Benutzer:Otterbeck/Novus Ordo Missae
Siehe auch: Römischer Ritus
Inhaltsverzeichnis
Vierzig Jahre „Novus ordo missae“
von Franz Norbert Otterbeck, Köln-Deutz
An Ostern 1969 erschien die neue, zweite postkonziliare Ordnung für die Heilige Messe. Schon bei der Vorstellung des vorläufigen "NOM" von 1965 hatte der Sekretär des römischen Consilium für die Liturgiereform, Annibale Bugnini, gesagt, dass „neue Ordnung“ eigentlich der falsche Begriff sei; „novus ordo“ bedeute erneuerte Ordnung, eine missa instaurata. Seit Inkrafttreten des Motu proprio Summorum pontificum von 2007 ist die "Neuheit" des moderneren Gebrauchs der Messe von Neuem in die Diskussion geraten. Wir nähern uns dem Problem der Messe zum 40. Jahrestag ihrer konzilsgemäßen Reform von drei Seiten. Zur Vorgeschichte gehört Mysterium fidei, eine Enzyklika von 1965. Unter dem Datum vom 3. April 1969 wurde dann das eigentliche „Gesetz“ der erneuerten Messe veröffentlicht, die Konstitution Missale Romanum. Alsbald schon wurde heftige Kritik an der Neuordnung laut. Die lässt uns fragen: Gab es eine "Ottaviani-Intervention"? Mit welchem Ziel?
Stat crux. Papst Paul VI. und das „Geheimnis des Glaubens“
Als das Consilium zur Ausführung der Liturgiekonstitution des jüngsten Konzils bereits auf Hochtouren arbeitete, da gab der Konzilspapst zugleich schon Wegweisungen zu jeder zukünftigen Interpretation des Vorhabens heraus: Noch vor Konzilsschluss erschien am 3. September 1965 seine Enzyklika zum Messopfer. Das war damals das Fest des Hl. Pius X.
Sofern es heute wieder mehr Liturgie-Traditionalisten gibt, die das Werk des „Papstes der Liturgiereform“ mit Wohlwollen neu prüfen wollen, so könnte ihnen eine beherzte Lektüre dieser Enzyklika dabei helfen, die mit den programmatischen Worten „Mysterium fidei“ beginnt, Geheimnis des Glaubens. Man müsste das Rundschreiben eigentlich komplett „zitieren“, da es Montini-typisch eigentlich keine überflüssigen Sätze enthält. Aber da hilft ja inzwischen das Internet, z.B. „kathpedia“ (s.o.).
Wir konzentrieren uns heute auf einige etwas versteckte Aussagen, die eine bislang wenig beleuchtete Frage aufwerfen. Im Hinblick auf Humanae vitae hat ja ausgerechnet Hans Küng sehr sauber die konziliaren Kriterien von „Lumen gentium“ (1964) dafür herausgearbeitet, wann das Lehramt der Kirche, auch ohne pontifikale Definition, unfehlbar und mithin unumstößlich spricht. Aus reiner Willkür zog der Papstkritiker in „Unfehlbar“ (1970) das fasche Fazit daraus. Vielleicht hat der Montini-Papst aber nicht nur in seiner berühmten, letzten Enzyklika einen affirmativ irreversiblen Spruch gefällt, sondern auch schon in Mysterium fidei: Unsere Hoffnung für Euch steht fest, also auch der Begriff von der Transsubstanziation.
Die Enzyklika von 1965 ist aus dem Gedächtnis der Theologie nördlich der Alpen fast völlig verschwunden. Muten wir uns also einige Sätze daraus wörtlich zu. Der Papst greift das Leugnertum des Berengar von Tours auf und fügt dann an: „Darum befahl ihm Unser Vorgänger, der heilige Gregor VII., einen Eid zu schwören mit den folgenden Worten: Ich glaube von Herzen und bekenne laut, dass das Brot und der Wein, die auf dem Altar dargebracht werden, durch das Geheimnis des Gebetes und die Worte unseres Erlösers substanziell verwandelt werden in das eigene und lebensspendende Fleisch und Blut Jesu Christi, unseres Herrn, und dass es nach der Wandlung der wahre Leib Christi bleibt, der aus der Jungfrau geboren ist, der für das Heil der Welt geopfert am Kreuz hing und der zur Rechten des Vaters sitzt, und das wahre Blut Christi, das aus seiner Seite vergossen wurde, nicht nur durch das Zeichen und die Kraft des Sakramentes, sondern in der eigenen Natur und in seiner wirklichen Substanz.“ Und dann kommt das Urteil des Nachfolgers: „Mit diesen Worten stimmt überein als wunderbares Beispiel der Unerschütterlichkeit des katholischen Glaubens, was die Ökumenischen Konzilien von Lateran, Konstanz, Florenz und endlich von Trient über das Geheimnis der eucharistischen Verwandlung beständig gelehrt haben durch die Erklärung der Kirche und die Verurteilung der Irrtümer. Nach dem Trienter Konzil mahnte unser Vorgänger Pius VI. ernst gegen die Irrtümer der Synode von Pistoja, dass die Pfarrer in ihrem Lehramt nicht unterlassen sollen, die Transsubstanziation zu erwähnen, die zu den Artikeln des Glaubens gehört“ (cfr. „Auctorem fidei“, 1794) Und so „hat Unser Vorgänger Pius XII. seligen Angedenkens die Grenzen ins Gedächtnis zurückgerufen, die jene nicht überschreiten dürfen, die über das Geheimnis der Wesensverwandlung scharfsinnig disputieren“. Paul VI. bekennt: „Im übrigen hat die katholische Kirche den Glauben an die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi nicht nur in der Lehre, sondern auch im Leben festgehalten“, um dann ausführlich den Kult der Anbetung zu würdigen, der dem Sakrament der Eucharistie gebühre. Dort sei Christus der wahre Emmanuel, der Gott mit uns.
Mysterium fidei ist aber nicht nur die fundamentale Enzyklika zur Transsubstanziation, sondern auch die des Messopfers, des Opfercharakters des Herrenmahls, unter Bezugnahme auf die gesamte Tradition in Leben und Lehre der Kirche Gottes. „Denn jede Messe, die zelebriert wird, wird nicht nur für unser Heil, sondern auch für das Heil der ganzen Welt dargebracht. Daraus folgt, dass, wenn zur Feier der Messe wesentlich die häufige und aktive Teilnahme der Gläubigen gehört, dennoch eine Messe nicht zu tadeln ist, sondern vielmehr gutzuheißen ist, die, nach den Vorschriften der heiligen Kirche und den rechtmäßigen Traditionen, aus gerechtem Grund vom Priester privat dargebracht wird“. Wir lernen: Paul VI. wollte an der katholischen Lehre von der Eucharistie überhaupt gar nichts ändern, nicht einmal ein Jota, sondern ihr mehr Leben eröffnen. Die nachfolgende Publikation der neuen Messordnung von 1969 hatte mithin nachweislich keinerlei „revolutionären“ Zweck, außer den der „revolutio“ im Wortsinn, der Wiederkehr des Immergleichen, einzigen Opfers für uns. Die Messe des Konzils ist doktrinär ebenso „tridentinisch“ wie ihre zuvor noch auf dem Konzil zelebrierte ältere Form. Wer wider besseres Wissen einen anderen Eindruck nährte, noch nährt oder weiter nähren will, der versündigt sich gegen das allgemeine wie gegen das besondere Priestertum zugleich; und vor allem gegen denjenigen Herrn, der ja allein Altar, Opfer und Priester ist, zum Heile der Welt, aber „mit uns“ und „für Euch“.
Volvitur orbis: Otto Spülbeck und das Messbuch von 1970
Der Bischof von Meißen, Otto Spülbeck, war Konzilstheologe und ein namhafter Liturgiker. Er fasste in einem kleinen Einlegeblatt für das Gebetbuch die Wirkungen der neuen Messe nach der Ordnung von 1969 in wenigen Sätzen zusammen. Übrigens hat die Liturgiereform in der „Ostzone“, die dank gütiger Vorsehung keine Würzburger Synode durchleiden musste, kaum Kummer verursacht. Dort gab es freilich auch keinen zur Boykotthetze seit 68/73, der ja tausendmillionenjährigen "Ära Teilhard", allzeit bereiten Staats-Nachbarapparat namens „kirchlicher Dienst“. Die Welt bewegt sich, die Liturgie zwar auch, aber ihr Dienst ist und bleibt im Wesentlichen der „antizyklische“ Akt, im Blick nach oben, auf die einzigartige Himmelstat. Was steht also in den Hinweisen aus Meißen mit Imprimatur vom 8. Januar 1970? „Der Aufbau der heiligen Messe ist im Wesentlichen unverändert geblieben. Die neue Ordnung bringt für die Gemeinde nur wenige Änderungen, und zwar zu Beginn der Feier und im Kommunionteil nach dem Vaterunser.“ Dann wird die Eröffnung vorgestellt und der Bußakt mit den drei Formen, die das MR 1970 auch i.d.F. von 2002 noch so kennt. Es folgt die Bemerkung: „Der weitere Verlauf der Feier bringt für die Gemeinde bis zum Vaterunser keine Änderungen.“ Das Problem der neuen Gebete zur Gabenbereitung findet keine Erwähnung, da diese nur den Zelebranten betreffen. Es wird der Kommunionteil mit den neuen Texten dargestellt, insbesondere: „Alle beten gemeinsam mit dem Priester einmal: Herr ich bin nicht würdig...“ Das Kurzlehrbuch in Sachen „NOM“ schließt mit dem Ausblick: „Außer dem Gebet über die Gläubigen ... sind im kommenden Messbuch auch feierliche Segensformeln vorgesehen.“ Das war’s. Revolution? Nicht in der Lehre, allenfalls in der Erscheinung; und da wurde fraglos zu kräftig „gestaltet“, übrigens, auch nach 1970 noch, zwanglos am Messbuch vorbei. Der „Bruch“ erfolgte also nicht in den Texten, sondern im liturgischen Leben, und zwar ziemlich genau 1964/65; Joseph Ratzinger antwortete darauf schon in Bamberg 1966. Trotzdem wäre es frech, einfach zu sagen: Auch die „neue Messe“ sei tridentinisch. Ihre Ordnung ist gewiss mit den Dekreten von Trient konform, weil das II. Vatikanum alle Dekrete der wichtigen Vorläuferkonzile konsequent beachtet hat. Es ordnet den Stoff freilich neu, überwiegend mit Erfolg. Die so genannte „Konzilsmehrheit“ (als ob Das Gesetz zwar für „alle“ gelte, nur nicht für 'Bolschewiki'?) ärgert sich heute noch rot und grün, dass der Papst und Ottaviani und Cicognani und Pericle Felici und andere das Konzil genau dazu „gezwungen“ haben, zur Reform zugunsten der Identität. Noch nicht einmal die Verfügung aus Trient, dass der eigentliche Spender der Krankensalbung der Priester sei, wurde umgestoßen. Die „Rahnerschule“ (oder doch nur Herder's Volksgeist?) hat daran noch bisweilen ein bisschen herumgekrittelt, weil eben „exemplarisch“ ein altes Dekret fallen sollte. Aber es steht, während die Welt sich dreht.
Man darf den liturgischen „Bruch“ im Leben der Kirche aber nicht mit zu billiger Farbe überpinseln. Manche sahen in der neuen Messe tatsächlich ein neues „Gottesbild“ am Werk, ein dynamisch-anthropozentrisches. Musste deshalb die „alte Messe“ weg? Keineswegs. Die Apostolische Konstitution „Missale Romanum“ vom 3. April 1969 stellt in der Schlussformel fest, dass alles aufgehoben sei, was am Inkrafttreten der neuen Ordnung für die altehrwürdige Messe nur hindert. Ein Bischof hat daraus 2007 sogar einen Molotowcocktail gegen „Summorum Pontificum“ gebastelt. Sozusagen: Das „Verbot“ gab es doch. "Da ist noch Klärungsbedarf!" Der Kuriendiplomat Montini war allerdings der bessere Kirchenjurist. Die vom Konzil angeordnete, begrenzte, von Anfang an nicht konfliktfreie Diskontinuität hat er fein säuberlich diesseits eines doktrinären Verbots angehalten. Wohlvorsätzlich, in der Hoffnung auf allgemeine Akzeptanz der Instauration. Es werden alle Hindernisse für die neue Ordnung außer Geltung gesetzt, aber die alte Ordnung wird bewusst, in den Folgejahren, nur disziplinarisch unterdrückt, nicht „abgeschafft“. Das ist römische Schule. Wer „affektive Theologie“ predigt, aber antirömisch affektierte Ideologie aus trüben Wäldern damit meint, der wird es nie und nimmer kapieren. Die Disziplinierung nahm dann angesichts der Folgekonflikte in manchen Gegenden doch noch hart „doktrinäre“ Züge an. Das wollte das Gesetz zur Messverfassung von 1969 aber nicht bezwecken, Beweis: Der Wortlaut. Paul VI. betont die Kontinuität inmitten der Erneuerung.
Einen Teil der Folgenöte konnte ihm auch sein Freund Jean Guitton aber doch nicht begreiflich machen. Die berechtigte Angst vor dem Schisma überwog. Der alte Philosoph, Vermittler im Streit um St. Nicolas du Chardonnet (Paris), war, aus der Sicht von Lefebvre, ein „Modernist“ sui generis, aber ein Freund der „alten Messe“ (und politisch „erzkonservativ“), der auch 1986 wieder mit den französischen Bischöfen hart ins Gericht ging: „Silence sur l’essentiel“ warf er dem Progressismus vor, Schweigen zum Wesentlichen. Derselbe durfte sich bereits am 23. Juli 1976 im OSSERVATORE ROMANO als Laie zum „Problem der Messe“ äußern, darin ein Vorläufer von Fürstin Gloria, Mosebach, Spaemann und „last but least“ auch mir selber. Sonnenklar, dass er Spülbeck bestätigt: Die neue Messe ist so echt wie die alte. Aber: «Et c’est pourqoui je suis persuade que cette interdiction de la liturgie dite de saint Pie V, qui peut-être s’imposait en un temps de transition, est une interdiction provisoire.» Er zeigte sich überzeugt, dass jene Untersagung der nach Pius V. benannten Liturgie, die sich vielleicht in einer Zeit des Übergangs aufdrängte, provisorisch bleibt. Dixit.
Semper idem. Wie neu ist die “neue Messe” eigentlich?
Bischöfe wählen sich markige Wappensprüche. Alfredo Ottaviani ergriff bei seiner späten Bischofsweihe die Devise: „Semper idem“, immer derselbe. Gilt das auch noch für den römischen Ritus? Die Konstitution „Missale Romanum“ von 1969 verwendet gelegentlich das Wörtchen neu. Daran ist nicht zu rütteln. Das Konzil wollte eine Reform; und der zuständige Papst hat sie, nach der Übergangsordnung von 1965, dann für 1970 in Kraft gesetzt. Der sehr kurze Text mit Gesetzeskraft (für den ganzen lateinischen Ritus) erwähnt, dass älteste Quellen neu erschlossen wurden. Er verweist auf neue Präfationen aus der alten Tradition, aber auch auf neu verfasste. Es gibt drei neue Texte für das Hochgebet, zuzüglich zum Canon missae; diese drei alle von Kardinal Ottaviani gutgeheißen. Die Neufassung der sakramentalen Einsetzungsworte soll für jede Zelebration des römischen Ritus gelten. Als wiederhergestellt nach der Norm der Väter nennt Paul VI. die Homilie, die Fürbitten und den Bußakt zu Beginn der Messe. Genannt werden auch neue Orationen, die den „neuen Bedürfnissen unserer Zeit entsprechen“. Die Anpassung des Römischen Messbuchs an das Empfinden „unserer Zeit“ hat aber die heftige Kritik hervorgerufen, die zu Beginn der 1970-er Jahre die Einheit der Kirche zu gefährden schien.
Der Liturgietraditionalismus zitiert besonders gern das „kurze kritische Examen“, das mit dem Namen von Alfredo Ottaviani verbunden wurde. Gab es die so gen. „Intervention“ der Kardinäle Ottaviani und Bacci gegen den „NOM“inalismus wirklich? Welchen Zweck hatte sie? Der Liturgiewissenschaftler Martimort erinnert sich daran so: Der Brief der Kardinäle an den Papst vom 25. September 1969 begleitete eine theologische Ausarbeitung, die Häresie im „Novus Ordo“ vermutete. Aber deren Autoren waren nicht die Kardinäle. Auch sollte der Brief nicht veröffentlicht werden. Der römische „Messaggero“ titelte am 30. Oktober 1969: „La nuova messa ‚eretica’ e ‚profanatoria’.“ Manche fragten sich zweifelnd, ob der fast erblindete Ex-Präfekt der Glaubenskongregation das “breve esame” überhaupt je gelesen hat. Ein Urteil stand den anonymen Autoren jedenfalls nicht zu. Die Glaubenskongregation verwirft ihre Argumente in einem Schreiben an den Kardinalstaatssekretär. Ottaviani beteuert dann brieflich, dass er die Veröffentlichung seines Briefes bedaure und zeigt sich erfreut über die erläuternden Ansprachen, die Paul VI. im November 1969 zur Messordnung öffentlich vortrug (vgl. Documentation catholique 67/1970, S. 343), sah aber noch viel kluge, intelligente, katechetische Arbeit kommen. Jawohl.
Papstkritik ist bekanntlich nicht verboten. Wird sie klug geübt, führt sie auch zu Antworten. Einen Teil der fehlenden Katechese verfügte der Papst alsdann selber durch das „Prooemium“ zum Missale 1970, das die aufgeworfenen Fragen zu beantworten erstrebte. Auch wurde die heiß umstrittene Nr. 7 („Sacra synaxis“) in der Erstfassung der Institutio generalis zum Messbuch um tridentinische Formulierungen ergänzt (jetzt Nr. 27). Klares Signal: Innovation ja, „Bruch“ nein! Liturgische Institute hier und da interessierte die Institutio aber wenig. Da hatte die Kreativität längst das Oberwasser. Wir gründen eine Liturgiefabrik! Die Devise von Johannes XXIII. war längst vergessen. Der führte nicht „Avanti, aggiornamenti!“ im Wappen, sondern: Oboedientia et pax; Gehorsam schafft Frieden. Wie schwer ist das.
Semper idem? Ist das Hl. Opfer immer dasselbe? Wir können hier nicht alle Fragen rund um die abendländische Messe aufwerfen; und auch nicht beantworten. Von Bedeutung ist allerdings neben vielen die Frage, welche ihrerseits parteiisch oberflächlichen, übertriebenen, ungenauen, leidenschaftlichen und falschen Behauptungen auch (!) die Kritik am „Novus ordo“ enthält. Es gab im 20. Jahrhundert keine vertrottelten und keine bösartigen Päpste. Der Anwalt empfiehlt also: Abrüsten.
Wir wissen doch längst: Die quasi-kongregationalistische Ideologie „gottesdienstlichen Tuns“ im Stil der 1970-er Jahre hat keine Zukunft; das belegen die Fakten. Paul VI. wollte sowas nie, wie nicht nur seine Schrift zum Mysterium fidei (1965) anzeigt. Der Katholizismus kann auch nicht in Wettbewerb treten mit evangelikalen Volksaufklärern, die sich an der Ekstase der Conventions bereichern. Aber „unsere Zeit“, von der die Liturgiereform sprach, das waren nicht nur die wüsten Jahre ihres Inkrafttretens. Damit waren die wirklich neuen Horizonte gemeint, wie man den Dialogues avec Paul VI, die der Quasi-Liturgietraditionalist Guitton 1967 publizierte, auf fast jeder Druckseite entnehmen kann. Neue Horizonte, neue Gefahren. Die verkündet auch das Krisenjahr 2009. Daher ist es würdig und recht, dass die eine Frage von Guitton, 1976 und 1986 und öfter vorgetragen, jetzt ihre gerechte Antwort fand, wohl fast in letzter Minute: „Pourquoi n’est-il pas possible de permettre des deux rites?“ Beide Bräuche! In „letzter Minute“ ereignete sich aber auch, zuvor, die große Liturgiereform für das 21. Jahrhundert; man vergewissere sich nur ihres Horizonts. Ihre Legitimität anzuzweifeln, das greift das kirchliche Amt an, das Herz des Katholizismus, die Wahrheit, dass Gott selber in bestimmten Akten der Leitung sich ausspricht, ebenso wie in Kult und Schrift. Das Sakrament, in der Einheit der einen Kirche, es will alle Kontinente erreichen! Die Freunde der alten Messe werden also aus ihrem Engagement allmählich das ausscheiden müssen, was daran auch nur Mode, Reaktion, aktuelle Nostalgie war. Die große Masse wird aber wieder lernen, die Messe zu beten, wie es schon der Hl. Pius X. empfahl. Denn wir Beter alle, wir müssen aus den Fallstricken einer deutsch-ideologischen Weltsicht à la Hegel sehr zügig herausfinden; und anbetend hin zur „Civilization of love“. Auch das ist, richtig gedeutet, nämlich ein anderes Wort für Eucharistie.
[Dieser Artikel war die korrigierte Fassung einer Publikation von kath.net (30. Mrz. 2009)]
Literatur
- Aimé-Georges Martimort, La réforme liturgique incomprise. L' Ordo Missae face aux controverses et aux dissidences, in: La Maison Dieu Jg. 192 (1992), S. 79-119 online (frz.)