Josef Spindelböck: Theologie des Leibes kurzgefasst

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Theologie des Leibes kurzgefasst

Eine Lesehilfe zu "Liebe und Verantwortung" von Karol Wojtyła sowie zu den Katechesen Johannes Pauls II. über die menschliche Liebe

Josef Spindelböck, Erstauflage 2015

Quelle: Josef Spindelböck: Theologie des Leibes kurzgefasst. Eine Lesehilfe zu "Liebe und Verantwortung" von Karol Wojtyła sowie zu den Katechesen Johannes Pauls II. über die menschliche Liebe, St. Josef Verlag 2017 (2. Auflage, 160 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-901853-31-9). Der erste Teil, d.h. "Liebe und Verantwortung", wurde für Kathpedia am 30. August 2024 von Josef Spindelböck genehmigt. Dieser wurde ohne Anmerkungen editiert. Vom zweiten Teil: "Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan" sind nur die Überschriften angegeben. Das ganze Buch ist erwerbbar: siehe Weblink unten.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der hl. Papst Johannes Paul II. (1978–2005) hat in seinem Lehramt, besonders aber in den wöchentlichen Katechesen 1979–1984 bei den Generalaudienzen eine „Theologie des Leibes“ vorgelegt und entwickelt, die ihresgleichen sucht. Die großen Themen sind die Würde der Person und des menschlichen Leibes, die Schönheit des Frau- und Mann-Seins, die Sprache des Leibes, die Berufung zur Liebe, Sünde und Versuchung, die Erlösung des Leibes, die eheliche und familiäre Gemeinschaft, das Ehesakrament sowie die Berufung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen und die eschatologische Vollendung des Menschseins in der Auferstehung des Leibes und der Gemeinschaft der Heiligen mit Gott und untereinander.

Wie aber kann die „Theologie des Leibes“ in heute lebensweltliche Zusammenhänge hinein vermittelt werden? Ist die katholische Lehre überhaupt noch „anschlussfähig“?

Die „Theologie des Leibes“ überzeugt eben dadurch, dass sie die Größe und Schönheit der bräutlich-ehelichen Liebe aufzeigt und gleichsam der Liebe selber erlaubt, ihre eigene Schönheit zu zeigen. Die in Gott gründende und sich im Menschen als Abbild Gottes wiederspiegelnde Liebe bedarf keiner Sekundärargumente oder äußerlicher Stützen; diese würden ihr eigentliches Wesen eher entstellen als dass sie dieses offenbaren könnten. Gerade die göttliche und menschliche Liebe kommt dabei selbst in ihrer Ursprünglichkeit zur Darstellung.

Gott spricht aufgrund des Geheimnisses der Schöpfung und noch mehr kraft seiner Menschenwerdung in der Leiblichkeit des Menschen zu uns; er ist der wahre „Theologe des Leibes“. Insofern es den Verkündern und Katecheten gelingt, der menschlichen Liebe in der Wahrheit Gottes ihre Sprache zurückzugeben, wird die „Theologie des Leibes“ ankommen und Gehör finden, auch wenn die Verwirklichung der in ihr enthaltenen sittlichen Ansprüche nicht ohne aszetisches, ja mitunter sogar heroisches Bemühen und nur unter der Voraussetzung der göttlichen Gnade möglich ist. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur Neuevangelisierung im Kontext von Ehe und Familie erbracht.

Das vorliegende Buch möchte zur eigenständigen Lektüre der Texte Johannes Pauls II. hinführen. Da diese jedoch ziemlich umfangreich sind, ist es nicht immer leicht, die wesentlichen Aussagen auf den Punkt zu bringen. Hier wird der Versuch unternommen, eine Zusammenfassung der tragenden Gedanken Johannes Pauls II. zur „Theologie des Leibes“ anzubieten. Zuerst aber wird Bezug genommen auf das Werk „Liebe und Verantwortung“, das Karol Wojtyła als Frucht seiner auf dieses Thema ausgerichteten Vorlesungen aus Ethik an der Katholischen Universität Lublin im Jahre 1960 erstmals vorgelegt hatte. Dieses Meisterwerk einer personalistischen Anthropologie und Ethik im Hinblick auf die Berufung des Menschen zur Liebe wird in den Grundzügen vorgestellt.

Angeregt und ermutigt wurde ich zu diesem Unterfangen durch meine Lehrtätigkeit als ordentlicher Professor im Fach Moraltheologie sowie als Dozent für Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Diözese St. Pölten sowie auch als Gastprofessor am Internationalen Theologischen Institut (ITI, zuerst in Gaming, jetzt in Trumau). Ich durfte auch schon mehrmals beim „Studiengang Theologie des Leibes“ an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz als Referent mitwirken, der von Lic. theol. Corbin Gams als Studienleiter im Namen der „Initiative Christliche Familie“ (ICF) betreut wird.

Wenn das Erscheinen dieses Buches zeitlich mit der XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (04.–25. Oktober 2015) zusammenfällt, die unter dem Thema steht: „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“, dann verbindet sich damit die Hoffnung, dass gerade im tieferen Bedenken der Ehelehre der Kirche und ihrer pastoralen Anwendung die „Theologie des Leibes“ in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird als bisher.

Ein besonderer Dank sei meinem Diözesanbischof DDr. Klaus Küng von St. Pölten ausgesprochen, der sich in seinem bischöflichen Dienst immer wieder für ein rechtes Verständnis der „Theologie des Leibes“ und für die Erneuerung der christlichen Ehen und Familien auf der Grundlage des Evangeliums der Liebe und des Lebens einsetzt.

All denen, die ich bereits in das Buch „Liebe und Verantwortung“ oder in die „Theologie des Leibes“ einführen durfte, aber auch allen übrigen Leserinnen und Lesern, die sich für die Thematik interessieren, sei dieses Buch gewidmet und das Anliegen insgesamt der Fürbitte der seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Schönen Liebe, sowie ihres jungfräulichen Gemahls, des hl. Josef, empfohlen!

Kleinhain, am Gedenktag des hl. Alfons Maria von Liguori, des Patrons der Moraltheologen, 1. August 2015

Liebe und Verantwortung

Kontext, Anliegen und Inhalt des Buches von Karol Wojtyła

1. Die Entstehung von „Liebe und Verantwortung“

Im Jahr 1960 wurde erstmals das bahnbrechende ethische Werk Karol Wojtyłas, des späteren Papstes Johannes Pauls II., publiziert, das den Titel trägt: „Liebe und Verantwortung. Eine ethische Studie“. Für diese wissenschaftliche Arbeit gilt in besonderer Weise die Feststellung: Bücher haben ihre eigene Entstehungsgeschichte, sind aber manchmal auch der Anlass dafür, dass in Bezug auf ihre Wirkung die Geschichte in der Folge anders abläuft als es ohne sie der Fall gewesen wäre.

Als Studentenkaplan kam Karol Wojtyła in Kontakt mit vielen jungen Paaren und Familien und konnte durch „indirekte Erfahrung“ vieles über die bräutliche und eheliche Liebe lernen, d.h. durch die persönliche Begegnung mit jenen Menschen, in Gesprächen und auch in der geistlichen Begleitung. Ein besonderer Kontext für dieses „Lernen aufgrund von Erfahrung“ bildete die Situation jener, die sich auf die Ehe vorbereiteten oder bereits verheiratet waren und Kinder hatten und ihn um Rat ersuchten. Auch in schwierigen Situationen und bei speziellen Problemen stand er ihnen als väterlicher Freund und priesterlicher Wegbegleiter zur Seite.

Als Professor für Ethik an der Katholischen Universität Lublin hielt Karol Wojtyła in den Jahren 1957/58 und 1958/59 Vorlesungen über „Liebe und Verantwortung“. Diese waren die Frucht seiner persönlichen Erfahrungen in der Begleitung von Brautleuten, Ehepaaren und Familien, aber auch seiner inzwischen vertieften Studien aus Philosophie und Theologie. Es gilt freilich noch etwas weiter zurückzublicken!

2. Zur Entwicklung der Lehre Karol Wojtyłas über Ehe und Familie im personalen Kontext

Ehe und Familie erwiesen sich schon bald als zentrales Thema der philosophischen und theologischen Reflexion von Karol Wojtyła. In seinem ersten Artikel dazu („Instinkt, Liebe und Ehe“) beschreibt er den sexuellen Trieb des Menschen, der von Natur aus seine Erfüllung in sexueller Lust sucht und biologisch die Fortpflanzung zum Ziel hat. Die objektive soziale Bedeutung dieses Triebes liegt darin, die Vereinigung von Mann und Frau in ehelicher Liebe auszudrücken und zu verwirklichen, d.h. in einem gegenseitigen Einander-Angehören der sich liebenden Personen. Dieses Ziel zu erreichen hilft die Tugend der Keuschheit, die den sexuellen Trieb läutert, erzieht und auf die personale Ebene erhebt. Auf diese Weise wird die gestörte Ordnung wiederhergestellt, welche die Person als Folge der Erbsünde und der persönlichen Sünden erlebt. Der handelnde Mensch erfährt sich neu in seiner Wirkursächlichkeit für das Gute, das er mit Gottes Gnade vollbringen darf.

Ein weiterer Artikel („Gedanken über die Ehe“) aus dem Jahr 1957 zeigt die personalistische Dimension der ehelichen Liebe auf, die nicht ausreichend erklärt werden kann, wenn man nur auf der Grundlage von zwei unterschiedlichen Ausdrucksformen der menschlichen Natur in der körperlichen Sphäre von männlich und weiblich verbleibt: „Es geht darum, dass sie in ihrem Wesen eine Verbindung von Personen ist und nicht nur eine Zusammenstellung oder Vereinigung, die sich auf das Wirken des Sexappeals zweier unterschiedlicher Naturen – der männlichen und der weiblichen – gründet.“

Im Beitrag „Die Erziehung zur Liebe“ aus dem Jahr 1960 zeigt Karol Wojtyła, dass die Liebe oft mit der sexuellen Lust und dem bloßen Gefühl identifiziert wird. Liebe muss in einem Erziehungsprozess auf eine personale Ebene erhöht werden, wo die Person wirklich die Ursache der Liebe ist. Der Prozess der Reifung benötigt ausreichend Zeit und die freie Mitarbeit der Personen in ihrem geistigen Verstehen und Wollen.

3. Das Anliegen des Buches „Liebe und Verantwortung“

Im Grunde geht es Karol Wojtyła in seinem philosophischen Hauptwerk zur ehelichen Liebe um nichts anderes als um eine „Einführung der Liebe in die Liebe“, wie er selbst in seiner Einleitung zur Erstausgabe des Buches „Liebe und Verantwortung“ von 1960 schreibt. Dies bedarf einer näheren Erklärung.

Allzu oft nämlich konnte Wojtyła einen gewissen Bruch, ein Auseinanderklaffen zwischen der Realität der gelebten freundschaftlichen, bräutlichen und ehelichen Liebe zwischen Mann und Frau einerseits und der Akzeptanz und Verwirklichung des Gebotes der Gottes- und Nächstenliebe andererseits beobachten. Es schien ihm, als seien manche Christen der Überzeugung, die eine Liebe habe mit der anderen nichts zu tun oder die beiden Dimensionen wären nur schwer miteinander zu vereinbaren.

Wojtyła vertritt demgegenüber das Anliegen, die Einheit des christlichen Lebens in allen seinen Dimensionen herauszustellen. Es darf keine religiöse Sonderwelt geben, die vom übrigen Leben getrennt ist. Der christliche Glaube und insbesondere das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe müssen alles Übrige durchdringen. Vor allem ist die Liebe zwischen Mann und Frau als Verwirklichung der Berufung zur christlichen Liebe aufzuzeigen, und deshalb möchte er die eine Art der Liebe in die andere gleichsam einführen, d.h. aufzeigen, dass sich die christliche Liebe im Sinn des Liebesgebotes des Evangeliums sehr wohl auch in der die sexuelle Dimension einschließenden Liebe von Mann und Frau verwirklichen kann und soll.

Dabei ist es für Karol Wojtyła wesentlich, den Wert, ja besser noch die Würde der menschlichen Person aufzuzeigen und deren unbedingte Achtung als Zweck in sich selbst gleichsam zum Fundament der Ethik zu erheben. Das Prinzip des ethischen Personalismus, wie er diesen Ansatz nennt, ist die Grundlage für jedes zwischenmenschliche Verhältnis und insbesondere für die bräutlich-eheliche Liebe von Mann und Frau.

4. Aufbau und Gliederung des Buches „Liebe und Verantwortung“

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert, wobei das fünfte Kapitel mit dem Titel „Sexualwissenschaft und Ethik“ als „ergänzender Überblick“ in der Erstversion in der Form von Anmerkungen in den übrigen Text einbezogen wurde.

Die Überschriften der Kapitel lauten:

Die Person und der sexuelle Trieb

Die Person und die Liebe

Die Person und die Keuschheit

Die Gerechtigkeit gegenüber dem Schöpfer

Sexualwissenschaft und Ethik. Ein ergänzender Überblick

Dieser Aufbau zeigt an, dass es Karol Wojtyła um eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen als Person und der personalen Liebe insgesamt geht. Sowohl biologische und psychologische Voraussetzungen als auch metaphysische und ethische Überlegungen wie auch theologische Ausblicke finden Platz im Buch. Sein Weg ist nicht die trockene Spekulation von oben, sondern der lebendige und erfahrungsgemäße Zugang zur Wirklichkeit.

Das Buch hat freilich seine eigene Sprachebene, die man in der Schwierigkeit des Verstehens und Interpretierens nicht unterschätzen darf. Dennoch geht es Wojtyła nie um bloße Theorie, sondern um das Leben. Ja, er stellt alle theoretischen Erkenntnisse gleichsam auf den Prüfstand der praktischen Bewährung, um so ihre Lebenstauglichkeit zu erweisen. Dabei darf es von seiner Methode her nicht überraschen, dass bestimmte Themen immer wiederkehren: allerdings in stets anderer Perspektive und „Beleuchtung“, um so das Gesamtbild zu vertiefen und nach der Analyse der Einzelbereiche aufs Neue zur Schau des Ganzen, also zur Synthese zurückzukehren.

Wie Karol Wojtyła in seiner Einleitung zur Erstausgabe des Buches von 1960 betont, gibt es unmittelbare und mittelbare Erfahrungen. Unmittelbar bedeutet direkt erlebt, mittelbar heißt durch Mitteilungen und Berichte anderer zugänglich, wie es im Hinblick auf das diskutierte Thema der Liebe zwischen Mann und Frau auch dem Priester möglich ist, wenn er von Partnerschaft und ehelicher Liebe in seinem seelsorglichen Wirken Kenntnis erhält. Es besteht eine Beziehung zwischen der Lehre der Kirche, die in der Heiligen Schrift verwurzelt ist, und einem rationalen Zugang, um die Grundlagen dieser Lehre in der Würde der menschlichen Person zu erkennen und zu verstehen.

Das Buch „Liebe und Verantwortung“ kann insgesamt als eine philosophische Vorbereitung der Ausführungen zur „Theologie des Leibes“ angesehen werden, die der Autor später als Papst Johannes Paul II. in seinen Katechesen und in verschiedenen anderen Lehrdokumenten vorgelegt hat.

Im Folgenden soll versucht werden, die wesentlichen Inhalte des Buches entsprechend den einzelnen Teilen zusammenfassend darzustellen, um ein erstes Verstehen zu ermöglichen und einen Zugang zum Text selbst zu bereiten.

a) Kapitel I: Die Person und der sexuelle Trieb

In einem ersten Teil geht es um die Analyse des Verbums „gebrauchen“.

Karol Wojtyła stellt die menschliche Person als Subjekt und Objekt des Handelns vor. Eine Person ist ein „jemand“, während Sachen und nichtmenschliche Lebewesen (Pflanzen, Tiere) unter die Kategorie „etwas“ fallen. Die Innerlichkeit wird als bedeutendes Merkmal der geistigen Person angeführt. Auf die Vortrefflichkeit und Einzigartigkeit der menschlichen Person wird hingewiesen, um so auf philosophische Weise ihre Würde zu begründen.

Eine erste Bedeutung des Verbums „gebrauchen“ liegt darin, dass etwas (d.h. ein Handlungsobjekt) als Mittel im Dienst eines Zieles eingesetzt wird. Wir „gebrauchen“ unbelebte Dinge und sogar lebende Wesen (Pflanzen, Tiere). Pflanzen und besonders Tieren gebührt Schutz und Respekt, auch wenn es erlaubt sein kann, sie zur Nahrungsbeschaffung zu verwenden. Die einzigartige Rolle und Würde der menschlichen Person ist durch Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung charakterisiert. So fragt die Person nach der letzten Ursache von allem und auch nach der Möglichkeit, das Gute in seiner Fülle zu besitzen. Eine Person darf nie als bloßes Mittel zu einem Zweck verwendet werden, was im Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant zum Ausdruck kommt. Gott selber respektiert die Würde und die Rechte der Person; er ist ja der Ursprung ihrer Würde und ihrer Rechte.

Die personale Liebe ist die positive Antwort, um jede Form des Gebrauchens einer anderen Person auszuschließen. In der personalen Liebe gibt es ein gemeinsames Gut für die Personen. In der ehelichen Liebe ist dieses gemeinsame Gut die Offenheit für Kinder und die gegenseitige Reifung und Hilfe der Gatten. Das grundlegende gemeinsame Gut jeder personalen Beziehung und Gemeinschaft liegt im Respekt für die Würde der menschlichen Person.

„Gebrauchen“ kann in einem zweiten Sinn auch bedeuten: sinnliche Annehmlichkeit genießen bzw. erfahren, in besonderer Weise sexuellen Genuss. Die Erfahrung der menschlichen Person unterscheidet sich von der Erfahrung von Tieren: Der Mensch kann erkennen und entscheiden, wie er mit einer anderen Person umgeht, entweder dass er sie als Ziel in sich respektiert oder sie als Objekt des Genusses „gebraucht“ und instrumentalisiert. In einer personalen Beziehung muss die Liebe ihren Primat über jede Form des „Gebrauchens“ sowohl in der ersten als auch in der zweiten Bedeutung des Wortes ausüben.

Karol Wojtyła fügt eine philosophische Kritik des Utilitarismus an: In der ursprünglichen Form des Utilitarismus wird die Lust als der höchste Wert und als das einzige Kriterium des sittlichen Handelns angesehen. Gewisse Theorien und „kultivierte“ Formen des Utilitarismus streben nach der Verwirklichung einer größtmöglichen Summe von sinnlichem Genuss für eine möglichst hohe Anzahl von Menschen. Doch auch in dieser Form ist der subjektivistische Egoismus die Grundlage des Utilitarismus. In einer sexuellen Beziehung auf der Basis des Utilitarismus wird eine Person von der anderen nur „gebraucht“, und zwar wechselweise, in beiden Bedeutungen des Wortes; es gibt keine wirkliche Liebe.

Schließlich fragt Wojtyła nach der Beziehung zwischen dem Gebot der Liebe und der personalistischen Norm: Im strengen Sinn sind das Gebot der Liebe und die personalistische Norm nicht identisch, doch ist die personalistische Norm die Grundlage und Basis für das Gebot der Liebe. Die negative Formulierung der personalistischen Norm verbietet es, eine Person als bloßes Instrument oder bloßes Mittel zu einem Ziel zu gebrauchen. Die positive Formulierung der personalistischen Norm verlangt eine Einstellung des Respekts, der Gerechtigkeit und der Liebe gegenüber der eigenen Person und jeder anderen Person. Liebe ist mehr als Gerechtigkeit, aber die Gerechtigkeit für die Person schließt die Notwendigkeit der Liebe mit ein.

In einem zweiten Teil des ersten Kapitels geht es um die richtige Interpretation des sexuellen Triebes.

Die Begriffe Instinkt oder Trieb bedeuten nach Wojtyła wesentlich dasselbe: Der Mensch erlebt einen angeborenen Antrieb, betreffend die sinnlichen und emotionalen Erfahrungen auf sexuellem Gebiet. Der Sexualtrieb macht uns die psychophysische Komplementarität von Mann und Frau bewusst. Nicht nur die physischen und psychischen Aspekte des Frau- bzw. Mann-Seins sind für den Sexualtrieb von Bedeutung, sondern dieser Trieb ist auf einen individuellen Menschen (d.h. auf eine Person) mit jenen Aspekten ausgerichtet. So ist der Sexualtrieb eines Menschen offen für die Integration in die personale Liebe.

Im Sexualtrieb besteht eine gewisse Determination und Notwendigkeit, insofern er auf die Erhaltung der menschlichen Art ausgerichtet ist. Dennoch ist der Sexualtrieb offen für seine Formung in personaler Liebe, die wesentlich mit der menschlichen Freiheit zu tun hat. Die Ordnung der Existenz wird in der Philosophie behandelt, nicht in den Naturwissenschaften. Das personale Ziel des Sexualtriebs zeigt, dass dieser niemals auf eine Weise gebraucht werden darf, die der Würde der Person und der personalen Liebe widerspricht. Wer die prokreative Bedeutung des sexuellen Aktes von diesem abkoppelt, nimmt auch der sich in diesem Akt ausdrückenden personalen Liebe der Gatten ihre Bedeutung und Tiefe.

Eine religiöse Interpretation des sexuellen Triebes hält fest: Gott ist der Ursprung und Schöpfer jeder menschlichen Person, insofern er der unmittelbare Schöpfer der unsterblichen Seele ist. Die Eltern sind Mitarbeiter Gottes beim Werk der Erschaffung der menschlichen Person. Ihre personale Liebe bringt Frucht in der geistigen und religiösen Formung des Kindes (d.h. in der Erziehung), während biologisch gesehen die Frucht ihrer Liebe im Sexualtrieb ihre Wurzel hat.

Zwei wesentliche Irrtümer weist Karol Wojtyła zurück: eine rigoristische und eine libidobezogene Interpretation des sexuellen Triebes. In der rigoristischen Interpretation – sie entspricht der puritanischen Sichtweise – sind Ehe und sexuelle Vereinigung ein Mittel für Gott, um das Ziel der Fortpflanzung der Menschheit zu erreichen. Gott würde auf diese Weise die menschlichen Personen in der sexuellen Vereinigung „instrumentalisieren“. Gemäß jener rigoristischen Theorie wird die zweite Bedeutung des Wortes „gebrauchen“, welche das Suchen von sexueller Lust mit einschließt, als etwas Isoliertes angesehen und sollte so weit als möglich vermieden werden. Die christliche Sicht der Ehe und der Sexualität betont hingegen die grundlegende Gutheit der ehelichen Verbindung, einschließlich ihrer sexuellen Dimension. Weder die Person noch ihre Akte dürfen als bloße Instrumente für irgendein unpersönliches Ziel angesehen werden.

Die libidobezogene Interpretation geht vor allem auf Sigmund Freud zurück, der ein Vertreter des „Pansexualismus“ war, insofern er die „Libido“ (d.h. das sexuelle Verlangen und die damit verbundene Lust) als die Hauptkraft des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau, ja sogar für das ganze Leben der Person ansah. Die libidobezogene Interpretation stellt eine Form des Utilitarismus dar: Die Person wird zu einem Instrument für eine maximale Summe an sexueller Lust herabgewürdigt. Die Theorien des Malthusianismus folgen dieser unpersönlichen Sichtweise beim Versuch der Lösung der Probleme der Überbevölkerung. Kritisch merkt Wojtyła an: Die Sexualität hat mit der Wirklichkeit der menschlichen Person zu tun, nicht nur mit irgendeiner biologischen Funktion oder mit einem Gefühl sinnlicher Lust. Die „Gemeinschaft von Personen“ und die personale Frucht des sexuellen Lebens in einem Kind sind von zentraler Bedeutung für die Grundlegung der Sittlichkeit im sexuellen und ehelichen Leben.

So hält Karol Wojtyła, das erste Kapitel abschließend, fest: Die traditionellen Ziele der Ehe (Fortpflanzung, gegenseitige Hilfeleistung und Heilung der Konkupiszenz) können nur auf der Grundlage personaler Liebe zur Erfüllung kommen. Liebe ist nicht „ein anderes“ Ziel der Ehe, sondern muss in allen ihren Zielen präsent sein und steht in diesem Sinn auch über allen anderen Zielen.

b) Kapitel II: Die Person und die Liebe

Im ersten Teil dieses Kapitels stellt Karol Wojtyła eine metaphysische Analyse der Liebe vor.

Der Begriff „Liebe“ besitzt viele verschiedene Bedeutungen. Daher behandelt unser Autor die Liebe zwischen Mann und Frau auf dem Wege einer metaphysischen, psychologischen und ethischen Analyse und bietet dann eine Zusammenschau der verschiedenen Aspekte an.

Er beschreibt zunächst die „Liebe als Wohlgefallen“: Eine Person fühlt sich durch eine andere angezogen; das Wohlgefallen oder die Anziehung (Attraktivität) ist der erste Schritt in der persönlichen Liebe zwischen Mann und Frau. Das Wohlgefallen hat mit einer affektiven Sensibilität für bestimmte Werte in der Person zu tun. Das emotionale Element des Wohlgefallens besitzt jedoch zugleich die Tendenz, das Subjekt dieser Erfahrung von der Wahrheit des Objektes abzulenken, d.h. von der Person in ihrer Wahrheit. Das Wohlgefallen an der Schönheit der anderen Person ist eine Voraussetzung für die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau. Die Schönheit einer Person kann sowohl äußerlich als auch innerlich sein. Die Liebe des Wohlgefallens („amor complacentiae“) ist nicht nur irgendein Element, sondern ein wesentlicher Aspekt der Liebe zwischen Mann und Frau.

Die „Liebe als Begehren“ ist zu unterscheiden vom bloßen sinnlichen Begehren. Der Mensch bedarf einer anderen Person; im letzten metaphysischen Sinn braucht er Gott, um seine Sehnsucht zu erfüllen. Mann und Frau ergänzen einander; so bedarf der Mann der Frau und auch umgekehrt. Die Liebe des Begehrens („amor concupiscentiae“) ist daher ein wesentlicher Aspekt ihrer Liebe. Dem bloßen sinnlichen Begehren zu folgen würde bedeuten, die andere Person als Mittel zur Befriedigung zu gebrauchen. In der Liebe des Begehrens jedoch wird die andere Person nicht im Sinne eines Mittels gebraucht; dennoch sind die Personen jeweils ein Gut füreinander und werden als Gut ersehnt.

Bei der „Liebe des Wohlwollens“ („amor benevolentiae“) strebt die liebende Person nicht nur nach der anderen Person als Gut, sondern sie verlangt nach dem Gut der geliebten Person. Liebe als Wohlwollen („amor benevolentiae“) ist vereinbar mit der Liebe als Begehren („amor concupiscentiae“), aber nicht mit einem egoistischen und instrumentalisierenden Begehren. Personale Liebe ist nicht einseitig, sondern soll zur gegenseitigen Einheit und zum gemeinsamen Ausdruck finden. In der Gegenseitigkeit gibt es eine Synthese der „Liebe des Begehrens“ und der „Liebe des Wohlwollens“.

Karol Wojtyła fragt, wie sich denn die Sympathie zur Freundschaft verhält. Die Sympathie ist eine affektive und emotionale Erfahrung der Nähe; sie bleibt auf der subjektiven Ebene und ist eher passiv. Die Sympathie kann und soll zur Freundschaft weiterreifen; so werden das subjektive und das objektive Profil der Liebe verwirklicht. Manche verwechseln Sympathie mit Freundschaft und sind dann über ihre „Liebe“ enttäuscht, wenn die Sympathie schwindet oder gar in Hass umschlägt.

Die Hochform der Liebe zwischen Mann und Frau zeigt sich in der bräutlich-ehelichen bzw. hochzeitlichen Liebe. Diese Form der Liebe bedeutet das persönliche Geschenk seiner selbst an den anderen. Diese Gabe ist gegenseitig, nicht einseitig, und schließt die ganze Person mit ein. Eine derartige Form der Liebe ist möglich sowohl gegenüber Gott als auch zwischen den Gatten in der Ehe. Es gibt andere Formen, wo man sich selbst in Liebe hingibt im Dienst an anderen Personen, aber diese unterscheiden sich von der bräutlichen Liebe, die eine Beziehung jeweils einer Person zur anderen darstellt und in der Ehe die sexuelle Sphäre miteinschließt. Jede Form der Instrumentalisierung einer Person durch die andere wird durch die bräutlich-eheliche oder hochzeitliche Liebe ausgeschlossen. Diese Liebe integriert alle anderen Aspekte der Liebe.

Nach der metaphysischen Analyse folgt eine psychologische Analyse der Liebe.

Ein Sinneseindruck und eine Vorstellung vermitteln eine Darstellung eines materiellen Dinges oder eines Lebewesens mit einem materiellen Aspekt. Diese ist oft mit einer Emotion verbunden, die eine gewisse Wertwahrnehmung und Werterfahrung zeigt. Besonders trifft das zu bei einem Sinneseindruck und einer Vorstellung von einer Person, die zum jeweils anderen Geschlecht gehört.

Eine Analyse der Sinnlichkeit zeigt: Bei der menschlichen Person gibt die Sinnlichkeit eine gewisse Antwort auf den Wert des Leibes in einer Person des jeweils anderen Geschlechts. Die Sinnlichkeit besitzt eine angeborene Tendenz im Hinblick darauf, die andere Person als Objekt zu gebrauchen. Es besteht eine tiefe Verbindung zwischen der Sinnlichkeit und der sexuellen Vitalität, jedoch keine Identität. Mann und Frau sind dazu aufgerufen, die sinnlichen Triebe in ihre persönliche Liebe zu integrieren.

Während die Sinnlichkeit auf den Leib einer Person, die zum jeweils anderen Geschlecht gehört, ausgerichtet ist, sind die Gefühlsempfindung und die Affektivität auf die ganze Person in ihrer Weiblichkeit bzw. Männlichkeit hingeordnet. Die emotionale Liebe besitzt eine streng subjektive Weise und Tendenz im Hinblick auf die Idealisierung von Werten, die vom Subjekt der Liebe ersehnt werden und nicht notwendigerweise im Objekt dieser emotionalen Liebe präsent sind. Daher bedarf die affektive Liebe der Integration in die personale Liebe.

Entscheidend ist für Karol Wojtyła, wie das Problem der Integration der Liebe gelöst wird. Es gibt ein subjektives und objektives Profil der Liebe. Das subjektive Profil besteht innerhalb einer Person, während das objektive Profil mit der Liebe zwischen den Personen zu tun hat. Integration bedeutet die personale Ganzheitlichkeit der Liebe in allen ihren Aspekten, sodass sich die Liebe auf Wahrheit und Freiheit gründet.

Für Karol Wojtyła ist die ethische Analyse der Liebe entscheidend.

Dabei weist er zuerst auf die Gefahr der Situationsethik hin. Diese leugnet allgemeingültige (d.h. universale) sittliche Normen, die in jeder Situation ihre Berechtigung erweisen. Gemäß der Situationsethik begründet jede Situation durch sich selbst ihre je eigene Moral. Auf diese Weise behauptet die Situationsethik einen Primat der subjektiven Erfahrung über die objektive Moral. Kritisch merkt Wojtyła an: Ein wahres Verständnis menschlicher Freiheit kann die Freiheit nur unter der Bedingung der Wahrheit akzeptieren. In der Erfahrung der Pflicht (d.h. einer sittlichen Wahrheit, die eine gewisse Normativität offenbart) macht die menschliche Person zugleich die Erfahrung der Freiheit, denn ich soll so oder anders handeln, muss es aber nicht. Die psychologische Analyse der Liebe soll also der moralischen Analyse untergeordnet werden; d.h. die Erfahrung muss in die Tugend integriert werden.

In der Liebe geht es um eine Bejahung der Person als solcher, nicht nur des Leibes oder der Weiblichkeit bzw. Männlichkeit. Daher beinhaltet die Liebe eine Entscheidung des Willens, nicht nur eine sinnliche Reaktion oder eine emotionale Erfahrung. Die sinnlichen und emotionalen Erfahrungen sollen in die personale Liebe integriert werden.

Bräutlich-eheliche bzw. hochzeitliche Liebe hat mit der Hingabe seiner selbst an die geliebte Person und mit der gegenseitigen Akzeptanz des Geschenks seiner selbst vonseiten der anderen Person zu tun. Diese tiefe Dimension ist eine Vorbedingung für den sexuellen Ausdruck der Liebe in der vollen leiblichen Vereinigung von Mann und Frau. Bei der hochzeitlichen Liebe gibt es eine tiefe Vereinigung der Personen; jede Person wird das „Eigentum“ einer anderen, was ein paradoxer Akt zu sein scheint, der die Natur einer Person betrifft; aber in Wirklichkeit bedeutet dies die Erfüllung der Personen in Liebe.

Bräutliche Liebe gründet sich auf die Wahl einer Person durch die andere und umgekehrt. Sinnliche und emotionale Aspekte der Liebe sind ein gewisses Fundament für diese Wahl, aber die Wahl als solche ist eine Wahl für die andere Person. Wenn die sinnlichen und emotionalen Aspekte in die Wahl der Person integriert werden, erreicht diese Liebe ihre volle Wahrheit und bleibt auch dann stabil, wenn manche sinnlichen Qualitäten sich im Lauf der Zeit verändern.

Personale Liebe ist nur möglich als Einsatz und Verwirklichung der Freiheit; derartige Formen wie die sinnliche Lust und die emotionale Befriedigung erreichen die personale Sphäre nur, wenn sie in die personale Liebe integriert und ihr untergeordnet werden. Bei der wahren bräutlichen Liebe strebt die eine Person nicht nur nach der anderen Person als Gut für sich selbst, sondern sie strebt nach dem Gut der anderen Person. Das Gut der anderen Person in seiner Fülle kann nur das „summum bonum“, das höchste Gut, also Gott und die Gemeinschaft mit ihm sein.

So stellt sich das Problem der Erziehung zur Liebe: Die Liebe soll wachsen und reifen; sie ist nicht nur ein Geschenk, sondern eine lebenslange Aufgabe. Bei diesem Prozess der Integration haben alle Aspekte der Liebe ihren Platz. Sie werden gereinigt und ergeben ein Ganzes in der personalen Liebe der Gatten. Menschliche Personen können in der Liebe gleichsam zu Mit-Schöpfern mit Gott dem Schöpfer werden.

c) Kapitel III: Die Person und die Keuschheit

Im ersten Teil geht es um die Rehabilitierung der Keuschheit.

Max Scheler schrieb eine Studie über die „Rehabilitierung der Tugend“. Etwas oder jemanden rehabilitieren heißt den guten Namen oder Ruf einer Person oder Sache wiederherstellen, seine/ihre Würde oder seinen/ihren Wert bestätigen. Das Ressentiment ist eine Einstellung gegenüber einem Wert, welche diesen Wert leugnet, um die persönliche Unfähigkeit und die willentliche Entscheidung, diesen Wert nicht anzustreben, zu rechtfertigen. Die Keuschheit scheint aus verschiedenen Gründen überholt zu sein: entweder von medizinischer Seite oder sie gilt sogar als Hindernis der Liebe. Dass dem nicht so ist, will Karol Wojtyła zeigen.

Wahre Liebe, d.h. personale Liebe, welche die Person als solche bejaht, bedarf der Integration aller ihrer Aspekte oder „Elemente“. Wenn die sinnlichen und emotionalen Aspekte der Liebe nicht integriert werden, dann kann eine Erfahrung zwar wie Liebe erscheinen, sie ist jedoch keine wirkliche Liebe. Die Keuschheit hilft dabei, alle Aspekte der Liebe in ihrer personalen Dimension zu integrieren. So ist sie eine positive Tugend im Dienst der Liebe.

Das Begehren des Fleisches ist eine gewisse Tendenz, die den Willen auf der Grundlage des sinnlichen und sexuellen Verlangens betrifft. Dabei werden der Leib und die Sexualität von der Person isoliert und zu einem Objekt des Begehrens gemacht. Manchmal ist diese utilitaristische und konsumistische Einstellung der Person nicht voll offenbar: sie wird durch emotionale Regungen verdeckt. Jene Regungen können für die Integration der Sinnlichkeit in personale Liebe nützlich sein. Aber in sich selbst haben sie eine stark subjektivistische Tendenz.

Der emotionale Subjektivismus (1) betont die „Authentizität der Emotionen“. Aber sogar in diesem Fall ist die Person als solche noch nicht im Blick. Der Subjektivismus der Werte (2) konzentriert sich auf die sinnliche Lust und macht sie zum höchsten Wert und Entscheidungskriterium. Beide Formen des Subjektivismus haben mit dem Egoismus zu tun und stehen im Gegensatz zur Integration der Liebe. In der Integration der Liebe wird ihr subjektives Profil mit ihren verschiedenen Dimensionen (sinnlich, emotional, willentlich) in das objektive Profil der Liebe eingefügt, welches die Bejahung der Personen und ihres Gutes beinhaltet. Sinnliche Lust ist in sich selbst kein Übel; nur ihre willentliche Desintegration als Ausdruck des Egoismus ist sittlich schlecht.

Karol Wojtyła fragt nach der Struktur der Sünde und stellt dabei fest: Weder die Sinnlichkeit noch die Emotionalität sind sündhaft. Nicht einmal das Begehren des Fleisches ist als solches sündhaft; es ist vielmehr eine Tendenz zur Sünde hin (Konkupiszenz), die theologisch gesprochen eine Konsequenz der Erbsünde ist. Wenn die Güter der körperlichen Lust und der emotionalen Nähe nicht in den Wert der personalen Liebe integriert werden, zeigt dies einen gewissen Egoismus und ist ein Ausdruck von „sündhafter Liebe“. Sünde hat immer mit einer falschen Entscheidung oder mit einer Akzeptanz einer schlechten Tendenz durch den menschlichen Willen zu tun. Wenn der menschliche Wille sich weigert, die sinnlichen und emotionalen Komponenten in die personale Liebe zu integrieren, missachtet er den Wert der betroffenen Personen und ihrer personalen Vereinigung.

Dann bemüht sich Wojtyła, die volle Bedeutung der Keuschheit aufzuzeigen: Wenn die Tugend der Keuschheit im Rahmen der Tugend der Mäßigung zusammengefasst wird (Aristoteles und Thomas von Aquin folgend), liegt darin eine gewisse Wahrheit. Die Keuschheit verleiht den sinnlichen und emotionalen Erfahrungen im sexuellen Bereich die rechte Ordnung, insofern diese unter der Kontrolle des Willens gehalten werden. Die volle Bedeutung der Tugend der Keuschheit zeigt sich jedoch nur im Kontext der personalen Liebe. Hier hilft sie dabei, den Primat der Person und ihrer Güter in jedem Aspekt der Sinnlichkeit und Emotionalität zu garantieren. Keuschheit beinhaltet auch Offenheit für die transzendente Bedeutung des Guten.

Karol Wojtyła untersucht die Metaphysik des Schamgefühls.

Hier zeigt sich die teilweise Anwendung der phänomenologischen Methode, wenn er nach dem Phänomen des sexuellen Schamgefühls und seiner Interpretation fragt: Das Schamgefühl sucht generell jemanden oder etwas zu verbergen; das sexuelle Schamgefühl besitzt die Tendenz, die Geschlechtsorgane und den sexuellen Ausdruck der Liebe zu verbergen. Das Schamgefühl hat eine Schutzfunktion im Dienst der Person: Es möchte das bloß instrumentelle Gebrauchen einer Person durch die andere ausschließen. Die Erfahrung des sexuellen Schamgefühls ist bei Mann und Frau unterschiedlich. Ein Mann besitzt eine stärkere Neigung zu sinnlichen Reaktionen auf den Leib einer Person des anderen Geschlechts, während eine Frau in ihrer Emotionalität eine stärkere Neigung zur ganzen Person des anderen Geschlechts in deren Männlichkeit aufweist.

Nacktheit zu vermeiden kann nach Wojtyłas Analyse ein Zeichen des Schamgefühls sein, aber es gibt auch andere Formen und Erklärungen des Umgangs mit teilweiser und gänzlicher Nacktheit, z.B. gesundheitliche Gründe oder Gründe des Klimas und der Hygiene. Die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau als Ausdruck und Verwirklichung ehelicher Liebe bedarf der Intimität. Von außerhalb dieser Vereinigung (d.h. vom Standpunkt anderer Personen aus) kann das objektive Profil der Liebe, welches das Gebrauchen einer Person durch die andere ausschließt, nicht erkannt werden. Daher besitzt niemand von außen kommend das Recht, ein Beobachter dieses Ausdrucks sexueller Intimität zu sein.

Wie sieht es aber nun in der persönlichen Beziehung der Ehegatten aus? Wird hier das Schamgefühl aufgehoben? Wojtyła spricht von einem Gesetz der Absorption des Schamgefühls durch die Liebe. Was versteht er darunter? Reife Liebe, d.h. ehelich-bräutliche Liebe in ihrer sittlichen Integrität, schließt jedes Gebrauchen einer Person durch die andere aus. Daher besteht zwischen den Gatten nicht länger die Notwendigkeit, die geschlechtlichen Bereiche und Organe voreinander zu verbergen. Eine derartige personale Liebe zerstört das sexuelle Schamgefühl nicht, sondern integriert dessen Werte. Auf diese Weise erweist sich die sexuelle Vereinigung eines verheirateten Paares nicht länger als Ausdruck der Schamlosigkeit, sondern als Art und Weise, die tiefste Form der personalen Liebe zwischen einem Mann und einer Frau zu zeigen.

Schamlosigkeit hat hingegen mit einer Einstellung des Willens zu tun, den Anforderungen des sexuellen Schamgefühls nicht Folge zu leisten. Es ist zu unterscheiden zwischen der „physischen Schamlosigkeit“ (d.h. der Schamlosigkeit des Leibes) und der „Schamlosigkeit der Gefühle“ (d.h. der Schamlosigkeit des Erlebens). Die Schamlosigkeit des Leibes zeigt mit Absicht die Geschlechtsteile oder hebt diese hervor, um eine Einstellung des Gebrauchens einer Person als Mittel des sexuellen Genusses hervorzurufen oder auszudrücken. Die Schamlosigkeit der Gefühle zeigt mit Absicht jene Reaktionen auf andere Personen, die eine Einstellung des Gebrauchens einer anderen Person als Mittel des sexuellen Genusses offenbaren. Davon zu unterscheiden ist, dass in gewissen Situationen objektive Gründe für eine teilweise oder völlige Nacktheit der Person bestehen, die nichts mit Schamlosigkeit zu tun haben. Abzulehnen ist jedenfalls Pornografie als Tendenz in der Kunst und der bildlichen Darstellung und Wiedergabe, sich auf sexuelle Werte auf eine Weise zu konzentrieren, die unvereinbar sind mit der Würde der Person und der personalen Liebe.

Unerlässlich für das rechte Verständnis der ehelichen Liebe ist für Wojtyła eine Analyse der Problematik der Enthaltsamkeit.

Enthaltsamkeit bedeutet vor allem, das Begehren des Fleisches und die ungeordneten Neigungen der Emotionalität unter Kontrolle zu halten. Eine bloße Unterdrückung ungeordneter sinnlicher und emotionaler Regungen und Tendenzen reicht nicht aus (dies wäre eine bloß negative Haltung); Vernunft und Freiheit müssen ihren Primat über das Sinnliche und Emotionale in Form einer echten Werterkenntnis und Wertbejahung ausüben (nur das entspricht einer positiven Haltung zur Sexualität und ihren Werten). Die objektiven Werte der Würde der Person und der personalen Liebe sind entscheidend. Alle niedrigeren Werte (z.B. jene der Sinnlichkeit und der Emotionalität) sollen in den Dienst dieses Zieles gestellt werden. Sublimierung bedeutet, die vitalen Kräfte und Energien dieser niedrigeren Vermögen zu nutzen, um das Gut der Person und der personalen Liebe zu fördern.

Daher ist die Enthaltsamkeit als Tugend in gewissem Sinn tatsächlich eine Form und Betätigung des Maßhaltens. Um die „Mitte“ zwischen zwei Extremen zu finden, ist es in diesem Sinn nicht angemessen, bloß eine „mittelmäßige“ Sinnlichkeit und Emotionalität zu kultivieren, sondern ein dynamisches Gleichgewicht in der Weise einer Unterordnung der sinnlichen und emotionalen Kräfte unter die Vernunft und den Willen herzustellen.

Speziell fragt Wojtyła auch nach dem Verhältnis von Zärtlichkeit und Sinnlichkeit. Zärtlichkeit hat mit emotionaler Nähe zu tun (d.h. auch mit Sympathie und Empathie); sie ist jedoch offen für personale Liebe, indem sie am inneren Leben der anderen Person Anteil nimmt. Zärtlichkeit braucht gewisse äußere Kundgaben und Zeichen. Das sittliche Kriterium für eine angemessene Verwirklichung der Zärtlichkeit ist ihr Ausdruck personaler Liebe gemäß deren subjektivem und objektivem Profil. Die Zärtlichkeit soll vom sinnlichen und emotionalen Egoismus gereinigt werden. Daher ist sie auf die Tugend der Enthaltsamkeit angewiesen.

d) Kapitel IV: Die Gerechtigkeit gegenüber dem Schöpfer

Hier geht es zuerst um die Ehe als göttliche Berufung.

Die Monogamie und die Unauflöslichkeit der Ehe sind notwendigerweise miteinander verbunden und zielen wesentlich auf dasselbe ab, indem sie den einzigartigen Wert der menschlichen Person und der personalen Hingabe in Liebe bezeugen. Monogamie und Unauflöslichkeit sind eine Vorbedingung für die Verwirklichung des personalistischen Prinzips in der Ehe. Gäbe es eine Akzeptanz der Polygamie oder der Ehescheidung (verstanden als formelle Auflösung der Ehe), dann würden Personen zum Gebrauchsobjekt füreinander gemacht. Es kann nach Karol Wojtyła schwerwiegende Gründe für eine zeitweilige oder ständige Trennung der Gatten geben; dennoch besteht das Band ihrer Einheit, welches einmal durch den freien und gegenseitigen Konsens (d.h. durch das Ja-Wort der Brautleute) begründet worden ist, auch unabhängig von ihrem Willen weiter fort.

In theologischer Perspektive führt er weiter aus: Jesus Christus hat die Ehe gemäß dem Willen Gottes so wiederhergestellt, wie es am Anfang der Schöpfung war. Er hat damit das Ideal der Verwirklichung des personalistischen Prinzips aufgezeigt und erneut ermöglicht. Die übernatürliche Liebe schließt das personalistische Prinzip mit ein, eröffnet jedoch noch andere Dimensionen in der Einheit mit Gott.

Wojtyła fragt nach der Ehe als Institution und stellt fest: Die Ehe als Institution rechtfertigt das gemeinsame Leben der Gatten, einschließlich der sexuellen Dimension ihres Zusammenlebens. Ehe und Familie sind nicht dasselbe; die Ehe ist jedoch das Fundament der Familie. Die Ehe als Institution ist eine interpersonale Gemeinschaft und soll den Respekt der Personen füreinander garantieren. So schließt die Institution als solche, wenn sie in ihrer integralen Dimension verstanden wird, den instrumentellen Gebrauch einer Person durch die andere aus.

Grundsätzlich ist eine Rechtfertigung des ehelichen Lebens nötig: und zwar zwischen den Gatten, gegenüber der Gesellschaft und auch vor Gott dem Schöpfer. Sowohl die natürliche als auch die übernatürliche Dimension der Ehe („Sakrament der Natur“ und „Sakrament der Gnade“) verleihen dieser ihre Rechtfertigung vor Gott, zwischen den Gatten und gegenüber der Gesellschaft. Gott besitzt eine Oberherrschaft (das sog. „dominium altum“) über jede menschliche Person, d.h. jede Person ist sein Eigentum. Eine personale Einheit in ehelicher Liebe ist also nur möglich im Einklang mit Gottes Willen, was den Gebrauch einer Person durch die andere ausschließt.

Die eheliche sexuelle Liebe hat eine notwendige Beziehung zu Zeugung und Elternschaft. Auch dies legt Wojtyła in seiner Analyse dar. Die geschlechtliche eheliche Vereinigung schließt in ihrem eigentlichen Sinn das Bewusstsein und die Annahme der Möglichkeit mit ein, durch diesen Akt Vater oder Mutter werden zu können. Zwar ist es einerseits vom sittlichen Standpunkt aus nicht nötig, die Zeugung eines Kindes in jedem ehelichen sexuellen Akt auf positive und ausdrückliche Weise anzustreben. Andererseits widerspricht es der Würde der Gatten als menschliche Personen und steht es im Widerspruch zur sittlichen Gutheit des ehelichen Aktes, wenn man auf positive Weise – d.h. durch künstliche Verhütung – die natürliche Finalität (Zielbezogenheit) des sexuellen Aktes, der von sich aus auf die Zeugung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, ausschließt. Wenn es jedoch natürliche Hindernisse gibt – z.B. Unfruchtbarkeit aufgrund einer Krankheit oder wegen des Alters –, so mindert dies nicht den personalen Wert des ehelichen sexuellen Aktes.

Wojtyła nimmt zur periodischen Enthaltsamkeit der Gatten Stellung. Periodische Enthaltsamkeit ist nicht bloß eine technische Methode, sondern schließt eine andersgeartete Einstellung gegenüber der Person mit ein. Damit die periodische Enthaltsamkeit gerechtfertigt ist, muss sie ein Ausdruck der Tugend sein. Die Tugend der Enthaltsamkeit ist eine Verwirklichung der personalen Liebe. Bei der periodischen Enthaltsamkeit sind sowohl die mögliche Annahme von Kindern als auch der gegenseitige Respekt und die Liebe der Gatten füreinander garantiert. Objektiv kann es Gründe dafür geben, nicht weitere Kinder „einzuplanen“. Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen die Gatten sich dafür entscheiden, nur in jenen Zeiten sexuelle Beziehungen miteinander zu haben, in denen die Frau nicht fruchtbar ist. Dennoch bleibt bei dieser periodischen Enthaltsamkeit ein grundlegender Respekt gegenüber dem sittlichen Naturgesetz und dem Willen des Schöpfers bestehen.

Dem Thema der Berufung widmet sich Karol Wojtyła in grundsätzlicher Sicht, und hier zeigt sich, wie seine diesbezüglichen Analysen und Darlegungen nicht nur die philosophische Ebene einschließen, sondern auch als theologische Reflexionen zu betrachten sind.

Er fragt zuerst nach dem Konzept der „Gerechtigkeit gegenüber dem Schöpfer“: Auf sittlich verantwortliche Weise zu handeln verlangt nicht nur Gerechtigkeit gegenüber menschlichen Personen (d.h. in der horizontalen Dimension), sondern auch die Gerechtigkeit gegenüber Gott dem Schöpfer (d.h. in der vertikalen Dimension). Wenn der Mensch im Gewissen das natürliche Sittengesetz akzeptiert, nimmt er eine grundlegende Haltung der Gerechtigkeit gegenüber dem Schöpfer ein. Diese Einstellung akzeptiert den Ursprung aller Geschöpfe in Gott und ihre absolute Abhängigkeit von ihm; dies trifft auch in Bezug auf die menschliche Person zu, der Gott eine besondere Würde geschenkt hat.

Die göttliche Offenbarung verkündet uns, dass Gott „die Liebe“ ist (vgl. 1 Joh 3,8.16). So ist die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen als göttlicher Ruf zur Liebe in Erwartung einer menschlichen Antwort zu charakterisieren. Im ehelichen Leben werden die Gatten im Akt ihrer sexuellen Hingabe, den sie in gegenseitiger Liebe und in Offenheit für Kinder vollziehen, durch Teilhabe zu Mitarbeitern Gottes. Nur wenn ihre Potenzialität, Eltern werden zu können, von ihnen selbst respektiert wird, achten die Gatten einander auch als Personen sowie Gott als den Schöpfer jedes Lebens.

Es gibt nicht nur eine Berufung zur Ehe, sondern auch eine Berufung zum jungfräulichen Leben. Die Jungfräulichkeit als göttliche Berufung ist mehr als die physische Jungfräulichkeit. Physische Jungfräulichkeit kann ein Zeichen und eine Hilfe dabei sein, die tiefste Vereinigung mit Gott in der bräutlichen Liebe der Seele zu Gott, ihrem Bräutigam, zu erreichen. Das Leben hat viele Seiten, und daher kann eine sogenannte „zweite Wahl“ des unverheirateten Lebens (z.B. nach dem Tod eines Gatten oder wenn jemand keinen Ehepartner finden konnte) auch noch zu einer Verwirklichung der ausschließlichen Vereinigung der Person mit Gott werden.

Es ist von Person zu Person unterschiedlich, ob sich die Ehe als „leichter“ und gangbarer erweist oder das jungfräuliche Leben. Dennoch ist in der Perspektive des Glaubens die geweihte Jungfräulichkeit bzw. der Zölibat um des Himmelreiches willen objektiv ein Stand höherer Vollkommenheit als die Ehe, hält Wojtyła mit der katholischen Tradition fest. Dies hat jedoch nichts mit einer Abwertung der Ehe zu tun, sondern mit der Vorwegnahme des eschatologischen Lebensstandes aller Menschen durch die gottgeweihte Jungfräulichkeit bzw. durch den Zölibat um des Himmelreiches willen.

Bei einer Berufung handelt es sich um eine Dimension von Ruf und Antwort, die nur Personen zugänglich ist. Gott selbst ruft uns zur Vollkommenheit in der Liebe, d.h. zur Heiligkeit. Jede menschliche Person ist auf persönliche Weise gerufen, diesem Ruf zur Heiligkeit und Liebe zu antworten und ihre Berufung gemäß den persönlichen Eigenarten und Umständen zu verwirklichen. Während es auch den sogenannten „Stand der Vollkommenheit“ gibt, kann die Vollkommenheit als solche doch nur durch eine Antwort der personalen Liebe gegenüber Gott und den menschlichen Personen erreicht werden. Daher kann diese Vollkommenheit der Liebe durch die Jungfräulichkeit, durch das faktisch zugelassene oder ursprünglich gewählte unverheiratete Leben und durch die Ehe verwirklicht werden.

Vater- und Mutterschaft schließlich entfalten sich ebenfalls auf unterschiedliche Weise. Eine Frau wird Mutter im physischen Sinn durch einen Mann; ein Mann wird Vater im psychischen Sinn als Folge der physischen Mutterschaft einer Frau. Nicht nur die physische oder biologische Elternschaft ist von Bedeutung; ein Kind ist eine Person, welche geistige Formung braucht. Biologische Väter und Mütter sollen Väter und Mütter im geistigen Sinn werden. Es gibt auch die Möglichkeit für Personen, die im physischen Sinn nicht Eltern sind, geistige Väter oder Mütter zu werden. Dies hat mit der Reife der Person zu tun und auch mit der Dynamik der Liebe, vom eigenen Leben an andere etwas weiterzugeben.

e) Kapitel V: Sexualwissenschaft und Ethik. Ein ergänzender Überblick

Die klinische Sexualwissenschaft bietet nach der Auffassung Karol Wojtyłas nur einen partiellen Zugang zum Phänomen des sexuellen Lebens. Für die ethische Beurteilung ist entscheidend der personale Ansatz. Die Sexualität ist nicht nur etwas Biologisches, sondern eine Eigenschaft der menschlichen Person als Ganze. Auf der Grundlage biologischer und medizinischer Erkenntnisse, aber in personaler Perspektive will Wojtyła daher noch ergänzend Stellung nehmen zu einigen Fragen, wie sie die Sexualwissenschaft aufwirft.

Der sexuelle Trieb ist zwar biologisch bedingt, richtet sich jedoch nicht nur auf die Sexualität der anderen Person, sondern auf einen Menschen des jeweils anderen Geschlechts. Sein biologisches Ziel ist die Erhaltung der menschlichen Art, sein personaler Sinn ist die Liebe zwischen Mann und Frau und auch zum Kind. Die sexuelle Erregung tritt verschieden auf: bei einzelnen Personen, in den jeweiligen Altersstufen und Umständen. Was in sich betrachtet eine Manifestation des sexuellen Triebes ist, soll in ein wirkliches Element der personalen Liebe verwandelt werden.

Wojtyła spricht dann Probleme der Ehe und des ehelichen Verkehrs an.

Wahre personale Liebe in der Ehe verlangt, dass auch die Dimension des Sexuellen miteinbezogen wird. Die Sexualität ist ein integrierender Bestandteil des Gutes der Person, das für die geliebte Person gesucht wird und auch selber verwirklicht werden soll. Insbesondere der Mann ist aufgerufen, auf die unterschiedlichen physiologischen Abläufe der sexuellen Erregung bei der Frau Rücksicht zu nehmen. Der Egoismus des Mannes kann eine Ursache dafür sein, dass bei der Frau psychische Verletzungen und in der Folge auch Frigidität auftreten.

Bemerkenswert ist die Feststellung Wojtyłas, ein Akt der Zärtlichkeit vonseiten des Mannes im Rahmen des sexuellen Verkehrs könne die Bedeutung eines Aktes der Tugend erlangen, insbesondere der Tugend der Enthaltsamkeit und auch der Tugend der Liebe. Eine harmonische Ehe ist jedenfalls nicht das Ergebnis von „Technik“, sondern die Frucht einer Kultur des Zusammenlebens und somit der Tugend der Liebe. Die Ehe als stabile Institution kann die Frau von der Angst befreien, der sie sonst ausgesetzt ist, wenn sie sich einem Mann sexuell hingibt. Eine Partnerschaft in personaler Liebe und Hingabe kann von ihrem Wesen her nicht „erprobt“ werden, da man eine Person nicht „probeweise“ annehmen und sich selbst nicht „probeweise“ an eine andere Person verschenken kann.

Die biologische und klinische Sexualwissenschaft kann zwar die Prinzipien der Monogamie, der ehelichen Treue und der reifen Wahl einer Person nicht sittlich begründen, da diese Begründung auf einer anderen Ebene erfolgen muss; indirekt bestätigen aber deren Ergebnisse die ethischen Prinzipien und Normen.

Nochmals wird das Problem der bewussten Mutterschaft angesprochen.

Insofern die Frau erkennt, dass ihre Fähigkeit, schwanger werden zu können, von biologischen Gesetzmäßigkeiten abhängig ist, die ihr bekannt sind bzw. bekannt sein können, hat sie die Möglichkeit einer bewussten Regelung der Empfängnis entsprechend der menschlichen Natur. Der Mann hat beim ehelichen Verkehr eine eher aktive Rolle inne; er trägt daher eine besondere Verantwortung auch für die sittlich verantwortliche Regelung der Empfängnis.

Sowohl die künstliche Empfängnisverhütung als auch der „coitus interruptus“ sind abzulehnen; in erster Linie aus ethischen Gründen, aber auch aus Gründen der Psychohygiene. Die natürliche Empfängnisregelung kann nur auf der Grundlage von Liebe, Enthaltsamkeit und Zärtlichkeit in sittlich verantwortlicher Weise angewandt werden. Wenn der Mann seine Verantwortung auf dieser Grundlage wahrnimmt, wird die Frau entlastet, und sie wird nicht von der Angst vor einem unerwarteten Kind beherrscht, was die Ursache für seelische und auch organische Störungen sein kann.

Was den Zusammenhang von sexueller Psychopathologie und Ethik betrifft, so merkt Wojtyła an:

Der sexuelle Trieb als solcher ist zu bejahen, nicht zu unterdrücken. Enthaltsamkeit ist nicht einfach die Unterdrückung der Sexualität, sondern der vernunftgemäß und willentlich geordnete zeitweise oder dauernde Verzicht auf sexuelle Akte. Sexualerziehung soll in Wahrheit und Ehrfurcht geschehen, ausgerichtet auf die Werte des Lebens und der Liebe. Eine falsche sittliche Einstellung und Haltung zum Bereich des Sexuellen kann die Ursache von Neurosen und anderen Störungen sein.

Für eine mögliche Therapie von pathologischen Erscheinungen gelten bestimmte Grundsätze:

a) Der sexuelle Trieb verlangt einen rechten Gebrauch.

b) Der Wille kann gewisse Reaktionen des Leibes kontrollieren.

c) Die Sexualität ist ein natürliches Phänomen, das man verstehen kann.

d) Am wichtigsten ist es, die rechte Ordnung der Werte bewusst zu machen.

e) Bei Krankheiten braucht es die Hilfe eines ärztlichen Fachmanns, der in seinem Menschenbild die Würde der Person und ihrer Vollzüge achten soll.

Die letzte und eigentliche Grundlage für eine Therapie bei Störungen im sexuellen Verhalten kann nur der Respekt gegenüber der Person und ihrer Berufung zur natürlichen und übernatürlichen Liebe sein.

5. Die bleibende Aktualität von „Liebe und Verantwortung“

Wer sich über ein halbes Jahrhundert nach dem erstmaligen Erscheinen dieses Werkes wieder mit seinem Gedankengang und den vorgelegten Argumenten befasst, nimmt überrascht dessen bleibende Aktualität wahr. Diese ist insofern einleuchtend, als sich der Verfasser eben auf den Menschen in seiner Würde und Wesensnatur bezieht, was einer umfassenden Erfahrung zugänglich bleibt.

Die personale Liebe zwischen Mann und Frau, wie sie sich in der ehelichen Liebe vollendet, bleibt eine beständige Herausforderung für das ethische Denken und das sittliche Leben. Karol Wojtyła hat die „Berufung zur Liebe, deren Verwirklichung in einer ,communio personarum‘ den Menschen erfüllt und beglückt und ihn einst im Himmel in der Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht in der ewigen Gemeinschaft mit Gott und allen Engeln und Heiligen selig sein lässt“, hier zuerst philosophisch aufgezeigt und dargelegt, um eben dadurch auch dem Wort Gottes in einem theologischen Verständnis den Weg zu bereiten.

So gesehen bietet „Liebe und Verantwortung“ das philosophische Fundament für die später von Johannes Paul II. vorgelegte „Theologie des Leibes“.

Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan

Der wesentliche lnhalt der Katechesen von Papst Johannes Paul II. zur Theologie des Leibes

Erster Teil: Die Worte Christi

Erstes Kapitel: Christus beruft sich auf den Anfang

1. Was bedeutet Anfang?

2. Die Bedeutung des ursprünglichen Alleinseins

3. Die Bedeutung der ursprünglichen Einheit

4. Die Bedeutung der ursprünglichen Nacktheit

5. Der Mensch in der Dimension des Geschenks

6. "Erkenntnis" und Zeugung (Gen 4,1)

7. Eine ganzheitliche Sicht

Zweites Kapitel: Christus beruft sich auf das Herz

1. Im Licht der Bergpredigt (Mt 5,27-28): "Wer eine Frau ansieht, um sie zu begehren"

2. Der Mensch der Begehrlichkeit

3. Gebot und Ethos

4. Das "Herz": angeklagt oder gerufen?

5. Das Ethos der Erlösung des Leibes

6. Reinheit als "Leben nach dem Geist"

7. Das Evangelium der Reinheit des Herzens: gestern und heute

Drittes Kapitel: Christus beruft sich auf die Auferstehung

1. Die Auferstehung des Leibes als Wirklichkeit der zukünftigen Welt

2. Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen

Zweiter Teil: Das Sakrament

Erstes Kapitel: Die Dimension des Bundes und der Gnade

1. Epheser 5,21-33

2. Sakrament und Geheimnis

3. Sakrament und Erlösung des Leibes

Zweites Kapitel: Die Dimension des Zeichens

1. Die Sprache des Leibes und die Wirklichkeit des Zeichens

2. Das Hohelied

3. Wenn die "Sprache des Leibes" zur Sprache der Liturgie wird (Überlegungen zu Tobit)

Drittes Kapitel: Er gab ihnen das Gesetz des Lebens zum Erbe

1. Das ethische Problem

2. Skizze der Spiritualität der Ehe

Schluss

Quellen und Literatur

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