Laborem exercens (Wortlaut)

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Enzyklika
Laborem exercens

von Papst
Johannes Paul II.
An die Verehrten Mitbrüder im Bischofsamt, die Priester und Ordensleute,
die Söhne und Töchter der Kirche, und an alle Menschen guten Willens
über die menschliche Arbeit zum neunzigsten Jahrestag des Rundschreibens „Rerum novarum
14. September 1981

(Offizieller lateinischerText: AAS 73 [1981] 577-647)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; Die Anmerkungen sind aus den Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 32; auch in: Kirchliche Dokumente nach dem Konzil, Nr. 21)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

Segen

Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Söhne und Töchter!
Gruß und Apostolischen Segen!

DURCH ARBEIT muss sich der Mensch sein tägliches Brot besorgen, <ref>Vgl. Ps 127 (128), 2; vgl. auch Gen 3,17–19; Ex 1, 8–14; Jer 22, 13 </ref> und nur so kann er beständig zum Fortschritt von Wissenschaft und Technik sowie zur kulturellen und moralischen Hebung der Gesellschaft beitragen, in Lebensgemeinschaft mit seinen Brüdern und Schwestern. Hier geht es um jede Arbeit, die der Mensch verrichtet, unabhängig von ihrer Art und den Umständen; gemeint ist jedes menschliche Tun, das man unter der reichen Vielfalt der Tätigkeiten, deren der Mensch fähig ist und zu denen ihn seine Natur, sein Menschsein, disponiert, als Arbeit anerkennen kann und muss. Nach Gottes Bild und Gleichnis <ref>Vgl. Gen 1, 26. </ref> inmitten des sichtbaren Universums geschaffen und dorthingestellt, damit er die Erde sich untertan mache, <ref>Vgl. Gen 1, 28.</ref> ist der Mensch daher seit dem Anfang zur Arbeit berufen. Die Arbeit ist eines der Kennzeichen, die den Menschen von den anderen Geschöpfen unterscheiden, deren mit der Erhaltung des Lebens verbundene Tätigkeit man nicht als Arbeit bezeichnen kann; nur der Mensch ist zur Arbeit befähigt, nur er verrichtet sie, wobei er gleichzeitig seine irdische Existenz mit ihr ausfüllt. Die Arbeit trägt somit ein besonderes Merkmal des Menschen und der Menschheit, das Merkmal der Person, die in einer Gemeinschaft von Personen wirkt; dieses Merkmal bestimmt ihre innere Qualität und macht in gewisser Hinsicht ihr Wesen aus.

I. EINFÜHRUNG

1. Die menschliche Arbeit 90 Jahre nach »Rerum novarum«

Da es am 15. Mai dieses Jahres neunzig Jahre waren, seitdem Leo XIII., der große Papst der »Sozialen Frage«, jene entscheidende Enzyklika veröffentlicht hat, die mit den Worten »Rerum novarum« beginnt, möchte ich das vorliegende Dokument der menschlichen Arbeit widmen, ja eigentlich dem Menschen im weitgespannten Rahmen jener Wirklichkeit, die die Welt der Arbeit darstellt. Wenn - wie ich in der Enzyklika Redemptor hominis sagte, die ich zu Beginn meines Dienstes auf dem römischen Stuhl Petri veröffentlicht habe - der Mensch »der erste und grundlegende Weg der Kirche ist«, <ref>Enzylika Redemptor hominis. 14: AAS 71 (1979) 284. </ref> und das aufgrund des unerforschlichen Geheimnisses der Erlösung in Christus, dann ist es notwendig, ständig auf diesen Weg zurückzukehren und ihm immer wieder aufs neue zu folgen unter den verschiedenen Aspekten, in denen er uns den ganzen Reichtum und zugleich die ganze Mühsal der menschlichen Existenz auf Erden offenbart.

Die Arbeit ist einer dieser Aspekte, zeitlos und grundlegend, immer aktuell, immer neue Aufmerksamkeit und entschiedenes Zeugnis fordernd. Da unablässig neue Fragen und Probleme auftreten, entstehen immer neue Erwartungen, aber auch Ängste und Bedrohungen, welche mit dieser grundlegenden Dimension menschlicher Existenz verbunden sind, die Tag für Tag das Leben des Menschen aufbaut, aus der es die ihm eigene Würde bezieht, die aber gleichzeitig das nie fehlende Maß menschlicher Mühen, des Leidens und auch der Benachteiligung und Ungerechtigkeit in sich trägt, welche das gesellschaftliche Leben innerhalb der einzelnen Nationen und auf internationaler Ebene zutiefst durchdringen. Wenn es zutrifft, dass sich der Mensch von dem Brot ernährt, das er der Arbeit seiner Hände verdankt, <ref>Vgl. Ps 127 (128), 2. </ref> und zwar nicht nur von jenem Brot, das seinen Leib am Leben hält, sondern auch von dem Brot der Wissenschaft und des Fortschritts, der Zivilisation und der Kultur, dann trifft ebenso für alle Zeiten zu, dass er sich von diesem Brot im Schweiße seines Angesichts <ref>Vgl. Gen 3,19.</ref> ernährt, das heißt nicht nur mit persönlicher Mühe und Anstrengung, sondern auch inmitten zahlreicher Spannungen, Konflikte und Krisen, die im Zusammenhang mit der Wirklichkeit der Arbeit das Leben der einzelnen Völker und auch der gesamten Menschheit erschüttern.

Wir feiern den 90. Jahrestag der Enzyklika Rerum novarum am Vorabend neuer Entwicklungen in den Bereichen der Technologie, der Wirtschaft und der Politik, die nach dem Urteil vieler Fachleute auf die Welt der Arbeit und der Produktion ebenso starke Auswirkungen haben werden wie die industrielle Revolution des vorigen Jahrhunderts. Es handelt sich dabei um mehrere Faktoren von allgemeiner Bedeutung: die generelle Einführung der Automatisierung in vielen Zweigen der Produktion; die wachsenden Kosten von Energie und Rohstoffen; das steigende Wissen um die Begrenztheit der Natur und deren untragbare Verschmutzung; das Eintreten von Völkern in das politische Leben, die jahrhundertelang unterworfen waren und nun den ihnen gebührenden Platz unter den Nationen und bei Entscheidungen von internationaler Tragweite fordern. Diese neuen Bedingungen und Anforderungen werden eine Neuordnung und Revision der heutigen Wirtschaftsstrukturen und der Verteilung der Arbeit notwendig machen. Derartige Änderungen können leider für Millionen qualifizierter Arbeiter zumindest zeitweilig Arbeitslosigkeit bedeuten oder eine Umschulung erforderlich machen; sie bringen sehr wahrscheinlich für die stärker entwickelten Länder eine Verringerung oder ein langsameres Wachstum des materiellen Wohlstandes mit sich, können aber andererseits den Millionen von Menschen, die heute noch in schmachvollem und unwürdigem Elend leben, Erleichterung und Hoffnung bringen. Die wissenschaftliche Analyse der eventuellen Auswirkungen solcher Änderungen auf das menschliche Zusammenleben ist nicht Aufgabe der Kirche. Wohl aber hält es die Kirche für ihre Aufgabe, immer wieder auf die Würde und die Rechte der arbeitenden Menschen hinzuweisen und die Situationen anzuprangern, in denen diese Würde und diese Rechte verletzt werden, und auch ihren Teil dazu beizutragen, diesen Änderungen eine solche Richtung zu geben, dass dabei ein echter Fortschritt für den Menschen und die Gesellschaft entsteht.

2. Die Arbeit in der organischen Entwicklung der sozialen Aktion und Lehre der Kirche

Die Arbeit als Problem des Menschen steht eindeutig im Mittelpunkt jener »Sozialen Frage«, der in den fast hundert Jahren seit der Veröffentlichung der genannten Enzyklika die Lehre der Kirche und die vielfältigen Initiativen in besonderer Weise galten, die mit ihrer apostolischen Sendung im Zusammenhang stehen. Auf dieses Problem der Arbeit möchte ich die vorliegenden Erwägungen konzentrieren, und das auf eine Weise, die sich nicht etwa vom Bisherigen absetzt, sondern organisch an die Tradition dieser Lehre und dieser Initiativen anknüpft. Gleichzeitig halte ich mich dabei an den Rat des Evangeliums, um aus seinem Reichtum Altes und Neues hervorzuholen. <ref>Vgl. Mt 13, 52.</ref> Die Arbeit ist sicher etwas »Altes«, so alt wie der Mensch und sein Leben auf der Erde. Die allgemeine Situation des Menschen in der heutigen Welt, wie sie im Lichte der verschiedenen geographischen, kulturellen und zivilisatorischen Gesichtspunkte beurteilt wird, erfordert jedoch die Entdeckung der neuen Bedeutungsgehalte der menschlichen Arbeit wie auch die Formulierung der neuen Aufgaben, die auf diesem Gebiet jedem Menschen, der Familie, den einzelnen Nationen, der ganzen Menschheit und schließlich auch der Kirche gestellt sind.

Im Verlauf der Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum hat die soziale Frage unablässig die Aufmerksamkeit der Kirche auf sich gezogen. Das bezeugen die zahlreichen Aussagen des obersten Lehramtes sowohl der Päpste wie auch des II. Vatikanischen Konzils; das bezeugen die Verlautbarungen der einzelnen Episkopate; das bezeugt ferner die Tätigkeit der verschiedenen Zentren für Studien und für konkrete kirchliche Maßnahmen auf internationaler Ebene wie im Bereich der Ortskirchen. Es wäre schwierig, hier im einzelnen alle Zeugnisse des lebendigen Einsatzes der Kirche und der Gläubigen auf dem Gebiet der sozialen Frage aufzuzählen, da diese überaus zahlreich sind. Als eine Frucht des letzten Konzils wurde die Päpstliche Kommission »Iustitia et Pax«, für »Gerechtigkeit und Frieden«, zum wichtigsten Koordinierungszentrum auf diesem Gebiet; ihr entsprechen ähnliche Organe im Rahmen der einzelnen Bischofskonferenzen. Der Name dieses Gremiums ist sehr bedeutsam. Er bringt zum Ausdruck, dass die soziale Frage in ihrer gesamten, vielschichtigen Dimension behandelt werden muss. Der Einsatz für die Gerechtigkeit muss in engster Verbindung mit dem Einsatz für den Frieden in der heutigen Welt stehen. Sicher hat die schmerzliche Erfahrung der beiden großen Weltkriege, die in den letzten 90 Jahren viele Länder Europas und zum Teil auch anderer Kontinente erschüttert haben, für diese doppelte Zielsetzung gesprochen. Für sie spricht - besonders seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - die andauernde Gefahr eines Atomkrieges und die erschreckende Möglichkeit einer Selbstvernichtung, die sich daraus ergibt.

Wenn wir die Hauptentwicklungslinie der Dokumente des obersten Lehramtes der Kirche verfolgen, finden wir in ihnen die ausdrückliche Bestätigung gerade dieses Problemansatzes. Die Schlüsselstellung hinsichtlich des Weltfriedens nimmt die Enzyklika Pacem in terris Johannes' XXIII. ein. Schaut man jedoch auf die Entwicklung des Problems der sozialen Gerechtigkeit, so muss man feststellen, dass sich die Lehrtätigkeit der Kirche in der Zeit zwischen den Enzykliken Rerum novarum und Quadragesimo anno von Pius XI. zunächst vor allem auf die gerechte Lösung der so genannten Arbeiterfrage im Rahmen der einzelnen Nationen konzentriert, dann aber ihre Blickrichtung auf die ganze Welt ausweitet. Die unausgeglichene Verteilung von Reichtum und Elend, der Unterschied zwischen entwickelten und nicht entwickelten Ländern und Kontinenten fordern eine Angleichung und eine Suche nach Wegen für die gerechte Entwicklung aller. In diese Richtung geht die Lehre der Enzyklika Mater et magistra Johannes' XXIII., der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils und der Enzyklika Populorum progressio Pauls VI.

Diese Richtung in der Entwicklung der Lehre und des Einsatzes der Kirche in der sozialen Frage entspricht genau der objektiven Beurteilung der jeweiligen Sachlage. Rückte man früher in dieser Frage vor allem das Problem der »Klasse« in den Mittelpunkt, so ist in neuerer Zeit das Problem »der Welt« in den Vordergrund getreten. Es wird also jetzt nicht nur der Bereich der Klasse beachtet, sondern der weltweite Bereich der Unausgeglichenheiten und Ungerechtigkeiten und infolgedessen die breite Dimension der Aufgaben auf dem Weg zur Gerechtigkeit in der Welt von heute. Die umfassende Analyse der Lage der heutigen Welt hat noch tiefer und vollständiger die Bedeutung der vorhergehenden Analysen der sozialen Ungerechtigkeiten gezeigt; und diese Bedeutung muss man heute all jenen Bemühungen zugrundelegen, deren Ziel der Aufbau der Gerechtigkeit auf Erden ist, wobei man die ungerechten Strukturen nicht etwa verbirgt, wohl aber ihre Untersuchung und ihre Überwindung in eine universale Dimension stellt.

3. Das Problem der Arbeit - Schlüssel der sozialen Frage

Inmitten all dieser Prozesse - sowohl der Diagnose der objektiven sozialen Wirklichkeit als auch der Lehre der Kirche im Bereich der vielschichtigen und vielfältigen sozialen Frage - scheint das Problem der menschlichen Arbeit natürlich oft auf. Es ist gewissermaßen ein durchgehendes Element des sozialen Lebens wie auch der kirchlichen Lehre. Deren Interesse für dieses Problem reicht übrigens weit über die letzten 90 Jahre zurück. Die Soziallehre der Kirche sieht ja ihre Quelle schon in der Heiligen Schrift selbst, angefangen vom Buch Genesis und dann besonders in den Evangelien und den Apostelschriften. Diese Lehre gehört von Anfang an zur Unterweisung der Kirche, zu ihrer Auffassung vom Menschen und vom sozialen Zusammenleben, und ist im einzelnen ein Teil der Morallehre vom Menschen als Gemeinschaftswesen, wie sie nach den Erfordernissen der verschiedenen Epochen erarbeitet worden ist. Dieser Schatz der Tradition wurde dann von der Unterweisung der Päpste zur »Sozialen Frage« übernommen und weiterentwickelt, beginnend mit der Enzyklika Rerum novarum. Im Zusammenhang dieser Frage ist auch das Problem der Arbeit immer wieder neu und tiefer gesehen worden, wobei es jedoch stets jene grundlegenden christlichen Wahrheiten beibehalten hat, die wir zeitlos nennen können.

Wenn wir im vorliegenden Dokument wiederum auf dieses Problem zurückkommen - ohne allerdings vorzuhaben, alle diesbezüglichen Gesichtspunkte zu berühren -, dann nicht so sehr in der Absicht, die bisherigen Aussagen des kirchlichen Lehramtes aufzugreifen und zu wiederholen. Vielmehr geht es darum, vielleicht mehr als bisher herauszustellen, dass die menschliche Arbeit ein Schlüssel und wohl der wesentliche Schlüssel in der gesamten sozialen Frage ist, wenn wir sie wirklich vom Standpunkt des Wohls für den Menschen betrachten wollen. Wenn die Lösung oder vielmehr die allmähliche Lösung der sozialen Frage, die sich immer neu stellt und immer komplizierter wird, darauf abzielen soll, das menschliche Leben menschlicher zu machen, <ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium er spes, 38: AAS 58 (1966) 1055.</ref> dann bekommt gerade dieser Schlüssel, die menschliche Arbeit, eine grundlegende und entscheidende Bedeutung.

II. DIE ARBEIT UND DER MENSCH

4. Im Buch Genesis

Die Kirche ist überzeugt, dass die Arbeit eine fundamentale Dimension der Existenz des Menschen auf Erden darstellt. Diese Überzeugung wird ihr auch vom Blick auf den Erkenntnisschatz der zahlreichen Wissenschaften bestätigt, deren Objekt der Mensch ist: Anthropologie, Paläontologie, Geschichte, Soziologie, Psychologie, usw.: alle scheinen diese Tatsache unwiderlegbar zu beweisen. Vor allem aber schöpft die Kirche diese ihre Überzeugung aus dem geoffenbarten Wort Gottes, wodurch ihr die Überzeugung des Verstandes zugleich zur Überzeugung des Glaubens wird. Der Grund dafür ist - und es lohnt sich, das von allem Anfang an zu beachten -, dass die Kirche an den Menschen glaubt: nicht nur im Licht der geschichtlichen Erfahrung, nicht nur mit Hilfe der verschiedenen Methoden wissenschaftlicher Erkenntnis denkt sie an den Menschen und wendet sich ihm zu, sondern in erster Linie im Licht des geoffenbarten Wortes des lebendigen Gottes. In ihrem Sprechen vom Menschen sucht sie jene ewigen Absichten und jene transzendente Bestimmung zum Ausdruck zu bringen, unter die ihn der lebendige Gott, sein Schöpfer und Erlöser, gestellt hat.

Die Kirche schöpft bereits aus den ersten Seiten des Buches Genesis die Überzeugung, dass die Arbeit eine fundamentale Dimension menschlicher Existenz auf Erden darstellt. Die Untersuchung dieser Texte macht uns bewusst, dass in ihnen - manchmal in archaischer Ausdrucksweise - die grundlegenden Wahrheiten über den Menschen bereits ausgesprochen sind, schon hier, beim Geheimnis seiner Erschaffung. Es sind dies die Wahrheiten, die von Anfang an über den Menschen entscheiden und die großen Linien seiner Existenz auf Erden ziehen, sei es im Stand der ursprünglichen Gerechtigkeit, sei es nach dem durch die Sünde verursachten Bruch des ursprünglichen Bundes zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung im Menschen. Wenn dieser, »als Gottes Abbild... als Mann und Frau« <ref>Gen 1, 28</ref> geschaffen, die Worte hört: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und macht sie euch untertan«, <ref>Gen 1, 27</ref> so beziehen sich diese Worte zwar nicht direkt und ausdrücklich auf die Arbeit des Menschen, weisen ihn jedoch zweifellos indirekt schon darauf hin als auf eine Tätigkeit, die er in der Welt zu verrichten hat. Ja, sie zeigen bereits ihr tiefstes Wesen auf. Der Mensch ist unter anderem deshalb Abbild Gottes, weil er von seinem Schöpfer den Auftrag empfangen hat, sich die Erde zu unterwerfen und sie zu beherrschen. Indem er diesen Auftrag erfüllt, spiegelt der Mensch und jeder Mensch das Wirken des Weltenschöpfers selber wider.

Die Arbeit - als »transitive« Tätigkeit aufgefasst, das heißt als ein Wirken, das vom Menschen als Subjekt ausgeht und auf ein äußeres Objekt gerichtet ist - setzt eine spezifische Herrschaft des Menschen über die »Erde« voraus und bestätigt und entwickelt ihrerseits diese Herrschaft. Unter dem hier vom biblischen Text gebrauchten Ausdruck »Erde« ist natürlich zunächst jener Bruchteil des sichtbaren Universums zu verstehen, dessen Bewohner der Mensch ist; in Ausweitung davon kann man jedoch die ganze sichtbare Welt darunter verstehen, soweit sie sich innerhalb der Sphäre menschlichen Einflusses und menschlicher Suche nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse befindet. Die Worte »macht euch die Erde untertan« sind von ungeheurer Tragweite. Sie beziehen sich auf alle Reichtümer, welche die Erde (und indirekt die sichtbare Welt) in sich birgt und die durch bewusste Tätigkeit des Menschen entdeckt und in geeigneter Weise verwendet werden können. So bleiben diese Worte am Anfang der Bibel zu jeder Zeit aktuell. Sie schließen alle vergangenen Epochen der Zivilisation und Wirtschaft ebenso ein wie die heutige Wirklichkeit und die zukünftigen Entwicklungsphasen, die sich vielleicht zu einem gewissen Grad bereits abzeichnen, großenteils jedoch dem Menschen noch fast unbekannt und verborgen sind.

Wenn man gelegentlich von Zeiten der »Beschleunigung« im wirtschaftlichen Leben und in der Zivilisation der ganzen Menschheit oder einzelner Nationen spricht und diese »Beschleunigungen« mit dem Fortschritt der Wissenschaft und Technik und besonders mit den für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben entscheidenden Entdeckungen in Zusammenhang bringt, so kann man gleichzeitig sagen, dass keine dieser »Beschleunigungen« über den wesentlichen Gehalt dessen hinausgeht, was jener uralte Bibeltext aussagt. Während der Mensch durch seine Arbeit immer mehr zum Herrn der Erde wird und wiederum durch die Arbeit seine Herrschaft über die sichtbare Welt festigt, bleibt er in jedem Fall und in jeder Phase dieses Prozesses auf der Linie jener ursprünglichen Weisung des Schöpfers, welche notwendig und unlösbar an die Tatsache gebunden ist, dass der Mensch als Mann und Frau »nach dem Abbild Gottes« geschaffen ist. Dieser Prozess ist zugleich universal: er umfasst alle Menschen, jede Generation, jede Phase der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung, und er ist gleichzeitig ein Prozess, der sich in jedem Menschen abspielt, in jedem mit Einsicht begabten menschlichen Wesen. Er umfasst zugleich alle und jeden einzelnen; alle und jeder einzelne nehmen in entsprechendem Maß und auf unzählige Weisen an diesem gigantischen Prozess teil, der im »Untertan-machen der Erde« durch die Arbeit besteht.

5. Die Arbeit im objektiven Sinn: Die Technik

Diese Universalität und zugleich diese Vielfalt im Prozess des »Untertan-Machens der Erde« werfen Licht auf die menschliche Arbeit; denn die Herrschaft des Menschen über die Erde vollzieht sich durch die Arbeit und in der Arbeit. So wird der Sinn der objektiv verstandenen Arbeit deutlich, wie er in den verschiedenen Epochen der Kultur und Zivilisation zum Ausdruck kommt. Der Mensch beherrscht die Erde schon dadurch, dass er Tiere zähmt und züchtet und aus ihnen die nötige Nahrung und Kleidung für sich gewinnt, und dadurch, dass er aus Erde und Meer verschiedene Naturschätze entnehmen kann. Viel weitgehender jedoch macht sich der Mensch die Erde »untertan«, wenn er sie zu bebauen beginnt und dann ihre Produkte seinen Bedürfnissen entsprechend verarbeitet. Die Landwirtschaft stellt somit einen vorrangigen Zweig der wirtschaftlichen Tätigkeit und - durch die menschliche Arbeit - einen unentbehrlichen Produktionsfaktor dar. Die Industrie wiederum wird immer in der Verbindung der Schätze der Erde - sowohl der vorgegebenen lebenden Naturprodukte als auch der Produkte der Landwirtschaft sowie der mineralischen und chemischen Bodenschätze - mit der Arbeit des Menschen, der körperlichen wie der geistigen, bestehen. Das gilt in gewissem Sinn auch für den Bereich der so genannten Dienstleistungsindustrie sowie der reinen und angewandten Forschung.

In Industrie und Landwirtschaft ist die Arbeit des Menschen heute in vielen Fällen keine überwiegend körperliche mehr, da die Mühe der Hände und Muskeln von Maschinen und Mechanismen unterstützt wird, deren Vervollkommnung unaufhörlich fortschreitet. Nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Landwirtschaft sind wir Zeugen von Umwandlungen, die durch die stufenweise und ununterbrochene Entwicklung von Wissenschaft und Technik ermöglicht wurden. Dies alles ist, historisch gesehen, eine Ursache großer Umwälzungen der Zivilisation geworden, vom Beginn des »Industriezeitalters« zu den jeweils folgenden, durch neue Techniken bedingten Entwicklungsphasen wie der Phase der Elektronik oder der Mikroprozessoren in den letzten Jahren.

Wenn auch der Eindruck entstehen könnte, dass im industriellen Prozess die Maschine »arbeitet«, während der Mensch sie nur bedient, indem er auf verschiedene Weise ihr Funktionieren ermöglicht und unterstützt, so trifft doch zu, dass die industrielle Entwicklung gerade dadurch Anlass gibt, das Problem der menschlichen Arbeit in neuer Weise wieder zu stellen. Sowohl die erste Industrialisierung, welche die so genannte Arbeiterfrage geschaffen hat, als auch die darauf folgenden industriellen und nachindustriellen Umwandlungen zeigen deutlich, dass auch im Zeitalter der immer stärker mechanisierten »Arbeit« der Mensch das eigentliche Subjekt der Arbeit bleibt.

Die Entwicklung der Industrie und der verschiedenen mit ihr in Verbindung stehenden Sektoren bis zu den modernsten Technologien der Elektronik insbesondere auf den Gebieten der Miniaturisierung, der Informatik, der Telematik und anderen zeigt an, welche ungeheure Bedeutung in der Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt der Arbeit (im weitesten Sinne dieses Wortes) gerade jener Verbündeten der menschlichen Arbeit zukommt, die der menschliche Geist erzeugt hat, nämlich der Technik. Sie ist - hier nicht als Arbeitsfähigkeit oder -fertigkeit, sondern als die Gesamtheit der Instrumente verstanden, deren sich der Mensch bei seiner Arbeit bedient - zweifellos eine Verbündete des Menschen. Sie erleichtert ihm die Arbeit, vervollkommnet, beschleunigt und vervielfältigt sie. Sie begünstigt die quantitative Mehrung der Arbeitsprodukte und bei vielen auch die Verbesserung ihrer Qualität. Doch ist es auch eine Tatsache, dass sich die Technik in manchen Fällen aus einer Verbündeten fast in eine Gegnerin des Menschen verwandeln kann, wie etwa dann, wenn die Mechanisierung der Arbeit den Menschen verdrängt und ihn jeder persönlichen Befriedigung und des Ansporns zu Kreativität und Verantwortung beraubt, wenn sie viele Arbeitnehmer um ihre Beschäftigung bringt oder durch die Verherrlichung der Maschine den Menschen zu deren Sklaven macht.

Wenn die Bibelworte »macht euch die Erde untertan«, die seit dem Anfang an die Menschen gerichtet sind, von der gesamten modernen industriellen und nachindustriellen Zeit her verstanden werden, schließen sie zweifellos auch eine Beziehung zur Technik ein, zu jener Welt der Mechanismen und Maschinen, die eine Frucht der Verstandesarbeit des Menschen und eine geschichtliche Bestätigung seiner Herrschaft über die Natur sind.

Die jüngste Epoche der Menschheitsgeschichte zeigt vor allem bei einigen Völkern einen berechtigten Triumph der Technik als eines Grundfaktors für wirtschaftlichen Fortschritt; gleichzeitig jedoch hat dieser Triumph zentrale Fragen aufgeworfen und wirft sie immer noch auf: Fragen über die menschliche Arbeit im Verhältnis zu ihrem Subjekt, das eben der Mensch ist. Diese Fragen sind mit schwerwiegenden Inhalten und Spannungen von ethischem und ethisch-sozialem Charakter beladen. Sie stellen daher eine ständige Herausforderung für vielerlei Institutionen dar, für Staaten und Regierungen, für internationale Systeme und Organisationen; sie sind eine Herausforderung auch für die Kirche.

6. Die Arbeit im subjektiven Sinn: Der Mensch als Subjekt der Arbeit

Wollen wir unsere Darlegung zur Arbeit nach den Worten der Bibel fortsetzen, nach denen sich der Mensch die Erde untertan machen soll, so müssen wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Arbeit im subjektiven Sinne richten, und zwar viel eingehender, als wir es zum objektiven Sinn der Arbeit getan haben, wo wir jene weitgespannte Problematik nur eben berührten, die den Wissenschaftlern der verschiedenen Gebiete und auch, ihrer Spezialisierung entsprechend, den arbeitenden Menschen selbst vollkommen und in Einzelheiten bekannt ist. Wenn die Worte des Buches Genesis, auf die wir uns bei dieser Untersuchung beziehen, von der Arbeit im objektiven Sinne nur indirekt sprechen, so sprechen sie vom Subjekt der Arbeit zwar ebenfalls nur indirekt; was sie aber dazu sagen, ist sehr aufschlussreich und voll tiefer Bedeutung.

Der Mensch soll sich die Erde untertan machen, soll sie beherrschen, da er als »Abbild Gottes« eine Person ist, das heißt ein subjekthaftes Wesen, das imstande ist, auf geordnete und rationale Weise zu handeln, fähig, über sich zu entscheiden, und auf Selbstverwirklichung ausgerichtet. Als Person ist der Mensch daher Subjekt der Arbeit. Als Person arbeitet er und vollzieht die verschiedenen Handlungen, die zum Arbeitsprozess gehören; unabhängig von ihrem objektiven Inhalt müssen diese alle der Verwirklichung seines Menschseins dienen, der Erfüllung seiner Berufung zum Personsein, die ihm eben aufgrund seines Menschseins eigen ist. Die wichtigsten Wahrheiten zu diesem Thema hat in unserer Zeit das II. Vatikanische Konzil in der Konstitution Gaudium et spes, insbesondere im Kapitel I über die Berufung des Menschen, unterstrichen.

So bezieht sich also die »Herrschaft«, von welcher unser Bibeltext spricht, nicht nur auf die objektive Dimension der Arbeit, sondern führt uns gleichzeitig zum Begreifen ihrer subjektiven Dimension. Die Arbeit als Prozess, durch den sich der Mensch und die Menschheit die Erde untertan machen, wird jener grundlegenden Auffassung der Bibel nur dann gerecht, wenn in diesem ganzen Prozess sich der Mensch zugleich immer als der erweist und bestätigt, der »herrscht«. Dieses Herrschen bezieht sich in gewisser Hinsicht sogar mehr auf die subjektive als auf die objektive Dimension: gerade jene Dimension bedingt ja die ethische Substanz der Arbeit. Denn es steht außer Zweifel, dass die menschliche Arbeit ihren ethischen Wert hat, der unmittelbar und direkt mit der Tatsache verbunden ist, dass der, welcher sie ausführt, Person ist, ein mit Bewusstsein und Freiheit ausgestattetes Subjekt, das heißt ein Subjekt, das über sich entscheidet.

Diese Wahrheit, die in gewissem Sinne den fundamentalen und bleibenden Kern der christlichen Lehre über die menschliche Arbeit darstellt, war und ist für das Erfassen wichtiger sozialer Probleme epochalen Ausmaßes von grundlegender Bedeutung.

Die Antike teilte die Menschen nach eigenem, typischem Maßstab nach der Art der Arbeit ein, die sie verrichteten. Die Arbeit, die vom Arbeitenden den Einsatz seiner körperlichen Kräfte erforderte, die Arbeit der Muskeln und der Hände, wurde für freie Menschen als unwürdig betrachtet; zu ihrer Verrichtung wurden deshalb die Sklaven bestimmt. Das Christentum bewirkte in Ausweitung einiger schon im Alten Testament enthaltener Gedanken eine grundlegende Umwälzung solcher Anschauungen, wobei es von der Botschaft des Evangeliums in ihrer Gesamtheit und vor allem von der Tatsache ausging, dass derjenige, der Gott war, uns jedoch in allem gleich geworden ist, <ref> Vgl. Phil 2,5–8; Hebr 2,17.</ref> den größten Teil seiner irdischen Lebensjahre der körperlichen Arbeit in der Werkstatt eines Zimmermanns gewidmet hat. Dieser Umstand ist als solcher das beredteste »Evangelium der Arbeit«, aus dem hervorgeht, dass die Grundlage zur Bewertung menschlicher Arbeit nicht in erster Linie die Art der geleisteten Arbeit ist, sondern die Tatsache, dass der, der sie verrichtet, Person ist. Die Würde der Arbeit wurzelt zutiefst nicht in ihrer objektiven, sondern in ihrer subjektiven Dimension.

Bei einer solchen Sicht verschwindet geradezu die Grundlage der in der Antike gemachten Einteilung der Menschen in verschiedene Gruppen nach der Art der von ihnen verrichteten Arbeit. Damit soll nicht gesagt sein, dass die menschliche Arbeit, objektiv verstanden, nicht irgendwie bewertet und qualifiziert werden könne oder dürfe, sondern lediglich, dass die erste Grundlage für den Wert der Arbeit der Mensch selbst ist, ihr Subjekt. Hiermit verbindet sich sogleich eine sehr wichtige Schlussfolgerung ethischer Natur: So wahr es auch ist, dass der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit. Mit dieser Schlussfolgerung kommt man logisch zur Anerkennung des Vorranges der subjektiven Bedeutung der Arbeit vor der objektiven. Aufgrund dieser Auffassung und vorausgesetzt, dass verschiedene von Menschen verrichtete Arbeiten einen größeren oder geringeren objektiven Wert haben können, geht es uns vor allem darum, deutlich zu machen, dass der Maßstab für jede dieser Arbeiten in erster Linie die Würde ihres Subjekts ist, also der Person, des Menschen, der sie verrichtet. Noch einmal: Unabhängig von der Arbeit, die jeder Mensch verrichtet, und vorausgesetzt, dass diese einen Zweck seines Handelns darstellt - der ihn oft stark engagiert -, ist festzuhalten, dass dieser Zweck für sich allein keine entscheidende Bedeutung besitzt. Zweck der Arbeit, jeder vom Menschen verrichteten Arbeit - gelte sie auch in der allgemeinen Wertschätzung als die niedrigste Dienstleistung, als völlig monotone, ja als geächtete Arbeit -, bleibt letztlich immer der Mensch selbst.

7. Eine Bedrohung der rechten Wertordnung

Gerade diese fundamentalen Feststellungen über die Arbeit kristallisierten sich zu allen Zeiten aus dem Reichtum der christlichen Wahrheit, insbesondere aus der Botschaft des »Evangeliums der Arbeit«, und haben die Grundlage für eine neue Art des Denkens, Bewertens und Handelns unter den Menschen geschaffen. In der Gegenwart, schon seit Beginn des Industriezeitalters, musste sich die christliche Wahrheit über die Arbeit verschiedenen materialistischen und ökonomistischen Strömungen entgegenstellen.

Manche Anhänger solcher Ideen betrachteten und behandelten die Arbeit als eine Art »Ware«, die der Arbeitnehmer, vor allem der Industriearbeiter, dem Arbeitgeber verkauft, der gleichzeitig der Besitzer des Kapitals ist, das heißt der gesamten Arbeitsgeräte und der Mittel, welche die Produktion ermöglichen. Diese Auffassung von Arbeit war wohl besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet. In der Folgezeit sind ausdrückliche Formulierungen dieser Art fast gänzlich verschwunden und haben einer humaneren Sicht und Wertung der Arbeit Platz gemacht. Die Wechselbeziehung zwischen dem arbeitenden Menschen und dem Gesamt der Arbeitsgeräte und Produktionsmittel ließ verschiedene Formen des Kapitalismus und, in Parallele dazu, des Kollektivismus entstehen; hinzu kamen weitere sozio-ökonomische Elemente als Ergebnis neuartiger konkreter Umstände oder durch das Wirken der Arbeitnehmerverbände und der öffentlichen Hand sowie das Auftreten großer übernationaler Unternehmen. Allerdings bleibt die Gefahr bestehen, die Arbeit wie eine Art von »Ware sui generis« zu behandeln oder wie eine anonyme, für die Produktion erforderliche »Kraft« (man spricht geradezu von »Arbeits-Kraft«), besonders dann, wenn die gesamte Sicht der wirtschaftlichen Problematik von den Voraussetzungen des materialistischen Ökonomismus geprägt ist.

Eine ständige Gelegenheit und in gewisser Hinsicht sogar ein Anreiz für diese Weise, zu denken und zu werten, liegt im beschleunigten Entwicklungsprozess einer einseitig materialistischen Zivilisation, in der man in erster Linie der objektiven Dimension der Arbeit Bedeutung beimißt, während die subjektive Dimension - alles, was in direkter oder indirekter Beziehung zum Subjekt der Arbeit steht - im Hintergrund bleibt. In allen solchen Fällen, in jeder sozialen Situation dieser Art geschieht eine Verwirrung oder sogar Umkehrung der Ordnung, wie sie von Anfang an mit den Worten des Buches Genesis festgelegt ist: der Mensch wird als bloßes Werkzeug behandelt, <ref>Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno: AAS 23 (1931) 221.</ref> während er - um seiner selbst willen, unabhängig von der Arbeit, die er tut - als deren verursachendes Subjekt, als deren wahrer Gestalter und Schöpfer behandelt werden sollte. Gerade diese Umkehrung der Ordnung, ganz abgesehen vom Programm und vom Namen, unter dem dieses sich verwirklicht, würde in dem weiter unten ausführlicher erläuterten Sinne die Bezeichnung »Kapitalismus« verdienen. Der Kapitalismus hat bekanntlich als System, als wirtschaftlich-soziales System, seinen genauen, geschichtlich gewachsenen Inhalt aus der Gegenüberstellung zum »Sozialismus« und »Kommunismus«. Doch im Licht der Analyse der grundlegenden Wirklichkeit im gesamten wirtschaftlichen Prozess und vor allem in der Struktur der Produktion - eben der Arbeit - ist es angebracht zuzugeben, dass der Irrtum des primitiven Kapitalismus sich überall dort wiederholen kann, wo der Mensch in irgendeiner Weise dem Gesamt der materiellen Produktionsmittel gleichgeschaltet und so wie ein Instrument behandelt wird und nicht entsprechend der wahren Würde seiner Arbeit, das heißt als ihr Subjekt und Urheber, und ebendadurch als wahres Ziel des ganzen Produktionsprozesses.

So versteht man, wie eine Analyse der menschlichen Arbeit im Licht jener Worte, welche die »Herrschaft« des Menschen über die Erde betreffen, bis in die Mitte der ethisch-sozialen Problematik vordringen sollte. Diese Sicht müsste auch eine zentrale Stellung im ganzen Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik finden, sei es auf der Ebene der einzelnen Länder, sei es auf der größeren Ebene der internationalen und interkontinentalen Beziehungen, besonders hinsichtlich der Spannungen, die sich in der Welt nicht nur längs der Ost-West-, sondern auch längs der Nord-Süd-Achse abzeichnen. Entschlossene Aufmerksamkeit schenkten Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Mater et magistra und Papst Paul VI. in der Enzyklika Populorum progressio diesen Dimensionen der heutigen ethisch-sozialen Problematik.

8. Die Solidarität der arbeitenden Menschen

Wenn man von der menschlichen Arbeit in der fundamentalen Dimension ihres Subjekts spricht, also vom personalen Menschen, der diese Arbeit ausführt, so muss man unter diesem Gesichtspunkt auch eine wenigstens summarische Wertung der Entwicklungen vornehmen, die sich in den 90 Jahren seit der Enzyklika Rerum novarum in bezug auf den subjektiven Aspekt der Arbeit vollzogen haben. Denn obwohl das Subjekt der Arbeit immer das gleiche ist, nämlich der Mensch, so kann man doch im objektiven Bereich eine beachtliche Vielfalt sehen. Wenn man auch sagen kann, dass die Arbeit aufgrund ihres Subjektes nur eine (einzig und jeweils unwiederholbar) ist, muss man im Hinblick auf ihre objektive Ausrichtung doch feststellen, dass es viele Arbeiten gibt: lauter verschiedene Arbeiten. Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation führt auf diesem Gebiet zu ständiger Bereicherung. Gleichzeitig jedoch kann man nicht übersehen, dass im Verlauf dieser Entwicklung nicht nur neue Formen von Arbeit auftauchen, sondern andere auch verschwinden. Mag man darin auch im großen und ganzen eine normale Erscheinung sehen, so muss man dennoch darauf achten, ob und in welchem Maß sich dabei nicht auch gewisse Auswüchse einschleichen, die in ethisch-sozialer Hinsicht gefährlich sein können.

Gerade infolge eines solchen Auswuchses von großer Tragweite entstand im vergangenen Jahrhundert die so genannte Arbeiterfrage, manchmal auch als Problem des Proletariats bezeichnet. Diese Frage und die mit ihr verbundenen Probleme haben eine berechtigte soziale Reaktion hervorgerufen und unter den arbeitenden Menschen, in erster Linie unter den Industriearbeitern, geradezu einen Sturm der Solidarität ausgelöst. Der Aufruf zu Solidarität und gemeinsamem Handeln, der an die Arbeiter - vor allem an jene in eintöniger, nur in Teilvorgängen bestehender, abstumpfender Arbeit industrieller Großbetriebe, wo die Maschine immer mehr den Menschen beherrscht - ergangen ist, war vom Standpunkt der Sozialethik wertvoll und ausdrucksstark. Es war die Reaktion gegen die Erniedrigung des Menschen als des Subjekts der Arbeit und gegen die damit verbundene unerhörte Ausbeutung auf dem Gebiet der Löhne, der Arbeitsbedingungen und der Vorsorge für die Person des Arbeiters. Diese Reaktion hat die Arbeiterwelt zu einer durch große Solidarität gekennzeichneten Gemeinschaft zusammengeschlossen.

Im Einklang mit der Enzyklika Rerum novarum und vielen darauffolgenden Dokumenten des kirchlichen Lehramtes muss man offen anerkennen, dass die Reaktion gegen das ungerechte und schädliche System, das auf dem arbeitenden Menschen in jener Zeit rascher Industrialisierung lastete und das um Rache zum Himmel schrie, <ref>Vgl. Dtn 24,15; Jak 5,4; dazu auch Gen 4,10.</ref> sozialmoralisch gerechtfertigt war. Diese Zustände waren durch das sozio-politische System des Liberalismus begünstigt, das ja nach seinen ökonomistischen Grundsätzen die wirtschaftliche Initiative ausschließlich der Kapitaleigentümer stärkte und sicherte, sich jedoch nicht genügend um die Rechte des arbeitenden Menschen kümmerte, entsprechend der These, die menschliche Arbeit sei lediglich ein Produktionsmittel, das Kapital hingegen sei die Grundlage, der Maßstab und der Zweck der Produktion.

Seitdem hat die Solidarität unter den arbeitenden Menschen, verbunden mit einem klareren und einsatzbereiteren Bewusstsein der Gegenseite hinsichtlich der Rechte der Arbeiter, in vielen Fällen tiefgreifende Änderungen bewirkt. Verschiedene neue Systeme sind erdacht worden. Verschiedene Formen von Neo-Kapitalismus und Kollektivismus haben sich entwickelt. Nicht selten können die Arbeiter an der Leitung und an der Produktivitätskontrolle der Unternehmen teilnehmen und machen von dieser Möglichkeit auch Gebrauch. Mit der Hilfe entsprechender Verbände nehmen sie auf die Arbeits- und Lohnbedingungen sowie auf die Sozialgesetzgebung Einfluss. Gleichzeitig jedoch ließen verschiedene ideologische Systeme oder Machtgruppierungen sowie auch neue Beziehungen auf den einzelnen Ebenen menschlichen Zusammenlebens offene Ungerechtigkeiten weiterbestehen oder haben neue geschaffen. Auf Weltebene hat die Entwicklung von Zivilisation und Kommunikation eine vollständigere Beurteilung der Lebens- und Arbeitsbedingungen des Menschen auf der ganzen Erde möglich gemacht, aber auch neue Weisen von Ungerechtigkeit ans Licht gebracht und zwar weit größeren Ausmaßes als jene, die im vorigen Jahrhundert den Zusammenschluss der arbeitenden Menschen durch eine besondere Solidarität in der Welt der Arbeit angeregt hatten. Das gilt für die Länder, die bereits einen gewissen Prozess industrieller Revolution hinter sich haben, wie auch für jene, wo die vorherrschende Arbeit weiterhin in der Bebauung der Erde oder ähnlichen Tätigkeiten besteht.

Bewegungen der Solidarität auf dem Gebiet der menschlichen Arbeit - einer Solidarität, die sich nie dem Dialog und der Zusammenarbeit mit der anderen Seite verschließen darf - können auch im Hinblick auf die Lage von sozialen Gruppen erforderlich sein, welche zunächst in diesen Bewegungen nicht vertreten waren, jedoch unter den sich wandelnden Gesellschaftssystemen und Lebensbedingungen eine tatsächliche »Proletarisierung« erfahren oder sich sogar schon in der Situation eines »Proletariates« befinden, die vielleicht noch nicht mit diesem Namen bezeichnet wird, ihn jedoch von der Sache her bereits verdient. In dieser Lage können sich manche Kategorien oder Gruppen der arbeitsabhängigen »Intelligenz« befinden, besonders dann, wenn zugleich mit einem immer breiteren Zugang zur Bildung und bei anwachsender Zahl von Personen mit abgeschlossenem Studium die Nachfrage nach ihrer Arbeit abnimmt. Diese Arbeitslosigkeit der Intellektuellen ergibt sich oder steigert sich sogar, wenn die offenstehenden Bildungswege nicht auf die von echten Erfordernissen der Gesellschaft verlangten Leistungen oder Dienste ausgerichtet sind oder wenn eine Arbeit, die eine wenigstens berufsbezogene Bildung voraussetzt, weniger gefragt oder schlechter bezahlt ist als manche manuelle Arbeit. Selbstverständlich stellt Bildung als solche immer einen Wert und eine wichtige Bereicherung der menschlichen Persönlichkeit dar; doch bleiben unabhängig von dieser Tatsache manche Prozesse der »Proletarisierung« hierbei möglich.

Man muss sich daher weiterhin die Frage nach dem Subjekt der Arbeit und nach seinen Lebensbedingungen stellen. Will man die soziale Gerechtigkeit in den verschiedenen Teilen der Welt, in den verschiedenen Ländern und in den Beziehungen zwischen ihnen verwirklichen, bedarf es immer neuer Bewegungen von Solidarität der Arbeitenden und mit den Arbeitenden. Diese Solidarität muss immer dort zur Stelle sein, wo es die soziale Herabwürdigung des Subjekts der Arbeit, die Ausbeutung der Arbeitnehmer und die wachsenden Zonen von Elend und sogar Hunger erfordern. Die Kirche setzt sich in diesem Anliegen kraftvoll ein, weil sie es als ihre Sendung und ihren Dienst, als Prüfstein ihrer Treue zu Christus betrachtet, um so wirklich die »Kirche der Armen« zu sein. Die »Armen« treten in verschiedenem Gewande auf, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten; sie treten vielfach auf als Ergebnis einer Verletzung der Würde der menschlichen Arbeit: sei es, dass die Arbeitsmöglichkeiten beschränkt sind - also wegen der Plage der Arbeitslosigkeit -, sei es, dass die Arbeit und die Rechte, die sich aus ihr ergeben, vor allem das Recht auf angemessene Entlohnung und auf die Sicherheit der Person des Arbeitnehmers und seiner Familie, entleert werden.

9. Arbeit und personale Würde

Wenn wir bei dieser Sicht des Menschen als Subjekt der Arbeit noch etwas verweilen, ist es angebracht, zumindest in großen Zügen einige Aspekte zu berühren, welche die Würde der menschlichen Arbeit näher erläutern, insofern sie eine vollständigere Kennzeichnung ihres spezifischen moralischen Wertes gestatten. Dabei muss man sich ständig die in der Bibel ausgesprochene Berufung vor Augen halten, die »Erde untertan zu machen«, <ref>Vgl. Gen 1,28. </ref> in welcher der Wille des Schöpfers zum Ausdruck kommt, dass die Arbeit es dem Menschen ermögliche, die ihm in der sichtbaren Welt zukommende »Herrschaft« zu verwirklichen.

Diese grundlegende Urabsicht Gottes für den Menschen, den er als sein Abbild schuf, ihm ähnlich, <ref>Vgl. Gen 1,26–27. </ref> wurde nicht einmal in dem Augenblick abgeändert oder ausgelöscht, da der Mensch nach dem Bruch des ersten Bundes mit Gott die Worte vernahm: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen«. <ref>Gen 3,19. </ref> Diese Worte beziehen sich auf die manchmal drückende Mühe, welche seither die menschliche Arbeit begleitet, ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass die Arbeit der Weg ist, auf dem der Mensch die ihm eigene »Herrschaft« über die sichtbare Welt verwirklicht, indem er sich die Erde »untertan macht«. Diese Mühe ist eine allgemein bekannte, weil allgemein erfahrene Realität. Das wissen die Menschen mit körperlicher Arbeit, deren Tätigkeit manchmal unter äußerst schweren Bedingungen zu verrichten ist. Das wissen nicht nur die in der Landwirtschaft Tätigen, deren langes Tagewerk dem Bebauen der Erde gilt, die ihnen manchmal »Dornen und Disteln« <ref>Hebr 6,8; Gen 3,19.</ref> trägt, sondern auch die Arbeiter in den Bergwerken und Steinbrüchen, die Arbeiter der Metallindustrie an ihren Hochöfen, die oft an Leben und Gesundheit gefährdeten Bauarbeiter. Das wissen auch die Menschen in der Werkstatt intellektueller Arbeit; das wissen die Wissenschaftler und die Menschen, auf denen die schwere Verantwortung für sozial weitreichende Entscheidungen lastet. Das wissen die Ärzte und die Krankenpfleger, die Tag und Nacht bei ihren Kranken wachen. Das wissen die Frauen, die manchmal ohne gebührende Anerkennung seitens der Gesellschaft, ja sogar der Angehörigen, tagtäglich die Mühe und die Verantwortung des Haushalts und der Kindererziehung tragen. Das wissen alle arbeitenden Menschen, und da zu arbeiten die Berufung aller ist, wissen es alle Menschen.

Dennoch ist die Arbeit mit all dieser Mühe - und in gewissem Sinne vielleicht gerade aufgrund dieser Mühe - ein Gut für den Menschen. Wenn dieses Gut das Zeichen eines »bonum arduum« - um mit dem heiligen Thomas von Aquin <ref>Vgl. Summa Th., I–II, q. 40, a. 1 c; I–II, q. 34, a. 2, ad 1. </ref> zu sprechen -, eines »schwierigen Gutes«, an sich trägt, so bleibt die Arbeit als solche doch ein Gut für den Menschen, und zwar nicht nur ein »nützliches« oder ein »angenehmes«, sondern ein »würdiges«, das heißt der Würde des Menschen entsprechendes Gut, ein Gut, das diese Würde zum Ausdruck bringt und sie vermehrt. Wenn man die ethische Bedeutung der Arbeit genauer bestimmen will, muss man in erster Linie diese Wahrheit vor Augen haben. Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen - für sein Menschsein -, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen »mehr Mensch wird«.

Ohne diese Überlegung kann man die Bedeutung der Tugend des Fleißes nicht verstehen, genauer: man kann nicht verstehen, wieso der Fleiß eine Tugend sein soll; ist doch die Tugend als moralische Haltung das, wodurch der Mensch als Mensch gut wird. <ref>Vgl. Summa Th., I–II, q. 40, a. 1 c; I–II, q. 34, a. 2, ad 1. </ref> Dieser positive Zusammenhang ändert aber nichts an unserer berechtigten Sorge, der Mensch könnte in der Arbeit, durch welche die Materie veredelt wird, an sich selbst eine Herabsetzung seiner Würde erleiden. <ref>Vgl. Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno: AAS 23 ( 1931) 221–222.</ref> Es ist ja bekannt, dass die Arbeit verschiedentlich gegen den Menschen verwendet werden kann; dass man ihn mit dem System der Zwangsarbeit in Konzentrationslagern bestrafen kann; dass man die Arbeit zu einem Mittel der Unterdrückung des Menschen machen kann; dass man schließlich in verschiedener Weise die menschliche Arbeit - das heißt den arbeitenden Menschen! - ausbeuten kann. All dies spricht für die moralische Verpflichtung, den Fleiß als Tugend mit einer sozialen Ordnung zu verbinden, die es dem Menschen erlaubt, in der Arbeit »mehr Mensch zu werden«, statt sich ihretwegen zu erniedrigen und nicht nur seine Körperkräfte zu verbrauchen (was ja wenigstens zu einem gewissen Grad unvermeidlich ist), sondern sogar seine ureigene Würde und Personalität verletzt zu sehen.

10. Arbeit und Gemeinschaft: in Familie und Nation

Nachdem so die personale Dimension der menschlichen Arbeit bekräftigt ist, müssen wir nun zu einem zweiten Bereich von Werten übergehen, der mit der Arbeit notwendigerweise verbunden ist. Die Arbeit bildet eine Grundlage für den Aufbau des Familienlebens, welches ein Recht und eine Berufung des Menschen ist. Diese beiden Wertbereiche - der eine mit der Arbeit verbunden, der andere aus dem Familiencharakter des menschlichen Lebens folgend - müssen auf rechte Art miteinander verbunden sein, auf rechte Weise einander durchdringen. Die Arbeit ist in gewisser Hinsicht Vorbedingung für die Gründung einer Familie, da diese für ihren Unterhalt Mittel braucht, die sich der Mensch normalerweise durch die Arbeit erwirbt. Arbeit und Fleiß prägen auch den gesamten Erziehungsprozess in der Familie, eben deshalb, weil jeder unter anderem durch die Arbeit »Mensch wird« und dieses Mensch-werden gerade das Hauptziel des ganzen Erziehungsprozesses ist. Augenscheinlich sind hier in gewissem Sinne zwei Aspekte der Arbeit miteinander im Spiel: der eine, welcher der Familie den Lebensunterhalt ermöglicht, und der andere, durch den sich die Ziele der Familie verwirklichen, vor allem die Erziehung. Diese beiden Aspekte der Arbeit sind jedoch miteinander verbunden und ergänzen einander in verschiedenen Punkten.

Insgesamt muss man daran erinnern und feststellen, dass die Familie einen der wichtigsten Bezugspunkte für den rechten Aufbau einer sozial-ethischen Ordnung der menschlichen Arbeit bildet. Die Lehre der Kirche hat diesem Problem immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und auch wir werden in diesem Dokument noch darauf zurückkommen müssen. Ist doch die Familie eine durch die Arbeit ermöglichte Gemeinschaft und die erste, häusliche Schule der Arbeit für jeden Menschen.

Der dritte Bereich von Werten, der in unserer gegenwärtigen Perspektive - vom Subjekt der Arbeit her - sichtbar wird, betrifft jene umfassende Gemeinschaft, welcher der Mensch aufgrund besonderer kultureller und historischer Bindungen angehört. Die Volksgemeinschaft ist - auch wenn sie noch nicht die ausgereifte Form einer Nation angenommen hat - nicht nur die große, wenn auch indirekte »Erzieherin« jedes Menschen (da jeder sich in der Familie die Gehalte und Werte zu eigen macht, die in ihrer Gesamtheit die Kultur einer bestimmten Nation ausmachen), sondern auch eine große historische und soziale Inkarnation der Arbeit aller Generationen. All das bewirkt, dass der Mensch seine tiefste menschliche Identität mit der Zugehörigkeit zu einer Nation verbindet und seine Arbeit auch als eine zusammen mit seinen Landsleuten erarbeitete Mehrung des Gemeinwohls versteht, wobei ihm auch bewusst wird, dass auf diesem Weg die Arbeit zur Mehrung der Güter der ganzen Menschheitsfamilie, aller auf Erden lebenden Menschen, dient.

Diese drei Bereiche behalten ständig ihre Bedeutung für die menschliche Arbeit in ihrer subjektiven Dimension. Und diese Dimension, die konkrete Wirklichkeit des arbeitenden Menschen also, hat Vorrang vor der objektiven. In der subjektiven Dimension vor allem verwirklicht sich jene »Herrschaft« über die Welt der Natur, zu welcher der Mensch nach den Worten der Genesis von Anfang an berufen ist. Wenn der Prozess des »Untertan-machens der Erde«, also die Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Technik, im Lauf der Geschichte und insbesondere im Lauf der letzten Jahrhunderte von einer ungeheuren Entwicklung der Produktionsmittel gekennzeichnet ist, so ist das eine vorteilhafte, positive Gegebenheit, vorausgesetzt, dass die objektive Dimension der Arbeit nicht die Oberhand über die subjektive gewinnt und so dem Menschen seine Würde und seine unveräußerlichen Rechte nimmt oder schmälert.

III. DER KONFLIKT ZWISCHEN ARBEIT UND KAPITAL IM GEGENWÄRTIGEN ABSCHNITT DER GESCHICHTE

11. Dimensionen dieses Konfliktes

Die im Vorhergehenden kurz dargelegten grundlegenden Bezüge menschlicher Arbeit stützen sich einerseits auf die ersten Seiten der Bibel und bilden andererseits in gewissem Sinne das Grundgerüst der entsprechenden kirchlichen Lehre, die sich im Lauf der Jahrhunderte und im Zusammenhang der verschiedenen geschichtlichen Erfahrungen unverändert durchgehalten hat. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, welche der Enzyklika Rerum novarum vorangegangen und gefolgt sind, gewinnen sie jedoch besondere Eindringlichkeit und lebendige Aktualität. So erscheint die Arbeit in dieser Analyse als eine große Wirklichkeit, die auf die menschenwürdige Gestaltung der uns vom Schöpfer anvertrauten Welt einen grundlegenden Einfluss ausübt; sie ist gleichzeitig eine Wirklichkeit, die mit dem Menschen - als ihrem Subjekt - und mit seinem vernünftigen Handeln eng verbunden ist.

Diese Wirklichkeit füllt normalerweise das menschliche Leben aus und prägt maßgebend seinen Wert und Sinn. Wenn auch mit Mühe und Anstrengung verbunden, bleibt die Arbeit dennoch ein Gut, so dass sich der Mensch durch die Liebe zu ihr entwickelt. Dieser durchaus positive und schöpferische, erzieherische und verdienstliche Charakter der menschlichen Arbeit muss die Grundlage der Wertungen und Entscheidungen bilden, die heute für den Bereich der Arbeit getroffen werden, und dies auch hinsichtlich der subjektiven Rechte des Menschen, wie internationale Erklärungen und auch zahlreiche Arbeitsgesetzgebungen zeigen, die entweder von den zuständigen gesetzgebenden Organen der einzelnen Länder oder von den Organisationen ausgearbeit wurden, die ihre soziale oder auch sozialwissenschaftliche Aktivität der Problematik der Arbeit widmen. Eine Organisation, die solche Initiativen auf internationaler Ebene fördert, ist das Internationale Arbeitsamt, die älteste Unterorganisation der Vereinten Nationen.

In einem späteren Teil unserer Erwägungen möchte ich genauer auf diese wichtigen Probleme eingehen und zumindest die grundlegenden Elemente der kirchlichen Lehre zu diesem Thema in Erinnerung rufen. Vorher ist es jedoch angezeigt, einen sehr wichtigen Problemkreis zu berühren, vor dessen Hintergrund sich diese Lehre in ihrer letzten Phase herausgebildet hat, in jenem Zeitabschnitt, für den das Jahr der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum gleichsam das symbolische Datum darstellt.

Bekanntlich wurde während dieses ganzen Zeitabschnittes, der übrigens noch keinesfalls beendet ist, das Problem der Arbeit zur Grundlage des großen Konfliktes, der in der Epoche der industriellen Entwicklung und Hand in Hand mit ihr zwischen der »Welt des Kapitals« und der »Welt der Arbeit« auftrat, das heißt zwischen der kleinen, aber sehr einflußreichen Gruppe der Unternehmer, der Eigentümer oder Besitzer der Produktionsmittel, und der viel zahlreicheren Menge derer, die nicht über diese Mittel verfügten, sondern am Produktionsprozess ausschließlich durch ihre Arbeit teilnahmen. Dieser Konflikt entstand dadurch, dass die Arbeiter ihre Kräfte der Gruppe der Unternehmer zur Verfügung stellten und diese, weil vom Prinzip des größten Gewinns geleitet, darum bestrebt war, für die Leistung der Arbeiter eine möglichst niedrige Entlohnung festzulegen. Dazu kamen noch andere Elemente der Ausbeutung, die mit dem Mangel an Sicherheit am Arbeitsplatz und auch an Garantien hinsichtlich der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter und ihrer Familien zu tun hatten.

Dieser Konflikt, von einigen als sozio-ökonomischer Konflikt mit Klassencharakter gedeutet, fand seinen Ausdruck im ideologischen Konflikt zwischen dem Liberalismus - als Ideologie des Kapitalismus verstanden - und dem Marxismus - als Ideologie des theoretischen Sozialismus und des Kommunismus aufgefasst -, der den Anspruch erhebt, als Wortführer der Arbeiterklasse, des Proletariats der ganzen Welt aufzutreten. Auf diese Weise wurde der reale Konflikt, der zwischen der Welt der Arbeit und der Welt des Kapitals bestand, zum programmierten Klassenkampf, der nicht nur mit ideologischen, sondern gerade und in erster Linie mit politischen Mitteln geführt wurde. Die Geschichte dieses Konflikts ist bekannt; bekannt sind auch die Forderungen der einen und der anderen Seite. Das marxistische Programm, das auf der Philosophie von Marx und Engels aufbaut, sieht im Klassenkampf den einzigen Weg zur Beseitigung der klassenbezogenen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und auch der Klassen selbst. Die Verwirklichung dieses Programms setzt an den Anfang die Kollektivierung der Produktionsmittel, damit durch die Übertragung dieser Mittel von Privatpersonen auf das Kollektiv die menschliche Arbeit vor der Ausbeutung bewahrt bleibe.

Dieses Ziel strebt der nicht nur mit ideologischen, sondern auch mit politischen Mitteln geführte Kampf an. Die Gruppierungen, die sich als politische Parteien von der marxistischen Ideologie leiten lassen, streben gemäß dem Prinzip der »Diktatur des Proletariats« und durch die Ausübung verschiedenartiger Einflüsse - einschließlich des revolutionären Druckes - nach dem Machtmonopol in den einzelnen Ländern, um dort durch die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln das kollektivistische System einzuführen. Nach den wichtigsten Ideologen und Führern dieser großen internationalen Bewegung ist es das Ziel eines solchen Aktionsprogramms, die soziale Revolution zu vollziehen und in der ganzen Welt den Sozialismus und letzten Endes das kommunistische System einzuführen.

Wenn wir diesen außerordentlich wichtigen Kreis von Problemen berühren, die keine bloße Theorie sind, sondern geradezu ein Geflecht von sozio-ökonomischen, politischen und internationalen Lebensvollzügen unserer Epoche, ist es nicht möglich, aber auch nicht notwendig, auf Einzelheiten einzugehen, da diese aufgrund der reichen Literatur wie auch der praktischen Erfahrungen bekannt sind. Man muss vielmehr von ihrem geschichtlichen Kontext auf das zugrundeliegende Problem der menschlichen Arbeit zurückgehen, dem die Erwägungen des vorliegenden Dokumentes vor allem gelten. Umgekehrt läßt sich natürlich dieses zentrale Problem - »zentral« wieder im Hinblick auf den Menschen gesagt, stellt es doch eine der grundlegenden Dimensionen seines irdischen Daseins und seiner Berufung dar - nur dann klären, wenn man dem ganzen Kontext der zeitgenössischen Wirklichkeit Rechnung trägt.

12. Der Vorrang der Arbeit

Angesichts der gegenwärtigen Wirklichkeit, in deren Struktur so viele vom Menschen verursachte Konflikte zutiefst eingefügt sind und in der die technischen Mittel - eine Frucht der menschlichen Arbeit - eine erstrangige Rolle spielen (man denke hier auch an die Möglichkeit eines weltweiten Zusammenbruchs im Falle eines Atomkrieges mit seinen fast unvorstellbaren Zerstörungskräften), muss man vor allem ein Prinzip in Erinnerung rufen, das die Kirche immer gelehrt hat: das Prinzip des Vorranges der Arbeit gegenüber dem Kapital. Dieses Prinzip betrifft direkt den Produktionsprozess, für den die Arbeit immer eine der hauptsächlichen Wirkursachen ist, während das Kapital, das ja in der Gesamtheit der Produktionsmittel besteht, bloß Instrument oder instrumentale Ursache ist. Dieses Prinzip ist eine offensichtliche Wahrheit, die sich aus der ganzen geschichtlichen Erfahrung des Menschen ergibt.

Wenn wir im ersten Kapitel der Bibel hören, dass der Mensch die Erde sich untertan machen soll, dann wissen wir, dass sich diese Worte auf alle Schätze beziehen, welche die sichtbare Welt zur Verfügung des Menschen in sich birgt. Dennoch können diese Reichtümer nur durch die Arbeit dem Menschen nutzbar gemacht werden. Mit der Arbeit ist von Anfang an auch das Problem des Eigentums verbunden. Tatsächlich verfügt der Mensch, will er die in der Natur verborgenen Schätze sich und den anderen nutzbar machen, nur über ein einziges Mittel, nämlich die Arbeit. Um aber diese Schätze durch seine Arbeit ausnützen zu können, eignet sich der Mensch kleine Teile der Naturschätze des Erdinnern, des Meeres, der Erde, des Weltraums an. Von all dem eignet er sich etwas an und macht daraus seine Werkstatt. Diese Aneignung geschieht durch Arbeit und für weitere Arbeit.

Das gleiche Prinzip läßt sich auf die nachfolgenden Phasen dieses Prozesses anwenden, dessen erste Phase stets die Beziehung des Menschen zu den Schätzen der Natur bleibt. All das Bemühen des Geistes um die Entdeckung dieser Schätze und ihrer verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten durch den Menschen und für den Menschen macht uns bewusst, dass alles, was bei der gesamten Wirtschaftsproduktion vom Menschen stammt - sowohl die Arbeit als auch die Gesamtheit der Produktionsmittel und die mit ihnen verbundene Technik, das heißt die Fähigkeit, diese Mittel bei der Arbeit einzusetzen -, die Schätze der sichtbaren Welt voraussetzt, die der Mensch vorfindet, nicht schafft. Er findet sie gewissermaßen schon fertig vor, bereit für die erkennende Entdeckung und für die richtige Verwendung im Produktionsprozess. In jeder Phase seiner Arbeit steht der Mensch vor der Tatsache, dass er zuallererst von seiten der Natur und letzten Endes von seiten des Schöpfers beschenkt wird. Am Anfang der menschlichen Arbeit steht das Geheimnis der Schöpfung. Diese bereits als Ausgangspunkt angegebene Feststellung zieht sich wie ein roter Faden durch das vorliegende Dokument und wird in dessen letztem Teil noch weiter entfaltet werden.

Die folgenden Gedanken zu diesem Problem sollen uns bestärken in der Überzeugung vom Vorrang der menschlichen Arbeit gegenüber dem, was mit der Zeit allmählich als »Kapital« bezeichnet wurde. Wenn nämlich zum Bedeutungsbereich dieses Begriffes außer den uns zur Verfügung stehenden Naturschätzen auch das Gesamt all jener Mittel gehört, durch die der Mensch sie sich zu eigen macht und seinen Erfordernissen entsprechend umwandelt, wobei er sie so in gewissem Sinne »humanisiert«, dann muss man bereits hier feststellen, dass diese Gesamtheit der Mittel das geschichtlich gewachsene Erbe menschlicher Arbeit ist. Alle Produktionsmittel, von den primitivsten bis zu den ultramodernen, sind nach und nach vom Menschen erarbeitet worden, von seiner Erfahrung und seiner Intelligenz. Auf diese Weise entstanden nicht nur die einfacheren Werkzeuge, die zur Bebauung der Erde dienen, sondern - dank des entsprechenden Fortschritts der Wissenschaft und Technik - auch die moderneren und komplizierteren: Maschinen, Fabriken, Laboratorien und Computer. So ist alles, was zur Arbeit dient, alles, was beim heutigen Stand der Technik ihr immer vollkommeneres »Werkzeug« darstellt, eine Frucht der Arbeit.

Dieses gigantische und mächtige Werkzeug - die Gesamtheit der Produktionsmittel, die in gewissem Sinne mit dem »Kapital« gleichgesetzt werden - ist Frucht der menschlichen Arbeit und trägt deren Zeichen. Wenn der Mensch, das Subjekt der Arbeit, beim heutigen Ausmaß technischen Fortschritts, sich dieser Gesamtheit moderner Instrumente, der Produktionsmittel also, bedienen will, muss er sich zuerst die Frucht der Arbeit jener Menschen geistig aneignen, die diese Instrumente erfunden, geplant, konstruiert und vervollkommnet haben und dies noch weiterhin tun. DieArbeitsfähigkeit, das heißt die Fähigkeit wirksamer Teilnahme am modernen Produktionsprozess, erfordert eine immer bessere Vorbereitung und vor allem eine entsprechende Ausbildung. Natürlich bleibt bestehen, dass jeder Mensch, der am Produktionsprozess teilnimmt - auch dann, wenn er nur eine solche Arbeit verrichtet, für die weder eine besondere Ausbildung noch spezielle Voraussetzungen erforderlich sind -, in diesem Prozess als echtes Subjekt wirksam ist, während sämtliche Instrumente, seien sie als solche auch noch so vollkommen, einzig und allein dem menschlichen Tun untergeordnete Werkzeuge sind.

Diese Wahrheit, die zum festen Bestand der kirchlichen Lehre gehört, muss im Zusammenhang mit der Frage der Arbeitsordnung und auch des gesamten sozio-ökonomischen Systems immer wieder betont werden. Man muss den Primat des Menschen im Produktionsprozess, den Primat desMenschen gegenüber den Dingen unterstreichen und herausstellen. Alles, was der Begriff »Kapital« - im engeren Sinn - umfasst, ist nur eine Summe von Dingen. Der Mensch als Subjekt der Arbeit und unabhängig von der Arbeit, die er verrichtet, der Mensch und er allein ist Person. Diese Wahrheit enthält wichtige und entscheidende Folgerungen.

13. Ökonomismus und Materialismus

Vor allem wird im Licht dieser Wahrheit ganz deutlich, dass man das Kapital nicht von der Arbeit trennen und man keineswegs die Arbeit und das Kapital in einen Gegensatz zueinander stellen kann, geschweige denn - wie später erläutert werden wird - die konkreten Menschen, die jeweils hinter diesen Begriffen stehen. Richtig, das heißt dem Wesen des Problems entsprechend, richtig, das heißt innerlich wahr und zugleich moralisch zulässig, kann eine Arbeitsordnung nur dann sein, wenn sie schon in ihren Grundlagen den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital überwindet und versucht, sich nach dem oben dargelegten Prinzip des wesenhaften und effektiven Vorranges der Arbeit aufzubauen, nach dem Prinzip des Menschen als des Subjektes der Arbeit und seiner wirksamen Teilnahme am ganzen Produktionsprozess, unabhängig von der Art der Leistungen, die der Arbeitende erbringt.

Der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital hat seinen Ursprung nicht in der Struktur des eigentlichen Produktionsprozesses und auch nicht in jener des allgemeinen Wirtschaftsprozesses. Dieser Prozess zeigt vielmehr eine gegenseitige Durchdringung von Arbeit und dem, was wir gewöhnlich als Kapital bezeichnen, zeigt deren unauflösbare Verbindung. In jeder Werkstätte, sei sie verhältnismäßig einfach oder auch ultramodern, kann sich der Mensch leicht darüber klar werden, dass er mit seiner Arbeit in ein doppeltes Erbe eintritt, in jenes, das die allen Menschen gegebenen Naturschätze bilden, und in jenes, das andere schon vor ihm aus diesen Naturschätzen erarbeitet haben vor allem durch die Entwicklung der Technik, nämlich durch die Herstellung immer vollkommenerer Arbeitsgeräte: arbeitend tritt der Mensch zugleich in die Arbeit anderer ein. <ref>Vgl. Joh 4,38.</ref> Vom Verstand und auch von unserem aus dem Wort Gottes erleuchteten Glauben her nehmen wir ohne Schwierigkeiten ein solches Bild vom Schauplatz und vom Prozess menschlicher Arbeit an. Es ist ein vollständiges, Gott und den Menschen einbeziehendes Bild. Der Mensch ist darin »Herr« der Geschöpfe, die in der sichtbaren Welt seiner Verfügung unterstellt sind. Wenn im Lauf des Arbeitsprozesses eine Abhängigkeit aufscheint, so ist es die Abhängigkeit vom Geber aller guten Gaben der Schöpfung und dazu diejenige von anderen Menschen, deren Arbeit und Initiative wir unsere bereits vervollkommneten und erweiterten Arbeitsmöglichkeiten verdanken. Von alledem, was im Produktionsprozess eine Summe von »Sachen« darstellt, von den Instrumenten und vom Kapital, können wir nur sagen, dass es die Arbeit des Menschen »bedingt«, nicht aber, dass es gleichsam ein anonymes »Subjekt« bildet, von dem der Mensch und seine Arbeit abhängig wären.

Das Zerbrechen dieses vollständigen Bildes, in dem das Prinzip des Primates der Person über die Sachen voll zur Geltung kommt, hat sich im menschlichen Denken vollzogen - manchmal nach einer langen, unterschwelligen Vorbereitung im praktischen Leben -, und zwar dergestalt, dass die Arbeit vom Kapital getrennt und beide in einen Gegensatz zueinander gestellt wurden, als ob es sich um zwei anonyme Kräfte handle, um zwei Produktionsfaktoren, beide von derselben »ökonomistischen« Betrachtungsweise nebeneinander gesetzt. Ein solcher Problemansatz enthielt den grundlegenden Irrtum, den man als Irrtum des Ökonomismus bezeichnen kann, wenn er die menschliche Arbeit ausschließlich nach ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung betrachtet. Man kann und muss diesen fundamentalen Irrtum des Denkens auch einen Irrtum des Materialismus nennen, insofern der Ökonomismus direkt oder indirekt die Überzeugung vom Primat und Vorrang des Materiellen enthält, während er das Geistige und Personhafte (das Wirken des Menschen, die moralischen Werte und ähnliches) direkt oder indirekt der materiellen Wirklichkeit unterordnet. Das ist noch nicht der theoretische Materialismus im Vollsinn des Wortes, aber sicher schon ein praktischer Materialismus, der nicht so sehr wegen seiner aus der materialistischen Theorie abgeleiteten Voraussetzungen für fähig gehalten wird, die Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen, sondern aufgrund einer bestimmten Art zu werten, also aufgrund einer gewissen auf die unmittelbare und größere Anziehungskraft des Materiellen gegründeten Rangordnung der Werte.

Das irrige Denken nach den Kategorien des Ökonomismus ging Hand in Hand mit dem Auftauchen der materialistischen Philosophie und mit ihrer Entwicklung von der mehr elementaren und allgemeinen Phase (auch Vulgärmaterialismus genannt, weil er beansprucht, die geistige Wirklichkeit zu einem überflüssigen Phänomen zu machen) zur Phase des so genannten dialektischen Materialismus. Allerdings scheint es, dass - im Rahmen der vorliegenden Erwägungen - der Ökonomismus für das grundlegende Problem der menschlichen Arbeit und insbesondere für jene Trennung und Gegenüberstellung von »Arbeit« und »Kapital« als zwei Produktionsfaktoren, die man beide nur in der oben genannten ökonomistischen Weise sehen wollte, von entscheidender Bedeutung war und gerade diesen inhumanen Problemansatz noch vor dem philosophischen System des Materialismus geprägt hat. Doch ist offensichtlich auch der Materialismus nicht in der Lage, auch nicht in seiner dialektischen Form, der Reflexion über die menschliche Arbeit hinreichende und entscheidende Grundlagen zu bieten, durch die er dem Vorrang des Menschen vor dem Instrument »Kapital«, dem Vorrang der Person vor der Sache eine angemessene und unwiderlegbare Begründung und Stütze geben könnte. Auch im dialektischen Materialismus ist der Mensch nicht in erster Linie Subjekt der Arbeit und Wirkursache des Produktionsprozesses, sondern wird in Abhängigkeit vom Materiellen gesehen und behandelt, als eine Art »Ergebnis« der die betreffende Zeit prägenden Wirtschafts- und Produktionsverhältnisse.

Selbstverständlich nimmt der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, von dem hier die Rede ist - der Gegensatz, der die Arbeit vom Kapital trennt und diesem wie ein eigenes »Ding« gegenüberstellt, als wäre sie irgendein beliebiges Element des wirtschaftlichen Prozesses -, nicht nur in der Philosophie und in den Wirtschaftstheorien des 18. Jahrhunderts seinen Anfang, sondern viel mehr noch in der gesamten wirtschaftlich-sozialen Praxis jener Zeit der beginnenden und rasch fortschreitenden Industrialisierung, bei der man vor allem die Möglichkeit einer starken Vermehrung der materiellen Reichtümer, also der Mittel, entdeckte, während man das Ziel, den Menschen, dem diese Mittel dienen müssen, aus dem Auge verlor. Gerade dieser praktische Irrtum hat vor allem die menschliche Arbeit, den arbeitenden Menschen getroffen und die ethisch gerechtfertigte Reaktion verursacht, von der bereits die Rede war. Der gleiche Irrtum, der nun bereits sein bestimmtes, mit dieser Zeit des ersten Kapitalismus und des Liberalismus verbundenes historisches Profil hat, kann sich unter anderen zeitlichen und örtlichen Umständen wiederholen, wenn man bei der Reflexion von den gleichen theoretischen und praktischen Voraussetzungen ausgeht. Eine radikale Überwindung dieses Irrtums erscheint unmöglich, solange es nicht zu angemessenen Änderungen kommt sowohl auf theoretischem wie auch auf praktischem Gebiet, Änderungen auf der Linie einer entschiedenen Überzeugung vom Primat der Person über die Sache, der menschlichen Arbeit über das Kapital als die Gesamtheit der Produktionsmittel.

14. Arbeit und Eigentum

Der hier kurz geschilderte historische Prozess, der sicher sein Anfangsstadium schon überschritten hat, aber immer noch im Gange ist und sich durch die Beziehungen zwischen den Nationen und Kontinenten sogar noch ausweitet, erfordert auch unter einem anderen Gesichtspunkt eine Klarstellung. Wenn man von einer Antinomie zwischen Arbeit und Kapital spricht, so sind damit selbstverständlich nicht nur abstrakte oder »anonyme Kräfte« gemeint, die bei der wirtschaftlichen Produktion am Werk sind. Hinter beiden Begriffen stehen Menschen, lebende, konkrete Menschen; auf der einen Seite diejenigen, welche die Arbeit verrichten, ohne Eigentümer der Produktionsmittel zu sein, auf der anderen Seite jene, welche die Rolle des Unternehmers innehaben und entweder selbst die Eigentümer dieser Mittel sind oder deren Vertreter. So ist also im Ganzen dieses schwierigen historischen Prozesses von Anfang an das Problem des Eigentums enthalten. Die Enzyklika Rerum novarum, deren Thema die soziale Frage ist, legt auch auf dieses Problem Gewicht, indem sie die Lehre der Kirche über das Eigentum, über das Recht auf Privateigentum auch hinsichtlich der Produktionsmittel in Erinnerung bringt und bestätigt. Das gleiche tat die Enzyklika Mater et magistra.

Dieses Prinzip, wie es damals betont wurde und noch heute von der Kirche gelehrt wird, unterscheidet sich radikal vom Programm des Kollektivismus, das vom Marxismus proklamiert und im Laufe der Jahrzehnte seit der Enzyklika Leos XIII. in verschiedenen Ländern der Welt verwirklicht worden ist. Es unterscheidet sich zugleich vom Programm des Kapitalismus, das vom Liberalismus und den von ihm inspirierten politischen Systemen verwirklicht wird. In diesem zweiten Fall liegt der Unterschied in der Auffassung selbst vom Recht auf Eigentum. Die christliche Tradition hat dieses Recht nie als absolut und unantastbar betrachtet. Ganz im Gegenteil, sie hat es immer im größeren Rahmen des gemeinsamen Rechtes aller auf die Nutzung der Güter der Schöpfung insgesamt gesehen: das Recht auf Privateigentum als dem gemeinsamen Recht auf Nutznießung untergeordnet, als untergeordnet der Bestimmung der Güter für alle.

Außerdem hat die Lehre der Kirche das Eigentum nie so aufgefasst, dass es zur Ursache sozialen Kontrastes in der Arbeit hätte werden können. Wie bereits erwähnt, erwirbt man Eigentum vor allem durch Arbeit und, damit es der Arbeit diene. Das gilt besonders für das Eigentum an Produktionsmitteln. Eine Auffassung, welche diese isoliert betrachtet, als einen geschlossenen Komplex von Eigentum, der dann als »Kapital« der »Arbeit« gegenüberstände oder sie gar ausbeuten sollte, steht im Gegensatz zum Wesen dieser Mittel und ihres Besitzes. Man darf sie nicht gegen die Arbeit besitzen; man darf sie auch nicht um des Besitzes willen besitzen, weil das einzige Motiv, das ihren Besitz rechtfertigt - sei es in der Form des Privateigentums, sei es in der des öffentlichen oder kollektiven Eigentums -, dies ist, der Arbeit zu dienen und dadurch die Verwirklichung des ersten Prinzips der Eigentumsordnung zu ermöglichen: die Bestimmung der Güter für alle und das gemeinsame Recht auf ihren Gebrauch. Unter diesem Gesichtspunkt also, im Hinblick auf die menschliche Arbeit und den gemeinsamen Zugang zu den Gütern, die dem Menschen zugedacht sind, ist unter den entsprechenden Bedingungen auch die Sozialisierung gewisser Produktionsmittel nicht auszuschließen. All diese Prinzipien hat die Kirche bei ihrer Unterweisung im Laufe der Jahrzehnte seit der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum immer betont, wobei sie sich auf Argumente bezog, die eine viel ältere Tradition formuliert hatte, zum Beispiel auf die bekannten Argumente der Summa Theologiae des heiligen Thomas von Aquin. <ref>Zum Recht auf Eigentum vgl.: Summa Th., II–II, q. 66, aa. 2, 6; De Regimine principum, L. I. cc. 15, 17. Zur sozialen Funktion des Eigentums vgl.: Summa Th., II–II. q. 134, a. 1. Ad 3.</ref>

Im vorliegenden Dokument, dessen Hauptthema die menschliche Arbeit ist, soll all der Nachdruck bestätigt werden, mit dem die Unterweisung der Kirche über das Eigentum den Primat der Arbeit und damit den Subjektcharakter des Menschen im sozialen Leben und vor allem in der dynamischen Struktur des gesamten Wirtschaftsprozesses bisher zu sichern suchte und dies weiterhin versucht. In dieser Hinsicht bleibt der Standpunkt des »strengen« Kapitalismus, der das ausschließliche Recht des Privateigentums an den Produktionsmitteln wie ein unantastbares »Dogma« des Wirtschaftslebens verteidigt, weiterhin unannehmbar. Der Grundsatz von der Achtung der Arbeit fordert, dass dieses Recht einer konstruktiven - theoretischen und praktischen - Revision unterzogen wird. Denn wenn es wahr ist, dass das Kapital als Gesamtheit der Produktionsmittel zugleich die Frucht der Arbeit von Generationen darstellt, so ist es ebenso wahr, dass es ununterbrochen neu entsteht durch die Arbeit mit diesen Produktionsmitteln, die einer großen Werkbank gleichen, wo Tag für Tag die gegenwärtige Generation der Arbeitenden im Einsatz ist. Es handelt sich hier selbstverständlich um die verschiedenen Arten von Arbeit, nicht nur um die so genannte Handarbeit, sondern auch um die vielgestaltige intellektuelle Arbeit von der Forschung bis zur Führung.

In diesem Licht gewinnen die zahlreichen, von den Fachleuten der katholischen Soziallehre und auch vom obersten kirchlichen Lehramt <ref>Vgl. Pius XI. Enzyklika Quadragesimo anno: AAS 23 (1931 199; II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 68: AAS 58 (1966) 1089–1090.</ref> vorgebrachten Anregungen besondere Bedeutung. Sie betreffen das Miteigentum an den Produktionsmitteln, die Mitbestimmung, die Gewinnbeteiligung, die Arbeitnehmeraktien und ähnliches. Unabhängig von der konkreten Möglichkeit, diese verschiedenen Anregungen zu verwirklichen, bleibt es offensichtlich, dass die Anerkennung der richtig verstandenen Stellung der Arbeit und des arbeitenden Menschen im Produktionsprozess verschiedene Anpassungen des Rechtswesens auf dem Gebiet des Eigentums an Produktionsmitteln erfordert. Das gilt nicht nur im Hinblick auf schon länger bestehende Verhältnisse, sondern in erster Linie für die Realität und Problemlage, die sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in der so genannten Dritten Welt herausgebildet haben mit den verschiedenen neuen, unabhängigen Ländern, die - vor allem in Afrika - an der Stelle ehemaliger Kolonialgebiete entstanden sind.

Wenn also der Standpunkt des »strengen« Kapitalismus einer ständigen Revision mit dem Ziel einer Reform unter der Rücksicht der Menschenrechte unterzogen werden muss - wobei die Menschenrechte im weitesten Sinn und im Zusammenhang mit der Arbeit zu verstehen sind -, so muss man unter dem gleichen Gesichtspunkt feststellen, dass diese vielfältigen und so sehr erwünschten Reformen nicht a priori durch eine Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln verwirklicht werden können. Denn es ist zu bedenken, dass es für eine zufriedenstellende Sozialisierung der Produktionsmittel (des Kapitals) nicht genügt, sie einfach den Händen ihrer privaten Eigentümer zu entziehen. Sie hören in diesem Fall nur auf, Eigentum einer bestimmten Gesellschaftsgruppe, der privaten Eigentümer, zu sein, um dafür Eigentum der organisierten Gesellschaft zu werden und dabei unter die Verwaltung und direkte Kontrolle einer anderen Personengruppe zu geraten, die, ohne Eigentümer der Produktionsmittel zu sein, durch ihre Machtposition in der Gesellschaft darüber auf der Ebene der gesamten nationalen oder der örtlichen Wirtschaft verfügt.

Diese führende und verantwortliche Gruppe kann ihre Aufgaben in einer vom Standpunkt des Primates der Arbeit befriedigenden Weise erfüllen; sie kann sie aber auch schlecht erfüllen, indem sie für sich das Monopol in Anspruch nimmt, die Produktionsmittel zu verwalten und über sie zu verfügen, und dabei nicht einmal vor der Verletzung fundamentaler Menschenrechte zurückschreckt. So ist also der bloße Übergang der Produktionsmittel in Staatseigentum im kollektivistischen System keineswegs schon gleichbedeutend mit einer »Sozialisierung« dieses Eigentums. Von Sozialisierung kann man nur dann sprechen, wenn der Subjektcharakter der Gesellschaft garantiert ist, das heißt wenn jeder aufgrund der eigenen Arbeit den vollen Anspruch hat, sich zugleich als Miteigentümer der großen Werkstätte zu betrachten, in der er gemeinsam mit allen anderen arbeitet. Ein Weg auf dieses Ziel hin könnte sein, die Arbeit soweit wie möglich mit dem Eigentum am Kapital zu verbinden und eine große Vielfalt mittlerer Körperschaften mit wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Zielsetzung ins Leben zu rufen: Körperschaften mit echter Autonomie gegenüber den öffentlichen Behörden, Körperschaften, die ihre spezifischen Ziele in ehrlicher Zusammenarbeit und mit Rücksicht auf die Forderungen des Gemeinwohls verfolgen und sich in Form und Wesen als lebensvolle Gemeinschaften erweisen, so dass sie ihre Mitglieder als Personen betrachten und behandeln und zu aktiver Teilnahme an ihrem Leben anregen. <ref>Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra: AAS 53 (1961) 419. </ref>

15. Der personale Gesichtspunkt

So ist also das Prinzip des Primates der Arbeit vor dem Kapital eine Forderung sozialethischer Natur. Diese Forderung nimmt sowohl in demjenigen System eine Schlüsselstellung ein, das sich auf dem Grundsatz des privaten Eigentums an Produktionsmitteln aufbaut, als auch in jenem, in dem dieses, zuweilen sogar bis an die Wurzel, eingeschränkt worden ist. Die Arbeit ist in gewisser Hinsicht untrennbar mit dem Kapital verbunden und duldet in keiner Form jene Antinomie, die sie von den Produktionsmitteln trennen und ihnen entgegenstellen will und die als Ergebnis rein wirtschaftlichen Denkens das Leben der Menschen während der letzten Jahrhunderte belastet hat. Wenn der Mensch arbeitet und sich dabei der Gesamtheit der Produktionsmittel bedient, so möchte er zugleich, dass die Früchte dieser Arbeit ihm und den anderen zugute kommen und dass er bei diesem Arbeitsprozess Mitverantwortlicher und Mitgestalter in der Werkstätte sein darf, in der er tätig ist.

Daraus ergeben sich einige spezifische Rechte der Arbeitnehmer, welche der Verpflichtung zur Arbeit entsprechen. Es wird davon in der Folge die Rede sein. Schon hier ist jedoch allgemein hervorzuheben, dass der Arbeitende nicht nur das geschuldete Entgelt für seine Arbeit erwartet, sondern auch, dass im Produktionsprozess selbst die Möglichkeit erwogen werde, dass er bei seiner Arbeit - auch bei Gemeinschaftseigentum - gleichzeitig das Bewusstsein haben könne, im eigenen Bereich zu arbeiten. Dieses Bewusstsein wird in ihm ausgelöscht bei einem System übermäßiger bürokratischer Zentralisierung, wo sich der Arbeitnehmer eher als Rädchen in einem von oben bewegten Mechanismus vorkommt und sich - aus mehr als einem Grund - eher als bloßes Produktionsmittel denn als echtes Subjekt der Arbeit fühlt, das mit Eigeninitiative begabt ist. Die Lehre der Kirche hat immer die sichere und tiefe Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die menschliche Arbeit nicht nur mit der Wirtschaft zu tun hat, sondern auch und vor allem personale Werte mitbetrifft. Die volle Achtung dieser personalen Werte gereicht gerade dem Wirtschaftssystem selbst und dem Produktionsprozess zum Vorteil. Nach dem heiligen Thomas von Aquin <ref>Vgl. Summa Th., II–II, q. 65, a. 2.</ref> ist es vor allem dieser Grund, der für das Privateigentum an den Produktionsmitteln spricht. Wenn wir auch anerkennen, dass aus bestimmten begründeten Motiven Ausnahmen vom Grundsatz des Privateigentums gemacht werden können - heutzutage sind wir sogar Zeugen der Einführung des Systems »sozialisierten« Eigentums -, so verliert dennoch der personale Gesichtspunkt weder auf grundsätzlicher noch auf praktischer Ebene seine Bedeutung. Jede Sozialisierung von Produktionsmitteln, die überlegt und fruchtbar sein will, muss diesen Gesichtspunkt berücksichtigen. Man muss alles daransetzen, dass der Mensch auch in einem solchen System das Bewusstsein behalten kann, im eigenen Bereich zu arbeiten. Sonst ergeben sich im ganzen Wirtschaftsprozess unkalkulierbare Schäden, und zwar nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern vor allem Schäden am Menschen

IV. DIE RECHTE DES ARBEITENDEN MENSCHEN

16. Im großen Zusammenhang der Menschenrechte

Wenn die Arbeit eine Pflicht im mehrfachen Sinne dieses Wortes ist, eine Verpflichtung, dann ist sie zugleich auch eine Quelle von Rechten des Arbeitnehmers. Diese Rechte müssen untersucht werden im großen Zusammenhang der Menschenrechte insgesamt, der Rechte, die sich aus der Natur des Menschen ergeben und von denen viele durch verschiedene internationale Stellen proklamiert sind und von den einzelnen Staaten für ihre Bürger immer mehr garantiert werden. Die Achtung dieses weiten Gefüges der Menschenrechte stellt die Grundbedingung für den Frieden in der Welt von heute dar: für den Frieden sowohl im Inneren der einzelnen Länder und Völker als auch auf internationaler Ebene. Das Lehramt der Kirche hat dies schon oft betont, besonders seit der Enzyklika »Pacem in terris«. In den weiteren Rahmen dieser fundamentalen Rechte der Person lassen sich die Menschenrechte, die der Arbeit entspringen, ohne Schwierigkeit einfügen. Dennoch weisen sie innerhalb dieses Rahmens einen spezifischen Charakter auf, welcher der besonderen, oben dargelegten Natur der menschlichen Arbeit entspricht, und gerade diesem Charakter gemäß müssen wir sie nun betrachten. Die Arbeit ist, wie gesagt, eine Pflicht, eine Verpflichtung des Menschen, und das im mehrfachen Sinne dieses Wortes. Der Mensch muss arbeiten, einmal weil es ihm der Schöpfer aufgetragen hat, dann wegen seiner Menschennatur, für deren Erhaltung und Entwicklung die Arbeit erforderlich ist. Der Mensch schuldet die Arbeit auch seinen Mitmenschen, insbesondere seiner Familie, aber auch der Gesellschaft, der er angehört, der Nation, deren Sohn oder Tochter er ist, der ganzen Menschheitsfamilie, deren Glied er ist: Erbe der Arbeit von Generationen und zugleich Mitgestalter der Zukunft derer, die im Ablauf der Geschichte nach ihm kommen werden. All das macht die moralische Verpflichtung zur Arbeit aus, im weiten Sinne jenes Wortes. Wenn es um die moralischen Rechte jedes Menschen hinsichtlich der Arbeit geht, welche dieser Verpflichtung entsprechen, muss man also immer das ganze, weite Bezugssystem vor Augen haben, in dem sich die Tätigkeit jedes arbeitenden Menschen abspielt.

So haben wir, wenn wir von der Verpflichtung zur Arbeit und den Rechten des Arbeitnehmers sprechen, welche dieser Verpflichtung entsprechen, vor allem die Beziehung zwischen dem direkten oder indirekten Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer im Sinn.

Die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Arbeitgeber erscheint sehr wichtig im Hinblick auf die konkrete Organisation der Arbeit wie auch auf das mögliche Entstehen gerechter oder ungerechter Beziehungen im Arbeitsbereich.

Wenn direkter Arbeitgeber jene Person oder Institution ist, mit der ein Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag unter bestimmten Bedingungen direkt abschließt, so muss man als indirekten Arbeitgeber die zahlreichen, verschiedenartigen Faktoren »hinter« dem direkten Arbeitgeber verstehen, die sowohl auf die Fassung des Arbeitsvertrages als somit auch auf das Entstehen mehr oder weniger gerechter Beziehungen im Bereich der menschlichen Arbeit einwirken.

17. »Indirekter« und »direkter« Arbeitgeber

Der Begriff des indirekten Arbeitgebers umfasst Personen wie auch Institutionen verschiedener Art; er umfasst auch kollektive Arbeitsverträge und Verhaltensprinzipien, die von diesen Personen und Institutionen festgelegt sind und das ganze sozio-ökonomische System bestimmen oder sich aus ihm ergeben. Der Begriff des indirekten Arbeitgebers bezieht sich somit auf viele verschiedene Elemente. Die Verantwortung des indirekten Arbeitgebers unterscheidet sich von der des direkten, wie schon das Wort besagt: die Verantwortung ist weniger direkt, bleibt jedoch eine echte Verantwortung; der indirekte Arbeitgeber bestimmt wesentlich den einen oder anderen Aspekt des Arbeitsverhältnisses und bedingt so das Verhalten des direkten Arbeitgebers, wenn dieser den Arbeitsvertrag und das Arbeitsverhältnis konkret festlegt. Eine solche Feststellung verfolgt nicht das Ziel, den direkten Arbeitgeber von der ihm eigenen Verantwortung zu entbinden, sondern möchte nur die Aufmerksamkeit auf das Geflecht von Bedingtheiten lenken, die sein Verhalten beeinflussen. Wenn es um die Fassung einer ethisch korrekten Arbeitspolitik geht, muss man all diese Bedingtheiten vor Augen haben. Und sie ist korrekt, wenn die objektiven Rechte des Arbeitnehmers vollauf gewahrt sind.

Der Begriff des indirekten Arbeitgebers läßt sich auf jedes einzelne Land und vor allem auf den Staat anwenden. Gerade dem Staat obliegt ja eine gerechte Arbeitspolitik. Es ist jedoch bekannt, dass im heutigen System der Weltwirtschaft zahlreiche Verbindungen zwischen den einzelnen Staaten bestehen, zum Beispiel im Bereich von Ein- und Ausfuhr, also des gegenseitigen Tausches von Wirtschaftsgütern, seien dies Rohstoffe, Halbfabrikate oder Fertigprodukte. Diese Beziehungen schaffen auch gegenseitige Abhängigkeiten, weshalb es heute schwer wäre, bei irgendeinem Staat, und sei er auch wirtschaftlich der mächtigste, von voller Selbstversorgung, von Autarkie, zu sprechen.

Ein solches System gegenseitiger Abhängigkeiten ist an sich etwas Normales; es kann aber leicht zum Anlass verschiedener Formen von Ausbeutung und Ungerechtigkeit werden und folglich die Arbeitspolitik der einzelnen Staaten und somit letzten Endes den einzelnen Arbeitnehmer, das eigentliche Subjekt der Arbeit, beeinflussen. So suchen zum Beispiel die hochindustrialisierten Länder und mehr noch jene Unternehmen, welche in hohem Maß über die industriellen Produktionsmittel bestimmen (die so genannten multinationalen oder übernationalen Unternehmen), während sie die Preise für ihre Produkte möglichst hoch festsetzen, gleichzeitig die Preise der Rohstoffe oder der Halbfabrikate möglichst niedrig zu halten, was zusammen mit anderen Ursachen zu einem immer größeren Missverhältnis zwischen den Nationaleinkommen der betroffenen Länder führt. Dieser Abstand zwischen den meisten reichen und den ärmeren Ländern verringert sich nicht und gleicht sich nicht aus, sondern wird immer noch größer, natürlich den letzteren zum Schaden. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht ohne Auswirkungen auf die lokale Arbeitspolitik und auf die Lage des arbeitenden Menschen in den wirtschaftlich benachteiligten Ländern bleiben kann. Der direkte Arbeitgeber, der in einem ähnlichen System von Bedingtheiten steht, setzt die Arbeitsbedingungen unter dem objektiven Bedarf und Anspruch der Arbeitnehmer an, vor allem dann, wenn er selbst möglichst hohe Gewinne aus dem von ihm geführten Unternehmen ziehen will (oder aus mehreren von ihm geführten Unternehmen im Fall von »sozialisiertem« Eigentum an den Produktionsmitteln).

Dieses System der Abhängigkeiten, die zum Begriff des indirekten Arbeitgebers gehören, ist, wie man leicht folgern kann, sehr ausgedehnt und kompliziert. Um es näher zu bestimmen, muss man gewissermaßen die Gesamtheit der für das wirtschaftliche Leben im Profil des betreffenden Landes und Staates entscheidenden Elemente berücksichtigen; gleichzeitig jedoch muss man noch viel weitere Verbindungen und Abhängigkeiten im Auge haben. Die Verwirklichung der Rechte des Arbeitnehmers darf aber nicht dazu verurteilt sein, nur einen Ableger von Wirtschaftssystemen darzustellen, die mehr oder weniger ausschließlich vom Gesichtspunkt des größtmöglichen Profits geleitet würden. Ganz im Gegenteil, gerade die Rücksicht auf die objektiven Rechte des Arbeitenden (jede Art von Arbeit eingeschlossen: körperliche und geistige, in Industrie und Landwirtschaft) ist es, die einen angemessenen und grundlegenden Maßstab für den Aufbau der gesamten Wirtschaft bilden muss, sowohl innerhalb von Land und Staat als auch im Gesamt der Weltwirtschaftspolitik mit den von ihr bestimmten internationalen Systemen und Beziehungen.

In dieser Richtung sollten alle dazu berufenen internationalen Organisationen ihren Einfluss geltend machen, angefangen von der Organisation der Vereinten Nationen. Das Internationale Arbeitsamt OIT und die Unterorganisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft FAO und noch andere mehr können wahrscheinlich gerade hierzu neue Beiträge anbieten. Auf der Ebene der einzelnen Staaten gibt es Ministerien, Behörden und auch verschiedene gesellschaftliche Einrichtungen zu diesem Zweck. All das macht unübersehbar, welch große Bedeutung, wie erwähnt, dem indirekten Arbeitgeber bei der Verwirklichung der vollen Achtung der Rechte des Arbeitnehmers zukommt; denn die Rechte der menschlichen Person sind in der gesamten Sozialmoral das entscheidende Element.

18. Das Problem des Arbeitsplatzes

Wenn man die Rechte der Arbeitenden gerade im Hinblick auf diesen »indirekten Arbeitgeber« bedenkt, also im Hinblick auf das Gefüge der nationalen und internationalen Stellen, die für die ganze Ausrichtung der Arbeitspolitik verantwortlich sind, muss man seine Aufmerksamkeit zuerst auf ein grundlegendes Problem richten, nämlich auf das Problem des Arbeitsplatzes, mit anderen Worten, auf das Problem einer geeigneten Beschäftigung für alle Arbeitsfähigen. Das Gegenteil einer gerechten und geordneten Situation auf diesem Gebiet ist die Arbeitslosigkeit, der Mangel an Arbeitsplätzen für Arbeitsfähige. Es kann sich dabei um eine allgemeine oder eine auf einzelne Sektoren beschränkte Arbeitslosigkeit handeln. Aufgabe der genannten Institutionen, die hier unter dem Namen des indirekten Arbeitgebers verstanden werden, ist es, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die in jedem Fall ein Übel ist und, wenn sie große Ausmaße annimmt, zu einem echten sozialen Notstand werden kann. Ein besonders schmerzliches Problem wird sie, wenn sie vor allem die Jugendlichen trifft, die nach einer entsprechenden allgemeinbildenden, technischen und beruflichen Vorbereitung keinen Arbeitsplatz finden können und ihren ehrlichen Arbeitswillen und ihre Bereitschaft, die ihnen zukommende Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gesellschaft zu übernehmen, schmerzlich frustriert sehen. Die Pflicht der Hilfeleistung für die Arbeitslosen, das heißt die Verpflichtung, den beschäftigungslosen Arbeitnehmern und ihren Familien durch die dazu nötige entsprechende Unterstützung den Lebensunterhalt zu sichern, entspringt dem Grundprinzip der für diesen Bereich gültigen sittlichen Ordnung, nämlich dem Prinzip der gemeinsamen Nutznießung der Güter oder, anders und einfacher ausgedrückt, dem Recht auf Leben und Unterhalt.

Um der Gefahr der Arbeitslosigkeit entgegenzutreten und allen einen Arbeitsplatz zu sichern, müssen die hier als »indirekte Arbeitgeber« bezeichneten Stellen für eine Gesamtplanung zugunsten jener differenzierten Werkstatt sorgen, in der sich nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das kulturelle Leben eines Landes formt; darüber hinaus müssen sie auf eine korrekte und rationelle Organisation der Arbeit in dieser Werkstatt achten. Diese Gesamtsorge obliegt letzten Endes dem Staat, darf jedoch nicht einer einseitigen Zentralisierung durch die öffentliche Hand gleichkommen . Es geht vielmehr um eine gerechte und überlegte Koordinierung, in deren Rahmen die freie Initiative der einzelnen Personen, der unabhängigen Gruppen, der örtlichen Betriebe und Unternehmen garantiert sein muss, unter Berücksichtigung dessen, was oben bereits über den subjekthaften Charakter der menschlichen Arbeit gesagt worden ist.

Die Tatsache der gegenseitigen Abhängigkeit der einzelnen Länder und Staaten und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten fordern, dass man - unter Berücksichtigung der souveränen Rechte eines jeden von ihnen auf den Gebieten der Planung und der Organisation der Arbeit im eigenen Bereich - in diesem wichtigen Sektor gleichzeitig auf der Ebene der internationalen Zusammenarbeit durch entsprechende Verträge und Vereinbarungen tätig wird. Auch hier muss das Grundanliegen solcher Verträge und Vereinbarungen immer mehr die menschliche Arbeit werden, als Grundrecht aller Menschen verstanden; die Arbeit, welche allen, die sie verrichten, analoge Rechte verleiht, so dass der Lebensstandard der Arbeitenden in den einzelnen Ländern immer weniger jene ärgerniserregenden Unterschiede aufweise, die ungerecht sind und sogar gewaltsame Reaktionen hervorrufen können. Die internationalen Organisationen haben auf diesem Gebiet enorme Aufgaben zu erfüllen. Sie müssen sich dabei von einer genauen Diagnose der vielschichtigen Situationen und ihrer naturgegebenen, geschichtlichen, politischen und sonstigen Bedingungen leiten lassen; darüber hinaus müssten sie in der Verwirklichung der gemeinsam festgelegten Aktionspläne eine größere Leistungsfähigkeit und Effiziens erlangen.

Auf diesem Wege ließe sich der Plan eines universalen und ausgeglichenen Fortschritts aller verwirklichen, wie er den Leitfaden der Enzyklika Populorum progressio Pauls VI. bildet. Dabei ist hervorzuheben, dass das entscheidende Element und gleichzeitig der beste Prüfstein eines solchen Fortschritts im Geist der Gerechtigkeit und des Friedens, wie ihn die Kirche verkündet und unaufhörlich vom Vater aller Menschen und Völker erbittet, gerade die ständige Aufwertung der menschlichen Arbeit ist, sei es unter dem Gesichtspunkt ihrer objektiven Zielsetzung, sei es im Hinblick auf die Würde des Subjekts jeder Arbeit, das der Mensch ist. Der Fortschritt, um den es sich handelt, muss sich durch den Menschen und für den Menschen vollziehen und in ihm Früchte tragen. Prüfstein dieses Fortschritts wird eine immer echtere Anerkennung der Zielsetzung der Arbeit und eine immer allgemeinere Achtung der Rechte sein, die sich aus ihr entsprechend der Würde des Menschen, der das Subjekt der Arbeit ist, ergeben.

Vernünftige Planung und angemessene Organisation der menschlichen Arbeit im Rahmen der einzelnen Länder und Staaten sollten auch die Ermittlung des rechten Verhältnisses zwischen den verschiedenen Arten von Beschäftigung erleichtern: Arbeit in der Landwirtschaft, in der Industrie und in den vielfältigen Dienstleistungsberufen, Arbeit in der Verwaltung wie auch in der Wissenschaft und Kunst, je nach den Fähigkeiten der einzelnen Menschen und für das Gemeinwohl der einzelnen Länder und der ganzen Menschheit. Der Organisation des menschlichen Lebens nach den vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten müsste ein angemessenes Unterrichts- und Erziehungssystem entsprechen; es sollte in erster Linie die Entwicklung einer reifen Menschlichkeit zum Ziel haben, dann aber auch die fachliche Befähigung, um nutzbringend einen rechten Platz in der großen und sozial differenzierten Werkstatt einnehmen zu können.

Wenn wir auf die gesamte Menschheitsfamilie rund um die Erde schauen, werden wir unvermeidlich von einer erschütternden Tatsache ungeheuren Ausmaßes schmerzlich berührt: Während einerseits beträchtliche Naturschätze ungenützt bleiben, gibt es andrerseits Scharen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten und ungezählte Massen von Hungernden, eine Tatsache, die zweifelsfrei bezeugt, dass im Inneren der einzelnen politischen Gemeinschaften wie auch in den Beziehungen zwischen ihnen auf kontinentaler und globaler Ebene hinsichtlich der Organisation der Arbeit und der Beschäftigung irgendetwas nicht funktioniert, und zwar gerade in den entscheidenden und sozial wichtigsten Punkten.

19. Lohn und besondere Sozialleistungen

Nachdem wir die wichtige Rolle beschrieben haben, welche dem Bemühen um eine Beschäftigung für alle Arbeitnehmer zukommt, um so die Achtung der unveräußerlichen Rechte des Menschen hinsichtlich seiner Arbeit zu gewährleisten, ist es angebracht, diese Rechte näher zu betrachten, die letzten Endes im Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem direkten Arbeitgeber ins Spiel kommen. Alles, was bisher zum Thema des indirekten Arbeitgebers gesagt worden ist, dient dem Zweck, eben dieses Verhältnis genauer zu bestimmen, und zwar durch das Aufzeigen jener vielfältigen Bedingungen, die es indirekt prägen. Diese Erwägung hat jedoch keinen ausschließlich beschreibenden Sinn; sie ist auch nicht ein kurzer Traktat über Wirtschaft oder Politik. Es geht darum, den deontologischen und moralischen Aspekt eines Problems deutlich zu machen. Das Schlüsselproblem der Sozialethik ist aber die Frage des gerechten Lohnes für die geleistete Arbeit. Es gibt heutzutage keine wichtigere Weise, die Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verwirklichen, als eben die Bezahlung der Arbeit. Unabhängig davon, ob diese Arbeit im System des Privateigentums an den Produktionsmitteln geleistet wird oder in einem System, wo dieses Eigentum eine Art »Sozialisierung« erfahren hat, wird das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber (vor allem direkter Art) und dem Arbeitnehmer durch den Lohn geregelt, durch das gerechte Entgelt für die geleistete Arbeit.

Es ist auch hervorzuheben, dass die Gerechtigkeit eines sozio-ökonomischen Systems und auf jeden Fall sein rechtes Funktionieren letzten Endes nach der Art und Weise einzuschätzen sind, wie in jenem System die menschliche Arbeit ihre angemessene Entlohnung findet. Hier sind wir erneut beim Grundprinzip der ganzen sozialethischen Ordnung angelangt, beim Prinzip der gemeinsamen Nutznießung der Güter. In jedem System, unabhängig von dem ihm zugrundeliegenden konkreten Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, bleibt die Bezahlung, das heißt der Lohn für die geleistete Arbeit, der konkrete Weg, der den meisten Menschen den Zugang zu jenen Gütern eröffnet, die zur gemeinsamen Nutznießung bestimmt sind, seien es die Güter der Natur, seien es die Erzeugnisse der Produktion. Zu beiden Arten hat der Arbeitende durch die Bezahlung Zugang, die er als Entlohnung für seine Arbeit erhält. Somit wird gerade die gerechte Bezahlung jeweils zum Prüfstein für die Gerechtigkeit des gesamten sozio-ökonomischen Systems und für sein rechtes Funktionieren. Es ist dies nicht der einzige Maßstab hierfür, aber ein besonders wichtiger und in gewissem Sinne der entscheidende.

Eine solche Überprüfung betrifft vor allem die Familie. Die gerechte Entlohnung für die Arbeit eines Erwachsenen, der Verantwortung für eine Familie trägt, muss dafür ausreichen, eine Familie zu gründen, angemessen zu unterhalten und für die Zukunft zu sichern. Eine solche Entlohnung kann entweder durch eine so genannte familiengerechte Bezahlung zustandekommen - das heißt durch einen dem Familienvorstand für seine Arbeit ausbezahlten Gesamtlohn, der für die Erfordernisse der Familie ausreicht, ohne dass die Gattin einem außerhäuslichen Erwerb nachgehen muss - oder durch besondere Sozialleistungen, wie Familienbeihilfen oder Zulagen für die Mutter, die sich ausschließlich der Familie widmet; diese Beihilfen müssen im Einklang mit den tatsächlichen Notwendigkeiten der Familie stehen, also der Zahl der zu versorgenden Personen entsprechen, solange diese nicht in der Lage sind, die Verantwortung für ihr Leben auf angemessene Weise in eigene Hände zu nehmen.

Die Erfahrung bestätigt, dass man sich für die soziale Aufwertung der mütterlichen Aufgaben einsetzen muss, für die Aufwertung der Mühen, die mit ihnen verbunden sind, und des Bedürfnisses der Kinder nach Pflege, Zuwendung und Herzlichkeit, damit sie sich zu verantwortungsbewussten, sittlich und religiös reifen und psychisch ausgeglichenen Persönlichkeiten entwickeln können. Es wird einer Gesellschaft zur Ehre gereichen, wenn sie es der Mutter ermöglicht, sich ohne Behinderung ihrer freien Entscheidung, ohne psychologische oder praktische Diskriminierung und ohne Benachteiligung gegenüber ihren Kolleginnen der Pflege und Erziehung ihrer Kinder je nach den verschiedenen Bedürfnissen ihres Alters zu widmen. Der notgedrungene Verzicht auf die Erfüllung dieser Aufgaben um eines außerhäuslichen Verdienstes willen ist im Hinblick auf das Wohl der Gesellschaft und der Familie unrecht, wenn er jenen vorrangigen Zielen der Mutterschaft widerspricht oder sie erschwert. <ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 67: AAS 58 (1966) 1089.</ref>

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass, allgemeiner gesprochen, der ganze Arbeitsprozess so organisiert und angepaßt werden muss, dass die Erfordernisse der Person und ihrer Lebensweise, vor allem ihres häuslichen Lebens, gebührende Beachtung finden, wobei dem Alter und Geschlecht eines jeden Rechnung zu tragen ist. Es ist eine Tatsache, dass in vielen Ländern die Frauen in fast allen Lebensbereichen tätig sind. Sie sollten aber diese Tätigkeiten ihrem eigenen Wesen gemäß verrichten können, ohne Diskriminierungen und ohne Ausschluss von Stellungen, für die sie befähigt sind, aber zugleich auch, ohne wegen ihrer familiären Wünsche oder wegen ihrer spezifischen Rolle bei der Aufgabe, an der Seite der Männer zum Wohl der Gesellschaft beizutragen, weniger geachtet zu werden. Die wahre Aufwertung der Frau erfordert eine Arbeitsordnung, die so strukturiert ist, dass sie diese Aufwertung nicht mit dem Aufgeben ihrer Eigenheit bezahlen muss und zum Schaden der Familie, wo ihr als Mutter eine unersetzliche Rolle zukommt.

Neben dem Lohn kommen hier noch verschiedene Sozialleistungen in Betracht, deren Zweck es ist, das Leben und die Gesundheit des Arbeitnehmers und seiner Familie zu sichern. Die mit der nötigen Sorge für die Gesundheit verbundenen Ausgaben, besonders bei Arbeitsunfällen, machen es notwendig, dem Arbeitnehmer einen leichteren Zugang zu ärztlicher Hilfe zu verschaffen, und zwar zu einem möglichst geringen Preis oder auch ganz unentgeltlich. Ein anderer Bereich solcher Leistungen steht im Zusammenhang mit dem Recht auf Ruhe und Erholung: es handelt sich hier vor allem um die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, die zumindest den Sonntag umfassen sollte, ferner um eine längere Erholungszeit, den so genannten Urlaub, einmal im Jahr oder eventuell mehrmals im Jahr in kürzeren Zeitabschnitten. Schließlich geht es um das Recht auf Ruhestandsgeld, auf Alterssicherung und auf Versicherung bei Arbeitsunfällen. Im Rahmen dieser hauptsächlichen Rechte gibt es ein ganzes System einzelner Rechtsansprüche, deren Beachtung zusammen mit der Entlohnung der Arbeit für ein korrektes Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber entscheidend ist. Unter diesen Einzelrechten ist immer auch der Anspruch auf solche Arbeitsräume und Produktionsprozesse zu beachten, die dem Arbeitnehmer weder gesundheitlich noch geistig-sittlich schaden.

20. Die Bedeutung der Gewerkschaften

Aus all diesen Rechtsansprüchen zusammen mit der Notwendigkeit, dass die Arbeitnehmer selbst sich für deren Gewährleistung einsetzen, ergibt sich noch ein weiteres Recht, nämlich sich zusammenzuschließen, also Verbände oder Vereinigungen zu bilden, deren Zweck es ist, die Lebensinteressen der in den verschiedenen Berufen Tätigen zu vertreten. Solche Vereinigungen werden als Gewerkschaften bezeichnet. Die Lebensinteressen der Arbeitnehmer sind bis zu einem gewissen Punkt allen gemeinsam; gleichzeitig jedoch weist jede Art von Arbeit, jeder Beruf bestimmte Eigenheiten auf, die in diesen Organisationen ihre besondere Berücksichtigung finden sollten.

Die Gewerkschaften gehen in gewissem Sinne schon auf die mittelalterlichen Zünfte zurück, insofern diese Organisationen jeweils Angehörige des gleichen Handwerks umfassten, also Menschen aufgrund der von ihnen verrichteten Arbeit zusammenschlossen. Gleichzeitig besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen solchen Korporationen und den Gewerkschaften: Die modernen Gewerkschaften sind aus dem Kampf der Arbeitnehmer, der Arbeiterschaft und vor allem der Industriearbeiter, für den Schutz ihrer legitimen Rechte gegenüber den Unternehmern und den Besitzern der Produktionsmittel entstanden. Ihre Aufgabe ist die Verteidigung der existentiellen Interessen der Arbeitnehmer in allen Bereichen, wo ihre Rechte berührt werden. Die historische Erfahrung lehrt, dass Organisationen dieser Art ein unentbehrliches Element des sozialen Lebens darstellen, vor allem in den modernen Industriegesellschaften. Das bedeutet freilich nicht, dass nur Industriearbeiter Vereinigungen dieser Art errichten könnten. Die Angehörigen aller Berufe können sich ihrer zur Sicherung der jeweiligen Rechte bedienen. Es gibt daher auch Gewerkschaften der Landwirte und der Arbeitnehmer in leitender Stellung wie auch Vereinigungen der Arbeitgeber. Alle teilen sich dann, wie gesagt, entsprechend den verschiedenen Berufszweigen noch weiter in Gruppen und Untergruppen auf.

Die katholische Soziallehre vertritt nicht die Meinung, dass die Gewerkschaften nur Ausdruck der »Klassen«-Struktur einer Gesellschaft und Teilnehmer des Klassenkampfes seien, der unvermeidlich das gesellschaftliche Leben beherrsche. Gewiß, sie nehmen teil am Kampf für die soziale Gerechtigkeit, für die berechtigten Ansprüche der Arbeitenden in den verschiedenen Berufen. Dieser »Kampf« muss jedoch als ein normaler Einsatz für ein gerechtes Gut angesehen werden: in diesem Fall für das Wohl, das den Bedürfnissen und Verdiensten der nach Berufen zusammengeschlossenen Arbeitnehmern entspricht. Es ist dies aber kein Kampf gegen andere. Wenn er bei umstrittenen Fragen auch den Charakter einer Opposition gegen andere annimmt, so geschieht das im Hinblick auf das Gut der sozialen Gerechtigkeit und nicht um des »Kampfes« willen oder um den Gegner auszuschalten. Es ist ein Kennzeichen der Arbeit, dass sie die Menschen vor allem eint; darin besteht ihre soziale Kraft: sie bildet Gemeinschaft. In dieser Gemeinschaft müssen sich letzten Endes alle irgendwie zusammenfinden, sowohl jene, die arbeiten, wie auch jene, die über die Produktionsmittel verfügen oder sie besitzen. Im Licht dieser grundlegenden Struktur jeder Arbeit - im Licht der Tatsache, dass schließlich in jedem sozialen System »Arbeit« und »Kapital« die unentbehrlichen Elemente des Produktionsprozesses sind - bleibt der arbeitsbedingte Zusammenschluss von Menschen zur Verteidigung der ihnen zukommenden Rechte ein positiver Faktor der sozialen Ordnung und Solidarität, von dem man nicht absehen kann.

Der legitime Einsatz zur Sicherung der Rechte von Arbeitnehmern derselben Berufsgruppe muss allerdings immer den Beschränkungen Rechnung tragen, welche die allgemeine Wirtschaftslage des Landes auferlegt. Die gewerkschaftlichen Forderungen dürfen nicht in Gruppen- oder Klassenegoismus ausarten, wenngleich sie im Interesse des Gemeinwohls der ganzen Gesellschaft auch auf die Verbesserung all dessen abzielen können und müssen, was im System des Eigentums an den Produktionsmitteln oder in der Art, sie einzusetzen und über sie zu verfügen, fehlerhaft ist. Das gesellschaftliche und wirtschaftlich-soziale Leben ist gewiß wie ein System »kommunizierender Röhren«, und auch jede soziale Aktivität zugunsten der Rechte einzelner Gruppen muss sich in dieses System einfügen.

In diesem Sinn gehört die Aktivität der Gewerkschaften zweifellos in das Gebiet der »Politik«, wenn sie als kluges Bemühen um das Gemeinwohl aufgefasst wird. Andererseits ist es nicht Aufgabe der Gewerkschaften, »Politik zu machen« im heute üblichen Sinne dieses Ausdrucks. Die Gewerkschaften haben nicht die Eigenschaft politischer Parteien, die um die Macht kämpfen, und sollten auch nicht den Entscheidungen der politischen Parteien unterstellt sein oder in zu enger Verbindung mit ihnen stehen. Sonst verlieren sie nämlich leicht den Kontakt mit ihrem eigentlichen Auftrag, der Sicherung der berechtigten Ansprüche der Arbeitnehmer im Rahmen des Gemeinwohls des ganzen Landes, und werden statt dessen ein Werkzeug für andere Zwecke.

Wenn vom Schutz der berechtigten Ansprüche der Arbeitnehmer je nach den verschiedenen Berufen die Rede ist, muss man natürlich immer vor Augen haben, was in jedem Beruf für den subjekthaften Charakter der Arbeit entscheidend ist, aber gleichzeitig oder sogar in erster Linie, was die dem Subjekt der Arbeit eigene Würde bedingt. Hier eröffnen sich der Tätigkeit der Gewerkschaften vielfältige Möglichkeiten, auch in ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit und bei ihrer Förderung der Selbsterziehung. Große Verdienste haben sich dabei Gewerkschaftsschulen, die so genannten Arbeiter und Volkshochschulen sowie die Programme und Kurse für Fortbildung erworben, die gerade derartige Aktivitäten entwickelt haben und dies weiterhin tun. Es ist stets zu wünschen, dass es dem Arbeitnehmer dank des Wirkens seiner Gewerkschaft gelingt, nicht nur mehr zu »haben«, sondern vor allem mehr zu »sein«, sein Menschsein also in jeder Richtung voller zu verwirklichen.

Bei ihrem Einsatz für die berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder bedienen sich die Gewerkschaften auch der Methode des Streiks, das heißt der Arbeitsniederlegung als einer Art von Ultimatum, das sich an die zuständigen Organe und vor allem an die Arbeitgeber richtet. Sie wird von der katholischen Soziallehre als eine unter den notwendigen Bedingungen und in den rechten Grenzen erlaubte Methode anerkannt. Auf dieser Grundlage müsste den Arbeitnehmern das Recht auf Streik garantiert werden, ohne dass ihre Teilnahme daran negative Folgen für sie nach sich zieht. Wenn man zugibt, dass der Streik ein erlaubtes Mittel ist, muss man jedoch gleichzeitig hervorheben, dass er in gewissem Sinn ein äußerstes Mittel bleibt. Man darf ihn nicht mißbrauchen, vor allem nicht für politisches Taktieren. Auch darf man nie außer acht lassen, dass die für das Leben und Zusammenleben der Bürger notwendigen Dienstleistungen auf jeden Fall sichergestellt werden müssen, wenn nötig, durch besondere gesetzliche Maßnahmen. Der Missbrauch des Streiks kann zu einer Lähmung des ganzen sozio-ökonomischen Lebens führen, und das widerspricht den Erfordernissen des Gemeinwohls der Gesellschaft, das auch mit der richtig verstandenen Natur der Arbeit selbst im Einklang steht.

21. Die Würde der Landarbeit

Alles, was bisher über die Würde der Arbeit, über die objektive und subjektive Dimension der Arbeit des Menschen gesagt worden ist, läßt sich direkt auf den Bereich der Landarbeit und auf die Situation des Menschen anwenden, der in harter Feldarbeit die Erde bebaut. Es handelt sich hier um einen Bereich, der einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung unseres Planeten umfasst, der nicht auf den einen oder anderen Erdteil beschränkt ist und nicht nur jene Länder betrifft, die bereits einen gewissen Grad von Entwicklung und Fortschritt erreicht haben. Die Landwirtschaft, die der Gesellschaft die für den täglichen Lebensunterhalt erforderlichen Güter bietet, ist von grundlegender Bedeutung. Die Lebensbedingungen im ländlichen Bereich und in der landwirtschaftlichen Arbeit sind nicht überall die gleichen, wie auch die soziale Stellung der Landbevölkerung in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist. All das hängt nicht nur vom Grad der Entwicklung der Agrartechnik ab, sondern ebenso und vielleicht noch mehr von der Anerkennung der berechtigten Ansprüche der Bauern und Landarbeiter und schließlich vom Bewusstseinsstand bei der gesamten sozialethischen Betrachtung der Arbeit.

Die Landarbeit unterliegt starken Belastungen, wie die ständige körperliche Anstrengung, oft bis hin zur Erschöpfung, die geringe Achtung, die ihr in der Gesellschaft entgegengebracht wird und die in den Betroffenen den Eindruck hervorruft, an den Rand des sozialen Lebens gedrängt zu sein und die hierdurch immer mehr provozierte Landflucht zu den Städten, die leider in noch entwürdigendere Lebensbedingungen führt. Dazu kommen das Fehlen einer entsprechenden Berufsausbildung und der erforderlichen Arbeitsgeräte, ein gewisser untergründiger Individualismus und auch objektiv ungerechte Situationen.

In manchen Entwicklungsländern sind Millionen von Menschen gezwungen, die Felder anderer zu bebauen, und werden dabei von den Großgrundbesitzern ausgenützt, ohne jede Hoffnung, einmal auch nur ein kleines Stück Erde ihr eigen nennen zu können. Es fehlt an Formen eines gesetzlichen Schutzes für die Person des Landarbeiters und für seine Familie im Fall von Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Lange Tagewerke harter Arbeit werden armselig bezahlt. Nutzbare Bodenflächen werden von den Besitzern brach liegengelassen. Rechtstitel für den Besitz eines kleinen Grundstückes, das der Landarbeiter seit Jahren für sich bebaute, werden übergangen oder sind schutzlos mächtigeren Personen oder Gruppen und ihrem »Hunger nach Boden« ausgesetzt. Aber auch in den wirtschaftlich entwickelten Ländern, wo wissenschaftliche Forschung, technologische Errungenschaften und politische Maßnahmen die Landwirtschaft auf ein sehr hohes Niveau gebracht haben, kann das Recht auf Arbeit verletzt werden, wenn man dem Landarbeiter die Möglichkeit verwehrt, an Entscheidungen bezüglich seiner Arbeitsleistung teilzunehmen, oder wenn ihm das Recht auf freie Vereinigung für einen berechtigten sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt verweigert wird.

Für zahlreiche solche Situationen sind also radikale Änderungen dringend notwendig, um der Landwirtschaft und den in ihr Tätigen wieder den wahren Wert zu geben, der ihnen als Grundlage einer gesunden Volkswirtschaft in der gesamten Entwicklung der Gesellschaft zukommt. Es gilt also, die Würde der Arbeit zu proklamieren und zu fördern - jeder Arbeit und besonders der Landarbeit, durch die sich der Mensch die von Gott als Geschenk empfangene Erde auf so anschauliche Weise »untertan macht« und seine »Herrschaft« über die sichtbare Welt ausübt.

22. Der behinderte Mensch und die Arbeit

Erst kürzlich haben die nationalen Gemeinschaften und die internationalen Organisationen ihre Aufmerksamkeit einem anderen mit der Arbeit in Verbindung stehenden und sehr einschneidenden Problem zugewandt: dem der Behinderten. Auch sie sind personales Subjekt mit vollem Menschsein, mit entsprechenden vorgegebenen, heiligen und unverletzlichen Rechten, die gerade angesichts der dem Körper und seinen Fähigkeiten auferlegten Behinderungen und Leiden die Würde und Größe des Menschen besonders sichtbar machen. Da der Behinderte ein personales Subjekt mit all seinen Rechten ist, muss ihm die Teilnahme am Leben der Gesellschaft in allen Dimensionen und auf allen Ebenen, die seinen Fähigkeiten zugänglich sind, ermöglicht werden. Der Behinderte ist einer von uns und teilt voll und ganz unsere Menschennatur. Es wäre des Menschen von Grund auf unwürdig und eine Verleugnung der gemeinsamen Menschennatur, wenn man zum Leben der Gesellschaft und so auch zur Arbeit nur voll Leistungsfähige zuließe, weil man damit in eine schwere Form von Diskriminierung verfiele, nämlich in die Aufteilung von Starken und Gesunden auf der einen und den Schwachen und Kranken auf der anderen Seite. Die Arbeit im objektiven Sinne muss auch hier der Würde des Menschen untergeordnet werden, dem Subjekt der Arbeit und nicht dem wirtschaftlichen Vorteil.

Es obliegt daher den verschiedenen mit Arbeitsfragen befassten Stellen - dem direkten wie dem indirekten Arbeitgeber -, mit geeigneten und wirksamen Maßnahmen das Recht des Behinderten auf berufliche Ausbildung und auf Arbeit zu fördern, damit er in eine fruchtbare Tätigkeit eingegliedert werden kann, für die er befähigt ist. Hier stehen wir vor vielen praktischen, rechtlichen und auch wirtschaftlichen Problemen; es ist jedoch Aufgabe der Gemeinschaft, also der öffentlichen Stellen, der Vereinigungen und Gruppen der mittleren Ebene, der Unternehmen und der Behinderten selbst, gemeinsam ihre Ideen und Kräfte in den Dienst dieses unverrückbaren Zieles zu stellen: den Behinderten eine ihren Möglichkeiten entsprechende Arbeit anzubieten ; denn das erfordert ihre Würde als Menschen und Subjekte der Arbeit. Jede Gemeinschaft wird in der Lage sein, sich Strukturen zu geben, in denen Arbeitsplätze für Behinderte ausfindig gemacht oder geschaffen werden können, sei es in den normalen öffentlichen oder privaten Unternehmen, indem gewöhnliche oder besonders geeignete Arbeitsplätze angeboten werden, sei es in so genannten »beschützten« Unternehmen oder Werkstätten. Wie bei allen anderen Arbeitnehmern muss auch bei den Behinderten den körperlichen und psychischen Arbeitsbedingungen, der gerechten Entlohnung, den Aufstiegsmöglichkeiten und der Beseitigung verschiedener Hemmnisse große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ohne die Augen davor zu verschließen, dass es sich hierbei um eine vielschichtige und schwierige Aufgabe handelt, kann man doch wünschen, dass eine richtige Auffassung von der Arbeit in ihrer subjektiven Bedeutung zu einer solchen Situation führe, in der es dem Behinderten möglich wird, sich nicht am Rande der Arbeitswelt und in Abhängigkeit von der Gesellschaft zu fühlen, sondern als vollwertiges Subjekt der Arbeit, nützlich für das Ganze, um seiner Menschenwürde willen geachtet und berufen, zum Fortschritt und Wohl seiner Familie und der Volksgemeinschaft nach seinen Fähigkeiten beizutragen.

23. Die Arbeit und das Problem der Emigration

Schließlich sind zumindest einige wenige Worte zum Thema der so genannten Arbeitsemigration zu sagen. Sie ist eine schon von früher her bekannte Erscheinung, die sich jedoch ständig aufs neue abspielt und auch heute wieder beträchtliche Ausmaße annimmt durch die Komplikationen des modernen Lebens. Der Mensch hat das Recht, seine Heimat aus verschiedenen Gründen zu verlassen - wie auch dorthin zurückzukehren - und in einem anderen Land bessere Lebensbedingungen zu suchen. Dies bringt zweifellos Schwierigkeiten verschiedener Art mit sich; vor allem stellt es im allgemeinen einen Verlust für das Land dar, aus dem man auswandert. Es verliert einen Menschen, ein Mitglied der großen Gemeinschaft, die durch Geschichte, Tradition und Kultur zusammengehalten wird; dieses Mitglied beginnt ein Leben inmitten einer anderen Gesellschaft, welche durch eine andere Kultur und meist auch durch eine andere Sprache geeint ist. Es geht somit ein arbeitender Mensch verloren, der mit den Leistungen seines Verstandes oder seiner Hände zur Steigerung des Gemeinwohls im eigenen Lande hätte beitragen können; nun kommen dieser Beitrag und diese Leistung einem anderen Land zugute, das in einem gewissen Sinne geringeres Recht darauf hat als das Heimatland.

Gleichwohl ist die Emigration, wenn auch in mancher Hinsicht ein Übel, so doch unter bestimmten Umständen ein, wie man sagt, notwendiges Übel. Man muss darum alles daransetzen - und sicher geschieht bereits vieles zu diesem Zweck -, dass dieses objektive Übel nicht größere Schäden in moralischer Hinsicht mit sich bringt, ja dass es sogar so weit wie möglich zu einem Vorteil für das persönliche, familiäre und soziale Leben der Emigranten werde, und dies im Hinblick auf das Gastland wie auch auf das Herkunftsland. In diesem Bereich hängt sehr viel von einer gerechten Gesetzgebung ab, besonders wenn es um die Rechte des arbeitenden Menschen geht. Ein solches Problem gehört darum selbstverständlich in den Rahmen der vorliegenden Erwägungen, gerade wenn man es vom angegebenen Standpunkt aus betrachtet.

Das Wichtigste ist, dass der Mensch, der als ständiger Emigrant oder auch als Saisonarbeiter außerhalb seines Heimatlandes arbeitet, im Bereich der Arbeitnehmerrechte gegenüber den anderen Arbeitern aus dem Gastland selbst nicht benachteiligt wird. Die Arbeitsemigration darf in keiner Weise eine Gelegenheit zu finanzieller oder sozialer Ausbeutung werden. Hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses müssen für den eingewanderten Arbeitnehmer die gleichen Kriterien gelten wie für jeden anderen Arbeitnehmer des betreffenden Landes. Der Wert der Arbeit muss mit dem gleichen Maßstab gemessen werden und nicht nach der verschiedenen Nationalität, Religion oder Rasse. Erst recht darf die Notlage, in der ein Emigrant sich befindet, nicht ausgenützt werden. Alle diese Umstände müssen - natürlich unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten - vor dem fundamentalen Wert der Arbeit zurückstehen, der mit der Würde der menschlichen Person verbunden ist. Das grundlegende Prinzip sei hier nochmals wiederholt: Die Rangordnung der Werte und der tiefere Sinn der Arbeit fordern, dass das Kapital der Arbeit diene und nicht die Arbeit dem Kapital.

V. ELEMENTE FÜR EINE SPIRITUALITÄT DER ARBEIT

24. Eine besondere Aufgabe der Kirche

Der letzte Teil der vorliegenden Erwägungen zum Thema der menschlichen Arbeit aus Anlass des 90. Jahrestages der Enzyklika Rerum novarum sei der Spiritualität der Arbeit im christlichen Sinne dieses Ausdrucks gewidmet. Da die Arbeit in ihrer subjektiven Dimension immer ein personales Tun ist - actus personae -, ist folglich an ihr der ganze Mensch beteiligt, Körper und Geist, unabhängig davon, ob es sich um körperliche oder um geistige Arbeit handelt. Dem ganzen Menschen gilt auch die Frohbotschaft des Evangeliums, in der wir viele Aussagen finden, die ein besonderes Licht auf die menschliche Arbeit werfen. Solche Aussagen erfordern aber eine entsprechende Aneignung; sie verlangen ein inneres Bemühen des menschlichen Geistes unter der Leitung von Glaube, Hoffnung und Liebe, wenn sie der Arbeit des konkreten Menschen jene Bedeutung geben sollen, die sie in den Augen Gottes hat und durch die sie zum Heilsgeschehen gehört, unbeschadet ihrer weltlichen Struktur und Verflechtung, die ihre besondere Bedeutung behalten.

Wenn es die Kirche als ihre Pflicht erachtet, sich zur Arbeit unter dem Gesichtspunkt ihres menschlichen Wertes und der moralischen Ordnung, zu der sie gehört, zu äußern, und auch darin eine wichtige Aufgabe im Rahmen ihres Dienstes an der gesamten Frohbotschaft sieht, so erblickt sie gleichzeitig eine besondere Verpflichtung in der Herausbildung einer Spiritualität der Arbeit, deren Sinn es ist, allen Menschen zu helfen, durch die Arbeit Gott, dem Schöpfer und Erlöser, näherzukommen, an seinem Heilsplan für Mensch und Welt mitzuwirken und in ihrem Leben die Freundschaft mit Christus zu vertiefen und durch den Glauben lebendig teilzunehmen an seiner dreifachen Mission als Priester, Prophet und König, wie es das II. Vatikanische Konzil in herrlichen Wendungen beschreibt.

25. Die Arbeit als Teilnahme am Werk des Schöpfers

»Eins steht für die Glaubenden fest«, so das II. Vatikanische Konzil, »das persönliche und gemeinsame menschliche Schaffen, dieses gewaltige Bemühen der Menschen im Ablauf der Jahrhunderte, ihre Lebensbedingungen auf einen stets besseren Stand zu bringen, entspricht an und für sich der Absicht Gottes. Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen und die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu regieren. Er soll ferner durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die gesamte Wirklichkeit in Beziehung zu Gott bringen, so dass, nachdem alle Dinge dem Menschen unterworfen sind, Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde«. <ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 34: AAS 58 (1966) 1052 f.</ref>

Im Wort der göttlichen Offenbarung ist diese fundamentale Wahrheit zutiefst eingeprägt, dass der Mensch, als Abbild Gottes geschaffen, durch seine Arbeit am Werk des Schöpfers teilnimmt und es im Rahmen seiner menschlichen Möglichkeiten in gewissem Sinne weiterentwickelt und vollendet, indem er unaufhörlich voranschreitet in der Entdeckung der Schätze und Werte, welche die gesamte Schöpfung in sich birgt. Dieser Wahrheit begegnen wir schon am Anfang der Heiligen Schrift, im Buch Genesis, wo das Schöpfungswerk selbst in Form einer »Arbeit« dargestellt wird, die Gott im Verlauf von »sechs Tagen« <ref>Vgl. Gen 2,2; Es 20,8.11; Dtn 5,12–14. </ref> verrichtet, um am siebten Tag zu »ruhen«. <ref>Vgl. Gen 2,3. </ref> Und noch im letzten Buch der Heiligen Schrift klingt die gleiche Ehrfurcht vor dem Werk an, das Gott durch seine schöpferische »Arbeit« vollbracht hat, wenn es dort heißt: »Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr, Gott und Herrscher über die ganze Schöpfung« <ref>Offb 15,3. </ref> - die gleiche Ehrfurcht, die im Buch Genesis zum Ausdruck kommt, wenn es die Beschreibung der einzelnen Schöpfungstage mit der Feststellung beschließt: »Gott sah, dass es gut war«. <ref>Vgl. Gen 1,4.10.12.18.21.15.31.</ref>

Diese Beschreibung des Schöpfungswerkes, die wir bereits im ersten Kapitel des Buches Genesis finden, ist zugleich in einem gewissen Sinne das erste »Evangelium der Arbeit«; zeigt sie doch auf, worin deren Würde besteht: sie lehrt, dass der Mensch durch seine Arbeit Gott, seinen Schöpfer, nachahmen soll, da er - und nur er allein - mit dem Privileg der Ebenbildlichkeit ausgestattet ist. Der Mensch soll Gott nachahmen sowohl in der Arbeit als auch in der Ruhe, da Gott selbst ihm sein eigenes schöpferisches Tun in der Form der Arbeit und der Ruhe vor Augen führen wollte. Dieses Wirken Gottes in der Welt setzt sich unaufhörlich fort, wie es die Worte Christi bezeugen: »Mein Vater ist noch immer am Werk...«. <ref>Joh 5,17. </ref> Er wirkt mit schöpferischer Kraft, indem er die Welt im Sein erhält, die er aus dem Nichts ins Sein gerufen hat; er wirkt mit heilbringender Kraft in den Herzen der Menschen, die er seit Anbeginn zur »Ruhe« <ref>Vgl. Hebr 4,1.9–10. </ref> bestimmt hat, bei ihm selbst, »im Haus des Vaters«. <ref>Vgl. Joh 14,2. </ref> Daher erfordert die menschliche Arbeit auch die Ruhe - an jedem »siebten Tag«. <ref>Vgl. Dtn 5,12–14; Ex 20,8–11. </ref> Vor allem aber darf sie nicht bloß im äußerlichen Einsatz der menschlichen Kräfte bestehen; sie muss im Inneren des Menschen einen Freiraum lassen, wo der Mensch immer mehr das wird, was er dem Willen Gottes entsprechend sein soll, und sich so auf jene »Ruhe« vorbereitet,die der Herr seinen Dienern und Freunden bereithält. <ref>Vgl. Mt 25,21. </ref>

Das Bewusstsein von der menschlichen Arbeit als einer Teilnahme am Wirken Gottes muss - wie das Konzil lehrt - auch »das gewöhnliche, alltägliche Tun (durchdringen); denn Männer und Frauen, die beim Erwerb des Lebensunterhalts für sich und ihre Familie ihre Tätigkeiten so ausüben, dass sie ein sinnvoller Dienst für die Gesellschaft sind, dürfen mit Recht überzeugt sein, dass sie durch ihre Arbeit das Werk des Schöpfers weiterentwickeln, dass sie dem Wohl ihrer Brüder dienen und durch ihr persönliches Bemühen zur geschichtlichen Erfüllung des göttlichen Plans beitragen«. <ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 34: AAS 58 (1966) 1052 f.</ref>

Es ist darum erforderlich, dass diese christliche Spiritualität der Arbeit zum gemeinsamen Besitz aller wird. Vor allem heute muss aber die Spiritualität der Arbeit von jener Reife geprägt sein, welche die Spannungen und die Unruhe der Geister und Herzen verlangen: »Den Christen liegt es deshalb fern zu glauben, dass die von des Menschen Geist und Kraft geschaffenen Werke einen Gegensatz zu Gottes Macht bilden oder dass dieses mit Vernunft begabte Geschöpf sozusagen als Rivale dem Schöpfer gegenübertrete. Im Gegenteil, sie sind überzeugt, dass die Siege der Menschheit ein Zeichen der Größe Gottes und die Frucht seines unergründlichen Ratschlusses sind. Je mehr aber die Macht des Menschen wächst, desto mehr weitet sich die Verantwortung der einzelnen wie der Gemeinschaften aus. Daraus wird klar, dass die Menschen durch die christliche Botschaft nicht vom Aufbau der Welt abgehalten noch zur Vernachlässigung des Wohls ihrer Mitmenschen veranlaßt, sondern vielmehr strenger zur Bewältigung dieser Aufgaben verpflichtet werden«. <ref>Ebenda. </ref>

Das Bewusstsein des Menschen, durch die Arbeit am Schöpfungswerk teilzunehmen, bildet für ihn den tiefsten Beweggrund, sie in den verschiedenen Bereichen auf sich zu nehmen: »Die Gläubigen müssen also«, so lesen wir in der Konstitution Lumen gentium, »die innerste Natur der ganzen Schöpfung, ihren Wert und ihre Hinordnung auf das Lob Gottes anerkennen. Sie müssen auch durch das weltliche Wirken sich gegenseitig zu einem heiligeren Leben verhelfen. So soll die Welt vom Geist Christi erfüllt werden und in Gerechtigkeit, Liebe und Frieden ihr Ziel wirksamer erreichen... Sie sollen also durch ihre Zuständigkeit in den profanen Bereichen und durch ihre innerlich von der Gnade Christi erhöhte Tätigkeit einen gültigen Beitrag leisten, dass die geschaffenen Güter gemäß der Ordnung des Schöpfers und im Lichte seines Wortes durch menschliche Arbeit, Technik, Zivilisation und Kultur... entwickelt... werden«. <ref>II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 36: AAS 57 (1965) 41. </ref>

26. Christus, ein Mann der Arbeit

Die Wahrheit, dass der Mensch durch die Arbeit am Wirken Gottes, seines Schöpfers, teilnimmt, hat besonders eindringlich Jesus Christus ins Licht gerückt - Jesus, über den viele seiner ersten Zuhörer in Nazaret staunten und sagten: »Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist?... Ist das nicht der Zimmermann?«. <ref>Mk 6,2–3</ref> Das ihm anvertraute »Evangelium«, das Wort der ewigen Weisheit, hat Jesus nicht nur verkündet, sondern vor allem durch sein Werk vollbracht. Daher war dieses Evangelium auch ein »Evangelium der Arbeit«, weil der, der es verkündete, selbst ein Mann der Arbeit war, der handwerklichen Arbeit, wie Josef von Nazaret. <ref>Vgl. Mt 13,55. </ref> Wenn wir auch in seinen Worten keine besondere Ermahnung zur Arbeit finden, sondern einmal sogar ein Verbot übertriebener Sorge um Arbeit und Unterhalt, <ref>Vgl. Mt 6,25–34.</ref> so ist doch die Sprache des Lebens Christi selbst eindeutig: Er gehört zur »Welt der Arbeit«, anerkennt und achtet die menschliche Arbeit. Man kann sogar sagen: Er schaut mit Liebe auf die Arbeit und ihre verschiedenen Formen, deren jede ihm ein besonderer Zug in der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott, dem Schöpfer und Vater, ist. Hat er nicht gesagt: »... mein Vater ist ein Winzer«, <ref>Joh 15, 1. </ref> hat er nicht auf verschiedene Weise jene grundlegende Wahrheit über die Arbeit in seine Lehre übernommen, die schon in der ganzen Tradition des Alten Testamentes, vom Buch Genesis an, zum Ausdruck kommt?

In den Büchern des Alten Testaments fehlt es nicht an zahlreichen Hinweisen auf die menschliche Arbeit, auf die verschiedenen Berufe des Menschen: so auf den Arzt, <ref>Vgl. Sir 38, 1–3. </ref> den Apotheker, <ref>Vgl. Sir 38, 4–8. </ref> den Kunsthandwerker, <ref>Vgl. Ex 31, 1–5; Sir 38, 27. </ref> den Schmied <ref>Vgl. Gen 4,22; Jes 44, 12. </ref> - man könnte diese Worte auf die Tätigkeit des Metallarbeiters von heute beziehen -, auf den Töpfer, <ref>Vgl. Jer 18, 3–4; Sir 38, 29–30. </ref> den Landwirt, <ref>Vgl. Gen 9, 20; Jes 5, 1–2. </ref> den Gelehrten, <ref>Vgl. Koh 12, 9–12; Sir 39, 1–8. </ref> den Seefahrer, <ref>Vgl. Ps 107 (108), 23–30; Weish 14,2–3 a. </ref> den Bauarbeiter, <ref>Vgl. Gen 11, 3; 2 Kön 12,12–13; 22, 5–6. </ref> den Musiker, <ref>Vgl. Gen 4,21. </ref> den Hirten, <ref>Vgl.Gen4,2;37,2;Ex3,1;1Sam16,11; u.a. </ref> den Fischer. <ref>Vgl. Ez 47, 10. </ref> Bekannt sind die schönen Worte über die Arbeit der Frauen. <ref>Vgl. Spr 31, 15–27. </ref> Jesus Christus bezieht sich in seinen Gleichnissen über das Reich Gottes ständig auf die menschliche Arbeit: auf die des Hirten, <ref>z. B. Joh 10, 1–16. </ref> des Landwirts, <ref>Vgl. Mk 12, 1–12. </ref> des Arztes, <ref>Vgl. Lk 4, 23. </ref> des Sämanns, <ref>Vgl. Mk 4, 1–9. </ref> des Hausherrn, <ref>Vgl. Mk 13, 52. </ref> des Dieners, <ref>Vgl. MI 24, 45; Lk 12,42–48. </ref> des Verwalters, <ref>Vgl. Lk 16. 1–8. </ref> des Fischers, <ref>Vgl. MI 13, 47–50. </ref> des Händlers, <ref>Vgl. MI 13, 45–46. </ref> des Landarbeiters. <ref>Vgl. MI 20, 1–16. </ref> Er spricht auch von den verschiedenen Arbeiten der Frauen. <ref>Vgl. MI 13, 33; Lk 15, 8–9.</ref> Er vergleicht das Apostolat mit der körperlichen Arbeit der Ernte <ref>Vgl. Mt 9,37; loh 4,35–38. </ref> oder des Fischfangs. <ref>Vgl. Mt 4. 19. </ref> Auch auf die Arbeit der Gelehrten bezieht er sich. <ref>Vgl. Mt 13, 52. </ref>

Diese Lehre Christi über die Arbeit, deren Grundlage das Beispiel seines eigenen Lebens während der Jahre in Nazaret ist, findet in der Lehre des Apostels Paulus ein besonders lebendiges Echo. Paulus rühmte sich seiner Berufsarbeit - wahrscheinlich war er Zeltmacher <ref>Vgl. Apg 18,3.</ref> -, und dank dieser Tätigkeit konnte er sich auch als Apostel sein Brot selbst verdienen. <ref>Vgl. Apg 20, 34–35. </ref> »Wir haben uns gemüht und geplagt, Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen«. <ref>2 Thess 3, 8. Paulus erkennt jedoch das Recht der Glaubensboten auf Unterhalt an: 1 Kor9, 6–14; Ga16, 6; 2 Thess 3,9; vgl. Lk 10, 7. </ref> Dies ist die Quelle seiner Anweisungen zum Thema der Arbeit; sie haben ermahnenden und fordernden Charakter: »Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbstverdientes Brot zu essen«, schreibt er an die Thessalonicher. <ref>2 Thess 3, 12. </ref> Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass einige von ihnen »ein unordentliches Leben führen..., nur nicht arbeiten«, <ref>2 Thess 3, 11. </ref> sagt der Apostel auch ohne Bedenken: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen«. <ref>2 Thess 3, 10. </ref> An einer anderen Stelle macht er Mut: »Tut eure Arbeit gern, als wäre sie für den Herrn und nicht für Menschen; ihr wißt, dass ihr vom Herrn euer Erbe als Lohn empfangen werdet«. <ref>Kol 3, 23–24. </ref>

Wie man sieht, nehmen die Weisungen des Völkerapostels für die Moral und Spiritualität der menschlichen Arbeit eine Schlüsselstellung ein. Sie sind eine wichtige Ergänzung dieses großen, wenn auch diskreten Evangeliums der Arbeit, das wir in Christi Leben und Gleichnissen finden, in dem, »was Jesus getan und gelehrt hat«. <ref>Apg 1, 1.</ref>

Erleuchtet von dieser Urquelle, hat die Kirche immer verkündet, was seinen modernen Ausdruck in der Weisung des II. Vatikanischen Konzils gefunden hat: »So wie das menschliche Schaffen aus dem Menschen hervorgeht, so ist es auch auf den Menschen hingeordnet. Wenn nämlich der Mensch wirkt, formt er nicht nur die Dinge und die Gesellschaft um, sondern vollendet auch sich selbst. Er lernt vieles, entwickelt seine Fähigkeiten, überschreitet sich selbst und wächst über sich hinaus. Solches Wachstum ist, richtig verstanden, mehr wert als äußerer Reichtum, der angesammelt werden kann... Richtschnur für das menschliche Schaffen ist daher, dass es gemäß dem Plan und Willen Gottes mit dem echten Wohl der Menschheit übereinstimme und dem Menschen als Einzelwesen und als Glied der Gesellschaft die Entfaltung und Erfüllung seiner vollen Berufung gestatte«. <ref>Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium er spes, 35: AAS 58 (1966) 1053.</ref>

Im Licht einer solchen Auffassung von den Werten menschlicher Arbeit, einer solchen Spiritualität der Arbeit, erklärt sich vollauf das, was wir an der gleichen Stelle der Pastoralkonstitution des Konzils zum Thema der rechten Bedeutung des Fortschritts lesen: »Der Mensch ist mehr wert durch das, was er ist, als durch das, was er hat. Ebenso hat alles, was die Menschen zur Erreichung einer größeren Gerechtigkeit, einer umfassenderen Brüderlichkeit und einer humaneren Ordnung der sozialen Beziehungen tun, größeren Wert als technische Fortschritte. Diese Fortschritte können zwar gleichsam das Material für den menschlichen Aufstieg bieten, doch den Aufstieg selbst werden sie durch sich allein keineswegs zustandebringen«. <ref>Ebenda.</ref>

Diese Lehraussage zum Problem des Fortschritts und der Entwicklung - ein im modernen Denken so beherrschendes Thema - kann nur als Frucht einer erprobten Spiritualität der menschlichen Arbeit verstanden werden, und nur auf der Grundlage einer solchen Spiritualität kann sie verwirklicht und in konkrete Praxis umgesetzt werden. Das also ist die Lehre und das Programm, die aus dem »Evangelium der Arbeit« erwachsen.

27. Die menschliche Arbeit im Licht von Christi Kreuz und Auferstehung

Noch ein Aspekt der menschlichen Arbeit, eine ihrer wesentlichen Dimensionen, wird von der Spiritualität aus dem Evangelium tief durchdrungen. Jede Arbeit - ob körperlich oder geistig - ist unvermeidlich mit Mühen verbunden. Das Buch Genesis bringt dies in wirklich eindringlicher Weise zum Ausdruck, indem es der ursprünglichen Segnung der Arbeit, die im Schöpfungsgeheimnis enthalten und mit der Erhöhung des Menschen zum Abbild Gottes verbunden ist, den Fluch entgegenstellt, den die Sünde mit sich gebracht hat: »So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens«. <ref>Gen 3. 17. </ref> Diese mit der Arbeit verbundene Mühsal kennzeichnet den Weg des menschlichen Lebens auf Erden und stellt eine Ankündigung des Todes dar: »Mit Schweiß im Gesicht wirst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden. Von ihm bist du ja genommen«. <ref>Gen 3, 19. </ref> Fast wie ein Echo auf diese Worte klingen jene aus den Weisheitsbüchern: »Dann dachte ich nach über alle meine Werke, die meine Hände vollbracht, und über die Mühe, mit der ich mich plagte, um sie zu vollbringen«. <ref>Koh 2, 11. </ref> Es gibt wohl keinen Menschen auf Erden, der nicht in diesen Worten sich selbst erkennen könnte.

Das Evangelium spricht gewissermaßen sein letztes Wort auch zu dieser Frage im Paschageheimnis Jesu Christi aus. Dort muss man die Antwort auf diese für die Spiritualität der menschlichen Arbeit so gewichtigen Probleme suchen. Das Paschageheimnis umschließt das Kreuz Christi, seinen Gehorsam bis zum Tod, den der Apostel jenem Ungehorsam entgegenstellt, der seit Anbeginn über der Geschichte des Menschen auf Erden lastete. <ref>Vgl. Röm 5, 19. </ref> Dieses Geheimnis umfasst auch die Erhöhung Christi, der durch den Kreuzestod hindurch mit der Kraft des Heiligen Geistes in der Auferstehung zu seinen Jüngern zurückkehrt.

Schweiß und Mühsal, welche die Arbeit in der gegenwärtigen Heilssituation der Menschheit notwendigerweise mit sich bringt, bieten dem Christen und jedem Menschen, der zur Nachfolge Christi berufen ist, die Möglichkeit zur liebenden Teilnahme an jenem Werk, für das Christus gekommen ist. <ref>Vgl. Joh 17, 4. </ref> Dieses Heilswerk wurde durch Leid und Kreuzestod vollzogen. Indem der Mensch die Mühsal der Arbeit in Einheit mit dem für uns gekreuzigten Herrn erträgt, wirkt er mit dem Gottessohn an der Erlösung der Menschheit auf seine Weise mit. Er erweist sich als wahrer Jünger Christi, wenn auch er Tag für Tag bei der ihm aufgegebenen Tätigkeit sein Kreuz auf sich nimmt. <ref>Vgl. Lk 9, 23.</ref>

Christus erduldete »für uns alle, die wir Sünder sind, ... den Tod, und belehrt uns so durch sein Beispiel, dass auch das Kreuz getragen werden muss, das Fleisch und Welt denen auf die Schultern legen, die Frieden und Gerechtigkeit suchen«. Zugleich jedoch »durch seine Auferstehung zum Herrn eingesetzt, wirkt Christus, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, durch die Kraft seines Geistes bereits in den Herzen der Menschen... und beseelt, reinigt und stärkt auch jenes hochherzige Streben, mit dem die Menschheitsfamilie sich bemüht, ihr eigenes Leben menschlicher zu gestalten und die ganze Erde diesem Ziel dienstbar zu machen«. <ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 38: AAS 58 (1966) 1055 f. </ref>

In der menschlichen Arbeit findet der Christ einen kleinen Teil des Kreuzes Christi und nimmt ihn mit der gleichen Erlösergesinnung auf sich, mit der Christus für uns sein Kreuz auf sich genommen hat. In der Arbeit entdecken wir immer, dank des Lichtes, das uns von der Auferstehung Christi her durchdringt, einen Schimmer des neuen Lebens und des neuen Gutes, gleichsam eine Ankündigung des »neuen Himmels und der neuen Erde«, <ref>Vgl. 2 Petr. 3, 13; Offb 21, 1. </ref> die gerade durch die Mühsal der Arbeit hindurch dem Menschen und der Welt zuteil werden: durch die Mühsal - und nie ohne sie. So bestätigt sich einerseits die Unausweichlichkeit des Kreuzes in der Spiritualität der menschlichen Arbeit; andererseits enthüllt sich bereits in diesem Mühsal-Kreuz ein neues Gut, das von der Arbeit ausgeht: von der Arbeit, verstanden in der Tiefe und Fülle ihrer Bedeutung - und nie ohne die Arbeit.

Ist dieses neue Gut - eine Frucht der menschlichen Arbeit - schon ein kleiner Teil jener »neuen Erde«, wo die Gerechtigkeit wohnt? <ref>Vgl. 2 Petr 3, 13.</ref> In welchem Verhältnis steht es zur Auferstehung Christi, wenn die vielfältige Mühsal der menschlichen Arbeit tatsächlich ein kleiner Teil des Kreuzes Christi ist? Auch darauf sucht das Konzil eine Antwort zu geben, wobei es sein Licht von der Quelle des geoffenbarten Wortes selbst bezieht: »Gewiß, wir werden gemahnt, dass es dem Menschen nichts nützt, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst jedoch dabei verliert (vgl. Lk 9, 25). Trotzdem darf die Erwartung einer neuen Erde die Sorge für die Gestaltung dieser Erde, auf der sich der wachsende Leib der neuen Menschheitsfamilie wie ein erster Umriss der zukünftigen Welt darbietet, nicht abschwächen, sondern sollte sie im Gegenteil ermutigen. Obschon der irdische Fortschritt vom Wachsen des Reiches Christi sorgsam zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann«. <ref>II.Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium er spes, 39: AAS 58 (1966) 1057.</ref>

Wir haben versucht, in den vorliegenden Erwägungen über die menschliche Arbeit all das hervorzuheben, was unerlässlich für die Überlegung erschien, dass sich durch die Arbeit unter den »Früchten unseres Fleißes« vor allem »die Güter der menschlichen Würde, der brüderlichen Gemeinschaft und der Freiheit« <ref>Ebenda.</ref> mehren sollen. Der Christ, der auf das Wort des lebendigen Gottes hört und die Arbeit mit dem Gebet verbindet, soll wissen, welcher Platz seiner Arbeit zukommt, nicht nur im irdischen Fortschritt, sondern auch bei der Entfaltung des Reiches Gottes, in das wir alle berufen sind durch die Kraft des Heiligen Geistes und das Wort des Evangeliums.

Gerne erteile ich zum Abschluss dieser Überlegungen Euch allen, verehrte Brüder, geliebte Söhne und Töchter, den Apostolischen Segen.

Dieses Dokument, das ich für eine Veröffentlichung am 15. Mai dieses Jahres, dem neunzigsten Jahrestag der Enzyklika Rerum novarum, vorbereitet hatte, konnte ich erst nach meinem Krankenhausaufenthalt endgültig verabschieden.

Gegeben in Castel Gandolfo, am 14. September,

dem Fest Kreuzerhöhung, im Jahre 1981,
dem dritten meines Pontifikates.

Johannes Paul II.

Anmerkungen

<references />

Weblinks