Pastores gregis (Wortlaut)
Pastores gregis |
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von Papst Johannes Paul II.
zum Thema „Der Bischof als Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt"
Die X. Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 30. September bis 27. Oktober 2001 statt
16. Oktober 2003
Offizieller lateinischer Text: L'Osservatore Romano vom 17. Oktober 2003.
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Hirten der Herde wissen, dass sie bei der Ausübung ihres Bischofsamtes auf eine besondere göttliche Gnade zählen können. Wie im Pontificale Romanum angegeben, wiederholt der Hauptzelebrant der Bischofsweihe nach der Anrufung um die Ausgießung des Geistes, der führt und leitet, während des feierlichen Weihegebetes die Worte, die schon in dem alten Text der Traditio Apostolica stehen: »Du, Vater, kennst die Herzen und hast deinen Diener zum Bischofsamt berufen. Gib ihm die Gnade, dein heiliges Volk zu leiten« .<ref> De ordinatione episcopi: Weihegebet.</ref> So wird der Wille des Herrn Jesus Christus, des ewigen Hirten, weiter erfüllt: Er sandte die Apostel aus, wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20, 21), und wollte, dass deren Nachfolger, also die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten (vgl. Apg 20, 28; 1 Petr 5, 2).<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 18.</ref>
Das Bild vom Guten Hirten, das schon in der frühesten christlichen Kunst ein sehr beliebtes Motiv war, stand den Bischöfen, die vom 30. September bis zum 27. Oktober 2001 zur X. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode aus aller Welt zusammengekommen waren, deutlich vor Augen. Am Grab des Apostels Petrus haben sie mit mir zusammen über die Gestalt des Bischofs als Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt nachgedacht. Alle waren übereinstimmend der Meinung, dass die Gestalt Jesu als Guter Hirt das bevorzugte Vorbild darstellt, auf das man ständig Bezug nehmen muss. Denn als Hirt, der dieses Namens würdig ist, kann niemand angesehen werden, »nisi per caritatem efficiatur unum cum Christo«<ref>Thomas von Aquin, Expositio in Evangelium secundum Ioannem, X, 3.</ref> Das ist der eigentliche Grund, weshalb »das Idealbild des Bischofs, auf den die Kirche weiterhin zählt, das des Hirten ist, der, in der Heiligkeit des Lebens Christus gleichgestaltet, sich hochherzig für die ihm anvertraute Kirche einsetzt und gleichzeitig die Sorge für alle Kirchen auf der ganzen Erde im Herzen trägt (vgl. 2 Kor 11, 28)« .<ref>Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluß der X. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (27. Oktober 2001), 3: AAS 94 (2002), 114.</ref>
Die Zehnte Versammlung der Bischofssynode
2 Wir wollen dem Herrn nun dafür danken, dass er uns die Gabe gewährt hat, noch ein weiteres Mal eine Versammlung der Bischofssynode abzuhalten und dabei eine wirklich tiefe Erfahrung des Kircheseins zu machen. Die X. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode, die in dem noch anhaltenden Klima des Großen Jubiläums des Jahres Zweitausend am Beginn des dritten christlichen Jahrtausends abgehalten wurde, stand am Ende einer langen Reihe anderer Versammlungen: Das waren zum einen die Sonderversammlungen, die alle miteinander verbunden waren durch die Blickrichtung auf die Evangelisierung in den verschiedenen Kontinenten – von Afrika bis Amerika, Asien, Ozeanien und Europa. Zum anderen waren es die ordentlichen Versammlungen, deren letzte ihre Betrachtungen dem unermeßlichen Reichtum widmete, den die im Volk Gottes vom Geist geweckten Berufungen in der Kirche darstellen. Aus dieser Perspektive hat die Beschäftigung mit dem besonderen Amt der Bischöfe das Bild jener Ekklesiologie der Gemeinschaft und Sendung vervollständigt, die man immer vor Augen haben soll.
In diesem Zusammenhang haben die Arbeiten der Synode ständig Bezug genommen auf die vom Zweiten Vatikanischen Konzil – besonders im dritten Kapitel der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium und im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus – vorgelegte Lehre über das Bischofsamt und den Dienst des Bischofs. Von dieser erhellenden Lehre, welche die überlieferten theologischen und rechtlichen Elemente zusammenfaßt und weiterentfaltet, konnte mein Vorgänger seligen Angedenkens, Paul VI., mit Recht sagen: »Die bischöfliche Autorität ist, so scheint Uns, gestärkt aus dem Konzil hervorgegangen: in ihrer göttlichen Einsetzung geltend gemacht, in ihrer unersetzbaren Amtsfunktion bestätigt, in ihren pastoralen Gewalten des Lehrens, Heiligens und Leitens bekräftigt, durch die kollegiale Gemeinschaft in ihrer Ausdehnung auf die Gesamtkirche geehrt, in ihrer hierarchischen Stellung präzise festgelegt, in der brüderlichen Mitverantwortung mit den anderen Bischöfen für die allgemeinen und besonderen Bedürfnisse der Kirche bestärkt und im Geist untergeordneter Einheit und solidarischer Zusammenarbeit mit dem Haupt der Kirche, dem konstitutiven Zentrum des Bischofskollegiums, enger verbunden« .<ref> Ansprache an die Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe Italiens (6. Dezember 1965): AAS 58 (1966), 68.</ref>
Zugleich haben die Synodenväter, entsprechend dem vorgegebenen Thema, ihr Amt im Licht der theologalen Hoffnung neu überdacht. Auch diese Aufgabe gehört, wie sogleich deutlich wurde, in einzigartiger Weise zum Auftrag des Hirten, der in der Kirche vor allem der Träger des österlichen und eschatologischen Zeugnisses ist.
Eine auf Christus gegründete Hoffnung
3 In der Tat ist es Aufgabe jedes Bischofs, ausgehend von der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi, der Welt die Hoffnung zu verkünden: die Hoffnung »nicht nur in bezug auf die vorletzten Dinge, sondern auch und vor allem die eschatologische Hoffnung, die den Reichtum der Herrlichkeit Gottes erwartet (vgl. Eph 1, 18), die über alles hinausgeht, was dem Menschen je in den Sinn gekommen ist (vgl. 1 Kor 2, 9), und mit der die Leiden der gegenwärtigen Zeit nicht zu vergleichen sind (vgl. Röm 8, 18)« .<ref> Propositio 3.</ref> Die Perspektive der theologalen Hoffnung muss, zusammen mit jener des Glaubens und der Liebe, das Hirtenamt des Bischofs von Grund auf formen.
Ihm obliegt im besonderen die Aufgabe, Prophet, Zeuge und Diener der Hoffnung zu sein. Er hat die Pflicht, Vertrauen zu stiften und jedem die Gründe für die christliche Hoffnung zu erklären (vgl. 1 Petr 3, 15). Der Bischof ist vor allem dort Prophet, Zeuge und Diener dieser Hoffnung, wo der Druck einer vom Immanenzdenken beherrschten Kultur, die jede Öffnung gegenüber der Transzendenz ablehnt, sehr stark ist. Wo die Hoffnung fehlt, wird der Glaube selbst in Frage gestellt. Auch die Liebe schwindet, wenn diese Tugend versiegt. Die Hoffnung ist tatsächlich, besonders in Zeiten wachsender Ungläubigkeit und Gleichgültigkeit, eine starke Stütze für den Glauben und ein wirksamer Ansporn für die Liebe. Sie schöpft ihre Kraft aus der Gewißheit vom universalen Heilswillen Gottes (vgl. 1 Tim 2, 4) und der ständigen Gegenwart des Herrn Jesus, des Immanuel, der immer bei uns ist bis zum Ende der Welt (vgl. Mt 28, 20). Nur durch das Licht und den Trost aus dem Evangelium schafft es ein Bischof, die eigene Hoffnung lebendig zu erhalten (vgl. Röm 15, 4) und sie in allen zu nähren, die seiner Hirtensorge anvertraut sind. Er soll also Nachahmer der Jungfrau Maria, der Mater spei, sein, die an die Erfüllung der Worte des Herrn geglaubt hat (vgl. Lk 1, 45). Indem er sich auf das Wort Gottes stützt und sich fest an die Hoffnung klammert, die wie ein sicherer und fester Anker ist, der in den Himmel hineinreicht (vgl. Hebr 6, 18- 20), ist der Bischof in der Mitte seiner Kirche wachsamer Hüter, mutiger Prophet, glaubwürdiger Zeuge und treuer Diener Christi, der »Hoffnung auf Herrlichkeit« (vgl. Kol 1, 27), dank dem »der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal« (Offb 21, 4).
Die Hoffnung angesichts des Scheiterns der Hoffnungen
4 Alle werden sich daran erinnern, dass die Sitzungen der Bischofssynode in höchst dramatischen Tagen stattfanden. Die Synodenväter standen innerlich noch unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001, die den Tod unzähliger unschuldiger Opfer zur Folge hatten und in der Welt neue, sehr ernste Situationen der Unsicherheit und Angst um die menschliche Zivilisation selbst und um das friedliche Zusammenleben der Nationen auslösten. So zeichneten sich zusätzlich zu den bereits bestehenden Konfliktsituationen weitere Horizonte von Krieg und Tod ab, die den dringenden Bedarf deutlich machten, den Friedensfürsten anzurufen, damit die Herzen der Menschen wieder zu Versöhnung, Solidarität und Frieden bereit würden.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Gebet am 11. Oktober 2001: L'Osservatore Romano, 12. Oktober 2001, 1.</ref>
Zugleich mit dem Gebet erhob die Synodenversammlung ihre Stimme, um jede Form von Gewalt zu verurteilen und auf deren tiefste Wurzeln hinzuweisen, die in der Sünde des Menschen liegen. Angesichts des Scheiterns der auf materialistische, immanentistische und ökonomische Ideologien gegründeten menschlichen Hoffnungen, die sich einbilden, alles nach den Bedingungen der Effizienz und der Macht- und Marktverhältnisse bemessen zu können, haben die Synodenväter wieder die Überzeugung bekräftigt, dass allein das Licht des Auferstandenen und der Impuls des Heiligen Geistes dem Menschen helfen, seine Erwartungen auf die Hoffnung zu stützen, die nicht zugrunde gehen lässt. Darum erklärten sie: »Wir dürfen uns nicht durch die verschiedenen Verneinungen des lebendigen Gottes einschüchtern lassen, die mehr oder weniger offen die christliche Hoffnung zu untergraben oder lächerlich zu machen suchen. Wir bekennen in der Freude des Geistes: Christus ist wahrhaft auferstanden! In seiner verklärten Menschheit hat er allen, die die Gnade der Bekehrung annehmen, das ewige Leben erschlossen«.<ref> Bischofssynode, X. Ordentliche Vollversammlung, Botschaft, 8: L'Osservatore Romano, 27. Oktober 2001, 5; vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), 41: AAS 63 (1971), 429-430.</ref>
Die Gewißheit dieses Glaubensbekenntnisses muss so stark sein, dass sie die Hoffnung eines Bischofs von Tag zu Tag mehr festigt, indem sie ihn darauf vertrauen lässt, dass Gottes barmherzige Güte niemals aufhören wird, Heilswege zu errichten und sie der Freiheit jedes Menschen zu öffnen. Es ist die Hoffnung, die ihn dazu ermutigt, in der Umgebung, wo er sein Amt ausübt, die Zeichen des Lebens zu erkennen, die imstande sind, die schädlichen und tödlichen Keime auszumerzen. Die Hoffnung ist es auch, die ihn dabei unterstützt, sogar die Konflikte in Wachstumschancen umzuwandeln, indem er sie der Versöhnung öffnet. Es wird auch die Hoffnung auf Jesus, den Guten Hirten, sein, die sein Herz mit Mitleid erfüllt und ihn veranlaßt, sich dem Schmerz jedes leidenden Menschen zuzuneigen, um seine Wunden zu lindern, wobei er immer die Zuversicht bewahrt, dass das verlorene Schaf wiedergefunden werden kann. Auf diese Weise wird der Bischof immer leuchtender zum Zeichen Christi, des Hirten und Bräutigams der Kirche. Indem er als Vater, Bruder und Freund jedes Menschen handelt, wird er für einen jeden lebendiges Bild Christi, unserer Hoffnung,<ref> Vgl. Propositio 6.</ref> sein, in dem sich alle Verheißungen Gottes erfüllen und alle Erwartungen der Schöpfung zur Vollendung gebracht werden.
Diener des Evangeliums für die Hoffnung der Welt
5 In dieses Apostolische Schreiben nehme ich den im Verlauf der X. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode herangereiften Bestand an Reflexionen auf – von den ersten Lineamenta bis zum Instrumentum Laboris, von den Beiträgen der Synodenväter in der Aula bis zu den beiden Relationes zur Einleitung und zur Zusammenfassung dieser Beiträge, von der Bereicherung an Gedanken und pastoraler Erfahrung, die sich in den circuli minores ergab, bis zu den Propositiones, die mir zum Abschluß der Synodenarbeiten vorgelegt wurden, damit ich für die Gesamtkirche ein eigens zum Synodenthema »Der Bischof – Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt« vorgesehenes Dokument erstelle.<ref> Vgl. Propositio 1.</ref> Während ich mich also auf die Übergabe dieses meines Apostolischen Schreibens vorbereite, richte ich meinen brüderlichen Gruß und sende ich den Friedenskuß an alle Bischöfe, die sich in Gemeinschaft mit diesem Bischofsstuhl befinden, der als erstem Petrus anvertraut wurde, damit er Garant der Einheit sein und, wie von allen anerkannt wird, den Vorsitz in der Liebe haben sollte.<ref> Vgl. Optatus von Mileve, Contra Parmenianum donatistam, 2, 2: PL 11, 947; Ignatius von Antiochien, Ad Romanos, 1, 1: PG 5, 685.</ref>
An euch, ehrwürdige und geliebte Brüder, wiederhole ich die Aufforderung, die ich zu Beginn des neuen Jahrtausends an die ganze Kirche gerichtet habe: Duc in altum! Ja, Christus selbst ist es, der den Ruf erneut an die Nachfolger jener Apostel richtet, die diese Aufforderung aus seinem eigenen Mund vernahmen und im Vertrauen auf ihn zur Mission in alle Welt aufbrachen: Duc in altum! (Lk 5, 4). Im Lichte dieser eindringlichen Aufforderung des Herrn »können wir das dreifache munus, das uns in der Kirche übertragen wurde: munus docendi, sanctificandi et regendi auf neue Weise deuten. Duc in docendo! ,,Verkünde das Wort – würden wir mit dem Apostel sagen –, ,,tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung (2 Tim 4, 2). Duc in sanctificando! Die Netze, die wir unter den Menschen auswerfen sollen, sind in erster Linie die Sakramente, deren erste Spender und Hüter wir sind und deren Ausspendung wir zu regeln und zu fördern haben. Sie bilden eine Art heilbringendes Netz, das vom Bösen befreit und zur Fülle des Lebens führt. Duc in regendo! Als Hirten und wahre Väter haben wir die Aufgabe, mit der Unterstützung der Priester und unserer anderen Mitarbeiter die Familie der Gläubigen zusammenzuführen und in ihr die Liebe zu entzünden und die brüderliche Gemeinschaft zu fördern. Obwohl es sich um einen schwierigen und mühevollen Auftrag handelt, soll niemand den Mut verlieren. Mit Petrus und den ersten Jüngern erneuern auch wir vertrauensvoll unser aufrichtiges Glaubensbekenntnis: Herr, ,,wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen (Lk 5, 5)! Wenn du es sagst, Christus, wollen wir deinem Evangelium dienen für die Hoffnung der Welt!« .<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zur Eröffnung der X. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (30. September 2001), 6: AAS 94 (2002), 111-112.</ref>
Auf diese Weise werden die Bischöfe, wenn sie als Männer der Hoffnung leben und in ihrem eigenen Dienstamt die Ekklesiologie der Gemeinschaft und Sendung widerspiegeln, wirklich ein Grund zur Hoffnung für ihre Herde sein. Wir wissen, die Welt braucht »Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt« (Röm 5, 5). Wir wissen, dass diese Hoffnung Christus ist. Das wissen wir und verkündigen deshalb die Hoffnung, die aus dem Kreuz entspringt.
Ave Crux spes unica! Dieser Gruß, der in der Synodenaula im entscheidenden Augenblick der Arbeiten der X. Vollversammlung der Bischofssynode erschollen ist, soll stets auf unseren Lippen erklingen, weil das Kreuz das Mysterium von Tod und Leben ist. Das Kreuz ist für die Kirche zum »Baum des Lebens« geworden. Deshalb verkünden wir, dass das Leben den Tod besiegt hat.
In dieser österlichen Verkündigung ist uns eine Schar heiliger Bischöfe vorausgegangen, die in medio Ecclesiae beredte Zeichen des Guten Hirten gewesen sind. Darum loben wir stets den allmächtigen und ewigen Gott und danken ihm, weil er uns – wie wir in der heiligen Liturgie singen – in ihrem Leben aus dem Glauben ein Vorbild gibt, uns durch die Botschaft ihrer Predigt belehrt und uns auf ihre Fürbitte Schutz und Hilfe gewährt.<ref> Vgl. Missale Romanum, Präfation von den Hirten der Kirche.</ref> Das Antlitz jedes dieser heiligen Bischöfe, von den Anfängen der Kirche bis in unsere Tage, ist – wie ich zum Abschluß der Synodenarbeiten sagte – gleichsam ein Mosaikstein, der zusammen mit allen anderen in einer Art mystischem Mosaik das Antlitz Christi, des Guten Hirten, bildet. Auf Christus also richten wir unseren Blick und werden auch darin zum Vorbild für die Herde, die der Hirt der Hirten uns anvertraut hat; schauen wir auf ihn, um mit immer größerem Engagement Diener des Evangeliums für die Hoffnung der Welt zu sein.
In der Betrachtung des Antlitzes unseres Herrn und Meisters lassen wir uns alle – wie der Apostel Petrus in der Stunde, in der Jesus »den Seinen seine Liebe bis zur Vollendung erwies« (vgl. Joh 13, 1-9) – von ihm die Füße waschen, um Anteil an ihm zu haben. Und mit der Kraft, die wir von ihm in der heiligen Kirche erhalten, wiederholen wir vor unseren Priestern und Diakonen, vor allen Personen des geweihten Lebens und vor allen geliebten gläubigen Laien mit lauter Stimme: »Wie immer wir sein mögen, ihr sollt nicht eure Hoffnung auf uns setzen: Wenn wir gut sind, sind wir Diener; wenn wir schlecht sind, sind wir Diener. Wenn wir jedoch gute und treue Diener sind, dann sind wir wirklich Diener« .<ref> Augustinus, Sermo 340/A, 9: PL 2, 644.</ref> – Diener des Evangeliums für die Hoffnung der Welt.
ERSTES KAPITEL: MYSTERIUM UND DIENST DES BISCHOFS
»… und wählte aus ihnen zwölf aus« (Lk 6, 13)
6 Der Herr Jesus verkündete während seiner Erdenpilgerschaft das Evangelium vom Reich Gottes, dessen Anbruch er selbst einleitete, indem er allen Menschen sein Geheimnis offenbarte.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 3.</ref> Er berief Männer und Frauen in seine Nachfolge, und wählte unter den Jüngern zwölf aus, »die er bei sich haben wollte« (Mk 3, 14). Das Lukasevangelium führt genauer aus, dass Jesus diese Wahl traf, nachdem er eine ganze Nacht im Gebet auf einem Berg verbracht hatte (vgl. Lk 6, 12). Was das Markusevangelium betrifft, so scheint es diese Handlung Jesu als einen souveränen Akt, einen konstitutiven Akt einzustufen, der denen, die er ausgewählt hat, Identität verleiht: »Er setzte zwölf ein« (Mk 3, 14). So enthüllt sich das Geheimnis der Wahl der Zwölf: Es ist ein Akt der Liebe, von Jesus frei gewollt in tiefer Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist.
Die von Jesus den Aposteln anvertraute Sendung muss bis ans Ende der Zeiten andauern (vgl. Mt 28, 20), weil das Evangelium, zu dessen Weitergabe sie beauftragt sind, das Leben der Kirche zu jeder Zeit ist. Eben deshalb trugen die Apostel für die Bestellung von Nachfolgern Sorge, so dass, nach dem Zeugnis des hl. Irenäus, die apostolische Überlieferung durch die Jahrhunderte hin kundgemacht und bewahrt werden sollte.<ref> Vgl. Adversus haereses, III, 2,2; III, 3,1: PG 7, 847; 848; vgl. Propositio 2.</ref>
An der besonderen Ausgießung des Heiligen Geistes, mit dem die Apostel vom auferstandenen Herrn beschenkt wurden (vgl. Apg 1, 5.8; 2, 4; Joh 20, 22-23), ließen sie ihre Mitarbeiter durch die Auflegung der Hände teilhaben (vgl. 1 Tim 4, 14; 2 Tim 1, 6-7). Diese wiederum gaben sie mit derselben Geste an andere weiter, und diese wieder an andere. Auf diese Weise ist die geistliche Gabe des Anfangs durch die Auflegung der Hände, das heißt durch die Bischofsweihe, welche die Fülle des Weihesakramentes, das Hohepriestertum, die Ganzheit des heiligen Dienstamtes überträgt, bis auf uns gekommen. Durch die Bischöfe und die Priester, die ihnen zur Seite stehen, ist also der Herr Jesus Christus, auch wenn er zur Rechten des Vaters sitzt, weiterhin inmitten der Gläubigen anwesend. Zu allen Zeiten und an allen Orten verkündet er allen Völkern Gottes Wort, spendet den Gläubigen die Sakramente des Glaubens und lenkt und ordnet gleichzeitig das Volk des Neuen Bundes auf seiner Pilgerschaft zur ewigen Seligkeit. Der Gute Hirt verlässt seine Herde nicht, sondern hütet und schützt sie immer mittels derjenigen, die, wenn sie kraft der seinsmäßigen Teilhabe an seinem Leben und seiner Sendung die Aufgabe des Lehrers, Hirten und Priesters in hervorragender und sichtbarer Weise innehaben, an seiner Stelle handeln. Bei der Ausübung der mit dem Hirtenamt verbundenen Aufgaben sind sie als seine Stellvertreter und Gesandte eingesetzt.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 21; 27.</ref>
Das trinitarische Fundament des Bischofsamtes
7 Die christologische Dimension des Hirtenamtes, wenn man sie in ihrer Tiefgründigkeit betrachtet, führt hin zum Verständnis des trinitarischen Fundamentes des Amtes selbst. Das Leben Christi ist trinitarisch. Er ist der ewige und eingeborene Sohn des Vaters und der mit dem Heiligen Geist Gesalbte, der in die Welt gesandt worden ist; er ist der, welcher zusammen mit dem Vater der Kirche den Heiligen Geist sendet. Diese trinitarische Dimension, die in der ganzen Seins- und Handlungsweise Christi offenbar wird, formt auch das Sein und Handeln des Bischofs. Mit Recht hatten also die Synodenväter den ausdrücklichen Wunsch, Leben und Dienstamt des Bischofs im Licht der in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils enthaltenen trinitarischen Ekklesiologie zu veranschaulichen.
Sehr alt ist die Überlieferung, die den Bischof als Abbild des himmlischen Vaters darstellt, der – wie der heilige Ignatius von Antiochien schrieb – so etwas wie der unsichtbare Bischof, der Bischof aller ist. Jeder Bischof nimmt folglich den Platz des Vaters Jesu Christi ein, so dass er wegen dieser Vertretung von allen geachtet werden muss.<ref> Vgl. Ad Magnesios, 6, 1: PG 5, 764; Ad Trallianos, 3, 1: PG 5, 780; Ad Smyrnæos, 8, 1: PG 5, 852.</ref> Im Zusammenhang mit dieser symbolischen Struktur kann der Bischofsstuhl, der besonders in der Tradition der Ostkirche an die väterliche Autorität Gottes erinnert, nur vom Bischof besetzt werden. Aus dieser selben Struktur ergibt sich für jeden Bischof die Pflicht, sich mit väterlicher Liebe des heiligen Gottesvolkes anzunehmen und es zusammen mit den Priestern, den Mitarbeitern des Bischofs in seinem Dienst, und mit den Diakonen auf dem Weg des Heiles zu führen.<ref> Vgl. Pontificale Romanum: De ordinatione episcopi, Versprechen des Erwählten.</ref> Umgekehrt sollen die Gläubigen, wie ein alter Text mahnt, die Bischöfe lieben, die nach Gott ihre Väter und Mütter sind.<ref> Vgl. Didascalia Apostolorum, II, 33,1: F.X. Funk, I, 115.</ref> Daher wird gemäß einem in einigen Kulturen verbreiteten Brauch die Hand des Bischofs wie die Hand des liebevollen Vaters und Spenders des Lebens geküßt.
Christus ist das ursprüngliche Abbild des Vaters und die Kundmachung seiner barmherzigen Anwesenheit unter den Menschen. Der Bischof, der in der Person und im Namen Christi selbst handelt, wird in der ihm anvertrauten Kirche zum lebendigen Zeichen des Herrn Jesus, des Hirten und Bräutigams, Lehrers und Hohenpriesters der Kirche.<ref> Vgl. Propositio 6.</ref> Hier liegt die Quelle des Hirtenamtes, durch das, wie es das vom Pontificale Romanum vorgeschlagene Homilieschema empfiehlt, die drei Funktionen der Belehrung, Heiligung und Leitung des Gottesvolkes mit den charakteristischen Eigenschaften des Guten Hirten ausgeübt werden müssen: Liebe, Kennen der Herde, Sorge um alle, barmherziges Handeln gegenüber den Armen, den Fremden, den Notleidenden, Suche nach den verlorenen Schafen, um sie in den einen Schafstall zurückzubringen.
Da schließlich die Salbung mit dem Heiligen Geist den Bischof Christus gleichgestaltet, befähigt sie ihn dazu, in seinem Leben das Geheimnis Christi zugunsten der Kirche fortzuführen. Wegen dieser trinitarischen Kennzeichnung seines Wesens ist jeder Bischof in seinem Dienst verpflichtet, liebevoll über die ganze Herde zu wachen, in deren Mitte er vom Geist gestellt wurde, um die Kirche Gottes zu führen: im Namen des Vaters, dessen Bild er vergegenwärtigt; im Namen Jesu Christi, seines Sohnes, von dem er zum Lehrer, Priester und Hirten eingesetzt worden ist; im Namen des Heiligen Geistes, der der Kirche Leben verleiht und mit seiner Kraft die menschliche Schwachheit stärkt.<ref> Vgl. Pontificale Romanum: De ordinatione episcopi, Homilie.</ref>
Kollegialer Charakter des Bischofsamtes
8 »... er setzte zwölf ein« (Mk 3, 14). Mit diesem Hinweis auf das Evangelium leitet die dogmatische Konstitution Lumen gentium die Lehre über den kollegialen Charakter des Kreises der Zwölf ein, die eingesetzt wurden »nach Art eines Kollegiums oder eines festen Kreises, an dessen Spitze er den aus ihrer Mitte erwählten Petrus stellte« <ref> Nr. 19.</ref> In gleicher Weise sind der Papst als Nachfolger des seligen Petrus als Bischof von Rom und alle Bischöfe in ihrer Gesamtheit als Nachfolger der Apostel untereinander nach Art eines Kollegiums verbunden.<ref> Vgl. ebd., 22; Codex des kanonischen Rechtes, can. 330; Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 42.</ref>
Die kollegiale Einheit zwischen den Bischöfen gründet zugleich auf der Bischofsweihe und auf der hierarchischen Gemeinschaft; daher berührt sie die Tiefe des Seins eines jeden Bischofs und gehört zur Struktur der Kirche, wie sie dem Willen Jesu Christi entspricht. In die Fülle des Bischofsamtes wird man nämlich versetzt kraft der Bischofsweihe und durch die hierarchische Gemeinschaft mit dem Haupt des Kollegiums und mit den Gliedern, das heißt mit dem Kollegium, das immer als eine Einheit mit seinem Haupt zu verstehen ist. Das ist das Wesen der Eingliederung in das Bischofskollegium,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22; Codex des kanonischen Rechtes, can. 336; Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 49.</ref> und darum müssen auch die drei bei der Bischofsweihe empfangenen Ämter – das Amt des Heiligens, des Lehrens und des Leitens – in der hierarchischen Gemeinschaft ausgeübt werden, was allerdings wegen ihrer verschiedenen unmittelbaren Zielsetzungen in unterschiedlicher Weise geschieht.<ref> Vgl. Propositio 20; II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 21; Codex des kanonischen Rechtes, can. 375 § 2.</ref>
Das ist der sogenannte affectus collegialis, jene »kollegiale Gesinnung« oder affektive Kollegialität, aus der die Sorge der Bischöfe für die anderen Teilkirchen und für die Universalkirche entspringt.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 23; Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus, 3; 5; 6; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben erlassen als »Motu proprio« Apostolos suos (21. Mai 1998), 13: AAS 90 (1998), 650-651.</ref> Wenn man also sagen muss, dass ein Bischof nie allein steht, da er immer durch den Sohn im Heiligen Geist mit dem Vater verbunden ist, muss man außerdem hinzufügen, dass er auch deshalb nie allein steht, weil er immer und ständig mit seinen Brüdern im Bischofsamt und mit demjenigen verbunden ist, den der Herr als Nachfolger des Petrus erwählt hat.
Diese kollegiale Gesinnung verwirklicht und äußert sich den unterschiedlichen Stufen entsprechend in verschiedenen, auch institutionalisierten Formen, wie zum Beispiel der Bischofssynode, den Partikularkonzilien, den Bischofskonferenzen, der Römischen Kurie, den Ad limina-Besuchen, der Zusammenarbeit in der Mission usw. Voll und ganz verwirklicht und äußert sich die kollegiale Gesinnung jedoch nur in der kollegialen Handlung im engen Sinn, das heißt in der Handlung aller Bischöfe zusammen mit ihrem Haupt, mit dem sie die volle und höchste Gewalt über die Gesamtkirche ausüben.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Pastor bonus (28. Juni 1988), Adnexum I, 4: AAS 80 (1988), 914-915; II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22; Codex des kanonischen Rechtes, can. 337 §§ 1.2; Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 50 §§ 1.2.</ref>
Dieser kollegiale Charakter des apostolischen Dienstes entspricht dem Willen Christi selbst. Die kollegiale Gesinnung oder affektive Kollegialität (collegialitas affectiva) besteht somit unter den Bischöfen als communio episcoporum immer, sie äußert sich aber nur in einigen Handlungen als effektive Kollegialität (collegialitas effectiva). Die verschiedenen Weisen der Umsetzung der affektiven Kollegialität in effektive Kollegialität sind menschlicher Natur, konkretisieren aber in unterschiedlichen Graden die von Gott her kommende Notwendigkeit, dass sich der Episkopat in kollegialer Form zum Ausdruck bringt.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluß der VII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (29. Oktober 1987): AAS 80 (1988), 610; Apostolische Konstitution Pastor bonus (28. Juni 1988): Adnexum I, 5: AAS 80 (1988) 915-916; II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22.</ref> Auf den Ökumenischen Konzilien wird dann die höchste Gewalt des Kollegiums über die Gesamtkirche in feierlicher Form ausgeübt.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22.</ref>
Die kollegiale Dimension verleiht dem Episkopat den Charakter der Universalität. Man kann somit eine Parallelität zwischen der einen und allumfassenden, also ungeteilten Kirche und dem einen und ungeteilten, also allumfassenden Episkopat feststellen. Prinzip und Fundament dieser Einheit sowohl der Kirche wie des Kollegiums der Bischöfe ist der Papst. Denn wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, stellt das Kollegium,»insofern es aus vielen zusammengesetzt ist, die Vielfalt und Universalität des Gottesvolkes, insofern es unter einem Haupt versammelt ist, die Einheit der Herde Christi dar« .<ref> Ebd.</ref> Darum ist»die Einheit des Episkopats eines der konstitutiven Elemente der Einheit der Kirche«.<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben erlassen als »Motu proprio« Apostolos suos (21. Mai 1998), 8: AAS 90 (1998), 647.</ref>
Die Gesamtkirche ist weder die Summe der Teilkirchen, noch eine Föderation von Teilkirchen und auch nicht das Ergebnis ihrer Gemeinschaft, denn nach den Aussagen der frühen Kirchenväter und der Liturgie geht sie in ihrem wesentlichen Mysterium der eigentlichen Schöpfung voraus.<ref> Vgl. Sacramentarium von AngoulÊme, In dedicatione basilicae novae: »Dirige, Domine, quaesumus, ecclesiam tuam dispensatione caelesti, ut, quae ante mundi principium in tua semper est praesentia praeparata, usque ad plenitudinem gloriamque promissam te moderante perveniat« : CCSL 159 C, Rubr. 1851; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 758-760; Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Communionis notio (28. Mai 1992), 9: AAS 85 (1993), 843.</ref> Im Lichte dieser Lehre wird man hinzufügen können, dass die Beziehung eines wechselseitigen Ineinander-Vorhandenseins, die zwischen der Gesamtkirche und der Teilkirche gilt – weshalb die Teilkirchen »nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind und in ihnen und aus ihnen die eine und einzige katholische Kirche besteht«<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 23.</ref> – sich in der Beziehung zwischen dem Bischofskollegium in seiner Gesamtheit und dem einzelnen Bischof wiederholt. Darum »ist das Bischofskollegium nicht als die Summe der den Teilkirchen vorstehenden Bischöfe, noch als Ergebnis ihrer Gemeinschaft zu verstehen, sondern ist als wesentliches Element der Gesamtkirche eine Wirklichkeit, die dem Auftrag, einer Teilkirche vorzustehen, vorgeordnet ist«.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben erlassen als »Motu proprio« Apostolos suos (21. Mai 1998), 9.12.13: AAS 90 (1998), 647-651.</ref>
Im Licht der Aussage des Konzils können wir diese Parallelität zwischen der Gesamtkirche und dem Kollegium der Bischöfe besser verstehen: »So bildeten die Apostel die Keime des neuen Israel und zugleich den Ursprung der heiligen Hierarchie«.<ref> Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 5.</ref> Bei den Aposteln war, insofern man sie nicht einzeln, sondern als Kollegium betrachtet, die Struktur der Kirche, die in ihrer Universalität und Einheit in ihnen gegründet war, und des Kollegiums der Bischöfe, der Nachfolger der Apostel, als Zeichen dieser Universalität und Einheit, bereits vorgebildet.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22.</ref>
Somit »ergibt sich die Gewalt des Bischofskollegiums über die ganze Kirche nicht aus der Summe der Gewalten der einzelnen Bischöfe über ihre Teilkirchen; sie ist eine vorgeordnete Wirklichkeit, an der die einzelnen Bischöfe teilhaben, die nur kollegial über die ganze Kirche entscheiden können«.<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben erlassen als »Motu proprio« Apostolos suos (21. Mai 1998), 12: AAS 90 (1998), 650.</ref> An dieser Lehr- und Leitungsgewalt haben die Bischöfe unmittelbar und solidarisch teil, weil sie Glieder des Bischofskollegiums sind, in dem das Apostelkollegium real fortbesteht.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 22.</ref>
Wie die Gesamtkirche eine und unteilbar ist, so ist auch das Bischofskollegium ein »unteilbares theologisches Subjekt«, und daher ist auch die höchste, volle und universale Gewalt, deren Subjekt das Kollegium ebenso wie der Papst persönlich ist, eine und unteilbar. Eben weil das Bischofskollegium eine Wirklichkeit ist, die dem Amt, einer Teilkirche vorzustehen, vorgeordnet ist, gibt es viele Bischöfe, die zwar eigentliche bischöfliche Aufgaben erfüllen, aber doch keiner Teilkirche vorstehen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben erlassen als »Motu proprio« Apostolos suos (21. Mai 1998), 12: AAS 90 (1998), 649-650.</ref> Jeder Bischof vertritt – immer in Einheit mit allen Brüdern im Bischofsamt und mit dem Papst – Christus, das Haupt und den Hirten der Kirche: nicht nur in eigener und spezifischer Weise, wenn er das Hirtenamt einer Teilkirche erhält, sondern auch, wenn er mit dem Diözesanbischof in der Leitung seiner Kirche zusammenarbeitet<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über das Hirtenamt der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus, 25-26.</ref> oder am allgemeinen Hirtenamt des Papstes bei der Leitung der Gesamtkirche teilhat. Infolge der Tatsache, dass die Kirche im Laufe ihrer Geschichte außer dem eigentlichen Vorsitz einer Teilkirche auch andere Formen der Ausübung des Bischofsamtes, wie das der Weihbischöfe oder der Vertreter des Papstes in den Behörden des Heiligen Stuhls oder in den päpstlichen Gesandtschaften anerkannt hat, lässt sie auch heute, nach Maßgabe des Rechts, solche Formen zu, wenn sie sich als notwendig erweisen.<ref> Vgl. Propositio 33.</ref>
Missionarischer Charakter und Einheitlichkeit des bischöflichen Dienstamtes
9 Das Lukasevangelium (vgl. 6, 13) berichtet, dass Jesus den Zwölf den Namen Apostel gab, was wörtlich Ausgesandte, Beauftragte bedeutet. Im Markusevangelium lesen wir zudem, dass Jesus die Zwölf einsetzte, »weil er sie dann aussenden wollte, damit sie predigten« (3, 14). Das bedeutet, dass sowohl die Erwählung als auch die Einsetzung der Zwölf als Apostel auf die Mission ausgerichtet sind. Ihre erste Aussendung (vgl. Mt 10, 5; Mk 6, 7; Lk 9, 1-2) findet ihre Erfüllung in dem Auftrag, mit dem sie Jesus nach der Auferstehung zum Zeitpunkt seiner Himmelfahrt betraut. Es sind Worte, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28, 18-20). Dieser Missionsauftrag an die Apostel hat am Tag der pfingstlichen Ausgießung des Heiligen Geistes seine feierliche Bestätigung erhalten.
Im soeben zitierten Text aus dem Matthäusevangelium ist das ganze Hirtenamt als ein entsprechend der dreifachen Aufgabe des Lehrens, des Heiligens und des Leitens gegliedertes erkennbar. Wir sehen darin ein Spiegelbild der dreifachen Dimension des Dienstes und der Sendung Christi. Tatsächlich nehmen wir als Christen und – auf qualitativ neue Weise – als Priester teil an der Sendung unseres Meisters, der Prophet, Priester und König ist, und sind aufgerufen, in der Kirche und vor der Welt von ihm ein eigenes Zeugnis abzulegen. Diese drei Aufgaben (triplex munus) und die daraus abgeleiteten Gewalten sind auf der Handlungsebene Ausdruck des Hirtenamtes (munus pastorale), das jeder Bischof durch die Bischofsweihe empfängt. Dieselbe Liebe Christi, die ihm bei der Weihe zuteil wird, nimmt in der Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung an alle Menschen (vgl. Lk 4, 16-19), in der Spendung der Sakramente an jeden, der das Heil empfängt, und in der Führung des heiligen Volkes zum ewigen Leben konkrete Gestalt an. Es handelt sich in der Tat um Aufgaben, die eng miteinander verbunden sind, die sich gegenseitig erklären, bedingen und erhellen.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 21; 27; Johannes Paul II., Brief an die Priester Novo incipiente (8. April 1979), 3: AAS 71 (1979), 397.</ref> Gerade deshalb gilt: Wenn der Bischof das Volk Gottes lehrt, heiligt und leitet er es gleichzeitig; während er heiligt, lehrt und leitet er auch; wenn er leitet, lehrt und heiligt er. Der heilige Augustinus definiert die Ganzheit dieses bischöflichen Dienstes als amoris officium.<ref> Vgl. In Ioannis Evangelium tractatus, 123, 5: PL 35, 1967.</ref> Das schenkt die Gewißheit, dass die Hirtenliebe Jesu Christi in der Kirche niemals versiegen wird.
»… er rief die zu sich, die er erwählt hatte« (Mk 3, 13)
10 Eine große Menschenmenge folgte Jesus, als er beschloß, auf den Berg zu steigen und die Apostel zu sich zu rufen. Der Jünger waren viele, aber nur zwölf von ihnen wählte er für das besondere Apostelamt aus (vgl. Mk 3, 13-19). In der Synodenaula war häufig das Wort des heiligen Augustinus zu hören: »Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ« .<ref> Sermo 340, 1: PL 38, 1483: »Vobis enim sum episcopus, vobiscum sum christianus« .</ref>
Der Bischof, ein Geschenk des Geistes an die Kirche, ist zuallererst und wie jeder andere Christ Sohn und Glied der Kirche. Von dieser heiligen Mutter hat er im Sakrament der Taufe die Gabe des göttlichen Lebens und die erste Unterweisung im Glauben empfangen. Mit allen anderen Gläubigen teilt er die unübertreffliche Würde der Gotteskindschaft, die er in der Gemeinschaft und im Geist dankbarer Brüderlichkeit zu leben hat. Andererseits hat der Bischof kraft der Fülle des Weihesakramentes gegenüber den Gläubigen das Amt des Lehrens, des Heiligens und des Leitens und ist dazu beauftragt, im Namen und in der Person Christi zu handeln.
Es handelt sich offensichtlich um zwei Beziehungen, die nicht einfach nebeneinander, sondern – so wie sie einander zugeordnet sind – in einem wechselseitigen, innigen Verhältnis stehen, denn beide schöpfen aus dem Reichtum Christi, des einzigen Hohenpriesters. Der Bischof wird gerade deshalb zum »Vater« , weil er ganz »Sohn« der Kirche ist. Damit wird wiederum die Beziehung zwischen dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen und dem Amtspriestertum vorgelegt: zwei Formen der Teilhabe an dem einen Priestertum Christi, in dem zwei Dimensionen vorhanden sind, die sich im höchsten Akt des Kreuzesopfers verbinden. Das wirkt sich auf die Beziehung aus, die in der Kirche zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem Amtspriestertum besteht. Der Umstand, dass sie, obgleich sie sich dem Wesen nach unterscheiden, einander zugeordnet sind,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 10.</ref> schafft eine Wechselseitigkeit, die zum harmonischen Aufbau des Lebens der Kirche als Ort des geschichtlichen Vollzugs des von Christus gewirkten Heils beiträgt. Diese Wechselseitigkeit findet sich gerade in der Person des Bischofs wieder, der ein Getaufter ist und bleibt, aber in das Hohepriestertum eingesetzt wurde. Diese innerste Wirklichkeit des Bischofs ist die Grundlage dafür, dass er »mitten unter« den anderen Gläubigen ist und ihnen »gegenüber« steht.
Daran erinnert das Zweite Vatikanische Konzil in einem sehr schönen Text: »Wenn also in der Kirche nicht alle denselben Weg gehen, so sind doch alle zur Heiligkeit berufen und haben den gleichen Glauben erlangt in Gottes Gerechtigkeit (vgl. 2 Petr 1, 1). Wenn auch einige nach Gottes Willen als Lehrer, Ausspender der Geheimnisse und Hirten für die anderen bestellt sind, so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi. Der Unterschied, den der Herr zwischen den geweihten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine Verbindung ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger Beziehung miteinander verbunden sind. Die Hirten der Kirche sollen nach dem Beispiel des Herrn einander und den übrigen Gläubigen dienen, diese aber sollen voll Eifer mit den Hirten und Lehrern eng zusammenarbeiten«.<ref> Ebd., 32.</ref> Das bei der Weihe empfangene Hirtenamt, das den Bischof den anderen Gläubigen »gegenüber« stellt, drückt sich in seinem »Sein-für« die anderen Gläubigen aus, das ihn nicht aus seinem »Sein-mit« ihnen herausreißt. Das gilt sowohl für seine persönliche Heiligung, die er in der Ausübung seines Amtes suchen und verwirklichen muss, als auch für den Stil der tatsächlichen Ausführung des Dienstamtes in allen seinen Aufgaben. Die Wechselbeziehung, die zwischen dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen und dem Amtspriestertum besteht und die sich im Bischofsamt wiederfindet, zeigt sich in einer Art »Kreislauf« zwischen den beiden Formen des Priestertums: Kreislauf zwischen dem Glaubenszeugnis aller Gläubigen und dem authentischen Glaubenszeugnis des Bischofs in seinen lehramtlichen Akten; Kreislauf zwischen dem heiligen Leben der Gläubigen und den Mitteln zur Heiligung, die ihnen der Bischof bietet; Kreislauf, schließlich, zwischen der persönlichen Verantwortung des Bischofs für das Wohl der ihm anvertrauten Kirche und der Mitverantwortung aller Gläubigen für das Wohl derselben Kirche.
ZWEITES KAPITEL: DAS GEISTLICHE LEBEN DES BISCHOFS
»Er setzte zwölf ein, die er bei sich haben wollte« (Mk 3, 14)
11 Durch denselben Akt seiner Liebe, mit dem er aus freien Stücken die Apostel einsetzt, beruft Jesus die Zwölf dazu, sein Leben zu teilen. Daher ist auch dieses Teilen, das Seelen- und Willensgemeinschaft mit ihm bedeutet, eine auf ihre Mitwirkung an seiner Sendung bezogene Forderung. Man darf die Funktionen des Bischofs nicht auf eine rein organisatorische Aufgabe reduzieren. Um dieser Gefahr vorzubeugen, haben sowohl die Dokumente zur Vorbereitung der Synode als auch viele Wortmeldungen der Synodenväter in der Aula auf dem bestanden, was im persönlichen Leben des Bischofs und in der Ausübung des ihm aufgetragenen Dienstes die Wirklichkeit des Bischofsamtes als Fülle des Weihesakramentes in seinen theologischen, christologischen und pneumatologischen Grundlagen ausmacht.
Der objektiven Heiligung, die man durch Christus im Sakrament mit der Spendung des Geistes erfährt, muss die subjektive Heiligkeit entsprechen, in welcher der Bischof mit Hilfe der Gnade durch die Ausübung des Dienstamtes immer weitere Fortschritte machen muss. Die von der Weihe als Gleichgestaltung mit Christus bewirkte seinsmäßige Umwandlung verlangt einen Lebensstil, der das »Bei-ihm-sein« deutlich zu erkennen geben soll. Wiederholt wurde daher in der Synodenaula die Hirtenliebe als Frucht sowohl des vom Sakrament eingeprägten Charakters wie der dem Sakrament eigenen Gnade nachdrücklich betont. Die Liebe, so ist gesagt worden, ist gleichsam die Seele des bischöflichen Dienstes, der in einer Dynamik pastoraler Pro-Existenz steht, aus der heraus er dazu angespornt wird, wie Christus, der Gute Hirte, in täglicher Selbsthingabe für den Vater und für die anderen zu leben.
Vor allem in der Ausübung seines Amtes, die sich an der Nachahmung der Liebe des Guten Hirten inspiriert, ist der Bischof gerufen, heilig zu werden und zu heiligen. Als einigendes Prinzip dient ihm hierbei die Betrachtung des Antlitzes Christi und die Verkündigung des Evangeliums vom Heil.<ref> Vgl. Propositio 8</ref> Daher schöpft seine Spiritualität Orientierung und Anregung nicht nur aus dem Sakrament der Taufe und der Firmung, sondern gerade auch aus der Bischofsweihe, die ihn dazu verpflichtet, seinen Dienst als Verkündiger des Evangeliums, als Liturge und als Leiter der Gemeinschaft im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu leben. Die Spiritualität des Bischofs wird also auch eine kirchliche Spiritualität sein; denn alles in seinem Leben ist auf den liebevollen Aufbau der heiligen Kirche ausgerichtet.
Dies verlangt im Bischof eine dienstbereite Haltung, die von seelischer Stärke, apostolischem Mut und vertrauensvoller Hingabe an das innere Wirken des Geistes geprägt ist. Er wird sich daher bemühen, einen Lebensstil anzunehmen, der die kénosis des dienenden, armen und demütigen Christus nachahmt. Auf diese Weise soll die Ausübung seines Hirtenamtes ein kohärentes Spiegelbild Jesu, des Gottesknechtes, sein und ihn dazu anhalten, wie dieser allen – vom Größten bis zum Geringsten – nahe zu sein. In einer gewissen Wechselseitigkeit heiligt also die treue und liebevolle Ausübung des Dienstes den Bischof und gleicht ihn auf subjektiver Ebene immer mehr dem ontologischen Reichtum der Heiligkeit an, den das Sakrament in ihn gelegt hat.
Die persönliche Heiligkeit des Bischofs bleibt jedoch niemals auf einer rein subjektiven Ebene stehen, weil sie in ihrer Wirkung immer den seiner pastoralen Sorge anvertrauten Gläubigen zum Vorteil gereicht. In der praktischen Übung der Liebe, die der Inhalt des empfangenen Hirtenamtes ist, wird der Bischof zum Zeichen Christi und gewinnt jenes moralische Ansehen, das die Ausübung der rechtlichen Autorität braucht, um auf die Umwelt wirksam Einfluß ausüben zu können. Wenn sich nämlich das Bischofsamt nicht auf das Zeugnis der Heiligkeit stützt, die in der pastoralen Liebe, in der Demut und in der Einfachheit des Lebens zum Ausdruck kommt, wird es schließlich zu einer nahezu reinen Funktionsrolle verkürzt und verliert unvermeidlich an Glaubwürdigkeit beim Klerus und bei den Gläubigen.
Berufung zur Heiligkeit in der Kirche unserer Zeit
12 Ein biblisches Bild scheint besonders geeignet, um die Gestalt des Bischofs als Freund Gottes, als Hirte und Leiter des Volkes zu beleuchten. Es ist die Gestalt des Mose. Durch den Blick auf ihn kann sich der Bischof inspirieren lassen: in seinem Sein und Handeln als vom Herrn erwählter und gesandter Hirte, der seinem Volk auf dem Weg in das verheißene Land mutig vorangeht, der das Wort und Gesetz des lebendigen Gottes getreu auslegt, als Mittler des Bundes, der glühend und vertrauensvoll im Gebet für sein Volk eintritt. Wie Mose, der nach dem Gespräch mit Gott auf dem heiligen Berg mit strahlendem Gesicht in die Mitte seines Volkes zurückkehrte (vgl. Ex 34, 29-30), so wird auch der Bischof die Zeichen dafür, dass er Vater, Bruder und Freund ist, nur dann unter seine Brüder tragen können, wenn er in die dichte und lichterfüllte Wolke des Geheimnisses des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes eingetreten ist. Vom Licht der Dreifaltigkeit erleuchtet, wird er Zeichen der barmherzigen Güte des Vaters, ein lebendiges Abbild der Liebe des Sohnes, ein offen erkennbarer Mann des Geistes sein, der geweiht und gesandt ist, das Volk Gottes auf seiner Pilgerschaft durch die Zeit hin zur Ewigkeit zu führen.
Die Synodenväter haben die Bedeutung des geistlichen Bemühens im Leben, im Dienst und auf dem Weg des Bischofs mit aller Klarheit herausgestellt. Ich selbst habe auf diese Vordringlichkeit im Einklang mit den Erfordernissen des Lebens der Kirche und mit dem Anruf des Heiligen Geistes hingewiesen, der in diesen Jahren allen den Primat der Gnade, das verbreitete Bedürfnis nach Spiritualität und die Dringlichkeit des Zeugnisgebens für die Heiligkeit in Erinnerung gerufen hat.
Der Verweis auf die Spiritualität entspringt aus der Bezugnahme auf das Wirken des Heiligen Geistes in der Heilsgeschichte. Seine Gegenwart ist aktiv und dynamisch, prophetisch und missionarisch. Die Gabe der Fülle des Heiligen Geistes, die der Bischof bei der Bischofsweihe empfängt, ist eine wertvolle und eindringliche Ermahnung, seinem Wirken in der kirchlichen Gemeinschaft und in der weltweiten Sendung nachzukommen.
Die unmittelbar nach der Feier des Großen Jubiläums des Jahres 2000 abgehaltene Synodenversammlung hat sich den Vorsatz eines heiligen Lebens, das ich selbst der ganzen Kirche empfohlen habe, von Anfang an zu eigen gemacht: »Die Perspektive, in die der pastorale Weg eingebettet ist, heißt Heiligkeit... Nach dem Jubiläum beginnt wieder der gewöhnliche Weg, doch der Hinweis auf die Heiligkeit bleibt mehr denn je ein dringendes Desiderat der Pastoral«.<ref> Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 30: AAS 93 (2001), 287.</ref> Die begeisterte und großzügige Annahme meines Appells, die Berufung zur Heiligkeit an die erste Stelle zu setzen, bildete die Atmosphäre, in der die Synodenarbeit ablief, und das Klima, das die Beiträge und Überlegungen der Synodenväter in gewisser Weise auf einen einheitlichen Nenner gebracht hat. Sie vernahmen in ihren Herzen den Widerhall der Mahnung des heiligen Gregor von Nazianz: »Zuerst sich läutern und dann [andere] läutern, zuerst sich von der Weisheit belehren lassen und dann andere lehren, zuerst Licht werden und dann erleuchten, zuerst sich Gott nähern und dann andere hinführen, zuerst sich heiligen und dann heiligen«.<ref> Oratio II, 71: PG 35, 479.</ref>
Aus diesem Grund kam von der Synodenversammlung mehrmals die Aufforderung, das spezifisch »Bischöfliche« des Weges der Heiligkeit eines Bischofs klar und deutlich zu bestimmen. Es wird immer eine mit dem Volk und für das Volk gelebte Heiligkeit sein, in einem Miteinander, das zum Ansporn und zur gegenseitigen Auferbauung in der Liebe wird. Und dabei handelt es sich nicht um belanglose oder nebensächliche Ansprüche. Denn tatsächlich begünstigt gerade das geistliche Leben des Bischofs die Fruchtbarkeit seines seelsorglichen Wirkens. Bildet etwa nicht die beständige Meditation des Mysteriums Christi, die leidenschaftliche Betrachtung seines Antlitzes und die großzügige Nachahmung des Lebens des Guten Hirten das Fundament jeder wirksamen Seelsorge? Wenn es stimmt, dass unsere Zeit in ständiger Bewegung ist und geradezu in Unruhe mit der deutlichen Gefahr des »Machens um des Machens willen« versetzt wird, dann muss der Bischof als erster durch das Beispiel seines Lebens zeigen, dass es gilt, den Vorrang des »Seins« vor dem »Machen« und noch mehr den Vorrang der Gnade wiederherzustellen, der in der christlichen Lebensvorstellung auch für eine »Planung« des pastoralen Dienstes wesentlich ist.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 15; 31: AAS 93 (2001), 276; 288.</ref>
Der geistliche Weg des Bischofs
13 Ein Bischof kann sich wirklich nur dann für einen Diener an der Gemeinschaft und an der Hoffnung für das heilige Volk Gottes halten, wenn er seinen Weg in der Gegenwart des Herrn geht. Es ist nämlich nicht möglich, den Menschen zu dienen, ohne vorher »Diener Gottes« zu sein. Und Diener Gottes kann man nur sein, wenn man ein »Mann Gottes« ist. Deshalb habe ich in der Predigt zur Eröffnung der Synode gesagt: »Der Bischof muss ein Mann Gottes sein; seine Existenz und sein Amt stehen gänzlich unter der göttlichen Herrschaft und schöpfen Licht und Kraft aus dem erhabensten Geheimnis Gottes«.<ref> Nr. 5: AAS 94 (2002), 111.</ref>
Die Berufung zur Heiligkeit ist für den Bischof in das sakramentale Geschehen, das am Beginn seines Amtes steht, nämlich die Bischofsweihe, mit eingeschlossen. Das antike Euchologion des Serapion faßt die rituelle Anrufung bei der Konsekration in die Worte: »Gott der Wahrheit, mach diesen [deinen Diener] zu einem lebendigen Bischof, einem heiligen Bischof in der Nachfolge der heiligen Apostel«.<ref> Sacramentarium Serapionis, 28: F.X. Funk, II, 191.</ref> Da jedoch die Bischofsweihe nicht die Vollkommenheit der Tugenden einflößt, »ist der Bischof aufgerufen, seinen Weg der Heiligung mit größerer Intensität fortzusetzen, um das Format Christi, des vollkommenen Menschen, zu erreichen«.<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zur Eröffnung der X. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (30. September 2001), 5: AAS 94 (2002), 111.</ref>
Die christologische und trinitarische Natur selbst seines Geheimnisses und Amtes macht für den Bischof einen Weg der Heiligkeit erforderlich, der in einem beständigen Fortschreiten zu einer immer tieferen spirituellen und apostolischen Reife besteht, die vom Vorrang der pastoralen Liebe gekennzeichnet ist. Ein Weg, der offensichtlich zusammen mit dem Volk beschritten wird, im Rahmen eines größeren Plans, der, wie das Leben der Kirche selbst, zugleich persönlich und gemeinschaftlich ist. Auf diesem Weg jedoch wird der Bischof in inniger Gemeinschaft mit Christus und in gewissenhafter Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist zum Zeugen, Vorbild, Förderer und Wegbereiter. So drückt es auch das Kirchenrecht aus: »Eingedenk seiner Verpflichtung, selbst ein Beispiel der Heiligkeit zu geben in Liebe, Demut und Einfachheit des Lebens, hat der Diözesanbischof alles daranzusetzen, die Heiligkeit der Gläubigen entsprechend der je eigenen Berufung des einzelnen zu fördern; da er der vornehmliche Ausspender der Geheimnisse Gottes ist, hat er ständig darauf hinzuarbeiten, dass die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen durch die Feier der Sakramente in der Gnade wachsen und so das österliche Geheimnis erkennen und leben«.<ref> Codex des kanonischen Rechtes, can. 387; Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 197.</ref>
Der geistliche Weg des Bischofs hat wie der jedes Christgläubigen seine Wurzel natürlich in der sakramentalen Gnade der Taufe und Firmung. Diese Gnade verbindet ihn mit allen Gläubigen, da – wie das Zweite Vatikanische Konzil feststellt – »alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind«.<ref> Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 40.</ref> In diesem Fall gilt besonders die bekannte Aussage des heiligen Augustinus, die voll Realismus und übernatürlicher Weisheit ist: »Schreckt mich, was ich für euch bin, so tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch Christ. Das eine ist der Name des Amtes, das ich übernahm, das andere der Name der Gnade, die ich empfing; das eine bedeutet Gefahr, das andere Heil«.<ref> Augustinus, Sermo 340, 1: PL 38, 1483.</ref> Doch dank der pastoralen Liebe wird das Amt zum Dienst, und die Gefahr verwandelt sich in Gelegenheit zu Wachstum und Reifung. Das Bischofsamt ist nicht nur Quelle der Heiligkeit für die anderen, sondern es ist bereits Anlaß zur Heiligung für den, der das eigene Herz und das eigene Leben zu einem Kanal der Liebe Gottes werden lässt.
Die Synodenväter haben einige Anforderungen dieses Weges zusammengefaßt. Vor allem haben sie an den Tauf- und Firmungscharakter erinnert, der von Beginn der christlichen Existenz an durch die theologalen Tugenden dazu befähigt, an Gott zu glauben, auf ihn zu hoffen und ihn zu lieben. Der Heilige Geist gießt seinerseits seine Gaben ein und fördert so das Wachsen im Guten durch die Übung der sittlichen Tugenden, die dem geistlichen Leben auch menschliche Konkretheit verleihen.<ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1804; 1839.</ref> Kraft der empfangenen Taufe hat der Bischof wie jeder Christ an der Spiritualität teil, die in der Eingliederung in Christus wurzelt und in seiner dem Evangelium gemäßen Nachfolge sichtbar wird. Darum teilt er die Berufung aller Gläubigen zur Heiligkeit. Er muss also ein tiefes Gebets- und Glaubensleben pflegen und sein ganzes Vertrauen auf Gott setzen, indem er in gelehrigem Gehorsam gegenüber den Ratschlägen des Heiligen Geistes sein Zeugnis für das Evangelium ablegt und der Jungfrau Maria, der vollkommenen Lehrmeisterin des geistlichen Lebens, eine besondere, kindliche Verehrung erweist.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>
Die Spiritualität des Bischofs wird also eine Spiritualität der Gemeinschaft sein, die im Einklang mit allen Getauften gelebt wird, die zusammen mit ihm Kinder des einen Vaters im Himmel und der einen Mutter auf Erden, der heiligen Kirche, sind. Er muss, wie alle, die an Christus glauben, sein geistliches Leben dadurch stärken, dass er sich von dem lebendigen und wirksamen Wort des Evangeliums und vom Brot des Lebens der heiligen Eucharistie, der Speise des ewigen Lebens, nährt. Wegen der menschlichen Schwachheit ist auch der Bischof gerufen, häufig und in regelmäßigen Abständen das Sakrament der Buße in Anspruch zu nehmen, um die Gabe jener Barmherzigkeit zu erhalten, deren Verwalter er gleichfalls geworden ist. Im Bewußtsein der eigenen menschlichen Schwäche und der eigenen Sünden erlebt also jeder Bischof, zusammen mit seinen Priestern, zuallererst für sich selbst das Sakrament der Versöhnung als ein tiefes Bedürfnis und eine immer neu erwartete Gnade, um seinem Bemühen um Heiligung bei der Ausübung des Dienstamtes wieder Schwung zu verleihen. Auf diese Weise bringt er auch sichtbar das Geheimnis einer Kirche zum Ausdruck, die in sich heilig ist, die aber auch aus Sündern besteht, die der Vergebung bedürfen.
Wie alle Priester – und natürlich in besonderer Gemeinschaft mit den Diözesanpriestern – wird sich der Bischof um einen ganz spezifischen Weg der Spiritualität bemühen. Er ist nämlich auch aufgrund des neuen Titels, der aus der Weihe herrührt, zur Heiligkeit berufen. Der Bischof lebt deshalb von Glaube, Hoffnung und Liebe, weil er Diener des Wortes des Herrn, der Heiligung und des geistlichen Fortschritts des Gottesvolkes ist. Er muss heilig sein, weil er der Kirche durch das Amt des Lehrens, der Heiligung und der Leitung dienen soll. Als solcher muss er auch die Kirche tief und intensiv lieben. Jeder Bischof ist Christus gleichgestaltet, um die Kirche mit der Liebe des Bräutigams Christus zu lieben und in der Kirche Diener ihrer Einheit zu sein, das heißt, um aus der Kirche »ein von der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeintes Volk«<ref> Cyprian, De oratione dominica, 23: PL 4, 553; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4.</ref> zu machen.
Wie die Synodenväter wiederholt hervorgehoben haben, erfährt die besondere Spiritualität des Bischofs eine weitere Bereicherung durch den der Fülle des Priestertums innewohnenden Zufluß der Gnade, die ihm im Augenblick der Weihe übertragen wird. Als Hirt der Herde und Diener des Evangeliums Jesu Christi in der Hoffnung muss der Bischof die Person Christi, des obersten Hirten, widerspiegeln und sie in sich selber gleichsam durchscheinen lassen. Im Pontificale Romanum wird er auf diese Pflicht ausdrücklich hingewiesen: »Die Mitra sei ein Zeichen deines Amtes. Der Glanz der Heiligkeit sei dein Schmuck. Und wenn der Hirt aller Hirten erscheint, wirst du den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen«.<ref> De ordinatione episcopi, Überreichung der Mitra.</ref> Dazu braucht der Bischof ständig die Gnade Gottes, damit sie seine menschliche Natur stärke und vollkommen mache. Er kann mit dem Apostel Paulus sagen: »Unsere Befähigung stammt von Gott. Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein« (2 Kor 3, 5-6). Man muss darum hervorheben: Der apostolische Dienst ist eine Quelle der Spiritualität für den Bischof, der daraus die geistlichen Fähigkeiten schöpfen soll, die ihn in der Heiligkeit wachsen lassen und ihm ermöglichen, in dem seiner Hirtensorge anvertrauten Volk Gottes das Wirken des Heiligen Geistes zu entdecken.<ref> Vgl. Propositio, 7.</ref>
Der geistliche Weg des Bischofs fällt aus dieser Sicht mit der pastoralen Liebe zusammen, die mit Recht als die Seele seines Apostolats gelten muss, wie das auch beim Priester und Diakon der Fall ist. Es handelt sich nicht nur um eine existentia, sondern auch um eine pro-existentia, das heißt um ein Leben, das sich an dem höchsten, vom Herrn Christus selbst dargestellten Vorbild inspiriert und sich daher völlig in der Anbetung des Vaters und im Dienst an den Brüdern verausgabt. Mit Recht sagt in diesem Zusammenhang das Zweite Vatikanische Konzil, dass die Bischöfe nach dem Bild Christi »heilig und freudig, demütig und kraftvoll ihr Amt ausüben« müssen, »das auch für sie, wenn sie es so erfüllen, das hervorragende Mittel der Heiligung ist«.<ref> Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 41.</ref> Kein Bischof kann darüber hinwegsehen, dass die Vollendung der Heiligkeit der gekreuzigte Christus in seiner äußersten Hingabe an den Vater und die Brüder und Schwestern im Heiligen Geist ist. Deshalb wird die Gleichgestaltung mit Christus und die Teilhabe an seinen Leiden (vgl. 1 Petr 4, 13) zum Königsweg der Heiligkeit des Bischofs inmitten seines Volkes.
Maria, Mutter der Hoffnung und Lehrmeisterin des geistlichen Lebens
14 Eine Stütze des geistlichen Lebens wird auch für den Bischof die mütterliche Gegenwart der Jungfrau Maria sein, der Mater spei et spes nostra, wie die Kirche sie anruft. Für Maria wird der Bischof daher eine echte und kindliche Verehrung hegen und sich dabei aufgerufen fühlen, sich ihr fiat zu eigen zu machen sowie jeden Tag den Akt wieder zu beleben und zu verwirklichen, mit dem Jesus dem Jünger Maria zu Füßen des Kreuzes anvertraut hat und seiner Mutter den Lieblingsjünger (vgl. Joh 19, 26-27). Ebenso ist der Bischof aufgerufen, sich im einmütigen und beharrlichen Gebet der Jünger und Apostel des Sohnes mit seiner Mutter in der Vorbereitung auf Pfingsten wie in einem Spiegelbild wiederzufinden. In diesem Bild der entstehenden Kirche kommt die unauflösbare Verbindung zwischen Maria und den Nachfolgern der Apostel zum Ausdruck (vgl. Apg 1, 14).
Die heilige Muttergottes wird also für den Bischof Lehrmeisterin im Hören und in der umgehenden Ausführung des Wortes Gottes sein, in der treuen Jüngerschaft gegenüber dem einzigen Meister, in der Festigkeit des Glaubens, in der vertrauensvollen Hoffnung und in der glühenden Liebe. Wie Maria, »Denkmal« der Fleischwerdung des Wortes in der ersten Christengemeinde, wird der Bischof, in Gemeinschaft mit allen anderen Bischöfen, in Einheit und unter der Autorität des Nachfolgers Petri, Hüter und Vermittler der lebendigen Tradition der Kirche sein.
Die gesunde Marienverehrung des Bischofs wird immer Bezug auf die Liturgie nehmen, wo die Jungfrau in der Feier der Heilsmysterien in besonderer Weise präsent und für die ganze Kirche mustergültiges Vorbild im Hören und im Gebet, in der Hingabe und in der geistlichen Mutterschaft ist. Ja, es wird die Aufgabe des Bischofs sein, sicherzustellen, dass die Liturgie immer »als ,,beispielhafte Form, Quelle der Inspiration, fester Bezugspunkt und letztes Ziel der Marienverehrung des Gottesvolkes«<ref> Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Direktorium über die Volksfrömmigkeit und die Liturgie. Grundsätze und Orientierungen (17. September 2001), 184.</ref> erscheint. Von diesem Prinzip ausgehend wird auch der Bischof seine persönliche und gemeinschaftliche Marienverehrung durch die von der Kirche approbierten und empfohlenen frommen Übungen nähren, besonders durch das Beten des Rosenkranzes, der eine Kurzfassung des Evangeliums darstellt. Erfahren in diesem Gebet, in dessen Mittelpunkt die Betrachtung der Heilsereignisse des Lebens Christi steht, mit dem seine heilige Mutter aufs engste verbunden war, ist jeder Bischof eingeladen, ein eifriger Förderer auch dieser Gebetsform zu sein.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Rosarium virginis mariae (16. Oktober 2002), 43: AAS 95 (2003), 35-36.</ref>
Sich dem Wort anvertrauen
15 Die Versammlung der Bischofssynode hat auf einige Mittel hingewiesen, die notwendig sind, um das eigene geistliche Leben zu nähren und voranschreiten zu lassen.<ref> Vgl. Propositio 8.</ref> Dazu gehört an erster Stelle das Lesen und die Betrachtung des Wortes Gottes. Jeder Bischof soll sich immer »Gott und dem Wort seiner Gnade« anvertrauen, »das die Kraft hat, aufzubauen und das Erbe in der Gemeinschaft der Geheiligten zu verleihen« (Apg 20, 32). Deshalb muss der Bischof, noch bevor er Vermittler des Wortes ist, zusammen mit seinen Priestern und wie jeder Gläubige, ja wie die Kirche selbst,<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 59: AAS 68 (1976), 50.</ref> Hörer des Wortes sein. Er muss gleichsam »innerhalb« des Wortes sein, um sich von ihm wie von einem Mutterschoß behüten und nähren zu lassen. Mit dem heiligen Ignatius von Antiochien wiederholt auch der Bischof: »Ich vertraue mich dem Evangelium an wie dem Fleisch Christi«.<ref> Ad Philadelphenses, 5: PG 5, 700.</ref> Jeder Bischof soll sich daher immer jene bekannte Mahnung des heiligen Hieronymus vergegenwärtigen, die auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegriffen wurde: »Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen«.<ref> Commentarium in Isaiam Prophetam, Prologus: PL 24, 17; vgl. Dogmatische Konstitution über die Göttliche Offenbarung Dei verbum, 25.</ref> Es gibt in der Tat keinen Primat der Heiligkeit ohne das Hören auf das Wort Gottes, das Leitbild und Nahrung der Heiligkeit ist.
Sich dem Wort Gottes anzuvertrauen und es zu bewahren wie die Jungfrau Maria, die Virgo audiens,<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Marialis cultus (2. Februar 1974), 17: AAS 66 (1974), 128.</ref> schließt den Gebrauch einiger Hilfen ein, die die Tradition und die geistliche Erfahrung der Kirche stets angeraten haben. Es handelt sich zuallererst um die häufige persönliche Lektüre und das aufmerksame und eifrige Studium der Heiligen Schrift. Ein Bischof wäre nach außen hin ein vergeblicher Prediger des Wortes, würde er es nicht vorher von innen hören.<ref> Vgl. Augustinus, Sermo 179, 1: PL 38, 966.</ref> Ohne den häufigen Kontakt mit der Heiligen Schrift wäre ein Bischof ein wenig glaubwürdiger Diener der Hoffnung, wenn es zutrifft, dass wir, wie der heilige Paulus sagt, »durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben« (Röm 15, 4). Es ist also noch immer gültig, was Origenes schrieb: »Das sind die beiden Tätigkeiten des Bischofs: entweder von Gott lernen durch das Lesen und häufige Meditieren der göttlichen Schriften oder das Volk lehren. Er soll jedoch das lehren, was er selber von Gott gelernt hat«.<ref> Origenes, Homilia in librum Leviticum, VI, 6: PG 12, 474 C.</ref> Die Synode hat an die Bedeutung der lectio und der meditatio des Wortes Gottes im Leben der Hirten und in ihrem Amt im Dienst an der Gemeinschaft erinnert. Wie ich im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte dargelegt habe, »ist es notwendig, dass das Hören des Wortes in der alten und noch immer gültigen Tradition der lectio divina zu einer lebendigen Begegnung wird, die uns im biblischen Text das lebendige Wort erfassen lässt, das Fragen an uns stellt, Orientierung gibt und unser Dasein gestaltet«.<ref> Nr. 39: AAS 93 (2001), 294.</ref> Während der Meditation und der lectio öffnet sich das Herz, welches das Wort schon empfangen hat, der kontemplativen Betrachtung des Handelns Gottes und – als Folge davon – der Umkehr der Gedanken und des Lebens zu ihm, einer Umkehr, die von der flehenden Bitte um seine Vergebung und seine Gnade begleitet ist.
[Fortsetzung folgt]
Anmerkungen
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