Nostis errorem

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Ansprache
Nostis errorem

von Papst
Leo XIII.
an die Kardinäle im Vatikan im Konsistorium
über die innere Friedensgesinnung als entscheidendes Mittel zur Kriegsverhütung
11. Februar 1889

(Offizieller lateinischer Text: AL IX [1890] 45-49)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Fridolin Utz + Birgitta Gräfin von Galen, lateinischer und deutscher Text, Band II, XXIX 1-4, S. 3082-3087, Scientia humana Institut Aachen 1976, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; in Fraktur in: Leo XIII., Lumen de coelo VI, 87-101, Bezeugt in seinen Allocutionen, Rundschreiben, Constitutionen, öffentlichen Briefen und Akten, Buch und Verlag Rudolf Brzezowsky & Söhne Wien 1903)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Die Gründe der Spannung zwischen den Völkern: die Entfernung von Gott und der Kirche

1. Ihr kennt den großen Irrtum, aufgrund dessen viele Geister in unserer Zeit in der falschen Hoffnung auf Freiheit Jesus Christus und die Kirche verlassen. Denn die Früchte falscher Doktrinen sind mit der Zeit und den Verhältnissen gereift und herangewachsen: ein Laster haben fast alle Staaten, kleine wie große, gemein, die christliche Ordnung zu beseitigen, die Staatsverfassung und die Verwaltung des Staates ohne Religion zu begründen. - Wir haben in höchster Sorge und Beunruhigung nie nachgelassen, ein Gegenmittel gegen diese Geisteshaltung zu ersinnen; Ihr selbst, Ehrwürdige Brüder, seid Unsere Zeugen, wie Wir Mühe und Eifer vor allem darauf verwendet haben, dass offenbar werde, wohin dieser Abfall vom barmherzigen Gott führt, und dass alle, die abgeirrt sind, zurückkehren zu ihrem Erlöser, dem Eingeborenen Sohn Gottes, dessen treu er Obhut sie sich ständig vertrauensvoll überlassen sollten. Aus diesem Grund waren Wir immer darauf bedacht, die traditionellen Beziehungen zu allen Staaten zu festigen oder neue anzuknüpfen. Im Augenblick versuchen Wir, Unsere Beziehungen zu dem mächtigen Russischen Reich wieder anzuknüpfen, und Wir zweifeln nicht, dass es Unseren Wünschen gemäß gelingen wird. Zugleich haben Wir Unsere Gedanken und Sorgen mit besonderer Aufmerksamkeit und gleichem Wohlwollen der katholischen Sache in Polen zugewandt; um die Verwaltung der dortigen Diözesen besser zu regeln, haben Wir bereits einige Bischöfe ernannt. Es wäre Uns sehr angenehm gewesen, sie am heutigen Tag in dieser Versammlung bekanntzugeben; jedoch erfordert die vollständige Abwicklung der Verhandlungen noch etwas mehr Zeit.

Die Kirche als einzige Hüterin des wahren Friedens

2. Den gleichen Weg, den Unsere Feinde nicht selten versperrt haben, werden Wir trotz allem, soweit es an Uns liegt, mit Ausdauer gehen. In dieser Absicht bestärkt Uns der Gedanke, dass es nur eine Zuflucht für die Seelen gibt, nur eine sichere Hoffnung auf ein ewiges Heil, die katholische Kirche; in diesem von Kämpfen erfüllten sterblichen Leben ist es deshalb Unsere Pflicht, alle Menschen in den Schoß der Kirche, wie vom rauen Meer in einen sicheren Hafen, zurückzurufen und sie dazu zu bewegen, ihrer Liebe zu vertrauen; alle, die sich zu ihr flüchten, wird sie stets mit mütterlicher Umarmung aufnehmen und mit dem heilsamen Licht des Evangeliums erleuchten. - Zudem muß man in diesem Zeitalter, das wir durchleben, auf dem so viel Unheil lastet, die erschütterte öffentliche Ordnung mit allen Mitteln und aller Tatkraft stützen. überall und, wie Wir vor einigen Tagen gesehen haben, sogar in dieser Heiligen Stadt drängen die entfachten, rasenden Leidenschaften des Volkes herauf; und mit der Dreistigkeit des Bösen bestürmen sie sogar die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft. Wenn die Stimme der Religion verstummt, die Ehrfurcht vor dem göttlichen Gesetz schwindet, das befiehlt, die Antriebe der Seele durch die Pflicht zu zügeln, wo gibt es dann noch eine Macht in den Staaten, die stark genug ist, die Gefahren abzuwehren? Wenn man dazu beiträgt, die Menschen dorthin zurückzurufen, wo die Gebote der Tugend und die Prinzipien für die Aufrechterhaltung der Ordnung unverletzt in Kraft sind, wird man auch für den Staat Nutzen schaffen und sich Verdienste um das allgemeine Wohl erwerben.

Die Gefahr des Rüstungswachstums, das Gegenmittel in der Abrüstung in den Herzen

3. Aber es ist noch ein weiteres zu bedenken, was von besonderer Bedeutung ist. Wenn es jemals irgendwo geschehen ist, dass der Friede einstimmig von allen Völkern herbeigewünscht wurde, dann wird er es ganz bestimmt in der gegenwärtigen Zeit am meisten, da in aller Mund die Worte Friede, Ruhe, Muße sind. Die mächtigen Fürsten und alle, die die Staaten Europas regieren, bezeugen, dass sie nur eines wünschen und anstreben, die Wohltaten des Friedens zu schützen, und alle Stände in den Staaten stimmen ihnen zu, sodaß tatsächlich mehr eine allgemeine Kriegsmüdigkeit im Volke in Erscheinung tritt. Eine höchst ehrenwerte Müdigkeit, wie es scheint; denn wenn der bewaffnete Kampf auch manchmal notwendig sein mag, so geht er doch stets mit unermeßlichen Verheerungen einher. Um wieviel verheerender aber als heute wird ein zukünftiger sein im Hinblick auf die ungeheure Aufrüstung, die zu erwarten ist aufgrund der voranschreitenden Kriegswissenschaft und der größeren Differenzierung der Mordinstrumente? Jedesmal, wenn Wir daran denken, steigert sich in Uns die Liebe zu den christlichen Völkern, und Wir sind von höchster Sorge erfüllt wegen des ihnen drohenden Unheils. Nichts ist daher wichtiger, als die Kriegsgefahr von Europa fernzuhalten, sodaß jeder, der daran mitwirkt, zum öffentlichen Wohl beiträgt. - Aber um die öffentliche Ruhe zu erhalten, genügt nicht allein der Wunsch, sie herbeizuführen, noch der Wille, sie zu schützen. Zahllose Truppen und die Macht des Kriegsapparats können den feindlichen Angriff einige Zeit lang aufhalten, aber keinen sicheren und dauerhaften Frieden schaffen. Daher ist die bedrohliche Vermehrung der Waffen mehr geeignet, Feindschaft und Argwohn zu nähren, als zu beseitigen. - Sie macht die Seelen mutlos durch die ängstliche Erwartung der kommenden Ereignisse und hat vor allem den Nachteil, dass sie den Völkern Lasten auferlegt, von denen oft nicht feststeht, ob sie erträglicher sind als der Krieg. - Daher muß man nach festeren und der Natur gemäßen Fundamenten des Friedens suchen; denn es ist erlaubt, sein Recht mit Waffen und Gewalt zu verteidigen, wenn es nicht gegen die Natur ist; die Natur aber verbietet, die Gewalt zur Wirkursache des Rechts zu machen. Weil der Friede in der Ruhe der Ordnung besteht, so folgt daraus, dass wie für die Einzelnen so auch für die Staaten die Eintracht vor allem auf Gerechtigkeit und Liebe beruht. Niemanden schädigen, das Recht des anderen heilighalten, gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen pflegen, das sind ganz offensichtlich in höchstem Maße feste und dauerhafte Bande der Eintracht, deren Macht so stark ist, dass sie die Saat der Feindschaft und Rivalität gar nicht aufkommen läßt. Als Mutter und Schützerin beider Tugenden hat Gott seine Kirche eingesetzt, deren heiligste Pflicht es daher immer gewesen ist und immer sein wird, die Gesetze der Gerechtigkeit und Liebe zu erhalten, zu verbreiten und zu verteidigen. Mit diesem Ziel hat die Kirche alle Länder durchwandert, und niemand zweifelt daran, dass sie den barbarischen Stämmen die Liebe zur Gerechtigkeit eingeflößt und sie so besänftigt hat, dass sie sie von ihren wilden kriegerischen Sitten wegführte zu den Künsten des Friedens und zur Kultur. Die Schwachen, die Mächtigen, die Untergebenen, die Herrschenden, alle lehrt sie, die Gerechtigkeit zu wahren und nicht für eine ungerechte Sache zu kämpfen. Sie ist es, die alle Völker, mögen sie auch weit voneinander entfernt oder der Abstammung nach sehr verschieden sein, durch das Band der Freundschaft und der brüderlichen Liebe verbindet. Eingedenk der Lehren und des Beispiels ihres göttlichen Stifters, der der "Friedenskönig" genannt werden wollte, dessen Geburt durch himmlische Friedensboten angekündigt wurde, wünscht sie, dass die Menschen im Glück des Friedens leben, und betet sie zu Gott, dass er Leben und Besitz vor der Kriegsgefahr bewahre. Wann immer daher es notwendig war und die Zeitumstände es zuließen, hat sie nichts bereitwilliger getan als unter Einsatz ihrer Autorität Eintracht wiederherzustellen und Frieden unter den Völkern zu stiften.

Die Aktion des Papstes und das Gebet als letzte Zuflucht

4. Dies sind die höchsten und heiligsten Beweggründe, die Uns in all Unseren Entschlüssen geleitet haben, Ehrwürdige Brüder, und denen Wir gehorchen. Was immer die Wechsefälle der Zeiten bringen werden, wie immer die zukünftigen Entscheidungen und Taten der Menschen sein mögen, Unsere Handlungen werden immer von der gleichen Norm geleitet sein, von diesem Weg werden Wir gewiss nicht abweichen. Wenn Wir schließlich für die Erhaltung des Friedens auf keine andere Weise mehr etwas tun können, so bleibt Uns immer noch, ohne dass jemand es verhindern kann, die Zuflucht zu dem, der den Willen der Menschen lenken kann, wohin er will, und beugen kann, womit er will; Wir werden ihn inständig bitten, alle Kriegsfurcht zu beseitigen und in seiner Güte die rechte Ordnung der Dinge wiederherzustellen, auf dass Europa auf echten und dauerhaften Fundamenten ruhen möge.