrecke, und einmal endet der Weg für jeden von uns mit dem Tod. Schon in gesunden Tagen erfahren die meisten von uns Zeichen von Begrenztheit und Schwäche, von Hinfälligkeit und Behinderung. Laßt uns deshalb gemeinsam, die mehr oder weniger Gesunden und die mehr oder weniger Behinderten, in brüderlicher Solidarität zueinanderstehen und uns gegenseitig den geschuldeten Bruderdienst erweisen, durch den allein sich ein menschenwürdiges Zusammenleben in Familie und Gesellschaft wirksam entfalten kann.
Deshalb sind auch bei dieser Begegnung mit unseren behinderten Brüdern und Schwestern alle Menschen, die uns hier oder draußen im Lande zuhören oder zuschauen, aufrichtig eingeladen, sich unserem Mittagsgebet anzuschießen. Vor Gott weichen alle irdischen Unterschiede zurück; entscheidend bleibt nur das jeweilige Maß an gläubiger Hoffnung und selbstloser Liebe, die jeder einzelne im Herzen trägt.
Beim Engel-des-Herrn-Gebet betrachten wir mit dem vertrauten dreimaligen ”Gegrüßet-seist-du-Maria“ das Kerngeheimnis unseres Glaubens, die Menschwerdung Gottes im Schoß der Jungfrau Maria. Wie Maria ihr Jawort zu diesem Heilsplan Gottes gesagt hat, so bekennen auch wir unser ”Fiat“, unser Ja, zu unserer Berufung. Sagen wir zuversichtlich ja dazu: zur Berufung des Leidens wie zur Berufung des Helfens und Dienens! Und wie aus Maria, der Jungfrau, Gottes Wort Fleisch wurde und unser Bruder, so wird auch unser Weg mit Gottes Kraft fruchtbar werden. Im Vertrauen angenommenes Leid, ein in Liebe übernommener Dienst: das ist heute ein Weg, auf dem der Herr in die Welt kommen will.
So laßt uns also die Hände falten und beten: Der Engel des Herrn …
An die kirchlichen Hilfsorganisationen (Mainz)
Liebe Brüder und Schwestern!
Wie ich gestern bei meiner Ankunft in eurem Land schon hervorgehoben habe, will mein Pastoralbesuch auch Ausdruck der Anerkennung und des Dankes dafür sein, daß die Bischöfe, Priester und Laien eurer Kirche über deren Grenzen hinaus so hochherzig der Nöte der Brüder und Schwestern in weniger privilegierten Teilen der Welt annehmen.
Mein herzlicher Dank gilt daher auch euch, die ihr die verschiedenen Werke und Einrichtungen repräsentiert, welche die deutschen Bischöfe, die Orden und die Laien für den Dienst in der Weltkirche geschaffen haben und ständig unterstützen: "Misereor", "Adveniat", "Missio", der Deutsche Caritasverband und das Bonifatiuswerk, um die wichtigsten zu nennen. Ebenso danke ich für den Beitrag der deutschen Katholiken für den ”Europäischen Hilfsfonds“ und für die "Ostpriesterhilfe".
Die Weltkirche verwirklicht sich in den Ortskirchen, die in Gemeinschaft zueinander stehen. Die von euch vertretenen Werke und Einrichtungen haben sehr viel zur Vertiefung des Geistes der Brüderlichkeit unter den Menschen beigetragen. Bewahrt euch, liebe Brüder und Schwestern, und fördert stets unter den Gläubigen diese Hilfsbereitschaft und weltweite Gesinnung. Sie kommen aus jenem brüderlichen und guten Herzen, dem der Herr die Freude zuteil werden läßt, euer Brot mit den Armen und euren Glauben an Christus mit allen Völkern der Erde zu teilen. Darin bestärke euch Christus der Herr mit meinem besonderen Apostolischen Segen.
Predigt bei der Hl. Messe für die Arbeiter (Mainz)
Liebe Brüder und Schwestern!
1. ”Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“. Mit diesem Segenswunsch des Apostels grüße ich euch alle von Herzen. Mein brüderlicher Gruß gilt dem verehrten Oberhirten der Diözese Mainz, Herrn Kardinal Hermann Volk, und den anwesenden Bischöfen und Priestern; in besonderer Weise aber gilt er heute euch, liebe katholische Arbeiter und Arbeiterinnen von nah und fern.
Die Liturgie des heutigen Sonntags, das Wort Gottes, welches wir in innerer Sammlung vernommen haben, bereitet uns in besonderer Weise darauf vor, jene wichtigen Themen aufzugreifen, die sich durch die eingangs an mich gerichteten Grußworte nahelegen.
Die Begegnung mit der Welt der Arbeiter, die mir hier in Mainz ermöglicht ist, nahe beim Grab eines großen Vorkämpfers und Apostels in der zozialen Frage im vergangenen Jahrhundert, namlich des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler, weckt in meinem Gedächtnis lebhafte Erinnerungen an eine ganze Reihe ähnlicher Begegnungen in der Zeit meines Dienstes auf dem Stuhl des heiligen Petrus (Guadalajara und Monterrey in Mexiko, die Begegnung in Jasna Gora in Polen mit der großen Menge von Bergleuten und Stahlarbeitern aus Schlesien, Limerick in Irland, Des Moines in den Vereinigten Staaten, in Turin, der großten Industriestadt Italiens, in St. Denis im Großraum von Paris, schließlich in São Paolo in in Brasilien). Immer sind es Begegnungen von besonderem inhaltlichen Gewicht, nicht nur in sozialer Hinsicht, sondern auch von der Botschaft des Evangeliums her. Das Problem der menschlichen Arbeit hat nämlich seinen Ort in der Mitte jenes Bundes, den der Schöpfer mit dem nach seinem Bild und Gleichnis erschaffenen Menschen geschlossen hat und den er bekräftigt und erneuert hat in Jesus Christus, der selbst in Nazaret viele Jahre in einer Werkstatt verbrachte.
Darum ist es nicht verwunderlich, daß die soziale Frage, die mit der Wirklichkeit der menschlichen Arbeit als ihrem Fundament verbunden ist, eine zentrale Stelle in den Lehräußerungen der Kirche einnimmt. Sie gehört unabdingbar zur Verkündigung des Evangeliums hinzu, besonders in der heutigen modernen Welt.
Wenn wir deshalb unser heutiges Thema aufgreifen, wollen wir der Stimme der Liturgie folgen, die uns hinstellt ”vor den Herrn, wenn er kommt, wenn er kommt, um die Erde zu richten. Er richtet den Erdkreis gerecht und die Nationen nach seiner Treue“. Die Gestalt der menschlichen Gerechtigkeit und der Maßtab, der an die ganze immer noch wachsende soziale Frage anzulegen ist, müssen aus der endgültigen Perspektive der Gerechtigkeit Gottes selbst gesehen werden. Die Liturgie des heutigen Sonntags, des vorletzten im liturgischen Jahr ist uns dabei sehr hilfreich.
2. In der Lesung aus dem zweiten Brief des heiligen Paulus an die Thessalonicher wird das Thema der menschlichen Arbeit ganz offen und sehr direkt auf der Grundlage der persönlichen Erfahrung des Apostels behandelt: ”Wir haben bei euch kein unordentliches Leben geführt und bei niemand unser Brot umsonst gegessen; wir haben uns gemüht und geplagt, Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen. Nicht als hätten wir keinen Anspruch auf
Unterhalt; wir wollten euch aber ein Beispiel geben, damit ihr uns nachahmen könnt“. Paulus von Tarsus verband seine Sendung und seinen apostolischen Dienst mit der Arbeit, mit der Abeit eines Handwerkers. Wie Christus das Werk seiner Erlösung mit der Arbeit in der Werkstatt von Nazaret verbunden hat, so Paulus das Apostolat mit seiner Hände Arbeit. Mag dies ein Anruf für viele unter euch sein, nein, für alle, ein Anruf an die ganze christliche Welt der Arbeit: Seht das Problem der Arbeit in den Dimensionen des Erlösungswerkes und verbindet die Arbeit mit dem Apostolat! Die Kirche unserer Zeit bedarf in besonderer Weise dieses Apostolates der Arbeit: des Apostolates der Arbeiter und des Apostolates mitten unter den Arbeitern, um diesen weiten Lebensbereich mit dem Licht des Evangeliums zu erhellen. Genauso wie es Bischof Ketteler tat!
Über der Arbeit des Menschen soll das Licht der Wahrheit und der Liebe Gottes aufleuchten! Sie darf nicht beherrscht sein von den Schatten der Ungerechtigkeit, der Ausbeutung, des Hasses und der Demütigung des Meschen!
In diesem Apostolat kommt der Arbeiterseelsorge in Diözesen und Gemeinden sowie der Wirksamkeit eurer Verbände, die sich vor allem der Welt der Arbeit zuwenden, eine große Aufgabe zu. Offenbar bekommen Arbeiter am ehesten die verheerenden Folgen innerer Entfremdung mit allen daraus erwachsenden Belastungen für den Glauben zu spüren. Insbesondere eure Verbände, die sich schon vielfach historische Verdienste erworben haben, vor allem die Katholische Arbeiterbewegung, die Christliche Arbeiterjugend und das Kolpingwerk, möchte ich zu neuen und verstärkten Anstrengungen aufrufen - um der Menschen willen, die von Gott erschaffen und von Christus erlöst wurden.
3. Im zweiten Brief an die Thessalonicher lesen wir: ”Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbstverdientes Brot zu essen“. Kurz zuvor hat der Apostel denselben Gedanken in sehr lapidarer Weise zum Ausdruck gebracht: ”Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen”.
Diese deutlichen Worte, gelesen im Zusammenhang mit der heutigen Entwicklung der sozialen Frage, nötigen uns, an die Grundsätze der katholischen Soziallehre zu erinnern. Sie wurden seit der Enzyklika ”Rerum Novarum“ meines verehrten Vorgängers Leo XIII. im Jahre 1891 in zahllosen Äußerungen des kirchlichen Lehramtes, insbesondere des Zweiten Vatikanischen Konzils, in tief empfundener Hirtensorge dargelegt; sie wurden von vielen katholischen Wissenschaftlern, insbesondere deutscher Sprache, in zahlreichen Werken erläutert und im vielfältigen Bemühen eifriger Seelsorger und verantwortungsbewußter Laien dem arbeitenden christlichen Volk vermittelt. Laßt dieses geistige Erbe gläubiger Vorkämpfer im Bereich der sozialen Frage nicht kläglich verkümmern, sondern sehr konkrete Früchte bringen für die alten und neuen Probleme, die euch bedrängen.
In der Mitte aller Überlegungen in der Welt der Arbeit und der Wirtschaft muß immer der Mensch stehen. Bei aller geforderten Sachgerechtigkeit muß doch stets die Achtung vor der unantastbaren Würde des Menschen bestimmend sein, nicht nur des einzelnen Arbeiters, sondern auch ihrer Familien, nicht nur der Menschen von heute, sondern auch der kommenden Generationen.
Von diesem Grundsatz, der noch viel mehr Umdenken von uns verlangt als bisher, fällt auch Licht auf die Behandlung von Problemen in eurem Land, die ich hier zwar nur kurz streifen kann, die mir aber doch sehr gegenwärtig sind.
Ich denke da zum Beispiel an diejenigen, deren Arbeitsplatz gefährdet ist oder die ihn verloren haben. Strukturelle Umgruppierungen mögen sich nach genauester Prüfung als notwendig erweisen, und je ehrlicher gesehen, desto besser. Niemals jedoch dürfen dabei Arbeiter, die viele Jahre ihr Bestes gegeben haben, die allein Leidtragenden sein! Steht solidarisch zusammen und helft ihnen, wieder eine sinnerfüllte Tätigkeit zu finden. Dafür habt ihr schon ermutigende Beispiele gegeben.
Ich denke an die Arbeiter aus anderen Ländern, die ihr herbeigerufen habt und die zusammen mit euch das geschaffen haben, dessen ihr euch heute erfreut. In den anstehenden Problemen wird euer Verantwortungsbewußtsein Lösungen suchen, die ihr menschliches Empfinden nicht verletzen und dem geistigen Wohl ihrer Familien gerecht werden.
Noch weitere und tiefgreifendere Probleme ergeben sich daraus, daß wir immer häufiger an Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums stoßen. Selbst wenn wir es nicht wollten, werden wir durch die Entwicklung gezwungen, vom Anspruchsdenken abzurücken und auf manches zu verzichten, um die begrenzten Güter mit möglichst vielen Menschen friedlich zu teilen. Wenn das soziale Klima sich zu verhärten beginnt, so sind die kommenden Veränderungsprozesse nur in sachlicher Auseinandersetzung und in solidarischem Zusammenwirken aller zu bewältigen.
4. Bei der Betrachtung dieser wichtigen Probleme im Blick auf die Gerechtigkeit und das umfassende soziale Wohlergehen dürfen wir uns jedoch keinesfalls einschließen in die Grenzen eines Landes, einer Gemeinschaft von Ländern oder auch nur eines Kontinentes. Die soziale Frage hat heute eine weltweite menschliche Dimension. Das geht auch deutlich hervor aus den Lehräußerungen der letzten Päpste ”Mater et Magistra“, ”Populorum Progressio“ und des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wenn man oft sagt, daß in dieser Hinsicht eine Spannung zwischen West und Ost besteht, so ist doch die Spannung zwischen Nord und Süd nicht weniger bedeutsam. Unter ”Nord“ versteht man die Zone reicher Länder, die in einem gewissen Überfluß an Gütern leben. ”Süd“, insbesondere die sogenannte Dritte Welt, meint jene Zone von Ländern, deren Völker in wirtschaftlicher Hinsicht oft unterentwickelt sind, ein karges Leben fristen oder gar bitterstem Hunger bis zum Sterben ausgesetzt sind.
Als Staatsbürger habt ihr die Pflicht, ein politisches Klima herbeizuführen, welches den Staat, ja überhaupt die reichen Staaten instand setzt, in allen erforderlichen Formen jenen benachteiligten und nicht selten ausgebeuteten Ländern wirksame Entwicklungshilfe zu leisten.
Als Katholiken habt ihr in euren großen Hilfswerken eure weltweite Mitverantwortung in beispielhafter Weise seit vielen Jahren in wachsendem Maße wahrzuehmen begonnen. Laßt in euren Anstrengungen nicht nach! Laßt vielmehr euer Herz noch tiefer ansprechen von der oft verzweifelten Not jener Länder! Als oberster Hirte der Kirche, auf dessen Schultern eine unmittelbare Verantwortung auch für jene Länder lastet, möchte ich euch bei dieser Gelegenheit auch im Namen jener Armen und Ärmsten für eure Mühen und Opfer ganz herzlich danken.
Inbesondere danke ich heute allen Gläubigen eures Landes für euer jüngstes Zeichen hochherziger Solidarität, nämlich für die anläßlich meines Pastoralbesuches bei euch durchgeführte Kollekte zur Behebung bitterster Not in der Sahelzone im mittleren Afrika.
Diese weltweite Dimension der sozialen Frage ist ein Appell an unser menschliches und christliches Gewissen; sie wird das letzte Viertel dieses Jahrhunderts mehr und mehr prägen. Die Suche nach Lösungen seitens aller Menschen guten Willens und das Apostolat aller Christen muß in wachsendem Maße in diese weltweite Dimension hineinwachsen. Im Namen des Evangeliums! Und zugleich im Namen menschlicher Solidarität!
5. Das soziale Problem in seiner heutigen geschichtlichen Dimension ist für jedes Volk und für die ganze Menschheit eng verbunden mit der zentralen Aufgabe, den Frieden in der Welt zu sichern. ”Iustitia et Pax“, Gerechtigkeit und Frieden! Wie hier das eine vom anderen abhängt, hat uns Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika ”Pacem in Terris“ gezeigt. An sie müssen wir heute wieder denken, wenn uns die Liturgie an die Worte Christi über ”Kriege und Unruhen“ erinnert: ”Ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen, und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen“.
Diese Worte stammen aus der ”eschatologischen“ Rede nach Lukas. Christus zählt die verschiedenen Zeichen für das ”Dahinschwinden der Welt in Schmerzen“ auf; sie wiederholen sich beständig in der Geschichte. Darum fügt er hinzu: ”Und wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, laßt euch dadurch nicht erschrecken! Denn das muß als erstes geschehen; aber das Ende kommt noch nicht sofort“.
Erinnern wir uns noch deutlich an die abscheulichen Greuel des Zweiten Weltkriegs, besonders wir, Söhne und Töchter der europäischen Völker. Erinnern wir uns jener Zeit furchtbarer Zerstörungen, unbeschreiblicher Leiden, der Schändung und Mißachtung des Menschen. Das darf sich niemals wiederholen in den Generationen unserer Kinder und Enkel, niemals mehr unter Menschen, weder in unserem Kontinent noch anderswo.
Unaufhörlich wollen wir Gott bitten, daß diese furchtbare Lektion der Geschichte allen in der Welt die Achtung der Rechte jedes einzelnen Menschen und jedes einzelnen Volkes einschärfe. Wie wichtig ist das in unserem alten Kontinent! Die Sorge um den Frieden darf niemals in der Erfüllung unseres christlichen Auftrags fehlen, darf niemals fehlen in den Anstrengungen aller Menschen guten Willens, vor allem derer, die hier besondere Verantwortung tragen.
Wir hoffen, daß die Sorge um den Frieden alle Verantwortlichen dazu bewegt, einen ständigen Dialog über die verschiedenen Probleme zu suchen - mögen diese auch noch so schwerwiegend und komplex sein -, um dadurch den so ersehnten Frieden von Tag zu Tag mehr zu festigen. Wie könnten wir nicht zugleich wünschen, daß auch das in Madrid stattfindende Treffen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit dazu beitragen möge, den Frieden zu stärken in voller Achtung der Rechte eines jeden Menschen und eines jeden Volkes, einschließlich der Religionsfreiheit, auf der Grundlage der in der Schlußakte von Helsinki anerkannten Prinzipien.
Möge die wirksame Anwendung dieses berechtigten Kriteriums der Rechte des Menschen und der Rechte der einzelnen Völker aus dem Leben der Menschheit jede Form von Imperialismus, Aggression, Herrschaft, Ausbeutung und Kolonialismus verbannen!
Das sage ich auch als Sohn einer Nation, die jahrhundertelang sehr viel gelitten hat und diese Rechte des Menschen und des Volkes mit aller Entschiedenheit zu verteidigen gezwungen war.
Seht da den Segensruf der heutigen Liturgie mit den Worten des Propheten Maleachi: Aufgehen möge ”die Sonne der Gerechtigkeit“, und ihre Strahlen mögen Heilung bringen für alle!
6. Im heutigen Evangelium sagt Christus auch: ”Gebt acht, daß man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! und: Die Zeit ist da. - Lauft ihnen nicht nach!“.
Liebe Brüder und Schwestern! Wir bitten euch: Steht unerschütterlich fest in der Wahrheit des Evangeliums! Geht in seinem Licht die Wege der Gerechtigkeit und des Friedens! Niemand soll uns irreführen!
Christus sagt weiter: ”Man wird euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen“.
Liebe Brüder und Schwestern! Beten wir für alle Menschen in der Welt! Beten wir insbesondere für unsere Brüder im Glauben, deren Rechte verletzt werden! Beten wir für jene, die Unterdrückung erleiden, denen verweigert wird, was sich aus dem Prinzip der Gewissens- und Religionsfreiheit ergibt, wo immer das sein mag auf dem weiten Erdenrund...
Christus sagt schießlich: ”Nehmt euch fest vor, nicht im voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, so daß alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern, und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Names willen von allen gehaßt werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“.
Liebe Brüder und Schwestern! Denken wir an alle, auch an eure Landsleute, die in heldenhafter Weise diesem Wort unseres Erlösers und Meisters die Treue gehalten haben! Beten wir, daß wir alle treu bleiben! Bitten wir den Herrn, daß er uns immer seinen Geist der Stärke schenke, besonders in Stunden und Zeiten der Prüfung! Und daß wir Tag für Tag Zeugnis ablegen für ihn!
7. Christus sagt: ”Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können“. Danken wir für diese Worte. Danken wir für diese außerordentliche Gelegenheit, Zeugnis ablegen zu dürfen für ein Evangelium des Friedens und der Gerechtigkeit, hier in Mainz, nahe beim Grab des großen Vorkämpfers und Apostels dieses Evangeliums, des Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler.
Daß euch allen, die ihr dem Namen des Herrn die Ehre gebt, für immer die Sonne der Gerechtigkeit aufgehe und Heilung zuteil werde in ihren Strahlen. Amen.
On this happy occasion I wish to extend a word of greeting and gratitude to the members of the American community present here today. Your collaboration in preparing for this gathering is deeply appreciated. I pray that the Spirit of God will give you in abundance the justice, peace and joy that constitute the Kingdom of God. And on our part, dear brothers and sisters, let us all, in the words of Saint Paul, “make it our aim to work for peace and to strengthen one another”. And may the love of God abide always in your hearts.
Ansprache an Vertreter polnischen Einwanderer in Deutschland auf dem Domplatz in Mainz
Liebe Landsleute! polnischen Einwanderer
Geliebte Brüder und Schwestern!
1. Ich danke der Göttlichen Vorsehung und den Menschen, daß ich während dieser meiner Pilgerfahrt durch das Deutsche Land mich mit meinen Landsleuten treffen kann, die hier in Deutschland leben und arbeiten, ihre eigene Geschichte, die Geschichte ihrer Familien, des Landes und gleichzeitig die Geschichte der Erlösung gestalten.
Die Geschichte der Wege Christi zum Menschen und der menschlichen Wege zu Gott entscheidet über den Menschen und erst in ihr kann der Mensch vollkommen sich selbst finden, die Werte und Möglichkeiten seines Herzens erkennen und seinen eigenen Platz in der Welt finden.
Die göttlichen Wege des Heils, der Gnade, der Kraft und Liebe möchten wir während dieser Pilgerfahrt gemeinsam mit der Kirche in Deutschland, mit ihren Hirten und ihren Gläubigen, mit unseren Brüdern im Glauben an Christus, und auch mit allen Menschen guten Willens, immer von neuem wiederfinden.
2. Wenn man vor dem tausendjährigen Dom in Mainz steht, der über J ahrhunderte hinweg ein Ort der Krönung von Kaisern und Königen war, so kommt man nicht daran vorbei, an den ganzen geschichtlichen Prozeß des Zusammenlebens der christlichen Völker in Europa zu denken; vor allem als auf der Bildfläche der Geschichte neue Völker und neue Staaten zum eigenständigen Leben berufen worden sind, die oft um einen hohen Preis ihren eigenen Platz in Europa erobert haben.
Wir kennen diesen Prozeß, seine Glanz- und Schattenseiten und wir wissen, daß er nicht einfach war und ist. Wir wissen, daß die geographische Nähe, die Nachbarschaft, ein Segen sein kann und sein soll; aber wie alles, was menschlich ist, kann sie sich zum Fluch wandeln. Weil dem so ist, bedeutet das, daß hier vor allem eine Aufgabe ist, die sowohl von den einzelnen Menschen als auch von allen Völkern gelöst werden muß. So verstand es schon der zweite historische Herrscher Polens, König Boleslaw Chrobry,. der durch sein Bündnis mit Kaiser Otto III. Polen als gleichberechtigtes Mitglied in die römisch-christliche Völkergemeinschaft Europas eingeführt hat.
3. Nur heilige Menschen können dauerhafte Brücken zwischen den Völkern bauen, denn nur Heilige gründen ihr Handeln auf der Liebe, auf der Liebe zum Menschen, denn sie bauen ihr Leben und ihre Zukunft auf Gott. "Die Liebe kommt von Gott und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren, denn Gott ist die Liebe" (1 Joh 4,7-8). Nur das, was auf Gott gebaut ist, auf der Liebe, ist beständig, wie z. B. das bis heute verehrte Grab der hl. Hedwig aus Trebnitz, der Patronin der Versöhnung.
Wenn aber gottlose Menschen den Platz der Gläubigen und Heiligen einnehmen, dann wird Egoismus und Haß zum Recht, was auch die spätere Geschichte des Zusammenlebens zwischen dem deutschen und polnischen Volke bestätigt.
4. Inmitten des Laufs der Geschichte, der sich häufenden Ereignisse, politischer Entscheidungen, der Feindschaften oder Freundschaften, inmitten all dessen gibt es konkrete Menschen, die den Wunsch haben zu leben, sich zu entwickeln, ihre Identität zu bewahren, ihre Rechte, Freiheit, Glauben, Würde: an diese denke ich vor allem während dieser Begegnung.
Im vergangenen Jahrhundert sind viele Polen aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Durch ihre schwere mühsame Arbeit trugen sie zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes, das ihnen Arbeit und Brot gab, bei.
Nach dem ersten Weltkrieg und der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens, sind viele in Deutschland geblieben. In den Grenzbezirken verblieb eine große Zahl der dort lebenden Polen. Diese organisierten sich in einem gemeinsamen polnischen Kulturbund, der das Ziel hatte, christliche und polnische Tradition und Kultur zu pflegen. An der Spitze dieser Organisationen standen tast immer Priester, die sich eben um dieses harmonische Zusammenleben und das christliche Band der Liebe bemühten. Dieses Leben war nicht leicht. Vielleicht Ihr selbst, vielleicht Eure Väter mußten so manche Demütigungen über sich ergehen lassen, wegen ihrer religiösen oder nationalen Haltung mußten sie so manches erdulden.
5. Die Ereignisse des letzten Weltkrieges haben das Zusammenleben der Völker schwer belastet. Sie brachten viel Leid, Unrecht und Unglück. Sie bewirkten, daß nach Beendigung des Krieges sich fast 2 Mio. Polen auf deutschem Gebiet befanden. Die einen hatten die Qualen der Konzentrationslager überlebt, andere waren erschöpft von übermäßiger Arbeit, wieder andere waren infolge der Kriegsereignisse verschlagen und konnten aus verschiedenen Gründen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. Sie ergaben sich nicht der Verzweiflung. Trotz schwerer Erlebnisse und Erfahrungen, trotz schwerer materieller Situation infolge der Zerstörungen, haben sie sich sofort organisiert.
Dieses ist ein großes Verdienst polnischer Geistlicher. Durch das Lagerleben geschwächt, gingen sie sofort nach ihrer Freilassung hin, das religiöse Leben ihrer Landsleute zu organisieren. Nach den schrecklichen Kriegserlebnissen mußte man von neuem den Glauben aufbauen. Den Glauben an Gott und den Glauben an den Menschen; den Glauben an seine eigene menschliche Würde. Das konnte man nur dadurch tun, indem man sich auf Christus stützte, denn nur auf seinen Lehren, auf der christlichen Ethik der Liebe, auf der Bekehrung und der Vergebung kann man die Zukunft und ein neues zwischenmenschliches Zusammenleben aufbauen.
Und es ist ein großes Verdienst eben dieser Priester, ehemaliger KZ-Häftlinge, daß viele zum normalen Leben zurückgekehrt sind, unter der Last der in jeder Hinsicht schweren Nachkriegszeit nicht zusammenbrachen und von neuem den Glauben, die Würde und die Liebe fanden.
6. Ihr alle, ohne Rücksicht auf die Umstände und den Zeitpunkt Eurer Ankunft in Deutschland, schreibt hier Eure Geschichte, führt hier Euren Dialog mit Gott, mit den Menschen, mit der Welt. Ihr möchtet vollwertige Bürger sein und zur vielseitigen Entwicklung dieses Landes beitragen, in welchem ihr lebt. Ihr möchtet Euren Kindern und Enkeln eine bessere Zukunft sichern. Jeder von Euch hinterläßt hier einzigartige Spuren seines Daseins, seines Lebens, seines Glaubens, seiner Wahlen, seiner Entscheidungen. Er muß also schützen, erkennen und entwickeln, was in seinem Innern ist, was in seinem Herzen geschrieben steht, er muß an der Erde, an seinem übernommenen Erbe festhalten, das ihn selbst geprägt hat und welches ein integraler Teil seines Geistes und seiner Persönlichkeit ist.
In diesem Sinne äußern sich die Bischöfe unseres Kontinents in ihrem Aufruf an die Welt anläßlich des Jubiläumsjahres des hl. Benedikt, des Patrons von Europa. Wir lesen da u.a.: "Die Freiheit und die Gerechtigkeit fordern, daß die Menschen und Völker ihre Eigenarten entwickeln können. Jedes Volk, jede ethnische Minderheit besitzt ihre eigene Identität, ihre eigene Tradition und Kultur. Diese besonderen Werten haben große Bedeutung für den menschlichen Fortschritt und den Frieden". (Erklärung der Bischöfe Europas vom 28.09. 1980).
Auch die geoffenbarte Wahrheit gelangt zum Menschen im Rahmen einer bestimmten Kultur. Es besteht eine große Gefahr, daß der Verlust der ererbten Kulturwerte im Endeffekt zum Verlust des Glaubens führen kann, vor allem dann, wenn die neuen Kulturwerte, die man in der neuen Umgebung annimmt, dieses christlichen Charakters beraubt sind, welcher die eigene Kultur auszeichnete.
7. Es gibt noch eine andere Gefahr. Man soll nicht alles kritiklos hinnehmen und sich der technischen Zivilisation nicht einverleiben lassen, weil man dann gleichzeitig den Glauben, die Fähigkeit zu lieben, mit einem Wort all das, was über das Menschsein entscheidet, über die vollen Ausmaße und die Berufung des Menschen, der Gefahr des Verlustes aussetzt.
Eben die Stütze auf die Tradition, die Kultur, welche so wie die polnische Kultur von religiösen Werten durchdrungen ist, bewirkt, daß "die egoistische Kultur und die technisierte Arbeitswelt den Menschen nicht zum Produktionswerkzeug reduzieren können" (Rede in Salvador).
Über den Wert des Menschen entscheidet letzten Endes das, was er ist und nicht das, was er hat. Und wenn der Mensch seine Würde, seinen G lauben und sein nationales Bewußtsein nur deshalb aufgibt, um mehr zu besitzen, dann muß diese Haltung schließlich zu einer Selbstverachtung führen. Ein Mensch dagegen, der sich seiner Identität, die aus einem Glauben fließt, aus der christlichen Kultur seiner Väter und Ahnen, bewußt ist, bewahrt seine Würde, wird von den Menschen geachtet und wird zum vollwertigen Mitglied der Gesellschaft, in der er lebt.
8. Eines der ausgeprägtesten Merkmale der polnischen Religiosität sind die Verehrung und die Andachten zur Gottesmutter Maria. Auch hier in Deutschland, wo immer auch Polen siedelten, brachten sie in ihrem Herzen die Liebe zur Mutter Gottes mit und ihr vertrauten sie ihr Schicksal an. Das wurde besonders deutlich in der Nachkriegszeit. Eine der ersten seelsorglichen Initiativen waren gemeinsame Pilgerfahrten zu den Marienwallfahrtsorten in Deutschland. Bis zum heutigen Tage pilgert Ihr jedes Jahr nach Neviges, zu Maria Buchen, nach Altötting und an andere Orte, zum Beispiel zum Ablaßfest nach Hannover. Überall in diesen Wallfahrtsorten, ähnlich wie in den Kirchen, in denen Ihr Euch regelmäßig versammelt, befinden sich Bilder der Gottesmutter von Tschenstochau. Ihr Bildnis befand sich auf fast allen Euren Fahnen. Sie, die Schwarze Madonna von Jasna Gora, erzählt von Gottesliebe und erinnert Euch an die Erde, aus welcher Eure Wurzeln wachsen; vor ihr betet Ihr, ihr vertraut Ihr Eure Familien an, vor allem jetzt, da das Bild der Muttergottes von Tschenstochau durch alle seelsorglichen Zentren pilgert. Maria, die dem Wort bei der Verkündigung glaubte, wurde zur ersten Gläubigen des Neuen Testaments, zur Mutter unseres Glaubens und sie führt uns zum volleren Verständnis Gottes in der Einheit der Dreifaltigkeit.
9. Indem ich hier heute vor Euch stehe, kann ich unser vorausgegangenes Treffen nicht vergessen, das im September 1978 stattfand. Wir waren damals hier mit Kardinal Wyszynski, dem Primas von Polen, welcher die Delegation der polnischen Bischöfe leitete, auf Einladung der Deutschen Bischofskonferenz. Der zentrale Punkt dieses Treffens mit den Landsleuten war der Wallfahrtsort der Muttergottes in Neviges. All das hatte ein paar Wochen nach der Wahl Johannes Paul I. stattgefunden. Vom menschlichen Standpunkt konnte niemand voraussehen, daß nicht lange danach mir zukam, sein Nachfolger auf dem Thron des hl. Petrus in Rom zu werden. Diese Umstände geben der damaligen Begegnung eine besondere Bedeutung.
Aber ich möchte noch um ein paar Jahre zurückgreifen. Im Jahre 1974, ebenfalls im September, nahm ich in Frankfurt am goldenen Priesterjubiläum des verstorbenen Prälaten Edward Lubowiecki teil. Dieser war vor dem Kriege ein enger Mitarbeiter des großen Krakauer Metropoliten Kardinal Adam Stefan Sapieha, welcher nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager hierblieb, zuerst als Generalvikar des Erzbischofs J osef Gawlina tätig war, später als kanonischer Visitator der Polen in Deutschland. Dieser Aufenthalt verbindet sich in meinem Gedächtnis mit der Person des so vorzeitig verstorbenen Kardinals Julius Döpfner, der so gütig war, gemeinsam mit mir die Hl. Messe in Dachau zu konzelebrieren.
Indem ich die Person des Prälaten Lubowiecki erwähne, möchte ich gleichzeitig dem Rektor der polnischen katholischen Mission, Stefan Leciejewski, Gottes besonderen Segen wünschen sowie allen Geistlichen, Schwestern, und ein herzlichstes "Szczesc Boze" (Gott gebe Glück - ein polnischer Gruß) für alle Landsleute.
Ich bin Euch immer dankbar für Eurer Gebet. Von Herzen erteile ich den apostolischen Segen Euch hier, und all denen, die nicht kommen konnten, Euren Familien und Angehörigen. Mit herzlichen Gefühlen denke ich an die Kranken sowie älteren Menschen, besonders an die Einsamen und Vergessenen. Herzlich grüße und segne ich die Jugend und die Kinder. Die Liebe Gottes des Vaters, die Gnade unseres Herrn J esus Christus und die Gnade der Einheit im Hl. Geiste seien mit Euch allen.<ref>aus: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 25 A, S. 70-74.</ref>
Montag, den 17. November 1980
An den Zentralrat der Evangelischen Kirche (Mainz)
Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender,
verehrte Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland,
liebe Mitchristen!
"Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!". Mit diesem Worten des Völkerapostels grüße ich Sie und alle, die Sie vertreten. Von Herzen danke ich allen, die diese Begegnung im Lande, in dem die Reformation ihren Anfang nahm, ermöglicht haben.
Besonderen Dank schulde ich Ihnen, Herr Ratsvorsitzender, für Ihr hilfreiches Wort, das uns die Dimension dieser Stunde und noch mehr die unserer christlichen Sendung vergegenwärtigt hat. Im Wissen um diese Gegebenheiten dürfen wir - wie einst Paulus - hoffen, daß wir "miteinander Zuspruch empfangen".
Unser Zusammensein in dieser Morgenstunde ist für mich ein tiefgründiges Symbol, so daß ich mit den Worten eines alten Hymnus sprechen möchte: "Das Morgenrot steigt höher schon, wie Morgenrot geh’ Er uns auf; in seinem Vater ganz der Sohn und ganz der Vater in dem Wort". Daß Christus in unserer Mitte und in diesem Lande als das Licht des Lebens und der Wahrheit leuchten möge, ist unser gemeinsamer Wunsch.
Ich erinnere mich in dieser Stunde daran, daß Martin Luther 1510-11 als Pilger, aber auch als Suchender und Fragender zu den Gräbern der Apostelfürsten in Rom kam. Heute komme ich zu Ihnen, zu geistlichen Erben Martin Luthers; ich komme als Pilger. Ich komme, um mit dieser Begegnung in einer gewandelten Welt ein Zeichen der Verbundenheit in den zentralen Geheimnissen unseres Glaubens zu setzen.
Vieles drängt sich bei unserer brüderlichen Begegnung auf, viel mehr als wir in der knappen Zeit und mit unseren begrenzten Kräften zu sagen vermögen. Lassen Sie mich zu Beginn unseres Gespräches vorab zum Ausdruck bringen, was mich besonders bewegt. Ich tue es im Anschluß an das Zeugnis des Römerbriefes, jener Schrift, die für Martin Luther schlechterdings entscheidend war. "Diese Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste Evangelium", schreibt er 1522.
In der Schule des Völkerapostels kann uns bewußt werden, daß wir alle der Umkehr bedürfen. Es gibt kein christliches Leben ohne Buße. "Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung". "Wir wollen uns nicht gegenseitig richten". Wir wollen aber einander unsere Schuld eingestehen. Auch hinsichtlich der Gnade der Einheit gilt: "Alle haben gesündigt". Das müssen wir in allem Ernst sehen und sagen und unsere Konsequenzen daraus ziehen. Wichtiger ist, daß wir immer tiefer erkennen, welche Konsequenzen der Herr aus dem menschlichen Versagen zieht. Paulus bringt das auf den Nenner: "Wo die Sünde mächtig wurde, ist die Gnade übergroß geworden".
Gott hört nicht auf, "sich aller zu erbarmen". Er schenkt seinen Sohn, er schenkt sich, er schenkt Verzeihung, Rechtfertigung, Gnade, ewiges Leben. Miteinander dürfen wir dies bekennen. Sie wissen, daß Jahrzehnte meines Lebens von Erfahrungen mit den Herausforderungen des Christentums durch Atheismus und Unglauben geprägt worden sind. Um so deutlicher steht mir vor Augen, was unser gemeinsames Bekenntnis zu Jesus Christus, seinem Wort und Werk in dieser Welt bedeutet und wie wir durch das Gebot der Stunde zur Überwindung unserer noch kirchentrennenden Unterschiede und zum Zeugnis von unserer wachsenden Einheit gedrängt werden.
Jesus Christus ist unser aller Heil. Er ist der eine Mittler. "Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben". Durch ihn haben wir "Frieden mit Gott" und untereinander. Kraft des Heiligen Geistes werden wir seine Geschwister, wahrhaft und wesentlich Kinder Gottes. "Sind wir alle Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi".
Daß wir dieses miteinander glauben und bekennen, ist bei der Besinnung auf die Confessio Augustana und in zahlreichen Kontakten neu bewußt geworden. Die deutschen Bischöfe haben in ihrem Hirtenwort "Dein Reich komme" (20.1.1980) davon Zeugnis gegeben. Sie haben den katholischen Gläubigen gesagt: ”Freuen wir uns, daß wir nicht nur einen Teilkonsens in einigen Wahrheiten entdecken können, sondern eine Übereinstimmung in zentralen Grundwahrheiten. Das läßt uns die Einheit auch in den Bereichen unseres Glaubens und Lebens erhoffen, in denen wir bis zur Stunde noch getrennt sind".
Alle Dankbarkeit für das uns Verbleibende und uns Verbindende darf uns nicht blind machen für das, was immer noch trennend zwischen uns steht. Wir müssen es möglichst miteinander ins Auge fassen, nicht um Gräben zu vertiefen, sondern um sie zu überbrücken. Wir dürfen es nicht bei der Feststellung belassen: "Also sind und bleiben wir ewiglich geschieden und wider einander".
Miteinander sind wir gerufen, im Dialog der Wahrheit und der Liebe die volle Einheit im Glauben anzustreben. Erst die volle Einheit gibt uns die Möglichkeit, uns eines Sinnes und eines Glaubens an dem einen Tisch des Herrn zu versammeln. Um was es bei diesem Bemühen vor allem geht, können wir uns von Luthers Römerbriefvorlesungen 1516-1517 sagen lassen. Er lehrt, daß der "Glaube an Christum, durch den wir gerechtfertigt werden, nicht allein darinnen besteht, daß man an Christus oder genauer an die Person Christi, sondern an das glaubt, was Christi ist". "Wir müssen an ihn glauben und an das, was sein ist". Auf die Frage: "Was ist denn dies?" verweist Luther auf die Kirche und ihre authentische Verkündigung. Wenn es bei den Dingen, die zwischen uns stehen, lediglich um die "von Menschen eingesetzten kirchlichen Ordnungen" ginge, könnten, müßten die Schwierigkeiten alsbald ausgeräumt sein. Nach katholischer Überzeugung betrifft der Dissens das, "was Christi ist", "was sein ist"; seine Kirche und ihre Sendung, ihre Botschaft und ihre Sakramente sowie die Ämter, die in den Dienst von Wort und Sakrament gestellt sind. Der seit dem Konzil geführte Dialog hat uns diesbezüglich ein gutes Stück weitergeführt. Gerade in Deutschland ist mancher wichtige Schritt getan worden. Das kann uns zuversichtlich machen angesichts der noch unbewältigten Probleme.
Wir müssen im Gespräch und Kontakt bleiben. Die Fragen, die wir miteinander anzusprechen haben, fordern ihrer Natur nach noch eine umfassendere Behandlung, als sie hier und heute möglich ist. Ich hoffe, daß wir gemeinsam Wege finden, unser Gespräch fortzusetzen. Gewiß werden die deutschen Bischöfe und die Mitarbeiter des Sekretariates für die Einheit der Christen dabei mithelfen.
Wir dürfen nichts unversucht lassen. Wir müssen tun, was eint. Wir schulden es Gott und der Welt.
"Laßt uns nach dem streben, was dem Frieden und dem Aufbau dient!". Jeder von uns muß sich mit Paulus sagen: "Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde". Wir sind gerufen, Zeugen des Evangeliums, Zeugen Christi zu sein. Seiner Botschaft entspricht, daß wir gemeinsam Zeugnis geben. Lassen Sie mich wiederholen, was ich am 25. Juni dieses Jahres anläßlich des Confessio-Augustana-Jubiläums gesagt habe: "Der Wille Christi und die Zeichen der Zeit drängen uns zu einem gemeinsamen Zeugnis in wachsender Fülle der Wahrheit und Liebe".
Groß und schwer sind die Aufgaben, die vor uns liegen. Wären wir allein auf unsere Kraft angewiesen, müßten wir verzweifeln. Gott sei Dank hilft "der Geist unserer Schwachheit auf". Im Vertrauen auf ihn können wir unser Gespräch fortsetzen, können wir die Taten angehen, die von uns gefordert sind. Lassen Sie uns mit dem wichtigsten Gespräch, mit der notwendigsten Tat beginnen, lassen Sie uns beten! Angesichts der unfaßbaren Gnade Gottes beten wir mit dem Völkerapostel:
"O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt?
Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Wer hat ihm etwas gegeben, so daß Gott ihm etwas zurückgeben müßte? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen".
An die Vertreter anderer christlicher Konfessionen (Mainz)
Verehrte Brüder in Christus!
"Seht doch, wie gut und schön es ist, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen". Können wir in dieser Stunde nicht alle die Wahrheit dieses Psalmwortes neu erfahren? Wir haben uns zusammengefunden als Brüder im Herrn. Brüderschaft ist für uns kein leeres Wort und kein flüchtiger Traum; sie ist beglückende Wirklichkeit - hier und heute und überall, wo Christen ihrem Herrn gehorchen und nachfolgen. Die Gnade Gottes verbindet uns mit ihm und untereinander. Mit dem II. Vatikanischen Konzil dürfen wir die Zuversicht haben, daß diese "brüderliche Verbindung zwischen allen Christen" es ist, "die schließlich nach dem gnädigen Willen Gottes zur vollen und vollkommenen Einheit führt". Wir alle sind dazu bestimmt, uns in der einen "Familia Dei" zusammenzufinden; wir sind gerufen, "dem Heil und der Erneuerung aller Kreatur zu dienen, damit alles in Christus zusammengefaßt werde und in ihm die Menschen eine einzige Familie und ein einziges Gottesvolk finden".
Alle Freude über unsere Begegnung, über unsere Berufung und Sendung darf uns nicht vergessen lassen, wie wenig wir der Gnade Gottes entsprochen haben und entsprechen. Trotz unserer tiefen Verbundenheit sind wir faktisch in vielem getrennt.
Unser Zusammensein in Ihrem deutschen Vaterland konfrontiert uns mit dem Geschehen der Reformation. Wir müssen an das denken, was ihr vorausging und was seither geschehen ist.
Weichen wir den Fakten nicht aus, dann wird uns bewußt, daß menschliches Verschulden zu der unheilvollen Trennung der Christen geführt hat und daß unser Versagen immer wieder Schritte zur Einheit behindert, die möglich und nötig sind. Nachdrücklich mache ich mir zu eigen, was mein Vorgänger Hadrian VI. 1523 auf dem Reichstag zu Nürnberg bekannt hat: "Gewiß ist die Hand des Herrn nicht verkürzt, daß er uns nicht retten konnte, aber die Sünde scheidet, uns von ihm...
Wir alle, Prälaten und Geistliche, sind vom Weg des Rechtes abgewichen, und es gab lange keinen einzigen, der Gutes tat. Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen.
Ein jeder von uns soll betrachten, weshalb er gefallen, und sich lieber selbst richten, als daß er von Gott am Tage seines Zorns gerichtet werde“. Mit dem letzten deutschen, beziehungsweise niederländischen Papst sage ich: "Die Krankheit ist tief eingewurzelt und vielgestaltig; es muß daher Schritt für Schritt vorangegangen und zuerst den schwersten und gefährlichsten Übeln durch rechte Arzneien begegnet werden, um nicht durch eine übereilte Reform alle Dinge noch mehr zu verwirren". Heute wie damals ist die Erneuerung des christlichen Lebens der erste und wichtigste Schritt zur Einheit. ”Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung“.
Beim Bemühen um Erneuerung und Vereinigung kann vieles von dem helfen, was in Ihrem Vaterland in ökumenischer Hinsicht geschehen ist. Dazu zählen das Zusammenfinden der Getrennten in den Jahren gemeinsam erlittener Not und Bedrängnis, das Martyrium jener, die ihr Leben für die Einheit in Christus geopfert haben, die jahrzehntelange, weithin gemeinsame wissenschaftliche Bemühung um die christliche Einheit, die gemeinsam erarbeitete Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, die regelmäßigen offiziellen Kontakte miteinander, die immer wieder unternommenen Anstrengungen, sich gemeinsam den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, die von ökumenischem Geist getragene Besinnung auf Intention und Zeugnis der "Confessio Augustana" und die Feier ihres 450-jährigen Jubiläums, der Zusammenschluß in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen "zu gemeinsamen Zeugnis und Dienst".
Von Herzen sei Gott für dies alles gedankt! Er verleihe allen Kraft und Mut, nicht nachzulassen im vielfältigen Bemühen um die volle Einheit! Er gebe, daß die gute Saat aufgeht und reiche Frucht bringt!
Gewiß wird Entscheidendes davon abhängen, daß wir uns immer mehr "zu gemeinsamem Zeugnis und Dienst" zusammenschließen. Die Einheit der Kirche gehört unabdingbar zu ihrem Wesen. Sie ist kein Selbstzweck. Der Herr gibt sie, "damit die Welt glaubt". Lassen wir nichts unversucht, um miteinander zu bezeugen, was uns in Jesus Christus gegeben ist. Er ist der eine "Mittler zwischen Gott und den Menschen". "In keinem anderen ist das Heil zu finden". Alle Schritte zur Mitte verpflichten und stärken uns zugleich, die notwendigen Schritte hin zu allen unseren Schwestern und Brüdern zu wagen. Wie die Liebe des Herrn kennt auch der rechte Dienst in seiner Nachfolge keine Schranken. Er betrifft alle Dimensionen der menschlichen Existenz und alle Bereiche unserer Zeit. Setzen wir uns miteinander ein ”für die Aufgabe, der menschlichen Person zu ihrer wahren Würde zu verhelfen, für die Förderung des Friedens, für die Anwendung des Evangeliums auf die sozialen Fragen, für die Pflege der Wissenschaft und Kunst aus christlichem Geiste wie auch für die Bereitstellung von Heilmitteln aller Art gegen die Nöte unserer Zeit, wie gegen Hunger und Katastrophen, gegen Analphabetismus und die Armut, gegen die Wohnungsnot und die ungerechte Verteilung der Güter“.
Indem ich an diese Aufforderung des Ökumenismusdekrets erinnere, möchte ich zugleich auf seine letzten Worte verweisen. Im Wissen, daß die "Wiederversöhnung aller Christen in der Einheit der einen und einzigen Kirche Christi die menschlichen Kräfte und Fähigkeiten übersteigt", hat das Konzil ”seine Hoffnung gänzlich auf das Gebet Christi für die Kirche (gesetzt), auf die Liebe des Vaters zu uns und auf die Kraft des Heiligen Geistes. "Die Hoffnung aber wird nicht zuschanden: Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Heiligen Geist, der uns geschenkt ist".
Laßt uns beten: Herr, gib uns die Kraft der Hoffnung, das Feuer der Liebe, das Licht des Glaubens! Laßt uns gemeinsam beten, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat:
"Vater unser im Himmel, / geheiligt werde dein Name. / Dein Reich komme. / Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. / Unser tägliches Brot gib uns heute. / Und vergib uns unsere Schuld, / wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. / Und führe uns nicht in Versuchung, / sondern erlöse uns von dem Bösen. / Denn dein ist das Reich und die Kraft / und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen".
Treffen mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden (Mainz)
Schalom !
Geehrte Herren, liebe Brüder!
Ich danke ihnen für die freundlichen und aufrichtigen Worte der Begrüßung. Diese Begegnung war mir ein Herzensanliegen im Rahmen dieser apostolischen Reise, und ich danke Ihnen, daß Sie auf meinen Wusch eingegangen sind. Möge Gottes Segen über dieser Stunde stehen!
1. Wenn sich die Christen als Brüder aller Menschen verstehen und sich auch danach verhalten sollen, um wieviel mehr gilt dann diese heilige Verpflichtung, wenn sie Angehörigen des jüdischen Volkes gegenüberstehen! In der "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zum Judentum" vom April dieses Jahres haben die Bischöfe der Bundesrepublik Deutschland den Satz an den Anfang gestellt: "Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum“. Dieses Wort möchte auch ich mir zu eigen machen. Der Glaube der Kirche an Jesus Christus, den Sohn Davids und den Sohn Abrahams, enthält in der Tat, was die Bischöfe in jener Erklärung "das geistliche Erbe Israels für die Kirche" nennen, ein lebendiges Erbe, das von uns katholischen Christen in seiner Tiefe und seinem Reichtum verstanden und bewahrt werden will.
2. Die konkreten brüderlichen Beziehungen zwischen Juden und Katholiken in Deutschland bekommen einen ganz besonderen Wert vor dem dunklen Hintergrund der Verfolgung und versuchten Ausrottung des Judentums in diesem Land. Die unschuldigen Opfer in Deutschland und anderswo, die zerstörten oder versprengten Familien, die für immer vernichteten Kulturwerte und Kunstschätze sind ein tragischer Beweis dafür, wohin Diskriminierung und Verachtung der Menschenwürde führen können, vor allem wenn sie beseelt sind von perversen Theorien über eine angebliche Verschiedenwertigkeit der Rassen oder über die Aufteilung der Menschen in "wertvolle" und "lebenswerte" gegenüber den "lebensunwerten". Vor Gott sind alle Menschen gleich wertvoll und wichtig.
In diesem Geist haben sich auch Christen während der Verfolgung, oft unter Lebensgefahr, eingesetzt, die Leiden ihrer jüdischen Brüder zu verhindern oder zu lindern. Ihnen möchte ich in dieser Stunde Anerkennung und Dank aussprechen. Ebenso jenen, die als Christen in der Bejahung ihrer Zugehörigkeit zum Volk der Juden den Leidensweg ihrer Brüder und Schwestern bis zum Ende mitgegangen sind - wie die große Edith Stein, mit ihrem Klosternamen Theresia Benedikta vom Kreuz, deren Andenken zu Recht in hohen Ehren gehalten wird.
Erwähnen möchte ich ferner auch Franz Rosenzweig und Martin Buber, die durch ihren schöpferischen Umgang mit der jüdischen und der deutschen Sprache eine bewundernswerte Brücke für eine vertiefte Begegnung beider Kulturbereiche geschaffen haben.
Sie heben selbst in Ihrem Grußwort hervor, daß bei den vielfachen Bemühungen, in diesem Land ein neues Zusammenleben mit den jüdischen Mitbürgern aufzubauen, die Katholiken und die Kirche einen entscheidenden Beitrag geleistet haben. Diese Anerkennung und die dazu notwendige Mitwirkung Ihrerseits erfüllt mich mit Freude. Meinerseits möchte ich auch Ihren diesbezüglichen Initiativen dankbare Bewunderung aussprechen bis hin zur jüngsten Gründung Ihrer Hochschule in Heidelberg.
3. Tiefe und Reichtum unseres gemeinsamen Erbes erschließen sich uns besonders in wohlwollendem Dialog und vertrauensvoller Zusammenarbeit. Ich freue mich, daß dies alles hierzulande bewußt und zielstrebig gepflegt wird. Viele öffentliche und private Initiativen im pastoralen, akademischen und sozialen Bereich dienen diesem Anliegen, auch bei ganz feierlichen Anlässen wie neulich beim Katholikentag in Berlin. Ein ermutigendes Zeichen war auch die Tagung des Internationalen Verbindungskomitees zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Judentum im vergangenen Jahr in Regensburg.
Dabei geht es nicht nur um die Berichtigung einer falschen religiösen Sicht des Judenvolkes, welche die Verkennungen und Verfolgungen im Lauf der Geschichte zum Teil mitverursachte, sondern vor allem um den Dialog zwischen den zwei Religionen, die - mit dem Islam - der Welt den Glauben an den einen, unaussprechlichen, uns ansprechenden Gott schenken durften und stellvertretend für die ganze Welt ihm dienen wollen.
Die erste Dimension dieses Dialogs, nämlich die Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes und dem des Neuen Bundes, ist zugleich ein Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem ersten und zweiten Teil ihrer Bibel. Hierzu sagen die Richtlinien für die Durchführung der Konzilserklärung ”Nostra aetate“: ”Man muß bemüht sein, besser zu verstehen, was im Alten Testament von eigenem und bleibendem Wert ist..., da dies durch die spätere Interpretation im Licht des Neuen Testaments, die ihm seinen vollen Sinn gibt, nicht entwertet wird, so daß sich vielmehr eine gegenseitige Beleuchtung und Ausdeutung ergibt“.
Eine zweite Dimension unseres Dialogs - die eigentliche und zentrale - ist die Begegnung zwischen den heutigen christlichen Kirchen und dem heutigen Volk des mit Mose geschlossenen Bundes.
Hierbei kommt es darauf an, "daß die Christen - so die nachkonziliaren Richtlinien - danach streben, die grundlegenden Komponenten der religiösen Tradition des Judentums besser zu verstehen und daß sie lernen, welche Grundzüge für die gelebte religiöse Wirklichkeit der Juden nach deren eigenem Verständnis wesentlich sind" (Einleitung). Der Weg zu diesem gegenseitigen Kennenlernen ist der Dialog. Ich danke Ihnen, verehrte Brüder, daß auch Sie ihn mit jener "Öffnung und Weitung des Geistes", mit jenem "Takt" und mit jener "Behutsamkeit" führen, die uns Katholiken von den erwähnten Richtlinien ans Herz gelegt werden. Eine Frucht solchen Dialogs und eine Wegweisung für seine fruchtbare Fortsetzung ist die eingangs zitierte Erklärung der deutschen Bischöfe ”über das Verhältnis der Kirche zum Judentum“ vom April dieses Jahres. Es ist mein dringender Wunsch, daß diese Erklärung geistiges Gut aller Katholiken in Deutschland werde!
Noch eine dritte Dimension unseres Dialogs möchte ich kurz ansprechen. Die deutschen Bischöfe widmen das Abschlußkapitel ihrer Erklärung den Aufgaben, die wir gemeinsam haben. Juden und Christen sind als Söhne Abrahams berufen, Segen für die Welt zu sein, indem sie sich gemeinsam für den Frieden und die Gerechtigkeit unter allen Menschen und Völkern einsetzen, und zwar in der Fülle und Tiefe, wie Gott selbst sie uns zugedacht hat, und mit der Bereitschaft zu den Opfern, die dieses hohe Ziel erfordern mag. Je mehr diese heilige Verpflichtung unsere Begegnung prägt, desto mehr gereicht sie auch uns selbst zum Segen.
4. Im Licht dieser abrahamitischen Verheißung und Berufung blicke ich mit Ihnen auf das Schicksal und die Rolle Ihres Volkes unter den Völkern. Gern bete ich mit Ihnen um die Fülle des Schalom für alle Ihre Volks- und Glaubensbrüder und auch für das Land, auf das alle Juden mit besonderer Verehrung blicken. Unser Jahrhundert durfte die erste Pilgerfahrt eines Papstes ins Heilige Land erleben. Die Worte Pauls VI. beim Betreten Jerusalems möchte ich zum Abschluß wiederholen: ”Erfleht mit uns in eurem Wünschen und Beten Eintracht und Frieden über dieses einzigartige, von Gott besuchte Land! Beten wir hier zusammen um die Gnade einer wahren und tiefen Bruderschaft zwischen allen Menschen, zwischen allen Völkern! ... Glücklich seien, die dich lieben. Ja, Friede wohne in deiner Umwallung, Gedeihen in deinen Palästen. Ich erbitte dir Frieden, ich ersehne dir Glück!“.
Möchten bald alle Völker in Jerusalem versöhnt und in Abraham gesegnet sein! Er, der Unaussprechliche, von dem uns seine Schöpfung spricht, Er, der seine Menschheit nicht zum Guten zwingt und sie dennoch führt. Er, der sich in unserem Schicksal bekundet und verschweigt. Er, der uns für alle zu seinem Volk erwählt: Er führe uns auf seinen Wegen in seine Zukunft!
Sein Name sei gepriesen! Amen.
An die Gastarbeiter und Immigranten (Mainz)
Liebe Brüder und Schwestern!
Mit großer Freude bin ich heute morgen bei euch, die ihr aus so vielen Ländern und Kontinenten nach Deutschland gekommen seid, um hier zu arbeiten, zu studieren oder für euch und eure Familien eine neue Existenzgrundlage zu schaffen.
1. Der Ort unserer Begegnung, die Stadt Mainz am Rhein, erinnert uns bereits durch ihre eigene Geschichte an das Grundthema dieses Treffens: ”Menschen unterwegs“. Mainz gehört zu den ältesten Städten, die im Verlauf der Ausbreitung des alten römischen Reiches am Rhein entlang gegründet wurden. Mit den Soldaten und Kaufleuten kam auch das Christentum aus Italien zum ersten Mal hierher in dieses Land. Bereits für das Jahr 200 wird für Mainz eine Christengemeinde mit einem Bischof bezeugt. Als dann später im 8. Jahrhundert die angelsächsischen Missionare - diesmal also von Norden her - den Glauben unter den deutschen Stämmen kraftvoll auszubreiten begannen, wurde einer von ihnen, der große Bonifatius, Bischof von Mainz. Von hier aus gründeten er und seine Schüler viele weitere Bistümer bis nach Chur im Süden und nach Prag und Olmütz im Osten. Von Prag wiederum hat der heilige Bischof Adalbert das Licht der Frohen Botschaft nach Polen und bis zu den Balten hingetragen. Ja, es ist wahr: Diese Stadt mit ihrem sechstürmigen romanischen Dom kündet uns vom Entstehen und von den geistigen Wurzeln vieler unserer Heimatländer; sie kündet uns von der einigenden und wegweisenden Kraft unseres katholischen Glaubens. Und dieser Glaube fand seinen Weg zu den Herzen unserer Vorfahren immer durch ”Menschen unterwegs“, durch Missionare und durch Männer und Frauen, die aus ihrer Heimat aufbrachen, um in anderen Ländern, die ihnen oft völlig unbekannt waren, nach neuen Lebensmöglichkeiten zu suchen und zugleich die befreiende Botschaft von unserer Erlösung in Jesus Christus durch ihr Leben und Wort zu bezeugen.
Auch mich hat die Vorsehung Gottes aus meinem Heimatland herausgerufen. Durch die Wahl der Kardinäle zum obersten Hirtenamt ist mir besonders die Verantwortung für die Einheit der Kirche übertragen worden. Bis heute bin ich, wie ihr, mehrmals ein Wanderer in fernen Ländern gewesen.
Darum begrüße ich euch alle mit großem Verständnis und besonderer Herzlichkeit, euch, die ihr hier auf diesem Platz versammelt seid, und auch euch, die ihr durch Radio und Fernsehen mit uns verbunden seid oder später von unserer Begegnung erfahren werdet. Der Friede des Herrn sei mit euch allen!
2. Es war für euch, liebe Brüder und Schwestern, keine leichte Entscheidung, aus euren Heimatländern aufzubrechen, um hier in der Bundesrepublik Deutschland Arbeit und bessere Lebensmöglichkeiten für euch und eure Angehörigen zu suchen. Ihr habt diesen Schritt gewagt, weil in euch die begründete Hoffnung lebte, die Menschen eures Gastlandes würden Verständnis für euch aufbringen und euch mit sozialer Gerechtigkeit und christlicher Nächstenliebe aufnehmen.
Möge sich diese Erwartung für möglichst viele von euch einigermaßen erfüllt haben! Inzwischen habt ihr durch eurer Hände Arbeit große und wichtige Leistungen zum Wohl aller Menschen in diesem Land erbracht, für die ihr Anerkennung und Respekt verdient. Viele von euch sind schon fünf, zehn oder mehr Jahre in Deutschland, sind schon fast heimisch geworden, vor allem eure Kinder und Jugendlichen, die bereits hier geboren sind.
Das Leben eines Gastarbeiters ist zugleich aber auch mit großen Problemen und Schwierigkeiten verbunden. Euer Sprecher hat in seinem Grußwort bereits daran erinnert. Manche wissen nicht, wie lange sie hier leben und arbeiten dürfen und leiden an dieser Unsicherheit. Viele mußten, wenigstens für die erste Zeit, ihre Familie in der Heimat zurücklassen. Wenn es ihnen schließlich mit Mühe gelungen ist, ihre Frau, Kinder und Eltern nach hier zu holen, fällt es oftmals schwer, eine menschenwürdige Wohnung für sie zu finden. Es ergeben sich Schwierigkeiten, den Kindern einen geeigneten Schulabschluß zu verschaffen und ihnen einen Arbeitsplatz zu suchen. Vor allem aber leidet ihr darunter, nicht recht zu wissen, wie ihr mit Herz und Seele der kulturellen Art eurer Heimat mit ihren Sitten und Bräuchen, mit ihrer Sprache und ihren Liedern treu bleiben und euch zugleich dem Lebensstil eurer neuen Umgebung anpassen könnt. Ihr wollt ja nicht entwurzelte Menschen werden, die von ihren geistigen Wurzeln in der alten Heimat abgeschnitten sind und in der neuen noch nicht Wurzel gefaßt haben. Dadurch würde besonders euer katholischer Glaube und euer religiöses Leben in Gefahr geraten; es würde für euch schwierig oder fast unmöglich, eure Kinder schon im Schoß der Familie in die Grundwahrheiten des Glaubens und in das Leben der Kirche einzuführen.
Liebe Brüder und Schwestern. Mir sind diese wichtigen Probleme eures täglichen Lebens sehr deutlich bewußt, und ich weiß, daß viele Verantwortliche aus Kirche und Staat zusammen mit euren Vertretern sich fortwährend darum mühen, einzelne Härten zu mildern, dauerhafte Lösungen für alle zu entwerfen und für deren Verwirklichung zu werben.
3. Was aber könnt ihr selbst bereits tun? Beginnt mit eurer Familie! Achtet und liebt eure Ehefrau, euren Ehemann als den wichtigsten und kostbarsten Menschen von allen, die ihr kennt! Haltet ihnen eindeutig und in allem die Treue! Laß eure Eltern und eure Kinder in gleicher Weise an dieser festen Einheit aus zuverlässiger Liebe und selbstverständlicher Solidarität teilnehmen. Dann habt ihr in eurer Familie einen kleinen, aber lebendigen und tragfähigen Kern von Gemeinschaft, ein Stück Heimat für Leib und Seele, einen Ort der Geborgenheit und der Anerkennung, der durch nichts anderes voll ersetzt werden kann. Ihr selbst habt diese Erfahrung in euren Heimatländern schon vielfältig gemacht: Wo die staatliche Verwaltung unzulänglich ist oder versagt, wo soziale Hilfsstellen noch zu wenig entwickelt sind, da gibt es immer noch die Familie, die einen Ausweg aus der Notlage finden hilft oder wenigstens die Last einer Not gemeinsam trägt. Das gleiche gilt auch hier, in eurer neuen Lebenswelt mit ihren Rätseln und Ungewißheiten.
Ich wende mich insbesondere an die euch gebotenen Ausbildungschancen; steht euren älteren Angehörigen mit euren neuerworbenen Kenntnissen bei, vor allem im Bereich der Sprache! Laßt eure Eltern fühlen, daß ihr sie versteht und zu ihnen haltet, auch wenn ihr euch vielleicht schon besser als sie in der neuen Heimat zurechtfindet! Achtet ihre Herkunft, ihre Kultur, ihre Muttersprache und ihren Heimatdialekt! Sie haben viele Schwierigkeiten auf sich genommen und mit großem Mut einen Schritt gewagt, durch den euer Leben voller und reicher werden soll.
Vergeßt aber bei aller Freude an wirtschaftlichen Vorteilen nicht die geistigen Werte der Kultur und des Glaubens, durch die ihr allein den wahren Fortschritt für eure Persönlichkeit und euer Menschsein erreicht.
Euch alle aber möchte ich dazu ermutigen, aufeinander zuzugehen: zwischen den verschiedenen Volksgruppen und auch auf den einzelnen deutschen Mitbürger; zu versuchen, euch gegenseitig zu verstehen und einander euer Leben mit all seinen Freuden und Sorgen zu eröffnen. Bemüht euch selbst darum, zwischen den Volksgruppen Brücken zu bauen, Stein für Stein und mit Geduld! Viele kleine Schritte, in dieselbe Richtung getan, können euch schließlich doch einander näher bringen und sogar zu Freunden machen und eure jeweiligen Familien in einen herzlichen Kontakt miteinander bringen.
4. An dieser Stelle möchte ich mich nun auch an die einheimischen Bewohner dieses Landes wenden. Ihr habt in den vergangenen 20 Jahren nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile von Millionen ausländischer Arbeitnehmer genossen, sondern diesen auch geholfen, die vielfältigen rechtlichen und sozialen Sicherungen in diesem Lande zu nutzen, ihre Familien nachkommen zu lassen und ihre Kinder in eure Schulen zu schicken. Ihr habt euch bemüht, euch die besonderen Schwierigkeiten eurer Gäste bewußt zu machen; viele von euch haben bei ihren eigenen Mitbürgern auf vielerlei Ebenen um Verständnis für diese Nöte geworben. Auch die karitativen Einrichtungen der christlichen Kirchen Deutschlands haben einen großen Anteil an diesen Bemühungen. Alles, was bisher auf diesem Gebiet getan worden ist, verdient unser aller Dank und Anerkennung.
Die bisherige Entwicklung aber zeigt, daß eine noch stärkere Bewußtseinsänderung bei einem großen Teil der einheimischen Bevölkerung wünschenswert wäre. Zu lange haben viele geglaubt, die ausländischen Arbeitnehmer würden nur vorübergehend in die Industriegebiete kommen; ihre Anwesenheit wurde fast ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bewertet, als eine Frage des Arbeitsmarktes. Nun aber wird allen Einsichtigen klar, daß ein großer Anteil dieser Arbeitnehmer und ihrer Familien hier heimisch geworden ist und ständig bei euch leben möchte.
Das bedeutet einen tiefgreifenden Wandel für die Lebens- und Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland zusammen mit etlichen anderen westeuropäischen Ländern. Dem müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Rechnung tragen; darauf müssen sich alle in Gesinnung und Tat einstellen - ein keineswegs leicht und rasch zu vollziehender Prozeß. Ich weiß, daß die katholische Kirche in Deutschland bereit ist, dabei tatkräftig mitzuhelfen. Der entsprechende Beschluß der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland vom Jahre 1973 ist sicher eine gute Grundlage hierfür. Es muß bei all diesen Bestrebungen immer darum gehen, die Menschen aus anderen Ländern bei euch nicht nur als Arbeitnehmer mit wirtschaftlichen Maßstäben zu beurteilen, sondern dahinter den Mitmenschen mit seiner Würde und seinem Recht zu sehen, mit seiner Sorge für die Familie, mit seinem Anspruch, in all seinen Lebensbereichen ernst genommen zu werden und einen gerechten Anteil am Gemeinwohl zu erhalten.
5. Allerdings hat sich die Ausgangslage für alle gutwilligen Lösungsversuche in letzter Zeit bedrohlich verschärft: Die Wirtschaftsentwicklung in den Industrieländern stagniert, neue Ströme von Flüchtlingen ergießen sich über viele Länder und Meere und suchen nach Zufluchtsländern, weitere ungezählte Menschen fühlen sich politisch verfolgt oder diskriminiert und suchen Asyl, wo sie frei atmen können. Millionen von Menschen blicken heute, zu dieser Stunde, dem Hungertod ins Auge. Diese Lage wird in zunehmendem Maße solche Anstrengungen von den Verantwortlichen erfordern, daß die Grenze des Zumutbaren und des Erreichbaren bald in Sicht kommt. Noch ist es nicht soweit, aber wir müssen uns geistig darauf vorbereiten. Liegt hier nicht eine Herausforderung an die Politiker, die in einer gemeinsamen Anstrengung, über alle Partei- und Länderinteressen hinaus, angegangen werden müßte? Vor allem sollte jegliche aufkeimende Fremdenfeindlichkeit sorgsam beachtet werden, damit - auch mit Hilfe der Medien und aller Gestalter der öffentlichen Meinung - gegen blinde Angstgefühle und instinktive Abwehrreaktionen ein sachgerechter Realismus aufgeboten wird, der mutig genug ist, die Zeit des unbegrenzten Wachstums für beendet zu erklären und die Bevölkerung auf eine notwendige Beschränkung der Lebensmöglichkeiten für den einzelnen vorzubereiten. Auf die Dauer wird sich kein wohlhabendes Land vor dem Ansturm so vieler Menschen, die wenig oder gar nichts zum Leben haben, abriegeln können.
So wird es wahrscheinlich in Zukunft immer weniger möglich sein, daß der einzelne einheimische Bürger an den ausländischen Mitmenschen in seinem Land achtlos vorbeilebt und deren Belange den Sozialämtern und der Caritas überläßt. Jeder muß seine eigene Einstellung zu den Ausländern in seiner Nähe überprüfen und sich im Gewissen Rechenschaft geben, ob er in ihnen bereits den Menschen entdeckt hat mit der gleichen Sehnsucht nach Frieden und Freiheit, nach Ruhe und Sicherheit, deren Erfüllung wir für uns selbst so selbstverständlich beanspruchen.
6. Die katholische Kirche als ganze und auch die einzelnen Ortskirchen in den jeweiligen Ländern sind sich dieser Aufgabe wohl bewußt, die einen beständigen und vollen Einsatz erfordert. Ihr wißt, liebe Brüder und Schwestern, wie die Kirche den Christen unter euch schon seit langem eine Heimstatt für euren Glauben und einen Schutz für eure Menschenrechte geboten hat, indem sie Seelsorger aus der Heimat für die einzelnen Nationalitäten ernannte, die euch helfen, euren Glauben auch in einer neuen Umwelt zu leben und zu bezeugen. Die Kirche hat Sozialstellen eingerichtet, die euch in Rechtsfragen beraten und in Notfällen eine erste Hilfe besorgen. An diese große Schar von Priestern, Ordensschwestern und Laienhelfern, die euch im Auftrag Christi und seiner Kirche zur Seite stehen, möchte ich heute von hier aus ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung richten. Ihr habt das Los der Fremde auf euch genommen, um euren Landsleuten Stütze im Glauben zu sein; ihr seid wie gute Hirten der Herde gefolgt, um ihr Schutz zu geben. Damit lebt ihr in der Nachfolge. Zugleich möchte ich euch weiterhin zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den deutschen Diözesen und zur liebenden Mitsorge mit den einheimischen Priestern und Ordensleuten ermutigen. Dorthin sollt ihr ja schließlich eure Herde führen: in die Gemeinschaft der katholischen Christen, wie sie sich am Wohnort in der Pfarrgemeinde darstellt, die Raum gibt für eine Vielfalt von Menschen, vereint im selben Glauben an unseren Herrn Jesus Christus.
Aber nicht alle Gäste in diesem Land sind Christen; eine besonders große Gruppe bekennt sich zum Glauben des Islam. Auch euch gilt mein herzlicher Segensgruß! Wenn ihr mit aufrichtigen Herzen euren Gottesglauben aus eurer Heimat hierher in ein fremdes Land getragen habt und hier zu Gott als eurem Schöpfer und Herrn betet, dann gehört auch ihr zu der großen Pilgerschar von Menschen, die seit Abraham immer wieder aufgebrochen sind, um den wahren Gott zu suchen und zu finden. Wenn ihr euch auch in der Öffentlichkeit nicht scheut, zu beten, gebt ihr uns Christen dadurch ein Beispiel, das Hochachtung verdient. Lebt euren Glauben auch in der Fremde und laßt ihn euch von keinem menschlichen oder politischen Interesse mißbrauchen!
7. Liebe Brüder und Schwestern!
Ich hoffe, daß die meisten von euch die deutsche Sprache schon so gut beherrschen, daß ihr meine Worte verstanden habt. Sie kamen aus dem Herzen und der Einsicht des obersten Hirten der Kirche, der weiß, was Heimat sein kann, der aber auch davon überzeugt ist, wieviel einigende und bergende Kraft unser katholischer Glaube enthält, damit ihr unter euren einheimischen Glaubensbrüdern eine neue Heimat erlangen könnt. Ja, die Begegnung von Christen mit einer solchen Fülle von verschiedenen Ausdrucksformen desselben Glaubens kann sogar zu einer Bereicherung aller Beteiligten führen, zu einem neuen Staunen über die Fülle Gottes, die sich erst unvollkommen und doch schon so reich in der Kirche widerspiegelt, die ja als die eine lebt unter vielen Völkern. Möge unser aller Glaubenszeugnis so lebendig und kraftvoll sein, daß uns diese herrliche Erfahrung wahrer Katholizität immer wieder neu geschenkt wird!
Predigt bei der Hl. Messe für die Priester und Seminaristen (Fulda)
Verehrte Mitbrüder, Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, die ihr den Episkopat eures Heimatlandes bildet!
Meine in Christus geliebten Priester aus dem Presbyterium jeder Diözesankirche Deutschlands!
Liebe Diakone!
Liebe Alumnen aus den Priesterseminaren,
liebe Theologiestudenten!
1. Die Worte des Apostels Petrus, die wir heute in der zweiten Lesung dieser Liturgiefeier gehört haben, scheinen mir am Grab des hl. Bonifatius hier in Fulda einen besonderen Klang zu haben: ”Eure Ältesten ermahne ich, da ich ein Ältester bin wie sie und ein Zeuge der Leiden Christi und auch an der Herrlichkeit teilnehmen soll, die sich offenbaren wird: Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes“.
Schon neunzehn Jahrhunderte sind vergangen, seitdem diese Worte geschrieben wurden, und doch sprechen sie auch uns mit gleichbleibender Frische und Kraft an; mir scheint, sie verkünden uns sogar eine ganz besondere Botschaft in diesem Augenblick, da ihr hier seid, am Grab des Bischofs und Märtyrers, der der Hauptpatron Deutschlands ist, gerade ihr, auf die sich doch, gewiß in unterschiedlichem Maße, jene Aufforderung des Petrus bezieht: ”Sorgt für die Herde Gottes“.
Petrus, der als erster von Jesus, dem Guten Hirten, eine solche Aufforderung vernommen hat: ”Weide meine Schafe“, wendet sich als ”Mit-Ältester“ an all jene, die zusammen mit ihm die Hirten der Kirche seiner Zeit waren. Mit welch innerer Bewegung hören wir alle diesen Ruf, da wir heute die Hirten der Kirche sind, im zweiten Jahrtausend der Christenheit, das bald zu Ende geht! Ihr, die ihr, nach dem unterschiedlichen Grad eures Dienstes, als Bischöfe, Priester oder Diakone die Hirten der Kirche in eurem Heimatland seid! Und auch ihr, die ihr den Ruf Christi gehört habt und euch für den Hirtendienst der kommenden Zeit vorbereitet!
”Sorgt für die Herde Gottes“. Seid Hirten eurer Brüder und Schwestern in ihrem Glauben, ihrer Taufgnade und ihrer Hoffnung auf die selige Teilnahme an der ewigen Gnade und Liebe!
2. Petrus erinnert uns in seinem Brief an die Leiden Christi und ebenso an das Ostergeheimnis, dessen Zeuge er geworden ist. Mit diesem Zeugnis für das Kreuz und die Auferstehung verbindet er dann auch die Hoffnung auf die Teilnahme ”an der Herrlichkeit, die sich offenbaren wird“.
Die Berufung zu Hirten in der Kirche, ihr vielfältiger Dienst haben immer und überall ihre Wurzel im umfassenden Geheimnis Christi: Von ihm gehen sie aus und zu ihm führen sie hin; in ihm finden sie Kraft zum Wachsen und festen Halt; ihm dienen sie mit der Frucht ihrer Arbeit.
Dieses Geheimnis wird dann im echten Glauben angenommen, wenn diejenigen, die ihm dienen, Menschen gleichen, ”die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft“.
Hier geht es also um den Dienst, wach zu sein für den Herrn.
Als Jesus seine Leidenszeit begann, nahm er die Apostel mit sich in den Garten Getsemani, und drei von ihnen führte er noch weiter hinein und forderte sie auf, mit ihm zu wachen. Als sie aber, von Müdigkeit übermannt, eingeschlafen waren, kam er zu ihnen zurück und sagte: ”Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet“.
Der Dienst, den wir verrichten, liebe Brüder, ist also der, wach zu bleiben für den Herrn. Wachen bedeutet, bei dem anvertrauten Gut auszuharren. Das Gut, das uns anvertraut wurde, ist unendlich kostbar. Wir müssen ständig bei ihm ausharren. Wir müssen die Wurzeln unseres Glaubens, unserer Hoffnung und Liebe immer mehr in die ”Großtaten Gottes“ hineinsenken; wir müssen uns immer tiefer mit der Offenbarung des Vaters in Christus identifizieren; wir müssen schließlich immer feinfühliger für das Wirken des Heiligen Geistes werden, den der Herr uns geschenkt hat und durch uns noch weiter schenken möchte, durch unseren Dienst, unsere Heiligkeit, unsere priesterliche Identität.
In gleicher Weise müssen wir eine immer tiefere Empfindung für die Größe des Menschen haben, wie sie uns im Gehemnis der Menschwerdung und der Erlösung eröffnet worden ist: wie kostbar jede Menschenseele ist und wie reich die Schätze der Gnade und der Liebe.
Dann werden wir den Hinweisen des Petrus entsprechen können, der uns beschwört, unseren Dienst zu verrichten ”nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will, ... aus Neigung, ... (als) Vorbilder für die Herde“.
3. Schauen wir auf so viele hervorragende Bischöfe und Priester, die aus diesem Land hervorgegangen sind; ich nenne nur einige aus der neueren Geschichte: Bischof von Ketteler und Adolf Kolping - die Kardinäle von Galen, Frings, Döpfner und Bengsch - Pater Alfred Delp und der Neupriester Karl Leisner - Karl Sonnenschein und Pater Rupert Mayer - Romano Guardini und Pater Kentenich.
Betrachten wir sie genauer! Sie alle zeigen uns, was dieses ”Wachen“ meint; was es bedeutet, ”gegürtet“ zu sein und ”in der Hand eine Lampe“ zur tragen; wie man ”der treue und kluge Knecht (sein kann), den der Herr eingesetzt hat, damit er den Leuten zur rechten Zeit gibt, was sie zum Essen brauchen“.
Diese und viele andere vorbildliche Priester der Kirche eures Landes können uns aufzeigen, wie unserer Berufung und all unserem Dienst als Bischof, Priester oder Diakon jenes herrliche Geheimnis des menschlichen Herzens zugrunde liegt: das Geheimnis der Freundschaft mit Christus, und wie durch die Kraft dieser Freundschaft die wahre Hirtenliebe zum Menschen wächst, eine reine, selbstlose Liebe, nach der die heutige Welt so sehr dürstet, und in besonderem Maße die junge Generation.
Ich weiß, ungezählte Priester der Kirche eures Landes erfahren die Freude und das Glück solcher tiefen Geistesverwandschaft mit Jesus Christus. Aber ich weiß ebenso, daß Stunden der Bedrängnis, der Erschöpfung und der Ratlosigkeit, der Überforderung und der Enttäuschung genauso zum heutigen Leben der Priester gehören. Ich bin überzeugt, dies gehört auch zum Leben von solchen Priestern, die sich mit ganzer Kraft bemühen, ihrer Sendung treu zu sein, die mit großer Gewissenhaftigkeit den Aufgaben ihres Dienstes entsprechen. Muß es uns eigentlich wundern, daß derjenige, der in seiner Sendung so tief mit Jesus Christus verbunden ist, auch an den Olberg-Stunden Jesu Anteil hat?
4. Welche Arznei kann ich euch in dieser Lage anbieten? Nicht äußere Vermehrung von Aktivitäten, nicht krampfhafte Anstrengung, sondern eine tiefere Einkehr in die Mitte eurer Berufung, eben zu jener Freundschaft mit Christus und zur Freundschaft miteinander. Durch sie will Christus selber als der Freund aller in eurer Mitte und in der Mitte eurer Gemeinden sichtbar werden. ”Nicht Knechte nenne ich euch, sondern Freunde!“. Dieses Wort, das euch von eurer Priesterweihe her noch im Herzen klingt, soll der Grundton eures Lebens sein. Dem Freund darf ich alles sagen, alles persönlich anvertrauen: alle Sorgen und Nöte, auch die ungeklärten Probleme und die schmerzlichen Erfahrungen mit mir selbst. Ich darf leben aus seinem Wort, aus den Sakramenten der Eucharistie und - nicht zuletzt - der Buße. Das ist der Grund, auf dem ihr steht.
Habt Vertrauen zu Jesus Christus, daß er euch nicht verläßt, daß er euren Dienst trägt, auch wo ihr äußerlich nicht sofort Erfolg seht. Glaubt ihm, daß er zwar alles von euch erwartet, aber eben so, wie ein Freund es von seinen Freunden erwartet.
Freundschaft mit Jesus Christus, das ist auch der tiefste Grund, weshalb ein Leben in Ehelosigkeit, ja insgesamt im Geist der evangelischen Räte für den Priester so wichtig ist. Das Herz und die Hände frei haben für den Freund Jesus Christus, ungeteilt für ihn da sein und seine Liebe zu allen tragen, das ist ein Zeugnis, das nicht im ersten Augenblick von allen verstanden wird. Aber wenn wir dieses Zeugnis von innen her erfüllen, wenn wir es leben als Daseinform der Freundschaft zu Jesus, dann wird auch das Verständmis für diese Lebensform, die im Evangelium gründet, in der Gesellschaft wieder wachsen.
Die Freundschaft mit Jesus hat als Frucht und Konsequenz die Freundschaft miteinander. Die Priester bilden ein Presbyterium um ihren Bischof. Der Bischof ist jener, der auf besondere Weise für euch und mit euch Christus darstellt. Wer Freund Christi ist, der kann an der Sendung des Bischofs nicht vorbeigehen. Ja, er wird sensibel dafür, seine eigenen Meinungen und Maßstäbe nicht auszuspielen gegen die Sendung, die Christus dem Bischof gegeben hat. Die Einheit mit dem Bischof und die Einheit mit dem Nachfolger Petri sind das feste Fundament einer Treue, welche ohne die Freundschaft Christi nicht gelebt werden kann. Diese Einheit ist auch eine Voraussetzung dafür, daß unser Dienst, der Dienst der Bischöfe und des Papstes, euch gegenüber in offener, brüderlicher und verständisvoller Zuwendung geschehen kann.
Aber diese Freundschaft verlangt noch nach mehr. Sie verlangt nach jener brüderlichen Offenheit zueinander, nach jenem Mittragen der Lasten des einen durch den anderen, verlangt nach jenem gemeinsamen Zeugnis, in dem Urteilen, Prestigedenken, Mißtrauen überwunden werden. Ich bin überzeugt, wenn ihr aus dem Geist der Freundschaft und Mitbrüderlichkeit euren Dienst tut, dann werdet ihr weit mehr erreichen, als wenn jeder für sich allein wirken will. In der Kraft einer solchen Freundschaft mit dem Herrn werdet ihr ”wachen“ können, wie es der Herr im Evangelium von den ”guten Knechten“ erhofft.
5. Dieses ”Wachsein“ des Knechtes - des Freundes - im Warten auf den Herrn bezieht sich auf die letzte Zukunft in Gott und zugleich auf den Lauf dieser Geschichte, auf jeden Augenblick. Der Herr kann kommen ”zur Mitternacht oder auch beim Morgengrauen“.
Durch die Unterweisung des II. Vatikanischen Konzils hat die ganze Kirche deutlich gemacht, daß sich ihre Sendung auf die jeweilige Gegenwart richtet, das heißt auf eine Welt, die sich ständig entwickelt, und vor allem auf die Erwartungen des Menschen in dieser Welt: auf seine Freude und Hoffnung, aber auch seine Irrtümer und Fehler.
Der Dienst des wachen und aufmerksamen Hirten bedeutet also zugleich, die Augen weit zu öffnen für alles Gute und Echte, für alles Wahre und Schöne, aber auch für alles Schwere und Leidvolle im Leben der Menschen, und dies voller Liebe, voller Bereitschaft, nahe und solidarisch zu sein bis zum Einsatz des Lebens.
Der wachsame Hirtendienst besagt auch die Bereitschaft zur Verteidigung vor dem reißenden Wolf - wie im Gleichnis vom Guten Hirten - oder vor dem Dieb, damit er nicht das Haus plündere. Ich meine damit nicht einen Seelsorger, der mit unbarmherzig scharfem Auge und voller Mißtrauen auf die ihm anvertraute Herde schaut, sordern einen Hirten, der von Sünde und Schuld durch das Angebot der Versöhnung befreien will, der vor allem das Sakrament der Wiederversöhnung, das Bußsakrament, den Menschen schenkt. ”An Christi Statt“ darf und soll der Priester einer unversöhnten und unversöhnlich scheinenden Welt zurufen: ”Laßt euch mit Gott versöhnen!“.
Hierdurch offenbaren wir den Menschen das Herz Gottes, des Vaters, und sind so ein Abbild Christi, des Guten Hirten. Unser ganzes Leben kann dann zum Zeichen und Werkzeug der Versöhnung werden, zum ”Sakrament“ der Einheit zwischen Gott und den Menschen.
Zusammen mit mir werdet ihr jedoch mit schmerzlicher Sorge feststellen, daß der persönliche Empfang des Bußsakramentes in euren Gemeinden während der letzten Jahre sehr stark zurückgegangen ist. Herzlich bitte ich euch, ja ich ermahne euch, alles zu tun, daß der Empfang des Bußsakramentes in der persönlichen Beichte wieder selbstverständlich wird für alle Getauften.
Dahin wollen die Bußgottesdienste führen, die einen sehr wichtigen Platz in der Bußpraxis der Kirche einnehmen, aber unter normalen Bedingungen nicht den persönlichen Empfang des Bußsakramentes ersetzen können. - Bemüht euch aber auch selbst um den regelmäßigen Empfang des Bußsakramentes.
6. Die Wachsamkeit des Guten Hirten wird von euch erwartet für des Herzstück jeder priesterlichen Tätigkeit, die Feier der heiligen Liturgie. Gerade nach der umfassenden Neuordnung der Gottesdienstformen ergeben sich für euch wichtige seelsorgliche Aufgaben. Ihr müßt euch zunächst selbst die einzelnen approbierten Riten durch Studium und aufmerksame Einübung aneignen. Ihr sollt ja in der Lage sein, als Liturgen dem tieferen Glauben, der festeren Hoffnung und der größeren Liebe im Volk Gottes zu dienen. Ich möchte euch für alle Mühe danken, die ihr bisher schon für diese wichtigen Ziele aufgebracht habt und deren gute Früchte ich selbst schon unter euch erfahren durfte. Um so bedauerlicher ist es, daß die Feier des Mysteriums Christi hier und da, statt Einheit mit Christus und untereinander zu stiften, Entzweiung und Streit verursacht. Nichts widerspricht dem Willen und dem Geist Christi mehr als das.
Ich bitte euch darum, meine priesterlichen Brüder und Freunde, den Weg der Kirche, den sie in Treue zu ihrer alten Tradition heute zu gehen beschlossen hat, in Verantwortung mitzugehen und ihn von allen verfälschenden Subjektivismen frei zu halten. Ich möchte jedoch auch betonen, daß die liturgischen Sonderregelungen, die die deutschen Bischöfe aus pastoralen Überlegungen erbeten haben, vom Apostolischen Stuhl gewährt wurden und darum Rechtens sind.
Bemüht euch vor allem, in Eintracht mit der ganzen Gemeinschaft der Kirche in einer ehrfürchtigen und gläubigen Feier des Gottesdienstes Jesus Christus zu verkünden, dem ihr selbst in Freundschaft verbunden seid.
7. Verehrte Brüder, liebe Söhne im Herrn! Wie sehr müssen wir unseren Dienst und unsere Berufung lieben! Dies sage ich euch allen: euch Älteren, die ihr unter der Last der Arbeit vielleicht schon müde und erschöpft seid, euch, die ihr noch auf der Höhe eurer Kraft steht, und euch, die ihr gerade dabei seid, euren priesterlichen Weg zu beginnen. Ich meine es zugueich auch für euch Jüngere, die ihr in euch den geheimnisvollen Ruf Christi vernehmt: ich möchte euch dazu ermutigen, diesen Ruf noch fester und tiefer in euer Leben hereinzunehmen und ihm endgültig und für immer zu folgen.
Vom Wunder dieser Berufung spricht uns heute besonders deutlich die 1. Lesung der Liturgie aus dem Propheten Jeremia. Ein unerhörter, aber realer Dialog zwischen Gott und dem Menschen.
Gott - Jahwe - sagt: ”Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen; noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt; zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt“.
Der Mensch - Jeremia - antwortet: ”Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin noch zu jung“.
Gott - Jahwe - erwidert: ”Sag nicht: Ich bin noch zu jung! Wohin ich dich sende, sollst du gehen, und was ich dir auftrage, sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir und werde dich schützen“.
Wie tief ist die Wahrheit, die in diesem Dialog liegt! Wir sollten sie unbedingt zur Wahrheit unseres eigenen Lebens machen! Wir müssen sie mit beiden Händen und mit ganzem Herzen ergreifen, sie leben, sie zum Gegenstand unseres Betens machen und mit ihr durch und durch eins werden!
Hier ist uns zugleich die theologische und psychologische Wahrheit über unser Leben gesagt: der Mensch, der seine Berufung und Sendung erkennt, spricht zu Gott von seiner Schwäche.
8. Die verschiedenen Vertreter eines Priesterbildes, das sich von jenem Bild unterscheidet, wie es von der Kirche entwickelt und hauptsächlich in der westlichen Tradition bewahrt worden ist, scheinen heute oft diese Schwäche zum Grundprinzip alles anderen zu machen, indem sie diese fast zu einem Menschenrecht erklären.
Christus hingegen hat uns gelehrt, daß der Mensch vor allem ein Recht zur eigenen Größe hat, ein Recht, auf das, was ihn eigentlich überragt. Denn gerade hierin zeigt sich besondere Würde; hierbei offenbart sich die herrliche Macht der Gnade: unsere wahre Größe ist ein Geschenk aus der Kraft des Heiligen Geistes.
In Christus hat der Mensch nun ein Anrecht auf solche Größe. Und die Kirche hat durch denselben Christus ein Anrecht auf das Geschenk dieses Menschen: auf eine Gabe, durch die der Mensch sich selbst ganz an Gott verschenkt, bei der er auch den Zölibat erwählt ”um des Himmelreiches willen“, um der Diener aller zu werden.
Der Mensch und die Kirche haben hierauf ein Anrecht. Wir sollten diese Gewißheit und Überzeugung in uns nicht schwächen! Wir dürfen dieses erhabene Erbe der Kirche nicht auflösen und es in den Herzen junger Meschen nicht behindern. Gebt das Vertrauen auf Gott und auf Christus nicht auf! Der Herr sagt: ”Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir und werde dich schützen“. Nach diesen Worten berührt der Herr den Mund des Menschen und spricht: ”Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund“. Haben wir es nicht genauso erfahren? Legt er nicht während der Priesterweihe seine Worte - die Worte der eucharistischen Wandlung - in unseren Mund? Siegelt er nicht diesen Mund und den ganzen Menschen mit der Kraft seiner Gnade?
Mit uns sind auch die Heiligen der Kirche: die Patrone eurer Diözesen, die großen Seelsorger eures Landes, die berühmten Frauen der Nächstenliebe und vor allem Maria, die Mutter der Kirche.
Wenn der Evangelist Lukas nach der Himmelfahrt des Herrn die Gemeinde der Jünger beschreibt, ihr beharrliches und einmütiges Gebet, erwähnt er ausdrücklich: ”Mit Maria, der Mutter Jesu“. Sie, die Mutter des Herrn, die Mutter aller Glaubenden, die Mutter auch der Priester, will mit uns sein, damit wir im Heiligen Geist immer wieder in diese Welt und zu den Menschen mit ihren Nöten gesandt werden können.
9. Verehrte Mitbrüder, liebe Söhne im Herrn!
Die liturgischen Lesungen dieser Feier nennen uns schließlich auch den Lohn für die Hirten, die wach bleiben. Der Apostel Petrus spricht vom ”unvergänglichen Kranz der Herrlichkeit“.
Noch eindrucksvoller sind jedoch die Worte Christi im Gleichnis von den wachsamen Knechten: ”Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt. Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen. Und kommt er um Mitternacht oder beim Morgengrauen und findet sie wach: selig sind sie“.
Laßt mich diese Worte so stehenlassen und nichts hinzufügen. Ich möchte sie aber eurem Beten und Betrachten herzlich anvertrauen. Amen.
Dienstag, den 18. November 1980
An die Deutsche Bischofskonferenz (Fulda)
Verehrte, liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
1. Unsere heutige denkwürdige Begegnung am Grab des hl. Bonifatius erfolgt vor dem Hintergrund einer reichen und großen, vom Christentum maßgeblich mitgeprägten Geschichte des deutschen Volkes. Von vielfältigen Kräften geformt, hat es im Verlauf der Jahrhunderte weit über seine Grenzen hinaus mannigfache Impulse religiöser, kultureller und politischer Art gegeben. Ich brauche hier nur an den geschichtsträchtigen ehrenvollen Namen ”Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ zu erinnern.
Sieben Päpste hat euer Volk, einschließlich die heutigen Niederlande, der Kirche geschenkt, von denen die Geschichte berichtet, daß sie ihren Dienst als oberste Hirten der Christenheit - auch in größten äußeren und inneren Wirren der Zeit - gewissenhaft ausgeübt haben. Ein fast ihnen allen gemeinsames Hauptanliegen ihrer oft nur kurzen Pontifikate war die Erneuerung der Kirche. Eine besondere Erwähnung verdient das eifrige Bemühen von Papst Hadrian VI. um die Erhaltung und Wiederherstellung der Einheit der Christenheit. Manche von ihnen haben auch als Päpste ihrer deutschen Heimat und ihren früheren Diözesen einen persönlichen Besuch abgestattet.
Die innere Erneuerung des religiösen und kirchlichen Lebens und das ökumenische Bemühen um die Annäherung und Verständigung der getrennten Christen bilden die Hauptanliegen auch meiner apostolischen Reisen in die verschiedenen Ortskirchen und Kontinente. Sie sind es ebenso bei meinem Pastoralbesuch in der Kirche eures Landes und bei dieser unserer heutigen Begegnung. Die geistige Erneuerung der Kirche und die Einheit der Christen sind der ausdrückliche Auftrag des II. Vatikanischen Konzils, dem Papst, Bischöfe, Priester und Gläubige gleichermaßen verpflichtet sind. Sich diesen Aufgaben in gemeinsamer Verantwortung zu stellen, ist das vordringliche Gebot der Stunde. Sie sind die große Herausforderung und Pflicht vor allem unserer kollegialen Verantwortung als Hirten der Kirche. Ihnen wollen auch meine folgenden Überlegungen und Ausführungen gelten und dienen.
Von der ersten Stunde meines Pontifikates an verstand ich das oberste Hirtenamt insbesondere als Dienst an der Kollegialität der Bischöfe, die vereint sind mit dem Nachfolger Petri, und ich verstand umgekehrt die ”collegialitas effectiva et affectiva“ der Bischöfe als eine wichtige Hilfe für meinen eigenen Dienst.
So drängt es mich, wenn ich euer Land besuche, meine communio mit euch zum Ausdruck zu bringen und sie durch mein Zeugnis zu bestärken. Dabei gehen meine Gedanken zurück in den September 1978, als ich hier, im selben Raum in Fulda, zum brüderlichen Austausch zwischen den Episkopaten meines Heimatlandes Polen und eures Landes unter euch weilte. Es freut mich, dieselben Gesichter wiederzusehen, und zugleich geht mein betendes Gedenken zu jenen, die seither der Herr aus unserer Mitte zu sich gerufen hat. Schließlich möchte ich auch jene Mitbrüder besonders begrüßen, die in der Zwischenzeit in eurem Lande neu aufgenommen wurden in das Kollegium der Nachfolger der Apostel.
2. Habt Mut zum gemeinsamen Zeugnis.
”Wenn wir schon zu Recht jeden Menschen und in besonderer Weise jeden Christen mit “Brüder” anreden, so erhält dieses Wort“, wie ich in meinem Brief an alle bischöflichen Mitbrüder in der Welt zum Gründonnerstag 1979 geschrieben habe, ”für uns Bischöfe und unsere gegenseitigen Beziehungen doch eine ganz besondere Bedeutung: es knüpft gewissermaßen unmittelbar an jene brüderliche Gemeinschaft an, die die Apostel um Christus einte“.
Ich bin froh und dankbar, daß ich in eurer Konferenz bei mannigfachen Gelegenheiten schon diese Einheit mit dem Nachfolger Petri und diese Einmütigkeit miteinander erfahren habe. Ich möchte euch in dieser Haltung nachdrücklich bestärken. Und so sage ich euch: Laßt euch nicht durch die oftmals gehörte Meinung beirren, ein hohes Maß an Einmütigkeit innerhalb einer Bischofskonferenz gehe auf Kosten der Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit bischöflichen Zeugnisses. Das Gegenteil ist der Fall. Sicher soll jeder in einer brüderlichen Atmosphäre sich selbst ohne Angst und Vorbehalt einbringen, sicher soll jeder mit seinem eigenen Beitrag die Einheit des Leibes aufbauen helfen, der vielerlei Gaben umfängt. Aber die Fruchtbarkeit dieser Dienste und Gaben hängt davon ab, daß sie sich einfügen in das eine Leben aus dem einen Geist.
3. Seid liebend besorgt um die Einheit des Presbyteriums in jedem Bistum.
Die Erwartungen und Anforderungen an die Priester sind in den letzten Jahrzehnten in einer sie belastenden Weise gewachsen. Durch die geringer werdende Priesterzahl kommen mehr Aufgaben auf sie zu. Durch die vielen beruflichen und ehrenamtlichen Dienste der Laien in der Seelsorge werden die Priester in ihrer Aufgabe geistlicher Führung noch mehr gefordert. In einer Gesellschaft, die von einem immer dichteren Kommunikationsnetz umspannt ist, wird für den Priester eine immer vielseitigere geistige Auseinandersetzung notwendig. Viele Priester verzehren sich in Arbeit, werden aber einsam und verlieren die Orientierung. Um so wichtiger ist es, daß die Einheit des Presbyteriums gelebt und erfahrbar wird. Stützt alles, was die Priester bestärkt, einander zu begegnen und zu helfen, miteinander aus dem Wort und Geist des Herrn zu leben.
Drei Dinge liegen mir hier besonders am Herzen:
1) Die Seminare. Sie sollen Pflanzstätten echter priesterlicher Gemeinschaft und Freundschaft sowie Ort einer klaren, tragfähigen Entscheidung fürs Leben sein.
2) Die Theologie soll zum Glaubenszeugnis befähigen und zur Glaubensvertiefung führen, so daß die Priester die Fragen der Menschen, aber auch die Antworten des Evangeliums und der Kirche verstehen.
3) Die Priester sollen Hilfe erfahren, den hohen Anspruch des zölibatären Lebens und der Hingabe an Christus und die Menschen zu erfüllen und durch die priesterliche Einfachheit, Armut und Verfügbarkeit zu beglaubigen. Gerade geistliche Gemeinschaft kann hier wertvolle Dienste leisten.
4. Nehmt das Gebet des Hohenpriesters Christus, daß alle eins seien, als einen drängenden Auftrag ernst, die Spaltung der Christenheit zu überwinden.
Ihr lebt im Ursprungsland der Reformation. Euer kirchliches und gesellschaftliches Leben ist tief geprägt von der nun schon über viereinhalb Jahrhunderte dauernden Kirchenspaltung. Ihr dürft euch damit nicht abfinden, daß die Jünger Christi vor der Welt nicht das Zeugnis der Einheit geben.
Unverbrüchliche Treue zur Wahrheit, hörende Offenheit für den anderen, nüchterne Geduld auf dem Weg, feinfühlige Liebe sind erforderlich. Der Kompromiss zählt nicht; nur jene Einheit trägt, die der Herr selber gestiftet hat: die Einheit in der Wahrheit und in der Liebe.
Man hört heute immer wieder sagen, die ökumenische Bewegung der Kirchen aufeinanderzu stagniere, nach dem Frühling des konziliaren Aufbruches sei eine Epoche der Abkühlung angebrochen. Trotz mancher bedauerlicher Erschwernisse kann ich diesem Urteil nicht zustimmen.
Die Einheit, die aus Gott kommt, ist uns geschenkt am Kreuz. Wir dürfen das Kreuz nicht umgehen wollen, indem wir unter Ausklammerung der Wahrheitsfrage zu raschen Harmonisierungsversuchen im Unterscheidenden schreiten. Wir dürfen aber auch nicht einander aufgeben, nicht voneinander lassen, weil das Näherkommen von uns die geduldige und leidende Liebe des Gekreuzigten abfordert. Lassen wir uns vom mühsamen Weg nicht abbringen, um entweder stehenzubleiben oder aber scheinbar kürzere Wege zu wählen, die Abwege sind.
Ökumenische Bewegung, Mühen um die Einheit darf sich nicht nur auf die aus der Reformation hervorgehenden Kirchen beschränken - auch in eurem Land ist das Gespräch und brüderliche Verhältnis zu den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, etwa den Kirchen der Orthodoxie, von höchster Bedeutung. Dennoch ist das Gedenken an die vor 450 Jahren veröffentlichte ”Confessio Augustana“ ein besonderer Anruf zum Dialog mit der reformatorisch geprägten Christenheit, die einen so großen Anteil an der Bevölkerung und Geschichte eures Landes hat.
5. Sammelt Gottes Volk, wehrt einem falschen Pluralismus, stärkt die wahre communio.
Vom hohen Wert der brüderlichen Einheit im Kollegium der Bischöfe und im Presbyterium habe ich bereits gesprochen. Diese Einheit soll aber die Seele sein, aus welcher auch die Einheit des ganzen Gottesvolkes in allen Gemeinden lebt. Es geht keineswegs darum, die legitime Vielfalt von Ausdrucksweisen der Spiritualität, der Frömmigkeit, der theologischen Schulen zurückzudämmen oder einzugrenzen. Aber alles dies soll ein Ausdruck der Fülle und nicht ein Ausdruck der Armut des Glaubens sein.
Die Verkündigung und auch das kirchliche Leben können sich in eurer Gesellschaft, Gott sei es gedankt, nach außen hin frei entfalten. Und doch ist die Auseinandersetzung, in die ihr gerufen seid, anspruchsvoll. Manchmal finden sich die Menschen geistig in der Situation eines Warenhauses, in dem alle möglichen Güter angepriesen und zur Selbstbedienung angeboten sind. So mischen sich in den Lebensanschauungen vieler Menschen bei euch Elemente christlicher Tradition mit ganz anderen Auffassungen. Die äußere Freiheit, das zu denken und zu sagen, was man will, wird mitunter verwechselt mit der inneren Beliebigkeit der Überzeugung; an die Stelle einer klaren Orientierung tritt die Indifferenz gegenüber so vielen Meinungen und Deutungen.
Was aber ist insgesamt eure Aufgabe und eure Chance angesichts der gezeichneten Situation?
Ich möchte euch zwei Worte zurufen. Zunächst: Verkündet das Wort in aller Eindeutigkeit, unbeirrt um Beifall oder Ablehnung! Nicht wir befördern letztlich Erfolg oder Mißerfolg des Evangeliums sondern Gottes Geist. Die Gläubigen und die Nichtglaubenden haben ein Recht darauf, eindeutig die authentische Botschaft der Kirche zu hören.
Das zweite: Verkündet das Wort mit der ganzen hingebenden, suchenden, verstehenden Liebe des Guten Hirten. Hort auf die Fragen, welche jene stellen, die meinen, in Jesus Christus und seiner Kirche keine Antwort mehr zu finden. Glaubt fest daran, daß Jesus Christus sich gleichsam mit jedem Menschen verbunden hat und daß jeder Mensch sich selbst, seine echten menschlichen Werte und Fragen, in ihm wiederfinden kann.
Zwei Gruppen möchte ich eurer Hirtensorge besonders anempfehlen: Einmal sind es jene, die aus den Impulsen des II. Vatikanischen Konzils den falschen Schluss gezogen haben, der Dialog, in den die Kirche eintritt, sei unverträglich mit der eindeutigen Verbindlichkeit kirchlicher Lehre und Norm, mit der Vollmacht des unverfügbar aufgrund der Sendung Christi der Kirche eingestifteten hierarchischen Amtes. Zeigt, daß beides zusammengehört: Treue zur unverfügbaren Sendung und Nähe zum Menschen mit seinen Erfahrungen und Fragen.
Die andere Gruppe: jene, die - teilweise aufgrund ungemäßer oder zu unbedacht gezogener Konsequenzen aus dem II. Vatikanischen Konzil - in der Kirche von heute sich nicht beheimatet fühlen oder sich gar von ihr abzuspalten drohen. Hier gilt es, mit aller Entschiedenheit, aber zugleich mit aller Behutsamkeit diesen Menschen die Erfahrung zu vermitteln, daß die Kirche des II. Vaticanum und des I. Vaticanum und des Tridentinum und der ersten Konzilien die eine und selbe Kirche ist.
Die Bedeutung gediegener Glaubensvermittlung ist hier nicht zu überschätzen. Wie dankbar bin ich über das, was sich in der sogenannten Gemeindekatechese bei euch bewährt hat: Gläubige bezeugen den Glauben, geben ihn anderen weiter!
Die gezeichnete Glaubenssituation fordert freilich insbesondere die Priester selbst heraus. Wird überall im Lauf einiger Jahre wirklich für alle das ganze Glaubensgut, wie die Kirche es vorlegt, verkündet? Ermutigt dazu, tragt dafür Sorge. Und kümmert euch nach Kräften ebenso darum, daß Religionsunterricht und Katechese jenen den Weg des Glaubens und des Lebens mit der Kirche erschließen, die in einer oft so anderen Alltagserfahrung aufwachsen.
6. Setzt euch mit aller Kraft dafür ein, daß die unverbrüchlichen Maßstäbe und Normen christlichen Handelns ebenso eindeutig wie einladend zur Geltung im Leben der Gläubigen kommen.
Zwischen den Lebensgewohnheiten einer säkularisierten Gesellschaft und den Forderungen des Evangeliums tut sich eine tiefe Kluft auf. Viele wollen sich am kirchlichen Leben beteiligen, finden aber keinen Zusammenhang mehr zwischen ihrer Lebenswelt und den christlichen Prinzipien. Man glaubt, die Kirche halte nur aus Starrheit an ihren Normen fest, und dies verstoße gegen jene Barmherzigkeit, die uns Jesus im Evangelium vorlebt. Die harten Forderungen Jesu, sein Wort: ”Gehe hin und sündige nicht mehr!“ werden übersehen. Oft zieht man sich auf das persönliche Gewissen zurück, vergißt aber, daß dieses Gewissen das Auge ist, welches das Licht nicht aus sich selber besitzt, sondern nur, wenn es zur authentischen Quelle des Lichtes hinblickt.
Ein weiteres: Angesichts aller Technisierung, Funktionalisierung und Organisation erwacht ein tiefes Mißtrauen gerade in der jüngeren Generation gegen Institution, Norm und Regelung. Man setzt die Kirche mit ihrer hierarchischen Verfassung, mit ihrer geordneten Liturgie, mit ihren Dogmen und Normen gegen den Geist Jesu ab. Aber der Geist braucht Gefäße, die ihn wahren und weitergeben.
Christus selbst ist Ursprung jener Sendung und Vollmacht der Kirche, in denen seine Verheißung sich erfüllt: ”Ich bleibe bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“.
Liebe Mitbrüder, haltet alle Not und Frage der Menschen in eurem Herzen gegenwärtig - und verkündet gerade da hinein unbeirrt die Forderung Jesu ohne Abstriche... Tut dies, weil euch am Menschen liegt. Nur der Mensch, der zu einer ganzen und endgültigen Entscheidung fähig ist, der Mensch, bei dem Leib und Seele übereinstimmen, der Mensch, der für sein Heil seine ganze Kraft einzusetzen bereit ist, ist gefeit gegen die heimliche Zersetzung der menschlichen Grundsubstanz.
Schenkt ein besonderes Augenmerk darum der Jugend, in der so viel verheißungsvoller Aufbruch, aber auch so viel Entfremdung von der Kirche zu beobachten ist! Wendet euch den Ehen und Familien mit besonderer Sorgfalt und Herzlichkeit zu - die Bischofssynode, die soeben in Rom zu Ende gegangen ist, darf nicht Theorie bleiben, sondern muß sich mit Leben füllen. Die Entfremdung großer Teile der arbeitenden Bevölkerung von der Kirche, der Abstand zwischen Intellektuellen und Kirche, die Not der Frau um ihr christlich und menschlich in so veränderten Bedingungen voll angenommenes, verwirklichtes, erfülltes Wesen: diese Stichworte erweitern das Feld unseres gemeinsamen Bemühens, damit die Menschen auch morgen glauben.
Ich bin überzeugt, daß ein Aufschwung des sittlichen Bewußtseins und christlichen Lebens eng, ja unlöslich an eine Bedingung gebunden ist: an die Belebung der persönlichen Beichte. Setzt hier eine Priorität eurer pastoralen Sorge!
7. Lenkt euer besonderes Augenmerk auf die Zukunft der geistlichen Berufe und pastoralen Dienste.
Nach menschlichem Ermessen wird sich bei euch die Zahl jener Priester, die für den Dienst in der Pastoral zur Verfügung stehen, binnen eines Jahrzehnts um ein gutes Drittel verringern. Ich teile von Herzen die Sorge, die euch das macht. Ich bin mit euch der Überzeugung, daß es gut ist, mit allen Kräften den Dienst des Ständigen Diakons und auch den zumal ehrenamtlichen, aber auch beruflichen Dienst der Laien für die Aufgaben der Pastoral zu fördern. Doch der Dienst des Priesters kann nicht durch andere Dienste ersetzt werden. Eure Tradition der Seelsorge läßt sich nicht einfachhin vergleichen mit den Verhältnissen in Afrika oder Lateinamerika. Und doch gibt es mir zu denken, daß ich dort weithin einen größeren Optimismus bei wesentlich geringeren Zahlen von zur Verfügung stehenden Seelsorgern angetroffen habe als im westlichen Europa. Ich halte es für eine der wichtigsten Pflichten, mit dem ganzen Einsatz des Gebetes und des geistlichen Zeugnisses alles zu tun, daß der Ruf Gottes an junge Menschen, sich in ungeteiltem Dienst dem Herrn zur Verfügung zu stellen, hörbar wird, daß die Voraussetzungen in der Familie, in den Gemeinden, in den Vereinigungen junger Menschen dazu wachsen. Aber eine Panik angesichts der schweren Situation verstellt uns den nüchternen Blick für das, was der Herr von uns will. Daß der Sinn für die evangelischen Räte und für die priesterliche Ehelosigkeit weithin abnimmt, bedeutet ebenso einen geistlichen Notstand wie der Priestermangel. Sicher ist das Heil des Seelen das oberste Gesetz. Aber dieses Heil der Seelen erfordert gerade, daß wir auch die Gemeinden selber aktivieren, daß wir jeden Getauften und Gefirmten zum Glaubenszeugnis ermuntern, daß wir die geistliche Lebendigkeit in unseren Familien, Gruppen, Gemeinden und Bewegungen fördern. Dann wird der Herr sprechen und rufen können - und wir hören.
Ich habe auf die große Bedeutung des Presbyteriums um den Bischof hingewiesen. Könnte nicht durch ein dichteres Miteinander der Priester der geistliche Dienst wirksamer wahrgenommen werden? Ich möchte hier nochmals auch auf die große Bedeutung der geistlichen Gemeinschaft von Priestern hinweisen, die den einzelnen aus Überforderung und Isolierung zu befreien vermag. In dem Maße, wie ihr aus geistlicher Gesinnung einmütig und eindeutig für das gemeinsame Zeugnis des Presbyteriums in der Ehelosigkeit und für eine Lebensform aus dem Geist der evangelischen Räte eintretet, wird der Herr mit seinen Gnadengaben nicht sparen.
8. Tragt Sorge für ein weltweites Herz und einen weltweiten Blick eurer Gläubigen.
Laßt mich an meinen Appell zum Berliner Katholikentag anknüpfen: Helft mit beim Aufbau einer weltweiten ”Zivilisation der Liebe“! Ich möchte zunächst auf die Dimension des ”Weltweiten“ hinweisen. Christsein und Menschsein heute müssen universal, müssen ”katholisch“ sein. Verbindet mit dem Einsatz eurer materiellen Hilfsbereitschaft auch den Einsatz eurer geistigen und geistlichen Kräfte fürs Ganze und seid auch bereit zu empfangen und zu lernen! Es gibt so viel an unverbrauchter Menschlichkeit, an geistlicher Erfahrung, an aufbauendem Glaubenszeugnis in den jungen Kirchen, daß unser müde werdendes Abendland davon jung und neu zu werden vermag.
Wir können freilich nicht absehen von einer schmerzlichen Realität. In vielen Teilen der Welt ist die Kirche verfolgt, werden viele Christen, viele Menschen an der Ausübung ihrer vollen Freiheitsrechte gehindert. Nehmt die Freiheit in eurer Gesellschaft nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als Verpflichtung für andere, die diese Freiheit nicht haben!
Euer Land liegt in Europa. Mit vielen von euch durfte ich als Erzbischof von Krakau wiederholt für eine Verlebendigung Europas, für eine Verankerung seiner Einheit in den tragenden geistigen und geistlichen Fundamenten zusammenarbeiten. Denkt daran, daß Europa nur aus jenen Wurzeln sich erneuern und einen kann, die Europa werden ließen! Denkt schließlich daran, gerade in eurem Land: Europa umspannt nicht nur Norden und Süden, sondern auch Westen und Osten!
Ein Stück Europa, ein Stück Welt wird immer mehr in eurem Land gegenwärtig durch die vielen Ausländer, die unter euch leben und arbeiten. Hier kommt auf euch eine kirchlich wie gesellschaftlich bedrängende Aufgabe zu. Denkt dabei an den, der für alle gestorben ist und uns alle zu Brüdern und Schwestern macht.
9. Setzt euch ein für die Rechte des Menschen und für die tragfähigen Fundamente des menschlichen Zusammenlebens in eurer Gesellschaft.
Ihr lebt in einer Gesellschaft, in der ein hoher Grad an Schutz für Freiheit und Menschenwürde gewährleistet ist. Seid dafür dankbar, aber laßt nicht zu, daß im Namen der Freiheit eine Beliebigkeit propagiert wird, die die Unantastbarkeit des Lebens eines jeden Menschen, auch des ungeborenen, zur Disposition stellt. Stellt euch ebenso vor die Würde und das Recht von Ehe und Familie! Nur die Achtung unverfügbarer Grundrechte und Grundwerte garantiert jene Freiheit, die nicht in Selbstzersetzung mündet! Denkt daran: So wenig Recht und Sittlichkeit dasselbe sind, so dringlich ist doch auch der rechtliche Schutz der sittlichen Grundüberzeugungen.
Die Kirche eures Landes hat eine Fülle von Institutionen der Bildung und Erziehung, der Caritas, des sozialen Dienstes. Verteidigt die Möglichkeit, euren christlichen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft zu leisten. Denkt andererseits daran: nur aus der inneren Verankerung in Jesus Christus und nicht aus einem bloß äußeren Mithalten mit anderen Kräften der Gesellschaft erwächst ein glaubwürdiges Zeugnis.
10. Setzt gegen ein Anspruchsdenken und eine Konsumhaltung die Alternative eines Lebens aus dem Geiste Christi.
Einerseits wachsen Anspruchs- und Konsumdenken, so daß Haben weithin mehr gilt als Sein. Auf der anderen Seite stoßen wir an die Grenze wirtschaftlichen und technischen Wachstums. Bauen wir vielleicht statt dem Fortschritt dem Untergang und Verderben des Lebens auf unserer Erde eine Straße? Das Beispiel der Christen ist gefordert, die aus der Hoffnung auf die kommenden Güter das Herz nicht an die vergänglichen hängen und so eine Zivilisation der Liebe entwickeln. Fördert daher die zum Christsein so unerläßliche Bereitschaft zu Opfer und Verzicht, erkennen wir gerade auch die Bedeutung der evangelischen Räte für die gesamte Gesellschaft!
11. ”Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“.
Verehrte, liebe Brüder im bischöflichen Amt! Euer Auftrag ist schwer. Damit die Apostel, deren Nachfolger wir sind, ihn erfüllen konnten, hat der Herr ihnen seinen Heiligen Geist geschenkt.
Diesem Geist wollen wir in uns und zwischen uns Raum geben. Seine Kennzeichen sind: Kraft, Besonnenheit, Liebe, Kraft, unbesorgt um Beifall oder Widerstand den Herrn selber sprechen und wirken zu lassen; Kraft, deren innerstes Maß die Schwachheit des Kreuzes ist. Besonnenheit, die unbeirrt auf die Wahrheit Jesu Christi schaut, die aber ebenso unvoreingenommen hineinhört in die Fragen und Sorgen des Menschen von heute. Schließlich und über allem Liebe, die alles einsetzt, erträgt und erhofft; Liebe, die Einheit schafft, weil sie mit Jesus Christus ans Kreuz geht, das Himmel und Erde vereint und alle Getrennten miteinander verbindet. Ich verspreche euch mein brüderliches Mittragen eurer Lasten und erbitte von euch die unverbrüchliche, immer tiefer werdende Einheit in diesem Geist. Maria, die Königin der Apostel und Mutter der Kirche, sei mitten unter uns, damit ein neues Pfingsten sich vorbereiten kann.
An die Laien im Dienst der Kirche (Fulda)
Brüder und Schwestern in Christus,
liebe Mitarbeiter im kirchlichen Dienst!
Es war mir ein besonderes Anliegen, nach meiner Begegnung mit den Mitbrüdern im Priester- und Bischofsamt am Grab des hl. Bonifatius auch mit euch hier an diesem denkwürdigen Ort zusammenzutreffen, die ihr mit ihnen durch die Mitarbeit im Sendungsauftrag der Kirche die Last des Tages weitgehend teil. Ich freue mich über euer so zahlreiches Erscheinen und grüße euch alle von Herzen.
1. In der Kirche Jesu Christi war es seit ihrer Gründung ein entscheidendes Merkmal seiner Jünger, daß sie ein Herz und eine Seele waren. Zugleich entfaltete sich schon in den ersten christlichen Gemeinden eine Fülle von Diensten, Gaben und Aufgaben. Der hl. Paulus gebraucht zu wiederholten Malen das Bild des einen Leibes, der viele Glieder hat. Diese Dienste beschränkten sich keineswegs auf das durch die sakramentale Weihe vermittelte Amt. Beim Aufbau der Gemeinde, bei der Bezeugung des Glaubens, beim Dienst am Nächsten wachsen der Kirche vielfältige Aufgaben zu, die grundsätzlich jeder übernehmen kann, der Taufe und Firmung empfangen hat und in der Einheit der Kirche aktiv mitlebt.
Gerade in den jungen Kirchen kann das Evangelium nur wachsen, indem viele sich mit ganzem Einsatz diesen mannigfachen Diensten zur Verfügung stellen. Aber ist nicht im alten Europa, wo die Kirche immer mehr eingetaucht ist in eine säkularisierte Welt, genau dasselbe notwendig? Das Leben der Kirche auch in eurem Land ist mehr denn je auf viele angewiesen, die die Sache der Kirche zu ihrer eigenen machen, ihre Kraft und Zeit einsetzen, damit Kirche lebendig und glauwürdig bleibe und werde. Hier liegt zunächst das Hauptgewicht auf dem ehrenamtlichen Dienst, den Ungezählte neben ihrer beruflichen Arbeit oft mit großen Opfern ausüben. Es ist aber ein Zeichen für die Dynamik der Kirche, wenn Menschen sich mit ihrem ganzen Können und mit ihrer ganzen Zeit, also auch von Berufs wegen, der Kirche zur Verfügung stellen. Viele der Werke und Leistungen im pastoralen, sozialen und im Bildungsbereich, die für die Kirche eures Landes kennzeichnend sind, könnten nicht ohne hauptberufliche Mitarbeiter getan werden. Es ist mir eine Freude, heute dieser Gruppe zu begegnen, die entscheidend den Dienst der Kirche mitträgt. Die große Zahl der beruflich im Dienst der Kirche Tätigen ist eine Besonderheit eures Landes. Und ich weiß um die Pionierarbeit, die gerade die Frauen hierzulande vor allem in Caritas und Pastoral geleistet haben.
Schon gleich zu Anfang möchte ich allen ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeitern im kirchlichen Dienst, durch den sie an der Heilssendung der Kirche wirksam teilnehmen, meine aufrichtige Dankbarkeit und Anerkennung zum Ausdruck bringen. Sie gelten allen ohne Ausnahme - wo immer sie arbeiten -, wenn ich mich auch aus zeitlichen Gründen im folgenden nicht eigens und ausdrücklich an jede einzelne Gruppe wenden kann.
Als Laie einen kirchlichen Beruf auzuüben, heißt oft, gegen die üblichen Lebensgewohnheiten ein klares Bekenntnis zur Kirche zu setzen, Ansprüche des kirchlichen Berufs, Ansprüche der Familie und Ansprüche des persönlichen Lebens miteinander in Einklang bringen zu müssen. Dies kann euch nur gelingen durch ein bewußteres Leben aus der Quelle, aus dem Heiligen Geist, den ihr in Taufe und Firmung empfangen habt. Ich möchte euch dazu ermutigen und euch einige Hinweise geben, wie ihr euren wichtigen Dienst aus diesem Geist verstehen und vollziehen könnt. Was der Herr zu Petrus gesagt hat: ”Stärke deine Brüder“, das empfinde ich als meinen Auftrag auch für euch. Was heißt das: euch stärken? Es heißt, euch ermutigen, aus dem Geist zu leben, der Jesus Christus erfüllte, der die Kirche leitet und zu ihrem Auftrag befähigt, der auch euch gegeben ist in Taufe und Firmung und Kraftquell für euren Dienst ist. Es ist der Geist der Liebe, der Geist des Zeugnisses, der Geist der Kinder Gottes, der Geist der Einheit.
2. Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde von Rom: ”Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“. So eröffnet sich Gottes Geist zunächst als Liebe. Sie ist zugleich seine Frucht und damit das Kennzeichen dafür, daß er am Werk ist; sie ist die höchste der Gnadengaben, das Charisma, das alle anderen übersteigt.
Die Kirche ist gesandt, diese Liebe, die letztlich Gott selber ist, den Menschen durch Wort und Tat zu verkünden und zu vermitteln. Sie kann ihren Dienst nur tun, wenn ein wenig vom heilschaffenden Inhalt ihrer Botschaft schon in dieser Welt greifbar wird. Von Anfang an war deshalb die Verkündigung des Wortes von der Tat der Liebe begleitet - ob beim Herrn selbst, der Kranke heilte und sich der Darbenden in der Wüste annahm; oder in der Zeit der jungen Kirche, aus der wir zum Beispiel von der speziellen Armenpflege in Jerusalem oder vom Ausgleich zwischen reichen und armen Gemeinden wissen. Diakonie in all ihren Formen gehört unverzichtbar zur Verkündigung des Evangeliums. Solche Diakonie gibt den Grundton aller Dienste in der Kirche an.
Liebe ist zugleich das Fundament und die Vollendung ieder Berufung, jeder Gnadengabe und jeder Aufgabe.
Laßt mich in diesem Zusammenhang aber auch ein besonderes Wort an diejenigen unter euch richten, die im Dienst der kirchlichen Caritas stehen.
Die Caritasarbeit hat in eurem Land eine große Geschichte seit der Gründung des Deutschen Caritas-Verbandes durch Lorenz Werthmann. Dieser Baum, den er Ende des vergangenen Jahrhunderts pflanzte, hat wirklich reiche Frucht getragen. In allen Schichten und Orten der Gesellschaft der Bundesrepublik sind die Mitglieder eures Verbandens präsent: sie sind dafür jung und alt, für Kinder und Familien, für Behinderte und Kranke. Mit fast 300000 Männern und Frauen im karitativen Dienst steht ein ganzes Heer von Helfern zur Verfügung - wirklich eine tragende Säule für das gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland.
Eigentlich brauche ich nicht zu betonen, daß dieser Einsatz für mich ein Grund zu großer Freude ist.
Zunächst einfach deshalb, weil ihr so viel Gutes tut; weil ihr Tränen abwischt und Hungernde sättigt; weil ihr Einsamkeit aufhebt, Schmerz lindert und Gesundung ermöglicht. Dann aber auch, weil euer Dienst beweist, daß ”alle Wege der Kirche zum Menschen führen“.
Es zeugt von einem instinktiven Wissen um Gottes Güte und um die Bindung der Kirche an Gottes Botschaft, wenn auch sogenannte gottlose oder areligiöse Gruppen bei uns, bei der Kirche, die Erfahrung der Güte und des Wohlwollens Gottes suchen. Für euch im karitativen Dienst der Kirche bedeutet dies freilich eine kaum zu überschätzende Verantwortung. Ihr steht gleichsam als Pfeiler im Strom einer sich wandelnden Gesellschaft, die zunehmend die Würde des Menschen bedroht, die der Alten, der unheilbar Kranken, wie auch seine Fähigkeit, das Leben weiterzugeben. Der Schutz all dieser Werte ist weithin euren Händen anvertraut. Von eurem Dienst hängt für viele die Glaubwürdigkeit der Kirche ab, in der sie der dienenden Liebe Christi begegnen wollen.
In der Tat, daran muß sich eure Arbeit orientieren. Daraus ergeben sich wie von selbst einige Folgerungen, die ich hier nur kurz andeuten kann. Hilfe am Nächsten fordert gut fundierte Sachkenntnisse, qualifizierte Ausbildung, Einsatz der besten Kräfte und Mittel. Anderseits braucht der Mensch weit mehr als nur technische Perfektion. Er hat ein Herz und will, daß ihm im Helfer auch ein Herz begegnet. Menschlichkeit kann nicht durch Apparaturen und Administraturen ersetzt werden. Das ist auch ein Grund, warum trotz des Gebotes von bester Fachkunde und besten Instrumenten der ehrenamtliche Mitarbeiter seinen Platz im karitativen Dienst behalten muß. Gewiß bedarf auch er der Schulung. Aber entscheidend ist seine Bereitschaft zu helfen; sein Auge für die Not; die Geduld, mit der er zuhört; seine Behutsamkeit ohne Routine, die nicht allein sein Können, sondern vor allem sich selbst einbringt.
Niemand macht sich Illusionen: auch der Dienst am Nächsten kann zur reinen Gewohnheit werden.
Wie arm ist der, der ihn betrachtet als einen bloßen Brotberuf mit hinlänglichem Einkommen und geregelter Arbeitszeit, ohne daß ihn Nächstenliebe und Evangelium über Zeiten der Ermüdung hinwegtragen könnten. Doch auch für den, der sich in diesem Dienst verzehren wollte für das Gute, der der Kirche dienen wollte, weil die Aufnahme der Botschaft Jesu an die Glaubwürdigkeit der Kirche geknüpft ist, auch für ihn kommt der Alltag. Mitleid vergeht, Großmut verbraucht sich, das Herz wird enttäuscht. Woher nimmt er die Kraft, in diesem Dienst auszuhalten? Zunächst wird er inne, daß dieser Anspruch seine eigene Kraft übersteigt. Er erinnert sich der Quelle, die die Liebe hervorbringt. Sollte ihm Gott die Kraft seines Geistes versagen, wenn er ihn bittet?
Da es der Heilige Geist ist, durch den Gottes Liebe in unsere Herzen ausgegossen wurde, kann es nur als vermessen gelten, wenn jemand, der den Dienst der Nächstenliebe zu tun hat, auf diesen Geist verzichtet, weil er sich mit der Liebe des eigenen Herzens begnügt. Haben nicht all jene, die in der Kirche als Vorbilder tätiger Nächstenliebe gelten, ihre Befähigung dazu vom Heiligen Geist erhalten? Viele von ihnen haben Bewegungen ins Leben gerufen und Gemeinschaften gegründet. In ihnen wurde eine Zeitlang wie selbstverständlich der Geist der Gründerzeit weitergegeben. Das ging um so leichter, weil es sich meistens um Ordensgemeinschaften handelte, die ja aufgrund ihrer Struktur leichter als andere Institutionen ihr geistliches Erbe bewahren können. Etwa 30000 der hauptamtlichen Mitarbeiter im karitativen Dienst sind auch heute noch Ordensleute. Und niemand sollte sagen, man könnte auf diese Ordensleute verzichten; denn sie weisen schon wegen ihres Erscheinungsbildes hin auf den inneren Zusammenhang des Dienstes am Menschen mit der Ermöglichung dieses Dienstes von Gott her. Niemand kann auf diejenigen verzichten, von denen wir Hilfe für das Notwendigste erhoffen: für die ständige Erneuerung und Bestärkung unserer eigenen Liebesfähigkeit durch jene Liebe, die Gott uns in seinem Heiligen Geist bereithält.
3. Der Geist, den Christus in unser Herz gibt, ist Geist des Zeugnisses. Nur im Heiligen Geist können wir bezeugen, daß ”Jesus der Herr ist“. Alle Christen sind zum Zeugnis befähigt und berufen. Besonders dringlich jene, die nicht nur in ihrem privaten, sondern auch in ihrem beruflichen Leben mit der Kirche verbunden sind, ”Menschen der Kirche“ sind. Jeder von uns muß sich fragen, ob sein persönliches Lebenszeugnis und sein öffentliches und berufliches Verhalten dem entspricht, was die Menschen von der Kirche und die Kirche von den Menschen erwartet.
Zeugnis des Glaubens wird bei manchen von euch zum direkten Inhalt des Berufes. Ich möchte mich unter diesen zunächst den Religionslehrern und Katecheten besonders zuwenden.
Oberflächlich betrachtet, scheinen heute viele Menschen mit einer bloß sachlichen Leistung, mit einem bloß brauchbaren Service zufrieden zu sein. Schaut man jedoch tiefer in den Menschen hinein, so zeigt sich oft große persönliche Unsicherheit, Sehnsucht nach Verstehen und Erschließung des Lebenssinnes. Im Grunde wollen viele Menschen, gerade Heranwachsende, vor allem erst einmal versuchen, sich selbst zu findem.
Sie können es nicht, ohne daß ihnen jemand den Weg weist, ohne daß sie, gerade solange sie noch jung sind, geleitet werden zur Entdeckung der Wahrheit über den Menschen, zur Wahrheit über die Welt und alles, was sie trägt. Ihr, die ihr im Auftrag der Kirche in Schulen und ähnlichen Einrichtungen das Fach Religion unterrichtet, leistet dazu einen Beitrag, der in seinem Gewicht kaum abzumessen ist. Ihr seid dazu in der Lage, weil eure Kirche mit Klugheit und Nachdruck gegenüber Staat und Gesellschaft die Möglichkeit zu schulischem Religionsunterricht bislang aufrechterhalten konnte Welche Chance zum Heil der jungen Menschen eures Volkes! Welche Chance für die Kenntnis des Evangeliums in eurem Land! Eine Chance, um die euch mancher nichtdeutsche Pädagoge und Seelsorger beneidet! Möge es euch mit der Hilfe Gottes gelingen, sie gut zu nutzen!
Das fordert von euch zunächst ein hohes Maß an Sachgerechtigkeit: qualifizierte Menschenführung und gediegene Theologie. Der Glaube drängt aus seiner inneren Dynamik nach dem Glaubensverständnis: fides quaerens intellectum. Er ist in einer bestimmten Hinsicht wie ein Stoff, der das ganze Aufgebot nimmermüder Forschung fordert und aushält. Er ist ein Inhalt, der wie mancher andere - ja offenbar mehr als mancher andere - die Fragenden anzieht und dem scharfen Verstand immer neue Möglichkeiten bietet, sich zu bewähren. Ich verstehe nur zu gut, daß sich so viele von euch ganz und gar der Theologie zugewandt haben, daß sich in eurem Land so viele als Laien dieser Wissenschaft widmen. Das theologische Studium hat schon auf der Ebene des Wissens seine Faszination. Welchen bewegenderen, lohnenderen Gegenstand unseres suchenden Geistes könnte es geben als das Wort, das Wort Gottes und schließlich ihn selbst, der sich in diesem Wort uns mitteilt?
Freilich ist der Inhalt dieses Wortes zu bedeutsam, als daß das Ergebnis solchen Forschens belanglos sein könnte. Was beim Menschen über den Sinn seines Lebens entscheidet, kann nicht ”ja“ und ”nein“ zugleich sein. Hier - wenn irgendwo - ist die Wahrheit gefragt; sie ist zu finden - jedenfalls in den Dimensionen, die sich uns Menschen enthüllen; sie ist zu verkünden - jedenfalls auf die Weise, die uns Menschen möglich ist.
Meinungen, Privatansichten, Spekulationen genügen dem schon nicht, der ihre Wirkung auf den Lebensweg des Menschen abwägt und dessen Ehrfurcht vor diesem Menschen wach ist. Sie können erst recht den nicht zufriedenstellen, der sich bewußt macht, daß er mit theologischen Antworten heranreicht an den Urgrund der Wahrheit selbst. Gott hat uns sein Wort geoffenbart, das wir nicht aus uns allein, aus der bloßen Kraft unseres Intellekts finden und annehmen können - so sehr es unserer Vernuft gegeben und aufgegeben ist, die Glaubwürdigkeit dieses Wortes und seine Entsprechung zu unseren menschlichen Fragen und Erkenntnissen zu erhellen. Es liegt in der inneren Logik der Offenbarung, daß dann aber auch die Wahrung und Auslegung dieses Wortes einer besonderen Gabe des Geistes bedarf. Daher muß das Studium der katholischen Theologie umfangen bleiben von der Bereitschaft, das verbindliche Zeugnis der Kirche zu hören und die Entscheidung derer anzunehmen, die als Hirten de r Kirche Verantwortung vor Gott für die Wahrung des Glaubensgutes haben. ”Die Prüfung, Anerkennung oder Zurückweisung einer Lehre gehören zur prophetischen Sendung der Kirche“, wie ich in meinem Brief an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz vom 15. Mai dieses Jahres geschrieben habe. Ohne die Kirche wäre Gottes Wort nicht überliefert und bewahrt worden; man kann das Wort Gottes nicht ohne Kirche haben wollen.
Das intellektuelle Verstehen des Glaubens muß freilich noch durch eine andere Seite ergänzt werden: Glaube will mehr als gewußt, er will gelebt werden. Im Neuen Testament selbst wird ein Glaube, der allein im Wissen aufginge, als Perversion abgelehnt - wenn beispielsweise der Jakobusbrief darauf verweist, daß auch die widergöttlichen Kräfte um den einzigen Gott wissen; doch da sie nicht mit ihrem Wesen dieses Wissen bejahen, bleibt ihnen nur, vor diesem Gott zu zittern; ihnen wird Strafe, nicht Heil zuteil.
Wenn Gott sein Wort an uns richtet, dann gibt er keine Daten kund über Sachen oder Dritte, er teilt uns nicht ”etwas“ mit, sondern sich selbst. Jesus ist als das unüberbietbare, dichte Wort der Selbstmitteilung Gottes zugleich Gott selbst. So fordert Gottes Wort eine Antwort heraus, die mit unserer ganzen Person zu geben ist. Gottes Wirklichkeit entgeht dem, der sich darauf beschränkte, sein Wort und seine Wahrheit nur als neutrales Forschungsobjekt zu betrachten. Die Gott als Gott angemessene Weise der Annäherung ist dagegen allein die Anbetung. Meister Eckehart, einer der großen Mystiker eures Volkes, hat darum seine Zuhörer aufgefordert, des ”gedachten Gottes quitt“ zu werden. Gott, der ein bloßes ”Er“ bleibt, läßt uns allein und leer. - Gott sagt Du zu uns. Wir Enden ihn nur, wenn auch wir Du sagen. So soll man - wie Eckehart sagt - Gott gegenwärtig haben ” im Gemüt, im Streben und in der Liebe“. Angemessen reagiere nur derjenige, der ganz durchdrungen sei von einer innigen, geistigen Hinwendung zum anwesenden Gott.
Dieselbe Hinkehr der ganzen Person beansprucht auch Jesus für sich, wenn er die Botschaft vom Vater bringt. Sein Wort versteht sich nicht als die Vermittlung von bloßer Sachinformation, sondern als Aufruf zur Nachfolge. Seine Predigt zielt auf das Zeugnis, das in der Lebenshingabe der ersten Jünger seine größte Eindeutigkeit gewinnt. Seine Botschaft will, über die Gemeinsamkeit im Wissen hinaus, die personale Bindung an ihn, oder - wie es das Apostolische Schreiben ”Catechesi Tradendae“ sagt - ”die Lebenseinheit mit Jesus Christus“.
So ist auch euer Zeugnis, liebe Mitarbeiter in unserer Kirche, für die Weitergabe der Boschaft Jesu unverzichtbar. ”Verba docent, exempla trahunt“ - das wußten schon die Römer; und kürzlich stand in einem Hirtenbrief afrikanischer Bischöfe zu lesen: ”Kinder lernen mehr durch Sehen als durch Hören“. Im Zeugnis liegt der wichtigste Dienst, den ihr Religionslehrer euren Schülern leisten könnt, auf daß sie im Umgang mit euch ein wenig von der Freundlichkeit des Herrn erleben; daß Ehrfurcht vor Gott und Bindung an die Kirche aus eurem Verhalten erkennbar werden; daß ihr ihnen die Hochschätzung des Gebetes und der Eucharistiefeier nicht nur mit Worten, sondern auch durch euer persönliches Lebenszeugnis vermittelt.
4. Der Geist, den uns der Sohn Gottes mitteilt, macht auch uns zu Söhnen und Töchtern Gottes.
Gott hat uns nicht den Geist der Knechtschaft, sondern der Kindschaft geschenkt. Das soll man uns anmerken, das soll ausstrahlen von unserem Dienst. Die Kirche soll von uns einladend, anziehend dargestellt werden, eben als Familie Gottes. Freilich erfordert das auch, daß wir keine Sklavenhaltung, kein bloßes Rechnen und Rechten an den Tag legen. Und es fordert zugleich die Verantwortlichen in der Kirche heraus, dieser ”neuen Art“ des Evangeliums im Umgang mit den Mitarbeitern Rechnung zu tragen.
Zwei Gruppen von Diensten stehen mir hier besonders vor Augen: jene von euch, die in der kirchlichen Verwaltung arbeiten und so das äußere Bild der Kirche in ihrem Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit erheblich mitbestimmen - und dann die große Zahl derer, die unmittelbar im pastoralen Dienst stehen, im Dienst an der Familie Gottes, als Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten, als Pastoralassistentinnen und -assistenten.
An euch, liebe Mitarbeiter in der Pastoral, will ich mich nun eigens wenden. Verglichen mit den Hauptberuflichen in anderen kirchlichen Aufgaben seid ihr zwar klein an Zahl. Doch euer Dienst hat unter allen Laiendiensten einen besonderen Rang; denn er hilft mit beim Aufbau der Gemeinden, bei der Bezeugung des Evangeliums in den verschiedenen Gruppen der Gemeinde und in den verschiedenen Lebenssituationen, bei der Hinführung der Fernstehenden zur Kirche, bei der Formung ehrenamtlicher Mitarbeiter.
Der Aufbruch im Engagement der Laien für den Heilsdienst an anderen Menschen straft alle Pessimisten Lügen. Wie viele junge Leute sind doch bereit, diesen Dienst anzutreten! Niemand, der das bedenkt, sollte behaupten, das Evangelium hätte seine Anziehungskraft verloren. Denn jeder, der sich zu diesem Dienst aufmacht, hat ja seine eigene Geschichte. Ihr habt diesen Weg wohl kaum angetreten unter dem Beifall der öffentlichen Meinung, sondern unter kritischen Bemerkungen von Klassenkameraden und machmal sogar von Angehörigen. Nach vieler Meinung kann man die Bereitschaft, dem Leben der Mitmenschen eine Stütze aus dem Glauben zu geben, nicht zum Beruf machen. Das sei absolut unzeitgemäß. Und wenn dazu noch die künftigen Konturen dieses Dienstes nicht ganz eindeutig, machmal unkalkulierbar sind, grenzt die Wahl dieses Weges in den Augen mancher schon an Unvernünftigkeit.
Aber ihr ahntet, daß das Wort Gottes und der Auftrag der Kirche Menschen braucht und daß ihr euch dieser Notwendigkeit nicht entziehen dürft. Und ich bin sicher, daß ihr inzwischen nicht nur die Last solcher Verpflichtungen gespurt habt, sondern auch bereits der Dankbarkeit vieler Menschen begegnet seid. Solche Dankbarkeit aber ist die schönste Bestätigung für die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit.
Daran ist festzuhalten, auch wenn die weitere Klärung eures Berufsbildes noch einiges an Überlegungen nötig macht; wenn ihr nicht von allen in den Gemeinden jene Annahme und Bestätigung erfahrt, die ihr euch erhofft hattet. Mir scheint wichtig, daß ihr - vor allem in Härtesituationen - mit Klugheit vorangeht und euch an den Idealismus des Anfangs erinnert, daß ihr die anderen Mitarbeiter sowie die Gemeinden allmählich zu überzeugen versucht. Wir glauben ja alle daran, daß ein und derselbe Geist sowohl die Gemeinden und die Herzen der Menschen lenkt als auch euren Dienst in der Kirche ins Leben gerufen hat. Gerade in den Augenblicken der Bedrängnis seid ihr aufgerufen, euch diesem Geist zu überlassen.
Ich weiß, daß dieser mein Rat von großem Anspruch an euch ist. Er beinhaltet, daß sich jemand nicht anstecken läßt vom ständigen Nachrechnen der Arbeitsstunden und des Anrechts auf Freizeit, obschon solches jeden Tag in der Zeitung steht; daß er sein Denken in Stufenleitern der Beförderung hinter sich lassen muß, obschon es in unserer Gesellschaft gang und gäbe ist; daß so immer mehr die Identifikation gelingen soll, nicht mit der sündenlosen Kirche, die wir alle uns erträumen, sondern mit der heutigen konkreten Kirche, die nicht aufhört, mit menschlicher Schwäche behaftet zu sein.
Solche Identifikation macht keineswegs blind, sondern in rechter Weise sehend, nämlich für das Gute, das man ja nur mit dem Herzen - das heißt mit dem Blick des Wohlwollens - entdeckt. So gelingt es, das Positive aufzuspüren und überzeugend zu verkünden: Entscheidungen der Träger kirchlicher Verantwortung, der Bischöfe und der Priester, kann man zunächst zu verstehen versuchen, auch wenn andere sie zunächst kritisieren; nicht Skepsis ist die Devise, die Pflege der inneren Distanz, sondern der Vertrauensvorschuß.
Und ein Letztes: Es gibt in der Pastoral auch den Dienst des Ständigen Diakons, der sich aus dem Ruf Gottes der sakramentalen Gnadengabe öffnet, um vom Altar her als der geistlichen Mitte der Kirche den Menschen helfend und bezeugend nahe zu sein. Liturgie und Verkündigung, Pastoral und Diakonie zeigen hier ihre innige Verbindung. Wenn ihr den Ruf Gottes dazu vernehmt, so bitte ich: öffnet euch dafür!
5. Der Geist, den ihr empfangen habt, ist schließlich der Geist der Einheit. Die vielen Dienste sind Ausdruck und Gaben des einen Geistes. Jeder muß den Mut und die Bescheidung haben, ja zu sagen zu einer besonderen Gabe und Aufgabe. Das heißt aber zugleich: ich soll Glaube und Aufgabe meines Nächsten so ernst nehmen und so hoch schätzen wie meine eigenen.
Zusammenwirken, Rücksicht nehmen aufeinander, bereit sein zu immer neuer Versöhnung, zum immer neuen Anfang miteinander, das ist nicht weniger wichtig als die Treue zum eigenen Auftrag. Einheit, das heißt nicht zuletzt: offene, gute, geduldige, verständnisvolle Zusammenarbeit zwischen Priestern, Diakonen und Laien. Nur wenn alle sich darum mühen, kann das Zeugnis jener Einheit gelingen, ”damit die Welt glaube“.
Eine ganz besondere Bitte schließt hier an: Macht auch die Sorge der Kirche um Priester- und Ordensberufe zu der euren!
Ihr alle sollt meiner Verbundenheit mit eurem Dienst gewiß sein. Tragt bitte auch ihr den meinen mit! Dann wird der Geist des Herrn auch durch uns das Antlitz der Kirche und der Erde erneuern.
An das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Fulda)
Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Brüder und Schwestern!
Zunächst darf ich Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, für Ihre freundliche Begrüßung aufrichtig danken. Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen und dem Zentralkomitee bei meinem Aufenthalt in Deutschland zu begegnen. Wie Sie wissen, war ich als Erzbischof von Krakau lange Jahre Vorsitzender der Kommission der Polnischen Bischofskonferenz für Laienfragen. Auch war mir bei der Krakauer Diözesansynode die Zusammenarbeit mit den Laien ein vordringliches Anliegen. Aus derartigen Erfahrungen hat sich mir unauslöschlich ins Bewußtsein eingeprägt, wie entscheidend der Beitrag der Laien zur Gestaltung kirchlichen Lebens und zur Bezeugung der christlichen Botschaft in der Welt ist. Durch das Entstehen vieler katholischer Organisationen in den Feuerproben der Kirchenkämpfe des letzten Jahrhunderts, durch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, durch die bislang 86 Deutschen Katholikentage hat das Laienapostolat in Deutschland ein unverwechselbares Gepräge gewonnen. So freue ich mich, im hier versammelten Kreise sozusagen die lebendige Gegenwart dieser Geschichte anschauen zu können: die Vertreter des Zentralkomitees, die Vertreter der Verbände und der Diözesanräte der Katholiken. Schließlich fügt sich in diesen Kreis auch die Repräsentation des Deutschen Evangelischen Kirchentages, der dem Zentralkomitee und den Katholikentagen in nun schon lange währender Zusammenarbeit verbunden ist.
Sie haben, Herr Präsident, auf meine Botschaft zum 86. Deutschen Katholikentag in Berlin angespielt. Dieser Katholikentag gibt mir mit seinem Leitwort auch den Ansatzpunkt für meine kurze Erwiderung Ihres freundlichen Grußes. ”Christi Liebe ist stärker!“. Könnte man nicht in diesem Satz die Erfahrung der über hundert Jahre langen Geschichte eines starken und einigen Laienapostolates in Ihrem Lande zusammenfassen? Christi Liebe war stärker als alle säkularistischen Tendenzen in Politik und Kultur; sie konnten nicht die Lebenskraft und gesellschaftliche Gestaltungskraft der katholischen Kirche in Deutschland schwächen oder zerschlagen. Christi Liebe erwies sich auch stärker als alles, was in der Geschichte Ihres Landes Papst und Bischöfe einerseits und katholische Laien andererseits hätte auseinanderreißen können.
Der deutsche Katholizismus hat in der Aufbauleistung in Ihrem Vaterland nach dem Krieg einen nicht hinwegzudenkenden, tragenden Anteil. Was katholische Laien in Kultur, Bildung, sozialem Engagement, Politik gewirkt haben, ist nicht nur ein Stück Kirchengeschichte, sondern auch ein Stück nationaler und europäischer Geschichte. Was ist die Kraft zu einem solchen Einsatz? Was ist auch die Kraft, die zu vielen und wichtigen Schritten der Versöhnung zwischen Deutschland und seinen Nachbarn in Ost und West beigetragen hat? Für Christen ist die Antwort eindeutig, es ist die Antwort des Katholikentagsmottos von der stärkeren Liebe Christi.
Sie haben freilich dieses Leitwort nicht gewählt, um Ihre eigenen Erfahrungen aus der Vergangenheit auszusagen. Sie haben zu Recht, das ist unsere Pflicht, nach vorne geblickt, haben die Aufgaben anvisiert, die heute vor uns allen liegen. Die Aufgabenfelder, die Sie in Ihrem Bereicht an mich aufgerissen haben, sind eine Herausforderung dazu, der stärkeren Liebe Christi Raum zu geben, aus ihr demütig, entschlossen und zäh Lösungen auch für menschlich oft kaum lösbare Probleme zu finden. Nur der Glaube daran, daß Christi Liebe stärker ist, kann uns die Unbefangenheit geben, gegenüber Gleichgültigkeit, Lebensangst und Zynismus die unverkürzte Botschaft des Evangeliums zu vertreten. Wo wir es tun, wo wir mit Klarheit und Direktheit das Evangelium verkünden und dies durch unser Leben unterstreichen, horchen auch heute die Menschen auf. Gerade junge Menschen. Wir müssen lebendige Zellen bilden, in denen glaubende Menschen weitersagen und vorleben, wie befreiend es ist, in der Nachfolge Jesu zu stehen. Dann werden zwar nicht wie mit einem Schlag alle Probleme verschwinden, aber es wächst wieder der Mut, sich auf den Weg zu machen und gegen allen Überdruß an Normen, Institutionen und Traditionen sich der Kirche, ihrer Gemeinschaft, ihrem Beispiel und ihrer Botschaft, aber auch ihrem Lehr- und ihrem Hirtenamt anzuvertrauen.
Zu Recht wendet sich Ihre Arbeit den verschiedenen Sachbereichen in Politik und Gesellschaft, Bildung und Kultur, Zusammenleben der Völker und Welt der Arbeit und Wirtschaft zu. Den aktuellen Problemen in Ehe und Familie, dem sozialen Dienst, aber auch der Kunst und der Welt der Medien gilt Ihr Augenmerk. Sie suchen, ein gemäßes Urteil und Grundlagen christlichen Handelns aus dem Evangelium und der christlichen Gesellschaftslehre für die Lösung der hier offenen Fragen zu gewinnen. Genau das ist es, was das II. Vatikanische Konzil in besonderer Weise mit dem Weltauftrag der Laien aufs neue und weltweit ins Spiel bringen wollte. Lassen Sie mit Ihren Bemühungen auf diesem Gebiet nicht nach, beschränken Sie sich nicht auf das bereits Erreichte. Wenn in dieser Welt das Evangelium Sauerteig sei soll, der das Mehl der irdischen Wirklichkeit durchdringt, wenn sich auch hier Christi Liebe als stärker erweisen soll, dann braucht es die Offenheit für neue Horizonte, dann braucht es das Eingehen auf neue Entwicklungen und Sachlagen. Wie gegenwärtig ist Christentum in Ihrem Land, um nur einige Beispiele zu nennen, in der Literatur, im Theater, in der Kunst von heute? Wie präsent sind Kirche und Christen im Bereich von Presse, Funk und Fernsehen? Gibt es einen überzeugenden christlichen Beitrag im bislang ungewohnten Miteinander von Ausländern und Deutschen in Ihren Großstädten, in Ihren Betrieben? Wie selbstverständlich ist für Sie die Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Völker und Kulturen in der einen Welt? Wie ernsthaft engagieren Sie sich für die bedrängenden Fragen von Energie und Umwelt? Ich weiß, daß Sie an all diesen Problemen nicht vorbeigehen und bin Ihnen dankbar dafür. Aber ich möchte Sie zugleich ermutigen, mit aller Entschiedenheit hier mutig neue Wege einzuschlagen, die viele in Ihrem Land und über Ihr Land hinaus in das Bekenntnis von Berlin einstimmen lassen: Ja, Christi Liebe ist wirklich stärker!
Predigt in der Hl. Messe in Fulda
1. Erlaubt mir, verehrte Brüder im bischöflichen und im priesterlichen Amt, Brüder und Schwestern der religiösen Orden und Kongregationen; erlaubt mir, hier anwesende Vertreter des Laienapostolates, daß ich zuerst demjenigen meine Verehrung erweise, zu dessen Grab wir auf dieser Pilgerfahrt gekommen sind, hierher nach Fulda, zum Heiligtum eurer Nation.
Der hl. Bonifatius war Benediktiner, Mitglied jenes ehrwürdigen Ordens, der zu den Zeiten Gregors des Großen mit dem Mönch Augustinus auf die britischen Inseln gekommen war. Bonifatius vernahm den Ruf der Völker, die in Germanien die Gebiete östlich des Rheins bewohnten. Er folgte ihm als dem Ruf Christi und setzte so seinen Fuß in das Land eurer Vorfahren.
Der hl. Bonifatius, Bischof und Märtyrer, bedeutet den ”Anfang“ des Evangeliums und der Kirche in eurem Land. Wir sind heute gekommen, um bei diesem ”Anfang“ anzuknüpfen; um uns seinen Dimensionen zu öffnen. Der ”Anfang“ bedeutet das Werk Gottes selbst, der sich des Zeugnisses eines Menschen bedient hat: des Zeugnisses von Bonifatius, von seinem Leben und seinem Martyrium.
2. In der zweiten Lesung spricht der hl. Paulus zu uns mit dem Worten seines Briefes an die Thessalonicher, aber niemand zweifelt daran, daß die Worte des Völkerapostels auch dem Apostel Deutschlands in den Mund gelegt werden können. Sie entspringen ebenso seinem Herzen, wie sie einst dem Herzen des Paulus von Tarsus entsprungen sind.
”Wir haben im Vertrauen auf unseren Gott das Evangelium Gottes trotz harter Kämpfe freimütig und furchtlos bei euch verkündet“. Bei euch? Welches waren jene Völker? Wie lauteten die historischen Namen jener Stämme, zu denen Bonifatius als Missionar gekommen ist? Die Historiker nennen die Thüringer und die Hessen, die Alemannen, die Baiern und die Friesen. Der hl. Bonifatius, an dessen Grab wir hier in Fulda weilen, hat zu diesen Völkern die Worte des Evangeliums und jene einzigartige Liebe gebracht, die durch die Kraft des Heiligen Geistes Erbe seines Herzens geworden ist - für ihn wie für viele vor und nach ihm: für Apostel, Missionare und Hirten. ”Als Apostel Christi“, schreibt Paulus, ”sind wir euch voll Liebe begegnet: Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt, so waren wir euch zugetan. Wir waren gewillt, euch nicht nur das Evangelium Gottes zu geben, sondern unser eigenes Leben; denn ihr wart uns sehr lieb geworden“.
3. Wenden wir nun unseren Blick von der Lesung des Thessalonicher-Briefes fort und versetzen wir uns in den Abendmahlssaal am Tag vor Ostern. Christus sagt: ”Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“. Ein bedeutungsvoller Gegensatz: Knecht ist der, der nicht weiß; Freund - derjenige, dem mitgeteilt worden ist, dem alles anvertraut wurde; derjenige, der weiß.
Und was weiß und kennt dieser Freund und Apostel? Er kennt das, was Christus selbst vom Vater gehört hat. Weil Christus genau das, was er vom Vater gehört hat, denen mitgeteilt hat, die er auserwählte: den Aposteln, den Freunden.
Bonifatius, der vor Jahrhunderten in das Land eurer Vorfahren gekommen ist, hatte das gleiche Bewußtsein und die gleiche Gewißheit, in der Christus im Abendmahlssaal seine Apostel bestärkte, als er sie Freunde nannte: Wir predigen, ”weil Gott uns geprüft und uns das Evangelium anvertraut hat, nicht also um Menschen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüft“. Diese Worte stammen von Paulus, dem Apostel der Nationen, aber die heutige Liturgie legt sie Bonifatius in den Mund, dem Apostel Deutschlands. Und sie tut dies mit vollem Recht. Das Werk der Evangelisierung, das er in eurem Land durchgeführt hat, beruht auf der Tatsache, daß er Gottes Lehre verkündigte - und nur Gottes Lehre. Er war bereit, sein Leben hinzugeben aus Liebe für die, zu denen er gesandt war. Das Evangelium und die Kirche sind erbaut auf dem Fundament der göttlichen Wahrheit und der Liebe, die ”der Heilige Geist in unsere Herzen ausgegossen hat“.
4. Das Evangelium gefällt jedoch den Menschen nicht immer. Und es kann ihnen auch nicht immer gefallen. Es darf nicht zu ”Schmeicheleien“ verfälscht werden, auch darf man in ihm nicht den persönlichen Vorteil suchen noch ”eitlen Ruhm“. Den Hörern kann es mitunter als ”harte Rede“ erscheinen, und wer es verkündigt und bekennt, kann zum ”Zeichen des Widerspruches“ werden.
Denn diese göttliche Wahrheit, diese frohe Botschaft, birgt in der Tat eine große innere Spannung in sich. In ihr verdichtet sich der Gegensatz zwischen dem, was von Gott stammt, und dem, was aus der Welt kommt. Christus sagt: ”Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben; da ihr aber nicht von der Welt stammt, darum haßt euch die Welt...“. Und: ”Wisset, daß sie mich vor euch gehaßt hat“.
In die Herzmitte des Evangeliums, der Frohen Botschaft, ist das Kreuz eingeprägt. In ihm überschneiden sich die beiden großen Strömungen: eine, die von Gott zur Welt geht, zu den Menschen in der Welt, eine Strömung der Liebe und Wahrheit; die zweite, die durch die Welt verläuft: die Begierde der Augen, die Begierde des Fleisches, das Prahlen mit dem Besitz. Sie kommen nicht ”vom Vater“.
Diese Kreuzung der beiden Strömungen dauert fort und wiederholt sich im Laufe der Geschichte unter verschiedenen Aspekten. In ihrer Mitte lebt Christus selbst fort. Christus ist nicht in die Welt gekommen, nur um die Welt vom hohen Richterstuhl der absoluten transzendentalen Wahrheit aus zu verurteilen. Er ist gekommen, damit die Welt durch ihn gerettet wird... Und darum sendet er seine Jünger in die Welt: in ”die ganze Welt“. Er sagt ihnen: ”Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten“. Muß man nicht gerade hier am Grab des hl. Bonifatius in Fulda bei der großartigen Aussagekraft dieser Worte verweilen?
5. Wir haben all das betrachtet, was der heutige Wortgottesdienst in sich birgt, wir haben es mit aller Sorgfalt meditiert, um dem ersten Patron Deutschlands die Ehre zu erweisen. Denn alle Worte der Liturgie beziehen sich auf ihn. Von ihm reden sie. Er ist gerade deshalb wie ein Eckstein der Kirche in eurem Vaterland geworden, weil sich diese Worte in ihm erfüllt haben.
Wie Sauerteig das Mehl durchdringt, so hat Bonifatius mit seinem Zeugnis die Herzen im Geiste Christi durchdrungen und verwandelt. Wir gedenken mit ihm aller Söhne und Töchter eurer Heimat, so wie die erste Lesung aus dem Buch Jesus Sirach von ihnen spricht: ”Die ehrwürdigen Männer will ich preisen, unsere Väter, wie sie aufeinander folgten. Viel Ehre hat der Höchste ausgeteilt, viel von seiner Größe, seit den Tagen der Vorzeit: Männer, die über die Erde als Könige herrschten und die berühmt waren durch ihre Macht; die Rat erteilten durch ihre Einsicht, die prophetisch alle Dinge erschauten. Sie alle waren geehrt zu ihrer Zeit, und ihr Ruhm blühte in ihren Tagen. Manche hinterließen einen Namen, so daß man ihr Lob weiter erzählte. Und jene sind die ehrwürdigen Männer, deren Verdienste nicht vergessen wurden. Bei ihren Nachkommen bleibt ihr Gut, ihr Erbe bei ihren Enkeln“.
Wie viele Namen und Zunamen müßte man hier erwähnen! Hier nur einige Beispiele: Bruno von Querfurth und Benno von Meissen; Hildegard von Bingen und Elisabeth von Thüringen; Hedwig von Andechs und Gertrud von Helfta; Albert der Große und Petrus Canisius; Edith Stein und Alfred Delp, Franz Stock und Karl Sonnenschein. Wirklich, ”ihre Verdienste sind nicht vergessen worden...“. ”Ihr Leib ist in Frieden bestattet, ihr Name lebt fort von Geschlecht zu Geschlecht. Von ihrer Weisheit erzählt die Gemeinde, ihr Lob verkündet das versammelte Volk“.
6. Und seht, indem wir dem Gedankengang der alttestamentlichen Lesung folgen und wir unseren Blick auf dieses wunderbare Bild richten, das die Liturgie vor uns zeichnet, gelangen wir bis zu eurer Generation in der Gegenwart.
Liebe Brüder und Schwestern! In der Tat hat, trotz aller Unterschiede, unsere Situation, unsere Aufgabe hat vieles gemein mit dem Auftrag des hl. Bonifatius. Mit ihm begann gewissermaßen die Geschichte des Christentums in eurem Land. Viele sagen, diese Geschichte des Christentums in eurem Land soll jetzt neu beginnen, und zwar durch euch, durch euer im Geist des hl. Bonifatius geformtes Zeugnis!
Wie kostbar ist es, daß ich gerade euch, liebe Katholiken aus den Räten und Verbänden des Laienapostolats, das ans Herz legen kann. Die Geschichte der katholischen Verbände in den letzten 130 Jahren, aber auch das Wirken der Räte des Laienapostolats, die bei euch eine gute Tradition haben und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überall entstanden sind, bieten eine verheißungsvolle Voraussetzung für den Auftrag der Stunde. Ruht nicht aus auf dem Erreichten, sondern wagt mutig wie Bonifatius den Anfang. Gebt als ”Freunde Christi“ den Menschen von heute das ”Evangelium Gottes“ und euer ”eigenes Leben“.
7. Durch Bonifatius ist nicht nur der Glaube gewachsen, sondern auch jene menschliche Kultur blühte auf, die Frucht und Bestätigung des Glaubens ist. In Glaubensvermittlung und Weltdienst habt auch ihr heute eure vornehmste Aufgabe als Laien. Wenn die Menschen, gerade die Jugend, ungestüm nach dem Sinn des Lebens fragen: Gebt ihr ihnen eine überzeugende, verständliche Antwort. Wenn das Recht auf Leben, wenn die ethischen Grundsätze wahrhaft humaner Kultur bedroht sind: schützt ihr das Recht und die Würde des Menschen! Wenn in Bildung und Erziehung ein bloß funktionalistisches, sinnentleertes Menschenbild um sich greift: tretet ihr ein für eine Bildung, die ausgeht vom Menschen als Bild Gottes! Wenn Konsum und Genuß einerseits, Angst vor der Grenze des Wachstums andererseits die Stimmung in der Gesellschaft prägen: entwickelt ihr einen neuen Lebensstil und menschliche Lebensbedingungen, die von der Hoffnung zeugen, die Christus uns schenkt.
Sankt Bonifatius hatte zur Schwester eine große Frau: die hl. Äbtissin Lioba, deren Grab nur wenige Kilometer von hier verehrt wird: schenkt ihr der Frau in unserer Gesellschaft und Kirche jene Bedeutung und jene Beachtung, die sie ihren hohen Auftrag erfüllen lassen für ein wahrhaft menschliches und christliches Leben. Wenn bei allem Fortschritt der Menschheit auch die Gruppe jener wächst, die in Randsituationen leben oder nicht voll teilhaben an den Früchten der allgemeinen Entwicklung: tretet ihr ein für das Recht und das Glück aller, seid ihr Vorkämpfer für eine weltumspannende soziale Ordnung, für Freiheit, Gerechtigkeit, Friede.
8. Liebe Brüder und Schwestern! Ihr seid mitverantwortlich für die Zukunft unserer Kirche. Seid selber ganz und gar Kirche. Stellt in euren Vereinigungen die Wesensmerkmale der Kirche, der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche dar.
Seid eins untereinander, seid - wie es eurer großen Tradition entspricht - Säulen und Stützen der Einheit zwischen der Herde Christi und ihren von Christus gesandten Hirten. Handelt nicht aus Prestige, Egoismus, Eigensinn, sondern seid ”ein Herz und eine Seele“. Fördert mit Nachdruck die Einheit der getrennten Christenheit! Die Einheit der Kirche war die Leidenschaft des hl. Bonifatius.
Seid heilig! Ja, heiligt euer eigenes Leben und haltet in eurer Mitte den gegenwärtig, der allein heilig ist. Nur wenn ihr die unverwechselbare Eigenart des Evangeliums zu eurer Lebensart macht, könnt ihr Menschen begeistern und anziehen. Und dient in eurem Weltzeugnis der Heiligung der Welt.
Bonifatius war ein Heiliger im Leben und Sterben.
Seid katholisch, allumfassend, offen, weltweit wie Bonifatius, der England und Deutschland und Rom in seinem Leben und Herzen verband. Schließt euch nicht in euren eigenen Sorgen und Problemen ein. Euer Einsatz für die ganze Menschheit, für die Dritte Welt, für Europa ist gefordert, damit der neue Anfang gelingt.
Seid schließlich Apostel, Zeugen des Glaubens nach dem Beispiel des Blutzeugen und Apostels der Deutschen, Bonifatius, eins mit Papst und Bischöfen, aber zugleich mutig zum unvertretbar und unabnehmbar eigenen Einsatz.
9. Erlaubt mir, liebe Brüder und Schwestern, daß ich diese Überlegungen am Grab des hl. Bonifatius, des Apostels eures Landes, mit einem Wunsch abschließe, den ich der heutigen Liturgie entnehme. Wir lesen im Buch Jesus Sirach: ”Ihre Nachkommen halten fest an ihrem Bund und ebenso ihre Kinder um der Väter willen. Ihre Nachkommen haben für immer Bestand, und ihre Frömmigkeit wird nie vergessen“.
Was kann ich euch noch und was kann ich euch mehr wünschen, der gegenwärtigen christlichen Generation auf deutschem Boden? Und was könnten wir gemeinsam inniger erbitten, hier an diesem heiligen Ort? Daß die nachfolgenden Generationen den Glauben an den Bund bewahren. Daß Christus ihr Weg, ihre Wahrheit und ihr Leben sei. Daß sie, wie ihr, zu diesem Ort kommen mögen, der den ”Anfang“ des Werkes Gottes in eurer Heimat bedeutet. Daß sie von hier aus die Gegenwart immer neu prägen.
... und eure Frömmigkeit wird nie vergessen.
Predigt bei der Hl. Messe in der Gnadenkapelle (Altötting)
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
1. Auf der Pilgerfahrt durch euer Land kommen wir beim Hause des Herrn, bei diesem Heiligtum zusammen, um uns in besonderer Weise mit Maria, Unserer Lieben Frau, zu treffen. An dieser Begegnung nehmt vor allem ihr teil, ehrwürdige Brüder und Schwestern, die ihr als Mitglieder der Orden, der Säkularinstitute und anderer geistlicher Gemeinschaften unter einer besonderen Berufung steht. Ihr könnt von euch sagen, daß durch eure geweihte Ganzhingabe ”euer Leben mit Christus in Gott verborgen ist“.
Mit euch komme ich als Pilger zur Gnadenkapelle von Altötting. Mit euch freue ich mich über die Gegenwart des Herrn Kardinals Joseph Ratzinger, Erzbischof von München und Freising, des Oberhirten der Diözese Passau, Bischof Antonius Hofmann, vieler Bischöfe und Weihbischöfe sowie der zahlreichen Pilger - Priester und Laien - aus Bayern und aus den benachbarten Ländern, die sich zu dieser abendlichen Eucharistiefeier hier versammelt haben. Ein herzliches ”Vergelt’s Gott“ für euer Kommen! Seid bedankt für das Gebet und die meist verborgenen stillen Opfer, mit denen ihr seit Wochen diese Begegnung geistlich vorbereitet habt! Seid bedankt für die in eurem Grußwort dem Nachfolger Petri bekundete mittragende Treue. Solche liebende Verbundenheitt läßt mich heute, am Kirchweihfest von St. Peter und St. Paul in Rom, bei euch wie zu Hause sein.
Erlaubt mir, unseren gemeinsamen Besuch in Altötting mit dem Besuch Mariens bei Zacharias und Elisabet zu vergleichen. Ich vertraue darauf, daß dieser unser Besuch reiche Frucht bringen wird, wenn wir ihn demjenigen Mariens ähnlich zu machen suchen. Dabei wollen wir uns möglichst vom Licht des in dieser Liturgie gehörten Wortes Gottes leiten lassen.
2. Maria betritt das Haus ihrer Verwandten, grüßt Elisabet und hört von ihr Worte des Grußes.
Diese Worte sind uns innig vertraut. Wir sprechen sie unzählige Male, vor allem wenn wir die Geheimnisse des Rosenkranzes betrachten: ”Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes“. So grüßt die Frau des Zacharias Maria. Sie spricht damit eine erste Seligpreisung aus, deren Echo in der Geschichte der Kirche und der Menschheit, in der Geschichte der menschlichen Herzen und Gedanken widerhallt. Konnte der Mensch je Höheres erreichen?
Konnte er jemals Tieferes von sich erfahren? Konnte der Mensch durch irgendwelche Errungenschaft seines Menschseins, durch Verstand, Geistesgröße oder heroische Leistungen höher erhoben werden, als ihm zuteil wurde in dieser ”Frucht des Leibes“ Mariens, in der das Ewige Wort, der wesensgleiche Sohn des Vaters, Fleisch geworden ist! Kann die Weite des menschlichen Herzens eine größere Fülle an Wahrheit und Liebe aufnehmen als jene, daß Gott selber sich anschickt, dem Menschen seinen einzigen Sohn zu schenken? Der Sohn Gottes wird Mensch, empfangen durch den Heiligen Geist! Ja wirklich, du bist mehr gesegnet als alle anderen Frauen, Maria!
Elisabet fügt ihrer ersten Seligpreisung eine zweite hinzu: ”Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“. Elisabet rühmt und preist den Glauben Mariens.
Sie hat sich damit zutiefst in die einzigartige Größe jenes Augenblicks eingefühlt, in dem die Jungfrau aus Nazaret die Worte der Verkündigung gehört hatte. Denn diese Botschaft hatte alle Maße menschlichen Begreifens gesprengt, trotz der hohen Tradition des Alten Bundes. Und seht, Maria hat diese Worte nicht nur gehört, sie nicht nur aufgenommen, sie hat ihnen die voll entsprechende Antwort gegeben: ”Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“. Eine solche Antwort erfordert von Maria einen bedingungslosen Glauben, einen Glauben nach dem Vorbild Abrahams und Moses, ja einen noch größeren. Eben diesen Glauben Mariens preist Elisabet.
3. Meine lieben Brüder und Schwestern! Im Hinblick auf das Geheimnis der persönlichen Berufung eines jeden von euch können wir gewissermaßen - freilich unter Wahrung der Proportionen - wiederholen: ”Selig, weil du geglaubt hast“. Der Glaube Mariens ist auch in euch aufgeleuchtet, als ihr euer ”Fiat“, euer Ja zum Ruf in die besondere Nachfolge Christi gesprochen habt. Nur im Glauben konntet ihr - wie einst die Jünger am See Genesaret - die ersten Schritte der vom Herrn Berufenen tun: im Glauben habt ihr das Wort des Rufenden in euch gehört; im Glauben habt ihr euren bisherigen Lebensraum mit all seinen Möglichkeiten verlassen; im Glauben die Nachfolge des Herrn angetreten, von nun an bereit, nur mehr aus der totalen Bindung an ihn den Sinn und die Fruchtbarkeit eures Lebens zu erwarten.
Im Glauben an die Treue des Rufenden und die Kraft seines Geistes habt ihr euch in den Gelübden der Armut, der gottgeweihten Jungfräulichkeit und des Gehorsams Gott zur Verfügung gestellt; und das nicht als ”Verpflichtung auf Widerruf“, nicht als ”Kloster auf Zeit“, nicht als Mitarbeiter in einer Gruppe, die sich für eine Aufgabe zusammenfindet und beliebig wieder auseinander geht. Nein, ihr habt im Glauben ein Ja für ganz und für immer gesprochen, das in eurer Lebensform, bis hin zum Ordenskleid, seinen Ausdruck findet. In unserer Zeit der Bindungsangst, wo viele in ein ”Leben auf Probe“ ausweichen möchten, kommt es euch zu, Zeugnis dafür zu geben, daß eine endültige Bindung, eine das ganze Leben tragende Entscheidung auf Gott hin gewagt werden kann; daß sie euch frei und froh macht, wenn sie Tag für Tag erneuert wird.
Euer Ja, vor Jahren oder Jahrzehnten gegeben, muß dem Herrn immer neu bekräftigt werden. Dazu braucht es das tägliche Hineinhorchen in das Geheimnis des je größeren Gottes, das tägliche Eingehen auf seine gekreuzigte - und kreuzigende - Liebe. Nur er kann das Geschenk der Berufung in euch lebendig erhalten. Nur er kann durch seinen Geist die immer wieder erfahrene Schwäche überwinden.
Auch das Ja Mariens, in einmaliger Entscheidung gesprochen, mußte von ihr immer neu eingelöst werden, bis zu ihrem Aushalten unter dem Kreuz, wo sie ihren Sohn hingab und uns zur Mutter wurde. Er, der Marias Ja zur Mitwirkung an der Erlösung in Anspruch genommen hat, will auch das euere in Anspruch nehmen. Ihr habt es gesprochen! Sprecht es täglich neu! Dann gilt auch für euch: ”Selig, weil du geglaubt hast!“.
4. Der Glaube läßt den Stand der Ordensleute zu einem besonderen Zeugnis des kommenden Gottesreiches werden. Christus spricht von diesem Reich im Zusammenhang mit dem Geheimnis der Auferstehung des Fleisches: ”Bei der Auferstehung werden sie nicht mehr heiraten“. In dem Gottesdienst, den wir heute bei Unserer Lieben Frau in Altötting feiern, ist dieses Geheimnis im Brief des heiligen Paulus an die Korinther ausgesprochen: ”Wenn sich aber dieses Vergängliche mit dem Unvergänglichen bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus, unseren Herrn“.
Diese eindrucksvollen Worte des Völkerapostels wurden heute zu Ehren Mariens verlesen. Sie ist nämlich durch ihre Aufnahme in den Himmel zur vollen Teilhabe an der Auferstehung Christi gelangt.
Dieselben Worte richtet der Apostel jedoch auch an euch, liebe Brüder und Schwestern; denn ihr habt im großen Ja eures Lebens die gottgeweihte Ehelosigkeit ”um des Himmelreiches willen“ erwählt. Dadurch seid ihr ein sichtbares Zeichen des kommenden Gottesreiches!
Das Herz eines jeden von euch, die ihr auf irdische Vater- und Mutterschaft verzichtet habt, möge immer wieder erfüllt werden vom unschätzbaren Reichtum geistlicher Vater- und Mutterschaft, derer so viele eurer Mitmenschen ganz dringend bedürfen! Ihr liebt nicht weniger; ihr liebt mehr!
Daß ihr in einer ganz tiefen Weise zu sorgen, zu helfen, zu heilen, zu bilden, zu führen und zu trösten versteht, das bezeugen nicht zuletzt die vielen, oft ergreifenden Briefe, in denen der Papst angefleht wird, es doch nicht zuzulassen, daß Schwestern, Patres oder Brüder von einem Kindergarten, einer Schule, von einem Altenheim oder Krankenhaus, von einer Sozialstation oder Pfarrei abgezogen werden.
Warum wird euer Dienst so geschätzt? Nicht nur wegen eurer fachlichen Tüchtigkeit; nicht nur weil ihr dank eurer Lebenswahl mehr Zeit schenken könnt; sondern in erster Linie deshalb, weil die Menschen spüren, daß durch euch ein Anderer wirkt. Denn in dem Maß, in dem ihr eure volle Hingabe an den Herrn lebt, teilt ihr etwas von ihm mit; und nach ihm verlangt letztlich das menschliche Herz.
Ihn liebt ihr in allen, die eurer vielfältigen Sorge, eurem fürbittenden Gebet, eurem verborgenen Opfer anvertraut sind. Ihm dient ihr ”in den Kranken und Alten, den Behinderten und Benachteiligten, deren sich sonst niemand annimmt..., in den Kindern, den Jugendlichen, in Schule, Katechese und Seelsorge. Ihm dient ihr in den einfachsten Diensten, wie auch in der Erfüllung von Aufgaben, die manchmal hohe Bildung erfordern“. Seinetwillen verlassen viele aus euren Gemeinschaften ihre Heimat, um in nimmermüdem Einsatz in den jungen Kirchen dem Reich Gottes zu dienen. - Ihn sucht und findet ihr überall, wie die Braut des Hohenliedes: ”... ich habe den gefunden, den meine Seele liebt“. Diese Lebenserfüllung - daß ihr in allem ihn und in ihm alles findet - ist zugleich die beste Ermutigung für junge Christen, sich in der Kirche auf den Ruf Jesu einzulassen - auch auf den Ruf in den Stand der Räte. In euch kann ihnen aufleuchten, daß, wer sich hingibt, den Sinn seines Lebens gefunden hat.
Maria, zu der wir heute nach Altötting gepilgert sind, trägt die Züge jener Frau an sich, die uns die Geheime Offenbarung beschreibt: ”Eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“. Diese Frau, die am Ende der Schöpfungs- und Heilsgeschichte steht, entspricht offenbar der, von welcher es auf den ersten Seiten der Bibel heißt, sie werde ”der Schlange den Kopf zertreten“.
Zwischen diesem verheißenden Anfang und dem apokalyptischen Ende hat eben Maria einen Sohn ans Licht gebracht, ”der alle Völker weiden wird mit eisernem Stab“.
Ihre Ferse ist es, die von jener ersten ”Schlange“ verfolgt wird. Sie ist es, mit der der apokalyptische Drache kämpft, denn als Mutter der Erlösten ist sie Bild der Kirche, die wir ebenso Mutter nennen.
Liebe Brüder und Schwestern! An diesem geistigen Kampf teilzunehmen, seid ihr in besonderer Weise gerufen! Ihr seid gerufen in diese dauernde Auseinandersetzung, die unsere Mutter Kirche durchsteht und die in ihr das Bild der Frau, der Mutter des Messias formt. Ihr, die in der Anbetung des heiligen Gottes die Mitte ihres Berufes finden, seid auch der Anfechtung des Bösen besonders ausgesetzt - wie es in der Versuchung des Herrn beispielhaft sichtbar wird. Der Kampf tobt zwischen dem Wort Gottes und der Parole des Bösen, zwischen ”Laß diese Steine zu Brot werden!“ und ”Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Gott will, daß wir die Erde uns untertan machen, indem wir sie - und uns selbst - vollenden. Die Versuchung des Bösen will, daß wir sie und uns entstellen; daß uns die Arbeit versklavt und die Freizeit verwöhnt; daß wir für unser Äußeres endlose Opfer bringen und innen verkümmern, das Heim ausschmücken und heimatlos sind, aufs Haben schauen und das Sein vergessen; daß der Besitz unser ”Gott“ wird. - Durch den inneren Kampf um den Geist der Armut und durch die zeichenhafte Sichtbarkeit dieser Armut helft ihr, liebe Schwestern und Brüder, allen Gliedern der Kirche und der Menschheit, diese Welt sorgsam zu verwalten, die Dinge so zu besitzen, daß sie nicht uns besitzen, den Lebensunterhalt nicht zum Lebensinhalt zu machen.
”Stürz dich hinab“, so heißt die zweite Versuchung Jesu. Stürze dich ins Abenteuer, wage den Sprung ins Reich der Träume, so lockt es heute; berausche dich am Füllhorn des Lebens - im Rausch der Geschwindigkeit, im Rausch der Sinnlichkeit, im Rausch der Wahnbilder und im Rausch der Gewalttat. Gott hat uns ein Herz zum Erleben gegeben und vieles, was uns erfüllen kann - vor allem das Du. Aber ohne ihn ist alles zu wenig. Entweder wir suchen in ihm unser Glück oder wir verfehlen es - gejagt von der Jagd nach dem Glück, von Enttäuschung zu Enttäuschung, bis hin zu Überdruß und Ekel. - Durch euren Verzicht auf das ehelich erfüllende Du und durch die besondere Pflege der liebenden Offenheit für Gott, liebe Brüder und Schwestern, helft ihr allen in der Kirche: sich hinzugeben, ohne sich zu verlieren; aufeinander zuzugehen, um miteinander in Gott hineinzuwachsen; des Vergehenden, wie die Liturgie betet, sich so zu erfreuen, daß man zugleich schon dem Ewigen verbunden ist.
Noch herrlicher und gefährlicher als die Welt und das Du, als Besitz und Glück, ist das Ich und sein Anspruch auf Verwirklichung. Gott will den Menschen ”nach seinem Bild und Gleichnis“; Luzifer will ihn als Gegengott - der die Anbetung verweigert und als Preis dafür dem Götzen verfällt: ”Er zeigte ihm alle Reiche der Welt...: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest. Alles schöpferische Gestalten und jede Selbstverwirklichung - in der Politik, in der Wirtschaft, im Geistesleben und auch in der Kirche - hat die Gefahr der Eitelkeit, des Stolzes, ja der Rücksichtslosigkeit. - Liebe Ordensleute, durch euren treuen Kampf um den Geist des Gehorsams und durch dessen sichtbares Zeichen, den Gehorsam gegenüber dem Oberen, helft ihr allen Gläubigen, und der Kirche selbst, die Versuchung der Macht zu erkennen und zu bestehen; helft ihr, die Freiheit zu vollenden in der Hingabe.
Gerade heute, vielleicht mehr denn je, braucht das Reich Gottes, das ”Gewalt leidet“, neue ”Kampfer“, den Versuchungen und Anforderungen unserer Zeit entsprechend. Es will sie finden in euren Klöstern und Gemeinschaften, vom gemeinsamen Leben geformt und getragen. Seid überzeugt, daß solche großherzige Männer und Frauen neue Generationen nach sich ziehen werden, die Christus nachfolgen und ”das Angesicht der Erde erneuern“ - auch heute und morgen!
5. In diesen Tagen meiner Pilgerschaft bei euch gedenkt die Kirche dreier Heiliger eurer Heimat.
Ihnen möchte ich zum Abschluß euren Weg und Dienst in der Kirche anempfehlen. Der hl. Albert helfe euch, aus den Zeichen der Zeit den Anruf Gottes zu hören und im Geist eurer Gründer zu beantworten. Die hl. Gertrud erwirke euch den Eifer und die Frucht der Gottbegegnung in Betrachtung und Liturgie. Die hl. Elisabeth vermittle euch das feine Gespür und die unbegrenzte Offenheit in der Zuwendung zu allen, die euch brauchen.
Albert, Gertrud, Elisabeth - zu ihnen gesellt sich hier in Altötting der demütig-frohe Pförtner des Sankt-Anna-Klosters, der hl. Bruder Konrad. Wir sehen ihn in seiner Zelle knien - vor dem Fensterchen, das man ihm eigens durch die Mauer gebrochen hatte, damit er immer zum Altar der Kirche schauen konnte. Durchbrechen auch wir mitten im Alltag die Mauern des Sichtbaren, um immer und überall den Herrn im Auge zu behalten!
Zusammen mit Maria wollen wir nun unseren Besuch bei dem ihr so lieben Heiligtum fortsetzen.
Treten wir vereint mit ihr ein und laßt uns wiederholen: ”Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten“.
Wahrhaftig, meine lieben Brüder und Schwestern! Der Allmächtige hat ”Großes“ an jedem von euch getan! Großes! An jedem von euch! Hört nicht auf, ihn zu preisen! Hört nicht auf, ihm zu danken! Hört nicht auf, eure Ganzhingabe, eure Berufung jeden Tag von neuem zu leben unter dem Schutz der Unbefleckten Jungfrau, Unserer Lieben Frau von Altötting!
So wird das Reich Gottes in euch leben!
Gebet an die Gnaden-Madonna (Altötting)
Sei gegrüßt, Mutter der Gnaden von Altötting!
1. Seit einigen Tagen führen mich meine Wege als Pilger durch die geschichtsreichen deutschen Lande auf den Spuren des Christentums, das schon zur Zeit der Römer hierhergelangt ist. Der heilige Bonifatius, der Apostel Deutschlands, hat den christlichen Glauben unter den jungen Völkern erfolgreich verbreitet und seine Missionsarbeit durch den Märtyrertod besiegelt.
Mein Schritt ist schnell, das Programm der Pilgerfahrt gedrängt, so daß ich nicht alle Orte besuchen kann, zu denen mich ihre historische Bedeutung und die Neigung des Herzens führen möchten. Es gibt so viele wichtige und hervorragende Stätten!
Heute, da ich für wenige Stunden hier in Altötting weilen darf, wird mir erneut bewußt, wie sich auch die Wege meiner jetzigen Pilgerreise mit dem Bekenntnis des Glaubens verbinden, welches die wichtigste Aufgabe des Petrus und seiner Nachfolger ist. Wenn ich Christus verkündige, den Sohn des lebendigen Gottes, ”Gott von Gott“ und ”Licht vom Licht“, ”eines Wesens mit dem Vater“, dann bekenne ich zugleich mit der ganzen Kirche, daß er Mensch geworden ist durch den Heiligen Geist und geboren wurde von der Jungfrau Maria. Dein Name, Maria, ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Deine Berufung und dein Ja dazu gehören fortan unlösbar zum Geheimnis der Menschwerdung.
2. Zusammen mit der ganzen Kirche bekenne und verkündige ich, daß Jesus Christus in diesem Geheimnis der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist; denn seine Menschwerdung hat den Kindern Adams, die der Macht der Sünde und des Todes unterworfen sind, die Erlösung und Rechtfertigung gebracht. Zugleich bin ich jedoch zuinnerst davon überzeugt, daß niemand so tief wie Du, die Mutter der Erlösers, in dieses machtvolle und überwältigende göttliche Geheimnis eingeführt worden ist; und niemand ist besser imstande, uns, die wir es verkünden und selbst daran teilhaben, leichter und klarer darin einzuführen als Du allein, Maria.
In dieser Glaubensüberzeugung lebe ich seit langem. Mit ihr gehe ich von Anfang an meinen Pilgerweg als Bischof jener Ortskirche, die der Apostel Petrus in Rom gegründet hat und deren besondere Sendung es immer war und noch heute ist, der ”communio“ zu dienen, das heißt der Einheit in der Liebe zwischen den einzelnen Ortskirchen und allen Brüdern und Schwestern in Christus.
Mit der gleichen Überzeugung komme ich heute hierher, an Deine Gnadenstätte in Altötting, Mutter der Gnaden, umgeben von der Verehrung und Liebe so vieler Gläubiger aus Deutschland und Österreich sowie anderen Gegenden deutscher Sprache; gestatte mir, diese Überzeugung aufs neue zu bekräftigen und Dir mit diesem Gebet vorzutragen.
3. Auch hier möchte ich Dir, unserer Mutter, die Kirche anvertrauen, da Du ja im Abendmahlssaal zugegen warst, als die Kirche durch die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel sich offen kundgetan hat. Ich vertraue Dir heute vor allem die Kirche an, die seit vielen Jahrhunderten in diesem Lande besteht und jene große Glaubensgemeinschaft bildet immitten der Völker, die dieselbe Sprache sprechen. Dir, Mutter, empfehle ich die gesamte Geschichte dieser Kirche und ihre Aufgaben in der heutigen Welt: ihre vielfältigen Initiativen und ihren unermüdlichen Dienst für alle Landsleute in ihrem Vaterland wie auch für so viele Gemeischaften und Kirchen in aller Welt, denen die Christen Deutschlands so bereitwillig und hochherzig Hilfe leisten.
Maria, die Du selig bist, weil Du geglaubt hast, Dir vertraute ich an, was das Wichtigste im Dienst der Kirche in diesem Land zu sein scheint: ihr kraftvolles Glaubenszeugnis gegenüber der heutigen Generation der Männer und Frauen dieses Volkes angesichts einer zunehmenden Verweltlichung und religiösen Gleichgültigkeit. Dieses Zeugnis möge stets die klare Sprache des Evangeliums sprechen und so einen Zugang zu den Herzen finden, vor allem der jungen Generation. Es ziehe die Jugend an und begeistere sie für ein Leben nach dem Bild des ”neuen Menschen“ und für die verschiedenen Dienste im Weinberg des Herrn.
4. Mutter Christi, der vor seinem Leiden gebetet hat: ”Vater... alle sollen eins sein“ - wie sehr ist mein Weg durch die deutschen Lande gerade in diesem Jahr mit der drängenden und demütigen Sehnsucht nach Einheit unter den Christen verbunden, die seit dem 16. Jahrhundert getrennt sind!
Kann einer inniger als Du wünschen, daß sich das Gebet Christi im Abendmahlssaal erfülle? Und wenn wir selbst dabei bekennen müssen, mitschuldig an der Spaltung geworden zu sein, und heute um eine neue Einheit in der Liebe und Wahrheit beten, dürfen wir dann nicht hoffen, daß Du, Mutter Christi, zusammen mit uns betest? Dürfen wir nicht hoffen, daß die Frucht dieses Gebetes zur gegebenen Zeit einmal das Geschenk jener ”Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ sein wird, die unerläßlich ist, ”damit die Welt glaubt“?
Dir, Mutter, vertraue ich die Zukunft des Glaubens in diesem alten christlichen Land an; und eingedenk der Bedrängnisse des letzten furchtbaren Krieges, der besonders den Völkern Europas so tiefe Wunden zugefügt hat, vertraue ich Dir den Frieden in der Welt an. Unter diesen Völkern möge eine neue Ordnung entstehen, die sich auf die volle Achtung der Rechte einer jeden Nation und eines jeden Menschen in seiner Nation gründet, eine wahrhaft sittliche Ordnung, in der die Völker zusammenleben können wie in einer Familie durch den gebührenden Ausgleich von Gerechtigkeit und Freiheit.
Dieses Gebet richte ich an Dich, Königin des Friedens und Spiegel der Gerechtigkeit - ich, Johannes Paul II., Bischof von Rom und Nachfolger des heiligen Petrus -, und hinterlasse es an Deiner Gnadenstätte in Altötting zum bleibenden Gedenken. Amen.
An die Theologie-Professoren (Altötting)
Geehrte Herren Professoren!
Liebe Mitbrüder!
Es ist mir eine besondere Freude, am Ende dieses Tages mit Ihnen zusammenzukommen. Es war mein persönlicher Wunsch, mit Vertretern der Theologie Ihres Landes eine Begegnung zu haben.
Schließlich gehört die theologische Wissenschaft gerade heute zu den wichtigsten Vollzugsformen und Aufgaben des kirchlichen Lebens. Ich begrüße Sie und in Ihnen alle theologischen Wissenschaftler herzlich. Sie stehen in einer großen Tradition, wenn ich nur an den hl. Albert den Großen, Nikolaus von Kues, Möhler und Scheeben, Guardini und Przywara denke. Ich nenne diese hervorragenden Theologen stellvertretend für viele andere, die in der Vergangenheit wie in der Gegenwart nicht nur die Kirche des deutschen Sprachraums, sondern die Theologie und das Leben der ganzen Kirche bereichert haben und noch ständig bereichern.
Darum möchte ich Ihnen und allen, die Sie vertreten, von Herzen für diese Arbeit danken. Die wissenschaftliche Arbeit ist fast immer eine stille und entsagungsvolle Tätigkeit. Dies gilt besonders für die Bereitstellung zuverlässiger Texte und die Erschließung der Quellen der Theologie. Viele patristische, mittelalterliche und neuzeitliche Texteditionen verdanken wir der selbstlosen Arbeit von Forschern Ihres Landes. Je umfangreicher das Gesamtwissen der Theologie wird, um so dringlicher wird die Aufgabe einer Synthese. In zahlreichen Lexika, Kommentarwerken und Handbüchern haben Sie für fast alle Disziplinen sehr hilfreiche und gelungene Überblicke über den Wissensstand geschaffen. Gerade in der nachkonziliaren Zeit sind solche Grundorientierungen besonders wichtig geworden, daß mit den Einsichten unserer Gegenwart das Erbe der Vergangenheit vermittelt wird.
Dabei ist es vor allem auf dem Gebiet der Auslegung der Bibel zu einer erfreulichen Zusammenarbeit der exegetischen Fachleute gekommen, die auch den ökumenischen Bemühungen reiche Impulse gegeben hat und gewiß noch geben wird. Ich bitte Sie alle, in dieser soliden theologischen Forschung fortzufahren. Achten Sie dabei genau auf die Fragen und Nöte des heutigen Menschen; aber lassen Sie sich nicht beirren von zufälligen und kurzlebigen Strömungen des menschlichen Geistes. Die wissenschaftliche und gerade die theologische Erkenntnis braucht den Mut zum Wagnis und die Geduld des Reifens. Sie hat ihre eigenen Gesetze, die sie sich nicht von außen aufzwingen lassen darf.
Wenn die theologische Forschung zu den echten Schätzen der Kirche Ihres Landes gehört, so wird dies sicher auch durch die Einbeziehung der Theologie in die staatlichen Universitäten ermöglicht.
Das Verhältnis zwischen der Freiheit der wissenschaftlichen Theologie und ihrer Bindung an die Kirche, wie es in den Konkordaten verankert ist, hat sich trotz einiger Konflikte als Modell immer wieder bewährt. Es gibt Ihnen die Chance, Philosophie und Theologie im Kontext und in Kooperation mit allen Wissenschaften einer modernen Universität treiben zu können. Diese Situation hat auch die Qualität der philosophisch-theologischen Hochschulen der Bistümer und Orden, die Gesamthochschulen und die Pädagogischen Hochschulen wie auch kirchliche Forschungsinstitute geprägt. Die Veröffentlichung der theologischen Erkenntnisse wäre schließlich ohne leistungsfähige katholische Verlage nicht möglich. In meinen Dank möchte ich alle jene einbeziehen, welche auf vielfältige Weise die theologische Wissenschaft fördern.
Wer viel empfangen hat, hat auch große Aufgaben. Sie haben in der heutigen manchmal krisenhaft erscheinenden Situation der Theologie eine hohe Verantwortung. Ich möchte daher die Gelegenheit benützen, um Ihnen drei Perspektiven in Erinnerung zu rufen, die mir besonders am Herzen liegen.
1. Die Fülle der Aufgaben und Fragestellungen, Methoden und Disziplinen ist mit der Komplexität und Spezialisierung des heutigen Wissen gegeben. Sie hat wertvolle Erkenntnisse und Neueinsichten gebracht. Aber es besteht die Gefahr, daß durch die Menge des Einzelwissens Sinn und Ziel der Theologie gelegentlich verdunkelt wird. Da die Spuren Gottes in einer säkularisierten Welt ohnehin sehr verschüttet sind, ist diese Konzentration auf den Dreifaltigen Gott als Ursprung und bleibenden Grund unseres Lebens und der ganzen Welt die vordringlichste Aufgabe der heutigen Theologie.
Alle Leidenschaft des theologischen Erkennens muß am Ende zu Gott selbst führen. Noch während des II. Vatikanischen Konzil glaubte man, die Bentwortung der Gottesfrage voraussetzen zu dürfen.
Inzwischen hat sich erwiesen, daß gerade das Verhältnis des Menschen zu Gott brüchig geworden ist und der Stärkung bedarf. Ich möchte Sie darum bitten, daß Sie mit allen Ihren Kräften an der Erneuerung des Gottesverständnisses arbeiten, wobei ich die Trinität Gottes und den Schöpfungsgedanken unterstreichen möchte.
Konzentration auf Gott und sein Heil für die Menschen bedeutet eine innere Ordnung der theologischen Wahrheiten. Gott, der Vater, Jesus Christus und der Heilige Geist stehen in der Mitte. Das Wort der Schrift, die Kirche und die Sakramente bleiben die großen geschichtlichen Stiftungen des Heils für die Welt; aber die vom II. Vatikanischen Konzil verlangte ”Rangordnung der Wahrheiten“ bedeutet nicht eine simple Reduzierung des umfassenden katholischen Glaubens auf einige wenige Grundwahrheiten, wie manche gemeint haben. Je tiefer und radikaler die Mitte erfaß wird, um so deutlicher und überzeugender werden auch die Verbindungslinien vom göttlichen Zentrum zu jenen Wahrheiten, die eher am Rande zu stehen scheinen. Die Tiefe der Konzentration zeigt sich auch in der Reichweite ihrer Ausstrahlung auf die ganze Theologie.
Die Arbeit des Theologen im Dienste der Lehre über Gott ist nach dem Verständnis des heiligen Thomas von Aquin zugleich ein Akt der Liebe gegenüber dem Menschen. Indem sie ihm in größtmöglicher Tiefe und Fülle bewußt macht, daß er das Du allen göttlichen Sprechens und das Ziel allen göttlichen Handelns ist, erläutert und verdeutlicht sie ihm seine eigene, alle endlichen Grenzen überschreitende, endgültige und ewige Dimension.
2. Jede Theologie ist auf die Heilige Schrift gegründet, gründet alle theologischen Überlieferungen auf die Heilige Schrift und führt wieder zu ihr zurück. Bleiben Sie darum der doppelten Aufgabe jeder Schriftauslegung treu: Bewahren Sie das unvergleichliche Evangelium Gottes, das nicht von Menschen gemacht ist, und haben Sie zugleich den Mut, dies in dieser Reinheit neu in die Welt hinauszutragen. Das Studium der Heiligen Schrift bleibt darum, wie die Konstitution über die göttliche Offenbarung des II. Vatikanischen Konzil sagt: ”Die Seele der Theologie“. Sie ernährt und verjüngt immer wieder unser theologisches Suchen. Leben wir aus der Schrift, dann kommen wir bei allen Unterschieden, die noch bleiben mögen, den von uns getrennten Brüdern näher.
Der Brückenschlag von der Schrift zu den Sorgen unserer Gegenwart geschieht für den katholischen Theologen nicht ohne die Vermittlung der Tradition. Diese ersetzt nicht das Wort Gottes in der Bibel, vielmehr bezeugt sie es im Gang der Zeiten durch eine jeweils neue Auslegung. Bleiben Sie immer mit der lebendigen Tradition der Kirche im Gespräch. Lernen Sie von ihren oft noch unentdeckten Schätzen. Zeigen Sie den Menschen der Kirche, daß Sie sich dabei nicht auf vergangene Relikte verlassen, sondern daß unser großes Erbe von den Aposteln bis heute zugleich ein großes Potential zur Beantwortung heutiger Sinnfragen in sich birgt. Wir können das Evangelium Gottes besser weitergeben, wenn wir auf die Heilige Schrift und ihr Echo in der lebendigen Überlieferung der Kirche achten. Wir werden dann auch kritischer und sensibler gegenüber der eigenen Gegenwart. Sie ist nicht das einzige und auch nicht das letzte Maß theologischer Erkenntnis.
Das Bemühen um die große Überlieferung unseres Glaubens ist nicht einfach. Zu ihrer Erschließung braucht man fremde Sprachen, deren Kenntnis heute leider oft abnimmt. Alles kommt darauf an, die Quellen nicht nur historisch zu erschließen, sondern sie mit ihrem sachlichen Anspruch in unsere Zeit hineinsprechen zu lassen. Die katholische Kirche, die alle Zeiten der Kulturen umspannt, ist der Überzeugung, daß jede Zeit eine Erkenntnis der Wahrheit gewonnen hat, die auch für uns nützlich ist. Zur Theologie gehört die prophetische Erneuerung aus diesen Quellen, die zugleich Aufbruch und Kontinuität bedeuten. Haben Sie den Mut, die jungen Menschen, die Ihnen zum Studium der Philosophie und Theologie anvertraut sind, zu diesen Schätzen unseres Glaubens zu führen.
3. Die Theologie ist eine Wissenschaft mit allen Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis. Sie ist in der Anwendung ihrer Methoden und Analysen frei. Gleichwohl muß die Theologie darauf achten, in welchem Verhältnis sie zum Glauben der Kirche steht. Nicht uns selbst verdanken wir den Glauben, er ist vielmehr ”auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut, der Schlußstein ist Christus Jesus selbst“. Auch die Theologie muß den Glauben voraussetzen. Sie kann ihn erhellen und fördern, aber sie kann ihn nicht produzieren. Auch der Theologe steht immer schon auf den Schultern der Väter im Glauben. Er weiß, daß sein Fachgebiet nicht rein historische Gegenstände oder Objekte in einer künstlichen Retorte sind, sondern daß es um den gelebten Glauben der Kirche geht. Nicht zuletzt darum lehrt der Theologe im Namen und im Auftrag der kirchlichen Glaubensgemeinschaft. Er soll und muß neue Vorschläge zum Verständnis des Glaubens machen, aber diese sind nur ein Angebot für die ganze Kirche. Vieles muß im brüderlichen Gespräch korrigiert und erweitert werden, bis die ganze Kirche es annehmen kann. Theologie ist zutiefst ein sehr selbstloser Dienst an der Gemeinschaft der Gläubigen. Darum gehören die sachliche Disputation, das brüderliche Gespräch, Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Meinungen wesentlich zu ihr.
Der Gläubige hat ein Recht zu wissen, worauf er sich in Glauben verläßt. Die Theologie muß dem Menschen zeigen, wo er einen letzten Halt findet. Nicht zuletzt darum ist der Kirche der Geist der Wahrheit geschenkt. Das Lehramt gibt es nur, um die Wahrheit des Wortes Gottes festzustellen, vor allem wo es von Entstellungen und Mißverständnissen bedroht ist. In diesem Kontext ist auch die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes zu sehen. Ich möchte wiederholen, was ich in meinen Brief vom 15. Mai dieses Jahres an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz geschrieben habe: ”Die Kirche muß... sehr demütig und gewiß darüber sein, daß sie in eben jener Wahrheit, in jener Glaubens- und Sittenlehre bleibt, die sie von Christus empfangen hat, der sie in diesem Bereich mit dem Geschenk einer besonderen “Unfehlbarkeit” ausgestattet hat“. Die Unfehlbarkeit ist zwar von weniger zentralem Stellenwert in der Hierarchie der Wahrheiten, aber sie ist ”in gewisser Weise der Schlüssel zu jener Gewißheit, mit der der Glaube bekannt und verkündet wird, wie auch zum Leben und Verhalten der Gläubigen. Wenn man nämlich diese wesentliche Grundlage erschüttert oder zerstört, beginnen sich zugleich auch die elementarsten Wahrheiten unseres Glaubens aufzulösen“.
Die Liebe zur konkreten Kirche, die auch die Treue zum Glaubenszeugnis und zum kirchlichen Lehramt einschließt, entfremdet den Theologen nicht seiner Arbeit und nimmt dieser nichts von dieser unverzichtbaren Eigenständigkeit. Lehramt und Theologie haben beide eine unterschiedliche Aufgabe. Darum können sie auch nicht aufeinander reduziert werden. Dennoch dienen sie dem einen Ganzen. Gerade bei dieser Struktur müssen Sie jedoch stets miteinander im Gespräch bleiben. Sie haben in den Jahren nach dem Konzil viele Beispiele einer guten Kooperation von Theologie und Lehramt gegeben. Vertiefen Sie diese Basis und setzen Sie, auch wenn immer wieder einmal Konflikte entstehen, Ihre gemeinsame Arbeit im Geist des gemeinsamen Glaubens, derselben Hoffnung und der alle verbindenden Liebe fort.
Ich wollte Sie an diesem Abend treffen, um Sie in Ihrer bisherigen Arbeit zu bestätigen und zu weiteren Leistungen zu ermutigen. Vergessen Sie nicht Ihre große Sendung für die Kirche unserer Tage. Arbeiten Sie sorgfältig und unermüdlich. Treiben Sie bei aller Akribie eine Theologie nicht nur des Verstandes, sondern auch des Herzens. Gerade der hl. Albert der Große, anläßlich dessen 700. Todestages ich nach Deutschland kam, hat immer wieder darauf hingewiesen, Wissenschaft und Frömmigkeit, geistige Einsicht und den ganzen Menschen in Einklang zu bringen. Seien Sie vielen Theologiestudenten Ihres Landes gerade heute auch Vorbilder gelebten Glaubens. Seien Sie erfinderisch im Glauben, damit wir alle zusammen den vielen Menschen, die nicht mehr am Leben der Kirche teilhaben, mit einer neuen Sprache Christus und seine Kirche wieder näher bringen können. Vergessen Sie nie Ihre Verantwortung für alle Glieder der Kirche, denken Sie besonders an die wichtige Aufgabe der Glaubensverkündigung durch die Missionare in aller Welt.
Bevor ich Sie persönlich kennenlernen möchte, bitte ich Sie, brüderliche Grüße und Gottes Segen von mir mitzunehmen für alle Ihre Kollegen, Mitarbeiter, Studentinnen und Studenten. ”Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit euch allen“.
Mittwoch, den 19. November 1980
Predigt bei der Hl. Messe für die Jugendlichen (München)
Liebe Brüder und Schwestern,
liebe Jugend!
1. Wenn Christus über das Reich Gottes spricht, gebraucht er oft Bilder und Gleichnisse. Sein Bildwort von der ”Ernte“, von der ”großen Ernte“ mußte seine Hörer damals an jene jährlich wiederkehrende, so sehr ersehnte Zeit erinnern, da man sich anschicken konnte, endlich die mit Hilfe vieler und schwerer menschlicher Arbeit und Mühe gewachsenen Früchte der Erde zu ernten. Das Wort von der ”Ernte“ lenkt heute auch unsere Gedanken in die gleiche Richtung, obwohl wir als Menschen von Ländern mit hoher Industrialisierung kaum noch eine rechte Vorstellung davon haben, was das Reifen und Ernten der Früchte der Erde für den Landwirt und überhaupt für den Menschen bedeuten.
Mit dem Bild vom Getreide, das zur Ernte heranreift, meint Christus das innere Wachsen und Reifen des Menschen.
Der Mensch ist eingebunden in seine Natur und von ihr abhängig. Zugleich überragt er sie jedoch mit der ganzen inneren Ausrichtung seines personalen Wesens. Deshalb ist menschliches Reifen etwas anderes als Heranreifen in der Natur. Bei ihm geht es nicht nur um körperliche und geistige Anstrengungen. Zum Heranreifen des Menschen gehört darum wesentlich die geistliche, die religiöse Dimension seines Seins. Wenn Christus von der ”Ernte“ spricht, meint er, daß der Mensch heranreifen muß auf Gott hin und dann in Gott selbst, in Seinem Reich, die Frucht seines Ringens und Reifens empfängt.
Auf diese Wahrheit des Evangeliums möchte ich euch, ihr jungen Menschen von heute, mit großem Ernst und zugleich froher Hoffnung hinweisen. Ihr steht in einer besonders wichtigen, kritischen Zeit eures Lebens, in der sich für eure weitere Entwicklung, für eure Zukunft vieles oder gar alles jetzt entscheidet.
Für die Bildung der eigenen Persönlichkeit, für den Aufbau des inneren Menschseins ist die Kenntnis der Wahrheit von grundlegender Bedeutung. Wirklich reif werden kann der Mensch nur an und in der Wahrheit. Darin liegt der tiefe Sinn der so wichtigen Erziehung, dem auch das ganze System der Schulen bis hin zu den Universitäten dienen muß. Sie muß dem jungen Menschen helfen, die Welt und sich selbst kennen und verstehen zu lernen; sie muß ihm helfen, alles das in den Blick zu bekommen, wodurch die Existenz und das Wirken des Menschen in der Welt erst ihren vollen Sinn erhalten. Darum muß sie ihm auch helfen, Gott kennen zu lernen. Der Mensch kann nicht leben, ohne den Sinn seiner Existenz zu kennen.
2. Dieses Suchen, Sich-Ausrichten und Reifen an der grundlegenden und vollen Wahrheit der Wirklichkeit ist jedoch nicht leicht. Seit eh und je galt es, dabei vielfältige Schwierigkeiten zu bewältigen. Gerade dieses Problem scheint der hl. Paulus zu meinen, wenn er im zweiten Brief an die Thessalonicher schreibt: ”Laßt euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen... Laßt euch durch niemand und auf keine Weise täuschen!“. Diese Worte, gerichtet an jene junge Gemeinde unter den ersten Christen, müssen heute wiedergelesen werden vor dem veränderten Hintergrund unserer moderner Zivilisation und Kultur. So möchte ich euch jungen Menschen von heute zurufen: Laßt euch nicht täuschen!
Seid dankbar, wenn ihr gute Eltern habt, die euch Mut machen und den rechten Weg weisen.
Vielleicht sind es doch mehr, als ihr auf den ersten Blick erkennen könnt. Aber nicht wenige leiden unter ihren Eltern, fühlen sich zu wenig verstanden oder gar allein gelassen. Andere müssen den Weg des Glaubens sogar ohne oder gegen ihre Eltern finden. Viele leiden unter der Schule mit ihrem ”Leistungsdruck“, wie ihr sagt, leiden unter den Verhältnissen und Sachzwängen am Arbeitsplatz, unter der Unsicherheit beruflicher Zukunftsaussichten. Kann man nicht Angst bekommen davor, daß die technische und wirtschaftliche Entwicklung die natürlichen Lebensbedingungen der Menschen zerstört? Und überhaupt: Wie wird es weitergehen mit unserer Welt, die in militärische Machtblöcke gespalten ist, in arme und reiche Völker, in freie und totalitäre Staaten? Immer wieder flammen in dieser oder jener Gegend der Erde Kriege auf, die Tod und Elend über die Menschen bringen. Und dann in vielen Teilen der Welt, nah und fern, Akte rohester Gewalt und blutigen Terrors. Sogar an diesem Ort unserer Eucharistiefeier haben wir auch vor Gott der Opfer zu gedenken, die kürzliche am Rand diese großen Platzes von einem Sprengsatz verletzt oder in den Tod gerissen wurden. Es ist kaum zu begreifen, wozu der Mensch in der Verirrung seines Geistes und seines Herzen fähig ist.
Es ist auf diesem Hintergrund, daß wir den Ruf der Frohbotschaft vernehmen: ”Laßt euch nicht so schnell aus der Fassung bringen!“. Alle diese Nöte und Schwierigkeit gehören zu jenen Widerständen, an denen wir unser Wachsen in der grundlegenden Wahrheit nähren und bewähren müssen. Daraus erwachsen uns dann auch die Kräfte, mitzuarbeiten am Aufbau einer gerechteren, menschlicheren Welt, erwachsen uns Bereitschaft und Mut, in zunehmendem Maße auch Verantwortung zu übernehmen im Leben der Gesellschaft, des Staates und der Kirche. Ein wahrlich nicht geringer Trost liegt darin, daß es trotz vieler Schatten und Düsternisse auch sehr, sehr viel Gutes gibt. Es fehlt nicht deshalb, weil man zu wenig darüber spricht. Oft muß man das viele Gute, das im Verborgenen am Werk ist und vielleicht erst später einmal strahlend sichtbar wird, entdecken wollen und anerkennen. Was hat zum Beispiel eine Mutter Teresa von Kalkutta erst alles im Kleinen und Verborgenen tun müssen, ehe eine überraschte Welt auf sie und ihr Werk aufmerksam wurde? Laß euch also nicht so schnell aus der Fassung bringen!
3. Ist es aber nicht doch so, daß in eurer Gesellschaft, wie ihr sie in eurer Umgebung erfahrt, nicht wenige, die sich zu Christus bekennen, schwankend geworden sind oder gar Orientierung verloren haben? Und wirkt sich das nicht besonders auf junge Menschen sehr nachteilige aus? Wird da nicht etwas sichtbar von der vielfältigen Versuchung zum Abfall vom Glauben, von der der Apostel in seinem Brief spricht?
Das Wort Gottes der heutigen Liturgie läßt uns den weiten Horizont eines solchen Abfalls vom Glauben, wie er sich gerade in unserem Jahrhundert abzuzeichnen scheint, erahnen und macht auch dessen Dimensionen deutlich.
Der hl. Paulus schreibt: ”Die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit ist schon am Werk...“. Müssen wir das nicht auch für unsere Zeit sagen? Die geheime Macht der Gesetzwidrigkeit, des Abfalls von Gott, hat nach den Worten des Paulusbriefes eine innere Struktur und eine bestimmte dynamische Stufenfolge: ”... der Mensch der Gesetzwidrigkeit muß erscheinen..., der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, daß er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt“. Hier haben wir also eine innere Struktur des Verneinens, der Entwurzelung Gottes aus dem Herzen des Menschen und der Entwurzelung Gottes aus der menschlichen Gesellschaft, und dies mit dem Ziel, wie man sagt, einer volleren ”Humanisierung“ des Menschen, das heißt, den Menschen in vollerem Sinn zum Menschen zu machen und ihn in gewisser Weise an Gottes Stelle zu setzen, gleichsam zu ”vergöttlichen“. Diese Struktur ist indes schon sehr alt und uns schon von den Anfängen, von den ersten Kapiteln der Genesis her bekannt: nämlich die Versuchung, die ”Göttlichkeit“ (des Bildes und Gleichnissen Gottes), dem Menschen vom Schöpfer verliehen, zu ersetzen durch die ”Vergöttlichung“ des Menschen gegen Gott - und ohne Gott, wie es sichtbar wird in den atheistischen Voraussetzungen mancher heutiger Systeme.
Wer sich der grundlegenden Wahrheit der Wirklichkeit verweigert, wer sich selbst zum Maßstab von allem macht und sich so an Gottes Stelle setzt, wer mehr oder weniger bewußt meint, ohne Gott, den Schöpfer der Welt, ohne Christus, den Erlöser der Menschen, auskommen zu können, wer, statt Gott zu suchen, Götzen nachläuft, ist immer schon auf der Flucht vor der allein gründenden und bergenden Wahrheit.
Da ist die Flucht nach innen. Sie kann in die Resignation führen. ”Est ist ja doch alles sinnlos“.
Hätten die Jünger Jesu so gehandelt, dann hätte die Welt nie etwas von der erlösenden Botschaft Christi erfahren. Die. Flucht nach innen kann die Form erstrebter Bewußtseinserweiterung annehmen. Nicht wenige junge Menschen auch bei euch sind dabei, ihr inneres Menschsein zu zerstören durch die Flucht in Alkohol und Drogen. Oft stecken Angst und Verzweiflung dahinter, oft aber auch Genußsucht, mangelnde Askese oder unverantwortliche Neugier, alles einmal zu ”probieren“. Oder die Flucht nach innen führt in pseudoreligiöse Sekten, die euren Idealismus und eure Begeisterungsfähigkeit mißbrauchen und euch die Freiheit des Denkens und des Gewissens rauben. Dazu gehört auch die Flucht zu irgendwelchen Heilslehren, die von bestimmten äußeren Praktiken das wahre Glück zu erreichen vorgeben, letztlich aber den Menschen auf sich selbst und seine unerlöste Einsamkeit zurückwerfen.
Dann gibt es die Flucht vor der grundlegenden Wahrheit nach außen, nämlich in politische und soziale Utopien, in irgendwelche Traumbilder der Gesellschaft. So sehr Ideale und Zielvorstellungen vonnöten sind - utopische ”Zauberformeln“ helfen nicht weiter, zumal sei meist mit totalitärer Macht oder zerstörerischer Gewaltanwendung einhergehen.
4. Ihr seht dies alles, diese vielfältigen Fluchtwege vor der Wahrheit, die geheime und unheimliche Macht der Gesetzwidrigkeit und des Bösen, die am Werk ist. Geratet ihr da nicht in die Versuchung der Vereinsamung und Verlorenheit? Darauf gibt die heutige Lesung vom Propheten Ezechiel die Antwort. Dieser spricht da von einem Hirten, den den verlorenen Schafen in die Einsamkeit nachgeht, um sie ”von allen Orten zurückholen, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut“ hatten.
Dieser Hirt, der den Menschen auf der dunklen Straße seiner Einsamkeit und Verlorenheit aufsucht und ins Licht zurückführen möchte, ist Christus. Er ist der Gute Hirt. Stets ist auch er anwesend in der verborgenen Mitte des ”Geheimnisses des Bösen“ und nimmt sich selbst der großen Sache menschlicher Existenz auf dieser Erde an. Er tut es in der Wahrheit, indem er das Herz des Menschen befreit von jenem fundamentalen Widerspruch, der darin liegt, die Vergöttlichung des Menschen ohne oder gegen Gott zu wollen, und der ein Klima der Vereinsamung und Verlorenheit schafft. Auf diesem Weg aus dunkler Vereinsamung hin zum wahren Menschsein nimmt sich Christus, der gute Hirt, in tiefster nachgehender und begleitender Liebe eines jeden einzelnen an, insbesondere jedes heranwachsenden jungen Menschen.
Der Prophet Ezechiel sagt weiter von diesem Hirten: ”Ich führe sie aus den Völkern heraus, ich sammle sie in den Ländern und bringe sie in ihr Land. Ich führe sie in den Bergen Israels auf die Weide, in den Tälern und allen bewohnten Orten des Landes“. ”Die verirrten Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist“.
So will Christus das Reifen des Menschen in seinem Menschsein begleiten. Er begleitet, nährt und stärkt uns im Leben Seiner Kirche mit seinem Wort und in seinen Sakramenten, mit dem Leib und dem Blut seines Paschafestes. Er nährt uns als der ewige Sohn Gottes, läßt den Menschen teilhaben an seiner göttlichen Sohnschaft, ”vergöttlicht“ ihn innerlich, damit er im Vollsinn ”Mensch“ werde, damit der Mensch, geschaffen nach dem Bild und Gleichnis Gottes, seine Reife in Gott erlange.
5. Gerade aus diesem Grund sagt Christus, die Ernte sei ”groß“. Sie ist groß wegen der alle Maße sprengenden Bestimmung des Menschen. Sie ist groß wegen der Würde des Menschen. Sie ist groß nach dem Maß seiner Berufung. Groß ist diese wunderbare Ernte des Reiches Gottes in der Menschheit, die Ernte des Heils in der Geschichte des Menschen, der Völker und Nationen. Sie ist wahrlich groß - ”aber es gibt nur wenig Arbeiter“.
Was bedeutet das? Damit soll gesagt sein, meine lieben jungen Menschen, daß ihr berufen seid, von Gott gerufen seid. Mein Leben, mein menschliches Leben hat dann seinen Sinn, wenn ich von Gott gerufen bin, in einem wesentlichen, entscheidenden, endgültigen Anruf. Nur Gott kann den Menschen so rufen, niemand außer Ihm. Und dieser Ruf Gottes ergeht unablässig in und durch Christus an einen jeden einzelnen von euch: Arbeiter in der Ernte des eigenen Menschseins zu sein, Arbeiter im Weinberg des Herrn, in der messianischen Ernte der Menschheit zu sein.
Jesus braucht auch aus eurer Mitte junge Menschen, die seinem Ruf folgen und so leben wollen wie er, arm und ehelos, um so ein lebendiges Zeichen für die Wirklichkeit Gottes unter euren Brüdern und Schwestern zu sein.
Gott braucht Priester, die sich vom Guten Hirten in den Dienst Seines Wortes und Seiner Sakramente für die Menschen nehmen lassen.
Er braucht Ordensleute, Männer und Frauen, die alles verlassen, um ihm nachzufolgen und so den Menschen zu dienen.
Er braucht christliche Eheleute, die einander und ihren Kindern den Dienst zur vollen Reifung des Menschseins in Gott leisten.
Gott braucht Menschen, die bereit sind, den Armen, Kranken, Verlassenen, Bedrängten und seelisch Verwundeten zu helfen und zu dienen.
Die über 1000jährige ruhmreiche Geschichte des Glaubens an Christus in eurem Volk ist reich an Menschen, deren Vorbild euch Ansporn sein kann bei der Erfüllung eurer großen Berufung. Ich möchte da nur vier Gestalten nennen, die mir der heutige Tag und die Stadt München eingeben. Es war in den ersten Anfängen der Geschichte eures Glaubens der hl. Korbinian, dessen bischöfliches Wirken den Grundstein legte für die Erzdiözese München-Freising. Wir feiern sein Gedächtnis in der heutigen Liturgie. Ich denke an den heiligen Bischof Benno von Meißen, dessen Gebeine in der Münchener Frauenkirche ruhen. Er war ein Mann des Friedens und der Versöhnung, der in seiner Zeit Gewaltlosigkeit predigte, ein Freund der Armen und Notleidenden. Gerade am heutigen Tag denke ich an die große hl. Elisabeth, deren Leitwort lautete: ”Lieben - dem Evangelium gemäß“. Als Fürstin der Wartburg verzichtete sie auf alle Privilegien ihres Standes und lebte dann schließlich ganz für die Armen und Ausgestoßenen. Abschließend möchte ich auf einen Mann hinweisen, den manche unter euch oder eure Eltern noch persönlich gekannt haben, den Jesuitenpater Rupert Mayer, an dessen Grab im Zentrum von München, in der Krypta des Burgersaales, täglich viele Hunderte von Menschen kurze Gebetseinkehr halten. Ungeachtet der Folgen einer schweren Verwundung, die er im Ersten Weltkrieg bei einem Versehgang erlitt, trat er in schwerster Zeit öffentlich und ganz unerschrocken für die Rechte der Kirche und der Freiheit ein und hat deswegen die Härte des Konzentrationslagers und der Verbannung erleiden müssen.
Liebe junge Menschen! Seid offen für den Ruf Christi an euch! Euer menschliches Leben ist ein ”einmaliges Abenteuer und Wagnis“, das zum ”Segen und zum Fluch“ werden kann. Im Blick auf euch junge Menschen, die ihr die große Hoffnung unserer Zukunft seid, wollen wir den ”Herrn der Ernte“ bitten, daß er jeden von euch, jeden eurer jungen Mitmenschen auf dieser Erde als Arbeiter in seine ”große Ernte“ sende, entsprechend der großen Fülle der Berufungen und Gaben in Seinem Reich auf dieser Erde.
Ich möchte schließen mit einem besonderen Segenswunsch an unsere evangelischen Brüder und Schwestern, die heute in diesem Land ihren Buß- und Bettag feiern. Dieser Tag ist für Sie getragen vom Wissen und die Notwendigkeit einer immer neuen Umkehr und von der Berufung der Kirche, vor Gott auch der Volks- und Staatsgemeinschaft im Gebet zu gedenken. In diesen Anliegen ist Ihnen die römisch-katholische Kirche verbunden. Schließen Sie bitte in die Gebete dieses Tages auch Ihre katholischen Mitbürger ein sowie Ihren Bruder Johannes Paul und seinen Dienst. Amen.
An die Alten (München)
Meine lieben Brüder und Schwestern im vorgerückten Alter!
Mit ganz besonderer Freude erfüllt es mich, daß ich im Rahmen meines Deutschlandbesuches euch in einer eigenen Gebetsstunde begegnen darf. Ich komme wie zu vertrauten Freunden; weiß ich mich doch in meinem Dienst gerade von eurem Anteilnehmen und Beten und Opfern getragen. So begrüße ich euch hier im Hohen Dom Unserer Lieben Frau zu München mit bewegter Dankbarkeit! Einen besonderen Dank für die tiefen Worte der Begrüßung und für euer begleitendes Gebet während dieser Tage! Mit euch begrüße ich alle eure Altersgenossen in eurem Vaterland, besonders jene, die durch Rundfunk und Fernsehen jetzt mit uns verbunden sind. ”Grüß Gott“ euch allen, die ihr auf dem Pilgerweg dieses Lebens schon länger als ich ”die Last und die Hitze des Tages tragt“, schon länger als ich dem Herrn zu begegnen und in Treue zu dienen bemüht seid, im Großen und Kleinen, in Freud und Leid!
1. Der Papst verneigt sich in Ehrfurcht von dem Alter, und er lädt alle ein, es ihm zu tun. Das Alter ist die Krone der Stufen des Lebens. Es bringt die Ernte ein, die Ernte aus dem Gelernten und Erlebten, die Ernte aus dem Geleisteten und dem Erreichten, die Ernte auch aus dem Erlittenen und Bestandenen. Wie im Schlußsatz einer großen Symphonie kommen die großen Themen des Lebens zum machtvollen Zusammenklang. Und dieses Zusammenklingen verleiht Weisheit, die Weisheit, um die der junge König Salomon betet, die ihm entscheidender ist als Macht und Reichtum, wichtiger als Schönheit und Gesundheit; die Weisheit, von der wir in den Lebensregeln des Alten Bundes lesen: ”Wie gut steht Hochbetagten Weisheit an, würdigen Männern Überlegung und Rat. Ein Ehrenkranz der Alten ist reiche Erfahrung, ihr Ruhm ist die Gottesfurcht“.
Der heutigen Altersgeneration, also euch, meine lieben Brüder und Schwestern, kommt dieser Ehrenkranz der Weisheit ganz besonders zu: Ihr habt zum Teil in zwei Weltkriegen unendlich viel Leid erleben und miterleben müssen, viele haben dabei Angehörige, Gesundheit, Beruf, Heim und Heimat verloren; ihr habt die Abgründe des Menschenherzens kannengelernt, aber auch seine Fähigkeit zu heroischer Hilfsbereitschaft und Glaubenstreue und seine Kraft zu neuem Anfang. Die Weisheit verleiht Abstand, aber nicht einen Abstand der Weltferne; sie läßt den Menschen über den Dingen stehen, ohne sie zu verachten; sie läßt uns die Welt mit den Augen - und mit dem Herzen! - Gottes sehen. Sie läßt uns mit Gott ja sagen, auch zu unseren Grenzen, auch zu unserer Vergangenheit mit ihren Enttäuschungen, Versäumnissen und Sünden. Denn ”wir wissen, daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“. Aus der versöhnenden Kraft dieser Weisheit erblühen dann Güte, Geduld, Verstehen und jene köstliche Zierde des Alters: der Humor.
Ihr selbst, meine verehrten Schwestern und Brüder, wißt am besten, daß diese werkvolle Lebensernte, die euch der Schöpfer zugedacht hat, kein unangefochtener Besitz ist. Sie verlangt Wachsamkeit, Sorgfalt, Selbstkontrolle, manchmal auch entschlossenen Kampf. Sonst wird sie nur allzu leicht angenagt oder zersetzt durch Trägheit, durch Laune, durch Oberflächlichkeit, durch Herrschsucht oder gar durch Verbitterung. Verliert nicht den Mut, beginnt mit der Gnade unseres Herrn immer wieder von neuem, und bedient euch der Kraftquellen, die Er euch anbietet: im Sakrament des Brotes und der Vergebung, im Wort der Predigt und der Lektüre und im geistlichen Gespräch!
An dieser Stelle darf ich sicher auch in eurem Namen allen Priestern von Herzen danken, die der Seelsorge an alten Menschen einen entscheidenden Platz in ihrer Arbeit und in ihrem Herzen einräumen. Sie erweisen damit zugleich ihrer Gesamtgemeinde den besten Dienst; gewinnen sie ihr doch gleichsam eine Heerschar treuer Beter.
Nach euren Seelsorgern möchte ich eure priesterlichen Altersgenossen ansprechen. Meine liebe Mitbrüder! Die Kirche dakt euch für euer Lebenswerk im Weinberg des Herrn. Den jüngeren Priestern sagt Jesus im Johannesevangelium: ”Andere haben gearbeitet, und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit“. Verehrte Presbyter, tragt auch weiterhin die Anliegen der Kirche im priesterlichen Dienst des Betens vor Gott - ”ad Deum, qui laetificat iuventutem vestram“.
2. Ihr Brüder und Schwestern der älteren Generation, ihr seid ein Schatz für die Kirche, ihr seid ein Segen für die Welt! Wie oft müßt ihr die jungen Eltern entlasten, wie gut könnt ihr die Kleinen einführen in die Geschichte eurer Familie und eurer Heimat, in die Märchen eures Volkes und in die Welt des Glaubens! Die Jugendlichen findem in ihren Problemen oft leichter zu euch als zur Generation ihrer Eltern. Euren Söhnen und Töchtern seid ihr in schweren Stunden die wertvollste Stütze. Mit Rat und Tat wirkt ihr in vielen Gremien, Vereinigungen und Initiativen des kirchlichen und zivilen Lebens mit.
Ihr seid eine notwendige Ergänzung in einer Welt, die sich für den Schwung der Jugend und für die Kraft der sogenannten ”besten Jahre“ begeistert, in einer Welt, in der so sehr zählt, was man zählen kann. Ihr erinnert sie daran, daß sie auf dem Fleiß derer weiterbaut, die früher jung und kraftvoll waren, und daß auch sie eines Tages ihr Werk in jüngere Hände legen wird. In euch wird sichtbar, daß der Sinn des Lebens nicht nur in Geldverdienen und Geldausgeben bestehen kann, daß in allem äußeren Tun zugleich etwas Inneres reifen soll und in allem Zeitlichen etwas Ewiges - entsprechend dem Wort des heiligen Paulus: ”Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“.
Ja, das Alter verdient unsere Ehrfurcht, eine Ehrfurcht, wie sie in der Heiligen Schrift aufleuchtet, wenn sie uns Abraham und Sara vor Augen stellt, wenn sie Simeon und Hanna zur Heiligen Familie in den Tempel ruft, wenn sie die Priester ”Älteste“ nennt, wenn sie die Huldigung der ganzen Schöpfung zusammenfaßt in der Anbetung der vierundzwanzig Ältesten und wenn sie schließlich Gott selbst bezeichnet: ”der Hochbetagte“.
3. Kam man ein höheres Loblied auf die Würde des Alters singen? Aber ihr wärt gewiß enttäuscht, meine lieben älteren Zuhörer, wenn der Papst nicht auch auf eine andere Seite des Altwerdens einginge; wenn er euch nur die - vielleicht unerwartete - Ehrung mitgebracht hatte, den Trost aber schuldig bliebe. Wie zu der herbstlichen Jahreszeit, in der wir stehen, nicht nur die Ernte und die feierliche Pracht der Farben gehören, sondern auch das Kahlwerden der Äste und das Fallen und Zerfallen der Blätter, nicht nur das weiche, volle Licht, sondern auch der feuchte, unwirtliche Nebel, so ähnlich ist das Alter nicht nur der kraftvolle Schlußakkord oder die versöhnende Summe des Lebens, sondern auch eine Zeit des Verwelkens, eine Zeit, da einem die Welt fremd, das Leben zur Last und der Leib zur Qual werden kann. Und so fügt sich zu meinem Ruf ”Nehmt wahr eure Würde!“ auch der andere: ”Nehmt an eure Bürde!“.
Die Bürde des Alters besteht für die meisten zunächst in einer gewissen Gebrechlichkeit des Leibes; die Sinne sind nicht mehr so scharf, die Gliedmaßen nicht mehr so gefügig, die Organe werden empfindlicher. Was einem in jüngeren Jahren in den Tagen einer Krankheit widerfährt, das wird im Alter oft zum täglichen - und nächtlichen! - Begleiter. Auf viele Tätigkeiten, die einem lieb und teuer waren, muß man endgültig verzichten.
Auch das Gedächtnis kann seinen Dienst versagen: neue Informationen werden nicht mehr so leicht aufgenommen und viele alte verblassen. Dadurch verliert die Welt ihre Vertrautheit; die Welt der eigenen Familie mit den so ganz anders gewordenen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Erwachsenen, mit den so gewandelten Interessen und Ausdrucksformen der Jugend und mit den neuen Lernzielen und -methoden der Kinder. Fremd wird die Heimat mit ihren wachsenden Städten, mit der zunehmenden Verkehrsdichte und der vielfach umgestalteten Landschaft. Fremd wird die Welt der Wirtschaft und Politik, anonym und undurchschaubar wird die Welt der sozialen und medizinischen Versorgung. Und sogar jener Bereich, der uns am meisten Heimat bieten soll, die Kirche in ihrem Leben und Lehren, ist vielen von euch in manchem fremd geworden bei ihrem Bestreben, dem Anspruch der Zeit, den Erwartungen und Nöten der jüngeren Generationen gerecht zu werden.
Von dieser schwer verstehbaren Welt fühlt ihr euch mißverstanden, ja oft genug verstoßen. Eure Meinung, eure Mitwirkung, eure Gegenwart ist nicht gefragt - so empfindet ihr, und so ist es leider manchmal auch wirklich.
4. Was kann der Papst da sagen? Womit soll ich euch trösten? Ich will es mir nicht zu leicht machen. Ich will die Bedrängnisse des Alters, eure Gebrechen und Krankheiten, eure Hilflosigkeit und Vereinsamung, nicht verharmlosen. Aber ich möchte sie mit euch in einem versöhnenden Licht sehen - im Licht unseres Heilands, ”der für uns Blut geschwitzt hat, der für uns gegeißelt worden ist, der für uns mit Dornen gekrönt worden ist“. Er ist in den Prüfungen des Alters euer Leidensgefährte, und ihr seid die Gefährten seines Kreuzwegs. Keine Träne weint ihr allein, und keine weint ihr vergeblich. Durch Leiden hat er das Leid erlöst, und durch Leiden wirkt ihr mit an seiner Erlösung. Nehmt euer Leiden an als seine Umarmung und macht es zum Segen, indem ihr es mit Ihm annehmt aus der Hand des Vater, der in unergründlicher, aber unbezweifelbarer Weisheit und Liebe gerade darin eure Vollendung wirkt. Im Feuerofen wird das Erz zum Gold; in der Kelter wird die Traube zum Wein.
In diesem Geist - den uns nur Gott geben kann - wird es dann auch leichter, sowohl mit jenen Verständnis zu haben, die durch Nachlässigkeit, Unachtsamkeit, Gedankenlosigkeit unsere Not mitverursachen, wie auch jenen zu verzeihen, die uns bewußt, ja absichtlich Schmerz zufügen, aber doch nie ganz ermessen können, wie sehr sie uns wehtun. Laßt uns mit dem Gekreuzigten sprechen: ”Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“. Auch über uns selbst ist ja dieses einzig erlösende Wort gesprochen.
5. In diesem Geist - um den wir in dieser Stunde miteinander und füreinander beten - werden wir dann auch wach und dankbar für all die liebevollen Gedanken, Worte und Werke, die uns tagtäglich zuteil werden, an die wir uns leicht gewöhnen und die wir deshalb leicht als selbstverständlich nehmen und übersehen. Wir feiern heute das Fest der heiligen Elisabeth, einer Heiligen, die eure Nation der ganzen Welt als Symbol aufopfernder Caritas geschenkt hat. Sie ist das hohe Vorbild und die hehre Patronin aller, die - sei es durch ihren Beruf, sei es ehrenamtlich oder im Bekannten- und Verwandtenkreis - dem hilfsbedürftigen Mitmenschen dienen und in ihm - ob sie es wissen oder nicht - Christus begegnen. Das, meine lieben Alten, ist der Lohn, den ihr jenen gebt, denen ihr so ungern zur Last fallt. Ihr seid ihnen Anlaß zur Begegnung mit dem Herrn, Gelegenheit, über sich selbst hinauszuwachsen, und ihr gebt ihnen durch eure Zuwendung Anteil an den erwähnten Früchten des Lebens, die Gott in euch reifen läßt! Begrabt also nicht eure Bitten in einem zaghaften, enttäuschten oder vorwurfsvollen Herzen, sondern bringt sie in aller Selbstverständlichkeit zum Ausdruck - überzeugt von eurer eigenen Würde und vom Guten im Herzen des andern. Und freut euch über jede Gelegenheit, jenes königliche Wort ”Danke“ einzuüben, das von allen Altären aufsteigt und das einmal unsere ewige Seligkeit erfüllen wird.
Und so darf ich sicher mit euch zusammen all jenen danken, die sich in den vielen kirchlichen, zivilen und öffentlichen Organisationen, Verbänden und Initiativen, auf gemeindlicher oder höherer Ebene, in Gesetzgebung und Verwaltung oder auch rein privat um das Wohl der älteren Generation bemühen, um ihr Wohl an Leib und Gemüt, um erfülltes Leben und bleibende Beheimatung in der Gesellschaft. Besonders begrüße ich dabei, daß die Arbeit für die Alten immer mehr eine Arbeit mit den Alten wird.
6. Und damit bin ich wieder bei euch, meine älteren Brüder und Schwestern, und bei dem Trost, den ihr von mir erwartet. Ein Sprichwort sagt: ”Bist du einsam, so besuche einen, der noch einsamer ist als du!“. Diese Weisheit möchte ich euch ans Herz legen. Öffnet eure Gedanken für jene Weggefährten, denen es in irgendeiner Hinsicht schlechter geht als euch, denen ihr in irgendeiner Hinsicht helfen könnt - durch ein Gespräch, durch eine Handreichung, eine Besorgung oder wenigstens durch das bekundete Mitfühlen! Ich verspreche es euch im Namen Jesu: Ihr werdet darin Kraft und Trost finden.
So übt ihr zugleich im Kleinen, was wir alle im Großen sind. Wir sind ein Leib in vielen Gliedern: die Hilfebringenden und die Hilfeempfangenden, die Gesünderen und die Kränkeren, die Jüngeren und die Älteren; jene, die sich im Leben schon bewährt haben, jene, die in der Bewährung stehen, und jene, die erst in sie hineinwachsen; jene, die jung sind, und jene, die einmal jung waren; jene, die alt sein werden. Wir alle stellen miteinander die Fülle des Lebens Christi dar, und wir alle reifen miteinander in diese Fülle hinein: ”in die Fülle des Mannesalters in Christus“.
7. Der letzte Trost, den wir miteinander suchen, meine lieben Mitpilger ”in diesem Tal der Tränen“, ist der Trost im Angesicht des Todes. Seit unserer Geburt gehen wir ihm entgegen, aber im Alter wird uns sein Nahen von Jahr zu Jahr bewußter - wenn wir es nicht gewaltsam aus unseren Gedanken und Gefühlen verdrängen. Der Schöpfer hat es so gefügt, daß im Alter ein Annehmen und Bestehen des Todes auf fast natürliche Weise vorbereitet, erleichtert und eingeübt wird. Ist doch das Altwerden, wie wir gesehen haben, ein allmähliches Abschiednehmen von der ungebrochenen Fülle des Lebens, vom unbehinderten Kontakt mit der Welt.
Die große Schule des Lebens und Sterbens führt uns sodann an manches offene Grab, sie läßt uns an manchem Sterbebett stehen, bevor wir selbst es sind, um die - so gebe es Gott - andere betend stehen werden. Der alte Mensch hat solche Lehrstunden des Lebens in höherer Zahl erlebt als der junge, und er erlebt sie in steigender Häufigkeit. Das ist sein großer Vorteil auf dem Weg an die große Schwelle, die wir uns oft einseitig als Abgrund und Nacht ausmalen.
Der Blick über die Schwelle ist von unserer Seite aus getrübt; aber jenen, die uns vorangegangen sind, mag es Gott viel öfter, als man meint, gewähren, in seiner Liebe unser Leben zu begleiten und zu umsorgen. Es war ein Gedanke tiefen und lebendigen Glaubens, der einer Kirche dieser Stadt als Patrozinium den Namen ”Allerseelen-Kirche“ gab. Und die beiden deutschen Kirchen in Rom heißen: Santa Maria in Campo Santo (St. Marien zum Friedhof) und Santa Maria dell’Anima (St. Marien zu den Armen Seelen). Je mehr die Mitmenschen unserer sichtbaren Umwelt an die Grenzen ihres Helfens kommen, desto mehr sollen wir in jenen die Boten der Liebe Gottes sehen, die den Tod schon bestanden haben und uns von drüben her erwarten: die Heiligen, besonders unsere persönlichen Patrone, und unsere verstorbenen Angehörigen und Freunde, die wir in Gottes Barmherzigkeit geborgen hoffen.
Viele von euch, meine lieben Schwestern und Brüder, haben die sichtbare Nähe ihres Lebensgefährten verloren. Ihnen gilt meine seelsorgliche Bitte: Laßt immer bewußter Gott zum Partner eures Lebens werden, dann seid ihr zugleich mit jenem verbunden, den Er euch einst zum Weggefährten gab und der nun selber in Gott seine Mitte gefunden hat.
Ohne eine Vertrautheit mit Gott gibt es letztlich keinen Trost im Sterben. Denn gerade das will ja Gott mit dem Tod: daß wir uns wenigsten in dieser einen hohen Stunde unseres Lebens ganz in seine Liebe fallen lassen, ohne jede andere Sicherheit als ebendiese seine Liebe. Wie könnten wir ihm ungetrübter unser Glauben, Hoffen, Lieben zeigen!
Ein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang. Er ist sicher manchem von euch aus dem Herzen gesprochen. Der Tod selber ist ein Trost! Das Leben auf dieser Erde, selbst wenn sie nicht ein ”Tal der Tränen“ wäre, könnte uns nicht für immer Heimat bieten. Sie würde mehr und mehr zum Gefängnis, zur ”Verbannung“. Denn ”alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“! Und so drängen sich uns die nie verblassenden Worte des heiligen Augustinus auf die Lippen: ”Auf Dich hin hast Du uns geschaffen, Herr; und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe findet in Dir!“.
So gibt es nicht die Todgeweihten und die im sogenannten Leben Stehenden. Was uns allen bevorsteht, ist eine Geburt, eine Verwandlung, deren Wehen wir mit Jesus am Ölberg fürchten, deren strahlenden Ausgang wir aber schon in uns tragen, seit wir in der Taufe in Jesu Tod und Sieg hineingetaucht wurden.
Mit euch allen, mit euch hier im Liebfrauendom, mit euch am Radio und am Fernsehgerät, mit allen, denen ich in diesen gesegneten Tagen begegnen durfte, mit allen Bürgern und Gästen dieses schönen Landes, mit allen Glaubenden und für alle Suchenden, mit den Kindern und Jugendlichen, den Erwachsenen und den Alten möchte ich in dieser Stunde des Abschieds unsere Besinnung zum Gebet werden lassen: ”Vom Mutterschoß an bist du mein Beschützer; verlaß mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden!“.
”Komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde, damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten!“.
Und im Liebfrauendom möchte ich unser Beten, das immer in Jesu Geist gesprochen, immer nur durch Jesus vor den Vater kommt, verbinden mit dem Beten jener, die uns als Erst-Erlöste Mutter und Schwester ist:
”Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder - jetzt und in der Stunde unseres Todes!
Amen“.
Amen. Gelobt sei Jesus Christus!
An die Künstler und Journalisten (München)
Sehr geehrte Damen und Herren!
Den Künstlern und Publizisten, die anläßlich meines Besuches aus allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland hier nach München gekommen sind, gilt mein herzlicher Gruß. Ich freue mich, Ihnen begegnen zu dürfen in dieser Stadt, die schon immer Mittelpunkt der Künste war und die in jüngster Zeit zu einem bedeutenden Zentrum der Massenmedien geworden ist. Diese unsere Begegnung soll ein Beitrag zum Gespräch sein zwischen Kirche und Kunst, zwischen Kirche und Kommunikationsmedien, ein Beitrag zum Gespräch, das lange Zeit verstummt war oder im Zeichen von Gegensatz und Widerspruch stand. Lassen Sie mich im folgenden auf einige Verbindungen hinweisen, die zwischen Kirche und Kunst, Kirche und Publizistik bestehen, und zu einem besseren gegenseitigen Verstehen und zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit im Dienst am Menschen beitragen können.
1. Das Verhältnis von Kirche und Kunst in Architektur, bildender Kunst, Literatur, Theater, Musik hat eine bewegte Geschichte. Ohne die Bemühungen der Mönchsklöster zum Beispiel wären uns vermutlich kaum die Schätze antiker griechischer und lateinischer Autoren überliefert worden. Mit großem Freimut begab sich damals die Kirche in das Gespräch mit der antiken Literatur und Kultur. Lange Zeit galt die Kirche als Mutter der Künste. Sie war dies als Auftraggeberin; die Inhalte des christlichen Glaubens bildeten die Motive und Themen der Kunst. Wie sehr dies zutrifft, erkennt man an einem einfachen Gedankenexperiment: Man nehme aus der Kunstgeschichte in Europa und in Deutschland alles weg, was mit religiöser und christlicher Inspiration zusammenhängt und man wird sehen, wieviel, das heißt wie wenig übrigbleibt.
In den neuzeitlichen Jahrhunderten, am stärksten seit 1800, lockerte sich die Verbindung von Kirche und Kultur und damit von Kirche und Kunst. Das geschah im Namen der Autonomie und wurde im Namen einer fortschreitenden Säkularisierung verschärft. Zwischen Kirche und Kunst entstand ein Graben, der immer breiter und tiefer wurde. Dies wurde am offenkundigsten im Bereich der Literatur, des Theaters und später des Films. Die gegenseitige Entfremdung vermehrte sich durch die Kritik an Kirche und Christentum, ja an Religion überhaupt. Die Kirche wurde ihrerseits - das ist einigermaßen verständlich - mißtrauisch gegen den modernen Geist und seine vielfältigen Ausdrucksgestalten. Dieser Geist galt als glaubens- und kirchenfeindlich, als offenbarungs- und religionskritisch. Die Haltung der Kirche war Abwehr, Distanzierung und Widerspruch im Namen des christlichen Glaubens.
2. Eine grundsätzlich neue Beziehung von Kirche und Welt, von Kirche und moderner Kultur und damit auch von Kirche und Kunst wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil geschaffen und grundgelegt. Man kann sie bezeichnen als Beziehung der Zuwendung, der Öffnung, des Dialogs.
Damit ist verbunden die Zuwendung zum Heute, das ”Aggiornamento“. Die Konzilsväter widmen in der Pastoralkonstitution ”Gaudium et Spes“ der richtigen Förderung des kulturellen Fortschritts ein eigenes Kapitel und gehen, wie in der alten Kirche, ohne Enge und Ängstlichkeit das Problem mit Freimut an. Die Welt ist eine eigenständige Wirklichkeit, sie hat ihre Eigengesetzlichkeit. Davon ist auch die Autonomie der Kultur und mit ihr die der Kunst betroffen. Diese Autonomie ist, recht verstanden, kein Protest gegen Gott oder gegen die Aussagen des christlichen Glaubens; sie ist vielmehr der Ausdruck dessen, daß die Welt Gottes eigene, in die Freiheit entlassene Schöpfung ist, dem Menschen zur Kultur und Verantwortung übergeben und anvertraut.
Damit ist die Voraussetzung gegeben, daß die Kirche in ein neues Verhältnis zur Kultur und zur Kunst eintritt, in ein Verhältnis der Partnerschaft, der Freiheit und des Dialogs. Das ist um so leichter möglich und kann um so fruchtbarer sein, als die Kunst in Ihrem Land frei ist und sich im Raum der Freiheit verwirklichen und entfalten kann. Wo es um die verantwortete Freiheit Ihrer Berufe geht, will und muß die Kirche immer Ihr Partner sein, Partner in der Sorge um die Würde des Menschen in einer in ihren Fundamenten erschütterten Welt.
3. Die Kirche sieht die Berufe der Künstler und Publizisten in einer Bestimmung, die zugleich die Mitte, die Größe und die Verantwortung Ihrer Berufe bezeichnet. Nach christlicher Auffassung ist jeder Mensch Bild und Gleichnis Gottes. Dies trifft hinsichtlich der schöpferischen Tätigkeit in einer besonderen Weise für den Künstler und den Publizisten zu. Ihr Beruf ist Ihrer jeweiligen Aufgabe entsprechend ein schöpferischer Beruf. Sie geben der Wirklichkeit und dem Stoff der Welt Form und Gestalt. Sie verbleiben nicht in der bloßen Abbildung oder in der Beschreibung der Oberfläche. Sie versuchen, die Wirklichkeit des Menschen und seiner Welt zu ”verdichten“ im ursprünglichen Sinn des Wortes. Sie wollen in Wort, Ton, Bild und Gestaltung etwas ahnen lassen und vernehmbar machen von der Wahrheit und Tiefe der Welt und des Menschen, wozu auch die menschlichen Abgrunde gehören.
Dies zu sagen, bedeutet keine heimliche christliche oder kirchliche Vereinnahmung der Kunst und der Künstler, der Medien und Publizisten, sondern eine Würdigung aus der Sicht des christlichen Glaubens, eine Würdigung, die erfüllt ist von Positivität, von Respekt und Anerkennung. Der deutsche Kardinal Nikolaus von Kues hat den Satz geschrieben: ”Schöpfertum und Kunst, die einer Seele im Glücksfall zukommen, sind zwar nicht jene wesensmäßige Kunst, die Gott ist, aber sie sind Mitteilung und Teilhabe an ihr“.
4. Fragen wir weiter: Wo liegen die gegenseitigen Verbindungen und Verknüpfungen zwischen Kirche und Kunst, Kirche und Publizistik? Darauf ist zu antworten: Das Thema der Kirche und das Thema der Künstler wie Publizisten ist der Mensch, das Bild vom Menschen, die Wahrheit vom Menschen, das ”Ecce homo“, wozu seine Geschichte, seine Welt und Umwelt gehören, ebenso der gesellschaftliche, ökonomische und politische Kontext.
Die Kirche als Vermittlerin der Botschaft des christlichen Glaubens wird immer daran erinnern, daß die Wirklichkeit des Menschen nicht umfassend beschrieben werden kann ohne die theologische Dimension, daß nicht vergessen werden darf, daß der Mensch Geschöpf ist, zeitlich und räumlich begrenzt, auf Hilfe und Ergänzung angewiesen. Daß menschliches Leben Geschenk und Empfang ist, daß der Mensch nach Sinn sucht, nach Heil und Erlösung fragt, weil er in vielfältiger Weise in Zwänge und Schuld verstrick ist. Die Kirche wird immer daran erinnern, daß in Jesus Christus das wahre und eigentliche Bild des Menschen und des Menschlichen gegeben ist. Jesus Christus bleibt, so sagt der deutsche Philosoph Karl Jaspers, der Maßgebendste unter den Maßgebenden der Geschichte. Und das Konzil betont: ”Christus, der neue Adam, ... macht dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung“.
Auch der Kunst geht es in all ihren Bereichen - die Möglichkeiten von Film und Fernsehen immer miteingeschlossen - um den Menschen, um das Bild vom Menschen, um die Wahrheit vom Menschen. Obwohl der Augenschein oft dagegen spricht, sind diese tiefen Bestimmungen und Anliegen auch der Kunst von heute nicht völlig fremd. Der religiöse und christliche Ursprung der Kunst ist nicht gänzlich versiegt. Themen wie Schuld und Gnade, Verstrickung und Erlösung, Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit, ja, Barmherzigkeit und Freiheit, Solidarität und Nächstenliebe, Hoffnung und Trost kehren in der heutigen Literatur, in Text- und Drehbüchern wieder und finden große Resonanz.
Eine Partnerschaft von Kirche und Kunst im Blick auf den Menschen besteht darin, daß beide den Menschen aus fremder Knechtschaft befreien und ihn zu sich selbst führen wollen. Sie eröffnen ihn einen Raum der Freiheit - Freiheit von den Zwängen des Nutzens, der Leistung um jeden Preis, des Effekts, der Verplanung und Funktionalisierung.
5. Wir sagten, der Kirche und der Kunst gehe es um den Menschen, um sein Bild, um seine Wahrheit, um die Erschließung seiner Wirklichkeit - und dies in der gegenwärtigen Stunde, im aktuellen ”Aggiornamento“, um ein Wort des II. Vatikanischen Konzils zu gebrauchen. Für diese Aufgabe leistet die Kunst der Kirche einen großen Dienst, den Dienst der Konkretion. Auf diesen Dienst ist die Kirche angewiesen; denn die Wahrheit ist konkret. In der heutigen Kunst, in Literatur und Theater, in der bildenden Kunst, im Film und weithin in der Publizistik wird der Mensch aller romantischen Verbrämung und Verklärung entkleidet - er wird, wie man sagt, in ungeschminkter Realität dargestellt. Dazu gehören in der heutigen Kunst der Aufweis der Verirrungen und Verwirrungen, der Ängste und der Verzweiflung, der Absurdität und Sinnlosigkeit, die Darstellung einer zur Karikatur entarteten Welt und Geschichte. Oft wird dies verbunden mit dem Abbau aller Tabus.
Literatur, Theater, Film, bildende Kunst verstehen sich heute weithin als Kritik, als Protest und Opposition, als Anklage gegen das Bestehende. Das Schöne scheint als Kategorie der Kunst auszufallen zugunsten einer Darstellung des Menschen in seiner Negativität, in seinem Widerspruch, in seiner Ausweglosigkeit, in der Abwesenheit von jeglichem Sinn. Das scheint das aktuelle ”Ecce homo“ zu sein. Die sogenannte ”heile Welt“ wird Gegenstand von Hohn und Zynismus. Auch diesen Fragen hat sich in großen Offenheit das II. Vaticanum in seinem Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel gestellt.
Gegen die Darstellung des Bösen in seinen Formen und Gestalten ist auch im Namen des christlichen Glaubens und der Kirche an sich nichts einzuwenden. Das Böse ist eine Realität, deren Ausmaße gerade unser Jahrhundert, gerade auch Ihr Land und meine Heimat, bis an die äußersten Grenzen erlebt und erlitten haben. Ohne die Realität des Bösen ist auch die Realität des Guten, der Erlösung, der Gnade, des Heiles nicht zu ermessen. Das ist kein Freibrief für das Böse, aber ein Hinweis auf seinen Ort. Und hier ist auf einen nicht unwichtigen und nicht ungefährlichen Tatbestand hinzuweisen. Kann der Spiegel des Negativen in der Vielfalt heutiger Kunst nicht zum Selbstzweck werden? Kann er nicht zum Genuß am Bösen, zur Freude an der Zerstörung und am Untergang, kann er nicht zum Zynismus und zur Menschenverachtung führen?
Wenn die Realität des Bösen gezeigt wird, dann will dies, auch in der inneren Logik der Kunst, das Furchtbare als furchtbar aufzeigen, erschüttern. Somit zielt diese Darstellung nicht darauf, daß es beim Bösen bleibt; vielmehr darauf, daß es nicht schlimmer, sondern anders, besser wird. Du mußt dein Leben ändern, du mußt umkehren und einen neuen Beginn setzen, du mußt dem Bösen widerstehen, damit es nicht das letzte Wort behalte und die alles bestimmende Wirklichkeit werde.
Dies ist nicht nur Ruf und Mahnung der Kirche, es ist auch Aufgabe der Kunst und Publizistik in allen Bereichen - und dies nicht erst durch eine nachträgliche und zusätzliche moralische Hypothek. Die helfende, heilende, läuternde und reinigende Kraft wurde der Kunst schon von den Griechen zugeschrieben; dazu kommen die Ermutigung zur Hoffnung und der Versuch einer Sinngebung, auch wenn nicht alle Fragen nach dem Warum gelöst werden können. Dies alles darf der heutigen Kunst um ihrer selbst und um der Menschen willen nicht verloren gehen. In diesem Dienst kann und soll es zu einer Verbindung von Kirche und Kunst kommen, ohne daß das je Eigene verwischt wird.
6. Wenn die Kirche auf das ”Aggiornamento“ bedacht ist, auf das Heutigwerden des christlichen Glaubens, seiner Weisungen und Verheißungen, dann ist zu sagen: Nirgends wird die Situation, das Lebensgefühl, aber auch der Fragehorizont des heutigen Menschen so eindrucksvoll dargestellt wie in der heutigen Kunst und Publizistik. Darauf ist die Kirche verwiesen und angewiesen. Wenn der christliche Glaube als Wort und als Antwort für die Menschen vermittelt werden soll, dann müssen die Fragen dazu genannt und bewußt gemacht werden.
Die Kirche braucht die Kunst. Sie braucht sie zur Vermittlung ihrer Botschaft. Die Kirche bedarf des Wortes, das vom Wort Gottes Zeugnis und Kunde gibt und zugleich ein Menschenwort ist, das eingehen will in die Sprachwelt des heutigen Menschen, wie sie in der heutigen Kunst und Publizistik begegnet. Nur so kann das Wort lebendig bleiben und zugleich den Menschen bewegen.
Die Kirche bedarf des Bildes. Das Evangelium wird in vielen Bildern und Gleichnissen erzählt; es soll und kann in Bildern anschaulich gemacht werden. Im Neuen Testament wird Christus das Bild, die Ikone des unsichtbaren Gottes genannt. Die Kirche ist nicht nur Kirche des Wortes, sondern auch der Sakramente, der heiligen Zeichen und Symbole. Lange Zeit stellten neben dem Wort die Bilder die Heilsbotschaft dar, und dies geschieht bis heute. Das ist gut so. Der Glaube wendet sich nicht nur an das Hören, sondern auch an das Sehen, an die beiden Grundvermögen des Menschen.
In den Dienst des Glaubens, wie er im Gottesdienst zu Wort kommt, stellt sich auch die Musik.
Jedermann weiß, daß viele große Schöpfungen und Werke der Musik sich der Einladung durch den lebendigen Glauben der Kirche und ihren Gottesdienst verdanken. Der Glaube will nicht nur bekannt und gesprochen, er will auch gesungen werden. Und die Musik weist darauf hin, daß die Sache des Glaubens auch eine Sache der Freude, der Liebe, der Ehrfurcht und des Überschwangs ist. Diese Motivation und Inspiration ist auch heute noch lebendig. Vielfach sucht die Musik noch neue Formen im Rahmen der Reform der Liturgie. Hier steht noch ein weites Feld offen. Die Verbindung von Kirche und Kunst ist im Bereich der Musik lebendig und fruchtbar.
Etwas Ähnliches läßt sich sagen vom Verständnis der Kirche zur Architektur und zur bildenden Kunst. Die Kirche braucht den Raum als Ort ihres Gottesdienstes, als Raum der Versammlung des Volkes Gottes und seiner vielfältigen Aktivitäten. Nach den furchtbaren Zerstörungen des letzten Weltkrieges ist in der ganzen Welt, vor allem auch in der Bundesrepublik Deutschland, eine Kirchenbaukunst entstanden, die das Zeugnis einer lebendigen Kirche ist. Die moderne Kirchenbaukunst wollte bewußt keine Imitation der Romanik, der Gotik, der Renaissance, von Barock und Rokoko sein, deren schönste deutsche Schöpfungen in Bayern sind; die moderne Kirchenbaukunst wollte aus dem Geist und Stilempfinden unserer Zeit und mit den heute möglichen Mitteln dem Glauben unserer Zeit Gestalt und Ausdruck verleihen und ihm zugleich eine Stätte der Beheimatung geben. Dies ist in vielen hervorragenden Beispielen gelungen. Allen an diesem großen Werk Beteiligten - den Architekten und Künstlern, den Theologen und Bauleuten, den Pfarrern und Laien - sei dafür Dank gesagt.
7. Die Kirche braucht die Kunst. Sie braucht sie in vielfältiger Weise. Braucht die Kunst auch die Kirche? Das scheint heute weithin nicht der Fall zu sein. Aber wenn die Verbindung von Religion, von Kirche und Kunst so eng ist, wie ich zu zeigen versucht habe, vor allem im Blick auf den Menschen, auf das Bild vom Menschen und die Wahrheit von ihm - und wenn der christliche Glaube in seinen Inhalten, die die Kirche vermittelt, die Kunst in ihren größten Epochen und in bis heute unüberholten Werken inspiriert hat, auch und gerade in Deutschland, dann ist die Frage erlaubt: Verarmt nicht die Kunst, bringt sie sich nicht um entscheidende Gehalte und Motive, wenn sie auf die Wirklichkeit verzichtet, die durch die Kirche repräsentiert wird?
Die heutige Begegnung selbst möchte eine aufrichtige Einladung an alle Kunstschaffenden sein zu einer neuen partnerschaftlichen, vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Kirche, eine Einladung, die geistig-religiöse Tiefendimension wiederzuentdecken, die die Kunst in ihren edelsten und höchsten Ausdrucksformen zu allen Zeiten ausgezeichnet hat.
8. Bei den bisherigen Überlegungen waren auch die Publizisten und Journalisten schon immer miteingeschlossen, die Vielfalt der Berufe in Presse, Rundfunk und Fernsehen.
Der Besuch des Papstes in der Bundesrepublik Deutschland wurde von den Medien, das heißt von Ihnen, den Publizisten und Journalisten, mit vorbereitet; er wird von Ihnen aktuell begleitet durch Live-Sendungen, Informationen und Kommentare, die meist Wohlwollen und Zustimmung bekunden. Für all das danke ich Ihnen herzlich. Durch Ihre Arbeit wird das, was sich in einigen Städten der Bundesrepublik Deutschland ereignet, in millionenfacher Weise vervielfältigt. Noch nie in der Geschichte hatte die Verkündigung des Evangeliums eine solche Chance, um zu so vielen Menschen zu gelangen. Für diesen Dienst - er ist ein Dienst am Glauben, an der Kirche und damit ein Dienst am Menschen - sei der Dank wiederholt.
Bei dieser Gelegenheit wird jedermann offenbar, welche Macht in Ihre Hände gelegt ist, in die Hände der Publizisten und Journalisten. Sie haben einen ungeheuren Einfluß auf die Öffentlichkeit, auf die Meinungsbildung und das Bewußtsein von Millionen. Das Wort und das Bild, das Sie von der Wirklichkeit der Welt, des Menschen, der Gesellschaft, oder auch vom christlichen Glauben und von der Kirche vermitteln, ist bestimmend für das Urteil, für das Verhalten und Tun vieler Menschen.
In Reaktion auf die Gleichschaltung und den Mißbrauch der Presse in der Zeit des Nationalsozialismus konnte in der Bundesrepublik Deutschland ein plurales Pressewesen entstehen.
Angesicht der Situation politischer und weltanschaulicher Differenzen steht der Journalist ständig vor der Aufgabe, sich mit anderen Überzeugungen und Positionen auseinander zusetzen, ideologische Tendenzen zu erkennen und offenzulegen und seinen eigenen Standpunkt zu klären und zu bestimmen. Diese große Chance der Freiheit schließt eine gleich große Verantwortung ein.
Die Information und Nachrichtenkommentierung der Presse sollte stets durch Objektivität, Urteilsvermögen und Gerechtigkeitssinn bestimmt sein. Die Gefahr, die Nachrichten selbst schon durch Tendenz zu manipulieren, liegt ebenso nahe wie die Gefahr, der Sensationsnachricht den Vorzug zu geben. Im Bereich der Boulevardblätter gibt es dafür manches beklagenswerte Beispiel.
Gerade im Bereich der Nachrichtenpolitik erweist sich das Ethos des Journalisten. Das Gewicht seiner Verantwortung kann kaum überschätzt werden. Der Journalist kann diese ohne klare sittliche Grundüberzeugung und ohne den Sinn für die hohe Bedeutung der öffentlichen Kommunikation in einer freien Gesellschaft nicht hinreichend wahrnehmen.
9. Die Verantwortung des Publizisten wird vor allem deutlich, wenn die Wirkungen der Medien in Betracht gezogen werden. Zur Verantwortung des Publizisten gehört es, die möglichen Wirkungen seiner Tätigkeit zu bedenken. Die Erforschung der Medienwirkungen steht innerhalb der Wissenschaften erst am Anfang. Es gibt erste Hinweise auf die Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien auf die Jugend. Es scheint richtig zu sein, daß für die Art und den Grad dieser Wirkungen nicht die Medien allein verantwortlich zu machen sind, aber sie dürfen ihre Rolle auch nicht verleugnen und in einer bequemen Abwehrhaltung von sich weisen. Die Publizisten sind neben den Familien und den Erziehern aufgerufen, schädliche Auswirkungen solcher Gewaltdarstellungen wahrzunehmen und mitzuhelfen, sie zu verhindern.
Ähnlich ist es bei der Entwicklung der politischen Kultur. Auch hier sind die Medien in ein Geflecht von Beziehungen eingebettet. Der verantwortungsvolle Journalist wird sich bewußt sein, welche Möglichkeiten er hat, zu einer guten Entwicklung der politischen Kultur beizutragen, zu mehr Wahrhaftigkeit, zu mehr Rücksichtnahme auf die persönlichen Werte des anderen.
Deutliche Hinweise auf eine Vorreiterrolle der Medien, vor allem des Fernsehens, liefert die Analyse der Entwicklung unserer sittlichen Werte. In einer breiten Front haben hier die Medien an einer Veränderung von Einstellungen, Normen und sittlichen Bindungen der Menschen mitgewirkt.
Auf dem Gebiet des sexuellen Verhaltens sowohl der Heranwachsenden als auch der Erwachsenen, bei den Auffassungen über Ehe und Familie und ihrer gelebten Wirklichkeit, bei der Erziehung der Kinder. Manche dieser von den Medien mit vorbereiteten Einstellungsveränderungen haben den Menschen mehr Freiheitsgrade im Umgang miteinander eröffnet, die personale Beziehung untereinander vielleicht vertief. Aber allzu deutlich zeigt sich heute auch, was möglicherweise von den Medien und den in ihnen tätigen Publizisten zu wenig beachtet wurde: der Umschlag einer vermeintlich größeren Freiheit in Haltlosigkeit; die Preisgabe sittlicher Bindungen zugunsten neuer Zwänge, die den Menschen in seiner ganzen Würde nicht mehr gerecht werden; die Aufweichung des Vertrauens in den personalen Beziehungen. Hier sind die Medien gewiß nicht allein verantwortlich, aber sie haben an diesem Prozeß initiierend und verstärkend mitgewirkt.
Der Journalist ist aufgerufen, die Wirkungen seines Tuns noch besser kennenzulernen und nicht die Augen davor zu verschließen. Denn die in seine Hände gelegte Macht wird nur dann nicht zur Gefahr, wenn sie mit Gewissenhaftigkeit und Verantwortung verbunden ist. Der Maßstab journalistischen Tuns soll nicht der Effekt sein, sondern die Wahrheit und die Gerechtigkeit. Damit dienen Sie der Sache Ihres Berufes, damit dienen und helfen Sie dem Menschen.
Zu einem solch authentischen Dienst an der Wahrheit und am Menschen in Kunst und Publizistik wünsche und erbitte ich Ihnen, die Sie hier zugegen sind, und allen Ihren Berufskollegen von Herzen Gottes Licht und Beistand.
Abreise aus der Bundesrepublik Deutschland (München-Riem)
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!
verehrter Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
Meine Damen und Herren!
1. Meine Pastoralreise durch die deutschen Lande neigt sich ihrem Ende zu. Im Augenblick des Abschieds möchte ich meiner aufrichtigen Dankbarkeit Ausdruck geben! Dankbarkeit gegenüber Gott und den Menschen für das Geschenk dieses einzigartigen Ereignisses.
Sie, sehr geehrter Herr Präsident, bitte ich herzlich, meinen tiefempfundenen Dank für die überaus freundliche Aufnahme entgegenzunehmen, die mir die einzelnen Besuchsorte und die Bürger Ihres Landes gewährt haben.
Einen ganz besonderen Dank möchte ich an die ungezählten Helfer richten, die sich mit so großem Erfolg um die äußere Organisation dieser Reise seit Wochen intensiv bemüht haben und dabei sicher manche Überstunde leisten mußten. Ich denke hier vor allem an die Stadtverwaltungen, die Polizei, an den Bundesgrenzschutz - insbesondere die Hubschrauberpiloten -, an den Malteser Hilfsdienst, an die örtlichen Kommissionen der einzelnen Bistümer. Ihnen allen ein herzliches Gott-Vergelt’s!
Bei dieser Reise wurden wir an wichtige Stationen aus der Geschichte der Kirche und des Volkes dieses Landes erinnert. Ich war mir bewußt, daß ich durch ein Land gepilgert bin, dessen christliche Wurzeln bis in die Zeit der Römer zurückreichen; ein Land, in dem der hl. Bischof und Märtyrer Bonifatius im 8. Jahrhundert das Fundament dieser Ortskirche gelegt hat; ein Land, aus dem im Mittelalter eine geschichtlich bedeutsame Reihe von Päpsten und Kaisern, von Heiligen und Gelehrten hervorgegangen ist. Es ist das Land, in dem vor 700 Jahren der hl. Albert mit dem Beinamen ”der Große“ gestorben ist und in dem vor 450 Jahren die ”Confessio Augustana“ verkündet wurde.
2. Wenn ich mit Verehrung dieser ferneren Vergangenheit in einigen ihrer größten Marksteine gedenke, kann ich gleichwohl die Ereignisse der näheren Geschichte nicht übergehen. Vor gar nicht langer Zeit bin ich bereits einmal hier in Ihrem Land gewesen, als Erzbischof und Kardinal von Krakau, und zwar im September 1978, zusammen mit einer Delegation von polnischen Bischöfen.
Jener Besuch fand nur wenige Wochen nach der Wahl von Papst Johannes Paul I. statt und - wer hätte das damals gedacht - nur einige Tage vor seinem Tod. Ebenso konnte niemand ahnen, daß die göttliche Vorsehung bald danach mich beauftragen würde, nach ihm das Erbe des Stuhles Petri zu übernehmen.
Zwei Motive veranlassen mich, diese fernen und nahen geschichtlichen Ereignisse hier beim Abschied zu erwähnen. Das erste Motiv besteht darin, daß jener Besuch der polnischen Bischöfe unter der Leitung des Primas von Polen eine wichtige Entwicklung bezeugte, die sich zwischen Ihren und meinem Vaterland vollzog und immer noch fortdauert: Ich meine jenen Prozeß, der die Überwindung der tragischen Folgen des 2. Weltkrieges zum Ziel hat, vor allem jener Folgen, welche sich den Herzen der Menschen eingeprägt haben. Ich kenne sie aus meiner persönlichen Erfahrung, weil ich mit meiner eigenen Nation die grausame Realität dieses Weltkrieges tief erlebt habe.
In diesem Zusammenhang empfinde ich große Dankbarkeit auch für den Gegenbesuch, den die deutschen Kardinäle und Bischöfe in einer Gruppe vor kurzem in Polen gemacht haben. Ich werde euch, liebe Brüder, sehr dankbar sein, wenn ihr euch weiterhin darum bemüht, diese Kontakte noch zu vertiefen. Dabei haben wir die Geschichte der Kirche und der Christenheit dieser Nation in ihrer 1000jährigen Dimension vor Augen, in der das Leben ihrer Bürger oft nicht leicht gewesen ist. Diese Nation ist euch von der göttlichen Vorsehung als unmittelbarer östlicher Nachbar gegeben worden. Der Leitgedanke für diese Beziehungen möge stets die Lehre sein, die das II.
Vatikanischen Konzil über den gegenseitigen Güteraustausch zwischen den Kirchen dargelegt hat, die in den verschiedenen Nationen, Sprachen und Geschichtsverhältnissen verwurzelt sind. Ein solcher Austausch der geistigen Güter gehört zum Wesen jener ”Communio“ durch die Kirche Jesu Christi.
Ja, darum geht es! Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um dem Leben und dem Zusammenhalt der Menschen und Nationen dieses Kontinents eine neue Grundlage und Form zu geben und so die Folgen jener entsetzlichen Erfahrung unseres Jahrhunderts zu überwinden. Die Märtyrer und Heiligen aller Zeiten bis hin zum seligen Maximilian Kolbe haben uns gezeigt, daß ”Christi Liebe stärker ist“, wie es das Motto des letzten Katholikentages in Berlin ausdrückte.
Nach diesem Grundsatz ist der Aufbau einer besseren Zukunft für die Nationen und Menschen nicht nur möglich, sondern sogar eine schwerwiegende Verpflichtung für uns: die dringlichste Aufgabe unserer Zeit in diesem zweiten Jahrtausend nach Christus, das bereits in seinen letzten Abschnitt eingetreten ist.
Darum bin ich so dankbar für die Einladung zu dieser Pastoralreise, die ich noch in diesem Jahr zu Ihnen unternehmen konnte, um Ihnen meinen Dienst als Bischof von Rom und Nachfolger des hl. Petrus zu schenken.
3. Das zweite Motiv für meine obigen Erwägungen besteht darin, daß ich aus der Einladung, die mir zunächst der Herr Kardinal von Köln und dann alle Kardinäle und Bischöfe zusammen ausgesprochen haben, nicht nur einen besonderen Ruf der fernen und nahen Vergangenheit vernommen habe, sondern auch die Herausforderung für die Zukunft, deren Richtung durch die Lehre und den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils angezeigt wird. Gerade in Ihrem Lande, in dem Martin Luther geboren wurde und die Confessio Augustana vor 450 Jahren verkündet worden ist, erschien mir diese Herausforderung für die Zukunft als überaus wichtig und entscheidend.
Um was für eine Zukunft handelt es sich? Es geht um jene Zukunft, die für uns als Jünger Christi aus dem Gebet Jesu im Abendmahlssaal hervorgeht, aus dem Gebet: Ich bitte dich, Vater, ”alle sollen eins sein“. Dieses Gebet des Herrn wird für uns alle zur Quelle eines neuen Lebens und einer neuen Sehnsucht. Als Bischof von Rom und Nachfolger des hl. Petrus stelle ich mich voll und ganz in den Strom dieser Sehnsucht; darin erkenne ich die Sprache des Heiligen Geistes und den Willen Christi, denen ich bis ins letze gehorsam und treu sein möchte.
Ich will der Einheit dienen, ich will alle Wege beschreiten, die Christus uns nach den Erfahrungen der Jahrhunderte und Jahrtausende zur Einheit in jener Herde führt, in der er allein der einzige und sichere Gute Hirt ist.
Darum war es mein großer Wunsch, gerade in diesem bedeutenden ökumenischen Jubiläumsjahr diesen Besuch zu machen. Ich möchte deshalb dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Arbeitskreis christlicher Kirchen herzlich danken, daß sie an der Begegnung mit dem Papst teilgenommen und im eigenen Land den Dialog mit mir aufgenommen haben.
Ich habe die feste Hoffnung, daß die Einheit der Christen in der Kraft des Geistes der Wahrheit und der Liebe schon auf dem Weg ist. Wir wissen, wie lang die Zeiten der Trennung und Spaltung waren. Wie lange jedoch der Weg zur Einheit dauern wird, wissen wir nicht. Eines aber wissen wir um so sicherer: Wir müssen diesen Weg mit Ausdauer weitergehen - weitergehen und nicht stillstehen. Vieles müssen wir dafür tun, vor allem aber ausharren im Gebet, in einem immer kraftvolleren und innigeren Gebet. Die Einheit kann uns nur als Geschenk des Herrn, als Frucht seines Leidens und seiner Auferstehung in der angemessenen ”Fülle der Zeit“ gegeben werden.
”Wachet und betet“ im Garten von Getsemani der zahlreichen Erfahrungen der Geschichte, damit ihr nicht in Versuchung fallt und auf dem Weg einhaltet!
4. Noch einmal möchte ich auch Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, und allen Vertreten der staatlichen Autorität für die an mich ergangene Einladung sehr herzlich danken.
Zum Abschied spreche ich allen Bürgern Ihres Landes meine besten Segenswünsche aus, darin eingeschlossen auch alle Ihre deutschen Brüder und Schwestern, die jenseits der Grenzen Ihres Landes leben, sowie all jene, die zuweilen schon seit Generationen in verschiedene Länder der Erde ausgewandert sind.
Erlauben Sie mir, daß ich diese Wünsche mit einer Einladung und einem Aufruf verbinde. Seit der letzten Kriegskatastrophe mit ihren furchtbaren Bildern, die wie ein Erdbeben über Europa und unsere Heimatländer hinweggezogen ist, ist zwar schon geraume Zeit vergangen. Und doch muß auch heute noch der Aufruf immer wieder neu vorgetragen werden, der Aufruf für eine künftige Welt, die nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils ”menschenwürdiger“ sein soll, und dies für alle Menschen auf der Erde. Sie werden mir beipflichten, daß ein solcher Wunsch eine Herausforderung darstellt. Denn die Welt des Meschen und das Leben in ihr können nur dann menschenwürdiger werden, wenn der Mensch selbst sich beständig darum bemüht, seines Menschseins würdiger zu werden, und zwar in allen Bereichen und Dimensionen seiner Existenz!
Ich werde der göttlichen Vorsehung zu tiefstem Dank verpflichtet sein, wenn dieser sehnsuchtsvolle Wunsch sich in Ihren Herzen und in Ihrer Umwelt erfüllt, wenn er für Sie, für jeden einzelnen und für alle inmitten der anderen Menschen und Nationen immer mehr Wirklichkeit würde. Ebenso dankbar werde ich sein, wenn Sie, Söhne und Töchter einer so bedeutenden Nation, Erben einer hervorragenden Kultur und Nachfahren so großer Persönlichkeiten der Geschichte Europas und der Welt, immer mehr zu Pionieren jener Zivilisation der Liebe werden, die allein es vermag, unsere Welt menschenwürdiger zu machen.
Diese möge die geschichtliche Antwort der Zukunft auf die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit sein. Diesen Wunsch richte ich indirekt an ganz Europa, in dem Ihr Land durch die Vorsehung eine zentrale Stellung innehat. Ganz Europa ist zu wünschen, daß sich in ihm jene Zivilisation der Liebe verwirklicht, die vom Geist des Evangeliums inspiriert und zugleich auch zutiefst humanistisch ist. Sie entspricht nämlich den tiefen Bedürfnissen und Wünschen des Menschen - auch in der sozialen Dimension seiner Existenz. In dieser Dimension meint die Zivilisation der Liebe jene Form der Koexistenz und des Zusammenlebens zwischen den Völkern, in der Europa eine wirkliche Völkerfamilie bilden würde. Wie in jeder menschlichen Familie jeder ihr angehörende Mensch alle Achtung findet, so müssen in der Völkerfamilie alle Nationen - große, mittlere und kleine - geachtet werden. Diese Nationen haben schon ihre lange Geschichte, ihre volle Identität und ihre eigene Kultur. Dieser eigenen geschichtlichen Reife entspricht das Recht auf Selbstbestimmung, wobei natürlich auch die entsprechenden Rechte der anderen Nationen gebührend berücksichtigt werden müssen.
Es ist an der Zeit, daß wir beginnen, an die Zukunft Europas zu denken, nicht von der Position der Macht und der Präpotenz, nicht von der Position wirtschaftlicher Vorherrschaft oder des Eigennutzes, sondern vom Standpunkt der Zivilisation der Liebe, die es jeder Nation ermöglicht, ganz sie selber zu sein, und allen Nationen gemeinsam erlaubt, sich von der Bedrohung eines neuen Krieges und der gegenseitigen Vernichtung zu befreien. Die Liebe gestattet allen, sich wirklich frei und in der Würde gleich zu fühlen. Dazu muß auch die Politik einer aufrichtigen Solidarität beitragen, die es unmöglich macht, daß sich sich jemand des anderen zu seinem eigenen Nutzen bedient; zugleich schließt sie jede Form der Ausbeutung und Unterdrückung aus!
Dies sind meine Wünsche, die ich Ihnen in den letzten Augenblicken meiner Anwesenheit in Ihrem Land ausspreche. Darin eingeschlossen ist zugleich all meine Dankbarkeit für diese Tage, die ich bei Ihnen, in Ihrem Land, verbringen durfte.
Gott segne dieses Land und alle seine Bewohner!
Gott segne Europa und seine Zukunft!
Ansprache bei der Rückkehr nach Italien (Flughafen Fiumicino)
Herr Minister, sehr verehrte Herren Kardinäle,
sehr geehrte Herren Botschafter,
liebe Brüder und Schwestern!
1. Bei meiner Rückkehr nach Rom, meinem Bischofssitz, möchte ich nach den bewegenden Erlebnissen dieser kurzen, aber intensiven, an Begegnungen und Gesprächen reichen Reise vor allem dem Herrn danken. Er gewährte mir, meine lieben Brüder und Schwestern in Deutschland zu besuchen und mit ihnen und den höchsten staatlichen Autoritäten jener edlen Nation persönlich zusammenzutreffen.
Ich konnte dadurch der religiösen Seele und dem hochgemuten Herzen dieses mir schon von früher gut bekannten Volkes begegnen, seine alten Glaubenstraditionen, seine Zeugnisse menschlicher Solidarität und seinen Willen zu einem immer echteren christlichen Zeugnis bewundern und seine tiefen ethischen Werte würdigen, die fUr einen wahren zivilen Fortschritt grundlegend sind.
Ich bin froh, daß ich die Einladung der Bischöfe und der höchsten Autoritäten der Bundesrepublik Deutschland zu einer so bedeutenden Begegnung habe annehmen können im Zusammenhang des 700. TOdestages des hl. Albertus Magnus, zu dessen Ehre ich in Köln, wo sich sein Grab befindet, einen feierlichen Gottesdienst gehalten habe.
2. Unter den bedeutendsten Ereignissen möchte ich die Begegnung mit der Welt der Wissenschaft, der Kultur und der Studentenschaft im Kölner Dom erwähnen. Sie fand ganz im Zeichen und thematischen Horizont der Lehren des "doctor universalis", Albertus Magnus, statt. Er war ein außergewöhnlicher Gelehrter, Lehrer, Bischof und Friedensstifter sowie ein überzeugter Verfechter der Unterscheidung zwischen den menschlichen Wissenschaften, die schon allein dem Licht der Vernunft zugänglich sind, und der Theologie, der Wissenschaft von der göttlichen Offenbarung. Denkwürdig waren unter ökumenischem Aspekt auch die Begegnungen in Mainz mit den Vertretern der anderen christlichen Konfessionen und der jüdischen Gemeinde. Das Zusammentreffen mit den Brüdern der anderen christlichen Kirchen fUgte sich ein in die Reihe der Veranstaltungen zum 450. Jahrestag der Verkündigung der bekannten Confessio augustana, die auch heute noch für die Christen guten Willens einen Aufruf darstellt, gewissenhaft nach der Wahrheit zu suchen und auf dem Weg zur Einheit voranzuschreiten.
Erfreulich waren auch die Stunden, die ich mit den Volksgruppen verschiedener Nationen verbracht habe; unter ihnen waren auch zahlreiche Italiener, die mit einem wachsenden europäischen Bewußtsein durch ihre umsichtige Arbeit zum Fortschritt dieses Landes beitragen.
Von besonderer Bedeutung fUr diese meine Pastoralreise waren in Fulda die Begegnungen mit den Seminaristen, dem Klerus, der Bischofskonferenz, mit Laien im kirchlichen Dienst und den apostolischen Laienverbänden. Sie fanden beim Grab des hl. Bonifatius statt, des Apostels und Gründers der Kirche unter den germanischen Völkern, die er mit dem Heiligen Stuhl eng verbunden hat. Sein Grab gilt als der religiöse Mittelpunkt des katholischen Deutschlands. Hier versammelt sich jedes Jahr die Bischofskonferenz und würdigt dadurch die bleibenden Werte des Ursprungs und des Werkes dieses großen Bischofs und Märtyrers.
Lebhaft stehen mir noch vor Augen die jubelnden und mitunter auch still betenden Menschenmengen, die außer in den schon genannten Städten auch in Bonn, Osnabrück, Altötting und München dem Nachfolger Petri ihre Verehrung bekundeten und dadurch ihre Verbundenheit mit dem Heiligen Stuhl bekräftigt haben. Besonders nahe meinem Herzen bleiben alle Kranken und Leidenden, denen ich auf meiner Reise begegnet bin.
3. Zum Abschluß der Reise richte ich gern noch einmal einen dankbaren Gruß und Segenswunsch an das deutsche Volk und erneuere dem Episkopat und den zivilen Behörden meinen aufrichtigen Dank für die freundliche Einladung und die Liebenswürdigkeit, mit der sie meine pastoralen Anliegen unterstützt und meine Pilgerreise begleitet haben.
Schließlich bekunde ich auch Ihnen, Herr Minister, meine aufrichtige und dankbare Wertschätzung für die freundlichen und herzlichen Worte, mit denen Sie mich im Namen des Staatspräsidenten und der italienischen Regierung bei meiner Rückkehr begrüßt haben. Sodann grüße ich noch alle Anwesenden: die Herren Kardinäle, die hohen Persönlichkeiten des italienischen Staates, den Vertreter des Bürgermeisters von Rom, die geschätzten Mitglieder des Diplomatischen Corps und alle, die mich hier willkommen heißen. Mein dankbarer Gruß gilt ebenso den verantwortlichen Leitern der Luftfahrtgesellschaften Lufthansa und Alitalia, den Piloten, den Besatzungen sowie allen, die zum Gelingen dieser Reise beigetragen haben.
Noch einmal erhebe ich mein Herz zum Herrn voller Dankbarkeit für die Durchführung dieser letzten Pastoralreise, von der ich mir wünsche, daß sie zum Frieden und zur brüderlichen Solidarität unter den Völkern Europas beitragen möge. Ich segne von Herzen alle, die hier zugegen sind, die Ewige Stadt und das geliebte Italien.<ref>aus: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 25 A, S. 206-207.</ref>
Papst Johannes Paul II. Telegramm:
Eminenz Joseph Kardinal Höffner
Nach dem glücklichen Abschluß meiner denkwürdigen Pastoralreise in der Bundesrepublik Deutschland, die ich in Ihrer Bischofsstadt Köln beginnen durfte, möchte ich Ihnen, sehr verehrter Herr Kardinal, als dem Oberhirten dieser altehrwürdigen Stadt und als Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz sowie allen Gläubigen Ihrer Erzdiözese und Ihres ganzen Landes für die mir gewährte Gastfreundschaft und geistliche Gemeinschaft im Gebet und Opfer während dieser Gnadentage noch einmal von Herzen danken. "Auch mächtige Wasser konnten die Liebe nicht löschen" (vgl. Hld 8,7). Dafür sei Lobpreis und Dank Gott dem Geber alles Guten.
Mit meinem besonderen Apostolischen Segen für alle Hirten und Gläubigen Ihrer Erzdiözese und aller Bistümer Ihres so geschätzten Landes.<ref>aus: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 25 A, S. 208.</ref>
Anmerkungen
<references />