Rheinau
Auf der Klosterinsel Rheinau im Hochrhein (Kanton Zürich, Schweiz, heute Bistum Chur, früher Bistum Konstanz) bestand von 778 bis 1862 eine der ältesten und berühmtesten Benediktinerabteien im süddeutschen Raum. Nach der Säkularisation dienten die Klostergebäude bis Ende 2000 als Psychiatrische Klinik. Seit 2003 besteht auf der Insel ein "Haus der Stille".
Inhaltsverzeichnis
Gründungssage
Zur Zeit als Schaffhausen nur aus einem Kloster und einer Schifflände bestand, schlief dort ein reicher Edelmann beim Fischen in seinem Boot ein und sein unbefestigter Kahn wurde flussabwärts gespült. Der Edelmann hatte einen tiefen Schlaf und erwachte selbst nicht, als der Kahn über den Rheinfall hinabgerissen wurde. Als er wohlbehalten erwachte, merkte er, dass er eine Stunde unterhalb des Rheinfalls ans Land getrieben war. Aus Dank an Gott für seine wunderbare Rettung stiftete er an diesem Ort ein Kloster, die Benediktinerabtei Rheinau.
Geschichte
Das um 778 gegründete Rheinau war nach Säckingen (Anfang 7. Jahrhundert) und Reichenau (724) das jüngste der drei grossen Inselklöster am Oberrhein. Im neunten Jahrhundert lebte hier der hl. Fintan, ein irischer Wandermönch, als Inkluse. Im Chor der Klosterkirche, an der Stelle, wo 1446 sein angebliches Grab gefunden wurde, steht heute ein reich bebilderter steinerner Sarkophag.
Zur Zeit des hl. Fintan gründeten die Rheinauer Benediktiner die Cella Alba ("weisse Zelle") im Schwarzwald und übertrugen dorthin die Reliquien des hl. Blasius. Im 10. Jh. wurde das Kloster St. Blasien dann selbständig.
1114 wurde auf der Insel eine romanische Basilika eingeweiht. Vom 11. bis 13 Jahrhundert lebte im westlichen Teil der Insel eine Schwesterngemeinschaft. Ihre 1167 geweihte Kirche St. Felix und Regula steht heute nicht mehr.
Ab dem zweiten Jahrtausend ist die Geschichte der Benediktinerabtei einwandfrei belegt: um 1120 legten die Mönche das "Cartular" an, eine Urkundensammlung, welche heute noch vorhanden ist. Im 12. Jh. war Rheinau für sein Skriptorium berühmt. Reste der Klosterbibliothek werden heute in der Zentralbibliothek Zürich und in Einsiedeln verwahrt.
Die durch deutsche Könige und Kaiser verbriefte Selbständigkeit wurde von den verschiedenen Schirmvögten immer wieder in Frage gestellt. Nach entsprechenden Streitigkeiten im 12. und 13. Jh. erhoben zu Beginn des 15. Jh. die Grafen von Sulz Anspruch auf das Kloster und nahmen den Rheinauer Abt sogar mehrmals gefangen, wurden aber im Alten Zürichkrieg mit Hilfe der Stadt Schaffhausen besiegt und das Kloster begab sich 1455 unter die Schirmherrschaft der Eidgenossen.
Doch die Ruhe währte nur bis 1529: Während den Reformationswirren mussten Abt und Konvent fliehen und das Kloster fiel dem Bildersturm zum Opfer. Aber 1532 konnte das Münster wieder eingeweiht werden und der alte Glaube kehrte nach Rheinau zurück. In der zweiten Hälfte des 16. Jh. entstanden unter dem baufreudigen Prälaten Theobald Werlin zahlreiche, neue Bauten und mit dem Bau des Weinkellers dehnte sich das Kloster erstmals bis aufs Festland aus. Im Jahr 1603 trat die Abtei Rheinau als sechste Abtei der im Vorjahr gegründeten Schweizerischen Benediktinerkongregation bei. 1622 übernahm P. Urs Buri von Rheinau die Leitung des darniederliegenden Klosters Beinwil (das spätere Mariastein) und brachte es wieder zu neuer Blüte.
Unter Abt Gerold II. Zurlauben, im 18. Jh., erlebte das Kloster eine letzte grosse Blütezeit. 1710 wurde die heutige Klosterkirche eingeweiht und 1711 bis 1717 entstand der östliche Konventflügel. 1744 wurden das Kellergebäude vollendet und 1753 erbaute man eine neue Felix- und Regulakirche am flussaufwärts gelegenen Inselende.
1799 wurde Rheinau von der französischen Revolution erfasst und aufgehoben. Das Kloster konnte zwar schon 1803 wieder hergestellt werden, aber da Napoleon es dem reformierten Kanton Zürich zugeschlagen hatte, zeichnete sich sein Niedergang schon ab: 1836 verfügte der Kanton ein Novizenverbot, 1859 wurde der letzte Abt gewählt, der noch elf Mitbrüdern vorstand. 1862 wurde das Kloster Rheinau durch Kantonsratsbeschluss aufgehoben. 80% des Klostervermögens verwandte der Kanton für die Universität Zürich und andere Bildungsaufgaben. 700'000 Franken wurden zur Befriedigung der katholischen Bedürfnisse ausgeschieden und um dieses Geld auszugeben, errichtete der Staat für die Katholiken des Kantons, ohne Rücksichtnahme auf kirchliche Gesetze, Kirchgemeinden nach staatlichem Recht in Zürich, Winterthur, Dietikon und Rheinau. Dies war der Anfang des heutigen Schweizer Staatskirchensystems.
Pläne, das Kloster niederzureissen und einem Industriekomplex Platz zu machen, der die Wasserkraft nutzt, mussten wegen der zu schwachen Strömung des Rheins fallen gelassen werden und 1864 wurde das Kloster zu einer psychiatrischen Klinik umgebaut. 1867 bezogen 451 "Pfleglinge" mit 9 "Wärtern" und 20 "Wärterinnen" die Gebäude. Die Patientenzahl stieg bis 1900 auf 728 an, bei 115 Angestellten. Zu dieser Zeit wurde die Klinik Neu-Rheinau ausserhalb des Dorfes erbaut. Im Jahr 2000 wurde die Inselklinik geräumt und die gesamte Psychiatrie in Neu-Rheinau zusammengefasst.
Mit dem Wegzug der Psychiatrie stehen die Klostergebäude zur Zeit leer. Ausnahmen bilden die Klosterkirche, welche den Rheinauern seit der Aufhebung des Klosters als Pfarrkirche dient und das ehemalige Aufnahmegebäude, das als "Haus der Stille" von einer Frauenkongregation genutzt wird. Für die restlichen Räume sucht der Kanton als Besitzer eine sinnvolle Verwendung. Nachdem einige Zeit die Errichtung eines Musikzentrums im Gespräch war, strebt der Zürcher Regierungsrat nun eine multifunktionale Nutzung an.
Bergkirche
Die dem hl. Nikolaus von Myra geweihte Bergkirche wurde im Jahr 1296 in Folge der Besiedlung des Bergrückens der "Oberstadt" zur Pfarrkirche erhoben und dem Kloster inkorporiert.
Nachdem der Abt nach den Rheinauer Reformationswirren (1529-1531) wieder ins Kloster zurückgekehrt war und Rheinau für den katholischen Glauben zurückgewonnen werden konnte, musste die Bergkirche auf Geheiss Zürichs für den reformierten Gottesdienst offen bleiben.
1573 stürzte die Bergkirche ein und das zum Wiederaufbau verpflichtete Kloster versah den Neubau mit drei Apsiden. Der Klosterchronist schrieb: „1599 hat Abt Gerold uff dem Berg ein Sacristy und beinhauss, ein gitter, ein altar wider alles bellen der reformierten Zürchern gebauwt.“
Seit 1609 wird die Kirche paritätisch (Simultankirche, d.h. von Protestanten und Katholiken) benützt und beherbergt seitdem auch wieder das Allerheiligste. Die Bergkirche und die seit 2000 paritätisch genutzte Spitzkirche sind heute die einzigen noch bestehenden Simultankirchen im Kanton Zürich.
Am 6. August 2004 wurde die Kirche durch Blitzschlag zerstört. Sie konnte am 2. April 2006 wieder eingeweiht werden.
Spitzkirche
Das der hl. Magdalena geweihte spätgotische Kirchlein am Ostende der Klosterinsel wird wegen seiner Lage meist Spitzkirche genannt. Der Bau wurde am 5. Oktober 1587 von Abt Theobald Werlin in Auftrag gegeben.
Ursprünglich hatte das Gotteshaus drei Altäre: den Hauptaltar der hl. Magdalena und je einen Seitenaltar für den Mönchsvater Benedikt von Nursia und für Bruder Klaus.
Ums Jahr 1612 wurde das Kirchlein im Renaissance-Stil ausgemalt: Architekturmotive und Rankenwerk an den Wänden, von Putten umgebene Kirchenväter und die Leidenswerkzeuge Christi an der Decke, die vierzehn Nothelfer in den Seitenleibungen der Fenster.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Innere des Kirchleins mit Grottenaltären und einer romantisch-illusionistischen Übermalung ausgestattet.
Nach der Klosteraufhebung von 1862 wurde die Magdalenenkriche als Petrolkeller und als Schuppen für Baumaterial verwendet.
1930 wurde anlässlich einer Totalrenovation die ursprüngliche Ausmalung im Schiff wieder hergestellt und im Chor mit passenden Motiven ergänzt. Die zerbröckelnden Grottenaltäre wurden entfernt. Darauf wurde das Kirchlein wieder für den Gottesdienst zur Verfügung gestellt.
1991 fand nochmals eine Gesamtrestaurierung statt und 2000 wurde das verschollene Glöcklein ersetzt. Seit dem Wegzug der Psychiatrischen Klinik im Jahr 2000 wird die Spitzkirche in den Sommermonaten paritätisch genutzt.
Die Heiligenstatuen der drei ursprünglichen Altäre, welche sich im Archiv des Museum Allerheiligen in Schaffhausen befanden, sind heute wieder in Rheinau: die hl. Magdalena im "Haus der Stille", der hl. Benedikt und der hl. Bruder Klaus in der Sakristei der Klosterkirche.
Haus der Stille
Das "Haus der Stille" ist als "Kloster Maria die Reine" eines der drei Klöster der Spirituellen Weggemeinschaft, einer jungen Frauenkongregation. Das "Haus der Stille" ist ein Ort der Besinnung, dass allen Menschen offen steht, die in klösterlicher Atmosphäre den Dialog mit Gott suchen wollen und wo Menschen in persönlichen Krisen über längere Zeit am Leben der Gemeinschaft teilnehmen können. Bei Bedarf sind persönliche Gespräche möglich. Das Haus ist kein Bildungshaus. Im Zentrum stehen das Gebet und die Wegbegleitung.