Euntes in mundum (Wortlaut)
Euntes in mundum |
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von Papst
Johannes Paul II.
zur Tausenjahrfeier der Taufe der Rus´ von Kiew
25. Januar 1988
(Offizieller lateinischer Text AAS 80 [1988] 935-956)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 I. GEEINT IN DER GNADE DES SAKRAMENTES
- 2 II. "ALS ABER DIE ZEIT ERFÜLLT WAR..."
- 3 III. GLAUBE UND KULTUR
- 4 IV. AUF DIE VOLLE GEMEINSCHAFT HIN
- 5 V. DIE EINHEIT DER KIRCHE UND DIE EINHEIT DES EUROPÄISCHEN KONTINENTS
- 6 VI. IN DER FREUDE DER JAHRTAUSENDFEIER MIT MARIA, DER MUTTER JESU, VEREINT
- 7 Anmerkungen
- 8 Weblinks
I. GEEINT IN DER GNADE DES SAKRAMENTES
1. "Geht in alle Welt und lehrt alle Völker; tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (vgl. Mt 28, 19; Mk 16, 15).
Von den Gräbern der heiligen Apostel Petrus und Paulus in Rom aus möchte die katholische Kirche dem einen und dreifaltigen Gott ihre tiefe Dankbarkeit dafür bekunden, dass diese Worte des Erlösers vor eintausend Jahren an den Ufern des Dnjepr in Erfüllung gegangen sind, in Kiew, der Hauptstadt der Rus', deren Bewohner - nach dem Beispiel der Fürstin Olga und des Fürsten Wladimir - durch das Sakrament der Taufe in Christus »eingepflanzt« worden sind.
In der Nachfolge meines verehrten Vorgängers Pius XII., der den 950. Jahrestag der Taufe der Rus' feierlich hat begehen wollen <ref> Vgl. Brief an Kard. Eugenio Tisserant, Sekretär der Kongregation für die Orientalischen Kirchen (12. Mai 1939): AAS 31 (1939) 258-259. </ref>, möchte ich mit diesem Schreiben dem unermesslichen Gott, Vater, Sohn und Heiligem Geist, Lob und Dank dafür aussprechen, dass er die Söhne und Töchter vieler Völker und Nationen, die das christliche Erbe der in Kiew gespendeten Taufe angenommen haben, zum Glauben und zum Gnadenleben berufen hat. Sie gehören vor allem zur russischen, ukrainischen und weißrussischen Nation in den östlichen Regionen des europäischen Kontinents. Durch den Dienst der Kirche, der in der Taufe zu Kiew begonnen hat, ist dieses Erbe über den Ural hinaus zu vielen Völkern Nordasiens vorgedrungen, ja bis an die Küsten des Pazifiks und noch weiter darüber hinaus. In der Tat, bis an die Enden der Erde ist ihre Stimme gedrungen (vgl. Ps 19, 5; Röm 10, 18).
Indem wir dem heiligen Pfingstgeist für eine solche Ausdehnung eines christlichen Erbes, das bis auf das Jahr des Herrn 988 zurückgeht, danksagen, wollen wir zuallererst unsere Aufmerksamkeit auf das Heilsgeheimnis der Taufe selbst richten. Diese ist - wie uns der Herr Jesus Christus lehrt - das Sakrament der Wiedergeburt aus Wasser und Heiligem Geist (vgl. Joh 3, 5) und führt den Menschen, den Gott an Kindes Statt angenommen hat, in das ewige Gottesreich ein. Und der heilige Paulus spricht von einem »Eintauchen in den Tod« des Erlösers, um zusammen mit ihm zu einem neuen Leben in Gott »aufzuerstehen« (vgl. Röm 6, 4). Als daher die ostslawischen Völker, die im Großfürstentum der Rus' von Kiew wohnten, in das Wasser der heiligen Taufe stiegen, vertrauten sie sich so - als für sie die Fülle der Zeit gekommen war (vgl. Gal 4, 4) - dem Heilsplan Gottes an. So gelangte zu ihnen die Kunde von den »Großtaten Gottes« und, wie einst in Jerusalem, kam auch zu ihnen das Pfingstereignis (vgl. Apg 2, 37-39): Indem sie in das Taufwasser eintauchten, erfuhren sie die »Waschung zur Wiedergeburt« (vgl. Tit 3, 5).
Wie reich an Inhalt ist doch im Byzantinischen Ritus das alte Gebet zur Segnung des Taufwassers, das die orientalische Theologie gern mit den Wassern des Jordans vergleicht, in die der Erlöser der Menschen stieg, um nach der Gewohnheit der Bewohner von Judäa und Jerusalem die Bußtaufe zu empfangen: »Schenke ihm (dem Taufwasser) ... den Segen des Jordans; mache es zu einer Quelle der Unvergänglichkeit ... mache aus diesem erlösenden Wasser ein Wasser der Heiligung, das Reinigung von Leib und Geist, Befreiung .von den Fesseln, Vergebung der Sündenschulden, Erleuchtung der Seelen, Waschung zur Wiedergeburt, Erneuerung des Geistes, Gabe der Gotteskindschaft, Kleid der Unvergänglichkeit, Lebensquelle sei ... Gib, dass der Getaufte den neuen Menschen anziehe, erneuert nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat; auf dass er, der mit ihm in der Ähnlichkeit seines Todes innig vereint ist, durch die Taufe auch seiner Auferstehung teilhaft werde und, indem er das Geschenk des Heiligen Geistes treu bewahre, ... den Preis der himmlischen Berufung erlange und den Ersterlösten zugezählt werde, die im Himmel aufgezeichnet sind ...«. <ref>Gebet zur Weihe des Taufwassers, dessen ältestes Zeugnis sich im griechischen Cod. Vat. Barberini 336, S. 201, findet. Siehe ferner im Trebnik (ed. synodale, Moskau 1906, 2. Teil, Blatt 209-220; vgl. Blatt 216) die feierliche Segnung des Taufwassers zu Epiphanie. </ref>
Die in der Ferne gelebt hatten, fanden sich nun durch die Taufe eingetaucht in jenen Kreislauf des Lebens, in dem sich die Heiligste Dreifaltigkeit - Vater, Sohn und Heiliger Geist - dem Menschen schenkt und in ihm ein neues Herz schafft, das aus der Sünde befreit ist und fähig wird, dem ewigen Plan göttlicher Liebe in kindlichem Vertrauen zu folgen. Zur gleichen Zeit sind jene Völker und ihre einzelnen Mitglieder in den Bereich der großen Familie der Kirche eingetreten, in der sie an der Eucharistiefeier teilnehmen, das Wort Gottes hören und es bezeugen, ein Leben in brüderlicher Liebe führen und in gegenseitigem Austausch an den geistlichen Gütern teilhaben können. Dies fand seinen symbolischen Ausdruck in den alten Riten der heiligen Taufe, wenn sich die Neugetauften in weißen Kleidern in einer Prozession von der Taufkirche zur Gemeinschaft der Gläubigen begaben, die in der Kathedrale versammelt waren. Diese Prozession war der liturgische Einzug und zugleich das Symbol ihres Eintritts in die eucharistische Gemeinschaft der Kirche, des Leibes Christi. <ref>Vgl. das Typikon der Großen Kirche, Ed. J. Mateos in »Orientalia Christiana Analecta« 116 (Rom 1963) 86-88. </ref>
2. In diesem Geist und mit solchen Empfindungen möchten wir an den Festfeiern und an der Freude zum Tausendjahrgedenken der Taufe der Rus' von Kiew teilnehmen. Wir erinnern uns dieses Ereignisses in der Sehweise, wie sie der Kirche Christi zu eigen ist, das heißt, im Geist des Glaubens. Es war gewiß ein Ereignis von sehr großer Bedeutung. Die Worte des Herrn bei Jeremias: »Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dir so lange die Treue bewahrt« (Jer 31, 3), haben ihre volle Verwirklichung gefunden im Blick auf jene neuen Völker und ihre Heimatländer. Die Rus' von Kiew ist in den Bereich der Erlösung eingetreten und selbst ein Teil dieses Bereiches geworden. Ihre Taufe löste eine neue Welle der Heiligkeit aus. Sie wurde eine bedeutsame Stunde für den missionarischen Einsatz der Kirche, eine neue wichtige Etappe in der Entwicklung des Christentums: Die gesamte katholische Kirche schaut darum auf dieses Ereignis und nimmt geistig an der Festfreude der Erben jener Taufe Anteil.
Wir sagen Dank dem barmherzigen Gott, dem einen Gott in der Heiligsten Dreifaltigkeit, dem lebendigen Gott, dem Gott unserer Väter; wir sagen Dank dem Vater Jesu Christi und dem Herrn Jesus Christus selbst, der im Sakrament der heiligen Taufe dem Geist des Menschen den Heiligen Geist schenkt. Wir sagen Gott Dank für seinen Heilsplan der Liebe; wir danken ihm für den Glaubensgehorsam, den ihm die Völker und Nationen, die Länder und Kontinente entgegengebracht haben. Natürlich hat dieser Glaubensgehorsam seine geschichtlichen, geographischen und menschlichen Bedingungen gehabt. Es ist Aufgabe der Wissenschaftler, all jene politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte zu untersuchen und zu vertiefen, die sich dort aus der Annahme des christlichen Glaubens ergaben. Ja, wir wissen und betonen es, dass Früchte auf allen Feldern menschlicher Existenz heranwachsen, wenn man Christus im Glauben annimmt und seine Gegenwart in der Gemeinde wie im Leben des einzelnen erfährt. Die lebenspendende Verbindung mit Christus ist ja nicht irgendein Anhängsel des Lebens noch eine überflüssige Verzierung daran, sondern seine endgültige Wahrheit. Jeder Mensch ist bereits von seiner Menschennatur selbst her dazu berufen, an den Früchten der Erlösung Christi und sogar an dessen eigenem Leben teilzuhaben. In höchster Verehrung beugen wir uns, nachdem 1000 Jahre vergangen sind, vor diesem Geheimnis und betrachten seine Tiefe und Kraft, zunächst bei denen, die an der Taufe der Rus' in eigener Person teilgenommen haben und danach bei jedem und bei allen, die ihrem Beispiel gefolgt sind und in ihrer Taufe die heiligmachende Kraft des Tröstergeistes empfangen haben.
II. "ALS ABER DIE ZEIT ERFÜLLT WAR..."
3. »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau« (Gal 4, 4). Die Fülle der Zeit kommt von Gott; aber die Menschen bereiten sie vor: Sie kommt für die Menschen und durch die Menschen. Das gilt für die »Fülle der Zeit« in der allgemeinen Heilsordnung, die auch selbst ihre menschliche Bedingtheit und ihre konkrete Geschichte hat. Das gilt aber auch für den Augenblick, da sich die einzelnen Völker dem Hafen des Glaubens und des Heils nähern: für ihre »Fülle der Zeit« also. Auch die 1000 Jahre der Taufe und Bekehrung der Rus' haben ihre Vorgeschichte. Der Prozeß der Christianisierung der einzelnen Völker und Nationen ist eine komplexe Wirklichkeit und erfordert eine lange Zeit. Im Land der Rus' wurde er durch die Versuche vorbereitet, welche die Kirche von Konstantinopel im 9. Jahrhundert unternommen hat. <ref>Vgl. das Rundschreiben, mit dem der Patriarch Photius im Jahre 867 verkündet, dass das Volk mit dem Namen Rhos einen Bischof angenommen hat: ep. I, 13: PG 102, 736-737; vgl. auch Les regestes des acles du patliarcat de Constantinople I, II (Les regestes von 715.1043), herausgegeben durch V.Grumel (Paris 1936), Nr. 481, S. 88-89. </ref> Danach, im Verlauf des 10. Jahrhunderts, begann der christliche Glaube dank jener Missionare in die Region vorzudringen, die nicht nur von Byzanz her kamen, sondern auch aus den Ländern der benachbarten Westslawen welche die Liturgie in slawischer Sprache und nach dem Ritus der heiligen Cyrill und Methodius feierten - sowie aus den Ländern des lateinischen Westens. Wie die alte sogenannte Nestor-Chronik (»Povest' Vremennykh Let«) bezeugt, gab es im Jahre 944 zu Kiew eine christliche Kirche, die dem Propheten Elija geweiht war. <ref>Poverst' Vremennykh Let, Ed. D. Likhacev (Moskau-Leningrad 1950) 235 ff. </ref> In diesem schon bereiteten Umfeld ließ sich die Fürstin Olga um das Jahr 955 aus freiem Entschluß und öffentlich taufen und blieb danach ihren Taufversprechen immer treu. An sie habe der Patriarch Polyeuktos im Verlaufe ihres Besuches in Konstantinopel vom Jahre 957 einen gleichsam prophetischen Gruß gerichtet: »Gesegnet seist du unter den russischen Frauen, weil du das Licht geliebt und die Finsternis vertrieben hast. Darum werden dich seligpreisen die russischen Söhne bis zur letzten Generation«. <ref>Vgl. FILARET GUMILEVSKYJ, Leben der Heiligen, Juli-Band (Petersburg 1900) 106 (auf Russisch) </ref> Olga hatte allerdings nicht die Freude, ihren Sohn Swjatoslaw als Christen zu sehen. Ihr geistliches Erbe wurde von ihrem Enkel Wladimir übernommen, der Hauptperson bei der Taufe von 988; er nahm den Christenglauben an und förderte die bleibende und endgültige Bekehrung des Volkes der Rus'. Wladimir und die Neubekehrten verspürten die Schönheit der Liturgie und des religiösen Lebens der Kirche von Konstantinopel. <ref>Vgl. hierzu den Bericht der Poverst' Vremennykh Let (siehe Anm. 5). </ref> So übernahm die neue Kirche der Rus' von Konstantinopel das gesamte Erbe des christlichen Ostens und alle ihm eigenen Schätze auf dem Gebiet der Theologie, Liturgie und Spiritualität, des kirchlichen Lebens und der Kunst.
Der byzantinische Charakter dieses Erbes wurde allerdings von Anfang an in eine neue Dimension übertragen: Die slawische Sprache und Kultur wurden ein neuer Rahmen für das, was bisher seinen byzantinischen Ausdruck in der Hauptstadt des Ostreiches und auch auf dem gesamten Gebiet, das über Jahrhunderte hin mit ihm verbunden war, gefunden hatte. Zu den Ostslawen gelangten so das Wort Gottes und die damit verbundene Gnade in einer Form, die ihnen in kultureller und geographischer Hinsicht näherstand. Jene Slawen, die das Wort des Evangeliums durchaus mit ganzem Glaubensgehorsam angenommen hatten, wünschten doch zugleich, ihm einen Ausdruck in den eigenen Denkformen und mit der eigenen Sprache zu geben. Auf diese Weise kam es zu jener besonderen »slawischen Inkulturation« des Evangeliums und des Christentums, die an das große Werk der heiligen Cyrill und Methodius anknüpft, die von Konstantinopel aus das Christentum in slawischer Form nach Großmähren und durch ihre Schüler zu den Völkern des Balkans gebracht hatten.
Auf diesem Wege empfingen der hl. Wladimir und die Bewohner der Rus' von Kiew ihre Taufe von Konstantinopel aus, dem größten Zentrum des christlichen Ostens, und dadurch fand diese junge Kirche Zugang zum reichen byzantinischen Patrimonium, zu seinem Erbe an Glauben, kirchlichem Leben und Kultur. Dieses Patrimonium wurde den großen Scharen von Ostslawen sofort zugänglich und konnte von ihnen leichter in ihr Leben aufgenommen werden, weil seine Übermittlung von Anfang an durch das Wirken der beiden heiligen Brüder von Thessalonich begünstigt war. Die Heilige Schrift und die liturgischen Bücher kamen aus den kulturellen und religiösen Zentren der Slawen, die jene Liturgiesprache angenommen hatten, die von den beiden Heiligen eingeführt worden war.
Dank seiner Weisheit und Intuition und aus Sorge für das Wohl der Kirche und des Volkes stimmte Wladimir in der Liturgie anstelle des Griechischen der altslawischen Sprache zu und »benützte sie als wirksames Werkzeug, um die göttlichen Wahrheiten allen Menschen dieser Sprache näherzubringen«. <ref>JOHANNES PAUL II., Rundschreiben Slavorum Apostoli, 12: AAS 77 (1985) 793. </ref> Wie ich in meinem Rundschreiben Slavorum Apostoli geschrieben habe, <ref>Vgl. ebd., 11-13: AAS 77 (1985) 791-796. </ref> hatten die heiligen Cyrill und Methodius, auch wenn sie sich des kulturellen und theologischen Vorranges des griechisch-byzantinischen Erbes, das sie in sich trugen, bewußt waren, dennoch den Mut, sich zum Wohl der slawischen Völker einer anderen Sprache und auch einer anderen Kultur zu bedienen, um den Glauben zu verkünden. Auf diese Weise stellte die altslawische Sprache bei der Taufe der Rus' ein wichtiges Mittel dar: zunächst für die Evangelisierung selbst und dann für die eigenständige Entwicklung des zukünftigen kulturellen Erbes dieser Völker - eine Entwicklung, die in vielen Bereichen ein Reichtum für das Leben und die Kultur der ganzen Menschheit geworden ist.
Man muss in der Tat mit aller Gewissheit und in Treue zur geschichtlichen Wahrheit unterstreichen, dass nach der Vorstellung der beiden heiligen Brüder von Thessalonich mit der slawischen Sprache in der Rus' der Stil der byzantinischen Kirche eingeführt worden ist, die zu jener Zeit noch in voller Gemeinschaft mit Rom stand; danach aber ist diese Tradition in eigenständiger und vielleicht einmaliger Weise auf der Grundlage der angestammten Kultur und auch durch Kontakte mit den Nachbarvölkern des Westens weiterentwickelt worden.
4. Die Fülle der Zeit für die Taufe des Volkes der Rus' kam also gegen Ende des ersten Jahrtausends, als die Kirche noch ungeteilt war. Wir müssen dem Herrn gemeinsam danken für diese Tatsache, die heute eine Sehnsucht und eine Hoffnung darstellt. Es war Gottes Wille, dass die Mutter Kirche in sichtbarer Einheit und zu einer Zeit missionarischer Ausdehnung im Westen wie im Osten diese ihre neue Tochter, die an den Ufern des Dnjepr geboren wurde, in ihren Schoß aufnahm, der schon so reich war an Nationen und Völkern. Es gab die Ostkirche, und es gab die Westkirche, jede nach einer Entwicklung entsprechend den je eigenen theologischen, rechtlichen und liturgischen Traditionen und mit sogar bedeutenden Unterschieden; aber es herrschte volle Gemeinschaft zwischen Ost und West, zwischen Rom und Konstantinopel, mit gegenseitigen Beziehungen. Und es ist die ungeteilte Kirche des Ostens und des Westens gewesen, welche die Kirche von Kiew aufgenommen und unterstützt hat. Bereits die Fürstin Olga hatte von Kaiser Otto I. einen Bischof erbeten - und im Jahre 961 auch erhalten -, »der ihnen den Weg zur Wahrheit zeige«; es war der Mönch Adalbert von Trier, der sich auch tatsächlich nach Kiew begeben hat, wo allerdings das fortdauernde Heidentum ihn daran hinderte, seine Mission zu erfüllen. <ref>Die Angabe stammt von einigen deutschen Quellen: z.B. Lamperti Monachi Hersfeldensis opera, Ed. O. Holder-Egger (1894) 38. </ref>
Fürst Wladimir war sich dieser Einheit der Kirche und Europas bewußt; darum unterhielt er Beziehungen nicht nur mit Konstantinopel, sondern auch mit dem Westen und mit Rom, dessen Bischof als derjenige anerkannt war, der der Gemeinschaft der ganzen Kirche vorstand. Nach der Chronik des Nikon habe es Gesandtschaften zwischen Wladimir und den Päpsten jener Zeit gegeben: mit Johannes XV. (der ihm als Geschenk gerade zum Taufjahr 988 einige Reliquien vom heiligen Papst Klemens gesandt habe als deutliche Anspielung auf die Mission der heiligen Cyrill und Methodius, die jene Reliquien von Cherson nach Rom gebracht hatten) und mit Silvester II. <ref>Vgl. Nikonovkaja Letopis ad 6494, in »Polnoe sobranie russkich letopisej«, IX (Petersburg 1862) 57. </ref> Bruno von Querfurt, von demselben Silvester II. zur Missionspredigt ausgesandt mit dem Titel »Erzbischof der Völker« (archiepiscopus gentium), besuchte um das Jahr 1007 Fürst Wladimir, genannt »König der Russen« (rex Russorum). <ref>Vgl. Petri Damiani Vita beati Romualdi, c. XXVII: PL 144, 978 (Kritische Ausgabe von G. Tabacco, in »Fonti per la storia d'Italia«, 94 (Rom 1957) 58). </ref> Später gab auch der heilige Papst Gregor VII. den Fürsten von Kiew den Königstitel, und zwar in seinem Brief vom 17. April 1075, der an »Demetrius (Isjaslaw), König der Russen, und seine Gattin, die Königin« (Demetrio regi Ruscorum et reginae uxori eius) adressiert war; diese hatten nämlich ihren Sohn Jaropolk auf Pilgerfahrt zu den Apostelgräbern (ad limina apostolorum) gesandt und damit erreicht, dass ihr Reich unter den Schutz des heiligen Petrus gestellt wurde. <ref>Vgl. Gregorii VII registrum, II, 74: Ed. E. Caspar, 236-237, in »Epistulae selectae in usum scholarum ex Monumentis Germaniae Historicis separatim editae«, t. II (Neudruck 1955) 236-237. </ref> Diese Anerkennung der vom Fürstentum Wladimirs erworbenen staatlichen Souveränität durch einen römischen Papst verdient hervorgehoben zu werden; denn dank der Taufe von 988 hatte jener seinen Staat auch politisch gefestigt, wobei er seine Entwicklung und die Integration der Völker, die zu jener Zeit innerhalb seiner damaligen wie auch späteren Grenzen wohnten, förderte. Diese prophetische Tat, in die Kirche einzutreten und das eigene Fürstentum in den Kreis der christlichen Nationen einzuführen, trug ihm den ehrenvollen Titel eines Heiligen und eines Vaters derjenigen Nationen ein, die in der Folge aus jenem Fürstentum hervorgingen.
So wurde Kiew mit dieser Taufe ein besonderer Kreuzungspunkt verschiedener Kulturen, ein Gebiet religiöser Einflüsse auch für den Westen, wie der Kult einiger in der lateinischen Kirche verehrter Heiligen bezeugt, und im Laufe der Zeit ein wichtiger Mittelpunkt kirchlichen Lebens und missionarischer Ausstrahlung mit einem sehr weiten Einflussgebiet: nach Westen bis zu den Karpathen, von den südlichen Ufern des Dnjepr bis nach Nowgorod und von den nördlichen Ufern der Wolga - wie schon gesagt - bis hin zu den Küsten des Pazifischen Ozeans und darüber hinaus. Kurz gesagt, durch das neue Zentrum kirchlichen Lebens, zu dem Kiew vom Augenblick an wurde, als es die Taufe empfing, gelangten das Evangelium und die Glaubensgnade zu jenen Völkern und Gebieten, die heute mit dem Patriarchat von Moskau, was die orthodoxe Kirche betrifft, und mit der ukrainischen katholischen Kirche verbunden sind, deren volle Gemeinschaft mit dem Bischofssitz von Rom in Brest erneuert worden ist.
III. GLAUBE UND KULTUR
5. Die Taufe der Rus' von Kiew bezeichnet also den Anfang einer langen geschichtlichen Entwicklung, in der sich das ursprüngliche byzantinisch-slawische Profil des Christentums im Leben der Kirche, der Gesellschaft und all jener Nationen weiterentfaltet und verbreitet, welche in ihm die Jahrhunderte hindurch und auch heute das Fundament ihrer eigenen geistigen Identität finden.
Als im Verlauf der Geschichte stürmische Ereignisse diese Identität wiederholt tief getroffen haben, wurden gerade die Taufe' und die christliche Kultur - empfangen von der Universalkirche und auf der Grundlage der eigenen geistigen Reichtümer weiterentwickelt - die Kräfte, die über ihr Fortbestehen entschieden haben.
Wladimir empfing die Taufe, indem er sich zusammen mit seinem Volk der erlösenden Macht Christi öffnete gemäß den Worten des Petrus, die in der Apostelgeschichte von ihm berichtet werden: »In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name runter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen« (4, 12). Als er diesen Namen annahm, der »größer ist als alle Namen«, und die Missionare der Kirche einlud, diesen Namen in das Herz der Slawen der Rus' von Kiew einzusenken, damit »jeder Mund bekennt: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters« (Phil 2, 9. 11), sah er darin auch ein entscheidendes Element für jenen zivilen und menschlichen Fortschritt, der für die Existenz und die Entwicklung jeder Nation und jedes Staates von sehr großer Bedeutung ist. Darum griff er eine Entscheidung seiner Großmutter, der heiligen Olga, wieder auf und gab ihrem Werk eine endgültige und feste Form.
Die Taufe von Wladimir dem Großen und danach des von ihm beherrschten Landes war von großer Bedeutung für die gesamte geistige Entwicklung dieses Teils von Europa und der Kirche wie auch für die ganze byzantinisch-slawische Kultur und Zivilisation.
Die Annahme des Evangeliums besagt nicht nur die Einführung eines neuen und kostbaren Elements in die Struktur jener konkreten Kultur; sie war vielmehr die Aussaat eines Samens, der dazu bestimmt war, zu keimen und sich auf der Erde zu entfalten, in die er eingesenkt worden war, und sie nach dem Maß seiner Entwicklung umzuformen, indem er sie befähigte, neue Früchte hervorzubringen. Das ist die Dynamik des Himmelreiches: Es ist mit ihm »wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten« (Mt 13, 31-32).
Auf diese Weise wurde also das geistige Erbe der byzantinischen Kirche, das durch die slawische Sprache als Sprache der Liturgie in die Rus' von Kiew eingeführt worden war, auch selbst immer reicher auf der Grundlage des örtlichen kulturellen Erbes und dank der Kontakte mit den angrenzenden christlichen Ländern und glich sich fortschreitend den Bedürfnissen und der Mentalität der Völker an, die jenes Großfürstentum bewohnten.
6. Der Gebrauch der slawischen Sprache als Mittel für die Weitergabe der Botschaft Christi und für die gegenseitige Verständigung hatte auch positive Auswirkungen auf ihre eigene Verbreitung und Weiterentwicklung. Sie erhielt von daher den Anstoß für eine Umwandlung von innen heraus und für eine fortschreitende Vervollkommnung, indem sie Schriftsprache wurde und somit einer der wichtigsten Faktoren, die in der Lage sind, über die Kultur einer Nation, über ihre Identität und geistige Kraft zu entscheiden. Auf dem Gebiet der Rus' hat sich dieser Prozeß als besonders dauerhaft erwiesen und sehr reiche Früchte hervorgebracht. Das Christentum ist auf diese Weise der Sehnsucht der Menschen nach Wahrheit, nach Wissen und autonomer Entwicklung entgegengekommen auf der Grundlage der Inspiration des Evangeliums und der Dynamik der Offenbarung.
Dank des Erbes von Cyrill und Methodius ist es dort zur Begegnung des Ostens mit dem Westen, zur Begegnung der ererbten Werte mit jenen neuen gekommen. Die Elemente des christlichen Erbes sind in das Leben und in die Kultur jener Nationen eingedrungen. Sie haben die literarische, philosophische, theologische und künstlerische Kreativität angeregt und dadurch eine ganz eigenständige Form der europäischen Kultur, ja der menschlichen Kultur als solcher geschaffen.
Auch heute weckt die universale Dimension der Probleme der einzelnen Menschen und der Gesellschaften, wie sie von der Literatur und der Kunst jener Nationen dargeboten wird, in der Welt eine bleibende Bewunderung. Diese Dimension, die aus der christlichen Lebensauffassung entsteht und daraus erwächst, findet darin einen festen Bezugspunkt für die Art und Weise, über den Menschen, seine Probleme und sein Schicksal zu denken und zu sprechen.
Zu diesem gemeinsamen Erbe, zu diesem gemeinsamen Gut haben die Ostslawen im Lauf der Jahrhunderte ihren eigenen ursprünglichen Beitrag geleistet, besonders was ihr geistliches Leben und ihre Frömmigkeit betrifft. Diesem Beitrag bekundet die Kirche von Rom die gleiche Achtung und Liebe, wie sie sie für das reiche Erbe des ganzen christlichen Ostens hegt. Die Ostslawen haben eine Geschichte, eine Spiritualität, liturgische Traditionen und rechtliche Gewohnheiten geschaffen, die ihrer Eigenart entsprechen, und das im Einklang mit der Tradition der Ostkirchen; ferner auch einige Formen der theologischen Reflexion über die offenbarte Wahrheit, die sich von den im Westen gebräuchlichen unterscheiden, diese aber zugleichergänzen.
7. Diese Tatsache ist vom II. Vatikanischen Konzil aufmerksam beachtet worden. Denn das Dekret über den Ökumenismus sagt unter anderem: »Es darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, dass die Kirchen des Orients von Anfang an einen Schatz besitzen, aus dem die Kirche des Abendlandes in den Dingen der Liturgie, in ihrer geistlichen Tradition und in der rechtlichen Ordnung vielfach geschöpft hat«. <ref>II. VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, 14. </ref> Zur Reflexion anregende Hinweise werden uns auch aus dem geboten, was dasselbe Konzilsdekret über den Reichtum der Liturgie und der geistlichen Tradition der Ostkirche sagt: »Es ist allgemein bekannt, mit welcher Liebe die orientalischen Christen die liturgischen Feiern begehen, besonders die Eucharistiefeier, die Quelle des Lebens der Kirche und das Unterpfand der kommenden Herrlichkeit, bei der die Gläubigen, mit ihrem Bischof geeint, Zutritt zu Gott, dem Vater, haben durch den Sohn, das fleischgewordene Wort, der gelitten hat und verherrlicht wurde, in der Ausgießung des Heiligen Geistes, und so die Gemeinschaft mit der allerheiligsten Dreifaltigkeit erlangen, indem sie "der göttlichen Natur teilhaftig" (2 Petr 1, 4) geworden sind. So baut sich auf und wächst durch die Feier der Eucharistie des Herrn in diesen Einzelkirchen die Kirche Gottes, und durch die Konzelebration wird ihre Gemeinschaft offenbar«. <ref>Ebd., 15. </ref>
Ferner sind die theologischen Traditionen der Christen des Ostens »in ganz besonderer Weise in der Heiligen Schrift verwurzelt« und »werden durch das liturgische Leben gefördert und zur Darstellung gebracht, genährt von der lebendigen apostolischen Tradition und von den Schriften der Väter und geistlichen Schriftsteller des Orients« und führen hin »zur rechten Gestaltung des Lebens, überhaupt zur vollständigen Betrachtung der christlichen Wahrheit«.<ref>Ebd., 17. </ref>
Die Spiritualität der Ostslawen, die ein besonderes Zeugnis für die Fruchtbarkeit der Begegnung des menschlichen Geistes mit den christlichen Mysterien ist, übt weiterhin einen heilsamen Einfluss auf das Bewusstsein der ganzen Kirche aus. Besonders erwähnenswert ist die für sie charakteristische Verehrung für das Leiden Christi, die Empfänglichkeit für das Geheimnis des Leidens, verbunden mit der erlösenden Wirkkraft des Kreuzes. Vielleicht war für die Verbreitung dieser Spiritualität nicht ganz unbedeutend die Erinnerung an den unschuldigen Tod von Boris und Gleb, den Kindern Wladimirs, die von ihrem Bruder Svjatopolk getötet worden sind. <ref>Vgl. Acta Sanctorum, unter dem 2. September (Venedig 1756) 633-644. </ref>
Diese Spiritualität findet ihren vollkommensten Ausdruck im Lobpreis unseres »gütigen« (sladcajsi) Herrn Jesus Christus im Geheimnis des Leidens und der »kenosis«, die er in seiner Menschwerdung und in seinem Tod am Kreuz vollzogen hat (vgl. Phil 2, 5-8). Gleichzeitig wird sie aber in der Liturgie auch vom Licht des auferstandenen Christus erhellt, das in gewissem Maße vom Glanz der Verklärung auf dem Berg Tabor vorausgenommen wird, in der Herrlichkeit des Auferstehungstages (voskresienie) voll hervortritt und vom Heiligen Geist zu Pfingsten in Form von feurigen Zungen über den Aposteln der Welt offenbart wird. An dieser Erfahrung erhalten fortwährend diejenigen Anteil, die die Taufe empfangen. Wie könnten wir in diesem Zusammenhang nicht auf die Christen hinweisen, die in all jenen Gebieten leben und gelebt haben und im Tod und in der Auferstehung Christi im Laufe dieses Jahrtausends oft Kraft und Stütze gefunden haben, um ihre Treue zum Evangelium nicht nur mit einer kohärenten täglichen Lebensführung, sondern auch mit mutig ertragenen Leiden nicht selten bis zur äußersten Probe des Blutvergießens zu bezeugen? Diese Form der »kenosis« Christi in der Sicht der Kirche von Kiew hat sich dem Herzen der Ostslawen tief eingeprägt; sie war und ist für sie Quelle großer Kraft in den vielfältigen Widerwärtigkeiten, denen sie auf ihrem Weg begegnet sind.
8. Im Werk der Festigung der Kirche und der »Inkulturation« des Christentums unter den Ostslawen - wie übrigens in der ganzen Ostkirche - ist der Einfluss des monastischen Lebens unermesslich gewesen. Kiew hat sich relativ früh durch die berühmte »Pecerskaja Lavra« (Kloster der Grotten) ausgezeichnet, die von den heiligen Antonius († 1073) und Theodosius († 1074) gegründet worden ist.
Es ist also kein Zufall, dass der Mönch, vor allem der sogenannte »starec« (Ältester), sowohl von den großen Schriftstellern als auch von den einfachen Leuten als geistlicher Führer angesehen worden ist. Die Klöster wurden Zentren des liturgischen, geistlichen, sozialen und sogar wirtschaftlichen Lebens. Die Herrscher wandten sich an die Mönche als Ratgeber, Richter, Diplomaten und Lehrmeister.
Die Worte »Kult« und »Kultur« haben die gleiche Wurzel. Der christliche Kult hat auch bei den Ostslawen eine außergewöhnliche Entwicklung der Kultur in allen ihren Formen bewirkt. Die religiöse Kunst ist von tiefer Spiritualität und hoher mystischer Inspiration durchdrungen. Wer in der Welt kennt nicht heute die berühmten und verehrten Ikonen der Ostkirchen, die herrlichen Kathedralen der hl. Sophia von Kiew und von Nowgorod aus dem 11. Jahrhundert, die Kirchen und Klöster, die für die Landschaft jener Länder so charakteristisch sind? Die Literatur von Kiew ist zum größten Teil religiöser Art. Die neuen Hymnen und kirchlichen Gesänge sind fast ein Ausfluss der heimatlichen Formen der musikalischen Tradition. Noch darf vergessen werden, dass die ersten Schulen in der Rus' genau im 11. Jahrhundert entstanden sind. Dies alles, wenn es hier auch nur kurz erwähnt werden kann, stellt ein unauslöschbares Zeugnis für die außerordentliche religiöse und kulturelle Blüte dar, die von der Taufe der Rus' von Kiew ausgegangen ist.
Wie zutreffend erscheint also die Bemerkung des II. Vatikanischen Konzils: »Die Kirche entzieht ... nichts dem zeitlichen Wohl irgendeines Volkes. Vielmehr fördert und übernimmt sie Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker, soweit sie gut sind; zugleich reinigt, kräftigt und hebt sie diese«. <ref>II, VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, 13. </ref>
IV. AUF DIE VOLLE GEMEINSCHAFT HIN
9. Die Taufe der Rus' vollzog sich - wie ich unterstrichen habe - zu einer Zeit, in der sich schon die beiden Formen des Christentums entwickelt hatten: die östliche, verbunden mit Byzanz, und die westliche, verbunden mit Rom, während die Kirche weiterhin einig und ungeteilt blieb. Diese Überlegung entzündet in uns, die wir das Jahrtausend der von den ostslawischen Völkern von Kiew empfangenen Taufe feiern, nur noch mehr den Wunsch nach der vollen Einheit in Christus dieser Schwesterkirchen und drängt uns, neue Anstrengungen und Schritte zu unternehmen, um diese zu fördern. Dieser Jahrestag ist nicht nur eine geschichtliche Erinnerung und eine Gelegenheit, um wissenschaftliche Arbeiten und Wertungen zu erstellen, sondern ist auch und vor allem eine Einladung, unsere pastorale und ökumenische Aufmerksamkeit von der Vergangenheit auf die Zukunft zu lenken, unsere Sehnsucht nach der Einheit zu vertiefen und unser Gebet dafür zu verstärken.
In der Tat, beide Kirchen, die katholische und die orthodoxe, die heute mehr denn je entschlossen sind, trotz der durch jahrhundertelange Missverständnisse entstandenen Schwierigkeiten die Einheit um den eucharistischen Tisch wiederzufinden, schauen mit besonderer Aufmerksamkeit und Hoffnung bei dieser Jahrtausendfeier auf alle geistlichen Söhne und Töchter des heiligen Wladimir.
Auf der anderen Seite kann sich eine schrittweise Rückkehr zur Eintracht zwischen Rom und Konstantinopel wie auch zwischen den Kirchen, die in voller Gemeinschaft mit diesen Zentren bleiben wie könnten wir hier nicht an die vielen bilateralen Begegnungen denken, die wegen des intensiven Austausches der jeweiligen von den verschiedenen fruchtbaren Traditionen genährten geistigen Güter so reich an Anregungen waren? - besonders heute nur positiv auf die orthodoxen und katholischen Erben der Taufe von Kiew auswirken. Vielleicht wird die Erinnerung an dieses Ereignis, das am Anfang ihres neuen Lebens im Heiligen Geist steht, dazu beitragen, mit Gottes Hilfe die Stunde ihrer vollen Versöhnung zu beschleunigen, die Stunde des »Friedenskusses«, gegenseitig ausgetauscht als Frucht einer reifen Entscheidung, die in Freiheit und mit gutem Willen dem ursprünglichen Geist entspringt, der die noch ungeteilte und vom christlichen Genius der heiligen Cyrill und Methodius gekennzeichnete Kirche beseelt hat. Welch einen Nutzen würde es für das ganze Volk Gottes bedeuten, wenn die orthodoxen und katholischen Erben der Taufe von Kiew, tief bewegt von einem erneuerten Bewusstsein ihrer anfänglichen Gemeinschaft, die darin liegende Herausforderung aufzugreifen verständen und den Christen unserer Zeit die sich daraus ergebende ökumenische Botschaft neu in Erinnerung zu bringen wüßten, indem sie diese dazu antreiben, die Schritte auf das Ziel der von Christus gewollten vollen Einheit zu beschleunigen! Dies würde vor allem auch einen günstigen Einfluss auf jenen Entspannungsprozeß im zivilen Bereich ausüben, der in allen, die für ein friedliches Zusammenleben in der Welt arbeiten, so viele Hoffnungen weckt.
10. Die universale und die partikulare Dimension stellen im Leben der Kirche zwei gleich wesentliche Quellen dar: die Gemeinschaft und die Verschiedenheit, die Tradition und die neuen Zeiten, die alten christlichen Länder und die neuen Völker, die zum Glauben gelangen. Die Kirche hat es verstanden, geeint und zugleich differenziert zu sein. Während sie die Einheit als erstes Prinzip annahm (vgl. Joh 17, 21 f.), blieb sie zugleich vielförmig in den einzelnen Teilen der Welt. Dies gilt in besonderer Weise für die abendländische und die orientalische Kirche vor ihrer gegenseitigen Entfremdung. Zu jener Periode bemerkt das II. Vatikanische Konzil: »Die Kirchen des Orients und des Abendlandes sind Jahrhunderte hindurch je ihren besonderen Weg gegangen, jedoch miteinander verbunden in brüderlicher Gemeinschaft des Glaubens und des sakramentalen Lebens, wobei dem Römischen Stuhl mit allgemeiner Zustimmung eine Führungsrolle zukam, wenn Streitigkeiten über Glaube oder Disziplin unter ihnen entstanden« <ref>II. VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, 14. </ref>
Und auch als die volle Gemeinschaft unterbrochen wurde, bewahrten beide Kirchen grundsätzlich unversehrt den Schatz des apostolischen Glaubens. Die Universalität und die Vielförmigkeit ,haben trotz der bestehenden Spannungen nicht aufgehört, sich gegenseitig unschätzbar reich zu beschenken.
Im Bewusstsein dieser Tatsache hat das II. Vatikanische Konzil auf dem Gebiet des Ökumenismus eine neue Phase eingeleitet, die verheißungsvolle Früchte hervorbringt. Das Konzilsdekret über den Ökumenismus, schon mehrere Male hier zitiert, ist Ausdruck der Wertschätzung und der Liebe, die die katholische Kirche für das reiche Erbe des christlichen Orients hegt, dessen Originalität, Verschiedenheit,und zugleich Legitimität es herausstellt. Es sagt unter anderem: »Schon von den ältesten Zeiten her hatten die Kirchen des Orients ihre eigenen Kirchenordnungen, die von den heiligen Vätern und Synoden, auch von ökumenischen, sanktioniert worden sind. Da nun eine gewisse Verschiedenheit der Sitten und Gebräuche, wie sie oben erwähnt wurde, nicht im geringsten der Einheit der Kirche entgegensteht,. sondern vielmehr ihre Zierde und Schönheit vermehrt und zur Erfüllung ihrer Sendung nicht wenig beiträgt, so erklärt das Heilige Konzil feierlich, um jeden Zweifel auszuschließen, dass die Kirchen des Orients, im Bewusstsein der notwendigen Einheit der ganzen Kirche, die Befugnis haben, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren, wie sie der Geistesart ihrer Gläubigen am meisten entsprechen und dem Heil der Seelen am besten dienlich sind«. <ref>Ebd., 16. </ref>
Aus dem Dekret ergibt sich deutlich die charakteristische Autonomie in der Disziplin, der sich die orientalischen Kirchen erfreuen: Sie ist nicht Folge von Privilegien, die die Kirche von Rom ihnen gewährt hätte, sondern des Grundgesetzes selbst, das diese Kirchen seit den apostolischen Zeiten besitzen.
11. In dieser Stunde des Dialogs, der sich zwischen den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften anläßlich der Jahrtausendfeier der Taufe der Rus' entfaltet und ständig voranschreitet ein Vorgang, der uns mit großer Sehnsucht an die ungeteilte Kirche, die alle Ortskirchen des Ostens und des Westens umfaßt, denken läßt wie auch an das innige Gebet des Herrn für die Einheit aller Christen im Abendmahlssaal (vgl. Joh 17, 20 ff.) -, müssen wir uns bewußtmachen, dass die volle Gemeinschaft ein Geschenk ist und nicht allein Frucht rein menschlicher Anstrengungen und Wünsche sein wird, auch wenn diese unersetzlich sind und vieles beeinflussen.
Die Sünde ist durch den Menschen in die Welt gekommen, aber »die Gnade Gottes und die Gabe, die durch die Gnadentat des einen Menschen Jesus Christus bewirkt worden ist, (ist) den vielen reichlich zuteil geworden« (vgl. Röm 5, 12. 15). Das treue Verharren »in der Lehre der Apostel und in der brüderlichen Einheit, im Brechen des Brotes und in den Gebeten« (Apg 2, 42) ist ein Geschenk Gottes, weil es eine neue Seinsweise des Menschen darstellt. Es ist ein volles »Zusammensein« in der Heiligsten Dreifaltigkeit. Die erste Quelle solcher Gemeinschaft ist die Taufgnade: Durch die Taufe treten wir in die Gemeinschaft der Kirche ein, die über die ganze Welt ausgebreitat ist, in die von Christus gewollte und begründete Einheit, die im wesentlichen, trotz der Unterschiede und Schwierigkeiten, im Laufe der ersten zehn Jahrhunderte bestanden hat, in jene Einheit also, von der uns heute die Taufe der Rus' spricht. Mögen alle Christen zu ihr zurückkehren und eine Gemeinschaft von Menschen werden, die den Reichtum ihrer vollen Einheit mit Christus allen Gliedern der ganzen Menschheit anbieten. Dies erbitten wir vom Heiligen Geist, dem Spender der unzähligen Gaben, dank derer die Einzelpersonen und die menschlichen Gemeinschaften in Einheit mit Christus treten. In Ihm und durch den Heiligen Geist erreicht das Leben der Kirche eine unerwartete Tiefe und Dimension. Das Hören und Erleben der Gegenwart des Tröster-Geistes und seiner Gaben ist besonders charakteristisch für die ostkirchliche Tradition, deren tiefe pneumatologische Lehre einen kostbaren Reichtum für die ganze Kirche darstellt. In diesem Licht sehen wir die vielfältigen, unterschiedlichen und fruchtbaren Kontakte sich entfalten, in denen sich in dieser nachkonziliaren Zeit unser gemeinsames Bemühen tätigen Gehorsams gegenüber dem Willen Gottes ausdrückt, den wir aus seinem Geist vernehmen. Die reiche Erfahrung vollkommener Einheit, wie sie im ersten Jahrtausend gelebt, aber während so vieler Jahrhunderte von beiden Seiten vergessen wurde, soll für uns und unsere ökumenischen Anstrengungen ein Licht, eine Ermutigung und ein ständiger Bezugspunkt sein.
V. DIE EINHEIT DER KIRCHE UND DIE EINHEIT DES EUROPÄISCHEN KONTINENTS
12. Auf dem Weg der Ökumene richtet die katholische Kirche den Blick auf die Mission der heiligen Brüder von Thessalonich, wie ich im Rundschreiben Slavorum Apostoli gesagt habe. Ihre Mission zeichnet sich durch eine besondere »ökumenische Weitsicht« aus, obgleich beide in der Epoche gewirkt haben, da die Christenheit noch geeint war. Ihre Missionstätigkeit begann im Osten; aber deren Fortschritte erlaubten es ihnen, auch die Verbindung und Einheit mit Rom, mit dem Sitz des Petrus, hervorzuheben. Ihre apostolische Sicht kirchlicher Koinonia wird heute immer tiefer verstanden, in dieser Zeit wachsender Sehnsucht nach der Einheit aller Christen und nach ökumenischem Dialog. Sie haben geahnt, dass die neuen Kirchen - angesichts von immer deutlicher hervortretenden Unterschieden und Auseinandersetzungen - die volle und sichtbare Einheit der einen Kirche Christi bewahren und stärken müssen. Entstanden sind sie ja auf dem Boden der Eigenheit der verschiedenen Völker und ihrer entsprechenden kulturellen Bereiche; gleichzeitig aber mussten sie die wesentliche Einheit nach dem Willen des göttlichen Stifters untereinander bewahren. Darum sollte diese Kirche, die aus der Missionstätigkeit der heiligen Cyrill und Methodius hervorgegangen ist, ein besonderes Siegel jener ökumenischen Berufung in sich tragen, die die beiden heiligen Brüder in so tiefer Weise gelebt hatten. Aus demselben Geist ging auch, wie schon gesagt, die Kirche von Kiew hervor.
Gegen Anfang meines Pontifikats im Jahre 1980 hatte ich die Freude, die heiligen Cyrill und Methodius neben dem heiligen Benedikt zu Patronen Europas zu erklären.
Europa ist in seinen Wurzeln christlich. Die beiden Formen der großen Tradition der Kirche, die westliche und die östliche, diese beiden Kulturformen also, gehören zusammen wie die beiden »Lungen« eines Organismus. <ref>Vgl. Enzyklika Redemptoris Mater, 34: AAS 79 (1987) 406. </ref> Das ist die klare Aussage ihrer Geschichte. Das ist das Erbe der Völker, die auf unserem Kontinent leben. Man könnte sagen, dass die beiden Ströme, der östliche und der westliche, gleichzeitig die ersten bedeutenden Formen einer Inkulturation des Glaubens geworden sind, in deren Bereich die eine und ungeteilte Fülle, die der Kirche von Christus anvertraut ist, ihren geschichtlichen Ausdruck gefunden hat. In den verschiedenen Kulturen der europäischen Nationen des Ostens wie des Westens, in Musik und Literatur, in den bildenden Künsten und der Architektur wie auch in den Denkformen, strömt ein gemeinsamer Lebenssaft, der aus einer einzigen Quelle geschöpft ist.
13. Zugleich aber wird dieses Erbe im gegenwärtigen Abschnitt des 20. Jahrhunderts eine besonders dringende Herausforderung, um die Einheit der Christen zu erreichen. Eine aufrichtige Sehnsucht nach Einheit lebt heute in den Seelen als Voraussetzung für jenes friedliche Zusammenleben unter den Völkern, in dem das Wohl aller liegt. Es ist eine Sehnsucht, die das Gewissen aller bewegt und Politik und Wirtschaft durchdringt. Die Christen müssen sich der religiösen und moralischen Wurzeln einer solchen Herausforderung bewußt sein: Christus »ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder« (Eph 2, 14). »Gott ... hat uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen« (2 Kor 5, 18). Diese Wirklichkeit, dieses Werk Christi hat heute seine besondere Bedeutung für die lebendige Sehnsucht der Menschheit nach Einheit und weltweiter Brüderlichkeit. Der Wunsch nach Einheit und Frieden, nach Überwindung der verschiedenen Barrieren und nach Ausgleich der Kontraste - wie auch der Appell selbst, den die Vergangenheit Europas an uns richtet - wird ein bewegendes Zeichen unserer Zeit.
Es gibt keinen echten Frieden, wenn nicht auf der Grundlage eines Einigungsprozesses, in welchem jedes Volk in Freiheit und Wahrheit die Wege der eigenen Entwicklung selbst wählen kann. Andererseits ist ein solcher Prozeß nicht möglich, wenn kein Einklang über die ursprüngliche und grundlegende Einheit besteht, die sich in verschiedenen, nicht gegensätzlichen, sondern sich ergänzenden Formen zeigt, die einander brauchen und sich gegenseitig suchen. Wir sind deshalb zutiefst davon überzeugt, dass der Weg zu einem wahren Frieden in Geist, Herz und Gewissen der Menschen auf unvergleichliche Weise durch die Gegenwart und den Dienst jenes Friedenszeichens geebnet werden kann, das die Kirche ihrer Natur nach ist, wenn sie Christus gehorsam und ihrer Berufung treu bleibt.
Wir bekunden volles Vertrauen in alle menschlichen Anstrengungen, die darauf abzielen, Anlässe für Spannungen und Konflikte auf dem friedlichen Weg des geduldigen Dialogs, der Übereinkünfte, des gegenseitigen Verständnisses und der Achtung zu beseitigen. Eine besondere Sorge für den Frieden auf der ganzen Welt ist die Berufung Europas, das aus christlichen Fundamenten hervorgegangen ist. In vielen Gebieten der Welt herrscht kein Friede oder ist er äußerst bedroht. Eine beständige und einträchtige Zusammenarbeit des europäischen Kontinents mit allen Nationen zugunsten des Friedens und des Gemeinwohls, auf das jeder Mensch und jede menschliche Gemeinschaft ein heiliges Recht haben, ist daher notwendig.
VI. IN DER FREUDE DER JAHRTAUSENDFEIER MIT MARIA, DER MUTTER JESU, VEREINT
14. Die Ereignisse und Geheimnisse, die wir in diesem Brief kurz in Erinnerung gebracht, im Licht der Hinweise des II. Vatikanischen Konzils und im Blick auf die Geschichte des Millenniums betrachtet und meditiert haben, werden für uns eine Quelle der Freude und des Trostes im Heiligen Geist.
Wenn man die Bedeutung der Taufe der Rus' von Kiew in der Geschichte der Evangelisation und der menschlichen Kultur berücksichtigt, ist gut zu verstehen, dass ich die Aufmerksamkeit der gesamten katholischen Kirche darauf lenken wollte, indem ich alle Gläubigen zu gemeinsamem Gebet einlade. Die Kirche von Rom, errichtet auf dem Fundament des apostolischen Glaubens von Petrus und Paulus, freut sich über diese Jahrtausendfeier und über alle Früchte, welche die Generationen hindurch herangereift sind: Früchte des Glaubens und des Lebens, der Einheit und des Zeugnisses bis zur Verfolgung und zum Martyrium, wie Christus selbst es angekündigt hat. Unsere geistige Teilnahme an den Feierlichkeiten zum Millennium bezieht sich auf das ganze Volk Gottes: auf die Gläubigen und Hirten, die auf jenem vor tausend Jahren durch das Bad der Taufe geheiligten Boden leben und wirken. In dieser Festesfreude vereinen wir uns dann aber auch mit all jenen, die in der Taufe, die sie von ihren Vorfahren empfangen haben, die Quelle der eigenen religiösen, kulturellen und nationalen Identität erkennen; wir vereinen uns mit allen Erben dieser Taufe, unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis, ihrer Nationalität und ihres Wohnortes; mit allen orthodoxen und katholischen Brüdern und Schwestern. Besonders vereinen wir uns mit allen geliebten Söhnen und Töchtern der russischen, ukrainischen und weißrussischen Nation; mit jenen, die in ihrem Vaterland, wie auch mit jenen, die in Amerika, in Westeuropa und in anderen Teilen der Welt leben.
15. Gewiss ist dies in besonderer Weise das Fest der russisch-orthodoxen Kirche, die ihr Zentrum in Moskau hat und die wir mit Freude »Schwesterkirche« nennen. Gerade sie hat einen Großteil des Erbes der alten christlichen Rus' übernommen, indem sie sich der Kirche von Konstantinopel verband und dieser treu blieb. Diese Kirche hat wie die anderen orthodoxen Kirchen wahre Sakramente, vor allem - kraft apostolischer Sukzession - die Eucharistie und das Priesteramt, durch die sie ganz eng mit der katholischen Kirche verbunden bleibt. <ref>II. VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, 15. </ref> Zusammen mit den erwähnten Kirchen bemüht sie sich sehr, »jene brüderlichen Bande der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe zu bewahren, die zwischen Lokalkirchen als Schwesterkirchen bestehen müssen«. <ref>Ebd., 14. </ref>
Die katholische Glaubensgemeinschaft nimmt in diesem feierlichen geschichtlichen Augenblick an Gebet und Betrachtung der »Großtaten Gottes« (vgl. Apg 2, 11) teil und sendet der tausendjährigen Schwesterkirche durch den Bischof von Rom den Friedensgruß als Ausdruck des innigen Wunsches nach jener vollkommenen Gemeinschaft, die von Christus gewollt und der Natur der Kirche eingeschrieben ist.
Die Jahrtausendfeier aller Erben der Taufe des Wladimir und unsere Teilnahme an ihrer Freude und ihrem Dank, die einem Herzensbedürfnis entspringt, werden allen - das ist unsere tiefe Überzeugung - ein neues Licht bringen, das die Finsternisse der vergangenen schwierigen Jahrhunderte zu durchdringen vermag: jenes Licht selbst, das immer neu aus dem österlichen Geheimnis, aus dem Ostermorgen und dem Pfingsttag, hervorbricht.
16. Ein besonderer Ausdruck unserer Einheit und Teilnahme an der Jahrtausendfeier der Rus' wie auch des innigen Wunsches, zur ganzen und vollkommenen Gemeinschaft mit den orientalischen Schwesterkirchen zu gelangen, ist gerade auch in der Verkündung des Marianischen Jahres gegeben, wie in der Enzyklika Redemptoris Mater ausdrücklich gesagt wird: »Auch wenn wir noch immer die schmerzliche Auswirkung der Trennung erfahren, die wenige Jahrzehnte später erfolgte ..., können wir doch sagen, dass wir uns vor der Mutter Christi als wahre Brüder und Schwestern innerhalb jenes messianischen Volkes fühlen, das dazu berufen ist, eine einzige Gottesfamilie auf der Erde zu sein«. <ref>Enzyklika Redemptoris Mater, 50: AAS 79 (1987) 429. </ref>
Das menschgewordene göttliche Wort, das Maria geboren hat, bleibt für immer in ihrem Herzen, wie die berühmte Ikone Znamenie zeigt, welche die betende Jungfrau mit dem göttlichen Wort auf dem Herzen darstellt. Das Gebet Marias schöpft in besonderer Weise aus der Macht Gottes: Es ist eine Hilfe und eine Kraft höherer Ordnung für das Heil der Christen. »Warum also nicht alle zusammen auf sie als unsere gemeinsame Mutter schauen, die für die Einheit der Gottesfamilie betet und die allen "vorangeht" an der Spitze des langen Zuges von Zeugen für den Glauben an den einen Herrn, der Sohn Gottes ist und durch den Heiligen Geist in ihrem jungfräulichen Schoß empfangen wurde?«. <ref>Ebd., 30: AAS 79 (1987) 402.</ref>
Unseren Brüdern und Schwestern im Glauben wünschen wir, dass das tausendjährige Erbe des Evangeliums, des Kreuzes, der Auferstehung und des Pfingstgeistes nicht aufhöre, »Weg, Wahrheit und Leben« (vgl. Joh 14, 6) für alle künftigen Generationen zu sein. Richten wir hierfür unser Gebet mit ganzem Herzen an die Heiligste Dreifaltigkeit, an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Amen.
dem Fest der Bekehrung des hl. Apostels Paulus, des Jahres 1988,
Anmerkungen
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