Die Reziprozitaet zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung

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Die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung

Internationale Theologische Kommission
von Papst
Franziskus

3. März 2020

(Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 223 -Arbeitsübersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz durch Prof. Dr. Karl-Heinz Menke (Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission)

Inhaltsverzeichnis

Glaube und Sakramente: Zur Bedeutung und Aktualität des Themas

Die göttliche Gabe des Heils: untrennbar von der wechselseitigen Beziehung zwischen Glaube und Sakramenten

1. [Ausgehend von der Heiligen Schrift]. „Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.“ (Mk 5,34). Inmitten der Menschenmenge, die Jesus drängte (Mk 5,24.31), sucht der Glaube der an Blutfluss leidenden Frau die Berührung mit Jesus; und sie wird geheilt – Symbol für das Heil, das Jesus für die gesamte Menschheit ist.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1116.</ref> Das Beispiel der an Blutfluss leidenden Frau zeigt, wie der Glaube aus der Begegnung mit einem Ereignis und einer Person entsteht, die dem Leben einen neuen Horizont eröffnet und ihm damit eine entscheidend neue Orientierung ermöglicht.<ref> Vgl. PAPST BENEDIKT XVI., Enzyklika Deus caritas est von Papst Benedikt XVI. über die christliche Liebe (25. Dezember 2005), 1: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 171 (7. Aufl., Bonn 2014), S. 5 f. Zitiert durch PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013), 7: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194 (Bonn 2013), S. 11.</ref> Der Glaube wurzelt in der Beziehung zwischen Personen. Viele Kranke versuchten Jesus zu berühren (vgl. Mk 3,10; 6, 56), „denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte“ (Lk 6,19). Allerdings konnte er in Nazaret nicht viele Wunder wirken, „wegen ihres Unglaubens“ (Mt 13,58). Und die Neugier des Herodes hat er nicht befriedigt (Lk 23,8). Das Menschsein Jesu Christi ist die wirksame Vermittlung des von Gott kommenden Heils. Diese Wirksamkeit allerdings ist keine automatische; sie setzt aufseiten der Adressaten Demut, Gebet und Offenheit für die Gnade voraus.<ref> Vgl. ORIGENES, In leviticum hom. IV,8 (PG 12, 442–443). </ref> Denn diese Haltungen sind Wegbereitung für den Glauben, durch den die Gabe des Heils aufgenommen und angeeignet wird. „Der Glaube ist vor allem die persönliche Hinwendung des Menschen an Gott“,<ref> Katechismus der Katholischen Kirche, § 150.</ref> der sich in Jesus Christus geoffenbart hat. Und die Sakramente der Kirche sind die zeitliche Fortdauer der irdischen Wirksamkeit Christi. Sie vergegenwärtigen die heilende Macht, die vom Leibe Christi ausgeht, der die Kirche ist. Sie heilen die von der Sünde geschlagenen Wunden und vermitteln das neue Leben in Christus.

2. [Und ausgehend von der Tradition]. In der trinitarisch bestimmten Heilsgeschichte begegnet uns eine vielseitige Wechselbeziehung zwischen Glaube und Sakramenten:

„Der Glaube und die Taufe sind die zwei Weisen des Heils; sie sind von Natur verbunden und können nicht voneinander getrennt werden. Der Glaube kommt durch die Taufe zur Vollendung, die Taufe aber hat ihren Grund im Glauben. Beides wird durch die gleichen Namen vollzogen. Wie wir nämlich an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist glauben, so werden wir auch auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft. Voraus geht das Bekenntnis, das in das Heil hineinführt, es folgt die Taufe, die unsere Zustimmung besiegelt.“<ref>BASILIUS MAGNUS, De Spiritu Sancto, XII, 28 (SCh 17bis, 346).</ref>

Die personale Beziehung zum trinitarischen Gott realisiert sich durch den Glauben und die Sakramente. Zwischen Glaube und Sakramenten besteht eine Wechselwirkung und gegenseitige Verwiesenheit, kurzum: eine wesentliche Reziprozität. Allerdings geht das Bekenntnis des Glaubens, wie Basilius in dem soeben zitierten Text sagt, der Feier des Sakramentes voraus. Und diese wiederum schützt, besiegelt, stärkt und bereichert den Glauben. Gegenwärtig jedoch begegnet man einer pastoralen Praxis, die die besagte Wechselseitigkeit häufig verzeichnet oder ungewollt ignoriert.

Die gegenwärtige Krise des reziproken Verhältnisses zwischen Glaube und Sakramenten

Glaube und Sakramente: ein Wechselverhältnis in der Krise

3. [Ausgangspunkt]. Schon 1977 hat die Internationale Theologische Kommission – Bezug nehmend auf das Sakrament der Ehe – auf „getaufte Nichtgläubige“6 verwiesen, die das Sakrament erbitten. Diese Tatsache – so heißt es da – wirft neue Fragen von erheblicher Tragweite auf. Das besagte Problem hat sich inzwischen verschärft und belastet zunehmend die Feier der Sakramente. Es ist keineswegs nur auf das Ehesakrament beschränkt, sondern betrifft das gesamte Spektrum der Sakramente. Besonders betroffen ist die christliche Initiation. Eigentlich sollte in ihr die Wechselseitigkeit von Glaube und Sakramenten sorgfältig gewahrt werden. Aber reichlich oft besteht gerade hier Anlass zur Sorge und Beunruhigung.

6 <ref>INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Die katholische Lehre über das Sakrament der Ehe (1977), 2.3.</ref>

4. [Theologisch-philosophische Wurzeln]. Auch wenn die Dissoziation von Glaube und Sakramenten, bedingt durch soziale und kulturelle Kontexte, auf verschiedene Faktoren zurückzuführen ist, muss man sich vor einer bloß deskriptiven bzw. oberflächlichen Analyse hüten und stattdessen auch nach den geistesgeschichtlichen Wurzeln dieses Phänomens fragen. Denn es sind nicht nur katechetische Defizienzen und kulturell bedingte Einseitigkeiten, die das sakramentale Denken beeinträchtigen. Es ist vor allem ein tief verankerter philosophischer Faktor, der sakramentales Denken verunmöglicht. Denn für eine mit dem mittelalterlichen Nominalismus anhebende und in der sogenannten Moderne gipfelnde Denkart charakteristisch ist ein antimetaphysischer Dualismus zwischen Denken und Sein, der schließlich – in Gestalt der gegenwärtigen Postmoderne – jede Art von Repräsentationsdenken kategorisch ausschließt. Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Verhältnisbestimmung von Schöpfer und Schöpfung, weil die Schöpfung unter der besagten Voraussetzung nicht mehr als Spiegel (sakramentales Abbild) der Intentionen des Schöpfers betrachtet wird. Der Kosmos erscheint dann nicht mehr als Ausdruck einer von Gott gewollten Ordnung, sondern als ein Konglomerat bloßer Fakten, die der Mensch mit seinen Begriffen zu ordnen versucht. Und wenn Begriffe nicht so etwas wie der sakramentale Spiegel des göttlichen Logos, sondern bloße Konstruktionen des Menschen sind, ist eine weitere Dissoziation nicht zu vermeiden: die nämlich zwischen dem personalen Akt des Glaubens (fides qua) einerseits und der begrifflichen Darstellung des Glaubensinhaltes (fides quae) andererseits. Kurzum: Wer der menschlichen Vernunft den Zugang zur metaphysischen Wahrheit des Seins abspricht, spricht ihr damit implizit auch jede Möglichkeit ab, die Wahrheit Gottes zu erkennen.<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Fides et ratio über das Verhältnis von Glaube und Vernunft (14. September 1998), 84–85: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 135 (7. Aufl., Bonn 2014), S. 113–116.</ref>

5. Hinzu kommt, dass die in der allgemeinen Wertschätzung ganz oben rangierenden Disziplinen der Naturwissenschaft und Technik sich tendenziell in allen Bereichen der Wissenschaft als einzig mögliches Paradigma der Erkenntnis von Wirklichkeit empfehlen. Diese radikale Orientierung an einer empiristisch und naturalistisch begründeten Gewissheit widerspricht nicht nur dem metaphysischen Denken, sondern auch jeder symbolischen Erschließung von Wirklichkeit. Auch wenn die Naturwissenschaften fast uneingeschränktes Vertrauen in die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft setzen, decken sie doch nicht alle Dimensionen dieser Vernunft ab; sie erfüllen keineswegs alle kognitiven Erfordernisse zur umfassenden Erschließung des menschlichen Lebens. Das symbolische Denken erschließt und reflektiert mit all seinem Reichtum und seiner Plastizität die ethischen und affektiven Dimensionen der Erfahrung; und darüber hinaus berührt und bildet es die geistige und kognitive Gestalt des Erkenntnissubjekts. Von daher ist offensichtlich, dass die in den Traditionszusammenhang der Religionen eingebettete Überlieferung der Offenbarung – verbunden mit einem bestimmten kognitiven Inhalt – nicht empirisch oder naturalistisch, sondern nur symbolisch zu erschließen ist. Die sakramentale Realität der Teilhabe am Geheimnis der Gnade kann nur erschlossen werden, wenn beide Dimensionen der symbolisch vermittelten Erfahrung verbunden sind: die kognitive und die performative. Wo immer sich die Dominanz des naturwissenschaftlichen Paradigmas als blind für das symbolische Denken erweist, wird sakramentales Denken verunmöglicht.<ref> JOSEPH RATZINGER, Die sakramentale Begründung christlicher Existenz (1965), in: Gesammelte Schriften, 11. Theologie der Liturgie (Freiburg – Basel – Wien 2008), 197–198.</ref>

6. Ein dritter Punkt ist bedingt durch einen bedeutenden kulturellen Wandel, der sich in einer von Bildern bestimmten Zivilisation niederschlägt und damit der theologischen Klärung des sakramental verfassten Glaubens eine weitere Aufgabe stellt. So gewiss der moderne Rationalismus die kognitive Potenz des Symbols bezweifelt hat, so intensiv unterstreicht der zeitgenössische Postmodernismus die performative Potenz der Bilder. So notwendig die Überwindung des rationalistischen (modernen) Vorbehaltes gegenüber dem kognitiven Gehalt von Symbolen ist, so wichtig ist auch die Vermeidung des gegenteiligen (postmodernen) Extrems, das die Bedeutung von Symbolen auf die emotionale Potenz des Ästhetischen reduziert, ohne das „Außen“ auf ein „Innen“ zu beziehen. Mit anderen Worten: Das Christentum muss die originäre Bedeutung des Sakramentes vor einer doppelten Entleerung bewahren. Einerseits besteht die Gefahr, das sakramentale Symbol auf ein bloß informierendes Zeichen zu reduzieren, das die Lehre des Glaubens vereinfachend zusammenfasst, ohne irgendetwas zu bewirken (Eliminierung der performativen Dimension). Andererseits besteht die Gefahr, das sakramentale Symbol auf die bloße Suggestivkraft seiner rituell zelebrierten Ästhetik zu reduzieren, was bedeutet, dass die innere Beziehung zu der symbolisch ausgedrückten Realität durch bloß Äußerliches ersetzt wird (Unterdrückung der kognitiven Dimension).

7. [Beeinträchtigungen des Glaubens]. In den Gesellschaften der Gegenwart gibt es weitere Phänomene, die es sehr schwer machen, den Glauben so zu leben, wie ihn die katholische Kirche überliefert. Der Atheismus und die Relativierung der Bedeutung aller Religionen sind in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch. Säkularismus lässt den Glauben erodieren und sät Zweifel, statt die Freude am Glauben zu stärken. Das Machbarkeitsdenken<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Laudato si’ über die Sorge für das gemeinsame Haus (24. Mai 2015), bes. 106–114: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 202 (4., korrigierte Aufl., Bonn 2018), S. 78–85.</ref> etabliert eine dem Glauben widersprechende Logik; denn Glauben ist wesentlich vertrauende (personale) Beziehung. Und die Reduktion des Glaubens auf seine emotionale Dimension bedeutet seine Subjektivierung; seine Normierung durch ein Subjekt, das sich von der Bindung an die objektive Logik der Inhalte des christlichen Glaubens dispensiert. Die schon erwähnte Dominanz des naturwissenschaftlichen Paradigmas leugnet zumindest tendenziell die Möglichkeit einer persönlichen Beziehung des Menschen zu Gott und spricht Gott die Fähigkeit ab, in das Leben des Einzelnen und in die Geschichte einzugreifen. Die objektive Wahrheit des christlichen Glaubensbekenntnisses und die Bindung des Sakramentenempfangs an bestimmte Bedingungen wird von einer entsprechend sensibilisierten Gesellschaft zunehmend als Beeinträchtigung einer dem eigenen Gewissen entsprechenden Glaubensfreiheit empfunden – auf der Basis eines unzureichenden Verstehens eben der Freiheit, die man verteidigen will. Unter diesen Voraussetzungen entsteht eine Glaubensgestalt bzw. ein Glaubenstypus, der unvereinbar ist mit der christlichen Tradition und der dem sakramentalen Leben der Kirche nicht entspricht.

8. [Pastorale Defizite]. In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben sich auch unter den Gläubigen und ihren Hirten Verhaltensweisen verbreitet, die ein gesundes Verhältnis zwischen Glaube und Sakramenten geschwächt haben. Zuweilen hat man den Auftrag der Pastoral zur Evangelisierung weithin als Alternative zur Sakramentenpastoral missverstanden, was den Verlust der Balance zwischen Wort Gottes, Evangelisierung und den Sakramenten zur Folge hat. Andere haben nicht hinreichend verstanden, dass der Primat der Liebe im Leben eines Christen keineswegs eine Minderbewertung der Sakramente bedeutet. Einige Hirten haben ihren Dienst am Aufbau einer durchgängig kommunialen Kirche so forciert, dass sie dabei die entscheidende Bedeutung der Sakramente zur Verwirklichung eben dieses Zieles vernachlässigt haben. Zuweilen mangelt es auch an einer theologischen Reflexion und klugen pastoralen Begleitung der katholischen Volksfrömmigkeit hin zu einem reiferen Glauben und zur Fülle der christlichen Initiation und zu häufigerem Empfang der Sakramente. Und schließlich sind es nicht wenige Katholiken, die meinen, weil das Wesen des Christlichen ein Leben nach dem Evangelium sei, könnten sie die rituelle Dimension als Verfremdung des Eigentlichen geringschätzen. Dabei ignorieren sie, dass die Sakramente ein Leben aus dem Evangelium ermöglichen und stärken. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Verhältnisbestimmung von martyria, leitourgia, diakonia und koinonia.

9. [Konsequenz]. Nicht selten werden die in der Pastoral Tätigen mit der Bitte um den Empfang eines Sakramentes konfrontiert, obwohl gravierende Zweifel bezüglich des Glaubens und der Intention derer bestehen, die ein Sakrament empfangen wollen. Viele andere meinen, sie könnten ohne Abstriche ihren Glauben leben unter Absehung von jeder sakamentalen Praxis, die sie als bloße Option betrachten und daher in das freie Ermessen des Einzelnen stellen. Es besteht in verschiedenen Ausprägungen, aber weit verbreitet eine doppelte Gefahr: einerseits die eines glaubenslosen Ritualismus, der die innere Beteiligung des Empfängers auf dem Altar von Gewohnheit und Tradition opfert; andererseits die einer Privatisierung des Glaubens, der seinen Inhalt auf den Innenraum des eigenen Gewissens und das eigene Fühlen reduziert. In beiden Fällen wird das Verhältnis zwischen Glaube und Sakramenten verletzt.

Die Zielsetzung des vorliegenden Dokumentes

10. [Ziel und Zweck des Dokumentes]. Wir wollen herausarbeiten, wie essentiell das Wechselverhältnis zwischen Glaube und Sakramenten ist, indem wir die reziproke Verwiesenheit zwischen Glaube und Sakramenten in der von Gott gewirkten Heilsgeschichte aufweisen. So hoffen wir zur Überwindung der Dissoziation von Glaube und Sakramenten beizutragen, wo immer diese sich in der einen oder anderen Weise zeigt: ob in Gestalt eines Glaubens, der sich seiner wesentlichen Sakramentalität nicht mehr bewusst ist; oder in Gestalt einer sakramentalen Praxis, die ohne den entsprechenden Glauben realisiert wird oder deren Einseitigkeit Anlass gibt zu Fragen an den Glauben und an die Intention des Sakramentenempfängers. Sinn und Praxis der im Herzen der Kirche verankerten Sakramente leiden in beiden Fällen unter einer ernsten und Besorgnis erregenden Verletzung.

11. [Struktur]. Wir gehen aus vom sakramentalen Charakter der von Gott gewirkten Heilsgeschichte,<ref> HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Fides et ratio über das Verhältnis von Glaube und Vernunft (14. September 1998), 13: a. a. O., S. 20–23, spricht vom „sakramentalen Horizont der Offenbarung“. PAPST BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum Caritatis über die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche (22. Februar 2007), 45: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 177 (2., korrigierte Aufl., Bonn 2007), S. 64 f., greift diesen Grundgedanken auf und beruft sich auf die „sakramentale Sichtweise der christlichen Offenbarung“.</ref> in der beide Komponenten, Glaube und Sakramente, gleichermaßen wurzeln (Kap. 2). Wir versuchen, den der Heilsgeschichte inhärenten Sinn zu erschließen, der folgende Dimensionen zugleich umfasst: die von Gott gewirkte Heilsgeschichte als solche in ihrer trinitarischen, christologischen, pneumatologischen, ekklesialen und dialogischen (Glaube) Entfaltung; die darin enthaltene Bedeutung des Glaubens und der Sakramente und die daraus resultierende wechselseitige Verwiesenheit zwischen Glaube und Sakramenten. Dieses theologische Bemühen schafft die Voraussetzungen für das Erfassen des jeweils spezifischen Problems, das sich für jedes der später behandelten Sakramente hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakramenten stellt. Dieses Kapitel macht klar, warum die Feier eines Sakramentes ohne Glauben sinnlos ist. Ein Sakramentenempfang ohne Glaube widerspricht dem Sinn der Sakramente, wie er sich aus der göttlich gewirkten Heilsgeschichte ablesen lässt; denn diese ist wesentlich bestimmt durch ihren dialogischen Charakter.

12. Im Anschluss sollen die Auswirkungen des gestörten Verhältnisses von Glaube und Sakramenten im Bereich der Sakramente zur Sprache kommen, die wie jene der christlichen Initiation in Theorie oder Praxis von der besagten Krise besonders betroffen sind (Kap. 3). Im Lichte einer theologischen Reflexion der besonderen Bedeutung des Glaubens für die Gültigkeit und den fruchtbaren Empfang eines jeden Sakramentes entwickeln wir Kriterien zur Beantwortung der Frage, welcher Glaube für den Empfang jedes einzelnen Initiationssakramentes erforderlich ist. In einem weiteren Schritt (Kap. 4) behandeln wir dann die wechselseitige Verwiesenheit von Glaube und Sakramenten in Bezug auf das Ehesakrament. Dabei stoßen wir naturgemäß auf ein Problem, das im Kontext der Behandlung des Verhältnisses von Glaube und Sakramenten nicht ausgeklammert werden kann: auf die Frage nämlich, ob die Ehe zwischen nichtgläubigen Getauften als Sakrament zu betrachten ist. Das ist ein besonderes Problem, in dessen Behandlung die Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakramenten auf eben den Prüfstand gestellt wird, den das Kap. 2 beschreibt. Unser Dokument schließt mit einem kurz gehaltenen Resümee (Kap. 5), das das Thema des Verhältnisses von Glaube und Sakramenten noch ein mal generell aufgreift und auf die Sakramentalität der Heilsgeschichte bezieht.

13. [Der doktrinale Charakter des Dokumentes]. Das Dokument versteht sich eindeutig als Beitrag zur theologischen Reflexion. Es bezieht sich zwar auf ein Problem der Pastoral, das sich in jedem der behandelten Sakramente unterschiedlich auswirkt. Doch es will keine konkreten pastoralen Anweisungen oder gar Lösungswege für jedes betroffene Sakrament anbieten. Es geht um die grundlegende Bedeutung des Glaubens bei der Feier jedes Sakramentes, genauerhin um eine präzise dogmatische Beschreibung des für den gültigen Empfang eines jeden Sakramentes erforderlichen Glaubens. Von daher lassen sich allgemeine Kriterien für die Pastoral entwickeln, die wir jeweils nach Behandlung einzelner Sakramente benennen. Dabei gehen wir nicht ins Detail und begeben uns erst recht nicht auf das Feld der Kasuistik und der notwendigen Unterscheidung des Einzelfalls.

14. [Auswahl]. Wir sind uns bewusst, dass die pastorale Wirklichkeit auch anderer Sakramente wie die der Buße und der Krankensalbung gravierende Defizite aufweist. Nicht selten wird mit dem Empfang der Eucharistie die volle Teilnahme am Leib Christi gesucht, ohne sich dabei der Voraussetzung bewusst zu sein, Versöhnung mit Gott und der kirchlichen Gemeinschaft zu erbitten, wenn Sünde uns von ihr getrennt oder die Glaubwürdigkeit des sichtbaren Leibes Christi verletzt hat. Es gibt ganz offensichtlich eine Dissoziation zwischen der Teilhabe am eucharistischen Leben der Kirche einerseits und der Bußpraxis vieler getaufter und sogar ordinierter Christen andererseits. Viele ignorieren in ihrem christlichen Leben die innere Einheit bzw. Verbundenheit des sakramentalen Organismus der Kirche, obwohl es unmöglich ist, eine subjektive Auswahl zu treffen bzw. zu unterscheiden zwischen Sakramenten, die man empfängt, und Sakramenten, die man ignoriert. Die Krankensalbung ist noch immer verbunden mit magischen Vorstellungen, als sei sie eine Art Bitte um ein mirakulöses Eingreifen Gottes bzw. des Heiligen Geistes ohne das Erfordernis einer persönlichen Beziehung zu Christus als dem Erlöser jeder mit Leib und Seele begabten Person. Der Zwang zur Beschränkung zwingt uns zur Konzentration auf die Sakramente der Initiation und der Ehe, die für die Auferbauung und Stärkung des Leibes Christi von herausragender Bedeutung sind. Deren Behandlung, aber auch gelegentliche Hinweise auf die übrigen Sakramente und nicht zuletzt der von uns erarbeitete theologische Hintergrund ermöglichen Schlussfolgerungen auch in Bezug auf die Sakramente, die wir hier nicht eigens betrachten können.

Der Dialogcharakter der sakramentalen Heilsordnung

15. [Einführung: Gliederung und Gegenstand]. Dieses Kapitel bietet auf zweifache Weise eine allgemeine Einführung mit dem Ziel, die wechselseitige Verwiesenheit von Glaube und Sakramenten zu profilieren. In einem ersten Schritt betrachten wir die von Gott bewirkte Heilsgeschichte, indem wir deren wesentlich sakramentalen Charakter herausstellen.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1076: „Die sakramentale Heilsordnung“. – Vgl. Fußnote 54.</ref> Auf diese Weise soll das Verstehen von „Sakramentalität“ als wesentlicher Dimension der Heilsgeschichte vertieft werden. Die Behandlung dessen, was „Sakramentalität“ bedeutet, führt von selbst zu einer vertieften Erfassung auch des Glaubens und damit zu einer Erhellung der wechselseitigen Verbundenheit von Glaube und Sakramentalität oder – konkreter gesprochen – der reziproken Verwiesenheit zwischen Glaube und Sakramenten. Wir beschließen diesen ersten Schritt mit einer resümierenden Betrachtung jener Koordinaten der sakramentalen Heilsordnung, die unsere Ausführungen durchgehend bestimmen. Es geht also im ersten Schritt des zweiten Kapitels um die reziproke Verwiesenheit zwischen Glaube und Sakramenten. In einem zweiten Schritt betrachten wir einerseits den Glauben, andererseits die Sakramente jeweils für sich, um gerade so noch einmal die innere Verbundenheit beider Seiten aufzuzeigen. Der Glaube ist wesentlich hingeordnet auf die Feier der Sakramente. Und der Dialogcharakter der Sakramente erfordert stets einen entsprechenden Glauben. Beide Schritte des zweiten Kapitels ergänzen sich gegenseitig und tragen so bei zur Erweiterung und Vertiefung des Verstehens der Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten in allen ihren Verästelungen. Das Kapitel endet mit einer kurzen Zusammenfassung.

Der trinitarische Gott: Quelle und Ziel der sakramentalen Heilsordnung

Der trinitarische Grund aller Sakramentalität

16. [Sakramentalität: Der Begriff]. Ein Sakrament ist gegeben, wenn zwischen einer bezeichnenden (äußerlich sichtbaren) Wirklichkeit – Beispiel: das wahre Menschsein Jesu Christi – und einer bezeichneten (übernatürlichen bzw. unsichtbaren) Wirklichkeit – Beispiel: die wahre Gottheit Jesu Christi – eine untrennbare Verbindung besteht.12 <ref> „Um es kurz zu sagen: Der Erlöser ist ,eines‘ und ein ,anderes‘ (a;llo kai. a;llo). Es ist wahr, dass er unsichtbar und sichtbar zugleich ist; dass er außerhalb der Zeit und der Zeit unterworfen ist. Und dennoch ist der Erlöser nicht ,einer‘ und ein ,anderer‘ (a;lloj kai. a;lloj); auf keinen Fall!“ (GREGOR VON NAZIANZ, Ep. I ad Cledonium, 20 [SCh 208, 44; PG 37, 180 A]).</ref> Wenn wir von Sakramentalität sprechen, meinen wir also die Untrennbarkeit zweier Relate – derart, dass die bezeichnende die bezeichnete Wirklichkeit enthält und vermittelt. Vorausgesetzt wird dabei, dass jedes Sakrament untrennbar verbunden ist mit Christus als der Quelle des Heils und mit der Kirche als der dieses Heil tradierenden und vermittelnden Instanz.

17. [Der dreieine Gott: Die Wurzel]. Die sakramentale Logik der von Gott gewirkten Heilsgeschichte erschließt sich im Ausgang von dem trinitarischen Geheimnis der drei Personen des einen göttlichen Wesens und im Ausgang vom Geheimnis der Inkarnation des Erlösers, mit dem das ewige Wort, ohne sein göttliches Wesen einzubüßen, unsere menschliche Natur voll und ganz angenommen hat. Nur unter diesen beiden Voraussetzungen erklärt sich das Bekenntnis zur Anwesenheit Gottes selbst im Menschsein Jesu Christi. Denn diese Anwesenheit ist die des vom Vater gesandten Logos, durch das Wirken des Heiligen Geistes Fleisch geworden aus der Jungfrau Maria. Die Begegnung mit dem Menschsein Jesu Christi – für seine Mission gesalbt mit dem Heiligen Geist – ist im Glauben zugleich Begegnung mit dem göttlichen Logos. So wird verständlich, wie es möglich ist, dass ein für uns Menschen sinnlich wahrnehmbares Wort gleichzeitig wahrhaft Wort Gottes ist. Wie, so fragen wir, können sakramentale Zeichen oder die Worte der Heiligen Schrift mehr als menschliche Konventionen sein und die Gegenwart Gottes selbst vermitteln? Damit eine wahre Kommunikation zwischen Gott und Mensch zustande kommt, genügt nicht die bloße Sendung einer Botschaft; sichergestellt werden muss auch deren Aufnahme. Wenn Gott der Vater durch Jesus Christus gesprochen und niemand seine Botschaft vernommen (geglaubt) hätte, wäre keine Kommunikation zwischen Gott und der Menschheit zustande gekommen. Dem Zeugnis des Neuen Testamentes gemäß tritt jeder, der eine Beziehung zu dem Menschen Jesus aufnimmt, zugleich in Beziehung zu dem inkarnierten Logos. Es ist der Heilige Geist, der bewirkt, dass das in der Endlichkeit des Menschseins Jesu offenbare Wort von den Gläubigen als Wort Gottes verstanden wird. Gregor von Nazianz fasst diesen Sachverhalt in die Worte: „Durch das Licht, das der Vater ist, verstehen wir den Sohn im Lichte, das heißt im Heiligen Geist.“ Und er fügt hinzu: „Das ist eine kurze und einfache Trinitätstheologie.“<ref> GREGOR VON NAZIANZ, Or. Theol. V (PG 36, 135 C [Or. 31,3 (SCh 250, 280)]).</ref>

18. [Glaube als dialogische Aufnahme der wesentlich sakramentalen Offenbarung]. Wenn wir über die Untrennbarkeit des Menschseins Jesu vom Worte Gottes sprechen, geht es immer auch um dessen geistgewirkte Aufnahme im Glauben der Gläubigen. Hier liegt der innere Grund dafür, dass Gott sich sakramental mitteilt. Die Ursakramentalität Jesu Christi und die daraus resultierende Grundsakramentalität der Kirche mit ihren sieben sakramentalen Grundvollzügen wurzeln letztlich in dem Glauben an den trinitarischen Gott. Nur wenn Jesus Christus wahrhaft Gott ist, kann er uns das Antlitz Gottes offenbaren. Nur wenn Jesus Christus wahrhaft Gott ist, ist die sakramentale Gemeinschaft mit ihm sakramentale Gemeinschaft mit Gott selbst. Und nur wenn auch der Heilige Geist wahrhaft Gott ist, kann er uns für Gott öffnen und uns durch sakramentale Zeichen einbeziehen in das göttliche Leben.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1091.</ref>

19. [Entfaltung des Begriffs „Sakramentalität“]. Weil Offenbarung sich auf sakramentale Weise ereignet, bestimmt Sakramentalität die gesamte Existenz des Gläubigen und den Glauben selbst. Das heißt: Die Sakramentalität der Offenbarung, der Gnade und der Kirche hat die Sakramentalität des Glaubens zur Folge; denn der Glaube empfängt und antwortet der Offenbarung (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum (DV) 5). Der Glaube entsteht, reift, wächst und äußert sich in seiner Sakramentalität. Er begegnet dem lebendigen Gott durch dieselben Vermittlungen, durch die er sich seinerseits mitteilt. So ist die Sakramentalität die Bewährung des Glaubens. Und zugleich erweist sich lebendiger Glaube als Tür (vgl. Apg 14,27) des Zugangs zur sakramentalen Dimension des Christseins: näherhin zur Begegnung und zur Beziehung mit Gott in Schöpfung und Geschichte, in der Kirche, in der Heiligen Schrift,<ref> Vgl. PAPST BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche (30. September 2010), 56: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 187 (Bonn 2010), S. 93–95.</ref> in den Sakramenten. Ohne Glauben wird die Bedeutung der sakramentalen Zeichen nicht erfasst; ohne Glauben bleiben die sakramentalen Zeichen stumm. Sakramentalität impliziert also persönliche Kommunikation und Gemeinschaft zwischen Gott und dem Gläubigen durch die Kirche und ihre sakramentalen Vermittlungen.

20. [Sakramentalität und Anthropologie: Ein Korrelationsverhältnis]. Als Person ist der Mensch inkarnierter Geist.<ref> Vgl. VIERTES LATERAN-KONZIL, Glaubensbekenntnis, Kap. I: Der Katholische Glaube (DH 800); ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 14.</ref> Wir Menschen sind weder unbelebte Materie noch körperlose Geistwesen. Was uns unbedingt kennzeichnet, ist die Einheit zwischen der sichtbaren Sphäre des Materiell-Körperlichen und der unsichtbaren Sphäre des Geistig-Immateriellen, die von der Ersteren nicht getrennt, sondern durch sie erkennbar ist. Wo eine Person gegeben ist, ist die besagte Einheit Ausdruck eines aus Materie gebildeten Leibes, der die materielle Wirklichkeit, die wir „Antlitz“ oder „Gesicht“ nennen, mit der geistigen Wirklichkeit verbindet, die wir als Verstand und personale Identität beschreiben. Das Antlitz eines Menschen ist Ausdruck der Gesamtperson. Der wesentlich sakramentale Charakter von Gottes Offenbarung setzt diese anthropologische Grundgegebenheit voraus.<ref> Vgl. AMBROSIUS, In Lucam II, 79 (PL 15, 1581); THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 61 a. 1.</ref> Gottes Offenbarung entspricht unserem Wesen und unseren Möglichkeiten, in tiefer und umfassender Weise miteinander in Beziehung zu treten und zu kommunizieren. Die tiefsten Begegnungen zwischen Menschen sind stets durch Interpersonalität bestimmt. Die Begegnung mit Gott ist von derselben Art. Sie ist personale Begegnung mit dem dreieinen Gott, der sich selbst vergegenwärtigt in der Heiligen Schrift, in der Kirche und in sakramentalen Zeichen.

21. [Sakramentalität des Glaubens]. Der Ausdruck „Sakramentalität des Glaubens“ stellt – bei Licht betrachtet – eine Tautologie dar. Denn christlicher Glaube ist immer sakramentaler Glaube, weil er, solange wir auf dem Pilgerweg in die himmlische Heimat sind, kirchlich vermittelt wird. Glaube ist das Empfangen und Antworten auf Gottes sakramental vermittelte Offenbarung; und Glaube wächst und äußert sich auf sakramentale Weise. Solange er wahrhaft christlicher Glaube ist, kann er auf Sakramentalität nicht verzichten. So gesehen sind Sakramente grundsätzlich Akte des Glaubens der Kirche. Der Glaube der Kirche liegt dem Glauben des einzelnen Christen voraus – seiner Entstehung, seiner Erhaltung und seinem Wachstum. Der Glaube seinerseits ist keine der sakramentalen Sphäre gegenüberstehende Wirklichkeit; im Gegenteil, er wird wesentlich konstituiert durch Sakramentalität. Kurzum, in der Beziehung zwischen Glaube und Sakramenten sind zwei Komponenten reziprok miteinander verknüpft: die Sakramente, die den Glauben des Einzelnen und den der Kirche voraussetzen und entfalten, und das dem Glauben wesentliche „Sich-Ausdrücken“ (Sakramentalität).

Der sakramentale Charakter von Schöpfung und Geschichte

22. [Gott der Schöpfer]. Nach biblischem Zeugnis ist die Schöpfung (vgl. Gen 1–2) der erste Schritt der Heilsgeschichte. Das christliche Verständnis unterstreicht die Freiheit des Schöpfungsaktes. Gott schafft nicht notwendig oder weil er etwas entbehrt; dann wäre er nicht wirklich Gott; sondern aufgrund der überfließenden Fülle der Liebe, die er selber ist, teilt er seine Güte denen mit, die fähig sind, diese zu empfangen und mit derselben Liebe zu beantworten, die der Schöpfung als deren Grund vorausliegt.<ref> THEOPHILUS VON ANTIOCHIEN, Aut. II, 1 (PG 6, 1064; FuP 16, 116); IRENÄUS VON LYON, Adv. Haer. IV, 14,1; IV, 20,4 (SCh 100/2. 538; 636); JOHANNES DUNS SCOTUS, Ord. III, d. 32, q. un., n. 21 (Vat. X, 136–137); Katechismus der Katholischen Kirche, § 293.</ref>

23. [Sakramentalität der Schöpfung]. Der Vater realisiert das Schöpfungswerk durch den Logos und den Heiligen Geist. Deshalb ist die Schöpfung gezeichnet durch ihre Hervorbringung durch das Wort und durch ihre geistgewirkte Ausrichtung auf ihre Vollendung in Gott. Weil der Schöpfer der Schöpfung gleichsam sein Siegel aufprägt, spricht die Theologie von einer gewissen „Sakramentalität der Schöpfung“ – in einem analogen Sinn; und dies in dem Maße, in dem ein Geschöpf wesentlich bezogen ist auf seinen Schöpfer (vgl. Weish 13,1–9; Röm 1,19–20; Apg 14,15–17; 17,27–28). So erklärt sich, dass ein Geschöpf durch das Werk der Erlösung über sich hinaus erhoben und vollendet werden kann, ohne ihm mit Gewalt etwas ihm Fremdes aufzuzwingen. So erklärt sich der traditionelle Vergleich der Natur mit einem Buch.<ref> Zum Beispiel: HUGO VON SANKT VICTOR, De Tribus Diebus, IV (PL 175, 814B; CCM 177,9); RICHARD VON SANKT VICTOR, De Trin. I,9; BONAVENTURA, Itinerarium, I, 14; PAPST BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche (30. September 2010), 7: a. a. O., S. 18–20.</ref>

24. [Die menschliche Person: Antwort an Gott]. Bezogen auf die gesamte Schöpfung ragt die menschliche Person hervor, weil sie nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist (Gen 1, 26). Der hl. Paulus unterstreicht die christologische Bedeutung der Gottebenbildlichkeit des Menschen: Denn Jesus Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15; 2 Kor 4,4), seit der erste Adam das „Voraus-Bild“ dessen war, der da kommen sollte (vgl. Röm 5,14). Von daher ist die menschliche Person eine Wirklichkeit, in der die Selbstmitteilung des Schöpfers eine personale und freie Antwort finden kann. Weil sie Gottes Ebenbild ist, ist die menschliche Person umso mehr sie selbst (mit sich identisch), als sie sich liebend mitteilt und verschenkt (altruistisch lebt).

25. Die Realität der menschlichen Person als Ebenbild Gottes impliziert verschiedene Aspekte, unter denen die Fähigkeit hervorsticht, in der antwortenden Beziehung Gott ähnlicher zu werden.<ref>Vgl. EPHRAIM DER SYRER, Hymni de Fide, 18, 4–5 (CSCO 154, 70; 155, 54).</ref> Unter den Vollzügen der Verähnlichung des Menschen mit Gott ragen die der Kommunikation und des Dienens heraus.<ref>Vgl. INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Gemeinschaft und Dienstleistung: Die menschliche Person – geschaffen nach dem Bilde Gottes (2004): Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Arbeitshilfen Nr. 223 (Bonn 2008). Vgl. auch in diesem Dokument: 20.</ref> Denn weil der trinitarische Gott wesentlich Communio und interpersonale Beziehung ist, ist die menschliche Person aufgrund ihrer Gottebenbildlichkeit geschaffen, um Communio und interpersonale Beziehung zu realisieren. Das wird besonders deutlich im Blick auf die Geschlechterdifferenz: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ (Gen 1,27). Von daher entfaltet die menschliche Person ihr Wesen in demselben Maße, in dem sie ihre Relationalität und ihre Kommunikation mit den anderen Menschen, mit den Mitgeschöpfen und mit Gott realisiert. In Jesus Christus sind Relationalität und Kommunikation auf vollkommene Weise manifest. In ihm erscheint die Sohnesbeziehung als höchste Vollendung des Menschseins (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes (GS) 10, 22, 41).

26. Als wesentlich relationales und auf Kommunikation angelegtes Geschöpf kann der Mensch über seine Sprache definiert werden. Die Sprache ist eine bezeichnende Wirklichkeit, einerseits um auszudrücken, was die von ihr bezeichnete Wirklichkeit (Gottes Schöpfung) an und für sich ist, und andererseits um interpersonal Verständigung (Communio) zu ermöglichen. Als eine bezeichnende Wirklichkeit, geschaffen als Ebenbild Gottes, verwirklicht der Mensch sich selbst in eben dem Maße, in dem er sein spezifisches Dasein zum Sprechen bringt auf allen Ebenen seiner Relationalität: in Beziehung zu den anderen Geschöpfen, in Beziehung auf andere Personen und in Beziehung zu Gott. Die Sakramente greifen diesen Reichtum auf, indem sie ihn einfalten, ausdrücken und ausschöpfen.

27. Ein sprechendes Zeichen seiner besonderen Auszeichnung und Freundschaft mit Gott, ist der Mensch beauftragt worden, über die anderen Geschöpfe zu herrschen (Gen 2,15; vgl. 1,28; Weish 9,2), indem er ihnen Namen gibt (Gen 2,19–20) und sie dem Willen Gottes gemäß bewahrt.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Laudato si’ über die Sorge für das gemeinsame Haus (24. Mai 2015), bes. 106–114: a. a. O., S. 78–85.</ref> Deshalb muss alles, was der Mensch in der Welt unternimmt, ausgerichtet sein auf die Verherrlichung Gottes, auf die Anerkennung des Schöpferwillens (vgl. GS 34). Von daher ist der Mensch gerufen, die Schöpfung durch eine Art „kosmisches Priestertum“ auf ihr wahres Ziel auszurichten: Darstellung der Herrlichkeit Gottes zu sein.

28. [Die Sakramentalität der Geschichte]. Gottes Selbstmitteilung erschöpft sich nicht in seiner der Schöpfung eingeschriebenen Liebe. Die Geschichte Israels kann insgesamt gelesen werden als Geschichte der Liebe Gottes zu seinem auserwählten Volk. In dieser Geschichte ragen einige Ereignisse heraus, weil sie wesentliche Aspekte jener sakramentalen Beziehung Gottes zu den Menschen darstellen, die ihren Höhepunkt im Christusereignis erreicht. Immer wieder ist der Weg Gottes mit den Menschen – seine Gnade – sichtbar und greifbar. So bilden die Ereignisse der Heilsgeschichte eine Art erste Grammatik als Basis der späteren Entwicklung einer im eigentlichen Sinne sakramentalen Sprache. Zu den Ereignissen, die so etwas wie ein sakramentales Sprechen Gottes sind, gehören: die Erwählung Abrahams, Davids und der Israeliten; die Übergabe der Gesetzestafeln, die jedem weiteren sakramentalen Sprechen bedingend vorausliegen; die vielen Bundesschlüsse des einen Bundes, durch den eine neue Beziehung zwischen Gott und der Menschheit gestiftet wird und der insgesamt und im Einzelnen durch Sakramentalität charakterisiert ist; die Befreiung Israels aus Ägypten; das Babylonische Exil und die Rückkehr nach Jerusalem, in der die künftige Erlösung durch das Christusereignis antizipiert und die Sakramentalität der Kirche typologisch präfiguriert wird; die Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes im heiligen Zelt und im Jerusalemer Tempel, die in Christus und in den christlichen Sakramenten eine unüberbietbare Verdichtung erlangt. Israel erinnert und vergegenwärtigt liturgisch Gottes Gegenwart durch verschiedene Riten (z. B. Opfer), durch heilige Zeichen (z. B. die Beschneidung) und Feste (z. B. das Paschamahl), indem es deren Bedeutung durch das Wort erschließt. Christliche Theologie bezeichnet diese Vollzüge als Sakramente des Alten Bundes, indem es ihnen Heilswirksamkeit im Blick auf Christus zuspricht.<ref> „Proinde prima sacramenta, quae observabantur et celebrabantur ex Lege, praenuntiativa erant Christi venturi: quae cum suo adventu Christus implevisset, ablata sunt; et ideo ablata, quia impleta; non enim venit solver Legem sed adimplere“ (AUGUSTINUS, Contra Faustum, XIX, 13; PL 42, 355).</ref> Von daher ist offensichtlich, dass die Heilsgeschichte von wesentlich sakramentaler Natur ist.<ref> Vgl. IRENÄUS VON LYON, Adv. Haer. IV, 21,3 (SCh 100/2, 684); TERTULLIAN, De Baptismo, 3 (CCSL 1, 278–279).</ref> Durch geschichtliche Ereignisse, Zeichen und Worte, die miteinander einen Zusammenhang bilden, ist Gott den Menschen nah, teilt ihnen seinen Willen, seine Liebe und Erwählung mit, zeigt ihnen so den Weg zur Freundschaft mit ihm selbst und den Weg in ein wahrhaft menschliches Leben.

29. [Die Sünde]. Im Laufe der Geschichte haben Gläubige aller Zeiten die Freundschaft mit Gott gelebt; sie haben die ihnen geschenkte Gnade angenommen und dem Vertrauen und der Barmherzigkeit Gottes großzügig entsprochen. Aber ebenso wahr ist, dass Menschen der Treue Gottes zum Trotz das Angebot seiner Liebe ausschlagen. Von Anfang an gibt es nicht nur die Versuchung, den Weg in die Freundschaft mit Gott zu ignorieren und damit die beste Möglichkeit zur Realisierung des Menschseins zu verpassen; es gibt auch die direkte Zurückweisung seines Angebotes (Gen 3). Die Geschichte Israels und der Menschheit insgesamt kann verstanden werden als ein ernstes Sichausstrecken Gottes zum Menschen mit dem Ziel der Wiederherstellung der verlorenen Freundschaft (vgl. Ez 16). Von daher erklärt sich, warum viele der liturgischen Riten des Alten Testamentes Mittel der Sühne bzw. der Versöhnung mit Gott sind (z. B. Waschungen und Opfer).

Die Inkarnation: Mitte, Höhepunkt und Schlüssel der sakramentalen Heilsordnung

30. [Jesus Christus: Das Ursakrament]. Gottes Selbstmitteilung erreicht ihren unüberbietbaren Höhepunkt in Jesus Christus (vgl. DV 2). Aufgrund der hypostatischen Union (vgl. DH 301–302) ist Jesu wahres Menschsein – „der ... aber nicht gesündigt hat“ (Hebr 4,15) – das des Sohnes Gottes; das des ewigen Logos, der Fleisch geworden ist „für uns und um unseres Heiles willen“ (DH 150). Die jüngere Theologie erklärt, dass Jesus Christus das „Ur-Sakrament“ ist und als solches die sakramentale Struktur der Heilsgeschichte erschließt. Im Blick auf Jesus Christus erkennen wir, dass die von Gott gestiftete Heilsgeschichte aufgrund ihres inkarnatorischen Charakters als sakramental zu bezeichnen ist.<ref> „Caro salutis est cardo“ (TERTULLIAN, De resurrectione, 8; CCSL 2, 931). Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Schreiben Placuit Deo über einige Aspekte des christlichen Heils (22. Februar 2018), 1–2, 4, 8 (der inkarnatorische Charakter des Heils): Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 212 (Bonn 2018), S. 5–7, 9, 12–13 – in Verbindung mit 13–14 (der sakramentale Charakter des Heils): ebd., S. 16–18.</ref> Deshalb kann man mit Fug und Recht behaupten, dass „die Sakramente das Herz des Christseins sind und dass der Ausfall der Sakramente gleichbedeutend ist mit dem Ausfall der Inkarnation und umgekehrt“.<ref> JOSEPH RATZINGER, Prefazione, in: H. LUTHE (Hg.), Incontrare Cristo nei sacramenti (Milano 1988), 8.</ref> Folglich begegnet uns in Jesus Christus, in dem die Geschichte gipfelt und in dem sich die Heilszeit erfüllt (Gal 4,4), die höchstmögliche Einheit zwischen einer geschaffenen Wirklichkeit, nämlich seiner Menschheit, und einer ungeschaffenen Wirklichkeit, nämlich der heilbringenden Gegenwart des göttlichen Sohnes inmitten der Geschichte. Das Menschsein Christi ist, weil untrennbar von der Person des göttlichen Sohnes, das „Realsymbol“ der zweiten göttlichen Person. Anders gesagt, hier offenbart eine geschaffene Wirklichkeit in unüberbietbarer Weise die Gegenwart Gottes.

31. [Das Menschsein des am Kreuz Verherrlichten: Quelle der Sakramente]. Aus dem Gesagten folgt, dass das Menschsein Christi – weil es das Menschsein des Sohnes Gottes ist (vgl. Hebr 1,1–2) – in einer Weise „zur Mittlerschaft und zur Vollendung der Offenbarung“ (vgl. DV 2) befähigt wird, die qualitativ unvergleichbar und von keinem anderen Geschöpf überbietbar ist. Was in der Schöpfung schon anfanghaft angelegt ist, ist im Menschsein Jesu Christi auf eminente Weise wirklich. Weil Jesus Christus, gesalbt durch den Heiligen Geist, das Fleisch gewordene Wort Gottes ist, sind all seine Taten und Worte durch das Inkarnationsgeschehen bestimmt. Seine Worte und Taten, ja, sein ganzes Dasein ist Vermittlung der Offenbarung Gottes (vgl. DV 4). Jesus Christus selbst ist das den Menschen vermittelte und offenbarte Geheimnis Gottes (vgl. Kol 2,2–3; 1,27; 4,3). Es wird gegenwärtig in den verschiedenen „Mysterien“ des Lebens Jesu: Geburt, Taufe, Verklärung usw. Die Entfaltung der „Mysterien“ Jesu erreicht ihren Höhepunkt im Tod und in der Herrlichkeit der Auferstehung, auf die die Sendung des Heiligen Geistes folgt (vgl. DV 4). Die Offenbarung der Liebe Gottes bis zum Äußersten (vgl. Joh 13,1) und deren erlösende Kraft erlangen in diesem Geschehen ihre äußerste und unüberbietbare Intensität. Wirkungen dieses Geschehens sind die Vergebung der Sünden (vgl. Kol 2,13–14) und die Eröffnung der Möglichkeit, teilzunehmen am ewigen Leben des Auferstandenen durch das Wirken des Heiligen Geistes, der uns Anteil gibt an der göttlichen Natur (vgl. 2 Petr 1,4). So wird deutlich, dass Jesus Christus der Grund und die Fülle aller Sakramentalität ist, die sich in den verschiedenen Sakramenten entfaltet, durch die die Kirche sich konstituiert. Denn die Sakramente versammeln wesentliche Aspekte und Dimensionen des kirchlichen Lebens: die Vergebung der Sünden (Bußsakrament), die Heilung der Kranken (Sakrament der Krankensalbung), Tod und Auferstehung (Sakramente der Taufe und der Eucharistie), Auswahl und Bestellung von Schülern als Hirten der Gemeinschaft (Ordo-Sakrament) usw. Die dem Trinitätsgeheimnis eingeschriebene Logik des Sakramentalen entfaltet und verdichtet sich in den Sakramenten, in denen sich Christus in jeweils spezifischer Weise vergegenwärtigt (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (SC) 7). Die sakramentale Struktur und Logik des Glaubens ist untrennbar gebunden an Jesus Christus, an das Fleisch und Erlösung gewordene Wort Gottes.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 60, a. 6 corp.</ref>

32. Jesus ist nicht einfach ein Mensch, der uns etwas Wichtiges über Gott mitteilt. Er ist kein bloßer Lehrer, Bote oder Prophet, sondern die personale Anwesenheit des Wortes Gottes in der Schöpfung. Da er, obwohl wahrer Mensch, untrennbar ist von dem Gott, den er „Vater“ nennt, bedeutet Gemeinschaft mit ihm Gemeinschaft mit Gott (Joh 10,30; 14,6.9). Der Vater will alle Menschen durch den Heiligen Geist in die Gemeinschaft mit Jesus Christus führen. Jesus Christus ist der Weg, der zum ewigen Leben führt, und zugleich dieses Leben selbst (vgl. Joh 14,6); anders gesagt: „Er ist zugleich Heiland und Heil.“<ref> KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Schreiben Placuit Deo über einige Aspekte des christlichen Heils (22. Februar 2018), 11: a. a. O., S. 15.</ref> Durch die im Heiligen Geist gefeierten Sakramente des Fleisch gewordenen Wortes – besonders durch die Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung – wird uns nach dem Sündenfall ein Weg eröffnet und ein Mittel angeboten, durch das wir teilnehmen können am Leben Jesu Christi und in dem Maße persönliche Gemeinschaft mit Gott erlangen, in dem wir uns einbergen in den Erlöser. So wird das Heilswerk vollendet, das mit der Schöpfung seinen Ausgang nahm. Aber zu beachten bleibt, dass Gott dieses Geschenk abhängig macht von der freiwilligen Annahme und Mitwirkung seiner Adressaten. An Maria, dem Urbild der hörenden Kirche, ist beispielhaft abzulesen, dass die Gnade die Freiheit wahrt; dass sie nichts erzwingt, sondern im Gegenteil auf die freie Zustimmung ihrer Adressaten wartet (Lk 1,38), indem sie selbst diese ermöglicht (Lk 1,28).

Die Kirche und die Sakramente in der sakramentalen Heilsordnung

33. [Die Kirche: Grund-Sakrament]. Die geschichtliche „Berührbarkeit“ der Gnade, gegenwärtig in dem historischen Christusereignis, bleibt – davon abhängig – weiterhin in der Kirche präsent durch das Wirken des Heiligen Geistes.<ref> „Moritur Christus ut fiat Ecclesia“ (AUGUSTINUS, In Ioannis Ev. IX, 10: CCSL 36, 96; PL 35, 1463).</ref> Zum Wesen der Kirche gehört eine sichtbare und geschichtliche Struktur, um die unsichtbare Gnade zu vermitteln, die sie ihrerseits von Christus empfängt und geistgewirkt austeilt. So ergibt sich eine bemerkenswerte Analogie zwischen der Kirche und dem inkarnierten Wort (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (LG) 8; SC 2). Unter dieser Voraussetzung hat die gegenwärtige Theologie durch die Bezeichnung der Kirche als „Grund-Sakrament“ ihre Ekklesiologie vertieft – in Anlehnung an die Bezeichnung der Kirche als „universales Sakrament des Heils“ durch das Zweite Vatikanische Konzil.<ref> Vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, I, 9, 48, 59; Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium, 5, 26; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, I, 5; Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 42, 45.</ref> Als Sakrament ist die Kirche da für das Heil der Welt (LG 1; GS 45), um die Gnade zu vermitteln, durch deren Empfang sie selbst Sakrament ist. Sakramentalität ist immer verbunden mit dem Auftrag zur Mission, mit dem Dienst zugunsten der anderen.

34. Weil die Kirche Sakrament ist, gibt es in ihr schon so etwas wie die Wahrnehmbarkeit der Gnade und des Reiches Gottes. Einerseits steht die Kirche im Dienste der Verwirklichung des Reiches Gottes, andererseits ist dieses Reich in ihr schon Gegenwart durch die Feier der Geheimnisse Christi (LG 3). Ausgestattet mit den Mitteln der Gnade, kann die Kirche wirklich Samen und Anfang des Reiches Gottes<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptoris missio über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages (7. September 1990), 18: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 100 (Bonn 1991), S. 23–24; KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Erklärung Dominus Iesus über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche (6. August 2000), 18: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 148 (Bonn 2007), S. 34–35.</ref> sein (LG 5). Insofern die Kirche eine pilgernde Gemeinschaft von Sündern ist, kann es keine völlige Identität von Kirche und Reich Gottes geben; aber als von der Gnade getragenes Sakrament ist die Kirche eine eschatologische Wirklichkeit, die ihr Ziel in der Kirche des Himmels bzw. in der Gemeinschaft der Heiligen erreicht (vgl. LG 48–49).<ref> Vgl. INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Ausgewählte Themen der Ekklesiologie zum 20. Jahrestag nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils (1984), 10: „Der endzeitliche Charakter der Kirche: Reich Gottes und Kirche“.</ref>

35. [Die Kirche als christologische und pneumatologische Wirklichkeit]. Als Geschöpf des trinitarischen Gottes ist die Kirche geeint „durch die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“.<ref> ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4; darin enthalten ein Zitat aus: CYPRIAN, De Oratione Dominica, 23 (PL 4, 553; CSEL 3/1, 285).</ref> Die Kirche steht nicht nur in innerster Beziehung zum inkarnierten Logos – so sehr, dass man sie wahrhaft als den Leib Christi bezeichnen kann (vgl. LG 7) –, sondern ebenfalls zum Heiligen Geist. Dies nicht nur, weil der Heilige Geist das große Geschenk des Auferstandenen ist (vgl. Joh 7, 39; 14,26; 15,26; 20,22), sondern auch, weil er die Kirche ermöglicht (vgl. LG 4), weil er in ihr und in den Gläubigen wie in einem Tempel wohnt (1 Kor 3,16; 6,19), weil er sie eint und ihr missionarische Kraft verleiht (vgl. Apg 2,4–13). So ist die Kirche eine geistliche Wirklichkeit, eine Gemeinschaft geistbegabter Menschen (vgl. LG 12), beschenkt mit verschiedenen Gaben, die der Heilige Geist den Gläubigen zum Wohl aller verleiht (vgl. Röm 12,4–8; 1 Kor 12,12–30; 1 Petr 4,10). Diese Charismen ermöglichen jedem Einzelnen die Aneignung des Reichtums des Wortes Gottes und der sakramental vermittelten Gnade. Sie stärken die Gemeinschaft und fördern ihre Mission (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem (AA) 3). Kurzum: Sie stärken die Sakramentalität der Kirche.<ref> Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Brief Iuvenescit Ecclesia über die Beziehung zwischen hierarchischen und charismatischen Gaben im Leben und in der Sendung der Kirche (15. Mai 2016), 23: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 205 (Bonn 2016), S. 46–47; vgl. auch 11 und 13: ebd., S. 22–24 und 26–29.</ref>

36. [Sakramentale Kontinuität der Heilsordnung]. Das Heil, das uns durch das Christusereignis ermöglicht wurde, bleibt – kraft des Heiligen Geistes<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1116.</ref> – in der Kirche als dem Leib Christi Gegenwart (vgl. Lk 10,16) durch die Leben spendenden Sakramente. Was von der Gottheit Christi in seinem irdischen Leben sichtbar war, ist eingeflossen in die Sakramente der Kirche.<ref> PAPST LEO DER GROßE, Sermo 74, 2 (PL 54, 398). Vgl. AMBROSIUS VON MAILAND, Apol. Pro Prophetae David, XII, 58 (PL 16, 875); Katechismus der Katholischen Kirche, § 1115.</ref> Die katholische Kirche hält daran fest, dass die sieben Sakramente auf Christus selbst zurückgehen;<ref> Vgl. KONZIL VON TRIENT, Dekret über die Sakramente, c. 1 (DH 1601); Katechismus der Katholischen Kirche, § 1114.</ref> denn nur er selbst kann seine heiligmachende Gnade endgültig und wirksam an bestimmte Zeichen binden.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 64 a. 2.</ref> Damit ist klargestellt, dass die Sakramente keine Erfindung der Kirche sind und dass die Kirche nichts Wesentliches an ihnen verändern kann.<ref> PAPST CLEMENS VI., Erklärung Super quibusdam von 1351 (DH 1061); KONZIL VON TRIENT, 21. Sitzung: Lehre und Kanones über die Kommunion unter beiderlei Gestalten und die Kommunion der kleinen Kinder, Kap. 2 (DH 1728); PAPST PIUS X., Erklärung Ex quo , nono (26. Dezember 1910) (DH 3556); PAPST PIUS XII., Apostolische Konstitution Sacramentum ordinis (30. November 1947) (DH 3857).</ref> Sie wurzeln nämlich in dem als Einheit verstandenen Christusereignis von Inkarnation, Leben, Sterben und Auferstehen. Die Einsetzung der Sakramente ist Ausfaltung des Geheimnisses der Inkarnation (vgl. §§ 30–32). Denn die Sakramente veranschaulichen bestimmte Charakteristika der Menschheit des Erlösers; sie entfalten die Mysterien seines Lebens, die im Osterereignis als dem Geschehen seiner vollen Selbsthingabe gipfeln – Quelle aller Gnaden einschließlich der Gabe des Heiligen Geistes. Die Kirche wird erleuchtet durch den an Pfingsten empfangenen Heiligen Geist und befähigt zur Feier der Eucharistie (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis (PO) 5), die Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens ist (SC 10; LG 11). Die Kirche hat erkannt, dass die sakramentale Selbstgabe Christi ihre Fortsetzung besonders in den sieben sakramentalen Zeichen findet, die in verschiedener Weise<ref> Vgl. die weiteren Ausführungen, in denen für jedes Sakrament in einer kurzen Anmerkung dessen Verwurzelung in der Heiligen Schrift angesprochen wird.</ref> auf ein und denselben Christus zurückgehen – was nicht heißt, dass die göttliche Gnade ausschließlich an die sieben Sakramente gebunden ist.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STH III, q. 64 a. 2 ad 3.</ref>

37. [Die sakramentale Gnade und die Nichtchristen]. Die Kirche hält fest: Auch wenn es rechtfertigende, das Heil vermittelnde Gnade und also auch wahren Glauben außerhalb der sichtbaren Kirche gibt, dann doch nicht unabhängig von Jesus Christus (dem „Ur-Sakrament“) und von der Kirche (dem „GrundSakrament“). Das Wirken des Heiligen Geistes ist nicht an die Grenzen der sichtbaren Kirche gebunden; denn „seine Gegenwart und sein Handeln [sind] allumfassend, ohne Begrenzung durch Raum und Zeit“.<ref> HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptoris missio über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages (7. September 1990), 28: a. a. O., S. 31; vgl. DERS., Enzyklika Dominum et vivificantem über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt (18. Mai 1986), 53: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 71 (Bonn 1986), S. 54 f.; ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 22.</ref> Die nichtchristlichen Religionen können Aspekte der einen Wahrheit enthalten und sie können indirekte Mittel und Zeichen der geistgewirkten Gnade Jesu Christi sein. Aber deshalb sind sie keine von Christus und seiner Kirche unabhängige (parallele) Heilswege.<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptoris missio über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages (7. September 1990), 28–29: a. a. O., S. 31–32; INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Das Christentum und die Religionen (1997), 81–87: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Arbeitshilfen Nr. 136 (Bonn 1997), S. 39–42.</ref>

38. [Die sakramental vermittelte Gnade und der Glaube]. Zusammenfassend formuliert: Das schöpferische und wirksame Wort Gottes hat eine Sprache sakramentaler Verständigung gestiftet; gemeint sind die Sakramente, weil in ihnen das göttliche Wort geistgewirkt Gegenwart bleibt. Denn in den Worten, die der Spender der Sakramente im Namen der Kirche spricht – z. B. „ich taufe dich“ – bleibt der auferstandene Erlöser der Sprechende und der Handelnde.<ref> Vgl. AUGUSTINUS, In Ioannis Ev. V, 18 (CCSL 36, 51–53; PL 35, 1424); JOHANNES CHRYSOSTOMUS, In 2 Tim Hom., 2,4 (PG 62, 612).</ref> Unter der Voraussetzung aber, dass die Sakramente dem Empfänger durch das Wirken des Heiligen Geistes bis heute eine persönliche Beziehung zu dem gestorbenen und auferstandenen Herrn ermöglichen, wären sie nicht wirklich das, was sie sein sollen, wenn die persönliche Beziehung ausfällt, die sich in dem Wort „Glaube“ verdichtet. 39. [Die Sakramente als höchste Realisierung der Sakramentalität der Kirche]. Die Grundsakramentalität der Kirche realisiert sich vor allem und in besonders intensiver Weise in der Feier der Sakramente. Alle Sakramente sind Vollzüge der Kirche. In ihnen wird offenbar, was die Kirche wesentlich ist: Mittlerin der heiligmachenden Gnade des auferstandenen Herrn durch das Wirken des Heiligen Geistes. Also sind alle Sakramente und jedes einzelne für sich genommen zuinnerst sakramentale Akte der Kirche. Den Vätern gemäß werden die Sakramente stets in Bindung an den Glauben der Kirche gefeiert; denn sie sind der Kirche anvertraut worden. In jedem einzelnen Sakrament liegt der Glaube der Kirche dem Glauben des Einzelnen zugrunde. Von daher ist der Glaube des Einzelnen die personale Realisierung des Glaubens der Kirche. Folglich sind sakramentale Akte ohne Teilnahme am Glauben der Kirche blind. Denn der Glaube der Kirche ist gleichsam die Tür zur Erschließung der Bedeutung aller sakramentalen Akte.

40. [Sakramentalien]. Sie Sakramentalität der Kirche verleiblicht sich nicht nur in den Sakramenten. Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe sakramentaler Wirklichkeiten, die das Leben und den Glauben der Kirche bestimmen. Unter diesen hat die Heilige Schrift eine herausragende Bedeutung. Für die christliche Frömmigkeit spielen auch die sogenannten Sakramentalien eine wichtige Rolle. Es handelt sich dabei um heilige Zeichen, die in Analogie zu den Sakramenten entstanden sind; sie disponieren die Empfänger zur Annahme der Sakramente und heiligen verschiedene Knotenpunkte des Lebens (SC 60). Die Sakramente sind dadurch ausgezeichnet, dass sie autorisiert sind durch einen eindeutigen Auftrag der Kirche, die Gnade Christi unter Beachtung aller entsprechenden Vorschriften wirksam zu vermitteln. Im Falle der Sakramentalien hingegen kann man nicht von einer ähnlichen Wirksamkeit sprechen.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1670; ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium, 61.</ref> Sie bereiten auf dem Empfang der Gnade vor und disponieren den Empfänger zum Mitwirken mit der Gnade; aber sie entfalten nicht die den Sakramenten vorbehaltene Wirksamkeit „ex opere operato“. Während das Wasser der Taufe die Vergebung der Sünden bewirkt, wirkt das Weihwasser, das an die Taufe erinnern soll, nicht von selbst, sondern nach der Maßgabe des Glaubens der Empfänger – zum Beispiel wenn jemand sich beim Betreten einer Kirche mit dem geweihten Wasser bekreuzigt.

Die Koordinaten der sakramentalen Heilsordnung

41. Wenn wir die wichtigsten Resultate unserer „tour d’horizon“ zusammenfassen, lassen sich folgende Punkte festhalten:

a) Die durch den trinitarischen Gott gestiftete Heilsordnung ist aufgrund ihres wesentlich inkarnatorischen Charakters eine sakramentale. Und weil die Heilsordnung eine sakramentale ist, sind die sieben von Christus eingesetzten und von der Kirche bewahrten und gefeierten Sakramente von zentraler Bedeutung für sie.

b) Die Sakramentalität der göttlichen Heilsordnung ist wesentlich bezogen auf den Glauben. Denn durch den Glauben wird die Sakramentalität wahrgenommen; der Glaube wohnt ihr gleichsam ein. Der untrennbare Zusammenhang von Sakramentalität und Glaube ergibt sich aus dem Ereignis der Inkarnation. Denn durch dieses Ereignis wird der göttliche Heilsplan geschichtlich greifbar; aufgrund der Inkarnation kann der Heilige Geist die Gaben des Erlösers verstetigen in Gestalt der durch sakramentale Zeichen vermittelten heiligmachenden Gnade. Aufgrund des Inkarnationsereignisses ist die geschichtlich sichtbare Institution „Kirche“ Empfängerin und Mittlerin der Sakramente, die sie fortwährend feiert als Nahrung und Kräftigung des Glaubens ihrer Gläubigen.

c) Jesus Christus hat die Sakramente eingesetzt; und er hat sie seiner Kirche in der Weise geschenkt, dass die Geheimnisse des Glaubens durch sie sichtbar werden. Wer im Glauben an diesen Geheimnissen Anteil erhält, empfängt die in ihnen enthaltenen Gaben. Folglich ist die Weitergabe des Glaubens nicht nur verbunden mit der lehrhaften Vermittlung von intellektuell bestimmten Inhalten, sondern gleichzeitig auch mit einer existenziellen Eingestaltung in den Plan der göttlichen Heilsordnung, was die Enzyklika Lumen fidei meisterhaft erklärt:

„Was in der Kirche mitgeteilt wird, was in ihrer lebendigen Tradition weitergegeben wird, ist das neue Licht, das aus der Begegnung mit dem lebendigen Gott kommt; es ist das Licht, das den Menschen in seinem Innern, im Herzen anrührt und dabei seinen Verstand, seinen Willen und sein Gefühlsleben miteinbezieht und ihn für lebendige Beziehungen in der Gemeinschaft mit Gott und den anderen offen macht. Um diese Fülle weiterzugeben, gibt es ein besonderes Mittel, das den ganzen Menschen ins Spiel bringt: Leib und Geist, Innerlichkeit und Beziehungen. Dieses Mittel sind die Sakramente, die in der Liturgie der Kirche gefeiert werden. In ihnen wird ein inkarniertes Gedächtnis mitgeteilt, das an Räume und Zeiten des Lebens gebunden ist und alle Sinne anspricht; in ihnen ist der Mensch als Mitglied eines lebendigen Subjekts in ein Geflecht gemeinschaftlicher Beziehungen miteinbezogen. Wenn es stimmt, dass die Sakramente die Sakramente des Glaubens (vgl. SC 59) sind, muss man daher auch sagen, dass der Glaube eine sakramentale Struktur hat. Die Wiederbelebung des Glaubens führt über die Wiederbelebung eines neuen sakramentalen Sinns des Lebens des Menschen und der christlichen Existenz. Dabei zeigt sich, wie das Sichtbare und Materielle sich auf das Geheimnis der Ewigkeit hin öffnen.“<ref> PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 40: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 193 (Bonn 2013), S. 47–48.</ref>

d) Die Struktur der sakramentalen Heilsordnung ist eine dialogische. Der Glaube repräsentiert die gnadenhaft ermöglichte Antwort des Menschen auf die Gabe Gottes. Es entsteht so eine wesentliche Reziprozität zwischen Glaube und Sakramentalität – generell und insbesondere zwischen Glaube und Sakramenten.

e) Der wesentlich dialogische Charakter der Heilsordnung impliziert eine ganze Reihe bedeutender Konsequenzen, wenn es heute gilt, jedes der einzelnen Sakramente theologisch zu verstehen und pastoral zu begleiten. Aufgrund unserer obigen Ausführungen lässt sich gut begründen, dass eine vom Glauben abgekoppelte Wirksamkeit der Sakramente ein bloßer Kausalmechanismus wäre. Ein solcher stünde im Widerspruch zu der wesentlich dialogischen und interpersonalen Beziehung zwischen dem trinitarischen Gott und den Menschen. Er käme einer magischen, dem christlichen Glauben widersprechenden Handlung gleich; er stünde außerhalb der sakramentalen Logik der Heilsordnung. Ein bloßer Kausalmechanismus widerspräche dem christlichen Gottesbegriff und wäre unvereinbar mit der katholischen Lehre, die durchgängig bezeugt, dass Gottes Geben Gnade ist, die das Geschöpf befähigt, einzuwilligen und entsprechend den ihm geschenkten Möglichkeiten mit dem Handeln Gottes mitzuwirken. Anders gesagt: Weil die vom trinitarischen Gott initiierte Heilsordnung als sakramentale auch dialogischen Charakter trägt, ist es unmöglich, die den Menschen geschenkte Gnade in das Vorstellungsmodell eines sakramentalen Automatismus zu fassen.

Die wechselseitige Verwiesenheit des Glaubens und der Sakramente des Glaubens

Das Licht des Glaubensweges der Jünger

42. [Das Wachstum des Glaubens]. Als Petrus – Sprecher der Apostel – von Jesus gefragt wird, antwortet er mit dem Glaubensbekenntnis: „Du bist der Christus!“ (Mk 8,29 par). Und dennoch musste Petrus diesen anfänglichen Glauben wachsen und reifen lassen; denn als Jesus zu erklären begann, dass der Messias leiden müsse und gekreuzigt werde, verweigert sich Petrus, sodass Jesus ihn mit harten Worten zurechtweisen muss (Mk 8,31–33). So hat Petrus ein Wachstum im Glauben erfahren; er musste lernen, seine spontane Bejahung des Jesus als des Christus mit der Anerkennung bestimmter Implikate dieses Glaubens zu verbinden. Das gilt nicht nur für Petrus; vielmehr steht seine Geschichte stellvertretend für die jedes Gläubigen. Die Apostel selbst weisen uns den Weg mit ihrer an den Herrn gerichteten Bitte: „Stärke unseren Glauben!“ (Lk 17,5). Paulus beachtet diese Gradualität des Glaubens, und er rechnet damit; denn er spricht von „dem Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat“ (Röm 12,3; vgl. 12,6). Entsprechend wendet er sich an die Christen von Korinth, die er als seine „Kinder in Christus“ anspricht; er reicht ihnen zunächst „Milch“ statt feste Nahrung (1 Kor 3,1–2). Auch der Hebräerbrief kennt diesen Unterschied, wenn er zu den Mitgliedern der christlichen Gemeinschaft spricht (vgl. Hebr 5,11–14). Sobald die Grundlegung der christlichen Glaubenslehre überschritten wird, muss den Gläubigen feste Nahrung gereicht werden, damit sie unterscheiden lernen zwischen „Gut“ und „Böse“ und ihr gesamtes Leben erhellen lassen vom Licht des Glaubens.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 3: a. a. O., S. 7.</ref>

43. Die Apostel und andere Bewunderer Jesu und auch die Menge entdeckten schon vor Ostern in der Gestalt Jesu etwas Besonderes. Vor allem im Kontext der von ihm vollbrachten Heilungen kann man bereits von einer Art „Glauben“ sprechen. Dieses Phänomen zeigt sich in unterschiedlicher Weise: Jesus vollbringt Wunder, ohne dass der vorausgesetzte Glaube erwähnt wird (z. B. Mk 1,14–45; 3,1–6; 6,33–44); aber auch aufgrund des Glaubens von Bittenden, die sich für andere an ihn wenden (Mk 2,5; Lk 7,28–29); oder in Reaktion auf einen Glauben, der sich selbst als schwach bezeichnet (Mk 9,24) und auch aufgrund des entsprechenden Glaubens (Mk 5,34). Die Apostel werden auf vielfache Weise ermutigt, im Glauben zu wachsen (Mt 6,30; 8.26; 14,31; 16,8; 17,20) – in ihrem Glauben an Gott und in ihrem Glauben an seine Kraft (Mk 12,24) und nicht zuletzt im Verstehen der einzigartigen Bedeutung Jesu in Gottes Heilsplan (Joh 14,1).

44. Der Tod Jesu hat die anfängliche Begeisterung der Apostel auf die Probe gestellt. Sie trennten sich und flohen (Mk 14,50). Die Frauen, die in der Frühe zum Grab kamen, wollten den Leichnam salben (Mk 16,1–2). Doch mit der Botschaft von der Auferstehung und mit der Verheißung des Heiligen Geistes (Joh 14,16–17,26) erstarkte ihr Glaube und wurde so befähigt, andere zum Glauben zu bewegen und im Glauben zu stärken (Joh 21,15–18; Lk 22,32). Das Pfingstfest bezeichnet die Erfüllung des Glaubensweges der Apostel. Denn fortan ist ihr Vertrauen in den gestorbenen und auferstandenen Gottessohn und Erlöser nicht nur ungebrochen; sie werden darüber hinaus zu mutigen Zeugen, voll Freimut und fähig, Gottes große Taten zu verkünden und kraft des Heiligen Geistes den Glauben in allen Sprachen zu vermitteln. Fortan sind sie Zeugen und sogar Märtyrer, die Jesus als den gekreuzigten und auferstandenen Messias verkünden, als den Sohn des lebendigen Gottes, als den Herrn über Leben und Tod. Aufgrund dessen schließt die im Glauben gelebte Beziehung zu Jesus Christus das Dogma von der Auferstehung und dessen verstehende Erschließung ein. Den Quellen gemäß war der Weg in den Glauben an die Auferstehung weder leicht noch selbstverständlich; besonders für die nicht, die wie wir selbst nicht Zeugen einer Erscheinung des Auferstandenen sind (Thomas: Joh 20,24–29). Die Emmaus-Perikope (Lk 24, 13–35) enthält einige Momente, die wie Schlüssel sind, die anderen den Weg in den Glauben öffnen:<ref> Vgl. BISCHOFSSYNODE. XV. ORDENTLICHE GENERALVERSAMMLUNG, Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung. Abschlussdokument, passim und bes. 4.</ref> – den Weg derer mitgehen, die, obwohl enttäuscht, doch eine suchende Unruhe verspüren; – auf ihre Vorurteile eingehen und sie willkommen heißen; – sie geduldig in das von der Heiligen Schrift reflektierte Licht der Heilsgeschichte führen – und sie ermutigen, auf dem Weg zu tieferer Erkenntnis des göttlichen Heilsplans. So öffnet sich der Weg zu einem Glauben, der stetig reifend seine sakramentalen und ekklesialen Dimensionen realisiert.

45. [Die Notwendigkeit, mit Geduld zu unterscheiden]. Weil die Heilige Schrift die Heilsgeschichte abbildet, erzählt sie eine Vielzahl von Situationen, in denen der Glaube als eine von Fortund Rückschritten bestimmte Wirklichkeit unterschiedlichen Haltungen begegnet: angefangen von der Suche nach einem greifbaren Gewinn, der ausschließlich vom eigenen Interesse bestimmt wird, bis hin zur Selbstlosigkeit bekennender Liebe. Jesus hat Hochmut strikt abgewiesen (z. B. Mk 8,15) bzw. Umkehr und Glauben an das Evangelium gefordert (Mk 1,15). Aber er hat zugleich viele willkommen geheißen, die zu ihm kamen, weil sie auf der Suche waren nach Gottes Heil. Deshalb gilt es, den Wert des keimenden Glaubens zu schätzen; den Glauben, der noch auf dem Weg zur Reife ist; den Glauben, der sich – von ungelösten Fragen und Zweifeln begleitet – nach einem tieferen Verstehen Gottes sehnt; den unvollkommenen Glauben, der mit der Schwierigkeit kämpft, das Gesamt der von der Kirche als geoffenbart erklärten Inhalte zu affirmieren. Es ist Aufgabe aller in der Pastoral Tätigen, dem Wachstum des Glaubens in all seinen Stadien zu dienen, um so die Entdeckung der vollen Wahrheit Christi und aller Lehrinhalte zu ermöglichen, die mit dem Glauben an den gestorbenen und auferstandenen Erlöser verbunden sind. Angesichts der geschilderten Unterschiede kann man nicht in allen Lebensumständen denselben Glauben für den Empfang aller Sakramente voraussetzen.

Spielarten des Glaubens

46. [Notwendige Klarstellungen]. Die traditionelle Lehre über Glaube und Sakramente hat beides zugleich betont: die Unwiderruflichkeit der Gabe Christi (ex opere operato) und die Notwendigkeit bestimmter Dispositionen für einen gültigen und fruchtbaren Empfang der Sakramente. Diese Dispositionen werden gründlich missverstanden, wenn man sie als willkürlich auferlegte Hindernisse oder Erschwernisse des Zugangs zu den Sakramenten betrachtet. Sie haben auch nichts gemein mit Elitebildung, die den Glauben der einfachen Leute geringschätzt. Es geht ganz einfach um die Herausstellung der inneren Haltung des Gläubigen beim Empfang dessen, was Christus uns aus freiem Entschluss in den Sakramenten schenken will. Was sich in den besagten Dispositionen des Empfängers erweist, ist ein adäquates Verhältnis zwischen dem Glauben und den Sakramenten des Glaubens. Es geht um die Beantwortung der Frage: Welchen Glauben fordern die Sakramente um ihrer selbst willen? Ohne die Ergebnisse der bisherigen theologischen Reflexion zu ignorieren, scheint es uns angemessen, auf einige Aspekte des je persönlichen Glaubens zurückzukommen. Im folgenden Kapitel soll deutlich werden, wie diese Aspekte die als dialogische Beziehung verstandene Feier der Sakramente bestimmen.

47. [Theologische Dimension]. Der Glaube des je Einzelnen ist grundlegend charakterisiert durch die Art und Weise, wie er seine Beziehung zu Gott ausdrückt. Die Theologie unterscheidet verschiedene Aspekte des einen Glaubensaktes.<ref> Vgl. AUGUSTINUS, De symb. I,181 (PL 40,1190–1191); PETRUS LOMBARDUS, Summa Sententiarum III d. 23, c. 2–4 (PL 192, 805–806); THOMAS VON AQUIN, STh II-II q. 2 a. 2.</ref> Da ist zunächst der Akkusativ „credere Deum“, mit dem der kognitive Aspekt bzw. der Inhalt des Glaubens (fides quae) gemeint ist. Zugleich aber ist der wesentlich auf Gott gerichtete Glaube theozentrisch strukturiert. Der Dativ „credere Deo“ bringt den formalen Aspekt des Glaubens zum Ausdruck; den Grund für die Zustimmung des Glaubens. Weil Gott selbst der Urheber des Glaubens (fides qua) ist, ist der Glaube selbst „Theo-logie“. Gott ist zugleich der Bezugspunkt und der Grund des Glaubens. Doch mit diesen Unterscheidungen hat man den Glauben noch nicht hinreichend beschrieben. Zu nennen ist des Weiteren das „credere in Deum“. Mit dieser Formel wird die volitive Dimension angesprochen; sie verbindet die beiden schon genannten Momente. Der Glaube ist stets auch bestimmt durch ein Verlangen nach Gott; er ist so etwas wie der Beginn eines jeden Weges zu Gott, der sein Ziel in der eschatologischen Begegnung mit Ihm im ewigen Leben erreicht. Der Glaube impliziert also eine theo-eschatologische Dimension. Insgesamt ist der Glaube bestimmt durch das Zusammenspiel der drei genannten Aspekte. Besonders deutlich wird dies in der dynamischen Ausrichtung des Glaubens „in Deum“, weil dieser Aspekt die beiden zuvor genannten miteinschließt.

48. [Trinitarische Dimension]. Christlich gesehen schließt der Glaube an Gott den Glauben an Jesus Christus als den Sohn in der Kraft des Heiligen Geistes ein. Bezeichnenderweise wiederholt das Glaubensbekenntnis dreimal das „in Deum“, um sich so auf jede der drei göttlichen Personen zu beziehen und die trinitarische Gestalt des Glaubens zu unterstreichen. Die trinitarische Struktur hebt den christlichen Glauben ab gegen jeden vergleichbaren anderen Akt des Vertrauens – zum Beispiel in eine menschliche Person.<ref> PASCHASIUS RADBERTUS, De fide, spe et car. I,6 n. 1 (PL 120, 1402– 1403).</ref> Die Beziehung zu dem dreieinen Gott unterscheidet sich von jeder Beziehung, die der Mensch von sich aus aufnimmt. Der Ausdruck „in Deum credere“ bezeichnet die vollkommene Gestalt persönlicher Beziehung; sie schließt Hoffnung und Liebe ein;<ref> FAUSTUS VON RIEZ, De spir. S. I,1 (CSEL 21,103).</ref> oder wie Augustinus erklärt, der Ausdruck „in Deum credere“ bezeichnet „die glaubende Verbindung mit dem Gott, der als der Ursprung alles Guten mit uns das Gute wirken will“.<ref> „Credendo adhaerere ad bene cooperandum bona cooperanti Deo“ (AUGUSTINUS, Enarr. in Ps. 77,8: CCSL 39, 1073).</ref> Gemeint ist die wahre Gestalt des Glaubens, die die beiden schon genannten Dimensionen einschließt, das „credere Deum und das credere Deo“.<ref> AUGUSTINUS, In Ioannis Ev. XXIX,6 (CCSL 36,287; PL 35,1684): „Ut credatis in eum, non ut credatis ei. Sed si creditis in eum, creditis ei, non autem continuo, qui credit ei credit in eum ...“ Ähnlich THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 2 a. 2.</ref> Und der Ausdruck „credo in Deum“ erschöpft sich nicht in der Bezeichnung eines Bekenntnisses oder einer Überzeugung, sondern bezeichnet auch den Bekehrungsund Wegcharakter des Glaubens. Es ist diese personale Dimension, die dem Glaubensbekenntnis und seinen einzelnen Aussagen eine innere Geschlossenheit verleiht. Das wird besonders deutlich in der Feier der Sakramente, wenn – kraft des Heiligen Geistes<ref> „Durch die Ausgießung des Heiligen Geistes wurde am Pfingsttag die Kirche der Welt offenbar (vgl. SC 6; LG 2). Die Ausgießung des Heiligen Geistes lässt in der ,Vermittlung des Mysteriums‘ eine neue Zeit anbrechen: die Zeit der Kirche, in der Christus durch die Liturgie seiner Kirche sein Heilswerk kundtut, vergegenwärtigt und mitteilt, ,bis er kommt‘ (1 Kor 11,26). Während dieser Zeit der Kirche lebt und handelt Christus fortan in und mit seiner Kirche auf eine neue, für diese neue Zeit eigene Weise. Er handelt durch die Sakramente. Die der Kirche des Ostens und des Westens gemeinsame Überlieferung nennt das ,sakramentale Ökonomie‘. Diese besteht in der Mitteilung (oder ,Ausspendung‘) der Früchte des Pascha-Mysteriums Christi in der Feier der ,sakramentalen‘ Liturgie der Kirche.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, § 1076).</ref> – erfahrbar wird, dass der wahre Glaube immer auch Eingestaltung in die Kirche ist.<ref> THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 1 a. 9 ad 3: „confessio fidei traditur in symbolo quasi ex persona totius Ecclesiae, quae per fidem unitur“.</ref>

„Bei der Feier der Sakramente gibt die Kirche ihr Gedächtnis, insbesondere durch das Glaubensbekenntnis weiter. Dabei geht es nicht so sehr darum, seine Zustimmung zu einer Sammlung von abstrakten Wahrheiten zu geben. Im Gegenteil, durch das Bekenntnis des Glaubens tritt das ganze Leben ein in einen Weg hin auf die volle Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott. Wir können sagen, dass beim Credo der Glaubende eingeladen wird, in das Geheimnis einzutreten, das er bekennt, und von dem verwandelt zu werden, was er bekennt.“<ref> PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 45: a. a. O., S. 51–52.</ref>

49. Der Glaube an den trinitarischen Gott impliziert eine persönliche Beziehung des Gläubigen zu jeder der drei göttlichen Personen. Wenn wir glauben, führt uns der Heilige Geist in die volle Wahrheit (Joh 16,12–13). Keiner kann Jesus als den Christus bekennen außer im Heiligen Geist (1 Kor 12,3). So wohnt der Heilige Geist im Gläubigen. Er befähigt ihn, auf dem Weg zu Gott voranzuschreiten, Zeugnis abzulegen, die Liebe Christi weiterzugeben, aus der Hoffnung zu leben und so die nach dem Maße Christi (vgl. Eph 4,13) volle Reife des Glaubens zu erlangen. Deshalb wirkt der Heilige Geist im Gläubigen auf zweifache Weise: im Akt des Glaubens als solchem durch dessen Hinordnung auf die Inhalte des Bekenntnisses und in der lebendigen Entfaltung des Glaubens. Diese Entfaltung besteht in einer tieferen Aneignung der Seligpreisungen; in der fortschreitenden Bildung des eigenen Herzens nach dem Vorbild des Herzens Christi und also in vertiefter Jüngerschaft.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute (19. März 2018), 65– 94: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 213 (Bonn 2018), S. 38–51.</ref> Der Heilige Geist stärkt mit seinen Gaben den einzelnen Gläubigen<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, §§ 1830–1832.</ref> und die Kirche insgesamt. Glaubend bekennen wir Jesus Christus als den Herrn, als den Sohn des lebendigen Gottes; wir werden seine Jünger, indem wir voranschreiten zur je größeren Verähnlichung mit ihm (vgl. Röm 8,29). Aufgrund des Glaubens und dank der Vermittlung durch den Sohn und den Heiligen Geist erkennen wir den vom göttlichen Vater gestifteten Sinn; treten in Beziehung zu ihm, preisen ihn, loben ihn und gehorchen ihm als seine geliebten Kinder. So sind wir auf dem Weg, seinen für unser Leben und für Geschichte und Schöpfung insgesamt gefassten Willen zu erfüllen.

50. [Die Reformation und ihr Einfluss]. Die Reformation hat einen kaum überschätzbaren Einfluss ausgeübt. Auf sie vor allem geht die Überordnung des individuellen Glaubensaktes über das Bekenntnis des kirchlichen Credo zurück. Verbunden damit sind die Fokussierung auf die Rechtfertigung allein aus dem Glauben, die Beschreibung des Glaubensaktes als Aneignung der Gnade und die Identifikation der Glaubensgewissheit mit der Erlösungsgewissheit. Die Subjektivierung der Wahrheit hat auch Teile der jüngeren katholischen Theologie beeinflusst – zum Beispiel dort, wo unter dem Schirm des Personalismus subjektivistische Tendenzen vertreten werden. Dann wird der Glaube weniger als Bekenntnis denn als persönlicher Akt des Vertrauens (des Glaubens an jemanden) beschrieben und damit – zumindest tendenziell – als Gegenteil des inhaltlich bestimmten Glaubens (des Glaubens an etwas) verstanden.

51. [Fides qua; fides quae]. Wenn der Dialog Gottes mit dem Menschen und also das Offenbarungsgeschehen insgesamt wesentlich durch Sakramentalität charakterisiert sind, dann ist auch die im Glauben gegebene Antwort eine sakramental bestimmte und als solche vom Heiligen Geist bewirkte und ermöglichte. Es kann keinen auf den subjektiven Akt reduzierten Glauben (fides qua) geben, weil dieser unbedingt verbunden ist mit der von Gott kommenden Wahrheit (fides quae), die im Offenbarungsgeschehen vermittelt wurde und von der Kirche bewahrt wird. Es gibt deshalb eine tief gründende Einheit zwischen dem Akt, durch den wir glauben, und den Inhalten, denen wir zustimmen. Der Apostel Paulus erinnert uns an diesen Sachverhalt, wenn er schreibt: „Man glaubt mit dem Herzen und bekennt mit dem Mund“ (vgl. Röm 10,10).<ref> Vgl. PAPST BENEDIKT XVI., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu proprio Porta fidei mit dem das Jahr des Glaubens ausgerufen wird (11. Oktober 2011), 10: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 191 (Bonn 2012), S. 12–14.</ref> Es sind die sakramentalen Zeichen der Gegenwart Gottes in Welt und Geschichte, die den Glauben inspirieren, ausdrücken und bewahren.

Christlich gesehen kann es einen nichtsakramental verfassten (subjektivistisch privatisierten) Glauben gar nicht geben; und ebenso ausgeschlossen ist eine sakramentale Praxis, die – ritualistisch veräußerlicht – das Bekenntnis des Glaubens der Kirche ignoriert. Wo der Glaube die Identifikation mit dem Bekenntnis und dem Leben der Kirche ausschließt, hört er auf, den Gläubigen in Christus einzugestalten. Der privatisierte und desinkarnierte Glaube der Gnostiker ist im Laufe der Christentumsgeschichte so etwas wie eine ständige Versuchung.<ref> Vgl. zuletzt: PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute (19. März 2018), 43: a. a. O., S. 26 f.; KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Schreiben Placuit Deo über einige Aspekte des christlichen Heils (22. Februar 2018), 12: a. a. O., S. 15–16.</ref> Aber es gibt nicht selten auch die gegenteilige Tendenz, nämlich einen veräußerlichten Glauben, der sich verbal mit dem Bekenntnis der Kirche identifiziert, ohne sich dieses durch persönliches Verstehen oder Gebet anzueignen. Subjektivistische Privatisierung einerseits und ritualistische Veräußerlichung andererseits bezeichnen die beiden Gefahren, die der christliche Glaube unbedingt überwinden muss.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute (19. März 2018), 48– 49: a. a. O., S. 29 f.; KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Schreiben Placuit Deo über einige Aspekte des christlichen Heils (22. Februar 2018), 2–3: a. a. O., S. 6–9.</ref>

52. [Etwas, was den Glauben aller Gläubigen betrifft]. Der persönliche Glaube jedes Gläubigen kann verschiedene Grade aufweisen – einerseits im Blick auf die Intensität seiner Beziehung zu dem trinitarischen Gott und andererseits im Blick auf die Explizität der geglaubten Inhalte. Weil der Glaube wesentlich eine personale Beziehung ist, impliziert er ein doppeltes Wachstumspotenzial: einerseits die Erkenntnis und Aneignung der Glaubenswahrheiten und ihrer inneren Konsistenz und andererseits das Vertrauen und die Hinordnung der ganzen Existenz auf die innere Verbindung mit Gott.<ref> Vgl. HUGO VON SANKT VICTOR, Sacr. I pars 10 (PL 176, 327–344), cap. 3 und 4: De incremento fidei.</ref>

53. In der Theologiegeschichte bezieht sich die Frage nach einem unverzichtbaren Minimum vor allem auf die Kenntnis der Inhalte des Glaubens und auf die Bedeutung des sogenannten „impliziten Glaubens“. Die scholastische Theologie ist bestimmt von einer besonderen Wertschätzung des Glaubens der sogenannten „einfachen Leute“ (simplices; minores). Nach Thomas von Aquin soll man nicht von jedem Gläubigen denselben Grad der begrifflichen Ausdrucksfähigkeit und reflektierenden Durchdringung der Glaubensinhalte erwarten.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, Ver. 14 a. 11 resp.; STh II-II q. 2 a. 6.7.8.</ref> Denn die Unterscheidung zwischen „implizitem“ und „explizitem“ Glauben bedeutet, dass gewisse Inhalte in ein und demselben Glaubensakt impliziert sind oder aber explizit begründet und also bewusst (actu cogitatum credere) affirmiert werden. Es ist nicht notwendig, dass einfache Gläubige wissen, wie man eine detaillierte intellektuelle Begründung für die Entfaltung des Trinitätsdogmas oder der Erlösungslehre vorlegt. Der implizite Glaube nämlich ist mit der grundlegenden Bereitschaft verbunden, sich mit dem Glauben der Kirche zu identifizieren und sich diesem anzuschließen.<ref> Vgl. DERS., Ver. 14 a. 11 ad 7.</ref>

54. [Das Credo der Kirche als das Minimum der zu glaubenden Inhalte]. Nach Thomas von Aquin sind alle Getauften verpflichtet, die Artikel des Glaubensbekenntnisses ausdrücklich zu affirmieren.<ref> DERS., Ver. 14 a. 11 resp.: „Tempore vero gratiae omnes, maiores et minores, de Trinitate et de redemptore tenetur explicitam fidem habere. Non tamen omnia credibilia circa Trinitatem vel redemptorem minores explicite credere tenentur, sed soli maiores. Minores autem tenentur explicite credere generales articulos, ut Deum esse trinum et unum, filium Dei esse incarnatum, mortuum et resurrexisse, et alia huiusmodi, de quibus Ecclesia festa facit.“</ref> Also genügt es nicht, in einer allgemeinen Weise an den Heilswillen Gottes zu glauben, sondern es ist notwendig, an die Inkarnation, an Kreuz und Auferstehung Christi zu glauben, was wiederum nur möglich ist durch den Glauben an den trinitarischen Gott. Das ist der Glaube, „in dem alle neues Leben erlangen“, in dem jeder Christ getauft ist.<ref> DERS., STh II-II, q. 2 a. 7; a. 8.</ref> In der Väterzeit wird das Glaubensbekenntnis ganz ähnlich gesehen, nämlich als ein Kompendium der Glaubensinhalte für alle Gläubigen und also als eine Art Leitfaden der verbindlichen Elemente des Glaubens.<ref> Vgl. z. B. IRENÄUS, Adv. Haer. I,10,1 (SCh 264, 154–158); III,12,13; III, pr. ss; III,5,3 (SCh 211,236–238; 20–22; 60–62); KLEMENS VON ALEXANDRIEN, Strom. IV,1,3 (GCS 15.249); TERTULLIAN, Praesc. 13; 36 (CCSL 1,197–198; 217); Prax. 2; 30 (CCSL 2,1160; 1204); Virg. 1 (CCSL 2,1209); ORIGENES, De princ. I, praef. 4 (GCS 22.9–11; FuP 27, 120-–24); NOVATIANUS, Trin. 1,1; 9,46 (CCSL 4,11; 25).</ref> Der hl. Thomas von Aquin erklärt, dass die Kenntnis dieser Elemente des Glaubens nicht an ein vorausgehendes Studium gebunden ist, sondern einfachen Leuten zugänglich sein muss; dies schon deshalb, weil die Feiern des liturgischen Kirchenjahres die betreffenden Inhalte für jeden Gläubigen vergegenwärtigen. Die Verpflichtung aller Mitglieder der Kirche auf einen expliziten Glauben an ihr Credo ist immer auch verbunden mit der Anerkennung der gleichen Würde aller Christen.

55. [Einige Bemerkungen zum Thema „Glaubensmangel“]. Das Gegenteil von Glauben ist nicht ein Mangel an Glaubenswissen, sondern die willentliche und konstante Ablehnung einiger Glaubenswahrheiten<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 5 a. 3.</ref> oder bewusst gelebte Indifferenz. Unter dieser Voraussetzung unterscheidet Hugo von St. Victor zwei Gruppen: Es gibt Gläubige, die nur ein geringes intellektuelles Verstehen ihres Glaubens mitbringen und auch keine tiefere personale Beziehung zu Gott leben, dennoch aber zur kirchlichen Glaubensgemeinschaft gehören wollen und sich im Alltag zu ihrem Glauben bekennen.<ref> Vgl. HUGO VON SANKT VICTOR, Sacr. I pars 10 cap. 3.</ref> Und es gibt solche, die nur „dem Namen nach oder aus Gewohnheit“ Christen sind. Sie „empfangen zusammen mit den anderen Gläubigen die Sakramente, aber ohne den geringsten Glauben an die Güter der kommenden Welt“.<ref> DERS., Sacr. I pars 10 cap. 4.</ref> In diesem Zitat wird das zentrale Kriterium für christlichen Glauben darin gesehen, dass „die Güter der kommenden Welt erwartet werden“ (vgl. Hebr 11,1) und dass die Hoffnung des Glaubens stark genug ist, das Handeln des Einzelnen zu leiten.

Das Wechselverhältnis zwischen Glaube und Sakramenten

56. [Der Begriff „Sakrament“]. Der dreieine Gott hat die Schöpfung ins Leben gerufen, um sich mitzuteilen; und er hat den Menschen geschaffen, um jeden Einzelnen und die Menschheit insgesamt in die Gemeinschaft mit sich zu führen. Er tritt mit dem Menschen vermittelt in Beziehung – durch seine Schöpfung und durch die Geschichte und – wie gesagt – durch Zeichen. Unter diesen Zeichen nehmen die christlichen Sakramente einen besonderen Platz ein; denn bei den Sakramenten handelt es sich um Zeichen, an die Gott die Mitteilung seiner Gnade in jeweils bestimmter und objektiver Weise gebunden hat. Und also sind die Sakramente des Neuen Bundes wirksame Zeichen der Gnade, die sie vermitteln.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1084.</ref> Wie schon ausgeführt, ist damit nicht gesagt, dass die Sakramente die einzigen Vermittlungen der Gnade Gottes sind;<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 64 a. 7.</ref> gesagt werden soll lediglich, dass die Sakramente ausgezeichnet sind durch die Gewissheit der Gnadenvermittlung und durch ihre Einbettung in die Kirche. Andacht und persönliche Frömmigkeit können auch durch andere Praktiken entfaltet werden: durch unterschiedliche Gestalten des Betens, verbunden mit dem Lesen der Hl. Schrift oder der Betrachtung der Geheimnisse des Lebens Christi, der Betrachtung des Handelns Gottes in der Schöpfung und in der Geschichte und auch durch die Feier der einzelnen Sakramentalien (vgl. § 40) etc.

57. [Glaube und Sakramente im Lichte der vom Zweiten Vatikanischen Konzil getroffenen Definition des Sakramentsbegriffes]. Im Laufe der Geschichte hat es verschiedene Definitionen des Sakramentsbegriffes gegeben. Das Zweite Vatikanische Konzil charakterisiert die Sakramente wie folgt:

„Die Sakramente sind hingeordnet auf die Heiligung der Menschen, den Aufbau des Leibes Christi und schließlich auf die Gott geschuldete Verehrung; als Zeichen haben sie auch die Aufgabe der Unterweisung. Den Glauben setzen sie nicht nur voraus, sondern durch Wort und Ding nähren sie ihn auch, stärken ihn und zeigen ihn an; deshalb heißen sie Sakramente des Glaubens. Sie verleihen Gnade, aber ihre Feier befähigt auch die Gläubigen in hohem Maße, diese Gnade mit Frucht zu empfangen, Gott recht zu verehren und die Liebe zu üben.“<ref> ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium, 59.</ref>

Dieser dichte Text enthält grundlegende Aspekte, die für das Wechselverhältnis von Glaube und Sakramenten wesentlich sind. Diese seien im Folgenden kurz umrissen. Zunächst einmal (1) haben die Sakramente eine pädagogische Bedeutung für unseren Glauben: Sie lassen die Heilsgeschichte als eine „sakramentale“ Wirklichkeit erkennen. Jesus Christus hat sie eingesetzt, um uns durch sie zu lehren, dass er sich und sein Heil sinnlich wahrnehmbar und sichtbar vermittelt – der „conditio humana“ gemäß<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 61 a. 1.</ref> (vgl. bes. §§ 20 und 26). Sodann (2) setzen die Sakramente Glauben aus doppeltem Grunde voraus. Sie sind Vermittlungen („Zugänge“) in das Mysterium. Deshalb erscheinen sie, wenn es an Glauben aufseiten des Empfängers mangelt, oft nur noch als äußere Zeichen oder als bloße Riten, die – eine reale Gefahr! – zu magischen Ersatzhandlungen verkommen können. Und: Der Glaube ist auch notwendige Bedingung, damit die Sakramente die Gaben vermitteln, die sie objektiv enthalten. Zum dritten (3) bekunden die Sakramente den Glauben des Einzelnen und zugleich den der Kirche insgesamt. Die Feier der Sakramente ist eine Bekundung des gelebten Glaubens. Die Sakramente sind Zeichen, in denen sich der Glaube ausdrückt, durch den der Mensch seine Rechtfertigung empfängt. Das sakramental verdichtete Wort verlangt nach der Glaubensantwort des Gläubigen, der im Hören das im Sakrament real gegenwärtige Geheimnis erkennen und anerkennen lernt. Zum vierten (4) nähren die Sakramente den Glauben auf zwei Ebenen: Sie vermitteln die Gnade Gottes, die christliches Leben ermöglicht und stärkt. Und sie sind Feiern, in denen das wirksam vermittelte Heilsgeschehen den Glauben erzieht und fortwährend nährt. Die Sakramente sind vor, während und nach ihrer Feier Zeichen des Glaubens in all seinen Facetten. Wenn die Sakramente Glauben auf eben solche Art und Weise voraussetzen, dann ist klar, warum die Empfänger Mitglieder der Kirche sein müssen, in der sie die Sakramente empfangen. Zugleich ist im Blick auf das Wechselverhältnis von Glaube und Sakramenten daran zu erinnern, dass wir durch Glaube und Sakramente in einen Dialog und also in einen lebendigen Kontakt mit dem Erlöser treten, der zur Rechten des Vaters sitzt. Der zum Vater Erhöhte erreicht uns nicht unvermittelt innerlich, sondern vermittelt und also geschichtlichkonkret, indem er die entscheidenden Wendepunkte unseres Daseins zu sakramentalen Begegnungen mit sich werden lässt.

58. [Der Zusammenhang von Glaube und Sakramenten]. Der Moment der Bekehrung garantiert den Glauben nicht für immer. Er muss durch die Praxis der Liebe, des Gebetes, des Hörens auf das Wort, durch Gemeinschaft und Unterweisung und besonders auch durch den Empfang der Sakramente gepflegt werden. Eine Beziehung, die sich nicht ausdrückt und verleiblicht, ist in Gefahr, sich aufzulösen oder zu verschwinden. Christus, der das Geschenk „par excellence“ ist, kann nicht bloß unsichtbar oder privat empfangen werden. Im Gegenteil, wer ihn aufnimmt, ist befähigt und aufgefordert, ihn in sein Leben, in sein Reden, Denken und Handeln zu inkarnieren. So trägt man bei zur Übersetzung der „Ur-Sakramentalität“ des Erlösers in die „GrundSakramentalität“ der Kirche. Als die sieben Grundvollzüge der Kirche bewirken die Sakramente das, was sie bezeichnen. Dessen ungeachtet aber setzt der fruchtbare Empfang aufseiten jedes Empfängers die Bereitschaft voraus, zu vertiefen, zu leben und zu bezeugen, was er oder sie empfangen hat.

59. Die innere Verbindung zwischen Glaube und Sakramenten ist evident, wenn wir weitere wesentliche Aspekte ins Auge fassen – vor allem die folgenden:

a) Die Feier eines Sakramentes: In ihr wird eine bestimmte Handlung oder eine materielle Wirklichkeit, die schon von sich aus eine Bedeutung hat, auf die Heilsgeschichte bezogen und durch das Christusereignis näher bestimmt. Durch entsprechende Worte werden die Zeichen Gegenwart, Erinnerung und Verheißung des gesamten Heilsgeschehens.<ref> „Accedit verbum ad elementum et fit sacramentum, etiam ipsum tamquam visibile verbum.“ (AUGUSTINUS, In Ioannis Ev. LXXX,3: CCSL 36,529; PL 35,1840).</ref> Das Wasser der Taufe zum Beispiel bedeutet von sich aus Reinigung. Unter Anrufung des trinitarischen Gottes aber hat es die erneuernde Wirkung der Reinigung von allen Sünden.

b) Die Terminologie: Das Wort „sacramentum“ ist die lateinische Übersetzung des griechischen Terminus „mysterion“. Die in der Kirche gefeierten „Mysterien“ wurzeln in dem einen „mysterion“, das „von Ewigkeit her in Gott ... verborgen war“ (Eph 3,9) und das nun offenbar ist in Jesus Christus. Er, der durch seine Menschwerdung, sein Leiden und seine Auferstehung „alle an sich ziehen wird“ (vgl. Joh 12,32), um „alle mit Gott zu versöhnen“ (vgl. 2 Kor 5,19–21). Dem Epheserbrief gemäß (3,3–21 und 5,21–33; vgl. Kol 1,25–27; 2,2–9) ist die Kirche eingestaltet in das Mysterium Christi: Als „Leib“ und „Braut“ gehört sie zu dem „verborgenen Mysterium“ des göttlichen Heilsplans.<ref> Vgl. AUGUSTINUS, Epist. 187,34 (PL 33, 846).</ref> Der neutestamentliche Begriff „mysterion“ bezeichnet die Wirklichkeit Gottes, insofern diese sich in Jesus Christus offenbart. Weil Gottes Wirklichkeit unerschöpflich ist, bleibt sie auch dann noch eine verborgene, wenn sie sich offenbart; denn sie übertrifft jede Gestalt von Verstehen und Begreifen. Auch wenn der lateinische Begriff „sacramentum“ mehr die Offenbarkeit als die Verborgenheit des „mysterion“ unterstreicht, wahrt doch auch er die Dimension des Unfasslichen. Von daher ist festzuhalten: Wer immer die Liturgie der Kirche mitfeiert oder ein Sakrament empfängt, ist aufgerufen, durch persönliches Bemühen den Inhalt des eigenen Glaubens auf das stets größere Geheimnis hin zu transzendieren.

c) Ein weiterer, sich aus der entsprechenden Begrifflichkeit ergebender Aspekt: Ursprünglich bezeichnet das Wort „sacramentum“ einen „heiligen Eid“, der im Unterschied zum „ius iurandum“ ein heiliges Band entstehen lässt. Das ist es, was Tertullian meint, wenn er die Taufe als „sacramentum“<ref> TERTULLIAN, Ad mart. 3 (CCSL 1,5).</ref> bezeichnet und das Taufgeschehen mit der feierlichen Vereidigung von Soldaten vergleicht. Hier zeigt sich exemplarisch: Es ist unmöglich, den Sinn von etwas zu erfassen, dessen Bedeutung man nicht kennt.

60. [Die Notwendigkeit der Katechese]. Auf der Basis dessen, was schon ausgeführt wurde, gehen wir aus von einer zweifachen Voraussetzung. Die erste lautet: Es kann keine sakramentale Feier ohne Glauben geben. Die zweite lautet: Der Glaube des Einzelnen ist wesentlich Teilhabe am Glauben der Kirche und also Antwort auf das sakramentale, von der Kirche kraft des Heiligen Geistes authentisch bezeugte und tradierte Geschehen der Offenbarung. Insofern der Empfang eines Sakramentes einerseits ein ganz persönlicher Akt, zugleich aber Eingestaltung in die Kirche ist, muss die der Feier der Sakramente vorausgehende Katechese diesem Doppelcharakter entsprechen. In einer solchen Katechese muss vorrangig das Ostergeheimnis behandelt werden; denn es bildet das Zentrum des christlichen Glaubens. Wie die Entfaltung des Katechumenates in der frühen Kirche erweist, wurde die Taufkatechese als Teil der Eingestaltung in die Kirche verstanden. Und zu beachten ist auch, dass die ursprüngliche Tauffeier ein dialogisch gestaltetes Glaubensbekenntnis vorsah – bezeugt z. B. von der sogenannten „Traditio apostolica“.<ref> Traditio apostolica, 16 (Eintritt in das Katechumenat), 17–20 (Verlauf des Katechumenates), 21 (Tauffeier: SCh 11,43–51).</ref> Das Bekenntnis des Glaubens und das dialogische Verhältnis von Gott und Mensch bestimmen jede Feier eines Sakramentes und müssen daher ihre Entsprechung finden in der „mystagogischen Katechese“, die dem Empfang vorausgeht. In gewisser Weise sind „mystagogische Katechesen“ eine Einführung in die eschatologische Gegenwart des Geschehens, das die Sakramente bewirken. Sie wollen ein kontinuierlich fortschreitendes Erkennen durch Teilnahme an den liturgisch gefeierten Geheimnissen ermöglichen.

61. [Bezeugung des Glaubens]. Die Sakramente sind Teil der sakramentalen Heilsgeschichte, in die der Gläubige eingeführt wird. Diese Geschichte ist bestimmt von sichtbar greifbaren Ereignissen, die Ausdruck der unsichtbaren Gnade sind. Auch wenn der in Christus offenbare Gott das Geschenk der Gnade ist, ist dessen Empfänger doch kein bloßes Objekt dieses Geschenkes. Deshalb erklärt Thomas von Aquin den Glauben als „virtus infusa vel supranaturalis“. Als „Tugend“ ist der Glaube eine von der Gnade bewirkte Fähigkeit, die wie jede Fähigkeit entfaltet werden kann. Anders gesagt: Je tiefer die Beziehung eines Gläubigen zu Christus ist, desto intensiver die Sakramentalität des Glaubens, sein Beten, sein Bekennen, seine Identifikation mit der Kirche, seine Liebe. Kurzum: Weil der Glaube eine Tugend ist, muss er öffentlich sichtbar werden in einem neuen Lebensstil, der dem Doppelgebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten entspricht; und auch durch gelebte Eingestaltung in die betende Kirche.

62. Es gibt eine Gestalt von Glauben, der, obwohl er dem Inhalt der göttlichen Offenbarung zustimmt, die auf Gott gerichtete Hoffnung und die mit dieser verbundene Liebe zu Gott vermissen lässt. Die scholastische Unterscheidung zwischen „fides informis“ und „fides caritate formata“ bezieht sich auf das Problem eines Glaubens, der noch nicht den notwendigen Grad der Reife erreicht hat. Gemäß dem Hebräerbrief ist der Glaube Voraussetzung der Rechtfertigung; denn „ohne Glauben ... ist es unmöglich, Gott zu gefallen“ (Hebr 11,6); diese Überzeugung ist im Glaubensverständnis des Mittelalters tief verwurzelt.<ref> „Fidei obiectum per se est id per quod homo beatus efficitur.“ (THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 2 a. 5; vgl. STh II-II, q. 1 a. 6 ad 1).</ref> Ein bloßes Verlangen nach dem Glauben an die Wahrheit (fides informis) kann keine Gemeinschaft mit Christus begründen. Der von Liebe getragene Glaube (fides caritate formata) hingegen lässt den Gläubigen teilhaben an der Heil und Seligkeit schenkenden Wirklichkeit. Anders gesagt: Es kann Gläubige geben, deren Glaube nicht von der innerlich-personalen Verbindung mit Christus bestimmt wird. Dann spricht man von einer „fides informis“; denn er ist nicht bestimmt von der Verähnlichung mit der Liebe Christi; er ist keine Antwort auf die zuerst von Christus ausgehende Liebe. Anders der Glaube, der von einer persönlichen Liebe zu Christus getragen wird und der deshalb als „fides caritate formata“ bezeichnet wird. Durch die ihm inwendige Liebe verähnlicht er seinen Träger mit der relational gelebten Wahrheit, die er auszudrücken versucht.

63. In Bezug auf die besagte Unterscheidung kann man festhalten, dass der von der Liebe getragene Glaube der Beginn des ewigen Lebens ist.<ref> „Inchoatio vitae aeternae in nobis“ (THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 4 a. 1).</ref> Der personale Glaubensakt (actus credendi) und die Tugend des Glaubens (virtus fidei) sind die Gestalten des Glaubens, die von sich aus bewirken, dass das Heilsereignis im Gläubigen wirksam wird. Allerdings ist der Glaubensakt unmöglich ohne Affirmation der Wirklichkeit, die ihn ermöglicht. Und zugleich gilt: Nicht jeder Sakramentenempfang setzt denselben von Liebe bestimmten Glauben voraus, wie er mit besonderer Dringlichkeit für den Empfang des Bußsakramentes erforderlich ist. Nach Ansicht des hl. Thomas von Aquin wird für den Empfang der Taufe oder des Ehesakramentes der von der Liebe geformte Glaube nicht in demselben Maße wie für den Empfang des Altarssakramentes gefordert. Der fruchtbare Empfang der hl. Kommunion setzt nicht nur den Glauben an die Realpräsenz Christi in den sakramentalen Zeichen der Eucharistie voraus, sondern auch den Willen des Empfängers, die Verbundenheit mit Christus und den Gliedern seines Leibes zu bewahren (vgl. § 120).

64. Weil die übernatürliche Liebe (caritas) eine unmittelbare Wirkung der Gnade ist, kann man anhand selbst entwickelter Kriterien nicht sicher feststellen, ob eine „fides caritate formata“ gegeben ist. Also kann niemand vom Glauben einer anderen Person und nicht einmal vom eigenen Glauben sicher wissen, dass er die besagte Qualität aufweist. Das kann man bestenfalls aufgrund von Anzeichen und Wirkungen vermuten.<ref> Vgl. BONAVENTURA, III Sent. dist. 23 dub. 4 (III 504ab); II Sent. dist. 38 dub. 1 (II 894b); THOMAS VON AQUIN, STh I-II. q. 112 a. 5; Ver 10 a. 10 ad 1.2.8.</ref> Und also kann man auf keinen Fall im Voraus ein Urteil darüber fällen, wie ein Mensch vor Gott dasteht oder ob er die ihm geschenkte Gnade annimmt oder ablehnt. Das schließt nicht aus, dass der Sakramentenempfang ein öffentlicher kirchlicher Vollzug ist und dass die sichtbare Verleiblichung entscheidend zum Glauben dazugehört. Zu dieser Verleiblichung gehören die Ausdrücklichkeit der Intention, der Bekenntnischarakter des Glaubens und die gelebte Treue zum eigenen Taufversprechen.

Der dialogische Charakter der Sakramente

65. [Glauben, Gültigkeit und Fruchtbarkeit]. Das Konzil von Trient (DH 1608) hat den Ausdruck „ex opere operato“ benutzt, um folgenden Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen: Wenn ein Sakrament in der ihm angemessenen Weise im Namen der Kirche und in Übereinstimmung mit den entsprechenden Weisungen der Kirche gefeiert wird, bewirkt es das, was es bezeichnet. Mit dieser Erklärung werden die Beteiligung des Spenders und die Beteiligung des Empfängers keineswegs ausgeblendet. Im Gegenteil: Wer ein Sakrament spendet, muss die Intention haben, das zu tun, was die Kirche tut (DH 1615: faciendi quod facit ecclesia). Und aufseiten des Empfängers muss zwischen fruchtbarem und unfruchtbarem Empfangen unterschieden werden. Der Terminus „opus operatum“ ist also nicht gegen die Teilnahme der Person gerichtet, die ein Sakrament spendet oder ein Sakrament empfängt. Dieser Terminus hebt lediglich hervor, dass weder der Glaube des Spenders noch der Glaube des Empfängers ursächlich für das von den Sakramenten bezeichnete Heil ist; denn Letzteres wird allein durch die Gnade des Erlösers vermittelt. Die Gnade wird nicht aufgrund dessen vermittelt, dass der Spender und dass der Empfänger das glauben, was sie tun, sondern weil Christus durch die Sakramente handelt. Kurzum: Wann immer ein Sakrament in der angemessenen Weise gemäß den Weisungen der Kirche gefeiert wird, bindet Christus sein Handeln an das Handeln der Kirche.

66. In Reaktion auf die Theologie der Reformation wollte das Konzil von Trient die Wirksamkeit der Sakramente klären und affirmieren.<ref> „Si quis dixerit, sacramenta ... aut gratiam ipsam non ponentibus oicem non conferre ... anathema sit.“ (KONZIL VON TRIENT, Siebte Sitzung. Dekret über die Sakramente, can. 6 [DH 1606]).</ref> Dennoch beschädigt eine kirchliche Praxis, die nur auf die Gültigkeit bedacht ist, den sakramentalen Organismus der Kirche durch ihre auf Minimalbedingungen fokussierte Reduktion. Die Gültigkeit wird bestimmt durch das, was der Fachterminus „res et sacramentum“ als konstitutiv für die sakramentale Wirksamkeit der Gnade bezeichnet. Bei der Taufe zum Beispiel wird dem Empfänger ein „character indelebilis“ verliehen. Und zweifellos erfüllen die Sakramente ihren Sinn erst in der Vermittlung der „res“ bzw. der Gnade, die sie je spezifisch vermitteln. Im Falle der Taufe ist diese Gnade das neue Leben in Christus, verbunden mit der Vergebung aller Sünden.

67. [Der den Sakramenten angemessene Glaube und die vorausgesetzte Intention]. Die sakramentale Logik betrachtet die freie Antwort, die Annahme der Gabe Gottes, kurz: den Glauben – wenn er möglicherweise auch erst zu keimen beginnt – als konstitutiv und unabdingbar, besonders auch für den Empfang der Taufe. Die jüngere Theologie hat die sakramentale Vermittlung der Gnade einbezogen in das weite Feld des Bezeichnens durch Symbole und Worte. Es geht dabei um die Sprachgebundenheit und die interpersonale Verfasstheit des menschlichen Lebens schlechthin. Seit die Sakramente im Rahmen der dialogischen Beziehung zwischen den Gläubigen und Christus gesehen werden, wird deutlich, dass dieser Zugang ein großer theologischer Gewinn ist. Die Bedeutung von Symbolen und Zeichen bleibt jedem verschlossen, der keinen Zugang zu der Welt von „Zeichen“ und „Bedeutung“ gewinnt. Entsprechend unmöglich ist es, die Wirkungen der von den sakramentalen Zeichen vermittelten Gnade (deren Früchte) zu empfangen, ohne zuvor eingetreten zu sein in die Welt der Symbole, zu der ja auch die sakramentalen Zeichen gehören. Der Glaube ist der Schlüssel, um eintreten zu können in diese Welt, in der die Sakramente Symbole sind, die die Gnade Gottes bezeichnen und zugleich wirksam vermitteln.

68. Der Empfang eines Sakramentes kann gültig oder ungültig, fruchtbar oder fruchtlos sein. Für eine angemessene Disposition des Empfängers genügt es nicht, dass er der Bedeutung des von ihm empfangenen Sakramentes weder explizit noch implizit widerspricht. Anders gesagt: Der Empfänger muss sowohl inhaltlich (fides quae) wie auch existenziell (fides qua) glauben, was Christus ihm sakramental durch die Kirche zu glauben vorgibt. Aber es gibt unterschiedliche Grade der Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche. Entscheidend ist, dass der Empfänger nicht ablehnt, was die Kirche lehrt. Es gibt auch Grade der Intensität des Glaubens. Entscheidend ist die positive Disposition des Empfängers in Bezug auf die Bedeutung des Sakramentes, das er empfängt. Jeder fruchtbare Empfang eines Sakramentes ist ein kommunikativer Akt und als solcher Teil des Dialoges zwischen Christus und dem einzelnen Gläubigen.

69. Mit der Lehre über die Intention, die mit Blick auf die Spender der Sakramente entwickelt wurde, berühren wir im Folgenden einen besonders wichtigen Punkt. Einerseits ist klar, dass sich die Heilswirksamkeit „ex opere operato“, das heißt: die Wirksamkeit der sakramentalen Handlungen vollkommen und ausschließlich Christus und nicht dem Glauben des Empfängers oder Spenders verdankt. Aber ebenso klar ist, dass jede Feier eines Sakramentes wesentlich dialogisch ist, sodass magische oder automatistische Vorstellungen unbedingt zu vermeiden sind. Mit dem Terminus „Intention“ wird das unabdingbare Minimum der willentlich-personalen Teilhabe an dem Ereignis der sakramentalen Vermittlung der rechtfertigenden Gnade bezeichnet.

70. Sakramentale Zeichen und Handlungen, vollzogen durch Wasser, Öl, Brot und Wein und andere sichtbare Elemente, laden jeden Gläubigen ein, das „innere Auge des Glaubens“<ref> EPHRAIM DER SYRER, Hymni de fide 53,12; 5,18 (CSCO 154, 167,23; 155; 143,17).</ref> zu öffnen und die das Heil vermittelnden Wirkungen eines jeden Sakramentes zu entdecken. Diese Zeichenhandlungen, vollzogen im Gewand der besagten materiellen Elemente, sind letztlich Darstellungen des Erlösungshandelns Christi selbst. Was beim Austeilen der Sakramente geschieht, wurzelt in den Ereignissen, die Jesus Christus als Erlöser in seinem irdischen Leben gewirkt hat, zum Beispiel durch seine Heilungen. Viele glaubten an Jesus als den Christus (Ur-Sakrament) und erfuhren so das Heil wie die Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4,26–29. 39); wie Zachäus, als er Jesus in seinem Haus empfing (Lk 19, 8–10); wie die Syrophönizierin, der aufgrund ihres unerschütterlichen Glaubens (Mk 7,24–30) die Heilung ihrer Tochter zuteilwurde usw. Diese Zeichenhandlungen Jesu, vollzogen durch materielle Elemente, galten der Intensivierung des Glaubens und der Heilung der Empfänger durch das innere Schauen (visio fidei) des erfahrenen Heils. Der so gestärkte Glaube äußert sich in dem Bekenntnis eines Christseins, das inmitten der Welt Zeugnis ablegt.

71. [Dialogischer Charakter]. Die liturgische Feier der Sakramente beschreibt nicht nur Gottes katabatisches (herabsteigendes) Heilshandeln, sondern – davon untrennbar – auch die anabatische (aufsteigende) Bewegung des Empfängers. Letztere beginnt mit der Antwort „Amen“ und setzt sich fort in der Ausbreitung der Hände beim Empfang der hl. Kommunion. Alle Sakramente sind kommunikative Handlungen; sie sind Teil der Heilsordnung und also der geschichtlichen Realisierung des göttlichen Bestrebens, mit dem Menschen in eine persönliche Beziehung treten zu wollen. So spiegelt sich in den Sakramenten das die ganze Heilsgeschichte bestimmende und begleitende Bundes-Handeln Gottes. Wo immer der dialogische Charakter der Sakramente nicht hinreichend gewahrt wird, schleichen sich Missverständnisse magisch-ritualistischer Art oder heilsindividualistische bzw. subjektivistisch-privatistische Reduktionen ein.

Der sakramentale Organismus

72. Der sakramentale Organismus der Kirche,<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1076.</ref> im Laufe von Jahrhunderten gebildet, gehört im Blick auf den Einzelnen und ebenso im Blick auf die Gemeinschaft der Gläubigen – zu den wichtigsten Vorgaben zur Stärkung des Christen – in seinem persönlichen Glauben; – zu seiner fortschreitenden Eingestaltung in das Geheimnis Christi und der Kirche – und zu seiner Begleitung und Ermutigung auf dem gesamten Glaubensweg. Der sakramentale Organismus vereinigt und entfaltet die zentralen Momente der Geheimnisse des irdischen Lebens Christi; und nicht nur dies: er vergegenwärtigt diese auf sakramentale Weise und lässt sie also fortdauern. Von daher kann man sagen: Durch die Sakramentalität der Kirche erreicht die Ursakramentalität Christi jeden einzelnen Gläubigen, denn sie lässt ihn seinerseits ein lebendiges Sakrament Christi werden. Durch die Zeichen von Wasser, Brot, Wein, Öl und durch die Worte, die deren Bedeutung direkt auf Christus beziehen und verwirklichen, wird der einzelne Gläubige selbst eingestaltet in die bezeichnete Wirklichkeit – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass er die besagten sakramentalen Zeichen mit der ihnen entsprechenden Disposition affirmiert.

73. [Die Initiationssakramente]. Die Initiationssakramente, die am Anfang des christlichen Glaubensweges stehen, gestalten den Gläubigen in Christus und in die kirchliche Gemeinschaft ein, indem sie ihn kraft der vermittelten Gnade befähigen, in gewissem Sinne das eigene Leben eine sakramentale Darstellung Christi werden zu lassen. Die Taufe ist gleichsam das Eingangstor. Das Eingetauchtwerden in das Wasser und das Auftauchen aus dem Wasser sind Ausdruck der Teilnahme des Getauften am Tode und an der Auferstehung Christi; Eingestaltung in seinen Leib und Verähnlichung mit ihm durch ein Leben als lebendiges Glied der Kirche (vgl. Kap. 3.1). Die Firmung, verbunden mit dem Chrisam, bezeichnet einen weiteren Schritt auf demselben Weg. Die in Analogie zur Salbung Christi vollzogene Salbung der Getauften befähigt diese – geistgewirkt – zu einem Glaubenszeugnis, das – fortschreitend missionarisch und ekklesial – bereit ist, Verantwortung innerhalb der christlichen Gemeinde zu übernehmen (vgl. Kap. 3.2). Beim Empfang des Sakramentes des Leibes Christi, der Eucharistie, kommt die Gemeinschaft und Teilhabe am Leibe Christi in vollendetem Maße zum Ausdruck (Kap. 3.3). Mit der Initiation ist der Christ Glied Christi und seiner Kirche; mit ihr hat er alle vorgegebenen Mittel der Konstituierung des Christseins empfangen, sodass er befähigt ist, ein christliches Leben zu führen und wahrhaft Zeugnis abzulegen.

74. [Die der Heilung dienenden Sakramente]. Die Empfänger der Initiationssakramente verhalten sich nicht immer treu und integer zu den ihnen sakramental vermittelten Gaben. Deshalb gibt es Sakramente, die im Blick auf unsere Schwäche und unsere Sünden der Heilung dienen. Durch den Empfang des Bußsakramentes vonseiten eines Dieners, der Christus und die Kirche repräsentiert und also im Namen Christi und der Kirche die Worte der Absolution spricht, geschieht nach Akten der Verweigerung gegenüber dem Willen Gottes nicht nur Versöhnung mit ihm, sondern auch mit seinem Leib, der Kirche, die als Gemeinschaft der Vergebung die in Jesus Christus erschienene Güte Gottes preist. Dank des Bußsakramentes kann der Christ seinen Glaubensweg neu ausrichten. Dabei gilt es zu beachten, dass die Eucharistie das Sakrament des Leibes Christi „par excellence“ ist; deshalb handelt gegen den Sinn dieses Sakramentes, wer es empfängt, obwohl er ernstlich gegen seine Eingestaltung in den Leib Christi gehandelt und vor dem Kommunionempfang das Bußsakrament nicht empfangen hat. Denn dieses vermittelt die Versöhnung mit Gott und die Freude der erneuten Eingliederung in die kirchliche „Communio“.

75. Das Sakrament der Krankensalbung wird gefeiert in Situationen des geschwächten Lebens, z. B. im Falle schwerer Krankheit. Das Chrisam, das heilende Ölen und Salben, ist Ausdruck der die ganze Person heilenden und zur Vollendung führenden Kraft des Herrn – einschließlich der entsprechenden Vergebung (vgl. Jak 5,14–15), wenn ernsthafte Verfehlungen (Sünden) gegen ein Leben aus dem Glauben geschehen sind. So wird deutlich, dass sogar Krankheit eine Gelegenheit sein kann, die Herrlichkeit Gottes zu bezeugen (Joh 11,4). Denn ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn (Röm 14,8–9), indem wir teilnehmen an seinem Leiden und seinen Beschwernissen auf dem Weg zur Vollendung. So werden beide Wirklichkeiten, Sünde und Krankheit, zu Möglichkeiten der Begegnung mit dem Herrn, in der Verbundenheit mit ihm zu reifen und also zu bezeugen, dass seine Barmherzigkeit größer ist als die eigene Schwäche.

76. [Sakramente im Dienste der „Communio“]. Andere Sakramente stehen unmittelbarer als die eben genannten im Dienste der „Communio“. Diese „Communio“ erfordert eine ihrer sakramentalen Wirklichkeit entsprechende Struktur und Verfassung. Deshalb repräsentieren ordinierte Diener Christus als das Haupt der Kirche. Sie sollen durch die Ausübung der Liebe des Hirten und also durch Verähnlichung Christus sichtbar werden lassen. So bleibt Christus in seiner Kirche nicht nur als die ein für alle Mal geschenkte Gabe gegenwärtig, sondern auch sakramental, indem er sich ihr fortwährend schenkt, um sie immer wieder zu erneuern. Die ordinierten Diener der Kirche repräsentieren nicht nur Christus gegenüber der Kirche, sondern sie sind als Glieder der Kirche zugleich deren Repräsentanten, besonders in der Feier der Liturgie, wenn sie Gott preisen und seine Gnade auf uns herabrufen. So fährt Christus als der gute Hirt und als Haupt der Kirche fort, seinen an Raum und Zeit (Geschichte) gebundenen mystischen Leib zu formen. Die gesamte Kirche erkennt in ihren ordinierten Dienern immer wieder, wie sehr sie die Selbsthingabe des Herrn in Wort und Sakrament benötigt. Und zugleich erkennen die Ordinierten, wie notwendig es ist, dass sie ihr Christus gewidmetes Leben als gute Hirten dem Herzen des Erlösers gemäß formen lassen.

77. Alle, die aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neu geboren worden sind, üben ein gemeinsames Priestertum aus (vgl. LG 10), wenn sie ihren Glauben leben, wenn sie z. B. als Eheleute in Liebe einander Glaubenszeugen sind. Die von den Eheleuten öffentlich bekundete Liebe ist ein heiliges Band, durch das sie Christi Liebe zu uns als seiner Kirche geschichtlich sichtbar werden lassen inmitten dieser Welt. So wächst dank der Ehe die christliche Gemeinschaft in den Kindern, die eine Frucht der Liebe sind und die, wenn sie den Glauben in der eigenen Familie atmen dürfen, die Zahl der Glieder des Leibes Christi mehren. Dann wird die Familie zur Hauskirche, zu dem wichtigsten Platz der Aufnahme eines wirklich gelebten und bezeugten Glaubens (vgl. unten Kap. 4).

Die Wechselwirkung zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung

78. Diese zusammenfassende Dartstellung der Wechselwirkungen zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung hat uns einige wichtige Aspekte unseres Themas erschlossen:

a) In der göttlichen Heilsordnung beginnt alles mit der zu unserem Heil erfolgten Selbstoffenbarung des trinitarischen Gottes. Diese Ordnung erreicht ihr Ziel in der Offenbarkeit des Vaters im Pascha des Sohnes und in der pfingstlichen Gabe des Heiligen Geistes. Diese Heilsereignisse dauern geistgewirkt in Raum und Zeit fort durch die Kirche und ihre Sakramente.

b) Die Selbstoffenbarung und Selbstmitteilung Gottes ist eine wesentlich sakramentale, weil die unsichtbare Gnade durch sichtbare Zeichen vermittelt wird. Und aufgenommen wird die sakramentale Offenbarkeit Gottes durch den Glauben.

c) Glaube ist persönliche Beziehung zum dreieinen Gott. Er antwortet der Gnade und also der wesentlich sakramental vermittelten Offenbarung. Deshalb ist Dialogizität für den Glauben wesentlich und konstitutiv. Der Glaube ist eine dynamische Realität, die das ganze Leben des Gläubigen bestimmt. Wie jede Beziehung, so kann auch der Glaube wachsen und sich vervollkommnen, aber auch schwach werden oder gar verloren gehen. Der gelebte Glaube trägt einen personalen und zugleich ekklesialen Charakter. Und da lebendiger Glaube schon ein persönliches Band zu dem trinitarischen Gott knüpft, ist Glaube bereits Heil und der Beginn des ewigen Lebens.

d) Gottes Heilshandeln findet sich auch außerhalb der sichtbar verfassten Kirche. Vordergründig scheint diese Tatsache gegen den sakramentalen Charakter der Heilsordnung zu sprechen. Doch bei näherer Betrachtung des göttlichen Heilshandelns wird deutlich: Wenn Gottes Heilswirken in Gestalt eines impliziten Glaubens auch außerhalb der Kirche Aufnahme findet, dann nicht trotz, sondern aufgrund der Sakramentalität von Heilsordnung und Kirche.<ref> Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Erklärung Dominus Iesus über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche (6. August 2000), 20–22: a. a. O., S. 38–43. Siehe auch Nr. 37 dieses Dokuments.</ref>

e) Unter verschiedenen Rücksichten bleibt zu beachten, dass die Feier der Sakramente stets von einem Glauben bestimmt sein muss, der die folgenden Dimensionen impliziert. Es muss sich um einen auf Gott gerichteten persönlichen Glauben handeln, der den Glauben der Kirche teilt, sich nach kirchlicher Zugehörigkeit sehnt und sich deshalb die kirchlichen Intentionen zu eigen macht, die mit der Feier der Sakramente verbunden sind. Dann ist die Feier der Sakramente gefeit gegen jeden sakramentalen Automatismus.

f) Der Glaube ist von Natur aus darauf angelegt, sich auszudrücken und also seine Sakramentalität zu potenzieren. Denn die sakramentale Struktur der Heilsordnung impliziert eine entsprechende Sakramentalität des Glaubens. Und der christliche Glaube an die rettende Kraft der Gnade Christi (an die „Ur-Sakramentalität“ des Erlösers) darf und kann nicht in irgendeinem Widerspruch zu der kirchlich (Kirche als „Grund-Sakrament“) vermittelten Gegenwart des Erlösers in Raum und Zeit (Geschichte) stehen.

Conclusio: Der dynamische Charakter von Glaube und Sakramentalität

79. Wir können diesen Teil unserer Ausführungen mit dem Blick auf einige Punkte beschließen, die sich aus dem dialogalen Charakter der sakramentalen Heilsordnung ergeben:

a) Der Glaube ist bestimmt durch seinen dialogischen Charakter als Antwort auf den trinitarischen Gott. Und damit wesentlich verbunden ist eine Wechselwirkung zwischen Glaube und Sakramenten. Denn der Glaube wird auf dem Weg des einzelnen Gläubigen auf verschiedene Weise geformt und ausgedrückt. Er wird begleitet von den Sakramenten, die die Kirche jedem Christen auf seinem irdischen Pilgerweg anbietet.

b) Sakramentalität ist für den christlichen Glauben konstitutiv. Deshalb kann man von einer „Konnaturalität“ von Glaube und Sakramenten sprechen. Eines der grundlegenden Charakteristika des Glaubens besteht darin, dass er sich sakramental zum Ausdruck bringt und auf diese Weise selber nährt, kräftigt, anreichert und bezeugt.

c) In der Sakramentalität des Glaubens vereinigen sich beide Dimensionen: die personal-subjektive und die ekklesial-objektive. Wo immer der persönliche Glaube intensiviert wird, nimmt auch seine Identifikation mit dem Glauben der Kirche zu. Diese Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten schließt die Möglichkeit aus, ein Sakrament unter völliger Absehung von dem zu feiern, was der Glaube der Kirche intendiert.

d) Die dem Glauben eigene Sakramentalität impliziert stets auch eine missionarische Dimension. Denn christlicher Glaube ist Eingestaltung des Gläubigen in die Dynamik der Heilsordnung; Glaube ist also auch Beauftragung des Gläubigen mit einer möglicherweise führenden Rolle, zu deren Ausfüllung ihn die entsprechende Gnade befähigt. Alle, die ein Sakrament empfangen, intensivieren – geistgewirkt – ihr Christsein, erneuern ihre Eingestaltung in die Kirche und vollziehen so den liturgischen Lobpreis Gottes, der seine guten Gaben durch die Sakramente austeilt. Von daher wird z. B. verständlich, dass die Empfänger des Taufsakramentes – auch wenn sie in erster Linie begnadet und hineingenommen werden in das Ostergeheimnis des Erlösers – doch zugleich auch aufgerufen sind, die empfangene Heilsgabe durch das eigene Leben in Gestalt des Lobpreises zu bezeugen, der aus dem Glauben mit der Kirche erwächst. Niemand empfängt die Sakramente ausschließlich für sich selbst, sondern auch, um die Kirche zu bezeugen und zu kräftigen, die Mittel und Werkzeug Christi ist (vgl. LG 1). Wer ein Sakrament der Kirche empfängt, muss glaubwürdiger Zeuge und wirksames Zeichen der Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit sein. Er muss der Welt Christus als das Heil und als das Sakrament schlechthin bezeugen. Dann wird wahr: Durch die Feier der Sakramente und durch ein diesen Feiern entsprechendes Leben der Gläubigen wird der Leib Christi gestärkt.

Die Wechselwirkungen zwischen Glaube und Sakramenten innerhalb der christlichen Initiation

80. [Einführung]. Bisher haben wir die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten in einer zweifachen Weise betrachtet: im Kontext der sakramentalen Heilsordnung und innerhalb der Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakramenten. Im Folgenden geht es um die besagte Reziprozität in Bezug auf die Sakramente der Initiation. Es geht darum, die getroffenen Begriffsanalysen und Einsichten fruchtbar zu machen für die Behandlung jedes der drei Initiationssakramente. Jedes Sakrament hat seine spezifische Eigenart, die es zu beachten gilt. Aber um deren Behandlung auf unsere zentrale Themafrage hin zu systematisieren, gehen wir jeweils in fünf Schritten vor, ohne deshalb die Besonderheiten jedes einzelnen Sakramentes auszuklammern. Diese fünf Schritte sind die folgenden: (1) die biblische Grundlegung; (2) das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Sakrament und dem für seinen Empfang erforderlichen Glauben; (3) Probleme, die sich gegenwärtig für die Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakrament stellen; (4) ausgewählte Momente der Tradition, insofern diese das Verhältnis von Glaube und Sakrament erhellen und in das Licht früherer Reflexionen über die Bedeutung des Glaubens für die Feier eines Sakramentes stellen; (5) theologische Vorschläge für eine Pastoral, die für die notwendige Beachtung des Glaubens bei der Feier jedes Sakramentes sorgt. Ausgehend von dem Problem der Unterscheidung zwischen Erwachsenenund Kindertaufe, haben wir das besagte Schema jedem behandelten Sakrament angepasst. Wir beginnen mit der Erwachsenentaufe und schließen ab mit der Behandlung der besonderen Anfragen an die Kindertaufe. Natürlich kann man jedes Sakrament viel umfassender behandeln. Hier geht es einfach nur darum, die Elemente herauszustreichen, die eine tragfähige Antwort jedes einzelnen Initiationssakramentes auf die Frage nach der Reziprozität zwischen Glaube und Sakrament ermöglichen.

Reziprozität zwischen Glaube und Taufe

Biblische Grundlegung

81. Nach der großen Predigt am Pfingstfest waren die Hörer „ins Herz getroffen“ und fragten Petrus und die anderen Apostel: „Was sollen wir tun, Brüder? Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. ... Die nun, die sein Wort annahmen, ließen sich taufen“ (Apg 2,37–38.41). Bekehrung und die Antwort jedes Einzelnen auf die Verkündigung des Evangeliums erscheinen hier untrennbar vom sakramentalen Ritus der Taufe, der verbunden ist mit verschiedenen wichtigen Aspekten des christlichen Lebens. Durch die Taufe nämlich nimmt der Gläubige teil am Pascha-Mysterium (vgl. Röm 8,1–11) – antizipativ dargestellt in der Taufe Christi und eingelöst durch das Geschehen von Leiden, Kreuz und Auferstehung (vgl. Mk 10,38; Lk 12,50); der Gläubige wird gleichsam mit Christus bekleidet, ihm verähnlicht und in ihn eingestaltet. So werden wir angenommen als Söhne und neu geschaffen. Genauso verstand der Apostel Paulus die Taufe:

„dass der Christ einer ,Gestalt der Lehre‘ (typos didachés) übergeben wurde, der er von Herzen gehorcht (vgl. Röm 6,17). In der Taufe erhält der Mensch auch eine zu bekennende Lehre und eine konkrete Lebensform, welche die Einbeziehung seiner ganzen Person erfordert und ihn auf den Weg zum Guten bringt. Er wird in einen neu en Bereich überführt, einem neuen Umfeld übergeben, einer neuen Weise des gemeinschaftlichen Handelns in der Kirche.“<ref> PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 41: a. a. O., S. 48–49.</ref>

Man wird also durch die Taufe auch in die Kirche eingestaltet, in den Leib Christi (vgl. 1 Kor 1,11–16; 12,13). Und man empfängt durch die Taufe die versprochene Gabe des Heiligen Geistes (Apg 1,5), die Vergebung der Sünden (Kol 2,12–13), die Rechtfertigung. Deshalb ist der Neugetaufte eine neue Schöpfung, ein neu Geborener (Joh 3,3–5); er gehört zu Christus und zur Kirche und ist befähigt, durch die Bezeugung seines neuen Lebens wahrhaft christlich zu leben.

Der Glaube und die Erwachsenentaufe

82. Die Taufe ist das Sakrament des Glaubens „par excellence“. Schon Mk 16,16 bindet den Empfang der Taufe an den Glauben: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet“. Der Taufbefehl am Schluss des Matthäusevangeliums (28,19) ist verbunden mit einer Taufformel, die die Kirche stets als eine Art Zusammenfassung ihres Trinitätsglaubens betrachtet hat. Und zugleich spiegelt der Taufritus die Unabdingbarkeit des entsprechenden Glaubens. In der gegenwärtigen Fassung des Ritus der Aufnahme in das Katechumenat bittet der Katechumene die Kirche um den Glauben, der „ewiges Leben“<ref> Ordo Christianae Initiationis Adultorum, § 75; vgl. ebd., § 247.</ref> schenkt. In der frühen Kirche wurde der Ritus der dreimaligen Eintauchung begleitet von Antworten auf Fragen nach dem entsprechenden Glauben.<ref> Traditio apostolica, 21 (SCh 11,50–51).</ref> Und heute sind die Formeln des „ich widersage“ und des „ich glaube“ konstitutiver Bestandteil des Taufritus. Die der Feier der Taufe vorausgehende Prüfung der Kandidaten unterstreicht den dialogischen Charakter des Ereignisses, zu dem das öffentliche Bekenntnis des Glaubens gehört. Dieses wird während des Katechumenates mit seinen verschiedenen Phasen vorsorglich befragt. Und der Empfang der Taufe ist gebunden an die Spendung durch einen ordinierten Diener der Kirche. Die Taufskrutinien sollen sicherstellen, dass der Täufling den Glauben der Kirche bejaht – wozu innerhalb des Katechumenates eine entsprechende Kenntnis der Glaubensinhalte, das Einverständnis mit den moralischen Normen und die erforderliche Gebetspraxis gehören. Weil die Taufe ein göttliches Geschenk ist, kann sich niemand das Sakrament selbst spenden. Wie der Glaube durch die Verkündigung und das Hören auf Gottes Wort empfangen wird, so sind auch die Sakramente ein Empfangen des göttlichen Gebens.

83. Der Christus eingestaltete Christ setzt seinen Glaubensweg fort, indem er den Heiligen Geist auch anlässlich der Feier anderer Sakramente oder Sakramentalien empfängt. Zwei Analogien können diesen Sachverhalt erhellen. Da ist zunächst das Adam von Gott geschenkte Einhauchen des Lebensatems (Gen 2,7). Es ist von kaum zu überschätzender Bedeutung, dass das gesamte öffentliche Wirken Jesu bestimmt ist vom Empfang des ihm vom Vater gesandten Geistes. Es ist der Heilige Geist, mit dem er bei der Taufe im Jordan gesalbt wird (Mk 1,10 u. ä.) und durch den er in die Wüste geführt wurde (Mk 1,12 u. ä.). Mit dem Heiligen Geist gesalbt worden zu sein, bekennt er in der Synagoge von Nazaret (Lk 4,16–21). Es ist der Heilige Geist, durch den er Dämonen austreibt (Mt 12,28), und es ist der Heilige Geist, den der Gekreuzigte „aushaucht“ (vgl. Mt 27,50; Lk 23, 46). Insgesamt kann Jesu gesamte Sendung – bezogen auf das Osterereignis – als eine Taufe beschrieben werden (vgl. Lk 12, 50). Und analog kann das Leben auch jedes Christen als fortschreitende Entfaltung der mit der Taufe verliehenen Initialgabe des Heiligen Geistes verstanden werden. Denn diese Gabe setzt eine Bewegung in Gang, die ihre Erfüllung in der jesusförmigen Übereignung des eigenen Lebens an den göttlichen Vater findet.

Pastorale Empfehlung: Der für die Taufe von Erwachsenen erforderliche Glaube

84. Wer die Taufe, das Sakrament des neuen Lebens in Christus<ref> Vgl. AUGUSTINUS, Sermo VIII in octava Paschatis ad infantes, 1 (PL 46, 838).</ref> und der Neugeburt, empfangen hat, beginnt einen neuen Weg, wird Mitglied der Kirche und tritt ein in die sakramentale Heilsordnung. In der frühen Kirche wurde diese Kehrtwende des Lebens sichtbar verleiblicht, indem die Getauften sich vom Westen zum Osten wandten. Westwärts gewandt sprachen sie ihre Absagen, ostwärts gewandt ihr Glaubensbekenntnis. Immer hat es die Forderung nach entsprechender Vorbereitung durch das Katechumenat oder andere Formen der Unterweisung gegeben; zugleich jedoch auch das Bewusstsein für den Initialcharakter des Glaubens der Getauften. Von daher muss dem der Taufe vorausgehenden katechumenalen Prozess eine ernste und ambitionierte Begleitung der Neugetauften folgen, damit sie den empfangenen Glauben an den trinitarischen Gott eigenverantwortlich und bewusst bekennen können und – dank der empfangenen Taufgnade – nach fortschreitender Erkenntnis und lebenspraktischer Vertiefung ihres Glaubens verlangen. Insofern die Taufe so etwas wie ein Eintrittstor ist, muss der von den Täuflingen verlangte Glaube nicht perfekt, aber als Initialzündung doch bereit sein, stetig zu wachsen.

85.‚ Weil das Katechumenat als integraler Bestandteil der Initiation zu verstehen ist, ist die Taufe kein Ritus, der sich als solcher verselbständigen kann. Im Gegenteil: Die Taufe verlangt um ihrer selbst willen eine Entfaltung im Leben der Getauften. Und umgekehrt: Auch der vom Täufling verlangte Glaube darf nicht isoliert betrachtet werden. Denn beides gehört zusammen: der rituell gefeierte Glaube und der Inhalt, der geglaubt wird.<ref> Vgl. BASILIUS DER GROßE, De Spiritu Sancto XI,27 (SCh 17bis, 340– 342).</ref> Das gilt auch für die postbaptismale Katechese oder jede weitere Phase einer speziell diesem Sakrament gewidmeten Unterweisung. Die Praxis der frühen Kirche spiegelt die Überzeugung, dass das wahre Verstehen der „mysteria“ erst nach deren Empfang erfolgt.<ref> CYRILL VON JERUSALEM, Catecheses mystagogicae I,1 (PG 33, 1065; SCh 126,84).</ref> Jedenfalls ist man niemals davon ausgegangen, dass das Verstehen von selbst geschieht; vielmehr wurden die Neugetauften durch „mystagogische Katechesen“ eingeführt in ein fortschreitend tieferes Erfassen der Sakramente.

86. [Im Lichte der Tradition]. Cyrill von Jerusalem besteht auf der Bekehrung des Herzens und spricht deshalb die Warnung aus: „Wenn deine Intention eine falsche bleibt ..., dann empfängst du Wasser, aber nicht den Heiligen Geist.“<ref> DERS., Procatech. Introd. n. 4 (PG 33, 340A).</ref> Erfordert ist nicht jene außergewöhnliche Glaubenskraft, die Berge versetzen kann, aber doch die glaubende Bejahung dieses kirchlichen Grundsatzes: „Du brauchst einen Glauben, der dein eigener ist, einen Glauben an Gott, um von ihm Gaben und Wirkungen zu empfangen, die der Mensch nicht machen kann.“<ref> DERS., Procatech. V,11 (PG 33, 520B).</ref> Der Glaube kann und muss wachsen; die Bereitschaft dazu gehört daher zu jeder ehrlichen Entscheidung, sich taufen zu lassen.<ref> DERS., Procatech. I,6; I,4 (PG 33, 377 und 373–376). Vgl. vor allem auch die Katechese des hl. Johannes Chrysostomos an die Neugetauften: Cat. 3/5, 2.15.21 (FC 6/2, 412–415, 424 ff., 428–431); Cat. 3/7, 16–25 (FC 6/2, 478–487). Dort wird gewarnt vor Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit.</ref>

87. Nach der Konstantinischen Wende ist das klassische Katechumenat mit seinem Anspruch und seinen verschiedenen Stufen allmählich verschwunden. Die Kirche musste sich neuen Bedingungen anpassen; näherhin einer sich christlich nennenden Gesellschaft. Sozialisation bedeutete in dieser Situation auch ein gewisses Maß an religiöser Sozialisation – in einem zumindest vergleichsweise ausgeprägteren Umfang als in der vorausliegenden Epoche. Die Notwendigkeit einer kirchlichen Gestalt des Glaubens blieb aber weiter akut (Stichwort: Taufpaten); die Notwendigkeit z. B. einer dem Sakramentenempfang vorausgehenden Grundunterweisung zur Sicherstellung einer verantwortungsbewussten und persönlichen Zustimmung. Lehrreich in diesem Zusammenhang ist ein Hinweis auf die Missionierung der Indios. Ungeachtet der Tatsache, dass es unterschiedliche Auffassungen gab und dass die zeitgenössische Theologie das Heil denkbar eng an den Empfang der Taufe band, setzte sich doch die Meinung durch, die Würde der Indios werde am besten garantiert durch die Beachtung des dialogischen Charakters der Sakramente.<ref> Vgl. PAPST PAUL III., Konstitution Altitudo divini consilii (1. Juni 1537).</ref> Dem entsprechend verfasste der Dominikaner Franciscus de Vitoria zusammen mit anderen Theologen eine Abhandlung zu der Frage einer angemessenen Taufvorbereitung der Christen des neuen Kontinents angesichts einer denkbar kleinen Zahl von Priestern, die für die Katechese zur Verfügung standen. Darin heißt es:

„Sie dürfen nicht getauft werden, bevor sie nicht hinreichend unterwiesen worden sind – nicht nur im Glauben, sondern auch in der christlichen Lebensführung; zumindest soweit die Kenntnis dieser Inhalte für den Empfang der Heilsgabe vonnöten ist. Sie dürfen nicht getauft werden, bevor nicht erwiesen ist, dass sie verstanden haben, was sie empfangen. Sie dürfen nicht getauft werden, bevor sie die der Taufe vorausgehenden Antworten geben und das mit der Taufe verbundene Bekenntnis ablegen und dem christlichen Glauben gemäß leben und Christen bleiben wollen.“<ref> Gutachten der Theologen der Universität von Salamanca zur Taufe der Indios, in: Collección de documentos inéditos, relativos al descubrimiento, conquista y colonización de las posesiones espaňolas en América y Oceania, t. III (Madrid 1865), 545; in voller Länge: 543–553.</ref>

88. [Vorschlag für die Pastoral]. Die Kirche ist immer bereit zur Taufe. Denn es ist eine Freude, wenn neue Gläubige das Geschenk der Rechtfertigung empfangen, in Christus eingestaltet werden und Ihn als ihren Retter erkennen, ihr Leben an Christus ausrichten, Mitglieder der Kirche werden und im Heiligen Geist Zeugnis ablegen von dem neuen Leben, mit dem sie beschenkt und erleuchtet worden sind. Doch wenn der persönliche Glaube fehlt, verliert der sakramentale Ritus seine Bedeutung. Die Gültigkeit der Sakramentenspendung ist gebunden an einen ordinierten Diener mit der entsprechenden Intention (vgl. §§ 65– 70). Und ohne ein Minimum an Glauben vonseiten des Taufbewerbers ist die unabdingbare Reziprozität zwischen Glaube und Sakrament nicht gegeben. Ohne den Glauben daran, dass die sichtbaren Zeichen (sacramentum tantum) die unsichtbare Gnade mitteilen (z. B. das Eintauchen ins Wasser den Übergang vom Tod zum Leben), vermitteln diese Zeichen nicht die von ihnen bezeichnete Wirklichkeit (res sacramenti): die Vergebung der Sünden; die Rechtfertigung; die geistgewirkte Wiedergeburt in Christus; den Eintritt in die Sohnschaft des Sohnes. Dann aber verkommt die Taufe zu einer bloßen gesellschaftlichen Konvention oder zu einem von heidnischen Elementen bestimmten Ritual.

89. Das besagte Minimum an Glauben steht für niemanden zur Disposition, der das Sakrament mit der Intention empfängt, sich den Glauben der Kirche anzueignen. Einige Elemente, die zu diesem Minimum an Glauben zählen, lassen sich ableiten aus dem Verlauf der Tauffeier:<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 42: a. a. O., S. 49–50.</ref> der Glaube an den dreieinen Gott von der Anrufung der drei Personen über dem Täufling; die Überzeugung, wiedergeboren zu werden in Christus, angesichts der symbolischen Untertauchung in das Wasser des Lebens;<ref> Vgl. Is 33,16 in der Epistula Barnabae 11,5 (SCh 172,162). Zitiert von PAPST FRANZISKUS in der Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 42: a. a. O., S. 49–50.</ref> die Geburt zu einem neuen Leben, symbolisch bezeichnet durch die Auflegung eines weißen Kleides; das Vertrauen in den Empfang des Lichtes Christi und die Bereitschaft, dieses zu bezeugen, symbolisch dargestellt durch den Empfang der an der Osterkerze entzündeten Taufkerze.

90. Gefordert sind Treue zur Lehre der Kirche, Liebe und pastorale Klugheit und – damit verbunden – auch Einfallsreichtum bei der Aufnahme und Gestaltung katechumenaler Wege. Wo – z. B. aus Angst, irgendwelchen Wünschen nicht zu entsprechen – zu wenig beachtet wird, was das Sakrament ist und bedeutet, fügt man der Sakramentalität von Glaube und Kirche Schaden zu. Die innere Einheit und die Kohärenz der Glaubensinhalte werden verletzt, wenn der wahre Glaube nicht intendiert und bewahrt wird. Gewiss, es ist nicht der Glaube des Empfängers, der die vom Sakrament vermittelte Gnade bewirkt. Aber er ist konstitutiv für die Vorbereitung eines fruchtbaren Sakramentenempfangs. Wenn jede Art von Glauben fehlt, sollte man nicht meinen, dass das unabdingbare Minimum auch noch von einer Disposition gewahrt bleibt, die – auf niedrigstem Niveau – lediglich kein Hindernis entgegenstellt.<ref> KONZIL VON TRIENT, 7. Sitzung. Dekret über die Sakramente, can. 6 (DH 1606). Vgl. Anm. 82.</ref> Wenn das besagte Minimum an Glauben fehlt, kann das Geschenk Gottes, das die getaufte Person zu einem lebendigen „Sakrament“ bzw. zu einem Brief Christi (vgl. 2 Kor 3,3) macht, nicht die entsprechenden Früchte zeitigen. Andererseits: Wer Christus als den Herrn und Retter bekennt, wird nicht zögern, ihm so nahe zu kommen wie möglich, nämlich durch den Empfang des Sakramentes, das ihm den Kern des christlichen Heilsmysteriums, nämlich das Geschenk des Ostereignisses, vermittelt.

Glaube und Kindertaufe

91. Die Praxis der Kindertaufe lässt sich schon in den frühesten Zeiten der Kirche nachweisen.<ref> Vgl. IRENÄUS, Adv. Haer. II,22.4 (SCh 294,220); ORIGENES, In Rom. V,9 (PG 14.1047); CYPRIAN, Epist. 64 (CSEL 3.717–721); AUGUSTINUS, De Genesi ad lit. X,23,39 (PL 34,426); De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum I,26,39 (PL 44,131). Siehe auch: KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Instruktion über die Kindertaufe Pastoralis actio (20. Oktober 1980): AAS 72 (1980), 1137–1156.</ref> Sie gründet in dem Wunsch der Eltern, dass ihre Kinder an der sakramentalen Gnade Anteil erhalten, in Christus und die Kirche eingestaltet werden und so auf ähnliche Weise wie die Kinder einer Familie auch Mitglieder der Gottesgemeinschaft werden. Denn die Taufe ist ein wirksames Mittel des Heils, verbunden mit der Vergebung der Sünden einschließlich der Erbsünde und dem Geschenk der rechtfertigenden Gnade. Ein Kind entscheidet sich nicht wissentlich für seine Mitgliedschaft in seiner natürlichen Familie; es ist auch nicht in einer Weise stolz auf diese Mitgliedschaft, wie dies nicht selten im Rahmen von Initiationsriten wie der Beschneidung z. B. im Judentum der Fall ist. Wenn die Sozialisation eines Kindes in ordentlichen Bahnen verläuft, wird es im Jugendoder Erwachsenenalter dankbar für sie sein. Die Praxis der Kindertaufe veranschaulicht die Tatsache, dass der Glaube, in dem wir getauft wurden, der Glaube der Kirche ist; und dass unser Hineinwachsen in diesen Glauben Eingestaltung in das „Wir“ einer Gemeinschaft ist.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 43: a. a. O., S. 50–51.</ref> Die Feier der Taufe macht dies feierlich deutlich, wenn im Anschluss an das Glaubensbekenntnis die Worte proklamiert werden: „Das ist unser Glaube, der Glaube der Kirche, zu dem wir uns alle in Christus Jesus bekennen.“<ref> Die Feier der Kindertaufe (Freiburg 1971), 42, 66.</ref> Bei diesem Anlass fungieren die Eltern als Repräsentanten der Kirche, die deren Kinder in ihrer Mitte willkommen heißt.<ref> „Sicut pueri in maternis uteris constituti non per seipsos nutrimentum accipiunt, sed ex nutrimento matris sustentantur, ita etiam pueri non habentes usum rationis, quasi in utero matris Ecclesiae constituti, non per seipsos, sed per actum Ecclesiae salutem suscipiunt“ (THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 68 a. 9 ad 1).</ref> So gesehen ist die Kindertaufe gerechtfertigt durch die Verantwortung, die Eltern und Paten für die Glaubenserziehung in ähnlicher Weise übernehmen wie für die Erziehung in allen anderen Lebensbereichen.

Pastorale Empfehlung betreffs der Kindertaufe

92. Viele Familien leben ihren Glauben und geben ihn weiter an ihre Kinder auf explizite oder implizite Weise. Nachdem ihre Kinder traditionsgemäß schon kurz nach der Geburt getauft wurden, erziehen sie ihre Kinder im Glauben. Doch diese Tradition steht vielfach auf dem Prüfstand. Vielerorts ist die Zahl der Taufen drastisch gesunken. Selbst in Ländern mit großer christlicher Tradition ist es nicht ungewöhnlich, dass sich bei der Vorbereitung von Kindern auf die Erstkommunion herausstellt, dass sie noch gar nicht getauft sind. Häufig erbitten Eltern die Taufe ihrer Kinder aus Gründen der Konvention oder auf Druck der Familie. Sie selbst nehmen nicht teil am Leben der Kirche und lassen deshalb ernstlich zweifeln an ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, in Zukunft für die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu sorgen.

93. [Im Lichte der Tradition]. Die Kirche hat die Legitimität der Kindertaufe durchgängig gegen schon in der frühen Kirche und immer wieder geäußerte Kritik verteidigt. Schon sehr früh ist die Taufe ganzer Familien bezeugt (Apg 16,15; 33). Die Tradition der Kindertaufe ist daher denkbar alt. Sie wird schon von der Traditio apostolica bezeugt.<ref> Traditio apostolica, 21 (SCh 11.49).</ref> Eine in Karthago abgehaltene Synode aus dem Jahre 252 verteidigt ihre Praxis.<ref> Vgl. CYPRIAN, Epistula 64,2–6 (CSEL 3/2, 718–721).</ref> Und Tertullians bekannte Invektiven gegen die Kindertaufe lassen sich nur durch eine weit verbreitete Gewohnheit erklären.<ref> Vgl. TERTULLIAN, De baptismo 18,4-6 (CCSL 1,293; SCh 35,92–93).</ref> Die entsprechende Praxis war immer gebunden an in der Kirche beheimatete Personen, die den Kindern nahestanden (Eltern, Paten) und sich bereit erklärten, in der Zeit, in der sie erzogen wurden, für deren Glaubenserziehung zu sorgen. Und in dem Maße, in dem die Kindertaufe zur unhinterfragten Regel wurde, kam es auch zur Anmahnung einer postbaptismalen Katechese mit dem Ziel, durch Glaubensunterweisung der Getauften so weit wie möglich eine Entfremdung oder Distanzierung vom Glauben zu vermeiden.<ref> Vgl. ISIDOR VON SEVILLA, De Ecclesiasticis Officiis II,21–27; THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 10 a. 12.</ref> Ohne eine den Glauben der Kirche repräsentierende Instanz würde der Taufe, die ja Sakrament eines wesentlich dialogisch bestimmten Glaubens ist, eines ihrer Konstitutiva fehlen.

94. [Hinweis für die Pastoral]. Kindertaufe setzt die begründete Hoffnung auf Erziehung im Glauben voraus – mit Blick auf Erwachsene, die sich dafür verantwortlich erklären. Ohne diese Hoffnung auf eine zukünftige Glaubenserziehung ist die Minimalbedingung für einen sinnvollen Empfang der Taufe durch unmündige Kinder nicht mehr gegeben.<ref> Vgl. KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Instruktion über die Kindertaufe Pastoralis actio (20. Oktober 1980): 15 und 28, n. 2: AAS 72 (1980), 1144–1145 und 1151.</ref>

Reziprozität zwischen Glaube und Firmsakrament

Biblische und historische Grundlegung

95. [Biblische Grundlegung]. Wie das Sakrament der Taufe, so gründet auch das Sakrament der Firmung in der Heiligen Schrift. Der Heilige Geist nimmt gleichsam die Schlüsselrolle ein in Leben und Sendung Jesu (vgl. § 83). Und er ist auch von zentraler Bedeutung für das Leben eines jeden Christen. Die Jünger Jesu müssen mit der „Kraft von oben“ (vgl. Lk 24,46–49; Apg 1,4–5; 8) bekleidet werden, bevor sie Zeugen des Auferstandenen werden. Aus der Apostelgeschichte wissen wir, dass der Heilige Geist auf die Jünger herabkam (Apg 2,1–11) und auch auf viele andere, einschließlich der Heiden (Apg 10,45), die so zu Verkündern und Zeugen Christi und seines Evangeliums wurden (Apg 2,43; 5,12; 6,8; 14,3; 15,12; vgl. Röm 15,13). Der versprochene Paraklet (Joh 14,16; 15,26; 16,7) hilft den Jüngern, ihr Glaubensleben zu entfalten und inmitten der Welt Zeugen zu sein. Zuweilen wird unterschieden zwischen dem Empfang der Taufe und einer nachfolgenden Ausgießung des Heiligen Geistes, die damit verbunden ist, dass die Apostel ihre Hände denen auflegen, die schon aus dem Glauben leben (vgl. Apg 8,14–17; 19,5–6; Hebr 6,2). So wie wir das Osterereignis vom Pfingstereignis unterscheiden können, so gibt es im Leben der in die sakramentale Heilsordnung eingetretenen Christen zwei unterschiedliche, aber zuinnerst miteinander verbundene Ereignisse: die Taufe, die in das Ostergeschehen eingestaltet, und die Firmung, die mit ihrem direkten Bezug auf das Pfingstereignis den Empfang des Heiligen Geistes als vollendende Eingestaltung in die Sendung der Kirche feiert. Wenn Erwachsene die Initiationssakramente empfangen, werden beide Ereignisse in einer einzigen Feier vereint.

96. [Historische Grundlegung]. Schon in der frühen Kirche haben sich postbaptismale Riten durchgesetzt, die nicht immer klar abgehoben sind von der Taufe als solcher, wie die Handauflegung, die Salbung mit Chrisam und die Bezeichnung mit dem Kreuzzeichen.<ref> Vgl. Traditio apostolica, 22 (SCh 11,52–53).</ref> Die Kirche hat stets daran festgehalten, dass diese postbaptismalen Riten zur Vollständigkeit der christlichen Initiation gehören. Im Laufe der Geschichte und mit der fortschreitenden Ausbreitung des Christentums hat der Osten die konsekutive Einheit von Taufe, postbaptismaler Salbung mit Chrisam und erstem Empfang der Eucharistie bewahrt; der Priester spendet dann alle drei Sakramente, während nur die Segnung der heiligen Öle dem Bischof vorbehalten bleibt. Im Westen hingegen wurde auch die postbaptismale Salbung mit Chrisam ein genuin bischöfliches Reservat.<ref> Vgl. PAPST INNOZENZ I., Brief an Bischof Decentius von Gubbio (19. März 416), (DH 215).</ref> Über Jahrhunderte – bis zu der von Papst Pius X. 1910 dekretierten Änderung<ref> KONGREGATION FÜR DIE SAKRAMENTE, Dekret Quam singulari (8. August 1910): AAS 2 (1910), 582–583 (DH 3530 f.).</ref> – wurde das Sakrament der Firmung anlässlich der bischöflichen Visitation vor dem ersten Empfang der Eucharistie gespendet. Schon zu Beginn des vierten Jahrhunderts bezeugt die Synode von Elvira (ca. 302) den Unterschied und zeitlichen Abstand zwischen dem Empfang der Taufe und dem Empfang der Firmung.<ref> SYNODE VON ELVIRA, can. 77 (DH 121).</ref>

Glaube und Firmsakrament

97. In der Feier der Firmung werden die Absage-Formeln wiederholt und das Glaubensbekenntnis der Taufe erneuert. So wird deutlich, dass die Taufe der Firmung vorausgeht und die Firmung in Kontinuität zur Taufe steht. Die Firmung ist auf doppelte Weise Ausdruck des Glaubens. Da ist zunächst der Anspruch einer der besonderen Begabung mit dem Heiligen Geist (LG 11) entsprechenden Verbindlichkeit, wie sie sich in der rituellen Zusage ausdrückt: „N., sei besiegelt mit der Gabe des Heiligen Geistes!“<ref>Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, §§ 1294–1296.</ref> Und zweitens bedeutet die Firmung eine engere Bindung an die Kirche (ebd.). Durch die Firmung wird die Ekklesialität des Glaubens gestärkt. Gemeint ist die Stärkung des Taufglaubens in mehrfacher Hinsicht. Der Glaube wird stärker ausgerichtet auf die öffentliche Bezeugung des Glaubens der Kirche; es geht um mehr Überzeugungskraft und Identifikation mit der Kirche; um einen Glauben, der durch verstärktes Engagement der Gabe des Heiligen Geistes entspricht, die auf den baptismalen Empfang des Heiligen Geistes folgt. Damit sind die Kriterien eines Glaubens genannt, der im Vergleich zu dem für den Taufempfang erforderlichen Initialglauben gewachsen und gereift ist. Ohne die Erfüllung der genannten Kriterien läuft der Glaube Gefahr, in einem veräußerlichten Ritus zu ersticken.

98. Die Anwesenheit des Bischofs als des originären Spenders der Firmung (LG 26) unterstreicht in besonderer Weise den ekklesialen Charakter des Firmsakramentes. Der vom Heiligen Geist gewirkten Einheit entspricht die Einheit des Gefirmten mit der Kirche. Jede Teilhabe an der geistgewirkten „confirmatio“ ist Zeichen und Mittel der kirchlichen „Communio“. Die vom Ortsbischof gefeierte Firmung stärkt das geistliche Band zwischen dem Ortsbischof und seiner Ortskirche. Indem der Empfänger der Firmung beiträgt zum Aufbau des Leibes Christi (vgl. Eph 4,12; 1 Kor 12), wird er der Kirche eingestaltet. Kurzum: Die Firmung stärkt das mit der Taufe begonnene Leben in und aus Christus. Dem Pfingstereignis entsprechend wird der Empfänger der Firmung durch die erneute Gabe des Heiligen Geistes besser als bisher befähigt, Zeuge des empfangenen Glaubens zu sein.

Aktuelle Probleme

99. Die im Westen übliche Gestaltung des Firmsakramentes beruht eher auf historisch und pastoral bestimmten Umständen als auf einer theologischen Begründung der Eigenart dieses Sakramentes. Innerhalb der Initiation von Erwachsenen wurde die ursprüngliche und – theologisch gesehen – konsistentere Abfolge beibehalten: Taufe, Firmung und Eucharistie. Gewiss, die Spendung des Firmsakramentes bietet die Möglichkeit zur Fortsetzung der Glaubensunterweisung, der vertieften Eingestaltung in die Kirche und der personalen Aneignung der vormals durch Eltern und Paten stellvertretend für ihr Kind getroffenen Entscheidung. Aber deshalb kann man von der Firmvorbereitung nicht erwarten, dass sie die der Jugendpastoral begegnenden Schwierigkeiten und die Abneigung vieler junger (als Kinder getaufter) Menschen gegen die Institution Kirche und deren Glaubensbekenntnis überwinden kann. Wenngleich es im Kontext der Firmvorbereitung lobenswerte Anstrengungen gibt und zuweilen auch die Frucht eines neu erschlossenen, bewussteren und durch aktive Zugehörigkeit ausgewiesenen Glaubens, erleben Jugendliche ihre Firmung nicht selten wie einen Abschluss ihrer allgemeinen Ausbildung – nach dem Motto: „Wenn man das entsprechende Testat erhalten hat, muss man nicht mehr in die Klassenräume zurückkehren.“ Viele verstehen die Firmung auch ganz simpel als Zugangsbedingung z. B. für die Zulassung zum späteren Empfang des Ehesakramentes; so verkennen sie die Eigenart des Firmsakramentes, dessen Bedeutung vielen Gläubigen entschwunden ist.

Pastorale Empfehlung: Der für den Empfang der Firmung erforderliche Glaube

100. Was die Bedeutung und das theologische Profil der Taufe betrifft, kann man von einer bemerkenswerten Konstanz sprechen. Aber die nun schon sehr lange praktizierte Verschiebung der Firmung hinter den Empfang der Eucharistie hat es erschwert, deren Bedeutung für die christliche Initiation angemessen zu würdigen; und das, obwohl die Firmung als Sakrament des Heiligen Geistes und der Kirche elementar ist für die Initiation. Eine missionarische Kirche setzt gefirmte Christen voraus, die kraft des empfangenen Geistes im Vollsinn Verantwortung für ihren Glauben übernehmen. Ein Christ, der diesen Namen verdient, will Sakrament Christi sein. Wer wirklich Christ sein will, will der Kirche eingestaltet werden und bittet deshalb um die durch Chrisamsalbung und Handauflegung vermittelte Gabe des Heiligen Geistes, falls er diese nicht schon mit der Taufe zusammen empfangen hat. Wie Christus mit dem Heiligen Geist gesalbt wurde, als er dem Jordanwasser entstieg, so realisiert der in der Taufe Christus eingestaltete Christ seinen Glaubensweg im Heiligen Geist – gestärkt durch das Sakrament der Firmung.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, §§ 1285.1294.</ref>

101. Im Falle der Erwachsenen-Initiation ist der für den Empfang des Firmsakramentes vorausgesetzte Glaube derselbe, der für den Empfang der Taufe erforderlich ist. Im Falle eines zeitlichen Abstandes zwischen dem Empfang beider Sakramente muss der Taufglaube in mehrfacher Hinsicht gereift sein. Die persönliche Aneignung des Glaubens der Kirche und das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu ihr müssen gewachsen sein. Und damit müssen verbunden sein ein tieferes Glaubenswissen, die Befähigung, Rechenschaft über die Gründe des Glaubens zu geben, und eine dem Glauben angemessene Lebensweise. Und es muss auch eine persönliche Beziehung zu dem trinitarischen Gott im Gebet erkennbar sein. Zunehmende Entschiedenheit ist das Kennzeichen eines Lebens, das in der Kirche den Weg der Nachfolge Christi geht. Der Empfang des Firmsakramentes schließt den Wunsch und die Entscheidung ein, diesen Weg fortzusetzen und durch die vom Heiligen Geist ermöglichte „Unterscheidung der Geister“ die Berufung zur je eigenen Nachfolge und Bezeugung Jesu zu entdecken. Der Schlüssel zu dieser Entdeckung ist eine tiefe persönliche Gebetsbeziehung zum Herrn; denn sie ermöglicht Zeugenschaft, Zugehörigkeit zur Kirche und eine gewissenhafte sakramentale Praxis. Wie die sakramentale Heilsordnung ihren Abschluss nicht mit dem Oster-, sondern mit dem Pfingstfest findet, so schließt die christliche Initiation nicht mit der Taufe. Wie es eine vom Gebet bestimmte (vgl. Apg 1,14) Phase des Wartens und der Vorbereitung auf die Gabe des Heiligen Geistes gab, so bietet eine angemessene Firmkatechese – unter Einbeziehung auch anderer Gelegenheiten der Glaubensunterweisung und ethischen Formung – die Möglichkeit der Vermittlung einer intensiveren und persönlicheren Gebetsbeziehung zu Jesus Christus.

Reziprozität zwischen dem Glauben und dem Sakrament der Eucharistie

Biblische Grundlegung

102. Das letzte Abendmahl (Mt 26,26–29; Mk 14,22–26; Lk 22, 14–23; 1 Kor 11,23–26) ist stets als Einsetzung der Eucharistie betrachtet worden. Hinzu kommen Begebenheiten, die von der Kirche mit der Eucharistie in Beziehung gesetzt wurden: Die Brotvermehrung (Mk 6,30–44; ähnlich 8,1–10; ähnlich Joh 6,1– 14); Pauli Mahnrede an die Gemeinde von Korinth (1 Kor 10– 11) oder die Szene, die die Begegnung der Emmausjünger mit dem Auferstandenen abschließt (Lk 24,30–31.35). Wo immer Christen sich versammeln und also Kirche ist, da wurde treu der Aufforderung „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11,24; vgl. 25; Lk 22,19) von Anfang an (z. B. Apg 2,42.46; 20,7; 27, 35) bis heute die Eucharistie gefeiert. Denn sie ist das Gedächtnis des Leidens und der Auferstehung des Herrn, bis er wiederkommt; sie ist seine rettende Gabe „für viele“, für alle (vgl. Röm 5,18–19; 8,32).

103. Beim letzten Abendmahl resümiert der Herr die Bedeutung seines ganzen Lebens, seines bevorstehenden Todes und seiner Auferstehung in Gestalt einer Gedächtnisfeier, die er seinen Jüngern als eminentes Zeichen seiner Liebe hinterlässt. Das Abendmahlsgeschehen ist als sakramentale Vergegenwärtigung des Leidens und der Auferstehung Christi ein Ereignis von äußerster Dichte. In der Eucharistie feiert die Kirche die kommemorative Aktualpräsenz des für uns alle dem Vater dargebrachten Opfers. In der Eucharistie wird der dem Vater durch, mit und in Christus<ref> Doxologie, die das Eucharistische Hochgebet abschließt. Vgl. z. B. Missale Romanum, 3. Editio typica, §§ 119.127.136.144.</ref> dargebrachte Dank durch das Wirken des Heiligen Geistes Gegenwart. So vereinigt sich die Kirche mit Christus, schließt sich ihm an und wird sein Leib. Von daher konnte man mit Recht sagen, dass die Kirche sich aus der Eucharistie empfängt.<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche (17. April 2003), bes. 1 und 21–25: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 159 (Bonn 2003), S. 5 und 21–25.</ref> Weil die Eucharistie das enthält, was das Leben Christi und das Leben des Christen ausmacht, ist sie beides: die Quelle und der Höhepunkt des christlichen Lebens (SC 10; LG 11).

Der Glaube und die Eucharistie

104. [Trinitarischer Glaube]. Jede Eucharistiefeier beginnt „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“; mit einer Erinnerung der Taufformel und also mit dem Trinitätsglauben, der die ganze Feier durchzieht und begleitet. „Der Hauptinhalt des eucharistischen Glaubens ist das Mysterium Gottes selbst, die trinitarische Liebe.“<ref> PAPST BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum Caritatis über die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche (22. Februar 2007), 7: a. a. O., S. 16.</ref> Denn in der Eucharistie treten wir ein in die Gemeinschaft mit der Liebe des trinitarischen Gottes. Es war der denkbar größte Beweis seiner Liebe, dass der Vater den Sohn zu unserer Rettung dahingab, der sich dann seinerseits hingab in „der Kraft des Heiligen Geistes“ (vgl. Hebr 9,14). In der Eucharistie gewinnen wir Anteil an diesem das Innerste Gottes bestimmenden Liebesgeschehen. Wenn die Doxologie, in der das Hochgebet gipfelt, feierlich proklamiert wird, preisen wir den trinitarischen Gott auf höchstmögliche Weise durch Christus in der Einheit des Heiligen Geistes. Durch den Lobpreis, der das persönliche Zeugnis des eigenen Lebens einschließt, erfolgt der Dank an den Vater für die Hingabe des Sohnes und die Hingabe des Heiligen Geistes an uns.

105. [Einheit von Glaube und Liebe]. Der an den Beginn der Eucharistiefeier gestellte Bußakt bringt zum Ausdruck, warum jeder ehrlich Glaubende weiß, dass er der Vergebung seiner Sünden und der Versöhnung mit Gott und seinen Brüdern und Schwestern bedarf, bevor er eintritt in die „Communio“ mit Gott. Zudem unterstreicht der Bußakt die Untrennbarkeit der vertikalen (anamnetisch vergegenwärtigten) „Communio“ mit Christus von der horizontalen „Communio“ mit den Mitchristen und letztlich allen Menschen. Wahrhaft eucharistischer Glaube ist immer ein durch Liebe tätiger Glaube (vgl. Gal 5,6). In der Eucharistie „[sind] Gottesliebe und Nächstenliebe nun wirklich vereint: Der fleischgewordene Gott zieht uns alle an sich. Von da versteht es sich, dass Agape nun auch eine Bezeichnung der Eucharistie wird: In ihr kommt die Agape Gottes leibhaft zu uns, um in uns und durch uns weiterzuwirken.“<ref> PAPST BENEDIKT XVI., Enzyklika Deus caritas est von Papst Benedikt XVI. über die christliche Liebe (25. Dezember 2006), 14: a. a. O., S. 22. Vgl. DERS., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum Caritatis über die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche (22. Februar 2007), bes. 88–89: a. a. O., S. 116–119.</ref>

106. [Glaube als Antwort an das Wort Gottes]. Seit dem 11. Jahrhundert ist dasselbe Glaubensbekenntnis, mit dem der Taufritus seinen Abschluss findet, fester Bestandteil der Eucharistiefeier an Sonnund Feiertagen. Dieses Bekenntnis des Glaubens ist Antwort an das Wort Gottes und zugleich Ausdruck der Bekenntniseinheit der Gläubigen. Wenn das Wort Gottes verkündigt wird, hören wir kraft des Glaubens die Stimme Christi.<ref> „Cum sacrae Scripturae in Ecclesia leguntur, Deus ipse ad populum suum loquitur et Christus, prsesens in verrbo suo, Evangelium annuntiat“ (Institutio Generalis Missalis Romani, in: Missale Romanum, Editio typica 1971, § 9, S. 29).</ref> So wird auch die prophetische Dimension des Glaubens offenbar. Es geht um das Wort, das die Macht hat, die Welt zu verändern, wenn es inmitten der Eucharistiefeier in den dargereichten Gaben und in der feiernden Gemeinde Ereignis wird. Das ist der Beginn der eschatologischen Verwandlung, deren Antizipation die Kirche als der Leib Christi ist.

107. [Die pneumatische Dimension des Glaubens]. In jeder Eucharistiefeier offensichtlich ist der pneumatische Charakter des Sakramentes. Im lateinischen Ritus, wie er zurzeit zelebriert wird, gibt es eine zweifache Epiklese. Die erste erfolgt über den Gaben, die verwandelt werden in den für uns hingegebenen Leib und in das für uns vergossene Blut Jesu Christi. Die zweite Epiklese erfolgt über der versammelten Gemeinde, die durch ihren Eintritt in die Gemeinschaft mit allen Heiligen auf ihre Weise auch „Leib Christi“ wird. Diese Gemeinschaft ist schon Gegenwart in dem feierlichen Gesang des „Sanctus“, in dem sich die Stimmen des Himmels mit denen der Erde zum gemeinsamen Lobpreis vereinigen. Von daher nehmen wir in der eucharistischen Liturgie teil an der himmlischen Liturgie (vgl. SC 8). Folglich spielt die pneumatische Dimension des kirchlichen Glaubens in der Eucharistie eine zentrale Rolle. Denn sie stellt jene Macht ins Licht, kraft derer der Heilige Geist beide Wirklichkeiten verwandelt: die Gläubigen und die Welt insgesamt. Er erhebt sie und führt sie so in die Gemeinschaft des himmlischen Lobpreises.

108. [Glaube als Verehrung des Mysteriums]. Nach den Konsekrationsworten ruft der Zelebrant: „Mysterium Fidei“<ref> Canon romanus, in: Missale Romanum, Editio typica 1971, § 112. – Siehe auch den Kommentar von PAPST BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum Caritatis über die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche (22. Februar 2007), 6: a. a. O., S. 15–16.</ref> („Geheimnis des Glaubens“). Diese feierliche Akklamation ist Bekenntnis und Ansage zugleich und auch eine an alle Anwesenden gerichtete Einladung. Von daher ist die Eucharistie ein Mysterium, das ohne Glauben weder verstanden noch gefeiert werden kann. Die Akklamation gilt der sakramental gefeierten Wirklichkeit. Denn dass Brot und Wein Leib und Blut Christi geworden sind, ist wahrhaft ein Mysterium des Glaubens. So wie nur die Augen des Glaubens Jesus von Nazaret als den Messias Gottes entdecken konnten, so können nur die Augen des Glaubens die sakramentale Gegenwart Jesu Christi wahrnehmen.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 76 a. 7. Der bekannte Hymnus Adoro te devote. Hier ein Beispiel: „In cruce latébat sola Déitas, / At hic látet simul et humánitas; / Ambo támen crédens átque cónfitens, / Peto quod petívit latro pœnitens“ (Rituale Romanum de sacra communione et de cultu mysterii eucaristici extra missam (Città del Vaticano 1973), § 198, S. 61–62).</ref> Das Geheimnis Christi wird durch Offenbarung erkannt (vgl. 1 Kor 2,7–11; Kol 1,26–27; 2,2; Eph 1,9; 3,3.9).

109. [Glaube als Anerkennung der sakramentalen Heilsordnung]. Während der Rezitation des eucharistischen Hochgebetes werden die großen Ereignisse der sakramentalen Heilsordnung dankend und bittend erinnert: angefangen von der Schöpfung bis hin zur eschatologischen Vollendung. Besonders erinnern wir die Selbstgabe Christi am Kreuz, seine Auferstehung und die Erklärung, mit der der Herr selbst seinen Erlösertod im Rahmen des letzten Abendmahles gedeutet hat. Durch die eucharistische Liturgie wird unser Glaube an die Heilsordnung in ihrer Gesamtheit erneuert und gestärkt.

110. [Die eschatologische Dimension des Glaubens]. In der sakramentalen Feier des Geheimnisses werden die Vergangenheit (die Erinnerung an das, was geschehen ist), die Gegenwart (die Vergegenwärtigung und Aktualisierung dessen, was geschehen ist) und die Zukunft (die Antizipation der Vollendung, die wir erwarten) vereint.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 44: a. a. O., S. 51. – Eine berühmt gewordene Antiphon bringt dies wunderbar zum Ausdruck: „O sacrum convivium in quo Christus sumitur: recolitur memoria passionis eius: mens impletur gratia: et futurae gloriae nobis pignus datur“ (Ad Magnificat antiphona. Ad II Vesperas Sanctissimi Corporis et Sanguinis Christi, in: Liturgia Horarum iuxta ritum romanum, vol. III. Tempus per annum. Hebdomadae I–XVII, (Città del Vaticano 2000), 54).</ref> Die eschatologische Vollendung hat mit der Fleischwerdung des Logos, mit dem Leben, Sterben und Auferstehen des Erlösers schon begonnen; und sie verwirklicht sich durch die Verchristlichung der Versammlung und der Welt, in der die Eucharistie gefeiert wird.

111. [Der Glaube und die „Communio“ mit Christus]. Die hl. Kommunion bedeutet, wie der Name schon sagt, innerste Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist – was ohne entsprechenden Glauben unmöglich ist. Man kann nicht zuinnerst mit jemandem kommunizieren, wenn man ihn nicht kennt oder nicht kennenlernen will. Der Glaube, der mit dem Wort „Amen“ den eucharistischen Gebegesten antwortet, ist an die Bereitschaft gebunden, das Sakrament nicht nur zu empfangen, sondern auch existenziell darzustellen. Die Kommunion mit Christus impliziert die persönliche Heiligung des Christen und also seine Lebensgemeinschaft mit Christus. Diese Heiligung ist immer auch so etwas wie eine Sendung.

112. [Der missionarische Charakter des Glaubens]. Der Sendungsruf „Ite missa est“,<ref> Missale Romanum, Editio typica 1971, 476.</ref> mit dem die Eucharistiefeier endet, setzt voraus, dass der Teilnehmer in gewisser Weise als Missionar in sein normales Leben zurückkehrt; dass er dort das im Sakrament empfangene Leben bezeugt und in der Nachfolge Christi auf seine Weise ein eucharistisches Geschenk an die Welt wird. Denn die Eucharistie ist in der Tat nicht nur das Selbstopfer Jesu Christi, sondern jeder Gläubige, der an der Eucharistie teilnimmt, opfert sich zusammen mit Christus (vgl. SC 48; LG 11; Röm 12,1). Das persönliche Sich-hineinnehmen-Lassen in das Opfer Christi, die Annahme des eigenen Gesandtseins und dessen Verwirklichung sind nur möglich unter Voraussetzung eines entsprechenden Glaubens. Alles, was der gläubige Christ im Sakrament empfängt – die Vergebung seiner Sünden, die Erneuerung seiner Taufe, das ihm in der Predigt zugesagte Wort, die Kommunion mit Christus und die geistgewirkte Eingestaltung in den Leib Christi – bedeutet immer auch eine Stärkung, die ihn hier und jetzt befähigt, Christ zu sein, den Glauben inmitten der Welt zu bezeugen und die Wirklichkeit nach dem Willen Gottes zu gestalten. Kurzum: Nach dem Ereignis der vom Vater ausgehenden, durch den Sohn vermittelten und im Heiligen Geist empfangenen Gabe der Eucharistie wird der Christ am Ende jeder Eucharistiefeier ausdrücklich mit einer Mission beauftragt.

113. [Die Stärkung des persönlichen Glaubens]. Der Glaube des einzelnen Gläubigen wird durch die innerste Gemeinschaft mit Christus in der Eucharistie bereichert und gestärkt. Und aufgrund seiner Eingestaltung in den sichtbaren Leib Christi wird auch die Kirchlichkeit jedes Eucharistieteilnehmers aktualisiert und intensiviert. Die Eingestaltung in den Leib Christi ist derart, dass Augustinus den Gläubigen sagt: „Wenn ihr Glieder des Leibes Christi seid, dann liegt euer eigenes Geheimnis auf dem Altar des Herrn. ... Also sollt ihr sein, was ihr seht und empfangen, was ihr seid.“<ref> „Si ergo vos estis corpus Christi et membra, mysterium vestrum in mensa Dominica positum est ... Estote quod videtis, et accipite quod estis“ (AUGUSTINUS, Sermo 272; PL 38, 1247–1248).</ref> Kurzum: Glaubend anerkennen wir, dass die Eucharistie die intensivste Weise der Gegenwart Christi unter uns ist; denn es handelt sich um eine reale, leibliche und substantielle Gegenwart.<ref> Vgl. Hl. PAPST PAUL VI., Enzyklika Mysterium Fidei (3. September 1965), 5: AAS 57 (1965) 764.</ref> Aus diesem Grunde ist für die Augen des Glaubens offensichtlich: Volle Teilnahme an der Eucharistie ist in höchstem Maße Gemeinschaft mit Christus.

114. [Der Aufbau des Leibes, der die Kirche ist]. In der Eucharistie wird nicht nur der individuelle Glaube des je Einzelnen gestärkt, sondern in ihr empfängt sich auch die Kirche je neu aus Christus.<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche (17. April 2003), passim: a. a. O.</ref> Denn Christus, der sich ihr als seiner Braut im Opfer schenkt, begründet sie in seinem Leib.<ref> Vgl. PAPST BENEDIKT XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum Caritatis über die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt von Leben und Sendung der Kirche (22. Februar 2007), 14 und 27: a. a. O., 24–25 und 42–44.</ref> Die Gemeinschaft der Ortskirchen, die denselben Glauben teilen, findet nach uralter Tradition ihren Ausdruck in der eucharistischen Gemeinschaft. Dank der sakramental vermittelten Wirkkraft des dreieinigen Gottes ist die Kirche gemäß göttlichem Ratschluss selbst Leib Christi. Sie entspricht dieser Auszeichnung, wenn sie den empfangenen Glauben bekennt, die Geschichte heiligt, den dreieinigen Gott preist und sich selbst senden lässt zur Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat.

115. [Die Eucharistie als unüberbietbarer Ausdruck des sakramentalen Glaubens]. Wir können unsere bisherigen Ausführungen abschließen, indem wir bekräftigen: „Die sakramentale Natur des Glaubens findet in der Eucharistie ihren höchsten Ausdruck. Sie ist kostbare Nahrung des Glaubens, Begegnung mit Christus, der wirklich gegenwärtig ist mit dem höchsten Akt der Liebe, der Hingabe seiner selbst“.<ref> PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 44: a. a. O., S. 51.</ref>

116. [Der für die Teilnahme an der Eucharistiefeier erforderliche Glaube]. Die Mahnrede des Apostels Paulus an die Korinther ist besonders aufschlussreich. Wer irgendwie an der Götzenverehrung festhält, kann nicht teilnehmen an der Austeilung des Leibes und des Blutes Christi (1 Kor 10,14–22). Gemeinschaft „am Tisch des Herrn“ setzt nicht nur voraus, dass man in den christlichen Glauben eingeführt worden und so Glied des Leibes Christi geworden ist, sondern auch die innere Stimmigkeit des existenziellen Verhaltens, die Paulus anspricht. Von daher ist ein Verhalten, das dem christlichen Glauben widerspricht, wie z. B. in die Gemeinde getragene Spaltungen und ein offensichtlicher Mangel an Solidarität mit den Brüdern (1 Kor 11,21), unvereinbar mit der Teilnahme am Tisch des Herrn (1 Kor 11,20). Entsprechend sind wir verpflichtet zu prüfen, ob wir grundsätzlich in Übereinstimmung leben mit dem, was wir in der Eucharistie feiern (1 Kor 11,29). Kurzum: Die Feier der Eucharistie erfordert einen lebendigen Glauben, der sich in der Nächstenliebe und in der Abkehr von allen Götzen erweist. Die Feier der Eucharistie fordert beides: tätige Nächstenliebe und ebenso Bekenntnisgemeinschaft bzw. Einfügung in die kirchliche Gemeinschaft.

117. Das Bußinstitut der frühen Kirche schloss Mitglieder für eine gewisse Zeit aus der eucharistischen (nicht aus der kirchlichen) Gemeinschaft aus, wenn sie öffentlich ihren Glauben verleugnet oder in schwerwiegender Weise gegen das Bekenntnis und die Lebensregeln der Kirche gehandelt hatten. Wenn ein öffentlich gewordenes „scandalum“ vorlag, wurde der darin verwickelte Sünder nach einem öffentlich abgelegten Sündenbekenntnis für einige Zeit aus der Eucharistiegemeinschaft ausgeschlossen (exkommuniziert) und nach erfüllter Buße feierlich wieder in sie aufgenommen (rekonziliiert). So wurde deutlich, dass die Buße nicht nur der Versöhnung des Sünders mit Christus, sondern auch der Reinigung der Kirche dient. Der Pönitent verstand sich als Baustein der Kirche, die Licht der Welt sein soll. Wenn er aufgrund seiner öffentlich bekannten Sünde das Gegenteil von Licht war, musste er gewissermaßen entfernt, durch Buße repariert und dann wieder eingesetzt (rekonziliiert) werden.<ref> Vgl. Der Hirte des Hermas, Comp. IX (Funk, 211 ff.).</ref> Auch wenn sich diese Bußpraxis verändert hat – denn die Buße wird nicht mehr öffentlich erfüllt –, bleibt deren theologische Begründung doch erhalten. Nicht bestritten werden kann allerdings, dass die enge Verbindung zwischen Buße und Eucharistie der heutigen Praxis vielfach kaum noch bewusst ist.

Gegenwärtige Probleme

118. Viele auch unter denen, die sich selbst für praktizierende Katholiken halten, betrachten die sonntägliche Verpflichtung zur Teilnahme an der Eucharistie als Übertreibung. Andere, die am regelmäßigen Empfang der Eucharistie festhalten, gehen immer, wenn sie an einer hl. Messe teilnehmen, auch zur hl. Kommunion, ohne jemals das Sakrament der Buße zu empfangen. Nicht wenige reduzieren die Eucharistie auf das Maß ihrer persönlichen Frömmigkeit und machen sie so zu einem frei verfügbaren Mittel eigener Bedürfnisse und Gefühle. An den Hochfesten des Kirchenjahres, besonders an Weihnachten, Ostern, ortsgebundenen Hochfesten oder bei besonderen Gelegenheiten (Hochzeiten und Beerdigungen) wächst die Zahl der Mitglieder unserer Glaubensgemeinschaft, die bedenkenlos an der Eucharistiefeier samt hl. Kommunion teilnehmen und dann wieder bis zum nächsten Jahr oder bis zur nächsten Gelegenheit aus der Kirche verschwinden. Obwohl von theologischer Reflexion keine Rede sein kann, zeigt das besagte Phänomen doch auch eine gewisse Präsenz christlicher Inhalte im Leben nichtpraktizierender und zur Kirche auf Distanz gegangener Menschen. Diese verbliebenen Reste von Christentum können trotz aller Defizite Anknüpfungspunkt einer Bekehrung hin zu einem bewussteren und also auch kirchlicheren Glauben sein; sie bieten zumindest die Möglichkeit, einen leblos gewordenen Glauben neu zu beleben. Natürlich sind die besagten Phänomene ambivalent; sie zeigen auf vielfache Weise, dass sich ein breiter Graben auftut zwischen dem, was die Kirche offiziell mit der Eucharistie verbindet (nämlich Zugangsvoraussetzungen für die volle Teilnahme und Bereitschaft zu gelebter Konsequenz), und dem, was viele Gläubige gelegentlich und sporadisch in der Eucharistie suchen.

Im Lichte der Tradition

119. Seit frühester Zeit ist der Empfang der Eucharistie an Bedingungen geknüpft worden. Wie gesagt, warnt Paulus alle, die zum Tisch des Herrn hinzutreten: „Denn wer davon isst und trinkt, ohne den Leib zu unterscheiden, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt.“ (1 Kor 11,29). Damit werden unabdingbare Voraussetzungen genannt. Aus dem Johannesevangelium lässt sich ableiten, dass der Empfang der sakramentalen Gestalten ohne Glaube und also ohne das Wirken des Heiligen Geistes nichts nützt. Denn erforderlich ist ein entsprechender Glaube (vgl. Joh 6,63–69). Justin der Märtyrer erklärt die folgenden Voraussetzungen als unabdingbar: den Glauben daran, dass die eucharistischen Gaben das sind, was sie bezeichnen; das Getauftsein des Empfängers und dass sein Leben nicht im Widerspruch steht zur Lehre der Kirche.<ref> Vgl. JUSTIN DER MÄRTYRER Apol. I, 66 ff. (Wartele, 190 ff.).</ref> Die soeben zitierte Ermahnung des Paulus spiegelt sich in folgenden Worten der Didache: „Wer heilig ist, der soll herkommen! Wer es nicht ist, der soll Buße tun!“<ref> Didache, 10,6; 9,5 (Funk 6; 5).</ref> und ähnlich in den Apostolischen Konstitutionen.<ref> Constitutiones Apostolicae, VII, 26,6 (SCh 336,57): „Wenn einer heilig ist, lass ihn sich nähern; wenn er es nicht ist, soll er durch Buße heilig werden.“</ref> Dem entspricht die liturgische Einladung: „Das Heilige den Heiligen!“<ref> So in: Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus (67); Liturgie des Hl. Basilius (131); Liturgie der vorgeweihten Gaben (168). Die Seitenangaben beziehen sich auf: Liturgikon. La divina Liturgia de San Juan Crisóstomo, de san Basilio, de los Dones Presantificados (Madrid 2016).</ref> – bereits kommentiert von Theodor von Mopsuestia. Mit „den Heiligen“ sind, wie Paulus bezeugt, zunächst die Getauften gemeint, die mit der Kirche leben. Die Homilien des hl. Johannes Chrysostomus<ref> JOHANNES CHRYSOSTOMUS, Hom. In Matth. 82,4 (PG 58, 743). – Über den Glauben an die Realpräsenz: Hom. 25,3 (PG 57, 330 f.); Hom. 7,6 (PG 57, 79 f.); Super Rom. Hom. 8(9),8 (PG 60, 464–466). – Über die Nächstenliebe: Super Hebr. 17,4-5 (PG 63, 131–134).</ref> und die des hl. Cyprian bezeugen einhellig, dass die Gemeinschaft mit Christus nicht von der Gemeinschaft mit der Kirche getrennt werden kann.<ref> CYPRIAN, Epistula 57,2 (CSEL 3/2, 651–652).</ref> Der als „doctor eucharistiae“ ausgewiesene Kirchenvater verlangt von seinen Priestern, dass sie, wenn notwendig, auch Leute vom Tisch des Herrn zurückweisen.<ref> Über die Verantwortung des Priesters bei der Verwaltung des Sakramentes der Eucharistie vgl. JOHANNES CHRYSOSTOMUS, In Matth. Hom. 82,5. 6 (PG 58, 743–746).</ref> Und mit derselben Klarheit warnt Augustinus: Die sakramentale Speise vermittelt nur dann Heil und Leben, wenn sie „geistlich“ – d. h. im Glauben an ihren unsichtbaren Inhalt und im vollen Wissen darum gegessen wird.<ref> AUGUSTINUS, In Ioannis Ev., XXVI, 11 (CCSL 36, 264 ff.).</ref> Damit vor allem gemeint ist die gelebte Entsprechung zur Liebe Christi und der Glieder seines Leibes.

120. Die von der Scholastik als fides formata bezeichnete Disposition meint den von Liebe getragenen Glauben<ref> THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 80 a. 4.</ref> (vgl. §§ 62–64). Thomas von Aquin erklärt: Weil die Eucharistie ein „Sakrament des Glaubens“ (mysterium fidei) ist, kann ihr Inhalt nur im Glauben empfangen werden.<ref> Vgl. auch: BONAVENTURA, IV Sent. dist. 9 a. 1 qq. 1–4.</ref> Und weil der Ungläubige sich „von der Einheit der Kirche trennt“, die die Eucharistie zum Ausdruck bringt, macht „Unglaube“ (infidelitas) in höchstem Maße unfähig, das Altarssakrament zu empfangen.<ref> THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 80 a. 5, ad 2.</ref> Unter gewissen Umständen allerdings kann jemand, „der annehmen will, was die Kirche spendet“, das Sakrament trotz seines inhaltlich defizitären Glaubens empfangen.<ref> „Si infidelis sumat species sacramentales, corpus Christi sub sacramento sumit. Unde manducat Christum sacramentaliter, si ly ,sacramentaliter‘ determinat verbum ex parte manducati. Si autem ex parte manducantis, tunc proprie loquendo non manducat sacramentaliter; quia non utitur eo quod accipit ut sacramento, sed ut simplici cibo. Nisi forte infidelis intenderet recipere illud quod Ecclesia confert, licet non haberet fidem veram circa alios articulos vel etiam hoc sacramentum“ (THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 80 a. 3 ad 2).</ref> Wer jedoch an die Gegenwart Christi in der Eucharistie glaubt und sie dennoch nicht im Stande der heiligmachenden Gnade empfängt, begeht eine schwere Sünde.<ref> Vgl. DERS., STh III, q. 79 a. 3.</ref> Denn, so erklärt Thomas: Wer die Eucharistie nicht im Stande der heiligmachenden Gnade empfängt, macht sich einer Lüge (falsitas) schuldig. Einem solchen Empfänger wird nicht zuteil, was das Sakrament bezeichnet: nämlich das Geschenk der Christus mit den Gliedern seines Leibes verbindenden Liebe.<ref> „Quicumque ergo hoc sacramentum sumit, ex hoc ipso significat, se esse Christo unitum et membris eius incorporatum. Quod quidem fit per fidem formatam.“ (THOMAS VON AQUIN, STh III, q. 80 a. 4).</ref> Thomas von Aquin erklärt, dass ein fruchtbarer Empfang von Taufe und Eucharistie in jedem Fall eine graduell entsprechende Disposition voraussetzt, die aus dem Glauben stammt. Im Falle der Taufe genügt die Intention, empfangen zu wollen, was die Kirche spendet. Im Falle der hl. Kommunion ist es darüber hinaus notwendig, das Sakrament als solches zu verstehen und zu glauben.<ref> DERS.,Sent.IVdist.9q.1a.2qa.2ad2;vgl.SThIII,q.79a.7ad2;a. 8 ad 2. – [Die letztbenannte Stelle behandelt den Unterschied zwischen Taufe und Eucharistie].</ref>

121. In den liturgischen Traditionen – besonders in denen des Ostens – wird der Zusammenhang zwischen Glaube, Liebe und Eucharistieempfang sehr deutlich. Zum Beispiel, wenn die Teilnehmer mit folgenden Worten zum Empfang der hl. Kommunion gerufen werden: „Nähert euch mit Glauben, Liebe und Gottesfurcht!“<ref> Liturgikon. La divina Liturgia de San Juan Crisóstomo, de san Basilio, de los Dones Presantificados (Madrid 2016), 73.</ref> In der Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus und in der Liturgie des hl. Basilius rezitieren der Diakon, der Priester und das versammelte Volk ein Bekenntnis ihres Glaubens an Jesus als den Christus – gegenwärtig in den eucharistischen Gaben seines Leibes und Blutes –, um erst dann die heilige Kommunion zu empfangen. Das Bekenntnis lautet: „Ich glaube, Herr, und ich bekenne, dass Du Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes, der in diese Welt kam, um uns Sünder zu retten. Und ich glaube, dass dies Dein unbefleckter Leib und dies Dein kostbares Blut ist.“<ref> Ebd., 69–73 [Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus]. 133–135 [Liturgie des hl. Basilius]. – Ähnlich: Die koptische Liturgie, übers. und komm. v. KARAM KHELLA (Freiburg 1989), 186.</ref> Die syrische Tradition – bezeugt von Ephraim – erklärt, dass die mit den beiden Bäumen des Gartens Eden (Gen 2,17; 3,2) verbundenen Verheißungen sich wahrhaft erfüllt haben. Der mit dem Essen vom „Baum der Erkenntnis des Unterschiedes zwischen ,gut‘ und ,böse‘“ verbundene Irrtum führte zu dem Sündenfall, den es dann zu überwinden galt. Das Essen vom „Baum des Lebens“ erfüllte sich in der eucharistischen Gemeinschaft mit dem sich eucharistisch am Baum des Kreuzes opfernden Christus.<ref> EPHRAIM DER SYRER, In Genesim, II, 23 (CSCO 152, 39; 153, 29–30).</ref> In der Feier der Eucharistie wird die Liturgie des Wortes zu einer korrigierenden und heilenden Version des Essens vom „Baum der Erkenntnis des Unterschiedes zwischen ,gut‘ und ,böse‘“. Nach diesem Mahl vom wahren Wort der Erkenntnis sind alle eingeladen, in Gestalt der „communio eucharistica“ vom „Baum des wahren Lebens“ zu essen.

Pastorale Empfehlung: Der für den Eucharistieempfang erforderliche Glaube

122. Die Taufe ist der Beginn eines Pilgerweges, der sein Ziel erst im Eschaton erreicht. Deshalb empfangen Christen immer wieder das Sakrament der Eucharistie, das auch als ,Wegzehrung‘ bezeichnet wird. Deshalb hat die Kirche nie aufgehört, ein Volk zu versammeln, um das Pascha-Mysterium zu feiern, in diesem Kontext „aus der heiligen Schrift lesend zu erinnern, was sich darauf bezieht“ (vgl. Lk 24,27), und das Mahl zu feiern, in dem die Selbstverschenkung des gekreuzigten und auferstandenen Retters in die Gegenwart der Gläubigen vermittelt wird. Allerdings kann man das Geschenk der Selbstopferung Christi nicht angemessen empfangen, wenn man seinerseits gewillt ist, im Glauben die eigene Existenz eingestalten zu lassen in die Selbstgabe des Erlösers. Ohne den entsprechenden Glauben haben weder Pilatus, noch die römischen Soldaten oder andere verstanden, wie Gott im Geschehen des Kreuzestodes Jesu die Welt mit sich versöhnt hat (2 Kor 5,19). Ohne Glauben bleibt unbegreifbar, dass der am Holz des Kreuzes Hängende der Sohn Gottes ist (Mk 15.39). Nur die Augen des Glaubens können erkennen, dass nicht nur Blut und Wasser aus der Seite des Durchbohrten fließen, sondern auch die auf Taufe und Eucharistie gegründete Kirche (vgl. Joh 19,34). Das aus seiner Seite fließende Blut und Wasser sind Quelle und Kraft der Kirche.<ref> EPHRAIM DER SYRER, Commentaire de L’évangile concordant, version arménienne XXI, 11 (CSCO 137, 145; 145, 227–228).</ref> Jedem Christen wird durch Teilhabe am Leibe und Blute Christi der Sohn Gottes wahrhaft zum „Emmanuel“.<ref> DERS., De virginitate 37, 2 (CSCO 223, 133).</ref>

123. [Der sakramentale Glaube und die Eucharistie]. Ohne sakramentalen Glauben ist die Teilnahme an der Eucharistiefeier und insbesondere der Empfang der hl. Kommunion sinnlos. Denn die Eucharistie feiert keine unbestimmte oder ganz allgemeine Beziehung zum „Göttlichen“. Der mit der Eucharistiefeier verbundene Glaube ist als sakramentaler Glaube bezogen auf den trinitarischen Gott. Wir danken dem Vater für das Geschenk der empfangenen Erlösung, die durch die Selbsthingabe des Sohnes erwirkt, kraft des Heiligen Geistes „aktual-präsent“ wird in der Feier der Eucharistie.

124. Sakramentaler Glaube setzt voraus, dass der trinitarische Gott genauso handelt und dass das eucharistische Mahl eine wirkliche Antizipation des eschatologisch verheißenen Mahles ist. Die Kraft Gottes ist schon gegenwärtig, indem sie gleichsam „einbricht“ in diese Welt und die Gläubigen verwandelt und heiligt, um sie einzubeziehen in die Gemeinschaft der Heiligen (Eph 2,19) und um sie zu Mitbürgern des himmlischen Jerusalem (vgl. Hebr. 12,21 f.; 11,3; Offb 21–22) zu machen.

125. Auch hierin kommt die Sakramentalität des Glaubens zum Ausdruck: Mit der in der epiclesis erfolgenden Herabrufung des Heiligen Geistes bindet Jesus Christus seine Gegenwart in unwiderruflicher Weise (ex opere operato) an die sakramentalen Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines, sodass der Empfänger nicht nur hoffen, sondern im Glauben gewiss sein darf: Im Moment des Kommunionempfangs erhält er wirklich, was die konsekrierten Gestalten bezeichnen.

126. Mit der Sakramentalität des Glaubens untrennbar verbunden ist auch die Sakramentalisierung des Empfängers selbst. Denn mit dem Empfang eines Sakramentes wird der Empfänger in gewisser Weise selbst zu einem Sakrament. Dies deshalb, weil er kraft des Heiligen Geistes dem Erlöser sakramental eingestaltet wird und fortan in enger Verbindung zu Christus und seiner Kirche leben soll. Der Empfänger wird befähigt, sich Gott als lebendiges und geistliches Opfer (vgl. Röm 12,1) anzubieten und so das Zeugnis eines christlichen Lebens abzulegen. Bildlich gesprochen wird er zu einem lebendigen Stein der Bekenntnisgemeinschaft „Kirche“ geformt, von der das Zweite Vatikanische Konzil sagt, sie sei Mittel und Werkzeug zur Heimholung aller Menschen.

127. [Die Sakramentalität des Glaubens und die kirchliche Gemeinschaft innerhalb der Eucharistie]. Nach allem Gesagten kann die individuelle Realisierung des Glaubens nicht vom Glauben der Gemeinschaft getrennt werden, innerhalb derer das Sakrament gefeiert wird. Es besteht eine unauflösliche Einheit und Kontinuität zwischen dem, was gefeiert (lex orandi), dem, was geglaubt (lex credendi) und dem, was gelebt (lex vivendi) wird. Denn christliches Leben speist sich aus beidem: aus dem persönlichen Gebet und aus der sakramentalen Feier. Weil die von Christen proklamierte Wahrheit eine Person ist, nämlich Jesus Christus, ist auch die Repräsentation dieser Wahrheit eine personale, nämlich durch die Apostel und deren Nachfolger. Die eucharistische Gemeinschaft jedes einzelnen Gläubigen mit Jesus Christus findet ihr Kriterium in der Bekenntnisgemeinschaft mit dem in jeder Eucharistiefeier namentlich erwähnten Papst und namentlich erwähnten Ortsbischof. Denn wer die hl. Kommunion empfängt, bekennt sich nicht nur zu Jesus Christus allein, sondern auch zu der Bekenntnisgemeinschaft, in der er das Sakrament der Eucharistie empfängt.

128. Diese klare und bewusste Anbindung an das Glaubensbekenntnis der Kirche bedeutet im Einzelnen: – das Bekenntnis zu dem trinitarischen Gott gemäß dem Credo der Kirche; – das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Sohn Gottes und Herrn, zur erlösenden Kraft seines Todes für „die vielen“ und „für mich“ und zu seiner Auferstehung; – das Bekenntnis zum Heiligen Geist, insbesondere zu dessen Gegenwart und Handeln in der für jede Eucharistiefeier konstitutiven zweifachen Epiklese; – schließlich das Bekenntnis zu dem, was die Eucharistie als Sakrament des Leibes Christi und des Leibes der Kirche bedeutet. All das ist einzubeziehen in den Weg, den der Gläubige in dem Vertrauen auf die mächtige Kraft und ständige Hilfe des Heiligen Geistes in der Bereitschaft geht, sein Leben dem Geheimnis Christi anzugleichen und freudig Zeugnis abzulegen in allen Wechselfällen des Lebens. Auf diesem Weg feiern Christen immer wieder Eucharistie und sie empfangen die hl. Kommunion mit Christus, um beständig in ihrem Glauben, Hoffen und Lieben zu wachsen bis hin zur Erfüllung im ewigen Leben.

129. [Der innere Widerspruch einer Teilnahme an der Eucharistie ohne Glaube an das, was gefeiert wird]. Die volle Teilnahme an der Eucharistie bedeutet Gemeinschaft mit dem Leib Christi (vgl. LG 3) und mit der Kirche. Es erscheint deshalb vernünftigerweise ausgeschlossen, sich dem Sakrament zu nähern, – wenn man nicht anerkennt, was die sakramentale Gegenwart Christi in der Eucharistie bedeutet; – wenn man den Glauben an den trinitarischen Gott leugnet, der in jeder Eucharistiefeier mehrmals angerufen und in der Rezitation des Credo proklamiert wird; – wenn die christliche Liebe im Widerspruch zum eigenen Leben steht – oder wenn ein Verhalten oder ein bewusster und öffentlicher Verstoß gegen die Glaubens- und Lebensregeln der Kirche (eine „Todsünde“<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, §§ 1855–1861.</ref>) vorliegt.

130. [Wege des Wachstums]. Wer immer mit Christus unterwegs ist, besucht die sonntägliche Eucharistiefeier – nicht in erster Linie deswegen, weil die Kirche ihn dazu verpflichtet, sondern weil er von der Liebe des Herrn gestärkt werden will. Dieser Wunsch muss begleitet sein von der Bereitschaft, sich zuvor, wenn nötig, mit Christus und der Kirche versöhnen zu lassen. Auch wenn sie dies nicht ausdrücklich wünschen oder bekunden, wissen Katholiken doch, dass sie einer sakramental strukturierten Bekenntnisgemeinschaft angehören. Somit ist ihnen bewusst, dass sakramentale Partizipation besonders im Falle der Eucharistie ein öffentliches Zeugnis einschließt, zu dem sich jeder Teilnehmer freiwillig entschließt. Jeder Eucharistieteilnehmer erklärt sich bereit, die Sakramentalität seines Glaubens zu bezeugen, um so beizutragen zur Veranschaulichung der Gnade und zur Stärkung der Sakramentalität der Kirche, zu der er gehört.

131. Aufgrund der beschriebenen Reziprozität zwischen Glauben und Eucharistie steht das Verstehen des eucharistischen Sonntagsgebotes überall da auf dem Spiel, wo aufgrund institutioneller Gegebenheiten die regelmäßige Feier der Eucharistie und die entsprechende katechetische Vorbereitung nicht garantiert sind. Wo eine häufige Teilnahme am Tisch des Wortes und des Leibes Christi aufgrund personeller oder pastoraler Ausfälle unmöglich ist, fehlt eine entscheidende Voraussetzung für ein ständiges Wachsen des sakramentalen Glaubens. Kurzum: Wer für die Feier der Eucharistie in umfassender und ihrer Bedeutung angemessener Weise Sorge tragen will, muss Wege suchen, die eine Rückkehr in den Glauben der Kirche auch da ermöglichen, wo dieser verloren ging. Die Teilnahme an der Eucharistie ist dann der krönende Abschluss eines solchen Prozesses. Angemessen erscheinen in diesem Zusammenhang auch nicht-eucharistische Gottesdienste und Möglichkeiten der Begegnung, des gemeinsamen Betens und der christlichen Unterweisung für Menschen, deren Evangelisierung noch nicht reif ist für eine bewusste Teilnahme an der Eucharistie.

Das reziproke Verhältnis zwischen Glaube und Ehesakrament

132. [Problemaufriss]. Wenn es ein Sakrament gibt, bei dem die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten auf dem Prüfstand steht, dann ist das aus verschiedenen Gründen das Sakrament der Ehe. In der westlichen Tradition ist innerhalb der Definition dessen, was konstitutiv zum Sakrament der Ehe gehört, zumindest nicht explizit vom Glauben die Rede (vgl. § 143). Wenn man so will, ist mit der Bedingung, zuvor getauft worden zu sein, auch der Glaube vorausgesetzt. Denn die Taufe ist ja das „Sakrament des Glaubens“ schlechthin. Doch zu beachten bleibt, dass in der lateinischen Kirche das gültige Zustandekommen des Sakramentes der Ehe zwischen zwei getauften Personen nicht an die Intention gebunden ist, ein Sakrament zu feiern;<ref> Vgl. CIC, can. 1099.</ref> die Sakramentalität der ehelichen Vereinigung muss nicht ausdrücklich gewünscht oder den Partnern bewusst sein. Vorausgesetzt wird lediglich die Intention, eine der Schöpfungsordnung entsprechende und also „natürliche“ Verbindung zu schließen – unter Wahrung der Eigenschaften, die die Kirche als jeder naturgegebenen Ehe inhärent betrachtet. Angesichts einer solchen Auffassung ist es der Theologie aufgetragen, das komplexe Thema der Ehen zwischen „getauften Nichtgläubigen“ zu beleuchten. Wer die Sakramentalität solcher Verbindungen einfach nur verteidigt, untergräbt die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten, die, wie wir gezeigt haben, für die gesamte sakramentale Heilsordnung konstitutiv ist. Man würde in Bezug auf die Ehe eben jenem sakramentalen Automatismus Vorschub leisten, den wir als mit dem christlichen Glauben unvereinbar verworfen haben (vgl. oben Kap. 2).

133. [Aufgabe]. Uns der Schwierigkeiten bewusst, die wir mit dem Thema „Reziprozität zwischen Glaube und Ehesakrament“ aufwerfen, gehen wir wie folgt vor: Wir konzentrieren uns ausschließlich auf das lateinische Eheverständnis; denn ungeachtet des Gemeinsamen gibt es erhebliche ehetheologische Differenzen zwischen der lateinischen und den östlichen Traditionen. Die reiche östliche Tradition hat ihre Eigenheiten. Einige Unterschiede seien hier genannt. Während in der lateinischen Theologie die Auffassung überwiegt, dass die Brautleute sich das Ehesakrament selbst spenden und dass das Sakrament durch den wechselseitig frei geäußerten Konsens zustande kommt, ist in der östlichen Tradition der Segen des Bischofs oder Priesters als solcher konstitutiver Bestandteil der Feier des Ehesakramentes.<ref> Vgl. CCEO, can. 828.</ref> In der östlichen Tradition kann nur der geweihte Diener der Kirche den Heiligen Geist auf die Brautleute herabrufen (epiclesis), um so die mit dem Sakrament verbundene Heiligung zu ermöglichen. Diese Praxis ist eigens und durchgängig kanonisch geregelt.<ref> Vgl. CCEO, Titulus XVI: De cultu divino et praesertim de sacramentis. Caput VII: De matrimonio, can. 776–866.</ref> Sie entspricht einem Verständnis des Ehesakramentes, das – einer eigenen theologischen Tradition verpflichtet –, die heiligenden Wirkungen des Sakramentes in den Vordergrund stellt.<ref> „Ex Christi institutione matrimonium validum inter baptizatos eo ipso est sacramentum, quo coniuges ad imaginem indefectibilis unionis Christi cum Ecclesia a Deo uniuntur gratiaque sacramentali veluti consecrantur et roborantur“ (CCEO, can. 776, § 2).</ref>

134. Ein zweiter Punkt: Der eingeschlagenen Methodologie folgend (vgl. § 80) behandeln wir zunächst den Normalfall des Ehesakramentes. Dann untersuchen wir die von Zweifeln begleitete Frage nach der sakramentalen Qualität von Ehen zwischen „getauften Ungläubigen“. Dies geschieht in zwei Schritten. Zuerst durch einen Überblick über den Stand der Diskussion und dann durch einen theologischen Lösungsvorschlag, der der wesentlichen Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten entspricht, ohne die gängige Theologie der Ehe zu ignorieren.

Das Ehesakrament

Biblische Grundlegung

135. [Die Ehe im göttlichen Heilsplan]. Jedes Sakrament kennt spezifische Eigenheiten. Aber das Sakrament der Ehe ist darüber hinaus noch einmal etwas ganz Besonderes. Innerhalb des „göttlichen Heilsplanes“ gehört die Ehe zur Schöpfungsordnung (vgl. GS 48). Die natürliche Wirklichkeit der Ehe gründet in dem Aufeinander-bezogen-Sein von Menschen unterschiedlichen Geschlechtes, nämlich des männlichen und des weiblichen (Gen 1,27). Ihr wechselseitiges Aufeinander-bezogen-Sein dient der Fruchtbarkeit des Menschen (Gen 1,28) und gipfelt deshalb in der Vereinigung zu „einem Fleisch“ (vgl. Gen 2,23–24). Gottes im Laufe der Heilsgeschichte sakramental vermitteltes Wort trifft hier auf eine Wirklichkeit, die – geschaffen nach dem Bilde Gottes, und zwar des trinitarischen Gottes<ref> INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Gemeinschaft und Dienstleistung: Die menschliche Person – geschaffen nach dem Bilde Gottes (2004), 32–33.39: a. a. O., S. 23–24.26–27.</ref> – geeignet ist, die Bundes-Liebe zwischen Gott und der symbolisch stets als Frau personifizierten Menschheit darzustellen. Christlich betrachtet wird die besagte Schöpfungswirklichkeit ein Sakrament, das heißt, ein sichtbares Zeichen der Liebe Christi zur Kirche (Eph 5,25.31–32).

136. [Die Ehe in der Lehre Jesu]. Konfrontiert mit der im zeitgenössischen Judentum üblichen Praxis der Verstoßung der Frau (Dtn 22,19.29; 24,1–4), beruft sich Jesus auf den ursprünglichen Plan Gottes mit dem Menschen: „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ (Mk 10,9 und Mt 19,6; vgl. Gen 2,24; 1 Kor 6,16). Jesus erklärt die Scheidungspraxis als Symptom der Verhärtung des Herzens (Mk 10,5 und Mt 19,8). Im Laufe der Geschichte ist die Matthäus-Formel „Ich sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch“ (Mt 19,9; vgl. 5,32) sehr unterschiedlich interpretiert worden. Unzählige Diskussionen haben zu keinem Konsens geführt – weder hinsichtlich des Ausdrucks epi porneias noch in Bezug auf die zu ziehenden Konsequenzen. Die lateinische Tradition hat stets die Möglichkeit ausgeschlossen, nach Schließung einer gültigen Ehe (vgl. Mk 10,10–11) mit Berufung auf die matthäische Unzuchtsformel eine zweite Ehe eingehen zu können.<ref> Vgl. KONZIL VON TRIENT, 24. Sitzung. Lehre und Kanones über das Sakrament der Ehe, can. 7 (DH 1807).</ref> Für diese Auslegung spricht nicht zuletzt die Art und Weise, wie die Jünger auf die zitierte Aussage Jesu (Mt 19,9) reagieren (Mt 19,10).

137. [Die Ehe und das „mysterion“]. Die Perikope von der Teilnahme Jesu an der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12) – voll von Anspielungen auf die „messianische Hochzeit“ und anderen Anspielungen auf die eheliche Verbindung (Mt 9,5 par.; 25,5 f.) – erklärt, wie die Ehe wesentliche Aspekte des göttlichen Heilsplanes („mysterion“) veranschaulichen kann, z. B. Treue oder Untreue zum geschlossenen Bund (vgl. Ez 16 und 23; Hos 2; Jer 3,1–10; Jes 54). Der Epheserbrief (5,31–32) vergleicht den Ehebund ausdrücklich mit dem „mysterion“ (sacramentum) des unwiderruflichen Bundes zwischen Christus und der Kirche. Die Kirche beruft sich auf die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit, wenn sie die Unauflöslichkeit gleichermaßen als Wesensmerkmal der natürlichen und der christlichen Ehe betrachtet. Die von Natur aus auf Unauflöslichkeit angelegte Vereinigung von Mann und Frau realisiert sich in wahrhaftiger Treue und in den gemeinsamen Kindern. Nach dem Empfang der Taufe – verstanden als Eingestaltung der Eheleute in Christus und als deren Heiligung durch das Einwirken des Heiligen Geistes – wird die natürlich gelebte Treue gewissermaßen von selbst zu einer sakramentalen Darstellung der Treue Christi.<ref> Vgl. AUGUSTINUS, De nuptiis et concupiscentia I,X,11 (CSEL 42, 222– 224; PL 40, 420).</ref> Die Liebe christlicher Eheleute wird ja nicht abseits der „neuen Quelle“ gelebt, der sich christliches Leben und christlicher Glaube verdanken. Christliches Leben kennt keine strikte Trennung von Glaube und Liebe.

138. [Die durch den Glauben ausgezeichnete Ehe]. Den entsprechenden Aussagen des hl. Paulus gemäß hat die Kirche die eheliche Verbindung immer als eine Wirklichkeit betrachtet, die durch gelebten Glauben eine höhere Qualifikation erlangt (vgl. 1 Kor 7,12–16). Im Blick auf Ehen zwischen Christen und Nichtchristen bemerkt Paulus: „Denn der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt und die ungläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt.“ (1 Kor 7,14). In dieser Aussage (bes. 1 Kor 7,15) gründet das sogenannte „privilegium Paulinum“, das die sakramentale Ehe, weil der Gnadenordnung zugehörig, höher einstuft als die sogenannte „Natur-Ehe“.

Im Lichte der Tradition

139. Das für die christliche Ehe charakteristische „Verbundensein im Herrn“ ist im Laufe der Geschichte auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht worden. Dem sogenannten „Diognet-Brief“ entnehmen wir, dass Christen sich, was ihr Heiraten betraf, zunächst nicht unterschieden haben: „Sie heiraten wie alle anderen auch.“<ref> Ep. Ad Diognetum 5, 6 (Funk, 137).</ref> Doch bald kam es zur Ausbildung von Unterschieden. Schon Ignatius von Antiochien hält es für angemessen, dass Brautleute ihren Bischof einbeziehen.<ref> IGNATIUS VON ANTIOCHIEN, Ep. Ad Polycarpum 5, 2 (Funk, 107; FuP 1,186).</ref> Und Tertullian lobt die Verbindungen, die die Kirche segnet.<ref> TERTULLIAN, Ad Uxorem II, 8 (CCSL 1, 393; SCh 273, 148).</ref> Wenn man einmal von der Frage absieht, was genau diese frühen Theologen mit ihren Aussagen bezweckten, ist doch deutlich, dass das Ereignis der Vermählung nicht als für den Glauben von Braut und Bräutigam oder für die kirchliche Gemeinschaft irrelevant betrachtet wurde. Ab dem 4. bzw. 5. Jahrhundert ist der durch einen ordinierten Diener der Kirche über die Brautleute gesprochene Segen als Regel bezeugt.<ref> Vgl. GREGOR VON NAZIANZ, Ep. 231 (PG 37, 373); AMBROSIASTER, Comm. in Epist. I ad Cor. 7,40 (PL 17, 225); DERS., Comm. in Epist. I ad Tim. 3,12 (PL 17, 470); PSEUDO-AUGUSTINUS, Quaest. Novi et Veteris Testamenti, CXXVII (CSEL 50, 400); AMBROSIUS, Epist. 19 ad Vigilium trident., 7 (PL 16, 984–985); PREDESTINATUS, III, 31 (PL 53, 670).</ref> Mit dieser Zeit beginnt die Ausbildung einer eigenen christlichen Eheliturgie,<ref> Vgl. Sacramentarium Reginense, 316 (Rerum ecclesiasticarum documenta, series maior, Fontes 4, hg. v. L. K. MOHLBERG, 1447, 1449, 1453); Hanc igitur aus dem Sacramentarium Veronense, 85 (Mohlberg, 1107).</ref> die genuin heidnische Traditionen aufnimmt und umformt, z. B. die Verschleierung der Braut,<ref> Vgl. Sacramentarium Hadrianum, 836 (ed. J. Deshusses); PAULINUS VON NOLA, Carmen 25, 199–232 (CSEL 30, 244–245).</ref> die Krönung der Vermählten,<ref> Vgl. JOHANNES CHRYSOSTOMUS, In I Tim., cap. II, hom. IX,2 (PG 62, 546).</ref> die Übereignung der Braut, die Vereinigung der Hände,<ref> Vgl. GREGOR VON NAZIANZ, Ep. 193 (PG 37, 316–318).</ref> die Segnung der Ringe, das Handgeld oder der Kuss der Neuvermählten; gleichzeitig die Hinzufügung anderer Elemente wie das Trinken der Brautleute aus einem gemeinsamen Becher – kennzeichnend vor allem für die byzantinische Ehe-Liturgie.<ref> Zu weiteren Details vgl. A. RAÈS, Le mariage, sa célébration et sa spiritualité dans les Églises d’Orient (Chevetogne 1959); K. RITZER, Formen, Riten und religiöses Brauchtum der Eheschließung in den Christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends (Münster 1962); B. KLEINHEYER; E. VON SEVERUS; R. KACZYNSKI (Hgg.), Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, 8. Sakramentliche Feiern II (Regensburg 1984).</ref> Die Ehe-Liturgie weist der Eheschließung in ihren Gebeten und in der Interpretation ihrer Gesten – auch durch Bezugnahmen auf die biblischen „Ehe-Texte“ – einen durchaus besonderen Platz innerhalb des sakramentalen Heilsgeschehens zu. Petrus Lombardus und das Zweite Laterankonzil betrachten die Ehe als ein Sakrament – eine Position, die in der Folgezeit durch die Konzilien von Florenz und Trient mit Nachdruck bestätigt wird.<ref> PETRUS LOMBARDUS, Summa Sententiarum IV. d. 2 y 26 (PL 192, 842 und 908); ZWEITES LATERANKONZIL, can. 23 (DH 718); KONZIL VON FLORENZ, Dekret für die Armenier (DH 1327); KONZIL VON TRIENT, 7. Sitzung. Dekret über die Sakramente, can. 1 (DH 1601).</ref> Auf dem Konzil von Trient wurde die Gültigkeit des Ehesakramentes an die Einhaltung der kanonischen Formpflicht gebunden. Damit wurde die Lehre über das Ehesakrament nicht geändert, vielmehr betont, dass die Eheschließung ein Bekenntnis des Glaubens ist, das – gleichsam vor dem Antlitz der Kirche abgelegt – eine genuin kirchliche Angelegenheit ist.<ref> KONZIL VON TRIENT, 24. Sitzung. Dekret „Tametsi“ zur Reform der Ehe (DH 1813–1816).</ref> Dies geschah in Frontstellung zur Lehre der Reformatoren, die die Ehe für eine ausschließlich weltliche Angelegenheit erklärt haben.<ref> MARTIN LUTHER, De captivitate babylonica, De matrimonio (WA 6, 550); JEAN CALVIN, Inst. christ. Lib. IV, c. 19,34 (Corp. Reform. 32, 1121).</ref> Trient stellte den kirchlichen Charakter der Ehe ins Licht, um eine Auffassung zu unterbinden, die die Eheschließung für eine Privatangelegenheit der Brautleute hält.

Die Ehe als Sakrament

140. Wenn der Empfang eines Sakramentes grundsätzlich den entsprechenden Glauben voraussetzt (SC 59), dann muss das auch für das Sakrament der Ehe gelten: „Die ‚pastores‘ sind aus Liebe zu Christus angehalten, sich vor der Zulassung von Braut und Bräutigam vor allem um die Festigung und Stärkung ihres Glaubens zu bemühen; denn der Empfang des Ehesakramentes setzt diesen Glauben voraus und verlangt ihn.“<ref> Ordo celebrandi matrimonium, Praenotanda § 16 (Typis Polyglottis Vaticanis 1989), mit Bezug auf SC 59.</ref> Eine eheliche Verbindung zwischen einem ungetauften Mann und einer ungetauften Frau ist aus christlicher Sicht eine jeder Wertschätzung würdige Wirklichkeit der Schöpfung. Sie kann auf die übernatürliche Ebene gehoben werden – z. B. im Falle einer späteren Konversion der Brautleute. Anders gesagt: Die sogenannte „natürliche“ Ehe ist immer schon hingeordnet auf ihre volle Realisierung und Erfüllung in Christus. In den ersten christlichen Gemeinden war die Ehe nicht außerhalb des Glaubens angesiedelt. Christen lebten ihre eheliche Verbindung vielmehr „im Herrn“ (1 Kor 7,39). Wenn im Bereich der Paarbeziehungen bestimmte Verhaltensweisen dem christlichen Glauben widersprachen, konnte dies zur Exkommunikation führen (1 Kor 5). Denn die eheliche Beziehung zwischen christlichen Brautleuten war zu einem Zeichen, zu einem Sakrament der Liebe Christi zu seiner Kirche geworden. Ein Zeichen, das unwiderrufliche Liebe bezeichnet, kann nur ausdrücken, was es bezeichnet, wenn es seinerseits ein unauflösliches Band darstellt. Die Unauflöslichkeit, die jede authentisch gelebte Ehe theologisch charakterisiert, ist eine von Beginn an im göttlichen Heilsplan verankerte Dimension. Also ist die Wirklichkeit, die Menschen leben, wenn sie sich durch die eheliche Liebe verbinden, wesentlicher Bestandteil der wechselseitig gelebten Beziehung und Hingabe zwischen den Ehegatten und ihren Kindern; sie ist in besonderem Maße Ausdruck des Geheimnisses, das Gott als die Liebe selber ist.

141. Zwei getaufte Katholiken, die das Sakrament der Firmung empfangen haben und regelmäßig eucharistisch kommunizieren, setzen ein wunderbares Zeichen ihres gemeinsamen Glaubens, wenn sie sich das Sakrament der Ehe spenden. Sie empfangen die Gnade des Ehesakramentes; diese befähigt sie, „das Geheimnis der Einheit ... zwischen Christus und der Kirche (vgl. Eph 5,32) darzustellen, indem sie sich wechselseitig in ihrer ehelichen Beziehung und in der Weitergabe des Lebens an ihre Kinder heiligen.“<ref> Vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 11; ebd., 41; Katechismus der Katholischen Kirche, §§ 1641–1642.</ref> Ihre Glaubenswege haben sich vereint, um Zeugnis abzulegen von Christi wirkmächtiger Liebe zu seiner Kirche; sie stärken sich gegenseitig, ermöglichen die christliche Erziehung der gemeinsamen Kinder und sind so Heiligung des einen durch den anderen.<ref> Vgl. PAPST PIUS XI., Enzyklika Casti connubii über die christliche Ehe im Hinblick auf die gegenwärtigen Lebensbedingungen und Bedürfnisse von Familie und Gesellschaft und auf die diesbezüglich bestehenden Irrtümer und Missbräuche (31. Dezember 1930): AAS 22 (1030) 583.</ref> Sie bilden eine „Hauskirche“.<ref> Vgl. Apg 16,15; 18,18; ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 11; Katechismus der Katholischen Kirche, §§ 1655–1657.</ref> „Sie werden durch ein eigenes Sakrament gestärkt und gleichsam geweiht“ (vgl. GS 48). So drücken sie ganz konkret die Reife ihres durch das Sakrament der Firmung gestärkten Glaubens aus, bilden einen Stand des christlichen Lebens (vgl. LG 11) und übernehmen Verantwortung in der christlichen Gemeinde. Wenn sie die Ehe eingehen, wird der dieser Feier vorausliegende Glaube durch das sakramentale Handeln Christi gefestigt und gestärkt. Denn „Christi Treue begleitet“ (vgl. GS 48) ihr Zusammenleben in Ehe und Familie, das sie mit dem Segen Gottes und der Kirche beginnen. Eine katholische Ehe ist ein das ganze Leben umfassendes Projekt, das durch den Glauben ermöglicht und getragen wird<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 218: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 204 (Bonn 2016), S. 154–155.</ref> und in gegenseitiger Heiligung besteht; denn beide Brautleute üben ihr gemeinsames Priestertum in der wechselseitigen Spendung des Ehesakramentes aus (vgl. LG 10).<ref> Vgl. DERS., Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute (19. März 2018), 141: a. a. O., S. 72–73.</ref> Bei Eheleuten, die sich beauftragt wissen, Sakrament der Liebe Gottes zu seiner Kirche zu sein, kann man den entsprechenden Glauben voraussetzen. In dem Fall ist das Ehesakrament wahrhaft ein Sakrament des Glaubens, durch das Jesus Christus und der Heilige Geist, der Geist der Liebe (vgl. Röm 5,5), wirksam handeln. Die Liebe, die diese Brautleute einander versprechen, ist immer schon getragen von ihrer durch die Taufe erfolgten Verankerung in Christus. Denn die in der Taufe sakramental erfolgte Heiligung trägt die Gnade (die übernatürliche Liebe) in die von den beiden Ehepartnern und ihrer Familie gelebte Wirklichkeit.

Der Glaube und die „Ehegüter“

142. Der entsprechende Glaube und die Wirksamkeit der sakramental empfangenen Gnade befähigen die Eheleute, die der Ehe eingeschriebenen Güter zu verwirklichen: „Diese innige Vereinigung als gegenseitiges Sichschenken zweier Personen wie auch das Wohl der Kinder verlangen die unbedingte Treue der Gatten und fordern ihre unauflösliche Einheit.“ (GS 48) Die Unauflöslichkeit (GS 49) der Ehe muss aus der Perspektive des Glaubens als für die eheliche Beziehung wesentliches Merkmal angesehen werden; andernfalls würde die Ehe nicht dem Heilsplan Gottes (Gen 2,23–24) entsprechen und aufhören, ein sichtbares Zeichen der unwiderruflichen Liebe Gottes zu seiner Kirche zu sein. Die von den Ehepartnern gelebte Treue und das generöse Sich-Bemühen um das Wohlergehen des jeweils anderen (vgl. GS 49) ist eine Wirklichkeit, die dem entsprechenden Glauben und der persönlichen Beziehung zu Christus entspringt. Denn der Glaube ermöglicht uns eine persönliche Beziehung zu Christus; er versetzt uns in die Nachfolge jenes Einen, der sein Leben für die Sünder hingegeben hat (vgl. Mk 10,45; Röm 5,6– 8; 14,15; Eph 5,2; Joh 4,9–10). Christliche Ehemänner und christliche Ehefrauen versuchen ihren Glauben in ihr eheliches und familiäres Leben getreu der Maxime zu übersetzen, dass „mehr Freude im Geben als im Nehmen liegt“ (vgl. Apg 20,35). Durch den Glauben wissen wir um die in Gottes Heilsplan verankerte Fruchtbarkeit (Gen 1,28) und also darum, dass Gottes Segen sich unter anderem in dem Geschenk von Nachkommenschaft als wirksam erweist. Die Liebe des trinitarischen Gottes lehrt uns den Glauben daran, dass wahre Liebe stets ein Maximum von Gegenseitigkeit und ein Maximum des Sich-Öffnens auf den Anderen hin anstrebt. Also bewahrt der Glaube vor einem Verständnis von Ehe als einer Art von berechnendem Egoismus zu zweit. Der gelebte Glaube beider Eheleute setzt voraus, dass Gott als Urheber der Ehe „diese mit verschiedenen Gütern und Zielen ausgestattet hat“ (vgl. GS 48), die im ehelichen Leben zur Entfaltung kommen. Wenn beide Eheleute ihre Verbindung in demselben Glauben leben, trägt dies auch dann entscheidend bei zur Vermeidung egozentrischer oder individualistischer Tendenzen, wenn das Umfeld und dessen Kultur einen gegenteiligen Einfluss ausüben.

Eine „quaestio dubia“: Die sakramentale Qualität einer Ehe von „getauften Nichtgläubigen“ =

Problemaufriss

143. [Definition]. Die Ehe ist eine geschaffene Wirklichkeit. Durch die Taufe wird das natürliche Band der Ehe zu einem Zeichen für eine übernatürliche Wirklichkeit: „Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben.“<ref> Katechismus der Katholischen Kirche, § 1601; wörtliches Zitat von CIC, can. 1055, § 1.</ref> Wenn man der zurzeit gängigen theologischen Lehre und kanonischen Praxis folgt, ist jede zwischen zwei getauften Personen geschlossene Ehe „eo ipso“ ein Sakrament<ref> „Deshalb kann es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben, ohne dass er zugleich Sakrament ist“ (CIC, can. 1055, § 2).</ref> – auch dann, wenn auf beiden Seiten des Ehevertrages der entsprechende Glaube fehlt. Man setzt also für den Fall, dass die Ehepartner getauft sind, eine Untrennbarkeit des der natürlichen Ordnung entsprechenden Ehevertrages von dessen sakramentaler Qualität voraus. Das bedeutet: Menschen, die aufgrund ihrer Taufe in eine übernatürliche Ordnung eingestaltet worden sind, haben eine Wirklichkeit empfangen, die ihr ganzes Leben bestimmt und z. B. in Bezug auf die Ehe deren sakramentalen Charakter impliziert, weil die Brautleute der sakramentalen Ordnung durch die Taufe unwiderruflich angehören (vgl. §§ 166 d und 167 d). Muss man, so bleibt zu fragen, diese Auffassung auch auf den Fall der Ehe zwischen „getauften Nichtgläubigen“ anwenden? Dann aber, so scheint es, steht die oben verteidigte Reziprozität von Glaube und Sakramenten infrage. Um dieses Problem in angemessener Weise zu behandeln, bedarf es im Folgenden der Bilanzierung des Diskussionsstandes und einer detaillierten Klärung der involvierten Begriffe.

144. [„Getaufte Nichtgläubige“]. Unter „getauften Nichtgläubigen“ verstehen wir Personen, die kein Zeichen einer dialogischen Glaubensbeziehung erkennen lassen, wie sie charakteristisch ist für das persönliche Antworten eines Gläubigen auf das sakramental vermittelte Sprechen des trinitarischen Gottes (vgl. die Ausführungen dazu im zweiten Kapitel). Zwei Typen sind zu unterscheiden: Es gibt diejenigen, die als Kind getauft worden sind und dann – aus welchem Grund auch immer – nie zu einem persönlichen Glaubensakt gelangt sind, der das entsprechende Verstehen und den entsprechenden freien Entschluss voraussetzt. Dies ist besonders in den Ländern, deren Tradition vom Christentum bestimmt ist, häufig der Fall. Denn dort ist die fortschreitende Dechristianisierung der Gesellschaft weitgehend verbunden mit einer Vernachlässigung der Glaubenserziehung. Aber wir beziehen uns mit dem Begriff der „getauften Ungläubigen“ auch auf die Menschen, die den Glauben bewusst und ausdrücklich ablehnen und sich deshalb selbst nicht als katholische oder christliche Gläubige betrachten. Sie bekunden nicht selten förmlich ihre Verabschiedung vom katholischen Glauben und ihren Austritt aus der katholischen Kirche, ohne dass der Grund dafür der Eintritt in eine andere Kirche, kirchliche Gemeinschaft oder christliche Konfession ist. Das ist den beiden geschilderten Typen „getaufter Ungläubiger“ gemeinsam: Sie lassen keine „dispositio fidei“<ref> Vgl. INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Die katholische Lehre über das Sakrament der Ehe (1977), 2.3.</ref> erkennen.

145. [Einleitende Formulierung der Frage]. Die Frage, die sich angesichts beider Typen von „getauften Nichtgläubigen“ im Falle einer sakramental gefeierten oder zumindest rechtsgültigen ehelichen Verbindung zweier geschlechtsverschiedener Partner ergibt, lautet: Kommt das Sakrament zustande? Diese Frage ist vielfach debattiert worden und hat Berge von Literatur evoziert. Zu einer klaren Lösung ist man nicht gelangt; denn es kommen verschiedene gewichtige Elemente gleichzeitig ins Spiel. Wir wollen in einem ersten Schritt wichtige Beiträge zur Diskussion der letzten Jahre erinnern, um dann in verantwortlicher Weise selbst Position beziehen zu können.

Der Diskussionsstand und die entsprechenden Positionen

146. [Internationale Theologische Kommission]. 1977 hat die Internationale Theologische Kommission ein Dokument erarbeitet, das den Titel trägt: Die katholische Lehre über das Sakrament der Ehe. Zu den Themen, die dort behandelt werden, gehören: Die Sakramentalität der Ehe, die Ehe zwischen „getauften Nichtgläubigen“ und die Untrennbarkeit zwischen Vertrag und Sakrament. So entstanden eine Reihe äußerst differenzierter Thesen, die eine gewisse Spannung erkennen lassen zwischen der Überzeugung von der Notwendigkeit des Glaubens als Voraussetzung für die Feier einer sakramental gültigen Ehe einerseits und der Weigerung andererseits, den Glauben zu einer indispensablen Bedingung für das Zustandekommen einer sakramentalen Ehe zu erklären. Ohne die Ergebnisse vollständig referieren zu können, sollen im Folgenden wenigstens einige für unser Thema relevante Aspekte genannt werden.

147. Da ist zunächst der Hinweis auf eine konstitutive und reziproke Verbindung von Unauflöslichkeit und Sakramentalität. Die Autoren gaben zu Protokoll: „Die Sakramentalität der Ehe ist der eigentliche und dennoch nicht der einzige Grund für ihre Unauflöslichkeit.“ (2.2)

148. Bezogen auf die Reziprozität von Glaube und Ehesakrament erklärten die Mitglieder der Internationalen Theologischen Kommission, dass die Quelle der Gnade des Ehesakramentes Jesus Christus und nicht der Glaube der Vertragspartner ist. Und sie fügten hinzu: „Aber das bedeutet nicht, dass die Gnade des Ehesakramentes auch ohne Glauben oder unabhängig vom Glauben der Empfänger ihr Ziel erreicht.“ (2.3) Der Glaube sei aber nur eine „causa dispositiva“ des fruchtbaren, nicht auch des gültigen Sakramentenempfangs.

149. Über die „getauften Ungläubigen“ sagten die Mitglieder der Internationalen Theologischen Kommission:

„Die Wirklichkeit der ,getauften Nichtgläubigen‘ stellt vor neue theologische Probleme und evoziert ein pastorales Dilemma – besonders dann, wenn der Ausfall und erst recht die Ablehnung des Glaubens nicht zu bezweifeln sind. Die erforderliche Intention – die Intention, das zu vollziehen, was Christus und die Kirche realisieren – ist so etwas wie die indispensable Minimalbedingung. Gemeint ist ein wahrhaft menschlicher Akt der Zustimmung zur Bedeutung der sakramentalen Wirklichkeit. Allerdings darf die Frage nach der vorhandenen Intention nicht mit der Frage nach dem Glauben der Ehepartner verwechselt werden – wenngleich beide Fragen nicht gänzlich voneinander trennbar sind. Denn letztlich erwächst die wahre Intention aus einem lebendigen Glauben. Wo es nicht die geringste Spur von Glauben (im Sinne von ‚glauben an‘ oder Bereitschaft zum Glauben) und keinerlei Verlangen nach der rechtfertigenden Gnade gibt, sind Zweifel angebracht, ob die besagte Intention, eine sakramental gültige Ehe schließen zu wollen, gegeben ist und also eine sakramentale Ehe überhaupt zustande kommen kann. Wie gesagt: Der persönliche Glaube der ehelichen Vertragspartner ist zwar nicht das Konstitutivum der Sakramentalität ihrer Ehe; aber das Fehlen jedes persönlichen Glaubens stellt deren Sakramentalität doch infrage.“ (2.3)

Der damalige Sekretär der Internationalen Theologischen Kommission, Msgr. Philippe Delhaye, bemerkt in seinem zeitgleich publizierten Kommentar zu diesem Dokument: „Das Schlüsselproblem ist das der Intention; der Intention, zu bejahen, was die Kirche tut, wenn sie ein Sakrament anbietet, das Unauflöslichkeit, lebenslange Treue und den Willen zur Nachkommenschaft impliziert.“<ref> Kommentar II (aufgenommen in die spanische Edition: COMISIÓN TEOLÓGICA INTERNACIONAL, Documentos 1969–1996, C. POZO (Hg.), Madrid 1998, 195).</ref>

150. Des Weiteren bekräftigt das Dokument der Kommission die Untrennbarkeit von Vertrag und Sakrament mit den Worten: „Für die Kirche gibt es ja zwischen zwei Getauften keine Naturehe getrennt vom Sakrament, sondern nur eine Naturehe, die zur Würde des Sakramentes erhoben ist.“ (3.5)

151. [Der hl. Papst Johannes Paul II.]. Während seines gesamten Pontifikates ist Papst Johannes Paul II. immer wieder auf die Ehe von „getauften Nichtgläubigen“ und das Erfordernis des dem Sakrament der Ehe entsprechenden Glaubens zu sprechen gekommen. Die fünfte Vollversammlung der römischen Bischofssynode 1980 zum Thema „Familie“ hat folgenden Vorschlag (12.4) approbiert: „Es muss ernsthaft geprüft werden, ob die These, dass eine Ehe zwischen zwei getauften Personen immer ein Sakrament ist, auch auf die Ehevertragspartner anwendbar ist, die ihren Glauben verloren haben. Daraus ergeben sich gegebenenfalls rechtliche und pastorale Konsequenzen.“<ref> Die 43 Vorschläge der Bischofssynode zum Thema „Familie“, in: Ecclesia, n. 2039 (18.–25. Juli 1981) 894. – Der Vorschlag 12.4 wurde mit 196 Ja-Stimmen, 7 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen angenommen (La Documentation Catholique 1809 [7. Juni 1981], 540).</ref>

152. In der postsynodalen „Exhortatio“ Familiaris consortio erklärt Papst Johannes Paul II. durchgängig, dass die Eheschließung immer schon durch die übernatürliche Wirklichkeit bestimmt wird, in die Getaufte auch dann unwiderruflich eingestaltet worden sind, wenn sie sich dessen nicht ausdrücklich bewusst sind.<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 13 und 68: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 33 (7. Aufl. 2011), S. 25–27 und 111–113.</ref> Das bedeutet für die uns aufgetragene Aufgabe:

„Wollte man zusätzliche Kriterien für die Zulassung zur kirchlichen Eheschließung aufstellen, die den Grad des Glaubens der Brautleute betreffen sollten, würde das außerdem große Risiken mit sich bringen: zunächst jenes, unbegründete und diskriminierende Urteile zu fällen; dann das Risiko, zum großen Schaden der christlichen Gemeinschaften Zweifel über die Gültigkeit der schon geschlossenen Ehen und neue, unbegründete Gewissenskonflikte bei den Brautleuten hervorzurufen; man würde ferner in Gefahr geraten, die Sakramentalität vieler Ehen von Brüdern und Schwestern, die von der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche getrennt sind, zu bestreiten oder in Zweifel zu ziehen, und das im Widerspruch zur kirchlichen Tradition.“<ref> Ebd., 68: S. 113.</ref>

153. Allerdings sieht Papst Johannes Paul II. sehr wohl die Möglichkeit, dass Braut und Bräutigam gleichermaßen eine kirchliche Eheschließung erbitten und doch zugleich erkennen lassen, dass sie ausdrücklich und förmlich zurückweisen, „was die Kirche intendiert, wenn sie die Eheschließung getaufter Personen feiert“. Für diesen Fall schreibt der Papst vor: „Der Seelsorger [kann sie] nicht zur Trauung zulassen.“<ref> Ebd.</ref> Daraus darf man folgern, dass andernfalls gar kein Sakrament zustande kommt. Papst Johannes Paul II. spricht von einer Minimalvoraussetzung; damit meint er, dass wenigstens keine ausdrückliche und förmliche Ablehnung dessen vorliegen darf, was die Kirche mit der Feier der Ehe intendiert. Und also lehnt auch er – auf seine Weise – einen „absoluten“ Sakramentenautomatismus ab.<ref> Vgl. KONZIL VON TRIENT, Siebte Sitzung. Kanones über die Sakramente im Allgemeinen, can. 6 (DH 1606). Vgl. Fußnote 82.</ref>

154. Später hat Papst Johannes Paul II. in einem wichtigen Schreiben an die „Rota Romana“ (30. Januar 2003) vor der These gewarnt, das es zwei Arten von Ehen, eine natürliche und eine übernatürliche, gebe: „Die Kirche verweigert die Eheschließung niemandem, der gut gewillt, aber in Bezug auf den übernatürlichen Charakter der sakramentalen Ehe nur unzureichend unterrichtet ist. Entscheidend ist, dass die betreffende Person die Intention hat, der natürlichen Wirklichkeit der Ehe zu entsprechen. Man kann neben die natürliche Ehe kein christliches Modell von Ehe mit spezifisch übernatürlichen Propria stellen.“<ref> HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (30. Januar 2003), 8: AAS 95 (2003) 397.</ref> Diese Auffassung wurde schon zuvor in einem anderen Schreiben an die „Rota Romana“ (1. Februar 2001) verteidigt.<ref> DERS., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (1. Februar 2001): AAS 93 (2001) 358–364.</ref> Darin heißt es, dass nicht der Glaube die Minimalbedingung einer gültigen Ehe ist; dass dies zu fordern, der Tradition der Kirche widerspräche.<ref> Ebd.: AAS 93 (2001) 363.</ref> Papst Johannes Paul II. unterstrich damit, dass die Ehe eine natürliche und keineswegs exklusiv übernatürliche Wirklichkeit ist. In diesem Zusammenhang sagte er: „Wenn man die naturgegebene Wirklichkeit der Ehe abschwächt – zum Beispiel durch deren Reduktion auf eine subjektive Erfahrung, trägt man gleichzeitig bei zur Verleugnung ihrer Sakramentalität.“<ref> Ebd.: AAS 93 (2001) 364.</ref> Diese ist, so lässt sich sagen, in jeder Hinsicht gegründet auf die naturgegebene Schöpfungswirklichkeit.

155. [Die Vorarbeiten zum Codex Iuris Canonici]. In den Vorarbeiten zur Erstellung des Codex Iuris Canonici hat man die Frage nach der Untrennbarkeit der natürlich gegebenen Wirklichkeit von der sakramentalen Heilsbedeutung der Ehe ausführlich diskutiert. Schlussendlich hat der Gesetzgeber für eine Beibehaltung der gängigen Auffassung optiert, ohne damit den Anspruch einer dogmatischen Klärung eines Problems zu stellen, für das sich das Kirchenrecht nicht zuständig weiß. Die Gesetzgebung basiert stets auf allgemein akzeptierten theologischen Voraussetzungen.<ref> Vgl. Communicationes 9 (1977) 122.</ref> Die besagte Untrennbarkeit wurde schon auf dem Konzil von Trient diskutiert. Unter den Gegnern ragt besonders Melchior Cano hervor. Es kam zu keiner formellen Definition der These von der Untrennbarkeit; aber sie wurde doch von der überwiegenden Mehrheit vertreten. Viele qualifizieren sie als „katholische Lehre“.<ref> Vgl. Communicationes 15 (1983) 222.</ref> Der CIC greift, wie schon erwähnt, in can. 1055, § 2 auf sie zurück.<ref> Vgl. oben Fußnote 177.</ref>

156. [Die Gerechtsprechung der Rota Romana]. Die Gerechtsprechung der „Rota Romana“ beruft sich auf die „katholische Lehre“, wenn sie die Unauflöslichkeit als wesentliches Merkmal der naturgegebenen Ehe betrachtet. In einer zuhöchst säkularisierten Gesellschaft und Kultur, in der sich der Kirche widersprechende Überzeugungen ausbreiten, muss man sich der Frage stellen, ob, wenn jedweder Glaube fehlt, die Unauflöslichkeit der Ehe dennoch bejaht wird. Seit einigen Jahren geht die Rechtsprechung davon aus, dass das Fehlen des Glaubens möglicherweise zu der Intention führen kann, nicht einmal eine Ehe im naturgegebenen Sinn eingehen zu wollen.<ref> Vgl. Sententia coram Stankiewicz (19. April 1991): SRRD 83, 280–290.</ref> Mit dieser Auffassung entspricht die Rechtsprechung der „propositio“ 40 der elften Generalversammlung der Bischofssynode – abgehalten im Oktober 2005 unter dem Pontifikat von Papst Benedikt XVI. zum Thema „Eucharistie“. Dort wird in Bezug auf die Frage nach der Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zur Eucharistie gesagt:

„Die Synode hofft, dass alle denkbaren Anstrengungen unternommen werden, um den pastoralen Charakter, die Präsenz und die regelgetreue und hilfreiche Tätigkeit der Ehegerichte auf dem Gebiet der für nichtig erklärten Ehen (vgl. Dignitas connubii) ins Bewusstsein zu heben. Dies geschieht einerseits durch vertieftes Reflektieren der für die Gültigkeit einer Ehe wesentlichen Komponenten; und andererseits durch Wahrnehmung der Probleme, die sich in unserer Zeit aus einer tiefgehenden Veränderung der Bedingungen ergeben, die das Menschsein bestimmen und von denen auch Gläubige erfasst sind – besonders die, die keine hinreichende christliche Schulung erfahren haben.“<ref> Propositiones Synodi Episcoporum supra Eucharistiam, in: Ecclesia, n. 3284 (19. November 2005) 34.</ref>

157. [Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI.]. Als Präfekt der Glaubenskongregation hat Joseph Kardinal Ratzinger die Klärung der Frage angemahnt, ob jede zwischen zwei Getauften geschlossene Ehe „ipso facto“ ein Sakrament sei. Im CIC wird gesagt, dass nur eine „gültige“ Ehe zwischen Getauften auch ein Sakrament ist (can. 1055 § 2). Wenn der Glaube wesentlich zum Empfang eines Sakramentes gehört, bleibt die rechtliche Frage zu klären, wie „ein Mangel an Glauben“ nachweisbar ist, der das Nichtzustandekommen des Sakramentes zur Folge hat.<ref> JOSEPH RATZINGER, Zu einigen Einwänden gegen die kirchliche Lehre über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen (= deutsche, mit zusätzlichen Fußnoten versehene Fassung der Einleitung zu Bd. 17 der von der Glaubenskongregation veröffentlichten Reihe „Documenti e Studi“: Sulla pastorale dei divorziati risposati. Documenti, commenti e studi), (Città del Vaticano 1998), 20–29; 27 f.</ref> In einer 2005 an Priester gerichteten Ansprache hat Joseph Ratzinger – inzwischen Papst Benedikt XVI. – diese Frage erinnert, auf die Komplexität des Problems hingewiesen und gesagt, er bezweifle zunehmend, dass der fehlende Glaube die Ungültigkeit einer Ehe begründen könne, was aber weiteres Nachdenken nicht ausschließe.<ref> PAPST BENEDIKT XVI., Ansprache bei der Begegnung mit dem Klerus der Diözese Aosta (25. Juli 2005): AAS 97 (2005) 856.</ref>

158. In seiner letzten Ansprache an die Rota Romana (26. Januar 2013)<ref> DERS., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (26. Januar 2013): AAS 105 (2013) 168–172.</ref> hat sich Papst Benedikt XVI. noch einmal mit der Frage befasst, die ihm so wichtig war. Wir haben bereits einige seiner Beiträge zum Thema auszugsweise referiert. Am Beginn stehen Überlegungen, in denen er die Frage des Verhältnisses von Glaube und Intention im Sinne des entsprechenden Dokumentes der Internationalen Theologenkommission behandelt:

„Der unauflösliche Bund zwischen einem Mann und einer Frau erfordert für seine Sakramentalität nicht den persönlichen Glauben der Brautleute; was als notwendige Minimalbedingung vorausgesetzt wird, ist aber die Intention, das zu vollziehen, was die Kirche vollzieht. Es ist also wichtig, das Problem der rechten Intention nicht mit dem Problem des persönlichen Glaubens der Ehepartner zu verwechseln, wenngleich beide Probleme nicht völlig getrennt voneinander betrachtet werden können.“<ref> PAPST BENEDIKT XVI., ebd.: AAS 105 (2013) 168.</ref>

159. Papst Benedikt erläutert, wie der Glaube und das Geöffnetsein des Menschen für Gott einen Lebensentwurf in all seinen Facetten und besonders auch in Bezug auf so etwas Verletzliches wie eine das ganze Leben bestimmende Bindung (Unauflöslichkeit, Ausschließlichkeit, Treue) prägen kann. „Die Abweisung von Gottes Vorsehung für das eigene Leben hat Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, auch auf die ehelich gelebte Beziehung. Sie begünstigt ein falsches Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung und ist nicht selten verbunden mit einer Flucht vor dem geduldigen Ertragen von Leid und einem egozentrischen Rückzug in das eigene Ich.“<ref> Ebd.: AAS 105 (2013) 169–170.</ref>

160. Das Fehlen des Glaubens verunmöglicht nicht automatisch das Zustandekommen einer naturgegebenen Ehe. Und dennoch bleibt zu bedenken:

„Der durch die göttliche Gnade ermöglichte Glaube an Gott ist eine sehr wichtige Voraussetzung für die wechselseitig gelebte eheliche Treue. Denn wer sich Gott verschließt und die übernatürliche, von der Gnade bestimmte Dimension der Ehe ignoriert, kann die aus der Sicht des göttlichen Heilsplanes optimale Gestalt der Ehe wohl kaum verwirklichen; im Gegenteil, er steht in Gefahr, die Gültigkeit seines Ehevertrages zu untergraben, wenn er – wie die Rechtsprechung der Rota Romana annimmt – das Prinzip der Verpflichtung zu lebenslanger ehelicher Treue als solches oder andere wesentliche Elemente bzw. Propria der Ehe ablehnt.“<ref> Ebd.: AAS 105 (2013) 170.</ref>

161. Anschließend erläutert Papst Benedikt XVI., wie der Glaube entscheidend beiträgt zur Verwirklichung der Ehegüter: „Der Entschluss christlicher Brautleute, eine wirkliche ‚communio coniugalis‘ zu leben, ist von sich aus hingeordnet auf den Glauben. Denn das Bekenntnis des Glaubens als je persönliche Antwort auf das verheißene Heil ist so etwas wie die Hineinnahme des Gläubigen in die Liebe Gottes.“<ref> PAPST BENEDIKT XVI., ebd.: AAS 105 (2013) 171.</ref> Papst Benedikt zeigt, wie das Bekenntnis eines Glaubens, der nicht abstrakt bleibt, die bekennende Person zur Liebe befähigt, sind doch Wahrheit und Liebe untrennbar voneinander. Papst Benedikt beschließt seine Ausführungen mit dem Hinweis: „Nicht ignorieren sollte man die Fälle, in denen aufgrund fehlenden Glaubens das zentrale Ehegut infrage steht, weil die Unauflöslichkeit der Ehe von den Vertragspartnern aus dem Ehekonsens ausgeklammert wird.“<ref> Ebd.: AAS 105 (2013) 172.</ref> Und in ähnlicher Weise beschädigt der Ausfall des Glaubens auch andere Ehegüter – wenn „nicht notwendig, so doch möglicherweise; denn es ist der Glaube, der den Menschen auf die von Gott gewollte Ordnung und auf die dem Ehevertrag eingestiftete Natur verweist (vgl. Gen 2,24).“<ref> Ebd.</ref>

162. [Papst Franziskus]. Die von Papst Benedikt XVI. ausgesprochene Forderung nach vertiefter Reflexion bleibt aktuell. Dies beweisen die Umfragen, die man vor den Versammlungen der dem Thema „Familie“ gewidmeten Bischofssynode gehalten hat; dies zeigen auch die entsprechenden Stellungnahmen von Papst Franziskus selbst. Das für die Dritte Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode (2014) erarbeitete Instrumentum laboris bemerkt zusammenfassend zu unserer Frage: „Viele vor allem aus Europa und Amerika stammende Antworten ... sprechen von der Notwendigkeit, der von Papst Benedikt XVI. gestellten Frage nach dem Verhältnis zwischen Glaube und Ehesakrament nachzugehen.“<ref> DRITTE AUßERORDENTLICHE VOLLVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE, Instrumentum laboris (2014), 96: Ecclesia, n. 3735–3736 (12. und 19. Juli 2014) 1065–1066.</ref> Die Relatio Synodi, die die Dritte Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode abschließt und zugleich die Lineamenta für die Vierzehnte Vollversammlung der Synode bereitstellt, nimmt ebenfalls Bezug auf unsere Frage;<ref> „Unter anderem könnte auch die Frage behandelt werden, welche Rolle der Glaube zweier verheirateter Personen bei der Überprüfung der Gültigkeit der Sakramentalität ihrer Ehe spielt, wenn weiterhin der Grundsatz gilt, dass die Ehe zwischen zwei Getauften immer ein Sakrament ist“ (Relatio Synodi, 48: AAS 106 [2014] 904).</ref> was dann auch für das entsprechende Instrumentum laboris (2015) der Vierzehnten Vollversammlung gilt.<ref> VIERZEHNTE VOLLVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE, Instrumentum laboris (2015), 114–115: Ecclesia, n. 3795–3796 (5. und 12. September 2015) 1356.</ref> Das postsynodale Lehrschreiben Amoris laetitia bemerkt einleitend: „Die Vielschichtigkeit der angesprochenen Themen [machte] uns die Notwendigkeit deutlich, einige doktrinelle, moralische, spirituelle und pastorale Fragen unbefangen weiter zu vertiefen.“<ref> PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 2: a. a. O., S. 9.</ref> Und es fügt hinzu: „Auf jeden Fall müssen wir mehr über das göttliche Handeln im Ritus der Trauung nachdenken, wie es in den Ostkirchen sehr markant zutage tritt, indem die Bedeutung des Segens über die Brautleute als Zeichen der Schenkung des Heiligen Geistes hervorgehoben wird.“<ref> Ebd., 75: a. a. O., S. 59.</ref> Auf dem so vorgezeichneten Weg sollen auch unsere eigenen Reflexionen über die „Reziprozität zwischen Glaube und Ehesakrament“ einen bescheidenen Beitrag leisten.

163. Papst Franziskus hat sich mehrfach in Ansprachen auf unser Thema bezogen. In seiner Ansprache vom 23. Januar 2015 an die Mitglieder der Rota Romana<ref> PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (23. Januar 2015): AAS 107 (2015) 182–185.</ref> wies er auf Mängel hin, die den Konsens an seiner Wurzel betreffen; die also dessen Gültigkeit tangieren können, wobei, wie er erklärte, beides möglich ist: ein die gültige Intention betreffender Mangel und ein so gravierender Ausfall der richtigen Auffassung von der Ehe, dass davon der Wille zum Konsens bestimmt wird (vgl. can. 1099).<ref> Vgl. ebd.: AAS 107 (2015) 182–183.</ref> Und er fügte hinzu: „Oft ist eine Ehekrise nachhaltig bestimmt von der Ausblendung der Erkenntnis, die aus dem Glauben stammt. Gemeint ist ein Wissen, das aus der gelebten Beziehung zu Gott und aus der Betrachtung seiner in Jesus Christus offenbar gewordenen Liebe erwächst.“<ref> Ebd.: AAS 107 (2015) 183.</ref>

164. Auf dieser Linie bewegt sich auch das als „Motu proprio“ mit dem Titel Mitis Iudex Dominus Iesus (15. August 2015)<ref> PAPST FRANZISKUS, Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus über die Reform des kanonischen Verfahrens für Ehenichtigkeitserklärungen im Codex des Kanonischen Rechtes (15. August 2015): AAS 107 (2015) 958–970.</ref> veröffentlichte Schreiben. Darin heißt es: „Zu den sachlichen und persönlichen Umständen, welche die Behandlung der Ehenichtigkeitssache auf dem Weg des kürzeren Prozesses gemäß cann. 1683–1687 nahelegen, werden als Beispiele angeführt: jener Mangel an Glauben, der die Simulation des Konsenses oder den willensbestimmenden Irrtum hervorbringen kann.“<ref> Ebd., Art. 14, § 1: AAS 107 (2015) 969.</ref> Folglich kann ein entsprechender Ausfall des Glaubens möglicherweise entscheidend sein für die Gültigkeit.

165. Im folgenden Jahr (am 22. Januar 2016) äußerte sich Papst Franziskus vor den Mitgliedern der Rota Romana<ref> PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (22. Januar 2016): AAS 108 (2016) 136–139.</ref> wie folgt: „Es soll noch einmal klärend in Erinnerung gerufen werden, dass das wesentliche Konstitutivum des ehelichen Konsenses nicht von der Qualität des Glaubens der Beteiligten, sondern – der unveränderten Lehre der Kirche getreu – von der Natur des Menschen bestimmt wird (vgl. CIC, can. 1055 § 1 und 2).“<ref> Ebd.: AAS 108 (2016) 138–139.</ref> Und Papst Franziskus machte sich die These zu eigen, dass nach der Taufe ein wirksamer habitus fidei im Getauften auch dann verbleibt, wenn er in dessen Bewusstsein nicht wahrnehmbar ist. Und er schloss seine Ansprache mit der Bemerkung: „Mangelnde Glaubensunterweisung und eine irrige Auffassung von der Einheit, Unauflöslichkeit und sakramentalen Qualität der Ehe führen nur dann zur Ungültigkeit des Konsenses, wenn sie den freien Willen der betreffenden Person tangieren (vgl. CIC, can. 1099). Deshalb müssen Irrtümer, die die Sakramentalität der Ehe betreffen, sehr sorgfältig geprüft werden.“<ref> Ebd.: AAS 108 (2016) 139.</ref>

166. [Die Eckpunkte der behandelten Frage]. Unser Überblick über die entsprechenden Verlautbarungen der letzten Päpste und der zuständigen kirchlichen Instanzen lässt erkennen, dass die Kernfrage noch nicht ganz beantwortet, wenn auch klar erkannt ist. Wenn man unsere Interpretationen systematisierend bilan ziert, lassen sich folgende Aspekte einer dynamischen Spannung und Wechselbeziehung auflisten:

a) Wie jedes Sakrament, so ist auch das Ehesakrament Vermittlung der Gnade Christi. Diese Gnade verdankt sich nicht dem Glauben der Spender des Sakramentes, die der lateinischen Tradition gemäß die beiden Ehepartner sind; sie ist vielmehr ein Geschenk Christi, der im Heiligen Geist wirksam gegenwärtig ist im Vertrag der beiden Brautleute.

b) Es kann kein Sakrament ohne Glauben geben. Jede Art von sakramentalem Automatismus würde den dialogischen Charakter der sakramentalen Heilsordnung ignorieren; denn dieser strukturiert die innere Verbindung zwischen Glaube und Sakramenten (vgl. das entsprechende Kapitel). Folglich muss man auch für den Fall, dass zwei getaufte Nichtgläubige sich das Sakrament der Ehe spenden, einen gewissen Glauben voraussetzen, ungeachtet der Schwierigkeit, diesen positiv nachweisen zu können, – gleichgültig, ob man dabei nur auf die Brautleute selbst oder auch auf das Gesamt des Glaubens der „Mutter Kirche“ schaut.

c) Die praktische Schwierigkeit, den Ausfall des Glaubens aufseiten der Brautleute nachweisen zu können, bedeutet ein komplexes pastorales Problem (vgl. § 61). Dennoch ist es Aufgabe der Dogmatik, diesen zentralen Punkt eines angemessenen Verständnisses des Ehesakramentes zu klären.

d) Wer gültig die Taufe empfangen hat, ist unwiderruflich eingestaltet worden in die sakramentale Heilsordnung; er ist besiegelt worden mit einem unauslöschlichen „character“ (vgl. § 65). Seine personale Wirklichkeit ist durch diese Zugehörigkeit bestimmt, unabhängig von den Akten, die den Glauben charakterisieren; gemeint sind die Akte des Bewusstseins, des Verstehens und des freien Willens.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh II-II, q. 4 a. 4.</ref> Keine Sünde und kein Mangel an implizitem oder explizitem Glauben kann dieses unwiderrufliche Geschenk Christi zerstören oder aufheben.

e) Die katholische Tradition hält fast durchgängig daran fest, dass Ehekontrakt und Sakrament untrennbar sind (vgl. § 155). Allerdings steht die endgültige Klärung dieses Eckpunktes der Ehelehre noch aus. Die Trennung von Ehekontrakt und Sakrament hätte direkte Konsequenzen für die Beantwortung der von uns behandelten Frage. Der gegenwärtig gängigen katholischen Lehre verpflichtet, scheint es uns jedoch angemessen, der bis heute von der überwiegenden Mehrheit geteilten Auffassung zu folgen, dass Ehevertrag und Sakrament untrennbar sind.

f) Der Glaube der Brautleute ist entscheidend für die Fruchtbarkeit des Sakramentes (vgl. § 68). Aber die Gültigkeit und mithin auch die Sakramentalität hängen nur davon ab, ob im Sinne einer „Natur-Ehe“ ein Eheband zustande gekommen ist.

g) Unbedingte Minimalvoraussetzung für den Empfang des Ehesakramentes ist die Intention der Brautleute, eine Ehe, wie sie die Natur vorgibt, einzugehen (vgl. § 154).

h) Im Falle des Ehesakramentes können Glaube und Intention nicht gleichgesetzt, aber auch nicht gänzlich voneinander getrennt werden (vgl. §§ 149 und 158). Nachdem geklärt ist, dass die Sakramentalität der Ehe von der Intention abhängt und dass der Glaube Einfluss auf die Intention nimmt, bleibt immer noch zu fragen, wie und bis zu welchem Ausmaß der Glaube die Intention bestimmt.

Wir empfehlen eine vertiefte Reflexion dieses zuletzt genannten Punktes im Blick auf den Fall der Eheschließung zwischen „getauften Ungläubigen“ (vgl. § 144). Das entspricht der von uns verteidigten Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten.

167. [Theoretische Alternativen zur Lösung unseres Problems]. Zuerst aber wollen wir der Vollständigkeit halber einen Blick auf die Liste möglicher Lösungen unseres Problems werfen – unter Beachtung der theologischen Vorgaben, die wir zuvor entfaltet haben (Kap. 2).

a) Eine erste Möglichkeit ist die Verteidigung eines absoluten „Sakramenten-Automatismus“. Dieser bedeutet, dass das Getauftsein der Brautleute deren Ehekontrakt ganz unabhängig von jedwedem Glauben „eo ipso“ auf die übernatürliche Ebene eines Sakramentes hebt. Diese Auffassung ist, wie wir mit guten Gründen erklärt haben, unvereinbar mit dem dialogischen Charakter der sakramentalen Heilsordnung. Deshalb lehnen wir sie ab.

b) Eine zweite Möglichkeit basiert auf der Trennung zwischen Ehekontrakt und Sakrament. Die Untrennbarkeit von Ehekontrakt und Sakrament ist zwar nie feierlich definiert worden, sie darf aber als theologisch sicher bzw. gewiss gelten. Für die gegenteilige Position müssten gravierende Argumente ins Feld geführt werden. Da diese fehlen, verzichten wir auf ein weiteres Eingehen auf diese Alternative und wenden uns stattdessen den allgemein akzeptierten Positionen der gängigen katholischen Ehelehre zu.

c) Eine dritte Option hebt die Bedeutung des Glaubens der Kirche für den Fall hervor, dass die Ehevertragspartner im eigentlichen Sinne keine persönliche Glaubensbeziehung leben. Es geht um den stellvertretenden Glauben der Kirche da, wo ein entsprechender Glaube der sich das Eheversprechen gebenden Brautleute fehlt. Auch mit dieser dritten Option sind Probleme verbunden. Einerseits ist ein Sakrament wesentlich bestimmt vom Konsens der Brautleute. Deshalb kann die Kirche die Gültigkeit an gewisse formale Vorgaben binden; dies geschieht ja auch infolge einer langen geschichtlichen Erfahrung bis heute. Andererseits ergibt sich aus der Beachtung des dialogischen Charakters der Heilsordnung (vgl. Kap. 2), dass der Glaube der Kirche dem persönlichen Glauben des Einzelnen zwar vorausliegt und ihn begleitet, ihn aber niemals vollständig ersetzen kann. Wer die Sakramentalität der Ehe ausschließlich auf den Glauben der Kirche stützt, ignoriert den interpersonalen Charakter der sakramentalen Heilsordnung.

d) Eine vierte Möglichkeit verortet die Sakramentalität der Ehe in der Heilswirksamkeit der Taufe, wie sie anschaulich wird in der Besiegelung durch ein unauslöschliches Merkmal („character indelebilis“). Denn der „character indelebilis“ ist Ausdruck der Unwiderruflichkeit der Gabe des Erlösers. Er bezeichnet die unwiderrufliche Eingestaltung einer Person in die sakramentale Wirklichkeit der Heilsordnung. Er befähigt den Empfänger der Taufe zu einer dialogisch gelebten Sakramentalität, ist aber seinerseits nicht an die existenzielle Einholung der Taufgabe durch den Empfänger gebunden. Der mit dem „character indelebilis“ verbundene habitus ist die Ermöglichung (Disposition) eines entsprechenden Handelns, nicht aber die Aktuierung dieser „dispositio“ oder gar ein eigener Akt. Dieser habitus muss wie eine natürliche Begabung oder Fähigkeit trainiert werden wie zum Beispiel der Wille des Menschen.<ref> Vgl. THOMAS VON AQUIN, STh I-II, q. 49–51.</ref> Die Rede von der Verleihung eines „character indelebilis“ und der Vermittlung eines entsprechenden habitus veranschaulicht gewiss den sakramentalen Charakter der Beziehung Gottes zum Menschen; aber es fehlt dabei doch die gleiche Gewichtung der dialogischen und personalen Antwort vonseiten des mit der Gnade beschenkten und zu einer persönlichen Antwort befähigten Empfängers.

e) Wie bereits zuvor gesagt, bleibt noch eine fünfte Möglichkeit. Diese gründet in unseren Ausführungen zum Begriff „Intention“. Denn die Gültigkeit jedes Sakramentes setzt aufseiten der Empfänger die Intention voraus, dem zu entsprechen, was die Kirche mit jedem einzelnen Sakrament intendiert.

Die „Intention“ und das Zustandekommen des Ehebandes trotz fehlenden Glaubens

Die „Intention“ ist notwendig für das Zustandekommen eines Sakramentes

168. [Notwendigkeit der Intention]. Wie wir gezeigt haben<ref> Vgl. § 86 und das dort referierte Zitat aus Cyrill von Jerusalem in Bezug auf die Taufe.</ref> (§§ 67–69), ist die traditionelle Sakramentenlehre der Überzeugung, dass ein Sakrament zumindest die Intention voraussetzt, das zu vollziehen, was die Kirche tut: „Alle diese Sakramente werden durch dreierlei vollzogen, nämlich durch die Dinge als Materie, die Worte als Form und die Person des Spenders, der das Sakrament erteilt in der Absicht, zu tun, was die Kirche tut (cum intentione faciendi quod facit ecclesia); wenn irgendetwas von diesen fehlt, kommt das Sakrament nicht zustande.“<ref> KONZIL VON FLORENZ, Bulle „Exsultate Deo“: Dekret für die Armenier (DH 1312).</ref> In der lateinischen Kirche gilt als „opinio communis“, dass die Spender des Ehesakramentes die Brautleute selbst sind, wenn sie sich wechselseitig die Ehe schenken.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, § 1623.</ref> Jede sakramentale Ehe setzt mindestens die Intention voraus, eine Ehe im naturgegebenen Sinn eingehen zu wollen. Denn die naturgegebene Ehe impliziert nach kirchlicher Auffassung die wesentlichen Merkmale der Unauflöslichkeit, Treue und Hinordnung auf das „Ehegut“ der Nachkommenschaft. Deshalb lässt sich folgern: Wenn die Intention, eine Ehe einzugehen, diese wesentlichen Konstitutiva nicht zumindest implizit einschließt, fehlt ihr so Entscheidendes, dass das Zustandekommen einer naturgegebenen Ehe infrage steht und also auch die unverzichtbare Voraussetzung für ihre Erhebung auf die sakramentale Ebene.<ref> Vgl. CIC, can. 1101.</ref>

169. [Die wechselseitige Beziehung zwischen Glaube und Sakramenten]. Mit unterschiedlichem Nachdruck, aber doch kontinuierlich unterstreicht das Lehramt der letzten drei Pontifikate den inneren Zusammenhang zwischen einem lebendigen und expliziten Glauben einerseits und der Intention andererseits, eine naturgegebene Ehe eingehen zu wollen: die unauflöslich und exklusiv und – verbunden mit sich selbst verschenkender Liebe – ausgerichtet ist auf das Ehegut der Nachkommenschaft. Papst Johannes Paul II. fordert dazu auf, Brautleute abzuweisen, die „ausdrücklich und förmlich ablehnen, was die Kirche mit der Feier der Ehe von getauften Personen intendiert“ (vgl. § 153). Nur so nämlich wird die Notwendigkeit „der rechten Intention gewahrt, eine der natürlichen Wirklichkeit entsprechende Ehe eingehen zu wollen“ (vgl. § 154). Papst Benedikt XVI. nennt die gravierenden Folgen des fehlenden Glaubens für das Leben und die Beziehung, für das Eheband und auch für die Ehegüter, wenn er von „deren Beschädigung“ spricht (vgl. § 161). Papst Franziskus erklärt, dass die Krise des Ehesakramentes ganz wesentlich verursacht ist durch den Verzicht auf „das vom Glauben ermöglichte Wissen“ (vgl. § 163) und dass mangelnder Glaube ein mögliches Motiv für einen nur vorgetäuschten Konsens sein kann (vgl. § 164). Die Rechtsprechung der Rota Romana folgt der von Papst Benedikt XVI. eingeschlagenen Linie (vgl. § 156). Genauer gesagt: Die zuvor erwähnten Instanzen und die beiden letzten Päpste sprechen im Blick auf das Ausbleiben eines lebendigen und expliziten Glaubens von berechtigten Zweifeln an der Intention, bereit zu sein für eine unauflösliche, endgültige und exklusive Ehe, die – als gegenseitiges Geschenk in Freiheit eingegangen – offen ist für Nachkommenschaft oder zumindest das Eintreten dieser Möglichkeit nicht von vornherein ausschließt. Also ist jede Art von „Sakramentenautomatismus“ ausgeschlossen.

Vorherrschende Kultur und Eheverständnis

170. [Vorherrschende Kultur und Eheverständnis]. Es gibt Länder, deren vorherrschende Kultur Polygamie als Wert betrachtet, obwohl dies dem biblisch bezeugten Heilsplan Gottes widerspricht (vgl. Gen 1,26; 2,18–24). Wenn der entsprechende christliche Glaube fehlt, ist es unter solchen Gegebenheiten äußerst schwierig, die Einsicht zu vermitteln, dass die Intention, eine Ehe eingehen zu wollen, nach christlicher Auffassung die der naturgegebenen Ehe eingeschriebene Exklusivität impliziert. Hinzu kommt, dass da, wo Polygamie und – abgesehen von der Polygamie – auch noch andere Faktoren eine Kultur bestimmen, das in der Schöpfung und Gottebenbildlichkeit des Menschen verankerte Prinzip der gleichen Würde von Mann und Frau auf dem Spiel stehen kann.<ref> Vgl. INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Gemeinschaft und Dienstleistung: Die menschliche Person – geschaffen nach dem Bilde Gottes (2004). 32–39: a. a. O., S. 23–27.</ref> Dieses Prinzip ist aus christlicher Sicht ein Implikat des bonum coniugum und also eines der wesentlichen Güter der naturgegebenen Ehe. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass sich eine gewisse Spielart praktizierter Polygamie auch in vielen westlichen Ländern ausbreitet. Das Eheband und die Gleichheit von Mann und Frau stehen für viele Zeitgenossen nicht im Widerspruch zu anderen gleichzeitig gelebten Beziehungen – zugleich wissend, dass die Kirche sexuelle Beziehungen exklusiv an die von der Ehe bestimmte Ordnung bindet.

171. Es ist schon einige Jahre her, dass in christlich geprägten Ländern von einem durch den Einfluss des christlichen Glaubens geprägten Konsens in puncto „Ehe“ gesprochen werden konnte. Damals konnte man davon ausgehen, dass ganz unabhängig von einem lebendigen und expliziten Glauben jede Ehe die Konstitutiva intendiert hat, die die Kirche als Integral der naturgegebenen Ehe betrachtet. Aufgrund der weiten Verbreitung neuer Konzepte des Zusammenlebens, die mit der katholischen Lehre unvereinbar sind, muss heute das Augenmerk in Lehre und Praxis auf neu entstehende Probleme gerichtet werden.

172. Die Ehe ist eine Wirklichkeit der Schöpfung. Deshalb ist die Anthropologie ein wesentliches Integral der Ehe und dies unter zwei Gesichtspunkten, die zwar zu unterscheiden, aber doch eng miteinander verbunden sind. Da ist zunächst die Bestimmung der Personalität des Menschen als eines relationalen Wesens, das seine volle Verwirklichung in der Selbsthingabe findet. Und zum Zweiten ist die Ehe wesentlich bestimmt von der Geschlechterdifferenz zwischen Mann und Frau; denn diese ist vom Schöpfer hingeordnet auf die Weitergabe des Lebens und auf den Ehebund, der ein Spiegel des Bundes Gottes mit Israel und des Bundes Christi mit der Kirche ist. Beide genannten Gesichtspunkte betreffen ganz elementar die naturgegebene Ehe. Denn sie ist unauflöslich, exklusiv und hingeordnet auf das reziproke Gut wechselseitig geschenkter Liebe und Nachkommenschaft. Vor diesem Hintergrund erscheint die Kirche zuweilen als die alleinige und nicht selten unter Beschuss geratene Verteidigerin und Hüterin einer Ehe, der von Natur aus die besagten Propria eingeschrieben sind. Ohne in die Katastrophengemälde ständigen Jammerns verfallen zu wollen, kann ein ehrlicher Blick auf den kulturellen Kontext nicht verhehlen, dass sich in der postmodern geprägten Welt bestimmte Verhaltensweisen mehr oder weniger nachhaltig verbreitet haben. Sie treffen die Anthropologie der naturgegebenen Ehe an ihrer Wurzel. Ohne für die im Folgenden präsentierte Phänomenologie den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, darf man doch sagen, dass es eine vorherrschende Tendenz gibt, die sich z. B. in weit verbreiteten Überzeugungen verdichtet, die – zum Teil von der Gesetzgebung geschützt – dem katholischen Glauben diametral widersprechen.

a) Die Suche nach individueller Selbstverwirklichung, fokussiert auf die Befriedigung des eigenen Ich als Sinn des Lebens, tangiert auch die wichtigsten ethischen Weichenstellungen und betrifft somit nicht zuletzt das weite Feld von Ehe und Familie. Die Selbstverwirklichungsmaxime steht in krassem Gegensatz zu der These, dass das von Liebe bestimmte Opfer die höchste Verwirklichung des wahren Personseins ist. Hingabe aus Liebe ist die Empfehlung des christlichen Glaubens, der nur so seine Bestimmung realisiert und erfüllt.

b) Es gibt eine „Macho“-Mentalität, die Frauen herabwürdigt und damit die als Gut der Ehepartner ausgewiesene Gleichheit von Mann und Frau tangiert. Die Ehe wird dann nicht als Bund zwischen Zweien verstanden, denen – dem Schöpferwillen entsprechend – die gleiche Würde, die gleiche menschliche Natur und die gleichen Rechte zuzusprechen sind. Das aber widerspricht den Vorgaben der Heiligen Schrift und also dem christlichen Glauben.<ref> Vgl. PAPST BENEDIKT XVI., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (26. Januar 2013), 3: AAS 105 (2013) 171.</ref> Die der zeitgenössischen Kultur widersprechende Invektive Jesu gegen die Scheidungspraxis (vgl. Mt 19, 3–8) seiner Zeit war eine Verteidigung der schwächeren Seite, nämlich der Frau.

c) Es gibt eine „Gender-Ideologie“, die jede von Natur aus vorgegebene Bedeutung der Geschlechterdifferenz leugnet und die geschlechtliche Identität als ein Konstrukt betrachtet. Damit untergräbt sie die der Schöpfung eingeschriebene Komplementarität der Geschlechter. d) Es gibt eine Scheidungsmentalität, die leugnet, dass die Unauflöslichkeit wesentliches Integral der Ehe ist. Diese Mentalität sieht in dem Band, das die Eheleute verbindet, und in dem, was man gemeinhin die Lebensgemeinschaft eines „Paares“ nennt, eine jederzeit revidierbare Wirklichkeit. Das aber widerspricht diametral der Lehre Jesu, wie sie uns in Mk 10,9 und Mt 19,6 (vgl. Gen 2,24) überliefert ist.

e) Es gibt eine Auffassung, die den Leib des Menschen als persönliches Eigentum betrachtet, das frei verfügbar ist, um ein Maximum an Lust zu erzielen – besonders durch „Befreiung“ der sexuellen Beziehungen von jeder Bindung an die institutionellen und bindenden Vorgaben der Ehe. Paulus aber betont, dass unser Leib dem Herrn gehört, und dass deshalb Unzucht (porneia) unvereinbar ist mit der Bestimmung des Leibes zur Verherrlichung Gottes (vgl. 1 Kor 6,13–20).

f) Es gibt auch die Trennung des ehelichen Aktes von der Bereitschaft, Kindern das Leben zu schenken. Auch dies widerspricht der gesamten Tradition der katholischen Kirche, angefangen von der Schrift (Gen 1,28) bis in die Gegenwart.<ref> ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 50; HL. PAPST PAUL VI., Enzyklika Humanae vitae über die Weitergabe des Lebens (25. Juli 1968), bes. 12: AAS 60 (1968) 488–489.</ref>

g) Zu nennen ist auch die ethische und nicht selten auch gesetzliche Gleichstellung jeder Art von Paarbildung. Weit verbreitet sind nicht nur wechselnde und faktische sexuelle Beziehungen ohne Trauschein, sondern auch sexuelle Beziehungen zwischen Personen des gleichen Geschlechts. Wechselnde Beziehungen ignorieren die Unauflöslichkeit; das Gleiche gilt für jedes Zusammenleben auf Zeit und Probe. Und gleichgeschlechtliche Beziehungen verkennen die anthropologische Bedeutung der Geschlechterdifferenz (Gen 1,27; 2,22–24), die aus katholischer Sicht der naturgegebenen Ehe eingeschrieben ist.

Fehlender Glaube kann die Intention, eine naturgegebene Ehe eingehen zu wollen, beeinträchtigen

173. [Fehlender Glaube kann die Intention beeinträchtigen, eine naturgegebene Ehe eingehen zu wollen]. Aus dogmatischer Sicht gibt es begründete Zweifel, dass eine Ehe zwischen „getauften Nichtgläubigen“, die der soeben gelisteten Typologie entsprechen, Sakrament des Glaubens sein kann. Die Intention, eine naturgegebene Ehe eingehen zu wollen, steht ernstlich infrage, wo mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die defekte Intention eine innere Konsequenz des fehlenden Glaubens ist. Das haben die beiden letzten Päpste so erklärt. „Getauften Nichtgläubigen“, die der oben gelisteten Typologie entsprechen, darf man fehlenden Glauben unterstellen, wenn ihre Lebensführung eindeutig davon bestimmt wird. Wir dürfen folglich annehmen, dass die von den Päpsten generell geäußerten Zweifel zumindest auf die Fälle zutreffen, die wir in Gestalt einer Typologie aufgelistet haben. Denn es ist unmöglich, etwas anzustreben, vorzutäuschen oder zu lieben, was man nicht kennt oder ausdrücklich ablehnt.

174. [Die Auswirkungen fehlenden Glaubens auf die von Natur aus gegebenen Ehegüter]. Mehr als jedes andere Sakrament ist das Ehesakrament durch ein enges Band zwischen geschaffener und übernatürlicher Wirklichkeit, zwischen Schöpfungs- und Erlösungsordnung bestimmt: „Die Ehe ist durch den Schöpfergott eingesetzt“<ref> INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Die katholische Lehre über das Sakrament der Ehe (1977), 3.</ref> und dann zur Würde eines Sakramentes erhoben worden. Wenn man dies bedenkt, dann wird verständlich, dass da, wo man die naturgegebene Wirklichkeit der Ehe antastet bzw. vom Entwurf des Schöpfers abweicht, „eo ipso“ auch die übernatürliche bzw. sakramentale Wirklichkeit tangiert ist. Dieser Zusammenhang begegnet uns auch in umgekehrter Richtung – zumindest da, wo „getaufte Ungläubige“ eine Ehe eingehen. Es gibt die ausdrückliche Abweisung der übernatürlichen Wirklichkeit; die explizite, zuweilen förmlich bekundete Aufgabe des Glaubens und auch das völlige Fehlen einer Glaubensbeziehung vonseiten derer, die als Getaufte nie zu einer persönlichen Annahme des Glaubens gelangt sind. Unter diesen Voraussetzungen sind die entsprechenden Personen den gesellschaftlichen Trends und Meinungen über Ehe und Familie ungeschützt ausgeliefert. Und daher ist ihnen der Zugang zu der vom Schöpfer vorgegebenen Bedeutung der Ehe versperrt.

175. Wenn man das Gesamt der oben skizzierten Entwicklungen mit der letzten von Papst Benedikt XVI. an die Mitglieder der Rota Romana (26. Januar 2013) gerichteten Ansprache konfrontiert, darf man festhalten, dass immer dann, wenn ein klarer und expliziter Glaube fehlt, die auf die wesentlichen Ehegüter hingeordnete Intention der Brautleute ernstlich infrage steht. Papst Benedikt XVI. hat dies sehr deutlich in Bezug auf das „bonum coniugum“ erläutert. Er beginnt seine Ansprache wie folgt: „Angeregt durch das ‚Jahr des Glaubens‘ möchte ich insbesondere nachdenken über einige Aspekte der Beziehung zwischen Glaube und Ehe. Dabei bin ich mir bewusst, dass die gegenwärtige Krise des Glaubens, die weite Teile der Welt erfasst hat, eine Krise des ehelichen Zusammenlebens zur Folge hat.“<ref> PAPST BENEDIKT XVI., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (26. Januar 2013), 1: AAS 105 (2013) 168.</ref> Anders gesagt: Die übernatürliche Ebene betrifft unmittelbar auch die naturgegebene Wirklichkeit der Ehe. Und Papst Benedikt fährt fort:

„Dies kann niemandem verborgen bleiben: Wer sich ein für alle Mal zu einer lebenslangen Bindung entscheidet, lässt erkennen, ob er oder sie das eigene Leben im bloßen Diesseits verankert oder aber in das Licht des Glaubens an den Herrn stellt. Nur wer sich Gott öffnet, ist fähig, die Wahrheit zu verstehen und also das wahre Menschsein – wiedergeboren im Bad der Taufe – konkret im Leben von Ehe und Familie zu realisieren.“<ref> Ebd., 2: AAS 105 (2013) 169.</ref>

176. Das in der naturgegebenen Ehe gelebte Menschsein gehört zu Gottes Heilsplan. Papst Benedikt XVI. folgert aus der Untrennbarkeit von Wahrheit und Liebe, dass das „bonum coniugum“ – gemeint ist die mit wahrhaft selbstloser Liebe verbundene Hingabe – offen ist für die Liebe, die Gott selber ist. Die mit dem „bonum coniugum“ der Brautleute verbundene Liebe ist daher aufgefordert, sich der letztlich einzig wahren Liebe, nämlich der Liebe Gottes, zu öffnen. In einer Gesellschaft, die Selbstverwirklichung als das höchste Gut betrachtet und in der christlicher Glaube spürbar fehlt oder explizit abgelehnt wird, ist es sehr schwer, das Eheband als Ausdruck einer Liebe zu verstehen, die Opfercharakter trägt. Mit den Worten von Papst Benedikt XVI.: „,Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen‘ (Joh 15,5). Das ist es, was Jesus seine Jünger gelehrt hat; er hat sie daran erinnert, dass der Mensch von sich aus unfähig ist, das für ihn unbedingt notwendige Gut selbst zu erwerben.“<ref> Ebd.</ref> Wer das Leben und Handeln aus der Liebe als altruistische Selbstüberschreitung versteht, die vor allem das Wohl des Anderen im Auge hat, erkennt die Vervollkommnung des Menschen durch das Wirken der göttlichen Gnade.

177. Opferliebe und altruistische Selbstüberschreitung sind nicht auf die reziproke Beziehung der Eheleute zueinander beschränkt, sondern betreffen in höchstem Maße auch das Gut der Nachkommenschaft, die wunderbare Frucht der ehelichen Liebe. Allerdings: Wenn das Gut der Liebe zwischen den Ehepartnern wesentlich verletzt wird, muss dies nicht direkt und explizit auch die Nachkommenschaft betreffen.

178. Wo der Glaube fehlt, ergeben sich – zumindest in unserem kulturellen Umfeld – ernsthafte Zweifel bezüglich der Unauflöslichkeit. Ein tief in der Gesellschaft verwurzeltes Eheverständnis wünscht zwar in höchstem Maße die Dauerhaftigkeit der Ehe, verbindet aber offensichtlich mit dem Begriff „Eheband“ nicht die Eigenschaft der Unauflöslichkeit. Und das traurigerweise enorme Ansteigen der Scheidungsziffer macht deutlich, dass man da, wo der Rekurs auf eine besondere Erkenntnisquelle, wo also Glauben als Bejahung des göttlichen Schöpfungsplanes fehlt, aus gutem Grunde bezweifeln kann, ob die Intention, das Band der Ehe als unauflöslich zu betrachten, echt ist.

179. Relativ kurz haben wir auch folgende Punkte behandelt: Der Glaube bestimmt ganz wesentlich die gelebte Anthropologie. Im Wesentlichen ist die Ehe ein Thema der Anthropologie und der Schöpfungslehre. Wo der Glaube völlig fehlt, ist auch die Anthropologie betroffen und mit ihr die naturgegebene Wirklichkeit der Ehe, die immer mehr unter den Einfluss der vorherrschenden kulturellen Wertvorstellungen gerät. Ein entsprechender Ausfall des Glaubens erlaubt begründete Zweifel, ob im Einzelfall wirklich eine „natürliche Ehe“ und damit die unabdingbare Voraussetzung für deren Sakramentalität vorliegt. Anders gesagt: in dem geschilderten Fall einer Verbindung zwischen „getauften Nichtgläubigen“ kann aufgrund des fehlenden Glaubens nicht vorausgesetzt und garantiert werden, dass die Intention echt ist, eine naturgegebene Ehe eingehen zu wollen. Zuweilen kann man dies als offensichtlich ausgeschlossen betrachten.

180. [Zur Sakramentalität]. Diese Auffassung steht in vollem Einklang mit dem Begriff von „Sakramentalität“, den wir entfaltet haben (vgl. bes. § 16). Hier sei daran erinnert, dass dieser Begriff eine untrennbare Beziehung zwischen einer äußerlich sichtbaren Wirklichkeit (einer bezeichnenden Ebene) und einer übernatürlichen, unsichtbaren Wirklichkeit (einer bezeichneten Ebene) voraussetzt. Auch das katholische Eheverständnis setzt diese Definition als gegeben voraus. Damit man von der Ehe als Sakrament sprechen kann, muss eine äußerlich sichtbare Realität vorliegen, die aufgrund der ihr eingeschriebenen Eigenschaften (Ehegüter: GS 48–50) und aufgrund der ihr geschenkten Gnade die Liebe Gottes bezeichnen kann. Anders gesagt: Ein Eheband, das Unauflöslichkeit, Treue, Bereitschaft zur aufopfernden Hingabe an den Ehepartner und Offenheit für Nachkommenschaft ausschließt, wäre ungeeignet für die Bezeichnung der Liebe Christi zur Kirche. Wahre eheliche Liebe wäre dann – so lehrt die Kirche – gar nicht möglich.

181. [Schlussfolgerung]. Unsere Ausführungen wenden sich gegen zwei Extreme. Einerseits wenden wir uns unbedingt gegen den „Sakramentenautomatismus“ (vgl. bes. §§ 41 und 78 e), der jede Ehe von Getauften als Sakrament ausweist – mit der Begründung, der „character indelebilis“ der Taufe oder ein stellvertretendes Handeln Christi und der Kirche würden das für den Sakramentenempfang vorausgesetzte Minimum an Glauben garantieren. Andererseits wenden wir uns auch gegen einen elitären „Sakramentenskeptizismus“, der davon ausgeht, dass jede Art von Glaubensmangel die besagte Intention so beeinträchtigt, dass das Sakrament nicht zustande kommt. Wir halten fest: Wenn Glaube offensichtlich nicht vorhanden ist – wie in den beschriebenen Fällen „getaufter Nichtgläubiger“ – ergeben sich ernste Zweifel bezüglich der Intention. Denn nach kirchlicher Auffassung schließt die Intention, das Sakrament der Ehe empfangen zu wollen, die Bejahung der Konstitutiva einer naturgegebenen Ehe ein; wo diese Bejahung infrage steht, bleibt ernstlich zu bedenken, ob die betreffende Ehe eine sakramentale sein kann. Die sakramentale Praxis der Kirche lässt es zu, unter den besagten Bedingungen das Sakrament der Ehe zu verweigern, wie von Papst Johannes Paul II. (vgl. §§ 153 und 169) bestätigt wurde.

182. [Auftrag an die Seelsorge]. Beide Gegebenheiten – der kulturelle Kontext, wie er von uns in den §§ 156 und 179–172 beschrieben wurde, und die Ehen „getaufter Nichtgläubiger“ – müssen die Ehepastoral zu allen ihr irgendwie möglichen Anstrengungen bewegen – entsprechend den Empfehlungen von Papst Johannes Paul II. und Papst Franziskus.<ref> Vgl. HL. PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), bes. Kap. IV: a. a. O., S. 126–140; PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), bes. Kap. VI: a. a. O., S. 142–183.</ref> Das Herz der von vielen christlichen Familien beispielhaft gelebten Menschlichkeit ist der gemeinsame Glaube. Die Strahlkraft dieser Menschlichkeit kann wie ein Leuchtturm und Leitstern Menschen anziehen und überzeugen. Diese Anziehungskraft könnte sich auch auf die besagten Ehen „getaufter Nichtgläubiger“ auswirken; denn wo Glauben geweckt wird, wird auch die sakramentale Gnade von Neuem wirksam. Jedenfalls ist die beste Antwort auf den trotz aller Schwierigkeiten überall lebendigen „Wunsch nach Familie“ die „in der Familie erfahrene Freude der Liebe“.<ref> Vgl. ebd., 1: a. a. O., S. 9.</ref>

Conclusio: Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten innerhalb der sakramentalen Heilsordnung

183. [Sakramentale Sichtbarkeit der Gnade]. Die Inkarnation des göttlichen Logos hat die Sakramentalität der Heilsordnung und die Sakramentalität der Heilsordnung die Sichtbarkeit der Gnade zur Folge. Indem die Kirche das Heilswerk Christi empfängt und weiterhin vermittelt, ist sie konstitutiv für die Sichtbarkeit der Gnade Christi in der Geschichte. Ihre Bedeutung beschränkt sich nicht auf die Verwaltung der Heilsmittel für die schon Gläubigen. Vielmehr ist sie das sichtbare Zeichen der rettenden Gnade Gottes für die ganze Welt. Wenn die Kirche verschwinden würde, würde auch die geschichtliche Berührbarkeit des Heilswerkes Christi verschwinden. Also dient die Kirche der gesamten Menschheit. Die Kirche ist Mittel und Werkzeug der geschichtlichen Gegenwart des universalen Heilsplanes Christi. Jeder Christ beteiligt sich an der Mission der Kirche, die durch die Feier jedes Sakramentes auf je eigene Weise gestärkt wird. Jedes Sakrament ist wesentlich ein Empfangen der Gabe Gottes und zugleich Eingestaltung des Empfängers in Jesus Christus und in die dem wahren Leben der Menschheit dienende Sendung der Kirche.

184. Die sakramentale Ebene ist die Außenseite bzw. die Sichtbarkeit der Heilsordnung. Wenn die Kirche zum Beispiel geschiedenen und zivil wiederverheirateten Personen den Sakramentenempfang verweigert, kann sie dennoch daraus kein Urteil über die wahre Qualität des Glaubens der betreffenden Personen ableiten. Die Mitglieder anderer christlicher Gemeinschaften befinden sich aufgrund gravierender Differenzen in Lehre und Leben nicht in voller Communio mit der katholischen Kirche. Deshalb darf die Feier der Eucharistie keine sichtbare Gemeinschaft vortäuschen, die in Wahrheit nicht besteht.<ref> Zu den Ausnahmen vgl. CIC, can. 844, § 5; CCEO, can. 671, § 5; PÄPSTLICHER RAT ZUR FÖRDERUNG DER EINHEIT DER CHRISTEN, Directorium (25. März 1993), §§ 122–131.</ref> Dennoch kann die von einem Nichtkatholiken in Gebet und tätiger Nächstenliebe praktizierte Christusbeziehung viel intensiver sein als die jedes Katholiken, obwohl nur Letzterem alle sakramentalen Mittel des Heils zugänglich sind. Wie die Liturgie bezeugt, steht das letzte Urteil über die Qualität eines jeden Menschen allein Gott zu. Im Römischen Kanon beten wir: „Du, Herr, kennst ihren Glauben und ihre Hingabe.“<ref> Missale Romanum, 3. Editio typica, 448.</ref>

185. [Das Wachsen des Glaubens und das Katechumenat]. Weil der Glaube eine Tugend ist, ist er eine ständig in Entwicklung befindliche Wirklichkeit. Er kann wachsen, stärker und reifer werden, aber – wie die Erfahrung zeigt – sich auch gegenteilig entwickeln. Das Katechumenat hilft, sich zunehmend bewusst zu machen und persönlich beteiligt zu sein bei dem, was in der Feier eines Sakramentes geschieht. Eine von Liebe bestimmte Seelsorge muss die konkreten Zielsetzungen jeder Katechese dem jeweiligen Sakrament anpassen; und sie muss den Bewerbern dadurch gerecht werden, dass sie die Qualität und die Intensität des religiösen Hintergrundes beachtet, aus dem sie kommen. Die Ausbildung der Katecheten und deren gelebtes Zeugnis sind kaum zu überschätzen. Und zu beachten ist auch, dass ein auf die persönliche Aneignung bedachter Sakramentenempfang zur Fortsetzung katechetischer Unterweisung bzw. „mystagogischer Katechese“ einlädt – und dies ganz gewiss im Anschluss an die christliche Initiation und nach Empfang des Ehesakramentes. Einige der sogenannten neuen kirchlichen Bewegungen praktizieren geeignete Modelle der kontinuierlichen Förderung des Glaubens und einer Art kontinuierlicher Katechese. Sie erreichen so eine Sozialisierung des Glaubens der Einzelnen und damit deren kirchliche Anbindung. In diesen Bewegungen wird die sakramentale Dimension des Glaubens neu entdeckt durch ein bewusstes Empfangen der göttlichen Heilsgabe, durch eucharistische Anbetung, häufigen Empfang der Sakramente, durch Bewusstmachung der unwiderruflichen Zuwendung des Gottes, der seine Gnade an die Sakramente bindet, unabhängig von der sittlichen Qualität der Ausspender und unabhängig von den Verdiensten der Empfänger. Die vertikale Sakramentalität der Kirche besteht in der Stärkung derer, die die Sakramente empfangen – nicht nur für sich selbst, sondern um die horizontale Sakramentalität der Kirche zu stärken, indem sie vor der Welt bezeugen, wie die Gnade Gottes sich in ihrer Schwachheit als stark erwiesen hat (2 Kor 12,9).

186. [Eingestaltung in die sakramentale Heilsordnung durch den Glauben und die Sakramente]. Die Eingestaltung des Christen in die sakramentale Heilsordnung erfolgt durch den Glauben und durch die Sakramente. Die Sakramente vermitteln denen, die sie zu empfangen wünschen und entsprechend disponiert sind, eine Wirklichkeit, so kostbar wie das Unterpfand des ewigen Lebens und der liebenden Nähe Jesu Christi.

187. Die von der Inkarnationslogik bestimmte Verwirklichung der sakramentalen Heilsordnung erlangt ihren Gipfel im PaschaMysterium, in dem die göttliche Liebe bis zum Äußersten geht (Joh 13,1; 15,13). Der Christ wird durch die Taufe (das Sakrament des Glaubens) in das Pascha-Mysterium eingestaltet, indem er auf sakramentale Weise teilnimmt am Sterben und Auferstehen Jesu (Röm 6,3–4). Zugleich wird er so ein lebendiger Stein der Kirche. Kurzum: Das christliche Leben beginnt mit der Eingestaltung in die alles bedingende Mitte der sakramentalen Heilsordnung.

188. Die Sendung des Heiligen Geistes ist das große Geschenk des Auferstandenen; und in dieses Geschenk eingeschlossen ist das Christus-Mysterium. Die Kirche wurde sich mit dem letztgültigen Ereignis ihrer Konstituierung, nämlich dem pfingstlichen Empfang des Heiligen Geistes, in vollem Maße ihrer Begnadung und heilsuniversalen Sendung bewusst. Der einzelne Christ wird in das pfingstliche Ereignis eingestaltet durch die Initiationssakramente und durch jede Stärkung seines Glaubens und seiner Verantwortung nach innen für die Gemeinschaft der Kirche und nach außen für die Mission.

189. Beim letzten Abendmahl hat Jesus in Wort und Gestus die Bedeutung seines Lebens, Sterbens und Auferstehens sakramental antizipiert, nämlich in der unblutigen Hingabe seines Leibes und im unblutigen Vergießen seines Blutes „für die Vielen“. In der Eucharistie empfängt der Christ immer wieder dieses Geschenk des Herrn; er bejaht dieses Geschenk ausdrücklich mit der Antwort „Amen“, um fortan als lebendiges Glied des Leibes Christi inmitten der Welt Zeugnis zu geben.

190. Die sakramentale Heilsordnung ist durchgängig bestimmt vom Bund Gottes mit den Menschen, der nicht selten mit dem Bild des Ehebundes und entsprechenden Metaphern veranschaulicht wird. Weil durch Christus der Bund Gottes mit den Menschen endgültig und unwiderruflich erneuert wurde, ist das ganze Christus-Mysterium davon bestimmt. Und christliche Brautleute, die ihre Ehe „in Christus“ verankern, sind ein Zeichen, das die unbedingte Liebe Christi zur Kirche bezeugt.

191. Durch sein Leben, Sterben und Auferstehen hat uns Christus das Heil Gottes geschenkt. Dieses Heil bedeutet die Vergebung der Sünden, die Versöhnung mit Gott und die Versöhnung mit den Brüdern und Schwestern, kurzum: die Beseitigung der trennenden Mauer (Eph 2,4–6.11–14). Wenn ein Christ sich gegen das Evangelium und die Nachfolge Christi versündigt hat, aber dann gläubig und mit reuigem Herzen das Sakrament der Buße empfängt, wird er mit Gott und mit der Kirche versöhnt. Und abgesehen davon, dass so Erneuerung der Kirche geschieht, wird der, dem vergeben wurde, zum Botschafter Gottes in Jesus Christus geschenkter Vergebung.

192. Jesus näherte sich vielen Kranken, tröstete sie, heilte sie und vergab ihnen ihre Sünden. Wer die Krankensalbung empfängt, wird eben dann, wenn die Macht der Krankheit und des Todes zu triumphieren scheinen, mit Christus verbunden, um im Glauben Christi Sieg und die eigene Hoffnung auf das ewige Leben zu bezeugen.

193. Jesus hat um sich eine Gruppe von Schülern und Gefolgsleuten versammelt, die er über die Geheimnisse des Reiches Gottes aufgeklärt und denen er auch das Geheimnis seiner selbst offenbart hat. Wer im Glauben dem Ruf des Herrn folgt und das Sakrament des Ordo empfängt, wird Christus als dem Haupt und Hirten der Kirche eingestaltet, um fortan das Evangelium zu verkünden, die kirchliche Gemeinschaft nach dem Vorbild des guten Hirten zu leiten und das lebendige und heilige Opfer darzubringen.

194. [Der sakramentale Charakter des Glaubens]. Die göttliche Heilsordnung beginnt mit der Schöpfung, entfaltet sich im Laufe der Geschichte und ist ausgerichtet auf ewige Vollendung. Allerdings ist nicht jeder Blick in die Geschichte mit der Wahrnehmung des Handelns Gottes verbunden. Man muss zum Beispiel den Exodus Israels aus Ägypten nicht unbedingt auf das befreiende Handeln Gottes zurückführen. Und ähnlich verhält es sich mit den Wundern, die von Jesus berichtet werden, und mit seinem Tod am Kreuz. Nur die Augen des Glaubens erkennen in den besagten Wundern Jesu Hinweise auf seine messianische Sendung (vgl. Lk 7,18–23) und auf seine Gottheit (vgl. Mt 14,33; Lk 5,8; Joh 5) und nicht im Gegenteil ein Wirken von Beelzebub (vgl. Mk 3,22). Nur Augen des Glaubens können erkennen, dass das Kreuz Jesu nicht einfach nur eine Hinrichtung ist, sondern der Ort der Vergebung der Sünden (vgl. Mt 27,39– 44), und also auch der Versöhnung mit Gott (2 Kor 5,18–20).

195. Von daher können wir mit Augustinus und Origenes<ref> Vgl. AUGUSTINUS, De vera rel. 50,99 (CCSL 32, 21); De trin. I, 6,11; II, 17,29; IV, 3,6 (CCSL 50, 40; 119–120; 166–169); Enarr. in Ps. 65,5 (CCSL 39, 842–844); Ep. 120,3,15; 147 (PL 33, 459; 596–622); ORIGENES, Com. Rm. 2,14 (PG 14, 913–915); Hom. in Lc. 1,4 (SCh 87, 104–106).</ref> unterscheiden: Da ist zunächst der ausschließlich historisch-kritische Blick auf die Ereignisse der Heilsgeschichte. Er beschränkt sich auf die Kenntnis der Ereignisse, vertraut dabei auf die Glaubwürdigkeit der sie erzählenden Zeugen, erfasst aber nicht deren heilsgeschichtliche Bedeutung. Die vom Heiligen Geist erleuchteten Augen des Glaubens hingegen erkennen nicht nur die historische Faktizität der Ereignisse, sondern nehmen in diesen auch das Heilshandeln Gottes wahr. Anders gesagt: Die Erkenntnis des Glaubens dringt vor bis in den Innenraum der sakramentalen Bedeutung dessen, was faktisch geschehen ist. Indem die Augen des Glaubens die sichtbare Außenseite der Geschichte durchdringen, nehmen sie die in bestimmten Ereignissen wirksame Gnade wahr. Dieses dem christlichen Glauben eingeschriebene Sehen ermöglicht nicht nur das Wahrnehmen der Gegenwart des göttlichen Handelns in den Fakten der Geschichte. Es befähigt auch zur Wahrnehmung des Zusammenhangs der besagten Ereignisse mit der Hoffnung auf das zukünftige Leben. Der Glaube, von dem wir hier sprechen, ist mehr als der Glaube an das ewige Leben, an die Dreieinigkeit Gottes und an die Herrschaft Christi. Es handelt sich um denselben Glauben, der den Personen zu eigen war, die Jesus anlässlich seiner nachösterlichen Erscheinungen mit dem Auferstandenen identifiziert haben. Ohne diesen Glauben ist die Geschichte nicht als Gottes Heilsgeschichte erkennbar. Ohne diesen Glauben bleibt die Geschichte eine Anhäufung von Fakten, deren Bedeutung jedenfalls umstritten bleibt, wenn sie erst nachträglich bzw. von außen an die Fakten herangetragen wird. Anders die Hermeneutik des Glaubens. Sie setzt voraus, dass die Bedeutung der historischen Fakten dieselbe ist, die Gott ihnen gibt. Denn der göttliche Heilsratschluss liegt der Geschichte voraus und ordnet sie lenkend hin auf das ewige Leben. Kurz zusammengefasst: Weil die vom dreieinen Gott bestimmte Ordnung sakramentaler Natur ist, ist auch der christliche Glaube eine genuin sakramentale Wirklichkeit.

Anmerkungen

<references />