Humanae vitae
Die siebte und letzte Enzyklika des Papstes Paul VI. vom 25. Juli 1968, nach den Eingangsworten Humanae vitae tradendae zitiert, widmet sich der katholischen Ehelehre und insbesondere der Frage nach der Weitergabe des Lebens.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
In Weiterführung der von Papst Pius XI. mit der Enzyklika Casti connubii 1930 vorgelegten Lehre, räumt der Papst ein, dass den Eltern eine gewissenhafte Entscheidung über die Zahl und den Geburtszeitpunkt ihrer Kinder zwar zustehe, dass aber das natürliche Sittengesetz aus Sicht der katholischen Kirche für verbindlich erachtet wird. Eine Herabminderung des Ideals der Ehe auf den Standard durchschnittlicher Sittlichkeit wird verworfen (HV Nr. 7-9). In Konsequenz des Leitbildes einer christlichen Ehe scheidet damit für Eheleute die Zuflucht zu künstlichen Hilfsmitteln der Empfängnisregelung aus; quilibet matrimonii usus (HV Nr. 10-11), jedweder Ehegebrauch soll der Weitergabe des Lebens gegenüber offen sein.
Diese Linie hatten bereits die Vorgängerpäpste Pius XII. und Johannes XXIII. vorgezeichnet. Papst Johannes berief die Expertenkommission ein, die sein Nachfolger erweiterte. Diese und auch ein bischöfliches Gremium sprachen sich (letzteres nur knapp) für die relative Freigabe moderner Kontrazeptiva aus, wie es die Anglikanische Kirche bereits auf der Lambeth-Konferenz 1930 konzipiert hatte. Während die Kirche bislang einmütig dem seit Thomas Robert Malthus propagierten Gedanken der Geburtenkontrolle entgegentrat (und Katholiken allenfalls schlechten Gewissens sündigten), hielt eine beachtliche Strömung "modern" empfindender Kleriker und Laien in den 1960-er Jahren den Zeitpunkt für gekommen, den Konsens mit der gegenwärtigen Zivilisation mittels einer Öffnung der katholischen Ehemoral hin zu einer als zeitgemäß empfundenen, freizügigen Sexualmoral unumkehrbar zu machen.
Konflikt
Berater des Papstes argumentierten auch so: Ändere die Kirche ihre Meinung, so sei die päpstliche Autorität am Ende. Der Pontifex schließt sich letztlich der Minderheit an. Für Kardinal Karl Lehmann, wie er 1993 im Rückblick auf diese Entscheidung sagen wird (so Gernot Facius), war das nicht nur eine Brüskierung der "Autorität" der Kommissionsmehrheit, sondern ein Bruch mit der kollegialen Art der Wahrheitsfindung, wie sie auf dem II. Vatikanum eingeübt wurde. (Sollte Lehmann das wirklich gesagt haben, zeigt das nur, dass er nicht begriffen hat was das Kollegium der Bischöfe eigentlich ist, jedenfalls kein Ort für "Diskursethik".)
Abzusehen war die Überzeugung es Papstes schon seit 1967, als das vom Vatikan geheim gehaltene Gutachten der Minderheit durch eine Indiskretion in Deutschland bekannt wurde. (Vielleicht sollte auch mit dem Credo des Gottesvolkes vorgebeugt werden gegen den zu erwartenden Protest?) Dem "Konzilstheologen" Hans Küng fiel es „wie Schuppen von den Augen“: Es gehe keineswegs nur „um die Pille“, sondern um das Amt des Papstes: um die „Kontinuität, Autorität, Unfehlbarkeit“ (aber nicht eine fiktive, sondern die zuverlässige), um die vom Heiligen Geist garantierte Irrtumslosigkeit der Kirche in wesentlichen Fragen. Bei der Schlussabstimmung in der Kommission fehlte übrigens ein prominent gewordenes Mitglied: Karol Wojtyla. Aber Wojtyla hat sich deutlich geäußert, um die richtige, die vermeintlich "konservative" Position zu unterstützen. Als Papst Johannes Paul II. bekräftigt er schon drei Wochen nach seiner Wahl im Oktober 1978 im „Osservatore Romano“ die „Wahrheit der Enzyklika Humanae vitae“. Es bleibt dabei, und trägt weltweit Früchte: Was die Kirche über Empfängnisverhütung lehrt, ist kein Gegenstand, der von den Theologen frei diskutiert werden kann. Man kann zwar eine von der Wahrheit abweichende Meinung haben, aber das ist dann eben eine Meinung, nicht die Wahrheit; wie auch die "Meinung", Ostern sei ein Mythos etc.
Papst Paul VI. entschied nach jahrelangem Studium der Frage im Alleingang (gegen die Mehrheiten in den Beratergremien) und mutete der Kirche damit inmitten der als nachkonziliare Krise bekannten Epoche einen massiven Autoritätskonflikt zu. Der Autoritätsverlust wäre aber andernfalls noch größer gewesen, denn im Prinzip leuchtet ja ein, dass die freie Verhütung das gesamte Wesen der memnschlichen Liebe verändert. Der Papst war von der Richtigkeit seiner Entscheidung nicht nur subjektiv überzeugt, sondern setzte für die Akzeptanz der Enzyklika seine ganze Amtsgewalt ein. Ihm ging es aber nicht um "Rechthaberei", sondern um die dringend notwendige Affirmation einer traditionellen Selbstverständlichkeit: ehelich würdiger Akt ist nur der naturgemäße. Das ist, noch vor jeder "moralisierenden" Spekulation, zunächst auch eine tatsächliche Affirmation, deren sachliche Richtigkeit inzwischen von den soziologischen Fakten ("Pillenknick", Rentenkrise) völlig offenkundig bewiesen wird. Viel Beifall erhielt der Papst deshalb schon damals aus der "Dritten Welt", der Kirche im armen Süden, während katholische Europäer und Nordamerikaner dem Papst das Amt fortan sehr schwer machten.
Diskussion
Zu gut hatte man zwar verstanden, dass der Papst (und seine Nachfolger) die gerechte Entwicklung für das probate Mittel im Ausgleich zwischen Nord und Süd hielt, nicht aber den Zwang zur Bevölkerungsreduktion der armen Völker zugunsten der reichen Nationen. Scheinbar verlor das Papsttum "unaufholbar" an Zuspruch, während der Mut zum klaren Widerspruch (von andern) inzwischen als Beginn der Wiedergewinnung einer authentisch spirituellen Autorität der Kirche, unabhängig von Anleihen an staatliche Unterstützung oder die kulturellen Hauptströmungen, interpretiert wird.
In der öffentlichen Diskussion wird häufig nicht beachtet, dass Adressaten der kirchlichen Ehemoral namentlich Eheleute sind. Dem sexuellen Verhalten außerhalb der Ehe hat die überlieferte Morallehre der Kirche sowieso nie ihren "Segen" gegeben, so gering ausgeprägt die Folgebereitschaft gegenüber dem Ideal der Keuschheit auch zu allen Zeiten war. Die sittliche Reinheit auf Basis freier Einsicht ("Liebe und Leben sind unzertrennlich") zu gewinnen, das könnte eine der größten Herausforderungen für die Zukunft der Menschheit sein.
Überdies kommen sich hier medizinische, anthropologische und humanwissenschaftliche Fragen zusammen. Von breiten Kreisen der Fachwissenschaften (Biologie, Medizin, Psychologie) wird mittlerweile gebilligt, dass Papst Paul VI. und seine Nachfolger das Wesen der menschlichen Liebe im Kern richtig beschreiben und mit guten Gründen in Schutz genommen haben (HV Nr. 17 ff.).
Offenbar war die weithin praktizierte, liberalere Auffassung (wonach es genüge, um "moralisch vertretbar" zu handeln, dass nur die Ehe insgesamt, nicht aber jeder einzelne eheliche Akt für die Weitergabe des Lebens offen sein müsse) nicht imstande, den demographischen Niedergang in den reichen Ländern abzubremsen. Währenddessen blieben die armen Völker überwiegend an Bevölkerungswachstum interessiert und waren nur selten bereit, großangelegte technische Programme zur Geburtenreduktion durchzuhalten. Das in der Geburtenkontrolle einstmals führende, kommunistische China wird allerdings von dem Problem der Überalterung in Kürze besonders massiv bedroht sein.
Gewissensentscheidungen, die echte sind und kein Selbstbetrug, sind nach ältester kirchlicher Überzeugung immer zu befolgen, selbst bei irrendem Gewissen. Doch "man" will heute gesagt bekommen, dass das eigene Gutdünken "unfehlbar" sei und nimmt dafür das Gewissen in Anspruch. Die Kirche allerdings hat die Pflicht zu sagen, welches das richtige Gewissen ist. In diesem Punkt blieb die Königsteiner Erklärung "zur pastoralen Lage", auf die Kardinal Julius Döpfner 1968 so stolz war, zweideutig.
Würdigung
Sämtliche Gegenargumente gegen Humanae vitae sind mittlerweile als widerlegt anzusehen, außer das eine: Dass viele Menschen nunmal gern sündigen. Gerade die gekünstelte Empörung gegenüber dem katholischen Standpunkt beweist das. Wenn der Papst sagt "Du sollst nicht lügen", können alle eifrig zustimmen, lügen aber doch (denn die Lüge ist nur selten körperlich feststellbar); aber sobald es um "Anstand und Zucht" geht: Soll da die Sünde nicht mehr als solche zu benennen sein? "Ausrotten" kann die Kirche sie sowieso nicht. Das ist auch nicht ihr Projekt. Aber die Wahrheit über den Menschen verschweigen? Dazu fehlt, nach Ansicht der Päpste, der Kirche die Autorität, da sie verpflichtet ist, der Lehre Christi, ohne jede "moraltheologische" Spiegelfechterei, unverkürzt zu verkünden. Es wäre ja schon ein halber Erfolg, wenn heute, wie vor Erfindung der "Pille", wenigstens mit schlechtem Gewissen verhütet würde; aber stattdessen wird die Verhütungsmentalität im "freien Westen" als Wert an sich rigoros propagiert; und zwar schon für Jugendliche, fast noch im Kindesalter.
Da die staatliche Gesetzgebung, ehedem kulturell bedingt noch dem Jugendschutz und Eheideal nahe, sich zumeist und fast überall nicht mehr bereitfindet, katholische Haltungen zu begünstigen (HV Nr. 22), wird der Erfolg des katholischen Konzepts, im Laufe der Zeit, zunächst in Oasen christlichen Lebens, dann auf größeren Inseln, schließlich aber auch in größeren Räumen der Öffentlichkeit mehr und mehr Zuspruch finden.
Literatur
- Vincent Twomey SVD: [41442 Ein prophetisches Dokument. Vor vierzig Jahren erschien die Enzyklika Humanae vitae], in: Die Tagespost vom 17.07.2008, S. {{{5}}}.
Weblinks
- Die Enzyklika als Worddokument auf Kathtube zum Herunterladen
- Christoph Casetti: Papst Paul voll im Recht - 40 Jahre nach Humane vitae
- Die Enzyklika im Wortlaut in der Fundgrube st.josef.at
- Die lateinische Fassung auf der Vatikanseite
- Die englische Fassung auf der Vatikanseite
- Königsteiner Erklärung der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1968
- Maria-Troster-Erklärung der östereichischen Bischöfe 1968 und der Rückzieher 1988
- Kardinal Bengsch (Berliner Bischofskonferenz) zu Humane vitae
- 25 Jahre Humane vitae
- 30 Jahre Humane vitae
- Der Schlüssel ist Humanae vitae - zum 110. Geburtstag von Paul VI.
Siehe auch: Liste von Lehramtstexten