In cenaculum

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Gründonnerstagsschreiben
In cenaculum

von Papst
Johannes Paul II.
an alle Priester der Kirche
über die Jungfrau Maria im Geheimnis der Erlösung
25. März 1988

(Offizieller lateinischer Text AAS 80 [1988] 1280-1291)

(Quelle: Sekretariat der DBK (Hg.), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 84; auch in: DAS 1988, S. 1036-1044)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ein Priester
Liebe Brüder im Priesteramt !

1. Heute gehen wir alle zum Abendmahlssaal. Wenn wir an so vielen Orten der Erde an den Altar treten, feiern wir inmitten der Gemeinde des Gottesvolkes, der wir dienen, in besonderer Weise das Gedächtnis des letzten Abendmahles. In der Abendliturgie des Gründonnerstags erklingen auf unseren Lippen die Worte Christi vom "Abend vor seinem Leiden" so wie an jedem Tage und doch auch wieder in einer anderen Weise: Unmittelbarer als sonst beziehen sie sich heute auf jenen einzigartigen Abend, den die Kirche gerade heute in Erinnerung ruft. Wie unser Herr - und zugleich an seiner Statt (in persona Christi capitis) - sprechen wir die Worte: "Nehmet und esset alle davon: das ist mein Leib ... Nehmet und trinket alle daraus: das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut." So hatte es uns ja der Herr selbst aufgetragen, als er zu den Aposteln sagte: Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22,19).

Bei diesem Tun muss in unserem Geist und in unserem Herzen das ganze Geheimnis der Menschwerdung lebendig gegenwärtig sein. Christus, der am Gründonnerstag ankündigt, dass sein Leib wird "hingegeben" und sein Blut wird "vergossen" werden, ist der ewige Sohn, der "bei seinem Eintritt in die Welt" zum Vater spricht: "Einen Leib hast du mir geschaffen. . . , um deinen Willen, Gott, zu tun" (Hebr 10,5-7).

Eben jenes Pascha steht nahe bevor, an dem der Sohn Gottes als Erlöser der Welt den Willen des Vaters durch die Hingabe und Aufopferung seines Leibes und Blutes auf Golgota erfüllen wird. Durch dieses Opfer "ist er mit seinem eigenen Blut ... ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen und hat so eine ewige Erlösung gewirkt" (Hebt 9,12). Das ist das Opfer des "neuen und ewigen Bundes". Es ist mit dem Geheimnis der Menschwerdung eng verbunden: Das "Wort", das "Fleisch" geworden ist (vgl. Joh 1,14), opfert seine Menschennatur als Homo assumptus, als Mensch, der in die Einheit der göttlichen Person aufgenommen worden ist. Gerade in diesem Jahr, das von der ganzen Kirche als Marianisches Jahr begangen wird, erinnern wir uns im Zusammenhang mit der Einsetzung der Eucharistie wie auch des Priesteramtes zu Recht an diese Wirklichkeit der Menschwerdung. Der Heilige Geist hat sie gewirkt, indem er auf die Jungfrau Maria herabkam, als diese auf die Ankündigung des Engels antwortete und ihr Fiat sprach (vgl. Lk 1,3 8).

"Wahrer Leib, sei uns gegrüßet, den Maria uns gebar, der am Kreuz für uns gebüßet, das Versöhnungsopfer war!"

Ja, es ist derselbe Leib! Während wir die heilige Eucharistie feiern, wird durch unseren priesterlichen Dienst das Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes gegenwärtig: Als göttlicher Sohn, dem Vater wesensgleich, ist er als Mensch, "von einer Frau geboren", der Sohn der Jungfrau Maria.

2. Während des letzten Abendmahles war die Mutter Christi anscheinend nicht im Saal Sie war jedoch zugegen auf Kalvaria, zu Füßen des Kreuzes, "wo sie" - wie das II. Vatikanische Konzil lehrt - "nicht ohne göttliche Absicht stand (vgl. Joh 19,25), heftig mit ihrem Eingeborenen litt und sich mit seinem Opfer in mütterlicher Gesinnung verband, indem sie der Darbringung der Opfergabe, die sie geboren hatte, liebevoll zustimmte". So weit reichte jenes Fiat, das Maria bei der Verkündigung gesprochen hatte.

Wenn wir im Namen und Auftrag Christi das Sakrament feiern, das sich auf dasselbe und einzige Opfer bezieht, bei dem Christus der eine Priester und die eine Opfergabe ist und bleibt, dürfen wir dabei nicht dieses Mitleiden der Mutter vergessen, bei dem sich die Worte erfüllen, die Simeon im Tempel von Jerusalem gesprochen hat: "Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen" (Lk 2,35). Diese Worte werden vierzig Tage nach Jesu Geburt direkt an Maria gerichtet. Auf Golgota, unter dem Kreuz, sind diese Worte in ihrer ganzen Tiefe in Erfüllung gegangen. Als sich ihr Sohn am Kreuz im vollen Sinne als ein "Zeichen" erwies, "dem widersprochen wird", erreichte dieser Opferakt, dieser Todeskampf des Sohnes zugleich auch das Mutterherz Marias.

So hat auch das Herz Marias gleichsam einen Todeskampf zu bestehen; sie leidet zusammen mit ihm, "indem sie der Darbringung der Opfergabe, die sie geboren hatte, liebevoll zustimmte" (Lumen gentium, 58). Wir treffen hier auf den Höhepunkt der Gegenwart Marlas im Geheimnis Christi und der Kirche auf Erden. Dieser gehört zum Weg der "Pilgerschaft des Glaubens", auf die wir uns im Marianischen Jahr in besonderer Weise beziehen. Liebe Brüder, wer hätte mehr einen tiefen und unerschütterlichen Glauben nötig als gerade wir, die wir kraft apostolischer Nachfolge, wie sie im Abendmahlssaal begonnen hat, das Sakrament des Opfers Christi feiern? Darum muss sich unsere geistliche Verbindung mit der Muttergottes beständig vertiefen; sie geht ja auf der Pilgerschaft des Glaubens dem ganzen Volk Gottes voran.

Gerade wenn wir jeden Tag in der Eucharistiefeler auf Golgota stehen, muss an unserer Seite diejenige sein, die ihre Einheit mit dem Sohn ebendort, auf Golgota, durch einen heroischen Glauben zur höchsten Vollendung gebracht hat.

3. Hat uns übrigens nicht Christus selbst einen besonderen Hinweis darauf hinterlassen? Während seines Todeskampfes am Kreuz hat er doch Worte gesprochen, die für uns die Bedeutung eines Testamentes haben: "Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der jünger zu sich" (Joh 19,26 f.). Dieser jünger, der Apostel Johannes, war mit Christus zusammen beim letzten Abendmahl. Er war einer jener "Zwölf", an die der Meister mit den Einsetzungsworten auch die Aufforderung richtete: Tut dies zu meinem Gedächtnis (Lk 22,19). So empfing der jünger die Vollmacht, das eucharistische Opfer zu feiern, das am Tag vor dem Leiden im Abendmahlssaal als heiligstes Sakrament der Kirche eingesetzt wurde.

Im Augenblick seines Todes vertraut Jesus dann diesem jünger seine eigene Mutter an. Und Johannes "nahm sie zu sich": Er nahm sie zu sich als erste Zeugin des Geheimnisses der Menschwerdung. Als Evangelist gab darum gerade er der Wahrheit vom "Wort", das "Fleisch" geworden ist und "unter uns gewohnt hat (Job 1,14), der Wahrheit also von der Menschwerdung und vom Immanuel, den tiefsten und zugleich knappsten Ausdruck.

Indem er die Mutter, die unter dem Kreuz des Sohnes stand, zu sich nahm, nahm er zugleich auch das zu sich, was auf Golgota in ihr vorging: dass sie nämlich tief mit ihrem Eingeborenen mitlitt und sich in mütterlicher Gesinnung seinem Opfer anschloß, indem sie der Darbringung der Opfergabe, die sie selbst geboren hatte, liebevoll zustimmte. Dies alles - das gesamte übermenschliche Erleben des Opfers unserer Erlösung, wie es sich dem Herzen gerade der Mutter Christi, des Erlösers, eingeprägt hat - wurde dem Menschen anvertraut, der im Abendmahlssaal die Vollmacht erhielt, durch seinen priesterlichen Dienst in der Eucharistiefeier dieses Opfer gegenwärtig zu setzen.

Liegt darin nicht eine besondere Botschaft für jeden von uns? Wenn Johannes unter dem Kreuz in gewissem Sinne alle Menschen, Männer und Frauen, vertritt, für die die Mutter Gottes in geistlicher Weise Mutter wird, wie sehr betrifft dies dann jeden von uns, die wir im Weihesakrament zum priesterlichen Dienst an der Eucharistie in der Kirche berufen worden sind!

Das Geschehen von Golgota, das Opfer Christi für die Erlösung der Welt, ist wahrlich überwältigend! Und überwältigend ist dieses Geheimnis Gottes, dem wir in der sakramentalen Ordnung dienen (vgl. 1 Kor 4,1). Droht uns aber nicht die Gefahr, Diener zu sein, die dafür nicht hinreichend würdig sind? Die Gefahr, uns nicht treu genug unter das Kreuz Christi zu stellen, wenn wir die Eucharistie feiern? Suchen wir dieser Mutter nahe zu sein; denn ihrem Herzen ist in einzigartiger und unvergleichlicher Weise das Geheimnis der Erlösung der Welt eingeprägt.

4. Das Konzil erklärt: "Die selige Jungfrau ist aber durch das Geschenk und die Aufgabe der göttlichen Mutterschaft, durch die sie mit ihrem Sohn und Erlöser vereint ist, ... auch mit der Kirche auf das innigste verbunden. Die Gottesmutter ist, wie schon der heilige Ambrosius lehrte, der Typus der Kirche für den Bereich des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus; im Geheimnis der Kirche, die ja auch selbst mit Recht Mutter und Jungfrau genannt wird, ist die selige Jungfrau Maria vorangegangen, da sie in herausragender und einzigartiger Weise das Urbild sowohl der Jungfrau wie der Mutter darstellt."

Kurz danach entwickelt der Konzilstext folgenden typologischen Vergleich: "Nun aber wird die Kirche, indem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter. Durch die Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zu neuem und unsterblichem Leben. Auch sie ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt." Deswegen bewahrt die Kirche "in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe".

Zu Füßen des Kreuzes auf Golgota "nahm der Jünger (Maria) zu sich", die ihm von Christus mit den Worten anempfohlen worden war: "Siehe, deine Mutter." Die Lehre des Konzils zeigt, wie sehr dabei die ganze Kirche Maria "zu sich genommen hat" und wie tief das Geheimnis dieser Jungfrau und Mutter zum Geheimnis der Kirche, zu ihrer innersten Wirklichkeit, gehört. Das alles hat grundlegende Bedeutung für alle Söhne und Töchter der Kirche. Das alles hat eine besondere Bedeutung für uns, die wir durch das sakramentale Zeichen des Priestertums geprägt sind, das uns zwar in die "Hierarchie" eingliedert, uns zugleich aber nach dem Beispiel Christi zum "Dienst" bestimmt: Er ist ja der erste Diener der Erlösung der Welt.

Wenn alle in der Kirche - Männer und Frauen, die durch die Taufe an der Sendung des Priesters Christus teilhaben - das gemeinsame "königliche Priestertum" besitzen, von dem der Apostel Petrus spricht (vgl. 1 Ptr 2,9), müssen alle die soeben angeführten Worte der Konzilskonstitution auf sich beziehen, in einer besonderen Weise aber beziehen sich die Worte auf uns. Das Konzil sieht die Mutterschaft der Kirche - nach dem Vorbild der Mutterschaft Marias - in der Tatsache, dass sie "die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben gebiert". Wir vernehmen hier gleichsam ein Echo der Worte des heiligen Paulus über die Kinder, für die er Geburtswehen erleidet",(vgl. Gal 4,19), wie eben eine Mutter gebiert. Wenn wir im Epheserbrief vom Bräutigam Christus lesen, der die Kirche wie seinen Leib "nährt und pflegt (vgl. Eph 3,29), so liegt es nahe, diese bräutliche Sorge Christi vor allem mit dem Geschenk des eucharistischen Brotes zu verbinden, eine Sorge, die mit den vielen mütterlichen Sorgen für die "Ernährung und Pflege" des Kindes verglichen werden kann.

Es lohnt sich, diese biblischen Ausdrücke ins Gedächtnis zu rufen, damit uns als Priester die Wahrheit von der Mutterschaft der Kirche nach dem Beispiel der Gottesmutter bewußter wird. Auch wenn jeder von uns diese geistliche Mutterschaft eher auf männliche Weise als "Vaterschaft im Geiste" lebt, hat Maria, als Vorbild" der Kirche, in dieser Erfahrung ihren besonderen Anteil. Die angeführten Textstellen zeigen, wie tief ihre Teilnahme zur Mitte unseres priesterlichen und pastoralen Dienstes gehört. Ist der Vergleich des heiligen Paulus von der "Geburt unter Schmerzen" nicht vielleicht auf uns alle anwendbar in den vielen Situationen, bei denen auch wir in den geistigen Prozeß der "Zeugung und der "Wiedergeburt" des Menschen in der Kraft des Geistes, des Lebensspenders, einbezogen sind? Die stärksten Erfahrungen davon machen wohl die Beichtväter an den verschiedensten Orten der Welt - und nicht nur sie.

Am Gründonnerstag müssen wir die geheimnisvolle Wahrheit unserer Berufung neu vertiefen: die Wahrheit dieser "Vaterschaft im Geist, die auf personaler Ebene der Mutterschaft gleicht. Hat übrigens nicht Gott selbst, der Schöpfer und Vater, seine Liebe mit der einer menschlichen Mutter verglichen (vgl. Is 49,15; 66,13)? Es handelt sich also hier um ein Merkmal unserer priesterlichen Persönlichkeit, das gerade ihre apostolische Reife und geistige Fruchtbarkeit ausdrückt. Wenn die ganze Kirche von Maria ihr eigenes Muttersein erlernt, müssen es dann nicht auch wir tun? Darum muss ein jeder von uns sie "zu sich nehmen", so wie sie der Apostel Johannes auf Golgota zu sich genommen hat; das heißt, jeder von uns soll es Maria gestatten, "im Hause" seines sakramentalen Priestertums als Mutter und Mittlerin jenes "großen Geheimnisses" (vgl. Eph 5,32), dem wir alle mit unserem Leben dienen wollen, Wohnung zu nehmen.

5. Maria ist Jungfrau und Mutter, und auch die Kirche, die sich an sie als ihr eigenes Vorbild wendet, erkennt sich darin wieder, weil auch sie "Mutter und Jungfrau" genannt wird. Sie ist Jungfrau, weil "sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt". Nach der Lehre des Epheserbriefes (vgl. 5,32) ist Christus der Bräutigam der Kirche. Die bräutliche Bedeutung der Erlösung drängt jeden von uns, die Treue zu dieser Berufung zu bewahren, durch die wir an der erlösenden Sendung Christi, des Priesters, Propheten und Königs, Anteil erhalten haben.

Die Analogie zwischen der Kirche und der Jungfrau Maria hat eine besondere Aussagekraft für uns, die wir unsere priesterliche Berufung mit dem Zölibat verbinden, wodurch wir uns "um des Himmelreiches willen zur Ehe unfähig gemacht haben". Wir erinnern uns an das Gespräch, in dem Christus den Aposteln die Bedeutung dieser Entscheidung erklärt (vgl. Mt 19,12) und wollen uns darum bemühen, die Motive dafür voll zu begreifen. Wir verzichten freiwillig auf die Ehe und auf die Gründung einer eigenen Familie, um Gott und den Brüdern dienen zu können. Man kann sagen, dass wir auf die Vaterschaft "nach dem Fleisch" verzichten, damit in uns die Vaterschaft "nach dem Geist" heranreift und sich entfaltet, die, wie schon gesagt, zugleich mütterliche Merkmale aufweist. Die bräutliche Treue zum Bräutigam, die in dieser Lebensform ihren besonderen Ausdruck findet, läßt uns am innersten Leben der Kirche teilnehmen, die sich nach dem Beispiel der Jungfrau Maria darum bemüht, "das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein" zu bewahren.

Aufgrund dieses Modells, ja des Prototyps, den die Kirche in Maria findet, muss unsere priesterliche Entscheidung für den lebenslangen Zölibat auch in ihrem Herzen hinterlegt werden. Wir müssen zu dieser Jungfrau-Mutter unsere Zuflucht nehmen, wenn wir auf unserem gewählten Lebensweg Schwierigkeiten begegnen. Mit ihrer Hilfe müssen wir uns um ein immer tieferes Verständnis dieses Weges und seine immer vollkommenere Bejahung unseres Herrn bemühen. Schließlich muss sich in unserem Leben diese Vaterschaft "im Geist entfalten, die eine der Früchte davon ist, dass wir uns "um des Himmelreiches willen für die Ehe unfähig gemacht haben".

Bei Maria, die die einzigartige Erfüllung einer biblischen "Frau" des Protoevangeliums (vgl. Gen 3,15) und der Offenbarung des Johannes (vgl. Offb 12,1) darstellt, wollen wir auch die rechte Kontaktfähigkeit zu den Frauen erlernen, jene Haltung ihnen gegenüber, wie sie uns Jesus von Nazaret selber gezeigt hat und die an vielen Stellen des Evangeliums zum Ausdruck gebracht wird. Dies ist ein wichtiges Thema im Leben eines jeden Priesters, und das Marianische Jahr hält uns dazu an, es besonders aufzugreifen und zu vertiefen. Der Priester muss aufgrund seiner Berufung und seines Dienstes in neuer Weise die Würde und Berufung der Frau, sei es in der Kirche oder in der Welt von heute, entdecken. Er muss zutiefst begreifen, was Christus uns allen sagen wollte, als er mit der Samaritanerin sprach (vgl. Joh 4,1-42) und die von der Steinigung bedrohte Ehebrecherin verteidigte (vgl. Joh 8,1-11), als er sich zu jener Frau bekannte, der "ihre vielen Sünden vergeben wurden, weil sie so viel Liebe gezeigt hat" (vgl. Lk 7,36-50), und mit Maria und Marta in Betanien sprach (vgl. Lk 10,41-42; Joh 11,1-44) und der schließlich von allen anderen den Frauen die Osterbotschaft vor seiner Auferstehung (vgl. Mt 28,1-10) anvertraut hat.

An der Sendung der Kirche haben von den apostolischen Zeiten her Männer und Frauen in verschiedener Weise aktiven Anteil genommen. In unserer Zeit, nach dem II. Vatikanischen Konzil, bedeutet diese Tatsache einen neuen Anruf, der an jeden von uns ergeht, wenn unser Priestertum, das wir in den verschiedenen Gemeinschaften der Kirche ausüben, ein wirklicher Dienst und gerade dadurch apostolisch wirksam und fruchtbar sein will.

6. Indem wir uns heute, am Gründonnerstag, am Ort der Entstehung unseres Priestertums begegnen, möchten wir seine Bedeutung im Licht der Lehre des Konzils von der Kirche und ihrer Sendung neu und tief erkennen. Die Gestalt der Gottesmutter gehört zu dieser Lehre in ihrer Gesamtheit. Dies ist ja auch die Grundlage für die Gedanken der vorliegenden Meditation.

Vom Kreuz auf Golgota herab sprach Christus zu dem jünger: "Siehe, deine Mutter." Und der jünger "nahm sie zu sich" als seine Mutter. Führen auch wir Maria als Mutter in das innere "Gemach" unseres Priestertums. Auch wir gehören ja zu den Gläubigen, "bei deren Geburt und Erziehung" die Gottesmutter "in mütterlicher Liebe mitwirkt". Ja, in einem gewissen Sinne haben wir sogar ein besonderes "Recht" auf diese Liebe, wenn wir auf das Geheimnis des Abendmahlssaals schauen. Christus sagte dort: "Ich nenne euch nicht mehr Knechte ... , vielmehr habe ich euch Freunde genannt" (Joh 15,15). Ohne diese "Freundschaft" wäre es schwierig zu denken, dass er uns nach den Aposteln das Sakrament seines Leibes und Blutes, das Sakrament seines Erlösertodes und seiner Auferstehung, anvertraut habe, damit wir dieses unaussprechliche Geheimnis in seinem Namen, ja sogar "in persona Christi" feiern. Ohne diese besondere Freundschaft wäre es auch schwer, an den Osterabend zu denken, als der Auferstandene inmitten der Apostel erschien und ihnen sagte: "Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert (Joh 20,22-23).

Eine solche Freundschaft verpflichtet. Eine solche Freundschaft müßte in uns heilige Ehrfurcht wecken, ein höheres Verantwortungsbewußtsein, eine größere Bereitschaft dafür, mit der Hilfe Gottes alles zu geben, was wir vermögen. Im Abendmahlssaal hat diese Freundschaft durch die Verheißung des Heiligen Geistes ein tief verankertes Fundament erhalten- "(Er) wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe ... Dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis für mich ablegen" (Joh 14,26; 15,26-27).

Wir spüren, dass wir dieser Freundschaft mit Christus eigentlich immer unwürdig sind. Es ist aber gut, wenn uns heilige Furcht davor ergreift, wir könnten dieser Freundschaft nicht treu bleiben.

Die Mutter Christi weiß um all das. Sie selbst hat vollkommen verstanden, was die Worte bedeuten, die ihr Sohn beim Sterben am Kreuz gesprochen hat: "Frau, siehe, dein Sohn ... Das ist deine Mutter." Sie bezogen sich auf sie und auf den jünger, auf einen von jenen, zu denen Christus im Abendmahlssaal sagte: "Ihr seid meine Freunde" (Joh 15,14): zu Johannes und zu allen, die durch das Geheimnis des letzten Abendmahls an der gleichen ,Freundschaft" teilhaben. Die Muttergottes, die, wie das Konzil lehrt, mit mütterlicher Liebe an der Wiedergeburt und Heranbildung aller mitwirkt, die Brüder ihres Sohnes und seine Freunde werden, wird alles tun, damit sie diese heilige Freundschaft nicht enttäuscht und sich ihrer würdig erweist.

7. Mit dem Apostel und Evangelisten Johannes richten wir noch den Blick unseres Herzens auf jene Frau", die, mit der Sonne bekleidet-, am eschatologischen Horizont der Kirche und der Welt im Buch der Offenbarung erscheint (vgl. Offb 12,1 ff.). Man kann in ihr leicht die gleiche Gestalt erkennen, die am Anfang der Geschichte des Menschen, nach dem Sündenfall, als Mutter des Erlösers angekündigt worden ist (vgl. Gen 3,15). In der Offenbarung des Johannes sehen wir sie als eine in der sichtbaren Schöpfung herausragende Frau wie auch als jene, die fortwährend am geistigen Kampf für den Sieg des Guten über das Böse teilnimmt. Dies ist der Kampf, den die Kirche in Einheit mit der Gottesmutter als ihrem "Modell" "gegen die Be -herrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister führt, wie wir imEpheserbrief(16,12) lesen. Der Beginn dieses geistigen Kampfes geht auf den Augenblick zurück, da der Mensch "unter dem Einfluß des Bösen durch Auflehnung gegen Gott und durch den Willen, sein Ziel ohne Gott zu erreichen, seine Freiheit mißbrauchte". Man kann sagen, dass der Mensch, geblendet von der Aussicht, über das Maß eines Geschöpfes, das er ist, hinausgehoben zu werden (nach den Worten des Versuchers: "Ihr werdet sein wie Gott: Gen 3,5), aufgehört hat, die Wahrheit der eigenen Existenz und seiner Entwicklung in demjenigen zu suchen, der "der Erstgeborene der ganzen Schöpfung" ist (Kor 1,15); er hat aufgehört, diese Schöpfung und sich selbst in Christus an Gott, von dem alles ausgeht, zurückzuschenken. Der Mensch hat das Bewußtsein dafür verloren, Priester der ganzen sichtbaren Welt zu sein, wenn er diese ausschließlich auf sich selbst bezieht.

Die Worte des Protoevangeliums am Anfang und die Worte der Offenbarung des Johannes am Schluß der Heiligen Schrift sprechen von demselben Kampf, in den der Mensch verwickelt ist. Im Rahmen dieses geistigen Kampfes, der sich in der Geschichte abspielt, ist jener Sohn der Frau der Erlöser der Welt. Die Erlösung geschieht durch das Opfer, in welchem Christus, der Mittler des neuen und ewigen Bundes, "ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen ist ... mit seinem eigenen Blut", indem er im Haus des Vaters - im Herzen der Heiligsten Dreifaltigkeit - den Raum für alle öffnete, die das verheißene ewige Erbe erhalten" (vgl. Hebr 9,12-15). Aus diesem Grunde ist der gekreuzigte und auferstandene Herr der Hohepriester der künftigen Güter (Hebr 9,11), und sein Opfer bedeutet eine neue Ausrichtung der geistigen Geschichte des Menschen auf Gott hin, den Schöpfer und Vater, zu dem der Erstgeborene der ganzen Schöpfung alle im Heiligen Geist führt.

Das Priestertum, das beim letzten Abendmahl beginnt, erlaubt uns, an dieser tiefgreifenden Umformung der geistigen Geschichte des Menschen teilzunehmen. In der Eucharistie vergegenwärtigen wir ja das Opfer der Erlösung, dasselbe, das Christus am Kreuz "mit seinem eigenen Blut" dargebracht hat. Durch dieses Opfer berühren auch wir, die Ausspender dieses Sakramentes, zusammen mit allen, denen wir durch seine Feier dienen, immer wieder den entscheidenden Augenblick jenes geistigen Kampfes, der nach dem Buch der Genesis und der Offenbarung des Johannes mit der "Frau" verbunden ist. Sie führt diesen Kampf in völliger Einheit mit dem Erlöser. Und deshalb schließt sich auch unser priesterlicher Dienst ihr an, der Mutter des Erlösers und dem "Modell" der Kirche. Auf diese Weise bleiben ihr alle in diesem geistigen Kampf, der sich die gesamte menschliche Geschichte hindurch abspielt, verbunden. An diesem Kampf haben wir durch unser Weiheepriestertum einen besonderen Anteil. Wir erfüllen einen besonderen Dienst im Werk der Erlösung der Welt.

Das Konzil lehrt, dass Maria, indem sie auf der Pilgerschaft des Glaubens in vollkommener Einheit mit dem Sohn bis zum Kreuz fortschreitet, dem ganzen Volk Gottes, das auf dem gleichen Weg ist, wenn es Christus im Heiligen Geist nachfolgt, in einzigartiger und herausragender Weise vorangeht. Müßten wir Priester uns nicht in besonderer Weise mit ihr verbinden, die wir als Hirten die uns anvertrauten Gemeinden auf dem Weg führen müssen, der vom Pfingstsaal aus auf den Spuren Christi durch die ganze Geschichte des Menschen führt?

8. Liebe Brüder im Priesteramt, während wir uns heute mit den Bischöfen an so vielen Orten der Erde versammeln, wollte ich in diesem jährlichen Brief gerade dieses Thema entwickeln, das, wie mir scheint, auch mit dem Inhalt des Marlanischen Jahres in besonderer Weise verbunden ist.

Wenn wir die heilige Eucharistie an den vielen Altären in der ganzen Welt feiern, wollen wir dem ewigen Hohenpriester für das Geschenk danken, das er uns im Sakrament des Priestertums gegeben hat. In diesem Dank sollen die Worte aufklingen, die der Evangelist Maria beim Besuch bei ihrer Verwandten Elisabeth sprechen läßt: "Großes hat an mir getan der Mächtige, sein Name ist heilig" (Lk 1,49). Danken wir auch Maria für das unaussprechliche Geschenk des Priestertums, durch das wir in der Kirche jedem Menschen dienen können. Möge die Dankbarkeit auch unseren Eifer wieder neu wecken! Erfüllt sich nicht durch unseren priesterlichen Dienst all das, wovon die folgenden Verse des Magnifikats Marias sprechen? Wahrhaftig, der Erlöser, der Gott des Kreuzes und der Eucharistie, "erhöht die Niedrigen" und "beschenkt die Hungernden mit seinen Gaben". "Er, der reich war, wurde unseretwegen arm, um uns durch seine Armut reich zu machen" (2 Kot 8,9); er hat das wunderbare Geheimnis seiner Armut, die reich macht, der demütigen Jungfrau von Nazaret anvertraut. Dasselbe Geheimnis vertraut er auch uns an im Sakrament des Priestertums. Danken wir ohne Unterlaß dafür! Danken wir mit unserem ganzen Leben. Danken wir mit allem, was uns gegeben ist. Danken wir zusammen mit Maria, der Mutter der Priester: Nie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat? Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den Namen des Herrn" (Ps 116,12-13). Allen meinen Brüdern im Priester- und Bischofsamt sende ich zu unserem gemeinsamen Festtag in brüderlicher Liebe meinen herzlichen Gruß und Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, dem 25. März,

dem Fest der Verkündigung des Herrn des Jahres 1988,
im 10. Pontifikatsjahr.

Johannes Paul II. PP.