Faciem tuam, Domine

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Instruktion
Faciem tuam, Domine, requiram

Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens
im Pontifikat von Papst
Benedikt XVI.
Der Dienst der Autorität und der Gehorsam
11. Mai 2008.

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; auch in: VAS Nr. 181)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

»Lass dein Angesicht leuchten, dann ist uns geholfen« (Ps 80 [79] ,4)

Das geweihte Leben als Zeugnis der Suche nach Gott

1. »Faciem tuam, Domine, requiram«: dein Angesicht, Herr, will ich suchen (Ps 27[26],8). Als Pilger auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und eingetaucht in das große Geheimnis, das ihn umgibt, sucht der Mensch in Wirklichkeit — wenn auch oft unbewusst — das Antlitz des Herrn. »Zeige mir, Herr, deine Wege, lehre mich deine Pfade« (Ps 25[24],4): keiner wird je das Herz des Menschen der Suche nach Demjenigen berauben können, von dem die Bibel sagt »Er ist alles« (Sir 43,27). Gleiches gilt für die Suche nach den Wegen, auf denen Er zu finden ist.

Das geweihte Leben ist dazu berufen, in Welt und Kirche die charakteristischen Eigenschaften Jesu, der jungfräulich, arm und gehorsamen war, sichtbar zu machen<ref> Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata (25. März 1996), 1.</ref> und blüht gerade auf dem Boden dieser Suche nach dem Antlitz des Herrn und dieses Weges, der zu Ihm führt (vgl. Joh 14,4-6). Es handelt sich um eine Suche, die zum inneren Frieden führt — »en sua voluntate è nostra pace«<ref> Dante Alighieri, Divina Commedia, Paradies III, 85.</ref> — gleichzeitig aber auch die Mühe des Alltags mit sich bringt, denn Gott ist Gott, und seine Wege und Gedanken sind nicht unsere Wege und Gedanken (vgl. Jes 55,8). Gottgeweihte bezeugen also die frohe und zugleich mühsame, beständige Suche nach dem Willen Gottes, und darum ergreifen sie alle verfügbaren Mittel, die ihnen dabei behilflich sein können, diesen Willen zu erkennen und zu erfüllen.

Auch die Ordensgemeinschaft findet hierin ihre Bedeutung und ihren Sinn, die sie als eine Gemeinschaft von Gottgeweihten besitzt, die geloben, den Willen Gottes gemeinsam zu suchen und zu erfüllen: eine Gemeinschaft von Brüdern oder Schwestern mit unterschiedlichen Aufgaben, doch mit dem gleichen Ziel und derselben Leidenschaft. Während darum alle in der Gemeinschaft angehalten sind, zu suchen, was Gott gefällt, und Ihm zu gehorchen, sind einige, gewöhnlich für eine befristete Zeit, dazu berufen, die besondere Aufgabe wahrzunehmen, Zeichen der Einheit und Führer in der gemeinsamen Suche und der persönlichen und gemeinschaftlichen Erfüllung des Willens Gottes zu sein. Dies ist der Dienst der Autorität.

Ein Weg der Befreiung

2. Die stark auf das Subjekt konzentrierte Kultur unserer westlichen Gesellschaft hat dazu beigetragen, die Achtung für die Würde der menschlichen Person als Wert zu verbreiten, sowie deren freie Entfaltung und Autonomie positiv zu beeinflussen.

Die Tatsache dieser Anerkennung stellt einen der bedeutendsten Wesenszüge der Neuzeit dar und ist gottgewollt. Sie stellt uns vor die Aufgabe, neue Wege zu finden, wie Autorität zu verstehen ist und wie man sich mit ihr in Beziehung zu setzen hat. Man darf dabei jedoch nicht übersehen, dass, wenn Freiheit in Willkür umschlägt und persönliche Autonomie sich in Unabhängigkeit vom Schöpfer und von der Beziehung zu den übrigen Menschen verwandelt, Formen von Götzendienst entstehen, die nicht die Freiheit vermehren, sondern zu Sklaverei führen.

In diesem Zusammenhang müssen Menschen, die an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und an den Gott Jesu Christi glauben, auf jeden Fall einen Weg der persönlichen Befreiung von jeder Form von Götzenkult beschreiten. Es ist dies ein Weg, der in der Erfahrung vom Exodus sein Vorbild hat und dort Anregung finden kann: ein Weg, der von der Anpassung an verbreitete Denkweisen befreit und die gewonnene Freiheit einsetzt, um sich dem Herrn anzuschließen, ein Weg, der von einer verflachenden Beurteilung der Dinge von einseitigen Wertmaßstäben her zur Suche nach Möglichkeiten anleitet, die zur Gemeinschaft mit dem lebendigen und wahren Gott führen.

Bei der Wanderung, die im Buch Exodus beschrieben ist, geht die leuchtende und zugleich schattenspendende Wolke des Geistes Gottes allen voran und, obwohl diese sich zuweilen auf völlig sinnlose Wege zu begeben und dort zu verlieren scheint, führt sie dennoch zur seligmachenden Einheit mit dem Herzen Gottes als ihrem festgesteckten Ziel: »Ich habe euch auf Adlerflügeln getragen und hierher zu mir gebracht« (Ex 19,4). Ein versklavtes Volk wird befreit, um ein heiliges Volk zu werden, das am freiwilligen Dienst vor Gott seine Freude hat. Die Ereignisse des Exodus sind von paradigmatischer Bedeutung für das gesamte biblische Ereignis. Sie sind eine prophetische Vorwegnahme des irdischen Lebens Jesu, der uns durch seinen Gehorsam gegenüber dem fürsorglichen Willen des Vaters vom Sklavendasein befreit.

Adressaten, Absicht und Grenzen des Dokuments

3. Die Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens hat auf ihrer letzten Vollversammlung vom 28.-30. September 2005 ihre Aufmerksamkeit auf die Themen der Ausübung der Autorität und der Praxis des Gehorsams im geweihten Leben gerichtet. Es wurde festgehalten, dass diesem Thema eine besonders eingehende Reflexion gewidmet werden muss, und zwar vor allem aufgrund der Veränderungen, denen die Institute und Gemeinschaften während der vergangenen Jahre ausgesetzt gewesen sind, aber auch in Anbetracht der Beiträge, die vom Lehramt in jüngster Zeit zur Erneuerung des geweihten Lebens geleistet wurden.

Die vorliegende Instruktion ist Ergebnis der erwähnten Vollversammlung sowie der anschließenden Überlegungen, die dieses Dikasterium hierzu angestellt hat. Sie wendet sich an die Mitglieder der Institute des geweihten Lebens, die in Bruder- und Schwestergemeinschaften zusammenleben, also an Männer und Frauen der Religioseninstitute, denen die Mitglieder von Gesellschaften des apostolischen Lebens nahe stehen. Dennoch können ihr auch alle, die sich Gott auf andere Weise geweiht haben, hinsichtlich ihrer Lebensweise nützliche Hinweise entnehmen. Dieses Dokument möchte allen, die berufen sind, durch ihren freiwilligen Gehorsam gegenüber dem heiligen Willen Gottes für dessen Primat Zeugnis abzulegen, Hilfe und Ermutigung sein, damit sie ihr Ja zum Herrn frohgemut leben.

Bei der Behandlung des Themas dieser Instruktion war man sich seiner inneren Verbundenheit mit vielen anderen Fragen wohl bewusst. Es wurde auch bedacht, dass in der Welt des geweihten Lebens heute nicht nur eine große Vielfalt von charismatischen Projekten und missionarischen Aufgaben anzutreffen ist, sondern dass sich auch unterschiedliche Leitungsstile und Konkretisierungen des Gehorsams entwickelt haben, Unterschiede, die oft unter dem Einfluss des kulturellen Umfelds entstanden sind.<ref> Vgl. Vita consecrata, 42; Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, Instruktion Das brüderliche Leben in Gemeinschaft (2. Februar 1994), 5; Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute, Instruktion Wesentliche Elemente der Lehre der Kirche über das religiöse Leben (31. Mai 1983), 41.</ref> Außerdem sollten, auch in psychologischer Hinsicht, die Besonderheiten von sowohl Frauen- als auch Männergemeinschaften berücksichtigt werden. Hieran sollten sich Überlegungen anschließen hinsichtlich der neuen Herausforderungen, die die zahlreichen Formen missionarischer Zusammenarbeit, besonders mit den Laien, an die Ausübung von Autorität stellen. Auch das unterschiedliche Gewicht, das der von örtlicher oder zentraler Stelle ausgeübten Autorität in den verschiedenen Religioseninstituten zukommt, bedingt in der Praxis uneinheitliche Formen und Modalitäten von Autorität und Gehorsam. Schließlich sei auch darauf hingewiesen, dass die Tradition des geweihten Lebens allgemein in der ,,synodalen’’ Form des Generalkapitels (oder ähnlicher Versammlungen) die höchste Autorität des Instituts sieht,<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 631, §1.</ref> auf die sich alle Mitglieder, allen voran die Oberen, beziehen müssen.

Zudem ist noch festzustellen, dass sich in diesen Jahren sowohl innerhalb der Kirche als auch in der Gesellschaft die Art und Weise, wie Autorität und Gehorsam wahrgenommen und gelebt werden, geändert hat. Verursacht hat diese Veränderung unter anderem ein wachsendes Bewusstsein vom Wert der einzelnen Person, inklusive ihrer Berufung, ihrer Gefühlswelt und ihrer intellektuellen und geistigen Begabung, ihrer Freiheit und ihrer Fähigkeit, Beziehungen einzugehen. Des Weiteren ist hier die zentrale Bedeutung einer Spiritualität der communio<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte (6. Januar 2001), 43-45; Vita consecrata, 46, 50.</ref> zu nennen und die damit verbundene Aufwertung jener Mittel, die zu ihrer lebendigeren Verwirklichung beitragen. Nicht zuletzt hat dazu auch ein anderes und weniger individualistisches Sendungsverständnis beigetragen, da die Sendung nun in den entsprechenden Formen konkreter Zusammenarbeit von allen Mitgliedern des Gottesvolkes mitgetragen wird.

Denkt man dessen ungeachtet an den Einfluss, den die gegenwärtige Kultur ausübt, dann ist daran zu erinnern, dass der Wunsch nach Selbstverwirklichung oft mit den Projekten der Gemeinschaft in Konflikt geraten kann; die Suche nach dem persönlichen Wohlergehen auf spirituellem und materiellen Gebiet kann die Ganzhingabe im Dienst an der gemeinsamen Sendung erschweren; eine allzu subjektive Auslegung des Charismas und des apostolischen Dienstes kann die Zusammenarbeit und die brüderliche Gemeinschaft schwächen.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass in einigen Bereichen genau die entgegen gesetzten Probleme anzutreffen sind, die dann von einer unausgewogenen Überbetonung der Kollektivität und übertriebenen Vereinheitlichung herrühren, was die Gefahr in sich birgt, dass Aspekte wie Wachstum und die individuelle Verantwortung der Einzelnen Schaden leiden. Was für das rechte Verhältnis zwischen Einzelperson und Gemeinschaft gilt, nämlich, dass es nicht leicht herzustellen ist, das trifft auch auf das Verhältnis zwischen Autorität und Gehorsam zu.

Diese Instruktion möchte nicht auf sämtliche Probleme eingehen, die sich aus den eben genannten Gesichtspunkten oder Empfindungsweisen unterschiedlicher Natur ergeben können. Diese bilden sozusagen nur den Hintergrund der Überlegungen und der Hinweise, die hier vorgetragen werden. Das Hauptziel dieser Instruktion ist es, erneut zu bestätigen, dass Gehorsam und Autorität, wenngleich auf verschiedene Art und Weise praktiziert, immer in einer besonderen Beziehung zum Herrn, dem gehorsamen Diener, stehen. Außerdem möchte sie denjenigen, die die Autorität repräsentieren, bei der Ausübung ihres dreifachen Dienstes behilflich sein: an den einzelnen Personen, die berufen sind, ihre eigene Weihe zu leben (erster Teil); am Aufbau brüderlicher Gemeinschaften (zweiter Teil); an der Teilnahme an der gemeinsamen Sendung (dritter Teil).

Die nachfolgenden Überlegungen und Hinweise verstehen sich als eine Weiterführung der Vorgaben jener Dokumente, die den Weg des geweihten Lebens in diesen nicht leichten Jahren begleitet haben, besonders der Instruktionen Potissimum institutioni<ref> Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, Instruktion Potissimum institutioni (2. Februar 1990), besonders 15, 24-25, 30-32.</ref> (1990), Das brüderliche Leben in Gemeinschaft<ref> Besonders 47-52.</ref> (1994), das Nachsynodale Apostolische Schreiben Vita consecrata<ref> Besonders 42-43, 91-92.</ref> (1996) und die Instruktion Neubeginn in Christus<ref> Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, Instruktion Neubeginn in Christus (19. Mai 2002), besonders 7 und 14.</ref> (2002).

ERSTER TEIL: DIE WEIHE UND DIE SUCHE NACH DEM WILLEN GOTTES

»Damit wir, befreit, ihm furchtlos dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit« (vgl. Lk 1,74-75)

Wen suchen wir?

4. Jesus, der Herr, stellt den ersten Jüngern, die vielleicht noch unsicher und ohne Klarheit einem neuen Rabbì nachfolgen, die Frage »Was wollt ihr?« (Joh 1,38). Diese Frage wirft weitere grundlegende Fragen auf: was sucht dein Herz? Wofür mühst du dich ab? Suchst du dich selbst oder suchst du den Herrn, deinen Gott? Gehst du deinen Interessen nach, oder dem Wunsch Dessen, der dein Herz erschaffen hat und der dessen Verwirklichung sehen möchte, und zwar nach einem Plan, den nur er kennt? Greifst du nur nach vergänglichen Dingen, oder suchst du Den, der nicht vergeht? »Herr unser Gott, womit sollen wir uns auf dieser Erde befassen, die Dir so unähnlich ist«, fragte sich der hl. Bernhard. »Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sehe ich Menschen überwältigt vom Getriebe dieser Welt: einige suchen nach Reichtum, andere nach Privilegien, wieder andere nach Popularität«.<ref> Hl. Bernhard, De diversis 42,3: PL 183,662B.</ref>

»Dein Angesicht, Herr, will ich suchen« (Ps 27[26],8) ist die Antwort des Menschen, der die Einzigartigkeit und unendliche Größe des Geheimnisses Gottes und den souveränen Charakter seines heiligen Willens verstanden hat; doch dies ist auch die unbewusst geahnte Antwort jedes menschlichen Geschöpfs auf der Suche nach Wahrheit und Glück. Quaerere Deum war seit jeher das Programm jeder Existenz, die nach dem Absoluten und Ewigen hungert. Viele neigen heute dazu, jede Form von Abhängigkeit als Kasteiung zu betrachten; doch gehört es zur wesentlichen Befindlichkeit des Geschöpfs, von einem Anderen abzuhängen — und gerade für den Menschen als Beziehungswesen gehört es darüber hinaus auch noch dazu von anderen Menschen abzuhängen.

Der Glaubende sucht den lebendigen und wahren Gott, den Urgrund und das Ziel aller Dinge, den Gott, der nicht Abbild unseres eigenen Ichs ist, der vielmehr uns nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat, der seinen Willen kundtut und die Wege aufzeigt, wie er zu erreichen ist: »Du zeigst mir den Pfad zum Leben. Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit« (Ps 16[15],11).

Den Willen Gottes suchen bedeutet, einen freundlich zugewandten, wohlgesonnenen Willen zu suchen, dem es um unsere wahre Verwirklichung geht, der vor allem die freie Antwort der Liebe auf seine Liebe möchte, um uns zu Werkzeugen der göttlichen Liebe zu machen. Auf dieser via amoris gedeihen sowohl das Hinhören als auch der Gehorsam.

Der Gehorsam als aufmerksames Hinhören

5. »Höre, mein Sohn« (Spr 1,8). Der Gehorsam ist vor allem eine kindliche Haltung. Er ist jene besondere Form von Hinhören, die nur ein Sohn seinem Vater schenken kann, weil er in seinem Innern die klare Gewissheit besitzt, dass der Vater dem Sohn, nur Gutes zu sagen und zu geben hat; ein Hinhören, das von jenem Vertrauen durchdrungen ist, das den Sohn für den Willen des Vaters aufnahmebereit macht, weil dieser ihm mit Sicherheit nur zum Besten gereichen wird.

In Bezug auf Gott ist dies in unvorstellbar zutreffenderer Weise wahr. Wir erreichen nämlich unsere Vollendung nur in dem Maße, wie wir uns dem Plan fügen, den Er uns in väterlicher Liebe zugedacht hat. Der Gehorsam ist also der einzige Weg, über den die menschliche Person als intelligentes und freies Wesen verfügt, um zur vollen Selbstverwirklichung zu gelangen. Denn wenn der Mensch zu Gott ,,Nein’’ sagt, stellt er sich dem Plan Gottes entgegen, würdigt sich selbst herab und verurteilt sich zum Scheitern.

Der Gehorsam ist der Weg des Wachstums, und deshalb auch der Freiheit der Person; denn er ermöglicht die Annahme eines Projektes oder eines Willens, der vom eigenen abweicht, der aber keineswegs die Würde des Menschen demütigt oder herab setzt, der sie vielmehr erst begründet. Gleichzeitig ist die Freiheit an sich auch ein Weg des Gehorsams, da der Gläubige gerade im kindlichen Gehorsam gegenüber dem Plan des Vaters seine Freiheit verwirklicht. Es versteht sich, dass ein solcher Gehorsam es erforderlich macht, sich selbst als Kind anzuerkennen und sich der Kindschaft zu freuen, denn nur ein Sohn oder eine Tochter können sich frei der Hand des Vaters anvertrauen: genau wie der Sohn Jesus, der sich dem Vater anheim gegeben hat. Und wenn er sich in seiner Passion sogar an Judas, an die Hohenpriester, an seine Peiniger, an die feindliche Menge und an seine Henker ausgeliefert hat, dann hat er dies nur getan, weil er die völlige Gewissheit hatte, dass in der absoluten Treue zum Heilsplan des Vaters, dem — wie der hl. Bernhard herausstreicht — »der Tod nicht gefiel, sondern die Absicht dessen, der aus freien Stücken sein Leben hingab«,<ref> Hl. Bernhard, De errore Abelardi 8,21: PL 182,1070A.</ref> alles seinen Sinn erhält.

»Höre Israel« (Dtn 6,4)

6. Für den Herrn, unseren Gott, ist Israel der Sohn, das Volk, das Er sich erwählt hat, das er hervorgebracht hat und an seiner Hand aufwachsen ließ, das er an seine Wange hob und gehen lehrte (vgl. Hos 11,1-4), an das er — als höchsten Ausdruck seiner Liebe — ununterbrochen sein Wort gerichtet hat, selbst wenn dieses Volk nicht immer darauf hörte oder das Wort als eine Last, als ein ,,Gesetz’’ empfand. Das ganze Alte Testament ist eine Einladung zum Hören, und das Hören steht im Dienst des neuen Bundes: wenn ich, so spricht der Herr, »meine Gesetze in ihr Inneres hineinlege und sie ihnen in ihr Herz schreibe; dann werde ich ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein« (Hebr 8,10; vgl. Jer 31,33).

Auf das Hören folgt der Gehorsam als freie und befreiende Antwort des neuen Israel auf das Angebot des neuen Bundes; der Gehorsam ist Teil des neuen Bundes, ja, er ist dessen charakteristisches Merkmal. Daraus folgt, dass er nur innerhalb der Logik der Liebe, der Intimität mit Gott, der endgültigen und schließlich befreienden Zugehörigkeit zu ihm ganz verstanden werden kann.

Der Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes

7. Der erste Gehorsam den das Geschöpf leistet, ist jener des Ins- Dasein-Tretens. Dies geschieht im Gehorsam gegenüber dem göttlichen fiat, das es ins Leben ruft. Dieser Gehorsam erreicht seinen höchsten Ausdruck in einem Geschöpf, das frei ist, sich selbst zu erkennen und sich als ein Geschenk Gottes anzunehmen, ,,Ja’’ zu sagen zum eigenen Ursprung aus Gott. So tätigt es den ersten wirklichen Akt der Freiheit, der gleichzeitig auch der erste und grundlegende Akt echten Gehorsams ist.

Der dem gläubigen Menschen eigene Gehorsam ist die Zustimmung zu jenem Wort, mit welchem Gott sich selbst offenbart und sich mitteilt, und durch das er täglich seinen Liebesbund erneuert. Aus diesem Wort entspringt das Leben, das uns täglich zuteil wird. Darum sucht der Gläubige jeden Morgen den lebendigen und dauernden Kontakt mit dem Wort, das an diesem Tag verkündet wird, indem er es im Herzen betrachtet und als Schatz aufbewahrt, es zum Beweggrund all seinen Tuns erhebt und zum maßgeblichen Faktor beim Treffen aller Entscheidungen macht. Am Ende des Tages stellt er sich ihm dann und lobt Gott wie Simeon, weil er die Erfüllung des ewigen Wortes innerhalb des bescheidenen eigenen Alltags geschaut hat (vgl. Lk 2,27-32), wobei er der Kraft des Wortes all das anvertraut, was noch unvollendet geblieben ist. Denn das Wort wirkt nicht nur am Tag, sondern immerfort, wie der Herr uns im Gleichnis vom Wachsen der Saat lehrt (vgl. Mk 4,26-27).

Die liebevolle tägliche Begegnung mit dem Wort lehrt uns, die Pfade des Lebens zu entdecken und lässt uns die Art und Weise aufspüren, wie Gott seine Kinder befreien will; sie nährt den geistlichen Instinkt für die Dinge, die Gott gefallen, vermittelt das Gespür und den Geschmack für seinen Willen; schenkt Frieden und Freude in seiner Treue und macht sie für alle Facetten des Gehorsams empfänglich und bereit: für das Evangelium (Röm 10,16; 2 Thes 1,8), den Glauben (Röm 1,5; 16,26) und die Wahrheit (Gal 5,7; 1 Pt 1,22).

Man darf darüber nicht vergessen, dass die wahre Gotteserfahrung immer eine Erfahrung des Andersartigen ist, dass »zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf keine noch so große Ähnlichkeit besteht, als dass zwischen ihnen nicht immer noch eine größere Unähnlichkeit verbliebe«.<ref> Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi (30. November 2007), 43; vgl. Conc. Ecum. Lateranense IV, in DS 806.</ref> Die Mystiker und all jene, die intimste Erfahrungen von Gott gemacht haben, erinnern uns daran, dass der Kontakt mit dem höchsten Geheimnis immer ein Kontakt mit dem Anderen ist, mit einem Willen, der sich zuweilen auf dramatische Weise vom unsrigen unterscheidet. Gott gehorchen bedeutet ja in eine ,,andere’’ Ordnung von Werten einzutreten, einen neuen und andersartigen Sinn für die Realität zu gewinnen, eine undenkbare Freiheit zu erfahren und an die Schwelle des Geheimnisses zu gelangen: »Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege — Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken« (Jes 55,8-9).

Wenn dieser Eintritt in die Welt Gottes auch Furcht einflößen kann, so zeigt diese Erfahrung, welche auch die Heiligen gemacht haben, dass Dinge, die dem Menschen unmöglich sind, von Gott möglich gemacht werden; ja, solche Erfahrungen sind geradezu Ausweis eines authentischen Gehorsams gegenüber dem Geheimnis Gottes dar, der zugleich »interior intimo meo«<ref> »Innerlicher als mein Innerstes«: Hl. Augustinus, Confessiones III,6,11.</ref> und radikal anders ist.

In der Nachfolge Jesu, des gehorsamen Sohnes des Vaters

8. Auf diesem Weg sind wir nicht allein: das Beispiel Christi, des geliebten Sohnes, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat, leitet uns an (vgl. Mt 3,17; 17,5). Er ist es auch, der uns durch seinen Gehorsam frei gemacht hat. Er ist die treibende Kraft hinter unserem Gehorsam, damit auch durch unser Mitwirken der göttliche Heilsplan sich erfülle.

In ihm ist alles Hinhören auf den Vater und Annahme des Vaters (vgl. Joh 8,28-29), alles in seinem irdischen Leben ist Ausdruck und Fortführung dessen, was das Wort seit Ewigkeit tut: sich vom Vater lieben zu lassen, seine Liebe bedingungslos anzunehmen, – was so weit geht, dass er nichts aus sich selbst tut (vgl. Joh 8,28), sondern immer das, was dem Vater gefällt. Der Wille des Vaters ist die Speise, die Jesus bei seinem Wirken Kraft spendet (vgl. Joh 4,34), die Ihm und uns in übervollem Maß die Früchte der Auferstehung einbringt, die strahlende Freude, ins Herz Gottes selbst und in die selige Schar seiner Kinder einzutreten (vgl. Joh 1,12). Dieses Gehorsams Jesu wegen »sind alle gerecht gemacht worden« (Röm 5,19).

Er hat ihn gelebt, auch als dieser zu einem bitteren Kelch wurde (vgl. Mt 26,39.42; Lk 22,42), er war »gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz« (Phil 2,8). Hier begegnen wir der dramatischen Seite des Gehorsams des Sohnes, die umgeben ist von einem für uns nie ganz zu durchdringenden Geheimnis, das für uns jedoch gleichzeitig von großer Bedeutung ist, weil uns hierdurch noch deutlicher die kindliche Natur des christlichen Gehorsams aufgezeigt wird: nur der Sohn, der sich vom Vater geliebt weiß und ihn aus ganzem Herzen wieder liebt, kann diese Form des radikalen Gehorsams erreichen.

Wie Christus, so begreift sich auch der Christ als ein gehorsames Wesen. Der unbestreitbare Primat der Liebe im christlichen Leben kann nicht vergessen machen, dass genau diese Liebe in Christus ein Gesicht, einen Namen gefunden hat und zum Gehorsam geworden ist. Der Gehorsam ist also keine Demütigung, sondern eine Wahrheit, auf der die Fülle des Menschseins gründet und Verwirklichung erreicht. Darum wünscht der Gläubige so leidenschaftlich, den Willen des Vaters zu tun, dass er dies zu seinem höchsten Ziel macht. Wie Jesus, so will auch er nach diesem Willen leben. In der Nachfolge Christi, und nach seinem Beispiel, hat der gottgeweihte Mensch in einem Akt höchster Freiheit und bedingungslosen Vertrauens seinen Willen in die Hände des Vaters gelegt, um ihm ein vollkommenes und wohlgefälliges Opfer darzubringen (vgl. Röm 12,1).

Aber noch ehe sein Gehorsam zum Modellbeispiel für jeden anderen Gehorsam wird, ist Christus der, dem aller echte christliche Gehorsam gilt. Tatsächlich setzt die praktische Umsetzung seiner Worte die Jüngerschaft in Kraft (vgl. Mt 7,24). Die Beobachtung seiner Gebote verleiht der Liebe zu Ihm konkrete Gestalt und zieht die Liebe des Vaters auf sich (vgl. Joh 14,21). Christus steht im Zentrum der Ordensgemeinschaft als der, der dient (vgl. Lk 22,27), aber auch als derjenige, dem man den eigenen Glauben bekennt (»Glaubt an Gott und glaubt an mich«: Joh 14,1) und dem man seinen Gehorsam schenkt; denn nur in diesem Gehorsam verwirklicht man auf sichere und beharrliche Weise die Nachfolge: »In der Tat ist es der auferstandene Herr selbst, der unter den Brüdern und Schwestern, die in seinem Namen versammelt sind, wieder gegenwärtig ist und der den zu beschreitenden Weg aufzeigt«.<ref> Benedikt XVI., Schreiben an den Präfekten der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens anlässlich der Vollversammlung, 27. September 2005, in Insegnamenti di BenedettoXVI,2005,I, Città del Vaticano, 588.</ref>

Gehorsam gegenüber Gott durch menschliche Vermittlungen

9. Gott äußert seinen Willen durch die innere Bewegung des Geistes, der »zur ganzen Wahrheit führt« (vgl. Joh 16,13), sowie auf vielfältigen äußeren Vermittlungswegen. Tatsächlich ist die Heilsgeschichte eine Geschichte der Vermittlung, wodurch das Geheimnis der Gnade, die Gott im Innersten der Herzen bewirkt, gewissermaßen sichtbar wird. Auch am Leben Jesu ist in nicht geringem Maße die Mittlerfunktion von Menschen erkennbar, durch die Er den Willen des Vaters als eigenen Daseinsgrund und als Speise für sein Leben und seine Sendung erkannt, gedeutet und angenommen hat.

Die Zwischeninstanzen, die den Willen Gottes zum Ausdruck bringen, erkennt man einerseits an den Ereignissen des Lebens und an den besonderen Erfordernissen der spezifischen Berufung; doch sie kommen auch in den Regeln, die das Zusammenleben ordnen, zum Ausdruck, sowie in den Anordnungen jener, die zur Leitung bestimmt sind. Im kirchlichen Kontext machen es rechtmäßig erlassene Gesetze und Verordnungen möglich, den Willen Gottes zu erkennen, da diese eine konkrete und ,,geordnete’’ Verwirklichung der Forderungen des Evangeliums darstellen, denn ihre Formulierung geht vom Evangelium aus und wird von diesem her verstanden.

Gottgeweihte Personen sind außerdem innerhalb eines vom Geist angeregten und von der Kirche anerkannten charismatischen oder ,,evangelischen’’ Projekts in die Nachfolge des gehorsamen Christus gerufen. Indem die Kirche ein charismatisches Projekt, wie z.B. ein Ordensinstitut, anerkennt, garantiert sie, dass die Inspirationen, die ihm zu Grunde liegen und die Normen, die es ordnen, Freiraum schaffen können für einen Weg der Heiligkeit und der Suche nach Gott. Auch die Ordensregel und die übrigen Anweisungen für das Leben werden so zu Vermittlungsinstanzen in Bezug auf den Willen des Herrn: es sind menschliche Instanzen, zwar unvollkommen, aber dennoch verbindlich; sie sind Ausgangspunkt, von dem aus jeden Tag neu aufzubrechen ist, der aber auch mit jener hochherzigen und kreativen Beschwingtheit übertroffen werden kann, die zur Heiligkeit führt, die Gott für jeden Geweihten ,,will’’. Wer Autorität ausübt, ist mit der pastoralen Aufgabe betraut, in Übereinstimmung mit diesem Weg zur Heiligkeit zu leiten und zu entscheiden.

Es versteht sich, dass all dies nur so lange überzeugend und fruchtbar gelebt werden kann, wie das Verlangen lebendig bleibt, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun, andererseits aber auch das Bewusstsein der eigenen Schwachheit vorhanden ist, sowie die Bereitschaft besteht, die Gültigkeit der spezifischen Vermittlungsinstanzen anzunehmen, auch wenn man die von ihnen angegebenen Begründungen nicht völlig verstehen mag.

Bei den geistigen Intuitionen der Gründer und Gründerinnen, vor allem jener, die den Weg des Ordenslebens über die Jahrhunderte in besonderer Weise vorgezeichnet haben, nahm der Gehorsam immer einen hervorgehobenen Platz ein. Der hl. Benedikt richtet sich gleich zu Beginn seiner Regel an den Mönch mit den Worten: »An dich also richte ich jetzt mein Wort, wer immer du bist, wenn du nur deinem Eigenwillen absagst, für Christus, den Herrn und wahren König, kämpfen willst und den starken, strahlenden Schild des Gehorsams ergreifst«.<ref> Hl. Benedikt, Regel, Prolog, I,3; vgl. auch Hl. Augustinus, Regel, 7; Hl. Franziskus von Assisi, nicht bullierte Regel, I,1; bullierte Regel, I,1; vgl. Vita consecrata, 46.</ref>

Ferner muss daran erinnert werden, dass die Beziehung Autorität- Gehorsam sich in den weiteren Zusammenhang des Geheimnisses der Kirche einfügt und eine besondere Art der Verwirklichung ihrer Mittlerfunktion darstellt. Der Codex des Kirchenrechts empfiehlt den Oberen diesbezüglich, »im Geist des Dienens ihre von Gott durch den Dienst der Kirche empfangene Vollmacht auszuüben«.<ref> Codex des kanonischen Rechtes, can. 618.</ref>

Den Gehorsam im Alltag erlernen

10. Es kann der geweihten Person also durchaus widerfahren, dass sie aus Leid, oder aus besonderen, schwierigen Situationen ,,den Gehorsam zu lernen’’ hat: wenn beispielsweise verlangt wird, bestimmte Pläne und persönliche Vorhaben aufzugeben und auf den Anspruch zu verzichten, das Leben und die Sendung allein zu gestalten; oder jedesmal, wenn das, was verlangt wird, oder der, der es verlangt, rein menschlich gesehen wenig überzeugend erscheint. Wer sich in solchen Situationen befindet, darf also nicht vergessen, dass die Vermittlung aus sich heraus begrenzt und niedriger ist als das, worauf sie sich bezieht. Dies gilt eben gerade dann, wenn es sich darum handelt, dass Menschen eine Mittlerfunktion in Bezug auf den Willen Gottes zukommt. Doch wenn man einen rechtmäßig erteilten Auftrag erhalten hat, erinnere man sich auch daran, dass der Herr den Gehorsam gegenüber der Person verlangt, die ihn in diesem Augenblick repräsentiert,<ref> Vgl. II. Vat. Konzil, Dekret über die Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis, 14.</ref> und dass auch Christus »durch Leiden den Gehorsam lernte« (Hebr 5,8).

An dieser Stelle soll an die Worte Pauls VI. erinnert werden: »Ihr müsst also etwas von der Last erfahren, die den Herrn an sein Kreuz heftete, jene Taufe, mit der er getauft werden musste, wo sich jenes Feuer entzündete, das auch euch ansteckt (vgl. Lk 12,49-50); etwas von jener Torheit, die der hl. Paulus für uns alle wünschte, da nur sie uns weise macht (vgl. 1 Kor 3,18-19). Das Kreuz sei für euch, wie einst für Christus, der höchste Liebeserweis. Besteht denn nicht eine geheimnisvolle Beziehung zwischen Verzicht und Freude, zwischen Opfer und Weitung des Herzens, zwischen Disziplin und geistlicher Freiheit«?<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelica testificatio (29. Juni 1971).</ref>

Gerade in solch schmerzlichen Fällen lernt die gottgeweihte Person, dem Herrn zu gehorchen (vgl. Ps 119[118],71), auf ihn zu hören und nur ihm anzuhangen, in der geduldigen und hoffnungsvollen Erwartung seines offenbarenden Wortes (vgl. Ps 119[118],81), in voller und großmütiger Bereitschaft, nicht den eigenen, sondern seinen Willen zu erfüllen (vgl. Lk 22,42).

Im Licht und in der Kraft des Geistes

11. Man bindet sich also an den Herrn, wenn man seine Gegenwart in den menschlichen Vermittlungsinstanzen, besonders in der Ordensregel, in den Oberen, in der Gemeinschaft,<ref> Vgl. Evangelica testificatio, 25.</ref> in den Zeichen der Zeit, in den Erwartungen der Menschen, besonders der Armen erkennt; wenn man den Mut findet, die Netze »auf sein Wort hin« (vgl. Lk 5,5) auszuwerfen — und nicht allein aufgrund menschlicher Berechnung; wenn man den Gehorsam nicht nur Gott gegenüber, sondern auch gegenüber den Menschen wählt, in jedem Fall aber um des Herrn und nicht um der Menschen Willen. Der hl. Ignatius von Loyola schreibt in seinen Konstitutionen: »... der wahre Gehorsam erwägt nicht, wem gegenüber man ihn leistet, sondern um wessentwillen man ihn leistet. Und wenn man ihn allein um unseres Schöpfers und Herrn willen leistet, gehorcht man demjenigen in Person, der der Herr aller ist«.<ref> Hl. Ignatius von Loyola, Konstitutionen der Gesellschaft Jesu, IV,29.</ref>

Wer in schwierigen Zeiten zum Gehorsam aufgerufen wird, soll vom Vater inständig den Beistand des Geistes erbitten (vgl. Lk 11,13). Er wird ihm diesen schenken, und der Geist wird Licht und Kraft zum Gehorsam spenden, er wird die Wahrheit lehren, und die Wahrheit wird frei machen (vgl. Joh 8,32).

Jesus selbst wurde in seiner Menschheit vom Wirken des Hl. Geistes geführt: empfangen im Schoß der Jungfrau Maria durch das Wirken des Hl. Geistes; am Beginn seiner Sendung, in der Taufe, empfängt er den Geist, der auf ihn herabsteigt und ihn führt; auferstanden spendet er den Geist seinen Jüngern, damit sie seine Sendung übernehmen und das von ihm gewirkte Heil und die Vergebung verkünden. Der Geist hat Jesus gesalbt und kann auch unsere Freiheit seiner Freiheit, die dem Willen Gottes vollkommen entspricht, ähnlich machen.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum caritatis (22.Februar 2007), 12.</ref>

Es ist also notwendig, dass jeder sich darum bemüht, dem Geist gegenüber fügsam zu sein, allen voran die Oberen, die ja gerade vom Hl. Geist ihre Autorität empfangen.<ref> Vgl. Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens und Kongregation für die Bischöfe, Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche Mutuae relationes (14. Mai 1978), 13.</ref> Diese müssen sie »im Hinhören auf den Willen Gottes«<ref> Perfectae caritatis, 14.</ref> und unter seiner Leitung ausüben.

Die Autorität steht im Dienst des Gehorsams gegenüber dem Willen Gottes

12. Im geweihten Leben muss jeder aufrichtig den Willen des Vaters suchen, denn sonst stünde die Rechtfertigung seines Lebensentscheids selbst in Frage; es ist jedoch ebenso wichtig, diese Suche gemeinsam mit den Brüdern oder Schwestern zu fördern, weil gerade sie es ist, die eint und zu einer mit Christus verbundenen Familie macht.

Die Autorität steht im Dienst dieser Suche. Sie soll garantieren, dass diese in Ehrlichkeit und Wahrheit stattfinden kann. Zu Beginn seines Petrusdienstes hat Benedikt XVI. bei seiner Ansprache bezeichnenderweise Folgendes hervorgehoben: »Das eigentliche Regierungsprogramm aber ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen, damit er selbst die Kirche führe in dieser Stunde unserer Geschichte«.<ref> Benedikt XVI., Predigt in der Messe zur Amtseinführung (24. April 2005), in AAS 97(2005) 709.</ref> Andererseits muss auch anerkannt werden, dass die Aufgabe, andere zu führen, nicht einfach ist, besonders wenn es zu einem übertriebenen, konfliktträchtigen und konkurrierenden Streben nach persönlicher Autonomie kommt. Alle müssen deshalb im Geiste des Glaubens genau bedenken, was zu diesem Auftrag gehört, sich also am Verhalten des dienenden Jesus orientieren, der die Füße seiner Apostel wäscht, damit sie an seinem Leben und an seiner Liebe teilhaben (vgl. Joh 13,1-17).

Eine große Kohärenz wird von denen verlangt, die ein Institut leiten, eine Provinz (oder andere Teile des Instituts) oder eine Gemeinschaft. Die zum Dienst der Autorität bestellte Person muss wissen, dass sie diesen nur erfüllen kann, wenn sie sich selbst zuerst auf jene Pilgerschaft begibt, die zur ernsthaften und aufrichtigen Suche nach Gottes Willen führt. Für sie gilt der Rat, den der hl. Ignatius von Antiochien einem Mitbruder im Bischofsamt gibt: »Nichts geschehe ohne deine Zustimmung, du jedoch tue nichts ohne die Zustimmung Gottes«.<ref> Hl. Ignatius von Antiochien, Brief an Polycarp 4,1.</ref> Wer Autorität innehat, muss so handeln, dass die Mitbrüder oder Mitschwestern erkennen können, dass er, wenn er befiehlt, dies einzig tut, um Gott zu gehorchen.

Die Achtung vor dem Willen Gottes bewahrt die Autorität in einem Zustand der demütigen Suche, auf dass ihr Tun möglichst vollkommen mit jenem heiligsten Willen übereinstimme. Der hl. Augustinus erinnert daran, dass derjenige, der gehorcht, immer den Willen Gottes tut, nicht weil der Befehl der Autorität notwendigerweise dem Willen Gottes entspricht, sondern weil es Gottes Wille ist, dem Vorgesetzten zu gehorchen.<ref> Vgl. Hl. Augustinus, Enarrationes in Psalmos 70,I,2: PL 36,875.</ref> Wer Autorität innehat, muss seinerseits jedoch im Gebet, in der Sammlung und im Rat der anderen ständig das suchen, was Gott wirklich will. Andernfalls laufen der Obere oder die Oberin leicht Gefahr, anstatt Gott zu suchen, sich selbst willkürlich an seine Stelle zu setzen.

Im Bestreben, den Willen Gottes zu tun, sind Autorität und Gehorsam also keine voneinander verschiedenen oder gar entgegen gesetzten Realitäten, sondern zwei Dimensionen einer Wirklichkeit, die im Evangelium fußt, ein und desselben christlichen Geheimnisses. Sie sind zwei sich ergänzende Weisen der Teilhabe an der Selbsthingabe Christi. Autorität und Gehorsam finden in Jesus ihre Personifizierung: deshalb müssen sie in direkter Beziehung zu Ihm und in tatsächlicher Angleichung an Ihn verstanden werden. Das geweihte Leben will nichts anderes, als Seine Autorität und Seinen Gehorsam zu leben.

Einige Prioritäten des Dienstes der Autorität

13. a) Im geweihten Leben ist Autorität in erster Linie geistlicher Natur.<ref> Vgl. Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 50.</ref> Sie weiß, das sie gerufen ist, einem Ideal zu dienen, das sie unendlich übersteigt, einem Ideal, dem man sich nur in einer Atmosphäre des Gebetes und der demütigen Suche nähern kann. Diese Suche ermöglicht es, das Wirken des Geistes im Herzen jedes Bruders und jeder Schwester zu erkennen. Autorität ist dann ,,geistlich’’, wenn sie sich in den Dienst dessen stellt, was der Geist durch die Gaben verwirklichen will, die er jedem Mitglied der Gemeinschaft innerhalb eines charismatischen Programms des Instituts schenkt.

Um das geistliche Leben zu fördern wird derjenige, der Autorität innehat, dieses zuerst in sich selbst pflegen, und zwar durch eine betende, tägliche Vertrautheit mit dem Wort Gottes, mit der Ordensregel und den anderen Lebensnormen, mit der Bereitschaft, den anderen zuzuhören und die Zeichen der Zeit zu berücksichtigen. »Der Dienst der Autorität verlangt eine ständige Präsenz, die es versteht, Anregungen zu geben, auf die Grundlagen des geweihten Lebens hinzuweisen, und somit den Menschen dabei zu helfen, in stets erneuerter Treue dem Anruf des Geistes zu entsprechen«.<ref> Benedikt XVI., Ansprache an die Generalobern (22. Mai 2006), in Insegnamenti di Benedetto XVI, II,1, Città del Vaticano, 659.</ref>

b) Wer Autorität ausübt, ist angehalten, der eigenen Gemeinschaft Gebetszeiten, sowie die Qualität des Gebets selbst zu gewährleisten, indem er über die tägliche Treue zum Gebet wacht, im Bewusstsein, dass man Gott mit kleinen, aber beharrlich erfolgenden Schritten entgegen geht, Tag für Tag, ohne Ausnahme, und dass die Geweihten für andere in dem Maße nützlich sein können, in welchem sie selbst mit Gott verbunden sind. Zudem hat, wer Autorität ausübt, darüber zu wachen, dass — bei der eigenen Person beginnend — der tägliche Kontakt mit dem Wort Gottes nicht fehle, denn dieses »hat die Kraft« (Apg 20,32), den Einzelnen und die Gemeinschaft aufzubauen und die Wege der Sendung aufzuzeigen. In Anlehnung an den Auftrags des Herrn »tut dies zu meinem Gedächtnis« (Lk 22,19) wird man dafür Sorge tragen, dass das heilige Geheimnis des Leibes und Blutes Christi als ,,Höhepunkt und Quelle’’<ref> Vgl. II. Vat. Konzil, Konstitution Sacrosanctum concilium 10; Neubeginn in Christus, 26.</ref> der Gemeinschaft mit Gott und unter den Brüdern und Schwestern gefeiert und verehrt werde. Bei der Feier und Anbetung des Geschenks der Eucharistie, die in treuem Gehorsam gegenüber dem Herrn stattfindet, schöpft die religiöse Gemeinschaft Kraft und Mut für ihre Ganzhingabe an Gott, damit sie Zeichen seiner ungeschuldeten Liebe zur Menschheit und wirksamer Hinweis auf die zukünftigen Güter sein kann.<ref> Vgl. Sacramentum caritatis 8; 37; 81.</ref>

c) Wer Autorität ausübt, ist angehalten, die Würde der Person zu fördern, indem er jedem Mitglied der Gemeinschaft und dessen Wachstum Aufmerksamkeit schenkt und einem jeden die eigene Wertschätzung und positive Einstellung bekundet, allen gegenüber aufrichtige Liebe zeigt und die ihm im Vertrauen mitgeteilten Dinge diskret behandelt.

Es ist auch angebracht daran zu erinnern, dass vor der Mahnung zum Gehorsam - wo sie notwendig ist - die Liebe walten muss, - die unverzichtbar ist. Auch kann und darf das Wort communio weder als eine Art des Delegierens der Autorität an die Gemeinschaft verstanden werden, (wobei indirekt jeder dazu eingeladen würde, ,,zu tun und zu lassen, was er will’’), noch als eine mehr oder weniger verschleierte Aufdrängung des eigenen Standpunktes (,,jeder tue, was ich will’’).

d) Wer Autorität ausübt, ist angehalten, in schwierigen Situationen Mut und Hoffnung zu wecken. Wie Paulus und Barnabas den Brüdern Mut zusprachen, indem sie ihnen sagten »durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen« (Apg 14,22), so muss die Autorität bei der Annahme der Schwierigkeiten des Augenblicks behilflich sein und darauf hinweisen, dass sie Teil jener Leiden sind, die den Weg kennzeichnen, der zum Reich Gottes führt.

Angesichts der Prüfungen, die auf das geweihte Leben heute mancherorts zukommen, beispielsweise auf Grund seiner schwindende Präsenz, wird der Leiter einer Gemeinschaft an den durch alle Zeiten gültigen Wert dieser Lebensform erinnern, da es gestern, heute und immerdar nichts Wichtigeres, Schöneres und Wahrhaftigeres gibt, als das eigene Leben für den Herrn und für die Geringsten unter seinen Kindern hinzugeben.

Wer die Gemeinschaft führt, dem fällt die Aufgabe des guten Hirten zu, der sein Leben für die Schafe hingibt, der sich in kritischen Augenblicken nicht in Sicherheit bringt, sondern präsent bleibt, teilnimmt an den Sorgen und Schwierigkeiten der ihm anvertrauten Personen und sich als erster ihrer annimmt. Wie der gute Samariter wird er auch bereit sein, etwaige Wunden zu heilen, in Demut seine eigenen Grenzen zu erkennen sowie das Bedürfnis der anderen, Hilfe zu erfahren anzuerkennen, weil er es versteht, aus den eigenen Misserfolgen und Niederlagen zu lernen.

e) Wer Autorität ausübt, ist angehalten, das Charisma der eigenen Ordensfamilie lebendig zu erhalten. Die Ausübung von Autorität bringt es auch mit sich, dass man sich in den Dienst des institutseigenen Charismas stellt, es sorgfältig bewahrt und in der Hausgemeinschaft oder der Provinz oder im ganzen Institut auf den neuesten Stand bringt, insbesondere gemäß den von den Generalkapiteln (oder anderen entsprechenden Versammlungen) verabschiedeten Projekten und Leitlinien.<ref> Vgl. Vita consecrata, 42.</ref> Dies verlangt von demjenigen, der die Autorität ausübt, eine angemessene Kenntnis des Charismas des Instituts, indem er dieses vor allem zu einem Teil der eigenen persönlichen Erfahrung macht, um es dann im Blick auf die brüderliche Gemeinschaft und deren Einbindung in das kirchliche und soziale Umfeld zu deuten.

f) Wer Autorität ausübt, ist angehalten, das ,,sentire cum Ecclesia’’ lebendig zu erhalten. Der Autorität kommt auch die Aufgabe zu, dabei behilflich zu sein, den Sinn für den Glauben und die kirchliche Gemeinschaft inmitten eines Volkes lebendig zu erhalten, das die Wundertaten Gottes anerkennt und preist, indem es von der Freude Zeugnis ablegt, die es erfüllt, da es zur großen Familie der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche gehört. Die Nachfolge des Herrn kann unmöglich von Einzelkämpfern wahrgenommen werden, sie vollzieht sich vielmehr im Schiff Petri, das alle aufnimmt und den Stürmen standhält. Eine geweihte Person wird durch ihre aktive und frohe Treue ihren Beitrag zu einer guten Überfahrt leisten.<ref> Vgl. Mutuae relationes, 34-35.</ref> Wer Autorität ausübt, wird daher daran erinnern, dass »unser Gehorsam ein Mitglauben mit der Kirche, ein Mitdenken und Mitsprechen mit ihr und ein Dienen vereint mit ihr ist. Dazu gehört dann auch immer wieder, was Jesus dem Petrus vorhergesagt hat: Jemand wird dich führen, wohin du nicht willst. Dieses Sich-Führen-Lassen, wohin wir nicht wollen, ist eine wesentliche Dimension unseres Dienens, und gerade dies macht uns frei«.<ref> Benedikt XVI., Predigt am Gründonnerstag in der Chrisam-Messe (20. März 2008), in L'Osservatore Romano, 20./21. März 2008, 8.</ref>

Das sentire cum Ecclesia, das in Gründerinnen und Gründern besonders aufleuchtet, hat seine Quelle in einer authentisch gemeinschaftsbezogenen Spiritualität, das heißt »einer wirksamen und herzlichen Verbundenheit mit den Hirten, vor allem mit dem Papst als dem Zentrum der Einheit der Kirche«:<ref> Neubeginn in Christus, 32.</ref> ihm schuldet jede geweihte Person auch kraft des Gelübdes selbst vollen und vertrauensvollen Gehorsam.<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, can. 590 §2.</ref> Die kirchliche Gemeinschaft fordert zudem eine treue Bindung an das Lehramt des Papstes und der Bischöfe als konkretes Zeugnis der Liebe zur Kirche und des leidenschaftlichen Eifers für ihre Einheit.<ref> Vgl. Vita consecrata, 46.</ref>

g) Wer Autorität ausübt, ist angehalten, das ständige Wachstum zu fördern. Die Menschen, die einem anvertraut wurden, auf ihrem Lebensweg zu begleiten ist eine Aufgabe, die von den Oberen als immer wichtiger anzusehen ist. Diese Aufgabe erfüllen sie nicht nur dadurch, dass sie bei etwaigen Problemen und deren Lösungsfindung, sowie bei der Bewältigung von Krisen ihre Hilfe anbieten, sondern auch indem sie aufmerksam das normale Wachstum eines jeden in allen Lebensphasen begleiten, damit so gewährleistet werde, dass die geweihte Person jene »Jugendlichkeit des Geistes, die stets fortbesteht«,<ref> Vita consecrata, 70.</ref> besitzt, was diese immer mehr in Übereinstimmung mit jener Gesinnung bringt »die dem Leben in Christus Jesus entspricht« (Phil 2,5).

Es liegt also in der Verantwortung der Autorität, in jedem Einzelnen eine hohe Bereitschaft wach zu halten, sich weiter formen zu lassen. Sie wird in ihm jene Fähigkeit fördern, vom Leben zu lernen und die Bereitschaft zur freien Entscheidung, sich von anderen formen zu lassen. Gleichzeitig wird die Autorität dafür Sorge tragen, dass der Einzelne sich seiner eigenen Verantwortung für das Wachstum des jeweils Anderen bewußt ist. Dabei sollen jene Mittel für das gemeinschaftliche Wachstum eingesetzt werden, die uns die Tradition empfiehlt und die heute immer wärmer von denen empfohlen werden, die über zuverlässige Erfahrungen im Bereich der geistlichen Bildung verfügen: das gemeinsame Teilen des Wortes; persönliches und gemeinschaftliches Planen; gemeinschaftliche Beratung; Revision des Lebens; brüderliche Zurechtweisung.<ref> Vgl. Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 32.</ref>

Der Dienst der Autorität im Lichte der kirchlichen Normen

14. Auf den vorhergehenden Seiten ist der Dienst der Autorität im geweihten Leben im Hinblick auf die Suche nach dem Willen des Vaters beschrieben worden; dabei wurden einige Prioritäten besonders hervorgehoben.

Damit diese Prioritäten nicht als rein fakultativ verstanden werden, erscheint es angebracht, im Folgenden die besonderen Merkmale herauszustellen, welche die Wahrnehmung der Leitungsaufgabe gemäß dem Codex des kanonischen Rechtes auszeichnen.<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechts, cann. 617-619.</ref> Hier werden die im Evangelium gegebenen Kennzeichen der von den Ordensoberen auf verschiedenen Ebenen ausgeübten Entscheidungsgewalt in Normen umgesetzt.

a) Der Gehorsam des Oberen. Ausgehend von der charakteristischen Natur der kirchlichen Vollmacht als munus (Amt), erinnert der Codex des kanonischen Rechts den Ordensobern daran, dass er an erster Stelle dazu berufen ist, allen voraus gehorsam zu sein. Kraft des übernommenen Amtes schuldet er dem Gesetz Gottes Gehorsam; von diesem leitet sich seine Autorität ab und vor diesem, sowie vor dem Gesetz der Kirche, vor dem Heiligen Vater und vor dem Eigenrecht des Instituts, muss er gewissenhaft Rechenschaft ablegen.

b) Geist des Dienstes. Nachdem der charismatische Ursprung und die kirchliche Verleihung religiöser Autorität bekräftigt worden sind, wird erneut hervorgehoben, dass, wie alle Autorität in der Kirche, auch die Autorität des Ordensobern von einer Haltung des Dienstes gekennzeichnet sein muss, ganz nach dem Beispiel Christi, der »nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen« (Mk 10,45).

Insbesondere werden einige Aspekte dieser Haltung des Dienstes aufgezeigt, deren aufmerksame Observanz es den Ordensoberen ermöglichen wird, in der Erfüllung ihrer spezifischen Aufgaben als »treu gegenüber dem Willen Gottes« anerkannt zu werden.<ref> Codex des kanonischen Rechts, can. 618.</ref>

Alle Oberen sind daher dazu berufen, als Bruder unter Brüdern oder Schwester unter Schwestern, jene Liebe sichtbar werden zu lassen, mit der Gott seine Kinder liebt, wobei sie einerseits jegliches Herrschaftsgebaren und andererseits jegliche Form von Paternalismus oder Maternalismus vermeiden sollen.

All das ist dadurch möglich, dass man vertrauensvoll das Verantwortungsbewusstsein der Mitbrüder weckt, »unter Achtung vor der menschlichen Person deren freiwilligen Gehorsam«<ref> Codex des kanonischen Rechts, can. 618.</ref> fördert und auf den Dialog baut, wobei zu beachten ist, dass die Zustimmung »im Geist des Glaubens und der Liebe« erfolgen muss, »im Sinne der Nachfolge des bis zum Tode gehorsamen Christus«<ref> Codex des kanonischen Rechts, can. 601.</ref> und nicht aus anderen Beweggründen.

c) Pastorale Sorge. Der Codex des kanonischen Rechts verweist auf das Hauptziel der Ausübung der Vollmacht im Ordensleben, nämlich »eine brüderliche Gemeinschaft in Christus aufzubauen, in der Gott vor allem gesucht und geliebt wird«.<ref> Codex des kanonischen Rechts, can. 619.</ref> Aus diesem Grunde ist die Vollmacht in den Ordensgemeinschaften ihrem Wesen nach pastoraler Natur, insofern sie wesenhaft ganz der Erbauung des brüderlichen Lebens in Gemeinschaft dient, wie es der kirchlichen Identität, die dem Ordensleben zueigen ist, entspricht.<ref> Die Ordensgemeinschaft ist daraufhin ausgelegt, den Primat der Liebe Gottes zu erlangen und nach außen zu zeigen; er ist das Ziel selbst des geweihten Lebens, und daher auch dessen erste Verpflichtung und das erste Apostolat der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft. Vgl. Codex des kanonischen Rechts, cann. 573; 607; 663 §1; 673.</ref>

Die bevorzugten Mittel, die der Obere einsetzen muss, um dieses Primärziel zu erreichen, können nur auf dem Glauben basieren: diese sind, im Besonderen, das Hören von Gottes Wort und die Feier der Liturgie.

Schließlich werden einige Bereiche aufgezeigt, in denen Ordens- obere gegenüber den Mitbrüdern oder Mitschwestern besondere pastorale Sorge walten lassen sollen: »in persönlichen Nöten sollen sie ihnen geziemend beistehen; sie sollen sich der Kranken sorgsam annehmen und sie besuchen, die Störenfriede zurechtweisen, die Kleinmütigen trösten, gegenüber allen geduldig sein«.<ref> Codex des kanonischen Rechtes, can. 619.</ref>

Ausgesandt in der Freiheit der Kinder Gottes

15. Die Botschaft wendet sich heute nicht selten an Menschen, die um ihre Autonomie besorgt sind, die eifersüchtig ihre Freiheit verteidigen und befürchten, ihre Unabhängigkeit zu verlieren.

Durch sein Lebenszeugnis weist der geweihte Mensch auf einen anderen Weg hin, wie man sich im eigenen Leben verwirklichen kann, einen Weg, auf dem Gott das Ziel, sein Wort das Licht und sein Wille der Wegweiser ist. Es ist ein Weg, auf dem man heiter voranschreitet, weil man sich von der Hand eines fürsorglichen und umsichtigen Vaters sicher gehalten weiß, ein Weg, auf dem man von Brüdern und Schwestern, die vom selben Geist erfüllt sind, begleitet wird, von dem Geist, der die vom Vater in das Herz eines jeden gelegten Sehnsüchte befriedigen will und der auch weiß, wie er dies bewerkstelligen kann.

Dies ist der erste Sendungsauftrag der geweihten Menschen: sie müssen die Freiheit der Kinder Gottes bezeugen, eine Freiheit, die nach dem Vorbild Christi gestaltet ist, sie müssen Menschen sein, die frei sind, um Gott und den Brüdern zu dienen; durch das eigene Lebenszeugnis müssen sie deutlich machen, dass jener Gott, der das menschliche Geschöpf aus Ton gebildet (vgl. Gen 2,7.22) und im Schoß seiner Mutter gewoben hat (vgl. Ps 139[138],13), auch fähig ist, dessen Leben nach dem Vorbild Christi, des neuen und vollkommen freien Menschen, zu gestalten.

ZWEITER TEIL: AUTORITÄT UND GEHORSAM IM BRÜDERLICHEN LEBEN

»Einer allein ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder« (Mt 23,8)

Das neue Gebot

16. In Verbindung mit dem Gebot »du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzen Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken« wird allen, die Gott suchen, das »ebenso wichtige zweite Gebot« gegeben: »du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Mt 22,37-39). Jesus fügt dem noch hinzu: »Liebt einander, wie ich euch geliebt habe«, denn an der Art eurer Liebe »werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid« (Joh 13,34-35). Der Aufbau brüderlicher Gemeinschaften ist eine der grundlegenden Aufgaben im geweihten Leben. Ihr müssen sich die Mitglieder der Gemeinschaft stellen, indem sie sich von der Liebe antreiben lassen, die der Herr in ihre Herzen gegossen hat. Das brüderliche Leben in Gemeinschaft ist tatsächlich ein konstitutives Element des Ordenslebens und ein beredtes Zeichen dafür, dass das Reich Gottes in der Gegenwart humanisierend wirkt.

So sehr es zutrifft, dass eine Gemeinschaft in der es keine brüderliche Liebe gibt, bedeutungslos bleibt, so trifft es auch zu, dass ein rechtes Verständnis von Gehorsam und Autorität eine wirksame Hilfe bieten kann, im Alltag das Gebot der Liebe zu leben, besonders wenn es darum geht, Schwierigkeiten zu begegnen, die das Verhältnis von Person und Gemeinschaft betreffen.

Autorität im Dienst der Gemeinschaft, Gemeinschaft im Dienst am Reich

17. »Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes« (Röm 8,14): Wir sind also in dem Maße Schwestern und Brüder, in dem Gott Vater derjenige ist, der durch seinen Geist die brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft leitet und sie seinem Sohn ähnlich macht.

In dieser Gesamtkonzeption findet auch der Dienst der Autorität seinen Platz. Obere und Oberinnen sind angehalten, gemeinsam mit den ihnen anvertrauten Menschen eine geschwisterliche Gemeinschaft in Christus aufzubauen, die Gott sucht und über alles liebt, damit sein Heilsplan verwirklicht werde.<ref> Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, cann. 618-619.</ref> Die Autorität steht also im Dienst der Gemeinschaft, wie Jesus, der die Füße seiner Apostel gewaschen hat, damit die Gemeinschaft ihrerseits im Dienst am Reich stehe (vgl. Joh 13,1-17). Inmitten der Brüder Autorität auszuüben, bedeutet, ihnen nach dem Beispiel dessen zu dienen, der »sein Leben hingegeben hat als Lösegeld für viele« (Mk 10,45), damit auch sie ihr Leben hingeben.

Nur wenn der Obere selbst Christus gegenüber im Gehorsam lebt und die Regel treu beobachtet, können die Mitglieder der Gemeinschaft verstehen, dass ihr Gehorsam dem Obern gegenüber der Freiheit der Kinder Gottes alles andere als widerspricht, ja diese vielmehr Christus, der dem Vater gehorsam war, ähnlicher werden und in dieser Ähnlichkeit reifen lässt.<ref> Vgl. Perfectae caritatis, 14.</ref>

Gelehrig gegenüber dem Geist, der zur Einheit führt

18. Es ist ein und derselbe Anruf Gottes, der die Mitglieder einer Gemeinschaft oder eines Instituts zusammengeführt hat (vgl. Kol 3,15); der gemeinsame Wille, Gott zu suchen, führt sie weiter. »Weiterhin ist das Gemeinschaftsleben für Kirche und Gesellschaft Zeichen für die besondere Verbundenheit, die aus derselben Berufung und aus dem gemeinsamen Willen, dieser Berufung zu gehorchen, erwächst, ohne Rücksicht auf Unterschiede in Bezug auf Rasse und Herkunft, Sprache und Kultur. Als Heilmittel gegen den Geist, der Zwietracht sät und Trennung hervorruft, leuchten Autorität und Gehorsam als ein Zeichen jener einzigartigen Vaterschaft auf, die von Gott stammt. Sie sind Zeichen jener Brüderlichkeit, die aus dem Geist hervorgeht, sowie der inneren Freiheit dessen, der trotz der menschlichen Schwächen all derer, die Ihn vertreten, auf Gott vertraut«.<ref> Vita consecrata, 92.</ref>

Der Geist schafft in jedem eine Haltung der Verfügbarkeit für das Reich, wobei die Verschiedenheit von Gaben und Aufgaben erhalten bleibt (vgl. 1 Kor 12,11). Der Gehorsam gegenüber seinem Wirken eint die Gemeinschaft im Zeugnis für seine Gegenwart, macht das Streben aller freudig (vgl. Ps 37[36],23) und wird zum Fundament des brüderlichen Lebens, in dem alle gehorchen, wenngleich in unterschiedlichen Aufgaben. Die Suche nach dem Willen Gottes und die Bereitschaft, ihn zu erfüllen, ist das geistliche Bindemittel, das die Gruppe vor jener Zersplitterung bewahrt, die durch die Vielfalt persönlicher Eigentümlichkeiten entstehen könnte, wenn ihnen das einigende Prinzip fehlt.

Für eine Spiritualität der ,,communio’’ und eine Heiligkeit in Gemeinschaft

19. Eine vertiefte anthropologische Reflexion hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung hervortreten lassen, die Beziehungen für den Menschen haben. Diese Erkenntnis findet weit reichende Bestätigungen im Menschenbild der Heiligen Schrift. Sie hat zweifellos auch die Art und Weise beeinflusst, wie Beziehung innerhalb der Ordensgemeinschaft verstanden wird, indem sie auf den Wert der Öffnung auf das Von-sich-Verschiedene, auf die Fruchtbarkeit der Beziehung zum Andersartigen und auf die sich daraus für alle ergebende Bereicherung aufmerksam machte.

Eine solche beziehungsorientierte Anthropologie hat, wie bereits bemerkt, wenigstens indirekt auch die Spiritualität der ,,communio’’ beeinflusst und zum Neuverständnis des Begriffs der Sendung beigetragen, die als gemeinsamer Einsatz aller Glieder des Gottesvolkes im Geist der Zusammenarbeit und Mitverantwortung angesehen wird. Zu Beginn des Dritten Jahrtausends stellt sich die Spiritualität der communio als das geistliche Klima der Kirche dar, und somit als aktiv zu übernehmende und beispielhaft geltende Aufgabe des Ordenslebens auf allen Ebenen. Sie ist der zukunftsweisende Weg für das Glaubensleben und das christliche Zeugnis.

Sie findet ihren unverzichtbaren Bezugspunkt im eucharistischen Geheimnis, dessen Zentralität immer deutlicher erkannt wird, gerade weil sich die Eucharistie als »grundlegend für das Sein und Handeln der Kirche« erweist und so »Kirche wurzelhaft als Geheimnis der Communio«<ref> Sacramentum caritatis, 15.</ref> vorstellt.

Heiligkeit und Sendung sind ohne die Gemeinschaft nicht realisierbar, denn der auferstandene Herr wird durch sie und in ihr gegenwärtig,<ref> Vgl. Vita consecrata, 42.</ref> indem er die Gemeinschaft und die in ihr auftretenden Beziehungen heiligt. Hat Jesus etwa nicht versprochen, dort zugegen zu sein, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind (vgl. Mt 18,20)? Der Bruder und die Schwester werden so zum Sakrament Christi und der Begegnung mit Gott, sie werden zu einer konkreten Möglichkeit, das Gebot der Nächstenliebe zu leben. Der Weg der Heiligkeit wird so zum Weg, den die ganze Gemeinschaft zusammen beschreitet; nicht nur als Weg des Einzelnen, sondern immer mehr als Erfahrung von Gemeinschaft: in der gegenseitigen Annahme; in der Mitteilung der Gaben, besonders der Gabe der Liebe, der Vergebung und der brüderlichen Zurechtweisung; in der gemeinsamen Suche nach dem Willen jenes Gottes, der reich an Gnade und Erbarmen ist; in der Bereitschaft eines jeden, den Weg des anderen mit zu tragen.

Im heutigen kulturellen Klima stellt die Heiligkeit einer Gemeinschaft ein überzeugendes Zeugnis dar, wohl noch mehr als das Zeugnis des Einzelnen: Sie zeigt den bleibenden Wert der Einheit, jenes Geschenks, das der Herr uns vermacht hat. Dies wird besonders in internationalen und interkulturellen Gemeinschaften deutlich, die hohe Anforderungen hinsichtlich gegenseitiger Annahme und Dialog stellen.

Die Autorität soll das Wachstum des brüderlichen Lebens fördern

20. Das Wachsen der Brüderlichkeit ist das Ergebnis einer ,,geordneten’’ Liebe. Deshalb ist es »unabdingbar, dass das Eigenrecht möglichst präzise die verschiedenen Kompetenzen der Gemeinschaften, der Räte, der Amtsträger und des Oberen umschreibt. Unklarheiten in diesem Bereich geben oft Anlass zu Verwirrung und Konflikten. Auch bei den ,,Gemeinschaftsprojekten’’, die eine Beteiligung am Gemeinschaftsleben und an seinen unterschiedlichen Aufgaben begünstigen können, sollte man sorgsam darauf bedacht sein, die Aufgaben und Kompetenzen der Autorität in Übereinstimmung mit den Konstitutionen klar festzulegen«.<ref> Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 51.</ref>

In diesem Zusammenhang fördert die Autorität das Wachsen des brüderlichen Lebens durch den Dienst des Zuhörens und des Dialogs, der Schaffung eines günstigen Klimas für Austausch und Mitverantwortung, der Anteilnahme aller an den Anliegen aller, des ausgeglichenen Einsatzes für den Nächsten und die Gemeinschaft, der Entscheidungshilfe und der Förderung des brüderlichen Gehorsams.

a) Der Dienst des Zuhörens

Die Ausübung von Autorität setzt beim Oberen ein bereitwilliges Zuhören gegenüber demjenigen voraus, den der Herr ihm anvertraut hat.<ref> Vgl. Perfectae caritatis, 14.</ref> Der hl. Benedikt besteht darauf, dass »der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen« soll; »dass alle zur Beratung zu rufen seien, ... weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist«.<ref> Hl. Benedikt, Regel 3,1.3.</ref>

Das Hören ist einer der wichtigsten Dienste des Obern, zu dem er immer bereit sein sollte, besonders jenen gegenüber, die sich isoliert fühlen und Aufmerksamkeit brauchen. Zuhören bedeutet nämlich, den anderen bedingungslos anzunehmen, ihm im eigenen Herzen Raum zu geben. Deshalb vermittelt das Zuhören Wohlwollen und Verständnis, es drückt gegenüber dem anderen Hochachtung aus und zeigt, dass seine Anwesenheit und seine Meinung Beachtung finden.

Wer vorsteht, soll bedenken, dass, wer den Bruder oder die Schwester nicht anzuhören versteht, das Gleiche auch mit Gott versäumt; dass aufmerksames Zuhören erlaubt, die der Gemeinschaft gegebenen Energien und Gaben des Geistes besser zu koordinieren. Man soll in seinen Entscheidungen auch die Grenzen und Schwierigkeiten bestimmter Mitglieder berücksichtigen. Die für die Anhörung aufgewendete Zeit ist nie verlorene Zeit. Zuhören kann oft Krisen und schwierigen Momenten vorbeugen, die Einzelnen oder Gemeinschaften drohen.

b) Schaffung eines Klimas zugunsten von Dialog, Austausch und Mitverantwortung

Die Autorität muss also dafür Sorge tragen, dass ein Vertrauensklima geschaffen wird, indem sie die Fähigkeiten und Empfindsamkeiten der Einzelnen immer mehr anerkennt und fördert. Darüber hinaus wird sie in Wort und Tat die Überzeugung vermitteln, dass Brüderlichkeit der Teilnahme bedarf und darum auch der Information.

Neben dem Zuhören wird sie einen aufrichtigen, freien Dialog schätzen, um mit anderen Gefühle, Erwartungen und Projekte auszutauschen: In diesem Klima kann jeder seine Identität anerkannt finden und seine Beziehungsfähigkeit verbessern. Die Autorität wird sich nicht scheuen, jene Probleme zu sehen und sich ihnen zu stellen, die leicht aus einem gemeinsamen Suchen entstehen können, aus gemeinsamem Beschließen, aus gemeinsamer Arbeit, aus der gemeinsamen Beschreitung des besseren Weges für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Sie wird im Gegenteil den Ursachen eventueller Missstände und Missverständnisse auf den Grund gehen und Maßnahmen vorschlagen, die möglichst von allen mit getragen werden. Sie wird sich ferner bemühen, jede Form von Unreife bei den Anbefohlenen zu überwinden und diese von jedem Versuch abbringen, einer Verantwortung oder belastenden Aufgabe auszuweichen, sich in die eigene Welt und Eigeninteressen zu verschließen oder als Einzelgänger zu arbeiten.

c) Die Bitte um den Beitrag aller zu den gemeinsamen Anliegen

Wer vorsteht, trägt zwar die Verantwortung für die Letztentscheidung,<ref> Vgl. Vita consecrata, 43; Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 50c; Neubeginn in Christus, 14.</ref> doch darf er nicht allein zu dieser Entscheidung gelangen, sondern er muss den freien Beitrag aller Mitbrüder oder Mitschwestern auf bestmögliche Art und Weise berücksichtigen. Eine Gemeinschaft ist das, was ihre Mitglieder aus ihr machen: es ist also von fundamentaler Bedeutung, dass alle zum Beitragen angeregt und motiviert werden, damit jeder sich in die Pflicht genommen fühlt, den eigenen Anteil an Liebe, Kompetenz und Kreativität beizusteuern. Menschliche Begabungen müssen gestärkt werden und in das gemeinsame Projekt einfließen, indem man hierzu motiviert und ihnen Respekt zollt.

Es reicht nicht aus, die materiellen Güter gemeinsam zu haben, denn erheblich wichtiger ist die Teilhabe aller an den persönlichen Gütern und Fähigkeiten, den persönlichen Vorzügen und Talenten, den Intuitionen und Inspirationen der Mitglieder, und noch grundlegender sind Förderung und Austausch der geistlichen Güter, des Hinhörens auf das Wort Gottes und des Glaubens, wobei »das Band der Brüderlichkeit um so stärker ist, je zentraler und vitaler das ist, was man miteinander teilt«.<ref> Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 32.</ref>

Nicht jeder und jede wird wohl sofort zu dieser Form der Teilhabe bereit sein: ohne auf das Projekt zu verzichten, wird sich die Autorität bei etwaigen Widerständen bemühen, in Klugheit die Einladung, eine dynamische und unternehmungsfreudige Gemeinschaft aufzubauen, mit der Kunst verbinden, sich im Vertrauen auf Gott als den einzigen Herrn, der die Herzen der Menschen erreichen und wandeln kann, in Geduld zu üben und keinen unmittelbaren Erfolg aufgrund der eigenen Bemühungen zu erwarten.

d) Im Dienst am Einzelnen und an der Gemeinschaft

Bei der Übertragung einzelner Aufgaben wird die Autorität der Persönlichkeit jedes Mitbruders und jeder Mitschwester, ihren Schwierigkeiten und Veranlagungen, Rechnung tragen, damit unter Achtung der Freiheit aller jeder die Möglichkeit hat, seine Fähigkeiten einzubringen; gleichzeitig wird sie notwendigerweise das Wohl der Gemeinschaft im Auge haben und den Dienst an den ihr eventuell anvertrauten Werken berücksichtigen.

Eine solche Verbindung von Zielsetzungen wird nicht immer leicht umsetzbar sein. Es wird dann unverzichtbar, dass der Vorgesetzte auf ausgewogene Weise vorgeht. Dies zeigt sich sowohl in der Fähigkeit, in jedem Einzelnen das Positive aufzugreifen und die verfügbaren Kräfte bestmöglich einzusetzen, als auch in jener Reinheit der Absicht, die ihn innerlich frei macht, sodass er nicht allzu sehr darum besorgt ist, zu gefallen und zufrieden zu stellen, und den wahren, eigentlichen Sinn der Sendung geweihter Menschen klar aufzeigt, die sich nicht auf die Anerkennung der Veranlagungen der Einzelnen beschränken kann.

Es wird auch erforderlich sein, dass die geweihte Person die übertragene Aufgabe im Geist des Glaubens und aus der Hand des Vaters annimmt, selbst dann, wenn diese nicht ihren Wünschen und Erwartungen oder ihrem Verständnis vom Willen Gottes entspricht. Obwohl die einzelne geweihte Person ihre Schwierigkeiten mitteilen darf, indem sie diese in Offenheit als einen Beitrag zur Wahrheit äußert, bedeutet Gehorsam in solchen Fällen, sich der letzten Entscheidung der Autorität zu fügen in der Überzeugung, dass ein solcher Gehorsam einen wertvollen, wenngleich hart erkämpften Beitrag zum Aufbau des Reiches darstellt.

e) Die Entscheidungsfindung in Gemeinschaft

»In der vom Geist beseelten Brüderlichkeit führt jeder mit dem anderen einen wertvollen Dialog, um den Willen des Vaters zu erkennen, und alle anerkennen an dem, der die Leitung innehat, den Ausdruck der Vaterschaft Gottes und die Ausübung der von Gott im Dienst der Unterscheidung und der Gemeinschaft empfangenen Autorität«.<ref> Vita consecrata, 92.</ref>

Wenn das Eigenrecht des Instituts dies vorsieht oder die Wichtigkeit der zu treffenden Entscheidung es erfordert, ist zuweilen die Suche nach einer angemessenen Antwort der gemeinschaftlichen Unterscheidung anvertraut, wobei es dann auf das zu hören gilt, »was der Geist der Gemeinschaft sagt« (Offb 2,7).

Wenn auch die Unterscheidung im eigentlichen Sinne auf die wichtigsten Entscheidungen begrenzt ist, so sollte doch der Geist der Unterscheidung jeden Entscheidungsprozess, der die Gemeinschaft einschließt, auszeichnen. Vor keiner Entscheidung darf daher jemals eine Zeit des Gebets und der persönlichen Besinnung fehlen, verbunden mit einer Reihe von wichtigen Voraussetzungen, damit gemeinsam gefunden werden kann, was recht und Gott gefällig ist. Einige dieser vorauszusetzenden Haltungen seien hier genannt:

– die Entschlossenheit, einzig und allein den Willen Gottes zu suchen, indem man sich vom Handeln Gottes, wie es in der Heiligen Schrift und in der geschichtlichen Entwicklung des Charismas des Instituts begegnet, inspirieren lässt. Dabei sollte man sich dessen bewusst sein, dass die Logik des Evangeliums im Vergleich zur menschlichen Logik, die nach Erfolg, Effizienz und Anerkennung strebt, oft ,,auf den Kopf gestellt ist’’;

– die Bereitschaft, anzuerkennen, dass jeder Mitbruder und jede Mitschwester fähig ist, die Wahrheit zumindest teilweise zu erfassen und dass sie somit mit ihrer Meinung dazu beisteuern können, dass Gottes Wille gemeinsam gefunden wird. Die Bereitschaft des Oberen sollte soweit gehen, dass er fähig ist, die Überlegenheit der Gedanken anderer anzuerkennen;

– die Aufmerksamkeit gegenüber den Zeichen der Zeit, den Erwartungen der Menschen, den Bedürfnissen der Armen, den Anforderungen der Evangelisierung, den Prioritäten der Gesamtkirche und Teilkirche, den Richtlinien der Kapitel und der höheren Oberen;

– die Freiheit von Vorurteilen, von übertriebenen Anhänglichkeiten an die eigenen Vorstellungen, von starren oder verzerrten Wahrnehmungsmustern, von Parteibildung, welche die Unterschiede der Ansichten zu sehr unterstreicht;

– der Mut, Argumente für die eigenen Gedanken und Positionen zu liefern, aber auch der Mut, sich neuen Betrachtungsweisen zu öffnen und den eigenen Standpunkt zu ändern;

– der ernste Vorsatz, in jedem Fall die Einheit zu wahren, wie immer auch die definitive Entscheidung ausfallen mag.

Die Unterscheidung in Gemeinschaft ersetzt die Autorität, welcher die letzte Entscheidung zusteht, weder der Natur, noch der Funktion nach; dennoch kann die Autorität nicht übersehen, dass die Gemeinschaft der bevorzugte Ort ist, wo der Wille Gottes zu erkennen und anzunehmen ist. Auf jeden Fall ist die Entscheidungsfindung einer der bedeutendsten Momente des geweihten Lebens, wo sowohl die Zentralität Gottes als des letzten Ziels der Suche aller besonders klar sichtbar wird, als auch die Verantwortung und der Beitrag eines jeden auf dem Weg aller zur Wahrheit.

f) Unterscheidung, Autorität und Gehorsam

Die Autorität wird sich beim folgenreichen Prozess der Unterscheidung, den sie in seinen einzelnen Phasen zu gewährleisten und in den kritischen Momenten zu stützen hat, in Geduld üben. Ebenso wird sie mit Bestimmtheit die Anwendung der Beschlüsse einfordern. Sie wird sich nicht der eigenen Verantwortung entziehen, sei es, um ein ruhiges Leben zu führen, sei es weil sie befürchtet, jemandes Empfindungen zu verletzen. Sie wird nicht nachlässig sein, wenn es gilt, klare und zuweilen unbequeme Entscheidungen zu fällen.<ref> Vgl. Vita consecrata, 43.</ref> Die wahre Liebe zur Gemeinschaft ist es gerade, welche die Autorität in die Lage versetzt, Festigkeit mit Geduld und Aufmerksamkeit gegenüber jedem mit Entschlusskraft zu verbinden. Sie widersteht der Versuchung, Augen und Ohren zu verschließen.

Schließlich ist noch zu bemerken, dass sich eine Gemeinschaft nicht in einem Prozess ständiger Unterscheidung befinden kann. Nach der Zeit der Entscheidungsfindung kommt die Zeit des Gehorsams, das heißt der Ausführung des Beschlossenen: beide Zeiten müssen im Geist des Gehorsams gelebt werden.

g) Der brüderliche Gehorsam

Der hl. Benedikt schreibt am Ende seiner Regel: »Die Tugend des Gehorsams soll man nicht nur dem Abt gegenüber erweisen. Die Brüder müssen ebenso einander gehorchen; sie wissen doch, dass sie auf diesem Weg des Gehorsams zu Gott gelangen«.<ref> Hl. Benedikt, Regel 71,1-2.</ref> »Das bedeutet: Sie sollen sich in gegenseitiger Achtung zuvorkommen; ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher Geduld ertragen; im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern; keiner achte auf das eigene Wohl, sondern mehr auf das des anderen«.<ref> Hl. Benedikt, Regel 72,4-7.</ref> Der hl. Basilius fragt sich: »In welcher Weise soll man sich gegenseitig gehorchen?«, und antwortet: »wie Sklaven ihren Besitzern, gemäß der Anweisung des Herrn: Wer bei euch groß sein will, der soll der letzte von allen und euer Diener sein (vgl. Mk 10,43-44); Dann fügt er diese noch beeindruckenderen Worte hinzu: ,,auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen’’ (Mk 10,45); und mit den Worten des Apostels: ,,dient einander in Liebe’’ (Gal 5,13)«.<ref> Hl. Basilius, Die kürzeren Mönchsregeln (regulae brevius tractatae), 115: PG 31,1161.</ref>

Wahre Brüderlichkeit gründet auf der Anerkennung der Würde des Bruders oder der Schwester und verwirklicht sich in der Aufmerksamkeit für den andern und seine Bedürfnisse, in der Fähigkeit, sich über seine Gaben zu freuen, die eigene Zeit für ihn zur Verfügung zu stellen, um ihn anzuhören oder von ihm zu lernen. Doch verlangt dies alles, selbst innerlich frei zu sein. Wer überzeugt ist, seine Gedanken und Vorschläge seien immer die besseren; wer meint, ohne jede Mittler- instanz allein entscheiden zu können, was jeweils der Wille Gottes ist; wer meint, immer im Recht zu sein und stets überzeugt ist, dass die anderen sich ändern müssen; wer immer nur an die eigenen Anliegen denkt und kein Gespür hat für die Bedürfnisse der anderen; wer glaubt, der Gehorsam gehöre anderen Zeiten an und sei in einer entwickelten modernen Welt nicht mehr zumutbar, der ist sicherlich nicht frei.

Frei ist dagegen, wer stets aufmerksam darauf bedacht ist, in jeder Lebenssituation — vor allem in jedem Nächsten — eine Mittlerinstanz des göttlichen Willens zu erkennen, wie geheimnisvoll dieser auch immer sein mag — und danach lebt. »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Gal 5,1). Er hat uns befreit, damit wir auf den zahllosen Wegen unserer Existenz jeden Tag Gott begegnen können.

»Wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein« (Mt 20,27)

21. Auch wenn man es heutzutage als eine besonders schwere Last empfinden kann, die der Autorität typischen Verantwortungen zu übernehmen, und es Demut abverlangt, sich zum Diener und zur Dienerin anderer zu machen, so ist es dennoch immer gut, auch an die ernsten Worte Jesu an jene zu erinnern, die ihre Autorität mit weltlichem Prestige zu umgeben versucht sind: »und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mt 20,27-28).

Wer im eigenen Amt ein Mittel dazu sieht, gut dazustehen oder sich zu bestätigen, um sich dienen zu lassen oder andere zu beherrschen, der stellt sich ganz offensichtlich außerhalb des Modells der Autorität, wie sie im Evangelium vorgestellt wird. Hier sind die Worte beherzigenswert, die der hl. Bernhard an einen seiner Schüler richtete, der Nachfolger des hl. Petrus wurde: »Bedenke, ob du Fortschritte auf dem Weg der Tugend, der Weisheit, der Einsicht und der Güte gemacht hast... Bist du anmaßender oder demütiger geworden? Wohlwollender oder überheblicher? Barmherziger oder unbarmherziger? ... Was hast du in dir entfaltet: die Gottesfurcht oder eine gefährliche Überheblichkeit?«.<ref> Hl. Bernhard, De consideratione II, XI, 20: PL 182,754D.</ref>

Der Gehorsam ist auch unter den besten Bedingungen nicht leicht. Doch, wenn die geweihte Person sieht, dass derjenige, der die Autorität ausübt, sich demütig und eifrig in den Dienst an Bruder und Schwester und an der Sendung stellt: wenn er sich bei der Ausübung seiner Autorität, trotz aller menschlicher Unzulänglichkeiten, darum bemüht, in seinem Tun die inneren Haltungen und Empfindungen und die Gesinnung des Guten Hirten nachzuempfinden, dann wird dieser Gehorsam leichter sein.

In ihrem Testament schrieb die hl. Klara von Assisi: »Ich bitte diejenige, die unter den Schwestern das Amt erhalten wird, sich zu bemühen, den anderen eher durch ihre Tugend und ihre heiligen Sitten als durch die Amtsgewalt vorzustehen, damit ihre Mitschwestern, von ihrem Beispiel angespornt, ihr nicht so sehr des Amtes wegen, sondern aus Liebe gehorchen«.<ref> Hl. Klara von Assisi, Testament 61-62.</ref>

Das brüderliche Leben als Sendung

22. Unter der Leitung der Autorität sind die geweihten Personen angehalten, sich oft mit dem neuen Gebot auseinander zu setzen, dem Gebot, das alles neu macht: »Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe« (Joh 15,12).

Einander lieben, wie der Herr geliebt hat, bedeutet, nicht nur das persönliche Verdienst der Brüder und Schwestern zu sehen; es bedeutet, nicht den eigenen Wünschen, sondern Gott zu gehorchen, der durch die Umstände, in denen die Brüder und Schwestern sich befinden, und durch ihre Bedürfnisse zu uns spricht. Zeit, die für ein qualitativ verbessertes brüderliches Leben verwendet wird, ist keine vergeudete Zeit, weil »die ganze Fruchtbarkeit des Ordenslebens von der Qualität des brüderlichen Lebens abhängt«,<ref> Johannes Paul II., Schreiben an die Vollversammlung der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens (20. November 1992), in L'Osservatore Romano, 21. November 1992, S.3; vgl. Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 54; 71.</ref> wie Papst Johannes Paul II. seligen Angedenkens wiederholt betont hat.

Das Bestreben, brüderliche Gemeinschaften zu schaffen, ist nicht nur eine Vorbereitung für die Sendung, sondern ihr integraler Bestandteil, weil »die brüderliche Gemeinschaft als solche bereits ein Apostolat ist«.<ref> Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 54.</ref> Als Gemeinschaft in der Sendung zu stehen, täglich neu in ständiger Suche nach dem Willen Gottes Brüderlichkeit zu schaffen, das bedeutet zu bekennen, dass es in der Nachfolge Christi möglich ist, eine neue, humane Welt menschlichen Zusammenlebens hervorzubringen.

DRITTER TEIL: AUSGESANDT

»Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20,21)

Nach dem Beispiel unseres Herrn mit seinem ganzen Sein in der Sendung aufgehen

23. Jesus, der Herr, gibt uns durch seine eigene Lebensform zu verstehen, dass zwischen Sendung und Gehorsam ein Zusammenhang besteht. In den Evangelien stellt Jesus sich immer als derjenige vor, ,,der vom Vater gesandt wurde, um dessen Willen zu erfüllen’’ (vgl. Joh 5,36-38; 6.38-40; 7,16-18). Er tut stets, was dem Vater gefällt. Man kann sagen, das ganze Leben Jesu ist Sendung vom Vater her. Er ist schlechthin die vom Vater ausgehende Sendung.

So wie das Wort, Christus, seine Sendung damit begann, in einer menschlichen Natur, die sich vollkommen vereinnahmen ließ, Fleisch anzunehmen, so wirken auch wir an Christi Sendung und deren Erfüllung maßgeblich mit, indem wir Ihn aufnehmen, uns zu einem Raum seiner Gegenwart machen und sein Leben in der Geschichte fortführen, damit andere ihm begegnen können.

Wenn man bedenkt, dass Christus in seinem Leben und Wirken das an den Vater gerichtete Amen (vgl. Offb 3,14) und das vollkommene Ja (vgl. 2 Kor 1,20) ist, und dass weiterhin ,,Ja sagen’’ ganz einfach gehorchen bedeutet, dann kann man sich keinerlei Sendungsauftrag vorstellen, von dem der Gehorsam wegzudenken wäre. Die eigene Sendung zu leben heißt immer, ausgesandt worden zu sein; es ergibt sich also zugleich ein Bezug zu dem, der aussendet, und zum Inhalt der Sendung, zur Botschaft. Darum bleibt, wenn der Bezug zum Gehorsam fehlt, der Begriff der Sendung unverständlich und läuft Gefahr, rein ichbezogen interpretiert zu werden. Der Sendungsauftrag kann stets engführend als ,,Beruf’’ betrachtet werden, der mit Blick auf die eigene Verwirklichung, und deshalb mehr oder weniger selbständig, ausgeübt wird.

Ausgesandt, um zu dienen

24. In seinen Geistlichen Exerzitien schreibt der hl. Ignatius von Loyola, dass der Herr alle zu sich ruft, um ihnen zu verkünden: »Wer mit mir kommen will, muss auch mit mir arbeiten, damit er, in Mühsal und Leiden mir ähnlich geworden, mir auch in die Herrlichkeit folgen möge«.<ref> Hl. Ignatius von Loyola, Geistliche Exerzitien 95,4-5.</ref> Damals wie heute sieht man sich bei der Verwirklichung des Sendungsauftrags erheblichen Schwierigkeiten gegenüber gestellt, die nur mit Hilfe der göttlichen Gnade überwunden werden können, im demütigen und lebendigen Bewusstsein, dass man von Ihm gesandt worden ist und gerade deshalb auf seine Hilfe bauen darf.

Allein der Gehorsam schenkt uns die Gewissheit, dem Herrn zu dienen, im eigenen Tun und Leiden ,,Diener und Dienerinnen des Herrn’’ zu sein. Diese Gewissheit bringt Früchte hervor, die da sind: vorbehaltloser Einsatz, unerschütterliche Treue, innerer Frieden, selbstloser Dienst und eine Hingabe, die sich mit dem Einsatz aller Kräfte vollzieht. »Wer gehorcht, hat darüber hinaus die Gewähr, tatsächlich seine Sendung zu erfüllen, in der Nachfolge des Herrn zu stehen und nicht nach seinen eigenen Wünschen oder Erwartungen auszuschauen. So ist es möglich, sich vom Geist des Herrn geleitet und auch inmitten großer Schwierigkeiten von seiner sicheren Hand gehalten zu wissen (vgl. Apg 20,22f)«.<ref> Vita consecrata, 92.</ref>

Man führt seinen Sendungsauftrag aus, wenn man — fern davon nach Selbstbestätigung zu suchen — in erster Linie vom Verlangen geleitet ist, den anbetungswürdigen Willen Gottes zu erfüllen. Dieses Verlangen ist Seele des Gebets (»Dein Reich komme, dein Wille geschehe«) und die Kraft des Apostels. Die Sendung verlangt nach dem Einsatz aller menschlichen Kräfte und Fähigkeiten. Diese tragen zum Heil bei, wenn sie sich am Willen Gottes orientieren, der wie ein Strom die vergänglichen Dinge in den Ozean der ewigen Dinge münden lässt, wo Gott als unbegrenzte Glückseligkeit, alles in allen ist (vgl. 1 Kor 15,28).

Autorität und Sendung

25. Dies alles bedeutet, dass der Autorität in Bezug auf die Sendung, die in Treue zum eigenen Charisma wahrgenommen werden muss, eine wichtige Aufgabe zukommt. Es handelt sich um keine einfache Aufgabe, denn an Schwierigkeiten und Missinterpretationen fehlt es nicht. Es mag sein, dass die Autorität in der Vergangenheit der Gefahr ausgesetzt war, vorwiegend äußere Werke und deren Leitung im Blickfeld zu haben, wobei der Mensch vergessen wurde; heute hingegen besteht die Gefahr eher darin, dass diejenigen, die Autorität besitzen, sich zu sehr scheuen, diese auszuüben, persönliche Empfindungen zu verletzen, oder aber darin, dass Kompetenzen und Verantwortlichkeiten dermaßen unübersichtlich verteilt sind, dass die Ausrichtung auf das gemeinsame Ziel erschwert ist und die Autorität selbst dabei ineffizient wird.

Wer Autorität ausübt, trägt jedoch nicht nur dafür Verantwortung, der Gemeinschaft Anregungen zu geben, sondern er koordiniert auch im Blick auf den Sendungsauftrag die verschiedenen Kompetenzen, wobei er gemäß den internen Normen des Instituts vorgeht und die Rolle eines jeden berücksichtigt. Wenn die Autorität auch nicht alles tun kann (und nicht tun darf), so trägt sie dennoch die letzte Verantwortung für alles.<ref> Vgl. Vita consecrata, 43.</ref>

Die heutige Zeit stellt diejenigen, die Autorität ausüben, vor vielfältige Herausforderungen, denn sie müssen es verstehen, vorhandene Kräfte gemäß dem Sendungsauftrag zu koordinieren. Auch diesbezüglich seien hier einige für den Dienst der Autorität wichtige Aufgaben angeführt:

a) Die Autorität ermutigt dazu, Verantwortung zu übernehmen und respektiert die einmal übernommene Verantwortung

Mancher fürchtet sich davor, Verantwortung zu tragen. Wesentliche Aufgabe der Oberen ist es deshalb, ihren Mitarbeitern christliche Stärke zu vermitteln und den Mut, Schwierigkeiten in Angriff zu nehmen und so Ängste und Verzagtheit zu überwinden.

Sie werden sich daher bemühen, nicht nur Teilnahme an Informationen, sondern auch an Verantwortung zu gewähren, wobei sie jeden in der ihm zukommenden Autonomie respektieren. Für denjenigen, der Autorität ausübt, bedeutet dies Koordinierungsarbeit, die geduldig versehen werden muss, seitens der geweihten Person setzt es eine aufrichtige Bereitschaft zur Mitarbeit voraus.

Wer Autorität besitzt, muss, wann immer es notwendig ist, ,,da sein’’, um den Mitgliedern der Gemeinschaft den Sinn für das Miteinander zu erschließen, was weder zu infantiler Abhängigkeit führen, noch selbstgenügsame Unabhängigkeit erlauben sollte. Dies alles ist Frucht jener inneren Freiheit, die jeden befähigt, Arbeit zu leisten oder mitzuarbeiten, Stellvertretungen zu übernehmen oder zu erbitten, Schlüsselfigur zu sein oder den eigenen Beitrag lediglich aus der hinteren Reihe zu erbringen.

Wer den Dienst der Autorität leistet, sollte sich davor hüten, selbstherrlich zu glauben, alles hinge von seiner Person ab, während es weniger wichtig — ja unnütz — sei, jeweils die Gemeinschaft in Aktivitäten einzubinden. Es ist nämlich besser, einen Schritt gemeinsam zu tun, als zwei (oder auch mehrere) Schritte allein.

b) Die Autorität lädt ein, Verschiedenheiten im Geist der ,,communio’’ anzunehmen

Die raschen kulturellen Veränderungen rufen nicht nur strukturelle Umwandlungen hervor, die sich auf Aktivität und Sendung auswirken, sondern können auch zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaften führen, wenn aufgrund von unterschiedlichen Grundformen kultureller oder geistlicher Ausbildung die Zeichen der Zeit verschieden ausgelegt werden und deswegen voneinander abweichende, zuweilen unvereinbare Projekte vorgeschlagen werden. Zu solchen Situationen kann es heute häufiger kommen als früher, da die Zahl der Gemeinschaften, deren Mitglieder aus unterschiedlichen Kulturen oder Kulturgemeinschaften stammen, wächst und die Generationsunterschiede sich verschärfen. Wer Autorität ausübt, ist dazu angehalten, diesen heterogenen Gemeinschaften im Geist der communio zu helfen und in einer zersplitterten Welt Zeugnis dafür abzulegen, dass es möglich ist, gemeinsam zu leben und sich zu lieben, auch wenn man voneinander so verschieden ist. Dabei sollte man an den folgenden theoretisch-praktischen Prinzipien festhalten, an sie erinnern und sie umsetzen:

– Wo der Geist des Evangeliums herrscht, arten Konflikte über verschiedene Denkweisen niemals zu zwischenmenschlichen Konflikten aus;

– Eine Vielfalt von Ansichten begünstigt eine Vertiefung der Themen;

– Die Kommunikation ist stets zu fördern, damit der freie Austausch von Ideen die Positionen klärt und jeder einen positiven Beitrag leisten kann, der auch gewürdigt wird;

– Es soll Hilfe geleistet werden, um egozentrische und ethnozentrische Denkweisen zu überwinden — diese führen leicht dazu, dass die Anderen zum Ursprung allen Übels erklärt werden — und dahin zu gelangen, dass man füreinander Verständnis aufbringt;

– Das Ideal ist nicht die konfliktfreie Gemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft, die es mit den Spannungen aufnimmt, die in ihrem Inneren vorhanden sind und in positiver Weise Lösungen findet, bei denen nichts Unverzichtbares aufgegeben wird.

c) Die Autorität hält das Gleichgewicht unter den verschiedenen Bereichen des geweihten Lebens aufrecht

Unter den verschiedenen Bereichen des geweihten Lebens können tatsächlich Spannungen auftreten. Es ist Aufgabe der Vorgesetzten, darüber zu wachen, dass das Leben weiterhin eine unzerrissene Einheit bildet und dass in der Praxis so weit wie möglich ein ausgewogenes Verhältnis besteht zwischen der Zeit, die für das Gebet und der Zeit, die für die Arbeit verwendet wird, weiterhin zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft, zwischen Engagement und Erholung, zwischen Pflege des Gemeinschaftslebens und Hinwendung zu Kirche und Welt, zwischen persönlicher und gemeinschaftlicher Fortbildung.<ref> Vgl. Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 50.</ref>

Am schwierigsten ist es mitunter, ein Gleichgewicht zwischen dem gemeinschaftlichen Bereich und dem Bereich des Sendungsauftrags, zwischen Leben ad intra und Leben ad extra zu erzielen.<ref> Vgl. Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 59.</ref> Da die Dringlichkeit der zu erfüllenden Aufgaben dazu verleiten kann, die Belange der Gemeinschaft zu vernachlässigen, und da man heute immer häufiger als Einzelner zu arbeiten hat, ist es angebracht einige Regeln zu kennen, deren Beachtung unumgänglich ist, um zu gewährleisten, dass einerseits in der Gemeinschaft, die sich dem Apostolat widmet, ein Geist der Brüderlichkeit herrscht und sich andererseits im brüderlichen Miteinander eine Sensibilität für das Apostolat ergibt.

Es ist wichtig, dass diejenigen, die Autorität ausüben, für diese Regeln einstehen und dass sie alle und jeden Einzelnen daran erinnert, dass Mitglieder der Gemeinschaft, auch wenn sie einen Auftrag oder apostolischen Dienst alleine wahrnehmen, immer im Namen des Instituts oder der Gemeinschaft, ja dank der Gemeinschaft handeln. Oft können die Betreffenden nur dadurch für eine bestimmte Aktivität freigestellt werden und diese durchführen, weil jemand aus der Gemeinschaft seine Zeit zur Verfügung gestellt, sie beraten oder motiviert hat; oft ergibt es sich auch, dass, wer in der Gemeinschaft bleibt, denjenigen, der außerhalb beschäftigt ist, bei Arbeiten im Haus ersetzt, für ihn betet oder durch die eigene Treue unterstützt.

So sollte also der Apostel nicht nur zutiefst dankbar sein, sondern auch in allem, was er tut, aufs engste mit der eigenen Gemeinschaft verbunden bleiben; er sollte sich des Apostolats nicht bemächtigen, sondern um jeden Preis bemüht sein, im gleichen Rhythmus wie die Gemeinschaft vorzugehen, wenn notwendig auf Langsamere zu warten, den Beitrag jedes Einzelnen hochzuschätzen, sowie, wann immer möglich, Freuden und Mühen, Gedanken und Ungewissheiten teilen, damit ein jeder das Apostolat des anderen so ansieht, als sei es das eigene, ohne Neid und Eifersucht. Der Apostel soll sich dessen sicher sein, dass er, wie viel er auch von sich in die Gemeinschaft einbringen mag, nie im Vergleich zu dem bestehen kann, was er von der Gemeinschaft empfangen hat und empfängt.

d) Die Oberen haben ein barmherziges Herz

Der hl. Franz von Assisi gab in einem ergreifenden Brief an einen Oberen folgende Anweisungen bezüglich etwaiger Schwächen seiner Mitbrüder: »Und daran will ich erkennen, dass du den Herrn und mich, seinen und deinen Knecht, liebst, wenn du Folgendes tust: dass es keinen Bruder auf der Welt geben mag, den du — und hätte er auch noch so viel gesündigt — nachdem er Dir in die Augen gesehen hat, ohne deine barmherzige Vergebung von dir weist, wenn er um sie bat; und erbäte er die Barmherzigkeit nicht, frage du ihn, ob er Barm- herzigkeit will. Und wenn er daraufhin tausend Mal vor deinen Augen sündigte, liebe ihn deswegen mehr als mich aus folgendem Grund: du willst ihn für den Herrn gewinnen; und übe mit solchen Brüdern immer Barmherzigkeit«.<ref> Hl. Franz von Assisi, Brief an einen Geistlichen, 7-10.</ref>

Wer Autorität ausübt, ist berufen, eine Pädagogik der Vergebung und der Barmherzigkeit zu entwickeln, also Werkzeug der Liebe Gottes zu sein, der annimmt, korrigiert und immer eine neue Möglichkeit für den Bruder oder die Schwester eröffnet, wenn diese sich verfehlt haben oder in Sünde gefallen sind. Vor allem müssen die Oberen bedenken, dass der Mensch ohne Hoffnung auf Vergebung nur mühsam seinen Weg wieder aufnimmt und fast unvermeidlich dazu neigt, dem Bösen noch mehr Böses und jedem Sturz einen weiteren hinzuzufügen. Barmherzigkeit jedoch öffnet Horizonte, die erkennen lassen, dass Gott dazu in der Lage ist, auch aus Lebenssituationen, die von der Sünde gekennzeichnet sind, Gutes hervorzubringen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dives in misericordia (30. November 1980), 6.</ref> So sollen sich also die Vorgesetzten dafür einsetzen, dass die ganze Gemeinschaft diese Art Barmherzigkeit erlernt.

e) Sie haben einen Sinn für Gerechtigkeit

Wenn auch die Aufforderung des hl. Franz von Assisi, dem sündigen Bruder zu vergeben, als eine wertvolle allgemeine Regel zu betrachten ist, so ist doch festzuhalten, dass es unter den Mitgliedern der Gemeinschaften von Gottgeweihten zu Verhaltensweisen kommen kann, die dem Nächsten schweren Schaden zufügen und im Widerspruch zu den Pflichten stehen, die man gegenüber Außenstehenden hat und der Einrichtung, der man angehört. Wenn man also für diejenigen, die sich schuldig gemacht haben, Verständnis aufbringen muss, so bedarf es dennoch auch eines strengen Verantwortungsbewusstseins und einer konsequenten Nächstenliebe gegenüber denjenigen, die möglicherweise durch das Fehlverhalten eines Gottgeweihten Schaden erlitten haben.

Wer immer sich verfehlt, soll wissen, dass er persönlich für die Folgen seines Handelns aufzukommen hat. Verständnis für den Mitbruder aufzubringen, kann nicht heißen, die Gerechtigkeit auszuschließen, besonders wenn es um Menschen geht, die wehrlos sind oder Opfer von Missbrauch wurden. Wenn man zugibt, dass man versagt hat und die Konsequenzen verantwortungsvoll trägt, befindet man sich bereits auf dem Weg der Barmherzigkeit: ebenso macht Israel, das sich vom Herrn entfernt hat, in dem Augenblick den ersten Schritt zur Umkehr, indem es die Folgen seines Fehlverhaltens (das Exil) akzeptiert und so auf tiefere Weise seine Beziehung zu Gott entdeckt.

f) Sie fördern die Zusammenarbeit mit den Laien

Die zunehmende Zusammenarbeit mit Laien in Werken und Tätigkeiten, die unter der Leitung von Gottgeweihten stehen, stellt die Gemeinschaft und die Vorgesetzten vor neue Fragen, die ebenso neue Antworten verlangen. Wenn Laien ermutigt werden, »den Ordensfamilien den wertvollen Beitrag ihres weltlichen Charakters und ihres spezifischen Dienstes« anzubieten, »führt deren Mitwirken nicht selten dazu, dass manche Aspekte des Charismas auf unerwartete und fruchtbare Weise vertieft werden«.<ref> Vita consecrata, 55; vgl. Neubeginn in Christus, 31.</ref>

Um eine wechselseitige Zusammenarbeit unter Ordensleuten und Laien zu erzielen, — so wurde zurecht bemerkt — werden Ordensgemeinschaften gebraucht, »die eine klare charismatische Identität besitzen, eine Identität, welche sie sich angeeignet haben und leben, welche sie daher auch imstande und bereit sind, an andere weiterzugeben und mit anderen zu teilen. Es werden Ordensgemeinschaften gebraucht, die ihre Spiritualität intensiv leben und mit missionarischem Enthusiasmus ihre Sendung zu erfüllen suchen, damit der gleiche Geist und die gleiche treibende Kraft im Dienst der Evangelisierung entfacht und weitergegeben werden können; Ordensgemeinschaften müssen es verstehen, Laien zu motivieren. Sie müssen sie dazu ermutigen, immer entsprechend ihrem weltlichen Charakter und ihrem eigenen Lebensstil neue Formen der Verwirklichung des betreffenden Charismas und der entsprechenden Sendung zu entdecken, um so am Charisma des Instituts teilzuhaben. Auf diese Weise kann die Ordensgemeinschaft zu einem Zentrum werden, von dem geistliche Impulse ausgehen. Dies wird Ausstrahlkraft besitzen, Mut machen und zu einem Ort werden, an dem die verschiedenen Beiträge zur Erbauung des Leibes Christi, der die Kirche ist, ihren jeweiligen Teil beisteuern«.<ref> Das brüderliche Leben in Gemeinschaft, 70.</ref>

Außerdem müssen die jeweiligen Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche der Laien und Ordensleute, sowie jene der Zwischeninstanzen (Verwaltungsräte und ähnliche Instanzen) klar festgelegt sein. In alledem ist derjenige, der der Gemeinschaft von Gottgeweihten vorsteht, in seiner Aufgabe unersetzlich.

Schwierige Gehorsamsakte

26. Einige Gehorsamsakte können sich bei der konkreten Erfüllung der Mission als besonders schwierig erweisen, da es unterschiedliche Perspektiven oder Vorgehensweisen gibt, von denen her das Apostolat bzw. der Dienst wahrgenommen und verstanden werden kann. Wenn der Gehorsam besonders harte Anforderungen stellt, ja regelrecht ,,absurd’’ erscheint, kann es dazu kommen, dass man versucht ist, das Vertrauen zu verlieren und sogar den Austritt zu erwägen. Lohnt es sich, weiter zu machen? Kann ich meine Vorstellungen in einer anderen Umgebung nicht besser verwirklichen? Wozu sich gegenseitig in unnützen Kontroversen aufreiben?

Schon der hl. Benedikt beschäftigte sich mit der Frage eines Gehorsams, der »sehr beschwerlich, oder geradezu unausführbar« ist; der hl. Franz von Assisi seinerseits beschäftigte sich mit dem Fall »eines Untergebenen, der Besseres und Nützlicheres für seine Seele erkannte, als das ihm vom Oberen Befohlene«. Der Vater des Mönchtums schlägt ein freies, offenes, demütiges und vertrauensvolles Gespräch zwischen Mönch und Abt vor; am Ende jedoch, wenn es sich als notwendig erweist, soll der Bruder »aus Liebe und im Vertrauen auf Gottes Hilfe gehorchen«.<ref> Hl. Benedikt, Regel 68,1-5.</ref> Der Heilige von Assisi lädt zu einem ,,karitativen Gehorsam, einem Gehorsam der Liebe’’ ein, in dem der Mitbruder freiwillig seinen Standpunkt aufopfert und die empfangene Weisung befolgt, weil er so »Gott und den Nächsten zufriedenstellt«.<ref> Hl. Franz von Assisi, Ermahnungen III, 5-6.</ref> Er sieht einen ,,vollkommenen Gehorsam’’ da, wo ein Ordensmann, auch wenn er nicht gehorchen kann, weil ihm »etwas gegen seine Seele« befohlen wird, dennoch nicht mit seinem Oberen und der Gemeinschaft bricht und bereit ist, hierfür auch Verfolgungen auf sich zu nehmen. »Wer nämlich« — stellt der hl. Franziskus fest — »lieber Verfolgung auf sich nimmt, als sich von seinen Brüdern zu trennen, bleibt wirklich im vollkommenen Gehorsam, denn er gibt seine Seele für seine Brüder hin«.<ref> Hl. Franz von Assisi, Ermahnungen III, 9.</ref> So werden wir daran erinnert, dass Liebe und communio höchste Werte darstellen, denen auch die Ausübung der Autorität und der Gehorsam untergeordnet sind.

Wenn eine Anhänglichkeit an persönliche Vorstellungen und Überzeugungen vorliegt, die durch Reflexion und Erfahrung mit der Zeit gereift sind, ist dies nur verständlich. Daher ist es auch gut, den Versuch zu unternehmen, diese zu verteidigen und in einem aufrichtigen und konstruktiven Dialog vorzubringen, aber stets mit dem Blick auf das Reich Gottes. Andererseits darf nicht vergessen werden, dass immer Jesus von Nazareth das Vorbild ist, der selbst während der Passion Gott darum bat, der Wille seines Vaters möge geschehen und der vor dem Tod am Kreuz keinen Rückzieher machte (vgl. Hebr 5,7-9).

Wenn von ihnen der Verzicht auf die eigenen Ideen oder Pläne verlangt wird, kann Gottgeweihte ein Gefühl der Verwirrung und der Ablehnung gegenüber dem Vorgesetzten überkommen. Sie können in sich »lautes Schreien und Tränen« (Hebr 5,7) vernehmen und flehen, der Kelch möge an ihnen vorübergehen. Doch ist dies auch der Augenblick, sich dem Vater anzuvertrauen, damit sein Wille geschehe und aktiv mit allem, was man ist, »für das Leben der Welt« (Joh 6,51) an der Sendung Christi mitzuwirken.

Wenn eine geweihte Person in einer so schwierigen Lage ihre Zustimmung gibt, kann es ihr gelingen, den Gehorsam als höchsten Akt der Freiheit zu verstehen, womit dessen tiefster Sinn freigelegt wird, da er Ausdruck der völligen und vertrauensvollen Hingabe der eigenen Person an Christus, den aus freien Stücken dem Vater gehorsamen Sohn, ist; von daher lässt sich auch die Dimension der Sendung als gehorsame Selbsthingabe, die den Segen des Höchsten auf sich zieht, begreifen: »Ich will dir Segen schenken in Fülle ...(und) Segen sollen alle Völker der Erde empfangen, weil du auf meine Stimme gehört hast« (Gen 22,17.18). Wer als Gottgeweihter gehorcht, weiß, dass ihm in diesem Segen all das zurückerstattet wird, worauf er im Opfer seiner Selbstaufgabe verzichtet hat; in jenem Segen liegt auch die vollkommene Verwirklichung seines Menschseins verborgen (vgl. Joh 12,25).

Gehorsam und Gewissenseinspruch

27. Hier stellt sich die Frage: kann es zu Situationen kommen, in denen das persönliche Gewissen es nicht gestattet, die Anweisungen der Autorität zu befolgen? Kann es schließlich vorkommen, dass der Gottgeweihte in Bezug auf Normen und Obere erklären muss: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apg 5,29)? Es handelt sich um den so genannten Gewissenseinspruch, von dem Paul VI.<ref> Vgl. Paul VI., Evangelica testificatio, 28-29.</ref> sprach und der gemäß seiner authentischen Bedeutung verstanden werden muss.

Wenn wirklich das Gewissen der Ort ist, an dem die Stimme Gottes vernommen wird, die uns aufzeigt, wie wir uns verhalten sollen, dann ist es auch wahr, dass man, um diese Stimme zu erkennen und von anderen Stimmen unterscheiden zu können, lernen muss, mit großer Aufmerksamkeit auf sie zu hören. Diese Stimme ist nämlich nicht mit jenen anderen zu verwechseln, die einem Subjektivismus das Wort reden, der die für die Gewissensbildung unverzichtbaren Quellen und verbindlichen Kriterien nicht kennt oder sie vernachlässigt: »aus dem zum Herrn und zur Liebe des Guten bekehrten ,,Herzen’’ gehen die Gewissensurteile hervor, die wahr sind«,<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis Splendor (6. August 1993), 64.</ref> und »Gewissensfreiheit ist niemals Freiheit ,,von’’ der Wahrheit, sondern einzig und allein Freiheit ,,in’’ der Wahrheit«.<ref> Veritatis splendor, 64.</ref>

Bevor sie zu dem Schluss kommen, dass nicht der empfangene Gehorsamsbefehl, sondern das innerlich Wahrgenommene, den Willen Gottes darstellt, müssen die Gottgeweihten daher gut überlegen. Sie müssen auch in allen Fällen daran denken, das Gesetz der Vermittlung in ihre Überlegungen mit einzubeziehen und sich hüten, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, ohne die Sichtweise anderer zu berücksichtigen und einer Überprüfung zu unterziehen. Es steht natürlich außer Frage, dass es letztlich darum geht, den Willen Gottes zu erkennen und diesen zu tun. Ebenso außer Frage sollte aber auch die Tatsache stehen, dass der Gottgeweihte sich durch ein Gelübde verpflichtet hat, diesen heiligen Willen durch Vermittlung von bestimmten Menschen entgegenzunehmen. Zu sagen, nur der Wille Gottes zähle, nicht jedoch die Vermittlung, diese also abzulehnen oder nur nach Belieben zu akzeptieren, beraubt das Gelübde allzu leicht seiner Bedeutung und unterschlägt zugleich eine wesentliche Charakteristik des eigenen Lebens.

»Mit Ausnahme von Befehlen, die ganz offenkundig Gottes Geboten oder den Konstitutionen des Instituts widersprechen, beziehungsweise deren Erfüllung ein schwerwiegendes und sicher zu erwartendes Übel mit sich bringen würde, bei denen keine Pflicht zum Gehorsam besteht, betreffen die Anordnungen der Obern also in der Regel einen Bereich, in welchem die Bewertung, was das Beste ist, je nach Standpunkt variieren kann. Eine Anordnung als unrechtmäßig und als mit dem Gewissen unvereinbar einzustufen, weil sie einem objektiv weniger gut erscheint, hieße, sehr wenig Wirklichkeitssinn an den Tag zu legen, denn nicht wenige Dinge im Leben der Menschen sind undurchsichtig und auf vielfältige Weise auslegbar. Ordensleute sollten nicht leichtfertig annehmen, es bestehe ein Widerspruch zwischen ihrem eigenen Gewissensurteil und dem ihrer Oberen. Diese außergewöhnliche Situation kann aber auch manchmal wirkliches inneres Leid heraufbeschwören, das der Erfahrung Christi, ,,der durch Leiden den Gehorsam lernte’’ (Hebr 5,8) nahekommt«.<ref> Evangelica testificatio, 28.</ref>

Autorität als beschwerliche Aufgabe

28. Wer Autorität ausübt, kann mitunter selbst der Enttäuschung anheimfallen und den Mut verlieren. Aufgrund des Widerstandes Einzelner bzw. ganzer Gemeinschaften, oder aufgrund von scheinbar unlösbaren Problemen kann man versucht sein, die Arbeit aufzugeben und jede Anstrengung, die darauf abzielt, eine Verbesserung der Lage herbeizuführen, als nutzlos zu betrachten. Dann aber gerät man in Gefahr, als Funktionär routinemäßige Verwaltungsarbeit zu leisten und sich mit dem Mittelmaß zufrieden zu geben. Man verspürt Hemmungen, einzugreifen und hat keinen Mut, anderen Ideale aufzuzeigen, die man sich im authentischen geweihten Leben als Ziele zu stecken hat und läuft stets Gefahr, die ursprüngliche Liebe und das Verlangen, sie zu bezeugen, zu verlieren.

Wen die Ausübung der Autorität belastet und wer sich damit schwer tut, denke daran, dass der Herr die Ausübung dieses Amtes als ein ihm dargebrachten Liebeserweis versteht: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« (Joh 21,16); auch wird es heilsam sein, sich auf die Worte des hl. Paulus zu besinnen: »Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet! Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind!« (Röm 12,12-13).

Die stille innere Mühsal, die zur Treue gegenüber der eigenen Aufgabe gehört, und die bisweilen im Einsamsein bestehen kann oder darin, dass einem von denjenigen, denen man seine Hingabe widmet, Unverständnis entgegengebracht wird, wird zum Weg der persönlichen Heiligung und vermittelt denjenigen, deretwegen man leidet, das Heil.

Gehorsam bis zum Ende

29. Wer glaubt, sucht mit seinem ganzen Leben nach Gott. Und so besteht die Aufgabe jedes Tages darin, die Kunst zu erlernen, auf seine Stimme zu hören, damit sein Wille geschehe. Gewiss handelt es sich dabei um eine anspruchsvolle Schule, geradezu ein Ringen zwischen jenem Ich, das dazu neigt, Herr seiner selbst und seiner Geschichte sein zu wollen, und jenem Gott, der ,,der Herr’’ aller Geschichte ist; eine Schule, in der man lernt, so sehr auf Gott und seine Vaterliebe zu vertrauen, dass man sein Vertrauen auch auf die Menschen, seine Kinder und unsere Brüder, setzt. So wächst die Gewissheit, dass der Vater niemanden im Stich lässt, selbst dann nicht, wenn man den Brüdern die Sorge um das eigene Leben anvertrauen muss. Man soll vielmehr in ihnen das Zeichen seiner Gegenwart und den Ausdruck seines Willens erkennen.

Wenn auch noch auf unbewusste Weise, war unser Eintritt ins Leben doch ein Akt des Gehorsams gewesen, indem wir jenem guten Willen Aufnahme schenkten, der unser Dasein unserem Nichtsein vorzog. Wir werden unseren Weg auch mit einem Akt des Gehorsams abschließen, von dem wir gerne wollen, dass wir ihn so bewusst und frei wie möglich gestalten können, der aber vor allem Ausdruck unserer völligen Hingabe an jenen guten Vater sein soll, der uns endgültig zu sich in sein Reich rufen wird, wo unendliches Licht herrscht, der endlose Tag des Herrn, in dem unser Suchen einen Abschluss findet und unsere Augen ihn schauen werden. Dann werden wir auf vollkommene Weise gehorsam und in Fülle verwirklicht sein, weil wir jener Liebe, die uns erschaffen hat, um mit Ihr und in Ihr glücklich zu sein, in Ewigkeit unser Jawort geben werden.

Gebet für einen Oberen

30. »O Jesus, du guter, milder und liebenswerter Hirte! Ein armseliger und elender Hirte erhebt seine Stimme zu dir, ein schwacher, unerfahrener und unnützer Hirte, und doch, wie auch immer, ein Hirt deiner Herde.

Lehre mich, deinen Diener, o Herr, lehre mich, ich flehe dich an, durch deinen Heiligen Geist, was ich tun kann, um meinen Brüdern zu dienen und mich für sie zu verzehren. Lass mich, o Herr, in deiner unaussprechlichen Gnade, lernen, geduldig ihre Schwächen zu ertragen, ihre Leiden in Güte zu teilen und ihnen unauffällig zu helfen. In der Schule deines Geistes lehre mich, Trauernde zu trösten, Schwache zu stärken, Gefallene wieder aufzurichten, mit den Schwachen schwach zu sein, mit denen, die an Ärgernissen leiden, mich zu empören, allen alles zu werden, um alle zu retten. Lege Worte der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Milde in meinen Mund, damit sie im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe, in der Keuschheit und in der Demut, in der Geduld und im Gehorsam, im Eifer des Geistes und im Schwung des Herzens bestärkt werden.

Alle lege ich in deine heiligen Händen und vertraue sie deiner milden Vorsehung an, damit sie dir niemand entreiße, noch der Hand deines Dieners, dem du sie anvertraut hast. Lass sie vielmehr beharrlich ihrem heiligen Vorsatz bis zum Ende treu sein, damit sie mit deiner Hilfe, o Herr, das ewige Leben erlangen, der du lebst und herrschest von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen«.<ref> Aelredo di Rievaulx, Oratio pastoralis 1; 7; 10.</ref>

Gebet zu Maria

31. Heilige Jungfrau Maria, bei der Verkündigung des Engels hast du uns durch deinen gläubigen und Antwort suchenden Gehorsam Christus geschenkt. Mit aufmerksamem Herzen hast du uns in Kana gezeigt, wie man verantwortungsvoll handelt. Du hast nicht passiv darauf gewartet, dass dein Sohn eingreift, sondern bist ihm zuvorgekommen, indem du ihn auf die Not aufmerksam gemacht und mit diskret ausgeübter Autorität die Initiative ergreifend Diener zu Ihm gesandt hast.

Am Fuß des Kreuzes bist du im Gehorsam Mutter der Kirche und aller Glaubenden geworden, indessen im Abendmahlsaal durfte jeder Jünger an Dir erkennen, mit welcher Milde die Autorität der Liebe und des Dienens sich erzeigt.

Hilf uns zu verstehen, dass in der Kirche und im geweihten Leben jede wahre Autorität in der Gelehrigkeit gegenüber dem Willen Gottes ihr Fundament hat, und dass wir alle für andere tatsächlich zur Autorität werden, wenn wir selbst gegenüber Gott im Gehorsam leben.

O milde und gütige Mutter, »die du mit promptem Gehorsam ... den Willen des Vaters erfüllt hast«,<ref> Vita consecrata, 112.</ref> mach uns durch das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes im Leben aufmerksam auf das Wort, treu in der Nachfolge Jesu, des Herrn und Dieners, froh in der brüderlichen Gemeinschaft, großzügig in der Sendung, eifrig im Dienst an den Armen, stets dem Tag zustrebend, an dem der Glaubensgehorsam in ein Fest der Liebe, das kein Ende kennt, münden wird.

Am 5. Mai 2008 hat der Heilige Vater das vorliegende Dokument der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens approbiert und seine Veröffentlichung angeordnet.

Rom, am 11. Mai, dem Pfingstfest des Jahres 2008

Franc Kard. Rodé, C.M.
Präfekt
Gianfranco A. Gardin, OFM Conv.

Sekretär

Anmerkungen

<references />

Weblinks