Centesimus annus (Wortlaut)

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Enzyklika
Centesimus annus

von Papst
Johannes Paul II.
an die verehrten Mitbrüder im Bischofsamt, den Klerus, die Ordensleute,

die Gläubigen der Katholischen Kirche und alle Menschen guten Willens
zum hundertsten Jahrestag des Rundschreibens “Rerum novarum
5. Mai 1991
(Offizieller lateinischerText AAS 83 [1991] 793-867)

(Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 101, hg. vom Sekretariat der DBK 1991; auch in: DAS 1991, S. 1057-1114)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Verehrte Mitbrüder,
liebe Söhne und Töchter!
Gruß und Apostolischen Segen!

Einleitung

1. Der hundertste Jahrestag der Verkündigung der Enzyklika meines ehrwürdigen Vorgängers Leo XIII., die mit den Worten Rerum novarum<ref> Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891): Leonis XIII. P.M. Acta, XI Romae 1892, 97-144; Deutsche ("autorisierte") Übersetzung, in: Texte zur katholischen Soziallehre. Die sozialen Rundschreiben der Päpste und andere Kirchliche Dokumente, hrsg. vom Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (Einführungen von O. v. Nell-Breuning SJ und J. Schasching SJ), 7. Aufl., Köln 1989, S.42-80. Im vorliegenden Dokument erfolgt die Zitation aus Rerum novarum ausschließlich nach dieser Textausgabe, wobei auch die dort eingeführte Bezifferung übernommen wird.</ref> beginnt, zeigt in der Gegenwartsgeschichte der Kirche und auch in meinem Pontifikat ein Datum an, dem beachtliche Bedeutung zukommt. War doch dieser Enzyklika das Privileg beschieden, dass ihrer die Päpste seit dem vierzigsten Jahrestag ihrer Veröffentlichung bis zum neunzigsten mit feierlichen Dokumenten gedachten. Man kann sagen, ihr Gang durch die Geschichte hat seinen Rhythmus von anderen Schreiben erhalten, die die Enzyklika in Erinnerung riefen und sie zugleich aktualisierten.<ref> Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931), 177-228; Pius XII., Radiobotschaft vom 1. Juni 1941: AAS 33 (1941), 195-205; Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), 401-464; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971): AAS 63 (1961), 401-441.</ref>

Wenn ich es auf Grund von Bitten zahlreicher Bischöfe, kirchlicher Institutionen, akademischer Studienzentren, Unternehmer und Arbeiter - sowohl einzelner wie Mitglieder von Vereinigungen - zum hundertsten Jahrestag ebenso mache, möchte ich zunächst die Dankesschuld erfüllen, die die ganze Kirche dem großen Papst Leo XIII. und seinem "unsterblichen Dokument"<ref>Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno, III: a.a.O., 228.</ref> gegenüber hat. Ich möchte auch zeigen, dass der reiche Saft, der aus jener Wurzel quillt, mit den Jahren nicht versiegt, sondern sogar noch fruchtbarer geworden ist. Davon geben die Initiativen verschiedenster Art Zeugnis, die dieser Jubiläumsfeier vorausgegangen sind, sie begleiten und auf sie folgen werden, Initiativen, die von den Bischofskonferenzen, von internationalen Körperschaften, von Universitäten und akademischen Instituten, von Berufsvereinigungen und anderen Einrichtungen und Personen in vielen Teilen der Welt gefördert wurden.

2. Die vorliegende Enzyklika reiht sich ein in diese Gedenkfeiern, um vor allem Gott, von dem "jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt" (Jak 1,17), dafür zu danken, dass er sich eines vor hundert Jahren vom Stuhl Petri erlassenen Dokumentes bedient und dadurch in der Kirche und in der Welt soviel Gutes bewirkt und soviel Licht verbreitet hat. Das Gedenken, das hier begangen wird, betrifft die Enzyklika Leos zusammen mit den anderen Enzykliken und Schreiben meiner Vorgänger, die mit der Grundlegung und dem Aufbau der "Soziallehre" bzw. des "sozialen Lehramtes" der Kirche dazu beigetragen haben, Rerum novarum in der heutigen Zeit gegenwärtig und wirksam zu machen.

Auf die Gültigkeit dieser Lehre nehmen bereits zwei Enzykliken Bezug, die ich während meines Pontifikats veröffentlicht habe: Laborem exercens über die menschliche Arbeit und Sollicitudo rei socialis über die aktuellen Probleme der Entwicklung der Menschen und Völker.<ref>Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981): AAS 73 (1981), 577-647; Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987): AAS 80 (1988), 513-586.</ref>

3. Mit dem Vorschlag, die Enzyklika Leos XIII. "wiederzulesen", lade ich zugleich ein, "zurückzublicken" auf ihren Text selbst, um den Reichtum der grundlegenden Prinzipien wiederzuentdecken, die für die Lösung der Arbeiterfrage ausgesprochen wurden. Ferner ermuntere ich, "sich umzublicken", hinzublicken auf das "Neue", das uns umgibt und in das wir gewissermaßen eingetaucht sind. Dieses Neue, das sehr verschieden von dem "Neuen" ist, was das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts kennzeichnete. Schließlich lade ich ein, "in die Zukunft zu blicken", wo wir bereits das dritte christliche Jahrtausend ahnend erkennen, das für uns voll von Unbekanntem, aber auch von Hoffnungen ist. Unbekanntes und Hoffnungen, die sich an unsere Vorstellungskraft und Kreativität wenden, indem sie unsere Verantwortung als Jünger des "einen Meisters", Christus (vgl. Mt 23,8), neu erwecken, im Aufzeigen des "Weges", bei der Verkündigung der "Wahrheit" und in der Vermittlung des "Lebens", das er selber ist (vgl. Joh 14,6).

Durch diese "neue Begegnung" soll nicht nur der bleibende Wert dieser Lehre bekräftigt werden, sondern es soll auch der wahre Sinn der Überlieferung der Kirche offenbar werden. Einer stets lebendigen und schöpferischen Kirche, die aufbaut auf dem von unseren Vätern im Glauben gelegten Grund und vor allem auf jenem Grund, den im Namen Jesu Christi "die Apostel an die Kirche weitergegeben haben"<ref>HL. IRENÄUS Adversus haereses, I, 10, 1; III, 4, I: PG 7, 549f.; 855f.; S. Ch. 264, 154f.; 211, 44-46.</ref>, dem Grund, "den niemand anderer legen kann" (vgl. 1 Kor 3,11).

Das Bewusstsein von seiner Sendung als Nachfolger Petri bewog Leo XIII., das Wort zu ergreifen, und dasselbe Bewusstsein beseelt heute seinen Nachfolger. Wie er und die Päpste vor und nach ihm lasse ich mich vom Bild des Evangeliums inspirieren, des "Schriftgelehrten, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist" und von dem der Herr sagt, er "gleiche einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt" (Mt 13,52). Der Vorrat, auf den ich mich beziehe, ist der mächtige Strom der Überlieferung der Kirche, der das seit jeher empfangene und weitergegebene "Alte" enthält und erlaubt, das "Neue", unter dem sich das Leben der Kirche und der Welt vollzieht, zu deuten.

Zu diesen Bausteinen, die durch ihre Eingliederung in die Tradition zum festen Bestand und nicht nur zur Bereicherung dieser Tradition, sondern auch zur neuen Lebenskraft des Glaubens werden, gehört die Tatkraft von Millionen von Menschen, die, angeregt und geleitet vom sozialen Lehramt der Kirche, sich dem Dienst in der Welt zur Verfügung gestellt haben. Im persönlichen Einsatz oder in Form von Gruppen, Gemeinschaften und Organisationen werden sie zu einer Großbewegung zur Verteidigung und zum Schutz der Würde des Menschen. Dadurch haben sie in den Wechselfällen der Geschichte zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft beigetragen und dem Unrecht eine Grenze gesetzt.

Ziel der vorliegenden Enzyklika ist es, die Ergiebigkeit der von Leo XIII. ausgesprochenen Grundsätze herauszustellen, die zum Lehrgut der Kirche gehören und darum für die Autorität des Lehramtes bindend sind. Die pastorale Sorge hat mich aber bewogen, darüber hinaus eine Analyse einiger Ereignisse der jüngsten Geschichte vorzulegen. Es muss nicht eigens betont werden, dass die aufmerksame Beobachtung des Verlaufes der Ereignisse - um die neuen Erfordernisse für die Evangelisierung zu erkennen - zur Aufgabe der Bischöfe gehört. Sie wollen mit dieser Untersuchung freilich kein endgültiges Urteil abgeben, da das auf Grund der besonderen Eigenart ihres Lehramtes gar nicht in dessen spezifischen Bereich gehört.

I. Kapitel: Wesenszüge von "Rerum Novarum"

4. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts stand die Kirche einem geschichtlichen Prozess gegenüber, der schon seit einiger Zeit im Gange war, nun aber einen neuralgischen Punkt erreichte. Ausschlaggebender Faktor dieses Prozesses war - neben dem vielfältigen Einfluss der vorherrschenden Ideologien - ein ganzes Bündel radikaler Veränderungen auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, aber auch im Bereich von Wissenschaft und Technik. Ergebnis dieser Veränderungen war auf politischem Gebiet eine neue Gesellschafts- und Staatsauffassung und folglich auch eine neue Auffassung der Autorität gewesen. Eine traditionelle Gesellschaft war im Begriff, sich aufzulösen, und eine andere befand sich im Entstehen, voller Hoffnungen auf neue Freiheiten, aber auch reich an Gefahren neuer Formen von Ungerechtigkeit und Knechtschaft.

Auf wirtschaftlichem Gebiet, wo die Entdeckungen und Anwendungen der Wissenschaften zusammenflossen, war man Schritt für Schritt zu neuen Strukturen in der Güterproduktion gelangt. Es entstand eine neue Form des Eigentums, das Kapital, und eine neue Art der Arbeit, die Lohnarbeit, gekennzeichnet von der Fließbandproduktion, ohne jede Berücksichtigung von Geschlecht, Alter oder Familiensituation des Arbeiters, einzig und allein bestimmt von der Leistung im Blick auf die Steigerung des Profits.

Die Arbeit wurde so zu einer Ware, die frei auf dem Markt gekauft und verkauft werden konnte und deren Preis vom Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmt wurde, ohne Rücksicht auf das für den Unterhalt des Arbeiters und seiner Familie notwendige Lebensminimum. Noch dazu hatte der Arbeiter nicht einmal die Sicherheit, "seine Ware" auf diese Weise verkaufen zu können. Er war ständig von der Arbeitslosigkeit bedroht, die angesichts des Fehlens jeder sozialen Fürsorge das Schreckgespenst des Hungertodes bedeutete.

Die soziale Folge dieser Umwandlung war "die Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen, die eine ungeheure Kluft voneinander trennt".<ref>Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum, Nr. 35: a.a.O., 132.</ref> Diese Situation verband sich mit einer tiefgreifenden Veränderung der politischen Ordnung. So versuchte die damals vorherrschende politische Theorie, durch entsprechende Gesetze oder, umgekehrt, durch bewusste Unterlassung jeglicher Einmischung, die totale Wirtschaftsfreiheit zu fördern. Gleichzeitig entstand in organisierter und nicht selten gewaltsamer Form eine andere Auffassung von Eigentum und Wirtschaft, die eine neue politische und gesellschaftliche Ordnung in sich schloss.

Als am Höhepunkt dieser Auseinandersetzung das ungeheure und weitverbreitete soziale Unrecht voll zutage trat und die Gefahr einer von den damaligen "sozialistischen" Strömungen geförderten Revolution drohte, griff Leo XIII. mit einem Dokument ein, das sich in organischer Weise mit dem Thema der "Arbeiterfrage" auseinandersetzte. Dieser Enzyklika waren andere vorausgegangen, die sich mehr mit politischen Aussagen beschäftigten, später folgten noch weitere nach.<ref>Vgl. z.B. Leo XIII., Enzyklika Arcanum divinae sapientiae (10. Februar 1880): Leonis XIII. P.M. Acta, II, Romae 1882, 10-40; Enzyklika Diuturnum illud (29. Juni 1881): Leonis XIII. P.M. Acta, II, Romae 1882, 269-287; Enzyklika Libertas praestantissimum (20. Juni 1888): Leonis XIII. P.M. Acta, VIII, Romae 1889, 212-246; Enzyklika Graves de communi (18. Januar 1901): Leonis XIII. P.M. Acta, XXI, Romae 1902, 3-20.</ref> In diesem Zusammenhang sei vor allem an die Enzyklika Libertas praestantissimum erinnert, in der auf die grundlegende Verbindung zwischen menschlicher Freiheit und Wahrheit hingewiesen wurde. Das besagt, dass eine Freiheit, die es ablehnt, sich an die Wahrheit zu binden, in Willkür verfallen und am Ende sich den niedrigsten Leidenschaften überlassen und damit sich selber zerstören würde. Denn woher sonst stammen all die Übel, auf die Rerum novarum antworten will, wenn nicht aus einer Freiheit, die sich im wirtschaftlichen und sozialen Bereich von der Wahrheit über den Menschen völlig loslöst?

Der Papst ließ sich außerdem von der Lehre seiner Vorgänger inspirieren und ebenso von einer Reihe bischöflicher Dokumente. Er wurde angeregt von wissenschaftlichen Studien der Laien, von der Tätigkeit katholischer Bewegungen und Vereinigungen und von den konkreten sozialen Werken, die das Leben der Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichneten.

5. Das "Neue", auf das der Papst Bezug nahm, war alles andere als positiv. Der erste Abschnitt der Enzyklika beschreibt das "Neue", das ihr den Namen gab, mit harten Worten: "Der Geist der Neuerung, welcher seit langem durch die Völker geht, musste, nachdem er auf dem politischen Gebiete seine verderblichen Wirkungen entfaltet hatte, folgerichtig auch das volkswirtschaftliche Gebiet ergreifen. Viele Umstände begünstigten diese Entwicklung; die Industrie hat durch die Vervollkommnung der technischen Hilfsmittel und eine neue Produktionsweise mächtigen Aufschwung genommen; das gegenseitige Verhältnis der besitzenden Klasse und der Arbeiter hat sich wesentlich umgestaltet; das Kapital ist in den Händen einer geringen Zahl angehäuft, während die große Menge verarmt; es wächst in den Arbeitern das Selbstbewusstsein, ihre Organisation erstarkt; dazu gesellt sich der Niedergang der Sitten. Dieses alles hat den sozialen Konflikt wachgerufen, vor welchem wir stehen".<ref>Enzyklika Rerum novarum, Nr. 1: a.a.O., 97.</ref>

Der Papst, die Kirche und ebenso die bürgerliche Gesellschaft standen vor einer durch Konflikt gespaltenen Gesellschaft. Dieser Konflikt war um so härter und unmenschlicher, als er weder Regel noch Gesetz kannte. Es war der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit oder - wie es die Enzyklika nannte - die Arbeiterfrage. Eben zu diesem Konflikt wollte der Papst in den schärfsten Worten, die ihm damals zur Verfügung standen, seine Meinung kundtun.

Hier bietet sich eine erste Überlegung an, die die Enzyklika für die heutige Zeit nahelegt. Angesichts eines Konfliktes, der die einen in der Not des Überlebens den anderen im Besitz des Überflusses wie "Wölfe" gegenüberstellte, zweifelte der Papst nicht daran, kraft seines "apostolischen Amtes"<ref>Ebd., Nr. 1: a.a.O., 98.</ref> eingreifen zu müssen, das heißt auf Grund des von Jesus Christus empfangenen Sendungsauftrags, "die Lämmer und Schafe zu weiden" (vgl. Joh 21,15-17) sowie auf Erden "für das Reich Gottes zu binden und zu lösen" (vgl. Mt 16,19). Seine Absicht war es, den Frieden wiederherzustellen. Dem heutigen Leser kann die strenge Verurteilung des Klassenkampfes, die die Enzyklika klar und deutlich aussprach, nicht verborgen bleiben.<ref>Vgl. ebd., Nr. 15: a.a.O., 109f.</ref> Aber Leo war sich sehr wohl dessen bewusst, dass sich der Friede nur auf dem Fundament der Gerechtigkeit aufbauen lässt. Darum bildeten die Aussagen über die Grundlagen der Gerechtigkeit in der damaligen Wirtschaft und Gesellschaft den Hauptinhalt der Enzyklika.<ref>Vgl. ebd., Nr. 16: Beschreibung der Arbeitsbedingungen; 40: Antichristliche Arbeitervereine: a.a.O., 110f.; 136f.</ref>

Auf diese Weise setzte Leo XIII., dem Vorbild seiner Vorgänger folgend, ein bleibendes Beispiel für die Kirche. Sie muss in bestimmten menschlichen Situationen, sei es auf individueller und sozialer, nationaler und internationaler Ebene, das Wort ergreifen. Dafür hat sie eine eigene Lehre, ein Lehrgebäude aufgestellt, das es ihr ermöglicht, die soziale Wirklichkeit zu analysieren, sie zu beurteilen und Richtlinien für eine gerechte Lösung der daraus entstehenden Probleme anzugeben.

Zur Zeit Leos XIII. war eine derartige Überzeugung vom Recht und der Pflicht der Kirche noch weit davon entfernt, allgemein anerkannt zu werden. Es herrschte vielmehr eine zweifache Tendenz: die eine, ausgerichtet auf diese Welt und dieses Leben, das mit dem Glauben nichts zu tun hatte; die andere, einseitig dem jenseitigen Heil zugewandt, das jedoch für das Erdenleben bedeutungslos blieb. Mit der Veröffentlichung von Rerum novarum verlieh der Papst der Kirche gleichsam das "Statut des Bürgerrechtes" in der wechselvollen Wirklichkeit des öffentlichen Lebens der Menschen und der Staaten. Dies wurde in den späteren Jahren noch stärker bestätigt. In der Tat, die Verkündigung und Verbreitung der Soziallehre gehört wesentlich zum Sendungsauftrag der Glaubensverkündigung der Kirche; sie gehört zur christlichen Botschaft, weil sie deren konkrete Auswirkungen für das Leben in der Gesellschaft vor Augen stellt und damit die tägliche Arbeit und den mit ihr verbundenen Kampf für die Gerechtigkeit in das Zeugnis für Christus den Erlöser miteinbezieht. Sie bildet darüber hinaus eine Quelle der Einheit und des Friedens angesichts der Konflikte, die im wirtschaftlich-sozialen Bereich unvermeidlich auftreten. Auf diese Weise wird es möglich, die neuen Situationen zu bestehen, ohne die transzendente Würde der menschlichen Person weder bei sich selbst noch bei seinen Gegnern zu verletzen, und sie zu einer richtigen Lösung zu führen. Die Gültigkeit dieser Orientierung bietet mir jetzt, im Abstand von hundert Jahren, die Gelegenheit, auch einen Beitrag zum Aufbau der "christlichen Soziallehre" zu leisten. Die "Neuevangelisierung", die die moderne Welt dringend nötig hat und auf der ich wiederholt insistiert habe, muss zu ihren wesentlichen Bestandteilen die Verkündigung der Soziallehre der Kirche zählen. Diese Lehre ist so wie zur Zeit Leos XIII. geeignet, den Weg zu weisen, um auf die großen Herausforderungen der Gegenwart nach der Krise der Ideologien Antwort zu geben. Man muss, wie damals, wiederholen, dass es keine echte Lösung der "sozialen Frage" außerhalb des Evangeliums gibt und dass das "Neue" in diesem Evangelium seinen Raum der Wahrheit und der sittlichen Grundlegung findet.

6. Mit der Absicht, durch seine Enzyklika den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zu klären, verkündete Leo XIII. die Grundrechte der Arbeiter. Deshalb stellt die Würde des Arbeiters und damit die Würde der Arbeit überhaupt den Schlüssel für die Lektüre der Enzyklika dar. "Arbeiten heißt, seine Kräfte anstrengen zur Beschaffung der irdischen Bedürfnisse, besonders des notwendigen Lebensunterhaltes".<ref>Ebd., Nr. 34; vgl. auch Nr. 20: a. a.O., 130; 114f.</ref> Der Papst bezeichnet die Arbeit als "persönlich, insofern die betätigte Kraft und Anstrengung persönliches Gut des Arbeitenden ist".<ref>Ebd., Nr. 34: a.a.O., 130.</ref> Die Arbeit gehört somit zur Berufung jedes Menschen; der Mensch entfaltet und verwirklicht sich in seiner Arbeit. Die Arbeit hat gleichzeitig eine soziale Dimension wegen ihrer engen Beziehung sowohl zur Familie als auch zum Gemeinwohl, denn "es ist eine unumstößliche Wahrheit, nicht anderswoher als aus der Arbeit der Werktätigen entstehe Wohlhabenheit im Staate".<ref>Ebd., Nr. 27: a.a.O., 123.</ref> Dies habe ich in der Enzyklika Laborem exercens<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 1, 2, 6: a.a.O., 578-583; 589-592.</ref> aufgegriffen und neu dargelegt.

Ein anderer wichtiger Grundsatz ist zweifellos das Recht auf "Privateigentum".<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 4-12: a.a.O., 99-107.</ref> Aus dem Umfang, den die Enzyklika diesem Grundsatz widmet, kann man erkennen, welche Bedeutung der Papst ihm beimisst. Er ist sich natürlich bewusst, dass das Privateigentum keinen absoluten Wert darstellt, und er versäumt es nicht, die Grundsätze der notwendigen Ergänzung anzuführen, vor allem den der universalen Bestimmung der Güter der Erde.<ref>Vgl. ebd., Nr. 7: a.a.O., 102f.</ref>

Es trifft zweifellos zu, dass der Rahmen des Privateigentums, an den Leo XIII. hauptsächlich denkt, der des Landbesitzes ist.<ref>Vgl. ebd., Nr. 6-8: a.a.O., 101-104.</ref> Das ist jedoch kein Hindernis dafür, dass die Gründe, die dort für die Geltung des Privateigentums angeführt werden, auch heute ihren Wert bewahren. Es ist dies vor allem die Geltung des Rechtes auf den Besitz der Dinge, die für die persönliche Entfaltung und die der eigenen Familie notwendig sind - ganz abgesehen davon, welche konkrete Form dieses Recht auch immer annehmen mag. Das muss heute von neuem deutlich gemacht werden angesichts der Veränderungen, deren Zeugen wir jetzt sind und die in Systemen stattgefunden haben, wo bisher das Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln herrschte; und es muss auch im Hinblick auf die wachsenden Erscheinungsformen der Armut betont werden. Es geht um die Vorenthaltung des Privateigentums in vielen Teilen der Welt, auch unter jenen Systemen, die das Recht auf Privateigentum zu einem ihrer Schwerpunkte machen. Infolge dieser Veränderungen und des Weiterbestehens der Armut erweist sich eine gründlichere Analyse des Problems als notwendig. Ich werde darauf in einem späteren Teil dieses Dokumentes ausführlicher eingehen.

7. In enger Beziehung zum Thema des Rechtes auf Eigentum macht die Enzyklika Leos XIII. andere Rechte als eigene und unveräußerliche Rechte der menschlichen Person geltend. Darunter kommt auf Grund des Umfanges, den der Papst ihm widmet, und der Bedeutung, die er ihm beimisst, dem "natürlichen Recht des Menschen", private Vereinigungen zu bilden, ein besonderer Vorrang zu. Das besagt zunächst das Recht, Berufsvereinigungen von Unternehmern und Arbeitern oder von Arbeitern allein zu gründen.<ref>Vgl. ebd., Nr. 37-39; 42: a.a.O., 134f.; 137f.</ref> Hierin wird der Grund dafür gesehen, dass die Kirche die Gründung von Vereinigungen, die sich heute Gewerkschaften nennen, verteidigt und billigt. Das geschieht gewiss nicht aus ideologischen Vorurteilen oder um sich einem Klassendenken zu beugen, sondern weil es sich um ein natürliches Recht des Menschen handelt, das seiner Eingliederung in eine politische Gemeinschaft vorausgeht. "Der Staat besitzt nicht schlechthin die Vollmacht, ihr Dasein zu verbieten ... Das Naturrecht kann der Staat nicht vernichten, sein Beruf ist es vielmehr, dasselbe zu schützen. Verbietet ein Staat dennoch die Bildung solcher Genossenschaften, so handelt er gegen sein eigenes Prinzip".<ref>Ebd., Nr. 38: a.a.O., 135.</ref>

Zusammen mit diesem Recht - und das muss hervorgehoben werden - anerkennt der Papst für die Arbeiter oder, in seiner Sprache, für die "Proletarier" mit gleicher Klarheit das Recht auf die "Begrenzung der Arbeitszeit" auf die entsprechende Freizeit und auf den Schutz der Kinder und der Frauen, vor allem was ihre Arbeitsweise und Arbeitsdauer betrifft.<ref>Vgl. ebd., Nr. 34-35: a.a.O., 128-129.</ref>

Wenn man bedenkt, was uns die Geschichte über die zulässigen oder zumindest gesetzlich nicht ausgeschlossenen Methoden bei der Anstellung berichtet, kann man die harte Aussage des Papstes wohl verstehen. Es gab keine Garantie, weder was die Arbeitsstunden noch was die hygienischen Verhältnisse betraf, auch auf das Alter und das Geschlecht der Arbeitsuchenden wurde keine Rücksicht genommen. "Die Gerechtigkeit und die Menschlichkeit erheben Einspruch" - schreibt Leo - "gegen Arbeitsforderungen von solcher Höhe, dass der Körper unterliegt und der Geist sich abstumpft". Und unter Bezugnahme auf den Vertrag, der derartige "Arbeitsverhältnisse" bestimmen sollte, präzisiert er: "Bei jeder Verbindlichkeit, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitern eingegangen wird, ist ausdrücklich oder stillschweigend die Bedingung vorhanden", dass den Arbeitern soviel Ruhe zu sichern ist, "als zur Herstellung ihrer bei der Arbeit aufgewendeten Kräfte nötig ist". Und er schließt mit dem Satz: "Eine Vereinbarung ohne diese Bedingung wäre sittlich nicht zulässig".<ref>Ebd., Nr. 33: a.a.O., 129.</ref>

8. Kurz darauf kommt der Papst auf ein weiteres Recht des Arbeiters als Person zu sprechen. Es handelt sich um das Recht auf "gerechten Lohn", das nicht dem freien Einvernehmen der Parteien überlassen bleiben kann. Denn "da der Lohnsatz vom Arbeiter angenommen wird, so könnte es scheinen, als sei der Arbeitgeber nach erfolgter Auszahlung des Lohnes aller weiteren Verbindlichkeiten enthoben".<ref>Ebd., Nr. 34: a.a.O., 129.</ref> Zudem hat der Staat - wie es damals hieß - keine Machtbefugnis, in die Festlegung dieser Verträge einzugreifen, außer die Erfüllung dessen sicherzustellen, was ausdrücklich vereinbart worden war. Eine solche rein pragmatische und von einem unerbittlichen Individualismus getragene Auffassung von dem Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird in der Enzyklika hart gegeißelt, weil sie der zweifachen Natur der Arbeit in ihrer persönlichen und notwendigen Eigenart widerspricht. Auch wenn die Arbeit als persönliches Faktum zur Verfügbarkeit jedes einzelnen über seine Fähigkeiten und Kräfte gehört, so wird sie als notwendiges Faktum von der schweren Verpflichtung bestimmt, dass sich jeder "am Leben erhalten muss". "Hat demnach jeder ein natürliches Recht," - so schließt der Papst - "den Lebensunterhalt zu finden, so ist hinwieder der Dürftige hierzu allein auf die Händearbeit notwendig angewiesen".<ref>Ebd., Nr. 34: a.a.O., 130f.</ref>

Der Lohn muss ausreichend sein, um den Arbeiter und seine Familie zu erhalten. Wenn der Arbeiter "sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu harten Bedingungen beugt, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmer auferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch".<ref>Ebd., Nr. 34: a.a.O., 131.</ref>

Gebe Gott, dass diese Worte, die in der Entwicklung des sogenannten "ungezähmten Kapitalismus" geschrieben worden sind, nicht heute mit derselben Härte wiederholt werden müssen. Leider stößt man auch heute auf Fälle von Verträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in denen die elementarste Gerechtigkeit in Fragen der Arbeit von Minderjährigen oder Frauen, der geregelten Arbeitszeit, des hygienischen Zustands der Arbeitsplätze und der entsprechenden Entlohnung ignoriert wird. Und das trotz der internationalen Erklärungen und Konventionen<ref>Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.</ref> und der entsprechenden Gesetzgebung der einzelnen Staaten. Der Papst schrieb der "staatlichen Autorität" die "strenge Pflicht" zu, sich in gebührender Weise um das Wohl der Arbeiter zu kümmern, weil er mit der Unterlassung dieser Pflicht die Gerechtigkeit verletzte, ja, er scheute sich nicht, von "ausgleichender Gerechtigkeit" zu sprechen.<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 27: a.a.O., 121-123.</ref>

9. Zu diesen Rechten fügt Leo XIII. im Zusammenhang mit der Situation der Arbeiter ein weiteres hinzu, woran ich erinnern möchte, auch wegen der Bedeutung, die es hat und die es in jüngster Zeit hinzugewonnen hat. Es ist das Recht auf freie Erfüllung der religiösen Pflichten. Der Papst verkündet es ausdrücklich im Zusammenhang mit den anderen Rechten und Pflichten der Arbeiter. Er tut das trotz der auch zu seiner Zeit weitverbreiteten Meinung, dass bestimmte Fragen ausschließlich in den Privatbereich des einzelnen fielen. Er macht die pflichtmäßige Sonntagsruhe geltend, um dem Menschen den Gedanken an die Güter des Jenseits und die Pflichten der Gottesverehrung zu ermöglichen.<ref>Vgl. ebd., Nr. 32: a.a.O., 127.</ref> Dieses Recht, das in einem Gebot wurzelt, kann dem Menschen niemand vorenthalten. "Keine Gewalt darf sich ungestraft an der Würde des Menschen vergreifen, die doch Gott selbst mit großer Achtung über ihn verfügt". Der Staat muss den Arbeitern die Ausübung dieses Rechts zusichern.<ref>Ebd., Nr. 32: a.a.O., 126f.</ref>

Man wird kaum fehlgehen, wenn man in diesen eindeutigen Aussagen den Keim des Grundrechtes auf Religionsfreiheit sieht, das zum Thema vieler feierlicher internationaler Erklärungen und Konventionen<ref>Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; Erklärung über die Beseitigung jeder Form von Intoleranz und Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Überzeugung.</ref> sowie der bekannten Konzilserklärung und wiederholter Aussagen meines eigenen Lehramtes<ref> II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae; Johannes Paul II., Schreiben an die Staatsmänner der Welt (1. September 1980): AAS 72 (1980), 1252-1260; Botschaft zum Weltfriedenstag 1988: AAS 80 (1988), 278-286.</ref> geworden ist. In diesem Zusammenhang muss man sich fragen, ob die geltenden Gesetzesvorschriften und die Praxis der Industriegesellschaften die Ausübung dieses elementaren Rechtes auf die Sonntagsruhe heute effektiv gewährleisten.

10. Ein anderes wichtiges Merkmal, das reich ist an Aussagen für unsere Zeit, ist das Verständnis der Beziehung zwischen Staat und Bürgern. Rerum novarum kritisiert die zwei Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme: den Sozialismus und den Liberalismus. Dem Sozialismus ist der erste Teil gewidmet, in dem das Recht auf Privateigentum bestätigt wird. Dem zweiten System ist kein eigener Abschnitt gewidmet, sondern - und das muss angemerkt werden - der Papst behält sich seine Kritik am damaligen Liberalismus vor, bis er im zweiten Teil das Thema der Pflichten des Staates aufgreift.<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 3-9; 25-36: a.a.O., 99-105; 130f.; 135.</ref> Der Staat kann sich nicht darauf beschränken, "nur für einen Teil der Staatsangehörigen" - nämlich die wohlhabenden und vom Schicksal begünstigten - "zu sorgen, den andern aber", der zweifellos die große Mehrheit der Gesellschaft darstellt, "zu vernachlässigen". Wenn dies geschieht, so verletzt er die Gerechtigkeit, welche jedem das Seine zu geben bereit ist. "Doch muss der Staat beim Rechtsschutz zugunsten der Privaten eine ganz besondere Fürsorge für die niedere, besitzlose Masse sich angelegen sein lassen. Die Wohlhabenden sind nämlich nicht in dem Maße auf den öffentlichen Schutz angewiesen, sie haben selbst die Hilfe eher zur Hand; dagegen hängen die Besitzlosen, ohne eigenen Boden unter den Füßen, fast ganz von der Fürsorge des Staates ab. Die Lohnarbeiter also, die ja zumeist die Besitzlosen bilden, müssen vom Staat in besondere Obhut genommen werden".<ref>Ebd., Nr. 27, 29: a.a.O., 125.</ref>

Diese Stellen der Enzyklika sind heute vor allem von Bedeutung angesichts neuer Formen der Armut, die es in der Welt gibt. Denn es sind Aussagen, die weder von einer bestimmten Staatsauffassung noch von einer besonderen politischen Theorie abhängen. Der Papst bekräftigt ein Grundprinzip jeder gesunden politischen Ordnung: Je schutzloser Menschen in einer Gesellschaft sind, um so mehr hängen sie von der Anteilnahme und Sorge der anderen und insbesondere vom Eingreifen der staatlichen Autorität ab. So erweist sich das Prinzip, das wir heute Solidaritätsprinzip nennen und an dessen Gültigkeit sowohl in der Ordnung innerhalb der einzelnen Nation als auch in der internationalen Ordnung ich in Sollicitudo rei socialis erinnert habe<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 38-40: a.a.O., 564-569; vgl. auch Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra: a.a.O., 407.</ref>, als eines der grundlegenden Prinzipien der christlichen Auffassung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Es wird von Leo XIII. mehrmals unter dem Namen "Freundschaft" angeführt, ein Ausdruck, den wir schon in der griechischen Philosophie finden. Von Pius XI. wird es mit dem nicht weniger bedeutungsvollen Namen "soziale Liebe" bezeichnet. Paul VI. hat den Begriff mit den heutigen vielfältigen Dimensionen der sozialen Frage erweitert und von "Zivilisation der Liebe" gesprochen.<ref>Vgl. Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum, Nr. 20-21: a.a.O., 114-116; Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno, 111: a.a.O., 208; Paul VI., Homilie zum Abschluss des Heiligen Jahres (25. Dezember 1975): AAS 68 (1976), 145; Botschaft zum Weltfriedenstag 1977: AAS 68 (1976), 709.</ref>

11. Das Wiederlesen der Enzyklika in der Wirklichkeit unserer Zeit erlaubt uns, die stete Sorge und das ständige Bemühen der Kirche jenen Menschen gegenüber richtig einzuschätzen, denen die besondere Vorliebe Jesu galt. Der Inhalt der Enzyklika ist ein sprechendes Zeugnis für die Kontinuität dessen in der Kirche, was man heute "die vorrangige Option für die Armen" nennt; eine Option, die ich als einen "besonderen Vorrang in der Weise, wie die christliche Liebe ausgeübt wird", definiert habe.<ref>Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 42: a.a.O., 572.</ref> Die Enzyklika über die "Arbeiterfrage" ist also eine Enzyklika über die Armen und über das schreckliche Los, in das der neue und nicht selten gewaltsame Prozess der Industrialisierung riesige Menschenmassen gestoßen hatte. Auch heute noch rufen in weiten Teilen der Welt ähnliche wirtschaftliche, soziale und politische Umwälzungen dieselben Übel hervor.

Wenn Leo XIII. an den Staat appelliert, die Lage der Armen in Gerechtigkeit zu lindern, so tut er das, weil er richtigerweise erkennt, dass dem Staat die Aufgabe obliegt, über das Gemeinwohl zu wachen. Daß er dafür zu sorgen hat, dass jeder Bereich des gesellschaftlichen Lebens, der wirtschaftliche miteingeschlossen, unter Beachtung der berechtigten jeweiligen Autonomie zur Förderung des Gemeinwohles beiträgt. Das darf jedoch nicht zur Annahme führen, dass nach Papst Leo jede Lösung sozialer Fragen einzig vom Staat kommen soll. Im Gegenteil, der Papst betont immer wieder die notwendigen Grenzen im Eingreifen des Staates. Der Staat hat instrumentalen Charakter, da der einzelne, die Familie und die Gesellschaft vor ihm bestehen und der Staat dazu da ist, die Rechte des einen und der anderen zu schützen, nicht aber zu unterdrücken.<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 6; 9; 37; 42; 43: a.a.O., 101 f.; 104f.; 130f.; 136.</ref>

Die Aktualität dieser Überlegungen kann niemandem entgehen; ich werde weiter unten auf dieses wichtige Thema der mit der Natur des Staates zusammenhängenden Grenzen nochmals zurückkommen. Die hervorgehobenen Punkte sind sicher nicht die einzigen, die der Enzyklika eine in der Kontinuität des sozialen Lehramtes der Kirche erstaunliche Aktualität verleihen; das auch im Licht einer gesunden Auffassung vom Privateigentum, von der Arbeit, vom Wirtschaftsprozess, von der Wirklichkeit des Staates und vor allem vom Menschen selber. Weitere Themen werden später bei der Behandlung einiger Aspekte der heutigen Welt erwähnt werden. Doch gilt es schon jetzt festzuhalten, dass das, was das Herzstück der Enzyklika ausmacht und was sowohl sie als die ganze Soziallehre der Kirche zuinnerst bestimmt, die richtige Auffassung von der menschlichen Person und ihrem einzigartigen Wert ist, insofern "der Mensch ... auf Erden das einzige von Gott um seiner selbst willen gewollte Geschöpf ist".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 24.</ref> In ihn hat er sein Bild und Gleichnis eingemeißelt (vgl. Gen 1,26) und ihm damit eine unvergleichliche Würde verliehen, auf der die Enzyklika wiederholt so eindringlich besteht. Jenseits aller Rechte, die der Mensch durch sein Tun und Handeln erwirbt, besitzt er Rechte, die nicht im Entgelt für seine Leistung bestehen, sondern seiner wesenhaften Würde als Person entspringen.

II. Kapitel: Auf dem Weg zum "Neuen" von heute

12. Es wäre keine angemessene Jubiläumsfeier für Rerum novarum, würde man dabei nicht die heutige Situation ins Auge fassen. Schon von seinem Inhalt her gibt das Dokument Anlaß zu einer derartigen Betrachtung, weil der geschichtliche Rahmen und die daraus abgeleitete Vorausschau sich im Lichte des Gesamtgeschehens der nachfolgenden Jahrzehnte als erstaunlich exakt herausstellen.

Das wird in besonderer Weise von den Ereignissen der letzten Monate des Jahres 1989 und der ersten des Jahres 1990 bestätigt. Diese und die radikalen Umgestaltungen lassen sich nur auf Grund der unmittelbar vorhergehenden Situationen erklären. Sie haben das, was Leo XIII. voraussah und was die immer besorgteren Warnungen seiner Nachfolger ankündigten, gleichsam festgeschrieben und institutionalisiert. Papst Leo sah in der Tat unter allen Aspekten, politisch, sozial und wirtschaftlich, die negativen Folgen einer Gesellschaftsordnung voraus, wie sie der Sozialismus vorlegte, der sich freilich damals noch im Stadium der Sozialphilosophie und einer mehr oder weniger strukturierten Bewegung befand. Man mag sich darüber wundern, dass der Papst seine Kritik an den Lösungen, die sich für die "Arbeiterfrage" anboten, beim Sozialismus ansetzte. Dieser trat damals noch gar nicht - wie es später tatsächlich geschah - in Gestalt eines starken und mächtigen Staates mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf. Der Papst urteilte jedenfalls richtig, wenn er die Gefahr sah, die darin bestand, dass der breiten Masse eine scheinbar so einfache und radikale Lösung der "Arbeiterfrage" vorgelegt wurde. Das erweist sich als um so treffender, wenn man das alles im Zusammenhang der grauenvollen Ungerechtigkeit sieht, in der sich die proletarischen Massen in den seit kurzem industrialisierten Nationen befanden.

Hier gilt es zweierlei zu unterstreichen: einerseits die große Klarheit in der Wahrnehmung der tatsächlichen Lage der Proletarier, Männer, Frauen und Kinder, in ihrer ganzen Härte; andererseits die nicht geringere Klarheit, mit der er das Übel einer Lösung erkennt, die unter dem Anschein, die Stellung von Armen und Reichen umzukehren, tatsächlich aber jenen zum Schaden gereicht, denen zu helfen sie vorgab. Das Heilmittel würde sich damit als schlimmer herausstellen als das Übel. Im Erkennen des Wesens des Sozialismus seiner Zeit mit dessen Forderung nach Abschaffung des Privateigentums gelangte Leo XIII. zum Kern der Frage.

Seine Worte verdienen es, neu gelesen zu werden: "Zur Hebung dieses Übels (der ungerechten Verteilung des Reichtums und des Elends der Proletarier) verbreiten die Sozialisten, indem sie die Besitzlosen gegen die Reichen aufstacheln, die Behauptung, der private Besitz müsse aufhören, um einer Gemeinschaft der Güter Platz zu machen ...; indessen ist dieses Programm weit entfernt, etwas zur Lösung der Frage beizutragen; es schädigt vielmehr die arbeitenden Klassen selbst; es ist ferner sehr ungerecht, indem es die rechtmäßigen Besitzer vergewaltigt, es ist endlich der staatlichen Aufgabe zuwider, ja führt die Staaten in völlige Auflösung".<ref>Enzyklika Rerum novarum, Nr. 3: a.a.O., 99.</ref> Besser könnte man die durch die Einführung dieser Art des Sozialismus als Staatssystem verursachten Übel nicht aufzeigen: Es ist jenes System, das später unter dem Namen "realer Sozialismus" bekannt werden sollte.

13. Wenn wir jetzt die begonnene Reflexion vertiefen und auch das mit hereinnehmen, was in den Enzykliken Laborem exercens und Sollicitudo rei socialis gesagt worden ist, müssen wir hinzufügen, dass der Grundirrtum des Sozialismus anthropologischer Natur ist. Er betrachtet den einzelnen Menschen lediglich als ein Instrument und Molekül des gesellschaftlichen Organismus, so dass das Wohl des einzelnen dem Ablauf des wirtschaftlich-gesellschaftlichen Mechanismus völlig untergeordnet wird; gleichzeitig ist man der Meinung, dass eben dieses Wohl unabhängig von freier Entscheidung und ohne eine ganz persönliche und unübertragbare Verantwortung gegenüber dem Guten verwirklicht werden könne. Der Mensch wird auf diese Weise zu einem Bündel gesellschaftlicher Beziehungen verkürzt, es verschwindet der Begriff der Person als autonomes Subjekt moralischer Entscheidung, das gerade dadurch die gesellschaftliche Ordnung aufbaut. Aus dieser verfehlten Sicht der Person folgen die Verkehrung des Rechtes, das den Raum für die Ausübung der Freiheit bestimmt, und ebenso die Ablehnung des Privateigentums. Der Mensch, der gar nichts hat, was er "sein eigen" nennen kann, und jeder Möglichkeit entbehrt, sich durch eigene Initiative seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wird völlig abhängig von den gesellschaftlichen Mechanismen und von denen, die sie kontrollieren. Es wird dem Menschen äußerst schwer, seine Würde als Person zu erkennen. Damit aber wird der Weg zur Errichtung einer echten menschlichen Gemeinschaft verbaut.

Im Gegensatz dazu folgt aus der christlichen Sicht der Person notwendigerweise die richtige Sicht der Gesellschaft. Nach Rerum novarum und der ganzen Soziallehre der Kirche erschöpft sich die gesellschaftliche Natur des Menschen nicht im Staat, sondern sie verwirklicht sich in verschiedenen Zwischengruppen, angefangen von der Familie bis hin zu den wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Gruppen, die in derselben menschlichen Natur ihren Ursprung haben und daher - immer innerhalb des Gemeinwohls - ihre eigene Autonomie besitzen. Das ist die - wie ich sie nenne - "Subjektivität der Gesellschaft", die zusammen mit der Subjektivität des einzelnen vom "realen Sozialismus" zerstört wurde.<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 15; 28.</ref>

Wenn wir uns weiter fragen, woher diese irrige Sichtweise des Wesens der Person und der "Subjektivität" der Gesellschaft stammt, können wir nur antworten, dass seine Hauptursache der Atheismus ist. In der Antwort auf den Anruf Gottes, der sich in den Dingen der Welt manifestiert, wird sich der Mensch seiner übernatürlichen Würde bewusst. Jeder Mensch muss diese Antwort geben. Darin besteht die Krönung seines Menschseins, und kein gesellschaftlicher Mechanismus und kein kollektives Subjekt kann ihn dabei vertreten. Die Leugnung Gottes beraubt die Person ihres tragenden Grundes und führt damit zu einer Gesellschaftsordnung ohne Anerkennung der Würde und Verantwortung der menschlichen Person.

Der Atheismus, von dem hier die Rede ist, hängt eng mit dem Rationalismus der Aufklärung zusammen, der die Wirklichkeit des Menschen und der Gesellschaft mechanisch versteht. So wird die tiefste Sicht der wahren Größe des Menschen geleugnet, sein Vorrang vor den Dingen. Aber ebenso verneint wird der Widerspruch, der in seinem Herzen wohnt: zwischen dem Verlangen nach einem Vollbesitz des Guten und der eigenen Unfähigkeit, es zu erlangen, und das daraus erwachsene Heilsbedürfnis.

14. Aus derselben atheistischen Wurzel stammt auch die Wahl der Methode des Sozialismus, die in Rerum novarum verurteilt wird. Es handelt sich um den Klassenkampf. Der Papst hat keineswegs die Absicht, jegliche Form sozialer Konflikte zu verurteilen. Die Kirche weiß nur zu gut, dass in der Geschichte unvermeidlich Interessenskonflikte zwischen verschiedenen sozialen Gruppen auftreten und dass der Christ dazu oft entschieden und konsequent Stellung beziehen muss. Die Enzyklika Laborem exercens hat mit aller Deutlichkeit die positive Rolle des Konfliktes anerkannt, wenn dieser als "Kampf für die soziale Gerechtigkeit" angesehen wird.<ref>Vgl. Laborem exercens, Nr. 11-15.</ref> In Quadragesimo anno heißt es: "Wenn sich der Klassenkampf der Aktionen der Gewalt und des gegenseitigen Hasses enthält, verwandelt er sich nach und nach in eine ehrliche Diskussion, die auf der Suche nach der Gerechtigkeit gegründet ist".<ref>Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno, Nr. 113.</ref>

Was am Klassenkampf verurteilt wird, ist die Auffassung eines Konfliktes, der sich von keiner Erwägung ethischer oder rechtlicher Art leiten lässt; der sich weigert, die Personenwürde im anderen (und damit die eigene) anzuerkennen; der daher einen angemessenen Vergleich ausschließt und nicht mehr das Gesamtwohl der Gesellschaft, vielmehr ausschließlich das Sonderinteresse einer Gruppe im Auge hat, das sich an die Stelle des Gemeinwohls setzt und daher vernichten will, was sich ihm entgegenstellt. Es handelt sich, bezogen auf die interne Konfrontation gesellschaftlicher Gruppen, um die Wiederholung der Theorie vom "totalen Krieg", den der Materialismus und Imperialismus jener Tage für das Verhältnis der internationalen Beziehungen aufzwangen. Diese Theorie ersetzte die Suche nach einem gerechten Ausgleich der Interessen der verschiedenen Nationen mit dem absoluten Vorrang der eigenen Interessen bis hin zur Vernichtung unter Anwendung aller Mittel. Lüge, Terror gegen die Zivilbevölkerung, Massenvernichtungswaffen (deren Anwendung man gerade in jenen Jahren zu planen begann), Machtmittel des Widerstandes gegen den Feind waren nicht ausgeschlossen. Der Klassenkampf im marxistischen Sinn und der Militarismus haben gleiche Wurzeln: den Atheismus und die Verachtung der menschlichen Person, die das Prinzip der Macht über Vernunft und Recht setzen.

15. Rerum novarum stellt sich der Verstaatlichung der Produktionsmittel entgegen, die den Bürger als nur kleinen Bestandteil der Staatsmaschinerie herabwürdigen würde. Nicht weniger energisch aber kritisiert die Enzyklika eine Staatsauffassung, die die Wirtschaft aus ihren Interessen und Maßnahmen völlig ausklammern würde. Zweifellos gibt es einen berechtigten Raum der Freiheit in der Wirtschaft, in den der Staat nicht eingreifen soll. Aber der Staat hat die Aufgabe, den rechtlichen Rahmen zu erstellen, innerhalb dessen sich das Wirtschaftsleben entfalten kann. Damit schafft er die Grundvoraussetzung für eine freie Wirtschaft, die in einer gewissen Gleichheit unter den Beteiligten besteht, so dass der eine nicht so übermächtig wird, dass er den anderen praktisch zur Sklaverei verurteilt.<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 26-29.</ref>

Angesichts solcher Gefahren zeigt Rerum novarum den Weg gerechter Reformen auf, die der Arbeit ihre Würde als freies Tun des Menschen wiedergeben. Das besagt unter anderem vor allem die Verantwortung von seiten der Gesellschaft und des Staates, den Arbeiter vor dem Alptraum der Arbeitslosigkeit zu schützen. Dies wurde im Verlauf der Zeit durch zwei sich ergänzende Wege versucht: durch eine Wirtschaftspolitik mit dem Ziel eines ausgeglichenen Wachstums und der Sicherung von Vollbeschäftigung und ebenso mit einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, verbunden mit einer Politik der Umschulung, die den Wechsel eines Arbeiters von einem Krisensektor in einen Entwicklungssektor erleichtert.

Ferner müssen Gesellschaft und Staat für ein angemessenes Lohnniveau sorgen, das dem Arbeiter und seiner Familie den Unterhalt sichert und die Möglichkeit zum Sparen erlaubt. Es erfordert Anstrengungen, um den Arbeitern stets jenes fachliche Wissen und Können zu vermitteln, damit ihre Arbeit zur Verbesserung der Produktion beiträgt. Es ist ebenso notwendig, darüber zu wachen und gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um die schändliche Ausbeutung insbesondere der Schwachen, der Einwanderer und der an den Rand gedrängten Arbeiter zu verhindern. Hier liegt die entscheidende Aufgabe der Gewerkschaften, die Mindestlohn und Arbeitsbedingungen aushandeln.

Schließlich ist die Sicherung einer "menschlichen" Arbeitszeit und eine entsprechende Erholung zu garantieren. Von Bedeutung ist das Recht, die eigene Persönlichkeit am Arbeitsplatz einzubringen, ohne dass dabei das eigene Gewissen oder die Menschenwürde Schaden leiden. Hier ist von neuem an die Rolle der Gewerkschaften zu appellieren, die nicht nur als Verhandlungspartner, sondern auch als "Ort" dienen sollen, an dem die Persönlichkeit des Arbeiters zur Geltung kommen kann. Sie sollen dazu beitragen, eine echte Arbeitskultur zu entwickeln und den Arbeitern die volle menschliche Anteilnahme am Unternehmen zu ermöglichen.<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 20; Ansprache an die Internationale Arbeitsorganisation (O.I.T.) in Genf (15. Juni 1982); Paul VI., Ansprache an dieselbe Organisation (10. Juni 1969): AAS 61 (1969), 491-502.</ref> Zur Verwirklichung dieser Ziele muss der Staat, sei es unmittelbar oder mittelbar, seinen Beitrag leisten. Mittelbar dadurch, dass er nach dem Prinzip der Subsidiarität möglichst günstige Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Wirtschaft bietet, die damit ein reiches Angebot an Arbeitsmöglichkeiten und einen Grundstock für den Wohlstand schafft. Unmittelbar leistet der Staat seinen Beitrag, wenn er nach dem Prinzip der Solidarität zur Verteidigung des Schwächeren Grenzen setzt, die über die Arbeitsbedingungen entscheiden, und wenn er dem beschäftigungslosen Arbeiter das Existenzminimum garantiert.<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 8.</ref>

Die Enzyklika und mit ihr das soziale Lehramt hatten in den Jahren der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen vielfältigen Einfluss. Dieser Einfluss zeigt sich in zahlreichen Reformen auf dem Gebiet der Sozialgesetzgebung, der Altersversorgung, der Krankenversicherung, der Unfallverhütung, immer im Hinblick auf eine umfassendere und größere Achtung vor den Rechten der Arbeiter.<ref>Vgl. Enzyklika Quadragesimo anno, Nr. 14.</ref>

16. Die Reformen wurden zum Teil von den Staaten selber durchgeführt, zum Teil aber hatte die Arbeiterbewegung im Kampf um ihre Durchsetzung eine wichtige Rolle. Als Reaktion des moralischen Gewissens gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung entstanden, kam sie in der Folge in einem gewissen Maße unter den Einfluss jener marxistischen Ideologie, gegen die sich Rerum novarum wandte. Die Arbeiterbewegung enfaltete umfangreiche gewerkschaftliche und reformerische Aktivitäten, die sich vom Nebel der Ideologie fernhielten. Sie befasste sich mit den täglichen Anliegen der Arbeiter, und hier traf sich ihr Bemühen oft mit dem der Christen, für die Arbeiter bessere Lebensbedingungen zu schaffen.

In die gleiche Richtung gingen auch die Bemühungen der organisierten Selbsthilfe der Gesellschaft in der Erstellung wirksamer Formen der Solidarität, die imstande waren, das Wirtschaftswachstum mit mehr Achtung vor dem Menschen zu verbinden. Hier ist an die vielfältige Tätigkeit zu erinnern, an der Christen einen wesentlichen Anteil hatten: in der Gründung von Produktions-, Konsum- und Kreditgenossenschaften, in der Förderung der Volks- und Berufsbildung, in den verschiedenen Versuchen der Mitbeteiligung am Betrieb und ganz allgemein am Leben der Gesellschaft. Wenn es im Blick auf die Vergangenheit angebracht ist, Gott zu danken, weil die große Enzyklika in den Herzen nicht ohne Antwort blieb, sondern zu großmütigem Handeln angeregt hat, so ist dennoch daran zu erinnern, dass ihre prophetische Botschaft von den Menschen ihrer Zeit nicht in vollem Umfang aufgenommen wurde. Gerade dadurch kam es zu ernsten Katastrophen.

17. Wenn man die Enzyklika in Verbindung mit dem ganzen Reichtum des Lehramtes Leos liest<ref>Vgl. die Enzykliken Arcanum (10. 2. 1880); Diuturnum (29. 6. 1881); Immortale Dei (1. 11. 1885); Sapientiae christianae (1. 1. 1890); Quod Apostolici muneris (28. 12. 1878); Libertas (20. 6. 1888).</ref> , so erkennt man, dass sie auf wirtschaftlich-gesellschaftlichem Gebiet die Konsequenzen eines Irrtums von größter Tragweite aufzeigt. Dieser Irrtum besteht, wie ich vorher sagte, in einem Verständnis der menschlichen Freiheit, die sie vom Gehorsam gegenüber der Wahrheit und damit auch von der Pflicht, die Rechte der Menschen zu respektieren, entbindet. Inhalt der Freiheit wird dann die Selbstliebe, die bis zur Verachtung Gottes und des Nächsten führt, die in der Verfolgung der eigenen Interessen keine Grenzen kennt und die auf die Forderungen der Gerechtigkeit keine Rücksicht nimmt.<ref>Vgl. Enzyklika Libertas, Nr. 10.</ref>

Gerade dieser Irrtum kam voll zur Wirkung in der tragischen Abfolge von Kriegen, die zwischen 1914 und 1945 Europa und die ganze Welt erschütterten. Diese Kriege waren Auswirkungen des Militarismus und des maßlosen Nationalismus und der damit verbundenen Formen von Totalitarismus. Sie entstehen aus dem Klassenkampf, aus Bürgerkriegen und ideologischen Kämpfen. Ohne die schreckliche Last von Hass und Rachsucht, die sich wegen derart zahlreicher Ungerechtigkeiten sowohl auf internationaler Ebene als auch auf jener im Inneren der einzelnen Staaten anhäufte, wäre ein Krieg von solch totaler Grausamkeit, in dem alle Kräfte großer Nationen eingesetzt wurden, in dem man vor Verletzung heiligster Menschenrechte nicht zurückschreckte, in dem die Ausrottung ganzer Völker und gesellschaftlicher Gruppen geplant und durchgeführt wurde, nicht möglich gewesen. Wir denken hier besonders an das jüdische Volk, dessen schreckliches Schicksal zum Symbol für jene Verirrungen wurde, zu denen der Mensch kommen kann, wenn er sich gegen Gott wendet.

Hass und Ungerechtigkeit bemächtigen sich immer noch ganzer Nationen. Sie lassen sich nur dann zum Handeln bewegen, wenn sie von Ideologien legitimiert und organisiert werden, die sich mehr auf die eigene Ahnung als auf die Wahrheit über den Menschen gründen.<ref>Vgl. Botschaft zum XIII. Weltfriedenstag: AAS 71 (1979), 1572-1580.</ref> Die Enzyklika Rerum novarum hat sich gegen die Ideologien des Hasses zur Wehr gesetzt und Wege der Gerechtigkeit zur Überwindung von Gewalt und Feindschaft aufgezeigt. Möge die Erinnerung an jene schrecklichen Ereignisse das Handeln aller Menschen beeinflussen, insbesondere das der Verantwortlichen der Völker unserer Zeit. Einer Zeit, in der neues Unrecht neuen Hass nährt und neue Ideologien am Horizont auftauchen, die die Gewalt verherrlichen.

18. Gewiss, seit 1945 schweigen die Waffen auf dem europäischen Kontinent. Der wahre Friede aber - daran sei erinnert - ist niemals das Ergebnis eines errungenen militärischen Sieges, sondern besteht in der Überwindung der Kriegsursachen und in der echten Aussöhnung unter den Völkern. Während vieler Jahre gab es in Europa und in der Welt jedoch eher eine Situation des Nicht-Krieges als des authentischen Friedens. Eine Hälfte des europäischen Kontinents geriet unter die Herrschaft der kommunistischen Diktatur, während die andere Hälfte darauf bedacht war, sich gegen eine solche Gefahr abzusichern. Viele Völker verlieren die Möglichkeit, über sich selbst zu verfügen. Sie werden in die bedrückenden Grenzen eines Machtblockes eingeschlossen, während man darauf hinarbeitet, ihr Geschichtsbewusstsein und die Wurzeln ihrer jahrhundertealten Kultur auszulöschen. Ungeheure Massen von Menschen werden als Folge der gewaltsamen Teilung dazu gezwungen, ihr Land zu verlassen und werden gewaltsam vertrieben.

Ein irrsinniger Rüstungswettlauf verschlingt die Mittel, die nötig wären, um eine Entwicklung der eigenen Wirtschaft zu sichern und den am meisten benachteiligten Nationen zu helfen. Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt, der zum Wohlergehen des Menschen beitragen sollte, wird zum Instrument für den Krieg. Man gebraucht Wissenschaft und Technik, um immer vollkommenere Waffen zur Massenvernichtung zu produzieren, während eine Ideologie, die eine Perversion echter Philosophie darstellt, die theoretische Rechtfertigung für den neuen Krieg liefern soll. Dieser Krieg wird nicht nur erwartet und vorbereitet, er wird geführt mit ungeheurem Blutvergießen in verschiedenen Teilen der Welt. Die Logik der Blöcke und Machtbereiche, die in den verschiedenen Dokumenten der Kirche und jüngst in der Enzyklika Sollicitudo rei socialis<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 20.</ref> angeprangert wurden, verfährt in der Weise, dass die in den Ländern der dritten Welt entstandenen Streitigkeiten und Unstimmigkeiten systematisch gefördert und ausgenützt werden, um dem Gegner Schwierigkeiten zu machen.

Extremistische Gruppen, die diese Konflikte mit Waffengewalt lösen wollen, finden politische und militärische Unterstützung. Sie werden mit Waffen versehen und für den Krieg ausgebildet, während jene, die sich unter Respektierung der legitimen Interessen aller Beteiligten um friedliche und menschliche Lösungen bemühen, isoliert bleiben und oft Opfer ihrer Gegner werden. Auch die militärische Aufrüstung vieler Länder der dritten Welt und die sie zerfleischenden Stammesfehden, die Ausbreitung des Terrorismus und der stets barbarischer werdenden Mittel der politisch-militärischen Auseinandersetzung stellen eine der Hauptursachen dar in der Brüchigkeit des Friedens nach dem zweiten Weltkrieg. Auf der ganzen Welt lastet schließlich die Bedrohung eines Atomkrieges, der die ganze Menschheit auslöschen kann. Die für militärische Zwecke angewandte Wissenschaft gibt dem von Ideologie geförderten Hass die entscheidenden Möglichkeiten. Aber der Krieg kann ohne Sieger und Besiegte im Selbstmord der Menschheit enden, und deshalb muss man die Logik, die dazu führt, radikal zurückweisen, nämlich die Idee, dass der Kampf zur Vernichtung des Feindes, die Gegnerschaft und der Krieg zur Entwicklung und zum Fortschritt der Geschichte beitragen.<ref>Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963), III: AAS 55 (1963), 286-289.</ref> Wenn man die Notwendigkeit dieser Ablehnung einsieht, dann muss notwendigerweise die Logik des "totalen Krieges" wie die des "Klassenkampfes" in Krise geraten.

19. Am Ende des zweiten Weltkrieges ist ein solcher Fortschritt des Bewusstseins aber erst in den Anfängen. Was die Aufmerksamkeit erregt, ist die Ausbreitung des kommunistischen Totalitarismus auf mehr als die Hälfte Europas und weite Teile der Welt. Der Krieg, der die Freiheit wiederbringen und das Recht der Völker wiederherstellen sollte, geht ohne die Verwirklichung dieser Ziele zu Ende. Viele Völker, besonders jene, die schwer gelitten hatten, erfahren das Gegenteil. Diese Situation hat verschiedene Antworten hervorgebracht.

In einigen Ländern sieht man nach der Zerstörung des Krieges auf verschiedenen Gebieten ein positives Bemühen zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, die sich von sozialer Gerechtigkeit leiten lässt und dem Kommunismus sein revolutionäres Potential entzieht, das sich auf die ausgebeuteten und unterdrückten Massen gründet. Dieses Bemühen wird im allgemeinen durch die Methoden der freien Marktwirtschaft unterstützt. Durch stabile Währung und Sicherheit der sozialen Beziehungen sucht man die Voraussetzungen für ein stabiles und gesundes Wirtschaftswachstum zu schaffen, in dem die Menschen mit ihrer Arbeit für sich selbst und für ihre Kinder eine bessere Zukunft bauen können. Zugleich will man vermeiden, dass die Marktmechanismen zum ausschließlichen Bezugspunkt für das gesamte gesellschaftliche Leben werden. Man strebt eine öffentliche Kontrolle an, die das Prinzip der Bestimmung der Güter der Erde für alle wirksam zur Geltung kommen lässt. Die verhältnismäßig guten Arbeitsmöglichkeiten, ein solides System der sozialen und beruflichen Sicherheit, die Freiheit zur Gründung von Vereinigungen und die ausgeprägte Tätigkeit von Gewerkschaften, Vorkehrungen für den Fall der Arbeitslosigkeit, die Möglichkeit demokratischer Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, all das sollte dazu beitragen, die Arbeit ihres Warencharakters zu entkleiden und ihr die Möglichkeit zu geben, sie in Würde auszuführen.

Es gibt sodann andere soziale Kräfte und geistige Bewegungen, die sich dem Marxismus durch die Erstellung von Systemen "nationaler Sicherheit" entgegenstellen. Ihr Ziel ist, die ganze Gesellschaft bis in die feinsten Verästelungen zu kontrollieren, um marxistische Infiltration zu verhindern. Sie verherrlichen und steigern die Macht des Staates und wollen so ihre Völker vor dem Kommunismus bewahren. Dabei geraten sie aber ernstlich in die Gefahr, jene Freiheit und jene Werte des Menschen zu zerstören, in deren Namen man sich diesem entgegenstellen muss.

Eine weitere praktische Antwort wird schließlich von der Wohlstands- oder Konsumgesellschaft verkörpert. Sie sucht den Marxismus auf der Ebene eines reinen Materialismus zu besiegen, indem gezeigt wird, dass eine Gesellschaft der freien Marktwirtschaft die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen besser gewährleisten kann als der Kommunismus, wobei geistige Werte ebenso außer acht gelassen werden. Einerseits ist es wahr, dass dieses soziale Modell den Zusammenbruch des Marxismus aufzeigt, insofern er eine neue und bessere Gesellschaft erstellen wollte. Andererseits stimmt es mit ihm aber in Wirklichkeit überein, insofern es jede Eigenständigkeit, jede Berufung zum sittlichen Handeln, zum Recht, zur Kultur und zur Religion leugnet und den Menschen völlig auf den Bereich der Wirtschaft und die Befriedigung materieller Bedürfnisse reduziert.

20. In derselben Zeitspanne vollzieht sich ein grandioser Prozess der "Dekolonisation", durch den viele Länder die Unabhängigkeit und das Recht der freien Selbstbestimmung erhalten. Aber mit der formalen Erlangung der staatlichen Souveränität befinden sich diese Länder oft erst am Beginn des Weges zu einer echten Unabhängigkeit. Tatsächlich bleiben wichtige Bereiche der Wirtschaft noch in den Händen großer ausländischer Unternehmen, die nicht bereit sind, sich auf Dauer zur Entwicklung des Gastlandes zu verpflichten. Oft wird die Politik selbst von ausländischen Mächten kontrolliert. Im Inneren der Staaten leben Stammesgruppen, die noch nicht zu einer echten nationalen Gemeinschaft verschmolzen sind. Es fehlen darüber hinaus kompetente Fachleute, die fähig sind, die Verwaltung des Staates sachgerecht und in rechtschaffener Weise zu ordnen. Es fehlen ebenso die Rahmenbedingungen effizienter und verantwortungsbewusster Wirtschaftsführung. In der dargelegten Situation scheint es vielen, dass der Marxismus für den Aufbau der Nation und des Staates richtungweisend sein könnte, und darum entstehen verschiedene Spielarten des Sozialismus mit spezifisch nationalem Charakter. So vermischen sich in vielen Ideologien, die sich jeweils andersartig darstellen, legitime Forderungen nationaler Befreiung, Nationalismen und Militarismen sowie Grundsätze alter Volksüberlieferungen, die oft verwandt erscheinen mit der christlichen Soziallehre, und Begriffe des Marxismus-Leninismus.

21. Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich nach dem zweiten Weltkrieg als Reaktion auf seine Schrecken ein lebendiges Bewusstsein für die Menschenrechte verbreitete. Es hat in verschiedenen internationalen Dokumenten<ref>Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948; Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris, IV; Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), Helsinki 1975.</ref> seinen Ausdruck gefunden und ebenso in der Erarbeitung eines neuen Völkerrechtes, zu dem der Heilige Stuhl einen beständigen Beitrag geleistet hat. Der Angelpunkt dieser Entwicklung aber war die Organisation der Vereinten Nationen. Nicht nur das Bewusstsein des Rechts des einzelnen ist gewachsen, sondern auch das der Rechte der Völker. Man erkannte klarer die Notwendigkeit, dahin zu wirken, die Unterschiede in den verschiedenen Regionen der Welt auszugleichen, die den Kernpunkt der sozialen Frage von der nationalen auf die internationale Ebene verlagert haben.<ref>Vgl. Paul VI., Enyzklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 61-65.</ref>

Nimmt man auch diese Entwicklung mit Genugtuung zur Kenntnis, so kann man doch nicht die Tatsache übersehen, dass die Gesamtbilanz der verschiedenen Entwicklungshilfen keineswegs immer positiv ist. Den Vereinten Nationen ist es bis jetzt nicht gelungen, an Stelle des Krieges ein wirksames Instrumentarium zur Lösung internationaler Konflikte auszuarbeiten. Das erscheint als das dringendste Problem, das die internationale Gemeinschaft zu lösen hat.

III. Kapitel: Das Jahr 1989

22. Von der eben geschilderten und in der Enzyklika Sollicitudo rei socialis bereits ausführlich dargestellten Weltlage her begreift man die unerwartete und vielversprechende Tragweite der Geschehnisse der letzten Jahre. Ihr Höhepunkt waren sicher die Ereignisse des Jahres 1989 in den Ländern Mittel- und Osteuropas; sie umfassen aber einen größeren Zeitbogen und einen breiteren geographischen Horizont. Im Laufe der achtziger Jahre brechen nacheinander in einigen Ländern Lateinamerikas, aber auch Afrikas und Asiens diktatorische, von Unterdrückung gekennzeichnete Regimes zusammen; in anderen Fällen beginnt ein schwieriger, aber erfolgreicher Übergang hin zu gerechteren und demokratischen politischen Strukturen. Einen wichtigen, ja entscheidenden Beitrag hat dabei der Einsatz der Kirche für die Verteidigung und die Förderung der Menschenrechte geleistet. In stark ideologisierten Milieus, wo eine völlig einseitige Beeinflussung das Bewusstsein von der gemeinsamen menschlichen Würde trübte, hat die Kirche klar und nachdrücklich geltend gemacht, dass jeder Mensch, welche persönlichen Überzeugungen er auch immer haben mag, das Ebenbild Gottes in sich trage und daher Achtung verdiene. In dieser Aussage hat sich die große Mehrheit des Volkes oft wiedererkannt, und das hat zur Suche nach Kampfformen und politischen Lösungen geführt, die der Würde des Menschen mehr entsprechen.

Aus diesem historischen Prozess sind neue Formen der Demokratie hervorgegangen. Sie geben Hoffnung auf einen Wandel in den brüchigen politischen und sozialen Strukturen, die nicht nur von der Hypothek schmerzlicher Ungerechtigkeit und Verbitterung, sondern auch von einer geschädigten Wirtschaft und schweren sozialen Konflikten belastet sind. Während ich zusammen mit der ganzen Kirche Gott für das oft heldenhafte Zeugnis danke, das viele Bischöfe, ganze Christengemeinden und einzelne Gläubige und andere Menschen guten Willens unter diesen schwierigen Umständen gegeben haben, bete ich darum, dass Er die Anstrengungen aller zum Aufbau einer besseren Zukunft unterstützen möge. Diese Verantwortung trifft nicht nur die Bürger jener Länder, sondern alle Christen und Menschen guten Willens. Es geht darum zu beweisen, dass die umfassenden Probleme jener Völker auf dem Weg des Dialogs und der Solidarität eher gelöst werden können als durch die Vernichtung des Gegners und durch Krieg.

23. Unter den zahlreichen Faktoren des Zusammenbruches der von Unterdrückung gekennzeichneten Regimes verdienen einige besonders erwähnt zu werden. Der entscheidende Faktor, der den Wandel in Gang gebracht hat, ist zweifellos die Verletzung der Rechte der Arbeit. Man darf nicht vergessen, dass die entscheidende Krise der Systeme, die vorgeben, Ausdruck der Herrschaft und der Diktatur der Arbeiter zu sein, mit den großen Arbeiterbewegungen beginnt, die in Polen im Namen der Solidarität stattfanden. Es sind die Massen der Arbeiter, die der Ideologie, die angeblich in ihrem Namen spricht, die Legitimation entziehen. Die gleichen Arbeiter stoßen in der harten Erfahrung der Arbeit und der Unterdrückung auf die Aussagen und Grundsätze der Soziallehre der Kirche, und dies bedeutet für sie eine Neuentdeckung.

Es muss ausdrücklich betont werden, dass der Zusammenbruch dieser Machtblöcke überall durch einen gewaltlosen Kampf erreicht wurde, der nur von den Waffen der Wahrheit und der Gerechtigkeit Gebrauch machte. Der Marxismus war der Meinung, dass es erst nach Radikalisierung der sozialen Gegensätze möglich wäre, durch eine gewaltsame Auseinandersetzung zu einer Lösung zu gelangen. Die Kämpfe hingegen, die zum Zusammenbruch des Marxismus führten, bemühten sich mit Zähigkeit, alle Wege der Verhandlung, des Dialogs und des Zeugnisses der Wahrheit zu gehen. Man appellierte an das Gewissen des Gegners, und man war bemüht, in ihm das Bewusstsein der gemeinsamen Menschenwürde zu wecken.

Man konnte den Eindruck haben, dass die aus dem zweiten Weltkrieg hervorgegangene und vom Abkommen von Jalta festgelegte Ordnung Europas nur durch einen neuerlichen Krieg erschüttert werden könnte. Statt dessen ist sie von dem gewaltlosen Engagement von Menschen überwunden worden, die sich stets geweigert hatten, der Macht der Gewalt zu weichen, und Schritt für Schritt wirksame Mittel zu finden wußten, um von der Wahrheit Zeugnis abzulegen. Das hat den Gegner entwaffnet. Denn die Gewalt muss sich immer mit der Lüge rechtfertigen. Sie gibt vor, auch wenn der Anschein trügt, die Verteidigung eines Rechts oder die Abwehr einer Bedrohung im Auge zu haben.<ref>Vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1980: a.a.O., 1572-1580.</ref> Ich danke Gott dafür, dass Er das Herz der Menschen in der Zeit der schweren Prüfung gestärkt hat, und bitte Ihn, dass dieses Beispiel auch an anderen Orten und in anderen Situationen zur Geltung komme. Mögen die Menschen lernen, gewaltlos für die Gerechtigkeit zu kämpfen, in den internen Auseinandersetzungen auf den Klassenkampf zu verzichten und in internationalen Konflikten auf den Krieg.

24. Die zweite Ursache der Krise ist zweifellos die Untauglichkeit des Wirtschaftssystems. Hier geht es nicht bloß um ein technisches Problem, sondern vielmehr um die Folgen der Verletzung der menschlichen Rechte auf wirtschaftliche Initiative, auf Eigentum und auf Freiheit im Bereich der Wirtschaft. Dazu kommt die kulturelle und nationale Dimension. Man kann den Menschen nicht einseitig von der Wirtschaft her begreifen und auch nicht auf Grund der bloßen Zugehörigkeit zu einer Klasse. Der Mensch wird am umfassendsten dann erfasst, wenn er im Kontext seiner Kultur gesehen wird, das heißt wie er sich durch die Sprache, die eigene Geschichte und durch die Grundhaltungen in den entscheidenden Ereignissen des Lebens, in der Geburt, in der Liebe, im Tod, darstellt. Im Mittelpunkt jeder Kultur steht die Haltung, die der Mensch dem größten Geheimnis gegenüber einnimmt: dem Geheimnis Gottes. Die Kulturen der einzelnen Nationen sind im Grunde nur verschiedene Weisen, sich der Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz zu stellen; wird diese Frage ausgeklammert, entarten die Kultur und die Moral der Völker. Deshalb hat sich der Kampf für die Verteidigung der Rechte der Arbeit spontan mit dem Kampf für die Kultur und die Rechte der Nation verbunden. Die wahre Ursache der jüngsten Ereignisse ist jedoch die vom Atheismus hervorgerufene geistige Leere. Sie hat die jungen Generationen ohne Orientierung gelassen und sie nicht selten veranlaßt, bei ihrer ununterdrückbaren Suche nach der eigenen Identität und nach dem Sinn des Lebens die religiösen Wurzeln der Kultur ihrer Nationen und die Person Christi selbst wiederzuentdecken als einzige Antwort auf die im Herzen jedes Menschen vorhandene Sehnsucht nach Glück, Wahrheit und Leben. Diesem Suchen ist das Zeugnis all derer entgegengekommen, die unter schwierigen Umständen und unter Verfolgungen Gott die Treue hielten. Der Marxismus hatte versprochen, das Verlangen nach Gott aus dem Herzen des Menschen zu tilgen. Die Ergebnisse aber haben bewiesen, dass dies nicht gelingen kann, ohne dieses Herz selber zu zerrütten.

25. Die Ereignisse des Jahres 1989 bieten ein Beispiel für den Erfolg des Verhandlungswillens und des evangelischen Geistes gegenüber einem Gegner, der entschlossen war, sich nicht von sittlichen Normen eingrenzen zu lassen. Sie sind eine Warnung für alle, die im Namen des politischen Realismus Recht und Moral aus der Politik verbannen wollen. Der Kampf, der zu den Veränderungen von 1989 führte, hat sicher Klarheit, Mäßigung, Leiden und Opfer verlangt; er ist in gewissem Sinne aus dem Gebet entstanden und wäre ohne ein grenzenloses Vertrauen in Gott, den Herrn der Geschichte, der das Herz der Menschen in seinen Händen hält, undenkbar gewesen. Indem der Mensch sein Leiden für die Wahrheit und die Freiheit dem Leiden Christi am Kreuz hinzufügt, vermag er das Wunder des Friedens zu vollbringen, und ist imstande, den schmalen Pfad zu erkennen zwischen der Feigheit, die dem Bösen weicht, und der Gewalt, die sich zwar einbildet, das Böse zu bekämpfen, es aber in Wirklichkeit verschlimmert.

Man darf allerdings nicht die zahlreichen Bedingtheiten übersehen, von denen die Freiheit des einzelnen Menschen abhängt. Sie beeinflussen die Freiheit, aber bestimmen sie nicht; sie erleichtern mehr oder weniger ihre Ausübung, können sie aber nicht zerstören. Es ist nicht nur vom ethischen Standpunkt her nicht gestattet, die Natur des Menschen, der zur Freiheit geschaffen ist, zu übersehen. Es ist praktisch gar nicht möglich. Dort, wo sich die Gesellschaft so organisiert, dass der legitime Raum der Freiheit willkürlich eingeschränkt oder gar zerstört wird, löst sich das gesellschaftliche Leben nach und nach auf und verfällt schließlich.

Der zur Freiheit geschaffene Mensch trägt in sich die Wunde der Ursünde, die ihn ständig zum Bösen treibt und erlösungsbedürftig macht. Diese Lehre ist nicht nur ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Offenbarung, sondern sie besitzt auch einen großen hermeneutischen Wert, weil sie die Wirklichkeit des Menschen begreifen hilft. Der Mensch strebt zum Guten, aber er ist auch des Bösen fähig; er kann über sein unmittelbares Interesse hinausgehen und bleibt dennoch daran gebunden. Die Gesellschaftsordnung wird um so beständiger sein, je mehr sie dieser Tatsache Rechnung trägt. Sie wird nicht das persönliche Interesse dem Gesamtinteresse der Gesellschaft entgegenstellen, sondern nach Möglichkeiten einer fruchtbaren Zusammenarbeit suchen. Denn wo das Interesse des einzelnen gewaltsam unterdrückt wird, wird es durch ein drückendes System bürokratischer Kontrolle ersetzt, das die Quellen der Initiative und Kreativität versiegen lässt. Wenn Menschen meinen, sie verfügten über das Geheimnis einer vollkommenen Gesellschaftsordnung, die das Böse unmöglich macht, dann glauben sie auch, dass sie für deren Verwirklichung jedes Mittel, auch Gewalt und Lüge, einsetzen dürfen. Die Politik wird dann zu einer "weltlichen Religion", die sich einbildet, das Paradies in dieser Welt zu errichten. Aber niemals wird irgendeine politische Gesellschaft, die ihre eigene Autonomie und ihre eigenen Gesetze besitzt<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 36; 39.</ref>, mit dem Reich Gottes verwechselt werden können. Das biblische Gleichnis vom guten Samen und vom Unkraut (vgl. Mt 13,24-30; 36-43) lehrt uns aber, dass es allein Gott zusteht, die Söhne des Reiches und die Söhne des Bösen zu scheiden, und dass dieses Urteil erst am Ende der Zeiten stattfinden wird. Indem der Mensch sich anmaßt, dieses Urteil schon jetzt zu verkünden, setzt er sich an die Stelle Gottes und widersetzt sich seiner Geduld.

Durch den Opfertod Christi am Kreuz ist der Sieg des Reiches Gottes ein für allemal erworben. Doch Christ sein besagt immer den Kampf gegen die Anfechtungen und die Macht des Bösen. Erst am Ende der Geschichte wird der Herr zum Endgericht wiederkommen in Herrlichkeit (vgl. Mt 25, 31) und den neuen Himmel und die neue Erde errichten (vgl. 2 Petr 3,13; Offb 21,2). Solange aber die Geschichte währt, vollzieht sich der Kampf zwischen Gut und Böse im Herzen des Menschen.

Was uns die Schrift über die Bestimmung des Gottesreiches lehrt, ist nicht ohne Folgen für das Leben der weltlichen Gesellschaften, die der irdischen Wirklichkeit angehören mit aller Unvollkommenheit und Vorläufigkeit, mit der diese behaftet ist. Das Reich Gottes, das in der Welt gegenwärtig ist, ohne von der Welt zu sein, erleuchtet die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, während die Kräfte der Gnade sie durchdringen und beleben. So werden die Erfordernisse einer menschenwürdigen Gesellschaft besser erfasst, die Abirrungen berichtigt und der Mut, für das Gute zu wirken, gestärkt. Zu dieser Aufgabe der Neubelebung der Welt des Menschen aus dem Evangelium sind, zusammen mit allen Menschen guten Willens, die Christen und in besonderer Weise die Laien aufgerufen.<ref>Vgl. Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), Nr. 32-44: AAS 81 (1989), 431-481.</ref>

26. Die Ereignisse von 1989 haben sich vorwiegend in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zugetragen; sie haben jedoch eine weltweite Bedeutung, da von ihnen positive und negative Folgen ausgehen, die die ganze Menschheitsfamilie betreffen. Diese Folgen haben keinen mechanischen oder fatalistischen Charakter, sondern sind Herausforderungen an die menschliche Freiheit zur Mitarbeit am Heilsplan Gottes, der in der Geschichte handelt. Die erste Folge war in einigen Ländern die Begegnung zwischen Kirche und Arbeiterbewegung, die aus einer sittlichen und ausdrücklich christlichen Reaktion gegen eine weitverbreitete Situation der Ungerechtigkeit entstanden war. In der Überzeugung, die Proletarier müßten sich, um wirksam gegen die Unterdrückung zu kämpfen, die ökonomistischen und materialistischen Theorien des entstehenden Kapitalismus aneignen, geriet diese Bewegung für ungefähr ein Jahrhundert unter die Vorherrschaft des Marxismus.

In der Krise des Marxismus tauchen spontan die Formen des Arbeiterbewusstseins wieder auf, die eine Forderung nach Gerechtigkeit und Anerkennung der Würde der Arbeit zum Ausdruck bringen, wie sie der Soziallehre der Kirche entspricht.<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 20: a.a.O., 629-632.</ref> Die Arbeiterbewegung mündet in eine allgemeinere Bewegung der Werktätigen und der Menschen guten Willens für die Befreiung des Menschen und für die Bejahung seiner Rechte ein. Sie erfasst heute viele Länder und, weit davon entfernt, sich der katholischen Kirche entgegenzustellen, blickt sie mit Interesse auf diese Kirche.

Die Krise des Marxismus beseitigt nicht die Situationen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung in der Welt; von ihnen holte sich der Marxismus seinen Zulauf, indem er sie als sein Werkzeug benutzte. Allen denen, die heute auf der Suche nach einer neuen und authentischen Theorie und Praxis der Befreiung sind, bietet die Kirche nicht nur ihre Soziallehre und überhaupt ihre Botschaft über den in Christus erlösten Menschen, sondern auch ihren konkreten Einsatz und ihre Hilfe für den Kampf gegen die Ausgrenzung und das Leiden an.

Das ehrliche Verlangen, auf der Seite der Unterdrückten zu stehen und nicht vom Lauf der Geschichte abgeschnitten zu werden, hat in jüngster Vergangenheit viele Gläubige dazu verleitet, auf verschiedene Weise einen gar nicht möglichen Kompromiss zwischen Marxismus und Christentum zu versuchen. Unsere Zeit ist dabei, all das zu überwinden, was an jenen Versuchen unzulässig war, und neigt dazu, wieder den positiven Wert einer authentischen Theologie der umfassenden menschlichen Befreiung geltend zu machen.<ref> Vgl. Kongregation für die Glabenselehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis conscientia (22. März 1986): AAS 79 (1987), 554-599.</ref> Unter dieser Hinsicht erweisen sich die Ereignisse des Jahres 1989 auch für die Länder der Dritten Welt als bedeutsam, die auf der Suche nach dem Weg ihrer Entwicklung sind, so wie es die Länder Mittel- und Osteuropas gewesen sind.

27. Die zweite Folgerung betrifft die Völker Europas. In den Jahren, in denen der Kommunismus herrschte, und auch schon vorher wurden zahlreiche individuelle und soziale, regionale und nationale Ungerechtigkeiten begangen. Viel Hass und Groll hat sich aufgestaut. Es besteht die Gefahr, dass sich nach dem Zusammenbruch der Diktatur diese Gefühle des Hasses und des Zornes neu entladen und ernste Konflikte und Trauer auslösen, sobald die moralische Kraft und das bewusste Bemühen, von der Wahrheit Zeugnis zu geben, nachlassen. Es ist zu wünschen, dass vor allem in den Herzen jener, die für die Gerechtigkeit kämpfen, nicht Hass und Gewalt triumphieren und in allen der Geist des Friedens und der Vergebung wachse.

Es müssen jedoch konkrete Schritte unternommen werden, um internationale Strukturen zu schaffen bzw. zu stärken, denen es im Fall von Konflikten zwischen den Nationen möglich ist, durch den entsprechenden Schiedsspruch einzugreifen. Auf diese Weise werden jeder Nation ihre Rechte gesichert, und gleichzeitig werden durch gerechte Übereinkunft und friedliche Schlichtung die Rechte der anderen gewahrt. Das alles ist besonders notwendig für die europäischen Nationen, die durch das Band der gemeinsamen Kultur und tausendjährigen Geschichte eng miteinander verbunden sind. Für den moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau in den Ländern, die den Kommunismus aufgegeben haben, bedarf es einer großen Anstrengung. Über lange Zeit wurden die elementarsten Wirtschaftsbeziehungen verzerrt. Grundlegende Tugenden des Wirtschaftslebens, wie Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit, Fleiß, wurden entwürdigt. Es braucht einen geduldigen materiellen und moralischen Wiederaufbau. Gleichzeitig fordern die von jahrelangen Entbehrungen zermürbten Völker von ihren Regierungen greifbare und schnelle Erfolge, was den Wohlstand betrifft, und eine angemessene Befriedigung ihrer berechtigten Ansprüche.

Der Zusammenbruch des Marxismus hatte natürlich Auswirkungen von großer Tragweite auf die Spaltung der Erde in voneinander abgeschlossene und miteinander eifersüchtig ringende Welten. Er rückt die Wirklichkeit der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker klarer ins Licht und ebenso die Tatsache, dass die menschliche Arbeit von Natur aus dazu bestimmt ist, die Völker zu verbinden, nicht aber, sie zu spalten. Friede und Wohlergehen sind Güter, die dem ganzen Menschengeschlecht gehören. Es ist nicht möglich, sie zu Recht und auf Dauer zu genießen, wenn sie zum Schaden anderer Völker und Nationen gewonnen und bewahrt werden, indem sie ihre Rechte verletzen oder sie von den Quellen des Wohlstandes ausschließen.

28. Für einige Länder Europas beginnt in gewissem Sinne die eigentliche Nachkriegszeit. Die radikale Neuordnung der bisherigen Kollektivwirtschaften bringt Probleme und Opfer mit sich, die sich mit jenen vergleichen lassen, die die westlichen Länder des Kontinents für ihren Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg auf sich nahmen. Es ist nur gerecht, dass die ehemals kommunistischen Länder in den derzeitigen Schwierigkeiten von der solidarischen Hilfe der anderen Nationen unterstützt werden. Natürlich müssen sie selbst die ersten Baumeister ihrer Entwicklung sein; aber es muss ihnen eine entsprechende Möglichkeit dazu geboten werden. Das kann nur mit der Hilfe der anderen Länder geschehen. Die derzeitige von Schwierigkeiten und Mangel geprägte Lage ist die Folge eines historischen Prozesses, in dem die ehemaligen kommunistischen Länder meist Objekt und nicht Subjekt waren. Sie befinden sich also nicht auf Grund ihrer freien Entscheidung oder auf Grund begangener Irrtümer in dieser Situation, sondern infolge tragischer geschichtlicher Ereignisse, die ihnen gewaltsam aufgezwungen wurden und die sie daran gehindert haben, den Weg der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu gehen.

Die Hilfe der anderen, vor allem der europäischen Länder, die an dieser Geschichte teilgenommen haben und dafür Mitverantwortung tragen, entspricht einer Verpflichtung der Gerechtigkeit. Aber sie entspricht auch dem Interesse und dem allgemeinen Wohl Europas. Europa wird nicht in Frieden leben können, wenn die vielfältigen Konflikte, die als Folge der Vergangenheit aufbrechen, sich durch wirtschaftlichen Niedergang, geistige Unzufriedenheit und Verzweiflung verschärfen.

Diese Forderung darf jedoch nicht dazu verleiten, die Bemühungen um Unterstützung und Hilfe an die Länder der Dritten Welt zu verringern, die oft unter noch schwereren Situationen der Not und Armut leiden.<ref>Vgl. Ansprache am Sitz des Rates der C.E.A.O. anlässlich des X. Jahrestages des "Appells für den Sahel" (Ouagadougou, Burkina Faso, 29. Januar 1990): AAS 82 (1990), 816-821.</ref> Es wird vielmehr außerordentlicher Anstrengungen bedürfen, um die Ressourcen, an denen es der Welt insgesamt nicht fehlt, für das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung aller aufzubringen. Man wird die Prioritäten und die Werteskalen, auf Grund derer die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen getroffen werden, neu definieren müssen. Gewaltige Mittel können durch den Abbau des riesigen Militärpotentials, das im Ost-West-Konflikt aufgebaut worden war, verfügbar gemacht werden. Sie könnten noch wesentlich gesteigert werden, wenn es gelingt, anstelle von Kriegen wirksame Verfahren für die Lösung von Konflikten festzulegen und damit das Prinzip der Rüstungskontrolle und der Rüstungsbeschränkung in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen gegen den Waffenhandel auch in den Ländern der Dritten Welt anzuwenden.<ref>Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris, 111: a.a.O., 286-288.</ref> Vor allem aber ist es notwendig, eine Denkweise aufzugeben, die die Armen der Erde - Personen und Völker - als eine Last und als unerwünschte Menschen ansieht, die das zu konsumieren beanspruchen, was andere erzeugt haben. Die Armen verlangen das Recht, an der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und ihre Arbeitsfähigkeit einzubringen, um eine gerechtere und für alle glücklichere Welt aufzubauen. Die Hebung der Armen ist eine große Gelegenheit für das sittliche, kulturelle und wirtschaftliche Wachstum der gesamten Menschheit.

29. Schließlich darf die Entwicklung nicht ausschließlich ökonomisch, sondern im gesamtmenschlichen Sinn verstanden werden.<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 27-28: a.a.O., 547-550; Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. 43-44: a.a.O., 278 f.</ref> Es geht nicht einfach darum, alle Völker auf das Niveau zu heben, dessen sich heute die reichsten Länder erfreuen. Es geht vielmehr darum, in solidarischer Zusammenarbeit ein menschenwürdigeres Leben aufzubauen, die Würde und Kreativität jedes einzelnen wirksam zu steigern, seine Fähigkeit, auf seine Berufung und damit auf den darin enthaltenen Anruf Gottes zu antworten. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung steht die Ausübung des Rechtes und der Pflicht, Gott zu suchen, ihn kennenzulernen und nach dieser Erkenntnis zu leben.<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 29-31: a.a.O., 550-556.</ref> In den totalitären und autoritären Regimes wurde das Prinzip des Vorrangs der Macht vor der Vernunft auf die Spitze getrieben. Der Mensch wurde gewaltsam zur Annahme einer Weltanschauung gezwungen, zu der er nicht durch das Bemühen der eigenen Vernunft und die Ausübung seiner Freiheit gelangt war. Dieses Prinzip muss zum Sturz gebracht werden, und die Rechte des menschlichen Gewissens, das nur der Wahrheit, sowohl der natürlichen wie der geoffenbarten, verpflichtet ist, müssen wieder voll zur Geltung kommen. In der Anerkennung dieser Rechte besteht die wesentliche Grundlage jeder wirklich freien politischen Ordnung.<ref>Vgl. Schlussakte von Helsinki und Wiener Abkommen; Leo XIII., Enzyklika Libertas praestantissimum, Nr. 5: a.a.O., 215-217.</ref> Es ist wichtig, dieses Prinzip heute aus drei Gründen neu einzuschärfen.

a) Die alten Formen des Totalitarismus und Autoritarismus sind noch nicht vollständig besiegt, und es besteht die Gefahr, dass sie neuen Auftrieb bekommen. Das drängt zu einem erneuerten Bemühen um Zusammenarbeit und Solidarität zwischen allen Ländern.

b) Es gibt in den Industrieländern bisweilen eine geradezu besessene Propaganda für die rein utilitaristischen Werte, verbunden mit einer Enthemmung der Triebe und einem Drang zum unmittelbaren Genuss, die ein Erkennen und Anerkennen einer Werthierarchie im Leben geradezu unmöglich macht.

c) In einigen Ländern zeigen sich neue Formen eines religiösen Fundamentalismus. Verschleiert, aber auch offen wird den Bürgern eines anderen Glaubensbekenntnisses die freie Ausübung ihrer bürgerlichen und religiösen Rechte verwehrt. Sie werden daran gehindert, sich voll am kulturellen Geschehen zu beteiligen. Der Kirche wird das Recht auf freie Verkündigung des Evangeliums eingeschränkt. Menschen, die diese Botschaft hören, wird verboten, sie anzunehmen und sich zu Christus zu bekehren. Ohne die Achtung des natürlichen Grundrechtes, die Wahrheit zu erkennen und nach ihr zu leben, gibt es keinen echten Fortschritt. Aus diesem Recht folgt als seine Verwirklichung und Vertiefung das Recht, Jesus Christus, der das wahre Gut des Menschen ist, frei zu entdecken und anzunehmen.<ref>Vgl. Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), Nr. 7: L'Osservatore Romano, 23. Januar 1991.</ref>

IV. Kapitel: Das Privateigentum und die universale Bestimmung der Güter

30. In Rerum novarum machte Leo XIII. gegen den Sozialismus seiner Zeit nachdrücklich den natürlichen Charakter des Rechtes auf privates Eigentum mit verschiedenen Argumenten geltend.<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 3-12; 38-39: a.a.O., 99-107; 131-133.</ref> Dieses für die Autonomie und Entwicklung der Menschen grundlegende Recht ist von der Kirche bis in unsere Tage stets verteidigt worden. Ebenso lehrt die Kirche, dass der Güterbesitz kein absolutes Recht darstellt, sondern in seiner Rechtsnatur die ihm eigenen Grenzen in sich trägt.

Zugleich mit der Verkündigung des Rechtes auf Privateigentum stellte der Papst mit gleicher Eindringlichkeit fest, dass der "Gebrauch" der Güter, der der Freiheit anvertraut ist, der ursprünglichen Zielbestimmung der geschaffenen Güter für alle und dem im Evangelium bekundeten Willen Jesu Christi untergeordnet sei. So schrieb er: "Es ergeht also die Mahnung ... an die mit Glücksgütern Gesegneten ... Die auffälligen Drohungen Jesu Christi an die Reichen müßten diese mit Furcht erfüllen, denn dem ewigen Richter wird einst strengste Rechenschaft über den Gebrauch der Güter dieses Lebens abgelegt werden müssen". Und indem er den hl. Thomas von Aquin zitiert, fährt er fort: "Fragt man nun, wie der Gebrauch des Besitzes beschaffen sein müsse, so antwortet die Kirche (...): "Der Mensch muss die äußeren Dinge nicht wie ein Eigentum, sondern wie gemeinsames Gut betrachten", denn "über den Gesetzen und den Urteilen der Menschen steht das Gesetz und der Richtspruch Christi".<ref>Ebd., Nr. 18; 19: a.a.O., 111-113f.</ref>

Die Nachfolger Leos XIII. haben die Doppelaussage wiederholt: die Notwendigkeit und damit die Erlaubtheit des Privateigentums und zugleich die Grenzen, die auf ihm lasten.<ref>Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno, 11: a.a.O., 191; Pius XII., Radiobotschaft vom 1. Juni 1941: a.a.O., 199; Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra: a.a.O., 428-429; Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. 22-24: a.a.O., 268f.</ref> Auch das II. Vatikanische Konzil hat die traditionelle Lehre wieder vorgelegt mit Worten, die es verdienen, genau wiedergegeben zu werden: "Darum soll der Mensch, der sich dieser Güter bedient, die äußeren Dinge, die er rechtmäßig besitzt, nicht nur als ihm persönlich zu eigen, sondern er muss sie zugleich auch als Gemeingut ansehen in dem Sinn, dass sie nicht ihm allein, sondern auch anderen von Nutzen sein können". Und etwas später heißt es: "Privateigentum oder ein gewisses Maß an Verfügungsmacht über äußere Güter vermitteln den unbedingt nötigen Raum für eigenverantwortliche Gestaltung des persönlichen Lebens jedes einzelnen und seiner Familie; sie müssen als eine Art Verlängerung der menschlichen Freiheit betrachtet werden ... Aber auch das Privateigentum selbst hat eine ihm wesentliche soziale Seite; sie hat ihre Grundlage in der Widmung der Erdengüter an alle".<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 69; 71.</ref> Dieselbe Lehre habe ich zuerst in der Ansprache an die III. Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla und dann in den Enzykliken Laborem exercens und Sollicitudo rei socialis aufgegriffen.<ref> Vgl. Ansprache an die lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla (28. Januar 1979), III, 4: AAS 71 (1979), 199-201; Enzyklika Laborem exercens, Nr. 14: a.a.O., 612-616; Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 42: a.a.O., 572-574.</ref>

31. Wenn man diese Lehre über das Recht auf Eigentum und die Gemeinbestimmung der Güter im Hinblick auf unsere Zeit wieder liest, kann man sich die Frage nach dem Ursprung der Güter stellen, die den Lebensunterhalt des Menschen bilden, seine Bedürfnisse befriedigen und Objekt seiner Rechte sind.

Der erste Ursprung alles Guten ist Gottes Handeln selbst, der die Welt und den Menschen geschaffen und dem Menschen die Erde übergeben hat, damit er sie sich durch seine Arbeit unterwerfe und ihre Früchte genieße (vgl. Gen 1,28-29). Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf dass sie alle seine Mitglieder ernähre. Hier liegt die Wurzel der universalen Bestimmung der Güter der Erde. Sie ist auf Grund ihrer Fruchtbarkeit und Fähigkeit, die Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen, die erste Gabe Gottes für den Lebensunterhalt des Menschen. Doch die Erde schenkt ihre Früchte nicht ohne eine bewusste Antwort des Menschen auf die Gabe Gottes, das heißt ohne Arbeit. Durch die Arbeit gelingt es dem Menschen, sich unter Gebrauch seines Verstandes und seiner Freiheit die Erde zu unterwerfen und zu seiner würdigen Wohnstatt zu machen. Auf diese Weise macht er sich einen Teil der Erde zu eigen, den er sich durch Arbeit erworben hat. Hier liegt der Ursprung des Privateigentums. Natürlich hat der Mensch auch die Verantwortung, nicht zu verhindern, dass andere Menschen ihren Anteil an der Gabe Gottes erhalten, ja, er muss mit ihnen zusammenarbeiten, so dass sie miteinander über die ganze Erde herrschen.

In der Geschichte finden sich am Beginn jeder menschlichen Gesellschaft stets diese beiden Faktoren: die Arbeit und die Erde. Nicht immer aber stehen sie im selben Verhältnis zueinander. Früher erschien die natürliche Fruchtbarkeit der Erde als der Hauptfaktor des Reichtums, was sie auch tatsächlich war, während die Arbeit eine Art Hilfe und Unterstützung dieser Fruchtbarkeit war. Heute aber wird die menschliche Arbeit als Produktionsfaktor der geistigen und materiellen Reichtümer immer wichtiger. Zudem wird offenkundig, dass die Arbeit des einen und die Arbeit der anderen ineinandergreifen und sich verflechten. Arbeiten ist heute mehr denn je ein Arbeiten mit den anderen und ein Arbeiten für die anderen: Arbeiten besagt, etwas für jemanden tun. Die Arbeit ist um so fruchtbarer und produktiver, je mehr der Mensch imstande ist, die Produktivkraft der Erde und die wahren Bedürfnisse des anderen Menschen zu erkennen, für den die Arbeit getan wird.

32. Aber besonders in der heutigen Zeit gibt es noch eine andere Form von Eigentum, der keine geringere Bedeutung als dem Besitz der Erde zukommt: Es ist das der Besitz von Wissen, von Technik und von Können. Der Reichtum der Industrienationen beruht zu einem viel größeren Teil auf dieser Art des Eigentums als auf dem der natürlichen Ressourcen.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Mensch mit den anderen Menschen arbeitet, dass er an einem "Gemeinschaftswerk teilnimmt, das immer weitere Kreise umfasst. Wer ein Produkt erstellt, tut das außer zum persönlichen Gebrauch im allgemeinen dafür, dass andere davon Gebrauch machen können, nachdem sie den durch freie Verhandlung vereinbarten gerechten Preis gezahlt haben. Gerade die Fähigkeit, die Bedürfnisse der anderen Menschen und die Kombinationen der geeignetsten Produktionsfaktoren für ihre Befriedigung rechtzeitig zu erkennen, ist eine bedeutende Quelle des Reichtums in der modernen Gesellschaft. Viele Güter können gar nicht durch die Arbeitskraft nur eines einzelnen wirksam erstellt werden, sondern sie erfordern die Zusammenarbeit vieler für dasselbe Ziel. Einen solchen Produktionsprozess zu organisieren, seinen Bestand zu planen, dafür zu sorgen, dass er, unter Übernahme der notwendigen Risiken, der Befriedigung der Bedürfnisse positiv entspricht: auch das ist eine Quelle des Reichtums in der heutigen Gesellschaft. So wird die Rolle der geordneten und schöpferischen menschlichen Arbeit immer offensichtlicher und entscheidender. Aber ebenso sichtbar wird - als wesentlich zu dieser Arbeit gehörend - die Bedeutung der wirtschaftlichen Initiative und des Unternehmertums.<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 15: a.a.O., 528-531.</ref>

Ein solcher Vorgang, der eine vom Christentum seit jeher vertretene Wahrheit über den Menschen konkret ins Licht rückt, muss mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen betrachtet werden. Die wichtigste Ressource des Menschen ist in der Tat, zusammen mit der Erde, der Mensch selbst. Sein Verstand entdeckt die Produktivkraft der Erde und die Vielfalt der Formen, wie die menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden können. Seine geordnete Arbeit in solidarischer Zusammenarbeit ermöglicht die Erstellung von immer umfassenderen und zuverlässigeren Arbeitsgemeinschaften zur Umgestaltung der natürlichen und menschlichen Umwelt. In diesen Prozess sind wichtige Tugenden mit einbezogen, wie Fleiß, Umsicht beim Eingehen zumutbarer Risiken, Zuverlässigkeit und Treue in den zwischenmenschlichen Beziehungen, Festigkeit bei der Durchführung von schwierigen und schmerzvollen, aber für die Betriebsgemeinschaft notwendigen Entscheidungen und bei der Bewältigung etwaiger Schicksalsschläge.

Die moderne Betriebswirtschaft enthält durchaus positive Aspekte. Ihre Wurzel ist die Freiheit des Menschen, die sich in der Wirtschaft wie auf vielen anderen Gebieten verwirklicht. Die Wirtschaft ist ein Teilbereich des vielfältigen menschlichen Tuns, und in ihr gilt, wie auf jedem anderen Gebiet, das Recht auf Freiheit sowie die Pflicht, von ihr verantwortlichen Gebrauch zu machen. Aber hier gibt es spezifische Unterschiede zwischen den Tendenzen der modernen Gesellschaft und jenen der Vergangenheit. War früher der entscheidende Produktionsfaktor die Erde und später das Kapital, verstanden als Gesamtbestand an Maschinen und Produktionsmitteln, so ist heute der entscheidende Faktor immer mehr der Mensch selbst, das heißt seine Erkenntnisfähigkeit in Form wissenschaftlicher Einsicht, seine Fähigkeit, Organisation in Solidarität zu erstellen, und sein Vermögen, das Bedürfnis des anderen wahrzunehmen und zu befriedigen.

33. Es ist jedoch notwendig, auf die mit diesem Vorgang zusammenhängenden Gefahren und Probleme hinzuweisen. Viele Menschen, vielleicht die große Mehrheit, verfügen heute nicht über Mittel, die ihnen tatsächlich und auf menschenwürdige Weise den Eintritt in ein Betriebssystem erlauben, in dem die Arbeit eine wahrhaft zentrale Stellung einnimmt. Sie haben keine Möglichkeit, jene Grundkenntnisse zu erwerben, die es ihnen ermöglichen würden, ihre Kreativität zum Ausdruck zu bringen und ihre Leistungsfähigkeit zu entfalten. Sie haben keine Gelegenheit, in das Gefüge von Beziehungen und Kommunikationen einzutreten, das ihnen die Erfahrung vermitteln würde, dass ihre Fähigkeiten geschätzt und gebraucht werden. Um es kurz zu sagen: Sie sind, wenn auch nicht gerade Ausgebeutete, doch weithin Randexistenzen; die wirtschaftliche Entwicklung geht über ihre Köpfe hinweg, wenn sie nicht sogar die ohnehin schon engen Räume ihrer traditionellen Subsistenzwirtschaften noch weiter einschränkt. Unfähig, der Konkurrenz von Waren standzuhalten, die auf neue Weise hergestellt werden und Bedürfnissen begegnen, die sie früher mit herkömmlichen Organisationsformen zu bewältigen gewohnt waren, angelockt vom Glanz eines zur Schau gestellten, aber für sie unerreichbaren Reichtums und gleichzeitig getrieben von der Not, drängen sich diese Menschen in den Städten der Dritten Welt zusammen, wo sie oft kulturell entwurzelt sich in Situationen drohender Unsicherheit befinden, ohne Möglichkeit zur Integration. Ihnen wird de facto keine Menschenwürde zuerkannt, und manchmal versucht man sie durch eine zwangsweise vorgenommene menschenunwürdige Bevölkerungskontrolle aus der Geschichte zu eliminieren.

Viele andere Menschen leben, auch wenn sie nicht völlige Randexistenzen sind, in einem Milieu, wo der Kampf um das Notwendigste den absoluten Vorrang hat. Dort herrschen noch die Regeln des Kapitalismus der Gründerzeit mit einer Erbarmungslosigkeit, die jener der finstersten Jahre der ersten Industrialisierungsphase in nichts nachsteht. In anderen Fällen ist noch der Boden der Grundfaktor der Wirtschaft. Jene aber, die ihn bebauen, sind von seinem Besitz ausgeschlossen und befinden sich in der Lage halber Sklaven.<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 21: a.a.O., 632-634.</ref> In solchen Fällen kann man noch heute wie zur Zeit von Rerum novarum von einer unmenschlichen Ausbeutung sprechen. Trotz der großen Veränderungen, die in den fortgeschrittenen Gesellschaften stattgefunden haben, ist das menschliche Defizit des Kapitalismus mit der daraus sich ergebenden Herrschaft der Dinge über die Menschen keineswegs überwunden; ja, für die Armen kam zum Mangel an materiellen Gütern noch der Mangel an Wissen und Bildung hinzu, der es ihnen unmöglich macht, sich aus ihrer Lage erniedrigender Unterwerfung zu befreien.

Unter ähnlichen Bedingungen lebt leider noch immer die große Mehrheit der Bewohner der Dritten Welt. Es wäre jedoch falsch, diese Dritte Welt in einem bloß räumlichen Sinn zu verstehen. In ihr wurden in manchen Gegenden und in einigen gesellschaftlichen Bereichen Entwicklungsprozesse gefördert, die sich nicht so sehr auf die Erschließung materiellen Reichtums als vielmehr auf die der "menschlichen Ressourcen" konzentriert haben. Noch vor wenigen Jahren wurde behauptet, die Entwicklung würde von der Isolierung der ärmsten Länder vom Weltmarkt und davon abhängen, dass sie nur auf ihre eigenen Kräfte vertrauen. Die jüngste Erfahrung aber hat bewiesen, dass die Länder, die sich ausgeschlossen haben, Stagnation und Rückgang erlitten haben; eine Entwicklung hingegen haben jene Länder durchgemacht, denen es gelungen ist, in das allgemeine Gefüge der internationalen Wirtschaftsbeziehungen einzutreten. Das größte Problem scheint also darin zu bestehen, einen gerechten Zugang zum internationalen Markt zu erhalten, der nicht auf dem einseitigen Prinzip der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, sondern auf der Erschließung menschlicher Ressourcen beruht.<ref>Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. 33-43: a.a.O., 273-278.</ref>

Dritte-Welt-Aspekte treten jedoch auch in den Industrieländern dort auf, wo der ununterbrochene Wandel in den Produktionsweisen und im Konsumverhalten bereits erworbene Kenntnisse und langjährige Berufserfahrungen abwertet und ein ständiges Bemühen der Umschulung und Anpassung erfordert. Jene, denen es nicht gelingt, mit der Zeit Schritt zu halten, werden leicht an den Rand gedrängt. Mit ihnen werden die Alten, die Jugendlichen, denen der Einstieg in die Gesellschaft nicht gelingt, und allgemein die Schwachen und die sogenannte Vierte Welt zu Randgruppen. Auch die Situation der Frau ist unter diesen Bedingungen alles eher als leicht.

34. Sowohl auf nationaler Ebene der einzelnen Nationen wie auch auf jener der internationalen Beziehungen scheint der freie Markt das wirksamste Instrument für die Anlage der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse zu sein. Das gilt allerdings nur für jene Bedürfnisse, die "bezahlbar" sind, die über eine Kaufkraft verfügen, und für jene Ressourcen, die "verkäuflich" sind und damit einen angemessenen Preis erzielen können. Es gibt aber unzählige menschliche Bedürfnisse, die keinen Zugang zum Markt haben. Es ist strenge Pflicht der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu verhindern, dass die fundamentalen menschlichen Bedürfnisse unbefriedigt bleiben und dass die davon betroffenen Menschen zugrunde gehen. Diesen notleidenden Menschen muss geholfen werden, sich das nötige Wissen zu erwerben, in den Kreis der internationalen Beziehungen einzutreten, ihre Anlagen zu entwickeln, um Fähigkeiten und Ressourcen besser einbringen zu können. Noch vor der Logik des Austausches gleicher Werte und der für sie wesentlichen Formen der Gerechtigkeit gibt es etwas, das dem Menschen als Menschen zusteht, das heißt auf Grund seiner einmaligen Würde. Dieses ihm zustehende Etwas ist untrennbar verbunden mit der Möglichkeit, zu überleben und einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl der Menschheit zu leisten.

Im Zusammenhang mit der Dritten Welt bewahren jene Zielsetzungen, die von Rerum novarum angeführt wurden, um zu vermeiden, dass die Arbeit des Menschen und der Mensch selber auf das Niveau einer bloßen Ware herabgedrückt werden, ihre volle Gültigkeit (in manchen Fällen ein Ziel, das zu erreichen noch ansteht): der familiengerechte Lohn; die Sozialversicherungen für Alter und Arbeitslosigkeit; der angemessene Schutz der Arbeitsbedingungen.

35. Hier tut sich ein großes und fruchtbares Feld des Einsatzes und des Kampfes im Namen der Gerechtigkeit für die Gewerkschaften und für die anderen Organisationen der Arbeiter auf, die ihre Rechte verteidigen und ihre Subjektivität schützen. Sie haben aber gleichzeitig eine wesentliche Aufgabe kultureller Art, indem sie dazu beitragen, dass die Arbeiter vollwertig und in Würde am Leben der Nation teilnehmen und auf dem Weg der Entwicklung fortschreiten.

In diesem Sinne kann man mit Recht von einem Kampf gegen ein Wirtschaftssystem sprechen, hier verstanden als Methode, die die absolute Vorherrschaft des Kapitals, des Besitzes der Produktionsmittel und des Bodens über die freie Subjektivität der Arbeit des Menschen festhalten will.<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 7: a.a.O., 592-594.</ref> Für diesen Kampf gegen ein solches System eignet sich als Alternativmodell nicht das sozialistische System, das tatsächlich nichts anderes als einen Staatskapitalismus darstellt. Es geht vielmehr um eine Gesellschaftsordnung der freien Arbeit, der Unternehmen und der Beteiligung. Sie stellt sich keineswegs gegen den Markt, sondern verlangt, dass er von den sozialen Kräften und vom Staat in angemessener Weise kontrolliert werde, um die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Gesellschaft zu gewährleisten.

Die Kirche anerkennt die berechtigte Funktion des Gewinnes als Indikator für den guten Zustand und Betrieb des Unternehmens. Wenn ein Unternehmen mit Gewinn produziert, bedeutet das, dass die Produktionsfaktoren sachgemäß eingesetzt und die menschlichen Bedürfnisse gebührend erfüllt wurden. Doch der Gewinn ist nicht das einzige Anzeichen für den Zustand des Unternehmens. Es ist durchaus möglich, dass die Wirtschaftsbilanz in Ordnung ist, aber zugleich die Menschen, die das kostbarste Vermögen des Unternehmens darstellen, gedemütigt und in ihrer Würde verletzt werden. Das ist nicht nur moralisch unzulässig, sondern muss auf weite Sicht gesehen auch negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens haben. Denn Zweck des Unternehmens ist nicht bloß die Gewinnerzeugung, sondern auch die Verwirklichung als Gemeinschaft von Menschen, die auf verschiedene Weise die Erfüllung ihrer grundlegenden Bedürfnisse anstreben und zugleich eine besondere Gruppe im Dienst der Gesamtgesellschaft bilden. Der Gewinn ist ein Regulator des Unternehmens, aber nicht der einzige. Hinzu kommen andere menschliche und moralische Faktoren, die auf lange Sicht gesehen zumindest ebenso entscheidend sind für das Leben des Unternehmens.

Man sieht daraus, wie unhaltbar die Behauptung ist, die Niederlage des sogenannten "realen Sozialismus" lasse den Kapitalismus als einziges Modell wirtschaftlicher Organisation übrig. Es gilt, die Barrieren und Monopole zu durchbrechen, die so viele Völker am Rande der Entwicklung liegenlassen. Es gilt, für alle - einzelne und Nationen - die Grundbedingungen für die Teilnahme an der Entwicklung sicherzustellen. Diese Zielsetzung verlangt geplante und verantwortungsvolle Anstrengungen von seiten der ganzen internationalen Gemeinschaft. Die stärkeren Nationen müssen den schwachen Gelegenheiten zur Eingliederung in das internationale Leben anbieten, und die schwachen müssen in der Lage sein, diese Angebote aufzugreifen. Sie müssen dazu die notwendigen Anstrengungen und Opfer aufbringen, indem sie die politische und wirtschaftliche Stabilität, die Sicherheit für die Zukunft, die Förderung der Fähigkeiten der eigenen Arbeiter, die Ausbildung leistungsfähiger Unternehmer, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, gewährleisten.<ref>Vgl. ebd., Nr. 8: a.a.O., 594-598.</ref>

Heute lastet auf all den positiven Anstrengungen, die diesbezüglich unternommen werden, das großenteils noch ungelöste Problem der Auslandsverschuldung der ärmsten Länder. Der Grundsatz, dass die Schulden gezahlt werden müssen, ist sicher richtig. Es ist jedoch nicht erlaubt, eine Zahlung einzufordern oder zu beanspruchen, die zu politischen Maßnahmen zwingt, die ganze Völker in den Hunger und in die Verzweiflung treiben würden. Man kann nicht verlangen, dass die aufgelaufenen Schulden mit unzumutbaren Opfern bezahlt werden. In diesen Fällen ist es notwendig - wie es übrigens teilweise schon geschieht -, Formen der Erleichterung der Rückzahlung, der Stundung oder auch der Tilgung der Schulden zu finden, Formen, die mit dem Grundrecht der Völker auf Erhaltung und Fortschritt vereinbar sind.

36. Es muss nun auf die besonderen Probleme und Gefahren hingewiesen werden, die innerhalb der Wirtschaften der Industrieländer mit ihren spezifischen Eigenschaften auftreten. In den früheren Entwicklungsstufen hat der Mensch immer unter dem Druck der Not gelebt. Seine Bedürfnisse waren bescheiden und gewissermaßen schon in den gegebenen Strukturen seiner leiblichen Verfassung festgelegt. Die wirtschaftliche Tätigkeit beschränkte sich darauf, sie zu befriedigen. Das Problem besteht heute nicht nur darin, eine bestimmte Menge ausreichender Güter anzubieten, sondern auch in der Nachfrage nach der Qualität: Qualität der zu erzeugenden und zu konsumierenden Güter, Qualität der beanspruchten Dienste, Qualität der Umwelt und des Lebens überhaupt.

Die Nachfrage nach einem qualitativ befriedigenderen und reicheren Leben ist an sich berechtigt. Man muss dabei aber die neue Verantwortung und die neuen Gefahren unterstreichen, die mit dieser geschichtlichen Phase zusammenhängen. In der Art und Weise, wie die neuen Bedürfnisse entstehen und definiert werden, drückt sich immer auch eine mehr oder weniger zutreffende Auffassung vom Menschen und seinem wahren Wohl aus. Die Entscheidung für bestimmte Formen von Produktion und Konsum bringt immer auch eine bestimmte Kultur als Gesamtauffassung des Lebens zum Ausdruck. Hier entsteht das Phänomen des Konsumismus. Bei der Entdeckung neuer Bedürfnisse und neuer Möglichkeiten, sie zu befriedigen, muss man sich von einem Menschenbild leiten lassen, das alle Dimensionen seines Seins berücksichtigt und die materiellen und triebhaften den inneren und geistigen unterordnet. Überlässt man sich hingegen direkt seinen Trieben, unter Verkennung der Werte des persönlichen Gewissens und der Freiheit, können Konsumgewohnheiten und Lebensweisen entstehen, die objektiv unzulässig sind und nicht selten der körperlichen und geistigen Gesundheit schaden. Das Wirtschaftssystem besitzt in sich selber keine Kriterien, die gestatten, die neuen und höheren Formen der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse einwandfrei von den neuen, künstlich erzeugten Bedürfnissen zu unterscheiden, die die Heranbildung einer reifen Persönlichkeit verhindern. Es braucht daher dringend ein groß angelegtes erzieherisches und kulturelles Bemühen, das die Erziehung der Konsumenten zu einem verantwortlichen Verbraucherverhalten, die Weckung eines hohen Verantwortungsbewusstseins bei den Produzenten und vor allem bei den Trägern der Kommunikationsmittel sowie das notwendige Eingreifen der staatlichen Behörden umfasst.

Ein augenfälliges Beispiel künstlichen Konsums, der sich gegen die Gesundheit und gegen die Würde des Menschen richtet und sich gewiss nicht leicht unter Kontrolle bringen lässt, ist die Droge. Ihre Ausbreitung ist Anzeichen einer ernsten Funktionsstörung des Gesellschaftssystems und schließt gleichfalls eine materialistische und in einem gewissen Sinn destruktive "Lesart'" der menschlichen Bedürfnisse ein. Die Erneuerungsfähigkeit der freien Wirtschaft wird so schließlich einseitig und unzureichend realisiert. Die Droge wie auch die Pornographie und andere Konsumismusformen versuchen die entstandene geistige Leere auszufüllen, indem sie sich die Anfälligkeit der Schwachen zunutze machen.

Nicht das Verlangen nach einem besseren Leben ist schlecht, sondern falsch ist ein Lebensstil, der vorgibt, dann besser zu sein, wenn er auf das Haben und nicht auf das Sein ausgerichtet ist. Man will mehr haben, nicht um mehr zu sein, sondern um das Leben in Selbstgefälligkeit zu konsumieren.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 35; Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. 19: a.a.O., 266f.</ref> Es ist daher notwendig, sich um den Aufbau von Lebensweisen zu bemühen, in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten und die Verbundenheit mit den anderen für ein gemeinsames Wachstum jene Elemente sind, die die Entscheidungen für Konsum, Sparen und Investitionen bestimmen. In diesem Zusammenhang kann ich nicht allein an die Pflicht der Nächstenliebe erinnern, das heißt die Pflicht, mit dem eigenen "Überfluss" und bisweilen auch mit dem, was man selber "nötig" hat, zu helfen, um das bereitzustellen, was für das Leben des Armen unentbehrlich ist. Ich weise auch darauf hin, dass eine Entscheidung, lieber an diesem als an jenem Ort, lieber in diesem und nicht in einem anderen Sektor zu investieren, immer auch eine moralische und kulturelle Entscheidung ist. Unumgängliche wirtschaftliche Bedingungen und politische Stabilität vorausgesetzt, wird die Entscheidung zu investieren, das heißt einem Volk die Chance zu geben, seine eigene Arbeit zu verwerten, auch von einer Haltung der Sympathie und von dem Vertrauen in die Vorsehung bestimmt. Gerade darin kommt die menschliche Qualität dessen zum Vorschein, der die Entscheidung trifft.

37. Gleichfalls besorgniserregend ist, neben dem Problem des Konsumismus und mit ihm eng verknüpft, die Frage der ™kologie. Der Mensch, der mehr von dem Verlangen nach Besitz und Genuss als dem nach Sein und Entfaltung ergriffen ist, konsumiert auf maßlose und undisziplinierte Weise die Ressourcen der Erde und selbst ihre Existenz. Der unbesonnenen Zerstörung der natürlichen Umwelt liegt ein heute leider weitverbreiteter anthropologischer Irrtum zugrunde. Der Mensch, der seine Fähigkeit entdeckt, mit seiner Arbeit die Welt umzugestalten und in einem gewissen Sinne neu zu "schaffen", vergisst, dass sich das immer nur auf der Grundlage der ersten Ur-Schenkung der Dinge von seiten Gottes ereignet. Der Mensch meint, willkürlich über die Erde verfügen zu können, indem er sie ohne Vorbehalte seinem Willen unterwirft, als hätte sie nicht eine eigene Gestalt und eine ihr vorher von Gott verliehene Bestimmung, die der Mensch entfalten kann, aber nicht verraten darf. Statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes und ruft dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor, die von ihm mehr tyrannisiert als verwaltet wird.<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 34: a.a.O., 559f.; Botschaft zum Weltfriedenstag 1990: AAS 82 (1990), 147-156.</ref>

In dieser Haltung lässt sich vor allem eine Armseligkeit oder Beschränktheit der Sichtweise des Menschen erkennen. Er ist von dem Verlangen beseelt, die Dinge zu besitzen, statt sie an der Wahrheit auszurichten; er entbehrt jener uneigennützigen, selbstlosen, ästhetischen Haltung, die aus dem Staunen über das Sein und über die Schönheit entsteht, das in den sichtbaren Dingen die Botschaft des unsichtbaren Schöpfergottes erkennen lässt. In diesem Zusammenhang muss sich die heutige Menschheit ihrer Pflichten und Aufgaben gegenüber den künftigen Generationen bewusst sein.

38. Außer der sinnlosen Zerstörung der natürlichen Umwelt muss hier die noch schwerwiegendere Zerstörung der menschlichen Umwelt erwähnt werden; man ist noch weit davon entfernt, ihr die notwendige Beachtung zu schenken. Während man sich mit Recht, wenn auch viel weniger als notwendig, darum kümmert, die natürlichen Lebensbedingungen der verschiedenen vom Aussterben bedrohten Tierarten zu bewahren, weil man sich bewusst ist, dass jede von ihnen einen besonderen Beitrag zum allgemeinen Gleichgewicht der Erde erbringt, engagiert man sich viel zu wenig für die Wahrung der moralischen Bedingungen einer glaubwürdigen "Humanökologie". Nicht allein die Erde ist von Gott dem Menschen gegeben worden, dass er von ihr unter Beachtung der ursprünglichen Zielsetzung des Gutes, das ihm geschenkt wurde, Gebrauch machen soll. Aber der Mensch ist sich selbst von Gott geschenkt worden; darum muss er die natürliche und moralische Struktur, mit der er ausgestattet wurde, respektieren. In diesem Zusammenhang sind die ernsten Probleme der modernen Verstädterung zu erwähnen, die Notwendigkeit einer städtischen Kultur, die Sorge trägt für das Leben der Menschen, und auch die gebührende Berücksichtigung einer "Sozialökologie" der Arbeit.

Der Mensch empfängt von Gott seine ihm wesenhafte Würde und mit ihr die Fähigkeit, über jede Gesellschaftsordnung in Richtung der Wahrheit und des Guten hinauszuschreiten. Er wird jedoch gleichzeitig von der gesellschaftlichen Struktur, in der er lebt, beeinflußt, von der Erziehung, die er erhalten hat, und von der Umwelt. Diese Elemente können sein Leben nach der Wahrheit erleichtern, aber auch behindern. Die Entscheidungen, auf Grund derer sich ein menschliches Milieu herausbildet, können spezifische Strukturen der Sünde erzeugen, die die volle Verwirklichung derer, die von ihnen vielfältig bedrückt werden, verhindern. Solche Strukturen abzubauen und durch authentischere Formen des Zusammenlebens zu ersetzen, ist eine Aufgabe, die Mut und Ausdauer erfordert.<ref>Vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984), Nr. 16: AAS 77 (1985), 213-217; Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno, III: a.a.O., 219.</ref>

39. Die erste und grundlegende Struktur zugunsten der "Humanökologie"' ist die Familie, in deren Schoß der Mensch die entscheidenden Anfangsgründe über die Wahrheit und das Gute empfängt, wo er lernt, was lieben und geliebt werden heißt und was es konkret besagt, Person zu sein. Hier ist die auf die Ehe gegründete Familie gemeint, wo die gegenseitige Hingabe von Mann und Frau eine Lebensatmosphäre schafft, in der das Kind geboren werden und seine Fähigkeiten entfalten kann. Wo es sich seiner Würde bewusst wird und sich auf die Auseinandersetzung mit seinem einmaligen und unwiederholbaren Schicksal vorbereiten kann. Oft geschieht es jedoch, dass der Mensch entmutigt wird, die naturgegebenen Bedingungen der Weitergabe des Lebens auf sich zu nehmen. Er lässt sich dazu verleiten, sich selbst und sein Leben als eine Folge von Sensationen zu betrachten, die es zu erleben gilt, und nicht als eine Aufgabe, die zu erfüllen ist. Daraus entsteht ein Mangel an Freiheit, der von der Verpflichtung, sich fest mit einem anderen Menschen zu verbinden und Kinder zu zeugen, zurückscheut oder dazu verleitet, Partner und Kinder als eines der vielen "Dinge" anzusehen, die man, je nach eigenem Geschmack, haben oder nicht haben kann und die mit anderen Möglichkeiten in Konkurrenz treten. Die Familie muss wieder als das Heiligtum des Lebens angesehen werden. Sie ist in der Tat heilig: Sie ist der Ort, an dem das Leben, Gabe Gottes, in angemessener Weise angenommen und gegen die vielfältigen Angriffe, denen es ausgesetzt ist, geschützt wird und wo es sich entsprechend den Forderungen eines echten menschlichen Wachstums entfalten kann. Gegen die sogenannte Kultur des Todes stellt die Familie den Sitz der Kultur des Lebens dar.

Der Geist des Menschen scheint auf diesem Gebiet mehr darauf bedacht zu sein, die Quellen des Lebens zu beschränken, zu unterdrücken und zu vernichten, bis hin zur leider so weltweit verbreiteten Abtreibung, als die Möglichkeiten des Lebens selbst zu verteidigen und zu eröffnen. In der Enzyklika Sollicitudo rei socialis wurden die systematischen Kampagnen zur Geburtenkontrolle mit aller Klarheit kritisiert. Auf Grund einer entstellten Auffassung des demographischen Problems und im Klima eines "absoluten Mangels an Respekt vor der Entscheidungsfreiheit der betroffenen Personen" werden diese oft einem "unerträglichen Druck" ausgesetzt, "um sie für diese neue Form der Unterdrückung gefügig zu machen".<ref>Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 25: a.a.O., 544.</ref> Es handelt sich hier um eine Politik, die mit Hilfe neuer Techniken ihren Aktionsradius bis hin zu einem "Krieg mit chemischen Waffen" ausweitet, um das Leben von Millionen schutzloser Menschen zu vergiften.

Diese Kritik richtet sich nicht so sehr gegen ein Wirtschaftssystem als gegen ein ethisch-kulturelles System. Die Wirtschaft ist ja nur ein Aspekt und eine Dimension der Vielfalt des menschlichen Handelns. Wenn sie verabsolutiert wird, wenn die Produktion und der Konsum der Waren schließlich die Mitte des gesellschaftlichen Lebens einnehmen und zum einzigen Wert der Gesellschaft werden, der keinem anderen mehr untergeordnet wird, so ist die Ursache dafür nicht allein und nicht so sehr im Wirtschaftssystem selbst als in der Tatsache zu suchen, dass das ganze sozio-kulturelle System mit der Vernachlässigung der sittlichen und religiösen Dimension versagt hat und sich nunmehr allein auf die Produktion von Gütern und Dienstleistungen beschränkt.<ref>Vgl. ebd., Nr. 34: a.a.O., 599f.</ref>

Das alles lässt sich zusammenfassen, indem man noch einmal feststellt, dass die wirtschaftliche Freiheit nur ein Element der menschlichen Freiheit ist. Wenn sie sich für autonom erklärt, das heißt, wenn der Mensch mehr als Produzent bzw. Konsument von Gütern, nicht aber als ein Subjekt gesehen wird, das produziert und konsumiert, um zu leben, dann verliert sie ihre notwendige Beziehung zum Menschen, den sie schließlich entfremdet und unterdrückt.<ref>Vgl. Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 15: AAS 71 (1979), 286-289.</ref>

40. Es ist Aufgabe des Staates, für die Verteidigung und den Schutz jener gemeinsamen Güter, wie die natürliche und die menschliche Umwelt, zu sorgen, deren Bewahrung von den Marktmechanismen allein nicht gewährleistet werden kann. Wie der Staat zu Zeiten des alten Kapitalismus die Pflicht hatte, die fundamentalen Rechte der Arbeit zu verteidigen, so haben er und die ganze Gesellschaft angesichts des neuen Kapitalismus nun die Pflicht, die gemeinsamen Güter zu verteidigen, die unter anderem den Rahmen bilden, in dem allein es jedem einzelnen möglich ist, seine persönlichen Ziele auf gerechte Weise zu verwirklichen.

Hier stoßen wir auf eine neue Grenze des Marktes: Es gibt gemeinsame und qualitative Bedürfnisse, die mit Hilfe seiner Mechanismen nicht befriedigt werden können. Es gibt wichtige menschliche Erfordernisse, die sich seiner Logik entziehen. Es gibt Güter, die auf Grund ihrer Natur nicht verkauft und gekauft werden können und dürfen. Gewiss bieten die Marktmechanismen sichere Vorteile. Sie helfen unter anderem dabei, besseren Gebrauch von den Ressourcen zu machen; sie fördern den Austausch der Produkte und stellen den Willen und die Präferenzen des Menschen in den Mittelpunkt, die sich im Vertrag mit denen eines anderen Menschen treffen. Diese Mechanismen schließen jedoch die Gefahr einer "Vergötzung" des Marktes ein, der die Existenz von Gütern ignoriert, die ihrer Natur nach weder bloße Waren sind noch sein können.

41. Der Marxismus hat die kapitalistischen bürgerlichen Gesellschaften kritisiert, indem er ihnen die Vermarktung und die Entfremdung des menschlichen Daseins vorwarf. Dieser Vorwurf beruht zweifellos auf einer falschen und unsachgemäßen Auffassung des Begriffes Entfremdung. Er wird einseitig aus dem Bereich der Produktions- und Eigentumsverhältnisse abgeleitet, das heißt, es wird ihm eine materialistische Begründung zugeschrieben. Es werden außerdem die Berechtigung und die positive Bedeutung der Marktbeziehungen in ihrem spezifischen Bereich geleugnet. Daher behauptet der Marximus, nur in einer kollektiven Gesellschaftsordnung könne die Entfremdung beseitigt werden. Die historische Erfahrung der sozialistischen Länder hat auf traurige Weise gezeigt, dass der Kollektivismus die Entfremdung nicht beseitigt, sondern noch steigert, weil der Mangel am Notwendigsten und das wirtschaftliche Versagen hinzukommen.

Die geschichtliche Erfahrung des Westens ihrerseits zeigt, dass dennoch, obwohl die marxistische Analyse und Begründung der Entfremdung falsch sind, die Entfremdung mit dem Verlust des wahren Lebenssinnes auch in den westlichen Gesellschaften eine reale Gegebenheit ist. Denn sie ereignet sich im Konsum, wenn der Mensch in ein Netz falscher und oberflächlicher Befriedigungen hineingezogen wird, statt dass man ihm hilft, die echte und konkrete Erfahrung seiner Persönlichkeit zu machen. Sie ereignet sich auch bei der Arbeit, wenn diese so organisiert wird, dass sie möglichst hohe Erträge abwirft, man sich aber nicht darum kümmert, dass der Arbeiter sich durch seine Arbeit mehr oder weniger als Mensch verwirklicht, je nachdem, ob seine Teilnahme an einer echten solidarischen Gemeinschaft wächst oder ob seine Isolierung in einem Komplex von Beziehungen eines erbitterten Konkurrenzkampfes und gegenseitiger Entfremdung zunimmt, in dem er nur als ein Mittel, nicht aber als ein Ziel angesehen wird.

Wir müssen den Begriff der "Entfremdung" auf seinen christlichen Sinngehalt zurückführen und in ihm die Umkehrung von Mitteln und Zielen wieder aufleben lassen. Wenn der Mensch auf die Anerkennung des Wertes und der Größe der Person bei sich selbst und im anderen verzichtet, beraubt er sich in der Tat der Möglichkeit, sich seines Menschseins zu freuen und in jene Beziehung der Solidarität und Gemeinschaft mit den anderen Menschen einzutreten, für die ihn Gott geschaffen hat. Denn durch die freie Selbsthingabe wird der Mensch wahrhaftig er selbst.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 24.</ref> Ermöglicht wird diese Hingabe durch die dem Menschen wesenseigene "Fähigkeit zur Transzendenz". Der Mensch kann sich nicht an ein bloß menschliches Projekt der Wirklichkeit, an ein abstraktes Ideal oder an falsche Utopien verschenken. Der Mensch als Person kann sich nur an einen anderen oder an andere Menschen und endlich an Gott hingeben, der der Urheber seines Seins und der Einzige ist, der seine Hingabe ganz anzunehmen vermag.<ref>Vgl. ebd., Nr. 41.</ref> Entfremdet wird der Mensch, der es ablehnt, über sich selbst hinauszugehen und die Erfahrung der Selbsthingabe und der Bildung einer an seiner letzten Bestimmung orientierten echten menschlichen Gemeinschaft zu leben. Diese letzte Zielbestimmung des Menschen aber ist Gott selber. Entfremdet wird eine Gesellschaft, die in ihren sozialen Organisationsformen, in Produktion und Konsum, die Verwirklichung dieser Hingabe und die Bildung dieser zwischenmenschlichen Solidarität erschwert.

In der westlichen Gesellschaft wurde die Ausbeutung wenigstens in den von Karl Marx analysierten und beschriebenen Formen überwunden. Nicht überwunden wurde jedoch die Entfremdung in den verschiedenen Formen von Ausbeutung, wenn sich die Menschen gegenseitig als Werkzeuge benutzen und bei der immer raffinierteren Befriedigung ihrer Sonder- und Sekundärbedürfnisse taub werden für die hauptsächlichen und echten Bedürfnisse, die auch die Art und Weise der Befriedigung der anderen Bedürfnisse regeln sollen.<ref>Vgl. ebd., Nr. 26.</ref> Der Mensch, der sich nur oder vorwiegend um das Haben und den Genuss kümmert, der nicht mehr fähig ist, seine Triebe und Leidenschaften zu beherrschen und sie im Gehorsam gegenüber der Wahrheit unterzuordnen, kann nicht frei sein. Der Gehorsam gegenüber der Wahrheit über Gott und über den Menschen ist die erste Voraussetzung der Freiheit, da er ihm erlaubt, seine Bedürfnisse, seine Wünsche und die Art und Weise ihrer Befriedigung einer rechten Hierarchie entsprechend zu ordnen, so dass der Besitz der Dinge für ihn ein Mittel zum Wachstum ist. Ein Hindernis kann diesem Wachstum aus der Manipulation erstehen, die von jenen Massenmedien vorgenommen wird, die mit der Macht einer geradezu organisierten Zähigkeit Moden und Meinungstrends aufzwingen, ohne dass es möglich wäre, ihre Voraussetzungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

42. Um zur Eingangsfrage zurückzukehren: Kann man etwa sagen, dass nach dem Scheitern des Kommunismus der Kapitalismus das siegreiche Gesellschaftssystem sei und dass er das Ziel der Anstrengungen der Länder ist, die ihre Wirtschaft und ihre Gesellschaft neu aufzubauen versuchen? Ist vielleicht er das Modell, das den Ländern der Dritten Welt vorgeschlagen werden soll, die nach dem Weg für den wahren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt suchen?

Die Antwort ist natürlich kompliziert. Wird mit "Kapitalismus" ein Wirtschaftssystem bezeichnet, das die grundlegende und positive Rolle des Unternehmens, des Marktes, des Privateigentums und der daraus folgenden Verantwortung für die Produktionsmittel, der freien Kreativität des Menschen im Bereich der Wirtschaft anerkennt, ist die Antwort sicher positiv. Vielleicht wäre es passender, von "Unternehmenswirtschaft" oder "Marktwirtschaft" oder einfach "freier Wirtschaft" zu sprechen. Wird aber unter "Kapitalismus" ein System verstanden, in dem die wirtschaftliche Freiheit nicht in eine feste Rechtsordnung eingebunden ist, die sie in den Dienst der vollen menschlichen Freiheit stellt und sie als eine besondere Dimension dieser Freiheit mit ihrem ethischen und religiösen Mittelpunkt ansieht, dann ist die Antwort ebenso entschieden negativ.

Die marxistische Lösung ist gescheitert, aber in der Welt bestehen nach wie vor Formen der Ausgrenzung und Ausbeutung, insbesondere in der Dritten Welt, sowie Erscheinungen menschlicher Entfremdung, besonders in den Industrieländern, gegen die die Kirche mit Nachdruck ihre Stimme erhebt. Massen von Menschen leben noch immer in Situationen großen materiellen und moralischen Elends. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems beseitigt sicher in vielen Ländern ein Hindernis in der sachgemäßen und realistischen Auseinandersetzung mit diesen Problemen, aber das reicht nicht aus, um sie zu lösen. Es besteht die Gefahr, dass sich eine radikale kapitalistische Ideologie breitmacht, die es ablehnt, sie auch nur zu erwägen, da sie glaubt, dass jeder Versuch, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sei und ihre Lösung in einem blinden Glauben der freien Entfaltung der Marktkräfte überlässt.

43. Die Kirche hat keine eigenen Modelle vorzulegen. Die konkreten und erfolgreichen Modelle können nur im Rahmen der jeweils verschiedenen historischen Situationen durch das Bemühen aller Verantwortlichen gefunden werden, die sich den konkreten Problemen in allen ihren eng miteinander verflochtenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Aspekten stellen.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 36; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, Nr. 2-5: a.a.O., 402-405.</ref> Diesem Bemühen bietet die Kirche als unerlässliche geistige Orientierung ihre Soziallehre an, die - wie schon gesagt - die positive Bedeutung des Marktes und des Unternehmens anerkennt, aber gleichzeitig darauf hinweist, dass beide unbedingt auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein müssen. Sie anerkennt auch die Rechtmäßigkeit der Anstrengungen der Arbeiter, die volle Achtung ihrer Würde und eine größere Beteiligung am Leben des Unternehmens zu erlangen. Auch wenn sie zusammen mit anderen und unter der Leitung anderer arbeiten, sollen sie doch in gewissem Sinne "in eigener Sache arbeiten"<ref>Vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 15: a.a.O., 616-618.</ref> unter Einsatz ihrer Intelligenz und ihrer Freiheit.

Die umfassende Entwicklung des Menschen in der Arbeit widerspricht nicht den Anforderungen einer höheren Produktivität und eines größeren Ertrages der Arbeit. Im Gegenteil, sie fördert diese sogar, auch wenn das verfestigte Machtverhältnisse schwächen kann. Das Unternehmen darf nicht ausschließlich als "Kapitalgesellschaft" angesehen werden; es ist zugleich eine "Gemeinschaft von Menschen", zu der als Partner in je verschiedener Weise und mit spezifischen Verantwortlichkeiten sowohl jene beitragen, die das für ihre Tätigkeit nötige Kapital einbringen, als auch jene, die mit ihrer Arbeit daran mitwirken. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es noch einen großen gemeinsamen Einsatz der Arbeiter, dessen Ziel die Befreiung und die umfassende Förderung des Menschen ist.

Im Licht des "Neuen" von heute wurde das Verhältnis zwischen dem Privateigentum und der universalen Bestimmung der Güter "wiedergelesen". Der Mensch verwirklicht sich selbst durch seinen Verstand und seine Freiheit und übernimmt dabei als Gegenstand und Werkzeug die Dinge dieser Welt und eignet sie sich an. In diesem Tun des Menschen hat das Recht auf die Initiative und das Recht auf das Privateigentum seinen Grund. Durch seine Arbeit setzt sich der Mensch nicht nur für sich, sondern auch für die anderen und mit den anderen ein: Jeder trägt zur Arbeit und zum Wohl anderer bei. Der Mensch arbeitet, um die Bedürfnisse seiner Familie, der Gemeinschaft, zu der er gehört, der Nation und schließlich der ganzen Menschheit zu erfüllen.<ref>Vgl. ebd., Nr. 10: a.a.O., 600-602.</ref> Er trägt außerdem zur Arbeit der anderen bei, die im selben Unternehmen tätig sind, sowie, in einer Solidaritätskette, die sich progressiv fortsetzt, zur Arbeit der Lieferanten bzw. zum Konsum der Kunden. Das Eigentum an Produktionsmitteln sowohl im industriellen wie im landwirtschaftlichen Bereich ist gerechtfertigt, wenn es einer nutzbringenden Arbeit dient. Es wird hingegen rechtswidrig, wenn es nicht produktiv eingesetzt wird oder dazu dient, die Arbeit anderer zu behindern, um einen Gewinn zu erzielen, der nicht aus der Gesamtausweitung der Arbeit und des gesellschaftlichen Reichtums erwächst, sondern aus ihrer Unterdrückung, aus der unzulässigen Ausbeutung, aus der Spekulation und aus dem Zerbrechen der Solidarität in der Welt der Arbeit.<ref>Vgl. ebd., Nr. 14: a.a.O., 612-616.</ref> Ein solches Eigentum besitzt keinerlei Rechtfertigung und stellt einen Mißbrauch vor Gott und den Menschen dar.

Die Verpflichtung, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen, besagt gleichzeitig ein Recht. Eine Gesellschaft, in der dieses Recht systematisch verweigert wird, in der es die wirtschaftspolitischen Maßnahmen den Arbeitern nicht ermöglichen, eine befriedigende Beschäftigungslage zu erreichen, kann weder ihre sittliche Rechtfertigung noch den gerechten sozialen Frieden erlangen.<ref>Vgl. ebd., Nr. 18: a.a.O., 622-625.</ref> Wie sich die Person in der freien Selbsthingabe voll verwirklicht, so findet das Eigentum seine sittliche Rechtfertigung darin, dass es unter den erforderlichen Umständen und in der erforderlichen Zeit Arbeitsgelegenheiten und menschliches Wachstum für alle schafft.

V. Kapitel: Staat und Kultur

44. Leo XIII. wußte sehr wohl, dass man eine gesunde Staatstheorie braucht, um eine normale Entfaltung der menschlichen Tätigkeiten zu gewährleisten, der geistigen und der materiellen, die beide unerlässlich sind.<ref>Vgl. Enzyklika Rerum novarum, Nr. 32-33: a.a.O., 126-128.</ref> In einem Abschnitt von Rerum novarum legt er darum die Organisation der Gesellschaft nach den drei Gewalten - der gesetzgebenden, der ausführenden und der richterlichen - vor; dies war in der damaligen Zeit in der Lehre der Kirche eine Neuheit.<ref>Vgl. ebd., Nr. 27: a.a.O., 121f.</ref> Diese Ordnung spiegelt eine realistische Sicht der sozialen Natur des Menschen, die eine entsprechende Gesetzgebung zum Schutz der Freiheit aller erfordert. Zu diesem Zweck ist es besser, wenn jede Macht von anderen Mächten und anderen Kompetenzbereichen ausgeglichen wird, die sie in ihren rechten Grenzen halten. Das ist das Prinzip des "Rechtsstaates", in dem das Gesetz und nicht die Willkür der Menschen herrscht.

Im Gegensatz zu dieser Auffassung vertritt in der modernen Zeit der Totalitarismus in seiner marxistisch-leninistischen Ausprägung die Meinung, dass einige Menschen auf Grund einer tieferen Kenntnis der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft oder durch eine klassenmäßige Sonderstellung oder durch einen Kontakt mit den eigentlichen Quellen des kollektiven Bewusstseins vom Irrtum frei sind und daher Anspruch auf die Ausübung einer absoluten Macht erheben können. Hinzu kommt, dass der Totalitarismus aus der Verneinung der Wahrheit im objektiven Sinn entsteht: Wenn es keine transzendente Wahrheit gibt, der gehorchend der Mensch zu seiner vollen Identität gelangt, gibt es kein sicheres Prinzip, das gerechte Beziehungen zwischen den Menschen gewährleistet. Ihr Klasseninteresse, Gruppeninteresse und nationales Interesse bringt sie unweigerlich in Gegensatz zueinander. Wenn die transzendente Wahrheit nicht anerkannt wird, dann triumphiert die Gewalt der Macht, und jeder trachtet, bis zum Äußersten von den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch zu machen, um ohne Rücksicht auf die Rechte des anderen sein Interesse und seine Meinung durchzusetzen. Der Mensch wird da nur insoweit respektiert, als man ihn als Werkzeug für ein egoistisches Ziel benutzen kann. Die Wurzel des modernen Totalitarismus liegt also in der Verneinung der transzendenten Würde des Menschen, der sichtbares Abbild des unsichtbaren Gottes ist. Eben deshalb, auf Grund seiner Natur, ist er Subjekt von Rechten, die niemand verletzen darf: weder der einzelne noch die Gruppe, die Klasse, die Nation oder der Staat. Auch die gesellschaftliche Mehrheit darf das nicht tun, indem sie gegen eine Minderheit vorgeht, sie ausgrenzt, unterdrückt, ausbeutet oder sie zu vernichten versucht.<ref>Vgl. Leo XIII., Enzyklika Libertas praestantissimum, Nr. 10: a.a.O., 224-226.</ref>

45. Die Kultur und die Praxis des Totalitarismus ziehen auch die Verneinung der Kirche nach sich. Der Staat oder die Partei, die glaubt, in der Geschichte das absolute Gute verwirklichen zu können, und sich über alle Werte hinwegsetzt, kann nicht zulassen, dass ein objektives Kriterium für Gut und Böse außer dem Willen der Herrschenden anerkannt wird, das unter bestimmten Umständen auch dazu dienen kann, ihr Verhalten kritisch zu beurteilen. Das erklärt, warum der Totalitarismus die Kirche zu vernichten oder wenigstens zu unterwerfen trachtet, indem er sie zu einem Werkzeug seines ideologischen Apparates macht.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 76.</ref>

Das Bestreben des totalitären Staates läuft noch immer darauf hinaus, die Nation, die Gesellschaft, die Familie, die Religionsgemeinschaften und die Menschen selbst in sich aufzusaugen. Durch die Verteidigung ihrer Freiheit verteidigt die Kirche zugleich den Menschen, der Gott mehr gehorchen muss als den Menschen (vgl. Apg 5,29), die Familie, die verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen und die Nationen, alles Realitäten, die ihren je eigenen Autonomie- und Souveränitätsbereich besitzen.

46. Die Kirche weiß das System der Demokratie zu schätzen, insoweit es die Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen sicherstellt und den Regierten die Möglichkeit garantiert, sowohl ihre Regierungen zu wählen und zu kontrollieren als auch dort, wo es sich als notwendig erweist, sie auf friedliche Weise zu ersetzen.<ref>Vgl. ebd., Nr. 29; Pius XII., Weihnachtsbotschaft im Rundfunk (24. Dezember 1944): AAS 37 (1945) 10-20.</ref> Sie kann daher nicht die Bildung schmaler Führungsgruppen billigen, die aus Sonderinteressen oder aus ideologischen Absichten die Staatsmacht an sich reißen.

Eine wahre Demokratie ist nur in einem Rechtsstaat und auf der Grundlage einer richtigen Auffassung vom Menschen möglich. Sie erfordert die Erstellung der notwendigen Vorbedingungen für die Förderung sowohl der einzelnen Menschen durch die Erziehung und die Heranbildung zu den echten Idealen als auch der "Subjektivität" der Gesellschaft durch die Schaffung von Strukturen der Beteiligung und Mitverantwortung. Heute neigt man zu der Behauptung, der Agnostizismus und der skeptische Relativismus seien die Philosophie und die Grundhaltung, die den demokratischen politischen Formen entsprechen. Und alle, die überzeugt sind, die Wahrheit zu kennen, und an ihr festhalten, seien vom demokratischen Standpunkt her nicht vertrauenswürdig, weil sie nicht akzeptieren, dass die Wahrheit von der Mehrheit bestimmt werde bzw. je nach dem unterschiedlichen politischen Gleichgewicht schwanke. In diesem Zusammenhang muss gesagt werden, dass dann, wenn es keine letzte Wahrheit gibt, die das politische Handeln leitet und ihm Orientierung gibt, die Ideen und Überzeugungen leicht für Machtzwecke mißbraucht werden können. Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus.

Die Kirche verschließt auch nicht die Augen vor der Gefahr des Fanatismus oder Fundamentalismus derer, die glauben, im Namen einer angeblich wissenschaftlichen oder religiösen Ideologie den anderen Menschen ihre Auffassung von dem, was wahr und gut ist, aufzwingen zu können. Die christliche Wahrheit ist nicht von dieser Art. Der christliche Glaube, der keine Ideologie ist, maßt sich nicht an, die bunte sozio-politische Wirklichkeit in ein strenges Schema einzuzwängen. Er anerkennt, dass sich das Leben des Menschen in der Geschichte unter verschiedenen und nicht immer vollkommenen Bedingungen verwirklicht. Darum gehört zum Vorgehen der Kirche, die stets die transzendente Würde der Person beteuert, die Achtung der Freiheit.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae.</ref>

Aber die Freiheit erhält erst durch die Annahme der Wahrheit ihren vollen Wert. In einer Welt ohne Wahrheit verliert die Freiheit ihre Grundlage, und der Mensch ist der Gewalt der Leidenschaften und offenen oder verborgenen Bedingtheiten ausgesetzt. Der Christ lebt die Freiheit (vgl. Joh 8,31.32) und dient ihr, indem er seinem Sendungsauftrag getreu die Wahrheit, die er erkannt hat, immer wieder anbietet. Im Dialog mit den anderen Menschen wird er jedem Beitrag an Wahrheit, dem er in der Lebensgeschichte und in der Kultur der einzelnen und der Nationen begegnet, Achtung zollen; er wird aber nicht darauf verzichten, all das zu vertreten, was ihn sein Glaube und der rechte Gebrauch der Vernunft gelehrt haben.<ref>Vgl. Enzyklika Redemptoris missio, Nr. 11: L'Osservatore Romano, 23. Januar 1991.</ref>

47. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Totalitarismus und zahlreicher anderer totalitärer Regimes und solcher der "nationalen Sicherheit" erleben wir heute ein wenn auch nicht unumstrittenes Überwiegen des demokratischen Ideals, verbunden mit einem lebendigen Bewusstsein und einer Sorge für die Menschenrechte. Aber gerade darum müssen die Völker, die ihre innere Ordnung neugestalten, durch die ausdrückliche Anerkennung dieser Rechte der Demokratie eine glaubwürdige und solide Grundlage geben.<ref>Vgl. Enzyklika Redemptor hominis, Nr. 17: a.a.O., 270-272.</ref> Unter den vorrangigsten Rechten sind zu erwähnen: das Recht auf Leben, zu dem wesentlich das Recht gehört, nach der Zeugung im Mutterschoß heranzuwachsen; das Recht, in einer geeinten Familie und in einem sittlichen Milieu zu leben, das für die Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit geeignet ist; das Recht, seinen Verstand und seine Freiheit in der Suche und Erkenntnis der Wahrheit zur Reife zu bringen; das Recht, an der Arbeit zur Erschließung der Güter der Erde teilzunehmen und daraus den Lebensunterhalt für sich und die Seinen zu gewinnen; das Recht auf freie Gründung einer Familie und auf Empfang und Erziehung der Kinder durch verantwortungsvollen Gebrauch der eigenen Sexualität. Quelle und Synthese dieser Rechte ist in gewissem Sinne die Religionsfreiheit, verstanden als Recht, in der Wahrheit des eigenen Glaubens und in Übereinstimmung mit der transzendenten Würde der eigenen Person zu leben.<ref>Vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1988: a.a.O., 1572-1580; Botschaft zum Weltfriedenstag 1991: L'Osservatore Romano, 19. Dezember 1990; II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, Nr. 1-2.</ref>

Auch in den Ländern mit demokratischen Regierungsformen werden diese Rechte nicht immer voll respektiert. Wir beziehen uns hier nicht nur auf den Skandal der Abtreibung, sondern auch auf verschiedene Anzeichen einer Krise der demokratischen Systeme, denen mitunter die Fähigkeit zu Entscheidungen für das Gemeinwohl abhanden gekommen zu sein scheint. Anfragen von seiten der Gesellschaft werden bisweilen nicht nach Kriterien der Gerechtigkeit und Sittlichkeit geprüft, sondern mehr nach der Wahl- oder Finanzkraft der Gruppen, die sie unterstützen. Derartige Entartungen des politischen Verhaltens erzeugen mit der Zeit Mißtrauen und Gleichgültigkeit und in der Folge eine Abnahme der politischen Beteiligung und des Gemeinsinnes in der Bevölkerung, die sich hintergangen und enttäuscht fühlt. Daraus ergibt sich das wachsende Unvermögen, Einzelinteressen in eine umfassende Sicht des Gemeinwohles einzuordnen. Dieses ist ja nicht einfach die Summe der Einzelinteressen. Es besagt vielmehr ihre Bewertung und Zuordnung auf Grund einer ausgewogenen Werthierarchie und letzten Endes auf Grund eines klaren Verständnisses der Würde und der Rechte der Person.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 26.</ref>

Die Kirche achtet die berechtigte Autonomie der demokratischen Ordnung. Es steht ihr nicht zu, sich zugunsten der einen oder anderen institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung zu äußern. Der Beitrag, den sie zu dieser Ordnung anbietet, ist die Sicht von der Würde der Person, die sich im Geheimnis des Mensch gewordenen Wortes in ihrer ganzen Fülle offenbart.<ref>Vgl. ebd., Nr. 22.</ref>

48. Diese allgemeinen Überlegungen finden ihren Niederschlag auch in der Aufgabe des Staates im Bereich der Wirtschaft. Die Wirtschaft, insbesondere die Marktwirtschaft, kann sich nicht in einem institutionellen, rechtlichen und politischen Leerraum abspielen. Im Gegenteil, sie setzt die Sicherheit der individuellen Freiheit und des Eigentums sowie eine stabile Währung und leistungsfähige öffentliche Dienste voraus. Hauptaufgabe des Staates ist es darum, diese Sicherheit zu garantieren, so dass der, der arbeitet und produziert, die Früchte seiner Arbeit genießen kann und sich angespornt fühlt, seine Arbeit effizient und redlich zu vollbringen. Der Mangel an Sicherheit, begleitet von der Korruption der staatlichen Behörden und von dem Umsichgreifen unlauterer Quellen der Bereicherung und des leichten Gewinnes auf Grund eines rechtswidrigen oder rein spekulativen Treibens, ist eines der Haupthindernisse für die Entwicklung und für die Wirtschaftsordnung.

Eine andere Aufgabe des Staates besteht darin, die Ausübung der Menschenrechte im wirtschaftlichen Bereich zu überwachen und zu leiten. Aber die erste Verantwortung auf diesem Gebiet liegt nicht beim Staat, sondern bei den einzelnen und bei den verschiedenen Gruppen und Vereinigungen, in denen sich die Gesellschaft artikuliert. Der Staat könnte das Recht aller Bürger auf Arbeit nicht direkt sicherstellen, ohne das gesamte Wirtschaftsleben zu reglementieren und die freie Initiative der einzelnen abzutöten. Das besagt jedoch nicht, dass er auf diesem Gebiet überhaupt keine Kompetenz habe, wie jene behaupten, die für einen völligen Verzicht auf Ordnungsnormen im Bereich der Wirtschaft eintreten. Ja, der Staat hat die Pflicht, die Tätigkeit der Unternehmen dahingehend zu unterstützen, dass er Bedingungen für die Sicherstellung von Arbeitsgelegenheiten schafft. Er muss die Tätigkeit dort, wo sie sich als unzureichend erweist, anregen bzw. ihr in Augenblicken der Krise unter die Arme greifen.

Der Staat hat des weiteren das Recht einzugreifen, wenn Monopolstellungen die Entwicklung verzögern oder behindern. Aber außer diesen Aufgaben der Harmonisierung und Steuerung der Entwicklung kann er in Ausnahmefällen Vertretungsfunktionen wahrnehmen, wenn gesellschaftliche Bereiche oder Unternehmenssysteme zu schwach oder erst im Entstehen begriffen und daher noch unfähig sind, ihre Aufgabe zu erfüllen. Solche stellvertretenden Interventionen, die durch dringende, vom Gemeinwohl geforderte Gründe gerechtfertigt sind, müssen aber zeitlich möglichst begrenzt sein, um nicht den genannten Bereichen und Unternehmenssystemen die ihnen eigenen Kompetenzen auf Dauer zu entziehen und nicht den Umfang der staatlichen Intervention übermäßig auszuweiten. Dies wäre sowohl für die wirtschaftliche wie für die bürgerliche Freiheit schädlich.

In den letzten Jahren hat man eine umfangreiche Ausweitung dieser Interventionen erlebt, was gewissermaßen zu einem neuen Typ von Staat, dem "Wohlfahrtsstaat", geführt hat. Diese Entwicklungen erfolgten in manchen Staaten, um auf geeignete Weise den zahlreichen Nöten und Bedürfnissen dadurch abzuhelfen, dass man menschenunwürdige Formen der Armut und Entbehrung beseitigte. Es fehlte jedoch nicht an Auswüchsen und Mißbräuchen, die besonders in jüngster Zeit harte Kritik am Wohlfahrtsstaat auslösten, der als "Fürsorgestaat" bezeichnet wurde. Funktionsstörungen und Mängel im Wohlfahrtsstaat rühren von einem unzutreffenden Verständnis der Aufgaben des Staates her. Auch auf diesem Gebiet muss das Subsidiaritätsprinzip gelten: Eine übergeordnete Gesellschaft darf nicht in das innere Leben einer untergeordneten Gesellschaft dadurch eingreifen, dass sie diese ihrer Kompetenzen beraubt. Sie soll sie im Notfall unterstützen und ihr dazu helfen, ihr eigenes Handeln mit dem der anderen gesellschaftlichen Kräfte im Hinblick auf das Gemeinwohl abzustimmen.<ref>Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno, I: a.a.O., 184-186.</ref>

Der Wohlfahrtsstaat, der direkt eingreift und die Gesellschaft ihrer Verantwortung beraubt, löst den Verlust an menschlicher Energie und das Aufblähen der Staatsapparate aus, die mehr von bürokratischer Logik als von dem Bemühen beherrscht werden, den Empfängern zu dienen; Hand in Hand damit geht eine ungeheure Ausgabensteigerung. Wie es scheint, kennt tatsächlich derjenige die Not besser und vermag die anstehenden Bedürfnisse besser zu befriedigen, der ihr am nächsten ist und sich zum Nächsten des Notleidenden macht. Es muss hinzugefügt werden, dass nicht selten eine bestimmte Art von Bedürfnissen keine bloß materielle Antwort erfordern, sondern dass es darauf ankommt, die tiefere menschliche Not und Anfrage herauszuhören. Man denke auch an die Situation der Flüchtlinge, der Einwanderer, der Alten oder Kranken und an all die verschiedenen Formen, die Beistand und Fürsorge brauchen, wie im Fall der Drogenabhängigen: alles Menschen, denen nur von jemandem wirksam geholfen werden kann, der ihnen außer der nötigen Behandlung eine aufrichtige brüderliche Hilfe anbietet.

49. Auf diesem Gebiet ist die Kirche getreu dem Auftrag Christi, ihres Gründers, seit jeher mit ihren Werken präsent, um dem bedürftigen Menschen eine materielle Unterstützung anzubieten, die ihn nicht erniedrigt und nicht zu einem Fürsorgeobjekt herabsetzt, sondern ihm hilft, aus seiner prekären Lage herauszufinden, indem sie seine Würde als Person fördert. Mit großer Dankbarkeit an Gott muss man darauf hinweisen, dass die tätige Liebe in der Kirche nie erloschen ist und heute eine vielfältige, ermutigende Zunahme verzeichnen kann. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang das Phänomen des freiwilligen Dienstes, den die Kirche dadurch unterstützt und fördert, dass sie alle zur Mitarbeit anspornt, um ihn in seinen Initiativen zu unterstützen und zu ermutigen.

Um die heute verbreitete individualistische Denkweise zu überwinden, braucht es ein konkretes Bemühen um Solidarität und Liebe, das in der Familie beginnt mit dem Rückhalt, den die Eheleute einander geben, und dann mit der Sorge der Generationen füreinander. Auf diese Weise qualifiziert sich die Familie auch als Arbeits- und Solidaritätsgemeinschaft. Es kommt jedoch vor, dass die Familie, wenn sie bereit ist, ihrer Berufung voll zu entsprechen, ohne die nötige Unterstützung von seiten des Staates bleibt und daher nicht über ausreichende Mittel verfügt. Es ist dringend notwendig, nicht nur die Familienpolitik, sondern auch die Sozialpolitik zu fördern, deren Hauptziel die Familie selbst sein muss. Ihr muss durch die Gewährung entsprechender Hilfsmittel und wirksamer Formen der Unterstützung bei der Erziehung der Kinder wie bei der Sorge für die alten Menschen geholfen werden, um deren Abschiebung aus dem engeren Familienverband zu vermeiden und so die Beziehungen zwischen den Generationen neu zu stärken.<ref>Vgl. Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), Nr. 45: AAS 74 (1982), 136f.</ref>

Außer der Familie erfüllen auch andere gesellschaftliche Zwischengruppen wichtige Aufgaben und aktivieren spezifische Solidaritätsnetze. Diese reifen in der Tat zu echten Gemeinschaften von Personen heran, beleben das gesellschaftliche Gefüge und verhindern, dass es in die Anonymität und in eine unpersönliche Vermassung absinkt, wie es in der modernen Gesellschaft leider häufig der Fall ist. Der Mensch lebt in der Vielfalt der zwischenmenschlichen Beziehungen, und in ihr wächst die "Subjekthaftigkeit der Gesellschaft". Der einzelne wird heute oft zwischen den beiden Polen Staat und Markt erdrückt. Es hat manchmal den Anschein, als existiere er nur als Produzent und Konsument von Waren oder als Objekt der staatlichen Verwaltung. Es wird vergessen, dass das Zusammenleben der Menschen weder den Markt noch den Staat zum Endziel hat. Es besitzt in sich selber einen einzigartigen Wert, dem Staat und Markt dienen sollen. Der Mensch ist vor allem ein Wesen, das die Wahrheit sucht und sich bemüht, sie zu leben und sie in einem dauernden Dialog zu ergründen, der die vergangenen und die künftigen Generationen einbezieht.<ref>Vgl. Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO (Paris, 2. Juni 1980): AAS 72 (1980), 735-752.</ref>

50. Von dieser offenen Suche nach der Wahrheit ist die Kultur der Nation gekennzeichnet. Denn das Erbe der weitergegebenen und übernommenen Werte wird von der jungen Generation immer einer Hinterfragung unterworfen. Hinterfragen heißt nicht notwendigerweise zerstören oder von vornherein ablehnen; es besagt vielmehr vor allem, diese Werte im eigenen Leben einer Prüfung zu unterziehen und sie sich durch diese daseinsbezogene Prüfung lebendiger, aktueller und persönlicher zu eigen zu machen. Dabei muss unterschieden werden zwischen dem, was in der Tradition Gültigkeit besitzt, und Unwahrem und Irrtümern oder veralteten Formen, die durch andere, zeitgemäßere, ersetzt werden können.

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass sich auch die Evangelisierung in die Kultur der Nationen einfügt, indem sie diese auf ihrem Weg zur Wahrheit unterstützt und ihr bei dem Bemühen um Läuterung und Anreicherung hilft.<ref>Vgl. Enzyklika Redemptoris missio, Nr. 39; 52: L'Osservatore Romano, 23. Januar 1991.</ref> Wenn sich eine Kultur jedoch in sich selber verschließt und veraltete Lebensformen zu verewigen sucht, indem sie jeden Austausch und jede Auseinandersetzung über die Wahrheit vom Menschen ablehnt, dann wird sie unfruchtbar und verfällt.

51. Das gesamte menschliche Tun hat seinen Platz in einer Kultur und erfolgt in Wechselwirkung mit ihr. Für eine angemessene Gestaltung dieser Kultur braucht es die Einbeziehung des ganzen Menschen, der darin seine Kreativität, seine Intelligenz, sein Wissen von der Welt und den Menschen entfaltet. Außerdem bringt er in sie ein seine Fähigkeit zur Selbstbeherrschung, zum persönlichen Opfer, zur Solidarität und zur Bereitschaft, das Gemeinwohl zu fördern. Darum wird die erste und wichtigste Arbeit im Herzen des Menschen vollbracht. Die Art und Weise, wie er sich um den Aufbau seiner Zukunft bemüht, hängt von der Auffassung ab, die er von sich selbst und seiner Zielbestimmung hat. Auf dieser Ebene liegt der spezifische und entscheidende Beitrag der Kirche für die wahre Kultur. Sie fördert die Qualität jener menschlichen Haltungen, die die Kultur des Friedens den Modellen vorziehen, die den Menschen in der Masse erniedrigen, die Rolle seiner Initiative und seiner Freiheit verkennen und seine Größe in die Taten des Konflikts und des Krieges verlegen. Die Kirche leistet einen solchen Dienst, indem sie die Wahrheit über die Erschaffung der Welt verkündet, die Gott in die Hände der Menschen gelegt hat, damit sie sie durch ihre Arbeit fruchtbarer und vollkommener machen; und indem sie die Wahrheit über die Erlösung verkündet, durch die der Sohn Gottes alle Menschen gerettet und sie zugleich miteinander verbunden hat, indem er sie füreinander verantwortlich machte. Die Hl. Schrift spricht zu uns ständig über den tätigen Einsatz für den Bruder und konfrontiert uns mit einer Mitverantwortung, die alle Menschen umfassen soll.

Diese Forderung macht nicht halt an den Grenzen der eigenen Familie und auch nicht der Nation oder des Staates. Sie umfasst in gestufter Weise die ganze Menschheit, so dass sich kein Mensch als unbeteiligt oder gleichgültig gegenüber dem Schicksal eines anderen Gliedes der Menschheitsfamilie ansehen darf. Kein Mensch kann behaupten, für das Schicksal seines Bruders nicht verantwortlich zu sein (vgl. Gen 4,9; Lk 10,29-37; Mt 25,31-46)!

Die aufmerksame, zuvorkommende Sorge für den Nächsten, gerade in der Stunde der Not, heute erleichtert auch durch die neuen Kommunikationsmittel, die die Menschen einander nähergebracht haben, ist besonders wichtig bei der Suche nach anderen Möglichkeiten zur Lösung der internationalen Konflikte als dem Krieg. Es lässt sich unschwer behaupten, dass die schreckliche Gewalt der Vernichtungsmittel, die selbst den mittleren und kleinen Mächten zugänglich sind, und die immer engere Verflechtung zwischen den Völkern der ganzen Erde es sehr schwierig oder praktisch unmöglich machen, die Auswirkungen eines Konfliktes zu begrenzen.

52. Die Päpste Benedikt XV. und seine Nachfolger haben diese Gefahr klar erkannt.<ref>Vgl. Benedikt XV., Ubi primum (8. September 1914): AAS 6 (1914), 501f.; Pius XI., Rundfunkbotschaft an alle katholischen Gläubigen und an die ganze Welt (29. September 1938): AAS 30 (1938), 309f.; Pius XII., Radiobotschaft an die ganze Welt (24. August 1939): AAS 31 (1939), 333-335; Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris, III: a.a.O., 285-289; Paul VI., Ansprache vor den Vereinten Nationen (4. Oktober 1965): AAS 57 (1965), 877-885.</ref> Ich selber habe anläßlich des jüngsten dramatischen Krieges im Persischen Golf den Ruf wiederholt: "Nie wieder Krieg!" Nein, nie wieder ein Krieg, der das Leben der Unschuldigen vernichtet; der töten lehrt und das Leben derer, die töten, gleichfalls zerstört; der eine Dauerspur von Zorn und Hass zurücklässt und die gerechte Lösung jener Probleme, die ihn ausgelöst haben, erschwert! Wie in den einzelnen Staaten endlich der Zeitpunkt kam, wo an die Stelle des Systems der persönlichen Rache und Vergeltung die Herrschaft des Gesetzes trat, so ist es jetzt dringend notwendig, dass in der internationalen Völkergemeinschaft ein ähnlicher Fortschritt stattfindet. Man darf nie vergessen, dass ein Krieg immer reale und schwerwiegende Ursachen hat: erlittene Ungerechtigkeiten, Vereitelung berechtigter Bestrebungen, Elend und Ausbeutung verzweifelter Menschenmassen, die keine reale Möglichkeit sehen, ihre Situation auf friedlichem Weg zu verbessern.

Darum heißt der andere Name für Frieden Entwicklung.<ref>Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, Nr. 76-77: a.a.O., 294f.</ref> Genauso, wie es die gemeinsame Verantwortung gibt, den Krieg zu verhindern, so gibt es die gemeinsame Verantwortung, die Entwicklung zu fördern. Wie es auf nationaler Ebene möglich und geboten ist, eine Wirtschaft aufzubauen, die das Funktionieren des Marktes am Gemeinwohl orientiert, genauso müssen auf internationaler Ebene geeignete Maßnahmen getroffen werden. Es braucht also ein großes Bemühen um gegenseitiges Verstehen, um Wissen voneinander und um Sensibilisierung der Gewissen. Das ist die ersehnte Kultur, die das Vertrauen in die menschliche Leistungsfähigkeit des Armen wachsen lässt und damit in seine Fähigkeit, seine Lage durch die Arbeit zu verbessern bzw. einen positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstand zu leisten. Dazu müssen aber dem Armen - ob Einzelperson oder Nation - Bedingungen angeboten werden, die tatsächlich annehmbar sind. Solche Gelegenheiten zu schaffen, ist Aufgabe einer weltweiten Zusammenarbeit für die Entwicklung. Das bedeutet auch den Verzicht auf Gewinn- und Machtpositionen, über die die Wirtschaften der Industrienationen zum eigenen Vorteil verfügen.<ref>Vgl. Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, Nr. 48: a.a.O., 139f.</ref>

Das kann tiefgreifende Veränderungen der überlieferten Lebensstile mit sich bringen, um der Verschwendung der Ressourcen der Natur und der Menschen Einhalt zu gebieten und so allen Völkern und Menschen der Erde zu ermöglichen, in ausreichendem Maße daran teilzuhaben. Hinzu kommen muss außerdem die Erschließung der neuen materiellen und geistigen Güter als Frucht der Arbeit und der Kultur der heutigen Randvölker, um so zur umfassenden Bereicherung der Völkerfamilie zu gelangen.

VI. Kapitel: Der Mensch ist der Weg der Kirche

53. Angesichts des Elends des Proletariats sagte Leo XIII.: "Mit voller Zuversicht treten Wir an diese Aufgabe heran und im Bewusstsein, dass Uns das Wort gebührt ...; so könnte das Stillschweigen eine Verletzung Unserer Pflicht scheinen".<ref>Enzyklika Rerum novarum, Nr. 13: a.a.O., 107.</ref> Die Kirche hat in den letzten hundert Jahren wiederholt ihre Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, indem sie die Entwicklung der sozialen Frage aus der Nähe verfolgte. Sie tat das gewiss nicht, um vergangene Privilegien zurückzugewinnen oder ihre Auffassung anderen aufzuzwingen. Ihr einziges Ziel war die Sorge und Verantwortung für den ihr von Christus anvertrauten Menschen, für diesen Menschen, der, wie das II. Vatikanische Konzil betont, das einzige von Gott um seiner selbst willen gewollte Geschöpf ist und mit dem Gott seinen Plan hat, nämlich Teilhabe am ewigen Heil. Es handelt sich nicht um einen "abstrakten"' Menschen, sondern um den realen, "konkreten" und "geschichtlichen" Menschen. Es handelt sich um jeden einzelnen Menschen, denn jeder ist vom Geheimnis der Erlösung betroffen, mit jedem ist Christus für immer durch dieses Geheimnis verbunden.<ref>Vgl. Enzyklika Redemptor hominis, Nr. 13: a.a.O., 283.</ref> Daraus folgt, dass die Kirche den Menschen nicht verlassen darf und dass "dieser Mensch der erste Weg ist, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags beschreiten muss ..., den Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist und unabänderlich durch das Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung führt".<ref>Ebd., Nr. 14: a.a.O., 284f.</ref>

Das ist die einzige Inspiration, von der sich die Soziallehre der Kirche leiten lässt. Wenn sie sie Schritt für Schritt, vor allem seit dem Datum, dessen wir heute gedenken, in systematischer Form dargelegt hat, so deshalb, weil den Horizont des ganzen Reichtums der kirchlichen Lehre der Mensch in seiner konkreten Wirklichkeit als Sünder und als Gerechtfertigter darstellt.

54. Die heutige Soziallehre hat besonders den Menschen im Auge, insofern er in das komplizierte Beziehungsgeflecht der modernen Gesellschaften eingebunden ist. Die Humanwissenschaften und die Philosophie dienen dazu, die zentrale Stellung des Menschen in der Gesellschaft zu deuten und ihn in die Lage zu versetzen, sich selbst als "soziales Wesen" besser zu begreifen. Allein der Glaube enthüllt ihm voll seine wahre Identität. Von dieser Identität geht die Soziallehre der Kirche aus. Ihr Ziel ist es, unter Zuhilfenahme sämtlicher Beiträge der Wissenschaften und der Philosophie dem Menschen auf dem Weg zu seinem Heil beizustehen.

Die Enzyklika Rerum novarum kann als ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verständnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelesen werden. Ihr besonderer Wert liegt aber darin, dass sie ein Dokument des Lehramtes ist, das sich zusammen mit vielen anderen Dokumenten dieser Art in den Evangelisierungsauftrag der Kirche einreiht. Daraus folgt, dass der Soziallehre die Bedeutung eines Instrumentes der Glaubensverkündigung zukommt: Als solches verkündet sie jedem Menschen Gott und das Heilsmysterium in Christus und enthüllt dadurch den Menschen dem Menschen selbst. In diesem und nur in diesem Licht befasst sie sich mit den anderen Fragen: mit den Menschenrechten jedes einzelnen, insbesondere des "Proletariats", mit Familie und Erziehung, mit den Aufgaben des Staates, mit der nationalen und internationalen Ordnung, mit dem Wirtschaftsleben, der Kultur, mit Krieg und Frieden, mit der Achtung des Lebens vom Zeitpunkt der Empfängnis bis zum Tod.

55. Die Kirche empfängt den "Sinn des Menschen" von der göttlichen Offenbarung. "Um den Menschen, den wahren, unverkürzten Menschen zu erkennen, muss man Gott erkennen", sagte Paul VI. und zitierte gleich darauf die hl. Katharina von Siena, die in einem Gebet denselben Gedanken aussprach: "In deiner Natur, ewige Gottheit, werde ich meine eigene Natur erkennen".<ref>Paul VI., Predigt bei der Schlusssitzung des II. Vatikanischen Konzils (7. Dezember 1965): AAS 58 (1966), 58.</ref>

Darum ist christliche Anthropologie in Wirklichkeit ein Kapitel der Theologie, und die Soziallehre der Kirche, die sich des Menschen annimmt, sich um ihn und sein Verhalten in der Welt kümmert, gehört aus demselben Grund in den Bereich der Theologie und insbesondere der Moraltheologie.<ref>Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 41: a.a.O., 571.</ref> Die theologische Dimension erweist sich sowohl für die Interpretation wie für die Lösung der heutigen Probleme des menschlichen Zusammenlebens als unabdingbar. Das gilt - um es in aller Deutlichkeit zu sagen - sowohl gegenüber der "atheistischen" Lösung, die den Menschen seiner fundamentalen Bausteine, nämlich des Geistlichen, beraubt, als auch gegenüber den permissiven und konsumistischen Lösungen, die es unter verschiedenen Vorwänden darauf abgesehen haben, ihn von seiner Unabhängigkeit von jedem Gesetz und von Gott zu überzeugen, indem sie ihn in einen für ihn selbst und die anderen schädlichen Egoismus einsperren.

Wenn die Kirche dem Menschen Gottes Heil verkündet, wenn sie ihm durch die Sakramente das göttliche Leben anbietet und vermittelt, wenn sie seinem Leben durch die Gebote der Gottes- und der Nächstenliebe Orientierung gibt, dann trägt sie zur Bereicherung der Würde des Menschen bei. Aber so, wie sie diesen ihren religiösen und transzendenten Sendungsauftrag für den Menschen niemals aufgeben kann, so ist sie sich darüber im klaren, dass ihr Wirken auch heute auf Schwierigkeiten und Hindernisse stößt: Deshalb lässt sie sich immer wieder mit neuen Kräften und neuen Methoden auf die Evangelisierung ein, die den ganzen Menschen fördert. Auch zu Beginn des dritten Jahrtausends ist sie "Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person"<ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 76; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis, Nr. 13: a.a.O., 283.</ref>, wie sie es vom Anfang ihres Bestehens an auf ihrem gemeinsamen Weg mit dem Menschen durch die ganze Geschichte immer getan hat. Die Enzyklika Rerum novarum ist ein sprechender Beweis dafür.

56. Am hundertsten Jahrestag dieser Enzyklika möchte ich allen jenen danken, die sich für das Studium, die Vertiefung und die Verbreitung der christlichen Soziallehre eingesetzt haben. Dazu ist die Mitarbeit der Lokalkirchen unerlässlich, und es ist mein Wunsch, dass das Jubiläum Anlaß für einen neuen Auftrieb zu ihrem Studium, ihrer Verbreitung und Anwendung in den vielfältigen Bereichen sein möge.

Ganz besonders wünsche ich, dass sie in den verschiedenen Ländern bekannt gemacht und in die Tat umgesetzt wird, wo sich nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus eine ernste Desorientierung beim Werk des Neuaufbaus zeigt. Die westlichen Länder laufen ihrerseits Gefahr, in diesem Scheitern den einseitigen Sieg ihres Wirtschaftssystems zu sehen, und kümmern sich daher nicht darum, an ihrem System die gebotenen Korrekturen vorzunehmen. Die Länder der Dritten Welt befinden sich mehr denn je in der dramatischen Situation der Unterentwicklung, die mit jedem Tag ernster wird.

Nachdem Leo XIII. die Prinzipien und Richtlinien für die Lösung der Arbeiterfrage dargelegt hatte, schrieb er am Ende der Enzyklika einen entscheidenden Satz: "Möge jeder Berufene Hand anlegen und ohne Verzug, damit die Heilung des bereits gewaltig angewachsenen Übels nicht durch Säumnis noch schwieriger werde". Dann fügte er hinzu: "Was aber die Kirche angeht, so wird diese keinen Augenblick ihre allseitige Hilfe vermissen lassen".<ref>Enzyklika Rerum novarum, Nr. 45: a.a.O., 143.</ref>

57. Für die Kirche darf die soziale Botschaft des Evangeliums nicht als eine Theorie, sondern vor allem als eine Grundlage und eine Motivierung zum Handeln angesehen werden. Unter dem Einfluss dieser Botschaft verteilten einige der ersten Christen ihren Besitz an die Armen und gaben Zeugnis davon, dass trotz der unterschiedlichen sozialen Herkunft ein friedliches und solidarisches Zusammenleben möglich war. Aus der Kraft des Evangeliums bebauten im Laufe der Jahrhunderte die Mönche die Erde, die Ordensmänner und Ordensfrauen gründeten Spitäler und Asyle für die Armen, die Bruderschaften sowie Männer und Frauen aller Schichten sorgten sich um die Bedürftigen und um die Randgruppen. Sie waren überzeugt, dass die Worte Christi: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40) kein frommer Wunsch bleiben durften, sondern zu einer konkreten Lebensverpflichtung werden mussten.

Die Kirche ist sich heute mehr denn je dessen bewusst, dass ihre soziale Botschaft mehr im Zeugnis der Werke als in ihrer inneren Folgerichtigkeit und Logik Glaubwürdigkeit finden wird. Auch aus diesem Bewusstsein stammt ihre vorrangige Option für die Armen, die nie andere Gruppen ausschließt oder diskriminiert. Es handelt sich um eine Option, die nicht nur für die materielle Armut gilt, da bekanntlich besonders in der modernen Gesellschaft viele Formen nicht bloß wirtschaftlicher, sondern auch kultureller und religiöser Armut anzutreffen sind. Ihre Liebe zu den Armen, die entscheidend ist und zu ihrer festen Tradition gehört, lässt die Kirche sich der Welt zuwenden, in der trotz des technisch-wirtschaftlichen Fortschritts die Armut gigantische Formen anzunehmen droht. In den westlichen Ländern haben wir die vielfältige Armut der Randgruppen, der Alten und Kranken, der Opfer des Konsumismus und zudem noch das Elend der zahlreichen Flüchtlinge und Emigranten. In den Entwicklungsländern zeichnen sich am Horizont dramatische Krisen ab, wenn nicht rechtzeitig international aufeinander abgestimmte Maßnahmen ergriffen werden.

58. Die Liebe zum Menschen und vor allem zum Armen, in dem die Kirche Christus sieht, nimmt in der Förderung der Gerechtigkeit ihre konkrete Gestalt an. Sie wird sich nur voll verwirklichen lassen, wenn die Menschen im Bedürftigen, der um eine Hilfe für sein Leben bittet, nicht einen ungelegenen Aufdringling oder eine Last sehen, sondern die Gelegenheit zum Guten an sich, die Möglichkeit zu einem größeren Reichtum. Erst dieses Bewusstsein wird ihnen den Mut geben, sich dem Risiko und dem Wandel zu stellen, die in jedem glaubwürdigen Versuch, dem anderen Menschen zu helfen, inbegriffen sind. Es geht ja nicht bloß darum, vom Überfluss abzugeben, sondern ganzen Völkern den Zugang in den Kreis der wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung zu eröffnen, von dem sie ausgeschlossen oder ausgegrenzt sind. Dafür genügt es nicht, aus dem Überfluss zu geben, den unsere Welt reichlich produziert. Dazu müssen sich vor allem die Lebensweisen, die Modelle von Produktion und Konsum und die verfestigten Machtstrukturen ändern, die heute die Gesellschaften beherrschen. Es geht auch nicht darum, Instrumente der gesellschaftlichen Ordnung, die sich bewährt haben, zu zerstören, sondern sie auf ein richtig verstandenes Gemeinwohl für die ganze Menschheitsfamilie auszurichten. Heute stehen wir vor den Bestrebungen einer sogenannten "weltweiten Wirtschaft", ein Phänomen, das sicher nicht zu verwerfen ist, enthält es doch außerordentliche Möglichkeiten zu einem größeren Wohlstand. Immer spürbarer ist jedoch das Verlangen, dass dieser zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft wirksame internationale Kontroll- und Leitungsorgane entsprechen, die die Wirtschaft auf das Gemeinwohl hinlenken. Dazu ist ein einzelner Staat, und wäre es auch der mächtigste der Erde, allein nicht in der Lage. Um zu einem solchen Ergebnis zu gelangen, muss das Übereinkommen zwischen den großen Ländern wachsen, und in den internationalen Organen müssen die Interessen der großen Menschheitsfamilie gerecht vertreten werden. Es ist auch notwendig, dass sie bei der Einschätzung der Folgen ihrer Entscheidungen stets jene Völker und Länder entsprechend berücksichtigen, die auf dem internationalen Markt kaum ins Gewicht fallen, sondern in denen sich die schlimmste und bitterste Not ansammelt und die größere Entwicklungshilfe nötig haben. Auf diesem Gebiet bleibt zweifellos noch viel zu tun.

59. Damit also die Gerechtigkeit verwirklicht wird und die Versuche der Menschen zu ihrer Verwirklichung Erfolg haben, braucht es das Geschenk der Gnade, die von Gott kommt. Durch sie vollzieht sich im Zusammenwirken mit der Freiheit der Menschen jene geheimnisvolle Gegenwart Gottes in der Geschichte, die die Vorsehung ist.

Die in der Nachfolge Christi erlebte neue Erfahrung muss den anderen Menschen in der Konkretheit ihrer Schwierigkeiten, Auseinandersetzungen, Probleme und Herausforderungen mitgeteilt werden, damit sie vom Licht des Glaubens erleuchtet und menschlicher gemacht werden. Denn dieser hilft nicht nur, Lösungen zu finden, sondern macht es auch möglich, die Situationen des Leidens menschlich zu leben, auf dass sich in ihnen der Mensch nicht verliert und seine Würde und Berufung nicht vergisst.

Die Soziallehre enthält zudem eine wichtige interdisziplinäre Dimension. Um in verschiedenen und sich ständig verändernden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen die eine Wahrheit über den Menschen besser zur Geltung zu bringen, tritt diese Lehre mit den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem Menschen befassen, in einen Dialog ein, integriert ihre Beiträge und hilft ihnen, in einem breiteren Horizont sich dem Dienst am einzelnen, in seiner vollen Berufung erkannten und geliebten Menschen zu öffnen.

Neben der interdisziplinären Dimension muss sodann die praktische und in gewissem Sinne experimentelle Dimension dieser Lehre erwähnt werden. Sie liegt im Schnittpunkt des christlichen Lebens und Bewusstseins mit den Situationen der Welt und findet ihren Ausdruck in den Anstrengungen, die einzelne, Familien, im Kultur- und Sozialbereich Tätige, Politiker und Staatsmänner unternehmen, um dem christlichen Leben Gestalt und Anwendung in der Geschichte zu verleihen.

60. Als Leo XIII. die Grundsätze für die Lösung der Arbeiterfrage verkündete, schrieb er: "Allerdings ist in dieser wichtigen Frage auch die Tätigkeit und Anstrengung anderer Faktoren unentbehrlich".<ref>Ebd., Nr. 13: a.a.O., 107.</ref> Er war davon überzeugt, dass die schweren, von der Industriegesellschaft verursachten Probleme nur durch die Zusammenarbeit aller Kräfte gelöst werden konnten. Diese Feststellung ist zu einem bleibenden Element der Soziallehre der Kirche geworden. Das erklärt unter anderem, warum Johannes XXIII. seine Enzyklika über den Frieden auch an "alle Menschen guten Willens'" richtete.

Papst Leo stellte freilich mit Schmerz fest, dass die Ideologien der damaligen Zeit, besonders der Liberalismus und der Marxismus, diese Zusammenarbeit ablehnten. Inzwischen hat sich vieles geändert, besonders in den letzten Jahren. Die Welt von heute ist sich immer mehr bewusst, dass die Lösung der ernsten nationalen und internationalen Probleme nicht nur eine Frage der Wirtschaft oder der Rechts- oder Gesellschaftsordnung ist, sondern klare sittlich-religiöse Werte sowie die Änderung der Gesinnung, des Verhaltens und der Strukturen erfordert. Diesen Beitrag anzubieten, fühlt sich die Kirche in besonderer Weise verantwortlich, und es besteht - wie ich in der Enzyklika Sollicitudo rei socialis geschrieben habe - die begründete Hoffnung, dass auch jene große Gruppe, die sich zu keiner Religion bekennt, dazu beitragen kann, der sozialen Frage das notwendige sittliche Fundament zu geben.<ref>Vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 38: a.a.O., 564-566.</ref> In demselben Dokument habe ich auch einen Appell an die christlichen Kirchen und an alle großen Weltreligionen gerichtet und sie aufgefordert, einstimmig Zeugnis zu geben von den gemeinsamen Überzeugungen von der Würde des Menschen, der von Gott erschaffen ist.<ref>Vgl. ebd., Nr. 47: a.a.O., 582.</ref> Ich bin nämlich überzeugt, dass den Religionen heute und morgen eine herausragende Rolle für die Bewahrung des Friedens und für den Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft zufallen wird.

Andererseits gilt die Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit für alle Menschen guten Willens und insbesondere für jene Personen und Gruppen, die sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene eine besondere Verantwortung auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet haben.

61. Das "nahezu sklavische Joch" am Beginn der Industriegesellschaft nötigte meinen Vorgänger, zur Verteidigung des Menschen das Wort zu ergreifen. Dieser Verpflichtung ist die Kirche in diesen hundert Jahren treu geblieben! Sie hat in die stürmische Phase des Klassenkampfes nach dem ersten Weltkrieg eingegriffen, um den Menschen vor der wirtschaftlichen Ausbeutung und vor der Tyrannei der totalitären Systeme zu verteidigen. Sie hat die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihrer sozialen Botschaften nach dem zweiten Weltkrieg gestellt, als sie auf der universalen Bestimmung der materiellen Güter, auf einer Gesellschaftsordnung ohne Unterdrückung und gegründet auf den Geist der Zusammenarbeit und der Solidarität bestand. Sie hat stets betont, dass der Mensch und die Gesellschaft nicht allein diese Güter, sondern auch geistige und religiöse Werte brauchen. Während sie sich immer besser darüber klar wurde, dass zu viele Menschen nicht im Wohlstand der westlichen Welt, sondern im Elend der Entwicklungsländer leben und eine Situation ertragen, die noch immer jene des "nahezu sklavischen Jochs" ist, fühlte und fühlt sie sich verpflichtet, diese Tatsache mit aller Klarheit und Offenheit anzukreiden, auch wenn sie weiß, dass ihr Appell nicht immer von allen wohlwollend aufgenommen werden wird.

Hundert Jahre nach der Veröffentlichung von Rerum novarum steht die Kirche wiederum vor "Neuem" und vor neuen Herausforderungen. Dieses Jubiläum soll daher alle Menschen guten Willens und insbesondere die Glaubenden in ihrem Bemühen bestärken.

62. Meine vorliegende Enzyklika hat in die Vergangenheit geblickt, sie ist aber vor allem auf die Zukunft ausgerichtet. Wie Rerum novarum steht sie gleichsam an der Schwelle des neuen Jahrhunderts und will dessen Kommen mit Gottes Hilfe vorbereiten.

Das wahre und ewig "Neue" kommt zu allen Zeiten aus der unendlichen Macht Gottes, der spricht: "Seht, ich mache alles neu"' (Offb 21,5). Diese Worte beziehen sich auf die Vollendung der Geschichte, wenn Christus "seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt ..., damit Gott herrscht über alles und in allem" (1 Kor 15,24.28). Aber der Christ weiß, dass das Neue, das wir in seiner Fülle bei der Rückkehr des Herrn erwarten, schon gegenwärtig ist seit der Erschaffung der Welt, und zwar seitdem Gott in Jesus Christus Mensch geworden und mit ihm und durch ihn den Menschen zu einer "neuen Schöpfung'" gemacht hat (2 Kor 5,17; Gal 6,5).

Am Ende dieser Enzyklika danke ich dem allmächtigen Gott, der seiner Kirche das Licht und die Kraft geschenkt hat, den Menschen auf dem Erdenweg zu seiner ewigen Bestimmung zu begleiten. Auch im dritten Jahrtausend wird die Kirche treu den Weg des Menschen zu ihrem eigenen machen, im Bewusstsein, dass sie nicht allein unterwegs ist, sondern mit Christus, ihrem Herrn. Er hat den Weg des Menschen zu dem seinen gemacht und geht mit allen Menschen, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind.

Maria, die Mutter des Erlösers, die an der Seite Christi bleibt auf seinem Weg zu den Menschen und mit den Menschen und die der Kirche auf der Pilgerschaft des Glaubens vorangeht, begleite mit ihrer mütterlichen Fürsprache die Menschheit ins nächste Jahrtausend in Treue zu dem, der "derselbe ist, gestern, heute und in Ewigkeit" (vgl. Hebr 13,8), Jesus Christus, unser Herr, in dessen Namen ich alle von Herzen segne.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 1. Mai - Gedächtnis des hl. Josef des Arbeiters - 1991,

im dreizehnten Jahr meines Pontifikates.

Johannes Paul II.

Anmerkungen

<references />