Meister Eckhart: Unterschied zwischen den Versionen
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== Leben == | == Leben == | ||
− | Meister Eckhart wird um 1260 als Sohn des Ritters Eckhart von Hohenheim geboren. Sein Leben ist geprägt von Gott und der Welt, denn die Aufgaben des früh, vermutlich um 1275 in den Dominikanerorden eingetretenen Eckhart, bestanden nicht nur in der Kontemplation, sondern auch in Forschung, Lehre und Organisation. | + | Meister Eckhart wird um 1260 als Sohn des [[Ritters]] Eckhart von Hohenheim geboren. Sein Leben ist geprägt von [[Gott]] und der Welt, denn die Aufgaben des früh, vermutlich um 1275 in den Dominikanerorden eingetretenen Eckhart, bestanden nicht nur in der [[Kontemplation]], sondern auch in Forschung, Lehre und Organisation. |
− | Von 1277 bis 1289 Studium in den Studiengängen artium, naturalium, solemne und generale – also eine sehr lange und breite Ausbildung, was damals aber nicht unüblich war. Eckhart studierte in Köln, höchstwahrscheinlich auch bei Albertus Magnus. Anschließend Priesterweihe. Um 1290 geht Eckhart als Magister nach Paris – von daher der Name „Meister Eckhart“ – und wirkt einige Jahre als Lektor der Sentenzen des Petrus Lombardus. 1294 wird er Prior des Erfurter Dominikanerklosters; von da an wird die Quellenlage besser und die Erkenntnis über sein Leben gesicherter. In dieser Zeit entstehen die Reden der Unterweisung. 1302 lehrt er wieder in Paris. 1303-1310 übernimmt Meister Eckhart die Leitung der neugebildeten Ordensprovinz Saxonia. 1311-1313 folgt ein zweites Magisterium in Paris, eine Auszeichnung, die zuvor nur Thomas von Aquin erfahren hat. 1314 wird er Generalvikar des Dominikanerklosters in Straßburg, aus dieser Zeit stammt ein Großteil seiner bekanntesten Schriften, der „Deutschen Predigten“. 1322 übernimmt Meister Eckhart die Leitung seiner alten Ausbildungsstätte, des Studium generale in Köln. | + | Von 1277 bis 1289 Studium in den Studiengängen artium, naturalium, solemne und generale – also eine sehr lange und breite Ausbildung, was damals aber nicht unüblich war. Eckhart studierte in Köln, höchstwahrscheinlich auch bei [[Albertus Magnus]]. Anschließend [[Priesterweihe]]. Um 1290 geht Eckhart als Magister nach Paris – von daher der Name „Meister Eckhart“ – und wirkt einige Jahre als Lektor der Sentenzen des Petrus Lombardus. 1294 wird er Prior des Erfurter Dominikanerklosters; von da an wird die Quellenlage besser und die Erkenntnis über sein Leben gesicherter. In dieser Zeit entstehen die Reden der Unterweisung. 1302 lehrt er wieder in Paris. 1303-1310 übernimmt Meister Eckhart die Leitung der neugebildeten Ordensprovinz Saxonia. 1311-1313 folgt ein zweites Magisterium in Paris, eine Auszeichnung, die zuvor nur Thomas von Aquin erfahren hat. 1314 wird er Generalvikar des Dominikanerklosters in Straßburg, aus dieser Zeit stammt ein Großteil seiner bekanntesten Schriften, der „Deutschen Predigten“. 1322 übernimmt Meister Eckhart die Leitung seiner alten Ausbildungsstätte, des Studium generale in Köln. |
Dort wird er 1325 durch Mitbrüder beim Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg wegen angeblich häretischer Glaubensaussagen denunziert. Eine Liste mit zunächst 49 inkriminierten Sätzen wird 1326 nach Überprüfung auf 28 reduziert. Um vor dem Scheiterhaufen bewahrt zu bleiben, widerruft Meister Eckhart 1327 vorsorglich öffentlich seine Thesen, was ihm nicht allzu schwer gefallen sein dürfte, waren doch gerade die kritischen Passagen vielfach falsch tradiert worden. Es handelte sich bei den Texten um Mitschriften von Ordensfrauen, in deren Klöster Meister Eckart gepredigt hatte. Entsprechend ungenau bzw. verkürzt wurde manche „häretische“ These wiedergegeben. | Dort wird er 1325 durch Mitbrüder beim Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg wegen angeblich häretischer Glaubensaussagen denunziert. Eine Liste mit zunächst 49 inkriminierten Sätzen wird 1326 nach Überprüfung auf 28 reduziert. Um vor dem Scheiterhaufen bewahrt zu bleiben, widerruft Meister Eckhart 1327 vorsorglich öffentlich seine Thesen, was ihm nicht allzu schwer gefallen sein dürfte, waren doch gerade die kritischen Passagen vielfach falsch tradiert worden. Es handelte sich bei den Texten um Mitschriften von Ordensfrauen, in deren Klöster Meister Eckart gepredigt hatte. Entsprechend ungenau bzw. verkürzt wurde manche „häretische“ These wiedergegeben. | ||
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Bei Meister Eckhart führt die Fokussierung auf den Begriff der Gelassenheit allerdings am Ende zur Übersteigerung des Konzepts, wenn er fordert, nicht nur von den weltlichen Dingen und Geschöpfen sowie von sich selbst zu lassen, um die mystische Einheit mit Gott zu erreichen, sondern schließlich, wie ich bereits erwähnte, sogar „um Gottes Willen“ von Gott selbst zu lassen. Radikaler kann man die Gelassenheit, die zur Einheit mit Gott führen soll, nicht auffassen. Die Mystiker-Generation nach Eckhart, zu der etwa [[Johannes Tauler]] und [[Heinrich Seuse]] gehörten, sollte diese Radikalität nicht mehr fortführen und insoweit mit Eckharts Ideal brechen. | Bei Meister Eckhart führt die Fokussierung auf den Begriff der Gelassenheit allerdings am Ende zur Übersteigerung des Konzepts, wenn er fordert, nicht nur von den weltlichen Dingen und Geschöpfen sowie von sich selbst zu lassen, um die mystische Einheit mit Gott zu erreichen, sondern schließlich, wie ich bereits erwähnte, sogar „um Gottes Willen“ von Gott selbst zu lassen. Radikaler kann man die Gelassenheit, die zur Einheit mit Gott führen soll, nicht auffassen. Die Mystiker-Generation nach Eckhart, zu der etwa [[Johannes Tauler]] und [[Heinrich Seuse]] gehörten, sollte diese Radikalität nicht mehr fortführen und insoweit mit Eckharts Ideal brechen. | ||
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+ | # "Drei Dinge sind es, die uns hindern, so daß wir das ewige Wort nicht hören. Das erste ist die Körperlichkeit, das zweite Vielheit, das dritte ist die Zeitlichkeit. Wäre der Mensch über diese drei Dinge hinausgeschritten, so wohnte er in der Ewigkeit und wohnte im Geiste und wohnte in der Einheit und in der Wüste, und dort würde er das ewige Wort hören." - Predigt 13. | ||
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+ | # "Soll mein Auge die Farbe sehen, so muss es ledig sein aller Farbe. Sehe ich blaue oder weiße Farbe, so ist das Sehen meines Auges, das die Farbe sieht - ist eben das, was da sieht, dasselbe wie das, was da gesehen wird mit dem Auge. Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben." - Predigt 13. | ||
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+ | # "Wenn einer mich nun fragte, was denn aber das sei: ein armer Mensch, der nichts will, so antworte ich darauf und sage so: Solange der Mensch dies noch an sich hat, daß es sein Wille ist, den allerliebsten Willen Gottes erfüllen zu wollen, so hat ein solcher Mensch nicht die Armut, von der wir sprechen wollen; denn dieser Mensch hat (noch) einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genügen will, und das ist nicht rechte Armut. Denn, soll der Mensch wahrhaft Armut haben, so muß er seines geschaffenen Willens so ledig sein, wie er's war, als er (noch) nicht war. Denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit: Solange ihr den Willen habt, den Willen Gottes zu erfüllen, und Verlangen habt nach der Ewigkeit und nach Gott, solange seid ihr nicht richtig arm. Denn nur das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts begehrt." - Predigt 52. | ||
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− | *[http://www. | + | *[http://www.philosophia-online.de/mafo/heft2007-5/Bor_Eck.htm Meister Eckhart. Philosoph, Exeget, Mystiker] |
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[1] Zur Biographie Eckharts vgl. auch Norbert Winkler: Meister Eckhart zur Einführung. Hamburg 1997, S. 29-34; Alois M. Haas: Meister Eckhart, in: Gerhard Ruhbach, Josef Sudbrack (Hg.): Große Mystiker. Leben und Wirken. München 1984, S. 156-170, hier: S. 156-160; Heribert Fischer: Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken. Freiburg, München 1974, S. 11-23; Ernst Soudek: Meister Eckhart. Stuttgart 1973, S. 16-23; Johanna Lanczkowski: Einleitung, in: Friedrich Alfred Schmid Noerr (Hg.): Meister Eckhart. Vom Wunder der Seele. Stuttgart 1989, S. 3-16, hier: S. 3-6; Kurt Flasch: Meister Eckhart. Die Geburt der „Deutschen Mystik“ aus dem Geist der arabischen Philosophie. München 2006, S. 30-45. | [1] Zur Biographie Eckharts vgl. auch Norbert Winkler: Meister Eckhart zur Einführung. Hamburg 1997, S. 29-34; Alois M. Haas: Meister Eckhart, in: Gerhard Ruhbach, Josef Sudbrack (Hg.): Große Mystiker. Leben und Wirken. München 1984, S. 156-170, hier: S. 156-160; Heribert Fischer: Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken. Freiburg, München 1974, S. 11-23; Ernst Soudek: Meister Eckhart. Stuttgart 1973, S. 16-23; Johanna Lanczkowski: Einleitung, in: Friedrich Alfred Schmid Noerr (Hg.): Meister Eckhart. Vom Wunder der Seele. Stuttgart 1989, S. 3-16, hier: S. 3-6; Kurt Flasch: Meister Eckhart. Die Geburt der „Deutschen Mystik“ aus dem Geist der arabischen Philosophie. München 2006, S. 30-45. |
Version vom 14. November 2009, 13:17 Uhr
Meister Eckhart (* um 1260 bei Gotha; † 1328 in Avignon) oder Köln) war ein mittelalterlicher Philosoph, Exeget und Mystiker, der dem Dominikanerorden angehörte.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Meister Eckhart wird um 1260 als Sohn des Ritters Eckhart von Hohenheim geboren. Sein Leben ist geprägt von Gott und der Welt, denn die Aufgaben des früh, vermutlich um 1275 in den Dominikanerorden eingetretenen Eckhart, bestanden nicht nur in der Kontemplation, sondern auch in Forschung, Lehre und Organisation.
Von 1277 bis 1289 Studium in den Studiengängen artium, naturalium, solemne und generale – also eine sehr lange und breite Ausbildung, was damals aber nicht unüblich war. Eckhart studierte in Köln, höchstwahrscheinlich auch bei Albertus Magnus. Anschließend Priesterweihe. Um 1290 geht Eckhart als Magister nach Paris – von daher der Name „Meister Eckhart“ – und wirkt einige Jahre als Lektor der Sentenzen des Petrus Lombardus. 1294 wird er Prior des Erfurter Dominikanerklosters; von da an wird die Quellenlage besser und die Erkenntnis über sein Leben gesicherter. In dieser Zeit entstehen die Reden der Unterweisung. 1302 lehrt er wieder in Paris. 1303-1310 übernimmt Meister Eckhart die Leitung der neugebildeten Ordensprovinz Saxonia. 1311-1313 folgt ein zweites Magisterium in Paris, eine Auszeichnung, die zuvor nur Thomas von Aquin erfahren hat. 1314 wird er Generalvikar des Dominikanerklosters in Straßburg, aus dieser Zeit stammt ein Großteil seiner bekanntesten Schriften, der „Deutschen Predigten“. 1322 übernimmt Meister Eckhart die Leitung seiner alten Ausbildungsstätte, des Studium generale in Köln.
Dort wird er 1325 durch Mitbrüder beim Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg wegen angeblich häretischer Glaubensaussagen denunziert. Eine Liste mit zunächst 49 inkriminierten Sätzen wird 1326 nach Überprüfung auf 28 reduziert. Um vor dem Scheiterhaufen bewahrt zu bleiben, widerruft Meister Eckhart 1327 vorsorglich öffentlich seine Thesen, was ihm nicht allzu schwer gefallen sein dürfte, waren doch gerade die kritischen Passagen vielfach falsch tradiert worden. Es handelte sich bei den Texten um Mitschriften von Ordensfrauen, in deren Klöster Meister Eckart gepredigt hatte. Entsprechend ungenau bzw. verkürzt wurde manche „häretische“ These wiedergegeben.
Meister Eckhart stirbt 1328, entweder auf einer Reise an den päpstlichen Hof zu Papst Johannes XXII. nach Avignon oder – kurz nach seiner Rückkehr – in Köln.
Denken
Das Ziel des eckhartschen Denkens ist in der Einheit des Menschen mit Gott zu sehen, eine Einheit, die man am treffendsten als unio mystica bezeichnet, auch wenn Eckhart diesen Begriff selbst nicht verwendet. Diese Einheit mit Gott geschieht durch die „Gottesgeburt in der Seele“. Ernst Soudek fasst zusammen: „Meister Eckharts Ideenwelt dreht sich im Grunde genommen um zwei Pole: Gott und Mensch, oder genauer: Gott und Seele. Zu zeigen, wie sich Gott und Seele in der unio mystica berühren, ist das Hauptanliegen seiner Schriften.“<ref>Ernst Soudek: Meister Eckhart. Stuttgart 1973, S. 35. </ref>
Seele und Seelengrund
Für die Seele kennt Meister Eckhart viele Metaphern. Er nennt sie „Licht“, „Funken“, „Tropfen“, „Strahl der Herrlichkeit Gottes“ oder „Burg“. Für Menschen ist die Seele eine unbezwingbare „Festung“, Gott aber kann in die Seele eindringen, als Lichtstrahl oder als Funke, so wie das Sonnenlicht durch jede kleinste Ritze einer Festungsmauer hindurchscheint. Und dies ist nicht nur notwendig so, sondern auch wünschenswert, denn nur der Anteil der Seele am göttlichen Glanz eröffnet dem Menschen den Zugang zu Gott.
Ziel aller philosophischen oder mystischen Spiritualität ist die Einheit mit Gott, die unio mystica durch die Geburt Gottes in der Seele. Dass Gott in mir geboren wird, so Eckhart mit Augustinus, daran sei alles gelegen. Der „Ort“ dieser Geburt ist die Seele des Menschen, genauer: der „Seelengrund“. Meister Eckhart hebt die Sonderheit dieses Seelengrundes an verschiedenen Stellen hervor. Der namenlose Seelengrund, kann, so wie Gott, nicht benannt werden, denn er ist wie Gott. Da es aber gewissermaßen methodisches Anliegen Eckharts ist, das Unsagbare bildhaft auszudrücken, hat er auch für den Seelengrund paradoxerweise eine Reihe von Bezeichnungen[14]: „Seelenfunke“, „Wesen der Seele“, „Versteck des Geistes“, „kleine Seelenfestung“, „Scintella“, „Bewacher der Seele“, „Licht in der Seele“.
Dieser Seelengrund ist ungeschaffen und unerschaffbar. Damit Etwas in der Seele Gott, der ungeschaffen und unerschaffbar ist, gleicht, muss, da – so ein aristotelisches Axiom –[15] Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann, dieses Etwas selbst ungeschaffen und unerschaffbar sein. Gäbe es dieses ungeschaffene und unerschaffbare Etwas in der Seele nicht, bliebe es dem göttlichen Menschen verwehrt, sich im Bereich des Göttlichen zu bewegen.
Zur Erhellung dessen, was mit diesem Seelengrund gemeint ist, bedient sich Eckhart wieder einer philosophischen Terminologie und vernünftiger Argumentation: Der Seelengrund ist keine Potenz, keine Kraft, kein Vermögen, also etwas an der Seele, sondern der wesentliche Grund (causa essentialis) in der Seele, also das, was in der Seele über die Seele hinausragt.
Auch damit steht Eckhart in einer antiken Traditionslinie, nicht in der des Aristotelismus’, sondern in der des Neuplatonismus’, dessen Einheitsbegriff er aufgreift. Das absolute Eine der Neuplatoniker, das nichts ist denn Eines, ist für Eckhart mit dem Seelengrund identisch. Eckhart formuliert entsprechend: „Hier ist Gottes Grund [also das absolute Eine, J.B.] mein Grund [also der Seelengrund, J.B.] und mein Grund Gottes Grund.“[16] Sinnvoll ist eine derartige Identifikation des Seelengrundes mit dem Einen nicht deshalb, weil dadurch der Mensch mit Gott identifiziert würde, sondern deshalb, weil für Eckhart der Mensch als Mensch Vernunft ist und insoweit, als es nur eine Vernunft gibt, nur einen Geist,[17] er qua ratio zugleich Teil hat am Göttlichen.[18] Das sagt Eckhart wieder im Anschluss an Aristoteles, der in seiner Nikomachischen Ethik feststellt: „Ist also, mit dem Menschen verglichen, der Geist etwas Göttliches, so ist auch ein Leben im Geistigen, verglichen mit dem menschlichen Leben, etwas Göttliches. Wir sollen aber nicht den Dichtern [z. B. Simonides, Pindar, Aischylos, Sophokles und Euripides, J.B.] folgen, die uns mahnen, als Menschen uns mit menschlichen und als Sterbliche mit sterblichen Gedanken zu bescheiden, sondern, soweit wir können, uns zur Unsterblichkeit erheben und alles tun, um unser Leben nach dem einzurichten, was in uns das Höchste ist.“[19] Das Höchste ist die Vernunft, die Vernunft aber ist, wie erwähnt, nur eine und lässt sich als solche nicht in göttliche und menschliche Vernünftigkeit aufspalten.
Diese absolute Vernunft kennt keinen Gott als Schöpfer der Kreaturen. Die absolute Vernunft als Ich oder Seelengrund ist sogar Ursache für einen derartigen Gott, sagt Eckhart in seiner berühmten „Armutspredigt“[20]. Quint deutet den Unterschied zwischen den beiden Gottesbegriffen in seiner Edition an, indem er den Gott als auf die Kreatur bezogenen Schöpfer in Anführungszeichen stellt („Gott“). Es heißt dort, „daß Gott ,Gott’ ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht, so wäre Gott nicht ,Gott’“[21], und das deshalb, weil ein solcher Gott nur in seiner Bezogenheit zu den Kreaturen Gott ist. Die absolute Vernunft hingegen ist nicht auf Kreaturen bezogen, sondern einzig auf sich selbst, ist – so Eckhart – Ursache ihrer selbst (causa sui).[22] Sie besitzt so ihren Zweck in sich selbst. An anderer Stelle nennt Eckhart diesen derart konfigurierten Gott Gottheit.
Eckharts Vorstellung vom ungeschaffenen und unerschaffbaren Seelengrund, der von Gott, sofern er Gott der Kreaturen ist, nichts weiß, der für einen solchen Gott sogar Ursache ist, der hingegen die Gottheit selbst ist, soweit damit die Teilhabe an der absoluten Vernunft gemeint ist, vom Seelengrund, der als Bewusstsein seinen Zweck einzig in sich selbst besitzt, einzig sich seiner bewusst ist und damit Selbstbewusstsein ist – diese Vorstellung mit all ihren Implikationen war für die Theologen in Köln und dann in Avignon Anlass, gegen Eckhart ein Inquisitionsverfahren anzustrengen. So überrascht es nicht, dass man weder bei Johannes Tauler noch bei Heinrich Seuse, noch bei Nikolaus Cusanus Eckharts Theorie vom Seelengrund in der ihr eigentümlichen Form wiederfindet, obwohl sie bestens mit Eckharts Denken vertraut waren. Was war das Problem? Häretisch an der Seelengrund-Theorie ist, dass Eckhart das Ich, das bei ihm als ungeschaffen gilt, da es sich als causa sui selbst erschafft, mit dem Seelengrund in Verbindung bringt und ontologisch gleichsetzt. Wenn nun der Seelengrund aber ein Teil der Seele ist, dann hätten wir damit etwas Ungeschaffenes im Geschaffenen und das geht nach der christlichen Schöpfungslehre nicht, bei der ja die Schöpfung vollständig Emanation Gottes ist, also von Gott aus Gott heraus in die Existenz gesetzt wird, als Akzidenz der Ur-Substanz Gottes. Auch die Seele ist Teil dieser Schöpfung. Somit kann es darin nicht etwas Ungeschaffenes geben, keinen Seelengrund, kein „ewiges“, „ungeschaffenes“ Ich.
Auch die beiden Gottesbegriffe Eckharts, „Gott“/Gott bzw. Gott der Kreaturen/Gottheit, sorgen für Irritation. Damit nicht auch heute noch Missverständnisse zu Fehlurteilen über Eckharts Gottesvorstellung verleiten, müssen die beiden Gottesbegriffe in ihrem Aussagegehalt verdeutlicht werden.
Gott und Gottheit
Wie ist das gemeint, mit den beiden Gottesbegriffen, erstens Gott als Schöpfer der Kreaturen, auf sie bezogen und zweitens Gott als die absolute Vernunft, die Ursache ihrer selbst ist? Zunächst einmal: Wie ist es nicht gemeint. Es ist dabei nicht an zwei verschiedene Götter zu denken. Es handelt sich auch nicht um den „frühen Gott“ und den „späten Gott“ bzw. den Gott vor und den Gott nach der Schöpfung, sondern es ist ein Gott, der, insoweit er als Schöpfer der Kreatur zugewandt ist, ein Gott ist, der seinen Ursprung aufgibt, die Gottheit, die in ihm ist, sein nicht-zeugender Wesenskern. Der eingangs dieses Kapitels zitierte Ernst Soudek fasst das wieder sehr schön zusammen: „Auf den Begriff ,Gott’ beziehen sich alle Gedanken Meister Eckharts über die göttlichen Personen; unter ,Gottheit’ scheint er das letzte überhöhte ,Sein’ Gottes zu verstehen.“[23] In der unio mystica schicke sich der Mensch an, sich „über den dreieinigen Gott hinauszubewegen [..] in ,die Wüste’, den ,Grund, Boden, und Quell’ Gottes, in die ,Gottheit’“[24].
Die Gottheit ist das, was mit dem Seelengrund eins werden kann. Dadurch geht der Mensch hinter die Schöpfung zurück, durch die Gott in seiner Eigenschaft als Schöpfer seine Ursprünglichkeit als Gottheit aufgegeben hat, nicht zeitlich unterschieden, sondern qualitativ. Das Wesenhafte, Unveränderte, man könnte fast sagen, nicht durch die Schöpfung Korrumpierte an Gott wird Zielgröße desjenigen Menschen, der zum Ursprung seiner Selbst zurückkehren will. Das Ich wird dort, als eins mit dieser Gottheit begriffen, zur Ursache seiner Selbst und sogar Gottes, insoweit er Schöpfer-Gott bzw. Gott der Kreaturen ist.
Am Ende kehrt also der „göttliche Mensch“, so nennt Eckhart den Menschen in Einheit mit Gott, durch die Gottesgeburt im Seelengrund zu seiner eigenen Ursächlichkeit zurück und erreicht eben nicht „nur“ eine Einheit mit Gott, sondern auch mit sich, mit dem „Ich“ als diese ursächliche Gottheit, die causa sui ist und zugleich Selbstbewusstsein und Selbstzweck – unvermittelt, voraussetzungslos, ewig. Das ist mit Gottesgeburt in der Seele gemeint – ein schöpferischer Akt, aus dem der Gott, der in bezug auf die Kreaturen Gott ist, hervorgeht. Darin besteht zugleich die unio mystica der Seele (genauer: des Seelengrundes)mit Gott (genauer: der Gottheit), weiterhin des zeitlichen Ich mit dem ursprünglichen Ich. Und das ist zugleich Grundanliegen und Quintessenz der eckhartschen Philosophie bzw. Mystik.
Wie kann man sich die unio mystica vorstellen? Ich möchte ein Bild zeichnen, das einige Merkmale dieses unsagbaren Phänomens anschaulich auszudrücken versucht: Zwei Kugeln treffen sich in einem Punkt und erreichen soweit eine Einheit in diesem Punkt, ohne eins zu werden. Die Kugeln bleiben vollständig erhalten, so, wie sie vorher waren. Die eine Kugel ist Gott und der Punkt dieser Kugel, welche die andere berührt, ist die Gottheit, das unveränderliche Wesen Gottes. Die andere Kugel ist die Seele und der Punkt der Kugel, welche die erste berührt, ist der Seelengrund, der ausgezeichnete Teil der Seele, in dem die unio mystica stattfindet. Der Moment des Zusammenstoßes ist diese unio mystica.
Unio mystica: Gottesgeburt in der Seele
Die Gottesgeburt vollzieht sich durch mystische Erfahrung, was bei Meister Eckhart ein Erkennen Gottes meint. Diese Erkenntnis Gottes, die Erfahrungskenntnis von Gott (cognitio Dei experimentalis, Bonaventura) ist bei Eckhart nicht, wie bei anderen Mystikern, „im Sinne spektakulärer seelischer Ereignisse und senkrecht einfallender Theophanien“[25] gedacht. Nein: „Seine Einheitserfahrung mit Gott ist kein isoliertes seelisches Ereignis im Sinne der älteren Kontemplationsmystik – bloß rara hora et parva mora (zu seltener Stunde und kurze Zeit [Bernhard von Clairveaux, J.B.]) geschehend – sondern die währende Seinsgegenwart Gottes am Grund der menschlichen Existenz“[26], also im Seelengrund.
Um erkennen zu können, müssen die Sinne des Erkennens ledig sein von allem, „leer werden“, auch vom Gegenstand des Erkennens. Die Seele, in der die Erkenntnis Gottes stattfinden soll, muss also „leer werden“ von Gott und gleichsam für Gott. Der Mensch, so Eckhart, muss „um Gottes Willen“ von Gott selbst lassen.
Kurt Flasch stellt in diesem Zusammenhang, um noch einmal auf die Tradierung des eckhartschen Denkens zurückzukommen, die Verbindung von aristotelisch-averroistischer Intellekttheorie und eckhartscher Seelenkonzeption heraus. In seinem Kommentar zu Aristoteles’ De anima hatte Averroes Bilder für die Negativität des Intellekts entwickelt, die, so Flasch, später zunächst von Dietrich von Freiberg und dann von Meister Eckhart aufgegriffen wurden: Entblößtsein, Leersein, Nacktsein, Farblos-Sein.[27] Bei diesem führt das dann zum Begriff Gelassenheit: „Die Ethik der Gelassenheit realisiert, daß der Intellekt ,entblöst’ ist, denudatum, daß er, wie Anaxagoras, Aristoteles und Averroes sagen, nichts von allem sein darf, um alles zu erfassen. Indem der Intellekt nichts hat, hat er das gesamt Sein.“[28] Gott aber ist für Eckhart das gesamte Sein – die geschaffene Welt besitzt von sich aus kein Sein, sondern verhält sich wie ein Akzidens zur Ur-Substanz, also: zu Gott. Um dieses Sein erfassen, also: erkennen, zu können, muss die Seele ledig sein. Die Seele ist nicht an den Körper gebunden. Sie verleiht ihm Leben, ist aber frei bzw. nur dann im Körper gebunden, wenn bzw. solange es ihr nicht gelingt, sich von den sinnlichen Eindrücken loszulösen, die sie durch den Körper aufnimmt. Die Seele muss die sinnlichen Eindrücke lassen, um frei zu werden – ledig.
Neben dem philosophischen Motiv der Negativität des Intellekts, dessen „Entblößung“ (denudatum), kommt in den Predigten immer wieder das Motiv des Bloß-Seins, Arm-Seins und Leer-Seins der Seele als Ergebnis der Bibelexegese vor.
Sehr deutlich wird das in der bereits angesprochenen „Armutspredigt“ zu Mt 5, 3: Beati pauperes spiritu, quia ipsorum est regnum coelorum („Selig sind die Armen im Geiste, das Himmelreich ist ihrer“).[29] Eckhart versucht darin, die wahre Armut zu bestimmen: Nichts wollen, nichts wissen, nichts haben. Dies tut er in einer Radikalität, die den Zuhörern einiges abverlangt. Aus seinem hohen Anspruch macht der Prediger Eckhart keinen Hehl, sagt er doch gleich zu Beginn: „Nun gibt es zweierlei Armut. Die eine ist eine äußere Armut, und die ist gut und sehr zu loben an dem Menschen, der sie mit Willen auf sich nimmt aus Liebe zu unserm Herrn Jesus Christus, weil der sie selbst auf Erden gehabt hat. Von dieser Armut will ich nicht weiter sprechen. Indessen, es gibt noch eine andere Armut, eine innere Armut, die unter jenem Wort unseres Herrn zu verstehen ist, wenn er sagt: ,Selig sind die Armen im Geiste’. Nun bitte ich euch, ebenso (arm) zu sein, auf daß ihr diese Rede verstehet; denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit: Wenn ihr dieser Wahrheit, von der wir nun sprechen wollen, nicht gleicht, so könnt ihr mich nicht verstehen.“[30]
Einige Zitate belegen diese Radikalität. 1. Zum „nichts wollen“: „Wenn einer mich nun fragte, was denn aber das sei: ein armer Mensch, der nichts will, so antworte ich darauf und sage so: Solange der Mensch dies noch an sich hat, daß es sein Wille ist, den allerliebsten Willen Gottes erfüllen zu wollen, so hat ein solcher Mensch nicht die Armut, von der wir sprechen wollen; denn dieser Mensch hat (noch) einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genügen will, und das ist nicht rechte Armut.“[31] 2. Zum „nichts wissen“: „Wir haben gelegentlich gesagt, daß der Mensch so leben sollte, daß er weder sich selber noch der Wahrheit noch Gott lebe. Jetzt aber sagen wir’s anders und wollen weitergehend sagen: Der Mensch, der diese Armut haben soll, der muß so leben, daß er nicht (einmal) weiß, daß er weder sich selber noch der Wahrheit noch Gott lebe. Er muß vielmehr so ledig sein alles Wissens, daß er nicht wisse noch erkenne noch empfinde, daß Gott in ihm lebt“.[32] 3. Zum „nichts haben“: „Ich habe es (schon) oft gesagt, und große Meister sagen es auch: der Mensch solle aller Dinge und aller Werke, innerer wie äußerer, so ledig sein, daß er eine eigene Stätte Gottes sein könne, darin Gott wirken könne. Jetzt aber sagen wir anders. Ist es so, daß der Mensch aller Dinge ledig steht, aller Kreaturen und seiner selbst und Gottes, steht es aber noch so mit ihm, daß Gott in ihm eine Stätte zum Wirken findet, so sagen wir: Solange es das noch in dem Menschen gibt, ist der Mensch (noch) nicht arm in der eigentlichsten Armut. Denn Gott strebt für sein Wirken nicht danach, daß der Mensch eine Stätte in sich habe, darin Gott wirken könne; sondern das (nur) ist Armut im Geiste, wenn der Mensch so ledig Gottes und aller seiner Werke steht, daß Gott, dafern er in der Seele wirken wolle, jeweils selbst die Stätte sei, darin er wirken will, — und dies täte er (gewiß) gern.“[33] Ledig werden, um ledig zu sein, lassen, um gelassen zu werden und gelassen zu sein. Gelassenheit ist ein Schlüsselbegriff in Eckharts Denken.
Gelassenheit
Vom biblischen Lassen zum mystischen Lassen
Als wichtigste Voraussetzung für die Gottesgeburt in der Seele bzw. im Seelengrund und die Einheit mit Gott, die unio mystica, muss der Mensch gelassen haben, um schließlich gelassen zu sein. Er muss dazu verdinglichte Denk- und Handlungsstrukturen überwindet und alle Weltbindung aufgeben. Er muss sich selbst und die ganze Welt lassen. Insoweit ist Gelassenheit bei Meister Eckhart als Haltung oder Befindlichkeit das Ergebnis eines Lebensvollzugs.
Meister Eckharts Ausgangspunkt ist das neutestamentliche Lassen, das omnia relinquere, von dem im Matthäus-Evangelium bei der Berufung der ersten Jünger die Rede ist: „Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, genannt Petrus, und seinen Bruder Andreas; sie warfen gerade ihr Netz in den See, denn sie waren Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm. Als er weiterging, sah er zwei andere Brüder, Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren mit ihrem Vater Zebedäus im Boot und richteten ihre Netze her. Er rief sie, und sogleich verließen sie das Boot und ihren Vater und folgten Jesus.“ (Mt 4, 18-22). Hier zeigt sich deutlich die Breite des Lassen-Begriffs. So erscheint er teils negativ (im Stich lassen), teils positiv besetzt (den Neuanfang wagen), teils materiell (Haus und Hof, Dinge lassen), teils personell (den Vater, die Mutter, die Frau, den Mann lassen).
Entscheidend ist jedoch die soteriologische Überhöhung des Lassens in der Wendung zur heilswirksamen Verlassenheit. So ist Jesu Erlösungswerk begleitet von Verlassenheitserlebnissen: der Verrat durch Judas; beim Gebet am Ölberg schlafen die Jünger ein; Petrus, der Fels, auf den er seine Kirche errichten will, verleugnet ihn; seine Anhänger, die zuvor „Hosianna!“ gerufen haben, rufen jetzt „Kreuziget ihn!“; und dann, in besonderer Weise, am Kreuz. Dort erlebt Christus das tiefste und schmerzhafteste Verlassenheitsgefühl, die Gottferne, die zum Ausdruck kommt in dem verzweifelten Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mk 15, 34).
Bei Meister Eckhart wird schließlich dieses neutestamentliche Lassen zu einem mystisch-spirituelles Lassen überformt (die Welt lassen, sich selbst lassen, Gott lassen). So gelangt der Mensch nach Eckhart über das Lassen zur Gelassenheit, denn „lassen“ meint bei ihm ein „Frei-Sein von“, was zugleich ein „Frei-Sein für“ ermöglicht. Der Mensch kommt durch das Lassen zur Gelassenheit, wenn er hinter sich lässt, aufgibt, vergisst. Der Mensch soll lassen, d. h., er soll das vergessen, dessen er sich stets erinnert, um sich dessen zu erinnern, was er stets vergisst. Er soll sich seiner selbst erinnern, seines Ichs bewusst werden, seines ursprünglichen, unzeitliche Ichs, das so unendlich erhaben ist über das historische Naturwesen der Kreatur Mensch. Man könnte im Rückgriff auf das eckhartsche Verhältnis von Mensch und Gott sagen: Lassen führt zur Überwindung des göttlichen Menschen, insoweit dieser noch Mensch ist, damit er zum göttlichen Menschen wird, insoweit dieser schon göttlich ist.
Meister Eckharts Gelassenheitsbegriff
Dass Meister Eckhart den Begriff Gelassenheit entwickelt hat, legt der Umstand nahe, dass dieser vor ihm nicht belegt ist.[34] Mit seiner Wortschöpfung stellte Meister Eckhart der deutschen Sprache ein Konzept zur Verfügung, dass die Vielschichtigkeit eines Sachverhalts anzeigt, in dem Ruhe, Versenkung, Anbetung, Demut, Hingabe und Weisheit mitschwingen und welcher schließlich in der Erfahrung der Einheit mit Gott kulminiert. Es wird deutlich, dass er mit diesem Begriff den semantischen Wert der lateinischen Ausdrücke resignatio und tranquilitas ebenso sprengt wie den der griechischen Begriffe euthymia und henosis. Diese Begriffe kreisen den viel komplexeren Begriff der Gelassenheit nur ein, ohne seinen Kern zu treffen und ohne seine semantische Dichte und Fülle vollständig zu erschließen. Das gelingt erst mit der eingedeutschten Form der Konzepte, die all diese Nuancen vereint, denn Gelassenheit beinhaltet sowohl das Aufgeben und Loslassen (resignatio), die Ruhe (tranquilitas) als auch das gute Gemüt (euthymia) sowie schließlich die Einheit mit Gott (henosis), die Meister Eckhart zur unio mystica weiterdenkt.
Bei Meister Eckhart führt die Fokussierung auf den Begriff der Gelassenheit allerdings am Ende zur Übersteigerung des Konzepts, wenn er fordert, nicht nur von den weltlichen Dingen und Geschöpfen sowie von sich selbst zu lassen, um die mystische Einheit mit Gott zu erreichen, sondern schließlich, wie ich bereits erwähnte, sogar „um Gottes Willen“ von Gott selbst zu lassen. Radikaler kann man die Gelassenheit, die zur Einheit mit Gott führen soll, nicht auffassen. Die Mystiker-Generation nach Eckhart, zu der etwa Johannes Tauler und Heinrich Seuse gehörten, sollte diese Radikalität nicht mehr fortführen und insoweit mit Eckharts Ideal brechen.
Quellen
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Zitate
- "Drei Dinge sind es, die uns hindern, so daß wir das ewige Wort nicht hören. Das erste ist die Körperlichkeit, das zweite Vielheit, das dritte ist die Zeitlichkeit. Wäre der Mensch über diese drei Dinge hinausgeschritten, so wohnte er in der Ewigkeit und wohnte im Geiste und wohnte in der Einheit und in der Wüste, und dort würde er das ewige Wort hören." - Predigt 13.
- "Soll mein Auge die Farbe sehen, so muss es ledig sein aller Farbe. Sehe ich blaue oder weiße Farbe, so ist das Sehen meines Auges, das die Farbe sieht - ist eben das, was da sieht, dasselbe wie das, was da gesehen wird mit dem Auge. Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben." - Predigt 13.
- "Wenn einer mich nun fragte, was denn aber das sei: ein armer Mensch, der nichts will, so antworte ich darauf und sage so: Solange der Mensch dies noch an sich hat, daß es sein Wille ist, den allerliebsten Willen Gottes erfüllen zu wollen, so hat ein solcher Mensch nicht die Armut, von der wir sprechen wollen; denn dieser Mensch hat (noch) einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genügen will, und das ist nicht rechte Armut. Denn, soll der Mensch wahrhaft Armut haben, so muß er seines geschaffenen Willens so ledig sein, wie er's war, als er (noch) nicht war. Denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit: Solange ihr den Willen habt, den Willen Gottes zu erfüllen, und Verlangen habt nach der Ewigkeit und nach Gott, solange seid ihr nicht richtig arm. Denn nur das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts begehrt." - Predigt 52.
Werk
Kritische Gesamtausgabe
- Meister Eckhart: Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg. im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Kohlhammer, Stuttgart 1958ff.
Literatur
- Norbert Winkler: Meister Eckhart zur Einführung, Hamburg 1997.
- Kurt Ruh: Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker, München 1989.
Gerhard Wehr: Meister Eckhart, Reinbek 2004.
- Josef Koch: Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts, in: Josef Koch: Kleine Schriften, Band 1, Rom 1973, S. 247–347.
- Karl Albert: Meister Eckhart und die Philosophie des Mittelalters, Dettelbach 1999.
- Kurt Flasch: Meister Eckhart. Die Geburt der „Deutschen Mystik“ aus dem Geist der arabischen Philosophie,München 2006.
- Udo Kern: „Gottes Sein ist mein Leben.“ Philosophische Brocken bei Meister Eckhart, Berlin 2003.
- Burkhard Mojsisch: Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983.
- Erwin Waldschütz: Denken und Erfahren des Grundes. Zur philosophischen Deutung Meister Eckharts, Wien 1989.
Weblinks
[1] Zur Biographie Eckharts vgl. auch Norbert Winkler: Meister Eckhart zur Einführung. Hamburg 1997, S. 29-34; Alois M. Haas: Meister Eckhart, in: Gerhard Ruhbach, Josef Sudbrack (Hg.): Große Mystiker. Leben und Wirken. München 1984, S. 156-170, hier: S. 156-160; Heribert Fischer: Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken. Freiburg, München 1974, S. 11-23; Ernst Soudek: Meister Eckhart. Stuttgart 1973, S. 16-23; Johanna Lanczkowski: Einleitung, in: Friedrich Alfred Schmid Noerr (Hg.): Meister Eckhart. Vom Wunder der Seele. Stuttgart 1989, S. 3-16, hier: S. 3-6; Kurt Flasch: Meister Eckhart. Die Geburt der „Deutschen Mystik“ aus dem Geist der arabischen Philosophie. München 2006, S. 30-45. [2] Meister Eckhart. Versuch, ihn aus dem mystischen Strom zu retten lautet der Titel eines Aufsatzes Kurt Flaschs aus dem Jahre 1988. [3] Ludwig Hödl: Metaphysik und Mystik im Denken des Meisters Eckhart, in: Zeitschrift für katholische Theologie, Jg. 82 (1960), S. 257-274, hier: S. 270. [4] Heribert Fischer (1974): A. a. O., S. 141. [5] Vgl. Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 2000, S. 475. [6] In Ioh., n. 2. In: Meister Eckhart. Die Deutschen und Lateinischen Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Stuttgart 1936 ff. (Abt. II: Lateinische Werke [LW], Bd. 3, hg. und übers. von Karl Christ, Bruno Decker, Josef Koch, Heribert Fischer, Loris Sturlese und Albert Zimmermann. Stuttgart 1994), S. 4. [7] Vgl. Kurt Flasch (2006): A. a. O., S. 112-121; dort auch weitere bibliographische Verweise. [8] Averroes (eigentlich: Ibn Rushd) hat im 12. Jahrhundert in Andalusien gelebt und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der arabischen Philosophie des Hochmittelalters. Vgl. zu Leben und Werk Averroes’ Kurt Flasch (2006): A. a. O., S. 22-30 sowie Ulrich Rudolph: Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 2004, S. 70-76. [9] Vgl. Kurt Flasch (2006): A. a. O., S. 122-138; dort auch weitere bibliographische Verweise. [10] Vgl. Kurt Flasch (2006): A. a. O., S. 139-149; dort auch weitere bibliographische Verweise. [11] Heribert Fischer (1974): A. a. O., S. 141. [12] Ernst Soudek (1973): A. a. O., S. 35. [13] Vgl. zum Seelenbegriff bei Meister Eckhart auch Josef Bordat: Zum Begriff „Seele“ in der Mystik Meister Eckharts. In: urbi@orbi. Zeitschrift der Katholischen Studierenden-gemeinde Berlin. Jg. 1 (2007), Nr. 1, S. 11-14. [14] Ernst Soudek (1973) zählt „rund 30 Hilfsausdrücke“ (a. a. O., S. 39). [15] Vgl. Aristoteles: Metaphysik III 4, V. 1000 b. [16]Pred. 5b. In: Meister Eckhart. Die Deutschen und Lateinischen Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Stuttgart 1936 ff. (Abt. I: Deutsche Werke [DW], Bd. 1 [Meister Eckharts Predigten 1-24], hg. und übers. von Josef Quint. Stuttgart 1958 [unveränderter Nachdruck 1986]), S. 90. [17] Eckhart übernimmt die Position des Averroes vom „allgemeinen Geist“, um dann mit der unio mystica die Bedingung der Möglichkeit einer Teilhabe des Individuums, der Einzelseele, an der Wahrheit der absoluten Vernunft zu schaffen, ein Modell, das ebenfalls bereits bei Averroes angelegt ist, der in seiner Theorie der Verbindung (coniunctio) von individueller Seele und allgemeinem Geist – bei Eckhart: Mensch und Gott – ein Hineingehen ins Allgemeine durch die Vorstellungskraft (imaginatio) beschreibt, was bei Eckhart der mystischen Erfahrung entspricht (vgl. Kap. III, 2.3). [18] In Ioh., n. 318. A. a. O., S. 265. [19] Aristoteles: Nikomachische Ethik X 7, V. 1178 a. [20] Pred. 52. In: Meister Eckhart. Die Deutschen und Lateinischen Werke. Hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Josef Quint, Deutsche Werke (DW), Bd. 2 (Meister Eckharts Predigten 25-59), Stuttgart 1971 [unveränderter Nachdruck 1988], S. 478-524. [21] Pred. 52. A. a. O., S. 504. [22] Pred. 52. A. a. O., S. 492 u. 503. [23] Ernst Soudek (1973): A. a. O., S. 36. [24] Ebd. [25] Alois M. Haas (1984): A. a. O., S. 161. [26] Ebd. [27] Kurt Flasch (2006): A. a. O., S. 62. [28] Kurt Flasch (2006): A. a. O., S. 114. [29] Vgl. dazu Rodrigo Guerizoli: Die Verinnerlichung des Göttlichen: Eine Studie über den Gottesgeburtszyklus und die Armutspredigt Meister Eckharts. Leiden 2006, S. 183-205. Interessant ist, dass in Peter Dinzelbachers Wörterbuch der Mystik unter dem Stichwort „Gelassenheit“ auf den Begriff „Armut“ verwiesen wird (Vgl. Bernhard Fraling: Gelassenheit. In: Peter Dinzelbacher [Hg.]: Wörterbuch der Mystik. Stuttgart 1989, S. 185). [30] Pred. 52. A. a. O., S. 486-487. [31]Pred. 52. A. a. O., S. 491. [32]Pred. 52. A. a. O., S. 494-495. [33]Pred. 52. A. a. O., S. 499-501. [34] Erik A. Panzig: Gelâzenheit und abegescheidenheit. Eine Einführung in das theologische Denken des Meister Eckhart. Leipzig 2005, S. 54. [35] Man denke an den bildhaften Kugel-Vergleich aus Kap. III, 2.2. [36] Damit geht auch der gegen Meister Eckhart erhobene Pantheismus-Vorwurf ins Leere. [37] Vgl. Josef Bordat: Zur Entwicklung der deutschen Sprache im Mittelalter und in der Aufklärung. In: Natalia Gorbel (Hg.): Interkulturelle Kompetenz. Petrosawodsk 2006, S. 335-339. [38] Karl Rahner: Schriften zur Theologie. Bd. 7 (Zur Theologie des geistlichen Lebens). Einsiedeln 1966, S. 22.