Samaritanus bonus
Samaritanus bonus |
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Kongregation für die Glaubenslehre
im Pontifikat von Papst
Franziskus
über die Sorge an Personen in kritischen Phasen und in der Endphase des Lebens
14. Juli 2020
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einführung
- 2 I. Sich des Nächsten annehmen
- 3 II. Die lebendige Erfahrung des leidenden Christus und die Verkündigung der Hoffnung
- 4 III. Das »sehende Herz« des Samariters: Das menschliche Leben ist ein heiliges und unantastbares Geschenk
- 5 IV. Die kulturellen Hindernisse, die den heiligen Wert jedes menschlichen Lebens verschleiern
- 6 V. Die Verkündigung des Lehramtes
- 6.1 1. Das Verbot der Euthanasie und des assistierten Suizids
- 6.2 2. Die moralische Verpflichtung, den therapeutischen Übereifer auszuschließen
- 6.3 3. Die Grundversorgung: die Pflicht zur Ernährung und Wasserversorgung
- 6.4 4. Die palliativen Behandlungsmethoden
- 6.5 5. Die Rolle der Familie und die Hospize
- 6.6 6. Die Begleitung und die Fürsorge in vorgeburtlichem und pädiatrischem Alter
- 6.7 7. Analgetische Therapien und Unterdrückung des Bewusstseins
- 6.8 8. Der vegetative Zustand und der minimale Bewusstseinszustand
- 6.9 9. Einspruch aus Gewissensgründen seitens der Mitarbeiter im Gesundheitsdienst und der katholischen Gesundheitseinrichtungen
- 6.10 10. Die pastorale Begleitung und die Unterstützung durch Sakramente
- 6.11 11. Die pastorale Unterscheidung gegenüber denen, die um Euthanasie oder assistierten Suizid bitten
- 6.12 12. Die Reform des Bildungssystems und der Ausbildung vom Gesundheitspersonal
- 7 Schlusswort
- 8 Anmerkungen
- 9 Weblinks
Einführung
Der barmherzige Samariter, der seinen Weg verlässt, um dem Kranken zu helfen (vgl. Lk 10, 30-37) ist das Bild Jesu Christi, der dem Heilsbedürftigen begegnet und sich um seine Wunden und Schmerzen kümmert, mit »dem Öl des Trostes und dem Wein der Hoffnung«.<ref> Messale Romano riformato a norma dei decreti del Concilio Ecumenico Vaticano II, promulgato da papa Paolo VI e riveduto da papa Giovanni Paolo II, Conferenza Episcopale Italiana – Fondazione di Religione Santi Francesco di Assisi e Caterina da Siena, Roma 2020, Prefazio comune VIII, S. 404.</ref> Er ist der Arzt von Seele und Leib, und »der treue Zeuge« (Offb 3, 14) der rettenden Gegenwart Gottes in der Welt. Aber wie können wir diese Botschaft heute konkretisieren? Wie können wir sie in eine Fähigkeit überführen, die Person des Kranken in der Endphase des Lebens zu begleiten, um ihr zu helfen, indem wir ihre unveräußerliche Menschenwürde, ihren Ruf zur Heiligkeit und damit den höchsten Wert ihrer eigenen Existenz immer respektieren und fördern?
Die außergewöhnliche und fortschreitende Entwicklung biomedizinischer Technologien hat die klinischen Fähigkeiten der Medizin in Diagnose, Therapie und Versorgung von Patienten exponentiell erhöht. Die Kirche blickt hoffnungsvoll auf die wissenschaftliche und technologische Forschung und sieht darin eine günstige Gelegenheit, dem integralen Wohl des Lebens und der Würde jedes Menschen zu dienen.<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Libreria Editrice Vaticana, Città del Vaticano 2016, Nr. 6.</ref> Diese Fortschritte in der Medizintechnik sind zwar in der Tat wertvoll, aber an sich nicht entscheidend für die Bestimmung des eigentlichen Sinnes und Wertes menschlichen Lebens. Tatsächlich erfordert jeder Fortschritt in den Fähigkeiten des im Gesundheitswesen tätigen Personals eine wachsende und geschickte Fähigkeit zur moralischen Unterscheidung,<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Spe salvi (30. November 2007), Nr. 22: AAS 99 (2007), S. 1004: »Wenn dem technischen Fortschritt nicht Fortschritt in der moralischen Bildung des Menschen, im Wachstum des inneren Menschen (vgl. Eph 3, 16; 2 Kor 4, 16) entspricht, dann ist er kein Fortschritt, sondern eine Bedrohung für Mensch und Welt«.</ref> um einen unverhältnismäßigen und entmenschlichenden Einsatz von Technologien zu vermeiden, insbesondere in den kritischen Phasen oder in der Endphase des menschlichen Lebens.
Darüber hinaus können das Organisationsmanagement sowie die hohe Ausdifferenzierung und Komplexität der gegenwärtigen Gesundheitssysteme das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient auf eine rein technische und vertragliche Beziehung reduzieren, ein Risiko, das vor allem in Ländern besteht, in denen Gesetze verabschiedet werden, die Formen des assistierten Suizids und der freiwilligen Euthanasie in Bezug auf die verletzlichsten Kranken legitimieren. Diese Gesetze leugnen die ethischen und rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung der kranken Person und verschleiern auf beunruhigende Art und Weise den Wert des menschlichen Lebens in der Krankheit, den Sinn des Leidens und die Bedeutung der Zeit, die dem Tod vorausgeht. Schmerz und Tod können in der Tat nicht die letzten Kriterien sein, welche die Menschenwürde bemessen, die jedem Menschen eigen ist, und zwar wegen des bloßen Faktums, dass er ein „menschliches Wesen“ ist.
Angesichts dieser Herausforderungen, die unsere Denkweise über die Medizin, die Bedeutung der Pflege der kranken Person und die soziale Verantwortung gegenüber den Verletzlichsten in Frage stellen können, zielt dieses Dokument darauf ab, die Hirten und die Gläubigen in ihren Sorgen und Zweifeln über die medizinische, spirituelle und pastorale Versorgung der Kranken in den kritischen Phasen und in der Endphase des Lebens aufzuklären. Alle sind aufgerufen, an der Seite der Kranken Zeugnis abzulegen und eine „heilende Gemeinschaft“ zu werden, damit der Wunsch Jesu, dass alle eins seien, beginnend mit den Schwächsten und Verletzlichsten, konkret umgesetzt wird.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an den Italienischen Verein gegen Leukämie, Lymphdrüsenkrebs und Multiples Myelom (AIL) (2. März 2019): L’Osservatore Romano, 3. März 2019, S. 7.</ref> Überall nimmt man in der Tat das Bedürfnis an moralischer Aufklärung und praktischer Orientierung wahr, wie man diesen Personen helfen kann, denn »eine Einheit der Lehre und der Praxis [ist] notwendig«<ref> Franziskus, Ap. Schreiben Amoris laetitia (19. März 2016), Nr. 3: AAS 108 (2016), S. 312.</ref> in Bezug auf ein so heikles Thema, das die schwächsten Kranken vor allem in den schwierigen und entscheidenden Stadien im Leben eines Menschen betrifft.
Diverse Bischofskonferenzen aus aller Welt haben Dokumente und Hirtenbriefe veröffentlicht, mit denen sie versucht haben, auf die Herausforderungen zu reagieren, die durch assistierten Suizid und freiwillige Euthanasie – in einigen nationalen Regelungen legitimiert – aufgeworfen werden, mit besonderem Bezug auf diejenigen, die in Krankenhäusern (auch den katholischen) tätig sind oder dorthin eingeliefert werden. Aber der geistliche Beistand und die unter bestimmten Umständen und in besonderen Kontexten, bezüglich der Feier der Sakramente für diejenigen, die ihr Leben beenden wollen, aufkommenden Zweifel erfordern heute ein klareres und genaueres Eingreifen der Kirche, um:
- die Botschaft des Evangeliums und seine Äußerungen als die vom Lehramt vorgelegten lehrmäßigen Grundlagen zu bekräftigen und dabei an die Sendung derjenigen zu erinnern, die in den kritischen Phasen und in der Endphase des Lebens mit den Kranken im Kontakt stehen (die Familienangehörigen oder die gesetzlichen Betreuer, Krankenhausseelsorger, außerordentliche Kommunionspender und pastorale Mitarbeiter, Freiwillige im Krankenhaus und medizinisches Personal), sowie der Kranken selbst;
- präzise und konkrete pastorale Leitlinien zu liefern, damit man auf lokaler Ebene diesen komplexen Situationen begegnen und sie bewältigen kann, um die persönliche Begegnung des Patienten mit der barmherzigen Liebe Gottes zu fördern.
I. Sich des Nächsten annehmen
Es ist schwierig, den tiefen Wert des menschlichen Lebens anzuerkennen, wenn es uns trotz aller Hilfsbemühungen weiterhin in seiner Schwäche und Gebrechlichkeit begegnet. Das Leiden, weit davon entfernt, vom existentiellen Horizont der Person beseitigt zu sein, erzeugt bleibend eine unerschöpfliche Frage nach dem Sinn des Lebens.<ref> Vgl. II. Ökumenisches Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes (7. Dezember 1965), Nr. 10: AAS 58 (1966), S. 1032-1033.</ref> Die Lösung dieser dramatischen Frage kann niemals nur im Licht des menschlichen Denkens angeboten werden, denn Leiden enthält die Größe eines bestimmten Geheimnisses, das nur Gottes Offenbarung aufdecken kann.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 4: AAS 76 (1984), S. 203.</ref> Insbesondere wird jedem Mitarbeiter im Gesundheitswesen die Mission des treuen Hütens des menschlichen Lebens bis zu seiner natürlichen Vollendung anvertraut,<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 144.</ref> und zwar durch einen Weg der Fürsorge, die in der Lage ist, in jedem Patienten den tiefen Sinn seiner Existenz wiederzubeleben, wenn sie von Leid und Krankheit geprägt wird. Daher erscheint es als notwendig, mit einer sorgfältigen Betrachtung der richtigen Bedeutung der Fürsorge zu beginnen, um den Sinn der spezifischen Mission zu verstehen, die Gott jedem Menschen, dem im Gesundheitsdienst Tätigen und dem pastoralen Mitarbeiter sowie dem Kranken selbst und seiner Familie, anvertraut hat.
Die Erfahrung der medizinischen Fürsorge geht von jenem menschlichen Zustand, von Endlichkeit und Begrenzung gekennzeichnet, aus, welcher die Verletzlichkeit ist. In Bezug auf die Person schreibt sich die letztere in die Gebrechlichkeit unseres Seins ein, zugleich „Körper“, also materiell und zeitlich endlich, und „Seele“, also Verlangen nach Unendlichkeit und Bestimmung für die Ewigkeit. Unser Sein als „endliche“ Geschöpfe, die doch für die Ewigkeit bestimmt sind, offenbart sowohl unsere Abhängigkeit von materiellen Gütern und von der gegenseitigen Hilfe der Menschen als auch unsere ursprüngliche und tiefe Bindung an Gott. Diese Verletzlichkeit legt das Fundament für die Ethik der Fürsorge, insbesondere im Bereich der Medizin, die verstanden wird als Dienst, als Zuwendung, als Anteilnahme und als Verantwortung gegenüber den Frauen und Männern, die uns anvertraut sind, weil sie physische und spirituelle Hilfe benötigen.
Insbesondere offenbart die fürsorgliche Beziehung einen Grundsatz der Gerechtigkeit in ihrer doppelten Dimension der Förderung des menschlichen Lebens (suum cuique tribuere) und des Nichtschädigens der Person (alterum non laedere): das gleiche Prinzip, das Jesus in die positive Fassung der goldenen Regel verwandelt – »Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!« (Mt 7, 12). Diese Regel findet in der traditionellen medizinischen Ethik ein Echo im Aphorismus primum non nocere.
Die Sorge für das Leben ist daher die erste Verantwortung, die der Arzt in der Begegnung mit dem Kranken erfährt. Sie ist nicht auf die Fähigkeit, die Kranken zu heilen, reduziert, da ihr anthropologischer und moralischer Horizont breiter ist: Selbst wenn Heilung unmöglich oder unwahrscheinlich ist, ist die medizinisch-pflegerische Begleitung (Sorge um die wesentlichen physiologischen Funktionen des Körpers) sowie die psychologische und spirituelle Begleitung eine unausweichliche Pflicht, da das Gegenteil ein unmenschliches Verlassen des Kranken darstellen würde. Die Medizin, die sich vieler Wissenschaften bedient, besitzt in der Tat auch eine wichtige Dimension der „therapeutischen Kunst“, die eine enge Beziehung zwischen Patienten, Gesundheitsdiensten, Familienangehörigen und Mitgliedern verschiedener Gemeinschaften, denen der Kranke angehört, impliziert. Therapeutische Kunst, klinische Handlungen und Pflege sind in der medizinischen Praxis, insbesondere in den kritischen Phasen und in der Endphase des Lebens, unlösbar vereint.
Der barmherzige Samariter »macht sich [tatsächlich] nicht nur zum Nächsten, sondern er sorgt sich um jenen Menschen, den er halb tot am Straßenrand sieht«.<ref> Franziskus, Botschaft zum 48. Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel (24. Januar 2014): AAS 106 (2014), S. 114.</ref> Er investiert in ihn nicht nur das Geld, das er hat, sondern auch das, das er nicht hat und das er in Jericho verdienen möchte, und verspricht, dass er bei seiner Rückkehr bezahlen wird. So lädt uns Christus ein, auf seine unsichtbare Gnade zu vertrauen, und fordert Großzügigkeit gemäß übernatürlicher Nächstenliebe, indem er sich mit jedem Kranken identifiziert: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25, 40). Die Aussage Jesu ist eine universelle moralische Wahrheit: »Es geht also darum, sich des ganzen Lebens und des Lebens aller „anzunehmen“«,<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 87: AAS 87 (1995), S. 500.</ref> um die ursprüngliche und bedingungslose Liebe Gottes zu offenbaren, die Sinnquelle jedes Lebens.
Zu diesem Zweck ist es insbesondere in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die von christlichen Werten inspiriert sind, mehr denn je notwendig, sich auch spirituell darum zu bemühen, Raum für eine Beziehung ausgehend von der Anerkennung der Gebrechlichkeit und Verletzlichkeit der kranken Person zu lassen. In der Tat erinnert uns die Schwäche an unsere Abhängigkeit von Gott und sie lädt uns ein, mit gebührendem Respekt dem Nächsten zu antworten. Daher kommt die moralische Verantwortung, die mit dem Bewusstsein jeder Person, welche sich um den Patienten kümmert (Arzt, Krankenpfleger, Familienmitglied, Freiwilliger, geistlicher Hirte), verbunden ist, mit einem grundlegenden und unveräußerlichen Gut konfrontiert zu werden – der menschlichen Person –, einem Gut, das die Unfähigkeit erfordert, die Grenze zu überschreiten, innerhalb deren sich selbst und dem anderen Respekt entgegengebracht wird. Es ist die Annahme, der Schutz und die Förderung des menschlichen Lebens bis zum natürlichen Todeseintritt. In diesem Sinne geht es darum, eine kontemplative Sichtweise<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enz. Centesimus annus (1. Mai 1991), Nr. 37: AAS 83 (1991), S. 840.</ref> zu haben, die es versteht, in der eigenen Existenz und der der anderen ein einzigartiges und unwiederholbares Wunder zu erfassen, das als Geschenk empfangen und angenommen wird. Es ist die Sichtweise derer, die nicht beanspruchen, die Realität des Lebens in Besitz zu nehmen, sondern sie so anzunehmen wissen, wie sie ist – mit ihren Bemühungen und ihren Leiden –, indem sie versuchen, in der Krankheit einen Sinn zu erkennen, von dem aus sie sich hinterfragen und „führen“ lassen, im Vertrauen derer, die sich dem sich darin zeigenden Herrn des Lebens überlassen.
Natürlich muss die Medizin die Todesgrenze als Teil der menschlichen Verfassung akzeptieren. Es kommt eine Zeit, in der nur die Unmöglichkeit anzuerkennen ist, spezifische Behandlungsweisen einer Krankheit vorzunehmen, die sich in kurzer Zeit als tödlich erweist. Es ist eine dramatische Tatsache, die dem Patienten mit großer Menschlichkeit und auch mit vertrauensvoller Offenheit für die übernatürliche Perspektive mitgeteilt werden muss, im Bewusstsein der Angst, die der Tod erzeugt, insbesondere in einer Kultur, die ihn verbirgt. Tatsächlich kann man sich das physische Leben nicht als etwas vorstellen, das um jeden Preis erhalten werden muss – was unmöglich ist –, sondern als etwas, das gelebt werden soll, indem man zur freien Akzeptanz des Sinns der leiblichen Existenz kommt: »[N]ur in bezug auf die menschliche Person in ihrer „geeinten Ganzheit“, das heißt „als Seele, die sich im Leib ausdrückt, und als Leib, der von einem unsterblichen Geist durchlebt wird“, [kann man] die spezifisch menschliche Bedeutung des Leibes erfassen«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 50: AAS 85 (1993), S. 1173.</ref>
Die Unmöglichkeit der Heilung in der Perspektive des herannahenden Todes anzuerkennen, bedeutet jedoch nicht das Ende des medizinischen und pflegerischen Handelns. Verantwortung gegenüber der kranken Person auszuüben, heißt, die Sorge für sie bis zum Ende zu gewährleisten: »wenn möglich, zu heilen, aber immer Sorge zu tragen (to cure if possible, always to care)«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Fachkongresses zum Thema »Lebenserhaltende Behandlungen und vegetativer Zustand: wissenschaftliche Fortschritte und ethische Dilemmata« (20. März 2004), Nr. 7: AAS 96 (2004), S. 489.</ref> Diese Absicht, für den Patienten immer zu sorgen, bietet das Kriterium für die Bewertung der verschiedenen Maßnahmen, die in der Situation der „unheilbaren“ Krankheit zu ergreifen sind: Unheilbar ist in der Tat niemals gleichbedeutend mit „unbehandelbar“. Der kontemplative Blick lädt zur Erweiterung des Begriffs der Fürsorge ein. Die Zielsetzung des Beistands muss sich auf die Integrität der Person richten und mit geeigneten und notwendigen Mitteln die physische, psychische, soziale, familiäre und religiöse Betreuung gewährleisten. Der lebendige Glaube, der in den Seelen von Umstehenden aufrechterhalten wird, kann zum echten gottbezogenen Leben beim Kranken beitragen, auch wenn dies nicht sofort sichtbar ist. Die pastorale Sorge aller: Familienmitglieder, Ärzte, Krankenpfleger und Krankenhausseelsorger, kann dem Patienten helfen, in der heiligmachenden Gnade auszuharren und in der Nächstenliebe, in der Liebe Gottes zu sterben. In der Tat, gegenüber der Unvermeidlichkeit der Krankheit, insbesondere, wenn sie chronisch und degenerativ ist, wenn der Glaube fehlt, sind die Angst vor Leiden und Tod und das daraus resultierende Unbehagen heutzutage die Hauptursachen für den Versuch, die Ankunft des Todes zu kontrollieren und zu bewältigen, selbst wenn man sie mit der Bitte um Eutanasie oder assistierten Suizid antizipiert.
II. Die lebendige Erfahrung des leidenden Christus und die Verkündigung der Hoffnung
Wenn die Gestalt des barmherzigen Samariters ein neues Licht auf die Praxis der Fürsorge wirft, sind die lebendige Erfahrung des leidenden Christus, seiner Qual am Kreuz und seiner Auferstehung die Orte, an denen sich die Nähe des menschgewordenen Gottes zu den vielfältigen Formen von Angst und Schmerz zeigt, welche während der langen Krankheitstage und am Ende des Lebens die Kranken und ihre Familienangehörigen treffen können.
Nicht nur die Person Christi wird durch die Worte des Propheten Jesaja als ein Mann angekündigt, dem Schmerz und Leiden vertraut sind (vgl. Jes 53). Wenn wir die Seiten über die Passion Christi noch einmal lesen, finden wir dort vielmehr die Erfahrung von Unverständnis, Spott, Verlassenheit, körperlichem Schmerz und Angst. Dies sind Erfahrungen, die heute viele Kranke treffen, die oft als Belastung für die Gesellschaft angesehen werden. Manchmal in ihren Fragen nicht verstanden, erleben sie oft Formen emotionaler Verlassenheit und Bindungsverlustes.
Jeder Kranke hat nicht nur das Bedürfnis angehört zu werden, sondern auch zu verstehen, dass sein Gesprächspartner „weiß“, was es bedeutet, sich allein, verlassen und verängstigt zu fühlen, angesichts der Todesaussicht, des leiblichen Schmerzes und des Leidens. Dieses entsteht, wenn der Blick der Gesellschaft den Wert des Patienten nach Kriterien der Lebensqualität misst und ihm das Gefühl gibt, Belastung für Projekte anderer zu sein. Deshalb bedeutet, den Blick auf Christus zu richten, zu wissen, denjenigen anrufen zu können, der in seinem Fleisch den Schmerz der Peitschenhiebe und der Nägel, den Spott der Geißelnden, das Verlassensein und den Verrat durch die liebsten Freunde erfahren hat.
Angesichts der Herausforderung der Krankheit und beim Vorhandensein emotionaler und spiritueller Schwierigkeiten bei demjenigen, der die Erfahrung von Schmerzen durchmacht, entsteht unaufhaltsam das Bedürfnis, ein Wort des Trostes zu sagen, das aus dem hoffnungsvollen Mitgefühl Jesu am Kreuz hervorgeht: eine glaubwürdige Hoffnung, die von Christus am Kreuz bekannt wurde und in der Lage ist, sich dem Moment der Prüfung, der Herausforderung des Todes, zu stellen. Im Kreuz Christi – wie in der Liturgie am Karfreitag gesungen: Ave crux, spes unica – werden alle Übel und Leiden der Welt konzentriert und zusammengefasst. Alles physische Übel, dessen Kennzeichen das Kreuz als Instrument des infamen und schändlichen Todes ist; alles psychische Übel, ausgedrückt im Tod Jesu in dunkelster Einsamkeit, Verlassenheit und Verrat; alles moralische Übel, das sich im Todesurteil des Unschuldigen manifestiert; alles spirituelle Übel, offensichtlich in der Trostlosigkeit, welche die Stille Gottes wahrnehmen lässt.
Christus ist derjenige, der um sich herum die schmerzliche Bestürzung der Mutter und der Jünger gefühlt hat, welche unter dem Kreuz „stehen“: In diesem ihren „Stehen“, anscheinend voller Ohnmacht und Resignation, liegt die ganze affektive Nähe, die dem menschgewordenen Gott erlaubt, auch jene Stunden zu leben, die sinnlos erscheinen.
Dann gibt es das Kreuz: in der Tat ein Folter- und Hinrichtungsinstrument, das nur den Letzten vorbehalten ist und das in seinem symbolischen Inhalt den Krankheiten ähnelt, die an ein Bett annageln, nur den Tod vorwegnehmen sowie der Zeit und ihrem Fluss den Sinn zu nehmen scheinen. Und doch sind diejenigen, die um den Kranken „stehen“, nicht nur Zeugen, sondern auch ein lebendiges Zeichen jener Affekte, jener Bindungen, jener innigen Verfügbarkeit für die Liebe, die es dem Leidenden ermöglichen, einen menschlichen, auf sich selbst gerichteten Blick zu finden, der in der Lage ist, der Zeit der Krankheit ihren Sinn wiederzugeben. Denn in der Erfahrung, sich geliebt zu fühlen, findet alles Leben seine Rechtfertigung. Christus wurde auf dem Weg seiner Leidenschaft immer durch das zuversichtliche Vertrauen in die Liebe des Vaters getragen, die sich in den Stunden des Kreuzes auch durch die Liebe der Mutter zeigte. Denn die Liebe Gottes wird in der Geschichte der Menschen immer dank der Liebe dessen offenbar, der uns nicht verlässt und trotz allem an unserer Seite „steht“.
Wenn wir über das Lebensende der Menschen nachdenken, dürfen wir nicht vergessen, dass in ihnen die Sorge um diejenigen wohnt, die sie verlassen: um die Kinder, den Ehepartner, die Eltern, die Freunde. Es ist eine menschliche Komponente, die wir niemals vernachlässigen dürfen und bei der wir Unterstützung und Hilfe anbieten müssen.
Es ist die gleiche Sorge von Christus, der vor seinem Tod an die Mutter denkt, die allein bleiben wird, und zwar mit einem inneren Schmerz, den sie in der Geschichte wird tragen müssen. In der trockenen Chronik des Johannesevangeliums ist es die Mutter, an die sich Christus wendet, um sie zu beruhigen und sie dem geliebten Jünger anzuvertrauen, damit er sich um sie kümmert: »Mutter, hier ist dein Sohn« (vgl. Joh 19, 26-27). Die Zeit am Lebensende ist eine Zeit von Beziehungen, eine Zeit, in der Einsamkeit und Verlassenheit besiegt werden müssen (vgl. Mt 27, 46 und Mk 15, 34), angesichts der vertrauensvollen Übergabe des eigenen Lebens an Gott (vgl. Lk 23, 46).
In dieser Perspektive bedeutet das Betrachten des Gekreuzigten eine Chor-Szene zu sehen, in der Christus im Mittelpunkt steht, weil er in seinem eigenen Fleisch die dunkelsten Stunden menschlicher Erfahrung zusammenfasst und wirklich verwandelt. Es sind jene Stunden, in denen die Möglichkeit der Verzweiflung schweigend einfällt. Das Licht des Glaubens ermöglicht es uns, in dieser plastischen und dürftigen Beschreibung, welche die Evangelien uns liefern, die Trinitarische Präsenz zu erfassen. Denn Christus vertraut auf den Vater dank des Heiligen Geistes, der die Mutter und die Jünger trägt, welche „stehen“, und in diesem ihren „Stehen“ neben dem Kreuz beteiligen sie sich mit ihrer menschlichen Hingabe an den Leidenden am Geheimnis der Erlösung.
So kann der Tod, obwohl er von einem schmerzhaften Hinscheiden geprägt ist, zu einem Anlass für größere Hoffnung werden, gerade dank des Glaubens, der uns am Erlösungswerk Christi teilnehmen lässt. Tatsächlich ist der Schmerz nur dort existenziell erträglich, wo Hoffnung besteht. Die Hoffnung, die Christus dem Leidenden und Kranken überträgt, ist die seiner Gegenwart, seiner wirklichen Nähe. Die Hoffnung ist nicht nur eine Erwartung der besseren Zukunft, sondern ein Blick auf die Gegenwart, der ihr Bedeutung gibt. Im christlichen Glauben offenbart das Ereignis der Auferstehung nicht nur das ewige Leben, sondern zeigt auch, dass das letzte Wort in der Geschichte niemals Tod, Schmerz, Verrat, Böses ist. Christus ersteht in der Geschichte und im Geheimnis der Auferstehung gibt es die Bestätigung der Liebe des Vaters, der uns niemals verlässt.
Das erneute Lesen der lebendigen Erfahrung des leidenden Christus bedeutet also, auch den heutigen Menschen eine Hoffnung zu verleihen, die der Zeit von Krankheit und Tod einen Sinn geben kann. Diese Hoffnung ist die Liebe, die der Versuchung der Verzweiflung widersteht.
So wichtig und wertvoll sie auch sind, reichen die palliativen Behandlungsmethoden nicht aus, wenn niemand neben dem Patienten „steht“ und ihm seinen einzigartigen und unwiederholbaren Wert bezeugt. Für den Gläubigen bedeutet das Betrachten des Gekreuzigten auf das Verständnis und die Liebe Gottes zu vertrauen. In einer historischen Epoche, in der die Autonomie verherrlicht und die Pracht des Individuums gefeiert wird, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass, auch wenn es wahr ist, dass jeder das eigene Leiden, den eigenen Schmerz und den eigenen Tod erlebt, diese Erlebnisse immer vom Blick und der Gegenwart anderer begleitet sind. Um das Kreuz herum gibt es auch die Funktionäre des römischen Staates, es gibt die Neugierigen, es gibt die Abgelenkten, es gibt die Gleichgültigen und Entrüsteten. Sie sind unter dem Kreuz, aber sie „stehen“ nicht beim Gekreuzigten.
Auf Intensivstationen oder in Pflegeheimen für chronisch Kranke kann man als Funktionär oder als Person anwesend sein, die beim Patienten „steht“.
Die Erfahrung des Kreuzes ermöglicht es auf diese Weise, dem Leidenden einen glaubwürdigen Gesprächspartner anzubieten, an den er ein Wort, einen Gedanken richten kann und dem er seine Angst und Furcht übergeben kann. Denjenigen, die sich um die Kranken kümmern, bietet die Szene des Kreuzes ein zusätzliches Element für das Verständnis, dass noch viel zu tun ist, selbst wenn es so aussieht, als gäbe es nichts mehr zu tun, weil das „Stehen“ eines der Zeichen der Liebe und der Hoffnung ist, die es in sich trägt. Die Ankündigung des Lebens nach dem Tod ist weder Illusion noch Vertröstung, sondern eine Gewissheit, die sich im Zentrum der Liebe befindet und mit dem Tod nicht vergeht.
III. Das »sehende Herz« des Samariters: Das menschliche Leben ist ein heiliges und unantastbares Geschenk
Unabhängig von seiner körperlichen oder geistigen Verfassung behält der Mensch seine ursprüngliche Würde bei, nach dem Bilde Gottes geschaffen zu sein. Er kann im göttlichen Glanz leben und wachsen, weil er berufen ist, »Abbild und Abglanz Gottes« zu sein (1 Kor 11, 7; 2 Kor 3, 18). Seine Würde liegt in dieser Berufung. Gott ist Mensch geworden, um uns zu retten, indem er uns Erlösung versprach und uns zur Gemeinschaft mit ihm bestimmt hat: Hier liegt das letzte Fundament der Menschenwürde.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Placuit Deo (22. Februar 2018), Nr. 6: AAS 110 (2018), S. 430.</ref>
Es ist der Kirche eigen, die Schwächsten auf ihrem schmerzhaften Weg mit Barmherzigkeit zu begleiten, um das göttliche Leben in ihnen aufrechtzuerhalten und sie zum Heil Gottes zu führen.<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 9.</ref> Es ist die Kirche des barmherzigen Samariters,<ref> Vgl. Paul VI., Ansprache in der letzten öffentlichen Konzilssitzung (7. Dezember 1965): AAS 58 (1966), S. 55-56.</ref> die »den Dienst an den Kranken als integralen Bestandteil ihrer Mission betrachtet«.<ref> Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 9.</ref> Das Verständnis dieser Heilsmittlung der Kirche, in einer Perspektive der Gemeinschaft und Solidarität unter den Menschen, ist eine wesentliche Hilfe, um jedwede reduktionistische und individualistische Tendenz zu überwinden.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Placuit Deo (22. Februar 2018), Nr. 12: AAS 110 (2018), S. 433-434.</ref>
Insbesondere das Programm des barmherzigen Samariters ist »ein Herz, das sieht«. Er »lehrt, dass es notwendig ist, den Blick des Herzens umzukehren, weil der Betrachter oft nicht sieht. Warum? Weil das Mitgefühl fehlt. [...] Ohne Mitgefühl bleibt der Betrachter nicht in das verwickelt, was er beobachtet und geht weiter. Dagegen wer ein mitfühlendes Herz hat, wird berührt und miteinbezogen, er hält an und kümmert sich«.<ref> Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre (30. Januar 2020): L’Osservatore Romano, 31. Januar 2020, S. 7.</ref> Dieses Herz sieht, wo Liebe gebraucht wird und handelt entsprechend.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Deus caritas est (25. Dezember 2005), Nr. 31: AAS 98 (2006), S. 245.</ref> Die Augen nehmen in der Schwäche einen Ruf Gottes wahr zu handeln, indem man im menschlichen Leben das erste Gemeingut der Gesellschaft anerkennt.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Caritas in veritate (29. Juni 2009), Nr. 76: AAS 101 (2009), S. 707.</ref> Das menschliche Leben ist ein heiliges und unantastbares Geschenk,<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 49: AAS 87 (1995), S. 455: »[D]e[r] eigentliche[…] und tiefste[…] Sinn des Lebens […]: nämlich eine Gabe zu sein, die sich in der Hingabe erfüllt«.</ref> und jeder von Gott geschaffene Mensch hat eine transzendente Berufung und eine einzigartige Beziehung zu dem, der das Leben gibt. Denn »Gott, der in seiner großen Liebe unsichtbar«<ref> II. Ökumenisches Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum (8. November 1965), Nr. 2: AAS 58 (1966), S. 818.</ref> ist, bietet jedem Menschen einen Erlösungsplan an, damit dieser sagen kann: »Das Leben ist immer ein Gut. Das ist eine intuitive Ahnung oder sogar eine Erfahrungstatsache, deren tiefen Grund zu erfassen der Mensch berufen ist«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 34: AAS 87 (1995), S. 438.</ref> Aus diesem Grund ist die Kirche immer gerne bereit, mit allen Menschen guten Willens, mit Gläubigen anderer Konfessionen oder Religionen sowie mit Nichtgläubigen zusammenzuarbeiten, welche die Würde des menschlichen Lebens, auch in seinen extremen Phasen des Leidens und Todes respektieren und jegliche Handlung gegen dieses Leben ablehnen.<ref> Vgl. Gemeinsame Erklärung der Abrahamitischen Monotheistischen Religionen über die Problematik des Lebensendes, Città del Vaticano, 28.10.2019: »Wir lehnen jede Form der Euthanasie ab, die ein direkter, vorsätzlicher und absichtlicher Akt des Lebensentzugs ist – sowie medizinische Suizidbeihilfe, die eine direkte, vorsätzliche und absichtliche Unterstützung des Suizids darstellt –, die völlig im Widerspruch zum Wert des menschlichen Lebens stehende Akte und daher folglich sowohl aus moralischer als auch aus religiöser Sicht falsche Handlungen sind, die ausnahmslos verboten werden sollten«.</ref> Tatsächlich bietet Gott der Schöpfer dem Menschen das Leben und seine Würde als kostbares Geschenk an, das geschützt und vermehrt werden soll und über das man letztendlich vor ihm Rechenschaft ablegt.
Die Kirche bekräftigt den positiven Sinn des menschlichen Lebens als einen Wert, der bereits durch die rechte Vernunft wahrgenommen werden kann, und den das Licht des Glaubens bestätigt und in seiner unveräußerlichen Würde zur Geltung kommen lässt.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der Vereinigung der katholischen Ärzte Italiens aus Anlass des 70-jährigen Bestehens (15. November 2014): AAS 106 (2014), S. 976.</ref> Es ist kein subjektives oder willkürliches Kriterium; vielmehr handelt es sich um ein Kriterium, das auf der natürlichen unantastbaren Würde gründet – insofern als das Leben das erste Gut ausmacht, weil es eine Bedingung für den Genuss jedes anderen Gutes ist – und auf der transzendenten Berufung jedes menschlichen Lebewesens beruht, das dazu berufen ist, die trinitarische Liebe des lebendigen Gottes zu teilen:<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 1; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Dignitas personae (8. September 2008), Nr. 8: AAS 100 (2008), S. 863.</ref> »Die ganz besondere Liebe, die der Schöpfer zu jedem Menschen hat, „verleiht ihm eine unendliche Würde“«.<ref> Franziskus, Enz. Laudato si’ (24. Mai 2015), Nr. 65: AAS 107 (2015), S. 873.</ref> Der unantastbare Wert des Lebens ist eine grundlegende Wahrheit des natürlichen Sittengesetzes und eine wesentliche Grundlage der Rechtsordnung. So wie es nicht akzeptiert werden kann, dass ein anderer Mensch unser Sklave ist, auch wenn er uns darum bitten würde, können wir uns ebenfalls nicht direkt dafür entscheiden, gegen das Leben eines menschlichen Lebewesens vorzugehen, selbst wenn er es von uns verlangt. Einen Kranken zu töten, der um Euthanasie bittet, bedeutet daher keineswegs, seine Autonomie anzuerkennen und zur Geltung kommen zu lassen, sondern im Gegenteil, den Wert seiner Freiheit, die stark von Krankheit und Schmerz bedingt ist, und den Wert seines Lebens zu verkennen, und ihm jede weitere Möglichkeit einer menschlichen Beziehung, des Existenzsinnes und des Wachstums im Leben auf Gott hin zu verweigern. Darüber hinaus wird der Moment des Todes anstelle von Gott entschieden. Aus diesem Grund sind »Abtreibung, Sterbehilfe und freiwilliger Selbstmord selbst (...) eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers«.<ref> II. Ökumenisches Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes (7. Dezember 1965), Nr. 27: AAS 58 (1966), S. 1047-1048.</ref>
IV. Die kulturellen Hindernisse, die den heiligen Wert jedes menschlichen Lebens verschleiern
Einige Faktoren schränken heutzutage die Fähigkeit ein, den tiefgreifenden und inneren Wert jedes menschlichen Lebens zu erfassen. Der erste ist der Hinweis auf eine zweideutige Verwendung des Konzepts des „würdigen Todes“ im Zusammenhang mit dem der „Lebensqualität“. Hier taucht eine utilitaristische anthropologische Perspektive auf, die »vor allem an die finanziellen Möglichkeiten, an das „Wohlergehen“, an Schönheit und Genuss des physischen Lebens gebunden [ist], wobei andere, tiefere Dimensionen des Lebens – geistliche und religiöse Aspekte sowie die Beziehungsebene – vergessen werden«.<ref> Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der Vereinigung der katholischen Ärzte Italiens aus Anlass des 70-jährigen Bestehens (15. November 2014): AAS 106 (2014), S. 976.</ref> Aufgrund dieses Prinzips wird das Leben nur dann als würdig angesehen, wenn es nach Einschätzung des Subjekts selbst oder Dritter ein akzeptables Qualitätsniveau in Bezug auf das Vorhandensein beziehungsweise Fehlen bestimmter psychischer oder physischer Funktionen aufweist oder es wird häufig sogar mit der bloßen Anwesenheit einer psychischen Belastung identifiziert. Nach diesem Ansatz verdient das Leben nicht, fortgesetzt zu werden, wenn die Lebensqualität als niedrig erscheint. Somit wird jedoch nicht mehr anerkannt, dass menschliches Leben einen Wert an sich hat.
Ein zweites Hindernis, das die Wahrnehmung der Heiligkeit des menschlichen Lebens verschleiert, ist ein falsches Verständnis von »Mitgefühl«.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an den Italienischen Verband der Ärzte- und Zahnärztekammer (20. September 2019): L’Osservatore Romano, 21. September 2019, S. 8: »Dies sind übereilte Vorgehensweisen angesichts von Entscheidungen, die nicht, wie es scheinen könnte, Ausdruck der Freiheit der Person sind, wenn sie die Auslöschung des Kranken als Möglichkeit einschließen oder falsches Mitgefühl angesichts der Bitte um Hilfe zu einem frühen Tod beinhalten«.</ref> Angesichts des als „unerträglich“ eingestuften Leidens, wird das Ende des Lebens des Patienten im Namen des „Mitgefühls“ gerechtfertigt. Um nicht zu leiden, ist es besser zu sterben: Es ist die sogenannte „mitfühlende“ Euthanasie. Es sei mitfühlend, dem Patienten zu helfen, durch Euthanasie oder assistierten Suizid zu sterben. In Wirklichkeit besteht menschliches Mitgefühl nicht darin, den Tod zu verursachen, sondern darin, den Patienten anzunehmen, ihn in Schwierigkeiten zu unterstützen, ihm Zuneigung, Aufmerksamkeit und die Mittel zur Linderung des Leidens anzubieten.
Der dritte Faktor, der es schwierig macht, den Wert des eigenen Lebens und des der anderen in zwischenmenschlichen Beziehungen anzuerkennen, ist ein wachsender Individualismus, der dazu führt, andere als Begrenzung und Bedrohung für die eigene Freiheit zu betrachten. An der Wurzel einer solchen Haltung liegt »ein Neo-Pelagianismus, gemäß dem das radikal autonome Individuum vorgibt, sich selbst zu erlösen, ohne anzuerkennen, dass es im Tiefsten seines Seins von Gott und von den anderen abhängig ist […]. Eine Art von Neo-Gnostizismus propagiert seinerseits ein rein innerliches, im Subjektivismus eingeschlossenes Heil«,<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Placuit Deo (22. Februar 2018), Nr. 3: AAS 110 (2018), S. 428-429; vgl. Franziskus, Enz. Laudato si’ (24. Mai 2015), Nr. 162: AAS 107 (2015), S. 912.</ref> der die Befreiung des Menschen von den Grenzen seines Körpers wünscht, vor allem wenn er zerbrechlich und krank ist.
Insbesondere findet sich der Individualismus an der Wurzel dessen, was als die latenteste Krankheit unserer Zeit gilt: die Einsamkeit,<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Caritas in veritate (29. Juni 2009), Nr. 53: AAS 101 (2009), S. 688: »Eine der schlimmsten Arten von Armut, die der Mensch erfahren kann, ist die Einsamkeit. Genau betrachtet haben auch die anderen Arten von Armut, einschließlich der materiellen Armut, ihren Ursprung in der Isolation, im Nicht-geliebt-Sein oder in der Schwierigkeit zu lieben«.</ref> die in einigen normativen Kontexten sogar als „Recht auf Einsamkeit“ thematisiert wird, ausgehend von der Autonomie des Menschen und dem Prinzip von „Erlaubnis-Zustimmung“: eine Erlaubnis-Zustimmung, die sich unter bestimmten Bedingungen von Unwohlsein oder Krankheit bis zur Entscheidung erstrecken kann, weiterzuleben oder auch nicht. Es ist dasselbe „Recht“, das der Euthanasie und dem assistierten Suizid zugrunde liegt. Die Grundidee ist, dass diejenigen, die sich in einem Zustand der Abhängigkeit befinden und der vollständigen Autonomie und Reziprozität entbehren, tatsächlich im Sinne einer Gunst (favor) versorgt werden. Das Konzept des Guten wird somit auf das Ergebnis einer sozialen Vereinbarung reduziert: Jeder erhält die Fürsorge und Hilfe, welche die Autonomie oder sozialer und wirtschaftlicher Nutzen möglich oder angemessen machen. Daraus ergibt sich eine Verarmung zwischenmenschlicher Beziehungen, die zerbrechlich werden, der übernatürlichen Nächstenliebe sowie jener menschlichen Solidarität und jener sozialen Unterstützung entbehren, die so notwendig sind, um sich den schwierigsten existentiellen Momenten und Entscheidungen zu stellen.
Diese Art über menschliche Beziehungen und die Bedeutung des Guten nachzudenken, kommt nicht umhin, den Sinn des Lebens anzugreifen. Sie macht ihn leicht manipulierbar, auch durch Gesetze, die Euthanasiepraktiken legalisieren und den Tod der Kranken verursachen. Diese Handlungen verursachen eine starke Unempfindlichkeit gegenüber der Sorge für die kranke Person und entstellen die Beziehungen. Unter solchen Umständen treten manchmal unbegründete Dilemmata in Bezug auf die Moralität von Handlungen auf, die in Wirklichkeit nur auf einfache Pflege der Person zurückzuführen sind, wie Wasserversorgung und Ernährung eines Kranken im Zustand der Bewusstlosigkeit ohne Aussicht auf Genesung.
In diesem Sinne sprach Papst Franziskus von »Wegwerfkultur«. <ref> Vgl. Franziskus, Ap. Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), Nr. 53: AAS 105 (2013), S. 1042; s. auch: Ders., Ansprache an die Delegation des Instituts »Dignitatis Humanae« (7. Dezember 2013): AAS 106 (2014), S. 14-15; Ders., Begegnung mit alten Menschen (28. September 2014): AAS 106 (2014), S. 759-760.</ref>
Die Opfer dieser Kultur sind gerade die zerbrechlichsten Menschen, die Gefahr laufen, von einem Räderwerk »weggeworfen« zu werden, das um jeden Preis effizient sein will. Es ist ein stark antisolidarisches Kulturphänomen, das Johannes Paul II. als »Kultur des Todes« bezeichnete und das authentische »Strukturen der Sünde« erzeugt.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 12: AAS 87 (1995), S. 414.</ref> Es kann zu falschen Handlungen an sich führen, nur, weil man sich bei ihrer Ausführung „wohl fühlt“, und es kann Verwirrung bzgl. Gut und Böse stiften, wobei jedes persönliche Leben dagegen einen einzigartigen und unwiederholbaren Wert hat, der immer vielversprechend und transzendenzoffen ist. In dieser Wegwerfkultur und Kultur des Todes erscheinen Euthanasie und assistierter Selbstmord als falsche Schlüssel, um Probleme in Bezug auf den todkranken Patienten zu lösen.
V. Die Verkündigung des Lehramtes
1. Das Verbot der Euthanasie und des assistierten Suizids
Im Rahmen ihrer Mission, den Gläubigen die Gnade des Erlösers und das heilige Gesetz Gottes zu vermitteln, das bereits in den Bestimmungen des natürlichen Sittengesetzes wahnehmbar ist, fühlt sich die Kirche verpflichtet, hier einzugreifen, um Unklarheiten in Bezug auf die Verkündigung des Lehramtes bzgl. Euthanasie und assistierten Suizids noch einmal auszuschließen, selbst in solchen Kontexten, in denen nationale Gesetze solche Praktiken legitimiert haben.
Insbesondere wirft die Verbreitung medizinischer Protokolle, die auf Situationen am Lebensende anwendbar sind, wie Do Not Resuscitate Order oder Physician Orders for Life Sustaining Treatment – mit all ihren Varianten in Abhängigkeit von nationalen Regelungen und Kontexten, die ursprünglich als Mittel zur Vermeidung des therapeutischen Übereifers in der Endphase des Lebens konzipiert wurden – heute ernsthafte Probleme in Bezug auf die Pflicht auf, das Leben von Patienten in den kritischsten Stadien der Krankheit zu schützen: Einerseits fühlen sich die Ärzte tatsächlich zunehmend an die Selbstbestimmung gebunden, welche die Patienten in diesen Erklärungen zum Ausdruck bringen, und welche bereits dazu führt, die Ärzte der Freiheit und der Pflicht zu berauben, zum Schutz des Lebens zu handeln, auch dort, wo sie dies tun könnten, andererseits wirkt in einigen Kontexten des Gesundheitswesens der inzwischen breit angeprangerte Missbrauch besorgniserregend, der beim Gebrauch solcher Protokolle in der Perspektive der Euthanasie zustande kommt, wenn weder Patienten noch umso weniger ihre Familien bei der radikalen Entscheidung konsultiert werden. Dies ist insbesondere in den Ländern der Fall, in denen die Gesetze zum Lebensende nach der Einführung der Praxis der Euthanasie viel Raum für Unklarheiten hinsichtlich der Anwendung der Fürsorgepflicht lassen.
Aus diesen Gründen ist die Kirche der Ansicht, dass sie als endgültige Lehre bekräftigen muss, dass die Euthanasie ein Verbrechen gegen das menschliche Leben ist, weil sich der Mensch mit dieser Handlung dazu entscheidet, den Tod eines anderen, unschuldigen menschlichen Lebewesens direkt herbeizuführen. Die Definition der Euthanasie geht nicht von der Abwägung der betreffenden Güter oder Werte aus, sondern von einem hinreichend festgelegten moralischen Objekt, das heißt von der Wahl »eine[r] Handlung oder Unterlassung […], die ihrer Natur nach oder aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden«.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS 72 (1980), S. 546.</ref> »Bei Euthanasie dreht es sich also wesentlich um den Vorsatz des Willens und um die Vorgehensweisen, die angewandt werden«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 475; vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS 72 (1980), S. 546.</ref> Ihre moralische Bewertung und die daraus resultierenden Konsequenzen hängen daher nicht von einem Ausgleich von Grundsätzen ab, die, je nach Umständen und Leiden des Patienten, nach Ansicht einiger, die Beseitigung der kranken Person rechtfertigen könnten. Lebenswert, Autonomie, Entscheidungsfähigkeit und Lebensqualität sind nicht auf dem gleichen Niveau.
Euthanasie ist daher eine in sich schlechte Handlung, bei jeder Gelegenheit oder unter allen Umständen. Die Kirche hat in der Vergangenheit bereits endgültig festgestellt, »dass die Euthanasie eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist. Diese Lehre gründet auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes, ist von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt. Eine solche Handlung setzt, je nach den Umständen, die Bosheit voraus, wie sie dem Selbstmord oder dem Mord eigen ist«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 477. Es ist eine definitiv vorgelegte Lehre, in der die Kirche ihre Unfehlbarkeit beansprucht: vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Lehrmäßiger Kommentar zur Schlussformel der Professio fidei (29. Juni 1998), Nr. 11: AAS 90 (1998), S. 550.</ref> Jedwede direkte formelle oder materielle Mitwirkung bei einer solchen Handlung ist eine schwere Sünde gegen das menschliche Leben: »Es kann ferner keine Autorität sie rechtmäßig anordnen oder zulassen. Denn es geht dabei um die Verletzung eines göttlichen Gesetzes, um eine Beleidigung der Würde der menschlichen Person, um ein Verbrechen gegen das Leben, um einen Anschlag gegen das Menschengeschlecht«.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS 72 (1980), S. 546.</ref> Die Euthanasie ist daher eine mörderische Handlung, die von keinem Zweck legitimiert werden kann und die keine Form von Mittäterschaft oder Mitwirkung toleriert, weder aktiv noch passiv. Diejenigen, die Gesetze über die Euthanasie und assistierten Suizid billigen, sind deswegen Mittäter der schweren Sünde, die andere begehen werden. Sie sind auch des Ärgernisses schuldig, weil diese Gesetze dazu beitragen, das Gewissen, selbst bei den Gläubigen, zu deformieren.<ref> Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2286.</ref>
Das Leben hat für jeden die gleiche Würde und den gleichen Wert: Der Respekt vor dem Leben des anderen ist der gleiche, den man seiner eigenen Existenz schuldet. Eine Person, die sich völlig frei dazu entscheidet, sich das Leben zu nehmen, bricht ihre Beziehung mit Gott und mit den anderen und verleugnet sich selbst als moralisches Subjekt. Der assistierte Suizid erhöht dessen Schwere, da er einen anderen an seiner Verzweiflung beteiligt und ihn dazu veranlasst, den Willen nicht auf das Geheimnis Gottes mittels der theologischen Tugend der Hoffnung zu richten, folglich den wahren Wert des Lebens nicht anzuerkennen, und den Bund zu brechen, den die menschliche Familie ausmacht. Dem Suizidenten Beihilfe zu leisten ist eine unrechtmäßige Mitwirkung bei einer unerlaubten Handlung, die der Beziehung zu Gott und der moralischen Beziehung widerspricht, welche die Menschen untereinander verbindet, damit sie die Gabe des Lebens teilen und am Sinn der eigenen Existenz teilnehmen.
Selbst wenn die Forderung nach Euthanasie aus Angst und Verzweiflung resultiert<ref> Vgl. ebd., Nrj, . 1735 und 2282.</ref> und, »obwohl in solchen Fällen die Schuld des Menschen vermindert sein oder gänzlich fehlen kann, so ändert doch der Irrtum im Urteil, dem das Gewissen vielleicht guten Glaubens unterliegt, nicht die Natur dieses todbringenden Aktes, der in sich selbst immer abzulehnen ist«.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS 72 (1980), S. 546.</ref> Gleiches gilt für den assistierten Suizid. Solche Praktiken sind niemals eine echte Hilfe für den Patienten, sondern eine Hilfe zum Sterben.
Es geht daher um eine immer falsche Entscheidung: »Medizinisches Personal und andere Angehörige der Gesundheitsberufe – der Aufgabe treu, „immer im Dienst des Lebens zu sein und es bis zum Ende zu unterstützen“ – dürfen sich nicht einmal auf Ersuchen des Betroffenen, und umso weniger seiner Verwandten, für die Durchführung jeglichen Euthanasieaktes zur Verfügung stellen. Tatsächlich gibt es kein Recht, willkürlich über das eigene Leben zu verfügen, so dass kein Mitarbeiter im Gesundheitswesen ein exekutiver Hüter eines nicht existierenden Rechtes werden kann«.<ref> Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 169.</ref>
Deshalb sind Euthanasie und assistierter Suizid eine Niederlage für diejenigen, die sie konzipieren, die sie beschliessen und die sie praktizieren.<ref> Vgl. ebd., Nr. 170.</ref>
Daher sind die Gesetze, die Euthanasie legalisieren oder Suizid und Suizidbeihilfe rechtfertigen, schwer ungerecht, und zwar wegen des falschen Rechts, einen irrtümlich als würdig definierten Tod zu wählen, der nur deshalb würdig sein soll, weil er gewählt ist.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 72: AAS 87 (1995), S. 484-485.</ref> Solche Gesetze wirken sich auf die Grundlagen der Rechtsordnung aus: das Recht auf Leben, das jedes andere Recht trägt, einschließlich der Ausübung der menschlichen Freiheit. Die Existenz dieser Gesetze verletzt tief die menschlichen Beziehungen und die Gerechtigkeit, und bedroht das gegenseitige Vertrauen zwischen den Menschen zutiefst. Die Rechtssysteme, die assistierten Selbstmord und Euthanasie legitimiert haben, zeigen außerdem eine offensichtliche Degeneration dieses sozialen Phänomens. Papst Franziskus erinnert daran, dass »der gegenwärtige soziokulturelle Kontext das Bewusstsein dafür, was das menschliche Leben wertvoll macht, zunehmend untergräbt. Tatsächlich wird es immer mehr auf der Grundlage seiner Effizienz und Nützlichkeit bewertet, bis zu dem Punkt, die Leben, die dieses Kriterium nicht erfüllen als „weggeworfene Leben“ oder „unwürdige Leben“ zu betrachten. In dieser Situation des Verlustes authentischer Werte schwinden auch die unausweichlichen Pflichten der Solidarität sowie der menschlichen und christlichen Brüderlichkeit. In Wirklichkeit verdient eine Gesellschaft den Status „zivilisiert“, wenn sie Antikörper gegen die Wegwerfkultur entwickelt, wenn sie den unantastbaren Wert des menschlichen Lebens anerkennt, wenn Solidarität als Grundlage des Zusammenlebens tatkräftig praktiziert und gewahrt wird«.<ref> Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre (30. Januar 2020): L’Osservatore Romano, 31. Januar 2020, S. 7.</ref> In einigen Ländern der Welt sind bereits Zehntausende Menschen an Euthanasie gestorben – viele von ihnen, weil sie über psychisches Leiden oder Depression klagten. Und häufig kommen die von den Ärzten selbst gemeldeten Missbräuche zur Beseitigung des Lebens von Menschen vor, die niemals von sich aus die Anwendung von Euthanasie gewünscht hätten. Tatsächlich ist die Forderung nach dem Tod in vielen Fällen ein Symptom der Krankheit selbst, das durch Isolation und Trostlosigkeit verstärkt wird. Die Kirche sieht diese Schwierigkeiten als Gelegenheit zur spirituellen Reinigung, welche die Hoffnung vertieft, so dass sie wirklich eine theologische Tugend wird – auf Gott und nur auf Gott fokussiert.
Anstatt einem falschen Entgegenkommen nachzugeben, muss der Christ eher dem Kranken die unverzichtbare Hilfe anbieten, um ihm aus seiner Verzweiflung zu helfen. Das Gebot »Du sollst nicht töten« (Ex 20, 13; Dtn 5, 17) ist in der Tat ein „Ja“zum Leben, zu dessen Garanten sich Gott bestimmt: Es »wird […] zum Aufruf zu einer fürsorglichen Liebe, die das Leben des Nächsten schützt und fördert«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Veritatis splendor (6. August 1993), Nr. 15: AAS 85 (1993), S. 1145.</ref> Der Christ weiß daher, dass das irdische Leben nicht den höchsten Wert darstellt. Die letzte Glückseligkeit ist im Himmel. So wird der Christ nicht beanspruchen, dass das physische Leben weitergeht, wenn der Tod offensichtlich nahe ist. Der Christ wird dem Sterbenden helfen, sich von der Verzweiflung zu befreien und seine Hoffnung auf Gott zu setzen.
Aus klinischer Sicht sind die Faktoren, welche die Forderung von Euthanasie und assistiertem Suizid am meisten bestimmen, folgende: nicht behandelte Schmerzen und Mangel an menschlicher und christlicher Hoffnung, der auch durch oft unangemessene menschliche, psychologische und spirituelle Betreuung seitens derjenigen, die für den Patienten Sorge tragen, hervorgerufen wird.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Spe salvi (30. November 2007), Nr. 36-37: AAS 99 (2007), S. 1014-1016.</ref>
Dies ist, was die Erfahrung bestätigt: »Man darf auch die flehentlichen Bitten von Schwerkranken, die für sich zuweilen den Tod verlangen, nicht als wirklichen Willen zur Euthanasie verstehen; denn fast immer handelt es sich um angstvolles Rufen nach Hilfe und Liebe. Über die Bemühungen der Ärzte hinaus hat der Kranke Liebe nötig, warme, menschliche und übernatürliche Zuneigung, die alle Nahestehenden, Eltern und Kinder, Ärzte und Pflegepersonen ihm schenken können und sollen«.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS 72 (1980), S. 546.</ref> Der Kranke, der sich von der liebevollen menschlichen und christlichen Präsenz umgeben erfährt, überwindet jede Form der Depression und gerät nicht in die Angst derer, die sich im Gegenteil allein und ihrem Schicksal des Leidens und des Todes überlassen fühlen.
Tatsächlich erlebt der Mensch Schmerz nicht nur als eine biologische Tatsache, die erträglich gemacht werden muss, sondern auch als das Geheimnis menschlicher Verletzlichkeit in Bezug auf das Ende des physischen Lebens – ein schwer zu akzeptierendes Ereignis, da die Einheit von Seele und Leib für den Menschen wesentlich ist.
Nur durch die Um-deutung des Todesereignisses selbst – und zwar durch die Öffnung eines Horizonts des ewigen Lebens in ihm, der die transzendente Zielsetzung eines jeden Menschen ankündigt – kann das „Lebensende“ auf eine Weise angegangen werden, die der Menschenwürde angemessen ist und die jenen Qualen und Leiden entspricht, die unvermeidlich das unmittelbare Gefühl des Endes erzeugen. In der Tat ist das »Leiden […] etwas noch viel Umfassenderes als die Krankheit; es ist noch vielschichtiger und zugleich noch tiefer im Menschsein selbst verwurzelt«.<ref> Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 5: AAS 76 (1984), S. 204.</ref> Und dieses Leiden kann mit Hilfe der Gnade von innen her mit göttlicher Liebe belebt werden, genau wie im Fall des Leidens Christi am Kreuz.
Deshalb müssen diejenigen, die einer unter chronischer Krankheit leidenden Person oder einer, die sich in der Endphase des Lebens befindet, Beistand leisten, fähig sein, „stehen zu bleiben“, mit denen zu wachen, die Todesangst erleiden, zu „trösten“, das heißt mit-sein in der Einsamkeit, eine Mit-Anwesenheit zu sein, die für die Hoffnung öffnet.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Spe salvi (30. November 2007), Nr. 38: AAS 99 (2007), S. 1016.</ref> Durch den Glauben und die Nächstenliebe, die in der Vertraulichkeit der Seele zum Ausdruck kommen, ist die beistehende Person tatsächlich fähig, den Schmerz des anderen zu leiden und sich einer persönlichen Beziehung mit dem Schwachen zu öffnen, die den Horizont des Lebens weit über das Todesereignis hinaus erweitert und so zu einer Präsenz voller Hoffnung wird.
»Weint mit den Weinenden«(Röm 12, 15), denn selig, die Mitgefühl haben, bis dahin, dass sie mit den anderen weinen (vgl. Mt 5, 4). In dieser Beziehung, die zur Möglichkeit der Liebe wird, füllt sich das Leiden mit Bedeutung durch das Teilen (con-divisione) eines menschlichen Zustands und durch die Solidarität auf dem Weg zu Gott, die diesen radikalen Bund zwischen den Menschen zum Ausdruck bringt,<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 29: AAS 76 (1984), S. 244: »Der Mensch als „Nächster“ kann im Namen der grundlegenden menschlichen Solidarität und erst recht im Namen der Nächstenliebe nicht gleichgültig am Leiden des anderen vorübergehen. Er muß „innehalten“, „Mitleid haben“ und handeln wie der Samariter im Gleichnis des Evangeliums. Das Gleichnis bringt eine zutiefst christliche, zugleich aber ganz allgemein menschliche Wahrheit zum Ausdruck«.</ref> der sie ein Licht auch über den Tod hinaus erblicken lässt. Dieser Bund zeigt uns den medizinischen Akt aus der inneren Perspektive eines therapeutischen Bundes zwischen Arzt und Patient, verbunden durch die Anerkennung vom transzendenten Wert des Lebens und vom mystischen Sinn des Leidens. Dieser Bund ist das Licht, um zu verstehen, was gutes medizinisches Handeln ist und um die heute vorherrschende individualistische und utilitaristische Vision zu überwinden.
2. Die moralische Verpflichtung, den therapeutischen Übereifer auszuschließen
Das Lehramt der Kirche erinnert daran, dass sich, wenn das Ende der irdischen Existenz naht, die Würde der menschlichen Person als das Recht darstellt , in möglichst ruhiger Verfassung sowie in der ihr eigenen menschlichen und christlichen Würde sterben zu können.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), IV: AAS 72 (1980), S. 549-551.</ref> Um die Würde des Sterbens zu schützen, muss sowohl die Vorwegnahme des Todes als auch dessen Hinausschieben mit dem sog. »therapeutischen Übereifer«<ref> Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2278; Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Libreria Editrice Vaticana, Città del Vaticano 1995, Nr. 119; Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 475; Franziskus, Botschaft an die Teilnehmer am Europatreffen der »World Medical Association« (7. November 2017): »Auch wenn wir wissen, dass wir die Heilung von einer Krankheit niemals garantieren können, so können und müssen wir uns doch des lebenden Menschen stets annehmen: ohne dass wir selbst sein Leben abkürzen, aber auch ohne uns sinnlos gegen seinen Tod zu wehren«; Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 149.</ref> ausgeschlossen werden. Tatsächlich verfügt die heutige Medizin über Mittel, die den Tod künstlich verzögern können, ohne dass der Patient in solchen Fällen eine wirkliche Wohltat erfährt. Beim bevorstehenden unvermeidlichen Tod ist es daher nach Wissen und Gewissen legitim, die Entscheidung zu treffen, auf Heilversuche zu verzichten, die nur eine schwache und schmerzhafte Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne jedoch die normalen Hilfen zu unterlassen, die dem Patienten in solchen Fällen geschuldet werden.<ref> Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2278; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), IV: AAS 72 (1980), S. 550-551; Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 475; Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 150.</ref> Dies bedeutet, dass es nicht zulässig ist, wirksame Behandlungen zur Unterstützung wesentlicher physiologischer Funktionen auszusetzen, solange der Körper davon profitieren kann (Unterstützung der Wasserversorgung, Ernährung, Wärmeregulierung sowie angemessene und verhältnismässige Beatmungshilfen usw., in dem Maße, in dem sie zur Unterstützung der körperlichen Homöostaseund zur Verringerung von Organ- und Systemleiden erforderlich sind). Die Unterlassung jedes irrationalen Übereifers in der Anwendung von Behandlungsmassnahmen darf keine therapeutische Unterlassung sein. Diese Klarstellung ist heute im Licht der zahlreichen Gerichtsfälle unerlässlich, die in den letzten Jahren zur therapeutischen Unterlassung – und zum vorzeitigen Tod – bei Patienten in kritischen, aber nicht terminalen Zuständen geführt haben, bei denen beschlossen wurde, die lebenserhaltenden Massnahmen auszusetzen, da sie keine Aussicht mehr auf Verbesserung der Lebensqualität hatten.
Im konkreten Fall des therapeutischen Übereifers sollte bekräftigt werden, dass der Verzicht auf außergewöhnliche und/oder unverhältnismäßige Mittel »nicht gleichzusetzen [ist] mit Selbstmord oder Euthanasie; er ist vielmehr Ausdruck dafür, daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird«<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 476.</ref> oder für eine abgewogene Entscheidung, den Einsatz eines medizinischen Mittels zu vermeiden, das in keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen steht. Der Verzicht auf solche Maßnahmen, die nur eine schwache und schmerzhafte Verlängerung des Lebens bewirken würden, kann auch die Achtung vor dem Willen der sterbenden Person bedeuten, der in den sogenannten Patientenverfügungen im Vorfeld der Behandlung zum Ausdruck kommt, indem man jedoch jeden Akt ausschließt, der einen Euthanasie- oder Suizidcharakter hat.<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 150.</ref>
Die Proportionalität bezieht sich nämlich auf das Gesamtwohl des Patienten. Man darf niemals eine falsche moralische Unterscheidung in Bezug auf die Wahl zwischen Werten vornehmen (zum Beispiel Leben versus Lebensqualität). Dies könnte dazu führen, dass die Wahrung der personalen Integrität und des guten Lebens sowie der wahre moralische Gegenstand der durchgeführten Handlung nicht beachtet werden.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer eines Studientreffens über die verantwortliche Fortpflanzung (5. Juni 1987), Nr. 1: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, X/2 (1987), 1962: »Über den „Konflikt von Werten und Gütern“ und über die folgerichtige Notwendigkeit zu sprechen, eine Art „Abgleichung“ zwischen ihnen vorzunehmen, indem man das eine wählt und das andere abweist, ist nicht moralisch richtig«.</ref>Tatsächlich muss jede medizinische Handlung immer als Ziel und Absicht der Handelnden die Begleitung des Lebens und niemals das Trachten nach dem Tod haben.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Vereinigung der Italienischen Katholischen Ärzte (28. Dezember 1978): Insegnamenti di Giovanni Paolo II, I (1978), S. 438.</ref> In jedem Fall ist der Arzt niemals ein bloßer Vollstrecker des Willens des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters, und er behält das Recht und die Pflicht , sich einem Willen zu entziehen, der mit dem moralischen Gut nicht übereinstimmt, welches das eigene Gewissen wahrnimmt.<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 150.</ref>
3. Die Grundversorgung: die Pflicht zur Ernährung und Wasserversorgung
Das grundlegende und unausweichliche Prinzip der Begleitung des Patienten unter kritischen und/oder terminalen Bedingungen ist die Kontinuität der Unterstützung seiner wesentlichen physiologischen Funktionen. Insbesondere besteht die Grundversorgung jedes Menschen darin, die zur Aufrechterhaltung der Homöostase des Körpers erforderlichen Lebensmittel und Flüssigkeiten so weit und so lange zu verabreichen, soweit und solange diese Verabreichung ihre eigene Zielsetzung erreicht, und zwar die Wasser- und die Nahrungsversorgung des Patienten.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Antworten auf Fragen der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten bezüglich der künstlichen Ernährung und Wasserversorgung (1. August 2007): AAS 99 (2007), S. 820.</ref>
Wenn die Versorgung mit Nährstoffen und physiologischen Flüssigkeiten für den Patienten keinen Nutzen ergibt, weil sein Körper diese nicht mehr aufnehmen oder verarbeiten kann, ist ihre Verabreichung abzubrechen. Auf diese Weise wird der Tod durch Entzug der für lebenswichtige Funktionen wesentlichen wasserspendenden und ernährungsrelevanten Mittel nicht illegitim vorweggenommen, sondern es wird der natürliche Verlauf einer kritischen oder tödlichen Krankheit respektiert. Andernfalls wird der Entzug dieser Mittel zu einer ungerechten Handlung und kann für diejenigen, die ihr unterzogen werden, eine Quelle großen Leidens sein. Ernährung und Wasserversorgung bilden keine medizinische Therapie im eigentlichen Sinne, da sie nicht den Ursachen eines pathologischen Prozesses im Körper des Patienten entgegenwirken, sondern eine der Person des Patienten geschuldete Pflege, eine primäre und unerlässliche, klinische und menschliche Versorgung darstellen. Der obligatorische Charakter dieser Pflege des Patienten durch angemessene Wasserversorgung und Ernährung kann in einigen Fällen die Verwendung eines künstlichen Verabreichungsweges erfordern,<ref> Vgl. ebd.</ref> sofern er für den Kranken nicht schädlich ist beziehungsweise bei ihm nicht inakzeptables Leiden verursacht.<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 152: »Die Ernährung und die Wasserversorgung, auch künstlich verabreicht, gehören zu der Grundversorgung der sterbenden Person, wenn sie nicht zu belastend oder nutzlos sind. Ihre ungerechtfertigte Unterlassung kann die Bedeutung eines echten Aktes der Euthanasie haben: „Die Verabreichung von Nahrung und Wasser, auch auf künstlichen Wegen, ist prinzipiell ein gewöhnliches und verhältnismäßiges Mittel der Lebenserhaltung. Sie ist darum verpflichtend in dem Maß, in dem und solange sie nachweislich ihre eigene Zielsetzung erreicht, die in der Wasser- und Nahrungsversorgung des Patienten besteht. Auf diese Weise werden Leiden und Tod durch Verhungern und Verdursten verhindert“«.</ref>
4. Die palliativen Behandlungsmethoden
Die Kontinuität der Versorgung beinhaltet die ständige Pflicht, die Bedürfnisse des Patienten zu verstehen: die des Beistands und der Schmerzlinderung sowie emotionale, affektive und spirituelle Bedürfnisse. Wie die breiteste klinische Erfahrung zeigt, ist die Palliativmedizin ein wertvolles und unverzichtbares Instrument, um den Patienten in den schmerzhaftesten, am meisten durchlittenen, chronischen und tödlichen Stadien der Krankheit zu begleiten. Die sogenannten palliativen Behandlungsmethoden sind der authentischste Ausdruck menschlicher und christlicher Fürsorge, das greifbare Symbol des mitfühlenden „Stehens“ neben dem Leidenden. Sie zielen darauf ab, »das Leiden im Endstadium der Krankheit erträglicher zu machen und gleichzeitig für den Patienten eine angemessene menschliche Begleitung zu gewährleisten«,<ref> Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben (5. März 2015): AAS 107 (2015), S. 274, in Bezug auf: Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 476. Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2279.</ref> eine würdige Begleitung, und so seine Lebensqualität und das allgemeine Wohlbefinden so weit wie möglich zu verbessern. Die Erfahrung lehrt, dass die Anwendung der palliativen Behandlungsweisen die Zahl der Menschen, die Euthanasie einfordern, stark verringert. Zu diesem Zweck erscheint ein entschlossener Einsatz als nützlich, diese Behandlungsweisen, entsprechend den wirtschaftlichen Möglichkeiten, unter denjenigen auszubreiten, die sie benötigen, und zwar nicht nur in den Endstadien des Lebens, sondern als integrierter Behandlungsansatz in Bezug auf jede chronische und/oder degenerative Erkrankung, die eine komplexe, schmerzhafte und ungünstige Prognose für den Patienten und seine Familie haben kann.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben (5. März 2015): AAS 107 (2015), S. 275.</ref>
Palliative Behandlungsmethoden beinhalten den spirituellen Beistand für den Kranken und seine Familienangehörigen. Dieser verleiht dem Sterbenden und den Familienmitgliedern Vertrauen und Hoffnung auf Gott und hilft ihnen, den Tod des Verwandten zu akzeptieren. Es ist ein wesentlicher Beitrag, der die pastoralen Mitarbeiter und die gesamte christliche Gemeinschaft nach dem Vorbild des barmherzigen Samariters betrifft, damit an die Stelle der Ablehnung die Akzeptanz tritt und die Hoffnung die Angst überwiegt,<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 147.</ref> insbesondere wenn das Leiden aufgrund der Verschlechterung der Erkrankung länger andauert, wenn sich das Ende nähert. In dieser Phase ermöglicht die Bestimmung einer wirksamen Schmerzlinderungstherapie dem Patienten, Krankheit und Tod ohne Angst vor unerträglichen Schmerzen zu begegnen. Dieses Mittel muss notwendigerweise mit einer geschwisterlichen Unterstützung verbunden sein, die das Einsamkeitsgefühl des Patienten überwinden kann, das häufig darauf zurückzuführen ist, dass er sich in seiner schwierigen Situation nicht ausreichend begleitet und verstanden fühlt.
Die Technik gibt keine radikale Antwort auf das Leiden und es kann nicht behauptet werden, dass sie dazu kommen könnte, es aus dem menschlichen Leben zu entfernen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 2: AAS 76 (1984), S. 202: »Das Leiden scheint zur Transzendenz des Menschen zu gehören: Es ist einer jener Punkte, wo der Mensch gewissermaßen dazu „bestimmt“ ist, über sich selbst hinauszugehen, und dazu auf geheimnisvolle Weise aufgerufen wird«.</ref> Ein solcher Anspruch erzeugt eine falsche Hoffnung, die bei der leidenden Person zu einer noch größeren Verzweiflung führt. Die medizinische Wissenschaft ist in der Lage, körperliche Schmerzen immer besser kennenzulernen und sie muss die besten technischen Ressourcen bereitstellen, um diese zu behandeln. Aber eine tödliche Krankheit erzeugt tiefes Leid im Patienten, der um Zuwendung bittet, die nicht nur technischer Art ist. Spe salvi facti sumus – in der Hoffnung, der christlichen Hoffnung, die an Gott gerichtet ist, sind wir gerettet worden, sagt der heilige Paulus (Röm 8, 24).
„Der Wein der Hoffnung“ ist der spezifische Beitrag des christlichen Glaubens zur Pflege der Kranken und bezieht sich auf die Art und Weise, wie Gott das Böse in der Welt besiegt. Im Leiden muss der Mensch in der Lage sein, eine Solidarität und eine Liebe zu erfahren, die Leiden annimmt, indem sie dem Leben einen Sinn gibt, der über den Tod hinausgeht. All dies hat eine große soziale Bedeutung: »Eine Gesellschaft, die die Leidenden nicht annehmen und nicht im Mit-leiden helfen kann, Leid auch innerlich zu teilen und zu tragen, ist eine grausame und inhumane Gesellschaft«.<ref> Benedikt XVI., Enz. Spe salvi (30. November 2007), Nr. 38: AAS 99 (2007), S. 1016.</ref>
Es ist jedoch zu präzisieren, dass die Definition der Palliativversorgung in den letzten Jahren eine möglicherweise nicht eindeutige Konnotation angenommen hat. In einigen Ländern der Welt sehen die nationalen Vorschriften für die Palliativversorgung (Palliative Care Act) sowie die Gesetze zum „Lebensende“ (End-of-Life Law), neben den palliativen Behandlungsmethoden, die sogenannte ärztliche Suizidbeihilfe (MAiD) vor, welche die Möglichkeit enthalten kann, Euthanasie und assistierten Suizid zu beantragen. Diese normative Regelung ist ein Grund für eine ernsthafte kulturelle Verwirrung, da sie darauf hindeutet, dass ärztliche Beihilfe zum freiwilligen Tod ein integraler Bestandteil der Palliativversorgung sei, und dass es daher moralisch erlaubt sei, Euthanasie oder assistierten Suizid einzufordern.
Darüber hinaus ergibt sich aus denselben normativen Kontexten, dass palliative Interventionen zur Verringerung des Leidens schwerkranker oder sterbender Patienten in der Verabreichung von Arzneimitteln bestehen können, welche von der Intention geleitet wird, den Tod herbeizuführen, oder in der Einstellung/Unterbrechung der Wasserversorgung und Ernährung, auch wenn eine Lebensprognose von Wochen oder Monaten besteht. Solche Praktiken gleichen sich jedoch an eine Handlung oder Unterlassung an, die auf die Herbeiführung des Todes ausgerichtet und daher unerlaubt sind. Die fortschreitende Verbreitung dieser Vorschriften, auch durch die Richtlinien nationaler und internationaler Wissenschaftsgesellschaften, stellt, außer eine zunehmende Zahl verletzlicher Menschen zur Entscheidung für Euthanasie oder Suizid zu führen, eine soziale Verantwortungslosigkeit gegenüber vielen Menschen dar, die nur mehr unterstützt und getröstet zu werden bräuchten.
5. Die Rolle der Familie und die Hospize
Bei der Behandlung des todkranken Menschen spielt die Familie eine zentrale Rolle.<ref> Vgl. Franziskus, Ap. Schreiben Amoris laetitia (19. März 2016), Nr. 48: AAS 108 (2016), S. 330.</ref> In der Familie verlässt sich die Person auf feste Beziehungen, wird als sie selbst geschätzt und nicht nur wegen ihrer Produktivität oder Freude, die sie erzeugen kann. In der Tat ist es wesentlich, dass der Patient sich während der Pflege nicht wie eine Belastung empfindet, sondern dass er die Nähe und die Wertschätzung seiner Angehörigen besitzt. Bei dieser Mission braucht die Familie Hilfe und angemessene Mittel. Daher müssen die Staaten die primäre und grundlegende soziale Funktion der Familie und ihre unersetzliche Rolle auch in diesem Bereich anerkennen, indem sie die erforderlichen Ressourcen und Strukturen zu ihrer Unterstützung bereitstellen. Außerdem ist die menschliche und spirituelle Begleitung der Familie eine Pflicht in christlich inspirierten Gesundheitseinrichtungen. Die Familie darf niemals vernachlässigt werden, da sie eine einzige Fürsorgeeinheit mit dem Patienten darstellt.
Neben der Familie ist die Einrichtung von Hospizen, in die todkranke Menschen aufgenommen werden, um ihnen die Fürsorge bis zum letzten Moment zu gewährleisten, eine gute Sache und eine große Hilfe. Im Übrigen ist »die christliche Antwort auf das Geheimnis von Tod und Leiden keine Erklärung, sondern eine Präsenz«,<ref> C. Saunders, Watch With Me: Inspiration for a life in hospice care, Observatory House, Lancaster, UK, 2005, S. 29.</ref> die sich um den Schmerz kümmert, ihn begleitet und für eine verlässliche Hoffnung öffnet. Solche Einrichtungen sind ein Beispiel für die Menschlichkeit in der Gesellschaft, sie sind Heiligtümer von Schmerz, der mit einer Sinnfülle erlebt wird. Aus diesem Grund müssen sie mit spezialisiertem Personal und eigenen materiellen Pflegemitteln ausgestattet sein sowie immer für Familien offenbleiben: »In diesem Zusammenhang denke ich daran, wie viel Gutes die Hospize für die Palliativversorgung tun, in denen todkranke Menschen mit qualifizierter medizinischer, psychologischer und spiritueller Hilfe begleitet werden, damit sie die letzte Phase ihres irdischen Lebens in Würde, durch die Nähe geliebter Menschen getröstet, leben können. Ich wünsche mir, dass diese Zentren weiterhin Orte sind, an denen die „Therapie der Würde“ mit Engagement praktiziert wird, um so die Liebe und den Respekt vor dem Leben zu fördern«.<ref> Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre (30. Januar 2020): L’Osservatore Romano, 31. Januar 2020, S. 7.</ref> In solchen Kontexten, wie auch in jeder katholischen Krankeneinrichtung, soll das Gesundheitspersonal und die pastoralen Mitarbeiter nicht nur unter klinischen Gesichtspunkten vorbereitet sein, sondern auch ein echtes tugendhaftes Leben des Glaubens und der Hoffnung, auf Gott ausgerichtet, führen, denn dieses konstituiert die höchste Form von Humanisierung des Sterbens.<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 148.</ref>
6. Die Begleitung und die Fürsorge in vorgeburtlichem und pädiatrischem Alter
In Bezug auf die Begleitung von Säuglingen und Kindern, die von chronisch degenerativen, lebensverkürzenden Krankheiten betroffen sind oder sich im Endstadium des Lebens selbst befinden, ist notwendig Folgendes zu betonen, im Bewusstsein der Notwendigkeit, eine operative Strategie zu entwickeln, um Qualität und Wohlbefinden für das Kind und seine Familie zu gewährleisten.
Seit der Zeugung sind Kinder, die an Missbildungen oder Erkrankungen jeglicher Art leiden, kleine Patienten, wobei die Medizin heutzutage immer in der Lage ist, ihnen beizustehen und sie auf eine gegenüber dem Leben respektvolle Weise zu begleiten. Ihr Leben ist heilig, einzigartig, unwiederholbar und unantastbar, genau wie das jeder erwachsenen Person.
Bei sogenannten pränatalen „lebensverkürzenden“ Erkrankungen – das heißt solchen, die sicherlich innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen werden – und bei Abwesenheit von fetalen oder neonatalen Therapien, die den Gesundheitszustand dieser Kinder verbessern könnten, dürfen sie in keiner Weise aus der Fürsorge ausgeschlossen werden, sondern sie müssen bis zum Eintritt des natürlichen Todes wie jeder andere Patient begleitet werden. Das perinatale Palliativvesorgung fördert in diesem Sinne einen integrierten Pflegeverlauf, der zur Betreuung durch Ärzte und pastorale Mitarbeiter die ständige Anwesenheit der Familie hinzufügt. Das Kind ist ein besonderer Patient und erfordert in Bezug auf Bekanntschaft und Präsenz eine besondere Vorbereitung von Seiten des Begleiters. Die empathische Begleitung eines Kindes in der Endphase, also die Begleitung, welche zu den heikelsten gehört, zielt darauf ab, den Jahren des Kindes Leben und nicht seinem Leben Jahre hinzuzufügen.
Insbesondere bieten die perinatalen Hospize Familien, die die Geburt eines Kindes mit fragilen Bedingungen annehmen, eine wesentliche Unterstützung. In solchen Kontexten stellen, neben der notwendigen spirituellen Begleitung, die kompetente medizinische Betreuung und die Unterstützung anderer Familien, welche die gleiche Erfahrung von Schmerz und Verlust gemacht haben und bezeugen können, eine wesentliche Ressource dar. Es ist die pastorale Pflicht christlich inspirierter Beschäftigter im Gesundheitswesen, sich um eine möglichst weltweite Verbreitung dieser Begleitung zu bemühen.
All dies erweist sich als besonders notwendig für Kinder, die nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand unmittelbar nach der Geburt oder innerhalb kurzer Zeit danach sterben müssen. Sich dieser Kinder anzunehmen, hilft den Eltern, Trauer zu verarbeiten und diese nicht nur als Verlust, sondern auch als Etappe einer Liebesreise zu begreifen, die sie gemeinsam mit ihrem Kind unternommen haben.
Leider fördert die heute vorherrschende Kultur diesen Ansatz nicht: Auf sozialer Ebene führen die manchmal obsessive Anwendung der Pränataldiagnostik und die Etablierung einer Kultur, die der Behinderung feindlich gegenübersteht, häufig zur Entscheidung für die Abtreibung und dabei erreichen sie den Punkt, diese als „Präventionsmaßnahme“ darzustellen. Dies besteht in der absichtlichen Tötung eines unschuldigen Menschenlebens und ist als solches niemals erlaubt. Die Verwendung der Pränataldiagnostik für selektive Zwecke widerspricht daher der Würde der Person und ist in schwerwiegender Weise unzulässig, da sie Ausdruck einer eugenischen Mentalität ist. In anderen Fällen führt dieselbe Kultur nach der Geburt zur Einstellung oder zur Unterlassung der Pflege des neugeborenen Kindes, und zwar aufgrund des Vorhandenseins oder sogar nur der Möglichkeit, dass sich in Zukunft eine Behinderung entwickelt. Auch dieser Ansatz utilitaristischer Prägung kann nicht gebilligt werden. Ein solches Verfahren ist nicht nur unmenschlich, sondern auch aus moralischer Sicht in schwerwiegender Weise unzulässig.
Grundprinzip der pädiatrischen Versorgung ist, dass das Kind in der finalen Lebensphase das Recht auf Respekt und auf Pflege seiner Person hat, wobei sowohl der therapeutische Übereifer und unvernünftige Beharrlichkeit als auch jede absichtliche Vorwegnahme seines Todes vermieden werden sollen. Aus christlicher Sicht ruft die Seelsorge an einem todkranken Kind nach der Teilnahme am göttlichen Leben durch Taufe und Firmung.
In der Endphase des Verlaufs einer unheilbaren Krankheit, auch wenn Medikationstherapien oder Therapien anderer Art, die der Erkrankung des Kindes entgegenwirken sollen, abgesetzt werden, sofern sie seinem verschlechterten klinischen Zustand nicht mehr angemessen sind und von den Ärzten als zwecklos oder übermässig belastend für das Kind angesehen werden, weil sie weitere Leiden verursachen, darf jedoch die integrale Pflege der Person des kleinen Kranken nicht zu kurz kommen, und zwar in keiner ihrer verschiedenen physiologischen, psychologischen, affektiv-relationalen und spirituellen Dimensionen. Pflegen heißt nicht nur eine Therapie anwenden und heilen. So impliziert auch die Unterbrechung einer Therapie, die nicht mehr dem unheilbar kranken Kind zugutekommt, nicht den Abbruch der wirksamen Behandlungsmaßnahmen, um die für das Leben des kleinen Patienten wesentlichen physiologischen Funktionen zu unterstützen, solange sein Körper in der Lage ist, davon zu profitieren (Unterstützung der Wasserversorgung, Ernährung, Thermoregulierung und andere, soweit sie zur Unterstützung der körperlichen Homöostase sowie zur Verringerung von Organ- und Systemschmerzen erforderlich sind). Der Verzicht auf jeden therapeutischen Übereifer bei Anwendung von Behandlungsmaßnahmen, die als unwirksam angesehen werden, darf keine Fürsorgeunterlassung sein, sondern muss den Weg der Begleitung bis zum Tod offenhalten. In diesem Fall muss berücksichtigt werden, dass auch routinemäßige Eingriffe wie Atemhilfe schmerzlos und verhältnismäßig durchgeführt werden, wobei die geeignete Art der Hilfe auf den Patienten hin personalisiert wird, um zu vermeiden, dass die richtige Sorge um das Leben durch eine ungerechte Auferlegung von vermeidbarem Schmerz konterkariert wird.
In diesem Zusammenhang sind die Beurteilung und Behandlung der körperlichen Schmerzen des Säuglings und des Kindes von wesentlicher Bedeutung, um es zu respektieren und in den stressigsten Stadien der Krankheit zu begleiten. Personalisierte und sanfte Behandlungweisen, die heutzutage in der pädiatrischen klinischen Versorgung bereits praktiziert und durch die Anwesenheit der Eltern unterstützt werden, ermöglichen eine integrierte und effektivere Fürsorge als jede andere Hilfsmaßnahme.
Die Aufrechterhaltung der affektiven Bindung zwischen Eltern und Kind ist ein integraler Bestandteil des Pflegeprozesses. Die Beziehung der Versorgung und Begleitung des Kindes durch die Eltern muss mit allen erforderlichen Instrumenten gefördert werden. Sie konstituiert den grundlegenden Teil der Fürsorge auch bei unheilbaren Erkrankungen und Situationen mit terminaler Entwicklung. Neben dem affektiven Kontakt darf der spirituelle Moment nicht vergessen werden. Das Gebet der nahestehenden Menschen im Anliegen des kranken Kindes hat einen übernatürlichen Wert, der die affektive Beziehung übersteigt und vertieft.
Das rechtsethische Konzept des „Vorteils des Minderjährigen“, das heute zur Durchführung einer Kosten-Nutzen-Abwägung der anzuwendenden Behandlungen appliziert wird, darf in keiner Weise die Grundlage für die Entscheidung bilden, sein Leben zu verkürzen, um Leiden zu vermeiden, und zwar durch Handlungen oder Unterlassungen, die aufgrund ihrer Natur oder Absicht des Handelnden als euthanasiemäßig verstanden werden können. Wie bereits dargelegt, darf die Einstellung unverhältnismäßiger Therapien weder dazu führen, dass die grundlegenden Versorgungsmaßnahmen, einschließlich der schmerzlindernden, ausgesetzt werden, die erforderlich sind, um das Kind bis zu einem würdigen natürlichen Tod zu begleiten, noch den Verzicht auf die spirituelle Hilfe bewirken, die denjenigen zuteilwird, die Gott bald begegnen werden.
7. Analgetische Therapien und Unterdrückung des Bewusstseins
Einige spezialisierte Behandlungsformen erfordern besondere Aufmerksamkeit und Kompetenzen von Mitarbeitern im Gesundheitsdienst, um die beste medizinische Leistung unter dem ethischen Gesichtspunkt zu vollbringen, wobei man sich stets bewusst bleiben muss, dass man sich Menschen in ihrer konkreten Schmerzsituation nähert.
Um die Schmerzen des Patienten zu lindern, werden bei der analgetischen Therapie Medikamente eingesetzt, die eine Bewusstseinsunterdrückung (Sedierung) verursachen können. Ein tiefer religiöser Sinn kann dem Patienten ermöglichen, Schmerz als besonderes Opfer für Gott im Hinblick auf die Erlösung zu erleben.<ref> Vgl. Pius XII., Allocutio. Trois questions religieuses et morales concernant l'analgésie (24. Februar 1957): AAS 49 (1957) S. 134-136; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), III: AAS 72 (1980), S. 547; Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 19: AAS 76 (1984), S. 226.</ref> Die Kirche vertritt jedoch die Erlaubtheit der Sedierung als Teil der Pflege, die dem Patienten angeboten wird, damit das Lebensende in größtmöglichem Frieden und unter den besten inneren Bedingungen eintritt. Dies gilt auch für Behandlungen, die den Zeitpunkt des Todes beschleunigen (palliative Sedierung am Lebensende),<ref> Vgl. Pius XII.,Allocutio.Iis qui interfuerunt Conventui internationali. Romae habito, a «Collegio Internationali Neuro-Psycho-Pharmacologico» indicto (9. September 1958): AAS 50 (1958), S. 694; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), III: AAS 72 (1980), S. 548; Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2779; Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 155: »Es besteht auch die Möglichkeit, mit Analgetika und Betäubungsmitteln die Unterdrückung des Bewusstseins beim Sterben zu bewirken. Diese Verwendung verdient besondere Beachtung. Bei unerträglichen Schmerzen, die auf die üblichen Schmerztherapien nicht ansprechen, kurz vor dem Augenblick des Todes oder in der begründeten Vorhersage einer bestimmten Krise zum Zeitpunkt des Todes kann eine schwerwiegende klinische Indikation mit Zustimmung des Patienten die Verabreichung von Arzneimitteln umfassen, die das Bewusstsein unterdrücken. Diese klinisch motivierte, tiefe palliative Sedierung in der Endphase kann moralisch akzeptabel sein, sofern dies mit Zustimmung des Patienten erfolgt, den Familienmitgliedern angemessene Informationen gegeben werden, jede Euthanasieabsicht ausgeschlossen ist und der Patient in der Lage war, seinen moralischen, familiären und religiösen Pflichten nachzukommen: „die Menschen sollen vor dem herannahenden Tod in der Lage sein, ihren moralischen und familiären Verpflichtungen nachkommen zu können, und sich vor allem mit vollem Bewußtsein auf die endgültige Begegnung mit Gott vorbereiten können“. Daher „darf man den Sterbenden nicht ohne schwerwiegenden Grund seiner Bewußtseinsklarheit berauben“«.</ref> und die immer, so weit wie möglich, aufgrund der Patientenverfügung angewendet werden. Aus pastoraler Sicht empfiehlt sich, sich um die spirituelle Vorbereitung des Patienten zu kümmern, damit er bewusst zum Tod als zur Begegnung mit Gott gelangt.<ref> Vgl. Pius XII., Allocutio. Trois questions religieuses et morales concernant l'analgésie (24. Februar 1957): AAS 49 (1957), S. 145; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), III: AAS 72 (1980), S. 548; Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 476.</ref> Der Einsatz von Analgetika ist daher Teil der Pflege des Patienten, aber jede Verabreichung, die direkt und absichtlich den Tod herbeiführt, ist ein Akt der Euthanasie und inakzeptabel.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der Vereinigung der katholischen Ärzte Italiens aus Anlass des 70-jährigen Bestehens (15. November 2014): AAS 106 (2014), S. 978.</ref> Die Sedierung muss daher als direkten Zweck die Tötungsabsicht ausschließen, auch wenn damit eine Beeinflussung des ohnehin unvermeidlichen Todes möglich ist.<ref> Vgl. Pius XII., Allocutio. Trois questions religieuses et morales concernant l'analgésie(24. Februar 1957): AAS 49 (1957), S. 146; Ders., Allocutio.Iis qui interfuerunt Conventui internationali. Romae habito, a «Collegio Internationali Neuro-Psycho-Pharmacologico» indicto (9. September 1958): AAS 50 (1958), S. 695; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), III: AAS 72 (1980), S. 548; Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 2279; Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 65: AAS 87 (1995), S. 476; Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 154.</ref>
Hier ist eine Klärung in Bezug auf pädiatrische Zusammenhänge erforderlich: Bei einem Kind, das nichts verstehen kann, wie beispielsweise ein Neugeborenes, darf man nicht den Fehler machen, anzunehmen, dass das Kind den Schmerz ertragen und akzeptieren kann, wenn es Möglichkeiten gibt, ihn zu lindern. Deshalb ist es eine medizinische Pflicht, daran zu arbeiten, das Leiden des Kindes so weit wie möglich zu verringern, damit es in Frieden zum natürlichen Tod gelangen und so gut wie möglich die liebevolle Anwesenheit von Ärzten und vor allem der Familie wahrnehmen kann.
8. Der vegetative Zustand und der minimale Bewusstseinszustand
Andere relevante Situationen sind die des Kranken mit anhaltendem Bewusstseinsverlust, im sogenannten „vegetativen Zustand“ und die des Kranken im „minimalen Bewusstseinszustand“. Es ist immer völlig irreführend zu glauben, dass der vegetative Zustand und der minimale Bewusstseinszustand bei Personen, die selbstständig atmen, Zeichen dafür wären, dass der Kranke aufgehört hat, eine menschliche Person mit all der ihr zukommenden Würde zu sein.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Fachkongresses zum Thema »Lebenserhaltende Behandlungen und vegetativer Zustand: wissenschaftliche Fortschritte und etische Dilemmata« (20. März 2004), Nr. 3: AAS 96 (2004), S. 487: »Ein Mensch ist und bleibt immer ein Mensch und wird nie zur „Pflanze“ oder zum „Tier“, selbst wenn er schwerkrank oder in der Ausübung seiner höheren Funktionen behindert ist«.</ref> Im Gegenteil, in diesen Zuständen größter Schwäche muss er in seinem Wert anerkannt werden und eine angemessene Fürsorge erhalten. Die Tatsache, dass der Kranke jahrelang in dieser schmerzhaften Situation bleiben kann, ohne eine klare Hoffnung auf Genesung zu haben, impliziert zweifellos Leiden für diejenigen, die sich um ihn kümmern.
Vor allem kann es nützlich sein, sich daran zu erinnern, was im Zusammenhang mit einer solchen schmerzhaften Situation niemals aus den Augen verloren werden darf Der Patient in derartigen Zuständen hat das Recht auf Ernährung und Wasserversorgung. Ernährung und Wasserversorgung auf künstlichen Wegen sind prinzipiell gewöhnliche Maßnahmen. In einigen Fällen können solche Maßnahmen unverhältnismäßig werden, entweder, weil ihre Verabreichung nicht mehr wirksam ist oder weil die Mittel zu ihrer Verabreichung eine übermäßige Belastung verursachen und negative Auswirkungen haben, die den Nutzen überwiegen.
In Anbetracht dieser Grundsätze darf das Engagement des Gesundheitspersonals nicht auf den Patienten beschränkt werden, sondern muss sich auch auf die Familie oder auf die für die Patientenversorgung Verantwortlichen erstrecken, wobei man für sie auch eine angemessene pastorale Begleitung vorsehen muss. Es ist daher notwendig, den Familienangehörigen angemessene Betreuung zu ermöglichen, damit sie die verlängerte Last der Sorge für Kranke in derartigen Zuständen tragen können, sowie ihnen jene Nähe zu gewähren, die ihnen helfen wird, sich nicht entmutigen zu lassen, und vor allem die Unterbrechung der Behandlungsmaßnahmen nicht als die einzige Lösung zu betrachten. Man muss darauf entsprechend vorbereitet sein, genauso wie die Familienmitglieder gebührend unterstützt werden müssen.
9. Einspruch aus Gewissensgründen seitens der Mitarbeiter im Gesundheitsdienst und der katholischen Gesundheitseinrichtungen
Angesichts von Gesetzen, die – unter irgendeiner Form von medizinischer Hilfe – Euthanasie oder assistierten Suizid legitimieren, muss jede direkte formelle oder materielle Mitwirkung daran immer verweigert werden. Diese Kontexte stellen einen spezifischen Bereich für das christliche Zeugnis dar, in denen »man […] Gott mehr als […] den Menschen [gehorchen muss]« (Apg 5, 29). Es gibt weder Recht auf Suizid noch auf Euthanasie. Das Recht existiert, um das Leben und die Ko-Existenz von Menschen zu schützen und nicht, um den Tod zu verursachen. Es ist daher niemals erlaubt, bei solchen unmoralischen Handlungen mitzuwirken oder zu verstehen zu geben, man könne mit Worten, Werken oder Unterlassungen mitwirken. Das einzig wahre Recht ist das Recht des Kranken auf Begleitung und Versorgung mit Menschlichkeit. Nur auf diese Weise schützt man seine Würde, bis der natürliche Tod eintritt. »Daher darf kein Mitarbeiter im Gesundheitsdienst sich zu einem ausführenden Hüter eines nichtexistierenden Rechts machen, selbst wenn die Euthanasie durch die betroffene Person im vollem Bewusstsein erbeten würde«.<ref> Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Neue Charta für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Nr. 151.</ref>
Diesbezüglich werden die allgemeinen Grundsätze über die Mitwirkung zum Bösen, das heißt zu unerlaubten Handlungen, folgendermaßen erneut bekräftigt: »Christen sind wie alle Menschen guten Willens aufgerufen, aufgrund einer ernsthaften Gewissensverpflichtung, ihre formelle Mitwirkung bei Handlungen nicht zu leisten, die, obwohl sie durch zivile Gesetzgebung zugelassen sind, im Gegensatz zum Gesetz Gottes stehen. Tatsächlich ist es aus moralischer Sicht niemals erlaubt, zum Bösen formell mitzuwirken. Eine solche Mitwirkung findet statt, wenn die durchgeführte Handlung, entweder aufgrund ihrer eigenen Natur oder aufgrund der Gestalt, die sie in einem konkreten Kontext annimmt, als direkte Teilnahme an einer Handlung gegen unschuldiges menschliches Leben oder als das Teilen der unmoralischen Absicht des Hauptakteurs der Handlung qualifiziert wird. Diese Mitwirkung kann niemals gerechtfertigt werden, weder indem man sich auf die Achtung der Freiheit anderer beruft noch indem man sich die Tatsache zunutze macht, dass das Zivilrecht dies vorsieht und verlangt. Für die Handlungen, die jeder Mensch persönlich vollbringt, gibt es tatsächlich eine moralische Verantwortung, der sich niemand entziehen kann und wofür jeder von Gott selbst gerichtet wird (vgl. Röm 2, 6; 14, 12)«.<ref> Ebd.; vgl. Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 74: AAS 87 (1995), S. 487.</ref>
Es ist notwendig, dass die Staaten den Einspruch aus Gewissensgründen im medizinischen und gesundheitlichen Bereich in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des natürlichen Sittengesetzes anerkennen, insbesondere dort, wo der Dienst am Leben das menschliche Gewissen täglich herausfordert.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der Vereinigung der katholischen Ärzte Italiens aus Anlass des 70-jährigen Bestehens (15. November 2014): AAS 106 (2014), S. 977.</ref> Wo das Gewissen nicht anerkannt wird, kann man in die Situation gelangen, gegen das Gesetz verstoßen zu müssen, um nicht Unrecht auf Unrecht folgen zu lassen und das Gewissen der Menschen nicht zu verbiegen. Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten nicht zögern, dieses Einspruchsrecht als ihr eigenes Recht und als spezifischen Beitrag zum Gemeinwohl einzufordern.
Ebenso müssen Krankeneinrichtungen dem starken wirtschaftlichen Druck standhalten, der manchmal dazu führt, dass sie die Praxis der Euthanasie akzeptieren. Und wenn die Schwierigkeit, die notwendigen Mittel zu finden, das Engagement der öffentlichen Einrichtungen sehr belastet, ist die gesamte Gesellschaft aufgerufen, einen Verantwortungsbeitrag zu leisten, damit die unheilbaren Patienten nicht sich selbst oder nur den Ressourcen ihrer Familienangehörigen überlassen werden. All dies erfordert eine klare und einheitliche Stellungnahme der Bischofskonferenzen, der Ortskirchen sowie der katholischen Gemeinschaften und Institutionen, um ihr eigenes Recht auf Einspruch aus Gewissensgründen in den rechtlichen Kontexten zu schützen, die Euthanasie und Suizid vorsehen.
Katholische Krankeneinrichtungen bilden ein konkretes Zeichen dafür, wie sich die kirchliche Gemeinschaft nach dem Vorbild des barmherzigen Samariters um die Kranken kümmert. Das Gebot Jesu, »heilt die Kranken« (Lk 10, 9), findet seine konkrete Umsetzung nicht nur darin, dass man ihnen die Hände auflegt, sondern auch, dass man sie von der Straße holt, ihnen in ihrem Zuhause hilft und entsprechende Aufnahme- und Unterbringungseinrichtungen schafft. Getreu dem Gebot des Herrn hat die Kirche im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Aufnahmeeinrichtungen errichtet, in denen die medizinische Versorgung ihre spezifische Ausprägung in der Dimension des integralen Dienstes an der kranken Person findet.
Katholische Krankeneinrichtungen sind aufgerufen, treue Zeugen der unverzichtbaren ethischen Pflicht zur Achtung der grundlegenden menschlichen und christlichen Werte zu sein, welche die Identität dieser Einrichtungen ausmachen, und zwar durch die Enthaltung von offensichtlich moralisch unerlaubten Verhaltensweisen sowie durch ihren erklärten und formalen Gehorsam gegenüber den Lehren des kirchlichen Lehramtes. Jede andere Handlung, die nicht den Zwecken und den Werten entspricht, von denen die katholischen Krankeneinrichtungen inspiriert sind, ist ethisch nicht akzeptabel und beeinträchtigt daher die Zuweisung von der Qualität „katholisch“ der Krankeneinrichtung selbst.
In diesem Sinne ist eine institutionelle Zusammenarbeit mit anderen Krankenhäusern, auf die Personen, die Euthanasie beantragen, verwiesen beziehungsweise orientiert werden sollen, ethisch unannehmbar. Solche Entscheidungen können weder moralisch zugelassen noch in ihrer konkreten Umsetzung unterstützt werden, selbst wenn sie rechtlich möglich sind. In der Tat rufen die Gesetze, welche die Euthanasie genehmigen, »nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen. Seit den Anfangszeiten der Kirche hat die Verkündigung der Apostel den Christen die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber den rechtmäßig eingesetzten staatlichen Autoritäten eingeschärft (vgl. Röm 13, 1-7; 1 Petr 2, 13-14), sie aber gleichzeitig entschlossen ermahnt, daß „man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen“ (Apg 5, 29)«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 73: AAS 87 (1995), S. 486.</ref>
Das Recht auf Einspruch aus Gewissensgründen darf uns nicht vergessen lassen, dass Christen diese Gesetze nicht aufgrund einer privaten religiösen Überzeugung ablehnen, sondern aufgrund eines grundlegenden und unantastbaren Rechtes jedes Menschen, das für das Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Tatsächlich geht es um Gesetze, die gegen das Naturrecht verstoßen, da sie die Grundlagen der Menschenwürde selbst und ein durch Gerechtigkeit geprägtes Zusammenleben untergraben.
10. Die pastorale Begleitung und die Unterstützung durch Sakramente
Der Moment des Todes ist ein entscheidender Schritt für den Menschen in seiner Begegnung mit Gott dem Erlöser. Die Kirche ist aufgerufen, die Gläubigen in dieser Situation spirituell zu begleiten und ihnen die „Heilsressourcen“ des Gebets und der Sakramente anzubieten. Dem Christen zu helfen, diesen Moment in einem Kontext spiritueller Begleitung zu leben, ist ein sehr hoher Akt der Nächstenliebe. Gerade weil kein Gläubiger»einsam und verlassen sterben dürfte«,<ref> Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer an dem von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalteten Kongress »An der Seite des unheilbar kranken und sterbenden Menschen: ethische und praktische Leitlinien« (25. Februar 2008): AAS 100 (2008), S. 171.</ref> ist es notwendig, um den Patienten herum eine solide Plattform menschlicher und humanisierender Beziehungen zu schaffen, die ihn begleiten und ihn für die Hoffnung öffnen würden.
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt auf, wie die Beziehung zum leidenden Nächsten aussehen sollte, welche Einstellungen zu vermeiden sind – Gleichgültigkeit, Apathie, Vorurteile, Angst, sich die Hände schmutzig zu machen, Verschlossensein in den eigenen Angelegenheiten – und welche unternommen werden müssen – Aufmerksamkeit, Zuhören, Verständnis, Mitgefühl, Diskretion.
Die Aufforderung zur Nachahmung »geh und handle genauso« (Lk 10, 37) ist eine Mahnung, das gesamte menschliche Potenzial von Präsenz, Verfügbarkeit, Annahme, Unterscheidung und Beteiligung nicht zu unterschätzen, welches diese Nähe zum Notleidenden erfordert und welches für die integrale Versorgung der kranken Person von wesentlicher Bedeutung ist.
Die Qualität der Liebe und der Sorge für Personen in kritischen Phasen und in der Endphase des Lebens hilft dabei, den schrecklichen und radikalen Wunsch, das eigene Leben zu beenden, in diesen Situationen aufzugeben. Allein menschliche Wärme und evangeliumsgemäße Geschwisterlichkeit kann einen positiven Horizont eröffnen sowie den Kranken in Hoffnung und vertrauensvollem Sich-Überlassen unterstützen.
Diese Begleitung ist Teil des von der Palliativversorgung bestimmten Verlaufs und muss den Patienten und seine Familie einschließen.
Die Familie hat seit jeher eine wichtige Rolle in der Pflege gespielt. Deren Anwesenheit, Unterstützung und Zuneigung bilden einen wesentlichen therapeutischen Faktor für den Kranken. In der Tat, erinnert Papst Franziskus, war die Familie sozusagen »schon immer das nächstgelegene „Krankenhaus“. Noch heute ist das Krankenhaus in vielen Teilen der Welt ein Privileg für einige wenige, und oft ist es weit entfernt. Mutter, Vater, Brüder, Schwestern, Großmütter sind es, die die Pflege gewährleisten und dazu beitragen, gesund zu werden«.<ref> Franziskus, Generalaudienz (10. Juni 2015): L’Osservatore Romano, 11. Juni 2015, S. 8.</ref>
Sich des anderen anzunehmen oder sich der Leiden anderer anzunehmen, ist eine Verpflichtung, die nicht nur einige einbezieht, sondern die Verantwortung aller, der gesamten christlichen Gemeinschaft, umfasst. Der heilige Paulus sagt: Wenn ein Glied leidet, leidet der ganze Körper mit (vgl. 1 Kor 12, 26) und der ganze Körper beugt sich über das kranke Glied, um ihm Linderung zu verschaffen. Jeder ist seinerseits aufgerufen, ein „Diener des Trostes“ gegenüber jedweder menschlichen Situation von Trostlosigkeit und Kummer zu sein.
Die pastorale Begleitung zieht die Ausübung der menschlichen und christlichen Tugenden hinzu: der Empatie (en-pathos), des Mitleids (cum-passio), der Annahme des Leidens des Kranken durch das Teilen dieses Leidens, und des Trostes (cum-solacium), des Eintretens in die Einsamkeit des anderen, damit er sich geliebt, angenommen, begleitet und getragen fühlt.
Der Dienst des Zuhörens und des Trostes, den der Priester anbieten soll, indem er sich selbst zum Zeichen der mitleidenden Fürsorge Christi und der Kirche macht, kann und muss eine entscheidende Rolle spielen. In dieser wichtigen Mission ist es äußerst wichtig, jene Wahrheit und Nächstenliebe zu bezeugen und zu vereinen, mit denen der Blick des Guten Hirten nicht aufhört, alle seine Kinder zu begleiten. Angesichts der Bedeutung der Gestalt des Priesters für die menschliche, pastorale und spirituelle Begleitung der Kranken im Endstadium des Lebens, muss auf seinem Ausbildungsweg in dieser Hinsicht eine aktualisierte und gezielte Vorbereitung vorgesehen sein. Es ist ebenfalls wichtig, dass auch Ärzte und Beschäftigte im Gesundheitswesen für eine solche christliche Begleitung ausgebildet werden, da es besondere Umstände geben kann, die eine angemessene Anwesenheit von Priestern am Bett der todkranken Menschen sehr schwierig machen.
Experten in Menschlichkeit zu sein, bedeutet, durch die Haltungen, mit deren Hilfe man sich um den leidenden Nächsten kümmert, die Begegnung mit dem Herrn des Lebens zu fördern, dem einzigen, der in der Lage ist, das Öl des Trostes und den Wein der Hoffnung auf die menschlichen Wunden wirksam zu gießen.
Jeder Mensch hat das natürliche Recht, in dieser außerordentlichen Stunde gemäß den Ausdrucksformen der Religion, zu der er sich bekennt, betreut zu werden.
Der sakramentale Moment ist immer der Höhepunkt alles vorangegangenen pastoralen Einsatzes der Fürsorge und die Quelle all dessen, was folgt.
Die Kirche nennt die Buße und Versöhnung sowie die Krankensalbung die Sakramente »der Heilung«,<ref> Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 1420.</ref> welche in der Eucharistie als Wegzehrung für das ewige Leben gipfeln.<ref> Vgl. Rituale Romanum ex decreto Sacrosancti Oecumenici Concilli Vaticani II instauratum auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, Ordo unctionis infirmorum eorumque pastoralis curae, Editio typica, Praenotanda, Typis Polyglottis Vaticanis, Civitate Vaticana 1971, Nr. 26; Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 1524.</ref> Durch die Nähe der Kirche erlebt der Kranke die Nähe Christi, der ihn auf dem Weg zum Haus des Vaters begleitet (vgl. Joh 14, 6) und ihm hilft, nicht in Verzweiflung zu geraten,<ref> Vgl. Franziskus, Enz. Laudato si’ (24. Mai 2015), Nr. 235: AAS 107 (2015), S. 939.</ref> sowie ihn in der Hoffnung unterstützt, besonders wenn die Reise ermüdender wird.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 67: AAS 87 (1995), S. 478-479.</ref>
11. Die pastorale Unterscheidung gegenüber denen, die um Euthanasie oder assistierten Suizid bitten
Ein ganz besonderer Fall, bei dem es heute notwendig ist, die Lehre der Kirche zu bekräftigen, ist die pastorale Begleitung derjenigen, die ausdrücklich um Euthanasie oder assistierten Suizid gebeten haben. In Bezug auf das Sakrament der Buße und Versöhnung muss der Beichtvater sich vergewissern, dass es Reue gibt, die für die Gültigkeit der Lossprechung notwendig ist, und die als ein »Schmerz der Seele und ein Abscheu über die begangene Sünde, mit dem Vorsatz, fernerhin nicht mehr zu sündigen«<ref> Trienter Konzil, Sess. XIV, De sacramento penitentiae, cap. 4: DH 1676.</ref> charakterisiert wird. In unserem Fall stehen wir vor einer Person, die über ihre subjektive Disposition hinaus die Wahl einer schwerwiegend unmoralischen Handlung getroffen hat und frei darin verharrt. Es handelt sich um eine offenkundige Indisposition für den Empfang der Sakramente der Buße und Versöhnung mit Lossprechung,<ref> Vgl. CIC, can. 987.</ref> der Krankensalbung<ref> Vgl. CIC, can. 1007: »Die Krankensalbung darf jenen nicht gespendet werden, die in einer offenkundigen schweren Sünde hartnäckig verharren«.</ref> sowie der Wegzehrung.<ref> Vgl. CIC, can. 915 und can. 843 § 1.</ref> Die Person wird diese Sakramente in dem Moment erhalten können, wenn der Amtsträger, aufgrund ihrer Bereitschaft, konkrete Schritte zu unternehmen, zu dem Schluss kommt, dass der Büßer seine Entscheidung geändert hat. Dies bedeutet auch, dass eine Person, die sich in einem Verein registriert hat, um Euthanasie oder assistierten Suizid zu erhalten, die Absicht zeigen muss, diese Registrierung vor dem Empfang der Sakramente rückgängig zu machen. Man denke daran, dass die Notwendigkeit, die Lossprechung zu verschieben, kein Urteil über die Anrechenbarkeit der Schuld impliziert, da die persönliche Verantwortung vermindert sein oder gar nicht existieren könnte.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona (5. Mai 1980), II: AAS 72 (1980), S. 546.</ref> Im Fall, dass der Patient bereits bewusstlos ist, kann der Priester gegebenenfalls die Sakramente sub condicione spenden, wenn aufgrund eines zuvor von der kranken Person gegebenen Zeichens die Reue vermutet werden kann.
Diese Position der Kirche ist kein Zeichen für Mangel an Annahmebereitschaft gegenüber dem Kranken. Diese muss tatsächlich mit dem Angebot von immer möglicher Hilfe und Zuhören verbunden sein, die immer gewährt werden, zusammen mit einer vertieften Erklärung des Inhalts des Sakramentes, um der Person bis zum letzten Moment die Möglichkeit zu geben, um es wählen und verlangen zu können. In der Tat achtet die Kirche darauf, hinreichende Zeichen der Bekehrung zu prüfen, damit die Gläubigen vernünftigerweise um den Empfang der Sakramente bitten können. Man achte darauf, dass der Aufschub der Lossprechung auch ein heilender Akt der Kirche ist, der nicht darauf abzielt, den Sünder zu verurteilen, sondern ihn zu bewegen und zur Umkehr zu begleiten.
Deshalb, selbst wenn sich eine Person nicht in objektiven Bedingungen für den Empfang der Sakramente befindet, ist eine Nähe erforderlich, die immer zur Umkehr einlädt. Insbesondere, wenn die angeforderte oder akzeptierte Euthanasie nicht in kurzer Zeit durchgeführt wird. Es besteht dann die Möglichkeit einer Begleitung, um die Hoffnung wiederbeleben und die falsche Entscheidung ändern zu lassen, so dass der Zugang zu den Sakramenten für den Kranken eröffnet wird.
Es ist jedoch seitens derer, die diese Kranken spirituell begleiten, keine externe Geste zulässig, die als Zustimmung zur Handlung der Euthanasie interpretiert werden könnte, wie zum Beispiel zum Zeitpunkt ihrer Durchführung anwesend zu bleiben. Diese Anwesenheit kann nur als Mitwirkung interpretiert werden. Dieses Prinzip betrifft auf besondere Weise, aber nicht nur, die Krankenhausseelsorger der Einrichtungen, in denen die Euthanasie praktiziert werden kann. Diese Seelsorger dürfen keinen Anstoß geben, indem sie sich in irgendeiner Weise an der Beseitigung eines menschlichen Lebens mitwirkend zeigen.
12. Die Reform des Bildungssystems und der Ausbildung vom Gesundheitspersonal
Im heutigen sozialen und kulturellen Kontext, der so voller Herausforderungen in Bezug auf den Schutz des menschlichen Lebens in den kritischsten Phasen der Existenz bleibt, ist die Rolle der Bildung unabdingbar. Familie, Schule, die anderen Bildungseinrichtungen und die Pfarrgemeinden müssen beharrlich auf die Weckung und Schärfung jener Feinfühligkeit gegenüber dem Nächsten und seinem Leiden hinwirken, zu deren Symbol die Gestalt des Samariters aus dem Evangelium geworden ist.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 29: AAS 76 (1984), S. 244-246.</ref>
Die Krankenhausseelsorge ist gehalten, die spirituelle und moralische Bildung von Beschäftigten im Gesundheitsdienst, einschließlich Ärzte und Pflegepersonal, sowie von Freiwilligengruppen im Krankenhaus zu erweitern, damit sie in der Endphase des Lebens die notwendige menschliche und psychologische Hilfe zu leisten wissen. Die psychologische und spirituelle Betreuung des Patienten während des ganzen Krankheitsverlaufs muss für pastorale Mitarbeiter und Gesundheitspersonal eine Priorität sein, und sie müssen darauf achten, den Patienten und seine Familie in den Mittelpunkt zu stellen.
Die palliativen Behandlungsweisen müssen auf der ganzen Welt verbreitet werden, und es gebührt sich, dass zu diesem Zweck Studiengänge für die Fachausbildung von Beschäftigten im Gesundheitsdienst bereitgestellt werden. Priorität hat auch die Verbreitung korrekter und flächendeckender Information über die Wirksamkeit einer authentischen Palliativversorgung für eine würdige Begleitung der Person bis zum natürlichen Tod. Die christlich inspirierten Krankeneinrichtungen müssen Richtlinien für ihre Angehörigen der Gesundheitsberufe erstellen, welche die angemessene psychologische, moralische und spirituelle Betreuung als wesentlichen Bestandteil der Palliativversorgung beinhalten.
Menschliche und spirituelle Betreuung muss Teil der akademischen Ausbildungsverläufe für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe und in den Krankenhauspraktika werden.
Darüber hinaus müssen die Kranken- und Pflegeeinrichtungen Modelle der psychologischen und spirituellen Betreuung für das Gesundheitspersonal erstellen, die sich um die Patienten in den Endstadien des menschlichen Lebens kümmern. Für diejenigen zu sorgen, die Sorge tragen, ist von wesentlicher Bedeutung, um zu vermeiden, dass die ganze Last (burn out) des Leidens und des Todes unheilbar kranker Patienten auf die Mitarbeiter und die Ärzte fällt. Diese brauchen angemessene Unterstützung und Momente des Gesprächs und des Zuhörens, um nicht nur Werte und Emotionen, sondern auch das Gefühl von Angst, Leiden und Tod im Kontext ihres Dienstes am Leben verarbeiten zu können. Sie müssen in der Lage sein, den tiefen Sinn der Hoffnung sowie das Bewusstsein wahrzunehmen, dass ihre Mission eine wahre Berufung ist, um das Geheimnis des Lebens und der Gnade in den schmerzhaften Stadien und im Endstadium der Existenz zu unterstützen und zu begleiten.<ref> Vgl. Franziskus, Ansprache an die Leiter der Ärzteverbände Spaniens und Lateinamerikas (9. Juni 2016): AAS 108 (2016), S. 727-728: »Gebrechlichkeit, Schmerz und Krankheit sind für alle eine harte Prüfung, auch für das medizinische Personal, sie sind ein Appell an die Geduld, an das Mit-Leiden. Daher darf man nicht der funktionalistischen Versuchung nachgeben, schnelle und drastische Lösungen anzuwenden, aus falschem Mitleid heraus oder veranlasst durch reine Kriterien von Effizienz und Sparsamkeit. Hier steht die Würde des menschlichen Lebens auf dem Spiel, hier steht die Würde der ärztlichen Berufung auf dem Spiel«.</ref>
Schlusswort
Das Geheimnis der Erlösung des Menschen wurzelt überraschenderweise in Gottes liebevoller Einbeziehung ins menschliche Leiden. Deshalb können wir Gott vertrauen und diese Gewissheit im Glauben dem leidenden und von Schmerz und Tod verängstigten Menschen vermitteln.
Das christliche Zeugnis zeigt, wie Hoffnung auch innerhalb der Wegwerfkultur immer möglich ist. »Die Botschaft des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter wie auch des ganzen Evangeliums ist vor allem folgende: Der Mensch muß sich in erster Person dazu aufgerufen fühlen, die Liebe im Bereich des Leidens zu bezeugen«.<ref> Johannes Paul II., Ap. Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), Nr. 29: AAS 76 (1984), S. 246.</ref>
Die Kirche lernt vom barmherzigen Samariter die Behandlung des todkranken Menschen und gehorcht damit dem Gebot, das mit der Gabe des Lebens verbunden ist: »achte, verteidige, liebe das Leben, jedes menschliche Leben und diene ihm!«.<ref> Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 5: AAS 87 (1995), S. 407.</ref> Das Evangelium des Lebens ist ein Evangelium des Mitleids und der Barmherzigkeit, das an den konkreten, schwachen und sündigen Menschen gerichtet ist, um ihn zu erheben, ihn im Leben der Gnade zu bewahren und ihn, wenn möglich, von allen möglichen Verletzungen zu heilen.
Schmerz zu teilen ist jedoch nicht genug, man muss in die Früchte des Ostergeheimnisses Christi eintauchen, um Sünde und Böses zu besiegen, mit dem Willen, »das Elend anderer zu beseitigen, als wäre es das eigene«.<ref> Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 21, a. 3.</ref> Das größte Elend besteht jedoch im Mangel an Hoffnung in Bezug auf den Tod. Dies ist die vom christlichen Zeugnis angekündigte Hoffnung, die, um wirksam zu sein, im Glauben gelebt werden muss. Dabei müssen alle einbezogen werden: Familienangehörige, Pflegepersonal, Ärzte sowie die Pastoral der Diözesen und der katholischen Gesundheitszentren, die dazu berufen sind, die Pflicht treu zu leben, die Kranken in allen Stadien der Krankheit, insbesondere in den kritischen Phasen und in der Endphase des Lebens zu begleiten, so wie in dem vorliegenden Dokument dargelegt.
Der barmherzige Samariter, der das Gesicht seines Bruders in Schwierigkeiten in den Mittelpunkt seines Herzens stellt, weiß, wie er seine Not erkennen kann, bietet ihm alles notwendige Gute, um ihn aus der Wunde der Trostlosigkeit zu heben, und öffnet in seinem Herzen leuchtende Breschen der Hoffnung.
Das „Wollen des Guten“ des Samariters, der sich zum Nächsten des Verwundeten nicht mit Wort und Zunge, sondern in Tat und Wahrheit (vgl. 1 Joh 3, 18) macht, nimmt die Form der Fürsorge nach dem Beispiel von Christus an, der umherzog, Gutes tat und alle heilte (vgl. Apg 10, 38).
Von Jesus geheilt, werden wir Männer und Frauen, die berufen sind, seine Heilkraft zu verkünden, unseren Nächsten zu lieben und für ihn zu sorgen, wie Er uns bezeugt hat.
Diese Berufung zur Liebe und Sorge für den anderen,<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enz. Spe salvi (30. November 2007), Nr. 39: AAS 99 (2007), S. 1016: »Leiden mit dem anderen, für die anderen; leiden um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen; leiden aus Liebe und um ein wahrhaft Liebender zu werden – das sind grundlegende Elemente der Humanität, die abzustreifen den Menschen selbst zerstören würde«.</ref> die Ewigkeitsgewinn mit sich bringt, wird vom Herrn des Lebens in der Umschreibung des Letzten Gerichts ausdrücklich gemacht: Nehmt das Reich in Besitz, weil ich krank war und ihr mich besucht habt. Wann, Herr? Jedes Mal, wenn ihr es für einen eurer geringsten Brüder, einen eurer leidenden Brüder getan habt, habt ihr es mir getan (vgl. Mt 25, 31-46).
Papst Franziskus hat dieses Schreiben, das von der Vollversammlung dieser Kongregation am 29. Januar 2020 beschlossen worden war, am 25. Juni 2020 gutgeheißen und seine Veröffentlichung angeordnet.
Luis F. Kard. Ladaria, S.I.
Präfekt
+ Giacomo Morandi
Titularerzbischof von Cerveteri
Anmerkungen
<references />