Infinita Dei misericordia (Wortlaut)

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Infinita Dei misericordia

Pius Bischof
Knecht der Knechte Gottes
des allgemeinen Jubiläums des Heiligen Jahres 1925
29. Mai 1924

(Offizieller lateinischer Text: AAS XVI [1924] 209-215)

(Quelle: Pius XI., Sendschreiben zum Heiligen Jahr 1925, Lateinischer und deutscher Text, in Fraktur abgedruckt, S. 6-21; Autorisierte Ausgabe, Herder & Co. G.m.b.H. Verlagsbuchhandlung Freiburg im Breisgau 1925)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Allen Christgläubigen

die das vorliegende Schreiben lesen,

Gruß und Apostolischen Segen!

Nach dem Beispiel von Gottes grenzenloser Barmherzigkeit lockt und ruft die Kirche, unermüdlich in der Umschau nach außergewöhnlichen Mitteln und Wegen, zur Sühne der Sünden und zur Besserung des Lebens. Ihr Streben gilt den Menschen, die ach so gerne aus einer dem katholischen Glauben entfremdeten Willensrichtung heraus oder infolge träger Gleichgültigkeit die gebräulichen Heilmittel ungenützt lassen. Solche quält kein Gedanke daran, dass man vor dem rächenden Gott in Strafen falle für die Vergehen, geschweige denn, dass sie nachdrücklich und wirksam darüber nachsännen. Wahrlich, eine außerordentliche Hilfe dieser Art zur Erneuerung der Seelen bringt euch, geliebte Söhne, zur guten Stunde das große Jubiläum, das nach der Sitte und Einrichtung der Vorfahren nächstes Jahr im erhabenen Rom gefeiert wird. Man nennt es, wie euch bekannt, gewöhnlich auch das Heilige Jahr. Mit Recht. Wird es doch mit heiligen Feierlichkeiten eingeleitet, fortgeführt und geschlossen, während es anderseits in höchsten Grade zur Förderung eines heiligen Wandels geeignet erscheint.

Wenn je einmal, so müssen Wir gerade heute mit jenem Pauluswort euch ermahnen: "Siehe, nun ist die rechte Zeit, nun ist der Tag des Heiles" (2 Kor 6,2; vgl. Jes 49, 8). Nein ihr könntet keine günstigere, gelegenere Zeit ausfindig machen, allen die Schätze der Versöhnungsgnade zu erschließen. Kein Zweifel: die Kirche handelt unter göttlichem Antrieb, wenn wenn sie dieses Sühnejahr in bestimmtem Abstand dem Reigen der Jahre einfügt. Wie sie andere religiöse Gebräuche - freilich mit viel umfassenderer Bedeutung und Wirksamkeit - aus dem Alten Bunde ersprießlich übernahm, so führte sie auch diesen in Anlehnung an das jüdische Jubeljahr in die christlichen Gepflogenheiten ein. Wollten denn mit den überreichen Segnungen, so den Hebräern in jedem fünfzigsten Jahre aus jener göttlichen Einrichtung zuflossen, nicht die Gnadenschätze im Sinnbild vorverkündet werden, die Wir während des Heiligen Jahres den Gläubigen bereitstellen? Hier wie dort ist der Grundzug ein ähnlicher. Aber Unsere Gnadenschätze überstrahlen jene altestamentlichen Segnungen so sehr, wie die geistlichen Gaben im Vorrang sind gegenüber den irdischen Gütern. Die Hebräer erlangten durch das Jubeljahr den in fremde Hände übergegangenen Grundbesitz wieder und kehrten "zu ihrem Eigentum" zurück; die in Dienstbarkeit Geratenen begaben sich als Freie "zu ihrer früheren Familie" heim und den Schuldnern ward die Schuld erlassen. Dies alles bringt und bewirkt auch bei uns, aber in höherem Sinne, das Sühnejahr. Denn wer im Verlauf des großen Jubiläums reumütig die heilsamen Anordnungen des Apostolischen Stuhles befolgt, der empfängt die Fülle der Verdienste und Gnaden, die er durch Sündigen verlor, vollständig zurück; er entwindet sich der drückenden Herrschaft Satans und erlangt die Freiheit wieder, "mit der uns Christus befreit hat" (Gal 4, 31). ihm werden endlich alle Strafen, die er für Schuld und Fehler hätte abbüßen müssen, durch die überfließenden Verdienste Jesu Christi, der seligen Jungfrau Maria und der heiligen völlig getilgt.

Allein nicht bloß die Aussöhnung der einzelnen mit Gott und deren Heilung von ihren Seelenkrankheiten bezweckt die auf das ganze Jahr ausgedehnte Feier des großen Jubiläums. Vielmehr wird in dieser "gnadenreichen Zeit" (2 Kor 6,2; vgl. Jes 49, 8) neben dem Besuch der heiligen Orte und den vermehrten Übungen privater und öffentlicher Frömmigkeit die Hilfe reichster Himmelsgnaden recht wertvoll sein, die Herzen allgemein zu einem höheren Grade der Heiligkeit anzueifern und die menschliche Gesellschaft wieder aufzubauen. Wie gesetzlose Ungebundenheit im einzelnen in allgemeinen Schaden ausläuft, so muss die Hinwendung der einzelnen zur Bewährung im Guten und ihr Streben nach einer heiligeren Lebenshaltung zur Besserung der menschlichen Gesellschaft selbst und zu engerer Gemeinschaft mit Jesus Christus führen. Dass doch dies Zeitereignis eine solche Besserung angesichts des gegenwärtigen Standes der Dinge beschleunigt herbeiführe! Es ist wahr: die katholische Sache hat in jüngerer Zeit keine geringen Wachstumserscheinungen zu verzeichnen. Helle Mengen, die es lang und reichlich an sich verspürt haben, wie eitel die Hoffnung auf eine bessere Lage ist und wie ruhelos die Seele in der Gottesferne lebt, dürften allen Anschein nach brennenden nach der Religion. Dennoch tut es not, dass die zügellosen, unmenschlichen Leidenschaften sowohl bei den Volksgenossen wie unter den Nationen dem Gesetze des Evangeliums gemäß in ��Schranken gehalten und die Menschen unter sich in göttlicher Liebe verbunden werden. Wenn nicht eine Liebe solcher Art, die anlässlich des letzten Krieges allzu lang eingeschlummert, ja gestorben war, wieder der Anteil der Bürger und zur geistigen Grundlage für die Maßnahmen der Regierenden wird, dann ist wahrlich schwer einzusehen, auf welchem Wege das brüderliche Band der Völker und der bleibende Friede sich wieder herstellen lassen. Wie viel in der Tat zu dieser Befriedigung der einzelnen und der Staaten das Heilige Jahr vermag und wie viele Vorteile es bietet, braucht man kaum zu berühren und zu erklären. Was fördert die gegenseitige Verknüpfung der einzelnen und der Völker mehr, als dass Pilger in Riesenzahl aus allen Richtungen nach Rom, dem zweiten Vaterland der katholischen �Völker, zusammenströmen, den gemeinsamen Vater zumal aufsuchen, ein und demselben Glauben vereint bekennen, zur heiligsten Eucharistie, dieser Schöpferin der Einheit, zusammen und unterschiedslos hintreten und jenen Geist der Liebe in sich aufnehmen und vermehren, der das vorzügliche Kennzeichen der Christen ist, wie es auch die heiligen Denkmäler der Stadt Rom in aller Erinnerung mit wundersamer Überzeugungskraft einprägen? In dieser vollkommenen Liebe möchten Wir mit Uns jene Kirchen verbunden wissen, die eine mehrhundertjährige unselige Trennung von der Römischen Kirche fernhält. Nicht willkommeneres und Erfreulicheres könnte Uns zuteil werden, als dass, wo nicht alle, so doch wenigstens viele aus ihrer Mitte zu dem einen Schafstall Christi heimfänden und Wir sie in dieser günstigen Stunde des großen Jubiläums mit ganzer Liebe umfassen und unter Unsere teuersten Kinder einreihen können. Dass solch herrliche, willkommene Früchte aus der Feier des Heiligen Jahres nicht an letzter Stelle ersprießen, darauf bauen Wir mit einiger Hoffnung. Um die Frömmigkeit des Volkes zu mehren und anzufeuern, ferner um eine größere Menge Vorteile zu erlangen, wäre es unter allen Umständen von höchstem Nutzen, wenn sich im Laufe des Jubiläums alles so abwickeln und ordnen ließe, wie es zuvor, in den verflossenen Zeiten, der Fall war. Was anderseits an Wirksamkeit aus der Sach- und Zeitlage heraus den hierzu bestimmten Amtsstellen oder den Entschließungen über Zurüstung und Leitung der zukünftigen Feier irgendwie mangeln mag, das möge, so bitten Wir, der huldvolle Gott aus seiner überquellenden Barmherzigkeit reichlich ergänzen. Das Wir Uns für die katholische Sache und für die Seelen, die Jesu Christi kostbares Blut erlöste, so hohen Gewinn, solch schönen Erfolg mit fester Zuversicht versprechen. flehen Wir zu Gott, dem Vater und Geber aller Güter: "Sei Unserem Beginnen gewogen, lenke den Willen der Menschen zur Reue, locke und leite sie dieser seltenen Gnade zu!" So künden Wir nach dem Beispiel Unserer Vorgänger, der römischen Bischöfe und in Übereinstimmung mit Unseren ehrwürdigen Brüdern, den Kardinälen, durch das gegenwärtige Sendschreiben das allgemeine, große Jubiläum in dieser heiligen Stadt an und veröffentlichen es allem Volke und wollen, dass es als angekündigt und öffentlich bekannt gemacht gelte. Es beginnt mit der ersten Vesper des Weihnachtsfestes 1924 und schließt zur ersten Vesper des Weihnachtsfestes 1925. Wir tun dies im Namen des allmächtigen Gottes, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserem Namen zur Ehre Gottes, zum Heil der Seelen und zum Gedeihen der katholischen Kirche.

Während der Dauer des Heiligen Jahres gewähren Wir, barmherzig im Herrn, vollkommenen Ablass der Sündenstrafen, Nachsicht und Vergebung allen Christgläubigen beiderlei Geschlechtes, die nach rechtmäßiger Beichte und Kommunion die Basiliken der seligen Petrus und Paulus, des heiligen Johannes im Lateran und die von S. Maria Maggiore andächtig besuchen und nach Unserer Meinung beten. Und zwar müssen die Bürger oder Bewohner Roms dies wenigstens einmal täglich tun an zwanzig unmittelbar aufeinanderfolgenden oder auch unterbrochenen Tagen, seien es natürliche oder kirchliche (von der ersten Vesper des einen Tages bis zur vollen Abenddämmerung des folgenden Tages zu rechnen). Für diejenigen, die von auswärts kommen, gilt diese Verpflichtung wenigstens für zehn solche Tage. Welches im ganzen die Mahnung des Römischen Bischofs ist, wisst ihr, geliebte Söhne, wohl. Doch Wir erstreben bei Gelegenheit des großen Jubiläums noch ein Besonderes, das auch ihr mit Uns erflehen sollt: die Wiederherstellung des Friedens unter den Völkern. Wir meinen nicht so fast einen in Urkunden niedergelegten, als vielmehr eien in den Herzen verbrieften. Vielleicht fehlt er heute ein Geringes weniger als zuvor. Aber er erscheint bis zur Stunde doch noch ferner, als Wir und die Allgemeinheit erwartet hatten. Wenn ihr, Einwohner Roms und auswärtige Pilgrime, von Schuld befreit und in Liebe entflammt, um jenes vorzügliche Gut bei den heiligen Apostelstätten innig betet, besteht dann nicht gute Hoffnung, der Friedensfürst Christus, der einst die Fluten des galiläischen Meeres mit einem bloßen Winke glättete, werde doch endlich sich der Seinen erbarmen und die Stürme, von denen Europa ach so lange hin und hergepeischt wird, durch sein Machtwort ebenso beschwichtigen und zur Ruhe bringen? Ferner ist Unser Wille, dass, wer in Rom wohnt oder zum Jubiläum hierbei pilgert, inständig der Barmherzigkeit Gottes ein anderes, zwiefaches Anliegen empfiehlt, das Uns mit herbsten Sorgen un Kümmernissen peinigt und für die Religion von größtem Gewichte ist: nämlich dass alle Nichtkatholiken in der wahren Kirche Christi Zuflucht suchen und dass die Angelegenheiten in Palästina eine solche Regelung finden mögen, wie sie die heiligsten Rechte des katholischen namens verlangen.

Damit aber die Gnade des Jubläumsgewinnes recht reichlich fließe, mildern Wir die obigen Vorschriften für denjenigen, die durch die Krankheit oder sonst einen gültigen Grund in Rom oder auch an der Reise verhindert oder vom Tod inzwischen unversehens ereilt, die vorgeschriebene Zahl von Tagen und Besuchen noch nicht erfüllt, ja nicht einmal angefangen haben, dahin ab, dass diese Personen unter der Voraussetzung ordnungsgemäßiger Lossprechung un Kommunion des Ablasses und der Gnaden des Jubiläums auf gleiche Art teilhaftig sein sollen, wie wenn sie die vier erwähnten Basiliken in Wirklichkeit besucht hätten.

Geliebte Söhne! Es bleibt nur noch übrig, euch alle liebevoll nach Rom kommen zu heißen, damit ihr in den Genuss dieser großen Schätze göttlicher Barmherzigkeit gelanget, deren Gewinn die heilige Mutter Kirche euch ermöglicht. Es stünde euch nicht gut an, darn träge und lässig zu sein, während man, vornehmlich in den gegenwärtigen Zeitläuften, mit solch heftiger Gier, selbst unter Verletzung von Glauben und Gewissenspflicht, dem Erwerb irdischer Reichtümer nachläuft. Weiterhin: erwäget wieder und wieder, wie groß sie früheren Zeiten die Zahl der Pilger aus jedem Stande war, die diese erhabene Stadt im Lauf des Heiligen Jahres trotz langdauernder, mühevoller und meist gefährlicher Reisen aufgesucht haben. Keinerlei Unbequemlichkeiten haben sie fürwahr vom Eifer um das ewige Heil abzuschrecken vermocht. Wenn diese Reise oder der Aufenthalt in Rom Beschwerlichkeit verursacht, so wird ein solches Opfer, in Bußgesinnung ertragen, nicht nur zur reicheren Vergebung verhelfen. Sie wird auch durch viele Tröstungen aller Art aufgewogen. Die Stadt eures Pilgerzieles hat den Erlöser der menschen Jesus Christus zum Mittelpunkt seiner Religion und zum ständigen Sitz seines Stellvertreters auserwählt. Es ist die Stadt, von der euch sichere, reinste Ströme heiliger Lehre und himmlischer Gnade zuquellen. Euer aller gemeinsamer Vater, den ihr liebt wie er euch, betet hier für euch. Hier findet euer frommer Sinn zu den altehrwürdigen Grüften, den Gräbern der Apostelfürsten, den Reliquien der glorreichsten Märtyrer ohne Mühe Zugang. Tempel stehen euch offen, seit vielen Jahrhunderten zur Ehre Gottes und der heiligen Himmelsbewohner errichtet, in ihrer Pracht und Kunst Monumente ständiger Bewunderung für den ganzen Erdkreis in Vergangenheit und Zukunft. Wenn ihr diese Denkmäler christlicher Religion mit frommem Gebet, wie es sich geziemt, besucht habt, kehrt ihr allesamt mit wunderbar erwecktem Glauben und zum Bessern geneigtem Willem in euere heimatlichen Gefilde zurück. Euer Aufenthalt in Rom sei nicht von der Art, die man bei Alltagsreisenden und Fremden antrifft. Ihr sollt alle weltliche Ablenkung meiden, sollt erfüllt sein vom Geist der Buße, vor dem der Naturalismus unserer Tage so sehr zurückschaudert, sollt Bescheidenheit bekunden im Wesen, im Wandel und zu aller erst in der Kleidung; kurz: ihr sollt einzig und allein nach dem Fortschritt des Seelenlebens trachten. Für euere Reise lassen es gewiss euere Bischöfe nicht an liebender Fürsorge fehlen. Entweder werden sie vorangehen und selbst euere Pilgerzüge leiten oder Priester und ehrenwerte Laien an die Spitze stellen, unter deren Führung das Werk möglichst zweckdienlich geregelt und tunlichst gottgefällig vollbracht werden müsse.

Damit aber dieses Unser Sendschreiben leichter zur Kenntnis aller Gläubigen gelange, verfügen Wir, dass seinen Ausfertigungen, auch den gedruckten, sofern sie die Unterschrift eines öffentlichen Notars tragen und mit dem Siegel eines kirchlichen Würdenträgers versehen sind, ganz dieselbe Glaubwürdigkeit beigemessen werde, welche das vorliegende Original fände, wenn es ausgehändigt und vorgezeigt würde.

Niemand darf diese Urkunde Unserer Ankündigung, Veröffentlichung, Gnadenbezeigung und Willenserklärung in ihrer Gültigkeit entkräften oder ihr mit freventlichem Unterfangen sich widersetzen. Sollte sich einer einen solchen Versuch herausnehmen, dann möge er wissen, dass er den Zorn des allmächtigen Gottes und der seligen Apostel Petrus undPaulus auf sich lädt.

Gegeben zu Rom bei St. Peter

am 29. Mai des Jahres 1924 seit der Menschwerdung des Herrn,
im dritten Jahres Unserer Regierung

O. Kard. Cagiano
Kanzler der hl. röm. Kirche

P. Kard. Gasparri
Staatssekretär

Julius Campori
Apostolischer Pronotar

Raphael Virili

Apostolischer Pronotar

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