Sanctorum altrix (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Sanctorum altrix

von Papst
Johannes Paul II.
An die geliebten Söhne
Victor Dammertz, Abt-Primas des Benediktinerordens;
Giacomo del Rio, Generalabt der Kongregation der Kamaldulenser-Eremiten von Monte Corona;
Paul Ananian, Generalabt des armenischen Mechitaristenordens von Venedig nach der Regel des hl. Benedikt;
Sighard Kleiner, Generalabt des Zisterzienserordens;
Ambrose Southey, Generalabt des reformierten Zisterzienserordens von der strengeren Observanz.
zur 1500-Jahrfeier der Geburt des hl. Abtes Benedikt
11. Juli 1980

(Offizieller lateinischer Text: AAS 72 [1980] 777-791)

(Quelle: Wort und Weisung 1980, Libreria Editrice Vaticana und Butzon & Bercker Verlag 1981, S. 116-131; ISBN 3 7666 9199 6; Kapitel nach der AAS).

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Geliebte Söhne,
Gruß und Apostolischen Segen !

Einleitend

Die Kirche, Mutter der Heiligen, stellt ihren Kindern jene als Lehrmeister des Lebens vor, die sich durch Übung der Tugend besonders ausgezeichnet haben und Christus, dem Bräutigam der Kirche, treu nachgefolgt sind. Ihren Spuren folgend, sollen auch sie durch die Vielfalt der irdischen Dinge hindurch zur vollkommenen Vereinigung mit Gott gelangen und so das ihnen bestimmte Ziel erreichen. Jene hervorragenden Männer und Frauen waren zwar in ihrem Erdenwandel den besonderen Verhältnissen ihrer Zeit, vor allem den kulturell bedingten, unterworfen. Dennoch haben sie durch ihre Lebensweise und Lehre eine besondere Seite des Geheimnisses Christi ins Licht gestellt, die über ein bestimmtes Zeitalter hinaus bis heute seine Lebenskraft und Stärke bewahrt.

Wenn wir also jetzt die 1500-Jahrfeier der Geburt des hl. Benedikt begehen, gibt uns das Gelegenheit, erneut seine geistliche und soziale Botschaft zu hören.

I

In allen Religionen hat es stets Menschen gegeben, die "auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins eine Antwort" suchten<ref> II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, Nostra aetate, Nr. 2. </ref> und sich in besonderer Weise zum Absoluten und Ewigen hingezogen fühlten. Unter diesen ragen im Christentum die Mönche hervor, die schon im 3. und 4. Jahrhundert in einigen Gebieten des Ostens sich eine eigene Lebensform schufen, und von Gott erleuchtet, mit Eifer danach strebten, nach dem Beispiel Christi, "als er auf dem Berg in der Beschauung weilte",<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen gentium, Nr. 46. </ref> ein Leben in Einsamkeit und Abgeschiedenheit zu führen oder sich dem Dienst Gottes in einem von brüderlicher Liebe geprägten Gemeinschaftsleben zu widmen.

Vom Osten her verbreitete sich das monastische Leben in der ganzen Kirche und führte andere zu dem segensreichen Entschluss, die Elemente des Ordenslebens zu wahren und zugleich den Erlöser nachzuahmen, "wie er den Scharen das Reich Gottes verkündet und die Sünder zum Guten bekehrt“.<ref> Ebd. </ref>

Als daher die Kirche durch diesen geistlichen Sauerteig wuchs, zugleich aber die Kultur verfiel und das römische Weltreich zusammenbrach - kurz zuvor war das Westreich untergegangen -, wurde um das Jahr 480 Benedikt in Norcia geboren.

"Der Gnade und dem Namen nach ein Gesegneter, besaß Benedikt von Kindheit an ein weises Herz und wollte einzig Gott gefallen".<ref> Gregor der Große, Dialoge Buch 2, Vorwort: PL 66, 126. </ref> Er neigte das Ohr seines Herzens zum Herrn, der "seinen Arbeiter sucht",<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, Prolog 1.14; (vgl. Mt 20,1). </ref> und, unter Führung des Evangeliums ein anfängliches Zögern überwindend, beschritt er durch "Rauhes und Hartes"<ref> Regel des hl. Benedikt, 58,8. </ref> hindurch "den schmalen Weg, der zum Leben führt“.<ref> Vgl. Mt 7,14. </ref>

Er führte an verschiedenen Orten das Leben eines Einsiedlers, und sein Herz, durch Bewährung in Versuchungen gereinigt, war schließlich ganz für Gott geöffnet. Die Liebe zu Gott drängte ihn, sich mit anderen Männern zusammenzutun und als ihr Vater mit ihnen eine "Schule für den Dienst des Herrn" einzurichten.<ref> Regel des hl. Benedikt, Prolog 45. </ref> So bildeten er und seine Schüler im Gebrauch der "Instrumente der guten Werke",<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 4 (75. 78). </ref> verbunden mit weisem Pflichtbewusstsein, ein kleines christliches Gemeinwesen. In ihm herrschten, nach einem Wort Pauls VI. meines Vorgängers seligen Andenkens, "Liebe, Gehorsam, Unschuld, ein nicht den Dingen verhafteter Geist und die Kunst, sie richtig zu gebrauchen, der Primat des Geistigen und der Friede, kurz: das Evangelium“.<ref> Vgl. Ansprache in der Erzabtei Montecassino vom 24. Oktober 1964: AAS 56, 1964, S. 987. </ref>

Indem er also das Gute vollbrachte, das sich in der kirchlichen Überlieferung des Ostens und Westens vorfand, gelangte der Heilige aus Norcia zu einer ganzheitlichen Sicht des Menschen, dessen personale Würde er allen als unverletzlich einschärfte.

Als er im Jahre 547 starb, waren bereits feste Fundamente für die monastische Disziplin gelegt, die vor allem nach den Synoden der Karolingerzeit zum abendländischen Mönchtum schlechthin wurde. Durch Abteien und andere benediktinische Niederlassungen verbreitete es sich überallhin und gab dem neuen Europa seine Grundgestalt: jenem Europa, "dessen Völkern vom Mittelmeer bis Skandinavien, von Spanien bis zu den Weiten Polens die Söhne dieses Heiligen, Kreuz, Buch und Pflug in der Hand, christliche Kultur brachten“.<ref> Vgl. Papst Paul VI. Apostolisches Schreiben Pacis nuntius: AAS 56,1964, S. 965. </ref>

Ich möchte heute drei wichtige Dinge im benediktinischen Leben eurer Aufmerksamkeit empfehlen, nämlich das Gebet, die Arbeit und die väterliche Ausübung der Autorität. Eine eingehende Betrachtung dieser drei Dinge vom theologischen und menschlichen Standpunkt aus - und zwar so, wie sie sich aus Leben und Lehre Benedikts und ganz besonders aus seiner Regel ergeben wird uns helfen, sie desto tiefer zu erfassen.

Dieses Lebensgesetz ist zwar nach den Worten seines Autors "eine bescheidene Regel für Anfänger",<ref> Regel des hl. Benedikt, 73, 8. </ref> in Wahrheit aber ein folgerichtiges und reichhaltiges Kompendium der Verwirklichung des Evangeliums in einer nicht alltäglichen Lebensweise. Den Menschen und sein mit der Erlösung verbundenes Schicksal vor Augen, bietet es grundlegende Lehren, vor allem aber eine bestimmte Lebensform. Und obwohl diese Lebensregel für Mönche - und zwar für die Mönche des 6. Jahrhunderts - verfasst war, so haben doch die Weisungen, die sie enthält oder durchscheinen lässt, auch für unsere Zeit noch ihre Bedeutung und können allen eine Hilfe sein, die in der Taufe wiedergeboren und im Glauben gereift sind, allen, die "durch die Trägheit des Ungehorsams",<ref> Regel des hl. Benedikt, Prolog 2. </ref> von Gott abgewichen sind, jetzt aber durch den nicht immer leichten Glaubensgehorsam zu ihm zurückkehren wollen.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, Prolog 2. </ref>

II

Das benediktinische Leben stellt sich in der Kirche vor allem als intensive eifrige Gottsuche dar, eine Haltung, die irgendwie das Leben jedes Christen, der nach den "Höhen der Weisheit und Tugend"<ref> Regel des hl. Benedikt, 73, 9; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen gentium, Nr. 9; Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, Nr. 2. </ref> strebt, prägen muss, bis er in das himmlische Reich des Vaters gelangt. Der hl. Benedikt selbst verfolgt freudigen Herzens mit Hingabe und Treue diesen Weg, weist aber auch auf nicht wenige Hindernisse hin, die ihn schwierig machen, und auf Gefahren, die ihn zu versperren und alles Mühen vergeblich zu machen scheinen. Ist doch der Mensch Sklave ungeordneter Begierden, die ihn bald in eitlem Wahn und Stolz aufblähen, bald mit allen Kräften zermürbender Angst schrecken.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, Prolog 48. </ref>

Aber dieser "Weg des Lebens"<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, Prolog 20. </ref> kann nur unter bestimmten Bedingungen durchlaufen werden, insofern man nämlich Christus ohne Vorbehalt liebt und echte Demut übt. Dann ist der Christ sich wirklich seiner Armseligkeit und Schwäche bewusst und macht sich mit Gottes Gnade auf seinen geistlichen Weg. Er macht sich frei von dem Schädlichen, das ihn belastet, erkennt klarer seine wahre Natur als Person und entdeckt im Innersten seiner Seele Gott, der gegenwärtig ist. Dann werden Liebe und Demut eins und veranlassen den Menschen hinabzusteigen, um desto höher hinaufzusteigen. Unser Leben gleicht nämlich einer Leiter, "die vom Herrn zum Himmel aufgerichtet wird, wenn das Herz demütig geworden ist“.<ref> Regel des hl. Benedikt, 7, 8. </ref>

Äußerlich betrachtet, könnte der monastische Lebensstil die Meinung aufkommen lassen, das benediktinische Leben diene lediglich dem eigenen Nutzen des Mönches, der sich zu ihm bekennt, es führe ihn leicht zur Vernachlässigung der anderen Menschen und entfremde ihn daher dem sozialen Zusammenleben sowie den echten Sorgen der Menschen. So wird auch leider von manchen, die zur Kirche gehören, das Leben des Gebetes, das in Einsamkeit und Schweigen hinter Klostermauern geführt wird, in dieser Weise aufgefasst.

In Wahrheit aber will der Mönch, wenn er sich sammelt oder, wie der hl. Gregor über Benedikt von Norcia sagt, bei sich selber einkehrt, auf sein Verhalten achtet und sich auf dem Weg der Buße reinigt, sich damit auch von den Ketten des Eigenwillens freimachen. Diese Hinlenkung des Geistes auf sich selbst ist nur eine durchaus notwendige Vorbedingung dafür, sich mit echterem Verlangen Gott und den Brüdern zu öffnen. Die benediktinische Lebensweise bewirkt, dass die einzelnen Mönche in Gemeinschaft leben und diese zum Ort der Gastfreundschaft wird.

Der hl. Benedikt lehrt den Weg, auf dem man im Raum der monastischen Familie zu Gott geht. Das monastische Zusammenleben dieser Familie, in der die Herzen derer, die ihr angehören, weit werden in der Ausübung des gegenseitigen Gehorsams,<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 71. </ref> ist bewegt und getrieben von einer lebendigen Liebe zum Nächsten, die jeden drängt, sich dem Wohl des Bruders zu widmen und seinen eigenen Vorteil beiseite zu rücken.

Wenn der Mensch sich Tag für Tag müht, die unaufgebbare Forderung der Sammlung und Bescheidenheit mit der anderen, ebenso unerlässlichen Forderung der Teilnahme am gemeinsamen Leben in Übereinstimmung zu bringen, dann wächst in ihm die Fähigkeit, als echte Person zu handeln, die in Beziehung zu den anderen und erst recht in Beziehung zu Gott steht, der "der absolut Andere" ist.

Bei solcher Achtung vor den Menschen und der sozialen Wirklichkeit, wie sie dem hl. Benedikt und der ganzen von ihm herkommenden Tradition eigen ist, beschränken sich die Beziehungen keineswegs auf die Gemeinschaft der Mönche selber. Die Klausur trennt den Mönch von der Welt und soll gegen alle eitle Ausgegossenheit eine Art Schranke bilden, die man nicht überschreiten darf. Aber sie trennt ihn nicht von der Liebe. Diese Grenze öffnet ihm vielmehr den notwendigen Raum für eine umfassendere Freiheit, in der der Mönch - und in gewissem Maße gilt das für jeden Menschen, der sich um seine "kleine Klausur" bemüht - in der Liebe lebt und wächst. Hier kann er sein Herz den Brüdern öffnen, die teilhaben möchten an all dem, was er in seiner Vereinigung mit Gott erfährt. Hier geschieht es dann, dass, nach einem treffenden Wort Pauls VI., sein Haus "immer häufiger als Haus des Friedens und des Gebetes aufgesucht wird, wo die Menschen sich selber und Gott in ihrem Inneren finden“.<ref> Papst Paul VI., Brief an den Erzbischof von Westminster, Johannes Carmel Kardinal Heenan, AAS 67, 1975, S. 474. </ref> Hier soll also, mit anderen Worten, "die Schule für den Dienst des Herrn" entstehen, "die Schule ... der Tugend und die Schule einer aus der klaren und gründlichen Erklärung des Evangeliums, der überlieferten Lehre und der Lehräußerungen der Kirche überreich fließenden Kontemplation".<ref> Ebd. </ref> Im Gebet überwindet der Mönch die Grenzen von Raum und Zeit und erreicht alle und jeden. So wird der Benediktinermönch Zum Bruder aller, zum Verkünder des Evangeliums, zum Boten des Friedens und der Liebe.

III

Zur Zeit des hl. Benedikt boten die Gemeinschaft der Kirche und die menschliche Gesellschaft ein Bild, das in vielem den heutigen Lebensbedingungen ähnelt. Die politischen Wirren, die Unsicherheit der Zukunft wegen drohender oder schon entfesselter Kriege führten zu Übeln, die die Menschen in Verwirrung und Angst stürzten, so dass manche sogar am Sinn und Wert des Lebens überhaupt zweifelten.

In der Kirche gab es damals heftige und langdauernde geistige Auseinandersetzungen, bei denen die Menschen mit leidenschaftlichem Eifer tiefer in die Geheimnisse Gottes einzudringen suchten, vor allem in die unerforschliche Wahrheit von der Gottheit des Sohnes und seiner wahren Menschheit. Das alles findet seinen Widerhall in den immer wieder zu bedenkenden Worten des hl. Leo des Großen, Nachfolgers des hl. Petrus und Bischofs von Rom.

Der hl. Benedikt erfasste diesen Stand der Dinge und befragte Gott und die lebendige Überlieferung der Kirche um Licht für den einzuschlagenden Weg. Die von ihm getroffene Entscheidung kann als Beispiel für die Pflicht des Christen in den verschiedenen Wechselfällen der irdischen Pilgerschaft gelten, ohne dass damit eine bestimmte Lebensform für alle gemeint ist.

Jesus Christus ist die absolut notwendige Lebensmitte, auf die alles ausgerichtet werden muss, damit es Sinn und festen Bestand hat. Bezugnehmend auf ein Wort des hl. Cyprian, Bischofs von Karthago, betont Benedikt ernst und mit großer Eindringlichkeit, dass "der Liebe zu Christus gar nichts vorgezogen werden darf“.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 4,21; 72, 11. </ref>

Menschen und Dinge besitzen Gewicht und Wichtigkeit, soweit sie mit Christus verbunden sind. Sie müssen daher in diesem Licht gesehen und gewertet werden. Alle im Kloster, vom Obern angefangen (dem Abt, d. h. Vater) bis zum unbekannten und armen Gast, vom Kranken bis zum Geringsten der Brüder, stellen die lebendige Gegenwart Christi dar. Auch die Dinge sind Zeichen der Liebe Gottes zu den Geschöpfen oder der Liebe, die den Menschen auf Gott hinlenkt, so dass sogar Geräte oder Werkzeuge "wie geweihte Altargefäße betrachtet werden" sollen.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 31, 10. </ref>

Der hl. Benedikt trägt kein theologisches Gedankenspiel vor. Er prägt vielmehr - wie er es zu tun pflegte - den Herzen eine Denk- und Verhaltensweise ein, die von der Wahrheit der Dinge ausgeht und dazu führt, dass die Theologie in die Praxis umgesetzt wird. Es geht ihm nicht darum, dass über die Wahrheiten von Christus gesprochen wird, sondern darum, dass man wahr und wirklich aus dem Mysterium Christi und der daraus sich ergebenden "Christozentrik" lebt.

Der Primat, der einer übernatürlichen Sicht der Dinge des alltäglichen Lebens zugewiesen wird, muss mit der Wahrheit von der Menschwerdung Gottes übereinstimmen. Ein Mensch, der Gott die Treue hält, darf nicht das Menschliche übersehen, er muss auch dem Menschen die Treue halten. Daher steht die Pflicht zur sogenannten vertikalen Ausrichtung, die am stärksten im Gebetsleben zum Ausdruck kommt, erst dann im rechten Gleichgewicht, wenn sie sich in geeigneter Weise mit dem verbindet, was von unserer horizontalen Ausrichtung gefordert wird, das ist vor allem die Arbeit.

In der monastischen Gemeinschaft unter der Leitung dessen, "in dem der Glaube den Stellvertreter Christi sieht",<ref> Regel des hl. Benedikt, 2,2; 63, 13. </ref> zeigt der hl. Benedikt einen Weg auf, der sich durch große Ausgeglichenheit auszeichnet. Diesen Weg, der Einsamkeit und Zusammenleben, Gebet und Arbeit verbindet, muss - bei aller Verschiedenheit der Akzentsetzung - auch der Mensch in unserer Welt und in unserer Zeit gehen, um seiner Berufung voll gerecht zu werden.

IV

Die wahre und absolute Liebe zu Christus erweist sich besonders im Gebet. Es ist der Angelpunkt, um den sich das ganze benediktinische Leben dreht.

Das Fundament des Gebets besteht aber, wie der hl. Benedikt sagt, darin, dass man auf das Wort hört: auf das menschgewordene Wort, das hier und heute die einzelnen Menschen in ihrer unwiederholbaren derzeitigen Situation durch die Heilige Schrift und den Mittlerdienst der Kirche anspricht, im Kloster auch durch die Worte des Vaters und der Brüder der Gemeinschaft.

In einem solchen Glaubensgehorsam wird das Wort Gottes in Demut und Freude gehört, denn es ist und bleibt immer neu; die Zeit kann ihm nichts anhaben, sondern gibt ihm noch mehr Frische und Lebendigkeit und macht es von Tag zu Tag anziehender. Ja, dieses Wort wird zur unerschöpflichen Quelle, denn "Gott selber spricht zur Seele und gibt ihr die Antwort, die das Herz erwartet. Dieses Gebet, auf die verschiedenen Tageszeiten verteilt, ist wie eine unterirdische Wasserader, die die tägliche Arbeit nährt“.<ref> Vgl. Papst Paul VI., Ansprache an die Benediktiner-Oberinnen vom 29. September 1976. </ref>

Durch die ruhige, die Dinge verkostende Betrachtung - man kann sie ein echtes geistliches "Wiederkäuen" nennen - bringt das Wort Gottes in jenen, die sich so dem Gebet widmen, ein Licht zum Aufleuchten, dessen Strahlen den ganzen Tageslauf erhellen. Dies ist wirklich das "Gebet des Herzens", das "kurze und reine Gebet“,<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 20,4. </ref> in dem wir den göttlichen Anregungen antworten und zugleich den Herrn um das Geschenk seiner unerschöpflichen Barmherzigkeit bitten.

Jeden Tag wendet die Seele dem Wort Gottes, das vom unergründlichen Geheimnis unseres Heils erfüllt ist, ihre liebende Aufmerksamkeit zu und erforscht es mit Eifer. Immer darauf bedacht, ihr Leben danach zu formen, sucht sie daraus nicht menschliches Wissen zu schöpfen, sondern die Weisheit, die von Gott kommt. Es geht ihr nicht darum, mehr zu wissen, sondern - wenn man so sagen darf ~ mehr zu sein: damit wir mit Gott sprechen, sein eigenes Wort an ihn richten und seine Gedanken denken dürfen, kurz, sein eigenes Leben miterleben.

Wer das Wort Gottes als Glaubender hört, gewinnt neues Verständnis für all das, was sich nach der Vorsehung des Herrn im Ablauf der Zeit und der geschichtlichen Ereignisse in der Menschheitsfamilie abspielt. So wird dem glaubenden Herzen der Blick für die Schau des großen Heilsplanes Gottes geöffnet. In dieser Glaubenshaltung nehmen wir die Großtaten Gottes mit offenen Augen und "mit aufgeschrecktem Ohr" wahr.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, Prolog 9. </ref> Das heilbringende Licht der Kontemplation nährt die Flamme; Schweigen und Staunen, Jubellieder und freudige Danksagung geben dem Gebet, mit dem die Mönche täglich das Lob Gottes feiern, seine besondere Note. Das Gebet wird damit gleichsam zur Stimme der ganzen Schöpfung und nimmt bereits den erhabenen Gesang des himmlischen Jerusalem vorweg. Das Wort Gottes lässt bei der irdischen Pilgerfahrt erfahren, dass alles Leben offen vor dem Blick Gottes liegt, und im Gebet zum Vater erhalten auch jene eine Stimme, die ohne Stimme sind: Freuden und Ängste, glückliche Ereignisse, enttäuschte Hoffnungen und die Erwartung einer besseren Zukunft, all das schwingt in diesem Gebet mit.

Der hl. Benedikt lässt sich vor allem in der heiligen Liturgie vom Wort Gottes leiten, aber er versteht die Gemeinschaft nicht lediglich als eine Versammlung, die mit Eifer die göttlichen Geheimnisse feiert und im Chorgesang die gemeinsame geistgeschenkte Erfahrung ausdrückt. Was ihm am meisten am Herzen liegt, ist: dem Wort Gottes, das der Mund spricht und singt, muss auch die innere Haltung des Menschen entsprechen: "damit das Herz mit der Stimme im Einklang sei".<ref> Regel des hl. Benedikt, 19, 7. </ref> Die Heilige Schrift in Verbindung mit dem Leben verstanden und verkostet, wird gern gelesen, weil man sich zugleich intensiv dem Gebet widmet. Von der Liebe angeregt, sammelt sich der Geist oft vor Gott: nichts wird dem Lob Gottes vorgezogen.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 43, 3. </ref> Das in der Liturgie vollzogene Gebet wird ins Leben übertragen, und das Leben selbst wird zum Gebet. Ist nämlich die Liturgiefeier beendet, dann zieht das Gebet noch weitere Kreise und setzt sich im Schweigen des gesammelten Herzens und im persönlichen Zwiegespräch des einzelnen mit Gott fort. Schließlich durchdringt das Gebet, zur Gewohnheit geworden, auch die Arbeit und alles, was der Tag bringt.

Als Liebhaber des Wortes Gottes findet es der hl. Benedikt nicht nur in den Heiligen Schriften, sondern auch im großen Buch der Natur. Wenn der Mensch die Schönheit der Schöpfung betrachtet, dann wird er, in der Tiefe seines Herzens davon berührt, auf den hingewiesen, der Quelle und Ursprung von allem ist. Zugleich bringt es ihn dazu, sich der Natur gegenüber ehrfürchtig zu verhalten, ihre Schönheit ins Licht zu stellen und ihre Wahrheit zu achten.

"Wo Stille atmet, spricht das Gebet.<ref> Vgl. Papst Paul VI., Ansprache an die Benediktinermönche vom 8. September 1971: AAS 63, 1971, S. 746. </ref> In der Einsamkeit gewinnt das Gebet einen gewissen persönlichen Tiefgang. Das galt von der Wildnis im Aniene-Tal, wo der hl. Benedikt allein mit dem alleinigen Gott sprach, gilt aber auch heute von den Städten, die mit allen Mitteln der Technik ausgestattet sind, aber die Herzen einander entfremden, weil der Mensch oft isoliert und sich selbst überlassen bleibt. Es ist jedoch notwendig, dass sich der Mensch in eine gewisse Einsamkeit einübt, um ein echtes geistliches Leben führen zu können. Das bewahrt nämlich vor leeren Worten und erleichtert es, zu einem neuen Verhältnis zu Gott, den Menschen und den Dingen zu finden. Im Schweigen der Einsamkeit kehren die umherschweifenden Gedanken zu dem zurück, was wichtig und vorrangig ist. Dazu kommt eine gewisse Strenge, bis das Herz rein ist und die Übung des täglichen Gebetes, das sich aus der Tiefe des Herzens zu Gott erhebt, neu entdeckt ist. Dieses Gebet besteht nicht in einer Fülle von Worten, sondern in der Reinheit eines glühenden Herzens und in Tränen der Zerknirschung.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 20, 3; 52, 4. </ref>

V

Das Antlitz des Menschen ist oft mit Tränen benetzt, die nicht aus echter Reue oder übergroßer Freude hervorbrechen und das Herz nicht zum Beten bringen. Oft vergießen ja jene Menschen Tränen des Schmerzes und der Erschütterung, deren menschliche Würde missachtet wurde, jene, denen das versagt blieb, was sie zu Recht erstrebten oder die keine Arbeit tun können, die für ihre eigenen Bedürfnisse erforderlich und ihrem Können gemäß wäre.

Auch der hl. Benedikt lebte in einer von Ungerechtigkeit gekennzeichneten bürgerlichen Gesellschaft, in der die Person sehr oft nichts galt und wie eine Sache angesehen wurde. In der gegebenen gesellschaftlichen Struktur, die nach Klassen geordnet war, galten alle armen Menschen als Sklaven. Die Armen wurden noch ärmer gemacht, während die Reichen immer noch mehr bekamen. Dagegen wollte Benedikt, die Gemeinschaft der Mönche sollte sich nach den Weisungen des Evangeliums aufbauen. Er gab dem Menschen seine Rechte zurück, aus welcher sozialen Schicht auch immer er kam. Nach den Normen einer weise teilenden Gerechtigkeit sorgte er für die Bedürfnisse aller. Er wies den einzelnen Aufgaben zu, die sich ergänzten, und verband sie entsprechend miteinander. Er nahm Rücksicht auf die Schwäche einzelner, ließ aber keine Trägheit zu. Der Tüchtigkeit anderer gab er Raum, damit sie sich nicht eingeengt vorkämen, sondern sich ermutigt fühlten, ihre besten Kräfte einzusetzen. So beseitigte er den Vorwand zu selbst geringfügigem, gelegentlich aber berechtigtem Murren und schuf die Bedingungen für den Frieden.

Für den hl. Benedikt ist der Mensch keine anonyme Maschine, deren sich jemand einfach in der Absicht bedienen kann, möglichst großen Gewinn aus ihr zu ziehen, dem Arbeiter dabei aber die moralische Anerkennung verweigert und den gerechten Lohn vorenthält. Man muss sich freilich vor Augen halten, dass damals die Arbeit für gewöhnlich von Sklaven verrichtet wurde, die nicht als Menschen galten. Benedikt sieht die Arbeit, aus welchem Grund auch immer sie geschieht, als wesentlichen Teil des Lebens an, und er veranlasst jeden einzelnen Mönch, sie als Gewissenspflicht auf sich zu nehmen. Diese Arbeit soll "aus Gehorsam und zur Sühne"<ref> Papst Pius XII., Enzyklika Fulgens radiatur: AAS 39,1947, S. 154. </ref> geleistet werden, auch wenn gelegentlich die harte Anstrengung Schmerz und Schweiß kostet. Solches Mühen gewinnt erlösende Kraft, denn es reinigt den Menschen von der Sünde und adelt nicht nur die Dinge, auf die der Fleiß verwendet wird, sondern auch die ganze Umwelt, in der solche Arbeit verrichtet wird.

Der hl. Benedikt führte auf Erden ein Leben, in dem Arbeit und Gebet in ausgewogenem Gleichgewicht standen. Die Arbeit ist bei ihm auf eine glückliche Weise in die übernatürliche Sicht dieses Lebens einbezogen. So hilft er dem Menschen, sich als Mitarbeiter Gottes zu betrachten und es in der Tat zu werden und dabei in der Ausübung einer irgendwie schöpferischen Tätigkeit seine Person in einer Gesamtheit zur Entfaltung zu bringen. Das menschliche Tun wird kontemplativ, und die Kontemplation wird eine dynamische Kraft, die der Arbeit wiederum Antrieb gibt und deren vorgegebene Ziele ins Licht rückt.

Das alles geschieht aber nicht nur, um Müßiggang, der den Geist abstumpfen lässt, zu vermeiden, sondern mehr noch, um den Menschen zu befähigen, dass er im bewussten und gewissenhaften Befolgen seiner Pflichten zur Reife seiner Persönlichkeit kommt und dass vielleicht noch unerkannt in ihm schlummernde Möglichkeiten geweckt und dem Gemeinwohl nutzbar gemacht werden, "damit in allem Gott verherrlicht werde“.<ref> 1 Petr 4, 41. </ref>

Der Arbeit wird also nicht die harte Mühe genommen, doch sie erhält einen zusätzlichen inneren Antrieb. Der Mönch ist nämlich mit Gott verbunden, nicht trotz der Arbeit, sondern auch durch die Arbeit selbst, denn "während die Hände arbeiten, bleibt sein Herz ständig Christus zugewandt“.<ref> Vgl. Papst Pius XII. Enzyklika Fulgens radiatur: AAS 39, 1947, S. 147. </ref>

So kommt es, dass die Arbeit, auf der, auch der gewöhnlichen und unbedeutenden, immer eine gewisse Würde ruht, aufgegriffen und zu einem unverzichtbaren Teil "jenes hohen Strebens (wird), bei dem man einzig Gott sucht, in der Einsamkeit und im Schweigen, damit das Leben die Kraft zu einem beständigen Gebet gewinnt und zu einem Lobopfer, das man in einer Atmosphäre fröhlicher und brüderlicher Liebe zusammen feiert und zusammen darbringt“.<ref> Vgl. Papst Paul VI. Ansprache an Benediktiner-Oberinnen vom 28. Oktober 1966; AAS 58, 1966, S. 1160. </ref>

Europa wurde christlich, vor allem weil die Söhne des hl. Benedikt unseren Vorfahren eine sehr umfassende Unterweisung geboten haben. Sie haben sie nämlich nicht nur Kunst und Handwerk gelehrt, sondern ihnen vor allem den Geist des Evangeliums eingeprägt, der notwendig ist, um den geistlichen Besitz der menschlichen Person zu verteidigen.

Das Heidentum, das damals durch große Scharen von Mönchsmissionaren für das Christentum gewonnen wurde, breitet sich heute im Westen immer mehr aus und ist bereits Ursache wie Wirkung des Verlustes der christlichen Auffassung von der Arbeit und ihrer Würde.

Wenn nicht Christus dem Wirken des Menschen hohe und ewige Bedeutung schenkt, wird der arbeitende Mensch zum modernen Sklaven einer ungesunden, gewinnsüchtigen Industrie. Im Gegensatz dazu betont Benedikt die Notwendigkeit, die geistige Dimension der Arbeit herauszustellen und der menschlichen Tätigkeit einen weiteren Horizont zu geben, so dass sie mehr wird als bloße Ausübung technischer Fertigkeiten und Streben nach dem eigenen Nutzen.

VI

In den sozialen Verhältnissen unserer Tage, die da und dort den Charakter einer "vaterlosen Gesellschaft" annehmen, hilft uns der Heilige von Norcia, jenem erstrangigen Wert wieder mehr Bedeutung beizumessen, der von den Trägern der Autorität vielleicht etwas übersehen wurde und den wir Vaterschaft nennen.

Der hl. Benedikt nimmt unter seinen Mönchen die Stellvertretung Christi wahr, und sie gehorchen ihm wie dem Herrn in der gleichen Haltung, die unser Erlöser seinem Vater gegenüber pflegte. Wenn die Söhne so "aufs Wort gehorchen", fällt damit auch ein deutliches Licht auf die Gestalt des Vaters, der seinerseits darauf antwortet durch die große Liebe und Besorgtheit, die Benedikt allen Mönchen zuwendet und mit der er auf die Ganzheit ihrer Person Rücksicht nimmt. Diese Aufmerksamkeit drängt ihn, für die verschiedenen Bedürfnisse der Gemeinschaft um so eifriger Sorge zu tragen.

Wer Autorität ausübt, darf nicht die Dinge aus dem Blick verlieren, die für die Ordnung in der monastischen Familie und das materielle Auskommen erforderlich sind, aber er muss vor allem um das geistliche Wohl jedes einzelnen besorgt sein, das vor allem Irdischen und Vergänglichen bei weitem den Vorrang hat.

Beim Erwägen dieser geistigen und grundlegenden Werte im Leben des Menschen schöpft der Abt Licht aus dem ständigen Umgang mit dem Wort Gottes, aus dem er Neues und Altes hervorholt. Diesem Wort Gottes muss er sich derart gleichgestalten, dass sein Tun zum Sauerteig der göttlichen Gerechtigkeit wird, den er ins Herz der Söhne einsenkt.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 2, 5. </ref>

Bei den Entscheidungen, die innerhalb der Gemeinschaft zu treffen sind, gibt Benedikt dem Abt volle Amtsgewalt. Seine Entscheidung kann nicht angefochten werden. Das kommt aber nicht etwa daher, dass die Autorität als herrscherliche Befehlsgewalt betrachtet wird, denn der Vater berät sich mit allen Brüdern, oder mit einigen von ihnen, ohne irgendein vorgefasstes Urteil, weil er überzeugt ist, dass auch in wichtigen Dingen "der Herr oft dem Jüngeren eingibt, was besser ist“.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 3,3. </ref>

In brüderlichem Gespräch hört der Abt die Bitten und Einwände jener, die er befragt, um ihnen ein besonderes Amt anzuvertrauen, aber zum Wohl des einzelnen oder dem der Gemeinschaft muss er fest sein in dem, was er anordnet und was vielleicht sogar unmöglich scheint: Er muss nur darauf bedacht sein, die einzelnen zu fördern, dass sie Fortschritte machen und die ganze Gemeinschaft sich mehrt und wächst.

Das besondere Ziel, das dem Vater der Gemeinschaft gesteckt ist, besteht ja darin, den Brüdern zu helfen und sie weise zu leiten in einer Art, die klar erkennen lässt, dass die Liebe an erster Stelle steht. Ein echter Vater "lässt lieber Erbarmen walten als strenges Gericht",<ref> Regel des hl. Benedikt, 64, 10; vgl. Jak 2, 13. </ref> er sucht mehr geliebt als gefürchtet zu werden und weiß, dass er "mehr vorsehen als vorstehen" soll.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 64,14; 64,8. </ref>

Im Bewusstsein, dass er über alle ihm Anvertrauten Rechenschaft ablegen muss, liebt der Abt seine Brüder. Mit ihnen und für sie nimmt er die Aufgabe des Guten Hirten wahr und tut das, was nach seinem Urteil zum Wohl aller nützlicher ist, was er für passender und heilsamer hält. "Der Abt muss sich große Mühe geben und mit Umsicht und Beharrlichkeit alles daransetzen, um keines der ihm anvertrauten Schafe zu verlieren ... Und er ahme am Guten Hirten das Beispiel väterlicher Güte nach: Neunundneunzig Schafe ließ er auf den Bergen zurück und ging hin, um das eine Schaf, das sich verirrt hatte, zu suchen. Mit dessen Schwäche hatte er so großes Mitleid, dass er es huldvoll auf seine Schultern legte und so zur Herde zurücktrug".<ref> Regel des hl. Benedikt, 27, 5. 8-9. </ref> Der Vater der Gemeinschaft, dem die Leitung von Seelen anvertraut ist, muss wissen, dass er in diesem pastoralen Dienst der Eigenart vieler zu dienen hat.<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 2, 31. </ref> Er soll sich den einzelnen anpassen und angleichen, um ihnen sichere und konkrete Hilfe schenken zu können, wie sie es brauchen. Er sei mit allen geduldig, dulde aber nicht die Fehler der Schuldigen, er hasse Übertretungen, liebe jedoch, frei von Zorn und Parteilichkeit, seine Söhne und leite sie mit Großmut und Besonnenheit.

Hier wird auch für andere, denen Leitungsgewalt übertragen ist, ein weiterer Aspekt sichtbar, unter dem das Amt des Obern auszuüben ist: die Diskretion, das heißt Maßhalten und Gleichgewicht beim Treffen von Entscheidungen, damit es nicht zu nutzlosem Murren kommt. Wenn die einzelnen in Bescheidenheit gehorchen, ist ihnen das nicht nur eine Hilfe, die engen Grenzen dessen zu überschreiten, was sie im Augenblick als für sich nützlich betrachten, sie öffnen sich vielmehr einer weiten Sicht des Heils und des sozialen Lebens und arbeiten aus Pflichtbewusstsein mit. Dabei gelangen sie zu jener inneren Freiheit, die zur Reifung der Persönlichkeit notwendig ist.

Was hier vom Abt gesagt ist, der seine Pflicht als weiser Verwalter im Hause des Herrn erfüllt,<ref> Vgl. Regel des hl. Benedikt, 64, 5; 72, 3-8. </ref> ist das Fundament für den wahren Frieden. Dieser Friede beruht auf der Tatsache, dass die Brüder sich voll Wohlwollen einander annehmen und schätzen, auch wenn sie unvermeidliche Fehlen an sich haben, und wenn die persönliche Eigenart eines jeden sich auf sehr verschiedene Weise bemerkbar macht.

Dieser Friede erwächst daraus, dass die einzelnen demütig und pflichttreu in der Bindung an eine menschliche Gemeinschaft leben, in der das Gesetz des Geistes höher steht, als das Gesetz der Materie, wo rechte Ordnung und Übereinstimmung herrschen und alles dem Kommen des Reiches Gottes dient.

In diesem Jahr kommt der hl. Benedikt gleichsam noch einmal zu uns und zeigt uns, wie der Mensch sein Leben gestalten soll, wenn er sich auf die Lehre des Evangeliums beruft. Das darf uns nicht unbeteiligt und gleichgültig lassen. Vor allem seine Söhne sind aufgerufen, dem Beispiel ihres Vaters und seinen Weisungen treu, eine so erhabene und zugleich sichere und fest umrissene Lebensform zu bezeugen. Dieses Zeugnis des Lebens wird auch einfachere und verhärtete Menschen ansprechen können, bei denen bloße Worte nicht leicht ankommen. Die daraus erwachsende Erneuerung wird der Welt ein neues Gesicht geben können, das geistlicher, echter und menschlicher ist. Wer aber in irgendeiner sozialen Gruppe, auf welcher Ebene auch immer, Autorität ausübt, muss immer mehr die Gabe der Vaterschaft pflegen und sichtbar machen, die allein in der Lage ist, die Menschen in brüderlicher Verbundenheit zu einen. Diese werden eine bessere Welt und Gesellschaft des Friedens errichten, wo der Mensch in Gebet und Arbeit zum einzigartigen Mitarbeiter und Gesprächspartner Gottes wird.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch daran erinnern, dass mein Vorgänger Paul VI. seligen Andenkens den hl. Benedikt zum Patron Europas ernannt hat. Europa ging nach dem Fall des römischen Reiches aus dem großartigen Bemühen hervor, an dem vor allem auch die Mönche, die der [[Regel des hl. Benedikt] folgen, beteiligt waren. Die stille, beharrliche und weise Arbeit der Mönche sicherte die Bewahrung des kulturellen Erbes der Antike wie auch seine Übermittlung an die Völker Europas und das ganze Menschengeschlecht. So "steht der benediktinische Geist", wie ich am 1. Januar d. J. bewusst gesagt habe, "ganz und gar im Gegensatz zum Geist der Zerstörung",<ref> Vgl. AAS 72, 1980, S. 65. </ref> und eben darum mahnt der "Vater Europas"<ref> Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben Pacis nuntius; AAS 56, 1964, S.965. </ref> alle, die es angeht, jene Güter, die den Geist nähren und adeln, tatkräftig zu fördern, aber gleichzeitig mit allen Kräften das fernzuhalten, was diese Güter zerstören oder verfälschen kann.

Der hl. Benedikt spricht als "Künder des Friedens"<ref> Papst Pius XII., Predigt vom 18. September 1947; AAS 39,1947, S. 453. </ref> vor allem zu den Völkern Europas, die sich für dessen Einheit einsetzen. Das friedliche Zusammenleben, nach dem mit allen Kräften zu streben ist, muss sich vor allem auf Gerechtigkeit, wahre Freiheit, gegenseitiges Verständnis und brüderliche Hilfe gründen, also auf Dinge, die in voller Übereinstimmung mit der Lehre des Evangeliums stehen. Möge also der hl. Benedikt die Völker dieses Kontinents und alle Menschen beschützen und fördern und durch sein Gebet das schwere Unheil fernhalten, das durch sehr gefährliche und vernichtende Waffen herbeigeführt werden könnte.

Das alles bewegt mein Herz, wenn ich an diesen wahrhaft großen Menschen, Römer, Europäer und Ruhm der Kirche, denke und zu ihm bete.

Euch aber, geliebte Söhne, und allen monastischen Familien, denen ihr in verschiedener Form vorsteht, erteile ich von Herzen gern als Zeichen väterlichen Wohlwollens meinen Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei St. Peter am 11. Juli, dem Gedenktag des hl. Abtes Benedikt,

im Jahre 1980, dem zweiten meines Pontifikats

Johannes Paul II.

Anmerkungen

<references />

Weblinks