Wahrheit und Freiheit

Aus kathPedia
Zur Navigation springenZur Suche springen

Unter der Überschrift Wahrheit und Freiheit (gemeint: der Wissenschaft) äußerte sich Jacques Maritain (in: Der Bauer von der Garonnne, dt. 1969, S. 169 ff.) über den inneren Zusammenhang beider Vollkommenheiten, die auch Hans Küng als Titel seiner beiden Memoirenbände aufgriff. Dieser Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung für das Christentum, wie besonders Thomas von Aquin lehrte.

Wie man weiß, hat die Kirche den heiligen Thomas zu ihrem doctor communis erklärt, und besonders seit Leo XIII. haben die Päpste seine Lehre immer wieder auf das eindringlichste empfohlen. Paul VI. nimmt - in der Nachfolge Pius XII. - am 7. März 1964 in einem Schreiben an die Dominikaner der Vereinigten Staaten die Worte des heiligen Johannes von Thomas wieder auf: "Im heiligen Thomas wurde etwas Größeres als Thomas rezipiert und verteidigt." (...) Zweifellos haben die Theologieprofessoren noch besondere Pflichten gegen die Kirche, weil die Theologie der Kirche angehört, die Philosophie hingegen der Welt oder Kultur. Aber Theologieprofessoren zu haben, welche die Lehre des heiligen Thomas zwar nicht für wahr halten, sie aber aus Gehorsam wie die Papageien hersagen, ist sicher kein idealer Zustand. Es geht darum, sie dahinzubringen, die Wahrheit des heiligen Thomas zu erkennen; (...)

In demselben Buch kommt Maritain auch zu der Schlussfolgerung, der Denkweg seit Descartes könne eigentlich nicht Philosophie genannt werden. Er habe die Philosophie, die immer das Erfassen der Wirklichkeit durch den Geist voraussetzen müsse, zwar wichtigen neuen Fragen ausgesetzt, sei aber wegen des ihm eigenen Vorurteils strenggenommen allenfalls "Ideosophie" (ebd., S. 105 ff. (insb. S. 108 f.)). Man beginne und ende beim Denken. Das bedeute eine Gefangenschaft des Geistes.

Dem Thomismus andererseits fehle heute noch die ihm adäquate Naturphilosophie. Die darauf begründete Krise der "ratio recta" sei jedoch als bald überwindbar einzuordnen. Denn von den anderen zeitgenössischen "Philosophien" sei erst recht kein Lösungsvorschlag für das Problem von Wahrheit und Freiheit zu erwarten.

Jean Guitton äußerte sich u.a. 1986 zu demselben Thema:

"Einer der schwierigsten Augenblicke beim letzten Konzil war derjenige einer Debatte über die Beziehungen der Freiheit mit der Wahrheit. Als Hörer dieser Debatte sah ich das Problem hervortreten, das alle Philosophien beschäftigt, das der Unterscheidung zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen dem, was für mich wahr ist -- und dem, das an sich wahr ist. Es ist klar, dass jeder nach seinem Gewissen handeln muss. Es ist wahr, dass mir niemand einen Glauben aufzwingen kann. Aber es ist ebenso wahr -- und vielleicht noch mehr, dass die Wahrheit, wie sie "an sich" ist, sich unterscheidet von der Wahrheit, wie sie sich "für mich" zeigt. Wenn all die christlichen Religionen gleichwertig sind, das soll heißen: gleich weit entfernt von dem, was der Stifter wollte, dann ist das Gebaren des römischen Katholizismus irreführend, nach der Maßgabe, wonach er zusagt, die Fülle der Einheit zu sein. Das ist das uneingestandene, verdrängte Zentrum all der Probleme, die sich im 21. Jahrhundert stellen werden; und in diesem Sinne ist die Krise der gegenwärtigen Zeit nicht so sehr theologisch wie philosophisch. Protagoras und Sokrates sind wieder im Dialog und immer."

(Cfr. Silence sur l'essentiel, Paris 1986, S. 27.)




[wird fortgesetzt]