4. Generalversammlung der CELAM in Santo Domingo 1992
Neue Evangelisierung - Förderung des Menschen - Christliche Kultur
Leitwort: Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit (Hebr 13, 8)
(Quelle: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Stimmen der Weltkirche, Nr. 34, Bonn 1993; wichtiges in: DH 4930-4942; Ansprachen und Botschaften von Papst Johannes Paul II. beim Pastoralbesuch in Santo Domingo und Haiti sind auch in der Reihe: Der Apostolische Stuhl 1992, S. 457-511 abgedruckt)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Papst Johannes Paul II.
- 2 Übergabe des Dokumentes
- 3 Botschaft an die Völker Lateinamerikas und der Karibik zum Abschluss der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe
- 4 Schlussdokument der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe
- 4.1 Erster Teil: Jesus Christus, Evangelium des Vaters
- 4.2 Zweiter Teil: Jesus Christus, in seiner Kirche lebender Verkünder des Evangeliums =
- 4.2.1 Kapitell: Die neue Evangelisierung
- 4.2.1.1 Die Kirche ist zur Heiligkeit berufen
- 4.2.1.2 Lebendige und dynamische kirchliche Gemeinschaften
- 4.2.1.3 In der Einheit des Geistes und mit der Vielfalt der Ämter und Charismen
- 4.2.1.4 Allen Völkern das Reich Gottes verkünden
- 4.2.1.4.1 Die Mission «ad gentes» umsetzen
- 4.2.1.4.2 Den Glauben der Getauften, die sich vom Glauben entfernt haben, mit neuem Leben füllen
- 4.2.1.4.3 Alle Brüder und Schwestern in Christus vereinen
- 4.2.1.4.4 Den Dialog mit den nicht-christlichen Religionen aufnehmen '
- 4.2.1.4.5 Die fundamentalistischen Sekten
- 4.2.1.4.6 Neue religiöse Bewegungen oder freie religiöse Bewegungen
- 4.2.1.4.7 Die Gottlosen und die Gleichgültigen aufrufen
- 4.2.2 Kapitel II: Die Förderung des Menschen
- 4.2.2.1 Die Förderung des Menschen, eine privilegierte Dimension der neuen Evangelisierung
- 4.2.2.2 Die neuen Zeichen der Zeit im Bereich der Entwicklung des Menschen
- 4.2.2.2.1 Die Menschenrechte
- 4.2.2.2.2 Die Ökologie
- 4.2.2.2.3 Die Erde: eine Gabe Gottes
- 4.2.2.2.4 Verarmung und Solidarität
- 4.2.2.2.5 Die Arbeit
- 4.2.2.2.6 Die menschliche Mobilität
- 4.2.2.2.7 Die demokratische Ordnung
- 4.2.2.2.8 Die neue Wirtschaftsordnung
- 4.2.2.2.9 Die lateinamerikanische Integration
- 4.2.2.3 Die Familie und das Leben: besonders dringliche Herausforderungen bei der Entwicklung des Menschen
- 4.2.3 Kapitel III: Die christliche Kultur
- 4.2.4 Dritter Teil: Jesus Christus, Leben und Hoffnung Lateinamerikas und der Karibik
- 4.2.1 Kapitell: Die neue Evangelisierung
- 4.3 Gebet
- 4.4 Anhang 1: Botschaft von Johannes Paul II. an die Eingeborenenbevölkerung
- 4.5 Anhang 2: Botschaft von Johannes Pauill. an die Afroamerikaner
- 4.6 Abschlussgebet
- 4.7 Abkürzungen
- 5 Weblinks
Papst Johannes Paul II.
Brief des Heiligen Vaters an die Diözesanbischöfe Lateinamerikas
An die Diözesanbischöfe Lateinamerikas
Aus Anlass der 500-Jahr-Feier der Evangelisierung Amerikas hatte ich die 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe mit dem Ziel einberufen, im Licht Christi, der «derselbe gestern, heute und in alle Ewigkeit» (Hehr 13,8) ist, die großen Themen der neuen Evangelisierung, der Förderung des Menschen und der christlichen Kultur zu überdenken.
Die göttliche Vorsehung hat es mir gestattet, persönlich diese Versammlung in Santo Domingo am vergangenen 12. Oktober eröffnen zu dürfen. Die Arbeiten der Versammlung endeten am 28. des Monats, und die Präsidenten der Versammlung leiteten mir die Beschlüsse zu, die von den anwesenden Bischöfen erarbeitet worden waren.
Mit größter Befriedigung konnte ich den großen pastoralen Eifer feststellen, mit dem meine Brüder im Bischofsamt die ihnen von mir vorgelegten Themen geprüft haben, um zur Entfaltung des Lebens der Kirche in Lateinamerika mit dem Blick auf seine Gegenwart und Zukunft beizutragen.
Die abschließenden Texte der Versammlung, deren Verbreitung ich autorisiert habe, können nun das pastorale Wirken jedes lateinamerikanischen Diözesanbischofs leiten. Jeder Hirte einer Diözese wird nun, vereint mit den Priestern als «seinen Mitarbeitern» (Lumen gentium, 28) sowie den übrigen Mitgliedern der ihm anvertrauten Partikularkirche, die notwendige Prüfung vornehmen, um herauszufinden, was in der besonderen Situation seiner Diözese am nützlichsten und am dringlichsten ist.
Ein breiter Konsens der Bischöfe der Partikularkirchen in einem bestimmten Land kann ebenfalls zu gemeinsamen Pastoralplänen führen, die freilich immer die Identität jeder einzelnen Diözese und die pastorale Autorität achten müssen, die beim Bischof liegt, dem sichtbaren Prinzip mit seiner zugleich hierarchischen Bindung an den Nachfolger Petri und an die Weltkirche (vgl. Lumen gentium, 23).
Natürlich müssen die Schlussfolgerungen der Versammlung von Santo Domingo im Licht des Lehramtes der Weltkirche analysiert und in Treue zum geltenden Kirchenrecht angewandt werden.
Ich persönlich vertraue darauf, dass der pastorale Eifer der Bischöfe Lateinamerikas alle Partikularkirchen des Kontinents zu erneutem Engagement für die neue Evangelisierung, die Förderung des Menschen und die christliche Kultur hinführen wird.
Möge Jesus Christus, unser Herr, Verkünder des Evangeliums und Retter, heute wie gestern und immer der Mittelpunkt des Lebens der Kirche sein. Möge die heiligste Jungfrau, die immer an der Seite ihres göttlichen Sohnes stand, die Hirten und Gläubigen auf ihrem Pilgerweg zum Herrn begleiten.
Gegeben im Vatikan, am 10. November 1992, dem Gedenktag des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Leo des Großen.
Eröffnungsansprache des Heiligen Vaters
Neue Evangelisierung
Förderung des Menschen
Christliche Kultur
«Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit» (vgl. Hebräer 13,8)
Liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Priester, Ordensleute und Laien!
1 Unter Führung des Geistes, den wir innig angerufen haben, damit er die Arbeiten dieser bedeutenden kirchlichen Versammlung erleuchte, eröffnen wir die 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe und richten unsere Augen und Herzen auf Jesus Christus, «der Gleiche gestern, heute und in Ewigkeit» (Hehr 13,8). Er ist Anfang und Ende, Alpha und Omega (vgl. Offb 21,6), die Fülle der Evangelisierung, «der allererste und größte Künder des Evangeliums. Er ist es bis zum Äußersten gewesen: bis zur Vollkommenheit und zur Hingabe seines irdischen Lebens» (Evangelii nuntiandi, 7).
Bei dieser kirchlichen Versammlung spüren wir sehr lebhaft die Präsenz Jesu Christi, des Herrn der Geschichte. In seinem Namen sind die Bischöfe Lateinamerikas zu den vorausgehenden Versammlungen zusammenkommen, 1955 in Rio de Janeiro, 1968 in Medellín, 1979 in Puebla, und in seinem Namen sind wir nun in Santo Domingo versammelt, um das Thema zu behandeln: «Neue Evangelisierung, Förderung des Menschen und christliche Kultur», in dem die großen Fragen eingeschlossen sind, die die Kirche im Hinblick auf die Zukunft angesichts der neuen Situationen, die sich in Lateinamerika und der Welt ergeben, aufgreifen muss.
Liebe Brüder, dies ist eine Stunde der Gnade für uns alle und für die Kirche in Amerika. In Wirklichkeit ist sie es auch für die Weltkirche, die uns mit ihrem Gebet begleitet, mit jener tiefen Gemeinschaft der Herzen, die der Heilige Geist in allen Gliedern des einen Leibes Christi weckt. Es ist eine Stunde des Dankes, aber auch großer Verantwortung. Vor unseren Augen liegt bereits das dritte Jahrtausend. Und wenn uns die Vorsehung zusammengerufen hat, um Gott zu danken für die fünfhundert Jahre des christlichen Glaubens und Lebens auf dem amerikanischen Kontinent, so können wir noch mit mehr Grund sagen, dass sie uns auch zusammengerufen hat, damit wir uns innerlich erneuern und «die Zeichen der Zeit erforschen» (vgl. Mt 16,3). Der Ruf zur neuen Evangelisierung ist vor allem ein Ruf zur Bekehrung. Denn angesichts des Zeugnisses einer Kirche, die ihrer Identität immer treuer und in all ihren Äußerungen immer lebendiger wird, können die Menschen und Völker Amerikas und der ganzen Welt Christus immer mehr begegnen und in ihm die Wahrheit ihrer Berufung und Hoffnung, die der Weg zu einer besseren Menschheit ist, erkennen.
Wenn wir auf Christus blicken und «unsere Augen auf ihn, den Urheber und Vollender unseres Glaubens, richten» (Hehr 12,2), folgen wir dem Weg, den das Zweite Vatikanische Konzil vorgezeichnet hat und dessen 30. Jahrestag der feierlichen Eröffnung gestern begangen wurde. Daher möchte ich dieser großen Versammlung jene eindrucksvollen Worte meines verehrten Vorgängers Paul VI. zum Beginn der zweiten Konzilsperiode in Erinnerung rufen:
«Christus!
Christus, unser Anfang,
Christus, unser Leben und unser Führer. Christus, unsere Hoffnung und unser Ziel ...
Möge über dieser Versammlung kein anderes Licht
leuchten als das Licht Christi, der das Licht der Welt ist.
Möge keine andere Wahrheit unseren Geist beschäftigen
als die Worte des Herrn und einzigen Lehrers.
Mögen wir nichts anderes wünschen, als ihm absolut treu zu sein.
Möge uns keine andere Hoffnung stützen als jene, die durch sein Wort unserer Schwachheit aufhilft...»
I. Jesus Christus, gestern, heute und in Ewigkeit
2 Diese Versammlung tritt zusammen, um Jesus Christus zu feiern, um Gott zu danken für seine Präsenz in diesen Ländern Amerikas, wo vor nunmehr 500 Jahren die Verbreitung der Heilsbotschaft begann; sie tritt zusammen, um die Einpflanzung der Kirche zu feiern, die diese fünf Jahrhunderte hindurch so überreiche Früchte der Heiligkeit und Liebe in der Neuen Welt hervorgebracht hat.
Jesus Christus ist die ewige Wahrheit, die sich in der Fülle der Zeiten geoffenbart hat. Gerade um die Frohbotschaft an alle Völker weiterzugeben, gründete er seine Kirche mit dem besonderen Auftrag, zu evangelisieren: «Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen» (Mk 16,15).
Man kann sagen, dass in diesen Worten die feierliche Aufforderung zur Evangelisierung enthalten ist. Daher hat die Kirche seit dem Tag, da die Apostel den Heiligen Geist empfingen, die große Aufgabe der Evangelisierung begonnen. Der heilige Paulus spricht das kurz und programmatisch aus: «Jesus Christus verkünden» (Gal 1,16). Dies aber haben die Jünger des Herrn zu allen Zeiten und in allen Gegenden der Welt getan.
3 In diesem einzigartigen Vorgang markiert das Jahr 1492 ein Schlüsseldatum. Am 12. Oktober nämlich - also genau heute vor 500 Jahren - kam Admiral Christoph Kolumbus mit drei Karavellen aus Spanien hier an und richtete in diesem Land das Kreuz Christi auf. Die Evangelisierung im eigentlichen Sinn begann freilich erst mit der zweiten Reise der Entdecker, die von den ersten Missionaren begleitet waren. So begann die Aussaat der kostbaren Gabe des Glaubens. Wie sollten wir nicht Gott dafür, vereint mit euch, liebe Brüder im Bischofsamt, danken, die ihr heute in Santo Domingo alle Ortskirchen Lateinamerikas präsent macht! Wie sollten wir nicht für die überreichen Früchte des Samens danken, der im Verlauf dieser fünf Jahrhunderte durch so viele unerschrockene Missionare ausgestreut wurde!
Mit der Ankunft des Evangeliums in Amerika weitete sich die Heilsgeschichte aus, wuchs die Familie Gottes, und es vervielfältigte sich «die Zahl der Menschen, die Gott danken» (2 Kor 4, 15). Die Völker der Neuen Welt waren «bis zum Jahre 1492 der Alten Welt völlig unbekannt, Gott jedoch von Ewigkeit her bekannt und von ihm immer mit jener Väterlichkeit umfangen, die der Sohn in der Fülle der Zeiten geoffenbart hat» (vgl. GaI 4,4) (Homilie, 1.1.1992). In den Völkern Amerikas hat sich Gott ein neues Volk erwählt, es in seinen Erlösungsplan einbezogen und seines Geistes teilhaftig werden lassen. Durch die Evangelisierung und den Glauben an Christus hat Gott seinen Bund mit Lateinamerika erneuert.
Wir sagen also Gott Dank für die große Schar derjenigen, die das Evangelium verkündet haben, die ihre Heimat verließen und ihr Leben einsetzten, um in der Neuen Welt das neue Leben des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe auszubreiten. Sie bewog nicht die Legende vom Gold oder persönliches Interesse, vielmehr der dringende Ruf zur Evangelisierung von Brüdern und Schwestern, die Jesus Christus noch nicht kannten. Sie verkündeten «die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters» (Tit 3,4), vor Völkern, die ihren Göttern auch Menschenopfer darbrachten. Sie bezeugten mit ihrem Leben und ihrem Wort die Menschenliebe, die aus der Begegnung mit Christus kommt. Durch ihr Zeugnis und ihre Predigt vervielfältigte sich die Zahl der Frauen und Männer, die sich der Gnade Christi öffneten, «zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meeresstrand, den man nicht zählen kann» (Hehr 11,12).
4 Seit den ersten Schritten der Evangelisierung war die katholische Kirche aufgrund ihrer Treue zum Geiste Christi eine unermüdliche Verteidigerin der Indios, Beschützerin der Werte, die in ihren Kulturen vorlagen, und Förderin der Menschlichkeit angesichts der Missbräuche der Kolonisatoren, die manchmal keine Skrupel kannten. Die Anprangerung der Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten durch das Wirken von Montesinos, Las Casas, Córdoba, Fray Juan de Valle und vieler anderer war wie ein Schrei, der zu einer Gesetzgebung führte, die auf der Anerkennung der der menschlichen Person durch Gott verliehenen Würde beruhte. Das christliche Gewissen kam mit prophetischem Nachdruck in diesem Lehrstuhl für Würde und Freiheit, der in der Universität von Salamanca die Schule von Francisco de Vitoria war (vgl. Ansprache, 14.5.1991), sowie bei zahlreichen bedeutenden Verteidigern der Eingeborenen in Spanien und Lateinamerika zum Ausdruck. Es sind bekannte Namen, die auch bei der Fünfhundertjahrfeier mit Bewunderung und Dankbarkeit genannt wurden. Ich habe meinerseits, auch um die Züge der historischen Wahrheit herauszustellen und die christlichen Wurzeln sowie die katholische Identität des Kontinents zu betonen, die Abhaltung eines internationalen Symposiums über die Geschichte der Evangelisierung Amerikas empfohlen, das dann von der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika vorbereitet wurde. Die historischen Daten zeigen, dass eine gediegene, fruchtbare und bewundernswerte Evangelisierung zustande kam, durch die sich in Amerika die Wahrheit über Gott und den Menschen Bahn brach, und dass gerade die Evangelisierung eine Art Anklagebank für alle bildete, die für diese Missbräuche verantwortlich waren.
Von der Fruchtbarkeit des Samens des Evangeliums, der in diesen gesegneten Ländern eingepflanzt wurde, konnte ich bei den apostolischen Reisen, die der Herr mich in euren Ortskirchen hat durchführen lassen, Zeuge werden. Wie sollte ich nicht offen meinen innigen Dank gegen Gott bekennen, weil es mir vergönnt war, die lebendige Wirklichkeit der Kirche in Lateinamerika aus der Nähe kennenzulernen! Auf meinen Reisen über den Kontinent, wie auch bei euren «ad Limina» Besuchen sowie bei unseren verschiedenen Begegnungen, die die Bande bischöflicher Kollegialität und Mitverantwortung in der pastoralen Sorge für die ganze Kirche gefestigt haben, konnte ich wiederholt die Festigkeit eures Glaubens feststellen und dazu den Umfang der Herausforderungen für die Kirche ermessen, die mit dem Schicksal der Völker des Kontinents unlösbar verbunden ist.
5 Die jetzige Generalversammlung ist zusammengetreten, um die Hauptlinien einer Evangelisierung zu entwerfen, die Christus in das Herz aller Lateinamerikaner einpflanzt. Das ist unsere Aufgabe: die Wahrheit über Christus und die Wahrheit über den Menschen noch tiefer in alle Bereiche der Gesellschaft eindringen zu lassen und sie umzuwandeln (vgl. Ansprache an die Päpstliche Kommission für Lateinamerika, 14.6.1991).
In ihren Überlegungen und Entschließungen muss diese Konferenz drei lehrmäßige und pastorale Elemente zu verbinden wissen, die gleichsam die drei Koordinaten der neuen Evangelisierung bilden: Christologie, Ekklesiologie und Anthropologie. Auf der Grundlage einer fundierten Christologie und einer gesunden Anthropologie sowie einer klaren und richtigen Sicht der Kirche müsst ihr die Herausforderungen aufgreifen, denen heute die evangelisierende Tätigkeit der Kirche in Amerika begegnet. Im Folgenden möchte ich euch dazu einige Gedanken mitteilen, die auf der Linie der Aussagen der Versammlung und als Zeichen tiefer Gemeinschaft und kirchlicher Mitverantwortung euch bei eurem Dienst als Hirten helfen können, wenn ihr euch hochherzig der Herde widmet, die der Herr euch anvertraut hat. Es geht um die Aufstellung einiger Prioritäten in Lehre und Pastoral aus der Sicht unserer neuen Evangelisierung.
I. Die neue Evangelisierung
6 Die neue Evangelisierung ist der Zentralgedanke der ganzen Thematik dieser Konferenz.
Seit meiner Begegnung in Haiti mit den Bischöfen des CELAM im Jahre 1983 habe ich diesen Ausdruck besonders betont, um damit der Evangelisierung in Amerika und der ganzen Welt neuen Antrieb und neuen Schwung zu vermitteln; das pastorale Wirken soll «einen neuen Anstoß bekommen, der imstande ist, neue Zeiten der Evangelisierung heraufzuführen innerhalb einer Kirche, die noch tiefer verwurzelt ist in der unvergänglichen Kraft und Macht des Pfingstgeheimnisses» (Evangelii nuntiandi, 2). Die neue Evangelisierung besteht nicht in einem «neuen Evangelium», das ja immer von uns selber, unserer Kultur und unserer Analyse der Bedürfnisse des Menschen käme. Es wäre also gerade kein «Evangelium», sondern bloß menschliche Erfindung und trüge kein Heil in sich. Sie besteht auch nicht in der Entfernung all dessen aus dem Evangelium, was sich die Mentalität von heute nur schwer aneignen kann. Der Maßstab des Evangeliums ist nicht die Kultur, vielmehr ist Jesus Christus der Maßstab einer jeden Kultur und jedes menschlichen Werkes. Nein, die neue Evangelisierung entspringt nicht dem Wunsch, «den Menschen zu gefallen» oder «ihre Zustimmung zu suchen» (Gal 1,10), sondern aus der Verantwortung. Denn mit dem Geschenk, das Gott uns in Christus gemacht hat, haben wir Zugang zur Wahrheit über Gott und über den Menschen und so die Möglichkeit, zum wahren Leben zu gelangen.
Die neue Evangelisierung hat zum Ausgangspunkt die Gewissheit, dass wir in Christus einen «unerschöpflichen Reichtum» (Eph 3,8) besitzen, den keine Kultur und keine Zeit erschöpft, zu dem wir daher immer die Menschen hinführen können; um sie zu bereichern (vgl. Schlusserklärung der außerordentlichen Bischofssynode für Europa, 3). Dieser Reichtum ist vor allem Christus selber und seine Person, weil er selber unser Heil ist. Die Menschen aller Zeiten und Kulturen können sich ihm durch den Glauben und die Eingliederung in seinen Leib, der die Kirche ist, nähern und Antwort auf die immer alten und immer neuen Fragen finden, mit denen wir das Geheimnis unserer Existenz bedenken und die wir seit Erschaffung der Welt und unserer Verwundung durch die Sünde unzerstörbar im Herzen eingeprägt tragen.
7 Das Neue betrifft nicht den Inhalt der Botschaft des Evangeliums, der unveränderlich ist, denn Christus ist «derselbe gestern, heute und in Ewigkeit». Daher muss das Evangelium in voller Treue und Reinheit gepredigt werden, so wie es durch die Tradition der Kirche gehütet und überliefert worden ist. Evangelisieren heißt, eine Person verkündigen, die Christus ist. In der Tat «gibt es keine wirkliche Evangelisierung, wenn nicht der Name, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich, das Geheimnis des Jesus von Nazaret, des Sohnes Gottes, verkündigt werden» (Evangelii nuntiandi, 22). Daher können die verkürzenden Christologien, deren Abweichungen ich bei verschiedenen Gelegenheiten aufgewiesen habe (vgl. Eröffnungsansprache der Konferenz von Puelaa, 28.1.1979, 1,4), nicht als Werkzeuge der neuen Evangelisierung gelten. Beim Evangelisieren muss die Einheit des Glaubens der Kirche nicht nur im authentischen Lehramt der Bischöfe hervortreten, sondern auch im Dienst an der Wahrheit, den die Seelsorger ausüben, die Theologen, Katecheten und alle, die sich in Verkündigung und Predigt des Glaubens einsetzen.
Hier regt die Kirche die Berufung des Theologen an, bewundert und achtet sie, «da seine Aufgabe darin besteht ... ein immer tieferes Verständnis des Wortes Gottes, wie es in der inspirierten und von der lebendigen Tradition der Kirche getragenen Schrift enthalten ist, zu gewinnen» (Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die kirchliche Berufung des Theologen, 24.S.1990, 6). Diese edle und notwendige Berufung entspringt im Inneren der Kirche und setzt im Theologen einen Glaubenden voraus und eine Glaubenshaltung, die er selber in der Gemeinschaft bezeugen muss. «Daher setzt das richtige Gewissen des katholischen Theologen den Glauben an das Wort Gottes voraus ... aber auch die Liebe zur Kirche, von der er seine Sendung erhält, und die Achtung vor dem mit göttlichem Beistand ausgezeichneten Lehramt» (ebd., 38). Die Theologie ist also aufgerufen, der neuen Evangelisierung einen großen Dienst zu leisten.
8 Gewiss macht uns die Wahrheit frei (vgl. Joh 8,32). Doch wir müssen unbedingt feststellen, dass es über das, was Wahrheit, Freiheit und Gewissen sind, unannehmbare Positionen gibt. Man will den Dissens sogar mit dem Rückgriff auf «den theologischen Pluralismus (rechtfertigen), der zuweilen bis zum Relativismus, der die Integrität des Glaubens bedroht, vorangetrieben wird.» Es fehlt auch nicht an solchen, die meinen, «die Dokumente des Lehramtes seien nichts anderes als der Reflex einer Theologie, über die man diskutieren könne» (ebd., 34); und «damit entsteht im Gegensatz zum authentischen Lehramt und in Konkurrenz zu ihm eine Art "paralleles Lehramt" der Theologen» (ebd.). Andererseits können wir nicht die Tatsache missachten, dass es «Haltungen systematischer Opposition (gibt), die sogar zur Bildung von organisierten Gruppen führen», dass Protest und Zwietracht nicht nur «schwere Schäden für die Gemeinschaft der Kirche» mit sich bringen, sondern auch ein Hindernis für die Evangelisierung sind (ebd., 32).
Das Bekenntnis des Glaubens: «Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit» aus dem Hebräerbrief - das gleichsam den Grundpfeiler des Themas dieser 4. Generalversammlung bildet - führt uns zum Bedenken des folgenden Verses: «Lasst euch nicht durch mancherlei fremde Lehren irreführen» (Hehr 13,9). Ihr, liebe Hirten, müsst vor allem über den Glauben der einfachen Menschen wachen, die sonst die Orientierung verlieren und in Verwirrung geraten.
9 Alle Verkünder des Evangeliums müssen ferner der Katechese besondere Aufmerksamkeit schenken. Zu Beginn meines Pontifikates wollte ich dieser pastoralen Arbeit durch das Apostolische Schreiben Catechesi tradendae neuen Impuls geben, und kürzlich habe ich den Katechismus der katholischen Kirche approbiert, den ich als das beste Geschenk vorlege, das die Kirche ihren Bischöfen und dem ganzen Volk Gottes machen kann. Es geht um ein bedeutsames Werkzeug für die neue Evangelisierung, weil in ihm die ganze Lehre enthalten ist, die die Kirche zu verkünden hat.
Ich rechne ferner damit, dass die Bibelbewegung ihre wichtige Arbeit in Lateinamerika weiterführt und die Heiligen Schriften immer mehr das Leben der Gläubigen nähren, wofür freilich unerlässlich ist, dass sich die Seelsorger selber unermüdlich in das Wort Gottes vertiefen, es vorleben und so an die anderen getreu weitergeben, das heißt «mit nicht geringer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achten unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens» (Dei Verbum, 12). Desgleichen muss die Liturgische Bewegung dem geistlichen Leben mit den Geheimnissen unseres Glaubens neuen Impuls geben und zur Begegnung mit dem auferstandenen Christus in der Liturgie der Kirche hinführen, und zwar im Wortgottesdienst und in den Sakramenten, doch vor allem in der Eucharistie als Gipfel und Quelle des Lebens der Kirche und der ganzen Evangelisierung, in der unsere Heilsbegegnung mit Christus stattfindet, mit dem wir uns mystisch vereinigen und seine Kirche bilden (vgl. Lumen gentium, 7). Daher ermahne ich euch, einer würdigen und lebendigen Feier unter Beteiligung der Gemeinden neuen Impuls zu geben mit einem tiefen Sinn für den Glauben und die Kontemplation der Heilsgeheimnisse, der in euren Völkern so tief verwurzelt ist.
10 Das Neue der Evangelisierung, das wir angesprochen haben, betrifft die Haltung, den Stil, das Bemühen und die Einrichtung oder, wie ich in Haiti vorgeschlagen habe, den Elan, die Methoden und die Ausdrucksformen (vgl. Ansprache an die Bischöfe des CELAM, 9.3.1983). Eine neue Evangelisierung setzt einen gefestigten Glauben, eine intensive pastorale Liebe und eine entschlossene Treue voraus, die unter dem Wirken des Geistes eine mystische und unbändige Begeisterung für die Aufgabe, das Evangelium zu verkünden, weckt.
In der Sprache des Neuen Testamentes ist es die Parrhesie (Freimütigkeit im Reden), die das Herz des Apostel entflammt, (vgl. Apg 5,28-29; vgl. Redemptoris missio, 45). Diese Parrhesie muss auch das Siegel eures Apostolates in Amerika sein. Nichts darf euch schweigen lassen, denn ihr seid Verkünder der Wahrheit. Die Wahrheit Christi muss die Geister und Herzen durch die aktive, unermüdliche und öffentliche Verkündigung der christlichen Werte erleuchten. Andererseits erfordern die neuen Zeiten, dass die christliche Botschaft den Menschen von heute mit neuen Methoden des Apostolates erreicht, in einer Sprache und in Formen ausgedrückt wird, die dem lateinamerikanischen Menschen zugänglich sind, der Christus braucht und nach dem Evangelium dürstet. Wie soll man die Antwort für den Menschen von heute aber zugänglich, einprägsam, gültig und tiefgründig machen, ohne irgend etwas vom Inhalt der Botschaft des Evangeliums zu verfälschen oder zu ändern? Wie sollen wir an das Herz der Kultur herankommen, die wir evangelisieren möchten? Wie können wir von Gott sprechen in einer Welt, in der ein Prozess wachsender Säkularisierung stattfindet?
11 Wie ihr es bei den Begegnungen und Gesprächen zum Ausdruck gebracht habt, die wir im Verlauf dieser Jahre in Rom und bei meinen Besuchen eurer Ortskirchen hatten, leidet der Glaube eurer Völker heute unter dem Druck der Säkularisierung und der daraus folgenden Abschwächung der religiösen und moralischen Werte. In den Städten wächst eine Form der Kultur heran, die einzig auf die Wissenschaft und die Errungenschaften der Technik vertraut und sich als dem Glauben feindlich erweist. Es werden Lebensentwürfe im Gegensatz zu den Werten des Evangeliums vorgelegt. Unter dem Druck des Säkularismus kommt es so weit, dass man den Glauben darstellt, als ob er eine Bedrohung der Freiheit und Autonomie des Menschen wäre.
Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass die jüngste Geschichte gezeigt hat: Wenn man im Zeichen gewisser Ideologien die Wahrheit über Gott und die Wahrheit über den Menschen leugnet, kann man unmöglich eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz aufbauen. Nach dem Fall der Regime des sogenannten «realen Sozialismus» in Osteuropa darf man hoffen, dass sich auch auf diesem Kontinent das Anhängen an die kurzlebigen Werte dieser Ideologien erschöpft. Die Krise des marxistischen Kollektivismus hat nicht nur wirtschaftliche Wurzeln, wie ich in der Enzyklika «Centesimus annus», 41 dargestellt habe, denn die Wahrheit über den Menschen ist innerlich und notwendig an die Wahrheit über Gott gebunden.
Die neue Evangelisierung muss ferner eine integrale, bereitwillige Antwort geben, die den katholischen Glauben in seinen Grundwahrheiten und in seinen persönlichen, familiären und sozialen Dimensionen stärkt.
12 Nach dem Beispiel des Guten Hirten müsst ihr die euch anvertraute Herde weiden und sie vor den reißenden Wölfen schützen. Anlass zur Spaltung und Zwietracht in euren kirchlichen Gemeinschaften sind, wie ihr gut wißt, die Sekten und pseudo-spirituellen Bewegungen, von denen das Dokument von Puebla spricht (628). Mit ihrer Ausbreitung und Aggressivität müsst ihr euch dringend auseinandersetzen.
Wie viele von euch betont haben, zeigt das Vordringen der Sekten einen seelsorglichen Leerraum auf, der seine Ursache häufig in fehlender Bildung hat, was dann die christliche Identität bedroht und große Massen von Katholiken ohne angemessene religiöse Betreuung lässt, unter anderem, weil Priester fehlen. So werden sie zur Beute von sehr aktiven Kampagnen des Sekten-Proselytismus. Es kann aber auch vorkommen, dass die Gläubigen in den Seelsorgern nicht das starke Gespür für Gott vorfinden, das diese in ihrem Leben ausstrahlen müssten. «Solche Situationen können dahin führen, dass viele arme und einfache Menschen, wie es leider geschieht, zur leichten Beute der Sekten werden, in denen sie einen religiösen Sinn des Lebens suchen, den sie vielleicht bei jenen nicht finden, die ihn mit vollen Händen darbieten sollten» (Apostolisches Schreiben: Die Wege des Evangeliums, 20).
Andererseits darf man eine gewisse Strategie nicht unterschätzen, deren Ziel die Schwächung der Bande ist, die die Länder Lateinamerikas einen und damit die Kräfte schwächen, die aus der Einheit entspringen. Für diese Ziele setzt man auch erhebliche ökonomische Mittel ein, um Proselytenkampagnen zu subventionieren, die diese katholische Einheit unterminieren möchten.
Auf das besorgniserregende Phänomen der Sekten müssen wir mit einer Pastoral antworten, die das Ganze der Person in den Mittelpunkt stellt, ihre gemeinschaftliche Dimension und ihr Verlangen nach einem persönlichen Verhältnis zu Gott. Es ist eine Tatsache: Dort, wo die Kirche dynamisch präsent ist wie in den Pfarreien, wo eine ständige Einführung in das Wort Gottes stattfindet, wo man eine aktive Liturgie mit der Beteiligung aller feiert, eine gefestigte Marienverehrung und wirksame Solidarität auf sozialem Gebiet pflegt, sich in der Seelsorge nachdrücklich um die Familien, die Jugendlichen und Kranken kümmert, da sehen wir, dass die Sekten und para-religiösen Bewegungen keinen Fuß fassen oder vordringen können.
Die tief verwurzelte Volksfrömmigkeit eurer Gläubigen mit ihren außerordentlichen Werten an Glauben, Frömmigkeit, Opferbereitschaft und Solidarität kann wegen ihrer eminent katholischen Wurzeln ein Gegengewicht gegen die Sekten und eine Garantie für die Treue zur Heilsbotschaft bilden, wenn sie entsprechend evangelisiert und freudig gefeiert wird, sich ferner an den Geheimnissen Christi und der Jungfrau Maria ausrichtet.
III. Förderung des Menschen
13 Die Kirche weiß, dass der Mensch - nicht der abstrakte, sondern der konkrete historische Mensch - «der erste Weg ist, den (sie) in Erfüllung ihrer Sendung gehen muss» (Redemptor hominis, 14). Daher muss die Entwicklung des Menschen eine logische Folge der Evangelisierung sein, die ja die integrale Befreiung der Person zum Ziel hat (vgl. Evangelii nuntiandi, 29-39).
Im Blick auf diesen konkreten Menschen stellt ihr als Hirten der Kirche die schwierige und heikle soziale Lage fest, die Lateinamerika heute in weiten Bereichen der Bevölkerung durch Armut und Randdasein erlebt. Da ihr euch mit dem Ruf der Armen solidarisiert habt, fühlt ihr euch aufgerufen, die Rolle des barmherzigen Samariters zu übernehmen (vgl. Lk 10,25-37), denn die Liebe zu Gott zeigt sich in der Liebe zur Person des Menschen. So sagt es uns der Apostel Jakobus mit den Worten: «Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen, was nützt das?» (Jak 2, 15-16).
Die Sorge um den sozialen Bereich «bildet einen Teil der Sendung der Kirche, zu evangelisieren» (Sollicitudo rei socialis, 41), und gehört zugleich «wesentlich zum Sendungsauftrag der Glaubensverkündigung der Kirche; sie gehört zur christlichen Botschaft, weil sie deren konkrete Auswirkungen für das Leben in der Gesellschaft vor Augen stellt und damit die tägliche Arbeit und den mit ihr verbundenen Kampf für die Gerechtigkeit in das Zeugnis für Christus den Erlöser miteinbezieht» (Centesimus annus, 5).
Wie das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes sagt, darf man das Problem der Entwicklung des Menschen nicht am Rand der Beziehung des Menschen zu Gott betrachten (vgl. Nr. 43, 4S). Wenn man nämlich die echte Entwicklung des Menschen zum Plan Gottes mit der Menschheit im Gegensatz sieht, begeht man einen schweren Irrtum als Frucht einer gewissen Mentalität säkularistischen Stils. Die echte Entwicklung des Menschen muss immer die Wahrheit über den Menschen achten, die Rechte Gottes und die des Menschen.
14 Ihr, liebe Hirten, kennt die beängstigende Lage vieler eurer Schwestern und Brüder, denen das Notwendigste zu einem echt menschlichen Leben fehlt.
Trotz des Fortschritts auf einigen Gebieten bleibt und wächst sogar die Armut. Die Probleme werden noch schwieriger durch den Verlust der Kaufkraft des Geldes infolge der oft unkontrollierten Inflation sowie durch die Verschlechterung der Handelsbedingungen, so dass sich dann die Preise für gewisse Rohstoffe vermindern und die internationale Verschuldung, verbunden mit schrecklichen sozialen Folgen, zur unerträglichen Last wird. Die Lage wird noch schmerzlicher durch das Problem der wachsenden Arbeitslosigkeit, die die Familie nicht mehr zu ernähren gestattet und den Zugang zu weiteren grundlegenden Gütern verwehrt (vgl. Laborem exercens, 18).
Ich empfinde lebhaft die Schwere dieser Situation, und ich habe nicht aufgehört, dringende Appelle für eine aktive, gerechte und bald Wirklichkeit werdende internationale Solidarität zu erheben. Hier liegt ein Problem der Gerechtigkeit vor, das die ganze Menschheit betrifft, vor allem jedoch die reichen Länder, die ihrer Verantwortung für die Entwicklungsländer nicht ausweichen dürfen. Diese Solidarität ist eine Forderung des Gemeinwohls, das von allen Gliedern der Menschheitsfamilie geachtet werden muss (vgl. Gaudium et spes, 26).
15 Die Welt kann angesichts der chaotischen und erschütternden Situation, die sich vor unseren Augen enthüllt, nicht ruhig und zufrieden bleiben: Einige Nationen, Bevölkerungsschichten, Familien und einzelne werden immer reicher und privilegiert gegenüber Völkern, Familien und vielen Personen, die Armut leiden müssen, Opfer von Hunger und Krankheiten werden, keine würdigen Lebensverhältnisse, Gesundheitsdienste und keinen Zugang zur Kultur besitzen. All dies ist ein beredtes Zeugnis für eine wirkliche Unordnung und eine institutionalisierte Ungerechtigkeit, wozu bisweilen noch die Weigerung kommt, die notwendigen Mittel zu ergreifen, Passivität und Unklugheit, wenn nicht gar die Missachtung der ethischen Prinzipien bei Ausübung der Verwaltungsaufgaben, wie es bei der Korruption der Fall ist. Angesichts alles dessen ist «eine Änderung der Gesinnung, des Verhaltens und der Strukturen erforderlich» (Centesimus annus, 60), um den Graben zu überbrücken, der zwischen reichen und armen Ländern vorhanden ist (vgl. Lahorem exercens, 16; Centesimus annus, 14), aber auch die tiefreichenden Unterschiede zwischen den Bürgern eines gleichen Landes. Mit einem Wort: Es muss ein neues Ideal der Solidarität angesichts des überholten Willens zur Herrschaft zur Geltung kommen.
Andererseits wäre eine Lösung trügerisch und unannehmbar, die sich für die Verminderung des demographischen Wachstums einsetzt, ohne sich um die Moral der Mittel zu kümmern, die man dafür einsetzt. Es geht nicht darum, um jeden Preis die Zahl der zum Mahl des Lebens Geladenen zu vermindern; es fehlt vielmehr die Vermehrung der Mittel und die gerechtere Verteilung des Reichtums, so dass alle gleichmäßig an den Gütern der Schöpfung beteiligt werden.
Wir müssen nach Lösungen auf Weltebene suchen und eine echte Wirtschaft der Gemeinschaft und der Aufteilung der Güter sowohl in der internationalen als auch in der nationalen Ordnung anstreben. Hier wäre ein Faktor, der erheblich zur Überwindung der drängenden Probleme, mit denen dieser Kontinent heute zu tun hat, beitragen könnte, die Integration Lateinamerikas. Die Regierungen sind ernstlich dafür verantwortlich, den bereits begonnenen Prozess der Integration einzelner Völker zu fördern, die der gleiche geographische Raum, der christliche Glaube, die Sprache und Kultur ein für allemal auf dem Weg der Geschichte vereint haben.
16 In Weiterführung der Konferenzen von Medellín und Puebla bekräftigt die Kirche erneut ihre bevorzugte Option für die Armen. Diese Option gilt nicht ausschließlich, und sie schließt niemand aus, weil die Heilsbotschaft für alle bestimmt ist. «Eine Option, die sich im übrigen wesentlich auf das Wort Gottes gründet und nicht auf Kriterien, die von Humanwissenschaften oder gegensätzlichen Ideologien angeboten werden und die Armen oft nur in abstrakten sozialpolitischen oder wirtschaftlichen Kategorien sehen. Es ist also eine feste und unwiderrufliche Option» (Ansprache an die Römische Kurie, 21.12.1984, 9).
Was das Dokument von Puebla bekräftigt, gilt: «Wenn wir uns dem Armen nähern, um ihn zu begleiten und ihm zu dienen, so tun wir, was Christus uns lehrte, als er, arm wie wir, unser Bruder wurde. Daher ist der Dienst an den Armen vorrangiger, wenn auch nicht ausschließlicher Bestandteil unserer Nachfolge Christi. Der beste Dienst an unserem Bruder ist die Evangelisierung, die ihn befähigt, sich als Kind Gottes zu verwirklichen, die ihn von der Ungerechtigkeit befreit und die ihn umfassend fördert» (Puebla, 1145). Die genannten Kriterien des Evangeliums für den Dienst am Notleidenden vermeiden jedwede Versuchung des Zusammenwirkens mit den Verantwortlichen für die Ursachen der Armut oder mit gefährlichen ideologischen Entgleisungen, die mit Lehre und Sendung der Kirche unvereinbar sind.
Die echte Befreiungspraxis muss sich immer von der Lehre der Kirche inspirieren lassen, wie sie in den bei den Instruktionen der Kongregation für die Glaubenslehre dargelegt wird (Libertatis nuntius, 1984; Libertatis conscientia, 1986). Sie müssen berücksichtigt werden, wenn man sich mit dem Thema der Theologien der Befreiung beschäftigt. Andererseits kann die Kirche sich in keiner Weise von irgendeiner Ideologie oder politischen Strömung das Banner der Gerechtigkeit entreißen lassen, die eine der ersten Forderungen des Evangeliums ist und zugleich Frucht des Kommens des Reiches Gottes.
17 Wie ich bereits auf der Konferenz von Puebla bemerkt habe, gibt es von der Armut besonders getroffene Menschengruppen, wie die der Eingeborenen (vgl. 1265). An sie und auch an die Afroamerikaner wollte ich eine besondere Botschaft der Solidarität und Verbundenheit richten, und ich werde sie morgen einer Gruppe von Vertretern ihrer jeweiligen Gemeinschaften überreichen. Als Geste der Solidarität hat der Heilige Stuhl kürzlich die Stiftung «Populorum progressio» gegründet, die über einen Hilfsfonds für die Landbevölkerung, die Indios und andere Menschengruppen auf dem Land, verfügt, die in Amerika besonders schutzlos dastehen.
Auf der gleichen Linie der pastoralen Sorge für die am meisten schutzlosen sozialen Gruppen kann diese Generalversammlung die Gelegenheit benützen, in nicht ferner Zukunft eine Begegnung von Vertretern der Episkopate des ganzen amerikanischen Kontinents zu veranstalten - sie könnte auch synodalen Charakter haben -, um die Zusammenarbeit unter den verschiedenen Einzelkirchen in den verschiedenen Bereichen der seelsorglichen Arbeit zu intensivieren. Im Rahmen der neuen Evangelisierung und als Ausdruck der bischöflichen Gemeinschaft könnten dort auch die Probleme der Gerechtigkeit und Solidarität aller Nationen Amerikas behandelt werden. Die Kirche steht bereits an den Toren des dritten christlichen Jahrtausends, und sie lebt in einer Zeit, da viele ideologische Fronten und Barrieren gefallen sind. So empfindet sie es als unausweichliche Pflicht, alle Völker, die diesen großen Kontinent bilden, noch mehr geistig zu einen und zugleich von der ihr eigenen religiösen Sendung her einen Geist der Solidarität unter allen anzuregen, der es vor allem gestattet, Wege zur Lösung der dramatischen Verhältnisse in weiten Bereichen der Bevölkerung zu finden, die einen berechtigten integralen Fortschritt erwartet, und Lebensverhältnisse, die gerechter und würdiger sind.
18 Es gibt aber keine echte Entwicklung des Menschen, keine wahre Befreiung und keine bevorzugte Option für die Armen, wenn man nicht von den eigentlichen Grundlagen der Würde der Person und der Umwelt ausgeht, in der sie nach dem Plan des Schöpfers erfolgen sollen. Daher kann ich bei den Themen und Optionen, die die ganze Aufmerksamkeit der Kirche beanspruchen, nicht den Hinweis auf die Familie und das Leben auslassen: zwei eng miteinander verbundene Wirklichkeiten, denn die Familie «muss gleichsam als Heiligtum des Lebens angesehen werden» (Centesimus annus, 39). Tatsächlich «geht die Zukunft der Menschheit über die Familie. Es ist darum unerlässlich und dringend, dass jeder Mensch guten Willens sich dafür einsetzt, die Werte und die Aufgaben der Familie zu erhalten und zu fördern» (Familiaris consortio, 86). Trotz der Probleme, die die Ehe und das Institut Familie heute bedrohen, kann diese als «Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft» (Apostolicam actuositatem, 11) große Energien freisetzen, die für das Wohlergehen der Menschheit notwendig sind. Daher muss die Frohbotschaft über die Familie mit Freude und Überzeugungskraft verkündet werden (vgl. Familiaris consortio, 86). Sie muss aber hier in Lateinamerika verkündet werden, wo neben der Wertschätzung der Familie leider auch die freien Lebensgemeinschaften sich verbreiten. Angesichts dieses Phänomens und des wachsenden Drangs zur Ehescheidung müssen wir dringend angemessene Hilfen für die Familie fördern, vor allem um die Lebensvereinigung und die beständige Liebe innerhalb der Ehe nach dem Plan Gottes wie auch eine angemessene Kindererziehung sicherzustellen.
In enger Verbindung mit den aufgezeigten Problemen steht das schwerwiegende Problem der Kinder, die ständig auf den Straßen der großen lateinamerikanischen Städte leben, von Hunger und Krankheit bedroht, ohne irgendwelchen Schutz zahlreichen Gefahren ausgeliefert, einschließlich der Droge und der Prostitution. Hier liegt eine weitere Frage vor, die eure pastorale Sorge ansprechen muss, weil Jesus gesagt hat: «Lasst die Kinder zu mir kommen» (Mt 19, 14).
Ferner muss das Leben von seiner Empfängnis im Mutterschoß an bis zu seinem natürlichen Ende entschieden und nachdrücklich verteidigt werden. Es ist daher notwendig, in Amerika eine Kultur des Lebens zu schaffen, die die Kultur des Todes aufhält, weil diese durch Abtreibung, Euthanasie, Krieg, Guerillakämpfe, Entführung, Terrorismus und andere Formen der Gewalt oder Ausbeutung in einigen Nationen das Übergewicht zu erlangen versucht. In diesem Bild von Angriffen auf das Leben nimmt der Drogenhandel einen erstrangigen Platz ein, den die zuständigen Instanzen mit allen verfügbaren erlaubten Mitteln aufhalten müssen.
19 Wer wird uns von diesen Zeichen des Todes befreien? Die Erfahrung der heutigen Welt hat mehr und mehr gezeigt, dass die Ideologien unfähig sind, dieses Übel auszurotten, das den Menschen in Knechtschaft hält. Der Einzige, der uns von diesem Übel befreien kann, ist Christus. Bei der Feier des 5. Jahrhunderts der Evangelisierung wenden wir unsere Augen ergriffen jener Stunde der Gnade zu, da uns Christus ein für allemal geschenkt wurde. Die schmerzliche Lage so vieler Brüder und Schwestern in Lateinamerika darf uns nicht verzweifeln lassen. Die Aufgabe, die die Kirche vor sich hat, wird, im Gegenteil, um so dringender: Im Herzen eines jeden Getauften die erhaltene Gnade lebendig zu machen. Der heilige Paulus schreibt an Timotheus: «Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteil geworden ist» (2 Tim 1,6).
Wie aus dem Empfang des Geistes am Pfingstfest das Volk des neuen Bundes geboren wurde, lässt nur dieser Empfang ein Volk erstehen, das erneuerte und freie Menschen hervorzubringen vermag, die sich ihrer Würde bewusst sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass die integrale Förderung des Menschen für die Entwicklung der Völker Lateinamerikas von wesentlicher Bedeutung ist, denn «die Entwicklung eines Volkes ereignet sich in erster Linie weder durch Geld noch durch materielle Hilfe und auch nicht durch technische Strukturen» (Redemptoris missio, 58). Der größte Reichtum Amerikas sind seine Menschen. Die Kirche aber «bildet die Gewissen mit dem Evangelium» und trägt zur Weckung der schlafenden Energien bei, um sie beim Aufbau einer neuen Kultur mitwirken zu lassen (vgl. ebd.).
IV. Christliche Kultur
20 Obwohl das Evangelium mit keiner Kultur im einzelnen identisch ist, muss es sie doch inspirieren, um sie so von innen her umzuwandeln und sie zu bereichern mit den christlichen Werten, die aus dem Glauben stammen. Tatsächlich bildet die Evangelisierung der Kulturen die tiefste und umfassendste Form der Evangelisierung einer Gesellschaft, denn durch sie dringt die Botschaft Christi in das Bewusstsein der Personen ein und wirkt sich im «Ethos» eines Volkes aus, in seinen Lebensäußerungen, in seinen Institutionen und in all seinen Strukturen (vgl. Ansprache an die Intellektuellen und an die Welt der Universität, Medellín, 5.7.1986, 2).
Das Thema «Kultur» wurde in den letzten Jahren vom CELAM besonders studiert und bedacht. Auch die ganze Kirche richtet ihre Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Bereich, «weil sich die neue Evangelisierung auf die kommende Kultur und auf alle Kulturen auswirken muss, eingeschlossen die der Eingeborenen» (Angelus, 28.6.1992). Jesus Christus allen Kulturen zu verkünden ist das zentrale Anliegen der Kirche und Ziel ihrer Mission. In unseren Tagen erfordert dies an erster Stelle die Erfassung der Kulturen als menschliche Wirklichkeit, die zu evangelisieren ist, und als Folge davon die Erfassung der Dringlichkeit einer neuen Form der Zusammenarbeit aller, die für das Werk der Evangelisierung verantwortlich sind.
21 In unseren Tagen erleben wir eine Krise der Kultur von unerwartetem Ausmaß. Gewiss enthält die Kultur von heute eine große Anzahl positiver Werte, von denen viele Frucht der Evangelisierung sind; doch sie hat zugleich grundlegende religiöse Werte ausgeschlossen und Auffassungen eingeführt, die vom christlichen Standpunkt aus nicht annehmbar sind.
Die Abwesenheit dieser grundlegenden christlichen Werte in der Kultur der Moderne hat nicht nur die Dimension der Transzendenz verdunkelt und viele Menschen in die religiöse Gleichgültigkeit geführt - auch in Lateinamerika -: Sie ist zuweilen sogar der entscheidende Grund für die soziale Enttäuschung, zu der die Krise dieser Kultur geführt hat. Über die vom Rationalismus eingeführte Autonomie hinaus möchte man heute die Werte vor allem auf subjektive soziale Übereinstimmungen gründen, die nicht selten zu gegensätzlichen Positionen führen, eingeschlossen in der natürlichen Ethik. Man denke an das Drama der Abtreibung, die Missbräuche der Gentechnik sowie die Angriffe auf das Leben und die Würde der Person.
Angesichts der Pluralität der Meinungen, die heute angeboten werden, ist eine tiefreichende pastorale Erneuerung durch die Unterscheidung im Sinn des Evangeliums über die herrschenden Werte, die Haltungen und kollektiven Verhaltensweisen gefordert, die häufig einen entscheidenden Faktor bei der Entscheidung für das Gute wie auch für das Böse bilden. In unseren Tagen ist ein Bemühen und ein besonderer Takt nötig, um die Botschaft Jesu auf eine Weise zu inkulturieren, dass die christlichen Werte die verschiedenen Kulturbereiche umwandeln können, sie reinigen, falls es nötig ist, und den Aufbau einer christlichen Kultur möglich machen, die die historisch vergangenen und die heutigen Werte erneuert, ausweitet und vereint, um so in angemessener Weise auf die Aufgaben unserer Zeit antworten zu können (vgl. Redemptoris missio, 52). Eine dieser Aufgaben für die Evangelisierung ist ein intensiver Dialog zwischen Wissenschaft und Glauben, um einen echt christlichen Humanismus zu schaffen. Es geht um den Nachweis, dass Wissenschaft und Technik zur Zivilisation und Humanisierung der Welt in dem Maße beitragen, wie sie von der Weisheit Gottes durchdrungen sind. Hier möchte ich lebhaft die Universitäten und die Zentren für höhere Studien ansprechen, zumal jene, die von der Kirche abhängen, damit sie sich im Dialog zwischen Glaube und Wissen neu engagieren.
22 Die Kirche sieht mit Sorge den bestehenden Bruch zwischen den Werten des Evangeliums und den modernen Kulturen, denn diese laufen Gefahr, sich in sich selber zu verschließen in einer Art agnostischen Involution und ohne Bezug zur Dimension des Moralischen (vgl. Ansprache an den Päpstlichen Rat für Kultur, 18.1.1983). Hier behalten die Worte Papst Pauls VI. volle Geltung: «Der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche wie es auch das anderer Epochen gewesen ist. Man muss somit alle Anstrengungen machen, um die Kultur, genauer die Kulturen, auf mutige Weise zu evangelisieren. Sie müssen durch die Begegnung mit der Frohbotschaft von innen her erneuert werden» (Evangelii nuntiandi, 20).
Die Kirche, die den Menschen als ihren «Weg» betrachtet (vgl. Redemptor hominis, 14), muss eine angemessene Antwort auf die derzeitige Krise der Kultur zu geben wissen. Angesichts des komplexen Problems der Moderne muss notwendig eine alternative christliche Kultur aufgebaut werden. Wenn nämlich eine wahre Kultur die universalen Werte der Person zum Ausdruck bringen muss, wer könnte dann mehr Licht über die Wirklichkeit des Menschen ergießen, über seine Würde und seinen Seinsgrund, seine Freiheit und sein Geschick, als das Evangelium Christi?
An diesem historischen Gedenktag des halben Jahrtausends der Evangelisierung eurer Völker fordere ich euch ferner auf, liebe Brüder, mit dem Elan der neuen Evangelisierung vom Geist des Herrn Jesus erfüllt, die Kirche beim kulturellen Ringen unserer Zeit präsent zu machen, um mit den christlichen Werten die Wurzeln der kommenden Kultur und aller bereits vorhandenen Kulturen zu beeinflussen. Dabei müsst ihr den eingeborenen Kulturen und denen der Afroamerikaner besondere Aufmerksamkeit schenken, was es in ihnen an echt menschlichen und menschlich machenden Werten gibt. Ihre Lebensauffassung, die den Menschen als Geschöpf Gottes anerkennt, und ihre große Hochachtung vor der Natur, ihre Bescheidenheit, Einfachheit und Solidarität sind Werte, die das Bemühen anregen müssen, eine echte inkulturierte Evangelisierung einzuleiten, bei der zugleich der Fortschritt gefördert wird, und die immer zur Anbetung Gottes «im Geist und in der Wahrheit» führt (Joh 4,23). Doch enthebt uns die Anerkennung dieser Werte nicht der Pflicht, jederzeit zu verkünden, dass «Christus der alleinige Erlöser von allen ist, jener, der allein Gott auszusagen und zu ihm zu führen vermag» (Redemptoris missio, 5).
«Die Evangelisierung der Kultur ist das Bemühen, die Mentalitäten und Haltungen der heutigen Welt zu verstehen und sie vom Evangelium her zu erhellen. Sie ist der Wille, sie auf allen Ebenen des menschlichen Lebens würdiger zu machen» (Ansprache an die Welt der Kultur, Lima, 15.5.1988, 5). Doch dieses Bemühen um Verständnis und Erhebung muss immer von der Verkündigung der Frohbotschaft begleitet sein (vgl. Redemptoris missio, 46), so dass das Eindringen des Evangeliums in die Kultur keine bloß äußerliche Anpassung ist, sondern «ein tiefgreifender und umfassender Prozess, der sowohl die christliche Botschaft als auch die Betrachtung und Praxis der Kirche betrifft» (ebd., 52) und immer die Eigenheiten und die Integrität des Glaubens achtet.
23 Da die Kommunikation zwischen den Personen ein wichtiges Element ist, das Kultur schafft, gewinnen die modernen Massenmedien auf diesem Gebiet eine vorrangige Bedeutung. Daher muss die Verstärkung der Präsenz der Kirche in der Welt der Kommunikation gewiss zu euren Prioritäten gehören. Hier kommen mir die wichtigen Worte meines Vorgängers, Papst Paul VI., in den Sinn: «Die Kirche würde vor ihrem Herrn schuldig, wenn sie nicht diese machtvollen Mittel nützte, die der menschliche Verstand immer noch weiter vervollkommnet» (Evangelii nuntiandi, 45).
Andererseits müsst ihr auch über den Gebrauch der Massenmedien in der Hinführung zum Glauben und in der Verbreitung der religiösen Kultur wachen. Die Verantwortung liegt hier zumal bei den von katholischen Institutionen abhängigen Verlagen. «Die von katholischen Institutionen abhängigen Verlage müssen Gegenstand besonderer Sorge des Ortsordinarius sein, damit ihre Veröffentlichungen immer mit der Lehre der Kirche übereinstimmen und wirksam zum Wohl der Seelen beitragen» (Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel bei der Förderung der Glaubenslehre, 30.3.1992, 15, 2). Beispiele für die Inkulturation des Evangeliums bilden auch gewisse soziokulturelle Äußerungen, die zum Schutz des Menschen und seiner Umwelt vorgetragen werden und durch das Licht des Glaubens erhellt werden müssen. Dies gilt von der Umweltschutzbewegung für die gebührende Achtung der Natur und gegen die ungeordnete Ausbeutung ihrer Schätze mit der folgenden Verschlechterung der Lebensqualität. Die Überzeugung, dass «Gott die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt» hat (Gaudium et spes, 69), muss zu einem gerechteren und auf Weltebene besser koordinierten System des Umgangs mit den Bodenschätzen führen. Die Kirche macht sich die Sorge um die Umwelt zu eigen und fordert die Regierungen auf, dieses Erbe nach den Grundsätzen des Gemeinwohls zu schützen (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag, 1.1.1992).
24 Die mit der aufkommenden Kultur verbundene Aufgabe schwächt natürlich unsere Hoffnung nicht ab, und wir danken Gott, dass in Lateinamerika das Geschenk des katholischen Glaubens in die letzten Tiefen seiner Menschen eingedrungen ist und in diesen fünfhundert Jahren die christliche Seele des Kontinents und viele seiner Institutionen geprägt hat. Tatsächlich hat die Kirche in Lateinamerika die Kultur des Volkes geprägt. Sie hat es verstanden, die Botschaft des Evangeliums zur Grundlage des Denkens, der wichtigsten Lebensgrundsätze, der Urteilskriterien und Handlungsnormen zu machen.
Vor uns liegt nun die gewaltige Aufgabe einer weiteren Inkulturation des Evangeliums in euren Völkern, ein Anliegen, das ihr mit Weitblick und Gründlichkeit in den nächsten Tagen werdet aufzugreifen haben. Lateinamerika bietet in unserer Lieben Frau von Guadalupe ein bedeutsames Beispiel einer vollkommen inkulturierten Evangelisierung. Seit Beginn der Christianisierung der Neuen Welt und im Licht des Evangeliums Jesu Christi haben sich nämlich in der Gestalt Mariens echte, einheimische Kulturwerte inkarniert. Auf dem Mestizengesicht der Jungfrau von Tepeyac ist das große Prinzip der Inkulturation zusammengefasst: die innerliche Umwandlung der echten Kulturwerte durch ihre Integrierung ins Christentum und die Verwurzelung des Christentums in den verschiedenen Kulturen (vgl. Redemptoris missio, 52).
V. Eine neue Ära im Zeichen der Hoffnung
25 Liebe Brüder und Schwestern, dies sind einige Aufgaben, die sich der Kirche in dieser Stunde der neuen Evangelisierung stellen. Vor diesem Gesamtbild voller Fragen, aber auch voller Verheißungen müssen wir zu klären versuchen: Welchen Weg muss die Kirche in Lateinamerika einschlagen, damit ihre Sendung im nächsten Abschnitt ihrer Geschichte jene Früchte bringt, die sich der Herr der Ernte erhofft? (vgl. Lk 10,2; Mk 4,20). Eure Versammlung wird das Bild einer lebendigen und dynamischen Kirche zu entwerfen haben, die im Glauben wächst, sich heiligt, liebt, leidet, sich einsetzt und auf ihren Herrn hofft, wie uns das II. Ökumenische Vatikanische Konzil als maßgebender Gesichtspunkt in Leben und Sendung eines jeden Hirten in Erinnerung gerufen hat (vgl. Gaudium et spes, 2).
Die Aufgabe, die ihr in den nächsten Tagen zu bewältigen habt, ist schwer, doch sie steht im Zeichen der Hoffnung, die vom auferstandenen Christus und seinem endgültigen Sieg über Sünde und Tod herkommt, dem ersten Inhalt der Verkündigung und der Wurzel jeder Evangelisierung, der Grundlage aller Entwicklung des Menschen, das Prinzip jeder echt christlichen Kultur, die nur eine Kultur der Auferstehung und des Lebens sein kann, mit Leben erfüllt durch das Wehen des Pfingstgeistes.
Liebe Brüder im Bischofsamt, in der Einheit der Ortskirche, die in der Eucharistie lebendig wird, trifft sich das ganze Bischofskollegium mit dem Nachfolger Petri an seiner Spitze, wie es zum Wesen der Einzelkirche gehört (vgl. Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre über einige Aspekte der Kirche als Communio, 14). Um den Bischof aber und in vollkommener Gemeinschaft mit ihm müssen die Pfarreien und christlichen Gemeinschaften als pulsierende Zellen des kirchlichen Lebens aufblühen. Daher erfordert die neue Evangelisierung eine kräftige Erneuerung des ganzen diözesanen Lebens. Die Pfarreien, die apostolischen Bewegungen und Verbände der Gläubigen und alle kirchlichen Gemeinschaften im allgemeinen müssen immer zugleich evangelisiert werden und selber evangelisieren. Zumal die kirchlichen Basisgemeinschaften müssen sich immer durch eine entschiedene Ausrichtung auf das Ganze und Missionarische auszeichnen, was ihnen neue apostolische Dynamik schenken wird (vgl. Evangelii nuntiandi, 58; Puebla 640-642). Sie müssen von einer deutlich kirchlichen Identität gekennzeichnet sein und in der Eucharistiefeier unter dem Vorsitz des Priesters den Mittelpunkt des Lebens und der Gemeinschaft ihrer Mitglieder erblicken, in enger Verbindung mit ihren Hirten und in voller Harmonie mit dem Lehramt der Kirche.
26 Unerlässliche Voraussetzung für die neue Evangelisierung ist das Verfügenkönnen über zahlreiche und qualifizierte Verkünder des Evangeliums. Daher muss die Förderung der Berufungen zum Priester- und Ordensstand sowie der anderen Seelsorgekräfte eine Priorität der Bischöfe und ein Anliegen des ganzen Volkes Gottes sein. Ganz Lateinamerika muss einen entschiedenen Impuls für seine Berufungspastoral bekommen sowie mit bewährten Kriterien und voll Hoffnung die Seminarien und Ausbildungszentren für weibliche und männliche Ordensleute führen, aber auch das Problem der ständigen Weiterbildung des Klerus und der besseren Verteilung der Priester unter den verschiedenen Ortskirchen aufgreifen. Hierzu ist auch die wertvolle Arbeit der ständigen Diakone zu rechnen. Über all das finden sich entsprechende Hinweise im nachsynodalen Apostolischen Schreiben «Pastores dabo vobis». Was die weiblichen und männlichen Ordensleute angeht, die in Lateinamerika die Last eines erheblichen Teiles der Seelsorge tragen, möchte ich auf das Apostolische Schreiben Die Wege des Evangeliums hinweisen, das ich am 29.6.1990 an sie gerichtet habe. Ich möchte ferner an die Säkularinstitute und ihre dynamische Lebenskraft mitten in der Welt sowie an die Mitglieder der Gemeinschaften des apostolischen Lebens erinnern, die eine bedeutende missionarische Arbeit leisten.
Heute müssen sich die Mitglieder sowohl der weiblichen wie der männlichen Ordensinstitute mehr auf die eigentliche Arbeit der Evangelisierung konzentrieren und dabei den ganzen Reichtum ihrer Initiativen und pastoralen Aufgaben entfalten, die sich von ihren unterschiedlichen Charismen her ergeben. Dem Geist ihrer Gründer getreu, muss sie ein tiefes Gespür für die Kirche und das Zeugnis einer engen und treuen Mitarbeit in der Pastoral auszeichnen, deren Leitung den diözesanen Ordinarien und unter bestimmten Aspekten den Bischofskonferenzen zusteht.
Wie ich in meinem Brief an die kontemplativen Ordensgemeinschaften Lateinamerikas vom 12.12.1989 in Erinnerung gerufen habe, wird das evangelisierende Wirken der Kirche von den geistlichen Zentren des kontemplativen Lebens getragen. Sie sind zahlreich auf dem ganzen Kontinent vertreten und geben ein Zeugnis für die Radikalität der Weihe an Gott, die bei unseren Optionen immer den ersten Platz einnehmen muss.
27 Im nachsynodalen Apostolischen Schreiben «Christifideles laici» über «Berufung und Sendung der Laien in der Kirche» habe ich besonders betont, dass bei der «anspruchsvollen und herrlichen Aufgabe» der neuen Evangelisierung die Mitarbeit der Laien, vor allem der Katecheten und «Beauftragten für das Wort Gottes», unerlässlich ist. Die Kirche erhofft sich viel von all jenen Laien, die begeistert und wirksam im Sinn des Evangeliums durch die neuen apostolischen Bewegungen tätig werden. Diese müssen freilich in der Gesamtpastoral koordiniert werden, aber sie entsprechen dem Bedürfnis nach einer größeren Präsenz des Glaubens im sozialen Leben. In dieser Stunde, da ich alle aufgerufen habe, mit apostolischem Schwung im Weinberg des Herrn zu arbeiten, wobei niemand ausgeschlossen ist, «haben die gläubigen Laien lebendigen und verantwortlichen Anteil (an der neuen Evangelisierung), weil sie berufen sind, durch ihren Dienst, der den Werten und Rechten des Menschen sowie der Gesellschaft gilt, das Evangelium zu verkünden und zu verwirklichen» (64). Als Übermittlerin des Glaubens ist die lateinamerikanische Frau, deren Rolle in Kirche und Gesellschaft gebührend hervorgehoben werden muss, allen Lobes würdig (vgl. Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem). Besondere pastorale Betreuung verdienen die Kranken, auch angesichts der evangelisierenden Kraft des Leidens (vgl. Apostolisches Schreiben Salvifici doloris über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens, 11.2.1984).
Einen besonderen Aufruf richte ich an die Jugendlichen in Lateinamerika. Sie sind auf dem jungen Kontinent sehr zahlreich und müssen im Leben der Gesellschaft und der Kirche im neuen christlichen Jahrtausend, das bereits vor der Tür steht, Vorkämpfer sein. Ihnen muss in einer ihnen verständlichen Sprache die Schönheit der christlichen Berufung dargelegt werden, und wir müssen ihnen hohe und edle Ideale vor Augen stellen, die sie bei ihrem Suchen nach einer gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft tragen.
28 Alle sind aufgerufen, die Kultur der Liebe auf diesem Kontinent der Hoffnung aufzubauen. Lateinamerika war bisher hauptsächlich Empfänger des Glaubens, der ihm von den Kirchen der Alten Welt übermittelt wurde. Nun muss es sich vorbereiten, die Botschaft Christi in der ganzen Welt zu verbreiten, indem es «aus seiner Armut heraus» gibt (vgl. die Botschaften an den 3. und 4. lateinamerikanischen Missionskongress in Santafé de Bogotá 1987 und in Lima 1991). «Ich halte die Zeit für gekommen, da alle kirchlichen Kräfte für die neue Evangelisierung und für die Mission ad gentes einzusetzen sind. Keiner, der an Christus glaubt, keine Institution der Kirche kann sich dieser obersten Pflicht entziehen: Christus muss allen Völkern verkündet werden» (Redemptoris missio, 3). Diese Zeit ist auch für Lateinamerika gekommen. «Der Glaube wird stark durch Weitergabe. Die neue Evangelisierung der christlichen Völker findet Anregung und Halt im Einsatz für die sich weltweit betätigende Mission» (ebd. 2).
Für Lateinamerika, das Christus vor nunmehr fünfhundert Jahren empfing, ist das größte Zeichen des Dankes für das empfangene Geschenk und seine christliche Lebenskraft sein Einsatz in der Mission.
29 Liebe Brüder im Bischofsamt, als Nachfolger der Apostel müsst ihr all euer Bemühen der Herde widmen, «in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt» (Apg 20,28). Als Mitglieder des Bischofskollegiums seid ihr andererseits in enger affektiver und effektiver Einheit mit dem Nachfolger Petri aufgerufen, Gemeinschaft mit der ganzen Kirche zu halten und für sie zu sorgen. Nun aber tragt ihr als Mitglieder der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe eine historische Verantwortung.
Kraft des Glaubens, der geoffenbarten Wahrheit und des Wirkens des Geistes sowie durch die Eucharistiefeier unter Vorsitz des Bischofs unterhält die Ortskirche mit der Gesamtkirche ein besonderes Verhältnis gegenseitigen Einsseins, denn in ihr findet sich und wirkt in Wahrheit die Kirche Christi, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche (vgl. Christus Dominus, 11). In ihr muss die Heiligkeit des Lebens aufleuchten, zu der jeder Verkünder des Evangeliums aufgerufen ist. Er soll das Zeugnis eines intensiven Lebens im Geheimnis Jesu Christi geben, das tief empfunden und erfahren wird in der Eucharistie, im ständigen Hören auf das Wort, in Gebet und Opfer und im hochherzigen Einsatz für den Herrn, der bei den Priestern und den übrigen gottgeweihten Personen in besonderer Weise im Zölibat zum Ausdruck kommt.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die erste Form der Evangelisierung das Zeugnis ist (vgl. Redemptoris missio, 42-43), das heißt die Verkündigung der Heilsbotschaft durch die Werke und ein konsequentes Leben, um so ihre Inkarnierung im täglichen Leben der Menschen aufzuzeigen. Seit ihren Ursprüngen war die Kirche nicht nur durch die ausdrückliche Verkündigung des Evangeliums Christi präsent und wirksam, sondern auch und vor allem durch die Ausstrahlung des christlichen Lebens. Daher erfordert die neue Evangelisierung die Konsequenz des Lebens und das nachdrückliche Zeugnis der Liebe im Zeichen der Einheit, damit die Welt glaubt (vgl. Joh 17,23).
30 Jesus Christus, der getreue Zeuge, der Hirte der Hirten ist unter uns, da wir in seinem Namen versammelt sind (vgl. Mt 18,20). Mit uns ist der Geist des Herm, der die Kirche in die Fülle der Wahrheit einführt und sie mit dem geoffenbarten Wort wie in einem neuen Pfingsten verjüngt.
In der Gemeinschaft der Heiligen wacht über die Arbeiten dieser wichtigen kirchlichen Versammlung die ganze Schar der weiblichen und männlichen lateinamerikanischen Heiligen, die diesen Kontinent mit ihrem Wort und ihren Tugenden evangelisiert haben, und viele von ihnen haben ihn auch mit ihrem Blut befruchtet. Sie sind die erhabensten Früchte der Evangelisierung.
Wie im Saal von Pfingsten begleitet uns die Mutter Jesu und Mutter der Kirche. Ihre liebevolle Präsenz in allen Gegenden Lateinamerikas und in den Herzen seiner Kinder bietet die Garantie für den prophetischen Zug und den evangeliumsgemäßen Eifer, die eure Arbeiten begleiten müssen.
31 «Selig bist du, weil du geglaubt hast, dass sich erfüllt, was dir der Herr gesagt hat» (Lk 1,45). Diese Worte, die Elisabeth an Maria, die Trägerin Christi, richtet, lassen sich auf die Kirche anwenden, deren Vorbild die Mutter des Erlösers ist. Selig bist du, Lateinamerika, Kirche Amerikas, weil auch du Christus trägst, die Verkündigung des Heils empfangen und an das geglaubt hast, was dir der Herr gesagt hat. Der Glaube ist dein Ruhm und Quelle deiner Freude. Selig seid ihr, Männer und Frauen Lateinamerikas, Alt und Jung, denn ihr habt den Erlöser kennengelernt! Vereint mit der ganzen Kirche und mit Maria, könnt ihr sagen, dass der Herr «auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut hat» (Lk 1,48). Selig seid ihr, die Armen der Erde, denn das Reich Gottes ist zu euch gekommen!
«Was dir der Herr gesagt hat, wird in Erfüllung gehen.» Bleib also deiner Taufe treu, wecke bei dieser Jahrhundertfeier neu die unermeßliche Gnade, die du empfangen hast, richte dein Herz und deinen Blick auf den Mittelpunkt, den Ursprung, auf das, was Grund für jeden Ruhm und die Fülle des Ganzen ist! Öffne dich für Christus, empfange den Geist, damit in all deinen Gemeinschaften sich ein neues Pfingsten ereignet. Aus dir wird dann eine neue und seligzupreisende Menschheit hervorgehen; du wirst erneut den mächtigen Arm des Herrn spüren, und das, was dir der Herr gesagt hat, wird sich erfüllen. Was er dir mitgeteilt hat, Amerika, ist seine Liebe zu dir, seine Liebe zu allen Menschen, zu deinen Familien und zu deinen Völkern. Diese Liebe aber wird sich an dir erfüllen. Du wirst erneut zu dir selber kommen und dein Gesicht gewinnen, so dass «alle Geschlechter dich seligpreisen» (Lk 1,48).
Kirche von Amerika, der Herr tritt heute auf dich zu. Er ruft dich. In dieser Stunde der Gnade nennt er dich erneut bei deinem Namen und erneuert den Bund mit dir. O möchtest du doch seine Stimme hören, damit du das wahre und volle Glück gewinnst und in seine Ruhe eintreten kannst (vgl. Ps 9S,7.11).
Wir schließen mit der Anrufung Marias, des Sterns der ersten und der neuen Evangelisierung. Ihr, die immer gehofft hat, vertrauen wir unsere Hoffnung an. In ihre Hände legen wir unsere pastoralen Sorgen und alle Aufgaben dieser Konferenz. Wir vertrauen ihrem Mutterherzen ihren Erfolg und ihre Auswirkung auf die Zukunft des Kontinents an. Sie möge uns helfen, ihren Sohn zu verkünden: «Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit!» Amen.
Übergabe des Dokumentes
Freudig kommen wir unserer Verpflichtung nach, das Dokument von Santo Domingo dem Volk Gottes zu übergeben, das sich in Lateinamerika und der Karibik auf der Pilgerschaft befindet.
Es ist die Hoffnung bringende Frucht der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe im vergangenen Oktober.
Diese Versammlung, die vom Heiligen Vater Johannes Paul II. einberufen, eröffnet und geleitet wurde, arbeitete in enger, tiefer Gemeinschaft mit dem Statthalter Christi, dessen Eröffnungsansprache für die teilnehmenden Hirten grundlegender Punkt des Bezuges und der Übereinstimmung war.
Es soll daran erinnert werden, dass die 4. Generalversammlung 37 Jahre nach Rio de Janeiro, 24 Jahre nach Medellín und 13 Jahre nach Puebla stattfand. Die in Santo Domingo versammelten Hirten greifen das reiche Erbe der Vergangenheit auf und aktualisieren es in diesem wunderbaren Augenblick, in dem wir uns an die ersten fünfhundert Jahre der Evangelisierung des Kontinents erinnern und in dem ein christliches Jahrtausend endet und ein neues beginnt. Doch dies ist auch der Augenblick, in dem unsere Völker, die von verschiedenen Problemen aufs schwerste betroffen sind, von der Kirche ein Wort der Hoffnung ersehnen.
Das will das Dokument von Santo Domingo sein: ein Wort der Hoffnung. Ein wirksames Instrument für eine neue Evangelisierung, eine erneuerte Botschaft Jesu Christi, Grundlage der Entwicklung des Menschen und Ausgangspunkt einer echten christlichen Kultur.
Die Schlussfolgerungen von Santo Domingo sind nicht das Ergebnis einer Improvisation. Sie sind im Licht der dreifachen Thematik zu lesen, die vom Heiligen Vater aufgezeigt wurde, sowie im Kontext einer langen und fruchtbaren Vorbereitung, die in den Beiträgen der Bischofskonferenzen und in zahlreichen, vom CELAM veröffentlichten Büchern zum Tragen kommt.
Neben den Schlussfolgerungen finden sich hier weitere wichtige Dokumente: Die Eröffnungsansprache des Heiligen Vaters und das Schreiben, mit dem die Veröffentlichung des Dokuments genehmigt wird.
Die Botschaften des Papstes an die indigene und die afroamerikanische Bevölkerung.
Die Botschaft der 4. Generalversammlung an die Völker Lateinamerikas und der Karibik.
Bei der Überprüfung des in Santo Domingo übergebenen Textes durch den Heiligen Stuhl wurden lediglich einige stilistische Korrekturen und einige geringfügige Änderungen in der Formulierung vorgenommen, um verschiedene Ausdrücke zu erhellen.
Dieses neue pastorale Instrument mit den Elementen für einen globalen Evangelisierungsplan befindet sich in Händen der Bischofskonferenzen und der Teilkirchen unseres Amerika. Darin können sie die pastoralen Herausforderungen und Grundlinien finden, die ihren konkreten Anforderungen am meisten entsprechen.
Maria, die Mutter der Kirche und Königin unseres Kontinents, möge den Weg erleuchten, den unser Amerika jetzt in Richtung einer neuen Evangelisierung einschlägt, die sich mit verstärktem Engagement für die integrale Entwicklung des Menschen einsetzt und die Kulturen der lateinamerikanischen Völker mit dem Licht des Evangeliums durchdringt.
Erzbischof von Santo Domingo und Primas von Amerika Vorsitzender des CELAM
+ KARDINAL JUAN JESUS POSADAS OCAMPO
Erzbischof von Guadalajara
Erster stellvertretender Vorsitzender des CELAM
+ TULIO MANUEL CHIRIVELLA VARELA
Erzbischof von Barquisimeto
Zweiter stellvertretender Vorsitzender des CELAM
+ OSCAR ANDRES RODRIGUEZ MARADIAGA, S.D.B.
Weihbischof von Tegucigalpa
Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des CELAM
+ RAYMUNDO DAMASCENO ASSIS
Weihbischof von Brasilia
Generalsekretär des CELAM
Santafé de Bogotá, 22. November 1992
ChristkönigsfestBotschaft an die Völker Lateinamerikas und der Karibik zum Abschluss der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe
I. Vorstellung der Generalversammlung
1 Durch Papst Johannes Paul II. zur 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe zusammengerufen und zur Eröffnung unter seinem Vorsitz, haben wir uns in Santo Domingo als Vertreter der Episkopate Lateinamerikas und der Karibik mit Mitarbeitern des Papstes in der römischen Kurie versammelt. Teilgenommen haben weitere Bischöfe, die aus verschiedenen Teilen der Welt eingeladen waren, ferner Priester, Diakone, männliche und weibliche Ordensleute und Laien sowie Beobachter aus anderen christlichen Kirchen.
2 Das Datum der 4. Generalversammlung hing mit einem bedeutenden Gedenktag zusammen, nämlich den 500 Jahren seit Beginn der Evangelisierung der neuen Welt. Seitdem ist das Wort Gottes in die Kulturen unserer Völker eingegangen, und es wurde zum Bestandteil ihrer Geschichte. Daher sind wir nach langer Vorbereitung, die neun Jahre dauerte und ebenfalls hier in Santo Domingo durch den Papst eröffnet wurde, in einer Haltung zusammengekommen, die wiederum der Papst eingenommen hatte, nämlich in demütiger Anerkennung der Wahrheit. Wir haben Gott Dank gesagt für die vielen positiven Ereignisse dieser Zeit, zugleich aber für die unleugbaren negativen Geschehnisse um Verzeihung gebeten.
3 Die 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe wollte die Grundlinien für einen neuen Impuls bei der Evangelisierung festlegen, die Christus ins Herz, ins Wirken und Leben aller Lateinamerikaner bringen soll. Unsere Aufgabe besteht darin, mitzuhelfen, dass die Wahrheit über Christus, die Kirche und den Menschen alle Schichten der Gesellschaft tiefer durchdringt, um sie immer mehr zu bekehren. So war die neue Evangelisierung das eigentliche Anliegen unserer Arbeit.
4 Unsere Tagung steht in enger Verbindung mit früheren Tagungen gleicher Art und setzt sie zugleich fort: Die erste fand 1955 in Rio de Janeiro statt; die folgende in Medellín im Jahre 1968 und die dritte 1979 in Puebla. Wir übernehmen gänzlich die Optionen, die auf diesen Tagungen erarbeitet wurden und ihre wesentlichsten Schlussfolgerungen.
5 Diese Ereignisse bieten eine wertvolle kirchliche Erfahrung, aus der sich eine reiche Lehre für die Bischöfe ergibt, nützlich für die Kirchen und die Gesellschaft unseres Kontinents. Zu diesen Weisungen kommt nun als Ergebnis der jetzigen Tagung der Einsatz für die Evangelisierung hinzu, und wir bieten unseren Völkern alles in Demut und Freude an.
6 Die Jungfrau Maria und ihre mütterliche Präsenz, die mit dem christlichen Glauben in Lateinamerika und in der Karibik unzertrennlich verbunden ist, war schon immer und ist erst recht in unseren Tagen Weisung auf unserem Glaubensweg und Antrieb für unsere Arbeit angesichts der pastoralen Aufgaben von heute.
II. Lateinamerika und Karibik: zwischen Furcht und Hoffnung
7 Große Mehrheiten unserer Völker müssen unter dramatischen Bedingungen leben. Wir haben das bei unseren täglichen pastoralen Bemühungen erfahren und in vielen Dokumenten deutlich zum Ausdruck gebracht. Wenn ihre Leiden uns bedrücken, hören wir Gott zu Moses sagen: «Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihre laute Klage gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie in ein weites und fruchtbares Land zu führen» (Ex 3,7-8).
8 Solche Verhältnisse könnten unsere Hoffnung in Frage stellen. Doch das Wirken des Heiligen Geistes bietet uns Grund genug für unsere Hoffnung: den Glauben an den gestorbenen und auferstandenen Christus, der seine Verheißung wahr macht, immer bei uns zu bleiben (vgl. Mt 28,20). Dieser Glaube macht uns für jede menschliche Not aufmerksam und hilfsbereit. Wir möchten ja das, was Jesus tat und lehrte, weiterführen: den Schmerz der Menschheit auf uns nehmen und ans Werk gehen, damit er zu einem Weg der Erlösung wird.
9 Unsere Hoffnung wäre leer, wenn sie nicht tatkräftig und wirksam wäre. Es wäre eine Verfälschung der Botschaft Jesu Christi, wenn diese eine Trennung von Glauben und Tun gestatten würde. Wir ermuntern daher alle, die leiden, ihr Herz der Botschaft Jesu zu öffnen, der die Macht hat, ihrem Leben und ihren Leiden neuen Sinn zu geben. Der Glaube muss vereint mit Hoffnung und Liebe bei der Ausübung apostolischer Tätigkeit zu einem «weiten und fruchtbaren Land» für jene werden, die heute in Lateinamerika und in der Karibik leiden.
10 Die heutige Zeit erinnert uns an die Szene des Gelähmten aus dem Evangelium, der bereits 38 Jahre krank war und am Teich der Heilungen lag, aber niemanden hatte, der ihn hineinbrachte. Unsere Evangelisierung möchte das Wort Jesu an den kranken Mann anwenden: «Steh auf, nimm dein Bett und geh» (vgl. Joh S. 1-8).
11 Wir möchten unser evangelisierendes Bemühen mit konkreten Taten verdeutlichen, die den Menschen die Bewältigung ihrer Probleme ermöglichen, ihre Schmerzen heilen - so dass sie ihr Bett nehmen und gehen können - um, ausgehend vom heilbringenden Kontakt mit dem Herrn, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
III. Eine Hoffnung, die in der Sendung konkret wird
Die neue Evangelisierung
12 Seit dem Besuch des Papstes 1983 in Haiti haben wir uns aufgerufen und angeregt gefühlt zu neuem und wirksamerem pastoralem Einsatz in unseren Einzelkirchen. Dieses umfassende Bemühen im Zeichen eines neuen Pfingsten bekam den Namen «Neue Evangelisierung» (vgl. Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, Nr. 6 und 7).
13 Die Geschichte der Jünger von Emmaus, die der Evangelist Lukas berichtet, zeigt uns den auferstandenen Jesus, wie er die Frohbotschaft verkündet. Das kann ein Beispiel für die neue Evangelisierung sein.
Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit: Jesus kommt der Menschheit unterwegs entgegen (Lk 24,13-17).
14 Während die Emmausjünger verwirrt und traurig nach Hause zurückkehren, tritt der Meister an sie heran, um sie auf ihrem Weg zu begleiten. Jesus sucht die Menschen auf und geht mit ihnen, um ihre Freuden und Hoffnungen, aber auch die Schwierigkeiten und Traurigkeiten ihres Lebens zu teilen.
15 Heute möchten auch wir als Hirten der Kirche in Lateinamerika und in der Karibik in Treue zum göttlichen Meister erneut seine Haltung der Nähe und Begleitung aller unserer Brüder und Schwestern einnehmen; wir verkünden den Wert und die Würde einer jeden Person und möchten ihren irdischen Weg und ihren Alltag mit dem Licht des Glaubens erhellen. Dies ist ein Grundelement der neuen Evangelisierung.
Entwicklung des Menschen: Jesus geht den Weg der Menschen mit (Lk 24,17-24).
16 Jesus tritt nicht nur an die Menschen unterwegs heran. Er tut mehr: Er wird selber für sie zum Weg (vgl. Joh 14,6). Er dringt in den tieferen Kern der Person, in ihre Empfindungen und Haltungen ein. Durch einen aufrichtigen und direkten Dialog lernt er ihre unmittelbaren Sorgen kennen. Der auferstandene Christus begleitet die Schritte, die Bestrebungen und das Suchen, die Probleme und Schwierigkeiten seiner Jünger, als diese in ihr Dorf heimkehren.
17 Hier wendet Jesus das, was er eines Tages einem Gesetzeslehrer sagen wird, bei seinen Jüngern an: Die Wunden und Seufzer des geschlagenen und sterbenden Menschen, der am Wegesrand lag, bilden eine dringende Aufgabe für den eigenen Weg (vgl. Lk 10,25-37). Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter betrifft uns direkt in unserem Verhalten zu unseren Brüdern, zumal gegenüber den Sündern, für die Jesus sein Blut vergoß. Denken wir besonders an alle Leidenden: an die Kranken, die Alten, die allein leben, an die verlassenen Kinder. Schauen wir auch auf jene, die Opfer der Ungerechtigkeit geworden sind: die Randexistenzen und die Allerärmsten, die Bewohner der Außenbezirke der großen Städte, die Eingeborenen und Afroamerikaner, die Landarbeiter und alle, die kein Land besitzen, die Arbeitslosen und Obdachlosen, schließlich die Frauen, deren Rechte missachtet werden. Auch weitere Formen der Unterdrückung sprechen uns an: Gewalttätigkeit und Pornographie, Drogenhandel und Drogenkonsum, Terrorismus und Menschenraub und zahlreiche weitere schwerwiegende Probleme.
Die Kultur: Jesus erhellt den Weg der Menschen durch die Heiligen Schriften (Lk 24,25-28).
18 Die Präsenz des Herrn erschöpft sich nicht in bloßer menschlicher Solidarität. Das innere Drama der beiden Wanderer bestand darin, dass sie jede Hoffnung verloren hatten. Diese Enttäuschung wich aber bei der Erklärung der Schriften. Die Frohbotschaft, die sie von Jesus hörten, übermittelte die von seinem Vater empfangene Botschaft.
19 Durch die Erklärung der Schriften berichtigt Jesus die Irrtümer einer rein irdischen Messiaserwartung und sämtlicher Ideologien, die den Menschen zum Sklaven machen. Durch die Erklärung der Schriften erhellt er ihnen ihre Situation und öffnet ihnen Horizonte der Hoffnung.
20 Der Weg, den Jesus an der Seite seiner Jünger zurücklegt, ist geprägt durch die Züge des Planes Gottes mit einem jeden seiner Geschöpfe und mit dem Geschick des Menschen.
21 Wir ermuntern daher alle in der Seelsorge Tätigen, sich in Studium und Meditation in das Wort Gottes zu vertiefen, um es leben und den anderen getreu weitergeben zu können.
22 Wir betonen erneut die Notwendigkeit, neue Methoden zu finden, damit sich die Verantwortlichen der pluralistischen Gesellschaft mit den ethischen Forderungen des Evangeliums vertraut machen, vor allem in der Sozialordnung. Die Soziallehre der Kirche bildet einen wesentlichen Teil der christlichen Botschaft. Ihre Darlegung, Verbreitung, Vertiefung und Anwendung sind unerlässliche Forderungen für die neue Evangelisierung unserer Völker.
Neuer Mut: Jesus gibt sich beim Brotbrechen zu erkennen (Lk 24, 28-32).
23 Doch genügte die Erklärung der Schrift nicht, um ihnen die Augen zu öffnen und die Wirklichkeit vom Standpunkt des Glaubens aus zu begreifen. Gewiss ließ die Schriftdeutung ihre Herzen brennen, doch die entscheidende Geste, um ihn als Lebenden und von den Toten Auferstandenen zu erkennen, war das konkrete Zeichen des Brotbrechens.
24 In Emmaus öffnet sich ferner ein Heim für den, der pilgernd unterwegs war. Christus offenbarte den Weggefährten sein Inneres, und in seiner Haltung des Teilens erkannten sie, dass es in seinem Leben nichts Größeres gab, als sich den Brüdern hinzugeben, was er ja mit seinem Tod am Kreuze als Inhalt seines ganzen Lebens besiegelte.
25 Nach Abschluss dieser Tage des Gebetes und des Nachdenkens kehren wir nach Hause, in unsere Ortskirchen zurück, um uns mit den Brüdern auszutauschen, mit denen wir den Alltag unseres Lebens gestalten und die mit unserem Dienst näher verbunden sind: mit unseren Priestern und Diakonen, denen wir unsere besondere Zuneigung und Dankbarkeit aussprechen möchten. Möge die Eucharistiefeier immer mehr ihre Herzen entflammen, um die neue Evangelisierung, die Entwicklung des Menschen und eine christliche Kultur Wirklichkeit werden zu lassen.
Sendung: Jesus wird durch seine Jünger verkündet (Lk 24, 33-35).
26 Die Begegnung zwischen dem Meister und den Jüngern ging zu Ende. Jesus entschwindet ihren Augen. Doch sie gehen freudig, von neuem Mut beseelt, an ihre missionarische Aufgabe. Sie verlassen ihr Dorf und suchen die übrigen Jünger auf. Das Glaubensleben wird in der Gemeinschaft Wirklichkeit. Daher kehren die Jünger nach Jerusalem zurück, um ihre Brüder zu treffen und ihnen von der Begegnung mit dem Herrn zu berichten. Ausgehend von dem gemeinschaftlich gelebten Glauben werden sie zu Wegbereitern einer ganz neuen Wirklichkeit: «Der Herr ist auferstanden und weilt erneut unter uns». Der Glaube an Jesus schließt die Sendung ein.
27 «Für Lateinamerika und die Karibik, die Christus vor nunmehr 500 Jahren aufnahmen, besteht das größte Zeichen der Dankbarkeit für das empfangene Geschenk und für ihre christliche Lebenskraft im Einsatz ihrer Kräfte für die Mission» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, Nr. 28), und zwar muss sie nach Innen und über die eigenen Grenzen hinaus geschehen.
IV. Pastorale Prioritäten
28 Die 4. Generalversammlung legt mit großen Hoffnungen und unter Berücksichtigung der verdienstvollen Beiträge der Bischofskonferenzen sowie vieler anderer kirchlicher Kreise folgende pastorale Weisungen vor. Als Leitfaden unserer Arbeit haben wir die Weisung und Unterstützung des Papstes gewählt, der seit langem schon diese Generalversammlung angeregt hat.
29 Vor allem bekennen wir die gläubige Anhängerschaft der Kirche in Lateinamerika und in der Karibik an Jesus Christus. Er ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (vgl. Hehr 13,8).
30 Damit Christus die Mitte im Leben unserer Völker bildet, rufen wir alle Gläubigen zu einer neuen Evangelisierung auf und sprechen besonders die Laien - und unter diesen wieder die Jugend - an. Wir vertrauen in dieser Stunde darauf, dass viele Jugendliche mit Hilfe einer wirksamen Berufungspastoral dem Ruf des Herrn zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben Folge leisten mögen.
- Eine erneuerte Katechese und eine lebendige Liturgiefeier in einer Kirche im Zustand der Sendung bilden die Mittel, um an alle Christen heranzukommen und sie weiter zu heiligen, besonders jene, die fern stehen oder gleichgültig sind.
- Die neue Evangelisierung soll in allen unseren Kirchen eine Missionspastoral verstärken, so dass wir uns dafür verantwortlich fühlen, weit über unsere eigenen Grenzen hinauszugehen, um anderen Völkern den Glauben zu bringen, der uns vor 500 Jahren erreicht hat.
31 Als Ausdruck der neuen Evangelisierung verpflichten wir uns ferner, uns für eine integrale Förderung des lateinamerikanischen und karibischen Volkes einzusetzen, und es soll uns ein Anliegen sein, die Ärmsten als vorrangige Adressaten zu wählen.
- Bei dieser Entwicklung des Menschen ist die Familie besonders wichtig, denn in ihr entsteht das Leben. Es ist heute notwendig und dringend, das Leben zu fördern und zu schützen, denn es wird durch Teile der heutigen Gesellschaft in vielen Formen angegriffen.
32 Wir müssen eine Evangelisierung voranbringen, die zu den tiefsten Wurzeln der gemeinsamen Kultur unserer Völker vorstößt und dabei besonders die wachsende städtische Kultur berücksichtigt.
- Eine besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die echte Vermittlung des Evangeliums bei den einheimischen und afroamerikanischen Kulturen unseres Kontinents.
- Bei dieser ganzen Inkulturation des Evangeliums ist der Aufbau eines wirksamen Bildungsangebots und die Verwendung moderner Medien sehr wichtig.
V. Grüße und Wünsche
33 Wir möchten diese Botschaft nicht abschließen, ohne ein herzliches Wort an einzelne Personen und Gruppen zu richten, denen eine besondere Verantwortung in der Kirche oder im Sozialbereich aufgetragen ist.
34 Wir richten ein besonderes Grußwort an unsere Priester und Diakone als eifrige Mitarbeiter bei unserer Sendung als Bischöfe. Sie waren jeden Tag in unseren Gedanken und Gebeten dabei. Wir hegen die Hoffnung, dass sie uns wie immer helfen, dem Volk unserer Einzelkirchen die Entschließungen dieser Konferenz bekannt zu machen. Daher möchten wir ihnen unsere väterliche und brüderliche Verbundenheit sowie unsere Dankbarkeit für ihren opferbereiten und unermüdlichen Einsatz in ihrem Dienst aussprechen.
35 In gleicher Verbundenheit denken wir an die Ordensleute, die Mitglieder der Säkularinstitute, die Pastoralassistenten, die Katecheten, die Leiter der Gemeinschaften und die Mitglieder der kirchlichen Bewegungen und an die außerordentlichen Mitarbeiter. Sie werden alle aus den Inhalten der 4. Konferenz neuen Eifer für ihr kirchliches Tun gewinnen können.
36 Dankbar denken wir ferner an die zahlreichen Missionare, die von der ersten Stunde an in sehr schwierigen Verhältnissen und mit großer Selbstverleugnung bis zum Einsatz des eigenen Lebens auf unserem Kontinent das Evangelium verkündet haben.
37 Es war für uns erhebend und erfreulich, dass an unserer Tagung Beobachter, die christlichen Bruderkirchen angehören, teilnahmen. Ihnen und all diesen Kirchen, mit denen wir den Glauben an Jesus Christus den Erlöser teilen, gilt unser brüderlicher Gruß, verbunden mit unserem Gebet, damit wir zu einer Stunde, die Gott bestimmt, das geistliche Testament Jesu Christi verwirklichen können: «Alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt» (Joh 17,21).
38 Den eingeborenen Völkerschaften aber, den Ureinwohnern dieser Gebiete und Besitzern unermeßlicher kultureller Reichtümer, die unserer derzeitigen Kultur zugrundeliegen, aber auch den Nachkommen Tausender von Familien, die aus verschiedenen Gebieten Afrikas herkamen, sprechen wir unsere Hochachtung und den Wunsch aus, ihnen im Sinne des Evangeliums unseres Herrn Jesus Christus zu dienen.
39 Wir vereinen uns auch mit den Verantwortlichen und Führungskräften der Gesellschaft - den Regierungen, Gesetzgebern, Richtern, politischen und militärischen Entscheidungsträgern, den Lehrkräften, Unternehmern, Gewerkschaftsverantwortlichen und vielen anderen - sowie mit allen Menschen guten Willens, die für die Förderung und den Schutz des Lebens arbeiten, indem sie die Würde der Frau und des Mannes herausstellen, deren Rechte wahren sowie unter Vermeidung jeden Rüstungswettlaufs den Frieden suchen und herbeiführen. Von dieser 4. Konferenz aus ermahnen wir sie, bei der Ausübung ihrer achtenswerten Aufgabe im Dienst der Völker sich für Gerechtigkeit und Solidarität sowie eine integrale Entwicklung einzusetzen, und sich bei ihren Entscheidungen vom unerlässlichen ethischen Imperativ leiten zu lassen.
40 In besonderer Weise wünschen wir, dass die Lehren, die wir im Auftrag des Herrn verkünden, in den Familien Lateinamerikas und der Karibik ein Echo finden. Sie sind als Orte der Gotteserfahrung im Leben aufgefordert, das Evangelium im Herzen ihrer Kinder durch eine angemessene Erziehung Wurzeln fassen zu lassen. In einer Stunde, da uns eine Kultur des Todes bedroht, werden sie hier «reine Quellen finden, die bis zum ewigen Leben weitersprudeln». Die Eltern sind mit ihrem Wort und Beispiel die großen Verkünder des Evangeliums in der «Hauskirche», und von ihnen hängt es größtenteils ab, ob diese Konferenz von Santo Domingo ihre Früchte bringt. Daher grüßen wir sie und möchten ihnen zugleich unsere Verbundenheit und Unterstützung zum Ausdruck bringen.
41 Den Vertretern der Welt der Kultur legen wir nahe, ihre Bemühungen um das Bildungswesen zu verstärken, denn dieses ist der Hauptschlüssel für die Zukunft, zugleich die Seele der sozialen Dynamik, Recht und Pflicht einer jeden Person, um so die Grundlagen eines echten und integralen Menschseins zu schaffen (Johannes Paul II. in der Messe am Kolumbusdenkmal, Nr. 7).
42 Herzlich laden wir alle in den sozialen Medien Tätigen ein, sich unermüdlich für die Versöhnung einzusetzen und entschlossene Förderer der menschlichen und christlichen Werte zu sein, Verteidiger des Lebens sowie Initiatoren der Hoffnung, des Friedens und der Solidarität unter den Völkern.
VI. Abschluss
43 Voll Vertrauen legen wir nun diese Botschaft dem Volk Gottes in Lateinamerika und in der Karibik ans Herz, aber in gleicher Gesinnung auch allen Männern und Frauen, besonders den Jugendlichen des Kontinents, die im Leben der Gesellschaft und der Kirche im neuen christlichen Jahrtausend, das schon vor der Tür steht, Pioniere sein sollen. (DI, 27) Auch jenen, die nicht unseren christlichen und katholischen Glauben teilen, legen wir die Botschaft dieser Versammlung von Santo Domingo nahe. Sie mögen in ihr einen Aufruf zu einem dem Christentum und dem Evangelium entsprechenden Wirken erblicken, das sie ja schätzen und vorleben.
44 Unseren Brüdern und Schwestern im Glauben soll diese Botschaft ein ausdrückliches Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus und seine Frohbotschaft vermitteln. In diesem Jesus, «derselbe gestern, heute und in Ewigkeit» (Hebr 8,13), besitzen wir die Gewissheit, Anregung, Kraft und neuen Mut für einen neuen Evangelisierungsgeist zu gewinnen. In ihm finden wir auch die Motive und Weisungen für neue Bemühungen um eine wahrhaft menschliche Förderung der fast 500 Millionen Lateinamerikaner. Er wird uns ferner helfen, die kulturellen Eigenwerte unserer Menschen christlich zu prägen, so dass sie ihre Identität finden und den Reichtum der Einheit in der Verschiedenheit erfahren.
45 Allen möchten wir den Inhalt der Konferenz von Santo Domingo als Voraussetzung einer ständigen Verjüngung des Ideals unserer Vorfahren von einem Großen Vaterland vorlegen. Wir sind nämlich überzeugt, dass die Begegnung mit den gemeinsamen christlichen und katholischen Wurzeln unserer Länder die ersehnte Einheit herbeiführen wird.
46 In Amerika sind sehr aktive Kräfte der Spaltung am Werk. Es fehlt in unserem Amerika noch viel, wenn es der vereinte Kontinent sein soll, den wir uns wünschen. Über ihr vorwiegend religiöses Anliegen hinaus bietet aber die neue Evangelisierung, wie sie die 4. Generalversammlung vorgeschlagen hat, die notwendigen Elemente auch für die Gestaltwerdung des Großen Vaterlandes:
- die unerlässliche Versöhnung, dank derer in der Logik des Vaterunsers alte und neue Gegensätze überwunden werden und wir uns gegenseitig die alten und neuen Belastungen verzeihen, alte und neue Beleidigungen vergessen und den Frieden wieder aufrichten;
- die Solidarität, in der die einen mithelfen, die Last der anderen erträglich zu machen und mit ihnen die eigenen Bestrebungen teilen: «Das neue Ideal der Solidarität muss über den hinfälligen Willen zur Herrschaft das Übergewicht bekommen» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, Nr. 15);
- die gegenseitige Integration unserer Länder, wobei die Trennmauer der Isolierung, der Diskriminierungen und der gegenseitigen Gleichgültigkeit überwunden werden: «Die Integration Lateinamerikas kann in erheblichem Maße zur Überwindung der drückenden Probleme beitragen, die diesen Kontinent heute bedrängen» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, Nr. 15 und auch Nr. 17);
- die tiefe Gemeinschaft der Kirche im politischen Willen zum Fortschritt und Wohlstand.
47 Möge das soziale und geistige Potential in diesen vier Schlüsselworten - Versöhnung, Solidarität, Integration und Gemeinschaft - zum größten Reichtum Lateinamerikas werden. Dies wünschen und erbeten die lateinamerikanischen Bischöfe bei ihrer 4. Generalversammlung. Es möge zugleich das größte Geschenk sein, das uns die Gnade Gottes macht. Doch denken wir daran, dass dieses Potential für alle und jeden einzelnen Aufgabe und Verpflichtung ist.
48 Wir vertrauen unsere Arbeiten unserer Lieben Frau von Guadalupe, dem Stern der Evangelisierung an. Sie ist seit der ersten Verkündigung Christi den Weg unserer Völker mitgegangen. Sie bitten wir heute, sie möge unsere Herzen mit brennendem Eifer erfüllen, damit wir mit neuen Methoden und in neuen Ausdrucksformen verkünden, dass Jesus Christus derselbe ist, gestern, heute und in Ewigkeit (Hebr 13,8).
Schlussdokument der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe
Neue Evangelisierung
Förderung des Menschen
Christliche Kultur
Erster Teil: Jesus Christus, Evangelium des Vaters
1 Zusammengerufen von Papst Johannes Paul II. und geführt vom Geist unseres göttlichen Vaters, verkünden wir, die lateinamerikanischen Bischöfe, die an der 4. Generalversammlung in Santo Domingo teilnehmen, die in Weiterführung der vorausgegangenen Versammlungen von Rio de Janeiro, Medellín und Puebla stattfindet, unseren Glauben und unsere Liebe zu Jesus Christus. Er ist derselbe, «gestern, heute und in Ewigkeit» (vgl. Hebr 13,8).
Versammelt wie in einem neuen Abendmahlssaal, mit Maria, der Mutter Jesu, in unserer Mitte, danken wir Gott für die unschätzbare Gabe des Glaubens und für die unzählbaren Gaben seiner Barmherzigkeit. Wir bitten um Vergebung, wenn wir seine Güte zurückgewiesen haben. Erfüllt vom Heiligen Geist bereiten wir uns darauf vor, mit neubelebtem Eifer eine neue Evangelisierung in Angriff zu nehmen, die sich in einer größeren Verpflichtung für die umfassende Entwicklung des Menschen auswirkt, und die Kulturen der lateinamerikanischen Völker mit dem Licht des Evangeliums durchdringt. Der Heilige Geist selbst muss uns die Weisheit geben, neue Mittel und neue Ausdrucksformen zu finden, mit denen das einzige Evangelium, das Jesus Christus uns überliefert hat, in unserer Zeit unseren Brüdern und Schwestern verständlicher gemacht und damit auf neue Fragen eine Antwort gegeben werden kann.
2 Wenn wir mit einem tiefer schauenden christlichen Blick die Aufrichtung des Kreuzes Christi vor fünf Jahrhunderten auf diesem Kontinent betrachten, dann verstehen wir, dass er es war, der Herr der Geschichte, der die Heilsgeschichte auf ungeahnte Dimensionen ausgeweitet hat. So wuchs die Familie Gottes, und es vervielfältigte sich «die Zahl der Menschen, die Gott dankten» (vgl. 2 Kor 4,15; vgl. Johannes Paul II., Eröffnungsanspraehe, 3). Gott wählte sich ein neues Volk unter den Völkern dieses Erdteils, die, auch wenn sie in der Alten Welt noch völlig unbekannt waren, «Gott von Ewigkeit her bekannt und von ihm immer mit der Väterlichkeit umfangen, die der Sohn in der Fülle der Zeiten geoffenbart hat» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 3).
3 Jesus Christus ist wahrhaft der Mittelpunkt des Heilsplanes Gottes. Daher wiederholen wir mit dem Brief an die Epheser: «Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet, durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus» (Eph 1, 3-5).
Wir feiern Jesus Christus, der wegen unserer Verfehlungen gestorben und wegen unserer Gerechtmachung auferweckt wurde (vgl. Röm 4,25), der unter uns lebt und unsere «Hoffnung auf Verherrlichung» (Kol 1, 27) ist. Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung, in dem alles geschaffen wurde. Er hält die Schöpfung in seiner Hand, in ihm laufen alle Wege des Menschen zusammen, er ist der Herr der Zeiten. Inmitten aller Schwierigkeiten und Leiden möchten wir auf unserem Kontinent weiterhin Zeugen der Liebe Gottes sein und Propheten der Hoffnung, die nicht scheitert. Wir wollen «eine neue Ära unter dem Zeichen der Hoffnung einleiten» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, V).
Bekenntnis des Glaubens
4 Wir haben zu Gott gebetet, dass er uns in seiner barmherzigen Liebe «seinen Sohn, geboren von einer Frau» (Gal 4,4) sendet, um alle Menschen zu erlösen. So wurde Jesus Christus einer von uns (vgl. Hebr 2,17). Gesalbt mit dem Heiligen Geist (vgl. Lk 1,15) verkündete er in der Fülle der Zeiten die Frohe Botschaft: «Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium» (Mk 1,15). Dieses Reich, das in Jesus begründet wurde, enthüllt uns zum ersten Mal Gott selbst als «einen liebenden Vater und voll Mitleid» (RMi 13), der alle, Männer und Frauen, ruft, sich ihm anzuschließen.
- Um diesen Aspekt zu unterstreichen, hat Jesus sich vor allem um die gekümmert, die durch ihre Not am Rande der Gesellschaft lebten, und hat ihnen die «Gute Nachricht» verkündet. Zu Beginn seines Wirkens verkündete er, dass er gesandt sei, «den Armen eine gute Nachricht zu bringen» (Lk 4,18). Allen Opfern von Zurückweisungen und Missachtung, die sich ihrer Entbehrungen bewusst sind, sagt Jesus: «Selig die Armen» (Lk 6,20; vgl. RMi 14). Somit können sich die Bedürftigen und Sünder von Gott geliebt fühlen und sind Gegenstand seiner unendlichen Zuneigung (vgl. Lk 15,1-32).
5 Ins Reich Gottes gelangt man durch den Glauben an das Wort Jesu, der durch die Taufe besiegelt, durch die Nachfolge bezeugt und in der Teilnahme an seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung gelebt wird (vgl. Röm 6,9). Dies erfordert eine grundlegende Umkehr (vgl. Mk 1,15; Mt 4,17), einen Bruch mit allen Formen von Egoismus in einer Welt, die von der Sünde gezeichnet ist (vgl. Mt 7,21; Joh 14,15; RMi 13); das heißt, eine Hinwendung zur Botschaft der Seligpreisungen (vgl. Mt 5,1-10).
Das Geheimnis des Reiches, für Jahrhunderte und Generationen in Gott verhüllt (vgl. Kol 1,26) und gegenwärtig im Leben und in den Worten Jesu, in seiner Person verkörpert, ist Gabe des Vaters (vgl. Lk 12,32; Mt 20,23) und besteht in der als Geschenk angebotenen Gemeinschaft des Menschen mit Gott (vgl. EN 9; Joh 14,23), die in diesem Leben beginnt und ihre volle Verwirklichung in der Ewigkeit findet (vgl. EN 27).
Die Liebe Gottes wird durch die Liebe zum Nächsten bezeugt (vgl. 1 Joh 4,20), von der sie nicht zu trennen ist: «Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen» Cl Joh 4,12). «Darum ist die Natur des Reiches die Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott» (RMi 15).
6 Zur Verwirklichung des Reiches «setzte Jesus zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten» (Mk 3,14), und denen er «die Geheimnisse» des Vaters enthüllte, indem er sie zu seinen Freunden macht (vgl. Joh 15,15), ihnen aufträgt, seinen Auftrag fortzuführen (vgl. Joh 20,21) und Petrus zum Felsen macht, auf dem er seine neue Gemeinschaft aufbaut (vgl. Mt 16,18).
Bevor er zum Vater ging, setzte Jesus das Sakrament seiner Liebe ein, die Eucharistie (vgl. Mk 14,24), das Gedächtnis seines Opfers. So bleibt der Herr mitten unter seinem Volk, um es mit seinem Fleisch und Blut zu speisen, und die Gemeinschaft und Solidarität, die unter den Christen herrschen sollte, zu festigen und auszudrücken, während diese sich auf der Erde auf Pilgerschaft befinden, in der Hoffnung auf die vollendete Gemeinschaft mit ihm. Makelloses, Gott dargebrachtes Opfer (vgl. Hebr 9,14), ist Jesus gleichermaßen der Priester, der die Sünde mit einem einzigen Opfer hinweg nimmt (vgl. Hebr 10,14).
Er, und er allein, ist unsere Rettung, unsere Rechtfertigung, unser Frieden und unsere Versöhnung. In ihm sind wir mit Gott versöhnt worden, und durch ihn wurde uns «das Wort von der Versöhnung anvertraut» (2 Kor 5,19). Er reißt alle Wände nieder, die Menschen und Völker voneinander trennen (vgl. Eph 2,14). Daher möchten wir heute, in dieser Zeit der neuen Evangelisierung, mit dem Apostel Paulus sprechen: «Lasst Euch mit Gott versöhnen» (2 Kor 5,20).
7 Wir bekennen, dass Jesus, der in Wahrheit auferstanden und zum Vater in den Himmel erhoben wurde, der Herr ist, eines Wesens mit dem Vater, «in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes» (KoI 2,9), er sitzt zu seiner Rechten und verdient unsere Anbetung. «Die Auferstehung gibt der Botschaft Christi, seinem Handeln und seiner ganzen Sendung eine universale Bedeutung» (RMi 16). Christus ist auferstanden, damit wir an seinem Leben teilhaben. Aus seiner Fülle haben wir alle die Gnade empfangen (vgl. Joh 1,16). Jesus Christus, der gestorben ist, um uns von der Sünde und vom Tod zu befreien, ist auferstanden, um uns in ihm zu Kindern Gottes zu machen. Wäre er nicht auferstanden, «dann wäre unsere Verkündigung leer und unser Glaube sinnlos» (1 Kor 15,14). Er ist unsere Hoffnung (vgl. 1 Tim 1,1; 3,14-16), denn er kann die retten, die sich Gott nähern und ist immer da, um für uns einzutreten (vgl. Hebr 7,25).
Nach der Verheißung Jesu wurde der Heilige Geist über den Aposteln ausgegossen, die sich mit Maria im Abendmahlssaal versammelt hatten (vgl. Apg 1, 12-14; 2,1). Mit der Gabe des Heiligen Geistes zu Pfingsten wurde die Kirche ausgesandt, das Evangelium zu verkünden. Seit diesem Tag ist sie, das neue Volk Gottes (vgl. 1 Petr 2,9-10) und der Leib Christi (vgl. 1 Kor 12,27; Eph 4,12), auf das Reich hingeordnet, dessen Keim sie ist, Zeichen und Werkzeug (vgl. RMi 18) bis ans Ende der Zeiten. Seit dieser Zeit und bis in unsere Tage gebiert die Kirche durch die Verkündigung und die Taufe neue Kinder Gottes, empfangen vom Heiligen Geist und geboren aus Gott (vgl. LG 64).
8 In der Gemeinschaft des apostolischen Glaubens, der aus dem Munde Petri in Palästina spricht: «Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!» (Mt 16,16), machen wir uns heute die Worte Pauls VI. zu eigen, an die uns Johannes Paul II. zu Beginn unserer Arbeit erinnerte: «Christus! Christus, unser Anfang. Christus, unser Leben und unser Führer. Christus, unsere Hoffnung und unser Ziel. Möge über dieser Versammlung kein anderes Licht leuchten als das Licht Christi, der das Licht der Welt ist. Möge keine andere Wahrheit unseren Geist beschäftigen als die Worte des Herrn und einzigen Lehrers. Mögen wir nichts anderes wünschen, als ihm absolut treu zu sein. Möge uns keine andere Hoffnung stützen als jene, die durch sein Wort unserer Schwachheit aufhilft...» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 1)
Ja, wir bekennen, dass Jesus Christus wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch ist. Er ist der alleinige Sohn des Vaters, Mensch geworden im Schoße der Jungfrau Maria, durch den Heiligen Geist, der in die Welt gekommen ist, um uns aus der Sklaverei der Sünde zu befreien, uns die Gnade der Annahme als Kinder Gottes zu gewähren und uns mit ihm und mit den Menschen zu versöhnen. Er ist das lebendige Evangelium der Liebe des Vaters. In ihm findet die Menschheit den Maßstab ihrer Würde und die Richtung für ihre Entwicklung.
9 Wir erkennen die dramatische Situation, in die die Sünde den Menschen versetzt. Weil der Mensch gut geschaffen ist, nach dem Bild Gottes selbst, der Herr über die Schöpfung ist, hat er sich ihm durch die Sünde entzweit, in sich selbst gespalten, die Solidarität zum Nächsten verloren und die Harmonie der Natur zerstört. Hier erkennen wir den Ursprung aller individuellen und kollektiven Übel, die in Lateinamerika zu beklagen sind: Kriege, Terrorismus, Drogen, Elend, Unterdrückung und Ungerechtigkeiten, die institutionalisierte Lüge, die Randstellung ethnischer Gruppen, Korruption, Angriffe auf die Familie, Verlassen von Kindern und Alten, Kampagnen gegen das Leben, Abtreibung, Instrumentalisierung der Frau, Plünderung der Natur, kurzum, alles, was eine Kultur des Todes kennzeichnet.
Wer wird uns von diesen Mächten des Todes erretten? (vgl. Röm 7,24). Allein die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die den Männern und Frauen in Lateinamerika einmal mehr angeboten wird, als Aufruf zur Umkehr des Herzens. Die erneuerte Evangelisierung, die wir jetzt in Angriff nehmen, muss daher eine Einladung sein, gleichzeitig das persönliche und das kollektive Bewusstsein der Menschen zu ändern (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 18), damit die Christen die Seele in allen Bereichen des sozialen Lebens sind (Brief an Diognet 6).
10 Eins mit Christus, der in jedem von ihnen lebt (vgl. Gal 2,20), und geleitet vom Heiligen Geist, haben die Kinder Gottes das Gesetz der Liebe in ihrem Herzen erhalten. Auf diese Weise können sie der Forderung nachkommen, vollkommen zu sein wie ihr himmlischer Vater (vgl. Mt 5,48), Jesus Christus nachzufolgen und jeden Tag ihr eigenes Kreuz zu tragen, bis sie ihr Leben für ihn hingeben (vgl. Mk 8,34-36).
11 Wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche und lieben sie. Sie wurde von Jesus Christus «auf das Fundament der Apostel gebaut» (vgl. Eph 2,20), deren Nachfolger, die Bischöfe, den verschiedenen Teilkirchen vorstehen. In der Gemeinschaft untereinander und geleitet in Liebe durch den Bischof von Rom dienen sie ihren Teilkirchen, damit in jeder die Kirche Christi lebendig und gegenwärtig ist. Sie «ist die erste Nutznießerin der Erlösung. Christus hat sie mit seinem Blut erworben (Apg 20,28) und hat sie zu seiner Mitarbeiterin im universalen Heilswerk eingesetzt» (vgl. RMi 9).
Als Pilgerin auf diesem Kontinent ist sie gegenwärtig und verwirklicht sich als Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern unter der Leitung der Bischöfe. Gläubige und Hirten, versammelt durch den Heiligen Geist (vgl. CD 11) um das Wort Gottes und um den Tisch der Eucharistie, sind gleichermaßen gesandt, das Evangelium zu predigen, Jesus Christus zu verkünden und Zeugnis der Nächstenliebe abzulegen.
12 «Die Natur der Kirche auf ihrem Pilgerweg ist vom Ursprung her missionarisch, denn sie entspringt der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes, gemäß dem Heilsplan Gottes, des Vaters» (AG 2). Die Evangelisierung ist das Wesen ihres Seins; sie lebt für die Verkündigung des Evangeliums (vgl. EN 15). Für Lateinamerika, das die göttliche Vorsehung mit neuem missionarischem Eifer beseelt hat, ist die Zeit gekommen, seinen Glauben zu den Völkern zu tragen, die Christus noch nicht kennen, im sicheren Vertrauen darauf, dass «der Glaube durch Weitergabe stark wird» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 28).
Die Kirche möchte in dieser Zeit eine neue Evangelisierung durchführen, die unseren Völkern den Glauben an Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, weitergibt, festigt und vollendet. Diese Evangelisierung «muss - als Grundlage, Zentrum und zugleich Höhepunkt ihrer Dynamik - klar verkünden, dass in Jesus Christus, dem menschgewordenen, gestorbenen und auferstandenen Sohne Gottes, das Heil einem jeden Menschen angeboten ist als ein Geschenk der Gnade und des Erbarmens Gottes selbst» (EN 27).
13 Die christliche Verkündigung heilt, stärkt und fördert den Menschen aus eigener Kraft, sie bildet die Grundlage für eine brüderliche Gemeinschaft, für eine Erneuerung der Menschheit und gibt ihr mit der Erneuerung aus der Taufe und einem Leben nach dem Evangelium ihre volle menschliche Würde (vgl. EN 18). Die Evangelisierung fördert einen integralen Fortschritt, sie fordert von allen und jedem einzelnen den vollen Respekt seiner Rechte und die volle Erfüllung seiner Pflichten, damit auf dem Weg zur Vollendung im endgültigen Reich eine gerechte und solidarische Gesellschaft geschaffen wird. Der Mensch ist gerufen, mit Jesus Christus an der Evangelisierung mitzuarbeiten und sein Werkzeug zu sein. In Lateinamerika, dem gläubigen und leidenden Kontinent, ist eine neue Evangelisierung dringend erforderlich, die eindeutig und klar das Evangelium der Gerechtigkeit, der Liebe und der Barmherzigkeit verkündet.
Wir wissen, dass Christus sich durch seine Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt hat (vgl. GS 22). Er macht dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung (vgl. ebd.). Jesus Christus pflanzt sich in das Herz der Menschheit ein und lädt alle Kulturen ein, sich von seinem Geist zur Vollendung führen lassen, das Gute in ihnen zu heben und sie von dem zu reinigen, was von der Sünde gezeichnet ist. Jedwede Evangelisierung muss daher Inkulturation des Evangeliums sein. Somit kann jede Kultur christlich werden, das heißt, sich auf Christus beziehen und sich von ihm und seiner Botschaft inspirieren lassen (vgl. Johannes Paul II., Rede vor der 2. Generalversammlung der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, 14.6.91, 4). Jesus Christus ist wirklich der Maßstab aller Kulturen und aller menschlichen Werke. Die Inkulturation des Evangeliums ist für die Nachfolge Jesu unabdingbar; sie ist erforderlich, um das verunstaltete Antlitz der Welt wiederherzustellen (vgl. LG 8). Dies ist eine Arbeit, die innerhalb jeden Volkes durchgeführt werden muss, die seine Identität stärkt und es von den Mächten des Todes befreit. Daher können wir mit Vertrauen verkünden: Männer und Frauen Lateinamerikas, öffnet Eure Herzen für Jesus Christus. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, wer ihm folgt, wird nicht im Dunkeln gehen! (vgl. Joh 14,6; 8,12).
14 Wir glauben, dass Christus, der Herr, wiederkommen muss, um das Reich Gottes zu vollenden und dem Vater zu übergeben (vgl. 1 Kor 15,24), wobei die ganze Schöpfung verwandelt wird «in einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt» (vgl. 2 Petr 3,13). So werden wir die vollkommene Gemeinschaft des Himmels erreichen, in der Freude der ewigen Anschauung der Dreifaltigkeit. Männer und Frauen werden zu ihrer menschlichen Vollendung gelangen, nachdem die Sünde, der Teufel und der Tod endgültig besiegt sind, und erhalten Anteil an der göttlichen Natur (vgl. 2 Petr 1,4). Somit erneuert und versöhnt Christus die Schöpfung in vollem Umfang, alles wird sein eigen und Gott wird über alles und in allem herrschen (vgl. 1 Kor 15,28).
15 In Übereinstimmung mit dem Glauben unseres Volkes verkünden wir, dass die Jungfrau Maria, die Mutter Christi und der Kirche, die erste Erlöste und die erste Glaubende ist. Maria, Mutter des Glaubens, hat das Evangelium vollständig in sich aufgenommen, sie, die vollkommenste Schülerin und Verkünderin des Evangeliums (vgl. Joh 2, 1-12). Durch ihr Zeugnis im Gebet, in der Aufnahme des Wortes Gottes und in ihrer unmittelbaren und treuen Verfügbarkeit als Dienerin des Reiches bis unter das Kreuz ist sie Vorbild für allle Schüler und Verkünder des Evangeliums. Ihre mütterliche Gestalt war entscheidend dafür, dass sich die Männer und Frauen in Lateinamerika in ihrer Würde als Kinder Gottes erkannten. Maria hat die Kultur unseres Kontinents entscheidend geprägt. Als Mutter und Lehrerin des entstehenden lateinamerikanischen Volkes, als Heilige Maria von Guadalupe, ist sie durch das christliche Zeugnis des seligen Juan Diego für uns «ein großes Vorbild für eine vollkommen inkulturierte Evangelisierung» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 24). Sie ist uns auf der Pilgerschaft des Glaubens und dem Weg zur Herrlichkeit vorausgegangen und begleitet unsere Völker, die sie voll Liebe anrufen, bis wir endgültig in die Herrlichkeit ihres Sohnes gelangen.
Mit Freude und Dank empfangen wir die unermessIiche Gabe ihrer Mütterlichkeit, ihrer Zuneigung und ihres Schutzes, und versuchen sie ebenso zu lieben, wie Jesus Christus sie geliebt hat. Daher rufen wir sie als Stern der ersten und der neuen Evangelisierung an.
500 Jahre nach der Ersten Evangelisierung
16 «In den Völkern Amerikas hat sich Gott ein neues Volk erwählt ... und seines Geistes teilhaftig gemacht. Durch die Evangelisierung und den Glauben an Christus hat Gott seinen Bund mit Lateinamerika erneuert» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 3).
1492 war ein Schlüsseljahr in diesem Prozess der Verkündigung der Frohen Botschaft. «Was die Kirche mit dieser Wiederkehr feiert, sind nicht mehr oder weniger diskutierbare historische Ereignisse, sondern eine leuchtende und bleibende Realität, die nicht unterbewertet werden kann: die Ankunft des Glaubens, die Verkündigung und Verbreitung der Evangeliumsbotschaft auf dem [amerikanischen] Kontinent. Und das feiert sie im tiefsten und theologischen Sinn des Begriffs: so wie man Jesus Christus, den Herrn der Geschichte und des Schicksals der Menschheit feiert» (Johannes Paul II., Vor dem Angelus am Sonntag, dem 5.1.92, 2).
17 Die schöpferische, sorgende und erlösende Anwesenheit Gottes begleitete bereits das Leben dieser Völker. Die «Samenkörner des Wortes», die im tiefsten religiösen Sinn in den präkolumbianischen Kulturen präsent waren, erwarteten den lebensspendenden Tau des Geistes. Positive Aspekte wie die Öffnung für das Handeln Gottes, das Gefühl der Dankbarkeit für die Früchte der Erde, die von Gott verliehene Würde des menschlichen Lebens, die Wertschätzung der Familie, der Sinn für Solidarität und Pflichtbewusstsein bei der gemeinsamen Arbeit, die Bedeutung der Kultur, der Glaube an ein Leben nach dem Tode und viele andere Werte, die den lateinamerikanischen Charakter bereichern, gehörten, neben anderen Aspekten, die der Reinigung bedurften, zum Fundament dieser Kulturen (vgl. Johannes Paul II., Botschaft an die indigene Bevölkerung, 12.10.92, 1). Diese natürliche Religiösität war die Voraussetzung dafür, dass die indigene Bevölkerung Amerikas die Frohe Botschaft so schnell aufnahm, auch wenn es Verkünder des Evangeliums gab, die nicht immer in der Lage waren, diese Werte zu erkennen.
18 Infolgedessen begann mit dem Zusammentreffen des spanischen Katholizismus und der amerikanischen Kulturen ein einzigartiger Prozess der Vermischung, der - auch wenn in einigen Fällen Konflikte auftraten - die katholischen Wurzeln sowie die einzigartige Identität des Kontinentes formte. Dieser Prozess der Vermischung, der auch in zahlreichen Formen der Volksfrömmigkeit und in der Kunst der Mestizen zu erkennen ist, ist die Verbindung des ewig Christlichen mit der Identität Amerikas und erstreckte sich seit der ersten Stunde über den ganzen Kontinent.
Die historischen Daten zeigen, «dass eine gründliche, fruchtbare und bewundernswerte Evangelisierung zustande kam und durch sie in Amerika sich die Wahrheit über Gott und den Menschen Bahn brach, dass weiter gerade die Evangelisierung eine Art Anklagebank für alle bildete, die für diese Missbräuche verantwortlich waren [Kolonisatoren, die manchmal keine Skrupel kannten]» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 4).
19 Das vom Heiligen Geist inspirierte Werk der Evangelisierung, das zu Beginn vor allem in den Ordensleuten edelgesinnte Vorkämpfer hatte, war ein gemeinsames Werk des ganzen Gottesvolkes, der Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen und gläubigen Laien. Unter diesen letzteren ist auch die Mitarbeit der getauften Indianer selbst hervorzuheben, zu denen im Laufe der Zeit auch afroamerikanische Katecheten hinzukamen.
Diese erste Evangelisierung hatte ihre hervorragendsten Werkzeuge in Männern und Frauen mit einem heiligmäßigen Leben. Die pastoralen Mittel bestanden aus einem unermüdlichen Predigen des Wortes, der Feier der Sakramente, der Katechese, der Marienverehrung, der tätigen Nächstenliebe, der Anprangerung von Ungerechtigkeiten, der Verteidigung der Armen und der besonderen Forderung nach Ausbildung und Entwicklung des Menschen.
20 Die großen Verkünder des Evangeliums verteidigten die Rechte und die Würde der Ureinwohner und prangerten «die Gewalttätigkeiten gegen die Eingeborenen in der Zeit der Eroberung» an (Johannes Paul II., Botschaft an die indigene Bevölkerung, 12.10.92, 2). Auch die Bischöfe vertraten auf ihren Konzilien und sonstigen Versammlungen, in Schreiben an die Könige von Spanien und Portugal sowie in den Visitationsdekreten diese prophetische Haltung der Anklage, verbunden mit der Verkündigung des Evangeliums.
Wie kann also die «Kirche, die mit ihren Ordensleuten, Priestern und Bischöfen immer auf der Seite der eingeborenen Bevölkerung stand, an diesem 500. Jahrestag das namenlose Leid vergessen, das den Bewohnern dieses Kontinents während der Zeit der Eroberung und Kolonialisierung zugefügt wurde? In aller Demut und Wahrheit muss diese Sünde des Menschen gegen den Menschen eingestanden werden, die aufgrund von fehlender Liebe derjenigen begangen wurde, die in den Eingeborenen keine Brüder und Kinder desselben Vaters sahen» (Johannes Paul II., Botschaft an die indigene Bevölkerung, 2). Beklagenswerterweise haben sich diese Leiden in verschiedenen Ausprägungen bis in unsere Tage fortgesetzt.
Eine der traurigsten Episoden der lateinamerikanischen und karibischen Geschichte war die zwangsweise Verschleppung einer riesigen Zahl von Afrikanern in die Sklaverei. Regierungsstellen und private Händler aus fast allen Ländern Westeuropas und beider Amerikas waren am Sklavenhandel beteiligt. Dieses unmenschliche Geschäft mit der Sklaverei, der fehlende Respekt vor dem Leben, vor der Identität des Menschen, der Familie und der ethnischen Gruppen sind ein Schandfleck und ein Skandal in der Geschichte der Menschheit. Wir möchten zusammen mit Johannes Paul II. Gott um Vergebung bitten für diesen «unbekannten Holocaust», an dem «sich Menschen beteiligt haben, die getauft waren, aber ihren Glauben sicherlich nicht lebten» (Ansprache auf der Insel Gorée, Senegal, 21.02.92; Botschaft an die Afroamerikaner, Santo Domingo, 12.10.92, 2).
21 Wenn wir auf die jüngste Geschichte zurückblicken, finden wir immer noch die lebendigen Spuren einer jahrhundertealten Kultur, in deren Zentrum das Evangelium präsent ist. Dies wird insbesondere durch das Leben der amerikanischen Heiligen bezeugt, die zu den wahrhaftesten, glaubwürdigsten und wirkungsvollsten Zeugen Jesu Christi gehörten, indem sie das Evangelium in seiner vollkommenen Fülle lebten. Die Kirche hat die heroischen Tugenden vieler dieser Heiligen verkündet, von dem seligen Indianer Juan Diego über die heilige Rosa von Lima und den heiligen Martin von Porres bis zu dem heiligen Ezequiel Moreno.
Anlässlich dieses fünfhundertsten Jahrestages möchten wir den zahllosen Missionaren, Pastoralträgern und unbekannten Laien danken, von denen viele im Verborgenen tätig waren, und insbesondere denjenigen, die aus Liebe zu Jesus sogar ihr Leben hingegeben haben, um Zeugnis abzulegen.
22 «Darum geht ... , und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich Euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei Euch alle Tage bis zum Ende der Welt» (Mt 28, 19-20). «In diesen Worten ist die feierliche Ausrufung der Evangelisierung enthalten» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 2).
Der Heilige Vater hat uns zusammengerufen, um der Kirche Lateinamerikas und der Karibik die Verpflichtung zu einer neuen Evangelisierung aufzuerlegen und «jetzt eine neue Strategie der Evangelisierung, einen globalen Evangelisierungsplan für die nächsten Jahre zu entwerfen» (Johannes Paul II., Ansprache zur Eröffnung der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, 14.6.91,4).
Wir möchten einige Elemente vorstellen, die uns als Grundlage zur Konkretisierung dieser Richtlinien in den Ortskirchen des Kontinents dienen.
Zu Beginn der neuen Evangelisierung ist «das übergreifende Element» oder «die zentrale Idee», die bei unserer Versammlung beleuchtet wird, die Entwicklung des Menschen in ihrer wahren Dimension, als Antwort auf die «heikle und schwierige Situation, in der sich die lateinamerikanischen Länder befinden» (Schreiben des Kardinals Bernardin Gantin, Präsident der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und an den Präsidenten des CELAM, 12.12.90), und wir konzentrieren unsere Bemühungen auf den Dialog zwischen dem Evangelium und den verschiedenen Elementen, aus denen sich unsere Kulturen zusammensetzen, um sie von innen heraus zu reinigen und zur Vollkommenheit zu erheben, durch die Lehre und das Vorbild Jesu, bis daraus eine Christliche Kultur entsteht.
Zweiter Teil: Jesus Christus, in seiner Kirche lebender Verkünder des Evangeliums =
Kapitell: Die neue Evangelisierung
23 Jedwede Evangelisierung geht von dem Auftrag Christi an seine Apostel und Nachfolger aus, entwickelt sich in der Gemeinschaft der Getauften, im Umfeld lebendiger Gemeinschaften, die seinen Glauben teilen. Evangelisierung orientiert sich daran, das Leben als Adoptivkinder Gottes in Christus zu stärken, was sich in erster Linie in der brüderlichen Liebe ausdrückt.
Nachdem wir uns die Frage gestellt haben, was neue Evangelisierung ist, können wir besser verstehen, dass sie ihren Ausgangspunkt in der Kirche hat, in der Kraft des Geistes, in einem ständigen Prozess der Umkehr, die die Einheit innerhalb der Vielfalt von Ämtern und Charismen bezeugt und ihre missionarische Verpflichtung intensiv lebt. Nur eine evangelisierte Kirche kann das Evangelium verkünden.
Die tragische Situation des Leids und der Ungerechtigkeit in unserem Amerika, die sich nach Puebla noch zugespitzt hat, fordert Antworten, die nur eine Kirche geben kann, die Zeichen der Versöhnung und Trägerin des Lebens und der Hoffnung ist, die dem Evangelium entspringen.
Was ist neue Evangelisierung?
24 «Ausgangspunkt der neuen Evangelisierung ist die Gewissheit, dass in Christus ein "unergründlicher Reichtum" (Eph 3,8) liegt, den keine Kultur und keine Zeit erschöpft, zu dem wir daher immer die Menschen hinführen können, um sie zu bereichern» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 6). Wenn man von neuer Evangelisierung spricht, weiß man, dass es eine frühere oder erste Evangelisierung gab. Es wäre nicht richtig, von neuer Evangelisierung der Stämme oder Völker zu reden, die noch niemals vom Evangelium gehört haben. Für Lateinamerika trifft zu, dass eine erste Evangelisierung vor 500 Jahren stattgefunden hat.
Von neuer Evangelisierung reden bedeutet nicht, dass der frühere Evangelisierungsprozess seinen Wert verloren hätte, keine Früchte tragen würde oder von kurzer Dauer gewesen wäre. Es bedeutet, dass es heute neue Herausforderungen gibt, neue Fragen an die Christen gestellt werden, auf die dringend Antworten gefunden werden müssen.
Von neuer Evangelisierung reden bedeutet nicht, ein neues Evangelium zu verkünden, das sich vom ersten unterscheidet, wie dies der Papst in seiner Eröffnungsansprache bei dieser 4. Generalversammlung angemerkt hat: Es gibt nur ein einziges und allein gültiges Evangelium, aus dem neue Erleuchtungen für die neuen Probleme gewonnen werden können.
Von neuer Evangelisierung reden heißt nicht, den Evangelisierungsprozess wiederholen. In Lateinamerika handelt es sich nicht darum, die erste Evangelisierung zu übergehen, sondern von den mannigfaltigen, reichen Werten zu profitieren, die sie hinterlassen hat. Diese Werte müssen vertieft und ergänzt werden, wobei frühere Unzulänglichkeiten zu beheben sind. Die neue Evangelisierung in Lateinamerika ist die Antwort auf die Probleme, die die Realität eines Kontinents aufwirft, in der der Glaube vom Leben abgespalten ist, was zu schreienden Ungerechtigkeiten, sozialer Ungleichheit und Gewalt führt. Diese Situation verlangt es, die großartige Aufgabe in Angriff zu nehmen, dem Christentum in Lateinamerika neue Energien zuzuführen.
Für Johannes Paul II. ist die neue Evangelisierung ein dynamischer Prozess. Vor allem ist sie ein Ruf zur Bekehrung (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 1) und zur Hoffnung, die sich auf die Verheißungen Gottes stützt und als unerschütterliche Gewissheit die Auferstehung Christi hat, die erste Verkündigung und Wurzel aller Evangelisierung, das Fundament aller Entwicklung des Menschen, Ausgang jeder wahrhaft christlichen Kultur (ebd., 25). Sie ist darüber hinaus ein neues lebendiges Umfeld, ein neues Pfingsten (ebd., 30-31), in dem der Empfang des Heiligen Geistes ein erneuertes Volk entstehen lässt, das sich aus freien Männern und Frauen zusammensetzt, die sich ihrer Würde bewusst (vgl. ebd., 19) und fähig sind, eine wahrhaft menschliche Geschichte zu gestalten. Sie ist die Gesamtheit der Mittel, Werke und Haltungen mit dem Ziel, das Evangelium in einen aktiven Dialog mit der Moderne und der Postmoderne treten zu lassen, sei es, um sie auszulegen oder sei es, um sich damit auseinanderzusetzen. Weiterhin ist es auch die Bestrebung, das Evangelium in die gegenwärtige Situation der Kulturen unseres Kontinents zu inkulturieren.
25 Träger der neuen Evangelisierung ist die gesamte kirchliche Gemeinschaft mit all ihren Mitgliedern: wir, die Bischöfe, in Gemeinschaft mit dem Papst, unsere Priester und Diakone, die Ordensmänner und -frauen sowie alle Männer und Frauen, die wir zusammen das Volk Gottes bilden.
26 Ziel der neuen Evangelisierung ist es, Menschen und Gemeinschaften zu formen, die gereift im Glauben sind, und eine Antwort zu geben auf die neue Situation, in der wir leben, die durch soziale und kulturelle Umwälzungen innerhalb der modernen Gesellschaft gekennzeichnet ist. Dazu gehören die Verstädterung, die Armut und die soziale Randstellung vieler Menschen. Unsere Realität ist gekennzeichnet durch den Materialismus, die Kultur des Todes, die schnelle Verbreitung von Sekten und religiöser Ideen verschiedensten Ursprungs.
Diese neue Realität bringt auch neue Werte mit sich, die Sehnsucht nach Solidarität und Gerechtigkeit, die Suche nach religiösen Inhalten und die Überwindung totalitärer Ideologien.
Die neue Evangelisierung richtet sich auch an die Mittelschicht, an Gruppen, Völker, Lebens- und Arbeitsbereiche, die durch die Wissenschaft, die Technik und die Medien gekennzeichnet sind.
Aufgabe der neuen Evangelisierung ist es, das persönliche Anhangen der getauften Männer und Frauen an Jesus Christus und an die Kirche wieder zu beleben, die das Christentum ohne Überzeugung leben, die «den Sinn des Glaubens verloren haben und sich gar nicht mehr als Mitglieder der Kirche erkennen, da sie sich in ihrem Leben von Christus und vom Evangelium entfernt haben» (RMi 33).
27 Der Inhalt der neuen Evangelisierung ist Jesus Christus, Evangelium des Vaters, der mit Worten und Taten verkündet hat, dass Gottes Barmherzigkeit sich auf all seine Geschöpfe erstreckt, dass er den Menschen grenzenlos liebt und in sein Leben eintreten möchte, durch Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist, um uns von der Sünde und all ihren Auswirkungen zu befreien, damit wir an seinem göttlichen Leben teilhaben (vgl. Johannes Paul II., Predigt in Veracruz, Mexiko, 7.5.90). In Christus erhält alles seinen Sinn.
Er bricht den engen Horizont auf, in dem der Säkularismus die Menschen gefangen hält, gibt ihnen ihre Wahrheit und Würde als Kinder Gottes wieder und lässt es nicht zu, dass eine vorübergehende Realität, weder der Staat noch die Wirtschaft oder die Technik sich für die Menschen in eine endgültige Realität verwandeln, der sie sich unterwerfen müssen. Mit den Worten Pauls VI. gesprochen heißt evangelisieren «den Namen, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich und das Geheimnis von Jesus von Nazaret, des Sohnes Gottes» (EN 22) zu verkünden.
Diese Evangelisierung gewinnt ihre erneuernde Kraft aus dem Vertrauen auf das Wort Gottes; sie hat ihre Verankerung in der kirchlichen Gemeinschaft, sie erhält ihre schöpferische Kraft durch den Heiligen Geist, der in der Einheit und in der Vielfalt wirkt, sie ist das Fundament für den Reichtum an Charismen und Ämtern und erstreckt sich durch den missionarischen Auftrag über die ganze Welt.
28 Wie muss diese neue Evangelisierung aussehen? Der Papst hat uns die Antwort gegeben: Neu in ihrem Elan, in ihren Methoden und in ihren Ausdrucksformen.
Neu in ihrem Elan: Jesus Christus fordert uns auf, unseren apostolischen Elan zu erneuern. Dazu schickt er uns seinen Geist, der heute das Herz der Kirche entzündet. Der apostolische Elan der neuen Evangelisierung entspringt einer radikalen Nachfolge Jesu Christi, dem ersten Verkünder des Evangeliums. Der beste Verkünder des Evangeliums ist daher der Heilige, der Mensch der Seligpreisungen (vgl. RMi, 90-91). Voraussetzung für eine neue Evangelisierung mit diesem Elan ist daher ein fester Glaube, eine starke pastorale Liebe und ein beharrliches Vertrauen darauf, dass durch das Wirken des Geistes ein inneres Ergriffensein, ein unaufhaltsamer Enthusiasmus bei der Verkündigung des Evangeliums erzeugt wird, der fähig ist, Glaubwürdigkeit zu wecken, damit die Frohbotschaft der Erlösung aufgenommen wird.
29 Neu in ihren Methoden: Neue Situationen fordern neue Wege der Evangelisierung. Unerlässlich sind das persönliche Zeugnis und die persönliche Begegnung, die Gegenwart des Christlichen in allen Bereichen des menschlichen Lebens sowie das Vertrauen auf die erlösende Botschaft Jesu (Kerygma) und auf das Wirken des Heiligen Geistes.
Unter dem Wirken des Schöpfergeistes muss sich die Phantasie und Kreativität entfalten, damit das Evangelium auf pädagogische und überzeugende Weise zu allen gelangt. Da wir in einer Kultur des Bildes leben, müssen wir kühn genug sein, die Mittel zu nutzen, die Technik und Wissenschaft uns zur Verfügung stellen, ohne jedoch unser ganzes Vertrauen darauf zu setzen. Auf der anderen Seite ist es erforderlich, die Mittel zu nutzen, mit denen das Evangelium das Innerste des Menschen und der Gesellschaft durchdringt, bis zu den Wurzeln der Kultur und zwar «nicht nur dekorativ, wie durch einen oberflächlichen Anstrich» (EN 20).
30 Neu in der Ausdrucksform: Jesus Christus fordert uns auf, die Frohbotschaft in einer Sprache zu verkünden, mit der das durch die Zeiten unveränderte Evangelium den neuen kulturellen Realitäten der Gegenwart nahegebracht wird. Aus dem unerschöpflichen Reichtum Christi müssen neue Ausdrucksformen gesucht werden, mit denen die Bereiche evangelisiert werden können, die durch eine städtisch-industrielle Kultur geprägt sind, und mit denen das Evangelium in die neuen Formen der jetzt entstehenden Kultur inkulturiert werden kann. Die neue Evangelisierung muss sich mehr in der Tiefe des Seins und im Leben unserer Kulturen inkulturieren, wobei die Besonderheiten der verschiedenen Kulturen zu berücksichtigen sind, insbesondere die der indigenen und afroamerikanischen Bevölkerung (Es ist unbedingt erforderlich, beim Verkündigen die Mentalität und die Kultur der Zuhörer zu berücksichtigen und ihre Kommunikationsformen und die bei ihnen gebräuchlichen Mittel zu verwenden). Somit setzt die neue Evangelisierung die Richtung der Menschwerdung des Wortes fort. Die neue Evangelisierung fordert die pastorale Umkehr der Kirche. Diese Umkehr muss in Übereinstimmung mit dem Konzil erfolgen. Dies betrifft alles und jeden: im Bewusstsein und in der persönlichen und gemeinschaftlichen Praxis und in den Beziehungen der Gleichheit und Autorität; mit den Strukturen und Dynamismen, die sie immer deutlicher zum wirksamen Zeichen machen, zum Sakrament der universellen Erlösung.
Die Kirche ist zur Heiligkeit berufen
Theologische Erhellung
31 Während unserer 4. Generalversammlung haben wir, wie Maria, das Wort gehört, um es unseren Völkern weiterzusagen. Wir haben gespürt, dass unser Herr Jesus Christus seinen Aufruf wiederholt, ein heiliges Leben zu führen (vgl. Eph 1,4), das das Fundament allen missionarischen Handeins ist.
Die Kirche als Mysterium der Einheit findet ihre Quelle in Jesus Christus. Nur er kann ihr die Früchte der Heiligkeit geben, die Gott von ihr erwartet. Nur mit seinem Geist kann sie den Menschen das wahre Wort Gottes verkünden. Nur die Heiligkeit eines Lebens ist die Grundlage und weist die Richtung für eine wahrhafte Entwicklung des Menschen und der christlichen Kultur. Nur mit ihm, durch ihn und in ihm können wir Gott, dem allmächtigen Vater, über die Jahrhunderte hinweg Ehre und Lob erweisen.
Zur Heiligkeit berufen
32 Die Kirche ist eine heilige Gemeinschaft (vgl. 1 Petr 2,9); in erster Linie durch die Anwesenheit des Lammes in ihrer Mitte, das sie durch seinen Geist heiligt (vgl. Offb 21, 22f; 22, 1-5; Eph 1,18; 1 Kor 3,16; 6-19; LG 4). Daher müssen sich ihre Glieder jeden Tag darum bemühen, in der Nachfolge Jesu und im Gehorsam auf den Geist zu leben «heilig und untadelig vor Gott durch die Liebe» (Eph 1,4). Das sind die neuen Männer und Frauen, die in Lateinamerika und in der Karibik gebraucht werden: Die mit gutem und aufrichtigem Herzen (vgl. Lk 8,15) den Aufruf zur Umkehr (vgl. Mk 1,15) gehört haben und durch den Heiligen Geist nach dem vollkommenen Bild Gottes neugeboren sind (vgl. Kol 1,15; Röm 8,29); die Gott «Vater» nennen und ihre Liebe zu ihm in der Anerkennung ihrer Brüder und Schwestern ausdrücken (vgl. DP 327); die selig sind, weil sie an der Freude des Reiches im Himmel teilhaben, die frei sind mit der Freiheit, die die Wahrheit verleiht und solidarisch mit allen Menschen, insbesondere mit denen, die am meisten leiden. Die Kirche hat in der Heiligsten Jungfrau ihre Vollkommenheit erreicht, demzufolge sie unbefleckt und makellos ist. Die Heiligkeit «ist der Schlüssel für den erneuerten Schwung der neuen Evangelisierung» (Johannes Paul II., Predigt in Salto, Uruguay, 9.5.88, 4).
Zusammengerufen durch das Wort
33 Die Kirche als die durch das Wort zusammengerufene, heilige Gemeinschaft zählt die Verkündigung des Evangeliums zu ihren hauptsächlichsten Ämtern (vgl. LG 25). Die Bischöfe der Teilkirchen, die sich auf ihrem Pilgerweg in Lateinamerika und in der Karibik befinden, und alle in Santo Domingo versammelten Teilnehmer dieser Versammlung möchten mit dem erneuerten Elan, den die heutige Zeit erfordert, dem Aufruf Folge leisten, den der Heilige Vater, der Nachfolger Petri, uns mit der neuen Evangelisierung aufgetragen hat, im vollen Bewusstsein dessen, dass Evangelisieren bedeutet, «den Namen, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich und das Geheimnis von Jesus von Nazaret, des Sohnes Gottes» (vgl. EN 22) mit Freude zu verkünden.
Kerygma und Katechese: Angesichts der allgemein verbreiteten Situation, dass viele Getaufte in Lateinamerika trotz der ersten Umkehr keine Beziehung mehr zu Jesus Christus haben, hat die kraftvolle Verkündigung des gestorbenen und auferstandenen Christus (Kerygma, vgl. RMi 44) im Rahmen des prophetischen Amtes der Kirche oberste Priorität und grundlegende Bedeutung, sie ist «Wurzel jeder Evangelisierung, der Grundlage aller Förderung des Menschen und das Prinzip jeder echt christlichen Kultur» (vgl. Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 25).
Dieses prophetische Amt der Kirche umfasst auch die Katechese, die den anfänglichen Glauben zur Reife führt und zum wahren Jünger Jesu Christi erzieht, indem sie die Offenbarung der Liebe Gottes in ihm unablässig erneuert (vgl. CT 19). Sie muss genährt werden durch das Wort Gottes, das in der Kirche vorgetragen und ausgelegt und in der Gemeinschaft gefeiert wird. Indem die Katechese das Geheimnis Christi ergründet, hilft sie dabei, es als die Frohe Botschaft in historischen Situationen unserer Völker vorzustellen. Gleichermaßen zum prophetischen Amt der Kirche gehört der Dienst der Theologen für das Volk Gottes (vgl. Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 7). Ihre Aufgabe, die im Wort Gottes wurzelt und sich im offenen Dialog mit den Hirten vollendet, im uneingeschränkten Vertrauen auf das kirchliche Lehramt, ist edel und notwendig. Ihre so ausgeführte Tätigkeit kann zur Inkulturation des Glaubens und zur Evangelisierung der Kulturen beitragen und darüber hinaus eine Theologie stärken, die die Pastoral inspiriert, das gesamte christliche Leben fördert, bis zum Streben nach Heiligkfeit. Eine so verstandene theologische Arbeit ist ein Antrieb für das Bemühen um soziale Gerechtigkeit, die Verwirklichung der Menschenrechte und die Solidarität mit den Ärmsten. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass das ganze «heilige Volk Gottes» am prophetischen Wirken Christi teilhat und diese Aufgabe in erster Linie verwirklicht, «indem es sein lebendiges Zeugnis vor allem in einem Leben des Glaubens und der Liebe verbreitet» (LG 12). Das Zeugnis christlichen Lebens ist die erste und unersetzbare Form der Evangelisierung, wie dies Jesus bei zahlreichen Gelegenheiten nachdrücklich betont hat (vgl. Mt 7, 21-23; 25, 31-46; Lk 10, 37; 19, 1-10) und auch die Apostel gelehrt haben (vgl. Jak 2, 14-18).
Feier der Liturgie
34 Die heilige Kirche findet den letzten Sinn ihrer Berufung in einem Leben des Gebets, der Lobpreisung und des Dankes, den Erde und Himmel Gott für «seine großen und wunderbaren Taten» (Offb 15, 3f; vgl. 7, 9-17) darbringen.
Dies ist der Grund, weshalb die Liturgie «der Höhepunkt ist, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt» (SC 10). Die Liturgie ist jedoch Handeln des ganzen Christus, von Haupt und Gliedern, und als solche muss sie den tiefsten Sinn ihrer Darbringung an den Vater ausdrücken: Gehorchen, das ganze Leben zu einer Offenbarung der Liebe des Vaters zu den Menschen machen. So wie die Feier des Abendmahles untrennbar mit dem Leben und dem Kreuzesopfer Christi verbunden ist und dies jeden Tag durch die Erlösung aller Menschen gegenwärtig wird, so sind auch diejenigen, die sich um das Lamm versammeln und Gott preisen, diejenigen, die in ihrem Leben Zeugen der Hingabe Jesu sind (vgl. Offb 7, 13f). Daher müssen beide Säulen des Christentums im christlichen Kult ausgedrückt werden: der Gehorsam gegenüber dem Vater (Verherrlichung) und die Liebe zum Nächsten (Erlösung), denn die Ehre Gottes ist es, dass der Mensch lebt. Damit - weit davon entfernt, die Menschen zu entfremden- befreit er sie und macht sie zu Brüdern.
35 Der so vollzogene liturgische Dienst in der Kirche ist ein evangelisierender Wert an sich, dem die neue Evangelisierung einen hervorragenden Platz zuweisen muss. In der Liturgie wird Christus, der Erlöser, heute gegenwärtig.
Die Liturgie ist Verkündung und Verwirklichung (vgl. SC 6) des Heilswerkes, das uns in den Sakramenten nahegebracht wird; daher ruft sie zusammen, feiert und sendet. Sie ist Ausübung des Glaubens, hilfreich für den mit einem starken Glauben wie für den mit einem schwachen Glauben und selbst für den Ungläubigen (vgl. 1 Kor 14, 24-25). Sie stärkt in der Verpflichtung zur Förderung des Menschen, indem sie die Gläubigen dazu ermahnt, ihre Verantwortung für die Errichtung des Reiches zu übernehmen, «damit deutlich wird, dass die Christen, ohne von dieser Welt zu sein, das Licht der Welt sind» (SC 9). Die liturgische Feier kann nicht vom Leben getrennt werden oder parallel dazu stattfinden (vgl. 1 Petr 1,15). Schließlich trägt insbesondere die Liturgie dazu bei, dass das Evangelium das Herz der Kulturen selbst durchdringt. Die gesamte liturgische Feier jedes Sakramentes hat auch einen pädagogischen Wert: Die Sprache der Symbole ist das wichtigste Mittel, damit «die Botschaft Christi in das Bewusstsein der Personen eindringt und sich im "Ethos" eines Volkes auswirkt, in seinen Lebensäußerungen, in seinen Institutionen und in all seinen Strukturen» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache 20 und vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die lntellektuellen, Medellín, 5.7.86, 2). Daher müssen die Formen der liturgischen Feier zum einen imstande sein, das gefeierte Geheimnis auszudrücken, zum anderen aber auch klar und verständlich für Männer und Frauen (vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die UNESCO, 2.6.80, 6).
Volksfrömmigkeit
36 Die Volksfrömmigkeit ist ein besonderer Ausdruck der Inkulturation des Glaubens. Es handelt sich dabei nicht nur um religiöse Ausdrucksformen, sondern auch um Werte, Kriterien, Verhaltensweisen und Ansichten, die der katholischen Glaubenslehre entspringen und die Weisheit unseres Volkes bilden und sein kulturelles Gesicht formen. Dieser so wichtige Ausdruck des Glaubens im Leben der lateinamerikanischen und karibischen Kirche hat einen Platz in unseren pastoralen Vorüberlegungen. Die Worte Pauls VI. (vgl. EN 48), die von der Generalversammlung von Puebla aufgenommen und in Form von klaren Vorschlägen weiterentwickelt wurden, sind auch heute noch gültig (vgl. DP 444 ff.). Notwendig ist eine Bekräftigung unserer Entschlossenheit, unsere Bemühungen fortzuführen, dass wir die Art und Weise, in der unsere Völker das Geheimnis Gottes und Christi empfinden und leben, verstehen und zum Ausdruck bringen, immer besser nachvollziehen und mit pastoraler Haltung begleiten, damit sie gereinigt von möglichen Einschränkungen und Abweichungen ihren eigenen Platz in unseren Ortskirchen und in ihrem pastoralen Handeln finden.
Kontemplation und Verpflichtung zum Handeln
37 Zusammenfassend zu diesen Überlegungen über die Kirche als Geheimnis der Gemeinschaft, die sich in der Heiligkeit ihrer Glieder vollendet, möchten wir an das kontemplative und klösterliche Leben, das heute in Lateinamerika lebendig ist, erinnern und Gott dafür danken. Die Heiligkeit, die sich aus dem Leben des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe entwickelt, die der Taufe entspringen, sucht die liebende Betrachtung Gottes und Jesu Christi, seines Sohnes. Das prophetische Handeln kann nicht verstanden werden, noch ist es wahr und echt, wenn es nicht einer wirklichen und liebevollen Begegnung mit Gott entspringt, der unwiderstehlich anzieht (vgl. Am 3,8; Jer 20, 7-9; Hos 2, 16f). Ohne die Fähigkeit zur Kontemplation wird die Liturgie, die der Zugang zu Gott über Zeichen ist, zu einer Handlung ohne Tiefe. Wir danken Gott für die Anwesenheit von Männern und Frauen, die ihr Leben der Kontemplation nach den evangelischen Räten geweiht haben; sie sind lebendiges Zeichen der Heiligkeit des ganzen Gottesvolkes und ein machtvoller Aufruf an alle Christen, im Gebet zu wachsen, als Ausdruck eines glühenden und engagierten Glaubens, einer treuen Liebe, die Gott in seinem innersten Leben der Dreifaltigkeit und seinem erlösenden Handeln in der Geschichte betrachtet, und einer unerschütterlichen Hoffnung, dass er wiederkommen wird, um uns in die Herrlichkeit seines Vaters zu führen, der auch unser Vater ist (vgl. Joh 20,17).
Pastorale Herausforderungen:
38 Die oben angestellten Überlegungen zur Heiligkeit der Kirche, ihrer prophetischen Natur und ihrer Berufung zur Feier lassen uns einige Herausforderungen erkennen, die uns fundamental erscheinen und auf die wir antworten müssen, damit die Kirche in Lateinamerika und in der Karibik vollständig das Geheimnis der Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander ist. Innerhalb der Kirche vermehren sich die Gebetsgruppen, apostolischen Bewegungen und neue Formen des Lebens und der kontemplativen Spiritualität neben zahlreichen Ausdrucksformen der Volksreligiösität. Viele Laien werden sich ihrer pastoralen Verantwortung in ihren verschiedenen Formen bewusst.
Das Interesse an der Bibel wächst; daher ist eine angemessene Bibelpastoral erforderlich, die den gläubigen Laien Kriterien in die Hand gibt, um auf die Unterstellungen einer fundamentalistischen Auslegung oder einer Entfernung vom Leben in der Kirche und auf die Flucht in Sekten zu reagieren.
39 Unter unseren Katholiken selbst ist die Unkenntnis der Wahrheit über Jesus und der fundamentalen Glaubenswahrheiten weit verbreitet, und in einigen Fällen geht diese Unwissenheit mit einem Verlust des Gefühls für die Sünde einher. Häufig ist die Volksreligiosität, trotz ihrer unermeßlichen Werte, nicht frei von Elementen, die dem wahren christlichen Glauben fremd sind. Darüber hinaus führt sie nicht immer zu einem persönlichen Anhangen an den gestorbenen und auferstandenen Christus.
40 In unserer Predigt sagen wir wenig über den Geist, der in den Herzen wirkt und sie verwandelt und dadurch die Heiligkeit möglich macht, der die Tugenden entwickelt und den Mut, jeden Tag das Kreuz Christi auf sich zu nehmen (vgl. Mt 10,38; 16,24).
41 All dies verpflichtet uns, weiterhin auf der Bedeutung der ersten Verkündigung (Kerygma) und der Katechese zu bestehen. Wir danken Gott für die Bemühungen der vielen Männer und Frauen, die in der Katechese tätig waren und ihren Dienst in der Kirche unter Opfern erbracht haben, manchmal besiegelt mit ihrem Leben. Als Hirten müssen wir jedoch erkennen, dass noch viel zu tun bleibt. Es gibt immer noch viel Unwissen auf religiösem Gebiet, die Katechese erreicht nicht alle und kommt häufig nur oberflächlich an, unvollständig in ihren Inhalten oder rein intellektuell, ohne die Kraft, das Leben der Menschen und ihre Lebensbereiche umzuwandeln.
42 Die Praxis der «geistlichen Führung» ist weitgehend verloren gegangen. Sie wäre jedoch für die Bildung von engagierteren Laien dringend erforderlich. Darüber hinaus bildet sie die Voraussetzung für das Reifen von Berufungen von Priestern und Ordensleuten.
43 In Bezug auf die Liturgie bleibt noch vieles zu tun, um die liturgische Erneuerung durch das II. Vatikanische Konzil in unseren Messfeiern umzusetzen, und den Gläubigen dabei zu helfen, aus der eucharistischen Feier den Ausdruck ihrer persönlichen und gemeinschaftlichen Handlungseinheit mit dem Herrn zu machen. Noch ist nicht das volle Bewusstsein dafür geschaffen worden, welch zentrale Bedeutung die Liturgie als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens einnimmt, viele haben den Sinn für den «Tag des Herrn» und die damit verbundene Verpflichtung zur Feier der Eucharistie verloren. Die geringe Beteiligung der christlichen Gemeinschaft ist weiterhin ein Problem, und einige versuchen, sich der Liturgie zu bemächtigen, ohne ihren wahren kirchlichen Sinn zu berücksichtigen. Die ernsthafte und fortdauernde liturgische Ausbildung nach den Anweisungen und Dokumenten des kirchlichen Lehramtes (vgl. Apostolisches Schreiben« Vicesimus quintus annus», 4) ist auf allen Ebenen vernachlässigt worden. Man arbeitet immer noch nicht an dem Prozess einer gesunden Inkulturation der Liturgie; infolge dessen ist die Feier der Messe für viele nur noch etwas Ritualistisches oder Privates, das ihnen die verwandelnde Gegenwart Christi und seines Geistes weder bewusst macht noch sich in einer gemeinsamen Verpflichtung zur Verwandlung der Welt ausdrückt.
44 Die Folge davon ist bei vielen Katholiken, manchmal sogar bei uns selbst oder bei einigen unserer Pastoralträger, eine mangelnde Verbindung zwischen Glaube und Leben. Die fehlende Schulung in der Lehre und die mangelnde Tiefe im Leben des Glaubens führen dazu, dass viele Katholiken ein leichtes Opfer von Säkularismus, Hedonismus und Konsumismus werden, die die moderne Kultur überfluten, und auf jeden Fall nicht mehr dazu in der Lage sind, diese Kultur zu evangelisieren.
Pastorale Grundlinien:
45 Die neue Evangelisierung erfordert eine erneuerte Spiritualität, die, vom Glauben, den sie verkündet, erleuchtet, mit der Weisheit Gottes die wahre Entwicklung des Menschen anregt und den Nährboden für eine christliche Kultur bildet. Wir sind der Meinung, dass es angebracht wäre, die Schulung der christlichen Gläubigen in Lehre und Spiritualität fortzusetzen und besonderes Gewicht darauf zu legen. Dabei wären an erster Stelle der Klerus, Ordensmänner und -frauen, Katecheten und Pastoralträger zu nennen und klar und deutlich der Primat der Gnade Gottes hervorzuheben, der durch Jesus Christus in der Kirche erlöst, durch gelebte Nächstenliebe und durch die Wirksamkeit der Sakramente.
46 Jesus muss so verkündet werden, dass die Gemeinschaft mit ihm zur Erkenntnis der Sünde im eigenen Leben und zur Umkehr führt. Grundlage dafür ist eine tiefe Erfahrung der Gnade des Geistes, der durch die Taufe und die Firmung empfangen wird. Dies setzt eine Neubewertung des Sakramentes der Buße voraus, deren Pastoral sich auf die geistliche Führung derer erweitern muss, die die erforderliche Reife zeigen, dieses Sakrament zu empfangen.
47 Wir müssen dafür sorgen, dass alle Glieder des Volkes Gottes die kontemplative Dimension ihrer Heiligung durch die Taufe erfassen und «beten lernen», indem sie das Beispiel Jesu nachahmen (vgl. Lk 11,1). Das Gebet muss stets ein Bestandteil des apostolischen Auftrages in der christlichen Gemeinschaft und in der Welt sein. Angesichts vieler Menschen - auch Christen -, die in Praktiken, die dem Christentum fern stehen, Antworten auf ihre inneren Sehnsüchte suchen, müssen wir in der Lage sein, die reiche Lehre und die umfassende Erfahrung der Kirche zu vermitteln.
48 Eine solche Evangelisierung Christi und seines göttlichen Lebens in uns muss unausweichlich dazu führen, dass wir unser Verhalten dem Vorbild angleichen, das er uns gegeben hat. Die Verbindung des Lebens der Christen mit ihrem Glauben ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der neuen Evangelisierung. Daher ist es erforderlich, die konkreten Umstände genau zu kennen, in denen der heutige Mensch lebt, um ihm den Glauben als Erleuchtung anzubieten. Dies setzt auch eine klare Anerkennung der christlichen Moral voraus, die sich sowohl auf das persönliche und familiäre als auch auf das gesellschaftliche Verhalten erstreckt. Die Praxis kleiner Gemeinschaften mit einer guten pastoralen Betreuung bildet ein gutes Mittel zu lernen, den Glauben in enger Verbindung mit dem Leben und mit der Absicht zum Apostolat zu leben. In diesem Bereich ist auch der Beitrag der apostolischen Bewegungen von großer Bedeutung.
49 Die neue Evangelisierung muss besonderen Wert auf eine kerygmatische und missionarische Katechese legen. Für die Lebensfähigkeit der kirchlichen Gemeinschaft werden weitere Katecheten und Pastoralträger benötigt, die über gründliche Kenntnisse der Bibel verfügen, so dass sie diese im Lichte der Überlieferung und des kirchlichen Lehramtes lesen und ihre eigene persönliche, gemeinschaftliche und gesellschaftliche Realität, vom Wort Gottes ausgehend, erhellen können. Sie werden besonders wirkungsvolle Werkzeuge der Inkulturation des Evangeliums sein. Unsere Katechese muss von der Kindheit bis zum erwachsenen Alter eine ständige Wegbegleitung sein, die für jedes Alter und für jede Situation die geeignetsten Mittel benutzt. Die Katechismen sind eine wertvolle Unterstützung der Katechese; sie sind gleichzeitig Weg und Ziel einer Inkulturierung des Glaubens. Der «Katechismus der Katholischen Kirche», der von Papst Johannes Paul II. bereits angekündigt wurde, wird die Richtung weisen für die Ausarbeitung unserer künftigen Katechismen.
50 Die prophetische Funktion der Kirche, die Jesus Christus verkündigt, muss stets die Zeichen des wahren «Mutes» (Parrhesie: Freimütigkeit im Reden): vgl. Apg 4,13; 1 Thess 2,2) zeigen, in völliger Freiheit von allen Mächten dieser Erde. Notwendiger Bestandteil aller Verkündigung und aller Katechese muss die Soziallehre der Kirche sein, die die Grundlage und den Ansporn für eine wahre Option für die Armen bildet.
51 Unsere Ortskirchen, die ihren vollkommenen Ausdruck in der Liturgie und in erster Linie in der Eucharistie finden, müssen eine ernsthafte und ständige liturgische Schulung des Volkes Gottes auf allen Ebenen fördern, damit die Liturgie geistlich, bewusst und aktiv gelebt werden kann. Diese Schulung muss die lebendige Anwesenheit Christi in der Messfeier berücksichtigen, ihren österlichen und festlichen Wert, die aktive Rolle dieser Versammlung und ihre missionarische Dynamik. Besonderes Augenmerk sollte auf eine ernsthafte Schulung der Personen gelegt werden, die in Abwesenheit des Priesters das Gebet und die Feier des Wortgottesdienstes leiten. Es erscheint uns schließlich dringend erforderlich, dem Sonntag, den liturgischen Zeiten und dem Stundengebet vollständigen Sinn und evangelisierende Kraft zu verleihen.
52 Die gemeinsame Feier soll dazu beitragen, die Ereignisse im eigenen Leben mit Christus und seinem Mysterium zu verbinden, die Brüderlichkeit und Solidarität wachsen zu lassen und alle anzulocken.
53 Wir müssen eine Liturgie fördern, die in völliger Übereinstimmung mit dem Geist des II. Vatikanischen Konzils in allem die Reinheit wieder herstellen möchte und die im Rahmen der von der Kirche festgelegten Normen versucht, die Ausdrucksformen, Zeichen und Handlungen der Kulturen Lateinamerikas und der Karibik ui übernehmen. Bei dieser Aufgabe ist die Bewertung der Volksfrömmigkeit besondere Aufmerksamkeit beizumessen, die sich insbesondere in der Verehrung der Heiligen Jungfrau, den Wallfahrten zu den Heiligtümern und in den religiösen Festen ausdrückt, und vom Wort Gottes erleuchtet wird. Wenn wir Hirten uns nicht von Grund auf bemühen die Ausdrucksformen unser Volksfrömmigkeit zu begleiten, sie zu reinigen und für neue Situationen zu öffnen, wird der Säkularismus immer stärkeren Einfluß in unserem lateinamerikanischen Volk gewinnen und die Inkulturierung des Evangeliums erschweren.
Lebendige und dynamische kirchliche Gemeinschaften
54 «Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast» (Joh 17,21).
So hat Jesus Christus für seine Kirche gebetet. Für sie hat er darum gebeten, dass sie in Einheit lebt, nach dem Vorbild der Dreieinigkeit (vgl. GS 24). So versuchten auch die ersten Christen in Jerusalem zu leben.
Wir sind uns bewusst, dass der historische Moment, in dem wir leben, von uns fordert, «das Bild einer lebendigen und dynamischen Kirche zu entwerfen, die im Glauben wächst, sich heiligt, liebt, leidet, sich einsetzt und auf ihren Herrn hofft» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 25). Wir wollen den auferstandenen Herrn wieder entdecken, der heute in seiner Kirche lebt, sich ihr hingibt, sie heiligt (vgl. Eph 5, 25-26) und sie zum Zeichen der Vereinigung mit Gott und für die Einheit aller Menschen macht (vgl. LG 1).
Wir wollen dieses «Bild» in unseren Teilkirchen, Pfarrgemeinden und sonstigen christlichen Gemeinschaften widerspiegeln. Ausgehend von einem Leben der Gemeinschaft und Teilnahme, das bereits in zahlreichen Formen von Gemeinschaften auf unserem Kontinent verwirklicht ist, wollen wir unserer Kirche neue Impulse zur Evangelisierung geben.
Die Teilkirche
55 Die Teilkirche'n haben den Auftrag, «die Anwesenheit und das evangelisierende Handeln Christi» (DP 224) auf die verschiedenen Gemeinschaften auszudehnen. Sie sind «nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche» (LG 23).
Die Teilkirche ist gerufen, den Dynamismus Gemeinschaft -Sendung zu leben, "die Gemeinschaft und die Sendung sind grundsätzlich miteinander verbunden, sie durchdringen und beinhalten einander soweit, dass die Gemeinschaft gleichzeitig Quelle und Frucht der Sendung ist" immer ist es ein und derselbe Geist, der die Kirche zusammenruft und eint, und der sie sendet, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu predigen» (ChL 32).
Die Teilkirche ist darüber hinaus «organische Gemeinschaft» gekennzeichnet durch die gleichzeitige Gegenwart der vielfältigen und sich ergänzenden Berufungen und Lebensbedingungen, der Ämter, der Charismen und der Verantwortlichkeiten» (ChL 20).
«In der Einheit der Ortskirche, die in der Eucharistie lebendig wird, trifft sich das ganze Bischofskollegium mit dem Nachfolger Petri an der Spitze, wie es zum Wesen der Teilkirche gehört. Um den Bischof und in vollkommener Gemeinschaft mit ihm müssen die Pfarreien und christlichen Gemeinschaften als pulsierende Zellen des kirchlichen Lebens aufblühen» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache,25).
Gemäß ihrer Natur und ihrer Sendung, das Volk Gottes eines Ortes oder einer Region zu versammeln, verfügt die Teilkirche über genaue Kenntnisse des Lebens, der Kultur und der Probleme ihrer Glieder und ist gerufen, an ihrem Ort mit all ihren Kräften und unter der Leitung des Heiligen Geistes für eine neue Evangelisierung, die menschliche Förderung und eine Inkulturation des Glaubens zu sorgen (vgl. RMi 54).
56 Im allgemeinen fehlt es in unseren Diözesen an genügend qualifizierten Pastoralträgern. Mehr noch, viele von ihnen verfügen nicht über einen wirklichen und klaren Plan für die Pastoral. Es ist dringend erforderlich, auf dem Weg der Gemeinschaft und Teilhabe voranzuschreiten, der oftmals erschwert wird durch das fehlende Kirchenbewusstsein und einen wahren missionarischen Geist.
57 Daher ist es unerlässlich:
- Dafür sorgen, dass eine größere Anzahl von Pastoralträgern für die verschiedenen Bereiche seelsorgerischen Wirkens nach der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils und den darauf folgenden Aussagen des Lehramtes angemessen ausgebildet wird.
- Globale, organische und geplante Prozesse einzuleiten, die die Integration aller Mitglieder des Volkes Gottes, der Gemeinschaften und der verschiedenen Charismen erleichtern und fördern und sie an der neuen Evangelisierung, einschließlich der Mission ad gentes, ausrichten.
Die Pfarrei
58 Die Pfarrei, die Gemeinschaft der Gemeinschaften und Bewegungen, fängt die Ängste und Hoffnungen der Menschen auf, stärkt und lehrt Gemeinschaft, Teilhabe und Mission. «Sie ist nicht in erster Linie eine Struktur, ein Gebiet, ein Gebäude, sie ist die Familie Gottes, wie eine durch den Geist der Einheit erzeugte Brüderlichkeit» ... Die Pfarrei gründet sich auf eine theologische Realität, denn sie ist eine eucharistische Gemeinschaft ... «Die Pfarrei ist eine Gemeinschaft des Glaubens und eine organische Gemeinschaft, in der der Pfarrer, der den Diözesanbischof vertritt, das hierarchische Bindeglied zu der gesamten Teilkirche darstellt» (ChL 26).
Wenn nun die Pfarrei die Kirche ist, die zwischen den Häusern der Menschen liegt, lebt und wirkt sie im Innersten der menschlichen Gemeinschaft, eng vertraut und solidarisch mit ihren Bemühungen und Schwierigkeiten. Auftrag der Pfarrei ist es, zu evangelisieren, die Messe zu feiern, die Entwicklung des Menschen zu bewirken, die Inkulturation des Glaubens in den Familien, in den Basisgemeinden und in den apostolischen Gruppen und Bewegungen und durch sie in der Gesellschaft voranzutreiben.
Die Pfarrei als organische und missionarische Gemeinschaft ist somit ein Netz von Gemeinschaften.
59 Der Prozess der Erneuerung der Pfarrei in ihren Pastoralträgern und in der Teilnahme der gläubigen Laien entwickelt sich immer noch langsam.
Es ist dringend erforderlich und unerlässlich, eine Lösung auf die Fragen zu finden, die sich in den städtischen Pfarreien stellen, damit diese auf die Herausforderungen der neuen Evangelisierung reagieren können. Problematisch ist eine mangelnde Abstimmung zwischen dem Rhythmus des modernen Lebens und den Regeln, nach denen die Pfarreien sich üblicherweise richten.
'60 Folgende wichtige Richtlinien müssen in die Praxis umgesetzt werden:
- Erneuerung der Pfarreien durch Strukturen, kraft deren die Pastoral durch kleine kirchliche Gemeinschaften in Einzelbereiche aufgeteilt werden kann, in denen gläubige Laien verantwortlich sind.
- Verbesserung der Ausbildung und Beteiligung der Laien. Sie sollen in der Lage sein, das Evangelium in ihren spezifischen Lebenssituationen lebendig zu machen.
- In den städtischen Pfarreien sollen Pläne zur Zusammenfassung in gleichartige Lebensbereiche besonderen Vorrang erhalten, damit anpassungsfähige Dienste eingerichtet werden können, die die neue Evangelisierung erleichtern.
- Erneuerung ihrer Fähigkeit zur Aufnahme und zur missionarischen Tätigkeit an den Gläubigen, die sich von ihr entfernt haben. Verstärkung der physischen Anwesenheit der Pfarrei durch die Schaffung von Gruppen und kleinen Gemeinschaften.
Die kirchlichen Basisgemeinschaften
61 Die kirchliche Basisgemeinschaft ist eine lebendige Zelle der Pfarrei, sie versteht sich als organische und missionarische Gemeinschaft.
Die Basisgemeinde selbst, die gewöhnlich aus einigen Familien besteht, ist gerufen, als Gemeinschaft des Glaubens den Glauben und die Liebe zu leben. Dazu muss sie von Laien angeregt werden, Männern und Frauen, die im gemeinschaftsbildenden Prozess selbst angemessen vorbereitet wurden und in Gemeinschaft mit der jeweiligen Pfarrei und dem Bischof leben müssen. «Die kirchlichen Basisgemeinschaften müssen sich immer durch eine entschiedene Ausrichtung auf das Ganze und Missionarische auszeichnen, was ihnen neue apostolische Dynamik schenken wird» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 25). «Sie sind Zeichen für die Lebendigkeit der Kirche, Hilfe für die Ausbildung und bei der Verkündigung des Evangeliums und wertvoller Ausgangspunkt für eine neue Gesellschaft, die gegründet ist auf die Zivilisation der Liebe» (RMi 51).
62 Wenn diese Gemeinschaften kein eindeutiges ekklesiologisches Fundament haben und nicht wahrhaft die Gemeinschaft suchen, gehören sie nicht mehr zur Kirche und können ideologischen oder politischen Manipulationen zum Opfer fallen.
63 Wir halten es für erforderlich:
- Den Wert der kirchlichen Basisgemeinschaften zu bestätigen, in ihnen einen missionarischen und solidarischen Geist zu stärken und sie in die Pfarrei, in die Diözese und die Gesamtkirche gemäß den Lehren des Apostolischen Schreibens über die Evangelisierung (Evangelii Nuntiandi, 58) einzugliedern.
- Pläne für das pastorale Handeln auszuarbeiten, mit denen die Vorbereitung der Laienmitarbeiter sichergestellt wird, die in diesen Gemeinschaften in enger Gemeinschaft mit der Pfarrei und dem Bischof tätig sind.
Die christliche Familie
64 Die christliche Familie ist «Hauskirche», die erste evangelisierende Gemeinschaft. «Trotz der Probleme, die die Ehe und das Institut Familie heute bedrohen, kann diese als Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft große Energien freisetzen, die für das Wohlergehen der Menschheit notwendig sind» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 18). Es ist daher erforderlich, dass die Familienpastoral eine grundlegende, einfühlsame, reale und wirksame Priorität erhält. Grundlegend als Front der neuen Evangelisierung. Einfühlsam, das heißt, gutgeheißen und übernommen durch die ganze Diözesangemeinschaft.
Real, weil sie einen konkreten Rückhalt in der Begleitung des Bischofs der Diözese und seiner Pfarrer haben wird. Wirksam bedeutet, dass sie in eine organische Pastoral eingebunden sein muss. Diese Pastoral muss über die pastoralen und wissenschaftlichen Mittel verfügen, die dem neuesten Stand entsprechen. Sie muss aufgrund ihrer eigenen Charismen von den Ordensgemeinschaften und Bewegungen im allgemeinen aufgenommen werden.
In der Einheit des Geistes und mit der Vielfalt der Ämter und Charismen
65 Durch die Taufe werden wir als Volk Gottes lebendige Mitglieder der Kirche. Durch das Wirken des Heiligen Geistes haben wir an allen Reichtümern der Gnade Anteil, die der Auferstandene uns schenkt.
Es ist derselbe Geist, der uns die Möglichkeit gibt, Jesus als Herrn zu erkennen und uns dazu führt, die Einheit der Kirche, ausgehend von den verschiedenen Charismen, zu schaffen, die er uns zum «gemeinsamen Nutzen» (vgl. 1 Kor 12, 3-11) verleiht. Hier liegt unsere Größe und unsere Verantwortung: Überbringer der Heilsbotschaft für die anderen zu sein.
66 Somit erneuert sich das erlösende Dienen Christi (vgl. Mt 20,28; Joh 10,10) durch den Dienst jedes einzelnen von uns. Wir leben und dienen in einer Kirche, die reich an Ämtern ist.
Die Weiheämter
67 Das Amt der Bischöfe, in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, und das der Priester und Diakone ist von entscheidender Bedeutung, damit die Kirche auf den Heilsplan Gottes mit der Verkündigung des Wortes, mit der Feier der Sakramente und mit der pastoralen Führung antwortet. Das geistliche Amt ist immer ein Dienst an der Menschheit, der auf das Reich hingeordnet ist. Wir haben die «Kraft des Heiligen Geistes» (vgl. Apg 1,8) empfangen, damit wir Zeugen Christi und Werkzeuge des neuen Lebens sind.
Wir werden heute wieder die Stimme des Herrn hören, der uns angesichts der Herausforderungen der heutigen Zeit ruft und sendet. Wir wollen dem Herrn und den Männern und Frauen, vor allem den Ärmsten, treu bleiben, zu deren Dienst wir geweiht wurden.
a) Die Herausforderung der Einheit
68 Das Konzil erinnert uns an die gemeinschaftliche Dimension unseres Amtes: bischöfliche Kollegialiät, Gemeinschaft bei den Priestern, Einheit unter den Diakonen. Auf der Ebene der gesamten lateinamerikanischen Kirche und in jeder einzelnen unserer Teilkirchen gibt es bereits Organismen zur Integration und Koordination. Allgemein bekannt sind die Bemühungen zur Einheit mit den Ordensleuten, die an der pastoralen Arbeit in jeder Diözese teilhaben. Dessen ungeachtet erkennen wir Gründe zur Sorge in unseren Teilkirchen: Spaltungen und Konflikte, die nicht immer die Einheit widerspiegeln, die der Herr gewollt hat.
Auf der anderen Seite führt der Mangel an Priestern und die Arbeitsüberlastung bei der Ausübung ihres Amtes bei einigen dazu, dass viele allein stehen. Daher muss die Versöhnung in der Kirche gelebt werden, und der Weg der Einheit und der Gemeinschaft unter den Hirten selbst und mit den Menschen und Gemeinschaften, die ihnen anvertraut wurden, muss weitergegangen werden.
69 Daher schlagen wir vor:
- Die Strukturen beizubehalten, die im Dienst der Gemeinschaft unter den Weiheämtern stehen, wobei gemäß dem Recht der Kirche und ohne Nachteil für die eigenen Kompetenzen besondere Aufmerksamkeit auf die jeweiligen unterstellten Ämter und Funktionen zu legen ist. Wie die Erfahrung zeigt, können sich solche Strukturen nach den jeweiligen Erfordernissen neu gestalten und ihre Dimensionen verändern, wobei Kompetenzen und Wesen präzisiert werden. Zu diesen Instanzen gehören die Bischofskonferenzen, die kirchlichen Provinzen und Regionen, die Priesterräte und auf kontinentaler Ebene der CELAM.
- Bei der Erstausbildung der künftigen Hirten und bei der ständigen Ausbildung der Bischöfe, Priester und Diakone möchten wir ganz besonders den Geist der Einheit und der Gemeinschaft fördern.
b) Die Forderung nach einer Vertiefung des geistlichen Lebens
70 Das Priesteramt entstammt der Tiefe des unergründlichen Mysteriums Gottes. Unsere priesterliche Existenz entspringt der Liebe des Vaters, der Gnade Jesu Christi und dem heiligenden und einenden Wirken des Heiligen Geistes.
Das Priesterleben selbst verwirklicht sich durch den Dienst an der Gemeinschaft, damit alle gehorsam für das erlösende Wirken Christi werden (vgl. Mt 20,28; PDV 12).
Die Bischofssynode von 1990 und das nachsynodale Schreiben «Pastores dabo vobis» haben in eindeutiger Weise mit besonderer Betonung der pastoralen Liebe die charakteristischen Wesenszüge einer priesterlichen Spiritualität aufgezeigt (vgl. PDV, Kap. 3).
71 Aus diesen Gründen wollen wir:
- In unserem liturgischen und persönlichen Gebet und in unserem Amt eine ständige und tiefgehende geistliche Erneuerung anstreben, damit Jesus Christus auf den Lippen, im Herzen und im Leben jedes einzelnen von uns immer gegenwärtig ist.
- Im Zeugnis der Heiligkeit des Lebens wachsen, zu dem wir mit Hilfe der Mittel gerufen sind, die wir bereits in Händen halten: «die priesterliche Spiritualität, wie geistige Übungen, Tage der Klausur oder der Spiritualität» (PDV 80) sowie sonstige Quellen, die in dem nachsynodalen Päpstlichen Dokument genannt sind.
c) Die Dringlichkeit einer ständigen Weiterbildung
72 Der Heilige Paulus empfiehlt seinem Schüler, die Gabe wiederzuentfachen, die er durch das Auflegen der Hände erhalten hat (vgl. 2 Tim 1,6). Johannes Paul II. hat uns daran erinnert, dass die Kirche glaubhafte Vorbilder von Priestern braucht, die überzeugte und engagierte Diener der neuen Evangelisierung sind (vgl. PDV, 8 und Kap. 6).
Es gibt ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit und Integralität der ständigen Weiterbildung, die als Weg der Umkehr und Mittel zur Treue verstanden und geschätzt wird. Die konkreten Implikationen dieser Ausbildung für die Verpflichtung des Priesters mit der neuen Evangelisierung erfordern es, konkrete Wege zu ihrer Gewährleistung aufzuzeigen und zu schaffen. Dabei taucht immer wieder stärker die Notwendigkeit auf, den Prozess des Wachstums zu begleiten, wobei versucht werden muss, die Herausforderungen, die Säkularismus und Ungerechtigkeit darstellen, geistig zu verarbeiten und darauf mit pastoraler Liebe zu antworten. Dieselbe Aufmerksamkeit müssen wir alten oder kranken Priestern widmen.
73 Unserer Meinung nach ist es wichtig:
- Projekte und Programme für die ständige Weiterbildung von Bischöfen, Priestern und Diakonen sowie für die nationalen Kommissionen und die Priesterräte auszuarbeiten.
- Alle Inhaber von Weiheämtern zu einer ständigen Weiterbildung nach den Richtlinien des päpstlichen Lehramtes zu motivieren und zu unterstützen.
d) Die unerlässliche Nähe zu unseren Gemeinschaften
74 Der Gute Hirt kennt seine Schafe, und diese kennen ihn (vgl. Joh 10,14). Als Diener der Gemeinschaft möchten wir über unsere Gemeinschaften wachen, mit edelgesinnter Hingabe, als Vorbilder für die Herde (vgl. 1 Petr 5, 1-5). Unser demütiger Dienst soll dazu führen, dass alle spüren, dass wir Christus als Haupt, Guten Hirten und Bräutigam der Kirche präsent machen (vgl. PDV 10).
Die Nähe zu jedem einzelnen Menschen erlaubt es den Hirten, ihre Lebenssituation des Leidens und der Unwissenheit, der Armut und der Randstellung, des Verlangens nach Gerechtigkeit und Befreiung mit ihnen zu teilen. Dies alles ist ein Programm, damit wir unser Leben als Diener der Versöhnung besser leben können (vgl. 2 Kor 5,18), jedem Menschen Grund zur Hoffnung geben können (vgl. 1 Petr 3,15) und die Heilsbotschaft Jesu Christi verkünden (vgl. Gal 5,1).
75 Wir, die Bischöfe, nehmen uns vor, eine Pastoral der Begleitung unserer Priester und Diakone besser zu organisieren, damit wir die unterstützen können, die in besonders schwierigen Bereichen arbeiten.
- Alle Priester wollen weiterhin demütig und nah inmitten unserer Gemeinschaften anwesend sein, damit alle die Barmherzigkeit Gottes erfahren können. Wir wollen Zeugen der Solidarität mit unseren Brüdern sein.
e) Die Aufmerksamkeit auf die ständigen Diakone richten
76 Für den Dienst an der Gemeinschaft in Lateinamerika ist das Amt der Diakone von besonderer Bedeutung. Sie sind auf ganz besondere Weise Zeichen des Herrn Jesus, «der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele» (Mt 20,28). Ihr Dienst wird das evangelische Zeugnis in einer Geschichte sein, in der die Ungerechtigkeit immer stärker wird und die Liebe erkaltet ist (vgl. Mt 24, 12). Damit eine neue Evangelisierung im Dienste des Wortes und der Soziallehre der Kirche auf die Notwendigkeiten der Entwicklung des Menschen eingehen und eine Kultur der Solidarität erzeugen kann, muss der ständige Diakon aufgrund seines Weiheamtes und seines Einsatzes in allen schwierigen menschlichen Situationen einen weiten Bereich an Diensten auf unserem Kontinent übernehmen.
77 - Wir wollen unseren Diakonen für das, was sie sind, größere Anerkennung schenken als für das, was sie tun.
- Wir wollen unsere Diakone in der kritischen Auseinandersetzung begleiten, damit sie eine erste Ausbildung und eine ständige Weiterbildung erhalten, die ihren Lebensbedingungen angemessen ist.
Wir werden unsere Reflexion über die Geistlichkeit der Diakone, die sich auf Christus, den Diener gründet, fortsetzen, damit diese ihre Hingabe an die Kirche und ihre Eingliederung in das Presbyterium der Diözese mit einem tiefen Sinn des Glaubens leben.
Wir möchten unseren verheirateten Diakonen beistehen, ihrer doppelten Weihe, ihrer Eheschließung und ihrer Ordinierung, treu zu sein. Weiterhin wollen wir ihnen dabei helfen, dass ihre Ehefrauen und Kinder mit ihnen im Diakonat leben und daran teilhaben. Ihre Erfahrung bei ihrer Arbeit und ihre Rolle als Eltern und Ehegatten macht sie zu wertvollen Mitarbeitern, wenn es darum geht, verschiedene drängende Sachverhalte in unseren Teilkirchen anzusprechen.
Wir haben den Vorsatz, die erforderlichen Bereiche zu schaffen, damit die Diakone in der Belebung der Dienste der Kirche mitarbeiten, Leitfiguren ausfindig machen und fördern, und die gemeinsame Verantwortung aller für eine Kultur der Versöhnung und der Solidarität wecken. Es gibt Situationen und Bereiche, vor allem in den entfernt liegenden ländlichen Gebieten und in den großen, dicht bevölkerten Städten, in denen allein durch den Diakon ein Weiheamt besetzt ist.
Priesterberufungen und Seminare
78 «In diesen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; sie nannte er auch Apostel» (Lk 6, 12-13; Mk 3,13-14).
«Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben» (Mt 9, 36-38).
Innerhalb einer Kirche, die «Gemeinschaft für die Mission» ist, ruft der Herr, der uns alle zur Heiligkeit ruft, einige für den Priesterdienst.
a) Die Berufungspastoral: eine Priorität
79 Wir stehen vor der nicht zu leugnenden Tatsache, dass die Zahl der Priesterberufungen gestiegen ist, das Interesse an einer Pastoral ist gewachsen, die den Jugendlichen eindeutig die Möglichkeit bietet, ein Berufener des Herrn zu sein.
Die berufenen Jugendlichen können sich jedoch den familiären, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Änderungen dieser Zeit nicht entziehen. Der Zerfall der Familie kann die Erfahrung der Liebe verhindern, die auf die selbstlose Hingabe des ganzen Lebens vorbereitet. Die Vergiftung durch eine «permissive» und konsumistische Gesellschaft ist kein guter Ausgangspunkt für ein Leben der Einfachheit und der Opfer. Es kann vorkommen, ohne dass der Kandidat dies will, dass die Motivation zur Berufung aus Gründen erlischt, die nichts mit dem Evangelium zu tun haben.
80 Daher ist es unserer Ansicht nach sehr wichtig:
- Eine Berufungspastoral aufzubauen, die in die organische Pastoral der Diözese eingegliedert und eng mit der Familien- und Jugendpastoral verbunden ist. Es ist dringend erforderlich, Träger dieser Pastoral auszubilden, Ressourcen für diesen Bereich der Pastoral zu finden und die Verpflichtung der Laien zu stärken, Berufungen zu Weiheämtern zu fördern.
- Grundlagen für die Berufungspastorallegen durch das Gebet, die Teilnahme an den Sakramenten der Eucharistie und der Buße, die Katechese der Firmung, die Marienverehrung, die Begleitung bei der geistlichen Führung und durch eine konkrete missionarische Verpflichtung. Dies sind die wichtigsten Mittel, die den Jugendlichen bei ihrer kritischen Beurteilung helfen.
- Berufungen aus allen Kulturen unserer Teilkirchen fördern. Der Papst hat uns dazu aufgerufen, den Berufungen unter den indigenen Völkern unsere Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Botschaft an die indigene Bevölkerung, 6; Botschaft an die Afroamerikaner, 5).
81 - Die Kleinen Seminare und ähnliche Zentren, die den Umständen der heutigen Zeit in angemessener Form Rechnung tragen, behalten ihre volle Bedeutung für die Jugendlichen der oberen Schulklassen, bei denen sich ein starker Wunsch nach einer Priesterausbildung herausbildet. In einigen Ländern und bei einem ungünstigen familiären Umfeld sind diese Einrichtungen erforderlich, damit die Jugendlichen in ihrer christlichen Gesinnung wachsen und einen reiferen Entschluss hinsichtlich einer möglichen Berufung fassen können.
82 Angesichts der wieder häufiger zu beobachtenden Berufungen unter den Heranwachsenden ist es unsere Aufgabe, diese jungen Menschen angemessen zu fördern, richtig auszuwählen und umfassend auszubilden.
- In unserer Berufungspastoral müssen wir uns der Worte des Heiligen Vaters stets bewusst sein: «Unerlässliche Voraussetzung für die neue Evangelisierung ist das Verfügenkönnen über zahlreiche und qualifizierte Verkünder des Evangeliums. Daher muss die Förderung der Berufungen zum Priester- und Ordensstand ... eine Priorität der Bischöfe und ein Anliegen des ganzen Volkes Gottes sein» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 26).
b) Die Seminare
'83 Ein Zeichen der Freude und der Hoffnung ist die Errichtung Großer Seminare auf unserem Kontinent und der Anstieg der Seminaristenzahlen.
Im allgemeinen bemüht man sich, ein günstiges Klima für die geistliche Leitung zu schaffen und auf dem Gebiet der Ausbildung der künftigen Priester, insbesondere im pastoralen Bereich, auf dem «neuesten Stand zu sein». Sorge bereitet jedoch das Problem, die geeigneten Lehrkräfte für die jeweiligen Anforderungen der einzelnen Seminare zu finden; so kommt es häufig zu einer Minderung der Qualität der Ausbildung.
In vielen Fällen kommen die Priesteramtskandidaten aus einem sozialen Umfeld, von dem sie durch stark säkularisierte Lebensweisen «gekennzeichnet» sind, oder sie weisen nur eine sehr eingeschränkte menschliche oder intellektuelle Bildung auf bis hin zu Lücken in den Grundlagen ihres christlichen Glaubens.
84 Angesichts dieser Realität schlagen wir folgendes vor:
- Alle Weisungen des nachsynodalen Apostolischen Schreibens «Pastores dabo vobis» aufgreifen und hierauf aufbauend unsere «Grundregeln für die Priesterausbildung» in jedem Land überprüfen.
- Lehrkräfte auswählen und schulen unter Inanspruchnahme der vom CELAM und von sonstigen Institutionen angebotenen Lehrgänge. Vor der Eröffnung eines Seminars muss sichergestellt sein, dass die erforderliche Anzahl von Lehrenden zur Verfügung steht.
- Die Ausrichtung der Ausbildung in jedem einzelnen unserer Seminare überprüfen, damit diese im Einklang mit den Forderungen der neuen Evangelisierung mit ihren Auswirkungen auf die Entwicklung des Menschen und die Inkulturation des Evangeliums steht. Ohne die Ansprüche an eine ernsthafte und integrale Ausbildung zu senken, ist die Herausforderung der Priesterausbildung von Kandidaten, die aus indigenen und afroamerikanischen Kulturen stammen, mit besonderem Interesse anzugehen.
- Für eine integrale Ausbildung sorgen, die schon im Seminar den Grundstein für eine dauerhafte Entscheidung für das Priesteramt legt.
Das Ordensleben
85 Das Ordensleben, das eine Gabe des Heiligen Geistes an seine Kirche ist und zu ihrem tiefsten Wesen und zu ihrer Heiligkeit gehört (vgl. LG 44; EN 69), ist geprägt durch das aufopfernde Zeugnis vieler Ordensfrauen und -männer, die durch ihren einzigartigen Bund mit Gott die Kraft des Evangeliums in allen Situationen, selbst in den schwierigsten, vergegenwärtigen.
Durch die treue Umsetzung der evangelischen Räte in ihrem Leben haben sie am Geheimnis und an der Sendung Christi teil, verbreiten sie die Werte des Reiches Gottes, verherrlichen sie Gott, ermutigen sie die Gemeinschaft der Kirche und mahnen sie die Gesellschaft (vgl. Lk 4,14-21; 9,1-6). Die evangelischen Räte haben eine tiefe österliche Dimension, da sie eine Identifizierung mit Christus in seinem Tod und in seiner Auferstehung voraussetzen (vgl. Johannes Paul H., Die Wege des Evangeliums, 17).
Durch seine Zeugniskraft muss das Ordensleben «immer evangelisierend wirken, damit jene, die das Licht des Glaubens brauchen, das Heilswort mit Freuden aufnehmen; dass die Armen und am meisten Vergessenen eure Nähe und brüderliche Solidarität spüren; damit die Randexistenzen und Verlassenen die Liebe Christi erfahren; damit die Menschen ohne Stimme erleben, dass sie gehört werden und dass die ungerecht Behandelten Verteidigung und Schutz finden» (Johannes Paul II., Predigt in der Kathedrale von Santo Domingo, 10.10.92,8).
Die Jungfrau Maria, die so tief in der christlichen Identität unserer lateinamerikanischen Völker verwurzelt ist (vgl. DP 283), ist ein Vorbild für die gottgeweihten Menschen und sichere Stütze für ihre Treue.
Aufgrund des II. Vatikanischen Konzils und der Impulse von Medellín und Puebla gab es Bemühungen zur Erneuerung des Ordenslebens, eine «Rückkehr zu den Quellen» und die ursprüngliche Inspirierung der Institute (vgl. Perfectae Caritatis, 2). Die Konferenzen der Ordensoberen spielen eine wichtige Rolle für das Ordensleben. Sie respektieren die Ausrichtung und den Geist der einzelnen Institute, besprechen gemeinsame Angelegenheiten und legen die entsprechende Zusammenarbeit mit den Hirten der Kirche fest (vgl. CIC 708). Das Ordensleben, als besondere Gabe Gottes an seine Kirche, ist unabdingbar ekklesial und bereichert die Teilkirchen. Die Ordensmänner und -frauen Lateinamerikas erneuern ihre Treue zum Papst. Ausgehend von den Weisungen der «Mutuae relationes» ist ein Bemühen um ein besseres gegenseitiges Kennenlernen der verschiedenen Formen des Ordenslebens und der Teilkirchen erforderlich.
86 Von einzigartiger Fruchtbarkeit für die Evangelisierung und die Mission ist das kontemplative Leben; es bezeugt durch und durch das Primat der Absolutheit Gottes. Wir beobachten voll Freude das Aufblühen von Berufungen zu dieser Lebensform und die Entsendung in andere Länder.
Der Beitrag der Säkularinstitute ist von großer Bedeutung, und die Zahl dieser Institute nimmt zu. Mit ihrer Weihe wollen sie die wahren Werte der modernen Welt mit der Nachfolge Jesu in Einklang bringen, die sie aus der Säkularität heraus leben. Sie müssen daher einen besonderen Stellenwert für das Werk der neuen Evangelisierung, die Entwicklung des Menschen und die Inkulturation des Evangeliums einnehmen.
88 Zu dieser Aufgabe der Evangelisierung leisten auch die Gesellschaften des apostolischen Lebens einen großen Beitrag, und sie sind gerufen, mit ihren besonderen Eigenschaften weiterhin tätig zu sein.
89 Eine weitere Form der Weihe ist die der Jungfrauen, die durch den Bischof der Diözese Gott geweiht werden, mystische Bräute Jesu Christi, die sich in den Dienst der Kirche stellen (vgl. CIC 604, 1).
Die Gott geweihte Frau trägt dazu bei, unsere Bemühungen zur integralen 90 Entwicklung des Menschen mit dem Evangelium zu füllen, und sie bringt Dynamik in die Pastoral der Kirche. Sie ist häufig an den Orten der Missionstätigkeit, die größere Schwierigkeiten bergen, und sie ist besonders empfänglich für den Ruf der Armen. Daher muss ihr mehr Verantwortung bei der Planung der pastoralen und karitativen Aufgaben übertragen werden.
91 «Das Werk der Evangelisierung in Lateinamerika (so der Papst) ist größtenteils die Frucht eures missionarischen Dienstes ... Auch in unseren Tagen stellen die Ordensmänner und -frauen eine wesentliche evangelisierende und apostolische Kraft auf dem lateinamerikanischen Kontinent dar» (Johannes Paul II., «Die Wege des Evangeliums», 29.6.90, 2.3).
In seinem Schreiben an die Ordensleute Lateinamerikas («Die Wege des Evangeliums», 29.6.90) spricht der Heilige Vater zu ihnen über folgende Herausforderungen: «Vorreiter der Verkündigung des Evangeliums sein und stets Zeugnis der Frohbotschaft der Erlösung ablegen» (24). «Aus einer tiefen Gotteserfahrung heraus evangelisieren» (25). «Die Charismen der Stifter lebendig halten» (26). In enger Zusammenarbeit mit den Bischöfen, Priestern und Laien evangelisieren und dabei ein Beispiel der erneuerten Gemeinschaft geben (vgl. 27). Vorreiter der Evangelisierung der Kulturen sein (vgl. 28). Dem Erfordernis nachkommen, auch jenseits unserer Grenzen zu evangelisieren.
Pastorale Grundlinien:
92 Diese 4. Generalversammlung weist auf folgende Pflichten und pastorale Grundlinien in Bezug auf das Ordensleben hin:
- Das Ordensleben als ein Geschenk für unsere Teilkirchen anerkennen.
- Die Berufung zur Heiligkeit bei den Ordensfrauen und -männern fördern und ihr Ordensleben als solches und ihr Zeugnis wertschätzen. Dazu wollen wir die Treue zu den Charismen der jeweiligen Stifter, die die Kirche bereichern, achten und unterstützen.
- In den gemischten Kommissionen und anderen in dem Dokument des Heiligen Stuhls «Mutuae Relationes» vorgesehenen Organen miteinander sprechen, um Antworten auf die verschiedenen Spannungs- und Konfliktbereiche aus der kirchlichen Gemeinschaft heraus zu finden. Wir möchten, dass in unseren Seminaren die Kenntnis der Theologie des Ordenslebens gefördert wird und dass in den Ausbildungshäusern für Aspiranten für das Ordensleben besondere Aufmerksamkeit der Theologie der vom Bischof geführten Teilkirche sowie der Kenntnis der besonderen Spiritualität des Diözesanpriesters gewidmet wird.
- Wir möchten die Initiativen der Ordensoberen für eine Grund- und Weiterbildung und die spirituelle Begleitung der Ordensmänner und -frauen unterstützen, damit diese für die Herausforderungen der neuen Evangelisierung gewappnet sind. Wir werden versuchen, Impulse für einen missionarischen Geist zu geben, der unter den Ordens leuten den Wunsch weckt, auch jenseits «unserer Grenzen» zu dienen.
Den Wert und die missionarische Präsenz der Ordensleute in der Teilkirche achten und fördern, insbesondere, wenn sie ihre Option für die Armen an Orte führt, an denen sie als Vorkämpfer größte Schwierigkeiten bewältigen und höchsten persönlichen Einsatz zeigen müssen.
93 Sorge tragen, dass die Ordensmänner und -frauen, die in einer Teilkirche pastoral tätig sind, stets in vollständiger Übereinstimmung mit dem Bischof und den Priestern handeln.
Die gläubigen Laien in der Kirche und in der Welt
94 Das Volk Gottes besteht mehrheitlich aus christlichen Laien. Sie sind von Christus aufgerufen, als Kirche, Pastoralträger und Empfänger der Heilsbotschaft die unerlässliche Aufgabe der Evangelisierung in der Welt, dem Weinberg Gottes, zu erfüllen. An diese Menschen richten sich heute die Worte des Herrn: «Geht auch ihr in meinen Weinberg» (Mt 20,3-4) und gleichermaßen folgende Worte: «Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!» (Mk 16,15, vgl. ChL 33).
Durch die Taufe sind die Gläubigen in Christus eingegangen und aufgerufen, die dreifache priesterliche, prophetische und weltliche Aufgabe zu leben. Diese Berufung muss durch die Hirten der Teilkirchen ständig gestärkt werden.
a) Die Laien in unseren heutigen Kirchen
95 Heute beobachten wir als Zeichen der Zeit zahlreiche Laien, die sich in der Kirche engagieren: Sie üben verschiedene Ämter aus und erfüllen unterschiedliche Aufgaben und Dienste in den kirchlichen Basisgemeinden und Bewegungen. Das Bewusstsein für ihre Verantwortung in der Welt und für die Mission ad gentes wird immer größer. So wächst die Bedeutung der christlichen Gläubigen für die Evangelisierung. Junge Menschen evangelisieren junge Menschen, die Armen evangelisieren die Armen.
Die engagierten Laien bekunden ein echtes Bedürfnis nach Ausbildung und Spiritualität.
96 Es zeigt sich jedoch, dass sich die meisten Getauften ihrer Zugehörigkeit zur Kirche noch nicht bewusst geworden sind. Sie fühlen sich katholisch, sehen sich aber nicht als Kirche. Nur wenige übernehmen die christlichen Werte als Bestandteil ihrer kulturellen Identität, und so verspüren sie nicht die Notwendigkeit eines Engagements in der Kirche und für die Evangelisierung.
Als Folge orientieren sich die Welt der Arbeit, die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kunst, die Literatur und die Massenmedien nicht an den Werten des Evangeliums. Hieraus erklärt sich die Inkohärenz zwischen dem Glauben, zu dem sie sich eigentlich bekennen, und ihrem tatsächlichen Engagement im täglichen Leben (vgl. DP 783).
Es zeigt sich auch, dass die Laien bei der Findung und Reifung ihrer Berufung von ihren Seelenhirten nicht immer angemessen begleitet werden.
Das Beharren vieler Pastoralträger, Geistlicher und selbst Laien in einer gewissen klerikalen Geisteshaltung (vgl. DP 784), die vorrangige Beschäftigung vieler Laien mit kircheninternen Aufgaben und eine mangelhafte Ausbildung sind dafür verantwortlich, dass sie nicht in der Lage sind, wirkungsvolle Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen der Gesellschaft zu geben.
b) Die Herausforderungen für die Laien
97 Die drängenden Probleme der Gegenwart Lateinamerikas und der Karibik verlangen folgendes:
Alle Laien müssen Protagonisten der neuen Evangelisierung, der Förderung des Menschen und der Christlichen Kultur sein. Es bedarf der ständigen Förderung der Laien, frei von Klerikalismus und ohne Reduzierung auf innerkirchliche Angelegenheiten.
Die nicht evangelisierten Getauften sollen die Hauptadressaten der neuen Evangelisierung sein, die sich nur dann wirkungsvoll durchführen lässt, wenn die Laien im Bewusstsein ihrer Taufe auf den Ruf Christi antworten und zu Protagonisten der neuen Evangelisierung werden.
Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um im Rahmen der kirchlichen Gemeinschaft die Suche der Laien nach Heiligkeit und die Erfüllung ihres Auftrags zu begünstigen.
c) Wichtige pastorale Grundlinien
- Das Erlebnis der Kirche als Gemeinschaft stärken, das uns die Mitverantwortung für die Sendung der Kirche vermittelt. Die Partizipation der Laien in den Pastoralräten auf unterschiedlichen Ebenen der Kirchenstruktur fördern. Vermeiden, dass die Laien ihr Wirken auf den innerkirchlichen Sektor reduzieren, und sie dazu anspornen, die soziokulturellen Bereiche zu durchdringen und dort Protagonisten der gesellschaftlichen Umwandlung im Lichte des Evangeliums und der Soziallehre der Kirche zu sein.
- Die Laienräte in der Gemeinschaft mit den Hirten unter Gewährung einer angemessenen Selbständigkeit als Orte der Zusammenkunft, des Dialogs und des Dienstes fördern, damit sie zur Stärkung der Einheit, der Spiritualität und der Organisation der Laien beitragen. Diese Laienräte sind darüber hinaus Stätten der Bildung und können in jeder Diözese in den Kirchen aller Länder eingeführt werden. Sie können sowohl die Bewegungen des Apostolates als auch diejenigen Laien aufnehmen, die sich zwar für die Evangelisierung engagieren, aber nicht Mitglieder apostolischer Gruppen sind.
99 - Eine integrale, stufenweise und kontinuierliche Aus- und Fortbildung der Laien durch Organe anregen, die «die Ausbildung von Lehrkräften» ermöglichen und Lehrgänge und Schulen auf Diözesan- und Landesebene organisieren. Dabei ist der Ausbildung der Armen besondere Aufmerksamkeit zu widmen (vgl. ChL 63).
- Unmittelbares Ziel unserer Hirten soll sein, der Schulung der Laien verstärkt Bedeutung beizumessen, die im Bereich des Erziehungswesens, der Politik, der Medien, der Kultur und der Arbeit herausragende Positionen einnehmen. Wir wollen eine spezifische Pastoral für jeden einzelnen dieser Bereiche anregen, damit diejenigen, die diesen Bereichen angehören, auf die volle Unterstützung ihrer Seelenhirten rechnen können. Hierzu zählen auch die Angehörigen des Militärs, deren Pflicht es ist, sich stets für Freiheit, Demokratie und Frieden der Völker einzusetzen (vgl. GS 79).
- Angesichts dessen, dass die Heiligkeit ein Aufruf an alle Christen ist, müssen die Seelenhirten geeignete Maßnahmen ergreifen, um bei den Laien eine authentische Gotteserfahrung zu begünstigen. Sie sollen außerdem spezifische Veröffentlichungen über die Spiritualität des Laien anregen.
100 - Die Organisierung der gläubigen Laien auf allen Ebenen der Pastoralstruktur fördern, sofern sie auf den Kriterien der Gemeinschaft und Partizipation beruht, und «die Freiheit zur Vereinigung der gläubigen Laien in der Kirche» respektieren (vgl. ChL 29-30).
d) Ämter, die den Laien übertragen werden
101 Das Dokument von Puebla schilderte die Erfahrungen des Kontinents bezüglich der Ämter, die Laien übertragen werden. Es lieferte klare Orientierungshilfen, damit entsprechend den Charismen jedes einzelnen und den Bedürfnissen der einzelnen Gemeinschaften «eine besondere Kreativität bei der Einrichtung von Ämtern oder Diensten» gefördert werde, «die je nach den Anforderungen der Evangelisierung von Laien ausgeübt werden können» (DP 833; vgl. 804-805; 811-817).
Die Synode der Bischöfe im Jahre 1987 und das Apostolische Schreiben «Christifideles laici» haben darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, aufzuzeigen, dass diese Ämter «ihre sakramentale Grundlage in der Taufe und in der Firmung haben» (ChL 23).
Den Orientierungen des Heiligen Vaters treu, wollen wir diese Erfahrungen weiter fördern, die den Laien ein breites Feld der Mitbeteiligung bieten (vgl. ChL 21-23) und die den Bedürfnissen zahlreicher Gemeinden entsprechen, die ohne diese wertvolle Mitarbeit keinerlei Unterstützung für Katechese, Gebet und Erfüllung ihrer sozialen und caritativen Pflichten erhielten.
Wir sind der Auffassung, dass «neue Ausdrucksformen und neue Methoden» zur Erfüllung unseres Evangelisierungsauftrags in vielfältiger Weise in «Ämtern, Aufgaben und Funktionen» zum Tragen kommen können, die von bestimmten, sorgfältig ausgewählten und vorbereiteten Laien ausgeübt werden (vgl. ChL 23). Eine geeignete Möglichkeit könnte darin bestehen, einer ganzen Familie den pastoralen Auftrag zu erteilen, anderen Familien ermutigend zur Seite zu stehen, wenn sie angemessen auf diese Aufgabe vorbereitet wird.
e) Die Bewegungen und Vereinigungen der Kirche
102 Als Antwort auf den Säkularismus, den Atheismus und die religiöse Gleichgültigkeit einerseits und die Sehnsucht und das Bedürfnis nach dem Religiösen andererseits (vgl. ChL 4) hat der Heilige Geist die Entstehung von Bewegungen und Vereinigungen von Laien bewirkt, die bereits viele Früchte in unseren Kirchen hervorgebracht haben.
Diese Bewegungen messen dem Wort Gottes, dem gemeinschaftlichen Gebet und der besonderen Aufmerksamkeit gegenüber dem Wirken des Geistes grundlegende Bedeutung bei. In einigen Fällen folgt der Erfahrung eines gemeinsamen Glaubens bald das Bedürfnis nach dem christlichen Teilen der vorhandenen Güter. Dies ist der erste Schritt hin zu einer Wirtschaft der Solidarität.
Die Apostolatsvereinigungen sind rechtens, und wir brauchen sie (vgl. AA 18). Nach den Grundsätzen des Konzils wird der «Acción Católica» (Katholischen Aktion) aufgrund ihrer tiefen Verbindung zur Teilkirche ein besonderer Stellenwert zuerkannt (vgl. AA 20; ChL 31). Angesichts der Gefahren, die mit einigen Bewegungen und Vereinigungen verbunden sind, welche sich leicht in sich selbst verschließen, ist es von großer Dringlichkeit, die «Kriterien der Kirchlichkeit» zu beachten, die in dem nachsynodalen Apostolischen Schreiben «Christifideles laici» Nr. 30 enthalten sind. Die Bewegungen müssen in einem klarer definierten Prozess der Inkulturation begleitet werden, und die Bildung neuer Bewegungen mit einer stärker lateinamerikanischen Prägung muss gefördert werden.
«Die Kirche erhofft sich viel von all jenen Laien, die begeistert und wirksam im Sinn des Evangeliums durch die neuen apostolischen Bewegungen tätig werden. Diese müssen freilich in der Gesamtpastoral koordiniert werden, aber sie entsprechen dem Bedürfnis nach einer größeren Präsenz des Glaubens im sozialen Leben» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 27).
f) Die Laien, vorrangige pastorale Grundlinie
103 Die Mitarbeit der Laien an der Aufgabe der neuen Evangelisierung, die die Entwicklung des Menschen zum Ziel hat und in deren Zuge der gesamte Kulturbereich die Kraft des Auferstandenen erfahrt, ist von großer Bedeutung. Daher können wir sagen, dass eine vorrangige Grundlinie unserer Pastoral als Frucht der 4. Generalversammlung darin bestehen muss, dass die gläubigen Laien in unserer Kirche eine Hauptrolle spielen. Eine gut strukturierte Gemeinschaft kontinuierlich fortgebildeter, reifer und engagierter Laien ist ein Zeichen für Teilkirchen, die den Auftrag der neuen Evangelisierung wirklich ernst genommen haben.
Die Frauen
104 In Christus, der Fülle der Zeiten, werden Gleichheit und Ergänzung möglich, Kriterien, nach denen Mann und Frau geschaffen wurden (vgl. Gen 1,27), «denn es gibt nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid eins in Christus Jesus» (Gal 3,26-29). Jesus nahm die Frauen auf, er gab ihnen ihre Würde zurück und übertrug ihnen nach seiner Auferstehung den Auftrag, ihn zu verkünden (vgl. MD 16). Christus, «geboren von einer Frau» (GaI4,4), gibt uns Maria, die der Kirche vorangeht und auf erhabene und einzigartige Weise das Beispiel der Jungfrau und Mutter verkörpert (vgl. LG 63). Sie ist Hauptfigur der Geschichte durch ihr freies Mitwirken, das zur höchsten Teilhabe an Christus führt (vgl. DP 293). Maria hat bei der Evangelisierung der lateinamerikanischen Frauen eine bedeutende Rolle gespielt, und sie hat sie zu wirkungsvollen Verkünderinnen des Evangeliums gemacht, als Ehefrauen, Mütter, Ordensfrauen, Arbeiterinnen, Bäuerinnen, Berufstätige. Sie verleiht ihnen unaufhörlich die Kraft, sich aufzuopfern, sich dem Schmerz zu beugen, standzuhalten und Hoffnung zu vermitteln, wenn das Leben am bedrohtesten ist, Auswege zu finden, wenn die begangenen Wege sich zu verschließen drohen, als aktive, freie und ermutigende Begleiterin der Gesellschaft.
Situation
In unserer Zeit sind Gesellschaft und Kirche in dem Bewusstsein der gleich- 105 berechtigten Würde von Frau und Mann gewachsen. Obwohl man diese Gleichheit theoretisch anerkennt, wird sie in der Praxis häufig ignoriert. Die neue Evangelisierung muss entschieden und aktiv für die Würde der Frau eintreten; dies bedeutet die Stärkung der Rolle der Frau in der Kirche und in der Gesellschaft.
- Heute werden verschiedene reduktionistische Ansichten über die Natur und die Aufgabe der Frau verbreitet. Man leugnet ihre spezifische weibliche Dimension, man setzt sie in ihrer Würde und in ihren Rechten zurück, man macht sie zu einem Lustobjekt, und ihr wird eine zweitrangige Rolle im sozialen Leben zugewiesen. Angesichts dessen weisen wir auf die Lehre des Evangeliums über die Würde und Berufung der Frau hin, und wir heben die besondere Rolle der Frau «als Mutter, Schützerin des Lebens und Erzieherin der Familie» hervor (DP 846).
106 In der Familie und im Weltgefüge gewinnt heute eine größere Solidarität zwischen Männern und Frauen an Boden, aber wir benötigen konkretere Schritte hin zu einer echten Gleichberechtigung und die Erkenntnis, dass beide Geschlechter sich in der Gegenseitigkeit verwirklichen.
Sowohl in der Familie als auch in den Kirchengemeinden und in den verschiedenen Organisationen eines Landes sind es die Frauen, die das Leben, den Glauben und die Werte am stärksten vermitteln, aufrechterhalten und fördern. Sie waren über Jahrhunderte der «Schutzengel der christlichen Seele dieses Kontinents» (vgl. Johannes Paul II., Predigt in Santo Domingo, 11.10.92, 9). Diese Ehrerbietung kontrastiert auf skandalöse Weise mit der häufig anzutreffenden Realität ihrer Diskriminierung, den Gefahren, denen ihre Würde ausgesetzt ist, der Gewalt, der sie oft zum Opfer fallen. Ihnen, die sie sich aufopfern und das Leben verteidigen, wird ein würdiges Leben verweigert. Die Kirche fühlt sich gerufen, auf der Seite des Lebens zu stehen und es in der Frau zu verteidigen.
'Pastorale Verpflichtungen:
107 Folgende Grundsätze für unser Handeln halten wir für wesentlich:
- Mutig die Stimme gegen die Angriffe auf die Frauen Lateinamerikas und der Karibik erheben, vor allem gegen die Angriffe auf die Bäuerinnen, Indianerinnen, Afroamerikanerinnen, Migrantinnen und Arbeiterinnen, auch die über die Massenmedien verbreiteten Angriffe gegen deren Würde. Die integrale Bildung fördern, damit ein wahres Bewusstsein für die Würde von Mann und Frau entsteht. Das wahre Wesen der Frau prophetisch verkünden und dabei das Licht und die Hoffnung dessen, was sie in der Fülle ihres Seins darstellt, aus dem Evangelium ableiten, ohne sie auf vergängliche kulturelle Ausdrucksformen zu reduzieren. Freiräume schaffen, damit die Frau ihre eigenen Werte entdecken, sie schätzen lernen und offen für Gesellschaft und Kirche einsetzen kann.
108 - Das Bewusstsein der Priester und Laien, die ein Amt innehaben, entwickeln, damit sie die Frau in der Kirchengemeinschaft und in der Gesellschaft akzeptieren und schätzen, nicht nur ob ihres Wirkens, sondern vor allem ob ihrer selbst. Eine kritische Einstellung gegenüber den Ansichten und Stereotypen fördern, die die Massenmedien über die Frau verbreiten. Im Lichte des Evangeliums Jesu Christi die Bewegungen kritisch beurteilen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven für die Frau einsetzen, um deren Werte zu stärken; dabei ist zu erhellen, was zwielichtig erscheint, und zu verurteilen, was gegen die Menschenwürde verstößt. Die Schriften lesen und voller Elan verkünden, was das Evangelium für die Frau bedeutet. Das Wort Gottes in einer Weise lesen lernen, die uns enthüllt, wie die Berufung der Frau zum Heilsplan beiträgt.
In Erziehung und Bildung neue Sprachen und Symbole entwickeln, die niemanden zu einem Objekt reduzieren, sondern den Wert jedes einzelnen als Person wieder zum Ausdruck bringen. In den Erziehungs- und Bildungsprogrammen Inhalte vermeiden, die die Frau diskriminieren und ihre Würde und Identität schmälern. Es ist wichtig, Programme über Liebe und Sexualerziehung aus christlicher Sicht durchzuführen und Wege zu suchen, auf denen zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Mann und Frau entstehen, die auf gegenseitigem Respekt und Achtung, auf der Anerkennung der Unterschiede, dem Dialog und der Gegenseitigkeit beruhen. Die Frauen müssen in allen Bereichen verantwortungsvoll in den Entscheidungsprozess einbezogen werden: in der Familie und in der Gesellschaft. Wir benötigen dringend Frauen in führenden Positionen. Die Beteiligung der Frau an Organisation und Belebung der neuen Evangelisierung in Lateinamerika und der Karibik muss gefördert werden. Es müssen Impulse für eine Pastoral gegeben werden, die die indigenen Frauen im sozialen, im erzieherischen und im politischen Bereich fördern.
110 - Alles öffentlich anklagen, was als Angriff auf das Leben die Würde der Frau beeinträchtigt, wie Abtreibung, Sterilisation, geburtenfeindliche Programme, Gewalt in sexuellen Beziehungen; Maßnahmen unterstützen, die den gefährdetsten Frauen ein würdiges Leben gewährleisten: Hausangestellte, Migrantinnen, Bäuerinnen, Indianerinnen, Afroamerikanerinnen, einfache und ausgenutzte Arbeiterinnen; die pastorale Betreuung der Frauen intensivieren und erneuern, die sich in schwierigen Situationen befinden: getrennt lebende und geschiedene Frauen, ledige Mütter, Mädchen und Frauen als Prostituierte infolge von Hunger, Betrug und Verlassenheit.
Die Heranwachsenden und die Jugendlichen
111 Jesus hat die Lebensabschnitte eines jeden Menschen durchlebt: Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter. Er offenbart sich als der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,5). Bei seiner Geburt war er ein armes Kind, das seinen Eltern unterworfen war, als Neugeborener wurde er verfolgt (vgl. Mt 2,13). Jesus selbst, Offenbarung des Vaters, der das Leben in Fülle will (vgl. Joh 10,10), gibt seinem Freund Lazarus (vgl. Joh 11), dem jungen Sohn der Witwe in Naim (vgl. Lk 7,7-17) und der jungen Tochter des Jairus (vgl. Mk 5,21-43) das Leben zurück. Heute ruft er weiterhin die jungen Leute auf, ihrem Leben einen Sinn zu geben.
Die Sendung der Heranwachsenden und Jugendlichen, die in Lateinamerika dem dritten christlichen Jahrtausend entgegengehen, besteht darin, sich vorzubereiten, um jene Männer und Frauen der Zukunft zu werden, die verantwortlich und aktiv in den sozialen, kulturellen und kirchlichen Strukturen mitarbeiten, damit sie, vom Geist Christi getragen, mit ihrer Phantasie echte Lösungen finden und dazu beitragen, eine wachsende menschliche und christliche Entwicklung voranzubringen (vgl. Johannes Paul H., Predigt in Higüey, 12.10.92, 4).
Die Situation '
112 Viele junge Leute sind Opfer von Verarmung und sozialer Abseitsstellung, von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Opfer einer Erziehung, die den Anforderungen ihres Lebens nicht gerecht wird, von Drogenhandel, Guerilla, Bandenunwesen, Prostitution, Alkoholismus, sexuellem Missbrauch, viele leben betäubt von der Propaganda der Medien und verwirrt von kulturellen Auflagen und dem unmittelbaren Pragmatismus, der neue Probleme für die emotionale Reifung der Heranwachsenden und Jugendlichen erzeugt hat. Andererseits stellen wir fest, dass es Heranwachsende und Jugendliche gibt, die auf den herrschenden Konsumismus, auf die Schwächen der Menschen und den Schmerz der Ärmsten empfindsam reagieren. Sie versuchen, sich in die Gesellschaft einzugliedern, wobei sie die Korruption verurteilen und wirklich demokratische Räume für Beteiligung schaffen. Immer mehr Menschen finden sich in Gruppen, Bewegungen und Kirchengemeinschaften zusammen, um zu beten und verschiedene Dienste missionarischer und apostolischer Art zu verrichten. Die Heranwachsenden und Jugendlichen sind mit lebenswichtigen Fragen belastet und stehen vor der Herausforderung, einen Plan für ihr persönliches Leben und das Leben in der Gemeinschaft zu entwickeln, der ihrem Leben einen Sinn gibt, und so die Verwirklichung ihrer Fähigkeiten zu erreichen; hier ergibt sich die Herausforderung einer organischen Pastoral, die die jungen Menschen auf ihren Wegen des Wachstums ihres Glaubens, der kirchlichen Arbeit und der Sorge um die notwendige Umwandlung der Gesellschaft begleitet.
113 In der Kirche Lateinamerikas bitten die in Gruppen organisierten jungen Katholiken die Hirten um geistliche Begleitung und Unterstützung bei ihren Aktivitäten, doch vor allem brauchen sie in jedem Land klare pastorale Grundlinien, die zu einer organischen Jugendpastoral beitragen.
Pastorale Verpflichtungen:
114 Wir nehmen uns vor, folgende pastorale Tätigkeiten auszuführen: Die in Puebla verkündete «vorrangige Option» für die Jugendlichen nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch tatsächlich zu erneuern; es muss eine konkrete Option für eine organische Jugendpastoral sein, mit der wirkliche Begleitung und Unterstützung innerhalb eines Dialogs zwischen Jugendlichen, Hirten und Gemeinden gewährt werden. Die wirksame Option für die Jugendlichen fordert höheren personellen und materiellen Einsatz seitens der Gemeinden und Diözesen. Diese Jugendpastoral muss stets eine Dimension der Berufung enthalten.
115 Um sie zu erfüllen, schlagen wir eine pastorale Tätigkeit vor,
- die den Bedürfnissen der emotionalen Reifung und der Notwendigkeit gerecht wird, die Heranwachsenden und Jugendlichen während des gesamten Prozesses der menschlichen Formung und des Wachstums des Glaubens zu begleiten. Dem Sakrament der Firmung soll dabei besondere Bedeutung zukommen, damit ihre Feier die Jugendlichen zur 'apostolischen Verpflichtung und dazu führt, Verkünder des Evangeliums gegenüber anderen Jugendlichen zu sein;
- die die Befähigung vermittelt, die kulturellen und sozialen Einflüsse, denen die jungen Menschen ausgesetzt sind, zu erkennen und kritisch mit ihnen umzugehen, und die ihnen hilft, sich für die Pastoral der Kirche und die notwendigen Veränderungen der Gesellschaft zu engagieren;
116 - die eine Spiritualität der Nachfolge Jesu dynamisiert, durch die die Begegnung des Glaubens mit dem Leben stattfindet, die Gerechtigkeit und Solidarität fördert und die ein hoffnungbringendes Projekt ermutigt, das eine neue Kultur des Lebens erzeugt;
117 - die die neuen Formen, mit denen der Glaube gefeiert wird und die aus der Kultur der jungen Menschen kommen, übernimmt, und die die Kreativität und Pädagogik der Zeichen fördert, wobei die grundlegenden Elemente der Liturgie stets zu respektieren sind;
118 - die in den übernommenen Verpflichtungen und im täglichen Leben verkündigt, dass der Gott des Lebens die jungen Menschen liebt und für sie eine andere Zukunft ohne Frustrationen und Abseitsstellung will, in der das Leben in Fülle ein Gut ist, zu dem alle Zugang haben;
119 - die den Heranwachsenden und Jugendlichen Räume für Beteiligung in der Kirche eröffnet. Der Erziehungsprozess soll über eine Pädagogik der Erfahrung, der Partizipation und der Transformation ablaufen. Dabei soll der Protagonismus durch die Methodik des Sehens, Beurteilens, Handeins, Überprüfens und Feierns gefördert werden. Diese Pädagogik muss das Wachstum des Glaubens in den Prozess des menschlichen Wachstums einbinden und dabei die verschiedenen Elemente, wie Sport, Feste, Musik und Theater berücksichtigen.
- Diese Pastoral muss allen organischen Prozessen von Puebla an bis heute, die gültig sind und von der Kirche ausgiebig analysiert wurden, Rechnung tragen und sie stärken. Sie wird sich insbesondere darum bemühen, der Jugendpastoral für bestimmte Kreise Bedeutung beizumessen, in denen Heranwachsende und Jugendliche leben: die Bauern, die indigene und afroamerikanische Bevölkerung, die Arbeiter, die Studenten, die Menschen in den Randgebieten der Städte, die Abseitsgestellten, die Soldaten und die jungen Menschen in kritischen Situationen.
- Die Kirche muss mit ihrem Wort und ihrem Zeugnis den Heranwachsenden und den Jugendlichen vor allem Jesus Christus auf attraktive und motivierende Weise nahebringen, so dass er für sie der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, der ihnen Antwort gibt auf ihre Bestrebungen nach persönlicher Verwirklichung und ihre Suche nach dem Sinn des Lebens.
120 - Als Erwiderung auf die derzeitige kulturelle Realität muss die Jugendpastoral die Ideale des Evangeliums kraftvoll, auf attraktive Weise und in solcher Form darstellen, dass sie dem Leben der jungen Menschen zugänglich sind. Sie muss die Schaffung und Ermutigung von starken, am Evangelium orientierten Jugendgruppen und -gemeinschaften unterstützen, die die Fortführung und Dauerhaftigkeit der Erziehungsprozesse der Heranwachsenden und Jugendlichen sicherstellen, und sie dafür sensibilisieren und dazu verpflichten, den Herausforderungen der Entwicklung des Menschen, der Solidarität und der Errichtung der Zivilisation der Liebe zu begegnen.
Allen Völkern das Reich Gottes verkünden
121 Christus offenbart uns den Vater und führt uns in das Mysterium des trinitarischen Lebens durch den Heiligen Geist ein. Alles führt durch Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Durch die Taufe empfangen wir die Gotteskindschaft, und indem wir alle zu Kindern Gottes werden, sind alle unsere Völker Lateinamerikas auch Brüder und Schwestern untereinander.
Wir sind in das Mysterium der trinitarischen Gemeinschaft eingeführt worden, weil Christus mit uns eins geworden ist, indem er sich zum Diener gemacht und alle menschlichen Eigenschaften angenommen hat, außer der Sünde, um den Menschen umzuwandeln, ihn mit Leben zu erfüllen und immer menschlicher und göttlicher zu machen. Auf diese Weise kehrt Christus auch heute in die Herzen unserer Völker ein. Er nimmt sie an und wandelt sie um. Indem er uns in sich aufnimmt, lehrt er uns sein Leben der Liebe, wie der Weinstock die Reben. Er flößt uns seinen Geist ein, der uns befähigt zu vergeben, Gott über alles und die Menschen, unabhängig von ihrer Rasse, Nationalität oder wirtschaftlichen Lage, zu lieben. Jesus Christus ist somit das Samenkorn für eine neue, versöhnte Menschheit.
122 In Lateinamerika leben viele Menschen in Armut, die häufig skandalöse Ausmaße annimmt. Wir sind jedoch selbst in Grenzsituationen dazu in der Lage, uns zu lieben, trotz unserer Verschiedenheiten in Einheit zu leben und der ganzen Welt unsere geläuterten Erfahrungen der Brüderlichkeit zu vermitteln.
123 Voll Freude bezeugen wir, dass wir in Jesus Christus die vollständige Befreiung für jeden von uns und für unsere Völker finden; die Befreiung von der Sünde, vom Tod und von der Knechtschaft durch Vergebung und Versöhnung.
Jesus Christus ruft uns in seiner Kirche zusammen, dem Sakrament der evangelisierenden Gemeinschaft. In ihr müssen wir die Einheit unserer Kirchen in der christlichen Liebe leben. Diese Gemeinschaft müssen wir der ganzen Welt durch das Wort, die Eucharistie und die anderen Sakramente vermitteln und verkünden. Die Kirche lebt, um das Evangelium zu verkünden; ihr Leben und ihre Berufung werden Wirklichkeit, wenn sie zum Zeugnis wird, wenn sie zur Umkehr bewegt und wenn sie Männer und Frauen zur Erlösung hinführt (vgl. EN 15). «Daher hat die Kirche seit dem Tag, da die Apostel den Heiligen Geist empfingen, die große Aufgabe der Evangelisierung begonnen» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 2).
124 Jesus Christus gibt uns das Leben, um es allen zu verkünden. Unser Auftrag ist es daher, in Verbundenheit mit unseren Völkern offen zu sein, damit wir dieses Leben in Fülle empfangen, um es den uns anvertrauten Kirchen umfassend zu verkünden - auch jenseits unserer Grenzen. Wir bitten um Vergebung für unsere Schwächen, und wir bitten den Herrn um Gnade, damit wir den uns erteilten Auftrag wirkungsvoller erfüllen können. Wir laden alle dazu ein, erneuert im Geiste, ebenfalls Jesus Christus zu verkünden und für alle unsere Brüder und Schwestern zu Überbringern des Lebens und der Hoffnung zu werden.
Die neue Evangelisierung muss imstande sein, einen neuen missionarischen Eifer in einer Kirche zu wecken, die immer tiefer in der «unvergänglichen Kraft und Macht des Pfingstgeheimnisses» wurzelt (vgl. EN 41).
Die Mission «ad gentes» umsetzen
125 Geboren aus der heilbringenden Liebe des Vaters ist die Sendung des Sohnes mit der Kraft des Heiligen Geistes (vgl. Lk 4,18) - der eigentliche Kern der Kirche (vgl. AG 2) und Hauptgegenstand dieser 4. Generalversammlung unser wichtigster Auftrag.
Johannes Paul II. hat uns in seiner Enzyklika zur Mission drei Wege zur Erfüllung dieses Auftrages aufgezeigt: die pastorale Betreuung in Situationen des lebendigen Glaubens, die neue Evangelisierung und die missionarische Tätigkeit «ad gentes» (RMi 33).
Wir erneuern diesen letztgenannten missionarischen Aspekt in dem Bewusstsein, dass es ohne eine Ausrichtung auf die nicht christliche Welt keine neue Evangelisierung geben kann, denn, so der Papst: «Die neue Evangelisierung der christlichen Völker findet Anregung und Halt im Einsatz für die sich weltweit betätigende Mission» (RMi 2).
Wir können mit Zufriedenheit feststellen, dass die Herausforderung der Mission ad gentes, die von Puebla ausging, aus unserer Armut hera'ls angenommen worden ist, indem wir den Reichtum unseres Glaubens teilen, mit dem uns der Herr gesegnet hat. Wir erkennen jedoch an, dass das missionarische Bewusstsein «ad gentes» immer noch unzureichend und schwach ist.
Die Lateinamerikanischen Missionsgemeinschaften (COMLAS), die nationalen Missionsgemeinschaften, die missionarischen Gruppen und Bewegungen sowie die Unterstützung durch Schwesterkirchen waren Anstöße zur Bewusstwerdung dieser Forderung aus dem Evangelium.
Pastorale Herausforderungen:
126 - Es wurde nicht genug Gewicht darauf gelegt, dass wir zu besseren Verkündern des Evangeliums werden.
- Wir haben uns so sehr auf unsere eigenen lokalen Probleme konzentriert, dass wir unsere apostolische Verpflichtung gegenüber der nicht-christlichen Welt vergessen haben.
- Unseren missionarischen Auftrag haben wir ganz einigen Brüdern und Schwestern übertragen, die ihn für uns erfüllen.
127 Dies ist darauf zurückzuführen, dass es in den meisten Seminaren und Ausbildungsstätten keine entsprechenden Programme zur missionarischen Ausbildung gibt.
Pastorale Grundlinien:
128 Wir fordern alle Teilkirchen des lateinamerikanischen Subkontinentes auf:
- in die allgemeine Pastoral die Förderung der missionarischen Tätigkeit aufzunehmen; sie soll auf die Unterstützung eines Diözesan-Missionszentrums zurückgreifen können, das von einer Gruppe von Missionaren geführt wird und in dem ein lebendiger Geist kreativen und großzügigen missionarischen Wirkens herrscht;
- eine positive Beziehung zu den Päpstlichen Missionswerken aufzubauen, die einen leistungsfähigen Verantwortlichen haben und auf die Unterstützung der Teilkirche rechnen können müssen;
- die missionarische Zusammenarbeit des ganzen Volkes Gottes zu fördern. Sie soll ihren Ausdruck finden im Gebet, in der Opferbereitschaft, im Zeugnis des christlichen Lebens und in wirtschaftlicher Unterstützung;
- in die Aus- und Fortbildungsprogramme für Priester und Ordensleute spezielle Missionslehrgänge zu integrieren und die Priesteramtskandidaten in die Bedeutung der Inkulturation des Evangeliums einzuweisen;
- einheimische Pastoralträger mit missionarischem Geist nach den Grundlinien auszubilden, die in der Enzyklika Redemptoris Missio. aufgezeigt sind;
- mutig Missionare zu entsenden, sowohl Priester als auch Ordensleute und Laien; das entsprechende Personal und die Materialien zu koordinieren, die die Ausbildung, Entsendung, Begleitung und Wiedereingliederung der Missionare fördern.
Den Glauben der Getauften, die sich vom Glauben entfernt haben, mit neuem Leben füllen
129 Unser Gott ist der barmherzige Vater. Er respektiert die Freiheit seiner Söhne und Töchter und wartet auf die Zeit der Umkehr; er macht sich auf die Suche nach jenen, die sich von seinem Hause entfernt haben (vgl. Lk 15).
Pastorale Herausforderungen:
130 In Lateinamerika und in der Karibik richten viele Getaufte ihr Leben nicht nach dem Evangelium aus.
Viele von ihnen entfernen sich von der Kirche und identifizieren sich nicht mit ihr. Darunter sind, wenn auch nicht ausschließlich, viele junge Leute und Menschen, die der Kirche besonders kritisch gegenüberstehen. Andere wiederum lösen sich aus ihrer religiösen Verwurzelung, wenn sie aus ihren angestammten Gebieten auswandern.
Pastorale Grundlinien:
131 Als Hirten der Kirche beobachten wir dies mit großer Sorge. Gleichzeitig schmerzt es uns zu sehen, wie viele unserer Gläubigen nicht dazu in der Lage sind, anderen die Freude ihres Glaubens zu vermitteln. Jesus Christus fordert uns auf, das «Salz der Erde» und der Sauerteig zu sein. Daher müssen die Kirche, die Hirten und die Gläubigen, ohne die Betreuung der eigenen Gemeinden zu vernachlässigen, jenen entgegengehen, die fern von ihnen sind. Viele dieser fernen Brüder und Schwestern warten darauf, dass der Herr an ihre Tür klopft (vgl. Offb 3,20) durch Christen, die in der Missionsarbeit ihre Taufe und Firmung leben und sich auf den Weg machen zu denen, die sich vom Hause des Vaters entfernt haben. Deshalb empfehlen wir folgendes:
- Einen neuen missionarischen Impuls geben, der darauf ausgerichtet ist, diese Gläubigen anzusprechen. Die Kirche darf sich nicht mit jenen zufrieden geben, die sie bereits anerkennen und ihr leichter folgen.
- Ihnen lebendig und voll Freude das Kerygma predigen.
- Missionskampagnen organisieren, die die allzeit aktuelle Frohbotschaft Jesu Christi verbreiten. Hier sind Hausbesuche und Volksmissionen hervorzuheben.
- Die Ereignisse nutzen, bei denen die Getauften mit der Kirche in Berührung kommen, wie die Taufe ihrer Kinder, Erstkommunion, Firmung, Krankheit, Eheschließung, Exequien, um ihnen die allzeit aktuelle Frohbotschaft Jesu Christi zu verkünden.
- Eine Nähe zu jenen, die nicht direkt erreicht werden können, über die Medien suchen.
- Die kirchlichen Gemeinden und Bewegungen motivieren und ermutigen, ihre Verkündigungstätigkeit im Rahmen der pastoralen Orientierung der Ortskirche zu verdoppeln.
Alle Brüder und Schwestern in Christus vereinen
132 «Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.» (Joh 17,21). Diese Bitte Jesu liegt der Klage des II. Vatikanischen Konzils zugrunde, als es auf den Skandal der Spaltung der Christen hinweist (vgl. UR 1) und uns auffordert, die wirksamsten Wege ausfindig zu machen, auf denen die Einheit in Wahrheit zu erreichen ist.
Pastorale Herausforderungen:
133 - Die große Herausforderung, der wir uns gegenüber sehen, ist diese Spaltung zwischen den Christen, die sich im Laufe der Geschichte aus unterschiedlichen Gründen immer weiter vertieft hat.
- Die Verwirrung über diese Thematik als Ergebnis einer mangelhaften religiösen Bildung und infolge anderer Faktoren.
- Der proselytische Fundamentalismus christlicher Sekten, die den richtigen Weg der Ökumene behindern.
134 In ähnlicher Lage wie die geteilten Christen können wir das ganze jüdische Volk sehen. Auch hier ist der Dialog eine Herausforderung für unsere Kirche.
Pastorale Grundlinien:
135 Deshalb sagen auch wir zusammen mit Papst Johannes Paul II.: «Die Ökumene ist eine Priorität in der Pastoral der Kirche unserer heutigen Zeit.» Um auf diese Herausforderung eine angemessene Antwort zu geben, empfehlen wir folgendes:
- Den ökumenischen Geist und die ökumenische Arbeit in der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der christlichen Liebe stärken.
- Als Anknüpfungspunkte die Übereinstimmung und den Dialog mit den Kirchen vertiefen, die mit uns das nizäno-konstantinopolÜanische Glaubensbekenntnis beten und mit uns die Sakramente und die Verehrung der Heiligen Gottesmutter Maria gemeinsam haben, wenngleich sie nicht das Primat des Römischen Pontifex anerkennen.
- Den ökumenischen theologischen Dialog intensivieren.
- Das gemeinschaftliche Gebet für die Einheit der Christen fördern, insbesondere die Woche des Gebets für die Einheit der Gläubigen.
- Die ökumenische Formung in den Ausbildungskursen der Pastoralträger besonders in den Priesterseminaren verbessern.
- Unter den Theologen und Studierenden der Kirche und der christlichen Religionsgemeinschaften das Bibelstudium fördern.
- Programme und Initiativen der Zusammenarbeit auf sozialem Gebiet aufrechterhalten und ausbauen und gemeinsame Werte fördern.
- Die Sektion des CELAM für Ökumene (SECUM) unterstützen und mit ihren Initiativen zusammenarbeiten.
Den Dialog mit den nicht-christlichen Religionen aufnehmen '
136 «In einem über die Jahrhunderte währenden Dialog hat Gott der Menschheit die Erlösung angeboten und bietet sie ihr weiter an. Um diesem göttlichen Angebot treu zu sein, muss die Kirche mit allen Menschen in den Heilsdialog eintreten» (Didlogo y Anuncio - Dialog und Verkündigung -,38). Die Kirche fördert diesen Dialog und ist sich bewusst, dass er für den Respekt gegenüber der Person und der Identität des Gesprächspartners Zeugnischarakter hat (vgl. DP 1114).
Pastorale Herausforderungen:
137 - Die Bedeutung der Vertiefung des Dialogs mit den nicht-christlichen Religionen auf unserem Subkontinent, besonders mit den indigenen und afroamerikanischen Religionen, die lange Zeit ignoriert oder an den Rand gedrängt wurden.
- Vorurteile und Unverständnis als Hindernis für den Dialog.
Pastorale Grundlinien:
138 Zur Intensivierung des interreligiösen Dialogs halten wir folgende Punkte für wesentlich:
Einen Einstellungswandel unsererseits bewirken und Vorurteile aus der Vergangenheit hinter uns lassen, um ein Klima des Vertrauens und der Nähe zu schaffen.
Den Dialog mit Juden und Muslimen fördern, trotz der Schwierigkeiten, mit denen sich die Kirche in den Ländern auseinandersetzen muss, in denen die Mehrheit diesen Religionen angehört.
Bei den Pastoralträgern die Kenntnisse über das Judentum und den Islam vertiefen.
Bei den Pastoralträgern die Kenntnisse über andere Religionen und Religionsformen Lateinamerikas erweitern.
Maßnahmen für den Frieden und die Förderung und Verteidigung der Menschenwürde sowie die Zusammenarbeit zum Schutze der Schöpfung und des ökologischen Gleichgewichts als Form der Begegnung mit anderen Religionen anstreben.
Möglichkeiten zum Dialog mit den afroamerikanischen Religionen und den Religionen der indigenen Völker suchen; aufmerksam darin die «Samenkörner des Wortes» entdecken, mit wahrhaft christlichem Urteilsvermögen, und den Angehörigen dieser Religionen die integrale Verkündigung des Evangeliums anbieten, unter Vermeidung jeglicher Form von religiösem Synkretismus.
Die fundamentalistischen Sekten
139 Das Problem der Sekten hat dramatische Ausmaße angenommen und ist inzwischen wirklich besorgniserregend, besonders wegen des zunehmenden Proselytismus.
140 Die fundamentalistischen Sekten sind religiöse Gruppierungen, die allen Nachdruck darauf legen, dass allein der Glaube an Jesus Christus die Erlösung bringt und dass die einzige Grundlage für den Glauben die Heilige Schrift ist, und zwar in einer sehr persönlichen und fundamentalistischen Auslegung und daher unter Ausschluss der Kirche. Außerdem gehen sie fest davon aus, dass das Ende der Welt und somit das Jüngste Gericht kurz bevorsteht.
Diese Sekten zeichnen sich durch ihren Bekehrungseifer mit ständigen Hausbesuchen und die weite Verbreitung von Bibeln, Zeitschriften und Büchern aus. Sie sind in schwierigen Momenten einzelner Personen oder ganzer Familien zur Stelle und leisten aus opportunistischen Beweggründen Hilfe. Sie verfügen über große technische Möglichkeiten im Einsatz der Massenmedien und erhalten enorme finanzielle Unterstützung aus dem Ausland und aus den Abgaben, die ihre Anhänger verpflichtet sind zu zahlen.
Charakteristisch für diese Sekten ist ein rigoroser Moralismus, Gebetsversammlungen mit partizipativem und emotionalem Kult, den sie auf der Bibel gründen, ihre Aggressivität gegenüber der Kirche und Verleumdung und Bestechung, derer sie sich häufig bedienen. Obwohl ihre Verbindung zum Zeitlichen schwach ist, sind sie auf eine politische Beteiligung aus mit dem Ziel der Machtübernahme.
Von Puebla bis heute hat die Verbreitung der fundamentalistischen religiösen Sekten in Lateinamerika erheblich zugenommen.
Pastorale Herausforderungen:
141 Eine wirkungsvolle pastorale Antwort auf die zunehmende Verbreitung der Sekten geben und die evangelisierende Tätigkeit der Kirche in den empfindlichsten Bereichen verstärken, wie z.B. Migranten, Bevölkerungsteile ohne priesterliche Betreuung, Gruppen, bei denen große religiöse Ignoranz herrscht, einfache Menschen oder Menschen in materiellen oder familiären Schwierigkeiten.
Pastorale Grundlinien:
- Die Kirche muss Gemeinschaft und Mitbeteiligung immer stärker betonen 142 und Kirchengemeinschaften, Familiengruppen und Bibelkreise, kirchliche Bewegungen und Vereinigungen gründen. Sie muss aus der Pfarrei eine aus Gemeinschaften bestehende Gemeinde machen.
- Bei den Katholiken das persönliche Anhangen an Christus und die Kirche durch die Verkündigung des auferstandenen Herrn anspornen.
- Eine Katechese entwickeln, die dem Volk den richtigen Weg zeigt, indem das Mysterium der Kirche, das Sakrament der Erlösung und der Kommunion, die Jungfrau Maria und die Heiligen als Mittler und der Auftrag der Hierarchie erklärt werden.
- Die Ämter in einer Kirche unterstützen, in der mehr Menschen zu Priestern geweiht und Laienämter mit angemessenen Ausbildungen gefördert werden, um den Dienst der Evangelisierung in allen Teilen des Volkes Gottes anzuspornen.
143 - Die Identität der Kirche stärken und ihre charakteristischen Eigenschaften pflegen, wie:
a) Die Verehrung des Mysteriums der Eucharistie, des Opfers und österlichen Mahls.
b) Die Verehrung der Heiligen Jungfrau Maria, der Mutter Christi und der Mutter der Kirche.
c) Die Gemeinschaft mit dem Römischen Pontifex und dem eigenen Bischof und der Gehorsam ihnen gegenüber.
144 d) Die Verehrung des Wortes Gottes, das in der Kirche verlesen wird. - Danach streben, dass in allen Pastoralplänen die Dimension der Kontemplation und der Heiligkeit Priorität hat, damit die Kirche Gott dem Menschen von heute vergegenwärtigen kann, der so nach ihm dürstet.
145 - Bedingungen schaffen, damit alle Diener des Volkes Gottes Zeugnis des Lebens und der christlichen Liebe, des Geistes des Dienens und der Aufnahmebereitschaft, besonders in Momenten des Schmerzes und der Krise ablegen.
- Eine lebendige Liturgie fördern, die auf Mitbeteiligung und Lebensbezug angelegt ist.
146 - Das Volk mit Gelassenheit und Objektivität umfassend über die Merkmale und Unterschiede zwischen den einzelnen Sekten und über die Antworten auf die ungerechtfertigten Angriffe gegen die Kirche informieren.
- Hausbesuche durch geschulte Laien fördern und eine Pastoral der Umkehr organisieren, um die Katholiken, die zur Kirche zurückkehren, wieder aufzunehmen.
Neue religiöse Bewegungen oder freie religiöse Bewegungen
147 Phänomenologisch betrachtet handelt es sich um soziokulturelle Erscheinungen, die von bestimmten Randgruppen sowie von Teilen der Mittelschicht und der einflußreichen Schichten in Lateinamerika ins Leben gerufen wurden. Diesen Erscheinungen gelingt es in der Regel durch synkretistische Religionsformen, ihrer Identität und ihren menschlichen Sehnsüchten Ausdruck zu verleihen. Vom Blickwinkel des katholischen Glaubens aus können diese Phänomene als Zeichen der Zeit beurteilt werden und als Hinweis darauf, dass es menschliche Bereiche gibt, in denen die Kirche nicht gegenwärtig ist und in denen sie in ihrer evangelisierenden Tätigkeit umdenken muss.
Es müssen verschiedene Strömungen oder Phänomene unterschieden werden:
- Para-christliche oder semi-christliche Formen, wie die Zeugen Jehovas und die Mormonen. Jede dieser Bewegungen hat ihre eigene Prägung, aber gemeinsame Merkmale beider sind Proselytismus, Chiliasmus und unternehmerische Organisationsstrukturen.
- Esoterische Formen, die eine bestimmte Erleuchtung suchen und geheime Kenntnisse sowie einen religiösen Okkultismus teilen. Dies ist der Fall bei spiritistischen Strömungen, Rosenkreuzern, Gnostikern, Theosophen etc.
- Philosophien und Kultformen orientalischer Färbung, die sich schnell an unseren Subkontinent angepaßt haben, wie Hare-Krishna, Luz Divina (Göttliches Licht), Ananda Marga und andere, die sich durch Mystizismus und Gemeinschaftserfahrungen auszeichnen.
- Gruppen, die sich von den großen asiatischen Religionen ableiten, sei es vom Buddhismus (Seicho no ie etc.), vom Hinduismus (Yoga etc.) oder vom Islam (Baha'i). Sie sind nicht nur bei Einwanderern aus Asien verbreitet, sondern sie fassen auch in einzelnen Bereichen unserer Gesellschaft Fuß.
- Sozioreligiöse Unternehmungen, wie die Moon-Sekte oder die «Nueva Acrópolis» (Neue Akropolis), die neben ihren religiösen Ausdrucksformen sehr genaue ideologische und politische Ziele haben, die durch Massenmedien und Proselytenkampagnen miteinander verbunden werden. Sie erhalten Unterstützung und Inspiration aus den Industrieländern und propagieren auf religiöser Ebene die sofortige Bekehrung und die Erlösung. Besonders hervorzuheben sind die sogenannten «elektronischen Kirchen».
- Zahlreiche Zentren zur «Göttlichen Heilung» oder zur Behandlung von geistigen und körperlichen Beschwerden von Problemfällen und armen Menschen. Diese therapeutischen Kulte versorgen ihre Kunden in individueller Form.
148 Angesichts der Vielfalt der neuen religiösen Bewegungen, die sehr unterschiedliche Ausdrucksformen aufweisen, wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Ursachen ihrer schnellen Verbreitung (vgl. DP 1122) und auf die pastoralen Herausforderungen richten, die sie uns stellen.
149 Es gibt viele verschiedene Gründe für das Interesse, das sie bei manchen Menschen hervorrufen. Darunter wollen wir folgende Aspekte nennen:
- Die andauernde und fortschreitende soziale Krise, die eine gewisse kollektive Angst, den Verlust der Identität und die Entwurzelung der Person begünstigt.
- Die Fähigkeit dieser Bewegungen, sich den sozialen Umständen anzupassen und einige Bedürfnisse der Bevölkerung kurzfristig zu befriedigen. Dabei spielt die Lust am Neuen ebenfalls eine gewisse Rolle.
- Die Distanzierung der Kirche von - einfachen oder vermögenden - Bevölkerungsschichten, die neue religiöse Ausdrucksformen suchen. Hier kann eine Flucht vor den Glaubenspflichten nicht ausgeschlossen werden.
- Die Geschicklichkeit, mit der diese Bewegungen Menschen mit Kummer und Sorgen die scheinbare Erfüllung ihres Wunsches nach «Heilung» anbieten.
Pastorale Herausforderungen:
150 - Unsere größte Herausforderung besteht in der Auswertung des Werkes der Evangelisierung der Kirche und somit in der Ermittlung, welche Kreise von der Evangelisierung angesprochen werden und welche nicht.
- Wie kann auf die Fragen, die sich die Menschen nach dem Sinn des Lebens und nach dem Sinn ihrer Beziehung zu Gott stellen, inmitten der andauernden und fortschreitenden sozialen Krise eine passende Antwort gegeben werden?
- Bessere Kenntnisse über die Identitäten und Kulturen unserer Völker erwerben.
Pastorale Grundlinien:
151 Angesichts dieser Herausforderungen schlagen wir folgende pastorale Grundlinien vor:
- In der Auseinandersetzung mit den Problemen des Lebens Hilfen im Lichte des Glaubens anbieten. In diesem Zusammenhang müssen das Sakrament der Buße und die spirituelle Orientierung wieder einen neuen Stellenwert erhalten.
- Es muss versucht werden, unsere Evangelisierung und Glaubensfeiern an die Kulturen und subjektiven Bedürfnisse der Gläubigen anzupassen, ohne das Evangelium zu verfälschen.
- Unsere pastorale Arbeit einer tiefgehenden Prüfung unterziehen, um die Qualität unserer Mittel und unseres Zeugnisses zu verbessern.
- Mit den verschiedenen religiösen Bewegungen, entsprechend ihren jeweiligen Eigenheiten und Haltungen gegenüber der Kirche, differenziert umgehen.
152 Eine lebendige Liturgie fördern, in der die Gläubigen in das Mysterium eingeführt werden.
- Eine christliche Anthropologie vermitteln, die die Bedeutung der menschlichen Potentialität, den Sinn der Auferstehung und den Sinn der Verbindungen mit dem Universum (im Gegensatz zum Unsinn der Horoskope) aufzeigt. Es darf nicht vergessen werden, dass der Indifferentismus durch eine angemessene Vermittlung des letzten Sinns des Menschen bekämpft werden muss. Dazu ist die Darstellung der vier letzten Dinge sehr hilfreich.
Die Gottlosen und die Gleichgültigen aufrufen
153 Das Phänomen der Ungläubigkeit wächst heute in Lateinamerika und in der Karibik und beschäftigt die Kirche vor allem wegen der Menschen, die leben, als wären sie nicht getauft worden (vgl. EN 56).
Eine Form der Ungläubigkeit ist der «Säkularismus», der Gott verneint, weil er davon ausgeht, dass alle Realitäten aus sich selbst heraus zu erklären sind, ohne Gott in Anspruch nehmen zu müssen, oder weil Gott als Feind betrachtet wird, der den Menschen entfremdet. Diese säkularistische Einstellung ist zu unterscheiden von dem Prozess der sogenannten «Säkularisierung», der zufolge zu Recht behauptet wird, dass die materiellen Realitäten der Natur und des Menschen an sich «gut» sind und ihre Gesetze respektiert werden müssen und dass die Freiheit der Selbstverwirklichung des Menschen dient und von Gott respektiert wird (vgl. GS 36).
Die andere Form ist der «Indifferentismus» derer, die entweder jegliche Religion ablehnen, weil sie sie für unnütz oder schädlich für den Menschen halten und sich daher nicht dafür interessieren, oder die der Auffassung sind, dass alle Religionen gleichwertig sind und dass sich aus diesem Grunde keine als einzig wahre darstellen kann.
Pastorale Herausforderungen:
154 - Der Säkularismus ist eine ernsthafte Herausforderung für die neue Evangelisierung, weil er Gott als unvereinbar mit der menschlichen Freiheit darstellt (vgl. Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 11) und die Religion als unmenschliches und entfremdendes Element, weil sie den Menschen von seinem irdischen Dasein entrückt. Da er die Abhängigkeit vom Schöpfer verneint, führt er zudem zu einer Vergötterung von Besitz, Macht und Genuss und zum Verlust des Sinns des Lebens, indem der Mensch auf einen rein materiellen Wert reduziert wird.
- Auch der Indifferentismus stellt für die neue Evangelisierung eine Herausforderung dar, weil er die Beziehung des Menschen zu Gott von Grund auf unterdrückt, das heißt, er leugnet jedes Interesse für die Religion und somit eine Verpflichtung aus dem Glauben, oder er reduziert Christus auf einen moralischen Lehrmeister oder den Stifter einer unter anderen gleichwertigen Religion. Damit spricht er ihm die Eigenschaft des einzigen, universalen und endgültigen Erlösers ab.
- Sowohl der Indifferentismus als auch der Säkularismus untergraben die Moral, denn sie entziehen dem menschlichen Verhalten seine ethische Grundlage und verfallen daher leicht in den Relativismus und den Permissivismus, die die Gesellschaft von heute kennzeichnen.
155 Viele pseudoreligiöse Bewegungen orientalischen Ursprungs und die Bewegungen des Okkultismus, der Wahrsagerei und des Spiritismus höhlen den Glauben aus und stiften geistige Verwirrung, indem sie falsche Antworten auf die großen Fragen des Menschen, nach seiner Bestimmung, seiner Freiheit und dem Sinn des Lebens präsentieren.
Pastorale Grundlinien:
156 Die neue Evangelisierung verlangt von uns:
- Einen Glauben ausbilden, der zum Leben wird; ihn mit der Verkündigung des Kerygmas bei den Menschen anregen, die in der entchristianisierten Welt leben (vgl. EN 51 und 52), und mit dem freudigen Zeugnis echter Glaubensgemeinschaften fördern, in denen unsere Laien die Bedeutung der Sakramente leben.
Ein solides moralisches Bewusstsein ausbilden, damit unsere Gläubigen lernen, in den komplexen Umständen des modernen Lebens die Stimme Gottes in moralischen Fragen richtig zu deuten und ein Bewusstsein für die Sünde im Sinne des Evangeliums zu entwickeln.
Die Christen dahin führen, dass sie Gott in der eigenen Person, in der Natur, in der ganzen Geschichte, in der Arbeit, in der Kultur, in allem Weltlichen sehen und die Harmonie entdecken, die nach dem Plan Gottes zwischen der Ordnung der Schöpfung und der der Erlösung bestehen muss. Einen Stil zur Feier der Liturgie entwickeln, der das Leben der Menschen in eine tiefe und respektvolle Erfahrung des unfassbaren göttlichen Mysteriums von unermeßlichem Reichtum einbettet.
Eine geeignete Pastoral zur Evangelisierung des Universitätsbereichs fördern, wo diejenigen ausgebildet werden, die die Kultur künftig entscheidend prägen.
Kapitel II: Die Förderung des Menschen
157 «Zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung - Entwicklung und Befreiung - bestehen in der Tat enge Verbindungen: Verbindungen anthropologischer Natur, denn der Mensch, dem die Frohbotschaft gilt, ist kein abstraktes Wesen, sondern sozialen und wirtschaftlichen Problemen unterworfen; Verbindungen theologischer Natur, da manja den Schöpfungsplan nicht vom Erlösungsplan trennen kann, der hineinreicht bis in die ganz konkreten Situationen des Unrechts, das es zu bekämpfen, und der Gerechtigkeit, die es wiederherzustellen gilt. Verbindungen schließlich jener ausgesprochen biblischen Ordnung, nämlich der der Liebe: Wie könnte man in der Tat das neue Gebot verkünden, ohne in der Gerechtigkeit und im wahren Frieden das echte Wachstum des Menschen zu fördern?» (EN 31).
Der eigentliche Sinn der Verpflichtung der Kirche zur Förderung des Menschen, der in ihrer Soziallehre wiederholt betont wird, liegt in der festen Überzeugung, dass «die wahre Einheit in der äußeren gesellschaftlichen Sphäre aus einer Einheit der Gesinnungen und Herzen erwächst, aus jenem Glauben und jener Liebe nämlich, auf denen im Heiligen Geist ihre unauflösliche Einheit beruht» (GS 42). «Mit der Botschaft des Evangeliums bietet die Kirche eine befreiende Kraft und fördert die Entwicklung, gerade weil sie zu einer Bekehrung von Herz und Sinn führt. Sie hilft, die Würde jeder Person zu erkennen, befähigt zur Solidarität, zum Engagement und zum Dienst an den Brüdern» (RMi 59), «wobei sie die transzendentale und geistliche Wirklichkeit im Auge behält, die auf das eschatologische Heil vorbereitet» (RMi 20). Indem sie dies tut, bietet die Kirche ihre besondere Teilhabe an der Entwicklung des Menschen an, die Pflicht aller ist.
158 Die Soziallehre der Kirche ist die Unterweisung in sozialen Themen durch das Lehramt; sie enthält Prinzipien, Kriterien und Orientierungen für das Handeln des Gläubigen bei der Aufgabe, die Welt gemäß dem Plan Gottes umzuwandeln. Die Unterweisung im sozialen Denken der Kirche «ist Teil des Verkündigungsauftrages» (SRS 41) und hat «die Bedeutung eines Instrumentes der Glaubensverkündigung» (CA 54), denn sie erleuchtet das konkrete Leben unseres Glaubens.
Die Förderung des Menschen, eine privilegierte Dimension der neuen Evangelisierung
159 Jesus befahl seinen Jüngern nach der Brotvermehrung, das Brot an die bedürftige Menge zu verteilen, so dass «alle aßen und satt wurden» (vgl. Mk 6,34-44). Er heilte die Kranken und «zog umher und tat Gutes» (Apg 10,38). Am Ende der Zeiten wird er in Liebe über uns richten (vgl. Mt 25).
Jesus ist der barmherzige Samariter (Lk 10,25-37), der die Liebe verkörpert und nicht nur mitfühlt, sondern auch wirksame Hilfe leistet. Seine Tat beruht auf der Würde eines jeden Menschen, deren Grundlage in Jesus Christus selbst als schöpferischem Wort (vgl. Joh 1,3), das Fleisch geworden ist (Joh 1,14), zu finden ist. In «Gaudium et Spes» heißt es: «Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam, der erste Mensch, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung» (GS 22).
Eine Würde, die durch die Verwundung durch die Sünde nicht verlorenging, sondern durch das Mitleid Gottes erhöht wurde, das sich im Herzen Jesu Christi offenbart (vgl. Mk 6, 34). Christliche Solidarität ist daher sicherlich Dienst an den Bedürftigen, doch vor allem bedeutet sie Treue gegenüber Gott. Dies ist die Grundlage für die enge Beziehung zwischen Evangelisierung und menschlicher Entfaltung (vgl. EN 31).
160 Unser Glaube an den Gott Jesu Christi und die Liebe zu den Brüdern muss in konkrete Werke umgesetzt werden. Die Nachfolge Christi bedeutet, sich dazu zu verpflichten, nach seiner Art zu leben. Diese Sorge um Einklang zwischen Glauben und Leben war in den christlichen Gemeinschaften immer gegenwärtig. Schon der Apostel Jakobus schrieb: «Meine Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen - was nützt das? So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat» (Jak 2,14-17.26).
161 Der fehlende Einklang zwischen dem Glauben, zu dem man sich bekennt, und dem täglichen Leben ist eine der zahlreichen Ursachen, die zu Armut in unseren Ländern führen, denn die Christen haben im Glauben nicht die notwendige Kraft finden können, um die Einstellungen und die Entscheidungen derjenigen zu durchdringen, die für die ideologische Führung und die Organisation des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenlebens unserer Völker verantwortlich sind. «Bei Völkern mit tief verwurzeltem christlichem Glauben sind Strukturen errichtet worden, die Ungerechtigkeit erzeugen» (DP 437).
162 Nach der Soziallehre der Kirche muss die Entwicklung des Menschen Mann und Frau von weniger menschlichen zu immer menschlicheren Bedingungen führen, bis sie zur vollen Erkenntnis Jesu Christi gelangen" (vgl. Populorum Progressio, 20-21). In ihrer Wurzel entdecken wir also, dass es sich um eine echte Hymne an das Leben handelt, an alles Leben, vom Ungeborenen bis zum Verlassenen.
163 Maria, die sich in der Notsituation auf der Hochzeit in Kana sorgt, ist Vorbild und Symbol der Kirche angesichts jeder Form von menschlicher Bedürftigkeit (vgl. Joh 2,3 ff.). Die Kirche wird genau wie Maria von Jesus mit der mütterlichen Sorge um die Menschheit, vor allem um die Leidenden (vgl. Joh 19,26-27), beauftragt.
Die neuen Zeichen der Zeit im Bereich der Entwicklung des Menschen
Die Menschenrechte
164 Die Gleichheit der Menschen in ihrer Würde, da sie als Abbild Gottes, ihm ähnlich, geschaffen wurden, festigt und vervollkommnet sich in Christus. Bereits die Menschwerdung, bei der das Wort unsere Gestalt annahm, vor allem aber die Erlösung am Kreuz zeigten den Wert eines jeden Menschen. Deshalb ist Christus, Gott und Mensch, die tiefste Quelle, die die Würde des Menschen und seiner Rechte garantiert. Jegliche Verletzung der Menschenrechte steht im Widerspruch zum Plan Gottes und ist Sünde.
165 Wenn die Kirche das Evangelium, die tiefe Wurzel der Menschenrechte, verkündet, maßt sie sich nicht eine ihrer Sendung fremde Aufgabe an, sondern sie befolgt ganz im Gegenteil die Weisung Jesu Christi, indem sie aus der Hilfe für die Bedürftigen eine grundlegende Forderung ihres Evangelisierungsauftrages macht. Nicht die Staaten verleihen diese Rechte; ihre Aufgabe ist es, sie zu schützen und zu entwickeln, denn sie stehen dem Menschen von Natur aus zu.
Pastorale Herausforderungen:
166 - Das Bewusstsein für die Menschenrechte ist seit Puebla beträchtlich gewachsen, und die Kirche hat in diesem Bereich Bedeutendes geleistet.
Doch gleichzeitig ist das Problem der Verletzung einiger Rechte größer geworden, angewachsen durch ungünstige soziale und politische Bedingungen. Ebenso verlor der Begriff der Menschenrechte selbst durch ideologisierte Interpretationen und durch Manipulation bestimmter Gruppen seine Kontur, und juristische Mechanismen und die Beteiligung der Bürger werden immer notwendiger.
167 - Die Menschenrechte werden nicht nur durch Terrorismus, Unterdrückung und Mord verletzt, sondern auch durch Lebensbedingungen in äußerster Armut und ungerechte wirtschaftliche Strukturen, die große Ungleichheit hervorrufen. Politische Intoleranz und Gleichgültigkeit gegenüber der allgemeinen Verarmung sind Zeichen einer Missachtung des menschlichen Lebens, die wir nicht schweigend übergehen dürfen.
- Besonders zu verurteilen sind die Verletzungen der Rechte der Kinder, der Frauen und der ärmsten Gruppen der Gesellschaft: der Bauern, der Indfgenas und der Afroamerikaner. Ebenso anzuklagen ist das Geschäft mit den Drogen.
Pastorale Grundlinien:
168 - Aus dem Evangelium und der Soziallehre der Kirche heraus die Menschenrechte durch Wort, Tat und durch Zusammenarbeit wirksamer und mutiger fördern und sich für die Verteidigung der individuellen und sozialen Rechte des Menschen, der Völker, der Kulturen und derjenigen am Rande der Gesellschaft sowie der Ungeschützten und der Gefangenen einsetzen.
- Sich der Verteidigung des Lebens vom Augenblick der Empfängnis bis zum letzten Atemzug verpflichten.
- In Organisationen, die sich dem Dialog und der Vermittlung widmen, und in Institutionen, die die verschiedenen Gruppen von Opfern unterstützen, kritisch mitarbeiten, vorausgesetzt, diese sind aufrichtig und bedienen sich nicht Ideologien, die mit der Soziallehre der Kirche unvereinbar sind.
- Sich im Lichte der Werte des Evangeliums entschieden für die Überwindung jeder ungerechten Diskriminierung aufgrund von Rasse, Nationalität, Kultur, Geschlecht oder Glauben einsetzen und dabei versuchen, Haß, Feindseligkeit und den Geist der Rache auszuräumen sowie Versöhnung und Gerechtigkeit fördern.
Die Ökologie
169 Die Schöpfung ist Werk des Wortes Gottes und der Gegenwart des Geistes, der von Anbeginn über allem schwebte, was geschaffen wurde (vgl. Gen 1-2). Das war das erste Bündnis Gottes mit uns. Wenn der Mensch, der berufen ist, diesem Bündnis der Liebe beizutreten, sich verweigert, beeinträchtigt die Sünde des Menschen seine Beziehung zu Gott und auch zu der gesamten Schöpfung.
Pastorale Herausforderungen:
- Durch die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurde die Welt auf den Ernst der ökologischen Krise aufmerksam gemacht.
- Die Großstädte Lateinamerikas und der Karibik sind in ihren heruntergekommenen Zentren und vor allem in den Elendsvierteln krank. Auf dem Lande werden die indigene Bevölkerung und die Bauern ihres Landes beraubt oder in weniger produktive Gebiete verdrängt, und die Wälder Amazoniens und anderer Teile des Kontinents werden weiterhin abgeholzt und niedergebrannt. Angesichts dieser Krise wird seit einiger Zeit eine auf Dauer tragbare Entwicklung als Ausweg vorgeschlagen, die versuchen soll, den Bedürfnissen und Wünschen der Gegenwart Rechnung zu tragen, ohne die Möglichkeiten, ihnen auch in Zukunft gerecht zu werden, aufs Spiel zu setzen. So will man Wirtschaftswachstum und ökologische Grenzen in Einklang bringen.
Angesichts dieses Vorhabens müssen wir uns fragen, ob all diese ehrgeizigen Wünsche berechtigt sind, wer die Kosten für diese Entwicklung trägt und auch, wer den Nutzen daraus zieht. Es darf keine Entwicklung sein, die Minderheiten zum Nachteil der großen verarmten Mehrheit der Welt bevorzugt. - Die Vorschläge für eine Entwicklung müssen ethischen Kriterien untergeordnet werden. Eine ökologische Ethik beinhaltet das Aufgeben einer utilitaristischen und individualistischen Moral. Sie fordert die Annahme des Prinzips der universellen Bestimmung der Güter der Schöpfung und die Förderung der Gerechtigkeit und Solidarität als unerlässliche Werte.
Pastorale Grundlinien:
- Als Mitglieder der Gesellschaft sind die Christen nicht der Verantwortung für die Entwicklungsmodelle enthoben, die die gegenwärtige katastrophale Situation in Umwelt und Gesellschaft herbeigeführt haben.
- Angefangen mit der Erziehung von Kindern und jungen Leuten allen Menschen den Wert des Lebens und die Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Ökosystemen nahebringen.
- Eine Spiritualität ausbilden, mit der das Bewusstsein für Gott wiedererlangt wird, der in der Natur immer gegenwärtig ist. Die neue Beziehung klar zum Ausdruck bringen, die durch das Geheimnis der Menschwerdung entstanden ist, durch die Christus die ganze Schöpfung angenommen hat. - Den Wert der aufgrund der ökologischen Krise entstandenen neuen Plattform für den Dialog betonen und Reichtum und Verschwendung in Frage stellen.
- Von den Armen lernen, genügsam zu leben, und die Weisheit der indigenen Völker in Bezug auf die Erhaltung der Natur als Lebensraum für alle zu teilen und zu schätzen.
170 - Die Botschaften des Heiligen Vaters anlässlich des Weltfriedenstages vertiefen, vor allem im Bereich «Ökologie des Menschen».
- Die Christen dazu bewegen, über die Kanäle der katholischen Kirche und anderer ökologischer und ökumenischer Bewegungen den Dialog mit dem Norden aufzunehmen.
- Der heilige Franz von Assisi kann mit seiner Liebe zu den Armen und zur Natur Anregungen geben für diesen Weg der Versöhnung mit der Schöpfung und aller Menschen untereinander, den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens.
Die Erde: eine Gabe Gottes
171 Die Christen sehen das Universum nicht als Natur, die einen Wert an sich hat, sondern als Schöpfung und erste Gabe der Liebe des Herrn zu uns.
«Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner» (Ps 24,1) ist die Bekräftigung des Glaubens, die sich durch die gesamte Bibel zieht und den Glauben unserer Völker bestätigt, dass die Erde das erste Zeichen für das Bündnis Gottes mit dem Menschen ist. Die biblische Offenbarung lehrt uns ja auch, dass Gott, als er den Menschen erschuf, ihn in den Garten von Eden setzte, damit er ihn bebaue und hüte (vgl. Gen 2,15) und Gebrauch von ihm mache (vgl. Gen 2,16), wobei er ihm Grenzen setzte (vgl. Gen 2,17), die den Menschen immer daran erinnern werden, dass «Gott der Herr und Schöpfer ist und ihm die Erde und was sie erfüllt, gehört» und er von ihr Gebrauch machen kann, jedoch nicht als unumschränkter Besitzer, sondern als Verwalter.
Diese Grenzen bei der Nutzung der Erde sollen die Gerechtigkeit und das Recht aller auf Zugang zu den Gütern der Schöpfung wahren, die Gott für jeden Menschen bestimmt hat, der auf diese Welt kommt.
172 Auf unserem Kontinent müssen zwei entgegengesetzte Einstellungen zur Erde in Betracht gezogen werden, die sich beide von der christlichen Sicht unterscheiden:
a) Unter allen Elementen, die die indigene Gemeinschaft ausmachen, ist die Erde das Leben, der geheiligte Ort, der integrative Mittelpunkt des Lebens der Gemeinschaft. Auf ihr und mit ihr zusammen leben sie, über sie empfinden sie die Gemeinschaft mit ihren Vorfahren und fühlen sich in Harmonie mit Gott, und aus diesem Grunde bildet die Erde, ihre Erde, einen grundlegenden Bestandteil ihrer religiösen Erfahrung und ihrer eigenen Geschichte. In der indigenen Bevölkerung gibt es einen natürlichen Respekt vor der Erde: sie ist die Mutter Erde, die ihre Kinder ernährt, deshalb muss man sie pflegen und für das Säen um Erlaubnis bitten und darf sie nicht schlecht behandeln.
b) Aus merkantilistischer Sicht dient die Erde ausschließlich dem Zweck der Ausbeutung und des Profits, bis hin zu Enteignung und Vertreibung der rechtmäßigen Besitzer.
Der Merkantilismus führt auch zu Bodenspekulationen in den Städten, wodurch der Wohnraum für die Armen, die in unseren Großstädten immer zahlreicher werden, unerschwinglich wird.
Daneben dürfen wir aber auch die Situation der Bauern nicht außer acht lassen, die mit traditionellen Methoden ihr Land bebauen und damit für den Unterhalt ihrer Familie sorgen.
173 Die christliche Sicht findet ihre Grundlage in der Heiligen Schrift, die die Erde und die Naturkräfte vor allem als Verbündete des Volkes Gottes und Instrumente unserer Rettung betrachtet. Die Auferstehung Jesu Christi versetzt die Menschheit in eine neue Lage angesichts des Auftrags, die ganze Schöpfung zu befreien, die in einen neuen Himmel und eine neue Erde verwandelt werden soll, in denen die Gerechtigkeit wohnt (vgl. 2 Petr 3,13).
Pastorale Herausforderungen:
174 - Die problematische Situation des Landbesitzes in Lateinamerika und der Karibik stellt eine Herausforderung für uns dar, denn «fünf Jahrhunderte der Gegenwart des Evangeliums ... haben noch nicht zu einer gleichmäßigen Verteilung der Güter der Erde geführt», die «leider immer noch in Händen einer Minderheit ist» (Johannes Paul II., Botschaft zur Fastenzeit, 1992). Die Ureinwohner wurden zumeist ihres Landes beraubt, und die Afroamerikaner hatten aufgrund der Gesetzgebung Schwierigkeiten, Zugang zum Landbesitz zu erlangen. Heute leiden die Bauern unter der in den Institutionen herrschenden Verwirrung und unter den Folgen der Wirtschaftskrisen.
- In den letzten Jahren war diese Krise verstärkt dort zu spüren, wo die Modernisierung unserer Gesellschaften zu einer Ausweitung des internationalen Handels mit landwirtschaftlichen Produkten, zu wachsender Integration der Länder, zu verstärktem Gebrauch von Technologien und zu transnationaler Präsenz geführt hat. Nicht selten begünstigt dies die starken Bereiche der Wirtschaft auf Kosten der kleinen Produzenten und Arbeiter.
175 - Aus der Situation von Landbesitz, -verwaltung und -nutzung in Lateinamerika und der Karibik ergibt sich eine der dringendsten Forderungen an die Entwicklung des Menschen.
176 Pastorale Grundlinien:
- Aus der christlichen Weltanschauung heraus einen Wandel in der Einstellung zum Wert der Erde fördern, der an die kulturellen Traditionen der Armen und Bauern anknüpft.
- Die gläubigen Laien daran erinnern, dass sie auf die agrarpolitischen Maßnahmen der Regierungen (vor allem auf die, deren Ziel Modernisierung ist) und auf die Organisationen der Bauern und der indigenen Bevölkerung Einfluß nehmen müssen, um Gerechtigkeit und mehr Gemeinschaft und Mitbeteiligung bei der Nutzung des Landes zu erreichen.
177 - Alle Personen und Institutionen unterstützen, die seitens der Regierungen und seitens derer, die im Besitz der Produktionsmittel sind, nach einer gerechten und humanen Landreform und Agrarpolitik suchen, welche eine gerechtere Verteilung des Landes und seine effiziente Nutzung mit Hilfe von Gesetzen, Programmen und deren Umsetzung zum Ziel hat.
Die Organisationen der Bauern und der indigenen Bevölkerung solidarisch unterstützen, die auf berechtigtem und rechtmäßigem Wege dafür kämpfen, ihr Land zu behalten oder zurückzugewinnen.
- Technischen Fortschritt fördern, der unerlässlich dafür ist, dass das Land Ertrag bringt, wobei auch die Marktbedingungen zu berücksichtigen sind und das notwendige Bewusstsein für die Bedeutung der Technologien geschaffen werden muss.
- Einer theologischen Reflexion über die Landproblematik Vorschub leisten und dabei die Inkulturation und eine wirksame Präsenz der Pastoralträger in den Gemeinschaften der Bauern betonen.
- Die Organisation vermittelnder Gruppen, zum Beispiel Genossenschaften, unterstützen, die eine Instanz für die Verteidigung der Menschenrechte, der demokratischen Beteiligung und der gemeinschaftlichen Erziehung darstellen.
Verarmung und Solidarität
178 Das Evangelium verkünden bedeutet, tun, was Jesus Christus tat, als er in der Synagoge erklärte, dass er gekommen war, den Armen «das Evangelium zu verkünden» (vgl. Lk 4,18-19). Er, «der reich war, wurde arm, um uns durch seine Armut reich zu machen» (2 Kor 8,9). Er fordert uns dazu heraus, in unserem Lebensstil und unseren kirchlichen Strukturen ein echtes Zeugnis der evangelischen Armut abzulegen, so wie er es tat.
Dies ist die Grundlage, die uns zu einer vorrangigen Option für die Armen im Sinne des Evangeliums verpflichtet, die fest und unwiderruflich ist, jedoch weder ausschließlich gilt, noch jemanden ausschließt und so feierlich in den Generalversammlungen von Medellín und Puebla bestätigt wurde. Im Lichte dieser vorrangigen Option schöpfen wir nach dem Beispiel Jesu für jegliche Evangelisierungstätigkeit in der Gemeinde und als Einzelpersonen Anregung (vgl. SRS 42; RMi 14; Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 16). Mit dem «Evangelisierungspotential der Armen» (DP 1147) will die arme Kirche der Evangelisierung unserer Gemeinschaften Anregungen geben.
Im leidenden Antlitz der Armen das Antlitz des Herrn entdecken (vgl. Mt 25,31-46) ist etwas, das alle Christen zu einer tiefen persönlichen und kirchlichen Umkehr herausfordert. Im Glauben finden wir die Gesichter, die als Folge von Inflation, Auslandsschuld und sozialer Ungerechtigkeit vom Hunger entstellt sind; die Gesichter, die enttäuscht sind von den Politikern, die Versprechungen machen, die sie nicht halten; die aufgrund ihrer eigenen Kultur, die nicht respektiert, sondern im Gegenteil verachtet wird, erniedrigten Gesichter; die von der täglichen, allgegenwärtigen Gewalt in Schrecken versetzten Gesichter; die furchterfüllten Gesichter der verlassenen Kinder, die durch unsere Straßen laufen und unter unseren Brücken schlafen; die leidenden Gesichter der erniedrigten und übergangenen Frauen; die müden Gesichter der Migranten, die keine würdige Zuflucht finden; die von Zeit und Arbeit gezeichneten Gesichter derer, die nicht das Minimum haben, um in Würde zu überleben (vgl. CELAM, «Arbeitsdokument», 163). Barmherzige Liebe bedeutet auch, sich denen zuzuwenden, die in spiritueller, moralischer, sozialer und kultureller Hinsicht Mangel leiden.
Pastorale Herausforderungen:
179 - Die wachsende Verarmung, von der Millionen unserer Brüder betroffen sind und die bis zu unerträglichem Elend reicht, ist die verheerendste, erniedrigendste Geißel, unter der Lateinamerika und die Karibik leiden. Dies haben wir schon in Medellín und Puebla angeprangert, und heute tun wir es erneut, voller Sorge und Furcht.
- Die Statistiken sind ein beredtes Zeugnis dafür, dass die Armut im letzten Jahrzehnt sowohl nach absoluten als auch nach relativen Zahlen gestiegen ist. Wir als Hirten sind im Innersten erschüttert, ständig die große Menge von Männern und Frauen, von Kindern, Jugendlichen und alten Menschen vor Augen zu haben, die unerträgliches Elend und verschiedene Formen der sozialen, ethnischen und kulturellen Ausgrenzung erleiden; sie sind konkrete, einmalige Menschen, deren Möglichkeiten immer begrenzter werden und deren Würde immer mehr mit Füßen getreten wird.
- Wir sehen die Verarmung unseres Volkes nicht nur als wirtschaftlich-soziales Phänomen, das von den Sozialwissenschaften inhaltlich und zahlenmäßig erfasst wird. Wir sehen sie aus der Erfahrung vieler Menschen heraus, mit denen wir als Hirten ihren täglichen Kampf ums Überleben teilen.
- Die neoliberale Politik, die heute in Lateinamerika und der Karibik vorherrscht, verstärkt noch die negativen Folgen dieser Mechanismen. Durch unterschiedslose Deregulierung des Marktes, Abschaffung wichtiger Teile der Arbeitsgesetzgebung, Entlassung von Arbeitern und Kürzung der Sozialausgaben, die den Familien der Arbeiter zugute kamen, ist die Kluft innerhalb der Gesellschaft noch größer geworden.
- Wir müssen die Liste der leidenden Gesichter, auf die wir bereits in Puebla hingewiesen haben (vgl. DP 31-39), noch verlängern, die Liste all der vom Hunger gezeichneten, von der Gewalt in Schrecken versetzten Gesichter, der Gesichter, die durch unmenschliche Lebensbedingungen gealtert und voller Furcht um das Überleben der Familie sind. Der Herr will, dass wir sein Antlitz in den leidenden Gesichtern der Brüder erkennen.
- Andererseits freuen wir uns über die zahlreichen Bemühungen verschiedener Gruppen und Institutionen in Lateinamerika und der Karibik um die Veränderung dieser Realität. Die Kirche, die dazu berufen ist, ihrer vorrangigen Option für die Armen immer mehr gerecht zu werden, verzeichnet unter ihnen eine wachsende Beteiligung. Dafür danken wir Gott und rufen dazu auf, den bereits geebneten Weg zu verbreitern, denn es gibt viele Menschen, die ihn noch gehen müssen.
Pastorale Grundlinien:
180 - Mit erneuerter Entschlossenheit die vorrangige Option für die Armen im Sinne des Evangeliums vertreten und in vollem Vertrauen auf Gott bescheiden leben, den Besitz mit anderen teilen und damit dem Beispiel und den Worten des Herrn Jesus folgen.
- Sich im Sinne der brüderlichen Nächstenliebe bevorzugt um die Ärmsten der Armen kümmern und die Institutionen unterstützen, die sich um sie kümmern: um die Behinderten, die Kranken, die einsamen alten Menschen, die verlassenen Kinder, die Gefangenen, die Aids-Kranken und all jene, die der liebevollen Anteilnahme des «barmherzigen Samariters» bedürfen.
- Individuelle und gemeinschaftliche Einstellungen und Verhaltensweisen sowie pastorale Strukturen und Methoden überprüfen, damit der Abstand zu den Armen durch sie nicht vergrößert, sondern die Nähe und das Teilen mit ihnen ermöglicht wird.
- Die gesellschaftliche Partizipation gegenüber dem Staat durchsetzen und Gesetze fordern, die die Rechte der Armen schützen.
181 - Aus unseren Pfarrgemeinden einen Raum für Solidarität machen.
- Organisationen unterstützen und anregen, die sich für eine solidarische Wirtschaft einsetzen und mit denen unsere Völker versuchen, der beängstigenden Situation der Armut zu begegnen.
- Auf eine Antwort der Staaten drängen angesichts der schwierigen Situationen, die durch das neoliberale Wirtschaftsmodell verschärft werden, das hauptsächlich die Ärmsten trifft. Es wird besonders auf die Millionen Lateinamerikaner hingewiesen, die in der informellen Wirtschaft um ihr Überleben kämpfen.
Die Arbeit
182 Einer der Bereiche, der uns bei unserer pastoralen Aufgabe die meisten Sorgen bereitet, ist die Arbeitswelt, da sie eine humanisierende, heilbringende Bedeutung hat, die ihren Ursprung in der Berufung zur Mitschöpfung des Menschen «als Abbild Gottes» (Gen 1-26) hat und die von Jesus, dem Arbeiter und «Sohn eines Zimmermannes» (Mt 13,55 und Mk 6,3) errettet und erhöht wurde.
Die Kirche hat als Verwahrerin und Dienerin der Botschaft Jesu den Menschen immer als Wesen gesehen, das der Arbeit Würde verleiht, indem es sich selbst verwirklicht und das Werk Gottes vervollkommnet, um damit den Schöpfer zu preisen und seinen Brüdern zu dienen.
Die ständige Lehre des kirchlichen Lehramtes in Bezug auf die Arbeit als «Schlüssel zur sozialen Frage» wurde in den jüngsten Sozialenzykliken Johannes Pauls H. («Laborem exercens», «Sollicitudo rei socialis» und «Centesimus annus») bestätigt und weiterentwickelt. Besonders betont wird «die subjektive Dimension» der Arbeit (vgl. LE 6), die der beredtste Ausdruck der Würde des Arbeiters ist.
Pastorale Herausforderungen:
183 - Die Wirklichkeit fordert zu einer Kultur der Arbeit und der Solidarität heraus, ausgehend von dem Glauben an Gottvater, der uns zu Brüdern in Jesus Christus macht. In der Welt der Arbeiter ist festzustellen, dass sich ihre Lebensbedingungen verschlechtern und der Respekt vor ihren Rechten geringer wird, dass Normen, die zugunsten der Schwächsten (z.B. Kinder, Rentner ... ) festgelegt wurden, kaum oder gar nicht beachtet werden, dass Arbeiterorganisationen aufgrund von inneren oder äußeren Abhängigkeiten verschiedener Art ihre Autonomie verlieren, dass Kapital missbraucht wird, wobei der Vorrang der Arbeit nicht erkannt oder geleugnet wird, dass es nur wenige oder gar keine Arbeitsmöglichkeiten für junge Leute gibt. Die Zahl der fehlenden Arbeitsplätze und damit die Arbeitslosigkeit ist alarmierend hoch, woraus sich große wirtschaftliche und soziale Unsicherheit ergibt. Die Arbeitswelt fordert Wirtschaftswachstum und steigende Produktivität, so dass durch eine gerechte und gleiche Verteilung das größtmögliche Wohlergehen des Menschen und seiner Familie ermöglicht wird.
184 - Die Rechte des Arbeiters gehören zum moralischen Rüstzeug der Gesellschaft und müssen von einer geeigneten Sozialgesetzgebung und der notwendigen rechtlichen Instanz geschützt werden, die eine Kontinuität in den Arbeitsbeziehungen gewährleistet, auf die man bauen kann.
Pastorale Grundlinien:
185 - In allen unseren Diözesen eine Arbeitspastoral anregen und tragen, um den menschlichen Wert der Arbeit zu fördern und zu verteidigen.
- Die Arbeiterorganisationen bei der Verteidigung ihrer legitimen Rechte unterstützen, insbesondere dem Recht auf ausreichenden Lohn und gerechte soziale Absicherung im Alter, bei Krankheit und Arbeitslosigkeit (vgl. CA 35).
- Die Schulung von Arbeitern, Unternehmern und Regierenden im Hinblick auf ihre Rechte und Pflichten fördern und Raum für Begegnungen und Zusammenarbeit schaffen.
Die menschliche Mobilität
186 Das Wort Gottes wird Fleisch, um die zu einem einzigen Volk zu versammeln, die verstreut waren, und sie zu «Bewohnern des Himmels» zu machen (Phi! 3,20; vgl. Hebr 11,13-16).
So wird der Sohn Gottes zum Pilger und macht als Wanderer, der aus einem unbedeutenden Dorf stammt (vgl. Joh 1,46), die Erfahrung der Heimatlosigkeit (vgl. Mt 2,13-23). Er erzieht seine Jünger zu Missionaren und lässt sie so die Erfahrung des Wanderers machen, damit sie nur auf die Liebe Gottes vertrauen, dessen Frohe Botschaft sie überbringen (vgl. Mk 6,6b-12).
Pastorale Herausforderungen:
187 - In den letzten Jahren hat es einen starken Anstieg bei der Abwanderung in die beiden großen Länder im Norden gegeben, und ebenso - wenn auch in geringerem Maße - in andere, reichere lateinamerikanische Länder. Es entstehen auch Phänomene wie die freiwillige Repatriierung und die Abschiebung von Menschen ohne Papiere. Reisende, Touristen und sogar religiöse Pilger und Menschen, die vom Meer leben, nehmen in der Zahl immer mehr zu und benötigen den besonderen Beistand der Kirche.
- In den Ländern mit besonderen Abwanderungsproblemen aus sozio-ökonomischen Gründen gibt es im allgemeinen keine sozialen Gegenmaßnahmen, und in den Zielländern besteht die Tendenz, ihre Einreise zu verhindern. Dies bringt schwerwiegende Konsequenzen mit sich, den Zerfall von Familien und die Ausblutung des produktiven Potentials in unseren Völkern sowie Entwurzelung, Unsicherheit, Diskriminierung, Ausbeutung und den Verlust von moralischen und religiösen Werten bei den Auswanderern selbst. In einigen Fällen gelingt es ihnen jedoch, sich in katholische Gemeinden einzufügen und diese sogar mit neuem Leben zu erfüllen.
Pastorale Grundlinien:
188 - Die Pastoral der menschlichen Mobilität durch gemeinsame Bemühungen von Diözesen und Bischofskonferenzen der betroffenen Regionen verstärken, und dabei Sorge tragen, dass der spirituelle und religiöse Reichtum der Migranten bei der Aufnahme in die Gemeinschaften und bei anderen Diensten, die ihnen zugute kommen, respektiert wird.
- In der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für das Problem der Abwanderung schaffen, im Hinblick auf gerechte Gesetze in den Bereichen Arbeit, soziale Sicherheit und Erfüllung internationaler Abkommen.
189 - Den Migranten eine ihrer Kultur angepaßte Katechese und eine Rechtsberatung zum Schutz ihrer Rechte anbieten.
- Den Bauern Alternativen bieten, damit sie sich nicht gezwungen fühlen, in die Stadt abzuwandern.
Die demokratische Ordnung
190 Christus der Herr, der vom Vater zur Erlösung der Welt gesandt wurde, kam, um die Frohe Botschaft zu verkündigen und das Reich Gottes zu errichten und durch die Umkehr der Menschen ein neues Leben nach göttlichen Maßstäben zu schaffen sowie eine neue Art des Zusammenlebens und der Beziehungen in der Gesellschaft. Getreu dem Auftrag, der ihr von ihrem Gründer erteilt wurde, hat die Kirche die Aufgabe, die Gemeinschaft der Kinder Gottes zu bilden und beim Aufbau einer Gesellschaft zu helfen, in der die christlichen Werte des Evangeliums Vorrang haben.
Die Kirche respektiert die rechtmäßige Autonomie weltlicher Ordnung, sie vertritt kein bestimmtes Modell eines politischen Systems. «Die Kirche weiß das System der Demokratie zu schätzen, insoweit es die Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen sicherstellt und den Regierten die Möglichkeit garantiert, sowohl ihre Regierungen zu wählen und zu kontrollieren als auch dort, wo es sich als notwendig erweist, sie auf friedliche Weise zu ersetzen» (CA 46).
In den letzten Jahren dieses Prozesses hat die Kirche in Lateinamerika und der Karibik eine entscheidende Rolle gespielt. In vielen Ländern hat ihr Wirken die Grundlage für ein Zusammenleben geschaffen, das auf dem Dialog und dem Respekt vor dem Menschen basiert. Gestützt auf ihre Soziallehre, hat die Kirche das Volk stets in seinen Kämpfen und bei seinen Bestrebungen nach einer größeren Partizipation und dem Aufbau eines Rechtsstaats begleitet.
191 Die Freiheit, die dem Menschen innewohnt und in der modernen Zeit hervorgehoben wird, wird nach und nach vom Volk unseres Kontinents erobert, wodurch die Errichtung der Demokratie als das am meisten akzeptierte Regierungssystem ermöglicht wurde, einer Demokratie, die noch eher formal als real besteht.
Pastorale Herausforderungen:
192 Das demokratische Zusammenleben, das sich nach Puebla gefestigt hatte, hat in einigen Ländern Rückschläge erlitten, und zwar unter anderem aus folgenden Gründen: Korruption in der Verwaltung; Distanzierung der Parteiführungen von den Interessen der Basis und den realen Bedürfnissen der Gemeinschaft; fehlende Programme und Vernachlässigung des sozialen und ethisch-kulturellen Bereichs seitens der Parteiorganisationen; vom Volk gewählte Regierungen, die jedoch nicht wirksam für das Gemeinwohl tätig sind; viel politische Vetternwirtschaft und Populismus, doch wenig Partizipation.
Pastorale Grundlinien:
193 - Der bürgerlichen Gesellschaft nachdrücklich die Werte einer wahrhaft pluralistischen, gerechten und partizipativen Demokratie nahebringen.
- Das Volk erleuchten und anregen, damit es wirklichen Einfluß ausübt.
- Bedingungen schaffen, unter denen die Laien gemäß der Soziallehre der Kirche für eine politische Tätigkeit ausgebildet werden, die auf Gewährleistung und Vervollkommnung der Demokratie und wirksamen Dienst an der Gemeinschaft ausgerichtet ist.
- Der Familie, der Schule und den verschiedenen kirchlichen Instanzen Orientierung bieten, damit ihre Erziehung nach den Werten erfolgt, auf denen eine wirkliche Demokratie gründet: Verantwortung, Mitverantwortung, Partizipation, Respekt vor der Würde des Menschen, Dialog, Gemeinwohl.
Die neue Wirtschaftsordnung
194 In dem Bewusstsein, dass gegenwärtig eine neue Weltwirtschaftsordnung entsteht, die sich auf Lateinamerika und die Karibik auswirkt, ist die Kirche aus ihrer Perspektive heraus gezwungen, sich ernsthaft um eine richtige Beurteilung zu bemühen. Wir müssen uns fragen: Bis wohin darf die Freiheit des Marktes reichen? WeIche Eigenschaften muss sie haben, damit sie der Entwicklung der großen Mehrheit dient?
195 Nach der kürzlich erschienenen Lehre Johannes Pauls II. (vgl. Enzyklika «Centesimus annus») ist die freie Tätigkeit der Individuen auf dem Markt zulässig. Das bedeutet nicht, dass der Markt alle von der Gesellschaft benötigten Güter anbieten, und auch nicht, dass diese alle notwendigen Güter bezahlen kann. Die Marktwirtschaft muss diese Beschränkungen berücksichtigen. Deshalb zeigen die Lehren des Heiligen Vaters die Notwendigkeit konkreter Handlungen seitens des Staates, damit die Marktwirtschaft sich nicht zu etwas Absolutem entwickelt, dem alles zum Opfer fällt, wodurch Ungleichheit und Marginalisierung der großen Mehrheit noch betont werden. Es kann keine kreative und gleichzeitig sozial gerechte Marktwirtschaft ohne eine echte Verpflichtung der gesamten Gesellschaft und der in ihr Handelnden zu Solidarität innerhalb eines rechtlichen Rahmens geben, der den Wert des Menschen, die Ehrenhaftigkeit, den Respekt vor dem Leben und der für alle geltenden Gerechtigkeit und die wirksame Sorge für die Ärmsten sicherstellt.
196 Die Wirtschaftsanpassungen erzeugen normalerweise eine beträchtliche Senkung des Lebensstandards der Armen, auch wenn sie langfristig von Vorteil sein können, weil sie die Inflation bremsen und die Wirtschaft stabilisieren. Deshalb ist der Staat dazu verpflichtet, innerhalb seiner Möglichkeiten, jedoch auf ehrliche und humane Weise, die sozialen Belastungen der Ärmsten auszugleichen.
197 Das Problem der Auslandsschuld ist nicht nur und auch nicht hauptsächlich ein wirtschaftliches, sondern ein menschliches Problem, denn sie führt zu einer immer größeren Verarmung, verhindert die Entwicklung und verzögert die Förderung der Ärmsten. Wir fragen uns nach ihrer Berechtigung, wenn durch ihre Rückzahlung das Überleben der Völker ernsthaft gefährdet wird, wenn die Bevölkerung selbst nicht gefragt worden ist, bevor diese Schuld eingegangen wurde, und wenn sie für Zwecke benutzt wurde, die nicht immer rechtmäßig waren. Deshalb teilen wir als Hirten die Sorge Johannes Pauls II., wenn er versichert, dass «es notwendig ist, Formen der Erleichterung der Rückzahlung, der Stundung oder auch der Tilgung der Schulden zu finden, Formen, die mit dem Grundrecht der Völker auf Erhaltung und Fortschritt vereinbar sind» (CA 35).
Pastorale Herausforderungen:
198 - Die achtziger Jahre waren geprägt von der Geißel der Inflation, die durch das Steuerdefizit erhöht wurde, die Last der Auslandsschuld und die Unsicherheit auf dem Geldmarkt, die Zerstörung der staatlichen Wirtschaftssysteme aufgrund des Verlustes von Steuergeldern, Inflation und Korruption und dem Rückgang der in- und ausländischen Investitionen.
- Das Preisverhältnis zwischen den Rohstoffen und den Endprodukten wurde auf internationaler Ebene immer ungleicher und diskriminierender und wirkte sich sehr ungünstig auf die Wirtschaft unserer Länder aus. Diese Entwicklung hält weiterhin an und tendiert dazu, sich zu verschlimmern.
199 - Die Verarmung und die Vertiefung des Grabens zwischen arm und reich aufgrund von Inflation und Herabsetzung der realen Löhne, fehlendem Zugang zu Grunddienstleistungen, Arbeitslosigkeit, Ausweitung der informellen Wirtschaft und wissenschaftlich-technischer Abhängigkeit wirken sich verhängnisvoll auf die große Mehrheit in unseren Völkern aus.
- Eine konsumistische, egoistische Einstellung und ein eben soIcher Lebensstil sind immer häufiger zu beobachten und werden von den Medien weit verbreitet. Dies erschwert oder verhindert sogar eine gerechtere und würdigere Gestaltung der Gesellschaft.
- Angesichts der Krise von Wirtschaftssystemen, die gescheitert sind und Frustrationen erzeugt haben, wird als Lösung meist eine freie Marktwirtschaft vorgeschlagen; nicht wenige Menschen verstehen darunter eine neoliberalistisch geprägte Struktur, die über den rein wirtschaftlichen Bereich hinausgeht und sich auf enge oder einschränkende Interpretationen des Menschen und der Gesellschaft gründet.
Pastorale Grundlinien:
200 - Kenntnis, Verbreitung und praktische Umsetzung der Soziallehre der Kirche in den verschiedenen Bereichen vertiefen und verstärken.
- Auf den verschiedenen Ebenen und in den unterschiedlichen Bereichen der Kirche eine Sozialpastoral anregen, die von der vorrangigen Option für die Armen im Sinne des Evangeliums ausgeht und in den Bereichen der Verkündigung, der Anklage und des Zeugnisses tätig ist und Initiativen zur Zusammenarbeit im Rahmen einer Marktwirtschaft fördert.
- In der Erziehung Werte wie Fleiß und Teilen, Ehrlichkeit, Bescheidenheit und ethisch-religiösen Sinn für das Leben ausbilden, damit aus der Familie - der ersten Schule - neue Menschen für eine brüderlichere Gesellschaft hervorgehen, in der die universelle Bestimmung der Güter innerhalb einer integralen Entwicklung gelebt wird.
201 - Die Grundlagen für eine solidarische, reale und effiziente Wirtschaft legen, ohne dabei zu vergessen, die entsprechenden sozioökonomischen Modelle auf lokaler und nationaler Ebene zu schaffen.
- Die Suche nach sozioökonomischen Modellen und deren Umsetzung fördern, die die freie Initiative, die Kreativität von Einzelnen und Gruppen und die mäßigende Funktion des Staates miteinander verbinden und dabei den Bedürftigsten besondere Aufmerksamkeit widmen. All dies im Hinblick auf die Verwirklichung einer Wirtschaft, in der Solidarität und Partizipation herrschen, was in verschiedenen Formen von Besitz zum Ausdruck kommt.
202 - Internationale Wirtschaftsbeziehungen fördern, die den Technologietransfer in einer Atmosphäre der sozialen Gegenseitigkeit erleichtern.
- Die Mechanismen der Marktwirtschaft anklagen, soweit diese den Armen grundlegenden Schaden zufügen. Zu einem Zeitpunkt, in dem es niemanden gibt, der über ihre Interessen wacht, dürfen wir nicht wegschauen.
- Feststellen, dass die informelle Wirtschaft aus der Notwendigkeit des 203 Überlebens heraus entsteht, auch wenn sie im Falle von Krankheiten, Inflation etc. leicht Schiffbruch erleiden kann.
Die gläubigen Laien daran erinnern, dass sie Einfluß nehmen müssen, damit der Staat eine stabilere Wirtschaftspolitik schafft, die Korruption in der Verwaltung ausmerzt und die Dezentralisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Bildungswesen fördert.
- Die grundlegende Rolle des Unternehmens, des Marktes, des Privateigentums und der daraus folgenden Verantwortung für die Produktionsmittel, der Kreativität des Menschen in der Rechtsordnung einer sozialen Gerechtigkeit anerkennen (vgl. CA 42).
Die lateinamerikanische Integration
204 Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass keine Nation in der Isolation leben und sich dabei dauerhaft entwickeln kann. Wir alle haben das Bedürfnis, Zerstreutes zusammenzufügen und Anstrengungen zu unternehmen, damit Wechselbeziehungen zu Solidarität werden und diese sich in Brüderlichkeit verwandeln kann. Deshalb heben wir diese Werte hervor, wenn wir von der wirtschaftlichen und sozialen Realität in der Welt und dem Streben nach Humanisierung sprechen, das damit verknüpft ist.
Die Christen haben sehr tiefgehende Motivationen dafür, diese Bemühungen fortzusetzen. Jesus Christus hat das Reich Gottes gegenwärtig gemacht, ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens. Er hat die Brüderlichkeit aller verwirklicht, indem er zu unserem Bruder geworden ist und uns gelehrt hat, uns als Kinder eines einzigen Vaters zu erkennen (vgl. Mk 14,36). Er selbst hat uns zur Einheit gerufen: «Alle sollen eins sein, wie ich und der Vater eins sind» (Joh 17,21).
Die Kirche ist sich ihrer einzigartigen und richtungweisenden Rolle im Hinblick auf die Ausbildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls der Menschheit und die Förderung einer Kultur der Solidarität und der Versöhnung bewusst.
205 Die für eine wirkliche Solidarität notwendigen Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und den Nationen sind menschliche Eigenschaften. Zudem beobachten wir weltweit die Dynamik von Nationen, die sich als Zeichen der Zeit zusammenschließen, selbst in Lateinamerika und der Karibik.
206 Johannes Paul II. hat betont, dass die Strukturen umgewandelt werden müssen, die den Bedürfnissen der Völker nicht gerecht werden, und vor allem «dass die stärkeren Nationen den schwachen Gelegenheiten zur Eingliederung in das internationale Leben anbieten müssen» (CA 35). Angesichts der Entwicklung von immer reicheren und andererseits immer ärmeren Ländern sagte er: «Wir müssen nach Lösungen auf Weltebene suchen und eine echte Wirtschaft der Gemeinschaft und der Aufteilung der Güter sowohl in der internationalen als auch in der nationalen Ordnung anstreben. Hier wäre ein Faktor, der erheblich zur Überwindung der drängenden Probleme, mit denen dieser Kontinent heute zu tun hat, beitragen könnte, die Integration Lateinamerikas. Die Regierungen sind ernstlich dafür verantwortlich, den bereits begonnenen Prozess der Integration einzelner Völker zu fördern, die der gleiche geographische Raum, der christliche Glaube, die Sprache und Kultur ein für allemal auf dem Weg der Geschichte vereint haben» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 15).
Pastorale Herausforderungen:
207 - Es findet eine Isolierung und Zersplitterung unserer Nationen statt, gleichzeitig steigt die Globalisierung der Weltwirtschaft, und es kommt zur Bildung und/oder Umgestaltung großer Blöcke.
208 - Die Bildung großer Blöcke, die den gesamten Kontinent mit der Isolation bedrohen, wenn er ihren wirtschaftlichen Interessen nicht nachkommt.
- In unseren Ländern vollzieht sich ein Auflösungsprozess als Folge der Diskriminierung von Rassen oder Gruppen und der wirtschaftlich-politisch- kulturellen Vorherrschaft von Einzelinteressen, die auch eine Öffnung zu weiteren Räumen erschweren.
- Durch die fehlende Gemeinschaft zwischen den Teilkirchen der einzelnen Nationen oder zwischen benachbarten Nationen des Kontinents wird die integrative Kraft der Kirche geschwächt.
Pastorale Grundlinien:
209 - Die Bemühungen um eine lateinamerikanische Integration als «großes Vaterland» aus einer Perspektive der Solidarität heraus, die im übrigen eine neue internationale Ordnung fordert, fördern und begleiten.
- Gerechtigkeit und Partizipation in unseren Ländern fördern, in der Erziehung diese Werte ausbilden, Situationen, die ihnen entgegenstehen, anklagen und Zeugnis brüderlicher Nächstenliebe ablegen.
- Initiativen anregen und Strukturen und Organismen stärken, die mit der Zusammenarbeit innerhalb der Kirche befasst und notwendig oder nützlich sind, wobei die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche zu respektieren sind. Den Vorschlag des Heiligen Vaters hinsichtlich eines Treffens der Episkopate des gesamten amerikanischen Kontinents in diesem Sinne verwirklichen.
Die Familie und das Leben: besonders dringliche Herausforderungen bei der Entwicklung des Menschen
Die Familie, Heiligtum des Lebens
210 Die Kirche verkündet mit Freude und Überzeugungskraft die Frohbotschaft über die Familie, aus deren Schoß die Zukunft der Menschheit entspringt; sie ist die entscheidende Front für die neue Evangelisierung. So verkünden wir die Frohbotschaft über die Familie hier in Lateinamerika und in der Karibik zu einem Zeitpunkt in der Geschichte, an dem sie zum Opfer vieler Kräfte geworden ist, die sie zerstören oder deformieren wollen.
Sicher lässt sich über Familie am besten im Zusammenhang mit der Teilkirche, der Pfarrgemeinde oder den kirchlichen Gemeinschaften reden, da die Familie die Hauskirche ist. Angesichts der riesigen Probleme, die das menschliche Leben heute bedrohen, nehmen wir dieses Thema mit in den Abschnitt auf, der die Entwicklung des Menschen behandelt.
Sicher sind wir uns der Vielfalt von ländlichen und städtischen Familien in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext bewusst; in allen Bereichen ist die Familie jedoch Nährboden und Zeichen der Liebe Gottes und der Kirche selbst und muss daher dem göttlichen Heilsplan offen stehen.
211 Nach dem ursprünglichen Plane Gottes sind Ehe und Familie Institute göttlichen Ursprungs und keine Produkte menschlichen Willens. Wenn der Herr sagt «Am Anfang war das nicht so» (Mt 19,8), bezieht er sich auf die Wahrheit über die Ehe, die nach dem Plane Gottes eine Scheidung ausschließt.
212 Da Mann und Frau Bild und Gleichnis Gottes sind (vgl. Gen 1,27), der die Liebe ist, sind sie gerufen, in der Ehe das Mysterium der Gemeinschaft und der Beziehung zum dreifaltigen Gott zu leben. «Gott hat in den Menschen die Berufung und daher auch die Fähigkeit und die Verantwortung zur Liebe und Gemeinschaft eingeprägt» (FC 11). Mann und Frau sind in der Ganzheit ihres Körpers und ihrer Seele zur Liebe gerufen.
213 Jesus Christus ist der Neue Bund, in ihm erlangt die Ehe ihre wahre Dimension. Durch seine Menschwerdung und sein Leben in der Familie mit Maria und Josef in ihrem Heim in Nazaret hat er ein Modell für alle Familien geschaffen. Die Liebe der Eheleute durch Christus wird so wie seine Liebe: total, ausschließlich, treu und fruchtbar. Aus Christus und durch seinen Willen, verkündet durch den Heiligen Paulus, gelangt die Ehe nicht nur wieder zum vollendeten Anfang zurück, sondern wird auch mit neuen Inhalten bereichert (vgl. Eph 5,25-33). Die christliche Ehe ist ein Sakrament, in dem die menschliche Liebe durch das Werk Christi heiligt und göttliches Leben spendet, in der die Eheleute die Liebe Christi und seiner Kirche zeigen und verwirklichen, eine Liebe, die über den Weg des Kreuzes, der Einschränkungen, des Vergebens und der Fehler geht, um zu den Freuden der Auferstehung zu gelangen. Deswegen ist es notwendig, immer vor Augen zu haben, dass « ... es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben kann, ohne dass er zugleich Sakrament ist» (C/.C, 1055,2).
214 In dem Plan Gottes, des Schöpfers und Erlösers, entdeckt die Familie nicht nur ihre Identität, sondern auch ihren Auftrag: die Liebe und das Leben durch vier grundlegende Pflichten zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen (vgl. FC 17):
a) Auftrag der Familie ist es, als eine Gemeinschaft von Personen, die durch ihre Einheit und Unauflösbarkeit gekennzeichnet ist, zu leben, zu wachsen und zur Vollendung zu gelangen. Die Familie ist der privilegierte Ort für die persönliche Verwirklichung, zusammen mit den Menschen, die man liebt.
b) «Heiligtum des Lebens» (CA 39) sein, Dienerin des Lebens, weil das Recht auf Leben Grundlage aller Menschenrechte ist. Dieser Dienst erschöpft sich nicht nur in der bloßen Fortpflanzung, sondern ist wirkungsvolle Hilfe zur Übermittlung und Ausbildung von wahrhaft menschlichen und christlichen Werten.
c) «Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft» (FC 42) sein. Aufgrund ihrer Natur und ihrer Berufung muss die Familie Förderin des Fortschritts, Vorkämpferin einer wirklichen Familienpolitik sein.
d) «Hauskirche» sein, die das Wort Gottes aufnimmt, lebt, feiert und verkündet. Sie ist das Heiligtum, in dem die Heiligkeit errichtet wird und von dem aus die Kirche und die Welt geheiligt werden können (vgl. FC 55).
Trotz der schweren Krise der Familie stellen wir fest, dass viele Familien in Lateinamerika und in der Karibik die Hoffnung nicht verloren haben und sich bemühen, im Vertrauen auf den Heilsplan Gottes, des Schöpfers und Erlösers, zu leben und dabei die Treue, die Öffnung für das Leben, die christliche Erziehung der Kinder und ihre Aufgaben in der Kirche und in der Welt zu verwirklichen.
215 Gott ist auch Herr über das Leben. Das Leben ist sein Geschenk. Der Mensch ist kein Richter oder Herr über das Leben und darf es nicht sein. Ein Kind muss in der Familie voll Verantwortung angenommen werden, als kostbarste und einmalige Gabe Gottes. Das ungeborene Kind ist das ärmste Wesen, verletzlich und wehrlos; es muss verteidigt und geschützt werden. Heute ist die enge Beziehung zwischen Verhütung und Abtreibung subjektiv und objektiv mit größerer Klarheit zu erkennen. Auf drastische Weise wird die Zeichenhaftigkeit der Vereinigung des ehelichen Aktes von der Zeugung getrennt, was einen Betrug am Sinn der Liebe darstellt.
Herausforderungenfür die Familie und das Leben heute
216 - Die Veränderungen in Geschichte und Kultur haben sich auch auf das traditionelle Bild der Familie ausgewirkt. Immer zahlreicher werden die freien Lebensgemeinschaften, Scheidungen und Abtreibungen. Neu ist, dass diese familiären Probleme zu einem ethisch-politischen Problem geworden sind und zu einer «laizistischen» Mentalität geführt haben, wozu die Medien beigetragen haben.
217 - Immer häufiger wird aufgrund des herrschenden Säkularismus, der psychologischen Unreife und sozial-wirtschaftlicher und politischer Ursachen, die die moralischen und ethischen Werte der Familie zerstören, verkannt, dass Ehe und Familie Institute Gottes sind. Mann und Frau, die aus Liebe geschaffen sind, werden eingeladen, ihren Liebesplan in Treue bis zum Tod zu verwirklichen. Unvollständige Familien, Paare in irregulären Verbindungen, eine wachsende Zahl von standesamtlichen Eheschließungen ohne sakramentale Weihe und freie Lebensgemeinschaften sind die schmerzhafte Realität.
218 - Eine immer größere Zahl von Familien in Lateinamerika und der Karibik ersucht Regierungen, Gesellschaft und internationale Gremien um Beistand in ihrem Elend und Hunger, verursacht durch Arbeitslosigkeit, Mangel an menschenwürdigen Wohnungen, fehlender Ausbildung und Gesundheitsleistungen sowie niedrigen Löhnen; bis hin zu alten Menschen, die verlassen werden und einer wachsenden Zahl von ledigen Müttern.
219 - Die Kultur des Todes fordert uns heraus. Voll menschlicher Traurigkeit und christlicher Besorgnis sind wir Zeugen der Kampagnen gegen das Leben, die sich in Lateinamerika und in der Karibik verbreiten und die Mentalität unseres Volkes mit einer Kultur des Todes zerrütten. Der Egoismus, die Angst vor Opfer und Kreuz, zusammen mit den Problemen des modernen Lebens erzeugen eine Ablehnung des Kindes, das nicht verantwortlich und freudig in der Familie aufgenommen, sondern als Aggressor betrachtet wird. Die Menschen werden mit einem wirklichen «demographischen Terrorismus» eingeschüchtert, der die Gefahr übertreibt, die das Wachstum der Bevölkerung für die Lebensqualität darstellen kann.
In massivem Umfang werden Verhütungsmittel verteilt, die in ihrer großen Mehrheit abtreibend wirken. Unzählige Frauen sind Opfer von massiven Sterilisationsprogrammen. Auch die Männer beugen sich angesichts dieser Bedrohung. Unser Kontinent leidet unter einem «Imperialismus der Antikonzeptiva, der darin besteht, dass Völkern und Kulturen alle Arten von Verhütungsmitteln, Sterilisierung und Abtreibung aufgezwungen werden, die als effektiv gelten, ohne Respekt vor religiösen, ethnischen und familiären Traditionen eines Volkes oder einer Kultur» (Schreiben des Heiligen Stuhls an die Versammlung der WHO in Bangkok).
Jeden Tag findet ein größeres Abtreibungsmassaker statt, dem in unseren lateinamerikanischen Völkern Millionen zum Opfer fallen. Die lebensfeindliche Mentalität führt zur pränatalen Euthanasie, also Tötung ungeborener Kinder, und zur Tötung alter und kranker Menschen, die als unnütz, wertlos oder als «Belastung» für die Gesellschaft gelten. Sonstige Ausdrucksformen der Kultur des Todes sind die Euthanasie, der Krieg, die Guerilla, die Freiheitsberaubung, der Terrorismus und der Drogenhandel.
220 - Christliche Gläubige sind fassungslos angesichts der Widersprüche und der mangelnden Verbundenheit der Träger der Familienpastoral, wenn diese der Lehre der Kirche nicht folgen («Humanae Vitae»; «Familiaris consortio»; «Reconci!iatio et Poenitentia»).
221 - In Lateinamerika und der Karibik wächst der Anteil der Kinder in der Bevölkerung. Kinder, Heranwachsende und Jugendliche stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Kontinents (55%). Dieser «schweigende Notstand», der in Lateinamerika und der Karibik herrscht, stellt nicht nur zahlenmäßig eine Herausforderung dar, sondern auch vom humanen und pastoralen Gesichtspunkt her. Tatsächlich ist in vielen Städten die Zahl der «Straßenkinder» gestiegen, die Tag und Nacht ohne Heim und Zukunft herumstreifen. In einigen Ländern handelt es sich dabei um Opfer von Vernichtungskampagnen durch polizeiliche und private Organe; Kinder ohne Familie, ohne Liebe, ohne die Möglichkeit einer Ausbildung, das heißt, Kinder in äußerster physischer und moralischer Not, häufig infolge der Auflösung der Farnilienstrukturen. Es gibt sogar einen abnormen Handel mit Mädchen und Jungen, Geschäfte mit Organen werden gemacht, und Kinder werden sogar für Teufelskulte missbraucht. In der Glaubenserziehung ist eine deutliche Vernachlässigung beim Empfang der Sakramente und bei der Katechese zu beobachten.
Pastorale Grundlinien:
222 1. Die vorrangige und zentrale Bedeutung der Familienpastoral in der Diözesankirche muss unterstrichen werden. Dazu ist die Ausbildung von Pastoralträgern erforderlich. Die apostolischen Bewegungen, die auf Ehe und Familie abzielen, können den Teilkirchen innerhalb eines organischen Gesamtplanes eine wertvolle Hilfe bieten.
- Die Familienpastoral darf sich nicht auf eine rein schützende Haltung beschränken; sie muss vorausschauend, mutig und positiv sein. Sie muss mit der Weisheit des Evangeliums die Herausforderungen erkennen, die die kulturellen Veränderungen für die Familie mit sich bringen. Sie muss Verletzungen der Gerechtigkeit und der Würde der Familie anklagen. Sie rruss die Familien aus den ärmsten Schichten, auf dem Land und in der Stadt begleiten und die Solidarität fördern.
- Die Familienpastoral muss für die Unterweisung von künftigen Eheleuten und für eine Begleitung der Eheleute sorgen, vor allem in den ersten Jahren ihres Ehelebens. Als unmittelbare Vorbereitung haben die Kurse für Verlobte vor der kirchlichen Eheschließung anerkannten Wert.
223 2. Verkündigen, dass Gott der einzige Herr des Lebens ist, dass der Mensch weder Herr noch Richter über menschliches Leben ist, noch sein kann. Jede Verletzung durch die Behörden zugunsten der Verhütung, der Euthanasie, der Sterilisation und der Abtreibung verurteilen und ablehnen. Dies gilt auch für die Politik einiger Regierungen und internationaler Gremien, die eine Wirtschaftshilfe nur in Verbindung mit Programmen gegen das Leben gewähren.
224 Nach dem Beispiel des Guten Hirten Wege und Formen suchen, um zu einer Pastoral zu gelangen, die sich an Paare in irregulären Situationen richtet, insbesondere an Geschiedene, die standesamtlich wieder geheiratet haben.
225 Das Leben der Kirche und der Gesellschaft, von der Familie ausgehend, stärken: Für eine Bereicherung der Familie sorgen durch die familiäre Katechese, das Gebet zuhause, die Eucharistie, die Teilnahme am Sakrament der Versöhnung, die Vermittlung des Wortes Gottes, damit sie der Sauerteig in der Kirche und in der Gesellschaft sein kann.
226 3. Theologen, Wissenschaftler und christliche Ehepaare einladen, mit dem hierarchischen Lehramt zusammenzuarbeiten, um die biblischen Grundlagen, die ethischen Begründungen und die wissenschaftlichen Ursachen für eine verantwortungsvolle Elternschaft und eine freie Entscheidung aus einem gut ausgebildeten Gewissen heraus und nach den Grundsätzen der Moral besser zu erhellen, sowohl was die Zahl der Kinder, die man erziehen kann, als auch was die Methoden betrifft, die einer verantwortungsvollen Elternschaft entsprechen. Das Ergebnis dieser Arbeit wäre die Förderung von Programmen und Diensten, die natürliche Methoden der Familienplanung verbreiten und Lehrbücher zu Sexualität und Liebe ausarbeiten, die sich an Kinder, Heranwachsende und Jugendliche richten.
- Angesichts der Irrtümer «bevölkerungspolitischer» Programme müssen wir an die Worte des Papstes in seiner Eröffnungsansprache vor dieser Versammlung erinnern: «Es fehlt vielmehr die Vermehrung der Mittel und die gerechtere Verteilung des Reichtums, so dass alle gleichmäßig an den Gütern der Schöpfung beteiligt werden» (Nr. 15).
227 4. Das prophetische Amt der Kirche ausüben: Jegliche Gewalt gegenüber geborenen und ungeborenen Kindern anklagen. Die «Konvention über die Rechte des Kindes» mit den Anmerkungen des Heiligen Stuhles und das Schreiben des Heiligen Stuhles über die Rechte der Familie verbreiten und auf deren Umsetzung in die Realität dringen. Die Laien informieren, damit sie in den verschiedenen Ländern Gesetze unterstützen, die die Rechte des Kindes schützen und damit sie auf deren Einhaltung dringen. Eltern, Erzieher, Katecheten und religiöse Institute, die sich der Erziehung der Kinder widmen, begleiten und effektiv unterstützen, wobei besondere Aufmerksamkeit auf ein Wachstum im Glauben zu richten ist. Die Frömmigkeit stärken durch die Arbeit zugunsten der Kinder und die Kinder pastoral durch prophetisches und caritatives Handeln fördern, mit dem die Liebe Christi zu den ärmsten und verlassensten Kindern bezeugt wird.
Kapitel III: Die christliche Kultur
Einführung
228 Die Ankunft des Heiligen Geistes am Pfingsttag (vgl. Apg 2,1-11) offenbart die Universalität des Evangelisierungsauftrages: Er soll in jeder Kultur Fuß fassen. Das Pfingstereignis lässt auch die kulturelle Verschiedenheit der Gläubigen deutlich werden, als jeder die Apostel in seiner eigenen Sprache reden hört.
Die Kultur entsteht mit dem Urauftrag Gottes an die Menschen: Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch (vgl. Gen 1,28-30). In diesem Sinne ist die Kultur die Ausbildung und der Ausdruck alles Menschlichen in der liebenden Beziehung zur Natur und in der gemeinschaftlichen Dimension der Völker.
Als Jesus Christus in der Fleischwerdung das Menschsein ganz annimmt und ausdrückt, mit Ausnahme der Sünde, geht das Wort Gottes in die Kultur ein. Somit ist Jesus Christus der Maßstab alles Menschlichen und daher auch der Kultur. Er, der in der Kultur seines Volkes Mensch wurde, hält für jede historische Kultur das Geschenk der Läuterung und der Fülle bereit. Alle kulturellen Werte und Ausdrucksformen, die auf Christus ausgerichtet werden können, fördern das wahrhaft Menschliche. Was nicht durch Christus geht, kann keine Erlösung erfahren.
229 Durch unser radikales Anhangen an Christus in der Taufe haben wir uns verpflichtet, daraufhin zu arbeiten, dass der Glaube - umfassend verkündet, durchdacht und gelebt - zur Kultur wird. So können wir von einer christlichen Kultur sprechen, wenn das gemeinsame Lebensgefühl eines Volkes im Innersten so tief durchdrungen ist, dass «die Botschaft des Evangeliums zur Grundlage des Denkens, der wichtigsten Lebensgrundsätze, der Urteilskriterien und Handlungsnormen» wird (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 24) und sich daher «im Ethos eines Volkes auswirkt ... , in seinen Institutionen und in all seinen Strukturen» (ebd. 20).
Diese Evangelisierung der Kultur, die bis in ihren dynamischen Kern eindringt, findet ihren Ausdruck in dem Prozess der Inkulturation, den Johannes Paul II. «das Herzstück, das Mittel und das Ziel der neuen Evangelisierung» genannt hat (Ansprache an den Internationalen Rat für die Katechese, 26.9.92): Wir benötigen die wahren kulturellen Werte, die im Lichte des Glaubens kritisch beurteilt und übernommen werden, um in dieser Kultur die Botschaft des Evangeliums und die Reflexion und Praxis der Kirche lebendig zu machen.
Die Jungfrau Maria begleitet die Apostel, als der Geist des auferstandenen Jesus die Völker der verschiedenen Kulturen durchdringt und umwandelt. Maria, die als Vorbild für die Kirche steht, ist auch Vorbild für die Evangelisierung der Kultur. Sie ist die jüdische Frau, die das Volk des Alten Bundes mit seiner ganzen kulturellen Realität vertritt. Aber sie öffnet sich der Frohbotschaft des Evangeliums; sie ist in unseren Ländern als gemeinsame Mutter sowohl der Ureinwohner als auch der Zugewanderten gegenwärtig, und sie hat von Anfang an die neue kulturelle Synthese gestärkt, die Lateinamerika und die Karibik bilden.
Inkulturation des Evangeliums
230 Da wir «eine Krise der Kultur von unerwartetem Ausmaß» erleben (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 21), in deren Verlauf bestimmte Werte des Evangeliums und sogar grundlegende menschliche Werte verloren gehen, steht die Kirche vor einer gewaltigen Herausforderung im Hinblick auf eine neue Evangelisierung. Auf diese Herausforderung soll mit dem Bemühen um die Inkulturation des Evangeliums geantwortet werden. Das Evangelium muss im Lichte der drei großen Mysterien der Erlösung inkulturiert werden: des Weihnachtsgeschehens, das uns den Weg der Menschwerdung zeigt und den Evangelisierenden dazu auffordert, sein Leben mit dem Evangelisierten zu teilen; des Osterereignisses, das durch das Leiden hindurch zur Reinigung von den Sünden führt; und des Pfingstgeheimnisses, das durch die Kraft des Heiligen Geistes jeden befähigt, die Wunder Gottes in seiner eigenen Sprache zu verstehen.
Die Inkulturation des Evangeliums ist ein Prozess, der das Erkennen der Werte des Evangeliums voraussetzt, die sich in der gegenwärtigen Kultur mehr oder weniger rein erhalten haben, und das Erkennen neuer Werte, die mit der Botschaft Christi übereinstimmen. Mit der Inkulturation wird angestrebt, dass die Gesellschaft das christliche Wesen dieser Werte entdeckt, sie achtet und als solche bewahrt. Darüber hinaus zielt sie darauf ab, Werte des Evangeliums aufzugreifen, die in der Kultur nicht gegenwärtig sind, weil sie verblasst oder mit der Zeit verschwunden sind. «Durch die Inkulturation macht die Kirche das Evangelium in den verschiedenen Kulturen lebendig und führt zugleich die Völker mit ihren Kulturen in die Gemeinschaft mit ihr ein und überträgt ihnen die eigenen Werte, indem sie aufnimmt, was in diesen Kulturen an Gutem ist, und sie von innen her erneuert» (RMi 52). Der Glaube, der in diesen Kulturen lebendig wird, muss deren Irrtümer korrigieren und Synkretismen vermeiden. Die Aufgabe der Inkulturation des Glaubens obliegt den Teilkirchen unter der Führung ihrer Hirten und der Beteiligung des ganzen Volkes Gottes. «Die grundsätzlichen Merkmale in diesem Prozess sind die Vereinbarkeit mit den objektiven Anforderungen des Glaubens und die Öffnung für die Gemeinschaft mit der Gesamtkirche» (RMi 54).
Kulturelle Werte: Christus, Maßstab unseres moralischen Verhaltens
231 - Geschaffen nach dem Abbild Gottes finden wir den Maßstab für unser moralisches Verhalten in Christus, dem fleischgewordenen Wort, der Fülle des Menschseins. Schon das natürliche ethische Verhalten, das im wesentlichen an die Würde des Menschen und dessen Rechte gebunden ist, bildet eine Grundlage für den Dialog mit den Nichtgläubigen.
Durch die Taufe werden wir in ein neues Leben hineingeboren, und wir erhalten die Möglichkeit, uns dem Vorbild Christus zu nähern. Ihm entgegenzugehen ist die christliche Moral; es ist die dem Gläubigen eigene Lebensform, in der der Gläubige mit der Hilfe der sakramentalen Gnade Jesus Christus nachfolgt, die Freude der Erlösung lebt und reiche Früchte der Nächstenliebe für das Leben der Welt hervorbringt (vgl. Joh 15; OT 16).
- Der Christ, der sich der Notwendigkeit bewusst ist, diesem Weg zu folgen, bemüht sich, sein eigenes Gewissen auszubilden. Von dieser Gewissensbildung, sowohl der individuellen als auch der kollektiven, von der geistigen Reife, von dem Verantwortungsbewusstsein und von der Reinheit der Sitten und Gebräuche hängt die Entwicklung und der Reichtum der Völker ab (vgl. Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 19). Die christliche Moral ist nur innerhalb der Kirche zu verstehen und erfüllt sich in der Eucharistie. Alles, was wir durch sie anbieten können, ist Leben; was nicht angeboten werden kann, ist die Sünde.
Pastorale Herausforderungen:
232 - Gott sei Dank gibt es in Lateinamerika und in der Karibik viele Menschen, die Jesus Christus in Treue nachfolgen, selbst unter widrigen Bedingungen. Dennoch beobachten wir in unserer gesellschaftlichen Realität eine zunehmende ethisch-moralische Verwirrung, insbesondere ein Verkümmern des Gewissens, eine permissive Ethik und ein bedauerliches Schwinden des Bewusstseins für die Sünde. Der Einfluß des Glaubens nimmt ab, der Wert der Religion geht verloren, Gott wird nicht mehr als höchstes Gut und letzter Richter erkannt. Das Sakrament der Versöhnung wird immer weniger praktiziert. Die Darstellung der Morallehre der Kirche ist unzulänglich.
233 - Die Korruption hat sich allgemein ausgebreitet. Die öffentlichen finanziellen Mittel werden schlecht verwaltet. Demagogie, Populismus und die «politische Lüge» bei Wahlversprechen nehmen immer mehr zu; die Justiz wird verhöhnt, Straflosigkeit ist allgemein festzustellen, und die Gemeinschaft fühlt sich angesichts der Kriminalität machtlos und ungeschützt. Diese Faktoren fördern die soziale Gefühllosigkeit und das Misstrauen angesichts der fehlenden Durchsetzung des Rechts, und es werden Gesetze erlassen, die den grundlegenden menschlichen und christlichen Werten entgegenstehen. Die Güter dieser Erde werden nicht gleichmäßig verteilt.
Mit der Natur wird Missbrauch getrieben, dem Ökosystem Schaden zugefügt.
234 - Es wird ein Denken und Handeln gegen das Leben gefördert, und zwar durch geburtenfeindliche Kampagnen, Genmanipulation, das verabscheuenswerte Verbrechen der Abtreibung und der Euthanasie. Der Sinn des Lebens wird verkehrt zum Sieg des Starken über den Schwachen. Dies begünstigt Haß und Zerstörung und verhindert Verwirklichung und Wachsen des Menschen.
235 - So erleben wir eine zunehmende Zerstörung der Würde des Menschen. Die Kultur des Todes, Gewalt und Terrorismus, Drogenabhängigkeit und Drogenhandel fassen immer mehr Fuß. Die integrale Dimension der menschlichen Sexualität wird entstellt. Mit Männern und Frauen, selbst mit Kindern, wird eine Industrie der Pornographie und Prostitution betrieben. Durch sexuelle Permissivität und Promiskuität verbreitet sich das große Übel der Aids-Erkrankung immer weiter, und Geschlechtskrankheiten nehmen zu.
236 - Als moralische Norm wird die sogenannte «zivile oder staatsbürgerliche Ethik» auf der Grundlage eines minimalen Konsens aller Bürger mit der herrschenden Kultur herangezogen, bei der die natürliche Moral und die christlichen Normen nicht geachtet werden müssen. Es ist eine «situationsgebundene Moral» zu beobachten, der zufolge etwas an sich Schlechtes je nach den beteiligten Personen, Umständen und Interessen plötzlich nicht mehr als schlecht beurteilt wird. Schließlich verbreiten die Medien diese Maßstäbe und Ansichten auf vielfältige Weise.
Pastorale Grundlinien:
237 - An der christlichen Gewissensbildung arbeiten und die verloren gegangenen Werte der christlichen Moral neu beleben. Wieder ein Bewusstsein für die Sünde vermitteln (die Erbsünde und die persönlichen Sünden) sowie für die Gnade Gottes als Kraft, die uns hilft, unserem christlichen Gewissen zu folgen. In allen Menschen die Erfahrung der Liebe wecken, die der Heilige Geist über die Herzen ausgießt, als Kraft aller christlichen Moral.
238 - Achtgeben, dass die Medien nicht manipulieren oder manipuliert werden, indem sie unter dem Vorwand des Pluralismus Inhalte verbreiten, die das lateinamerikanische Volk zerstören. Die Einheit der Familie und ihren Einfluß auf die Bildung des moralischen Gewissens stärken.
239 - Das moralische Leben als Nachfolge Christi vermitteln und auf die Bedeutung der Seligpreisungen für das eigene Leben und des häufigen Empfangs der Sakramente hinweisen. Die moralischen und sozialen Tugenden verbreiten, die uns zu neuen Menschen machen, zu Bauleuten einer neuen Menschheit. Diese Verkündigung muss entschieden und kerygmatisch erfolgen, insbesondere dort, wo der Säkularismus schon weit fortgeschritten ist. In der Katechese das christliche Verhalten als wahre Nachfolge Christi vermitteln. Dafür sorgen, dass auf moralischer Ebene die genaue Anwendung der Kriterien des Abwägens nicht die entscheidenden Erfordernisse der Bekehrung beeinträchtigt.
240 - Die kontinuierliche Fortbildung der Bischöfe und Priester, der Diakone, der Ordensbrüder und Ordensschwestern, der Laien und besonders der Pastoralträger im Sinne des Lehramtes fördern. Die Liturgie muss klarer die moralischen Verpflichtungen zum Ausdruck bringen, die mit ihr verbunden sind. Die Volksreligiosität, besonders an den Wallfahrtsorten, muss auf die Umkehr ausgerichtet sein. Der Zugang zum Sakrament der Buße muss gefördert und erleichtert werden.
241 - Was das Problem der Drogen betrifft, Maßnahmen zur Prävention in der Gesellschaft und zur Betreuung und Heilung von Drogenabhängigen treffen. Mutig die Schäden anprangern, die Drogenabhängigkeit und -handel in unseren Völkern anrichten. Deutlich machen, dass Herstellung, Vermarktung und Konsum von Drogen eine schwere Sünde darstellen. Besonders die Verantwortung der mächtigen Märkte der Konsumenten herausstellen. Die nationale und internationale Solidarität und Kooperation zur Bekämpfung dieser Geißel stärken.
242 - Den Gestaltern der Gesellschaft Orientierungshilfen zur Bildung eines moralischen Gewissens für ihre Aufgaben und ihr politisches Handeln geben und sie pastoral betreuen.
- Stets offen für den Dialog mit denjenigen sein, die ihr Leben nach anderen Leitlinien ausrichten als der christlichen Ethik. Uns wirkungsvoll für Gerechtigkeit und Frieden für unsere Völker einsetzen.
Einheit und Vielfalt der indigenen, afroamerikanischen und Mestizen-Kulturen
Theologische Erhellung
243 - Das Wirken Gottes ist im Innern aller Kulturen durch seinen Heiligen Geist ständig gegenwärtig. In der Fülle der Zeiten sandte Gott seinen Sohn Jesus Christus herab, der die sozialen und kulturellen Wirklichkeiten der Völker annahm und «in Wahrheit einer von uns wurde, in allem uns gleich, außer der Sünde» (GS 22; vgl. Hebr 4,15).
- Die Analogie zwischen der Menschwerdung und der christlichen Gegenwart im sozio-kulturellen und historischen Kontext der Völker führt uns zu dem theologischen Ansatz der Inkulturation. Diese Inkulturation ist ein Prozess, der aus dem Evangelium heraus über die Sprache und die Symbole, die nach dem Ermessen der Kirche begreiflich und geeignet sind, in das Innere aller Völker und Gemeinschaften führt.
- Ein Ziel der inkulturierten Evangelisierung muss stets die integrale Erlösung und Befreiung eines bestimmten Volkes oder einer bestimmten Menschengruppe sein. Dabei muss ihre Identität und der Glaube an ihre konkrete Zukunft gestärkt werden, und den Mächten des Todes muss entgegengetreten werden, indem die Perspektive des fleischgewordenen Christus eingenommen wird, der den Menschen aus der Schwachheit, der Armut und dem erlösenden Kreuz heraus errettet hat. Die Kirche verteidigt die wahren kulturellen Werte aller Völker, besonders der unterdrückten, wehrlosen und marginalisierten, angesichts der überwältigenden Macht der Strukturen der Sünde, die die moderne Gesellschaft prägen.
Pastorale Herausforderungen:
244 - Lateinamerika und die Karibik bilden einen multikulturellen Vielvölkerkontinent. In ihm leben die Völker der Ureinwohner, Afroamerikaner, Mestizen und Nachkommen von Europäern und Asiaten zusammen, alle mit ihrer eigenen Kultur, die ihnen ihre gesellschaftliche Identität, entsprechend ihrer jeweiligen Weltanschauung, verleiht. Sie alle suchen jedoch aus ihrer katholischen Identität heraus die Einheit.
245 - Die indigenen Völker von heute pflegen große menschliche Werte, und in den Worten von Johannes Paul II. leben sie in der «Überzeugung, dass das Böse mit dem Tod und das Gute mit dem Leben identisch ist» (Johannes Paul II., Botschaft an die indigene Bevölkerung, 2). Diese Werte und Überzeugungen sind die Früchte der «Samenkörner des Wortes», die in ihren Vorfahren bereits präsent waren und wirkten, so dass sie die Gegenwart des Schöpfers in all seinen Geschöpfen entdeckten: in der Sonne, im Mond, in der Mutter Erde etc. (vgl. ebd.).
Als die Kirche auf diese einheimischen Völker stieß, war sie von Anfang an bemüht, ihnen im Kampf um ihr Überleben zur Seite zu stehen, indem sie ihnen aus der ungerechten Situation der überfallenen und eroberten Völker heraus, die wie Sklaven behandelt wurden, den Weg Christi, des Erlösers, zeigte. Bei der ersten Evangelisierung gab es neben schwerem Leid große Erfolge und wertvolle pastorale Erkenntnisse, deren Früchte noch bis in unsere Tage reichen.
246 - Die afroamerikanischen Kulturen Lateinamerikas und der Karibik zeichnen sich durch den anhaltenden Widerstand gegen die Sklaverei aus. Diese Völker, die Millionen von Menschen in sich vereinen, weisen auch in ihren Kulturen menschliche Werte auf, die von der Gegenwart Gottes, des Schöpfers, zeugen.
- Vier Jahrhunderte hindurch wurden tatsächlich mehrere Millionen schwarzer Afrikaner als Sklaven verschifft, die gewaltsam aus ihren Ländern herausgerissen, von ihren Familien getrennt und wie Waren verkauft wurden. Die Versklavung der Schwarzen und die Morde an den Indianern stellen die größte Sünde dar, die die westliche Welt während der Expansion der Kolonialmächte begangen hat. Leider gab es Getaufte, die Sklaverei, Rassismus und Diskriminierung nicht fern waren.
247 - Wie das Dokument von Puebla nachdrücklich dargelegt hat, entstand bei den Völkern, die aus der Vermischung der Rassen hervorgegangen sind, eine besondere «Mestizenkultur», in der die Volksreligiosität als inkulturierte Form des Katholizismus sehr gegenwärtig ist. Dabei finden sich jedoch die Verletzung christlicher Pflichten und bewundernswerte Beispiele christlichen Lebens direkt nebeneinander, ebenso wie die Unkenntnis der kirchlichen Lehre neben katholischen Lebensformen, die auf den Grundsätzen des Evangeliums beruhen.
- In den kulturellen und religiösen Ausdrucksformen der Landbevölkerung und der Menschen der städtischen Randgebiete lässt sich ein großer Teil des christlichen Erbes des Kontinents und ein Glaube wiederfinden, der tief in den Werten des Gottesreiches verwurzelt ist.
Pastorale Grundlinien: Inkulturierte Evangelisierung
248 Nachdem wir unsere Brüder und Schwestern der indigenen und afroamerikanischen Bevölkerung mit dem Papst «angesichts der unendlichen Heiligkeit Gottes für alles um Vergebung gebeten haben ( ... ), was von Sünde, Ungerechtigkeit und Gewalt gezeichnet war» (Generalaudienz, Mittwoch, 21. Oktober 1992, 3), möchten wir nun eine inkulturierte Evangelisierung durchführen:
1. Für unsere indianischen Brüder und Schwestern:
- Das Evangelium Jesu durch das Zeugnis einer demütigen, verständnisvollen und prophetischen Haltung vermitteln, sein Wort durch einen respektvollen, offenen und brüderlichen Dialog auslegen und sich bemühen, ihre Sprachen zu erlernen.
- In der kritischen Auseinandersetzung mit ihren Kulturen wachsen, um sie im Lichte des Evangeliums zu beurteilen.
- Eine Inkulturation der Liturgie fördern, indem ihre religiösen Symbole, Riten und Ausdrucksformen, die mit den festen Inhalten des Glaubens vereinbar sind, aufgenommen und geschätzt werden, wobei die Geltung der universalen Symbole und die Übereinstimmung mit der allgemeinen Lehre der Kirche zu wahren sind.
- Ihre theologische Reflexion begleiten und ihre kulturellen Ausdrucksformen respektieren, die ihnen helfen, ihren Glauben und ihre Hoffnung zu wahren.
- In der Auseinandersetzung mit ihrer Weltanschauung wachsen, die aus der Gesamtheit Gott, Mensch und Welt eine Einheit macht, die alle menschlichen, geistigen und transzendenten Beziehungen durchdringt. - Die ureigenen kulturellen Werte der indigenen Völker durch die Inkulturation der Kirche fördern, um eine größere Verwirklichung des Reiches zu erzielen.
249 2. Für unsere afroamerikanischen Brüder und Schwestern:
In dem Wissen um das Problem der Margialisierung und des Rassismus, dem die schwarze Bevölkerung ausgesetzt ist, möchte die Kirche in Erfüllung ihres Evangelisierungsauftrages an deren Leiden teilhaben und sie in ihrem berechtigten Streben nach einem gerechteren und würdigeren Leben für alle begleiten (vgl. ebd.).
- Ebenso möchte die Kirche die afroamerikanischen Völker in Lateinamerika und in der Karibik dabei unterstützen, ihre Identität zu verteidigen und ihre eigenen Werte zu erkennen. Darüber hinaus möchte sie ihnen helfen, die Sitten und Gebräuche, die mit der christlichen Lehre vereinbar sind, lebendig zu halten (vgl. Botschaft an die Afroamerikaner, 3).
- Wir sehen es auch als unsere Pflicht, dem Anliegen der afroamerikanischen Gemeinschaften in der Pastoral besondere Aufmerksamkeit zu widmen, indem wir die ihren Kulturen eigenen religiösen Ausdrucksformen fördern (vgl. ebd.).
250 3. Das Bewusstsein der Mestizen entwickeln, nicht nur das Rassen-, sondern auch das Kulturbewusstsein, das große Bevölkerungsteile vieler unserer Völker charakterisiert, denn dies ist mit der Inkulturation des Evangeliums aufs engste verbunden.
Förderung des Menschen in den Ethnien
251 Im Sinne einer echten Entwicklung des Menschen will die Kirche die Anstrengungen dieser Völker unterstützen, als solche durch nationale und internationale Gesetze anerkannt zu werden, mit vollem Recht auf Land und ihre eigenen Organisationen und kulturellen Lebensgewohnheiten, um sicherzustellen, dass sie ihr Recht wahrnehmen können, ihrer Identität gemäß zu leben, mit ihrer eigenen Sprache und ihren eigenen überlieferten Sitten, und mit allen Völkern der Erde absolut gleichberechtigt Beziehungen einzugehen. Daher übernehmen wir folgende Verpflichtungen:
- Die Mentalität und die Praxis einer von außen gelenkten Entwicklung zugunsten einer eigenständigen Entwicklung überwinden, damit diese Völker zu Erbauern ihrer eigenen Zukunft werden.
- Wirkungsvoll daran arbeiten, dass Maßnahmen gebremst und aufgehoben werden, die durch eine erzwungene Integration zum Untergang der einheimischen Kulturen beitragen, oder mit denen die indigenen Völker isoliert und am Rande der nationalen Realität gehalten werden sollen.
- Sich für die volle Gültigkeit der Menschenrechte der indigenen und der afroamerikanischen Völker einsetzen, einschließlich der rechtmäßigen Verteidigung ihres Landes.
- Als konkrete Geste der Solidarität mit der Landbevölkerung, den indigenen und den afroamerikanischen Völkern die vom Heiligen Vater eingerichtete Stiftung «Populorum progressio» unterstützen.
- Unsere Erziehungssysteme von Grund auf überprüfen, um jegliche Diskriminierung bei Erziehungs- und Ausbildungsmethoden, Umfang und Zuteilung von Mitteln endgültig zu beseitigen.
- Alles Mögliche tun, um für die indigenen und afroamerikanischen Völker eine ihren Kulturen angemessene Erziehung und Ausbildung zu gewährleisten, beginnend bei der zweisprachigen Alphabetisierung.
Die neue Kultur
Die moderne Kultur
Situation
- Trotz ihrer multikulturellen Realität sind Lateinamerika und die Karibik 252 stark von der westlichen Kultur geprägt, deren Geschichte, Bewusstsein und Ziele stets in unserem Alltagsleben gegenwärtig sind. Hieraus ergibt sich der Einfluß, den die moderne Kultur und die Möglichkeiten, die uns die Zeit der Postmoderne nun bietet, auf unsere Daseinsform ausüben.
- Die moderne Kultur ist gekennzeichnet durch die zentrale Stellung des Menschen; die Werte der Personalisierung, der sozialen Dimension und des Zusammenlebens; die Verabsolutierung der Vernunft, deren wissenschaftliche, technologische und informations technische Errungenschaften viele Bedürfnisse des Menschen befriedigt haben und mit denen der Mensch gleichzeitig die Unabhängigkeit von der Natur anstrebt, die er beherrscht; von der Geschichte, deren Verlauf er bestimmt; und selbst von Gott, an dem er kein Interesse hat oder den er dem persönlichen Gewissen anheimstellt und sich statt dessen ausschließlich den weltlichen Dingen zuwendet.
- Die Postmoderne ist das Ergebnis des Versagens des reduktionistischen Ansatzes der modernen Vernunft, das den Menschen dazu führt, sowohl einige Errungenschaften der Moderne als auch das Vertrauen auf den unbegrenzten Fortschritt in Frage zu stellen, wenngleich er die positiven Seiten des Fortschritts anerkennt - wie dies auch die Kirche tut (vgl. GS 57).
Sowohl die Moderne mit ihren Werten und Fehlwerten als auch die Postmoderne mit ihren Freiräumen für die Transzendenz bergen ernsthafte Herausforderungen für die Evangelisierung der Kultur.
Pastorale Herausforderungen:
253 - Bruch zwischen Glaube und Kultur als Folge davon, dass sich der moderne Mensch gegenüber der Transzendenz verschließt und aufgrund der übermäßigen Spezialisierung, die den Blick für das Ganze versperrt.
- Geringes Bewusstsein für die Dringlichkeit einer wahrhaften Inkulturation als Weg zur Evangelisierung der Kultur.
- Inkohärenz zwischen den von christlichen Grundsätzen inspirierten Werten des Volkes und den ungerechten sozialen Strukturen, die die Wahrung der Menschenrechte verhindern.
- Die ethische Leere und der vorherrschende Individualismus, die die Grundlage der Werte auf bloße subjektive soziale Konsensprinzipien reduzieren.
Die massive Macht der Medien, die häufig im Dienste von Fehlwerten stehen.
- Die mangelnde Gegenwart der Kirche auf dem Gebiet der bestimmenden Ausdrucksformen der Kunst und des philosophischen und anthropologisch-sozialen Denkens im Erziehungs- und Bildungswesen.
- Die neue Kultur der Städte mit ihren eigenen Werten, Ausdrucksformen und Strukturen, mit ihren Freiräumen und ihrer gleichzeitigen Diversifizierung, mit ihrer Mobilität und dem Vorrang funktionaler Beziehungen.
Pastorale Grundlinien:
254 - Jesus Christus als Paradigma für jede persönliche und soziale Einstellung greifbar machen und als Antwort auf die Probleme, mit denen die modernen Kulturen ringen: das Böse, der Tod, der Mangel an Liebe.
- Den Dialog zwischen Glaube und Wissenschaft, Glaube und Ausdrucksformen und Glaube und Institutionen intensivieren, dreier großer Bereiche der modernen Kultur.
Die Zeichen und die kulturelle Sprache pflegen, in denen die christliche Gegenwart deutlich wird und mit denen die Originalität der Botschaft des Evangeliums in das Innerste der Kulturen eingepflanzt werden kann, besonders auf dem Gebiet der Liturgie.
- Die Laien fördern und ausbilden, damit sie ihre dreifache Aufgabe in der Welt erfüllen können: die prophetische im Bereich des Wortes, des Denkens, des Ausdrucks und der Werte; die priesterliche auf dem Gebiet der Messfeier und der Sakramente, bereichert durch die Ausdrucksformen der Kunst und die Kommunikation; die weltliche im Bereich der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen.
- Die Kenntnis und Urteilsfähigkeit über die moderne Kultur im Sinne einer angemessenen Inkulturation fördern.
Die Stadt
Pastorale Herausforderungen:
255 - Lateinamerika und die Karibik befinden sich heute in einem raschen Prozess der Verstädterung. Die postindustrielle Stadt stellt nicht nur eine Variante des traditionellen menschlichen Lebensraumes dar, sondern sie verkörpert tatsächlich den Übergang von der Landkultur zur Stadtkultur, Sitz und Motor der neuen universalen Zivilisation (vgl. DP 429). In ihr wandelt sich die Form, in der die Menschen in einer sozialen Gruppe, in einem Volk, in einer Nation ihre Beziehungen untereinander, zu den anderen, zur Natur und zu Gott gestalten.
- In der Stadt beschränken sich die Beziehungen zur Natur aufgrund des Wesens der Stadt fast immer auf den Prozess der Produktion von Konsumgütern. Die Beziehungen zwischen den Menschen werden weitestgehend funktional, und die Beziehungen zu Gott durchlaufen eine schwere Krise, weil das für die Religiosität der Landbevölkerung so wichtige Medium der Natur fehlt und weil die Moderne dazu neigt, den Menschen in der Begrenztheit der Welt einzuschließen. Die Beziehungen des Stadtmenschen zu sich selbst verändern sich ebenfalls, denn die moderne Kultur bewirkt, dass er in erster Linie seine Freiheit, seine Unabhängigkeit, die wissenschaftlich-technische Rationalität und, ganz allgemein, seine Subjektivität, seine Menschenwürde und seine Rechte schätzt. In der Tat befinden sich die großen Zentren der modernen Wissenschaft und Technik in der Stadt.
- Ein heutzutage typisches Merkmal unserer lateinamerikanischen Großstädte sind jedoch auch die Randzonen der Armut und Not, in denen fast immer die Mehrheit der Bevölkerung lebt und die das Ergebnis ausbeuterischer und ausgrenzender Wirtschaftsmodelle sind. Selbst das Land wird durch den vielfältigen Ausbau der Verbindungen und Verkehrswege verstädtert.
- Gleichzeitig unterscheidet sich der derzeitige Stadtmensch deutlich von dem auf dem Land lebenden Menschen: Er vertraut auf Wissenschaft und Technik; er wird von den Massenmedien beeinflußt; er ist dynamisch und auf das Neue ausgerichtet; er ist konsumorientiert, audiovisuell, anonym in der Menge und entwurzelt.
Pastorale Grundlinien:
256 - Eine städtisch inkulturierte Pastoral in Bezug auf Katechese, Liturgie und Organisation der Kirche betreiben. Die Kirche muss das Evangelium in Stadt und Stadtmenschen inkulturieren. Seine Werte und Fehlwerte unterscheiden. Seine Sprache und Symbole aufgreifen. Der Prozess der Inkulturation umfasst die Verkündigung, die Assimilierung und den erneuten Ausdruck des Glaubens.
257 - Die städtische Pfarrei neu gestalten. Die Kirche in der Stadt muss ihre pastoralen Strukturen umbilden. Die Stadtpfarrei muss offener, flexibler und missionarischer werden und eine Pastoral betreiben, die die Pfarrei ganz durchdringt und noch über sie hinaus geht. Des weiteren verlangt die Struktur der Stadt eine auf diese Realität besonders ausgerichtete Pastoral. Vorrangige Orte der Mission sollten die Großstädte sein, wo neue Kultur- und Kommunikationsformen entstehen.
258 - Die Ausbildung von Laien für die städtische Pastoral unter besonderer Einbeziehung biblischer und geistiger Lehrinhalte fördern. Ämter schaffen, die zur Unterstützung der Evangelisierung der Großstädte den Laien übertragen werden.
259 - Die Zahl der kleinen kirchlichen Gemeinschaften, Gruppen und Bewegungen sowie der Basisgemeinden vermehren. Die sogenannte «Pastoral der Häuser» durch die Arbeit engagierter Laien einführen, die in diesen Häusern wohnen.
260 - Eine auf das Umfeld ausgerichtete, funktionale Pastoral entwickeln, die je nach Stadtgebiet differenziert wird. Eine Pastoral der Zuflucht angesichts des Phänomens der Migrationen. Eine Pastoral für die Randgruppen. Die religiöse Betreuung der Einwohner der Großstädte während der Sommer- und Urlaubsmonate sicherstellen. Für die pastorale Betreuung derjenigen sorgen, die die Wochenenden in der Regel außerhalb der Stadt verbringen, wo sie nicht die Gelegenheit haben, ihre Sonntagspflicht zu erfüllen.
261 - Die Evangelisierung der einflußreichen Gruppen und der Verantwortungsträger der Stadt forcieren, um zu erreichen, dass die Stadt, insbesondere die Elendsviertel, zu menschenwürdigen Wohnstätten gemacht werden.
262 - Auf kontinentaler (CELAM), nationaler und regionaler Ebene Zusammenkünfte und Lehrgänge über die Evangelisierung der Großstädte organisieren.
Das erzieherische Wirken der Kirche
Theologische Erhellung
263 - Wir wiederholen, was wir bereits in Medellín und Puebla gesagt haben (vgl. Dokument über die Erziehung, Medellín, Puebla), und auf dieser Grundlage zeigen wir einige Aspekte auf, die in unserer Zeit für die katholische Erziehung von Bedeutung sind.
- Die Erziehung ist die Aufnahme der Kultur. Die christliche Erziehung ist die Aufnahme der christlichen Kultur. Sie ist die Inkulturation des Evangeliums in die eigene Kultur. Ihre Ebenen sind ganz unterschiedlich: sie liegen innerhalb und außerhalb der Schule, sind elementar oder höher, formell oder nicht formell. In jedem Fall ist die Erziehung ein dynamischer Prozess, der während des ganzen Lebens des Menschen und der Völker anhält. Sie nimmt die Erinnerung an die Vergangenheit auf, lehrt, heute zu leben und blickt in die Zukunft. Daher ist die christliche Erziehung in der neuen Evangelisierung unerlässlich.
264 - Die christliche Erziehung entwickelt und festigt in jedem Christen sein Glaubensleben und bewirkt, dass Christus in ihm das wahre Leben ist (vgl. Phi! 1,21). Durch sie hört man im Menschen die «Worte des ewigen Lebens» (Joh 6,68), durch sie verwirklichen sich in jedem Menschen die «neue Schöpfung» (2 Kor 5,17) und das Projekt des Vaters, alles in Christus zu vereinen (vgl. Eph 1,10). So gründet sich die christliche Erziehung auf einer echten christlichen Anthropologie, die die Öffnung des Menschen gegenüber Gott als Schöpfer und Vater bedeutet, gegenüber den anderen Menschen als seinen Brüdern und gegenüber der Welt, als etwas, dass ihm gegeben wurde, damit er seine Möglichkeiten potenziert und nicht, damit er auf ihr eine despotische Herrschaft ausübt, durch die die Natur zerstört wird.
265 - Kein Lehrer erzieht, ohne zu wissen, wofür und in welche Richtung er erzieht. In jedem Erziehungsprojekt ist ein Projekt des Menschen enthalten, und dieses Projekt hat entweder einen Wert oder nicht, je nachdem, ob es den zu Erziehenden aufbaut oder zerstört. Dies ist der erzieherische Wert. Wenn wir von einer christlichen Erziehung sprechen, meinen wir, dass der Lehrer hin zu einem Projekt des Menschen erzieht, in dem Jesus Christus lebt. Es gibt viele Aspekte, unter denen man erzieht, und aus denen das Erziehungsprojekt des Menschen besteht; es gibt viele Werte, aber diese Werte stehen nie allein, stets bilden sie explizit oder implizit ein geordnetes Gebilde. Wenn die Ordnung Christus zum Fundament und Ziel hat, dann vereint diese Erziehung alles in Christus und ist eine wahrhaft christliche Erziehung; wenn nicht, kann sie zwar von Christus sprechen, doch sie ist nicht christlich.
- Der christliche Lehrer ist als kirchlicher Mensch zu betrachten, der christlich evangelisiert, Katechese erteilt und erzieht. In der kirchlichen Gemeinschaft hat er eine genau festgelegte Identität. Seine Rolle muss in der Kirche anerkannt sein.
266 - In der gegenwärtigen Situation finden wir eine Vielfalt von Werten, die uns mahnen und die ambivalent sind. Hier entsteht die Notwendigkeit, die neuen Erziehungswerte Christus, dem Offenbarer des Geheimnisses des Menschen, gegenüberzustellen. In der neuen Erziehung versucht man, den Menschen gemäß den Anforderungen der neuen Werte wachsen und reifen zu lassen; dazu muss die Harmonisierung mit der dem lateinamerikanischen Kontext eigenen Typologie kommen.
Vom säkularistischen Standpunkt aus wird im allgemeinen von uns gefordert, einen technischen Menschen heranzuziehen, einen Menschen, der fähig ist, seine Welt zu beherrschen und in einem Austausch von Gütern zu leben, die unter bestimmten politischen Regeln, nämlich den minimalen, produziert werden. Durch diese Realität werden wir mit Nachdruck daran erinnert, uns alle Werte ins Bewusstsein zu rufen, die ihr innewohnen, und diese Werte in Christus zu vereinen; sie mahnt uns, in unserer christlichen Erziehung die Linie der Fleischwerdung des Wortes fortzusetzen und zu dem Projekt des Lebens für jeden Menschen zu gelangen, dem gestorbenen und auferstandenen Christus.
Pastorale Herausforderungen:
267 - Die Situation der Erziehung in Lateinamerika mahnt uns ebenso, weil viele Menschen von der schulischen Bildung, selbst von der grundlegendsten, ausgeschlossen sind, weil Analphabetismus in einigen unserer Länder weit verbreitet ist; sie mahnt uns aufgrund der Krise der Familie, der ersten Erzieherin, aufgrund der Trennung zwischen Evangelium und Kultur; aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede, die dazu führen, dass die katholische Erziehung, insbesondere auf höherer Ebene, für viele zu kostspielig ist. Auch die informelle Erziehung mahnt uns, die man über so viele, nicht eben christliche Medien erhält, wie zum Beispiel das Fernsehen.
268 - Eine große Herausforderung stellen die katholische und die christlich orientierte Universität dar, da es insbesondere ihre Aufgabe ist, ein christliches Projekt des Menschen durchzuführen und sie deshalb in lebendigem, ständigem und sich weiterentwickelndem Dialog mit dem Humanismus und der technischen Kultur stehen muss, damit sie die echte christliche Weisheit lehren kann, in der das Modell des «arbeitenden Menschen» verbunden mit dem des «weisen Menschen» seinen Höhepunkt in Jesus Christus findet. Nur so kann sie Lösungen für die komplexen, ungelösten Probleme der entstehenden Kultur und der neuen sozialen Strukturen anbieten, wie die Würde des Menschen, die unverletzlichen Rechte des Lebens, die Religionsfreiheit, die Familie als erstem Raum für die soziale Verpflichtung, die Solidarität auf verschiedenen Ebenen, die Verpflichtung einer demokratischen Gesellschaft, die komplexe wirtschaftlich-soziale Problematik, das Phänomen der Sekten, die schnellen kulturellen Veränderungen.
269 - Im schulischen Bereich liegt eine weitere Herausforderung in einigen Ländern in dem heiklen Problem der Beziehungen zwischen der staatlichen und der christlichen Erziehung. Auch wenn die Grenzen mancherorts schon fließender geworden sind, gibt es doch noch Länder, in denen man immer noch nicht verstanden hat, dass die katholische Erziehung ein unveräußerliches Recht katholischer Eltern und ihrer Kinder darstellt. Die dafür notwendigen Mittel stehen dort nicht zur Verfügung, oder die katholische Erziehung ist einfach verboten.
270 - Andere bedeutende Herausforderungen sind die religiöse Unwissenheit der Jugend und die außerschulische und informelle Erziehung. Auch eine Erziehung, die an die verschiedenen Kulturen angepaßt ist, insbesondere an die indigenen und afroamerikanischen, stellt eine Herausforderung dar, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie ihrer Wesensart Rechnung tragen sollte, sondern auch, dass die verschiedenen Kulturen nicht an den Rand gedrängt und vom Fortschritt, von der Chancengleichheit und von der Befähigung, die nationale Einheit aufzubauen, ausgeschlossen werden sollten.
Pastorale Grundlinien:
271- Unsere Verpflichtungen im Bereich der Erziehung laufen zweifellos auf die pastorale Grundlinie der Inkulturation hinaus: die Erziehung ist die methodische Vermittlung für die Evangelisierung der Kultur. Daher befürworten wir eine christliche Erziehung, vom Leben ausgehend und für das Leben, und zwar im individuellen und familiären Bereich und im Bereich der Gemeinde und des Ökosystems. Sie soll die Würde des Menschen schützen und echte Solidarität fördern. Sie soll einen Prozess staatsbürgerlich-sozialer Bildung beinhalten, der auf dem Evangelium und der Soziallehre der Kirche aufbaut. Wir verpflichten uns zu einer evangelisierenden Erziehung.
272 - Wir unterstützen die Eltern, damit sie nach ihrer Überzeugung über die Art der Erziehung für ihre Kinder entscheiden, und wir klagen jegliche Einmischung seitens des Staates an, durch die dieses natürliche Recht eingeschränkt wird. Das Recht auf religiöse Bildung für jeden und folglich auch das Recht auf religiöse Unterweisung auf allen Ebenen der Schulen muss garantiert werden.
273 - Wir ermutigen die christlichen Erzieher, die in kirchlichen Institutionen tätig sind, die Kongregationen, die weiterhin erzieherische Arbeit leisten, und die katholischen Lehrer, die in nicht-katholischen Institutionen arbeiten. Wir müssen die ständige Bildung der katholischen Erzieher fördern, und zwar im Hinblick auf die Vertiefung ihres Glaubens und die Fähigkeit, diesen als echte Weisheit zu verkünden, insbesondere in der katholischen Erziehung.
274 - Dringend erforderlich ist eine echte christliche Bildung in Bezug auf Leben, Liebe und Sexualität, die die Irrtümer im Zusammenhang mit bestimmten Informationen korrigiert, die in den Schulen vermittelt werden. Dringend vonnöten ist auch eine Erziehung zur Freiheit, denn sie ist einer der Grundwerte des Menschen. Ebenso ist es notwendig, dass sich die christliche Erziehung bemüht, zur Arbeit zu erziehen, insbesondere vor dem Hintergrund der heutigen Kultur.
275 - Die Charismen der Ordensgemeinschaften und Kongregationen, die in den verschiedenen Teilkirchen unseres Kontinents im Dienste der katholischen Erziehung stehen, helfen uns sehr, den Auftrag des Herrn zu erfüllen, zu allen Völkern zu gehen und sie zu lehren (Mt 28,18-20), vor allem bei der Evangelisierung der Kultur. Wir rufen die Ordensleute, die den so bedeutenden Bereich der katholischen Erziehung verlassen haben, dazu auf, ihre Aufgabe wiederaufzunehmen und daran zu denken, dass die vorrangige Option für die Armen die vorrangige Option für die Mittel einschließt, mit Hilfe derer die Menschen ihr Elend überwinden, und dass eines der bevorrechtigten Mittel die katholische Erziehung ist. Die vorrangige Option für die Armen kommt auch darin zum Ausdruck, dass die in der Erziehung tätigen Ordensleute ihre Arbeit in so vielen ländlichen Gebieten fortführen, die sowohl abgeschieden als auch bedürftig sind.
276 - Wir müssen uns auch darum bemühen, dass die katholische Erziehung auf allen Ebenen der Schule allen Menschen zugänglich und nicht nur einigen wenigen vorbehalten ist; dabei müssen finanzielle Probleme berücksichtigt werden. Die Verantwortlichkeit der Pfarrgemeinde für die Schule und ihre Leitung muss gefördert werden. Wir fordern, dass öffentliche Mittel für die katholische Erziehung garantiert werden.
Insbesondere glauben wir, dass die katholische Universität seit der Apostolischen Konstitution «Ex corde Ecclesiae» zu einem wichtigen Auftrag berufen ist, nämlich den Dialog zwischen dem Evangelium und den Kulturen anzuregen und die Entwicklung des Menschen in Lateinamerika und der Karibik voranzutreiben.
277 - Im Bewusstsein der weltweiten Verbreitung der gegenwärtigen Kultur werden wir, ausgehend von der katholischen Erziehung, auf allen Ebenen ein kritisches Bewusstsein gegenüber den Massenmedien ausbilden. Es ist dringend erforderlich, der Familie wirkliche Unterscheidungsmerkmale für den Gebrauch von Fernsehen, Presse und Radio mitzugeben.
278 - Die katholische Schule in eine Gemeinschaft umwandeln, die durch Schüler, Eltern und Lehrer Mittelpunkt evangelisierender Ausstrahlung ist. Angeregt vom Evangelium und der Soziallehre der Kirche setzen wir uns dafür ein, die Erziehungsgemeinschaft und in ihr einen Prozess staatsbürgerlich-sozialer Bildung zu stärken, der den wirklichen Bedürfnissen des Volkes gerecht wird. So wird die Organisation von Schülern, Lehrern, Eltern und ehemaligen Schülern als Methode der staatsbürgerlich-sozialen und politischen Erziehung ermutigt, die die demokratische Erziehung der Menschen ermöglicht. Ebenso fordern wir von den Regierungen, dass sie weiterhin Anstrengungen unternehmen, um die Demokratisierung der Erziehung immer mehr zu fördern.
Soziale Kommunikation und Kultur
Theologische Erhellung
279 - Die Evangelisierung, die Verkündigung des Reiches Gottes, ist eine Form von Kommunikation, durch die uns gesagt wird, dass wir in Gemeinschaft leben sollen (vgl. DP 1063): «Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus» (1 Joh 1,3). Jeder Mensch und jede Gruppe von Menschen entwickelt seine bzw. ihre Identität in der Begegnung mit anderen (Andersartigkeit). Diese Kommunikation ist der Weg, der notwendig ist, um zur Gemeinschaft (Gemeinde) zu gelangen. Der Grund dafür ist, dass der Mensch nach dem Abbild des dreieinigen Gottes geschaffen wurde, und im Herzen der Offenbarung finden wir das Geheimnis der Dreieinigkeit als ewig interpersonale Kommunikation, deren Wort zum Dialog wird, durch das Werk des Geistes in die Geschichte eingeht und so eine Welt neuer Begegnungen, neuen Austauschs, neuer Kommunikation und Gemeinschaft eröffnet. Diese Kommunikation ist nicht nur in Bezug auf die Welt von Bedeutung, sondern auch innerhalb der Kirche.
- In der Geste der Kommunikation des Vaters, durch das fleischgewordene Wort, «wird das Wort in der Predigt und im Wirken Jesu befreiend und erlösend für die gesamte Menschheit. Dieses Werk der Liebe, durch das sich Gott offenbart, erzeugt in Verbindung mit der Antwort des Glaubens der Menschheit einen tiefen Dialog» (Päpstlicher Rat für die sozialen Kommunikationen, Pastorale Anweisung «Aetatis novae», 6). So ist Christus der Inbegriff des Verkündigers; in ihm begegnet uns der ganz andere Gott und erwartet unsere freiwillige Antwort. Diese Begegnung der Gemeinschaft mit ihm bedeutet immer Wachstum. Es ist der Weg der Heiligkeit.
- So besteht also eine sehr enge Verbindung zwischen Evangelisierung, Entwicklung des Menschen und der Kultur, die sich auf Kommunikation gründet, wodurch sich für die Kirche konkrete Aufgaben und Herausforderungen im Bereich der sozialen Kommunikation ergeben. Der Papst hat es in der Eröffnungsansprache dieser Generalversammlung gesagt: «Die Verstärkung der Präsenz der Kirche in der Welt der Kommunikation muss gewiss zu euren Prioritäten gehören» (Johannes Paul II., Eröffnungsansprache, 23).
- Wir wissen, dass wir uns in der neuen Kultur des Bildes befinden, und dass die Botschaft des Evangeliums in diese Kultur inkulturiert werden muss, so dass sie Christus zum Ausdruck bringt, die höchste Kommunikation. Wir sind uns der Bedeutung der unzähligen elektronischen Medien bewusst, die uns heute für die Verkündigung des Evangeliums zur Verfügung stehen. Wir sagen Gott Dank für diese neue Gabe, die er uns in der gegenwärtigen Kultur gegeben hat.
Pastorale Herausforderung:
280 - Die technologische Entwicklung der Medien bietet der Evangelisierung insbesondere im Bereich des Fernsehens viele Perspektiven für die Kommunikation auf den unterschiedlichsten Ebenen und ermöglicht der Gesellschaft im allgemeinen eine weltweite Verknüpfung. Dies ist an sich positiv, doch in der heutigen Zeit stellt es aufgrund der weltlichen Orientierung vieler Sendungen auch eine sehr ernste Herausforderung dar.
Wir sind uns der Entwicklung der Kommunikationsindustrie in Lateinamerika und der Karibik bewusst, die zeigt, dass die wirtschaftlichen und politischen Gruppen an Einfluß gewinnen, in deren Händen sich mit unglaublicher Macht der Besitz der verschiedenen Medien immer mehr konzentriert; diese Gruppen manipulieren die Kommunikation, indem sie den Menschen eine Kultur aufzwingen, die zu Hedonismus und Konsumismus anregt und unsere Kulturen mit ihren Werten und Identitäten überfährt.
- Wir beobachten, wie die Werbung oftmals falsche Erwartungen und Scheinbedürfnisse weckt; wir beobachten auch, wie besonders im Fernsehen Gewalt und Pornographie überhandnehmen und aggressiv in den Schoß der Familie eindringen. Zudem stellen wir fest, dass die Medien von den Sekten immer intensiver und umfassender genutzt werden.
- Andererseits ist die Gegenwart der Kirche im Mediensystem noch unzureichend, und es sind nicht genügend Mitarbeiter mit entsprechender Ausbildung vorhanden, um die Herausforderung annehmen zu können; darüber hinaus fehlt es seitens der verschiedenen Episkopate an einer adäquaten Planung der Kommunikationspastoral.
Telematik und Informatik sind neue Herausforderungen für die Integration der Kirche in diese Welt.
Pastorale Grundlinien:
- Die Bemühungen all jener unterstützen und vorantreiben, die unter Verwendung der Medien die kulturelle Identität verteidigen, die Herausforderung der Begegnung mit neuen, anderen Realitäten annehmen und dabei versuchen, einen echten Dialog zu schaffen. Die Massenkommunikation mit der Kommunikation auf Gemeinde- und Gruppenebene abstimmen.
Sich um eigene Medien, möglichst um eine Videoproduktionsgesellschaft für Lateinamerika und die Karibik, bemühen.
282 - Helfen, die Politik und die Strategien der Kommunikation kritisch zu beurteilen und dahingehend zu beeinflussen, dass sie Bedingungen für die Begegnung zwischen den Menschen schaffen, für die Gültigkeit einer echten, verantwortungsvollen Meinungsfreiheit, für die Förderung der eigenen kulturellen Werte und für die Suche nach lateinamerikanischer Integration.
283 - Den Katholiken, die sich beruflich mit Kommunikation befassen, genügend Unterstützung zukommen lassen, damit sie ihren Auftrag erfüllen können. Eine engere Beziehung in kirchlicher Gemeinschaft mit den internationalen Organisationen (OCIC-AL, UNDA-AL, UCLAP) suchen, «deren Mitglieder wertvolle und kompetente Mitarbeiter der Bischofskonferenzen und der verschiedenen Bischöfe sein können» (Päpstlicher Rat für die sozialen Kommunikationsmittel, Pastorale Anweisung «Aetatis novae», 17). Die bischöflichen Kommissionen für Kommunikation eines jeden Landes und der DECOS-CELAM sowie der SERTAL müssen ihre Präsenz in diesem Bereich ausbauen und verbessern.
284 - Die fachliche Ausbildung sowie die Ausbildung in Lehre und Moral aller Pastoralträger, die in und mit den Massenmedien arbeiten, muss mit aller Kraft vorangetrieben werden. Gleichzeitig ist ein Erziehungsplan erforderlich, der zum einen auf eine kritische Wahrnehmung, vor allem in den Familien, abzielt, zum anderen auf die Fähigkeit, die Medien und ihre Sprache unter Verwendung der kulturellen Symbole unseres Volkes aktiv und kreativ zu nutzen.
285 - Es ist erforderlich, die katholischen Universitäten zu ermutigen, damit sie 285 eine Ausbildung in sozialer Kommunikation auf höchster menschlicher, akademischer und professioneller Ebene anbieten. In den Seminaren und Einrichtungen für religiöse Ausbildung werden die entsprechenden Kommunikationssprachen und -techniken gelehrt werden, die eine ausreichende, systematische Vorbereitung gewährleisten.
Heute ist es unerlässlich, die Informatik zu benutzen, um unsere Mittel zur Verkündigung des Evangeliums zu optimieren. Bei der Einrichtung des kirchlichen Computernetzes in den verschiedenen Bischofskonferenzen müssen Fortschritte erzielt werden.
286 Die katholischen Verlage müssen in koordinierter Form innerhalb der organischen Pastoral arbeiten.
Dritter Teil: Jesus Christus, Leben und Hoffnung Lateinamerikas und der Karibik
Vorrangige pastorale Grundlinien
287 Wir sind von unseren Teilkirchen aus nach Santo Domingo gekommen. Wir waren Träger der «Freude und der Hoffnung, der Trauer und der Furcht» (GS 1) unserer Völker. Uns begleitete das Verlangen nach Leben und Hoffnung für den Kontinent.
Unsere Zusammenkunft mit dem Heiligen Vater festigte uns im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zum Herrn und zur Kirche. Die spirituelle Gemeinschaft so vieler Brüder, die für uns gebetet und uns ihre Unterstützung angeboten haben, hat uns Kraft gegeben.
Die tägliche Feier der Eucharistie, die Meditation über das Wort Gottes und die gemeinsame Arbeit im Vertrauen auf den Herrn ermöglichten uns eine wirkliche Erfahrung der Gegenwart Jesu mitten unter uns (vgl. Mt 18,20) und der Wirkung des Geistes.
«Jesus Christus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit» hat uns verspüren lassen, dass er aus uns «neue Schöpfungen» (vgl. 2 Kor 5,17) macht, dass er uns «Leben in Fülle» (Joh 10,10) gibt, dass er uns «ewiges Leben» (Joh 6,54) verspricht. Er ist «unsere Hoffnung» (1 Tim 1,1).
Nun kehren wir zurück in die verschiedenen Bereiche unseres Amtes. Wir werden das Evangelium des Lebens verkünden. Wir werden fortfahren, jedem Menschen, den der Herr uns auf unseren Wegen sendet, «Rede und Antwort über unsere Hoffnung zu stehen» (1 Petr 3,15).
288 Am Ende unserer Reflexionen blicken wir mit Herzen, die Gott danken, auf unsere Arbeit zurück, um die wichtigsten, von uns erarbeiteten pastoralen Grundlinien zu benennen und um unseren Marsch fortzusetzen. Dabei sollen uns die drei Themen leiten, von denen uns der Heilige Vater nahelegte, sie ab dieser 4. Generalversammlung zu studieren, zu vertiefen und umzusetzen. Blicken wir auf unseren Weg zurück, verkünden wir mit neuem Elan unseren Glauben an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, den einzigen Grund unseres Lebens und die Quelle unseres Auftrags. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er gibt uns das Leben, das wir unseren Völkern in Fülle vermitteln möchten, damit alle einen Geist der Solidarität, der Versöhnung und der Hoffnung haben.
289 Wir legen dieses Glaubensbekenntnis unter dem Schutz unserer Lieben Frau von Guadalupe ab, der Schutzpatronin Lateinamerikas, die bei diesem Treffen der Bischöfe mit uns war und die uns stets bei dem Auftrag, mit dem der Herr uns betraut, begleitet.
290 Wir erneuern unsere Absicht, die pastoralen Orientierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils durchzusetzen, die in den Generalversammlungen der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellin und Puebla angewandt und mit Hilfe der in dieser Konferenz erarbeiteten pastoralen Grundlinien aktualisiert wurden.
291 Die drei vom Heiligen Vater vorgeschlagenen Themen stellen für uns die drei großen pastoralen Grundlinien dar, die wir für unsere Kirchen übernehmen. Jede Teilkirche und jede Bischofskonferenz können in den Orientierungen von Santo Domingo die pastoralen Herausforderungen und Grundlinien finden, die ihren konkreten Anforderungen am meisten gerecht werden.
292 Im Namen unserer Teilkirchen Lateinamerikas und der Karibik verpflichten wir uns, in folgenden Bereichen zu arbeiten:
1. Einer neuen Evangelisierung unserer Völker.
2. Einer integralen Förderung der lateinamerikanischen und karibischen Völker.
3. Einer inkulturierten Evangelisierung.
In diesem Sinne betonen wir die Elemente, die während der Generalversammlung besonders hervorgehoben und für geeignet befunden wurden, den drei bedeutendsten pastoralen Grundlinien Antrieb zu geben und sie zu konkretisieren.
1. Eine neue Evangelisierung unserer Völker
293 1.1 Die Verpflichtung obliegt uns allen aus lebendigen Gemeinschaften heraus. Eine besondere Rolle kommt, den Orientierungen des Apostolischen Schreibens «Christifideles Laici» folgend, den Laien zu. Unter ihnen rufen wir gemäß der ständigen Aufforderung des Papstes einmal mehr die jungen Leute dazu auf, erneuernde Kraft der Kirche und Hoffnung der Welt zu sein.
Um Priestern, ständigen Diakonen, Ordensleuten und Mitgliedern der Säkularinstitute Anregungen für die neue Evangelisierung zu geben, werden wir eine kraftvolle Berufungspastoral fördern.
294 1.2 Wir alle sind zur Heiligkeit berufen (vgl. LG 39-42). In einer Kirche, die missionarische Gemeinschaft ist, benötigen wir dringend eine entschiedene Bemühung um die beständige Glaubenserziehung mit Hilfe der Katechese, die ihre Grundlage im Wort Gottes und im Lehramt der Kirche hat und den Katholiken erlaubt, in jeder Situation und auch gegenüber den Sekten und neuen religiösen Bewegungen Rede und Antwort über ihre Hoffnung zu stehen.
Die Feier des Glaubens in der Liturgie, der Höhepunkt des kirchlichen Lebens, ist mit Freude abzuhalten und in einer Form, die eine lebhaftere, aktivere und engagiertere Beteiligung an der Realität unserer Völker erlaubt.
295 1.3 Die missionarische Stunde Amerikas ist gekommen. Wir richten an alle Menschen einen starken und begeisterten Aufruf zur Evangelisierung, nicht nur im Schoße unserer Kirchen, sondern auch über unsere Grenzen hinaus. Dies wird die Antwort auf das Beispiel der Missionare sein, die aus anderen Teilen der Welt nach Amerika kamen, um uns ihren Glauben zu verkünden, und es wird auch eine Quelle der Großherzigkeit für unsere jungen Leute und eine Segnung für unsere Kirchen sein.
2. Eine integrale Förderung des Menschen in den lateinamerikanischen und karibischen Völkern
296 2.1 Wir schließen uns den Rufen der Armen an. Wir übernehmen mit erneuertem Elan die vorrangige Option für die Armen im Sinne des Evangeliums in Fortsetzung von Medellin und Puebla. Diese Option, die weder ausschließlich gilt, noch jemanden ausschließt, wird unsere gesamte Evangelisierung nach dem Vorbild Jesu Christi erleuchten.
In diesem Licht fordern wir dazu auf, eine neue wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung im Einvernehmen mit der Würde aller und jedes einzelnen Menschen zu fördern, Gerechtigkeit und Solidarität voranzutreiben und für alle Menschen Horizonte der Ewigkeit zu eröffnen.
297 2.2 Wir sagen ja zum Leben und zur Familie. Angesichts der schweren Angriffe auf das Leben und die Familie, die in den letzten Jahren noch verschärft wurden, schlagen wir vor, entschieden für die Verteidigung und Förderung des Lebens und der Familie einzutreten, die Hauskirche und Heiligtum des Lebens ist, von der Empfängnis bis zum natürlichen Ende des zeitlichen Lebens. Alles menschliche Leben ist heilig.
3. Eine inkulturierte Evangelisierung
Dies ist die dritte Verpflichtung, die wir innerhalb der Perspektive neuer Methoden und Ausdrücke übernehmen, um heute die Botschaft des Evangeliums zu leben.
298 3.1 Die Großstädte Lateinamerikas und der Karibik mit ihren vielfältigen Problemen müssen uns eine Mahnung sein. Wir werden uns der Evangelisierung dieser Zentren widmen, in denen die Mehrheit unserer Bevölkerung lebt. Unsere Fürsorge wird sich auch auf die ländlichen Gebiete erstrecken; dort spürt man bereits die Auswirkungen kultureller Veränderungen.
299 3.2 Wir möchten uns der indigenen und afroamerikanischen Bevölkerung nähern, damit das in ihre Kulturen eingepflanzte Evangelium seine ganze Lebendigkeit offenbart und sie zum Zwecke gegenseitiger Bereicherung in einen Dialog der Gemeinschaft mit den übrigen christlichen Gemeinschaften treten.
300 3.3 Wir werden auch versuchen, eine wirksame Erziehung zufördern und uns entschieden um eine moderne Kommunikation zu bemühen.
301 Wir unterwerfen uns der Wirkung des Heiligen Geistes, der die Kirche seit dem Pfingstereignis in Liebe führt. Er gewährte uns die Gnade des II. Vatikanischen Konzils und unserer Generalversammlungen in Rio de Janeiro, Medellin und Puebla.
Wir sind überzeugt, dass es uns an seinem Beistand nicht mangeln wird, damit wir von Santo Domingo aus mit der Orientierung und unter der Leitung des Heiligen Vaters, des Nachfolgers Petri, geeinter unsere Arbeit fortsetzen und damit wir trotz unserer Grenzen die Verkündigung Jesu Christi und seines Reiches in Lateinamerika und der Karibik mit Begeisterung betreiben können.
302 Die Kirche in Lateinamerika und der Karibik verkündet ihren Glauben:
«JESUS CHRISTUS: GESTERN, HEUTE UND IN EWIGKEIT» (vgl. Hebr 13,8)
Unsere Teilkirchen, vereint in Hoffnung und Liebe unter dem Schutz unserer Lieben Frau von Guadalupe, in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater und in Fortführung der pastoralen Orientierungen der Generalversammlungen von Medellin und Puebla, verpflichten sich, in folgenden Bereichen zu arbeiten:
1. Einer neuen Evangelisierung unserer Völker
- Zu der ALLE aufgerufen sind,
- mit Betonung auf der BERUFUNGSPASTORAL, wobei eine besondere Rolle den LAIEN zukommt und unter ihnen den JUNGEN MENSCHEN
- Mit Hilfe der ständigen Erziehung zum Glauben und seiner Feier: der KATECHESE und der LITURGIE
- Auch jenseits unserer eigenen Grenzen: MISSIONARISCHES LATEINAMERIKA
2. Einer integralen Förderung des lateinamerikanischen und karibischen Volkes
- Ausgehend von einer erneuerten vorrangigen Option für die ARMEN im Sinne des Evangeliums
- Im Dienste des LEBENS und der FAMILIE
3. Einer inkulturierten Evangelisierung
- Die die von der STÄDTISCHEN KULTUR geprägten Bereiche durchdringt
- Die in den INDIGENEN und AFROAMERIKANISCHEN KULTUREN lebendig wird
- Mit einer wirksamen ERZIEHUNG und MODERNER KOMMUNIKATION
Gebet
303 Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, Guter Hirte und unser Bruder. Unsere einzige Option bist Du.
Vereint in Liebe und Hoffnung, unter dem Schutz unserer Lieben Frau von Guadalupe, Stern der Evangelisierung, bitten wir um Deinen Geist.
Gib uns die Gnade, uns in Fortführung von Medellín und Puebla für eine neue Evangelisierung einzusetzen, zu der wir alle aufgerufen sind, wobei eine besondere Rolle den Laien zukommt, insbesondere den jungen Menschen, und uns einer ständigen Glaubenserziehung zu verpflichten, Dein Lob zu feiern und dich jenseits unserer eigenen Grenzen zu verkünden, im entschlossenen missionarischen Geist der Kirche. Vermehre unsere Berufungen, damit es nicht an Arbeitern bei Deiner Ernte fehle.
Gib uns die Kraft, uns für eine integrale Förderung des lateinamerikanischen und karibischen Volkes einzusetzen, ausgehend von einer erneuerten vorrangigen Option für die Armen im Sinne des Evangeliums, im Dienste am Leben und an der Familie.
Hilf uns, für eine inkulturierte Evangelisierung zu arbeiten, die die unterschiedlichen Bereiche unserer Städte durchdringt, die in den indigenen und afroamerikanischen Kulturen lebendig wird durch wirksame Erziehung und moderne Kommunikation. Amen.
Anhang 1: Botschaft von Johannes Paul II. an die Eingeborenenbevölkerung
13. Oktober 1992
Liebe einheimische Schwestern und Brüder des amerikanischen Kontinents!
1 Beim Bedenken des 5. Jahrhunderts seit Beginn der Evangelisierung der neuen Welt nehmen die Nachkommen der Frauen und Männer, die diesen Kontinent bevölkerten, als das Kreuz Christi am denkwürdigen 12. Oktober 1492 aufgerichtet wurde, im Herzen und in der Zuneigung des Papstes einen besonderen Platz ein.
Von der Dominikanischen Republik aus, wo ich die Freude hatte, einigen von euren Vertretern zu begegnen, richte ich meine Botschaft des Friedens und der Liebe an alle einheimischen Personen und völkischen Gruppen von der Halbinsel Alaska bis zum Feuerland. Ihr seid die Nachkommen der Völker Tupi-guarani, Aymara, Maya, Quechua, Chibcha, Nahuatl, Mixteco, Araucano, Yanomani, Guafiro, Inuit, Apachen und sehr vieler anderer, die sich durch den Adel ihres Geistes ausgezeichnet haben und in ihren angestammten Kulturwerten hervortreten, wie die Kultur der Azteken, Inka und Maya, und die sich rühmen können, eine Lebensauffassung zu besitzen, die den sakralen Charakter der Welt und des Menschen anerkennt. Einfachheit, Bescheidenheit, Freiheitsliebe, Gastfreundschaft, Solidarität, Anhänglichkeit an die Familie, Bewusstsein für die Erde und Sinn für Kontemplation sind weitere zahlreiche Werte, die das einheimische Bewusstsein Amerikas bis in unsere Tage bewahrt hat und die einen Beitrag für Amerika darstellen.
2 Vor nunmehr 500 Jahren kam das Evangelium Jesus Christi zu euren Völkern. Doch schon vorher, und ohne dass sie es geahnt hätten, war der lebendige und wahre Gott gegenwärtig unter ihnen und erhellte ihre Wege. Der heilige Apostel Johannes sagt uns, dass das Wort, der Sohn Gottes, «das wahre Licht (ist), das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt» (Joh 1,19). Tatsächlich waren die «Samenkörner des Wortes» bereits präsent und erleuchteten das Herz eurer Vorfahren, und so entdeckten sie die Spuren Gottes, des Schöpfers, in all seinen Geschöpfen: in der Sonne, im Mond, in der Mutter Erde, in den Vulkanen und Urwäldern, in den Seen und Flüssen. Doch im Licht der Frohbotschaft erkannten sie, dass alle jene Wunderwerke der Schöpfung nur ein schwaches Abbild ihres Urhebers waren und dass die menschliche Person, weil sie Bild und Gleichnis des Schöpfers ist, weit höher steht als die materielle Welt und dass sie eine transzendente und ewige Bestimmung hat. Jesus von Nazaret, der Sohn Gottes, wurde Mensch und hat uns durch seinen Tod und seine Auferstehung von der Sünde befreit und uns zu Adoptivkindern Gottes gemacht. Er hat uns den Weg zum Leben ohne Ende eröffnet. Die Botschaft Jesu Christi ließ sie erkennen, dass alle Menschen Brüder sind, weil sie einen gemeinsamen Vater haben: Gott. Und alle sind aufgerufen, einen Teil der einen Kirche zu bilden, die der Herr mit seinem Blute gegründet hat (vgl. Apg 20,28).
Im Licht der christlichen Offenbarung kamen die altüberlieferten Tugenden eurer Vorfahren wie die Gastfreundschaft, die Solidarität und der Geist der Hochherzigkeit zu ihrer Fülle in dem großen Gebot der Liebe, das das oberste Gesetz des Christen sein muss. Die Überzeugung, dass das Böse mit dem Tod und das Gute mit dem Leben identisch sind, öffnete ihr Herz für Jesus, der «Weg, Wahrheit und Leben ist» (Joh 14,6).
All das, was die Kirchenväter «Samen des Wortes» nennen, wurde gereinigt, vertieft und ergänzt durch die christliche Botschaft, die die universale Brüderlichkeit predigt und die Gerechtigkeit verteidigt. Jesus hat jene selig gepriesen, die nach Gerechtigkeit dürsten (vgl. Mt 5,6). Welch anderes Motiv als die Predigt der Ideale des Evangeliums hat zahlreiche Missionare veranlasst, die Gewalttätigkeiten gegen die Eingeborenen in der Zeit der Eroberung anzuprangern? Das beweisen das apostolische Wirken und die Schriften von Bartolomé de Las Casas, Fray Antonio de Montesinos, Vasco de Quiroga, Juan dei Valle, Julián Garcés, Jose de Anchieta, Manuel de Nóbrega und vielen anderen Frauen und Männern, die hochherzig ihr Leben für die Eingeborenen einsetzten. Wie kann die Kirche, die mit ihren Ordensleuten, Priestern und Bischöfen immer auf der Seite der eingeborenen Bevölkerung stand, an diesem 500. Jahrestag das namenlose Leid vergessen, das den Bewohnern dieses Kontinents während der Zeit der Eroberung und Kolonialisierung zugefügt wurde? In aller Demut und Wahrheit muss diese Sünde des Menschen gegen den Menschen eingestanden werden, die aufgrund von fehlender Liebe derjenigen begangen wurde, die in den Eingeborenen keine Brüder und Kinder desselben Vaters sahen.
3 Bei dieser Gedenkfeier für das 5. Jahrhundert möchte ich wiederholen, was ich euch bei meiner ersten Pastoralreise nach Lateinamerika sagte: «Papst und Kirche sind mit euch und lieben euch und eure Kultur; eure Tradition und eure großartige Vergangenheit sind eine Ermutigung für die Gegenwart und eine Hoffnung für die Zukunft» (Ansprache in Cuilapan, 29.1.1979,5). Daher möchte ich mich auch zum Sprecher eurer Anliegen machen.
Ich weiß, dass ihr als Personen und als Bürger geachtet werden möchtet. Die Kirche macht sich ihrerseits dieses berechtigte Bestreben zu eigen, da eure Würde nicht geringer ist als die einer jeden anderen Person oder Rasse. Jede Frau und jeder Mann wurde nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen (vgl. Gen 1,26-27). Jesus aber, der immer seine bevorzugte Liebe zu den Armen und Verlassenen gezeigt hat, sagt uns: Alles, was wir «einem meiner geringsten Brüder getan oder nicht getan» haben, das haben wir ihm getan (vgl. Mt 25,40). Keiner, der sich des christlichen Namens rühmt, darf andere wegen ihrer Rasse oder Kultur verachten oder diskriminieren. Der Apostel Paulus ermahnt uns hier: «Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie» (1 Kor 12,13).
Der Glaube, liebe Schwestern und Brüder, überwindet die Unterschiede zwischen den Menschen. Glaube und Taufe schenken einem neuen Volk das Leben: dem Volk der Kinder Gottes. Doch auch wenn der Glaube die Unterschiede überwindet, so zerstört er sie doch nicht, er achtet sie vielmehr. Die Einheit von uns allen in Christus bedeutet nicht Einförmigkeit vom menschlichen Gesichtspunkt aus. Im Gegenteil: Die kirchlichen Gemeinschaften fühlen sich bereichert, wenn sie die vielfältige Verschiedenheit und die Unterschiede aller ihrer Mitglieder annehmen.
4 Daher ermuntert die Kirche die Eingeborenen, die Kultur ihrer Völker mit berechtigtem Stolz zu bewahren und zu fördern: die gesunden Überlieferungen und Gewohnheiten, die eigene Sprache und die eigenen Werte. Wenn ihr eure Identität verteidigt, übt ihr nicht nur ein Recht aus, ihr erfüllt zugleich die Pflicht, eure Kultur den kommenden Generationen weiterzugeben und auf diese Weise die ganze Gesellschaft zu bereichern. Diese kulturelle Dimension wird im Hinblick auf die Evangelisierung eine Priorität der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe sein, die in Santo Domingo versammelt ist und die ich zu meiner Freude als Hauptpunkt meiner Reise bei Gelegenheit der Feier des 5. Jahrhunderts eröffnen durfte.
Der Schutz und die Achtung der Kulturen, wobei alles Positive in ihnen gewertet wird, bedeutet freilich nicht, dass die Kirche auf ihre Sendung verzichtet, die Sitten zu heben und alles abzulehnen, was der Moral des Evangeliums entgegensteht oder ihr widerspricht. Das Dokument von Puebla sagt: «Die Kirche hat die Aufgabe, Zeugnis abzulegen für den wahren Gott und einzigen Herrn.» Daher kann die Evangelisierung, die dazu auffordert, «falsche Vorstellungen von Gott, unnatürliche Verhaltensweisen und unrechte Manipulation des Menschen durch den Menschen abzulegen, nicht als Angriff gesehen werden» (405-406).
Zentrales Element in den einheimischen Kulturen ist die Wertschätzung und Nähe zur Mutter Erde. Ihr liebt die Erde und möchtet im Kontakt mit der Natur bleiben. Ich vereine meine Stimme mit der all jener, die wirksame Strategien und Mittel fordern, die von Gott geschaffene Natur zu beschützen und zu erhalten. Die gebührende Achtung vor der Umwelt muss immer Vorrang erhalten vor ausschließlich wirtschaftlichen Interessen oder der missbräuchlichen Ausbeutung der Schätze von Erde und Meer.
5 Unter den Problemen, die zahlreiche Gemeinschaften von Einheimischen bedrücken, sind jene zu nennen, die mit dem Landbesitz zusammenhängen. Ich weiß, dass die Hirten der Kirche aufgrund der Forderungen des Evangeliums und in Übereinstimmung mit der Soziallehre nicht aufgehört haben, eure berechtigten Ansprüche zu unterstützen, sich für angemessene Landreformen einzusetzen und zur Solidarität aufzufordern als Weg, der zur Gerechtigkeit führt. Ich kenne auch die Schwierigkeiten, vor denen ihr bei Themen wie die soziale Sicherheit, das Recht auf Zusammenschluss, die landwirtschaftliche Ausbildung, die Beteiligung am nationalen Leben, die umfassende Ausbildung eurer Kinder, das Erziehungs- und Gesundheitswesen, das Zusammenleben und bei vielen anderen Fragen steht, die euch bedrängen. Hier kommen mir die Worte in den Sinn, die ich vor einigen Jahren bei der unvergeßlichen Begegnung von Quetzaltenango an die Eingeborenen gerichtet habe: «Liebe Töchter und Söhne! Die Kirche weiß, dass ihr darunter leidet, an den Rand gedrängt zu sein; sie weiß um die Ungerechtigkeiten, die ihr erleidet, um die ernsten Schwierigkeiten, denen ihr bei der Verteidigung eures Bodens und eurer Rechte ausgesetzt seid, um den häufigen Mangel an Achtung vor euren Sitten und Traditionen. Was sie betrifft, ist es ihr Wunsch, ihre Aufgabe der Evangelisierung zu erfüllen, indem sie euch beisteht und ihre anklagende Stimme erhebt, sooft eure Würde als Menschen und Kinder Gottes verletzt wird; sie will euch friedlich begleiten, wie es das Evangelium fordert, aber mit Entschlossenheit und Tatkraft, damit die Anerkennung und Förderung eurer Würde und eurer Menschenrechte gelingt» (Ansprache in Quetzaltenango, 7.3.1983, 4).
Innerhalb der ihr eigenen religiösen Sendung scheut die Kirche keine Mühen bei der Förderung all jener Initiativen, die dem Gemeinwohl und der integralen Entwicklung eurer Gemeinschaften zugutekommen. Beweis für diesen entschiedenen Willen zur Zusammenarbeit und Hilfe ist die kürzliche Errichtung der Stiftung «Populorum progressio» durch den Heiligen Stuhl. Sie besitzt Hilfsmittel für einheimische Gruppen und weniger begünstigte Gruppen der Landbevölkerung von Lateinamerika.
Ich ermuntere euch ferner, euch erneut zu bemühen, euer geistiges und menschliches Aufstreben auch in die eigenen Hände zu nehmen durch ernste und beständige Arbeit, die Treue zu euren besten Überlieferungen und die Beachtung der Tugenden. Baut deswegen auf die echten Werte eurer Kultur, die sich über die Generationen hinweg, die vor euch dieses gesegnete Land bewohnten, herausgebildet haben. Baut aber vor allem auf den größeren Reichtum, den ihr durch die Gnade Gottes empfangen habt: euren katholischen Glauben·. Wenn ihr den Lehren des Evangeliums folgt, wird es euch gelingen, aus euren Völkern treue Befolger der rechtmäßigen Überlieferungen zu machen und sie sowohl materiell wie geistig zu fördern. Erleuchtet durch den Glauben an Jesus Christus, werdet ihr in den Mitmenschen vor jedem Unterschied der Rasse oder Kultur eure Brüder sehen. Der Glaube wird euer Herz weit machen, so dass darin alle eure Mitbürger Platz haben. Der gleiche Glaube wird aber auch die anderen veranlassen, euch zu lieben und eure Eigenart zu achten sowie sich mit euch beim Aufbau einer Zukunft zu vereinen, in der alle aktiv und verantwortlich beteiligt sind, wie es der christlichen Würde entspricht.
6 Was den Platz angeht, der euch in der Kirche zukommt, so ermahne ich alle, jene pastoralen Initiativen zu fördern, die eine größere Integration und Beteiligung der einheimischen Gemeinschaften am kirchlichen Leben begünstigen. Daher ist ein erneutes Bemühen bei der Inkulturation des Evangeliums nötig, denn «ein Glaube, der nicht Kultur wird, ist ein nicht voll angenommener Glaube; er ist nicht völlig durchdacht und nicht getreu im Leben verwirklicht» (Ansprache an die Welt der Kultur, Lima, 15.5.1988). Es geht schließlich darum, zu erreichen, dass die katholischen Eingeborenen zu Anführern ihrer eigenen Förderung und Evangelisierung auf allen Gebieten werden, die verschiedenen Dienste eingeschlossen. Welch unermeßliche Freude wird anjenem Tag sein, an dem eure Gemeinschaften weibliche und männliche Missionare, Priester und Bischöfe besitzen, die aus euren eigenen Familien hervorgegangen sind und euch zur Anbetung Gottes «im Geist und in der Wahrheit» anleiten (Joh 4,23)!
Die Botschaft, die ich euch heute auf amerikanischem Boden anvertraue, im Andenken an fünf Jahrhunderte der Präsenz des Evangeliums unter euch, soll ein Aufruf zur Hoffnung und zum Vergeben sein. In dem Gebet, das Jesus Christus uns gelehrt hat, sagen wir: «Vater unser ... Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern». Jesus hat «Worte des ewigen Lebens» (ln 6,68); er weiß, «was im Menschen ist» (vgl. ln 2,25). Im Namen Jesu Christi bitte ich euch als Hirte der Kirche, «jedem zu verzeihen, der euch Unrecht getan hat», all denen zu vergeben, die während dieser fünfhundert Jahre euren Vorfahren und euch Schmerz und Leiden zugefügt haben. Indem wir vergeben, legen wir das "Unrecht", das der Mensch getan hat, in die Hände Gottes und wissen dabei, dass der Herr die heiligste Gerechtigkeit und die gerechteste Barmherzigkeit ist. Er ist der einzige Herr der Geschichte, Erschaffer der Welt und Erlöser des Menschen. Mit unserem Vergeben erneuern wir uns selbst im Geist, und unser Wille wird gestärkt. Die Welt bedarf immer der Vergebung und Versöhnung unter den Menschen und unter den Völkern. Nur auf dieser Grundlage wird man eine gerechtere und brüderlichere Gesellschaft errichten können. Deshalb rufe ich an diesem feierlichen Jahrestag und im Namen des Herrn Jesus euch inständig auf, «euren Schuldigern» - wie wir im Vaterunser sagen - alle Vergehen und Ungerechtigkeiten zu vergeben, die euch zugefügt wurden und von denen viele nur Gott bekannt sind.
Die Kirche, die euch während dieser fünfhundert Jahre auf eurem Weg begleitet hat, wird alles in ihrer Macht Stehende tun, dass die Nachkommen der alten Völker Amerikas in der Gesellschaft und in den kirchlichen Gemeinschaften den Platz einnehmen, der ihnen zukommt.
Ich bin mir der schweren Probleme und Schwierigkeiten bewusst, mit denen ihr fertigwerden sollt. Doch seid gewiss, dass euch nie die Hilfe Gottes und der Schutz seiner heiligen Mutter fehlen werden, wie es eines Tages auf dem Hügel von Tepeyac dem Indianer Juan Diego versprochen wurde, einem bedeutenden Sohn aus eurem Blut, den ich zu meiner Freude zur Ehre der Altäre erheben durfte: «Höre und verstehe, mein kleinster Sohn, dass das, was dich erschreckt und bedrängt, nichts ist; dein Herz soll sich nicht ängstigen; fürchte weder diese Krankheit noch andere oder weitere Sorgen! B in nicht ich, deine Mutter da? Stehst du nicht in meinem Schatten? Bin ich nicht deine Gesundheit? Weilst du nicht in meinem Schoß?» (Nican Mopohua).
Möge unsere Liebe Frau von Guadalupe euch alle beschützen, während ich euch von Herzen segne im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Gegeben in Santo Domingo, am 12. Oktober 1992, dem 500. Jahrestag der Evangelisierung Amerikas.
Anhang 2: Botschaft von Johannes Pauill. an die Afroamerikaner
13. Oktober 1992
Liebe afroamerikanische Schwestern und Brüder!
1 Die Feier des 5. Jahrhunderts der Evangelisierung der Neuen Welt bietet mir eine günstige Gelegenheit, von der Stadt Santo Domingo aus an euch meine Botschaft der Ermunterung zu richten, die eure Hoffnung stärken und euer christliches Bemühen tragen soll, euren Gemeinschaften neue Lebenskraft zu schenken, denen ich als Nachfolger Petri einen lieben und herzlichen Gruß sende mit den Worten des heiligen Apostels Paulus: «Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus» (Gal 1,3). Die Evangelisierung Amerikas bietet einen Anlass zu tiefem Dank gegen Gott, der in seiner unendlichen Barmherzigkeit gewollt hat, dass die Botschaft des Heiles auch die Bewohner dieser gesegneten Länder erreiche. Durch das Kreuz Christi befruchtet, wurden Leben und Geschichte seiner Völker geprägt, und im Verlauf dieser fünf Jahrhunderte haben sie überreiche Früchte der Heiligkeit und Tugend gebracht.
Das Datum des 12. Oktober 1492 bezeichnet den Beginn der Begegnung zwischen Rassen und Kulturen, die die Geschichte dieser 500 Jahre prägen sollte, worin der tiefer schauende christliche Blick das liebevolle Wirken Gottes erkennen kann, auch abgesehen von den Grenzen und der Untreue der Menschen. Tatsächlich begegnen wir in der Geschichte einem geheimnisvollen Zusammenwirken von Sünde und Gnade, doch die Gnade triumphiert in ihrem Verlauf doch über die Macht der Sünde. So sagt es uns der heilige Paulus: «Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden» (Röm 5,20).
2 Bei den Feiern dieses 5. Jahrhunderts konnte meine Botschaft der Verbundenheit und lebhaften Zuneigung zu den afroamerikanischen Volksgruppen nicht fehlen, die einen bedeutenden Teil im Ganzen des Kontinents ausmachen und die mit ihren menschlichen und christlichen Werten, aber auch mit ihrer Kultur die Kirche und die Gesellschaft in vielen Ländern bereichern. Hier kommen mir die Worte von Simón Bolivar in den Sinn, der sagte: «Amerika ist das Ergebnis der Vereinigung von Europa und Afrika mit einheimischen Elementen. Daher gibt es hier keine rassistischen Vorurteile, und wenn sie auftauchen würden, dann würde Amerika ins ursprüngliche Chaos zurücksinken.»
Allen ist das schwere Unrecht bekannt, das jenen schwarzen Bevölkerungsgruppen des afrikanischen Kontinents angetan wurde, als man sie gewaltsam ihrem Boden, ihren Kulturen und Überlieferungen entriß, µm sie als Sklaven nach Amerika zu bringen. Bei meiner apostolischen Reise nach Senegal wollte ich die Insel Goree nicht aussparen, von der aus sich ein Teil jenes schändlichen Handels abwickelte, und ich wollte das beständige und feste Nein der Kirche neu mit den Worten bekräftigen, die ich nun wiederholen möchte: «Der Besuch des <Sklavenhauses> erinnert uns an den Negerhandel, den Pius 11., als er 1462 an einen nach Guinea abreisenden Missionar schrieb, als <großes Verbrechen> bezeichnete. Während einer ganzen Epoche der Geschichte des afrikanischen Kontinents sind schwarze Männer, Frauen und Kinder, ihrer eigenen Erde entrissen und von ihren Nächsten getrennt, auf diesen engen Raum geführt worden, um hier als Ware verkauft zu werden ... Diese Männer, Frauen und Kinder wurden Opfer eines schändlichen Handels, an dem sich Menschen beteiligt haben, die getauft waren, aber ihren Glauben sicherlich nicht lebten. Wie kann man das namenlose Leid vergessen, das unter Missachtung der elementarsten Menschenrechte den aus dem afrikanischen Kontinent verschleppten Völkern zugefügt wurde? Wie kann man die Menschenleben vergessen, die in der Sklaverei vernichtet wurden? In aller Demut und Wahrheit muss diese Sünde des Menschen gegen den Menschen ... eingestanden werden» (Ansprache auf der Insel Goree, Senegal, 21.02.92).
3 Schauen wir auf die heutige Wirklichkeit der Neuen Welt, so sehen wir viele und lebendige afroamerikanische Gemeinschaften, die, ohne ihre historische Vergangenheit zu vergessen, den Reichtum ihrer Kultur in die Verschiedenheit des Kontinents einbringen. Mit Beharrlichkeit und nicht ohne Opfer tragen sie zum Gemeinwohl bei und fügen sich in das soziale Ganze ein, wobei sie aber ihre Identität, ihre Gewohnheiten und Sitten beibehalten. Diese Treue zu ihrem eigenen Sein und geistigen Erbe ist etwas, das die Kirche nicht nur achtet, sondern fördert und verstärken möchte, da der Mensch - der ganze Mensch - nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurde (vgl. Gen 1,26-27) und daher jede menschliche Wirklichkeit ein Ausdruck dieses Bildes ist, das Christus mit seinem Erlösungsopfer wieder erneuert hat.
Dank der Erlösung Christi sind alle Menschen, liebe afroamerikanische Schwestern und Brüder, von der Finsternis zum Licht übergegangen. Sie waren «nicht mein Volk», jetzt aber heißen sie «Kinder des lebendigen Gottes» (vgl. Hos 2,1). Als «Auserwählte Gottes» bilden wir einen einzigen Leib, der die Kirche ist (vgl. Kol3,12-15), in dem nach den Worten des heiligen Paulus «es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie (gibt), sondern Christus alles und in allen ist» (Kol3, 11). Tatsächlich überwindet der Glaube die Unterschiede zwischen den Menschen und lässt ein neues Volk entstehen, nämlich das Volk der Kinder Gottes. Doch auch wenn der Glaube die Unterschiede zwischen den Christen überwindet, so zerstört er sie doch nicht, sondern achtet sie vielmehr und wertet sie auf.
Daher fordere ich euch bei diesem Gedenken an das 5. Jahrhundert auf, eure Identität zu verteidigen, euch eurer Werte bewusst zu sein und sie fruchtbar zu machen. Doch als Hirte der Kirche ermahne ich euch vor allem, euch des großen Reichtums bewusst zu sein, den ihr dank Gottes Gnade empfangen habt: eures katholischen Glaubens. Im Lichte Christi werdet ihr erreichen, dass eure Gemeinschaften sowohl materiell wie geistig wachsen und voranschreiten und so die Gaben verbreiten, die Gott euch anvertraut hat. Erleuchtet durch den christlichen Glauben, werdet ihr in den anderen Menschen, jenseits von jedem Unterschied der Rasse oder Kultur, Brüder und Kinder des gleichen Vaters erkennen.
4 Die Sorge der Kirche für euch und eure Gemeinschaften wird im Hinblick auf die neue Evangelisierung, die Entwicklung des Menschen und die christliche Kultur bei der 4. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe, die ich zu meiner Freude gestern eröffnen durfte, deutlich gemacht werden. Ohne zu vergessen, dass viele Werte im Sinn des Evangeliums Kultur, Mentalität und Leben der Afroamerikaner erfüllt und bereichert haben, muss doch die pastorale Aufmerksamkeit verstärkt und müssen die spezifischen Elemente der kirchlichen Gemeinschaften mit eigener Gestalt hervorgehoben werden.
Das Werk der Evangelisierung zerstört eure Werte nicht, solange es sie respektiert, konsolidiert und festigt; es lässt die «Samenkörner des Wortes Gottes wachsen, das schon, bevor es Fleisch wurde, um alle zu retten und in sich als dem Haupt zusammenzufassen, in der Welt als das wahre Licht; das jeden Menschen erleuchtet» (Gaudium et spes, 57). Getreu der Universalität ihrer Sendung verkündet die Kirche Jesus Christus und fordert die Menschen sämtlicher Rassen und Lebensverhältnisse auf, ihre Botschaft anzunehmen. Wie die lateinamerikanischen Bischöfe auf ihrer Generalversammlung in Puebla de los Angeles gesagt haben, hat die Kirche die Aufgabe, «Zeugnis abzulegen für den einen Gott und einzigen Herrn. Daher kann die Evangelisierung, die dazu auffordert, falsche Vorstellungen von Gott, unnatürliche Verhaltensweisen und unrechte Manipulation des Menschen durch den Menschen abzulegen, nicht als Angriff gesehen werden» (Nr. 405-406). Tatsächlich erneuert die Kirche mit der Evangelisierung die Kulturen, bekämpft die Irrtümer, reinigt und hebt die Moral der Völker, fördert die Überlieferungen und festigt und erneuert sie in Christus (vgl. Gaudium et spes, 58).
5 Ich weiß, dass das Leben vieler Afroamerikaner in den verschiedenen Ländern nicht ohne Schwierigkeiten und Probleme ist. Die Kirche ist sich dessen wohl bewusst. Sie teilt eure Leiden und begleitet und unterstützt eure berechtigten Bestrebungen um ein gerechteres und würdigeres Leben für alle.
In diesem Zusammenhang danke ich besonders lebhaft den vielen Priestern und Ordens leuten und ermutige ihr apostolisches Wirken, damit sie ihren Dienst gerade bei den Ärmsten und am meisten Notleidenden tun. Ich bitte Gott, dass in euren christlichen Gemeinschaften auch zahlreiche Berufungen zum Priester- und Ordensstand erstehen, damit die Afroamerikaner des Kontinents mit Dienern rechnen können, die aus euren eigenen Familien hervorgegangen sind.
Während ich euch dem mütterlichen Schutz der heiligen Jungfrau empfehle, deren Verehrung im Leben und christlichen Handeln der afroamerikanischen Katholiken so tief verwurzelt ist, segne ich euch im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Gegeben in Santo Domingo, 12. Oktober 1992, dem 500. Jahrestag der Evangelisierung Amerikas.
Abschlussgebet
Jesus Christus, lebendig und gegenwärtig in der Welt, ist durch den goldenen Kreis dargestellt, der den Kontinent Latein-Amerika in sich birgt.
Dieser Kreis und dieser Kontinent sind vom goldenen Kreuz der Ersten und der neuen Evangelisierung durchdrungen, eines ausreichend weiten Kreuzes, das zu allen Menschen und allen Kulturen dieses Kontinents gelangt.
Aus dem Kreuz wächst in einer Art Verlängerung der Hirtenstab der Bischöfe, die sich in Santo Domingo versammeln, dort - als Repräsentaten und Abgesandte - die Ortskirchen Lateinamerikas vergegenwärtigen und in Gemeinschaft mit Christus und Maria danken, beraten und Entscheidungen treffen, die Gegenwart und Zukunft des Kontinents mitgestalten sollen.
Unter den Armen des Kreuzes erscheinen die griechischen Buchstaben Alpha und Omega. Sie stehen für die Wahrheit,
"Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit".
Abkürzungen
AA II. Vatikanisches Konzil, Dekret «Apostolicam Actuositatem»,18.11.65
AG II. Vatikanisches Konzil, Dekret «Ad Gentes», 7.12.65
CA Johannes Paul II., Enzyklika «Centesimus annus», 1.5.91
CD II. Vatikanisches Konzil, Dekret «Christus Dominus», 28.10.65
CEB Christliche Basisgemeinde
CEBs Christliche Basisgemeinden
CELAM Lateinamerikanischer Bischofsrat
CIC «Codex Iuris Canonici», veröffentlicht am 25. Januar 1983
CT Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben «Catechesi tradendae», 16.10.79
ChL Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben «Christifideles laici», 30.12.88
DP Dokument der 3. Generalversammlung des lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla de los Angeles, Mexiko, 1979
EN PAUL VI., Apostolisches Schreiben «Evangelii Nuntiandi», 8.12.75
FC Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben «Familiaris Consortio», 22.11.81
GS II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution «Gaudium et Spes», 7.12.65
LE Johannes Paul II., Enzyklika «Laborem exercens», 14.9.81
LG II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution «Lumen Gentium», 21.11.64
Med Dokumente zur 2. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín, Kolumbien, 1968
MD Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben «Mulieris dignitatem», 15.8.88
OT II. Vatikanisches Konzil, Dekret «Optatam Totius», 28.10.65
PC II. Vatikanisches Konzil, Dekret «Perfectae Caritatis»,28.10.65
PDV Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben «Pastores dabo vobis», 29.3.92
PP PAUL VI., Enzyklika «Populorum progressio», 26.3.76
RMi Johannes Paul II., Enzyklika « Redemptoris missio», 7.12.90
SC II. Vatikanisches Konzil, Konstitution «Sacrosanctum concilium» über die Heilige Liturgie, 4.12.63
SRS JOHANNES PAUL II., Enzyklika «Sollicitudo rei socialis», 30.12.87
UR II. VATIKANISCHES KONZIL, Dekret «Unitatis Redintegratio», 21.2.64
Weblinks
- Der original spanische Text bei www.iglesiacatolica.org.uy
- Reise Papst Johannes Pauls II. nach Santo Domingo im Oktober 1992 auf der Vatikanseite (italienisch und spanisch)