Missus a Patre
Missus a Patre |
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Kongregation für die Glaubenslehre
im Pontifikat von Papst
Benedikt XVI.
Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung
3. Dezember 2007
(Quelle: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz,
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
1 Vom Vater gesandt, das Evangelium zu verkünden, ruft Jesus Christus alle Menschen zur Bekehrung und zum Glauben (vgl. Mk 1,14-15), indem er den Aposteln nach seiner Auferstehung die Fortführung seiner Sendung zur Evangelisierung anvertraut (vgl. Mt 28,19-20; Mk 16,15; Lk 24,4-7; Apg 1,3): „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21; vgl. 17,18). Durch die Kirche möchte er jede Epoche der Geschichte, jeden Ort der Welt und jedes gesellschaftliche Umfeld erreichen und zu jedem Menschen kommen, damit alle eine Herde und ein Hirte werden (vgl. Joh 10,16): „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden” (Mk 16,15-16).
Die Apostel also „luden, bewegt vom Heiligen Geist, alle zur Änderung des Lebens, zur Bekehrung und zum Empfang der Taufe ein”,<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 47: AAS 83 (1991), 293.</ref> weil die “pilgernde Kirche zum Heil notwendig” ist.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 14; vgl. Dekret Ad gentes, 7; Dekret Unitatis redintegratio, 3. Diese Lehre steht nicht dem universalen Heilswillen Gottes entgegen, der “will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen” (1 Tim 2,4). Deshalb muss man „diese beiden Wahrheiten zusammen gegenwärtig haben: die tatsächlich gegebene Möglichkeit des Heiles in Christus für alle Menschen und die Notwendigkeit der Anwesenheit der Kirche für dieses Heil” (Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 9: AAS 83 [1991], 258).</ref> Der Herr Jesus Christus selbst, der in seiner Kirche gegenwärtig ist, geht dem Werk der Verkünder des Evangeliums voraus, begleitet es und folgt ihm, und lässt so ihre Arbeit fruchtbar werden: Was sich am Anfang ereignet hat, setzt sich durch die ganze Geschichte hindurch fort.
Am Beginn des dritten Jahrtausends erklingt in der Welt erneut die Einladung, die Petrus – zusammen mit seinem Bruder Andreas und den ersten Jüngern – von Jesus hörte: „Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus!” (Lk 5,4).<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 1: AAS 93 (2001), 266.</ref> Und nach dem Wunder vom reichen Fischfang verkündete der Herr dem Petrus, dass er „Menschenfischer“ werden sollte (vgl. Lk 5,10).
2 Das Wort Evangelisierung hat eine überaus reichhaltige Bedeutung.<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 24: AAS 69 (1976), 22.</ref> In einem weiteren Sinn fasst es die gesamte Sendung der Kirche zusammen: Ihr ganzes Leben besteht ja in der Verwirklichung der traditio Evangelii, der Verkündigung und Weitergabe des Evangeliums, das „eine Kraft Gottes [ist], die jeden rettet, der glaubt“ (Röm 1,16), und letztlich mit Jesus Christus identisch ist (vgl. 1 Kor 1,24). Deshalb richtet sich die so verstandene Evangelisierung an die ganze Menschheit. Evangelisieren bedeutet in jedem Fall nicht nur eine Lehre unterrichten, sondern den Herrn Jesus in Wort und Tat verkünden, also Werkzeug seiner Gegenwart und Wirksamkeit in der Welt werden.
„Jeder Mensch hat das Recht, von der Frohbotschaft Gottes zu hören, der sich in Christus offenbart und schenkt; so erst kann der Mensch seine eigene Berufung voll verwirklichen“.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 46: AAS 83 (1991), 293; vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 53 und 80: AAS 69 (1976), 41-42, 73-74.</ref> Es handelt sich dabei um ein Recht, das der Herr jeder menschlichen Person verliehen hat. Deshalb kann jeder Mann und jede Frau wahrhaft mit dem heiligen Paulus sagen: Jesus Christus hat „mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (Gal 2,20). Diesem Recht entspricht die Pflicht zur Evangelisierung: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16; vgl. Röm 10,14). So wird deutlich, wie jedes Tun der Kirche eine grundlegende evangelisierende Dimension hat und nie von dem Bemühen getrennt werden darf, allen zu helfen, Christus im Glauben zu begegnen, denn darin besteht das Hauptziel der Evangelisierung: „Das Soziale und das Evangelium sind einfach nicht zu trennen. Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig“.<ref> Benedikt XVI., Homilie bei der heiligen Messe auf dem Gelände vor der Neuen Messe in München (10. September 2006): AAS 98 (2006), 710.</ref>
3 Heute herrscht jedoch eine wachsende Verwirrung, die viele dazu verleitet, den Missionsauftrag des Herrn (vgl. Mt 28,19) ungehört und unwirksam zu lassen. Oft meint man, dass jeder Versuch, andere in religiösen Fragen zu überzeugen, die Freiheit einschränke. Es wäre nur erlaubt, die eigenen Ansichten darzulegen und die Menschen einzuladen, nach ihrem Gewissen zu handeln, ohne ihre Bekehrung zu Christus und zum katholischen Glauben zu fördern: Man sagt, es genüge, den Menschen zu helfen, bessere Menschen oder der eigenen Religion treuer zu sein; es genüge, Gemeinschaften zu bauen, die fähig sind, für Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden und Solidarität zu arbeiten. Darüber hinaus behaupten einige, dass man Christus denen, die ihn nicht kennen, nicht verkünden und deren Zugehörigkeit zur Kirche nicht fördern sollte, weil es möglich sei, auch ohne ausdrückliche Kenntnis Christi und ohne formale Eingliederung in die Kirche gerettet zu werden.
Angesichts dieser Problemstellungen hat es die Kongregation für die Glaubenslehre für notwendig gehalten, die vorliegende Note zu veröffentlichen. Das Dokument setzt die gesamte katholische Lehre über die Evangelisierung voraus, die im Lehramt von Paul VI. und Johannes Paul II. ausführlich behandelt worden ist, und hat zum Ziel, einige Aspekte in der Beziehung zwischen dem Missionsauftrag des Herrn und der Achtung des Gewissens und der Religionsfreiheit aller Menschen zu klären. Es handelt sich dabei um Aspekte mit wichtigen anthropologischen, ekklesiologischen und ökumenischen Implikationen.
II. Einige anthropologische Implikationen
4 „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3): Gott hat dem Menschen den Verstand und den Willen geschenkt, damit er ihn in Freiheit suchen, erkennen und lieben könne. Daher ist die menschliche Freiheit eine Gabe und eine Herausforderung, die der Schöpfer dem Menschen angeboten hat. Diese Gabe richtet sich an seine Fähigkeit, das zu erkennen und zu lieben, was gut und wahr ist. Nichts bringt die menschliche Freiheit so sehr ins Spiel wie die Suche nach dem Guten und nach der Wahrheit, die eine Zustimmung fordert, welche die grundlegenden Aspekte des Lebens mit einbezieht. Dies betrifft zumal die Frage nach der Heilswahrheit, die nicht nur Gegenstand des Denkens ist, sondern ein Ereignis, das die ganze Person – Verstand, Willen, Gefühle, Tätigkeiten und Pläne – betrifft, wenn sie sich Christus hingibt. In dieser Suche nach dem Guten und nach der Wahrheit wirkt schon der Heilige Geist, der die Herzen für die Annahme der Wahrheit des Evangeliums öffnet und bereitet, gemäß dem bekannten Wort des heiligen Thomas von Aquin: „Omne verum a quocumque dicatur a Spiritu Sancto est“.<ref> „Alles Wahre, wer auch immer es sagt, ist vom Heiligen Geist“: Thomas von Aquin, Summa theologiae, I-II, q. 109, a. 1, ad 1.</ref> Es ist daher wichtig, dieses Tun des Geistes hochzuschätzen, der Verbindungen zur Wahrheit herstellt, die Herzen ihr näher bringt und der menschlichen Erkenntnis hilft, in der Weisheit zu reifen und sich vertrauensvoll der Wahrheit anzuvertrauen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio (14. September 1998), 44: AAS 91 (1998), 40.</ref>
Heute werden aber immer häufiger Fragen gestellt, ob es wirklich recht ist, anderen das anzubieten, was man selbst für wahr hält, damit sie es ihrerseits annehmen können. Ein solches Vorgehen wird oft als Angriff auf die Freiheit des anderen betrachtet. Diese Auffassung von der menschlichen Freiheit, die von ihrer untrennbaren Beziehung zur Wahrheit losgelöst wird, stellt einen Ausdruck „jenes Relativismus dar, der nichts als definitiv anerkennt und als letzten Maßstab nur das eigene Ich mit seinen Gelüsten gelten lässt und unter dem Anschein der Freiheit für jeden zu einem Gefängnis wird“.<ref> Benedikt XVI., Ansprache bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie (6. Juni 2005): AAS 97 (2005), 816.</ref> In den verschiedenen Formen des Agnostizismus und des Relativismus, die im zeitgenössischen Denken verbreitet sind, ist „die legitime Pluralität von Denkpositionen... einem indifferenten Pluralismus gewichen, der auf der Annahme fußt, alle Denkpositionen seien gleichwertig: Das ist eines der verbreitetsten Symptome für das Misstrauen gegenüber der Wahrheit, das man in der heutigen Welt feststellen kann. Auch manche aus dem Orient stammende Lebensanschauungen entgehen nicht diesem Vorbehalt. In ihnen wird nämlich der Wahrheit ihr Exklusivcharakter abgesprochen. Dabei geht man von der Annahme aus, dass die Wahrheit in verschiedenen, ja sogar einander widersprechenden Lehren gleichermaßen in Erscheinung trete“.<ref> Johannes Paul II, Enzyklika Fides et ratio, 5 : AAS 91 (1999), 9-10.</ref> Wenn der Mensch seine grundsätzliche Wahrheitsfähigkeit leugnet, wenn er skeptisch wird gegenüber seinem Vermögen, das Wahre wirklich zu erkennen, wird er am Ende gerade das verlieren, was auf einzigartige Weise seinen Verstand ergreifen und sein Herz faszinieren kann.
5 Wer in diesem Zusammenhang meint, sich bei der Suche nach der Wahrheit allein auf die eigenen Kräfte zu verlassen, ohne anzuerkennen, dass jeder dabei die Hilfe anderer nötig hat, betrügt sich selbst. Der Mensch, „findet sich... von Geburt an in verschiedene Traditionen eingebunden, von denen er nicht nur die Sprache und die kulturelle Bildung, sondern auch vielfältige Wahrheiten empfängt, denen er gleichsam instinktiv glaubt... Im Leben eines Menschen sind die einfachhin geglaubten Wahrheiten viel zahlreicher als jene, die er durch persönliche Überprüfung erwirbt“.<ref> Ebd., 31: l.c., 29; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 12.</ref> Die Notwendigkeit, sich Erkenntnissen anzuvertrauen, die von der eigenen Kultur überliefert oder von anderen übernommen wurden, bereichert den Menschen sowohl mit Wahrheiten, die er allein nicht hätte erreichen können, als auch mit jenen zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen, die er dabei knüpft. Der geistige Individualismus dagegen isoliert die Person, hindert sie daran, sich vertrauensvoll anderen zu öffnen – und so jene Güter großzügig zu empfangen und weiterzuschenken, die seine Freiheit nähren – und gefährdet auch das Recht, die eigenen Überzeugungen und Meinungen in der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen.<ref> Dieses Recht ist auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (Artikel 18-19) anerkannt und festgehalten.</ref>
Insbesondere die Wahrheit, die den Sinn des Lebens zu erhellen und das Leben zu orientieren vermag, wird auch dadurch erreicht, dass sich der Mensch vertrauensvoll jenen Personen überantwortet, welche die Sicherheit und Authentizität der Wahrheit selbst garantieren können: „Die Fähigkeit und Entscheidung, sich selbst und sein Leben einem anderen Menschen anzuvertrauen, stellen gewiss einen der anthropologisch gewichtigsten und ausdrucksstärksten Akte dar“.<ref> Johannes Paul II, Enzyklika Fides et ratio, 33 : AAS 91 (1999), 31.</ref>Die Annahme der Offenbarung, die sich im Glauben vollzieht, gehört in die Dynamik der Wahrheitssuche hinein, auch wenn sie sich auf einer tieferen Ebene ereignet: „Dem offenbarenden Gott ist der ‚Gehorsam des Glaubens’ (Röm 16,26; vgl. Röm 1,5; 2 Kor 10,5-6) zu leisten. Darin überantwortet sich der Mensch Gott als Ganzer in Freiheit, indem er sich dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwirft und seiner Offenbarung willig zustimmt“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 5.</ref> Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Pflicht und das Recht jedes Menschen bekräftigt, die Wahrheit im Bereich der Religion zu suchen, und dann hinzugefügt: „Die Wahrheit muss aber auf eine Weise gesucht werden, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist, das heißt auf dem Weg der freien Forschung, mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustauschs und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 3.</ref> In jedem Fall „erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst“<ref> Ebd., 1.</ref> Den Verstand und die Freiheit einer Person ehrlich zur Begegnung mit Christus und seinem Evangelium aufzufordern, ist daher ihr gegenüber keine ungebührende Einmischung, sondern ein rechtmäßiges Angebot und ein Dienst, der die Beziehungen zwischen den Menschen fruchtbarer machen kann.
6 Die Evangelisierung kann überdies nicht nur jene bereichern, an die sie sich richtet, sondern auch ihre Träger sowie die ganze Kirche. So wird etwa im Prozess der Inkulturation „die Gesamtkirche selbst in ihren verschiedenen Lebensbereichen an Ausdrucksformen und Werten bereichert... Sie lernt das Mysterium Christi tiefer kennen und auszudrücken und wird zu ständiger Erneuerung angeregt“.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 52: AAS 83 (1991), 300.</ref> Die Kirche, die seit dem Pfingsttag die Universalität ihrer Sendung kundtut, nimmt nämlich in Christus die unzähligen Reichtümer der Menschen aller Zeiten und Orte der menschlichen Geschichte auf.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Slavorum Apostoli (2. Juni 1985), 18: AAS 77 (1985), 800.</ref> Abgesehen von ihrem inneren anthropologischen Wert, kann jede Begegnung mit einer Person oder einer konkreten Kultur Schätze des Evangeliums aufdecken, die bisher wenig sichtbar gewesen sind und das konkrete Leben der Christen und der Kirche bereichern. Auch dank dieser Dynamik kennt die „apostolische Überlieferung... in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 8.</ref>
Der Heilige Geist, der im Schoß der Jungfrau Maria die Menschwerdung Jesu Christi gewirkt hat, belebt das mütterliche Handeln der Kirche in der Evangelisierung der Kulturen. Auch wenn das Evangelium von allen Kulturen unabhängig ist, vermag es doch alle zu durchdringen, freilich ohne sich ihnen zu unterwerfen.<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 19-20: AAS 69 (1976), 18-19.</ref> In diesem Sinn ist der Heilige Geist auch der Protagonist der Inkulturation des Evangeliums. Er leitet in fruchtbarer Weise den Dialog zwischen dem in Christus offenbarten Wort Gottes und den tiefsten Fragen, die aus den vielen Menschen und Kulturen aufsteigen. So setzt sich in der Geschichte – in der Einheit ein und desselben Glaubens – das Pfingstereignis fort, das durch die verschiedenen Sprachen und Kulturen bereichert wird.
7 Wenn der Mensch religiös bedeutsame Ereignisse und Wahrheiten anderen mitteilt und ihnen hilft, diese anzunehmen, steht dieses Tun nicht nur ganz im Einklang mit dem Wesen eines humanen Dialog-, Verkündigungs- und Lernprozesses, sondern entspricht auch einer anderen wichtigen anthropologischen Gegebenheit: Dem Menschen ist die Sehnsucht eigen, die anderen an den eigenen Gütern teilhaben zu lassen. Die gläubige Annahme der Frohbotschaft drängt von sich aus dazu, sie anderen mitzuteilen. Die Wahrheit, die das Leben rettet, entflammt das Herz dessen, der sie annimmt, mit einer Liebe zum Nächsten, die seine Freiheit bewegt, das weiterzuschenken, was er selbst umsonst empfangen hat.
Auch wenn die Nichtchristen durch die Gnade, die Gott schenkt „auf Wegen, die er weiß“,<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Ad gentes, 7; vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 16; Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 22.</ref> gerettet werden können, kann die Kirche doch nicht unbeachtet lassen, dass ihnen in dieser Welt ein überaus hohes Gut fehlt: die Erkenntnis des wahren Antlitzes Gottes und die Freundschaft mit Jesus Christus, dem Gott-mit-uns. Denn „es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken“.<ref> Benedikt XVI., Homilie bei der heiligen Messe zur Amtseinführung (24. April 2005): AAS 97 (2005), 711.</ref> Für jeden Menschen ist die Offenbarung der grundlegenden Wahrheiten<ref> Vgl. I. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Filius, 2: „Dieser göttlichen Offenbarung ist es zuzuschreiben, dass das, was an den göttlichen Dingen der menschlichen Vernunft an sich nicht unzugänglich ist, auch bei der gegenwärtigen Verfasstheit des Menschengeschlechtes von allen ohne Schwierigkeit, mit sicherer Gewissheit und ohne Beimischung eines Irrtums erkannt werden kann (vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I, q. 1, a. 1)“ (DH 3005).</ref> über Gott, über sich selbst und über die Welt ein hohes Gut; in der Dunkelheit, ohne die Wahrheit über die letzten Fragen zu leben, ist hingegen ein Übel, das oft Leiden und manchmal dramatische Formen der Sklaverei verursacht. Darum schreckt der heilige Paulus nicht davor zurück, die Bekehrung zum christlichen Glauben zu beschreiben als Befreiung von „der Macht der Finsternis“ und Aufnahme „in das Reich seines geliebten Sohnes. Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden” (Kol 1,13-14). Die volle Zustimmung zu Christus, der die Wahrheit ist, und der Eintritt in seine Kirche vermindern deshalb nicht die menschliche Freiheit, sondern erhöhen sie und bringen sie zu ihrer Vollendung in einer Liebe, die umsonst und voll Sorge um das Wohl aller Menschen ist. Es ist ein unschätzbares Geschenk, in der universalen Verbundenheit der Freunde Gottes zu leben, die aus der Gemeinschaft mit dem lebensspendenden Fleisch seines Sohnes hervorgeht, von ihm die Gewissheit der Vergebung der Sünden zu empfangen und in der Liebe zu leben, die aus dem Glauben hervorgeht. An diesen Gütern will die Kirche alle teilhaben lassen, damit sie so die Fülle der Wahrheit und der Mittel des Heils besitzen und „befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes” (Röm 8,21).
8 Die Evangelisierung beinhaltet auch den ehrlichen Dialog, der die Argumente und Empfindungen des anderen zu verstehen sucht. Denn zum Herz des Menschen gelangt man nicht ohne unentgeltlichen Einsatz, Liebe und Dialog. Das verkündete Wort soll also nicht nur ausgesprochen, sondern im Herzen seiner Empfänger auch angemessen bezeugt werden. Das erfordert, auf die Hoffnungen und Leiden sowie auf die konkreten Situationen derer zu achten, an die man sich wendet. Darüber hinaus öffnen die Menschen guten Willens gerade im Dialog ihr Herz bereitwilliger und teilen ehrlich ihre geistlichen und religiösen Erfahrungen mit. Ein solcher Austausch, der für echte Freundschaft kennzeichnend ist, bietet eine wertvolle Gelegenheit für das Zeugnis und für die christliche Verkündigung.
Wie in jeden Bereich menschlicher Tätigkeit, kann sich auch in den Dialog über religiöse Fragen die Sünde einschleichen. Es kann gelegentlich vorkommen, dass dieser Dialog nicht von seinem eigentlichen Ziel bestimmt ist, sondern dem Betrug, egoistischen Interessen oder der Anmaßung unterliegt und so den Respekt vor der Würde und der religiösen Freiheit der Gesprächspartner schuldig bleibt. Daher verbietet die Kirche „streng, dass jemand zur Annahme des Glaubens gezwungen oder durch ungehörige Mittel beeinflusst oder angelockt werde, wie sie umgekehrt auch mit Nachdruck für das Recht eintritt, dass niemand durch üble Druckmittel vom Glauben abgehalten werde“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Ad gentes, 13.</ref>
Der ursprüngliche Beweggrund der Evangelisierung ist die Liebe Christi, der das ewige Heil der Menschen will. Die wahren Verkünder des Evangeliums möchten lediglich das umsonst weiterschenken, was sie selbst umsonst empfangen haben. „Schon in den Anfängen der Kirche haben sich die Jünger Christi abgemüht, die Menschen zum Bekenntnis zu Christus dem Herrn zu bekehren, nicht durch Zwang und durch Kunstgriffe, die des Evangeliums nicht würdig sind, sondern vor allem in der Kraft des Wortes Gottes“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 11.</ref> Die Sendung der Apostel – und ihre Fortführung in der Sendung der alten Kirche – bleibt für alle Zeiten das grundlegende Modell der Evangelisierung: Diese Sendung ist oft vom Martyrium gekennzeichnet, wie auch die Geschichte des eben vergangenen Jahrhunderts zeigt. Gerade das Martyrium verleiht den Zeugen Glaubwürdigkeit, weil sie nicht Macht oder Gewinn suchen, sondern das eigene Leben für Christus hingeben. Sie zeigen der Welt jene gewaltlose Kraft, die voll Liebe zu den Menschen ist und jenen geschenkt wird, die Christus bis zur Ganzhingabe ihres Lebens nachfolgen. So haben die Christen seit den Anfängen des Christentums bis in unsere Tage um des Evangeliums willen Verfolgungen erlitten, wie Jesus selbst es vorhergesagt hatte: „Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20).
III. Einige ekklesiologische Implikationen
9 Seit dem Pfingsttag wird jeder, der den Glauben ganz annimmt, in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen: „Die nun, die sein [Petri] Wort annahmen, ließen sich taufen. An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa dreitausend Menschen hinzugefügt“ (Apg 2,41). Von Anfang an wurde das Evangelium in der Kraft des Geistes allen Menschen verkündet, damit sie glauben und Jünger Christi sowie Glieder seiner Kirche werden. Auch die patristische Literatur enthält fortwährend Aufforderungen, die Sendung zu erfüllen, die Christus seinen Jüngern anvertraut hat.<ref> Vgl. zum Beispiel Clemens von Alexandrien, Protrepticus IX,87,3-4 (SCh 2,154-155); Augustinus, Sermo 14, D [=352A], 3 (NBA XXXV/1, 269-271).</ref> Allgemein wird der Ausdruck „Bekehrung“ verwendet, um auf die Notwendigkeit hinzuweisen, die Heiden zur Kirche zu bringen. Doch in seiner eigentlich christlichen Bedeutung meint „Bekehrung“ (metanoia) eine Änderung des Denkens und des Handelns, die das neue, vom Glauben verkündete Leben in Christus zum Ausdruck bringt: Es geht dabei um eine fortwährende Erneuerung im Denken und im Tun, um immer mehr mit Christus eins zu werden (vgl. Gal 2,20), wozu in erster Linie die Getauften berufen sind. Das ist zumal die Bedeutung der Einladung, die Jesus ausgesprochen hat: „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15, vgl. Mt 4,17).
Der christliche Geist wurde immer von der Leidenschaft beseelt, die ganze Menschheit zu Christus in die Kirche zu führen. Neue Glieder in die Kirche einfügen, heißt nämlich nicht, eine Machtgruppe vergrößern, sondern Menschen eintreten lassen in das Netz der Freundschaft mit Christus, das Himmel und Erde sowie verschiedene Kontinente und Epochen miteinander verbindet. Es heißt, das Geschenk der Gemeinschaft mit Christus annehmen: das „neue Leben“, das beseelt ist von der Liebe und vom Einsatz für die Gerechtigkeit. Die Kirche ist Werkzeug – „Keim und Anfang“<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 5.</ref> – des Reiches Gottes, nicht eine politische Utopie. Sie ist schon Gegenwart Gottes in der Geschichte und trägt zugleich die wahre Zukunft in sich, jede endgültige Zukunft, in der er „alles in allem“ sein wird (1 Kor 15,28). Diese Gegenwart ist notwendig, weil nur Gott der Welt wirklich Frieden und Gerechtigkeit bringen kann. Das Reich Gottes ist nicht – wie heute einige behaupten – eine unbestimmte Wirklichkeit, die über allen religiösen Erfahrungen und Traditionen steht und nach der die Religionen streben sollten wie nach einer allumfassenden, unterschiedslosen Gemeinschaft all derer, die Gott suchen. Das Reich Gottes ist vor allem eine Person, die das Antlitz und den Namen Jesu von Nazaret hat, der Abbild des unsichtbaren Gottes ist.<ref> Vgl. dazu Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 18: AAS 83 (1991), 265-266: „Wenn man das Reich von der Person Jesu trennt, hat man nicht mehr das von ihm geoffenbarte Reich Gottes, man verkehrt schließlich entweder den Sinn des Reiches, das ein rein menschliches oder ideologisches Objekt zu werden droht, oder man verfälscht die Identität Christi, der nicht mehr als der Herr, dem alles unterzuordnen ist, erscheint (vgl. 1 Kor 15, 27)“.</ref> Daher kann jede freie Bewegung des menschlichen Herzens zu Gott und seinem Reich ihrer Natur nach nur zu Christus führen und auf den Eintritt in seine Kirche ausgerichtet sein, die wirksames Zeichen jenes Reiches ist. Die Kirche ist also Werkzeug der Gegenwart Gottes und deshalb auch Werkzeug einer wahren Humanisierung des Menschen und der Welt. Die Ausbreitung der Kirche in der Geschichte, die das Ziel der Mission darstellt, dient der Gegenwart Gottes durch sein Reich: Denn man kann „das Reich nicht von der Kirche loslösen“.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 18: AAS 83 (1991), 266. Zur Beziehung zwischen Kirche und Reich vgl. auch Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus (6. August 2000), 18-19: AAS 92 (2000), 759-761.</ref>
10 Die missionarische Verkündigung der Kirche wird heute jedoch „durch relativistische Theorien gefährdet, die den religiösen Pluralismus nicht nur de facto, sondern auch de iure (oder prinzipiell) rechtfertigen wollen“.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus, 4: AAS 92 (2000), 744.</ref> Seit geraumer Zeit ist eine Situation entstanden, in der vielen Gläubigen das eigentliche Ziel der Evangelisierung nicht klar ist.<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 80: AAS 69 (1976), 73: “Wozu überhaupt das Evangelium verkünden, wo doch die Menschen durch die Rechtschaffenheit des Herzens zum Heil gelangen können? Außerdem weiß man doch, dass die Welt und die Geschichte erfüllt sind von ‚semina Verbi’: Wäre es da nicht eine Illusion zu behaupten, das Evangelium dorthin zu bringen, wo es schon immer in diesen Samenkörnern anwesend ist, die der Herr selbst dort gesät hat?“</ref> Es wird sogar behauptet, dass der Anspruch, die Fülle der Offenbarung Gottes als Geschenk empfangen zu haben, eine Haltung der Intoleranz und eine Gefahr für den Frieden in sich berge.
Wer so denkt, verkennt, dass die Fülle der Wahrheit, die Gott schenkt, indem er sich dem Menschen offenbart, die Freiheit respektiert, die von demselben Gott als unzerstörbares Merkmal der menschlichen Natur geschaffen ist: Diese Freiheit ist nicht Indifferenz, sondern Ausrichtung auf das Gute. Der katholische Glaube selbst und die Liebe Christi fordern einen solchen Respekt, der für die Evangelisierung grundlegend ist und darum ein Gut darstellt, dessen Förderung nicht getrennt werden kann vom Einsatz dafür, die Fülle des Heiles, die Gott dem Menschen in der Kirche anbietet, bekannt zu machen und frei annehmen zu helfen. Der Respekt vor der religiösen Freiheit<ref> Vgl. Benedikt XVI., Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang (22. Dezember 2005): AAS 98 (2006), 50: „So wird beispielsweise die Religionsfreiheit dann, wenn sie eine Unfähigkeit des Menschen, die Wahrheit zu finden, zum Ausdruck bringen soll und infolgedessen dem Relativismus den Rang eines Gesetzes verleiht, von der Ebene einer gesellschaftlichen und historischen Notwendigkeit auf die ihr nicht angemessene Ebene der Metaphysik erhoben und so ihres wahren Sinnes beraubt, was zur Folge hat, dass sie von demjenigen, der glaubt, dass der Mensch fähig sei, die Wahrheit Gottes zu erkennen und der aufgrund der der Wahrheit innewohnenden Würde an diese Erkenntnis gebunden ist, nicht akzeptiert werden kann. Etwas ganz anderes ist es dagegen, die Religionsfreiheit als Notwendigkeit für das menschliche Zusammenleben zu betrachten oder auch als eine Folge der Tatsache, dass die Wahrheit nicht von außen aufgezwungen werden kann, sondern dass der Mensch sie sich nur durch einen Prozess innerer Überzeugung zu eigen machen kann“.</ref> und ihre Förderung „dürfen uns aber keineswegs gegenüber der Wahrheit und dem Guten gleichgültig machen. Vielmehr drängt die Liebe selbst die Jünger Christi, allen Menschen die Heilswahrheit zu verkünden“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 28; vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 24: AAS 69 (1976), 21-22.</ref> Diese Liebe ist das kostbare Siegel des Heiligen Geistes, der als Protagonist der Evangelisierung<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 21-30: AAS 83 (1991), 268-276.</ref> nicht aufhört, die Herzen zur Verkündigung des Evangeliums zu bewegen und für seine Annahme zu öffnen. Diese Liebe lebt im Herzen der Kirche und strahlt von dort als Feuer der Hingabe bis an die Grenzen der Erde, bis in das Herz jedes Menschen. Denn das ganze Herz des Menschen wartet auf die Begegnung mit Jesus Christus.
So versteht man, wie dringend die Einladung Christi ist, das Evangelium zu verkünden, und wie die Sendung, die der Herr den Aposteln anvertraut hat, alle Getauften angeht: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19-20). Diese Worte Jesu betreffen alle in der Kirche, jeden gemäß seiner eigenen Berufung. In der gegenwärtigen Stunde, in der so viele Menschen in vielerlei Arten von Wüsten leben, vor allem in der „Wüste des Gottesdunkels, der Entleerung der Seelen, die nicht mehr um die Würde und um den Weg des Menschen wissen“,<ref> Benedikt XVI., Homilie bei der heiligen Messe zur Amtseinführung (24. April 2005): AAS 97 (2005), 710.</ref> hat Papst Benedikt XVI. der Welt in Erinnerung gerufen: „Die Kirche als Ganze und die Hirten in ihr müssen wie Christus sich auf den Weg machen, um die Menschen aus der Wüste herauszuführen zu den Orten des Lebens – zur Freundschaft mit dem Sohn Gottes, der uns Leben schenkt, Leben in Fülle“.<ref> Ebd.</ref> Dieser apostolische Einsatz ist eine Pflicht und auch ein unveräußerliches Recht, eben ein Ausdruck der religiösen Freiheit, die ihre entsprechenden ethisch-sozialen und ethisch-politischen Dimensionen hat.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 6.</ref> Dieses Recht wird leider in einigen Teilen der Welt noch nicht gesetzlich anerkannt und in anderen nicht wirklich respektiert.<ref> Wo das Recht auf Religionsfreiheit anerkannt wird, ist gewöhnlich ebenso das Recht jedes Menschen anerkannt, die eigenen Überzeugungen anderen Menschen unter voller Achtung ihres Gewissens mitzuteilen, auch um den Eintritt in die eigene Religionsgemeinschaft zu fördern, wie es außerdem viele heute geltende Rechtsordnungen und eine schon verbreitete diesbezügliche Rechtsprechung bekräftigen.</ref>
11 Wer das Evangelium verkündet, hat Anteil an der Liebe Christi, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat (vgl. Eph 5,2). Er ist sein Gesandter und bittet im Namen Christi: „Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (2 Kor 5,20). Diese Liebe ist Ausdruck jener Dankbarkeit, die aus dem menschlichen Herzen kommt, wenn es sich der von Jesus Christus geschenkten Liebe öffnet, jener Liebe, „die im Weltall sich entfaltet“.<ref> “Che per l’universo si squaderna”: Dante Alighieri, La Divina Commedia, Paradiso, XXXIII, 87.</ref> Dies erklärt den Eifer, das Vertrauen und die Freimütigkeit (parrhesia), die sich in der Predigt der Apostel zeigten (vgl. Apg 4,31; 9,27-28; 26,26; usw.) und die König Agrippa spürte, als er Paulus zuhörte: „Fast überredest du mich dazu, mich als Christ auszugeben“ (Apg 26,28).
Die Evangelisierung geschieht nicht nur durch die öffentliche Predigt des Evangeliums und nicht bloß in Tätigkeiten von öffentlicher Bedeutung, sondern auch durch das persönliche Zeugnis, das immer ein Weg mit hoher missionarischer Wirksamkeit ist. „Darum bleibt neben dieser Verkündigung des Evangeliums in umfassendster Weise die andere Form seiner Vermittlung, nämlich von Person zu Person, weiterhin gültig und bedeutsam... Die Dringlichkeit, die Frohbotschaft den vielen zu verkünden, darf nicht jene Form des Mitteilens übersehen lassen, in welcher das ganz persönliche Innere des Menschen angesprochen wird, berührt von einem ganz besonderen Wort, das er von einem anderen empfängt“.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 46: AAS 69 (1976), 36.</ref>
In jedem Fall ist daran zu erinnern, dass bei der Weitergabe des Evangeliums das Wort und das Lebenszeugnis zusammengehören.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 35.</ref> Damit das Licht der Wahrheit alle Menschen erleuchte, braucht es vor allem das Zeugnis der Heiligkeit. Wenn das Wort von der Lebensweise widerlegt wird, kann es kaum angenommen werden. Es genügt aber auch nicht nur das Zeugnis, „denn auch das schönste Zeugnis erweist sich auf die Dauer als unwirksam, wenn es nicht erklärt, ergründet – das, was Petrus ‚Rechenschaft geben über seine Hoffnung’ (1 Petr 3,15) nennt – und durch eine klare und eindeutige Verkündigung des Herrn Jesus entfaltet wird“.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 22: AAS 69 (1976), 20.</ref>
IV. Einige ökumenische Implikationen
12 Seit ihren Anfängen war die ökumenische Bewegung eng mit der Evangelisierung verbunden. Die Einheit ist nämlich das Siegel der Glaubwürdigkeit der Mission, und das Zweite Vatikanische Konzil hat mit Bedauern zum Ausdruck gebracht, dass der Skandal der Trennung „ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung“<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio, 1; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 1, 50: AAS 83 (1991), 249, 297.</ref> ist. Jesus selbst hat am Abend vor seinem Tod gebetet: „Alle sollen eins sein..., damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21).
Die Sendung der Kirche ist universal und nicht auf bestimmte Regionen der Erde begrenzt. Die Evangelisierung geschieht freilich auf verschiedene Weisen je nach den unterschiedlichen Situationen, in denen sie sich entfaltet. Im eigentlichen Sinn gibt es die „missio ad gentes“ zu denen, die Christus nicht kennen. In einem weiteren Sinn spricht man von „Evangelisierung“, um die gewöhnliche Seelsorge zu bezeichnen, und von „Neuevangelisierung“, um die Sorge für jene zu beschrieben, die den christlichen Glauben nicht mehr praktizieren.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 34: AAS 83 (1991), 279-280.</ref> Darüber hinaus gibt es die Evangelisierung in Ländern, wo nicht katholische Christen leben, vor allem in Ländern mit alter christlicher Tradition und Kultur. Hier ist sowohl echter Respekt für ihre Tradition und ihre geistlichen Reichtümer als auch aufrichtiger Wille zur Zusammenarbeit gefordert. Die Katholiken sollen „mit den von ihnen getrennten Brüdern, gemäß den Richtlinien des Dekretes über den Ökumenismus, brüderlich zusammenarbeiten im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens an Gott und an Jesus Christus vor den Heiden, soweit dieses vorhanden ist, ebenso im Zusammenwirken in sozialen und technischen sowie kulturellen und religiösen Dingen, wobei man jeden Anschein von Indifferentismus und Verwischung sowie ungesunder Rivalität vermeiden muss“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Ad gentes, 15.</ref>
Im ökumenischen Einsatz lassen sich verschiedene Dimensionen unterscheiden: Zunächst bedarf es des Zuhörens, das eine grundlegende Bedingung für jeden Dialog ist. Dann folgt die theologische Diskussion, in der man versucht, die Bekenntnisse, Traditionen und Überzeugungen der anderen zu verstehen, und zu einer im Streit manchmal verdeckten Übereinstimmung gelangen kann. Untrennbar von alldem darf eine weitere wesentliche Dimension des ökumenischen Bemühens nicht fehlen: die Bezeugung und Verkündigung der Elemente, die nicht partikuläre Überlieferungen oder theologische Feinheiten darstellen, sondern zur Tradition des Glaubens selbst gehören.
Der Ökumenismus besitzt aber nicht nur eine institutionelle Dimension, die darauf abzielt, „die zwischen den Christen bestehende teilweise Gemeinschaft bis zur vollen Gemeinschaft in der Wahrheit und in der Liebe wachsen zu lassen“.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Ut unum sint (25. Mai 1995), 14: AAS 87 (1995), 929.</ref> Er ist Aufgabe jedes einzelnen Gläubigen, vor allem durch das Gebet, die Buße, das Studium und die Zusammenarbeit. Immer und überall hat jeder katholische Gläubige das Recht und die Pflicht, den eigenen Glauben zu bezeugen und in seiner Fülle zu verkünden. Mit den nicht katholischen Christen muss der Katholik in einen Dialog treten, in dem Liebe und Wahrheit respektiert werden. Dieser Dialog ist nicht nur ein Austausch von Gedanken, sondern von Gaben,<ref>Vgl. ebd., 28: l.c., 939.</ref> damit ihnen die Fülle der Heilsmittel angeboten werden kann.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio, 3, 5.</ref> So gelangt man zu einer immer tieferen Bekehrung zu Christus. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Entscheidung eines nicht katholischen Christen, der von der katholischen Wahrheit überzeugt ist und aus Gewissensgründen darum bittet, in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche einzutreten, als Werk des Heiligen Geistes und als Ausdruck der Gewissens- und Religionsfreiheit zu respektieren ist. In diesem Fall handelt es sich nicht um Proselytismus in dem negativen Sinn, den dieser Begriff erhalten hat.<ref>Ursprünglich kommt der Begriff „Proselytismus“ aus dem hebräischen Umfeld, wo derjenige als „Proselyt“ bezeichnet wurde, der aus den „Völkern“ kommend sich dem „auserwählten Volk“ angeschlossen hatte. So wurde der Begriff „Proselytismus“ auch im christlichen Bereich oft als Synonym für die missionarische Tätigkeit gebraucht. In jüngerer Zeit hat der Begriff einen negativen Beigeschmack erhalten als Werbung für die eigene Religion mit Mitteln und Beweggründen, die dem Geist des Evangeliums widersprechen und die Freiheit und Würde der Person nicht wahren. In diesem Sinn wird der Begriff „Proselytismus“ im Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung verstanden: vgl. The Joint Working Group between the Catholic Church and the World Council of Churches, The Challenge of Proselytism and the Calling to Common Witness (1995).</ref> Das Zweite Vatikanische Konzil hat im Dekret über den Ökumenismus ausdrücklich festgehalten: „Es ist klar, dass die Vorbereitung und die Wiederaufnahme solcher Einzelner, die die volle katholische Gemeinschaft wünschen, ihrer Natur nach etwas von dem ökumenischen Werk Verschiedenes ist; es besteht jedoch kein Gegensatz zwischen ihnen, da beides aus dem wunderbaren Ratschluss Gottes hervorgeht“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio, 4.</ref> Daher nimmt dieses Werk nichts weg von dem Recht und von der Verantwortung, die Fülle des katholischen Glaubens anderen Christen zu verkünden, die ihn in Freiheit annehmen wollen.
Diese Auffassung erfordert natürlich, jeden unrechtmäßigen Druck zu vermeiden. „Man muss sich... bei der Verbreitung des religiösen Glaubens und bei der Einführung von Gebräuchen allzeit jeder Art der Betätigung enthalten, die den Anschein erweckt, als handle es sich um Zwang oder um unehrenhafte oder ungehörige Überredung, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft“.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 4.</ref> Das Zeugnis für die Wahrheit will nichts mit Gewalt auferlegen, weder mit Zwangsmaßnahmen noch mit Kunstgriffen, die dem Evangelium widersprechen. Die Übung der Liebe ist umsonst.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005), 31c: AAS 98 (2006), 245.</ref> Die Liebe und das Zeugnis für die Wahrheit zielen darauf ab, vor allem mit der Kraft des Wortes Gottes zu überzeugen (vgl. 1 Kor 2,3-5; 1 Thess 2,3-5).<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanae, 11.</ref> Die christliche Mission stützt sich auf die Kraft des Heiligen Geistes und der verkündeten Wahrheit selbst.
V. Schluss
13 Das evangelisierende Wirken der Kirche darf niemals aufhören. Denn nie wird der Kirche die Gegenwart des Herrn Jesus in der Kraft des Heiligen Geistes fehlen, hat er doch selbst verheißen: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Die heute verbreiteten relativistischen und irenistischen Auffassungen im religiösen Bereich bieten keinerlei gültige Begründung dafür, sich von dieser anstrengenden, aber faszinierenden Sendung zurückzuziehen, die zum Wesen der Kirche gehört und „ihre vorrangige Aufgabe“<ref> Benedikt XVI., Homilie beim Besuch in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern (25. April 2005): AAS 97 (2005), 745.</ref> darstellt. „Caritas Christi urget nos – die Liebe Christi drängt uns“ (2 Kor 5,14): Dies bezeugt das Leben einer großen Zahl von Gläubigen, die – getrieben von der Liebe Christi – durch die ganze Geschichte hindurch Mühen und Tätigkeiten jedweder Art auf sich genommen haben, um das Evangelium der ganzen Welt und in allen Schichten der Gesellschaft zu verkünden und so jede christliche Generation fortwährend zu ermahnen und einzuladen, großherzig den Auftrag Christi zu befolgen. Daher hat Papst Benedikt XVI. in Erinnerung gerufen: „Die Verkündigung und das Zeugnis des Evangeliums sind der allererste Dienst, den die Christen jedem einzelnen Menschen und dem ganzen Menschengeschlecht leisten können, sind sie doch dazu aufgerufen, allen die Liebe Gottes zu vermitteln, die im einzigen Erlöser der Welt, Jesus Christus, ganz offenbart worden ist“.<ref> Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses zum 40. Jahrestag der Verkündigung des Konzilsdekretes Ad gentes über die Missionstätigkeit der Kirche (11. März 2006): AAS 98 (2006), 334.</ref> Die Liebe, die von Gott kommt, eint uns mit ihm und macht uns „zu einem Wir..., das unsere Trennungen überwindet und uns eins werden lässt, so dass am Ende ‚Gott alles in allem’ ist (vgl. 1 Kor 15, 28)“.<ref> Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 18: AAS 98 (2006), 232.</ref>
Papst Benedikt XVI. hat in der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz am 6. Oktober 2007 die vorliegende lehrmäßige Note, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden ist, gutgeheißen und deren Veröffentlichung angeordnet.
am 3. Dezember 2007, dem Gedenktag des heiligen Franz Xaver, Patron der Mission.
William Kardinal Levada
Präfekt
Angelo Amato, S.D.B.
Titularerzbischof von Sila
Anmerkungen
<references />