Johannes Bonaventura: Itinerarium mentis in Deum: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 29. Oktober 2024, 11:09 Uhr
Pilgerbuch des Geistes zu Gott
Quelle: Itinerarium mentis ad Deum (Pilgerbuch des Geistes zu Gott) des Heiligen Bonaventura, übersetzt von P. Dr. Julian Kaup OFM und P. Philotheus Böhner OFM, Franziskus-Druckerei Werl 1932 (92 Seiten, Imprimatur Paderbornae, die 15. Septembris 1931, Vicarius Generalis Gierse).
Inhaltsverzeichnis
- 1 Kurzbeschreibung
- 2 Aufbau
- 3 Vorrede
- 3.1 1. Kapitel; Die Stufen des Aufstieges zu Gott und seine Schau durch die göttlichen Spuren im All
- 3.2 2. Kapitel: Die Erkenntnis Gottes aus seinen Spuren in der sinnenfälIigen Welt
- 3.3 3. Kapitel: Die Erkenntnis Gottes durch sein den natürlichen Vermögen eingeprägtes Bild
- 3.4 4. Kapitel: Die Erkenntnis Gottes in seinem gnadenhaft erneuerten Ebenbild
- 3.5 5. Kapitel: Die Erkenntnis der Einheit Gottes durch seinen ersten Namen: der Seiende
- 3.6 6. Kapitel: Die Erkenntnis der heiligsten Dreifaltigkeit aus der Betrachtung des Gottesnamens: Der Gute
- 3.7 7. Kapitel: Die Ruhe des Verstandes in den geistigen und mystischen Entzückungen während sich das Gemüt in Gott verliert
- 4 Anmerkungen
- 5 Literatur
- 6 Anmerkungen
Kurzbeschreibung
Das Itinerarium mentis in Deum (lat.; dt.: "Pilgerbuch der Seele zu Gott") ist eine in lateinischer Sprache auf dem Berg Alverna in Italien im Herbst 1269 verfasste Schrift des Kirchenlehrers Bonaventura, worin er die Reisebeschreibung oder den Aufstieg der Seele zur mystischen Gottvereinigung schildert. Dabei wendet er sich an solche, denen das reiche philosophisch-theologische Wissen seiner Zeit zum wirklichen Lebensinhalt geworden ist.<ref> Bonaventura: De triplici via - Über den dreifachen Weg, lateinisch-deutsch, eingeleitet, kommentiert und übersetzt von Marianne Schlosser (Fontes Christiani 14), Herder Verlag Freiburg u.a. 1993, S. 9 (229 S.; ISBN 3-451-22118-7 kart.; ISBN 3-451-22218-3 geb.); Itinerarium mentis in Deum, siehe Kösel 1962, S. 37.</ref> Durch die speculationes soll die Seele zum Lobpreis, zur Bewunderung und zum Verkosten Gottes erhoben werden.<ref>Itinerarium mentis in Deum, siehe Kösel 1962, S. 38.</ref>
Keiner der Schriften Bonaventuras, sind die Züge seiner geistigen Persönlichkeit deutlicher aufgeprägt als dem Itinerarium (Weg). Das Werk ist eine der edelsten Blüten franziskanischer Geistigkeit, worin Bonaventura, die zur höchsten Beschauung gesteigerte Frömmigkeit des heiligen Franz von Assisi und den ganzen Reichtum einer hohen wissenschaftlichen Kultur, dienstbar macht.<ref>Itinerarium mentis in Deum, siehe Kösel 1962, S. 34.</ref>
Aufbau
Das Itinerarium bietet sechs speculationes,<ref>Wie sich aus den Collationes in Hexaemeron ergibt, ist die speculatio und ebenso die consideratio der contemplatio gleichzusetzen. Das Wort "contemplatio", das bei Bonaventura vieles besagen kann, ist im Itinerarium in seinen zwei Hauptbedeutungen zu nehmen: einmal als philosophische, intellektuelle, aktive, erworbene, unvollständige contemplatio, dann als weisheitsvolle, affektive, passive, eingegossene, vollkommene contemplatio. Jene ist das Mittel, diese das Ziel, zu dem jene hinführt: der ekstatische Friede. in: Itinerarium mentis in Deum, siehe Kösel 1962, S. 36.</ref> stellt sechs Betrachtungsgegenstände vor Augen, die sechs Seelenkräften entsprechen. Ausgehend von der Betrachtung der Spuren und der Gegenwart Gottes in der Schöpfung über die Gegenwart in der Seele als dem Abbild des dreifaltigen Gottes und Wohnstätte seiner Gnade bis zur Betrachtung des absoluten Seins Gottes, der drei Personen und des Geheimnisses der Entäußerung des Sohnes Gottes in Menschwerdung und Kreuzestod soll der Betrachtende zur Gottesliebe geführt, ja hingerissen werden, die im 7. Kapitel als ecstasis bezeichnet wird. Es wird dabei eine "Gleichgestaltung mit dem Gekreuzigten", die als Spannungsbogen vom Prolog bis zur ecstasis über dem ganzen "Weg" betont.<ref> Bonaventura: De triplici via, S. 14; Itinerarium mentis in Deum, siehe Kösel 1962, S. 38.</ref>
Vorrede
1. Den Urgrund alles Seins, den "Vater der Lichter", von dem alle Erleuchtungen niedersteigen und "jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk" (1) stammt, den ewigen Vater rufe ich zuerst an durch Jesus Christus seinen Sohn. Auf die Bitten der heiligsten Jungfrau Maria, der Mutter Gottes und unseres Herrn Jesus Christus, auf die Fürsprache des heiligen Franziskus, unseres Führers und Vaters, möge er unserem Geiste "lichte Augen" (2) geben, dass "wir unsere Schritte lenken auf den Weg zu jenem Frieden, der alles Begreifen übersteigt" (3). Diesen Frieden (4) kündete und brachte unser Herr Jesus Christus, und unser heiliger Vater Franziskus wiederholte seine Botschaft. Er sprach vom Frieden am Anfang und Ende jeder Predigt; er wünschte den Frieden bei jedem Gruß; er seufzte nach dem Frieden der Ekstase in jedem beschaulichen Gebet. Franziskus war dem Bürger jenes Jerusalem gleich, von dem der Freund des Friedens sagt, der mit den Friedenshassern im Frieden lebte: "Erfleht, was Jerusalem zum Frieden dient" (5). Er wusste, dass der Thron Salomons nur im Frieden Bestand hat. Es heißt ja: "Im Frieden weilte er, und seine Wohnung ist auf Sion" (6).
2. Wie unser heiliger Vater Franziskus, so suchte auch ich Sünder mit sehnendem Herzen diesen Frieden, der ich, obwohl unwürdig, als siebenter Generalminister der Brüder nach dem Tod dieses heiligsten Vaters nun seine Stelle einnehme. Es war im 33. Jahre nach dem Hinscheiden dieses Heiligen um die Zeit seines Heimganges (7), da ging ich auf göttliche Eingebung hin zum Alvernaberg, zu diesem Ort der Ruhe, um den Frieden der Seele zu finden. Als ich dort weilte und über geistige Aufstiege zu Gott nachsann, da fiel mir unter anderem jenes Wunder ein, dass hier an dem heiligen Franziskus geschah, nämlich die Erscheinung des Seraph mit den sechs Flügeln in der Gestalt des Gekreuzigten. Beim Nachdenken darüber wurde mir alsbald klar, dass jene Erscheinung die Entrückung unseres Vaters in der Beschauung bedeute und den Weg, der zu ihr hinführt.
3. In diesen sechs Flügeln kann man recht gut sechs Erleuchtungsgrade finden, durch welche die Seele gleichsam auf Stufen oder Wegen vorbereitet wird, um durch die ekstatischen Verzückungen christlicher Weisheit zum Frieden zu gelangen. Dahin führt nur die glühendste Liebe zum Gekreuzigten, die den bis zum dritten Himmel entrückten Paulus (8) so in Christus umgestaltete, dass er bekannte: "Mit Christus bin ich gekreuzigt. Also lebe ich nicht mehr, sondern Christus lebt in mir" (9). Dieseselbe Liebe riss die Seele des Franziskus so hin, dass sein innerer Geist im Fleisch offenbar ward, und er die heiligen Leidensmale zwei Jahre lang vor seinem Tode trug. Das Bild der sechs Seraphsflügel deutet also auf sechs fortschreitende Erleuchtungen hin. Sie beginnen bei den Geschöpfen und führen bis zu Gott, zu dem man rechtmäßig nur durch den Gekreuzigten gelangt. Denn "wer nicht durch die Türe eintritt, sondern anderswo einsteigt, ist ein Dieb oder Räuber" (10), wer aber durch die Pforte eintritt, "wird ein- und ausgehen und Weide finden" (11). Deshalb sagt Johannes in der Geheimen Offenbarung (12): "Selig, die ihre Kleider waschen im Blut des Lammes, damit ihr Anrecht bleibe auf den Baum des Lebens, und sie durch die Tore in die Stadt eingehen." Er will damit sagen, dass man auf dem Weg der Beschauung in das himmlische Jerusalem nur durch jene Tür gelangen kann, die das Blut des Lammes ist.
Denn zu dieser göttlichen Beschauung ist nur jener einigermaßen geeignet, der wie Daniel (13) ein Mann der Sehnsucht ist. Dieses Verlangen nun wird in uns auf zweifache Weise entzündet: durch das Flehen des Gebetes, das aus der Tiefe des Herzens heraufbricht (14), und durch den Glanz lichter Geistesschau, in der die Seele sich den Strahlen des Lichtes geradewegs und mit allen Kräften zuwendet.
4. Darum lade ich den Leser gleich zu Beginn ein zu inbrünstigem Gebet durch Christus, den Gekreuzigten, durch dessen Blut wir vom Schmutz der Sünde reingewaschen sind (15). Er darf nicht glauben, die Lesung nütze ohne Salbung, die Geistesschau ohne Herzenshingabe, das Forschen ohne Bewunderung, das Aufmerken ohne Jubel, Fleiß ohne Frömmigkeit, Wissen ohne Liebe, Einsicht ohne Demut, Eifer ohne göttliche Gnade, der Spiegel (seiner Seele) ohne gottverliehene Weisheit. - Denen aber die Gnade zuvorkommt, den Demütigen und Frommen, den Zerknirschten und Gottergebenen, denen, die mit "Freudenöl" (16) gesalbt sind, den Liebhabern göttlicher Weisheit, die vor Sehnsucht nach ihr brennen, denen, die sich dem Lob, der Verherrlichung und auch dem Genuss Gottes hingeben wollen, all diesen biete ich die vorliegenden Gedanken an. Doch möchte ich ihnen bedeuten, dass das von außen dargebotene Licht wenig oder gar keinen Wert hat, wenn nicht der Spiegel unserer Seele ungetrübt und wohlgeglättet ist. Schärfe darum, o Mensch, den Stachel des Gewissens, bevor du deine Augen zu den Strahlen der Weisheit erhebst, die in ihren geschöpflichen Abbildern aufleuchten, sonst stürzt dich die Schau dieser Strahlen in ein noch tieferes Dunkel.
5. Das Büchlein ist in sieben Abschnitte eingeteilt, denen zum leichteren Verständnis des darin Gesagten Überschriften vorausgehen. Ich bitte nun, mehr auf die Absicht als auf die Leistung des Verfassers, mehr auf den Sinn des Gesagten als auf den ungefeilten Stil, mehr auf die Wahrheit als auf die Formvollendung, mehr auf die Pflege des Gemüts als auf die Ausbildung des Verstandes zu sehen. Damit das geschehe, darf man über die Stufen der Betrachtung nicht flüchtig hineilen, muss sie vielmehr mit Muße überdenken.
1. Kapitel; Die Stufen des Aufstieges zu Gott und seine Schau durch die göttlichen Spuren im All
1. "Selig der Mann, dem seine Hilfe von dir kommt; er hat bei sich beschlossen, durchs Tränental hinaufzusteigen zum Ort, den er sich auserwählt" (1). Da die Seligkeit nichts anderes ist, als der Genuss des höchsten Gutes, dieses aber über uns erhaben ist, kann nur der selig werden, der über sich selbst hinaussteigt nicht dem Leib, sondern dem Herzen nach. Dazu aber bedarf es einer höheren Kraft, die uns emporzieht. Mögen noch so viele innere Stufen grundgelegt werden, es nützt nichts, wenn Gottes Hilfe uns nicht begleitet. Die göttliche Hilfe aber unterstützt jene, die von Herzen demütig und andächtig darum bitten. Dies ist das Aufseufzen in diesem Tränental und geschieht im feurigen Gebet. Also ist das Gebet Mutter und Urquell der Seelenerhebung. Aus diesem Grunde schickt Dionysius in seiner Mystischen Theologie (2), in der er uns zu den geistigen Entzückungen Führer sein will, zuerst ein Gebet voraus. So lasset auch uns denn beten und zu Gott, unserem Herrn, sprechen; "Leite mich auf deinem Weg, Herr; in deiner Wahrheit will ich wandeln; mein Herz erfreue sich in der Furcht deines Namens" (3).
2. Durch dieses Gebet werden wir erleuchtet und erkennen die Stufen des Aufstieges zu Gott. Für uns Menschen im Pilgerstande ist nämlich die Gesamtheit der Dinge eine Leiter, die zu Gott emporführt. Von den Geschöpfen nun sind die einen Spur, die anderen Bild, die einen körperlich, die anderen geistig, die einen zeitlich, die anderen ewig und somit die einen außer, die anderen in uns. Um nun zur Betrachtung des Urgrundes zu gelangen, der ganz geistig, ewig und über uns ist, müssen wir zunächst der Spur nachgehen, die körperlich,. zeitlich und außer uns ist, das heißt "geführt werden auf dem Weg Gottes". Sodann müssen wir in unsere Seele eintreten, die das Bild Gottes, unsterblich, geistig und in uns ist; und das heißt "wandeln in der "Wahrheit Gottes". Endlich müssen wir zum Ewigen, ganz Geistigen hinaufsteigen, das über uns ist, und aufschauen zum Urprinzip; und das heißt "sich freuen in der Erkenntnis Gottes und der Ehrfurcht vor seiner Majestät".
3. Dies ist also der dreitägige Weg in der Wüste (4), das ist die dreifache Beleuchtung eines Tages. Die erste ist wie der Abend, die zweite wie der Morgen, die dritte wie der Mittag. Und dies bedeutet auch die dreifache Daseinsweise der Dinge, nämlich in der Materie, im Geiste und in der ewigen Kunst (des Schöpfers) (5), so wie geschrieben steht: es werde, er schuf es und es ward (6). Hierauf bezieht sich auch die dreifache Substanz in Christo, der uns eine Stufenleiter ist, nämlich die körperliche, geistige und göttliche Substanz.
4. Diesem dreifachen Fortschreiten entsprechen drei Hauptausblicke unserer Seele (7). Einer geht auf das Körperlich-Äußere, und danach wird sie Sinnlichkeit genannt. Der andere richtet sich auf die Seele selbst, und als solche heißt sie Geist. Der dritte führt über sie hinaus, und danach nennt man sie Vernunft. - Mit all diesen muss sich die Seele für den Aufstieg zu Gott rüsten, um ihn zu lieben "aus ganzer Seele, aus ganzem Herzen und aus ganzem Gemüte" (8). Darin besteht die vollkommene Erfüllung des gesamten Gesetzes und zugleich die christliche Weisheit.
5. Jede von diesen drei angeführten Möglichkeiten kann aber wieder doppelt verstanden werden. Man kann nämlich Gott einmal betrachten als das Alpha oder Omega; ferner können wir auf jede dieser drei Weisen entweder wie durch einen Spiegel oder wie im Spiegel (9) schauen. Endlich kann die eine dieser Erkenntnisweisen mit einer anderen verbunden oder rein in sich betrachtet werden. So müssen sich dann diese drei Hauptstufen zur Sechszahl erweitern. Wie also Gott das Weltall in sechs Tagen vollendete und am siebten ruhte, so wird auch die Kleinwelt in sechs stufenweise aufsteigenden Erleuchtungen in bester Ordnung zur Ruhe der Beschauung geführt. - Ein Vorbild dessen sind die sechs Stufen, auf denen man zum Thron Salomons emporschritt (10); die Seraphim, die Isaias schaute, hatten sechs Flügel; nach sechs Tagen rief der Herr Moses aus der Mitte der Finsternis, und Christus führte, wie es bei Matthäus heißt, die Jünger nach sechs Tagen auf den Berg und ward vor ihnen verklärt.
6. Diesen sechs Stufen des Aufstieges zu Gott entsprechen sechs aufeinander aufgebaute Seelenkräfte, mit denen wir vom Tiefsten zum Höchsten, vom Äußeren zum Inneren, vom Zeitlichen zum Ewigen empordringen. Es sind die Sinne, die Einbildungskraft, die Vernunft, der Verstand, die Einsicht, die Seelenhöhe oder der Funke der Synderesis (11). Diese Stufen werden in uns grundgelegt durch die Natur, verunstaltet durch die Schuld und wiederhergestellt durch die Gnade; sie müssen gereinigt werden durch Gerechtigkeit, ausgebildet durch Wissenschaft, vollendet werden durch Weisheit.
7. Im Urstand war der Mensch nämlich dazu erschaffen, die Ruhe der Beschauung zu besitzen. Darum "setzte ihn Gott in den Garten der Wonne" (12). Aber er wandte sich vom wahren Licht ab zum vergänglichen Gut; deshalb wurde er selbst durch eigene und sein ganzes Geschlecht durch die Erbschuld niedergedrückt. Diese griffen in zweifacher Weise die menschliche Natur an: den Geist durch Unwissenheit und durch Begierlichkeit das Fleisch. So sitzt denn der Mensch geblendet und niedergebeugt in Finsternis und kann das Himmelslicht nicht schauen (13), wenn ihn nicht die Gnade mit der Gerechtigkeit gegen die Begierde und die Wissenschaft mit der Weisheit gegen die Unwissenheit unterstützt. All das aber geschieht durch Jesus Christus, "der uns durch Gott zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden ist" (14). Er ist die Kraft und die Weisheit Gottes, das fleischgewordene Wort "voll Gnade und Wahrheit". Darum wirkte er Gnade und Wahrheit und goss die Gnade der Liebe ein. Da diese "aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben (16)" kommt, gibt sie der ganzen Seele die aufrechte Richtung für die erwähnten Ausblicke. Er lehrt uns auch, die wahre Wissenschaft in den drei Arten der Theologie aufzufassen, nämlich der symbolischen, der eigentlichen und der mystischen, damit wir durch die symbolische die sinnenfälligen, durch die eigentliche die geistigen Dinge recht gebrauchen, durch die mystische aber zu den alles Denken übersteigenden Entzückungen fortgerissen werden.
8. Wer nun zu Gott emporsteigen will, muss die naturentstellende Sünde meiden; er muss überdies die vorhergenannten Fähigkeiten üben, um durch Gebet die wiederherstellende Gnade, durch guten Wandel die heiligende Gerechtigkeit, durch Nachsinnen die erleuchtende ,Wissenschaft, durch Beschauung die vollendende Weisheit zu erlangen. Wie man also zur Weisheit nur durch die Gnade, Gerechtigkeit und Wissenschaft kommt, so zur Beschauung nur durch tiefdringendes Nachsinnen, heiligen Wandel und andächtiges Gebet. Weil somit die Gnade die Grundlage des rechten Wollens und der Erleuchtung des durchdringenden Verstehens ist, so müssen wir zuerst beten, dann heilig leben und endlich auf die Bilder der Wahrheit blicken und so allmählich emporsteigen, bis wir zum hochragenden Berg gelangen, wo man "den Gott der Götter auf Sion schaut" (16).
9. Auf der Jakobsleiter (17) muss man zuerst hinaufschreiten, um dann herabsteigen zu können. Darum beginnen wir unten mit der ersten Stufe und halten uns die gesamte sinnenfällige Welt als einen Spiegel vor, durch den wir zu Gott, dem höchsten Werkmeister, gelangen. So sind wir wahre Hebräer, die aus Ägypten ausziehen in jenes Land, das den Vätern verheißen ward; so sind wir auch wahre Christen, die mit dem Herrn "aus dieser Welt zum Vater gehen" (18); so sind wir wahre Liebhaber der Weisheit, die ruft und spricht: "Kommt alle zu mir, die ihr mein begehrt und sättigt euch an meinen Früchten". "Denn aus der Erhabenheit der Schönheit der Geschöpfe kann ihr Urheber denkend erfasst werden" (19).
10. Des Schöpfers höchste Macht, Weisheit und Güte leuchtet in den geschaffenen Dingen auf. So kündet es der äußere Sinn dreifach dem inneren. Denn der leibliche Sinn dient entweder dem vernunftgemäß Forschenden, oder dem fest Glaubenden, oder dem verstandesgemäß Beobachtenden. Dieser betrachtet das tatsächliche Dasein, der Gläubige die fortlaufende Entwicklung, der Forscher die mögliche Vollendung der Dinge.
11. Auf die erste Art erkennt der Blick des Beobachters die Dinge in sich selbst und findet in ihnen Gewicht, Zahl und Maß (20): Gewicht, insofern sie eine bestimmte Lage erstreben, Zahl, wodurch sie sich unterscheiden, und Maß, wodurch sie begrenzt werden. Und so findet sich in ihnen Verhaltungsweise, Schönheit und Ordnung, wie auch Substanz, Kraft und Tätigkeit.
Hieraus kann man sich wie auf einer Spur zur Erkenntnis der unermesslichen Macht, Weisheit und Güte des Schöpfers erheben.
12. Auf die zweite Weise betrachtet das Auge des Gläubigen die Welt und durchschaut ihren Ursprung, ihre Entwicklung und ihr Ziel. Wir glauben nämlich, dass das Weltall durch "das Wort des Lebens erschaffen ist" (21); wir glauben, dass die drei Gesetzesperioden der Natur, der Schrift und der Gnade sich folgen und höchst ordnungsgemäß sich abgewickelt haben; wir glauben, dass die Welt mit dem Jüngsten Gericht enden wird. So gewahren wir im ersten die Macht, im zweiten die Vorsehung und im dritten die Gerechtigkeit des höchsten Urgrundes.
13. Auf die dritte Weise erkennt das Auge des vernunftgemäß Forschenden, dass einige Dinge nur sind, andere sind und leben und noch andere sind, leben und denken; dass die ersten geringer, die zweiten in der Mitte stehen und die dritten die besten sind. - Ferner bemerkt es, dass die einen nur körperlich, die anderen teils stofflich, teils geistig sind. Daraus schließt die Vernunft auf weitere, die rein geistig, besser und vornehmer sind als beide. -
Sie nimmt aber auch wahr, dass einge Dinge veränderlich und vergänglich wie die irdischen, andere hingegen veränderlich, aber unvergänglich sind wie die himmlischen. Daraus schließt sie auf weitere, die unveränderlich und unvergänglich sind, nämlich auf die überhimmlischen.
Von diesen sichtbaren Dingen erhebt der Geist sich also zur Betrachtung der seienden, lebenden und erkennenden, der rein geistigen, unvergänglichen und unveränderlichen Macht, Weisheit und Güte Gottes.
14. Diese Erwägung lässt sich erweitern entsprechend den sieben Eigenschaften der Dinge, die ein siebenfaches Zeugnis der göttlichen Macht, Weisheit und Güte sind, indem man nämlich aller Geschöpfe Herkunft, Größe, Vielheit, Schönheit, Fülle, Tätigkeit und Ordnung ins Auge fasst. Die Entstehung der Welt verkündet ja in der Schöpfung, Einteilung und Ausschmückung des Sechstagewerkes die göttliche Macht, die alles aus dem Nichts hervorgebracht, die Weisheit, die alles liebevoll geordnet, und die Güte, die alles reichlich geschmückt hat. - Die Größe der Dinge aber zeigt sich in ihrer Masse, die sich lang, breit und tief ausdehnt, in ihrer ausgezeichneten Kraft, die sich in die Länge,Weite und Tiefe erstreckt, wie es in der Ausbreitung des Lichtes offenbar wird, in der Wirksamkeit ihrer inneren, beständigen und um sich greifenden Tätigkeit, wie sie sich in der Wirksamkeit des Feuers kundgibt. Und so weist sie deutlich hin auf die unermessliche Macht, Weisheit und Güte des dreieinigen Gottes, der in allen Dingen durch seine Gewalt, seine Gegenwart und seine Wesenheit unumgrenzt zugegen ist. - Die Vielheit der Dinge deutet aber an und zeigt in ihrer über alle menschliche Vorstellung erhabenen, allgemeinen, artlichen und individuellen Verschiedenheit der Substanz, Gestalt und Wirksamkeit die Unermesslichkeit der drei erwähnten Eigenschaften Gottes. - Die Schönheit der Dinge verkündet eindringlich dieselben Vollkommenheiten in der Mannigfaltigkeit des Lichtes, der Formen und Farben bei den einfachen, gemischten und zusammengesetzten Körpern, nämlich bei den Sternen und Mineralien, Steinen und Metallen, Pflanzen und Tieren. - Die Fülle der Dinge offenbart deutlich dasselbe; ist doch die Materie in ihrer Keimkraft mit Formen, die Form in ihrer Wirkungsmöglichkeit mit Kraft, und die Kraft in ihrer Leistungsfähigkeit mit Wirkungen angefüllt. - Die vielfache natürliche, künstliche und sittliche Tätigkeit zeigt in ihrer überaus reichen Mannigfaltigkeit die Unermesslichkeit jener Kraft, Weisheit und Güte, die ja "Seins-, Erkenntnis- und Lebensgrund ist" (22). - Die Ordnung im Buch der Schöpfung weist aber in der Dauer, Zusammenstellung und Einwirkung, und zwar nach früher und später, höher und tiefer, erhabener und niedriger auf die Erstheit, Erhabenheit und Würde des Ursprunges hin und damit auf die Unendlichkeit seiner Macht. Die Ordnung in den göttlichen Gesetzen, Geboten und Gerichten aber in der Heiligen Schrift deutet auf die Unermesslichkeit seiner Weisheit hin. Die Ordnung in den göttlichen Geheimnissen, Wohltaten und Vergeltungen am mystischen Leib des Herrn zeigt die Grenzenlosigkeit seiner Güte an. So führt uns also die Ordnung ganz offensichtlich zum Ersten und Höchsten, zum Mächtigsten, Weisesten und Besten empor.
15. Wer darum durch solchen Glanz der Geschöpfe nicht erleuchtet wird, ist blind; wer durch dies laute Rufen nicht aufwacht, ist taub; wer wegen derartiger Werke Gott nicht lobt, ist stumm; wer aus solch deutlichen Zeugnissen den Urgrund nicht erkennt, ist ein Tor. - Darum öffne deine Augen, neige dein Ohr (23), löse deine Zunge und erschließe dein Herz, auf dass du in allen Geschöpfen deinen Gott siehst, hörst, lobst, liebst und anbetest, verherrlichst und verehrst, damit sich nicht etwa der ganze Erdkreis gegen dich erhebe. Denn dieser wird "gegen die Unverständigen streiten" (24), den Verständigen hingegen wird er ein Anlass des Lobes sein. Sie können ja mit dem Propheten sprechen: "Du erfreust mich durch dein Walten, Herr. Ob deiner Hände Werke juble ich." "Wie groß sind deine Werke, Herr; du hast sie alle in Weisheit hervorgebracht. Die Erde ist voll deines Eigentums" (25).
2. Kapitel: Die Erkenntnis Gottes aus seinen Spuren in der sinnenfälIigen Welt
1. Wir können Gott im Spiegel der Sinnendinge nicht allein durch diese, gleichsam wie aus Spuren, sondern auch in ihnen erkennen, insofern er durch Wesenheit, Macht und Gegenwart in ihnen ist. Dies Betrachten nun steht höher als das vorhergehende. Es nimmt daher als zweite Stufe der Beschauung die folgende Stelle ein. Auf ihr müssen wir angeleitet werden, Gott in all jenen Geschöpfen zu finden, die durch die leiblichen Sinne in unser Bewusstsein treten.
2. Merken wir uns also, dass diese Welt, die man Großwelt heißt, in unsere Seele, die sogenannte Kleinwelt, durch das Tor der fünf Sinne eintritt: durch Wahrnehmen, Wohlgefallen und Beurteilen der sinnenfälligen Dinge. Das aber ist so zu verstehen: In der großen Welt außer uns gibt es grundlegende, aus ihnen entstandene und beide lenkende Dinge. Die grundlegenden sind die einfachen Körper, nämlich die himmlischen und die vier Elemente, denn was immer durch natürliche Kraft entsteht und hervorgebracht wird, das muss aus den Elementen gebildet werden durch den Einfluss des Lichtes, das die Gegensätzlichkeiten in den gemischten Körpern aufhebt. Die so entstandenen sind die aus den Elementen zusammengesetzten Körper, die Mineralien, Pflanzen, Tiere und Menschenleiber. Die beide lenkenden Wesen sind die unstofflichen Substanzen. Diese sind entweder ganz unlöslich mit einem Leib verbunden wie die Tierseelen, oder von ihm trennbar wie die vernünftigen Seelen, oder ganz unkörperlich wie die himmlischen Geister, welche die Philosophen InteIligenzen, wir aber Engel nennen. Sie bewegen nach der Ansicht der Weltweisen die Himmelskörper, und darum schreibt man ihnen die Leitung des Weltalls zu. Sie empfangen nämlich von der Erstursache, Gott, einen Kraftstrom, den sie durch Leitung der natürlichen Dinge weitergeben. Nach der Lehre der Theologen hingegen ist ihnen durch Auftrag des höchsten Gottes die Regierung des Weltalls in Rücksicht auf die Wiederherstellung zugewiesen. Sie heißen deshalb "dienende Geister, zur Hilfe für jene bestimmt, die das Heil erben" (1).
3. Der Mensch, den man die Kleinwelt heißt, hat fünf Sinne, gleichsam fünf Tore, durch welche die Kunde aller Dinge der Außenwelt in seine Seele eindringt. Durch das Auge kommen die feinen, lichtartigen und alle farbigen, durch den Tastsinn die festen und erdigen, durch die drei mittleren Sinne die mittleren (zwischen Himmel und Erde befindlichen) Körper. So treten durch den Geschmack die feuchten, durch das Gehör die luft-, durch den Geruch die gasförmigen ein. Die letzteren haben etwas von der Natur des Feuchten, des Luftförmigen und - des Feurigen oder Warmen an sich, wie wir es am Rauch bei der Auflösung wohlriechender Stoffe beobachten.
Durch diese fünf Tore gehen sowohl die einfachen als auch die zusammengesetzten Körper ein, die ihre Mischungen sind. Nicht allein diese einzelnen Dinge jedoch nehmen wir sinnlich wahr, wie das Licht, den Ton, den Duft, den Geschmack und die vier Ureigenschaften, die der Tastsinn erfasst, sondern auch das allem Sinnenfälligen Gemeinsame, nämlich Zahl, Größe, Gestalt, Ruhe, Bewegung sowie die Tatsache, "dass alles, was bewegt wird, durch einen anderen bewegt wird" (2), und dass einiges sich aus sich selbst (innerlich) bewegt, dabei aber doch in Ruhe ist, wie die Lebenden. Wenn wir nun durch diese fünf Sinne körperliche Bewegungen wahrnehmen, werden wir zur Erkenntnis geistiger Beweger geführt, ähnlich wie wir durch die Wirkung zum Erfassen der Ursache gelangen.
4. Diese ganze Sinnenwelt tritt also durch die Wahrnehmung nach ihren drei Daseinsformen in unsere Seele ein. Das äußerlich ,Wahrnehmbare kommt zunächst durch die Tore der fünf Sinne. Es geht aber nicht in seiner Substanz ein, sage ich, sondern in seinen Wahrnehmungsbildern. Diese entstehen zuerst im Medium, gelangen von dort ins Organ, und zwar vom äußeren ins innere, und kommen von hier ins Wahrnehmungsvermögen. So bewirkt die Bildung einer Spezies im Medium, ihre Weiterleitung im Organ und die Hinwendung unseres Wahrnehmungsvermögens zu ihr die Wahrnehmung all dessen, was die Seele von außen empfängt (3).
5. Bei Wahrnehmung des zusagenden Gegenstandes empfindet man Wohlgefallen (4). Der Sinn erfreut sich am abgelösten Bild des wahrgenommenen Gegenstandes entweder wegen der Schönheit - so beim Gehör oder Geruch -, oder wegen der Heilsamkeit oder Zuträglichkeit - so beim Geschmack und Tastsinn, wie man ihn gewöhnlich versteht. Jedes Wohlgefallen nun gründet sich auf ein Angepasstsein. Nun hat aber die Spezies etwas von der Form, der Kraft und der Tätigkeit an sich entsprechend ihrer Beziehung zum Ursprung, aus dem sie hervorfließt, zum Medium, das sie durchläuft, und zum Endglied, auf das sie einwirkt. So findet man denn ein Angepasstsein einmal in der Ähnlichkeit, insofern sie zur Spezies oder Form gehört. In diesem Fall heißt sie Schönheit, denn "Schönheit ist nichts anderes als Gleichheit auf Grund der Zahl", oder "eine bestimmte Lagerung der Teile verbunden mit Anmut der Farben" (5). Oder man findet das Angemessensein in ihrer Beziehung zur Fähigkeit und Kraft, und dieses nennen wir Milde, wenn nämlich die einwirkende Kraft den Empfänger nicht unverhältnismäßig übersteigt; denn der Sinn empfindet am Übermaß Unlust, Wohlgefallen aber am rechten Maß. Man kann es aber auch finden in ihrer Beziehung zur Tätigkeit und zur Einwirkung.
Diese sind angemessen, wenn das Wirkende durch seine Tätigkeit ein Bedürfnis des Erleidenden befriedigt, mit anderen Worten, wenn es erhaltend und förderlich ist. Das zeigt sich am besten beim Geschmack und Tastsinn. So bewirkt also das Wohlgefallen, dass die äußeren angenehmen Dinge durch ihr Abbild auf die dreifache Art des Wohlgefallens in die Seele eingehen.
6. Auf dieses Wahrnehmen und Wohlgefallen folgt das Beurteilen. Dadurch wird nicht nur entschieden, ob etwas schwarz oder weiß ist - denn das ist Sache des Einzelsinnes -, auch nicht nur, ob etwas heilsam oder schädlich ist - das beurteilt der innere Sinn -, vielmehr wird dadurch festgestellt und geklärt, warum dieses wohlgefällt. Es wird demnach in diesem Akte nach dem Grunde des Wohlgefallens gesucht, das der Gegenstand in dem Sinne weckt. Fragt man aber nach dem Grund des Schönen, Angenehmen und Förderlichen, so findet man, dass er das Verhältnis der Gleichheit ist. Diese aber ist wesentlich dieselbe in großen und in kleinen Dingen. Sie weitet sich nicht mit der Ausdehnung, noch geht sie im Nacheinander mit dem Vergänglichen vorüber oder wird durch eine Bewegung verändert. Sie ist also unabhängig von Ort, Zeit und Bewegung. Deshalb ist sie unveränderlich, unbegrenzt, ohne Ende und ganz geistig (6). Das Beurteilen ist also eine Tätigkeit, welche die sinnenfällige, äußerlich wahrgenommene Spezies reinigt und ablöst und so ins Erkenntnisvermögen gelangen lässt. So tritt diese ganze Welt durch die Tore der Sinne mit Hilfe der drei besprochenen Tätigkeiten in die menschliche Seele ein.
7. All dieses sind Spuren, in denen wir unseren Gott entdecken können. - Die wahrgenommene Spezies ist nämlich ein Bild. Es wird im Medium erzeugt, dann dem Organ selbst eingeprägt und führt dadurch zu seinem Anfangsglied, d. h. zur Erkenntnis des Gegenstandes. So offenbart sie, dass jenes ewige Licht aus sich ein Ebenbild oder einen gleichähnlichen, gleichwesentlichen und gleichewigen Glanz erzeugt; ferner dass jener, "der das Bild des unsichtbaren Gottes, der Abglanz seiner Herrlichkeit und die Gestalt seines Wesens ist" (7), durch seine erste Zeugung (aus dem ewigen Vater) Allgegenwart besitzt, so wie der Gegenstand im ganzen Medium sein Ebenbild erzeugt; endlich dass dieser durch die Gnade der Vereinigung wie die Spezies mit dem körperlichen Organ sich mit einem Wesen der vernünftigen Natur verbindet, um durch diese Vereinigung uns zum Vater zurückzuführen als zu unserem Quellgrund und eigentlichen Gegenstand. Wenn also alles Erkennbare seine Spezies erzeugt, so kündet es laut, dass in ihm wie in einem Spiegel der ewige Hervorgang des Wortes, Bildes und Sohnes erkannt wird, der von Gott, dem Vater, ewig ausgeht.
8. Dementsprechend weist die uns zusagende Spezies, insofern sie schön, anmutig und zuträglich ist, darauf hin, dass in jener Urspezies die Urschönheit, Uranmut und Urnützlichkeit wohnt. In ihr ist ja die höchste Ebenmäßigkeit und Übereinstimmung mit dem Erzeuger; in ihr ist Kraft, welche nicht durch ein Vorstellungsbild, sondern in unmittelbarer Wahrheit erfasst. Dieser Eindruck ist ferner wohltuend und ausfüllend und befriedigt jedes Bedürfnis des Wahrnehmenden. Wenn also "das Wohlgefallen in der Verbindung des Zusammenpassenden besteht" (8), und wenn nur dem Ebenbild Gottes Schönheit, Anmut und Heilsamkeit zukommt, wenn es sich endlich vereint mit einer Wahrheit, Innerlichkeit und Fülle, die jedes Fassungsvermögen befriedigt, so kann man deutlich sehen, dass nur in Gott der Quell wahrer Freude ist, und dass uns alle irdische Lust anleiten soll, ihn zu suchen.
9. Weit leichter und unmittelbarer führt uns zur sicheren Erkenntnis der ewigen Wahrheit das Urteilen. Es vollzieht sich mit Hilfe der Vernunft, die von Ort, Zeit und Veränderlichkeit und damit von Ausdehnung, Folge und Wechsel absieht, durch einen unveränderlichen, raum- und endlosen Grund. Unveränderlich, raum- und endlos aber ist nur das Ewige; alles indes, was ewig ist, ist Gott oder in Gott. Wenn wir demnach alles, was wir mit größerer Sicherheit beurteilen, durch einen solchen Grund beurteilen, dann leuchtet ein, dass Gott selbst der Grund aller Dinge, die unfehlbare Richtschnur und das Licht der Wahrheit ist. Es erstrahlt in ihm alles unfehlbar, unauslöschlich, unzweifelhaft, unwiderleglich, über jedes Urteil erhaben, unveränderlich, uneinschränkbar, endlos, unteilbar und geistig. Nach diesen Gesetzen beurteilen wir mit Gewissheit alle sinnenfälligen Dinge, die in unseren Gesichtskreis treten (9). Weil sie für den wahrnehmenden Verstand unfehlbar und unbezweifelbar sind, weil sie dem Gedächtnis dessen, der sich auf sie besinnt, unauslöschlich eingeprägt bleiben, gleich als seien sie immer gegenwärtig, weil sie unwiderleglich und unbeurteilbar für den abwägenden Verstand sind - denn, wie St. Augustin (10) sagt, "urteilt niemand über sie, sondern durch sie" -, darum müssen sie unveränderlich und unvergänglich, weil notwendig sein, uneinschränkbar, weil unumgrenzt, ohne Ende, weil ewig. Und darum müssen sie unteilbar, weil geistig und unkörperlich, nicht gemacht, sondern ungeschaffen sein, ewig bestehend in der ewigen Kunst, von der, durch die und nach der alles Schöne entstanden ist. Deshalb können wir nur durch diese mit Gewissheit urteilen. Sie ist nicht nur die alles hervorbringende, sondern auch die alles erhaltende und alles unterscheidende Form. Sie ist gleichsam das Sein, das in allem die Form erhält und Richtschnur ist. Durch diese Kunst beurteilt unser Geist alles, was durch die Sinne in ihn eingeht.
10. Diese Schau weitet sich, wenn wir die sieben verschiedenen Zahlenverhältnisse betrachten, auf denen wir wie auf sieben Stufen zu Gott emporsteigen. So zeigt es Augustin im Buch über "Die wahre Religion" und im sechsten Buch über "Die Musik" (11). Hier weist er die Unterschiede der Zahlenverhältnisse . nach, die abgestuft vom Sinnenfälligen zum Werkmeister aller Dinge aufsteigen, damit wir so in allem Gott erkennen. Nach ihm sind nämlich die Körper, besonders aber die Töne und Laute, von Zahlenverhältnissen beherrscht. Diese nennt er "sonantes" (tönende). Dazu gibt es von diesen abgelöste und mit unseren Sinnen aufgenommene Zahlenverhältnisse, die er "occursores" (einströmende) heißt; andere Zahlenverhältnisse gehen von der Seele auf den Leib über, was sich beim Gebärdenspiel und bei den Tänzen zeigt; das sind die "progressores" (zum Ausdruck gebrachte Zahlen). Auch die sinnlichen Genüsse unterstehen Zahlenverhältnissen, die wir durch die Hinwendung unserer Aufmerksamkeit auf die Spezies wahrnehmen. Diese nennt er "sensuales" (sinnliche). Ferner gibt es im Gedächtnis aufbewahrte Zahlen. Diese heißen "memoriales" (behaltene), und endlich noch Zahlenverhältnisse, mit denen wir über all dieses urteilen. Es sind die "iudiciales" (Urteilszahlen). Sie stehen notwendigerweise, wie wir schon sagten, über dem Geist als unfehlbar und unbeurteilbar. Von ihnen werden unserem Verstand die "artificiales" (der Kunst zugrunde liegenden Zahlenverhältnisse) eingeprägt, die Augustin zwar nicht unter den genannten aufzählt, weil sie mit den Urteilszahlen verbunden sind. Aus diesen fließen die "progressores", nach denen die zahlenmäßigen Formen der Kunstwerke geschaffen werden, so dass sich ein geordneter Abstieg vom Höchsten durch das Mittlere zum Niedrigsten vollzieht. Zu ihnen erheben wir uns auch wieder stufenweise von den "sonantes" durch die "occursores", "sensuales" und "memoriales".
Alles ist schön und irgendwie wohlgefällig. Schönheit und Wohlgefallen sind aber nie ohne Ebenmaß. Und dieses findet sich an erster Stelle in den Zahlenverhältnissen. Darum muss allem die Zahl zugrunde liegen. Somit ist sie das "vorzüglichste Urbild im Geist des Schöpfers" (12) und in den Dingen ist sie die deutlichste Spur, die zur Weisheit führt. Da sie allen ganz einleuchtend ist und Gott ganz nahe kommt, leitet sie auch gleichsam über diese sieben Verschiedenheiten ganz nahe zu ihm hin und bewirkt, dass wir ihn in allem Körperlichen und Sinnenfälligen erkennen, wenn wir die Zahlenverhältnisse wahrnehmen, uns an den zahlen mäßigen Ebenmaßen erfreuen und durch ihre Regeln unwiderleglich urteilen.
11. Von diesen beiden ersten Stufen aus werden wir angeleitet, Gott in den Spuren nach Art der zwei nach unten gesenkten Flügel zu schauen. Wir können hieraus entnehmen, dass alle Geschöpfe dieser sinnenfälligen Welt den Geist des Betrachtenden und Weisen zum ewigen Gott führen. Sie sind ja des mächtigsten, weisesten und gütigsten Urgrundes, jenes ewigen Urquelles, Lichtes und Reichtums, jener wirkenden, urbildenden und ordnenden Kunst, sage ich, Schatten, Widerhall und Gemälde; sie sind Spuren, Abbilder und Darstellungen, uns vor Augen geführt, dass wir den Herrn erkennen; sie sind gottgegebene Zeichen; Vorbilder sind sie, so meine ich, oder besser nach solchen geformt und den noch ungebildeten und sinnlichen Geistern vorgehalten, damit sie durch das Sinnenfällige, das sie sehen, zum Geistigen, das sie nicht sehen, emporgetragen werden wie durch Zeichen zum Bezeichneten.
12. Die Geschöpfe dieser sinnlichen Welt offenbaren aber "das Unsichtbare in Gott" (13) einmal, weil er jeder Kreatur Ursprung, Urbild und Ziel ist. Jede Wirkung nämlich weist auf ihre Ursache hin, jedes Nachbild auf das Vorbild und jeder Weg auf das Ziel, zu dem er führt. Sie tun es aber durch ihre eigene Beschaffenheit, oder weil sie als prophetische Vorbilder dienen, oder das englische Wirken unterstützen, oder endlich zu übernatürlichen Zwecken angeordnet sind. Jedes Geschöpf ist nämlich von Natur aus ein Bild und Gleichnis, mehr noch jenes, das im Buch der Heiligen Schrift durch den prophetischen Geist zum Vorbild für geistliche Dinge erhoben ward, vorzüglicher noch jene Kreatur, in derem Bild der Herr durch Vermittlung der Engel erscheinen wollte, am meisten endlich jene, die er dazu bestimmen wollte, etwas zu bezeichnen, und das nicht nur Zeichen in der gewöhnlichen Bedeutung, vielmehr Sakrament ist.
13. Aus all dem können wir entnehmen, dass "das Unsichtbare in Gott seit Erschaffung der Weit durch das, was gemacht ist, im Geist erfasst wird", so dass alle, die das nicht beachten und Gott in all dem nicht erkennen und lieben wollen, "unentschuldbar sind" (14). Sie wollen sich ja nicht emportragen lassen "aus der Finsternis zum wunderbaren Licht Gottes" (15). "Dank aber sei Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, der uns aus der Nacht zu seinem erhabenen Licht emporführte", dass wir durch diese von außen dargebotenen Lichter veranlasst werden, wieder vor den Spiegel unseres Geistes zu treten, wo Göttliches aufleuchtet.
3. Kapitel: Die Erkenntnis Gottes durch sein den natürlichen Vermögen eingeprägtes Bild
1. Die beiden erstgenannten Stufen leiten uns zu Gott durch seine Spuren, durch die er in allen Geschöpfen erstrahlt. Sie brachten uns so weit, dass wir wieder zu uns selbst, in unsere Seele einkehrten, in der das göttliche Bild (1) aufleuchtet. So treten wir denn an dritter Stelle bei uns selbst ein, verlassen gleichsam den äußeren Vorhof und müssen versuchen, im Heiligtum (2), im vorderen Teile des Zeltes, unseren Gott wie durch einen Spiegel zu schauen. Hier erglänzt wie von einem Leuchter das Licht der Wahrheit auf dem Antlitz unserer Seele, in der das Bild der heiligsten Dreifaltigkeit widerstrahlt.
Kehre darum in dich ein und siehe: dein Geist liebt sich selbst ganz glühend. Er könnte sich aber nicht lieben, wenn er sich nicht erkännte; und er erkännte sich nicht, wenn er sich seiner nicht erinnerte und bewusst wäre. Wir fassen eben nichts mit unserem Verstand, was wir nicht in unserem Bewusstsein und Gedächtnis gegenwärtig haben (3). Daraus gewahrst du, nicht mit den Augen des Fleisches, wohl aber des Geistes, dass deine Seele ein dreifaches Vermögen hat. Betrachte also dieser drei Vermögen Tätigkeiten und Verhaltungsweisen; dann wirst du durch dich selbst wie in einem Bild Gott erkennen können; und dieses heißt, wie "durch einen Spiegel im Rätsel schauen" (4).
2. Die Tätigkeit des Bewusstseins und Gedächtnisses besteht im BehaIten und Vergegenwärtigen nicht nur der gegenwärtigen, körperlichen und zeitlichen Dinge, sondern auch aller der Zeitfolge unterstellten, einfachen und ewigen. Das Bewusstsein und Gedächtnis enthält ja das Vergangene durch Erinnern, das Gegenwärtige durch Aufnehmen, das Zukünftige durch Vorausschauen. - Es behält auch das Einfache, die Prinzipien der stetigen und unstetigen Größen, wie den Punkt, den Augenblick und die Einheit. Ohne diese kann man sich nichts bewusst machen und denken, was von diesen Urgegebenheiten abhängt. - Das Bewusstsein und Gedächtnis hält ferner die Prinzipien und Grundsätze der Wissenschaften als ewig dauernd fest. Denn solange es eine Vernunft gebraucht, kann es diese nicht so vergessen, dass es aufhörte, sie zu billigen und ihnen zuzustimmen, wenn es ihrer nicht gewahr wird, nicht als ob es sie von neuem wahrnähme, sondern weil es sie als sich angeboten und vertraut wieder erkennt. Das zeigt sich, wenn uns (der Satz) vorgelegt wird: "Eine Sache kann man nur verneinen oder bejahen" (5) oder: "Jedes Ganze ist größer als sein Teil", oder irgendein anderer Grundsatz, dem man aus einem inneren Grund nicht widersprechen kann.
Infolge des ersten wirklichen Behaltens alles Zeitlichen, nämlich des Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen, trägt es das Bild der Ewigkeit in sich, deren unteilbares Jetzt sich auf alle Zeiten erstreckt. Die zweite Art des Festhaltells beweist, dass es nicht nur von außen, durch Vorstellungsbilder gestaltet wird, sondern auch von oben, indem es die einfachen Formen enthält und in sich trägt, die nicht durch die Tore der Sinne und durch Abbilder von Sinnenfälligem eingehen können. - Aus dem dritten ergibt sich, dass es ein unveränderliches Licht in sich trägt, in dem es sich der unwandelbaren Wahrheiten bewusst wird. - So zeigt sich aus den Tätigkeiten des Bewusstseins, dass die Seele selbst ein Bild und Gleichnis Gottes ist. Dieser ist ihr so gegenwärtig, und sie trägt ihn derart in sich, dass sie Gott tatsächlich erfasst und die Fähigkeit hat, ihn zu besitzen und seiner teilhaft zu werden.
3. Die Erkenntniskraft betätigt sich in der Erfassung der Begriffe, Urteile und Schlüsse. Der Verstand nun erfasst den Sinn der Begriffe, wenn er die (Wesensbestimmung der Dinge erkennt. Jede Definition aber vollzieht sich durch Übergeordnetes, und dieses wird wieder durch Höheres bestimmt, bis man zum Höchsten und Allgemeinsten gelangt. Ist dieses unbekannt, dann können wir auch das Untergeordnete nicht begrifflich erfassen. iWenn wir also nicht das Wesen des Durch-Sich-Seienden erkennen, dann können wir auch keine besondere Substanz vollständig definieren. Das Sein an sich aber können wir auch nicht erkennen, wenn wir es nicht mit seinen Beschaffenheiten erfassen, nämlich als eines, wahres und gutes. Nun lässt sich aber das Sein denken als abgeschwächtes und vollständiges, als unvollkommenes und vollkommenes, als mögliches und wirkliches, als ein Sein in bestimmter Rücksicht und Sein schlechthin, als teilweises und ganzes, als vergängliches und bleibendes, als durch ein anderes und durch Sich seiendes, als mit Nichtsein gemischtes und lauteres, als abhängiges und unbedingtes, als späteres und früheres, als wandelbares und unwandelbares, als einfaches und zusammengesetztes Sein. Weil nun aber "die Negation und der Mangel nur durch das positive Sein erkannt werden" (6), dringt unser auf das letzte zielender Verstand zum Begreifen irgend eines erschaffenen Dinges nur vor, wenn er durch die Einsicht in das lauterste, wirklichste, vollendetste und absolute Sein unterstützt wird. Dieses ist aber auch das absolute und ewige Sein, das aller Dinge Ideen und Gründe in ihrer Reinheit in sich trägt. Wie könnte denn auch der Verstand von etwas Mangelhaftem und Unvollständigem wissen, hätte er keine Kenntnis vom mangellosen Sein? Ebenso steht es auch mit den anderen eben besprochenen Beschaffenheiten.
Man sagt nun, der Verstand erfasse dann wahrhaft den Sinn einer Aussage, wenn er mit Gewissheit weiß, dass sie wahr ist. Dies ist im eigentlichen Sinne Wissen. Bei dieser Erkenntnis ist nämlich keine Täuschung möglich. Der Verstand weiß ja, dass jene Wahrheit nicht anders sein kann, dass sie also unabänderlich ist. Unser Geist selbst aber ist wandelbar. Darum kann er jene unabänderlich leuchtende Wahrheit nur durch ein unveränderlich strahlendes Licht erkennen. Ein solches nun kann aber kein veränderliches Geschöpf sein. Man "weiß" also in jenem Licht, "das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt." Dieses ist das "wahre Licht" und "das Wort, das im Anfang bei Gott war" (7).
Den Inhalt einer Schlussfolgerung erfasst unser Verstand dann wahrheitsgemäß, wenn er einsieht, dass sich der Schluss notwendig aus den Prämissen ergibt. Dies erkennt er aber nicht nur bei notwendigen, vielmehr auch bei kontingenten Begriffen, so z. B. bei folgendem: wenn der Mensch läuft, bewegt er sich. Und er nimmt dies notwendige Verhalten nicht nur bei seienden, nein, auch bei nichtseienden Dingen wahr. Wie sich nämlich von einem existierenden Menschen der Schluss ergibt: wenn er läuft, bewegt er sich, so auch von einem nichtexistierenden. Diese Notwendigkeit der Folgerung rührt also nicht von der Existenz im Stoffe her - dieser ist ja kontingent -, auch nicht vom Vorhandensein des Dinges im Geist. Wenn sie nämlich nicht auch im Dinge wäre, so wäre sie eine Fiktion. Darum stammt sie vielmehr vom Urbild in der ewigen Kunst. Nach ihrer Darstellung dort sind die Dinge aufeinander hingeordnet und einander angepasst. Deshalb wird nach dem Wort des heiligen Augustin in seinem Werke "Die wahre Religion" (8) das Licht eines jeden Menschen, der wahr schließt, an jener Wahrheit entzündet und strebt wieder zu ihr hin. - Daraus erhellt aber ganz klar, dass unser Verstand mit jener ewigen Wahrheit verknüpft ist. Er kann ja nichts mit Gewissheit als wahr erfassen, wenn jene ihn nicht belehrt. Schauen kannst du also durch dich die Wahrheit, die deine Lehrmeisterin ist, wenn nicht Leidenschaft und Trugbilder dich hindern und sich wie Wolken zwischen dich und ihre Ausstrahlung schieben.
4. Die Tätigkeit des Wahlvermögens äußert sich im Überlegen, Urteilen und Verlangen. Das Überlegen ist ein Untersuchen, ob dieses oder jenes besser sei.
Besser wird etwas nur genannt, weil es dem Besten näher steht. Diesem aber rückt es durch eine größere Ähnlichkeit näher. Somit weiß also niemand, ob dieses besser sei oder jenes, wenn er nicht sieht, dass es dem Besten näher kommt. Nun weiß aber niemand, ob etwas einem anderen mehr gleicht, wenn er dieses nicht kennt. Ich weiß ja nicht, ob jener Mensch dem Petrus ähnlich sei, wenn ich von Petrus nicht weiß und ihn nicht kenne. Jedem Überlegenden muss daher die Kenntnis vom höchsten Gut notwendig eingeprägt sein.
Ein sicheres Urteil über das, worüber man sich schlüssig werden soll, wird nach irgendeinem Gesetz gefällt. Keiner aber bildet sich mit Gewissheit ein Urteil nach einem Gesetz, wenn er nicht sicher weiß, dass jenes richtig ist und dass es sich seiner Beurteilung entzieht. Nun urteilt unser Geist aber über sich selbst. Er kann jedoch nicht über das Gesetz befinden, nach dem er bewertet. Folglich steht jenes Gesetz über unserem Geist, und dieser urteilt nach ihm, wie es ihm eingeprägt ist. Da nun über dem menschlichen Geist nur sein Schöpfer steht, rührt unser Urteilsvermögen beim Überlegen, wenn es der Sache ganz auf den Grund geht, notwendig an die göttlichen Gesetze (9).
Das Verlangen richtet sich vorzüglich auf das, was am meisten erregt. Am stärksten erregt aber, was am meisten geliebt wird. Und am meisten wird das Glück geliebt. Das Glück jedoch lässt sich nur im Besitz des besten und höchsten Zieles erreichen. Also erstrebt das menschliche Verlangen alles nur in Rücksicht auf das höchste Gut, sei es, dass es zu ihm hinführe, oder irgendwie sein Abbild in sich trage. So groß ist des höchsten Gutes Macht, dass das Geschöpf ohne die Sehnsucht nach ihm nicht lieben kann. Wenn es aber sein Bild und seine bloße Darstellung für die Wirklichkeit hält, irrt und täuscht es sich.
Betrachte also, wie nahe die Seele Gott steht, und wie in ihren Tätigkeiten das Gedächtnis zur Ewigkeit, die Einsicht zur Wahrheit, das Wahlvermögen zum höchsten Gut hinleitet.
5. Die Ordnung, der Ursprung und die Betätigung dieser Vermögen führt aber hin zur heiligsten Dreifaltigkeit. - Aus dem Bewusstsein und Gedächtnis geht nämlich als sein Sprössling die Einsicht hervor; wir erkennen ja dann, wenn das im Gedächtnis ruhende Bild im höchsten Teil des Verstandes aufleuchtet; das aber ist nichts anderes als das innere Wort. Aus dem Bewusstsein und der Einsicht geht der Liebeshauch hervor als das beide verbindende Band. Diese drei, der zeugende Geist, das Wort und die Liebe, sind in der Seele als Gedächtnis, Verstand und Wille. Sie sind desselben Wesens, gleichartig und gleich ewig und durchdringen sich gegenseitig. Ist Gott also ein vollkommener Geist, so besitzt er Gedächtnis, Verstand und Willen und demnach auch das gezeugte Wort und die gehauchte Liebe. Diese unterscheiden sich notwendig, da das eine vom anderen hervorgebracht wird, nicht aber wesentlich noch akzidentell, sondern persönlich.
Wenn somit der Geist sich selbst betrachtet, erhebt er sich durch sich selbst wie durch einen Spiegel zur Schau der heiligsten Dreifaltigkeit: des Vaters, des Wortes und der Liebe. Diese drei Personen sind derart gleichewig, gleichartig und wesensgleich, dass jede in jeder anderen ist, aber nicht eine die andere, vielmehr die drei ein Gott sind.
6. In dieser Schau ihres dreifaltigen und einen Urgrundes durch die Dreieinigkeit ihrer Vermögen, durch die sie Bild Gottes ist, wird die Seele durch das Licht der Wissenschaft unterstützt. Es vervollkommnet und unterweist sie und stellt dreifach die heiligste Dreifaltigkeit dar. - Denn alle Philosophie ist entweder Natur-, Vernunft- oder Sittenlehre. Die erste handelt von der Seinsursache und führt damit zur Macht des Vaters; die zweite vom Erkenntnisgrund und leitet so zur Weisheit des Wortes hin; die dritte von der Lebensordnung und weist uns damit zur Güte des Heiligen Geistes.
Die erste nun zerfällt ihrerseits in die Metaphysik, Mathematik und Physik, und zwar handelt ersterwähnte von den Wesenheiten der Dinge, die zweite von den Zahlen und Figuren und die dritte von den Naturen, Kräften und ihren um sich greifenden Tätigkeiten. Und so führt die erste zum Urgrund, zum Vater, die zweite zum Bild, dem Sohn, und die dritte zur Gabe, dem Heiligen Geist.
Die andere (Vernunftlehre) wird eingeteilt in die Grammatik, die uns des Ausdruckes mächtig, in die Logik, die uns scharfsinnig für die Schlussfolgerung, und in die Rhetorik, die uns geschickt macht zu überzeugen und hinzureißen. Auch dies weist auf das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit hin.
Die dritte (Sittenlehre) gliedert sich in die monastische (Individual-), ökonomische (Familien-) und politische (Sozial-) Ethik. Und so lenkt die erste auf die Ursprungslosigkeit des Erstprinzips hin, die zweite auf das Verwandtschaftsverhältnis des Sohnes und die dritte auf die Freigebigkeit des Heiligen Geistes.
7. All diesen Wissenschaften liegen sichere und unfehlbare Normen, gleichsam Lichter und Strahlen, zugrunde, die von der ewigen Urform in unseren Geist hinabsteigen. Dadurch kann unser von soviel Glanz durchleuchteter Verstand, wofern er nicht blind ist, durch sich zur Schau jenes ewigen Lichtes geleitet werden. Dieses Lichtes Ausstrahlung und ihre Erforschung durch uns erhebt die Weisen zur Bewunderung, die Unweisen aber, die nicht glauben wollen, um einzusehen, bringt sie in Verwirrung. So wird jenes Prophetenwort erfüllt: "Wunderbar erleuchtest du von den ewigen Bergen her; verwirrt sind alle, die unweisen Herzens sind" (10).
4. Kapitel: Die Erkenntnis Gottes in seinem gnadenhaft erneuerten Ebenbild
1. Nicht nur durch uns (zu Gott) emporsteigend, sondern auch in uns können wir den Urgrund erkennen. Weil diese Betrachtungsweise höher steht als die vorige, nimmt sie die vierte Stufe ein. Es ist nun aber auffällig, wie wenige den Urgrund in sich selbst suchen, obwohl doch, wie gezeigt wurde, Gott unserer Seele so nahe ist. Der Grund ist offensichtlich. Durch Sorgen zerstreut, kehrt der Mensch nicht durch das Gedächtnis oder das Bewusstsein bei sich ein; durch Phantasiebilder umnebelt, beschäftigt sich der Verstand nicht mit seinem Inneren; von niederen Begierden angelockt, findet er auch durch das Verlangen nach innerer Süßigkeit und geistlicher Freude nicht mehr zu sich zurück. So ist er ganz in dieses Sinnenfällige verstrickt und kann deshalb nicht zu dem Bild Gottes in sich wieder einkehren.
2. Wohin nun jemand gefallen ist, dort muss er auch liegen bleiben, wenn nicht jemand kommt und ihn aufhebt (1). So könnte auch unsere Seele sich nicht vollkommen von diesem Äußeren zur Schau ihrer selbst und der ewigen Wahrheit in sich selbst aufschwingen, hätte nicht diese in Christus menschliche Gestalt angenommen, und wäre er uns nicht zur Leiter geworden, um so die erste in Adam zerbrochene Himmelsstiege wieder zu erneuern.
Mag also jemand noch so sehr vom Licht des natürlich angeborenen und erworbenen Wissens erleuchtet sein, er kann nicht in sich einkehren, um sich im Inneren des Herrn zu erfreuen, wenn Christus ihm nicht hilft, der sagt (2�): "Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, wird er gerettet werden. Er wird ein- und ausgehen und Weide finden." Dieser Tür nahen wir uns nur, wenn wir an ihn glauben, auf ihn hoffen und ihn lieben. Wollen wir also wie in ein Paradies zum Genuss der Wahrheit in uns eintreten, so müssen wir es tun durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zu Jesus Christus, dem Mittler zwischen Gott und den Menschen; er ist gleichsam der Baum des Lebens inmitten des Paradieses.
3. Das Bild unserer Seele muss also mit den drei göttlichen Tugenden überkleidet werden. Dadurch wird der Geist gereinigt, erleuchtet und vervollkommnet. Sobald nun das Bild neu gestaltet ist, gleicht es dem ewigen Jerusalem und wird ein Teil der streitenden Kirche, die nach dem Apostel ein Kind des himmlischen Jerusalem ist. Er sagt ja (3): "Jenes Jerusalem da droben ist das freie, es ist unsere Mutter." - Die Seele glaubt also an Christus, sie hofft auf ihn und liebt ihn, der das fleischgewordene, ungeschaffene und eingehauchte Wort, d. h. "der Weg, die Wahrheit und das Leben ist" (4). Wenn sie nun durch den Glauben Christus, das ungeschaffene Wort, fest für wahr hält, der das Wort und der Abglanz des Vaters ist (5), dann erlangt sie das geistliche Gehör und Gesicht wieder (6): das Gehör, um die Worte Christi zu vernehmen; das Gesicht, um den Glanz jenes Lichtes zu schauen. Wenn sie durch die Hoffnung sich nach dem eingehauchten Worte sehnt, erlangt sie durch Begehren und Liebe den geistlichen Geruchsinn wieder. Umfängt sie in Liebe das fleischgewordene Wort, um sich in ihm zu erfreuen, und in ekstatischer Zuneigung darin umgewandelt zu werden, so wird ihr der Geschmack- und Gefühlssinn zurückgegeben. Hat sie so die Sinne wiedergewonnen, dann hört, sieht, riecht, kostet und umschlingt sie den Bräutigam und kann als Braut das Hohelied singen. Dieses Lied ist ja gedichtet zur Pflege der Beschauung auf dieser vierten Stufe, die man nicht erringt, sondern empfängt (7); denn sie besteht mehr in einem liebenden Erleben als in einem vernünftigen Erwägen. Sind nun die inneren Sinne wiederhergestellt, um das Schönste wahrzunehmen, das Wohlklingendste zu hören, das Wohlriechendste zu empfinden, das Süßeste zu kosten und das Entzückendste zu spüren, dann wird die Seele auf dieser Stufe für die geistliche Entrückung vorbereitet, und zwar durch Andacht, Bewunderung und Lobpreis. Das entspricht den Ausrufen im Hohenlied. Der erste entsteigt der Fülle der Andacht. Durch diese wird die Seele "einer Rauchwolke von Spezereien aus Myrrhe und Weihrauch gleich" (8). Der zweite entquillt der erhabensten Bewunderung. Durch sie wird der Geist wie die Morgenröte, wie Mond und Sonne (9), entsprechend den immer neuen Erleuchtungen, die ihn bei Betrachtung ihres Bräutigams zum Staunen hinreißen. Der dritte entspringt der Überfülle des Jubels, durch den die Seele an Wonnen süßester Freude überströmt, ganz auf ihren Geliebten gelehnt (10).
4. Nachdem unser Geist diese Sinne empfangen hat, wird er hierarchisch (11), um dem himmlischen Jerusalem ähnlich emporzusteigen. Niemand tritt aber in dieses ein, wenn es nicht zuvor durch die Gnade in sein Herz hinabgestiegen ist, wie St. Johannes in seiner Apokalypse (12) schaute. Ins Herz aber steigt es hinab, wenn unser Geist hierarchisch, d. h. gereinigt, erleuchtet und vervollkommnet wird. Dieses geschieht in der Neugestaltung des Bildes durch die theologischen Tugenden, die Wonne der geistlichen Sinne und die ekstatischen Entrückungen. - Jetzt sind auch in ihm die Rangordnungen der neun Chöre abgezeichnet, indem er innerlich und ordnungsgemäß durch Verkündigung, Anweisung, Führung, Anordnung, Stärkung, Beherrschung, Aufnahme, Offenbarung und Salbung vorbereitet wird. Diese entsprechen stufenweise den neun Chören der Engel, und zwar derart, dass die ersten sich im menschlichen Geist auf die (äußere) Natur, die drei folgenden auf die Eigentätigkeit und die drei letzten auf die Gnade beziehen. Jetzt tritt die Seele, in sich selbst einkehrend, in das himmlische Jerusalem ein. Hier betrachtet sie die Chöre und schaut Gott, wie er in ihnen wohnt und all ihr Tun vollbringt. Darum sagt St. Bernhard zu Eugen (13): "Gott liebt in den Seraphim als Liebe; in den Cherubim erkennt er als Wahrheit; in den Thronen herrscht er als Gerechtigkeit; in den Herrschaften gebietet er als Hoheit; in den Fürstlichkeiten regiert er als der höchste Herr; in den Mächten schirmt er als Heilbringer ; in den Kräften waltet er als Stärke; in den Erzengeln offenbart er sich als Licht; in den Engeln unterstützt er als Güte." - In all diesem zeigt sich Gott als alles in allem (14), wenn wir ihn in der Seele betrachten, wo er durch die Gaben der überströmenden Liebe wohnt.
5. Ein vorzügliches Mittel zur Betrachtung ist auf dieser Stufe die von Gott gegebene Heilige Schrift ähnlich wie die Philosophie auf der vorhergehenden. Denn sie handelt hauptsächlich über das Werk der Erlösung. Darum hat sie in erster Linie den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zum Gegenstand. Durch diese Tugenden, insbesondere durch die Liebe, muss die Seele neugestaltet werden. Von ihr sagt ja der Apostel (15): "Sie ist das Ziel des Gesetzes", wenn sie "aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben stammt." Sie ist nach demselben die "Erfüllung der Gebote". Und unser Erlöser versichert, dass das ganze Gesetz und die Propheten an diesen beiden hangen, nämlich an der Gottes- und Nächstenliebe. Beide zeigen sich in dem einen Bräutigam der Kirche, Jesus Christus, der zugleich Nächster und Gott, Bruder und Herr, Freund und König, ungeschaffenes und fleischgewordenes Wort, der Schöpfer und Neugestalter, das Alpha und Omega ist (16). Er ist auch unser höchster Hierarch, der die Braut reinigt, die ganze Kirche und jede heilige Seele.
6. Diesen Hierarchen und die kirchliche Hierarchie hat die gesamte Heilige Schrift zum Gegenstand. Durch sie werden wir in der Reinigung, Erleuchtung und Vervollkommnung unterwiesen, und zwar dem dreifachen Gesetz entsprechend, das in ihr niedergelegt ist: dem der Natur, der Schrift und der Gnade. Oder besser noch, ihren drei Hauptteilen gemäß, nämlich dem mosaischen Gesetz, das reinigt, der prophetischen Offenbarung, die erleuchtet, und der evangelischen Belehrung, die vervollkommnet; oder am besten noch ihrem dreifachen geistlichen Sinne nach: dem tropologischen, der zu einem ehrbaren Leben läutert, dem allegorischen, der zur klaren Einsicht verhilft, und dem anagogischen, der durch geistige Entrückung und beglückendes Verkosten der Weisheit vollendet. Und dies entspricht wieder den drei genannten göttlichen Tugenden, den wiederhergestellten geistlichen Sinnen, der soeben besprochenen dreifachen Entrückung und den hierarchischen Akten der Seele. Dadurch kehrt unsere Seele in sich selbst zurück und schaut Gott "im Glanz seiner Heiligen" (17), schläft und ruht in ihm wie in den Kammern des Friedens. Und der Bräutigam bittet inständig, dass man sie nicht wecke, bis sie selber aufsteht.
7. Auf diesen zwei mittleren Stufen treten wir nun zu uns selbst ein und betrachten Gott wie in den Spiegeln der geschaffenen Abbilder. Das aber geschieht gleichsam nach Art der mittleren zum Fliegen ausgespannten Flügel (18). So können wir denn folgendes erkennen: Durch die der Seele von Natur aus eingepflanzten Vermögen sind wir zu Gott geführt worden, und zwar durch deren Tätigkeiten, Verhaltungsweisen und Erkenntnisanlagen, wie wir auf der dritten Stufe sahen. - Durch die wiederhergestellten Kräfte derselben Seele sind wir ebenfalls dorthin gebracht worden, nämlich durch die eingegossenen Tugenden, die geistlichen Sinne und die geistigen Entrückungen, wie es sich auf der vierten Stufe ergibt. Wir werden aber auch dorthin gelenkt durch die hierarchischen Akte: durch die Reinigung, Erleuchtung und Vervollkommnung der menschlichen Seele, durch die hierarchischen Offenbarungen der Heiligen Schrift, die uns nach dem Wort des Apostels (19): "Das Gesetz ward durch Engel in die Hand eines Mittlers gelegt", von himmlischen Geistern gebracht wurde. Und schließlich sind wir ebenfalls dorthin geleitet worden durch die Hierarchien und die hierarchischen Ordnungen, die in unserer Seele nach dem Vorbild des himmlischen Jerusalem vorbereitet werden müssen.
8. Von all diesen geistigen Lichtern erfüllt wird unsere Seele von der göttlichen Weisheit als Haus Gottes bewohnt, wird Tochter Gottes, Braut und Freundin, Glied Christi, des Hauptes, seine Schwester und Miterbin, aber auch Tempel des Heiligen Geistes, der im Glauben begründet, durch die Hoffnung erbaut und Gott durch die Heiligkeit der Seele und des Leibes geweiht ist. Die lauterste Liebe Christi bewirkt all dieses, die "in unsere Herzen eingegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ward" (20). Ohne ihn können wir Gottes Geheimnisse gar nicht erkennen. Denn wie niemand weiß, was im Menschen ist "als nur sein eigener Geist, der in ihm ist, so weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes" (21). Lasset uns also in der Liebe Wurzel fassen und fest gründen, damit wir mit allen Heiligen zu erkennen vermögen die Länge der Ewigkeit, die Weite der Güte, die Höhe der Majestät und die Tiefe der alles beurteilenden Weisheit.
5. Kapitel: Die Erkenntnis der Einheit Gottes durch seinen ersten Namen: der Seiende
1. Gott vermögen wir nicht nur außer uns und in uns, sondern auch über uns zu schauen: außer uns durch die Spuren, in uns durch das Ebenbild und über uns durch das Licht, das über unserem Geist aufgeleuchtet ist (1). Es ist dies das Licht der ewigen Wahrheit, denn "unser Geist wird von ihr selbst unmittelbar unterwiesen" (2). Wer in der ersten Weise erfahren ist, trat bereits in den Vorhof vor dem Zelt ein; wer in der zweiten bewandert ist, hat schon das Heiligste betreten; wer aber bis zum dritten fortgeschritten ist, steht mit dem Hohenpriester im Allerheiligsten. Hier thronen auf der Bundeslade die Cherubim der Herrlichkeit und überschatten den Gnadenstuhl (3). In ihnen erkennen wir zwei Stufen oder Weisen, wie wir das Unsichtbare und Ewige in Gott schauen. Die eine davon geht auf das Wesenhafte in Gott, die andere auf das Eigentümliche der Personen.
2. Jene heftet den Blick an erster Stelle und hauptsächlich auf das Sein und sagt: Der Seiende ist der erste Gottesname (4). Die zweite sieht auf das Gute und spricht: Dieses ist der erste Gottesname. Der erste Name steht in besonderer Beziehung zum Alten Testament, das vor allem die Einheit des göttlichen Wesens verkündet. Darum ward auch dem Moses gesagt: "Ich bin der Seiende" (5). Der andere Name findet sich vor allem im Neuen Testament, das die Mehrheit der Personen offenbart, indem es im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes tauft (6). Als darum unser Lehrmeister, Christus, dem Jünglinge, der das Gesetz beobachtet hatte, zur evangelischen Vollkommenheit führen wollte, hat er Gott in erster Linie und ausdrücklich den Namen "der Gute" beigelegt. "Niemand", so sprach er, "ist gut als Gott allein" (7). Damaszenus (8) folgt Moses und lehrt: "Der da ist", ist der erste Name des Herrn. Dionysius (9) hält sich an Christus und sagt: "Der Gute" ist sein Hauptname.
3. Wer also das Unsichtbare Gottes, und zwar die Einheit des Wesens betrachten will, der hefte zunächst das Auge auf sein Sein (10), und siehe: Dieses Sein ist in sich so gewiss, dass man es sich nicht als nichtseiend denken kann, denn eben dieses lauterste Sein tritt uns nur als die völlige Ausschließung des Nichtseins entgegen, wie auch das Nichts nur als jeglicher Mangel an Sein. Wie nun das reine Nichts vom Sein und seinen Eigenschaften nichts an sich hat, so hat auf der anderen Seite das Sein seIbst nichts vom Nichtsein, weder in der Möglichkeit, noch in der Wirklichkeit, weder der Wahrheit, noch unserer Meinung nach an sich. Da aber das Nichtsein ein Mangel des Seins ist, so kommt es nur durch das Sein in unseren Verstand, während das Sein durch sich selber eingeht; denn alles, was gedacht wird, wird entweder als nichtseiendes, als mögliches oder wirkliches Sein gedacht. Das Nichtsein kann also nur durch ein Sein, das Mögliche nur durch ein Wirkliches erkannt werden. Wenn ferner das Sein reine Wirklichkeit besagt, dann gelangt es als erstes in unseren Verstand, und dieses Sein ist eben die reine Wirklichkeit selbst (actus purus). Dieses ist aber kein Einzelsein; denn ein solches wäre, weil mit Möglichkeit untermischt, ein beschränktes. Es ist aber auch erst recht kein analoges Sein; dieses ist ja der Wirklichkeit am entferntesten, weil es den geringsten Anteil am Sein hat. Also ist es nur das göttliche Sein.
4. Unglaublich ist also die Blindheit unseres Verstandes, der nicht beachtet, was er doch zuerst sieht und ohne welches er nichts erkennen kann. Ähnlich wie ein Auge, das auf die mannigfachen Unterschiede der Farben achtet, das Licht nicht sieht, wodurch es all dieses erst wahrnimmt, und wenn es das Licht aufnimmt, es nicht beachtet, so schaut auch das Auge unseres Geistes auf das einzelne und allgemeine Sein und achtet nicht auf jenes, das über jeder Art steht. Und doch bietet sich dieses dem Geist zuerst dar und dadurch erst das andere.
Nur zu wahr ist darum, dass, "wie das Auge der Fledermaus zum Licht, so sich unser Geist zu dem verhält, was an sich das Offenbarste ist" (11). Er ist eben nur an das Dunkel der Sinne und die Trugbilder des Sinnenfälligen gewöhnt. Wenn er darum das Licht des höchsten Seins erblickt, so vermeint er nichts zu sehen. Er begreift nicht, dass diese Dunkelheit des Geistes höchste Erleuchtung ist (12). Es ist, wie wenn das Auge das reine Licht sieht; es scheint ihm dann, als sähe es nichts.
5. Schau also das lauterste Sein, wenn du es vermagst, und du wirst finden, dass du es nicht denken kannst, als habe es (sein Sein) von einem anderen erhalten. Somit wird es notwendig als absolut erstes erfasst, das weder aus dem Nichts, noch von einem anderen stammen kann. Was wäre denn überhaupt durch sich, wenn nicht das Sein seIber durch sich selbst und aus sich selber wäre? - Du wirst auch finden, dass ihm jegliches Nichtsein abgeht; darum fängt es niemals an, noch hört es jemals auf, es ist vielmehr ewig. - Du siehst also ein, dass es das Sein schlechthin und darum durchaus nicht zusammengesetzt, sondern absolut einfach ist. - Sodann erkennst du, dass es frei von jeder Möglichkeit ist; denn alles Mögliche hat irgendwie etwas vom Nichtsein an sich. Also ist es das wirklichste Sein. - Ferner drängt sich dir auch auf, dass es nichts Mangelhaftes an sich hat. Somit ist es das vollkommenste Sein. - Endlich findest du noch, dass es keine Verschiedenheit aufweist; also ist es ganz eins.
Das lauterste, schlechthinige, absolute Sein ist demnach das Erste, Ewige, Einfachste, Wirklichste, Vollkommenste und ganz Einheitliche.
6. All dieses ist so gewiss, dass keiner, der das Sein selber denkt, es sich ohne diese Vorzüge vorstellen kann, und dass diese sich gegenseitig notwendig fordern. Denn weil es eben das Sein schlechthin ist, ist es das absolut Erste. Weil es schlechthin das Erste ist, deshalb ist es von keinem anderen geschaffen, noch konnte es aus sich selbst entstehen; folglich ist es ewig. Weil es ferner das Erste und Ewige ist, darum ist es auch nicht aus anderen (Dingen); folglich ist es das Einfachste. Als das Erste, Ewige und Einfachste ist in ihm die Wirklichkeit mit keiner Möglichkeit vermischt; folglich ist es das Wirklichste. Weil es weiterhin das Erste, Ewige, Einfachste und Wirklichste ist, so ist es das Vollkommenste. Einem solchen fehlt durchaus nichts, noch kann ihm etwas hinzugefügt werden. Und endlich ist es als das Erste, Ewige, Einfachste, Wirklichste und Vollkommenste auch das absolut Einzige. "Was nämlich in mehrfacher Steigerung ausgesagt werden kann, das gilt von vielen; was aber in absoluter Steigerung ausgesagt wird, kann nur auf eines zutreffen ?" (13). Wenn Gott also das ewige, einfachste, vollkommenste Sein bedeutet, dann kann er nicht als nichtexistierend und muss als einer gedacht werden. Höre darum, Israel, dein Gott ist ein einziger (14). - Wenn du dieses mit lauterster Einfalt des Herzens einsiehst, dann wirst du schon etwas mit der Erleuchtung des ewigen Lichtes übergossen werden.
7. Du hast demnach Grund genug, dich zur Bewunderung aufzuschwingen. Denn das Sein schlechthin ist das Erste und Letzte, das Ewige und Gegenwärtige, das Einfachste und Größte, das Wirklichste und Unwandelbarste, das Vollkommenste und Unermessliche, das ganz Eine und Allseitige. - wenn du dieses reinen Herzens anstaunst, wirst du mit noch hellerem Licht überflutet, sobald du auch siehst, dass es gerade deshalb, weil es das Erste, auch das Letzte ist. Als erstes nämlich wirkt es alles seinetwegen (15). Darum muss es das letzte Ziel, Anfang und Vollendung, Alpha und Omega sein. - WeiI es das Ewige ist, ist es das Gegenwärtigste. Als ewiges kommt es nicht von einem anderen, vergeht nicht aus sich, noch geht es aus einem Zustand in einen anderen über. Es hat folglich kein vergangenes oder zukünftiges, sondern nur ein gegenwärtiges Sein. - Weil es das Einfachste ist, ist es auch das Größte. Ist doch das Einfachste im Wesen das Größte der Kraft nach. Je geschlossener nämlich diese ist, desto unendlicher ist sie (16). Als das Wirklichste ist es darum noch das Unveränderlichste; denn als solches ist es reiner Akt, erwirbt nichts Neues, noch verliert es etwas, was es besaß; darum aber kann es sich nicht ändern. - Als das Vollkommenste ist es unermesslich. Aber einem solchen kann ja nichts Vollkommeneres, Erhabeneres, Wertvolleres und damit nichts Größeres gedacht werden. Es ist also unermesslich. - Als ganz einheitliches ist es auch allseitig. Als ganz eines ist es ja der allgemeine Urheber jeglicher Vielheit. So ist es darum für alles die allgemeine Wirk-, Vorbild- und Zielursache, wie auch Seinsgrund, Erkenntnisgrund und Lebensnorm" (17). Es ist also allseitig, nicht als ob es die Wesenheit von allem wäre, wohl aber als aller Wesenheiten erhabenste, allgemeinste und hinreichendste Ursache. Weil ihre Kraft in der Wesenheit nun aber ganz geeint ist, ist sie in ihrer Wirksamkeit die unendlichste und vielfältigste.
8. Wiederholen wir: Weil das lauterste und absoluteste Sein, das Sein schlechthin das erste und letzte Sein ist, deshalb ist es aller Dinge Ursprung und vollendendes Ziel. - Als das Ewige und Gegenwärtigste umfasst es jede Zeit und durchdringt sie und ist gleichsam ihre Mitte und ihr Umkreis zugleich. - Als das Einfachste und Größte ist es ganz in allem und ganz außer allem ähnlich "einer geistigen Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umkreis nirgends ist" (18). Als das Wirklichste und Unwandelbarste ist es unbeweglich und bewegt selbst das All (19). - Als das Vollkommenste und Unermessliche ist es in allem, aber nicht eingeschlossen, außer allem, doch nicht ausgeschlossen, über allem, aber nicht (räumlich) erhoben, unter allem, aber doch nicht (räumlich) darunter. Weil es vollends ganz eins und allseitig ist, so ist es "alles in allem" (20), mag auch das Alles ein Vieles und es selbst ein Eines sein. Und zwar herrscht in ihm infolge der einfachsten Einheit, der klarsten Wahrheit und der aufrichtigsten Güte alle Kraft, Urbildlichkeit und Mitteilsamkeit. Darum ist "aus ihm, durch es und in ihm alles" (21), weil es allmächtig, allwissend und ganz gut ist. Dieses nun vollkommen einsehen, heißt glücklich sein, weil dem Moses gesagt wurde: "Ich will dir alles Gute zeigen" (22).
6. Kapitel: Die Erkenntnis der heiligsten Dreifaltigkeit aus der Betrachtung des Gottesnamens: Der Gute
1. Nachdem wir das göttliche Wesen ins Auge gefasst haben, müssen wir jetzt unseren Blick zur Schau der heiligsten Dreifaltigkeit erheben, so dass der eine Cherub neben dem anderen steht (1). Wie aber für die Erkenntnis des Wesenhaften "das Sein" Grundprinzip und Name war, der das übrige verständlich macht, so bietet "das Gute" für die Betrachtung der Hervorgänge die vorzüglichste Grundlage.
2. Sieh also und beachte: Das Beste ist das, was schlechthin nicht besser gedacht werden kann. Dies ist so, dass es richtigerweise nicht als nicht-seiend gedacht werden kann; denn Sein ist durchaus besser als Nichtsein. Auch kann es nicht richtig erfasst werden, wenn man es nicht als dreifaltig und eines zugleich denkt. Denn vom Guten sagen wir, dass es sich mitteile. Das höchste Gut teilt sich also aufs höchste mit. Die erhabenste Mitteilung muss aber wirklich und innerlich, substantiell und persönlich, naturhaft und willensmäßig, frei und notwendig, fehlerlos und vollkommen sein. Wenn darum in dem höchsten Gut nicht von Ewigkeit her ein wirklicher und wesensgleicher Hervorgang statthätte, und es nicht eine dem Hervorbringenden gleichwertige Hypostase gäbe durch Zeugung und Hauchung - ein ewiges Mitprinzip des ewigen Prinzips -, also einen Geliebten und Mitgeliebten, einen Gezeugten und Gehauchten, nämlich Vater, Sohn und Heiligen Geist, dann wäre es nicht das höchste Gut, weil es sich nicht auf die vollkommenste Weise mitteilte. Denn die zeitliche Mitteilung im Geschöpf ist nur wie ein kleiner Punkt im Vergleich zur Unermesslichkeit der ewigen Güte. So lässt sich demnach noch eine größere Mitteilung denken, jene nämlich, in der das Mitteilende seine ganze Substanz und Natur einem anderen schenkt. Fehlte daran tatsächlich oder auch nur in unserem Denken etwas, so wäre es eben nicht das höchste Gut.
Die Reinheit der Güte ist die lautere Wirklichkeit des Urgrundes, der liebevoll aus geschenkter, geschuldeter und beide vereinigender Liebe liebt; sie ist vollendetste, naturhafte und gewollte Mitteilung; sie ist die Mitteilung nach Art des Wortes, in welchem alles gesprochen, und des Geschenkes, in dem alles übrige gegeben wird. Wenn du diese also mit deinem Geistesauge schauen kannst, dann findest du die Dreieinigkeit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes durch die höchste Mitteilsamkeit des Guten notwendig begründet (2). In ihnen muss wegen der höchsten Mitteilbarkeit höchste Wesensgleichheit, wegen der höchsten Wesensgleichheit höchste Gleichförmigkeit, darum aber höchste Gleichheit und eben deshalb höchste Gleichewigkeit und aus all dem Genannten allerhöchste Gleichinnerlichkeit herrschen. So muss das eine, weil es ganz dem anderen innewohnt, notwendig in diesem sein, und so wirkt das eine mit dem anderen, weil Substanz, Kräfte und Tätigkeiten dieser heiligsten Dreifaltigkeit ganz ungeteilt sind.
3. Wenn du nun dieses erwägst, dann merke wohl und glaube nicht, du könntest das Unbegreifliche erfassen. An diesen sechs Eigenarten musst du nämlich etwas Weiteres beachten, das unseren erkennenden Geist zur höchsten Bewunderung hinreißt. Hier steht ja höchste Mitteilsamkeit neben Besonderheit der Personen, höchste Wesensgleichheit neben Mehrheit der Hypostasen, höchste Gleichförmigkeit neben unterschiedener Persönlichkeit, höchste Gleichheit neben Ordnung, höchste Gleichewigkeit neben Hervorgang des einen von dem anderen, höchste Gleichinnerlichkeit neben Sendung nach außen. Wer sollte beim Anblick so großer Wunder nicht in Staunen geraten!
Dass all dies sich in der heiligsten Dreifaltigkeit vorfindet, erkennen wir mit Sicherheit, sobald wir die überragendste Güte ins Auge fassen. wenn es hier nämlich erhabenste Gemeinschaft und wahre Mitteilung gibt, dann liegt auch wahrer Ursprung und echte Unterscheidung vor. Und weil das Ganze mitgeteilt wird, nicht nur ein Teil, so wird alles gegeben, und zwar ganz. Darum unterscheiden sich das Hervorgehende und Hervorbringende durch ihre Eigentümlichkeiten bei völliger Wesenseinheit. Weil sie sich also durch Besonderheiten unterscheiden, haben sie persönliche Eigentümlichkeiten, Mehrheit der Hypostasen, Hervorgang des Ursprungs und eine Ordnung, nicht der Zeitfolge, sondern des Ursprungs, Aussendung, nicht der örtlichen Veränderung, wohl aber freischenkender Eingebung, und zwar auf Grund der hervorbringenden Urheberschaft, die dem Sender gegenüber dem Gesandten eignet.
Weil sie nun substantiell eins sind, darum muss Einheit der Wesenheit, Gestalt, Würde, Ewigkeit, Existenz und Unumschreibbarkeit herrschen.
Betrachtest du dies im einzelnen, dann hast du genug, um die Wahrheit zu erkennen. Bringst du es aber miteinander in Beziehung, dann wirst du zur höchsten Bewunderung emporgetragen werden. Damit also deine Seele durch Staunen zur unaussprechlichen Schau erhoben werde, muss sie all dieses zugleich betrachten.
4. Denn auch die Cherubim, die einander anblicken, deuten dies an. Sogar darin verbirgt sich ein Geheimnis, dass sie sich auf dem Gnadenthron das Antlitz zukehren (3). So wird zur Wahrheit, was der Herr bei Johannes (4) sagt: "Dies ist das ewige Leben, dass sie dich, den einen wahren Gott, erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus." Denn wir müssen Gottes wesentliche und persönliche Eigenschaften nicht nur in sich bewundern, sondern auch durch Vergleich mit der überaus wunderbaren Vereinigung Gottes und des Menschen in der Einheit der Person Christi.
5. Schaust du als der eine Cherub das Wesenhafte in Gott an und wunderst dich, dass das göttliche Sein zugleich das Erste und das Letzte, das Ewige und Gegenwärtigste, das Einfachste und Größte oder Unumschriebene, das überall Ganze und nirgends Umgrenzte, das Wirklichste und niemals Bewegte, das Vollkommenste ohne Überfluss und Mangel und gleichwohl das Unermessliche und grenzenlos Unendliche, das höchst Einfache und doch alles in sich Schließende ist, weil es eben alles in sich hat und jegliche Kraft, jedwede Wahrheit und jedes Gut ist, dann blicke hin auf den Gnadenthron und staune: In ihm (Christus) ist der Erste verbunden mit dem Letzten, Gott mit dem am sechsten Tag erschaffenen geistigen Geschöpfe, der Ewige mit dem zeitlichen Menschen, der in der Zeitenfülle aus der Jungfrau geboren war, der Einfachste mit dem am meisten Zusammengesetzten, das reine Leben mit dem, der am meisten gelitten hat und gestorben ist, der Vollkommenste und Unermessliche mit dem Niedrigen, der höchst Eine und Allseitige mit dem Einzelwesen, das zusammengesetzt und von anderen unterschieden ist, mit dem Menschen Jesus Christus nämlich.
6. Betrachtest du aber als der andere Cherub die Besonderheiten der Personen und wunderst dich, dass Mitteilbarkeit besteht neben bleibender Eigenart, Wesensgleichheit neben Mehrheit, Gleichförmigkeit neben Persönlichkeit, Gleichheit neben Ordnung, Gleichewigkeit neben Hervorbringung, Gleichinnerlichkeit neben Sendung nach außen - denn der Sohn wird vom Vater gesandt und der Heilige Geist von beiden und doch bleibt er immer bei ihnen, ohne sich je zu trennen -, dann blicke voll Bewunderung hin auf den Gnadenthron ! In Christus gibt es Einheit der Person bei Dreiheit der Substanzen (5) und Zweiheit der Naturen, allseitige Übereinstimmung neben Mehrheit der Willen, eine wechselseitig übertragbare Aussagemöglichkeit von Göttlichem und Menschlichem neben Vielheit der Eigentümlichkeiten, gemeinsame Anbetung bei verschiedener Würde, übereinstimmende Erhöhung über alles neben vielfältiger Erhabenheit, vereinte Herrschaft bei Mehrheit der Gewalten.
7. In dieser Schau besteht die Vollkommene Erleuchtung des Geistes, wenn du am sechsten Tag gleichsam den Menschen gewahrst, der nach Gottes Ebenbild gemacht ist. Das Bild ist ausgeprägte Ähnlichkeit. Wenn nun unser Geist in Christus, dem Sohn, dem von Natur aus unsichtbaren Bild Gottes, unsere so wundersam erhöhte und unfassbar vereinte Menschheit schaut, dann sieht er in dem Einen zugleich das Erste und Letzte, das Höchste und Tiefste, den Umkreis und Mittelpunkt, das Alpha und Omega, das Verursachte und die Ursache, den Schöpfer und das Geschöpf, das Buch, das innen und außen beschrieben ist. Damit ist er schon zu einer gewissen Vollendung gelangt, so dass er mit Gott die Vervollständigung seiner Erleuchtungen auf der sechsten Stufe, gleichsam am sechsten Tag, erreicht. Nun ist nur mehr der Tag der Ruhe zu erwarten, an dem sich die alles durchforschende Tätigkeit der menschlichen Seele in Überseligkeit des Geistes ausruht von jedem Werke, das sie vollbrachte (6).
7. Kapitel: Die Ruhe des Verstandes in den geistigen und mystischen Entzückungen während sich das Gemüt in Gott verliert
1. Nach diesen sechs Betrachtungen, die den sechs Stufen am wahren Thron Salomons ähneln, gelangt der wirklich friedvolle zur Ruhe und hält befriedigten Geistes wie im Inneren Jerusalems Rast. Durch sie vermag die vom Licht himmlischer Weisheit übergossene Seele des echten Beschauers wie auf sechs Cherubsflügeln emporgehoben zu werden. Durch sie muss er gleichsam wie in den sechs ersten Tagen geübt werden, um endlich zum Sabbat der Ruhe zu gelangen. So hat unser Geist Gott erkannt außer sich, und zwar durch und in den Spuren, in sich, nämlich durch und in den Bildern, über sich, d. h. durch das Abbild des göttlichen Lichtes, das über uns aufleuchtet, und in diesem selbst, soweit es unserem gegenwärtigen Leben und unserer Geisteskraft möglich ist. Auf der sechsten Stufe ist er nun soweit vorgeschritten, dass er in dem ersten und höchsten Urgrund und dem Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus (1), erfasst, was seinesgleichen in der Geschöpfeswelt nicht hat und was allen Scharfsinn des menschlichen Verstandes übersteigt. So bleibt ihm jetzt nur noch übrig, diese Schau zu überflügeln und nicht allein über diese sichtbare Welt, sondern auch über sich selbst hinaufzudringen. für diesen Aufschwung ist Christus der Weg und die Tür (2), die Leiter und das Gefährt wie der Gnadenthron auf der Lade Gottes und das vor allen Zeiten verborgene göttliche Geheimnis.
2. Wer sein volles Seelenauge diesem Gnadenthrone zukehrt und ihn (Christus) in Glaube, Hoffnung und Liebe, in Ehrfurcht, Bewunderung und Erhebung, in Preis, Lob und Seligkeit am Kreuz hangen sieht, der feiert Passah, d. h. Vorübergangs. So schreitet er dann, auf den Stab des Kreuzes gestützt, durchs Rote Meer, verlässt Ägypten und betritt die Wüste, wo er das verborgene Manna kostet und mit dem Herrn im Grabe ruht. Äußerlich gleichsam tot, fühlt er, soweit es in diesem Leben möglich ist, was dem mit Christus am Kreuz hangenden Räuber gesagt wird: "Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" (4).
3. Dies ward auch dem heiligen Franziskus geoffenbart, als ihm in mystischer Schau auf jenem hochragenden Berg, wo ich diese Schrift überdachte, ein ans Kreuz gehefteter Seraph mit sechs Flügeln erschien. Ich und viele andere haben dies nämlich gehört von seinem Gefährten, der damals bei ihm war. Da versenkte er sich in Gott in schauender Entrückung und so ist er ein Vorbild vollkommener Beschauung geworden, wie er vorher ein solches der Tat war als ein zweiter Jakob und Israels. Durch ihn lädt Gott mehr durch sein Beispiel als durch sein Wort alle wahrhaft geistlich Gesinnten zu dieser Erhebung und Geistesentrückung ein.
4. Soll diese Erhebung vollkommen sein, so muss alle Geistestätigkeit zurücktreten, und das tiefste fühlen des Gemütes ganz in Gott aufgehen und umgewandelt werden. Das aber ist etwas Geheimnisvolles und ganz Verborgenes. Niemand kennt es, der es nicht empfangen hat (6); niemand empfängt es, der es nicht ersehnt; niemand ersehnt es, den nicht das Feuer des von Christus auf diese Erde gesandten Heiligen Geistes bis ins Innerste durchglüht. Darum sagt der Apostel (7), diese geheimnisvolle Weisheit sei durch den Heiligen Geist geoffenbart.
5. Hier aber vermag nichts die Natur, wenig das eigene Bemühen. Und wenig ist auf die Nachforschung, viel auf die Salbung, wenig auf die Beredsamkeit, sehr viel auf die innere Freude, wenig auf Wort und Schrift, alles aber auf die göttliche Gabe oder den Heiligen Geist, wenig oder nichts auf das Geschöpf, alles dagegen auf die schöpferische Wesenheit, den Vater, Sohn und Heiligen Geist, zu geben. Und so sprechen wir mit Dionysius (8) zum dreieinigen Gott: "Überwesentliche Dreifaltigkeit und Übergott, bester Lehrer der Christen in der Gottesweisheit, leite uns zum über alle Maßen unerkannten und überleuchtendsten und erhabensten Gipfel mystischer Belehrungen. Dort sind neue, absolute und unwandelbare Geheimnisse der Gotteswissenschaft in überleuchtendem Dunkel geheimnisvoll belehrenden Schweigens in jener tiefsten Finsternis verborgen, die doch das Überklarste und Überleuchtendste ist. In diesem Dunkel strahlt alles wieder und es erfüllt die unsichtbaren Geister über und über mit Lichtern unsichtbarer Übergüter."
Das Obige gilt Gott. Dem Freund aber, dem dies geschrieben ward, sei ebenfalls mit ihm (Dionysius) gesagt: "Du, Freund, schreite rüstig voran auf dem Weg mystischer Erleuchtung, verlasse die Sinne, alles Nicht-Seiende und Seiende und führe so als Nichtwissender, soweit du es vermagst, alles zur Einheit dessen zurück, der über allem Wesen und aller Wissenschaft ist. Denn indem du dich unermesslich und unendlich über alle Dinge erhebst, alles verlässt und von allem losgelöst bist, wirst du zur überwesentlichen Klarheit des göttlichen Dunkels emporgetragen" (9).
6. Willst du wissen, wie dies geschieht? Frage die Gnade, nicht die Wissenschaft, die Sehnsucht, nicht den Verstand, das Flehen des Gebetes, nicht das forschende Lesen, den Bräutigam, nicht den Lehrer, Gott, nicht den Menschen, die Finsternis, nicht die Helle, nicht das Licht, sondern jenes Feuer, das ganz und gar durchglüht und durch mystische Salbung und brennendste Liebe in Gott umgestaltet. Dieses Feuer ist Gott, und sein Herd ist in Jerusalem (10). Christus aber hat es entzündet mit der Glut seines bittersten Leidens. Nur der nimmt es wirklich wahr, der spricht: "Todesbangen hat gewählt meine Seele und Schmerzen mein Gebein" (11). Wer diesen Tod liebt, vermag Gott zu schauen, denn es bleibt unverrückbar wahr: "Kein Mensch wird mich sehen und leben" (12).
Lasst uns darum sterben und eintreten in das geheimnisvolle Dunkel; gebieten wir den Sorgen, Gelüsten und Phantasiegebilden Schweigen; gehen wir mit Christus, dem Gekreuzigten, aus dieser Welt hinüber zum Vater (13), und wenn uns der Vater gezeigt ist, so sprechen wir mit Philippus: "Es genügt uns" (14). Dann werden wir wie Paulus hören: "Es genügt dir meine Gnade" (15) und mit David jubeln: "Es verzehrt sich mein Fleisch und mein Herz. Gott meines Herzens, du mein Anteil ewiglich! Gepriesen sei Gott in Ewigkeit! Und alles Volk soll sprechen: Es geschehe, es geschehe. Amen" (16).
Anmerkungen
Vorrede
1 Jak 1, 17; Man kann mit Gilson sagen, dass Bonaventuras Gedankenwelt nichts anderes als eine Entfaltung und Exegese dieser Schriftstelle ist. Für Bonaventura steht im Mittelpunkt immer der Begriff der Erleuchtung; die Schöpfung, die Offenbarung, ja auch die Rückkehr der Dinge zu Gott ist in gewissem Sinne eine Erleuchtung. Das Jakobus-Wort steht darum mit Betonung hier an entscheidender Stelle zu Anfang des Itinerarium. überhaupt finden wir es in Bonaventuras Hauptwerken meistens an entscheidender Stelle wieder: Vg!. De reductione artium ad theologiam c. 1 u. 5. Breviloquium prol. 3. Hexaemeron (das auch den bezeichneten Titel Illuminationes eccIesiae führt) coll. II, 1. De Donis Spiritus Sancti coll. I, 4. Soliloquium prooem. usw. Wir verstehen auch von hier, weIche Bedeutung dem Licht in Bonaventuras ganzer Lehre zukommt. Die eigentliche Substanz, die tragende und wirkende Form der Körper ist die Lichtform. Vgl. Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura. S. 385 ff.
2 Eph 1, 17.
3 Lk 1, 19 u. Phil 4, 7; zum folgenden vgl. Joh 14, 27.
4 Der Friede ist das eigentliche Thema des Itinerarium, da er das Ziel ist, zu dem jede Stufe der Erkenntnis hinführen soll. Der Friede ist also gleich mit der Ekstase (ad hanc ecstaticam pacem heißt es). Der Friede ist das letzte Ziel hier auf Erden. Dasselbe nur mit anderer inhaltlicher Betonung meint Bonaventura, wenn er statt Pax Sapientia oder Contemplatio sagt.
5 Ps 120, 7 u. 122, 6.
6 Ps 76, 3.
7 Anfang Oktober 1259. Franziskus starb am 3. Okt. 1226.
8 Vgl. 2 Kor 12, 2.
9 Gal 2, 19 f.
10 Joh 10, 1.
11 Joh 10, 9.
12 Offb 22,14.
13 Dan 9, 23.
14 Vgl. Ps 38, 9.
15 Vgl. Hebr 1,3; zum folgenden 1 Joh 2, 20 u. 27.
16 Ps 45, 8.
1. Kapitel
1 Ps 84, 6 f.
2 Kap. 1 § 1.
3 Ps 86,11.
4 Vgl. Ex 3, 18.
5 Die ewige Kunst oder die ars aeterna ist der Sohn oder das Wort Gottes. Er wird die ewige Kunst des Vaters genannt, insofern der Vater im Sohn sein "Können" (Kunst) und sein Wissen ausgedrückt hat. Das Mittelalter denkt hier an eine Analogie zum künstlerischen Schaffen. "Filius est ars Patris ... , per quam Pater omnia operatur, quia omnia produxit per Filium. Et notandum quod cum ars incIudat et intentionem virtutis (Können) et sapientiae, et similiter Verbum ... I. Sent. d. 31 p. 2 dub. 2; (550).
6 Vgl. Gen 1, 3. Bonaventura denkt sich in Anlehnung an Augustinus den drei Worten: Es werde, er machte es, und es wurde, ein dreifaches Werden der Dinge parallelgehend. Durch das erste Wort wurden die Dinge in der ewigen Kunst, also im Sohn, hervorgebracht; durch das zweite Wort strahlte das in der ewigen Kunst Geschaffene auch in den vernünftigen Geschöpfen, zumal den Engeln auf, die also Gottes Ideen erkannten; durch das dritte Wort endlich wurden die Dinge als sichtbare, sinnenfälIige Welt hervorgebracht. Vgl. In Hexaemeron coll. I, 15; t. V. (332).
7 Unter Ausblicke, Aspectus, sind keine Seelenvermögen zu verstehen, sondern es wird ein und dasselbe Seelenvermögen (die potentia cognitiva) unter verschiedener Rücksicht betrachtet, einmal insofern es mehr das Niedere, unter sich Befindliche, also das Sinnenfällige, untersucht, dann insofern es das sich Gleiche, Geistige erforscht und endlich drittens, insofern es den Blick auf das Höchste, auf das Göttliche richtet. Vgl. Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura. S. 521 f.
8 Vgl. Mk 12, 30; Mt 22, 37; Lk 10, 27.
9 Der Mensch kann nach Bonaventura Gott im Spiegel der Geschöpfe oder in den Geschöpfen und durch den Spiegel der Geschöpfe oder durch die Geschöpfe erkennen. Gott im Spiegel schauen heißt, seine Gegenwart und seinen Einfluss in den Geschöpfen wahrnehmen. Durch den Spiegel erkennt Gott, wer durch die abgestufte Vollkommenheit der Geschöpfe gleichsam wie auf einer Leiter zu Gott emporgelenkt wird. Vgl. I Sent. d. 3 p. 1 q. 3 (74 b); III Sent. d. 31 a. 2 q. 1 ad 5 (682).
10 Vgl. 1 Chr 10, 19; zum folgenden Jes 6, 2; Ex 24, 16; Mt 17, 1 ff
11 Vgl. Pseudo-Augustin, De spiritu et anima c. 10. 14. 38.
12 Gen 2, 15.
13 Vgl. Tob 5, 12.
14 1 Kor 1, 30; zum folgenden vgl. ebd. V. 24; Joh 1, 14; ebd. V. 17.
15 1 Tim 1, 15.
16 Ps 84, 8.
17 Vgl. Gen 28, 12.
18 Joh 13 1.
19 Sir 24, 26; Weish 13, 5.
20 Vgl. Weish 11, 21.
21 Hebr 11, 3. Der Vulgatatext lautet: "Fide intelIigimus aptata esse saecula verbo Dei.
22 Augustin, De civ. Dei I. 8 c. 4.
23 Vgl. Spr 22, 17.
24 Weish 5, 21.
25 Ps 92, 5; Ps 104, 24.
2. Kapitel
1 Hebr 1, 14.
2 Aristoteles VII Phys. text. 1 ff; ebd. VIII text 27 ff (c. 4).
3 Für Bonaventuras Wahrnehmungslehre ist das zweite Kapitel des Itinerarium eine Hauptquelle. Es erübrigt sich eigentlich, den Ausführungen noch etwas hinzuzufügen. Aufmerksam gemacht sei, dass Ebenbild und Spezies im vorliegenden Fall gleich sind. Zum näheren Studium verweisen wir auf P. Bonifaz Anton Luyckx O. P., Die Erkenntnislehre Bonaventuras. 1923 S. 13-38 und besonders bei Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura, auf das Kapitel über "Die Sinne und die Einbildungskraft S. 470 ff. Man beachte die durchaus moderne Auffassung Bonaventuras, dass in jeden vollendeten Wahrnehmungsakt auch ein Urteil mit hineinspielt.
4 Das ästhetische Wohlgefallen bestimmt Bonaventura als: coniunctio convenientis cum convenienti.
5 Augustin, De musica c. 13 n. 38; De civ. Dei 1. 22 c. 19 n. 2.
6 Dies entwickelt Augustin De vera religione c. 30 u. 56 ff.
7 Kol 1, 15; Hebr 1, 3.
8 Augustin, De vera religione c. 18 n. 35 ff.
9 Hier entwickelt Bonaventura in knappen Zügen die Illuminationstheorie oder die Erleuchtungslehre. Sie ist echt augustinisches Gut. Bonaventura geht von der Tatsache aus, dass wir Wahrheiten haben, die unabhängig von uns sind, ja, die nicht einmal durch uns hinlänglich erklärt werden können. Denn diese Wahrheiten sind zeitlos, unwandelbar und notwendig (etwa eine Zahlenbeziehung 2 und 2 ist gleich 4). Wir sind aber zeitlich, wandelbar und bedingt. Folglich können wir die Wahrheit nicht hinreichend begründen, es muss vielmehr der Grund der Wahrheit in etwas Ewigem, Unwandelbarem und Notwendigem liegen, in Gott, der in irgendeiner besonderen Weise (erleuchtend) auf unseren Verstand einwirkt und ihm die Sicherheit des Urteils gibt, die er aus sich nicht haben kann. Die Erleuchtungslehre ist also eine Metaphysik der Erkenntnis, welche die Frage beantworten soll, wie allgemeingültige, sichere Urteile möglich sind. Vgl. bes. bei Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura, das ganze Kapitel über die Verstandeserleuchtung S. 469 ff.
10 De lib. arbit. 1. 2 c. 14 n. 38.
11 Vgl. auch Augustin, De vera religione c. 40-44 n. 70-82; De Iib. arbit. 1. 2 c. 8 n. 20-25 u. c. 16 n. 41 ff. Vgl. Stefan Gilson, Der hl. Augustin. S. 110 ff.
12 Boethius Arithmetik 1. 1 c. 2.
13 Vgl. Röm 1, 20.
14 Röm 15 1 Kor 15, 57; u. 1 Petr 2, 9.
3. Kapitel
1 Bonaventura erkennt in allen Geschöpfen eine Ähnlichkeit mit ihrem Schöpfer, die entsprechend ihrer Vollkommenheit verschiedene Grade aufweist. Die vernunftlose Kreatur ist eine Spur, die vernünftige ein Abbild, die durch die heiligmachende Gnade und die drei Theologischen Tugenden übernatürlich erhobene Seeie ein Ebenbild Gottes. Vgl. Stefan Gilson, Der hl. Bonaventura. S. 297 f.
2 Vgl. Ex 26 die Beschreibung des hl. Zeltes bes. V. 34 u. 35.
3 Das Wort memoria (= Gedächtnis) hat bei Bonaventura eine weitere Bedeutung. Er schreibt der memoria eine vielfache Funktion zu, die sich nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft erstreckt. Vgl. P. Bonifaz Anton Luyckx O. P., Die Erkenntnislehre Bonaventuras. 1923 S. 95 ff.
4 1 Kor 13, 12.
5 Arist. Metaph. IV text. 15 (III c. 4); das folgende Axiom aus Arist. Metaph. V text. 25.
6 Averroes, De anima III text. 25.
7 Joh 1, 1 u. 9.
8 C. 39 n. 76.
9 Vgl. Kap. 2, Anm. 9.
10 Ps 76, 5.
4. Kapitel
1 Vgl. Jes 24, 20.
2 Joh 10, 9.
3 Gal 4, 26.
4 Vgl. Joh 14, 6.
5 Vgl. Joh 1, 1 u. Hebr. 1, 3.
6 Die übernatürliche Gnadenausstattung erschließt der menschlichen Seele gleichsam neue Erkenntniskräfte einer unmittelbaren Erfahrung, durch deren Betätigung sich die innere Beseligung des Geistes in der liebenden Erkenntnis und Hingabe an Gott vervollständigt. Es sind die "sensus spirituales", von denen Bonaventura mit der Mystik in Analogie zu den fünf äußeren Sinnen spricht. Durch sie wird der menschliche Geist in einer dem neuen Leben entsprechenden Weise der beseligenden Wirkung der göttlichen Gnadengegenwart unmittelbar inne, indem er diese analog den äußeren Sinnesempfindungen sieht, hört, riecht, schmeckt und berührt. Der höchste, durch die übernatürliche Gnadenausstattung der menschlichen Seele im Pilgerstande mögliche Gottesgenuss erfährt so seine Vervollständigung durch eine der Sinnesempfindung entsprechende unmittelbare geistige Erfahrung. Der Ausdruck "sensus spirituales" bei Bonaventura muss im Deutschen bald mit geistlichen Sinnnen, bald mit geistlichen Empfindungen wiedergegeben werden. Eigentlich und zunächst bezeichnen sie nur das letztere, denn sie sind keine neuen, sondern nur die vollkommene Betätigung der vorhandenen eingegossenen Gnadenhabitus. Non dicunt novos habitus, sed habituum praecedentium perfectum usum (II Sent. d. 34 p. 1 a. 1 737 b; vgl. Brev. p. 5 c. 6 258b). Sehr oft aber muss der Ausdruck "sensus spirituales" dem Zusammenhang nach mit geistlichen Sinnen übersetzt werden. Hier denkt Bonaventura aber nicht an neue Erkenntnisvermögen, sondern er versteht darunter die schon vorhandenen eingegossenen Gnadengaben, soweit sie diese Empfindungen hervorrufen. Vgl. L. Fr. Bonnefoy O. F. M., Le Saint-Esprit et ses Dons selon Saint Bonaventure. 1920 210-215; Rosenmöller, Religiöse Erkenntnis nach Bonaventura. 1925 165 ff.; Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura 619; P. Ephrem Longpré O. F. M., La thèologie mystique de S. Bonaventure: In A F H. 14 (1921) 51-53.
7 Vgl. Offb 2, 17.
8 Hld 3, 6.
9 Vgl. Hld 6, 9.
10 Vgl. Hld 8, 5.
11 Unter dem Einfluss des Pseudoareopagiten denkt sich Bonaventura alle Vernunftwesen stufenweise oder hierarchisch zum letzten und höchsten Urgrund hingeordnet. Er definiert darum die Hierarchie als eine alle heiligen und vernünftigen Wesen durchherrschende Ordnung (Hierarchia est rerum sacrarum et rationabilium ordinata potestas. 11. d. 9 praenotata. t. 11 p. 328). Indem Bonaventura den Hierarchiebegriff analog gebraucht, kann er eine göttliche, englische und kirchliche oder menschliche Hierarchie unterscheiden (11 d. 9; praenotata. t. II p. 20; Brev. prologus. § 3 p. 204). Die höchste Stufe nimmt die allerheiligste Dreifaltigkeit ein; unter ihr steht die Hierarchie der Engel und unter dieser die Hierarchie der Kirche, welche die hierarchisierte Seele umschließt. Die "hierarchia divina" beruht auf dem Ursprungsverhältnis der drei göttlichen Personen. Das Prinzip der geschöpflichen Hierarchie ist die Natur- und Gnadenähnlichkeit mit Gott oder die hierarchisch abgestufte Gnadenmitteilung. Nach Guardini (Lumen mentis S. 198 f., bei Rosenmöller, Religiöse Erkenntnis nach Bonaventura. 1925 S. 135) ist für den Gedanken der Hierarchie folgendes wesentlich: "Sie ist eine auf Gott bezogene Ordnung übernatürlichen Lebens. Sie ruht auf der Abstufung, Unter- und Überordnung des Seins und hat den Zweck, das Geschaffene durch Gnade, Erkenntnis und sittliches Verhalten dem Schöpfer immer ähnlicher zu machen ... Endlich liegt in der hierarchischen Ordnung eine Sinnrichtung, ein "ascendere" zu Gott, und zwar kraft der eingegebenen Erleuchtungen." Vgl. Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura. S. 607 f. und S. 908. Dort findet sich S. 908 eine gute schematische Übersicht über die kirchliche, innere und himmlische Hierarchie.
12 21, 2.
13 De consideratione I. 5 cap. 5 n. 12.
14 Vgl. 1 Kor 15, 28.
15 1 Tim 1, 5; folgende Stelle: Röm 13, 10 u. Mt 22, 40.
16 Vgl. Offb 1, 8; 21, 6 u. 22, 13.
17 Ps 110, 3; zum folgenden vgl. Spr 4, 9 und Hohelied 2, 7.
18 Jes 6, 2.
19 Gal 3, 19.
20 Röm 5, 5.
21 Kor 2, 11 und Ez 3, 17 ff.
5. Kapitel
1 Vgl. Ps 4, 7.
2 Vgl. Augustin, 83 Qq. q. 51 n. 2. 4. u. Ps. Augustin, De spiritu et anima c. 11.
3 Vgl. Ex 25-28.
4 Vgl. Ex 3, 14.
5 Ex 3, 14.
6 Mt 28, 19.
7 Lk 18, 19.
8 De fide orthodoxa 1. 1 c. 9.
9 De divin. nom. c. 3 § 1 u. c. 4 § 1.
10 Vielfach haben sich die Ontologisten auf Kap. 5 n. 3-5 und ebenso auf Kap. 3 n. 3 berufen. Dass Bonaventura nicht den Ontologismus vertritt, sondern ihn ausdrücklich ablehnt, wird heute allgemein anerkannt. Zu der vorliegenden Stelle ist zu beachten, dass es sich hier nicht einfach um die natürliche Seinserkenntnis handelt, sondern um die Erfassung des absoluten oder göttlichen Seins, wie sie der Seele auf der fünften Erleuchtungsstufe zukommt. Der eigentliche Gegenstand der Geisteserkenntnis ist das Sein, so dass das Nichtsein nur als das Fehlen des Seins erkannt werden kann. Darum ist für den auflösenden Intellekt, der auf die letzten ontologischen und erkenntnistheoretischen Elemente zurückgeht, das absolute oder göttliche Sein das, was eigentlich zuerst in unseren Geist eingeht, ohne dass es aber von ihm als das erste erkannt wird. Das göttliche Sein leuchtet als Wahrheit in den menschlichen Verstand. Über Bonaventuras Verhältnis zum Ontologismus und das Verständnis der ontologisch lautenden Stellen des Itinerarium vgl. P. Bonifaz Anton Luyckx O. P., Die Erkenntnislehre Bonaventuras. 1923. S. 242-253 und Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura. S. 541-543.
11 Aristot., Metaphysik I. 2 text 1.
12 Vgl. Ps 139, 11.
13 Aristot., Topik 1. 5 c. 3; ebd. 1. 6 c. 1.
14 Dtn 6, 4.
15 Vgl. Spr 16, 4 Universa propter semetipsum operatus est Dominus.
16 Vgl. Liber de causis. Prop. 17.
17 Vgl. Augustin, De civ. Dei 1. 8 c. 4.
18 Alanus ab lnsulis, Theolog. regul. 7.
19 Vgl. Boeth., De consolat. 1. 3 metro 9.
20 1 Kor 15, 28.
21 Röm 11, 36.
22 Ex 22, 19.
6. Kapitel
1 Vgl. Ex 25, 19.
2 Bonaventura denkt hier nicht an eine Beweisbarkeit der Trinität mit den Mitteln des natürlichen Denkens, sondern nur an das Aufzeigen von Kongruenzgründen. Er spricht zwar von einer Notwendigkeit des Begründens, aber er kennt auch die necessitas congruentiae.
3 Vgl. Ex 25, 20.
4 17, 3.
5 Vgl. Itin. c. 1 n. 3.
6 Vgl. Gen 2, 2.
7. Kapitel
1 Vgl. 1 Tim 2, 5.
2 Vgl. Joh 14, 6 u. 10, 7; zum folgenden vgl. Ex 25, 20 u. Eph 3, 9.
3 Vgl. Ex 12, 11; zum folgenden vgl. Ex 14, 16ff. u. 16, 15; Offb 2, 17.
4 Lk 23, 43.
5 Vgl. Gen 35, 10.
6 Vgl. Offb 2, 17; zum folgenden vgl. Lk 12, 29.
7 1 Kor 2, 10 ff.
8 De mystic. theol. c. 1 § 1.
9 Bonaventura spricht hier in Anlehnung an Ps. Dionysius von einer Erkenntnis im Dunkeln oder von einer Blendung der Erkenntnis. Vgl. Stefan Gilson, Der heilige Bonaventura. S. 628-633.
10 Jes 31, 9.
11 Job 7, 15.
12 Ex 33, 20.
13 Vgl. Joh 13, 1.
14 Joh 14, 8.
15 2 Kor 12, 9.
16 Ps 73, 26 u. 106, 48.
Literatur
- Itinerarium mentis in Deum: Der Pilgerweg des Menschen zu Gott, hrsg., kommentiert und übersetzt von Marianne Schlosser, EOS Verlag St. Ottilien 2003/2010 (1./2. überarbeitete Auflage; 256 Seiten; ISBN 978-3-8306-7425-2).
- Itinerarium mentis in Deum - Pilgerbuch der Seele zu Gott (S. 9-214) und De reductione artium ad theologiam - Die Zurückführung der Künste auf die Theologie (S. 215-271), lateinisch-deutsch, Kösel Verlag München 1962, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Julian Kauf OFM (271 Seiten; Mit kirchlicher Druckerlaubnis München den 14. September 1961, GV Nr. 7815 Dr. Johannes Neuhäussler, Weihbischof und Generalvikar).
- Itinerarium mentis in Deum (Pilgerbuch des Geistes zu Gott) / des heiligen Bonaventura ; übersetzt von P. Dr. Julian Kaup O.F.M (*1892) und P. Philoteus Böhner O.F.M, (1901-1955), Franziskus-Druckerei Werl i. Westf. 1932 (92 Seiten).
- Bonaventura Opera omnia (vollständige Gesamtausgabe): Bonaventura: Doctoris Seraphici S. Bonaventurae S.R.E. episcopi cardinalis opera omnia iussu et auctoritate Bernardini a Portu Romatino totius Ordinis Minorum S. p. Francisci Ministri generalis edita. 10 Bände und ein Band Indice. Zusammen 11 Bände. Ad Claras Aquas (Quaracchi) Ex typographia Collegii S. Bonaventura 1882 - 1902; Breviloquium V. Band.
- Tria Opuscula Seraphici Doctoris S. Bonaventurae. Breviloquium Itinerarium mentis in Deum et de Reductione Artium as Theologiam, Claras Aquas Verlag Quaracchi 1896 (533 Seiten, Halbleder, Editio secunda), 1940 (391 Seiten, Editio tertia).
- Tria Opuscula Breviloquium Itinerarium mentis in Deum et de Reductione Artium ad Theologiam, notis illustrata (Editio quinta 1938) + Decem Opuscula ad Theologiam Mysticam Spectantia in Textu correcta e notis illustrate, editio Quarta (1949) + Legenda Maior S. Francisci Assisiensis et eiusdem Legenda Minor (editio minor, 1941),Ad Claras Aquas Verlag Florentiae 1938 (591+477+242 Seiten).
- Sancti Bonaventurae Breviloquium, adjectis illustrationibus ex aliis operibus ejusdem S. Doct. Depromptis, tabulis ad singula capita et appendicibus opera et studio P. Antonii Mariae a Vucetia, ZWEI Bände in einem Band, Ex typographia Aemiliana 1874 (352, 545 Seiten).
- Opuscula duo praestantissima Breviloquium et Itinerarium mentis in Deum, Edidit Carolus Josephus Hefele, Reprint von 1861, Print-on-Demand 2021 (307 paginas, Softcover).
Anmerkungen
<references />