Catechismus Romanus IV. Teil: Vom Gebet und vom Vaterunser

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Catechismus Romanus
IV. Teil: Vom Gebet und vom Vater unser

(Quelle: Das Religionsbuch der Kirche, Catechismus Romanus gemäß Beschluß des Konzils von Trient für die Seelsorger herausgegeben auf Geheiß des Papstes Pius V.. In deutscher Übersetzung herausgegeben von Dr. Michael Gatterer SJ, zweites Buch – IV Bändchen, übersetzt von Engelbert Maass S.J., Felizian Rauch Verlag Innsbruck-Leipzig 1940 (3. Auflage); Imprimatur Nr. 2417. Apostolische Administratur Innsbruck, 9. Juni 1939 Carl Lampert Provikar.; Als Vorlage zur Übersetzung diente die bei Tauchnitz, Leipzig erschienene Ausgabe des Catechismus Romanus, die genau den Text des in Rom erstmals gedruckten Originals wiedergibt. Die Gliederung in Teile und Kapitel ist ursprünglich und offiziell. Die fetten Nummern geben die Nummerierung wieder, die Andreas Fabricius, Professor der Philosophie in Löwen († 1581) erstmals einführte; sie sind nicht in allen Ausgaben gleich. Die in eckigen Klammern stehenden Zusätze sind von Dr. Michael Gatterer (außer wenn sie innerhalb gewöhnlicher Klammer stehen). Die Anmerkungen wurden bei der Digitalisierung im Text in Klammer, die Stellen der Heiligen Schrift nach den Abkürzungen der Einheitsübersetzung [Anhang] wiedergegeben); siehe: Catechismus Romanus III. Teil: Von den Geboten.

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Vom Gebet

1 Unter den Amtspflichten des Seelsorgers ist kaum eine für das Wohl des gläubigen Volkes so dringend, wie die Unterweisung über das Gebetsleben des Christen. Denn Wesen und Wirksamkeit des Gebetes wird vielen unbekannt bleiben, wenn der Eifer des Hirten nicht ständig und gewissenhaft für Belehrung sorgt. Eine der wichtigsten Sorgen des Pfarrers muss daher sein, die andächtigen Zuhörer gut zu belehren, um was und wie man zu Gott beten soll.

Alle Vorzüge des für uns ganz notwendigen Gebetes enthält aber jene erhabene Formel, die wir der Güte Christi des Herrn verdanken: Er hat sie den Aposteln und durch sie und ihre Nachfolger allen Christgläubigen kundgetan. Ihr Wortlaut und Inhalt muss daher unserm Gedächtnis und Herzen so vertraut sein, dass sie uns immer zur Hand sind.

Um nun dem Seelsorger für den Gebetsunterricht der Gläubigen eine zuverlässige Anleitung zu geben, wird hier das Wichtigste vorgelegt, gesammelt aus den bewährtesten Schriften über diesen Gegenstand. Falls mehr erwünscht wäre, kann der Seelsorger aus jenen Quellen selber schöpfen.

Erstes Kapitel: Notwendigkeit des Gebetes

2 Vor allem muss das Volk über die Notwendigkeit des Gebetes belehrt werden. Das Gebet ist uns nämlich keineswegs als bloßer Rat nahegelegt, sondern als strenge Pflicht vorgeschrieben.

Das lehren klar die Worte Christi, des Herrn: »Man muss beständig beten« (Lk 18, 1). Auch die Kirche betont dieselbe Notwendigkeit in den bekannten Einleitungsworten zum Pater noster: »Durch heilsame Vorschriften gemahnt und durch göttliche Unterweisung angeleitet, wagen wir zu sprechen.« Eben wegen dieser Notwendigkeit des Gebetes für die Christen hat der Sohn Gottes den Jüngern auf ihre ausdrückliche Bitte: »Herr, lehre uns beten« (Lk 11, 1) die rechte Weise zu beten vorgelegt (Lk 11,2 ff), und damit uns zugleich die sichere Hoffnung gegeben, das Erbetene auch zu erlangen, ja, Er selbst ist uns Vorbild geworden, da Er das Gebet nicht nur eifrig übte, sondern sogar ganze Nächte darin verharrte. Ebenso sind später die Apostel nicht müde geworden, den zum Christentum Bekehrten immer die Gebetspflicht ans Herz zu legen. So ermahnt der hl. Petrus und der hl. Johannes die Gläubigen hierüber mit eindringlichen Worten (Z. B. 1 Petr 3, 7; 4, 7; 1 Joh 3, 22; 5, 14. 16). Ebenso erinnert der Völkerapostel im Hinblick auf die Bedeutung des Gebetes an vielen Stellen seiner Briefe die Christen an dessen Heilsnotwendigkeit (Z. B. Kol 4, 2; Röm 15, 30; Eph 6, 18; Phili 4, 6; 1 Tim 2, 1. 8; 5, 5).

3 Übrigens zwingen uns die vielen seelischen und körperlichen Bedürfnisse und Nöte geradezu, die Zuflucht zum Gebet zu nehmen als zum besten Dolmetsch unserer Hilflosigkeit und zum wirksamsten Vermittler dessen, was wir brauchen. Da nämlich Gott niemand etwas schuldig ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als von Ihm durch Bitten zu erflehen, was wir brauchen. Darum hat Er uns das Gebet gegeben als das notwendige Mittel zur Erreichung unserer Wünsche. »Denn es steht geschrieben,« sagt der hl. Hieronymus, »jedem, der bittet, wird gegeben werden. Wenn dir also nicht gegeben wird, so wohl deshalb, weil du nicht bittest. Bittet also und ihr werdet empfangen« (Zum 7. Kap. d. Evang. nach Mt). 4 Wenigstens von manchen Dingen ist es ganz sicher, dass man sie nur durch das Gebet erhält. So kommt die wirksame Kraft, böse Geister zu vertreiben, vorzüglich dem Gebet zu, und eine Art von Teufeln kann anders gar nicht ausgetrieben werden, als durch Fasten und Beten (Mt 17, 21).

Darum berauben sich jene vieler und großer Gnaden, die sich nicht an treue und eifrige Übung des Gebetes gewöhnen. Es ist nämlich nicht nur gutes, sondern auch anhaltendes Gebet nötig, um zu erlangen, was man begehrt.

Zweites Kapitel: Nutzen des Gebetes

1 Die Gebetspflicht wird überaus süß durch den großen Nutzen und die reichen Früchte des Gebetes. Deren führt die Hl. Schrift eine Menge an, so dass der Seelsorger seine Gläubigen darüber, wie es eben nottut, gut belehren kann. Wir greifen aus der Fülle nur einige heraus, die uns besonders zeitgemäß dünken.

Die erste Frucht besteht in der Ehre, die wir Gott durch das Gebet erweisen. Ist das Gebet doch eine Übung der Gottesverehrung, die in der Hl. Schrift mit dem Weihrauch verglichen wird: »Wie Weihrauchduft steigt mein Gebet zu dir empor«, sagt der Prophet (Ps 140, 2). Durch das Gebet anerkennen und bekennen wir nämlich, dass wir Gott ganz unterworfen sind; dass Er der Urheber alles Guten ist; dass wir auf Ihn allein unsre Hoffnung stellen müssen, da Er der einzige Hort unsrer Sicherheit und unsres Heiles, unsre alleinige Zuflucht ist. An diese erste Gebetsfrucht gemahnen uns unter andern die Worte: »Ruf zu mir am Tage der Not und retten will ich dich; du aber wirst mich preisen« (Ps 49, 15).

2 Mit der ersten verbindet sich eine zweite gar reiche und süße Frucht: die Erhörung unsrer Bitten durch Gott. Ist ja nach einem Ausspruch des hl. Augustin das Gebet ein Himmelschlüssel. »Das Gebet«, so sagt er, »steigt empor und Gottes Erbarmen neigt sich herab; mag die Erde noch so tief und der Himmel hoch sein, Gott hört doch des Menschen Stimme, wenn nur sein Herz rein ist« (Predigt 116 de tempo). Wahrlich, die Kraft und Wirkung des Gebetes ist so groß, dass wir dadurch die Fülle himmlischer Gaben erhalten: den Heiligen Geist, den wir uns zum Führer und Helfer von Gott erflehen können; Bewahrung und Reinheit des Glaubens; Abwendung der Strafen; Schutz Gottes in Versuchungen, und Sieg über den Teufel. Und schließlich ist im Gebet ein Übermass ganz besonderer Freude verborgen, weshalb der Herr spricht: »Bittet, so werdet ihr empfangen und eure Freude wird vollkommen sein« (Joh 16, 24).

3 Ein Zweifel darüber, ob der gütige Gott das rechte Gebet wohl erhört, ist vollständig ausgeschlossen. Das beweisen viele Zeugnisse der Heiligen Schrift. Da sie allen zugänglich sind, führen wir nur beispielsweise folgende Stellen aus Isaias an: »Dann wirst du rufen und der Herr wird erhören; du wirst schreien und er wird sagen: Ich bin schon da« (Jes 58, 9). Und die andere: »Es wird geschehen: noch bevor sie rufen, werde ich erwidern, und während sie noch reden, sie schon erhören« (Jes 65, 24). Beispiele von solchen anzuführen, die bei Gott Erhörung gefunden haben, unterlassen wir; es sind ihrer fast unzählige und sie sind wohl bekannt.

4 Nicht selten jedoch geschieht es, dass wir von Gott nicht erhalten, worum wir bitten. Das ist wahr. Aber gerade dann hat Gott am meisten unsern Nutzen im Auge. Denn entweder gibt Er uns größere und reichere Gaben, oder das, um was wir bitten, ist uns nicht nötig und nicht nützlich; ja vielleicht wäre seine Gewährung ganz überflüssig und sogar schädlich. Nach einem Wort des hl. Augustin »verweigert Gott manches aus Huld, was er aus Zorn gewährt« (Predigt 58 de verb. Domini). - Mitunter beten wir auch so gedankenlos und nachlässig, dass wir nicht einmal selbst darauf achten, was wir sagen. Nun ist aber das Gebet eine Erhebung des Geistes zu Gott. Wie können wir also, wenn wir unsern Geist, der doch auf Gott gerichtet sein sollte, beim Beten frei umherschweifen lassen und dabei ohne Eifer und ohne alle Ehrfurcht und Liebe die Gebetsworte leichtfertig hersagen, wie können wir Christen den leeren Schall eines solchen Geredes Gebet nennen? Kein Wunder, wenn dann Gott unsern Wünschen nicht willfährt, da wir durch unsere Nachlässigkeit und Unachtsamkeit beim Gebete beinahe beweisen, dass wir unsere Bitten selber nicht ernst nehmen; oder Dinge begehren, die uns schaden würden.

5 Denen aber, die mit Aufmerksamkeit und Andacht beten, wird viel mehr gegeben, als sie von Gott verlangen. Das wird vom Apostel im Brief an die Christen von Ephesus bezeugt (Eph 3, 20) und durch das bekannte Gleichnis vom verlornen Sohn klar gemacht. Dieser würde es schon als einen sehr großen Erfolg seiner Bitte angesehen haben, wenn ihn der Vater auch nur als Taglöhner aufgenommen hätte. Ja Gott überhäuft uns geradezu mit Gnaden und spendet seine Gaben reichlich und schnell, nicht erst, wenn wir Ihn ausdrücklich darum bitten, sondern schon, wenn wir die rechte Gesinnung im Herzen tragen. Das will die Hl. Schrift mit dem bekannten Worte sagen: »Der Armen Sehnen erhört der Herr« (Ps 9, 38). Schon dem innersten stillen Wunsch der Dürftigen kommt Gott entgegen, ohne auf dessen Äußerung zu warten.

6 Dazu kommt als dritte Frucht des Gebetes die Übung und Mehrung der Tugenden, vor allem des Glaubens [der Glaube wird nämlich durch jedes Gebet betätigt]; denn ohne Gottesglauben kann man unmöglich recht beten. »Wie sollen sie den anrufen, heißt es, an den sie nicht glauben« (Röm 10, 14)? Der Glaube der Christen wird ferner durch das Gebet größer und fester und zwar um so mehr, je eifriger sie beten.

Besonders der Glaube an die liebevolle Vorsehung Gottes. Gottes Vaterliebe verlangt nämlich nachdrücklich, dass wir in jedem Anliegen zu Ihm gehen und alles von Ihm erbitten. 7 Er könnte uns zwar alles im Überfluss schenken auch ohne Bitte ja ohne jeden Gedanken unserseits, wie Er den vernunftlosen Tieren alles zum Leben Notwendige gibt. Aber als allgütiger Vater will Er von seinen Kindern gebeten sein. Er will, dass wir Ihn täglich ernstlich bitten und dadurch immer vertrauensvoller beten lernen. Er will durch fortwährende Erhörung unsrer Bitten seine Güte gegen uns von Tag zu Tag beweisen und offenbar werden lassen.

8 Auch die Liebe zu Gott wird vermehrt. Denn wenn wir Ihn ausdrücklich anerkennen als den Urheber jegliches Guten und all unsres Glückes, müssen wir Ihn doch mit immer größerer Liebe umfangen. Und wie Liebende durch gegenseitige Aussprache und Beisammensein noch mehr in Liebe entbrennen, so werden auch gottliebende Menschen, je häufiger sie sich im Gebet an seine Güte wenden und so gleichsam Zwiesprache mit Ihm halten, jedes Mal mit größerer Freude erfüllt und zu noch innigerer Liebe und Hingabe angetrieben.

9 Diese fortwährende Übung des Gebetes verlangt Gott noch aus einem andern Grund: Wir sollen nämlich dadurch zu inbrünstigem Gebetseifer gelangen und durch diesen anhaltenden Eifer so voranschreiten, dass wir solcher Gnadengeschenke würdig werden, die zu empfangen unser tugendarmer und engherziger Geist vorher nicht einmal fähig gewesen wäre.

Ferner will Gott, dass wir uns der Tatsache klar bewusst werden und bleiben, wie wir ohne den Beistand der Gnade des Himmels durch unser Bemühen nichts zustande bringen; und dass wir deshalb aus ganzer Seele dem Gebete obliegen.

Im Gebet haben wir auch die stärkste Waffe gegen die grimmigen Feinde unsrer Natur, wie der hl. Hilarius sagt: »Gegen die Kriegsmacht des Teufels müssen wir unter dem Klang des Gebetes zu Felde ziehen« (Zum Psalm 69).

10 Eine vierte vorzügliche Frucht des Gebetes ist diese: Obwohl wir infolge unsrer angebornen Schwäche zum Bösen geneigt und voll schmählicher Wünsche sind, verwehrt uns Gott doch nicht, dass wir Ihn durch das Gebet in unsern Sinn (Geist und Herz) aufnehmen. Wenn wir dann so zu Ihm beten und seiner Gnaden würdig zu werden uns bemühen, erhalten wir den ernsten Willen nach voller Reinheit, Tilgung aller unsrer Sünden und ein makelloses Herz.

11 Endlich fünftens widersteht das Gebet nach einem Ausspruch des hl. Hieronymus (Zu Jer 7, 16) dem Zorn Gottes. Daher sprach Gott zu Moses: »Lass mich« (Ex 32, 10)!, als Er das Judenvolk strafen wollte, Moses aber durch sein Gebet Ihn hinderte. Denn nichts vermag den erzürnten Gott mehr zu besänftigen, ja Ihn auch dann noch zurückzuhalten und seine Zornesglut zu beschwichtigen, wenn Er schon zum Schlag ausholt gegen die Frevler - als das Gebet frommer Menschen.

Drittes Kapitel: Arten und Stufen des Gebetes

1 Nach der Notwendigkeit und dem Nutzen des Gebetes sollen die Gläubigen auch seine verschiedenen Arten kennen lernen. Das ist nach dem Zeugnis des Apostels notwendig zur vollkommenen Erfüllung der Gebetspflicht. Wo er nämlich im (1.) Brief an Timotheus zu frommen und andächtigem Beten auffordert, da zählt er sorgfältig die verschiedenen Arten des Gebetes auf: »Vor allen Dingen dringe ich darauf,« sagt er, »dass man Gebete, Bitten, Fürbitten und Danksagungen verrichte für alle Menschen« (Tim 2, 1). Der Unterschied zwischen diesen Arten ist freilich ein etwas feiner. Wenn der Seelsorger aber der Ansicht ist, eine Aufklärung darüber werde für seine Zuhörer von Nutzen sein; so mag er unter andern Autoren die hl. Hilarius und Augustinus zu Rate ziehen (Ep in Ps 59 ad vers. Dirigatur oratio; Ep. 59 ad Paul. in sol. quaest. 5).

2 Indes zwei Hauptarten des Gebetes dürfen durchaus nicht übergangen werden: das Bittgebet und das Dankgebet. Auf diese lassen sich alle übrigen zurückführen. Denn wenn wir in tiefer Ehrfurcht vor Gott hintreten, tun wir es entweder um von Ihm etwas zu erbitten, oder um Ihm für die Wohltaten zu danken, mit denen seine göttliche Güte uns unablässig überhäuft. Diese beiden Gebetsarten hat Gott selbst als die notwendigsten bezeichnet, wenn Er durch den Mund Davids spricht: »Rufe zu mir am Tage der Not, und retten will ich dich; du aber sollst mich preisen« (Ps 49, 15). - Und wahrlich, wie notwendig es ist, dass wir uns (durch das Bittgebet) an die göttliche Güte und Freigebigkeit wenden, wer sähe das nicht, wenn er das Elend und die furchtbare Not der Menschheit betrachtet? 3 Wie geneigt sich aber Gottes Liebe dem Menschengeschlecht erweist, und wie Er seine Güte über uns förmlich ausschüttet, wissen alle, die sehen und verstehen wollen. Denn wohin wir blicken und wohin wir unsere Gedanken lenken, allüberall leuchtet uns der wunderbare Glanz der göttlichen Milde und Güte entgegen. Was besitzen die Menschen, das nicht von Gottes Freigebigkeit herrührt? Wenn aber alles Gabe und Geschenk seiner Güte ist, wie sollten wir nicht alle nach Kräften dem allgütigen Gott Lob, Preis und innigen Dank darbringen?

Beide Pflichten jedoch, nämlich Gott zu bitten und Ihm zu danken, haben viele Stufen, deren eine höher und vollkommener ist als die andere. Damit nun die Gläubigen nicht bloß beten, sondern möglichst gut die doppelte Gebetspflicht erfüllen, muss ihnen der Seelsorger die höchste und beste Weise zu beten vorlegen und sie eindringlich dazu aufmuntern.

4 Welches ist aber die beste Weise oder die höchste Stufe des Gebetes? Doch wohl die, deren sich gottliebende und heilige Menschen bedienen. Diese steigen, gestützt auf den festen Boden des wahren Glaubens, gleichsam auf den Stufen heiliger Gesinnung und eifrigen Bittens empor zur klaren Glaubenserkenntnis (Beschauung) der unendlichen Macht, der unermesslichen Güte und Weisheit Gottes. Dadurch gelangen sie dann zur sicheren Hoffnung, alles zu erlangen, was sie sich erbitten, sowohl für das gegenwärtige Leben, als besonders die Fülle der unbegreiflichen Güter, die Gott denen verheißen hat, die seine göttliche Hilfe mit kindlich frommen Herzen anflehen. Von diesen zwei Fittichen [Glaube und Hoffnung] gleichsam in den Himmel emporgehoben, gelangt ihre Seele voll liebenden Eifers zu Gott und erweist Ihm zuerst alle Ehre durch jubelnden Dank dafür, dass Er sie mit so großen Wohltaten begnadet hat; dann aber trägt sie Ihm mit der beispielosen Liebe und Ehrfurcht des einzigen Kindes gegen den liebevollsten Vater ohne Zagen all ihre Anliegen vor.

Für diese Gebetsweise verwendet die Hl. Schrift das Wort »ausschütten«. »Ich schütte aus vor ihm mein Flehgebet« sagt der Prophet, »und tu ihm meine Trübsal kund« (Ps 141, 3). Mit diesem Ausdruck will sie sagen, der Beter verschweigt und verbirgt nichts, sondern gießt alles aus in das Herz des liebevollsten Vater-Gottes, zu dem er sich voll Vertrauen geflüchtet. Und dazu ermahnt unsre vom Himmel stammende Glaubenslehre mit den Worten: »Gießt aus das Herz vor ihm« (Ps 61, 9) und »wirf deine Sorgen auf den Herrn« (Ps 54,23). Diese Gebetsstufe deutet der hl. Augustin an, wenn er in seinem Enchiridion (Handbuch) sagt: »Was der Glaube vorstellt, darum bittet die Hoffnung und Liebe« (Enchirid. c. 2).

5 Auf einer tieferen Gebetsstufe stehen: jene mit Todsünden Belasteten, die durch den so genannten toten Glauben ernstlich sich aufrichten und zu Gott emporsteigen wollen, aber infolge ihrer erstorbenen Kraft und großen Glaubensschwäche sich kaum von der Erde zu erheben vermögen. Jedoch im Bewusstsein ihrer Schuld und von Gewissensbissen gepeinigt, flehen sie voll Demut und Zerknirschung wie aus weiter Ferne zu Gott um Verzeihung ihrer Sünden und um Frieden. Ihr Gebet dringt zu Gott und wird erhört. ja der barmherzige Gott ladet sie sogar huldvoll ein: »Kommet her zu mir«, sagt Er, »ihr alle, dIe ihr elend und beladen seid, und ich werde euch erquicken« (Mt 11, 28). Zu diesen Sündern gehörte jener Zöllner, der nicht wagte, seine Augen zum Himmel zu erheben, jedoch nach der Versicherung des Herrn gerechtfertigt aus dem Tempel ging, ganz anders als der Pharisäer (Lk 18, 14).

6 Auf einer andern Gebetsstufe stehen die vom Glauben noch nicht Erleuchteten (die Ungläubigen), deren Vernunftlichtlein Gott in seiner Güte erhellt, so dass sie von lebhaftem Verlangen und heftiger Begierde nach der Wahrheit erfasst werden. Solche bitten dann mit der größten Inbrunst um Erkenntnis derselben. Und wenn sie in dieser Gesinnung verharren, wird Gottes Güte ihr Gebet nicht zurückweisen. Wir sehen das bestätigt durch das Beispiel des Hauptmanns Cornelius (Apg 10). Denn niemand, der ernstlich bittet, findet die Pforten der göttlichen Barmherzigkeit verschlossen.

7 Auf der untersten Stufe stehen jene, die ihre Schandtaten und Laster nicht nur nicht bereuen, sondern Sünden auf Sünden häufen und sich doch nicht schämen, Gott immer wieder um Verzeihung zu bitten, trotzdem sie in ihren Sünden verharren wollen. Solche dürften nicht einmal bei Menschen wagen, um Vergebung zu bitten. Ihr Gebet wird von Gott auch nicht erhört. Denn so steht von Antiochus geschrieben: »Es betete dieser Verruchte zum Herrn, von dem er doch keine Verzeihung erlangen sollte« (2 Makk 9, 13). Solche Unglückliche müssen daher dringend ermahnt werden, dass sie den Willen zu sündigen aufgeben und sich ernstlich und aufrichtig zu Gott bekehren.

Viertes Kapitel: Um was man beten soll

1 Die Frage, um was wir beten sollen und um was nicht, wird bei den einzelnen Bitten des »Vaterunser« genau beantwortet. Hier mag die allgemeine Mahnung an die Gläubigen genügen, nur um sittlich Gutes und Erlaubtes zu bitten; denn sonst würden sie die abweisende Antwort erhalten: »Ihr wisset nicht, um was ihr bittet« (Mt 20, 22).

Was man erlaubterweise wünschen darf, um das darf man auch bitten. Das beweist die inhaltschwere Verheißung des Herrn: » Was ihr immer wünschet, darum möget ihr bitten und es wird euch zuteil werden« (Joh 15, 7). Damit verspricht Er uns, das alles zu gewähren.

2 Als Regel für unsre Wünsche muss dies gelten: Zu allererst muss sich unser innigstes Verlangen auf Gott unser höchstes Gut richten. Sodann sollen wir das wünschen, was uns am meisten mit Gott verbindet; hingegen alles aus unsrem Wünschen und Begehren entfernen, was uns von Ihm trennen oder diese Trennung anbahnen könnte.

Hieraus lässt sich schließen, wie wir mit Rücksicht auf dieses höchste und vollkommenste Gut alle übrigen so genannten Güter wünschen und von Gott unsrem Vater erbitten sollen. 3 Die körperlichen und äußeren Güter, wie Gesundheit, Stärke, Schönheit, Reichtum, Ehre, Ruhm, kurz die Bequemlichkeiten des Lebens geben nämlich oft Anlass zur Sünde und können daher nicht ohne weiteres heilsam und gottgefällig erbeten werden, sondern nur mit der Einschränkung, insofern sie uns notwendig sind; so bleibt die rechte Einstellung auf Gott gewahrt. Wir dürfen also wie Jakob bitten: »Wenn mir der Herr Brot zu essen gibt und Kleider zum Anziehen, .... so soll der Herr mein Gott sein« (Gen 28, 20 f). Und wie Salomon: »Gib mir nur, was ich brauche zu meinem Unterhalt« (Spr 30, 8). 4 Wenn uns aber Gottes Güte mit allem zum Leben Nötigen versorgt, müssen wir der Mahnung des Apostels eingedenk sein: »Die welche kaufen, sollen sein, als besässen sie nichts; und die, welche die Güter dieser Welt benützen, als hätten sie nichts davon; vergeht doch die Gestalt dieser Welt« (1 Kor 7, 30f). Und des Psalmwortes: »Wenn Reichtum zuströmt, so hängt das Herz nicht dran« (Ps 61, 11). Wir sind ja nach der Lehre unsres Glaubens nur Nutznießer dieser Güter, und zwar so, dass wir auch andern davon mitteilen müssen. Und wir dürfen nie vergessen, dass uns Gesundheit und Überfluss an äußern Gütern nur verliehen sind, um Gott leichter dienen und dem Nächsten besser damit helfen zu können. 5 Auch um die das Leben verschönenden Güter des Geistes, wie Kunst und Wissenschaft, dürfen wir bitten, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie zur Ehre Gottes und zu unsrem Heile gereichen.

Ohne weitere Einschränkung und unbedingt dürfen wir, wie gesagt, nur die Ehre Gottes und alles, was uns Gott dem höchsten Gut näher bringen kann, wünschen, suchen und erbitten, wie Glauben, Gottesfurcht und Liebe. Darüber wird bei Erklärung der Vater-unser-Bitten ausführlich gehandelt.

Fünftes Kapitel: Für wen man beten soll

1 Die Gläubigen sollen nicht nur wissen, um was, sondern auch für wen sie beten sollen. Wir haben Dank- und Bittgebet unterschieden: zuerst soll nun vom Bittgebet gesprochen werden. Bitten muss man für alle ohne Ausnahme ohne Rücksicht auf Feindschaft, Rasse, oder Religion. Denn jeder ist unser Nächster, auch der Feind, Fremdling oder Ungläubige. Nach Gottes Gebot müssen wir sie lieben und folglich für sie beten, denn das fordert die Liebe. Daher die Mahnung des Apostels: »Ich dringe darauf, dass Gebete für alle Menschen verrichtet werden« (1 Tim 2, 1 f). Dabei muss man für sie zuerst um die Güter der Seele und erst dann um die des Leibes bitten.

2 Diese Gebetspflicht müssen wir vor allem gegen die Seelsorger üben, gemahnt durch das Vorgehen des Apostels, der an die Kolosser schreibt, sie sollen für ihn beten, dass Gott für seine Predigt eine Tür auftue (Kol 4, 3). In gleichem Sinn schreibt er an die Christen von Thessalonich (1 Thess 5, 25). Und in der Apostelgeschichte heißt es: »Die Kirche betete ohne Unterlass« (Apg 12, 5) für Petrus. An diese Pflicht erinnert uns auch der hl. Basilius in seinem Buch über das christliche Leben. Darin sagt er, man müsse für die beten, die das Wort der Wahrheit verwalten (Lib. mor. Reg. 56 c. 5.).

Beten müssen wir ferner für die weltliche Obrigkeit nach den Worten desselben Apostels (1 Tim 2, 2). Wie viel von frommen und gerechten Herrschern abhängt, weiß doch jedermann. Man muss daher Gott bitten, dass die, welche andern vorstehen, so sind, wie sie sein sollen.

Das Beispiel der Heiligen lehrt uns, auch für die Guten und Frommen zu beten. Denn auch sie bedürfen des Gebetes anderer. Gott hat dies deshalb so angeordnet, damit sie sich nicht überheben, im Bewusstsein, dass sie auf das Gebet der weniger Fortgeschrittenen angewiesen sind.

3 Auf ausdrücklichen Befehl des Herrn sollen wir auch für jene beten, die uns »verfolgen und verleumden« (Mt 5, 44).

Nach dem allbekannten Zeugnis des hl. Augustin (Ep 107) besteht schon seit den Zeiten der Apostel die Gewohnheit, für die von der Kirche Getrennten Gebete und Opfer darzubringen, damit die Ungläubigen zum wahren Glauben kommen, die Götzendiener von ihrem Irrwahn befreit werden, die Juden von ihrer Herzensfinsternis geheilt das Licht der Wahrheit erlangen, die Irrgläubigen zur gesunden Lehre und zum Gehorsam gegen die Kirche zurückkehren, die Schismatiker sich wieder mit der hl. Mutterkirche, deren Gemeinschaft sie verlassen, in aufrichtiger Liebe vereinen (Vgl. die Karfreitagbitten, die in der alten Kirche bei jeder eucharistischen Opferfeier gebetet wurden). Wie wirksam solche im rechten Geist verrichtete Bittgebete sind, beweist die große Zahl von Menschen jeden Standes, die Gott täglich der Macht der Finsternis entreißt, ins Reich seines geliebten Sohnes versetzt (Kol 1, 13) und so aus Gefäßen des Zornes zu Gefäßen der Erbarmung macht (Röm 9, 22 f). Ohne Zweifel trägt hierzu gerade das Gebet eifriger Christen ungemein viel bei.

4 Die Fürbitten für die Armen Seelen im Fegfeuer sind eine apostolische Einrichtung. Das beim hl. Messopfer hierüber Gesagte mag genügen.

5 Ob unbußfertigen Sündern (1 Joh 5, 16) Gebet und Opfer viel nützen, ist fraglich. Dennoch ist es der christlichen Liebe eigen, auch für sie unter Gebet und Tränen um Gottes Erbarmung zu ringen. 6 Wenn zuweilen heilige Menschen Flüche gegen Gottlose aussprachen, so sind das nach der Meinung der hI. Väter entweder Strafvorhersagungen, oder sie bezwecken die Vernichtung der Macht der Sünde, zugleich aber die Rettung des Sünders.

7 Innige Dankgebete gebühren Gott für seine unzähligen Wohltaten, die Er dem Menschengeschlechte stets erwies und noch täglich erweist. Besonders danken aber müssen wir Gott für die glorreichen Siege der Heiligen, die sie mit seiner Gnade über alle innern und äußern Feinde erfochten haben.

8 Das tun wir beim Englischen Gruß, wenn wir die Worte sprechen: »Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen.« Dadurch sagen wir Gott Lob und Dank für die himmlischen Gaben, mit denen Er die heilige Jungfrau überhäuft hat, und beglückwünschen zugleich die Jungfrau selbst ob ihrer ganz einzigen Seligkeit. - Ganz mit Recht hat die hl. Kirche diesem Dank eine Anrufung der hl. Gottesmutter hinzugefügt, in der wir uns flehentlich an sie wenden, sie wolle durch ihre Fürbitte uns Sünder mit Gott versöhnen und uns alle für dieses und das andere Leben notwendigen Güter erlangen. Wir »verbannte Kinder Evas« sollen also in diesem Tale der Tränen die Mutter der Barmherzigkeit und Fürsprecherin des gläubigen Volkes mit diesem Gebet (des englischen Grußes) unablässig anrufen, dass sie für uns Sünder bitte und uns Beistand und Hilfe gewähre, sie, deren ausgezeichneten Wert vor Gott und liebevollste Hilfsbereitschaft gegen uns Menschen nur ein gottloser Mensch in Zweifel ziehen kann.

Sechstes Kapitel: Zu wem man beten soll

1 Vor allem muss man zu Gott beten und seinen Namen anrufen. Das lehrt schon der bloße Naturtrieb im Menschenherzen; noch mehr die Hl. Schrift, wo wir den Befehl Gottes lesen: »Ruf zu mir am Tag der Not« (Ps 49, 15). Unter »Gott« sind natürlich die drei göttlichen Personen zu verstehen.

2 An zweiter Stelle nehmen wir die Zuflucht zu den Heiligen im Himmel. Dass man auch sie anrufen soll, ist sichere Lehre der hl. Kirche und wird von guten Christen nicht bezweifelt. Es genügt hier auf das schon früher Gesagte (3. Teil 2 Kap [8]) zu verweisen.

Um jedoch von dem einfachen Volke jeden Irrtum fernzuhalten, wird es gut sein, die Gläubigen über den Unterschied der Anrufung Gottes und der Heiligen zu belehren. 3 Ein solcher Unterschied besteht in der Tat. Denn Gott bitten wir, dass Er selbst uns Gutes verleihe oder Übles abwende. Zu den Heiligen hingegen beten wir, dass sie als Freunde Gottes bei Ihm unsere Sachwalter und Fürsprecher seien. Daher wenden wir auch zwei verschiedene Bittformeln an: zu Gott sagen wir »Erbarme dich unser«, »Erhöre uns«, und zu den Heiligen »Bittet für uns«. 4 Doch dürfen wir schon auch die Heiligen in einem gewissen Sinn bitten, dass sie sich unser erbarmen; sie sind ja überaus barmherzig. Wir können sie anflehen, dass sie sich unsrer Not erbarmen und uns unterstützen durch ihr Gebet bei Gott, dessen Freunde sie sind. Nur muss man sich durchaus hüten, etwas, was Gott allein zukommt, sonst jemanden zuzuschreiben. - Wenn man also vor dem Bilde eines Heiligen das Gebet des Herrn spricht, muss man es in der Gesinnung tun, den Heiligen zu bitten, er möge mit uns (das Vaterunser) beten und uns das erflehen helfen, was im Gebet des Herrn enthalten ist; und überhaupt bei Gott unser Mittler und Fürsprecher sein. Dass die Heiligen in der Tat dieses Amt innehaben, lehrt der hl. Apostel Johannes in der Geheimen Offenbarung (Offb 8, 3 f).

Siebtes Kapitel: Von der Vorbereitung zum Gebete

1 »Vor dem Gebet bereite deine Seele und sei nicht wie einer, der Gott versucht,« heißt es in der Hl. Schrift (Sir 18, 23). Man versucht Gott, wenn man zwar gut beten will, aber dabei schlecht lebt; oder wenn man, während man mit Gott redet, mit der Seele nicht bei Ihm ist. Weil soviel von der Seelenhaltung abhängt, in der man zu Gott betet, muss der Pfarrer seinen gläubigen Zuhörern den seelischen Weg zum Gebet zeigen.

Der erste Schritt auf diesem Weg ist ein wahrhaft demütiges, anspruchsloses Herz und die Erkenntnis seiner Sünden. Wer sich anschickt, vor Gott betend hinzutreten, muss sich beim Anblick seiner Sünden sagen, dass er nicht nur unwürdig ist, etwas von Gott zu erlangen, sondern auch nur vor seinem Angesicht zu erscheinen. - Dieser Vorbereitung gedenkt die Hl. Schrift an vielen Stellen z. B. »Der Herr hat auf das Gebet der Demütigen gesehen und ihre Bitten nicht verschmäht« (Ps 101, 18); oder »das Gebet der Demütigen durchdringt die Wolken« (Sir 35, 21). Der wohl unterrichtete Seelsorger wird genug Stellen finden, die dasselbe besagen, weshalb wir es nicht für nötig erachten, weitere anzuführen. Nur zwei bereits genannte Beispiele, die auch hierher gehören, wollen wir nicht übergehen: das vom Zöllner, der nicht wagte, seine Augen von der Erde zu erheben (Lk 18, 13), und das von der Sünderin, die vor Reueschmerz mit ihren Tränen die Füße des Herrn benetzte (Lk 7, 38). Beide beweisen, welche Kraft die Demut des Christen dem Gebete verleiht.

Als Folge der Erinnerung an die Sünden wird sich ein gewisser Reueschmerz einstellen oder wenigstens ein Gefühl des Schmerzes darüber, dass wir nicht Reue empfinden. Wenn der Sünder nicht beides oder wenigstens eines von diesen beiden Dingen (zum Gebete) mitbringt, kann er keine Verzeihung erlangen.

2 Einige Laster machen das Gebet vor Gott ganz besonders unwirksam: z. B. Mord und Gewalttätigkeit; von ihnen muss man die Hände rein halten. Von diesen Verbrechen spricht Gott durch den Propheten Isaias: » Wenn ihr eure Hände zu mir erhebet, werde ich meine Augen von euch abwenden; und wenn ihr noch so viel betet, ich werde euch nicht erhören, denn eure Hände befleckt Blutschuld« (Jes 1, 15). Ferner muss man Zorn und Zwietracht meiden, welche ebenfalls ein großes Hindernis für die Erhörung des Gebetes bilden. Davon schreibt der Apostel: »Ich will, dass die Männer an jedem Orte zum Gebet reine Hände erheben, frei von Zorn und liebloser Gesinnung« (1 Tim 2, 18). - Weiters dürfen wir uns bei Beleidigungen nicht unversöhnlich zeigen; denn solange wir so gesinnt sind, kann unser Gebet von Gott keine Verzeihung erlangen. Er selbst hat ja gesagt: »Wenn ihr zum Gebete hintretet und gegen irgend jemand etwas habt, so vergebet« (Mk 11, 25); und »Wenn ihr den Menschen nicht vergebet, so wird euer himmlischer Vater auch euch die Sünden nicht vergeben« (Mt 6, 15). - Auch dürfen wir nicht hart und herzlos gegen die Armen sein, denn von solchen gilt das Wort: »Wer vor des Armen Hilferuf sein Ohr verschließt, wird auch nicht Gehör finden, wenn er ruft« (Spr 21, 13). - Was soll man erst vom Stolz sagen? Wie sehr dieser Gott beleidigt, lehrt jenes Wort: »Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade« (Jak 4, 6 1 Petr 5, 5; Spr 3, 34). - Was endlich von der Verachtung des göttlichen Wortes? Davon sagt Salomon: »Wer sein Ohr wegwendet, auf dass er das Gesetz nicht höre, ein Gräuel ist selbst sein Gebet« (Spr 28, 9).

Durch das Gesagte ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass man bei Gott Erhörung findet, wenn man Ihn wegen einer den Menschen zugefügten Beleidigung, eines Mordes, des Zornes, der Hartherzigkeit gegen Arme, der Hoffart, der Verachtung des göttlichen Wortes und anderer Sünden um Verzeihung bittet.

3 Zur Vorbereitung der Seele gehört ferner ganz notwendig der Glaube; denn fehlt dieser, so fehlt auch die rechte Kenntnis der Allmacht des höchsten Vaters und seiner Barmherzigkeit, woraus doch das Vertrauen des Betenden erwachsen muss. So lehrte Christus der Herr selbst: »Alles,« sagt Er, »um was ihr im gläubigen Gebet flehet, werdet ihr erhalten« (Mt 21, 22). Über diesen Glauben bemerkt der hl. Augustin: »Wenn der Glaube fehlt, ist das Gebet umsonst« (Predigt 36 de verbis Domini). Das wichtigste Stück also, um recht zu beten, ist wie gesagt (3 Kap [4]), dass wir im Glauben fest und unerschütterlich sind. Der Apostel beweist dies aus dem Gegenteil: »Wie sollen sie den anrufen, an den sie gar nicht glauben« (Röm 10, 14)? Wir müssen daher den Glauben erwecken, um beten zu können und um den Glauben nicht zu verlieren, durch den wir erst heilsam zu beten vermögen. Der Glaube ist's, der betet, und das Gebet bewirkt dann, dass der Glaube frei von allem Zweifel unwandelbar und fest wird. In diesem Sinne mahnt der hl. Ignatius die, die im Gebete Gott nahen wollen: »Sei nicht zweifelmütig beim Gebete, selig ist, wer nicht zweifelt« ([Unechter] Brief 10 ad Heron). Glaube und Vertrauen sind also für die Erhörung unsrer Bitten bei Gott von größter Bedeutung nach der Mahnung des Apostels Jakobs: »Er bitte im Glauben, ohne im mindesten zu zweifeln« (Jak 1, 6).

4 Gründe zu diesem gläubigen Vertrauen beim Gebete gibt es viele. Da ist einmal Gottes unendlich gütiges Wohlwollen gegen uns, womit Er sich von uns Vater nennen lässt, damit wir uns als seine Kinder fühlen. Dazu kommt die fast unermessliche Zahl derer, die bei Gott schon Erhörung gefunden haben. - Da ist ferner jener oberste Fürsprecher, der uns allzeit beisteht: Christus der Herr, von dem der hI. Johannes sagt: »Wenn jemand gesündigt hat, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten; er selbst ist die Versöhnung für unsre Sünden« (1 Joh 2,1 f). Desgleichen der Apostel Paulus: »Christus Jesus, der gestorben oder vielmehr auferstanden ist, der zur Rechten Gottes sitzt und Fürsprache für uns einlegt« (Röm 8, 34). Ebenso an Timotheus: »Es gibt nur einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen: den Menschen Christus Jesus« (1 Tim 2, 5). Und an die Hebräer: »Darum musste er in allem seinen Brüdern ähnlich werden, um ein barmherziger und treu er Hoherpriester bei Gott zu sein« (Hebr 2, 17). Daher müssen wir, obschon der Erhörung durchaus unwürdig, im Vertrauen auf die Würde des allerbesten Fürsprechers Jesus Christus zuversichtlich erwarten, dass uns Gott alles geben werde, um was wir Ihn durch jenen in rechter Weise bitten. - 5 Endlich ist ja der Urheber unsres Gebetes der Heilige Geist; wenn wir unter seiner Leitung beten, haben wir auf Erhörung vollen Anspruch. Denn »wir haben den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater « (Röm 8, 15)! Und zwar hilft der Geist unsrer Schwachheit und Unwissenheit beim Gebete, ja der Apostel sagt sogar: »Er selbst tritt für uns ein mit unausprechlichen Seufzern« (Röm 8, 26). 6 »Wenn man aber im Glauben mitunter schwankt und sich nicht stark genug fühlt, so möge man mit den Aposteln rufen: »Herr vermehre uns den Glauben« (Lk 17, 5)! und mit dem Blinden (Ein Versehen: Es ist der Vater des besessenen Knaben Mk 9): »Hilf meinem Unglauben« (Mk 9, 24)!

Am sichersten werden wir aber die Erfüllung aII unsrer Wünsche von Gott erlangen, wenn wir außer dem lebendigen Glauben und Vertrauen noch unser ganzes Denken, Handeln und Reden nach Gottes Gesetz und Willen einrichten: »Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, so möget ihr bitten, um was ihr wollt: es wird euch zuteil werden« (Joh 15, 7), sagt Christus. Als unerlässliche Vorbedingung dieser durchschlagenden Kraft des Gebetes bleibt jedoch, dass wir Beleidigungen vergessen und gegen den Nächsten eine wohlwollende und gütige Gesinnung hegen.

Achtes Kapitel: Wie man beten soll

1 Viel kommt beim Gebet darauf an, wie es verrichtet wird. Gewiss ist Beten gut, aber nur dann, wenn gut gebetet wird. Wir erreichen oft nicht, um was wir beten, weil wir schlecht beten, sagt der Apostel Jakobus (Jak 4, 3). Daher muss der Pfarrer das gläubige Volk belehren über die beste Weise zu beten und zwar sowohl beim privaten wie beim gemeinsamen Gebet. Die entsprechenden Anordnungen für das Gebet des Christen sind in der Lehre Christi des Herrn enthalten.

Fürs erste muss man »im Geiste und in der Wahrheit« beten. Denn der himmlische Vater sucht solche, die Ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten (Joh 4, 23). So betet man, wenn das Gebet von Herzen kommt, wenn man wirklich ernstlich beten will. Ein solches Gebet »im Geiste« muss auch das mündliche Gebet sein.

Doch der Vorzug gebührt dem tief innerlichen Gebet: Gott, der auch die geheimen Gedanken der Menschen kennt, hört es, wenn es auch nicht mit dem Munde ausgesprochen wird. So hörte Er das Herzensgebet Annas, der Mutter Samuels, von der wir lesen, sie habe geweint und gebetet, aber bloß die Lippen bewegt (1 Sam 1, 13). Auch David betete so. Er sagt: »Mein Herz spricht zu dir: es sucht dich mein Angesicht« (Ps 25, 8). Beispiele dieser Art begegnen uns in der Hl. Schrift hin und hin.

2 Aber auch das mündliche Gebet ist nützlich und notwendig. Denn es erwärmt das Herz und entflammt die Andacht des Betenden, wie der hl. Augustin an Proba schreibt: »Durch Worte und Zeichen erwecken wir in uns zuweilen ein noch größeres heiliges Verlangen« (Dem Sinn nach bei Augustin ep. 130 [al. 121] c. 9). Auch fühlen wir uns mitunter durch einen starken Affekt, etwa der Gottesliebe gedrängt, unsre Gedanken mit Worten auszusprechen. Denn wenn z. B. das Herz voll ist von heiliger Freude, geht naturgemäß auch der Mund davon über. Auch gehört es sich, dass wir ein ganzes Opfer darbringen, des Leibes und der Seele. Das war die Gebetsweise der Apostel, wie wir aus vielen Stellen der Apostelgeschichte und der Briefe des hl. Paulus ersehen.

3 Was die zwei Arten des Gebetes, das private und das gemeinsame betrifft, so bedienen wir uns beim ersteren des gesprochenen Wortes, um wie gesagt die Andacht und den Eifer zu fördern; beim letztern, das zur Förderung der Frömmigkeit des gläubigen Volkes zu gewissen festgesetzten Zeiten verrichtet wird, kann man des gesprochenen Wortes überhaupt nicht entraten.

4 Dieses »Gebet im Geiste« ist eine Eigentümlichkeit des Christentums und wird von den Ungläubigen nicht geübt, wie Christus der Herr sagte: »Wenn ihr betet, so machet nicht viele Worte wie die Heiden, die da meinen ihres Wortschwalles wegen erhört zu werden. Macht es ihnen nicht nach! Euer Vater weiß ja, was euch not tut, ehe ihr ihn bittet« (Mt 6, 7. 8). Wenn der Herr mit diesen Worten eine gewisse Geschwätzigkeit verbietet, so verwirft Er damit durchaus nicht ein langes Gebet, das einer starken und andauernden Seelenstimmung entquillt; vielmehr muntert Er uns durch sein eigenes Beispiel dazu auf, da Er nicht nur ganze Nächte im Gebet durchwachte, sondern auch dreimal dasselbe Gebet wiederholte (Mt 26, 44). Man muss nur das Eine festhalten, dass sich Gott nicht durch leeren Wortschwall erbitten lässt.

5 Auch das Gebet der Heuchler ist kein Gebet im Geiste. Vor ihrer Weise warnt uns Christus der Herr mit diesen Worten: »Wenn ihr betet, so macht es nicht wie die Heuchler: die stellen sich gern in Synagogen und an Straßenecken hin und beten, um von den Menschen gesehen zu werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn. Willst du beten, so geh in dein Kämmerlein, schließ die Tür und bete zu deinem Vater im verborgenen. Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird es dir vergelten« (Mt 6, 5.6). Unter dem Kämmerlein kann hier das Menschenherz verstanden werden. Und es genügt nicht, dort einzutreten; man muss es auch zuschließen, damit nicht von außen her allerhand eindringe oder sich einschleiche und so die Lauterkeit des Gebetes gefährde. Dann wird der himmlische Vater, der aller Herzen und ihre geheimsten Gedanken durchschaut, das Verlangen des Betenden erfüllen.

6 Das Gebet erfordert ferner Beharrlichkeit. Die Wirksamkeit des beharrlichen Gebetes zeigt der Sohn Gottes im Gleichnis von jenem Richter, der weder Gott fürchtete noch einen Menschen scheute, schließlich aber durch die zudringliche Beharrlichkeit der Witwe besiegt, ihre Forderung erfüllte (Lk 18, 2ff). Man muss daher mit Beharrlichkeit zu Gott beten und darf nicht jene nachahmen, die das eine oder andere Mal beten und, wenn sie nicht gleich erhört werden, im Gebete nachlassen. Bei diesem Dienste darf es keine Lässigkeit geben, wie uns Christus und die Apostel lehren. Und wenn der Wille hierin zuweilen schwach werden möchte, so müssen wir Gott um Ausdauer bitten.

7 Weiters will der Sohn Gottes, dass wir in seinem Namen zum Vater beten. Denn erst durch das Verdienst und durch das Ansehen dieses Fürsprechers erhält das Gebet das Vorrecht, vom Vater im Himmel erhört zu werden. So lautet sein Wort bei Johannes: »Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bitten werdet, so wird er es euch geben. Bisher habt ihr um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen werde« (Joh 16, 23. 24). Und wiederum: »Um was ihr immer den Vater in meinem Namen bitten werdet, das will ich tun« (Joh 14, 13).

8 Ahmen wir den glühenden Eifer der Heiligen nach, den sie beim Beten an den Tag legten. Und verbinden wir mit der Bitte den Dank nach dem Beispiel der Apostel, die das stets zu tun pflegten, wie man beim hl. Paulus sehen kann.

9 Zum Gebet lasst uns Fasten und Almosen hinzufügen. Das Fasten steht sicher in naher Beziehung zum Gebet; denn wer mit Speis und Trank überladen ist, dessen Geist ist so gehemmt, dass er weder zu Gott emporblicken noch der Bedeutung des Gebetes sich recht bewusst werden kann.

Das Almosen steht gleichfalls mit dem Gebet in enger Verbindung. Denn wenn jemand dem auf fremde Güte angewiesenen Nächsten und Mitbruder nicht hilft, obwohl er könnte, wie kann der sich zu sagen getrauen, er habe die Liebe? Ist man aber der Liebe bar, wird man dann die Stirne haben, Gott um Hilfe zu bitten? Muss man nicht zuvor um Verzeihung dieser Sünde bitten und zugleich demütig Gott um seine Liebe anflehen?

Es ist daher göttliche Anordnung, dass das Heil der Menschen durch dieses dreifache Mittel gefördert wird. Wie wir nämlich durch die Sünde Gott beleidigen oder den Nächsten verletzen oder uns selbst schädigen: so versöhnen wir durch das Gebet Gott, durch Almosen machen wir die Beleidigungen der Mitmenschen wieder gut, und durch Fasten reinigen wir uns selbst von den Befleckungen des eigenen Lebens. Wenn auch jedes dieser Mittel gegen alle Arten von Sünden nützlich ist, so sind sie doch für die eben angeführten ganz besonders passend.

Vom Vater unser

Neuntes Kapitel: Von der Einleitung zum Gebet des Herrn
»Vater unser, der du bist im Himmel« 

1 Die von Jesus Christus selber stammende Formel des christlichen Gebetes lässt uns, bevor wir zu den eigentlichen Bitten kommen, mit einer Einleitung beginnen. Ihr Wortlaut legt die kindliche Gesinnung nahe, mit der wir vor Gott hintreten sollen, und ist daher geeignet, auch unser Vertrauen zu heben. Es ist darum Pflicht des Seelsorgers, diese Anrede dem gläubigen Volke genau und deutlich zu erklären, damit es mit größerer Freudigkeit zum Gebete herantritt und im Bewusstsein, mit dem Vater-Gott zu verkehren.

Die Einleitung ist dem Wortlaut nach ganz kurz, aber inhaltschwer und voller Geheimnisse. Das erste Wort, das wir nach Gottes Befehl und Anleitung dabei gebrauchen, ist das Wort

»Vater«.

Unser Erlöser hätte dieses erhabene Gebet gerade so gut mit einem Worte beginnen können, das mehr die Majestät Gottes zum Ausdruck bringt wie z. B. Schöpfer oder Herr; Er tat es aber nicht, weil das in uns auch Furcht erregen könnte. Vielmehr wählte Er ein Wort, das dem Betenden nur Liebe und Vertrauen zu Gott einflößt; denn was ist lieblicher als der Vatername, der ja ganz Nachsicht und Liebe atmet?

2 Warum Gott der Vatername gebührt, wird man dem gläubigen Volke leicht aus den Lehrstücken von der Schöpfung, Weltregierung und Erlösung zeigen können. Da Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, anders - als die übrigen Lebewesen, wird Er ob dieser einzigartigen dem Menschen verliehenen Auszeichnung mit Recht in der Hl. Schrift der Vater aller Menschen genannt, nicht nur der gläubigen, sondern auch der ungläubigen.

3 Aus der Weltregierung Gottes lässt sich dartun, dass Er in der Fürsorge für das Wohlergehen der Menschen eine außerordentliche Sorgfalt und Vorsehung zeigt und dadurch wahrhaft väterliche Liebe gegen uns beweist.

Um bei der Erklärung dieser Lehre die Vaterliebe Gottes gegen die Menschen noch deutlicher hervortreten zu lassen, wird es gut sein, dem Volke etwas über die Schutzengel zu sagen. 4 An der Seite jedes einzelnen Menschen steht nämlich ein himmlischer Geist, um ihn vor jedem erheblichen Schaden zu bewahren. Denn wie sich Eltern um Begleiter und Beschützer für ihre Kinder umsehen, wenn diese eine unsichere und gefährliche Reise unternehmen müssen, so gibt der himmlische Vater jedem einzelnen von uns auf dem Weg zum himmlischen Vaterland einen Engel mit, durch dessen Hilfe und Wachsamkeit wir die Fallstricke der Feinde meiden und ihre furchtbaren offenen Angriffe zurückschlagen können. Unter dem Schutz dieses Führers vermögen wir den rechten Weg einzuhalten, ohne uns durch den arglistigen Feind von der geraden Richtung zum Himmel abdrängen zu lassen. 5 Gott hat mit der Durchführung dieser seiner außerordentlichen Fürsorge für die Menschen die Engel betraut, weil sie ihrer Natur nach eine gewisse Mittelstellung zwischen Gott und den Menschen einnehmen.

Welche Wohltat das für uns ist, lässt sich aus zahlreichen Beispielen der Hl. Schrift dartun. Nach ihrem Zeugnis hat Gottes Güte gar nicht selten die Engel vor den Augen der Menschen Wunderzeichen tun lassen, woraus wir schließen sollten, diese Beschützer unsres Heils wirkten noch weit mehr zu unserm zeitlichen und ewigen Nutzen, ohne dass wir es sehen. Der Erzengel Raphael brachte als gottgesandter Führer und Reisebegleiter den jungen Tobias hin und zurück, rettete ihn vor dem Rachen eines ungeheuren Fisches und belehrte ihn über die in Leber, Galle und Herz des Fisches liegende Heilkraft. Er trieb den Teufel aus, bändigte ihn und verhinderte, dass er Tobias schädigte. Er belehrte den Jüngling über den würdigen und rechtmäßigen Gebrauch der Ehe und gab seinem erblindeten Vater das Augenlicht wieder (Tob ce 5 u. 6). 6 Die Befreiungsgeschichte des Apostels Petrus durch einen Engel (Apg. 12) bietet ebenfalls reichen Stoff, um das gläubige Volk über die auffallenden Wirkungen des fürsorglichen Schutzes der heiligen Engel zu belehren: der Seelsorger wird hinweisen, wie der Engel den finstern Kerker erleuchtete, den Petrus in die Seite stieß und vom Schlafe aufweckte, seine Ketten löste und die Fesseln zerbrach, ihn mahnte, aufzustehen, Schuhe und Kleider zu nehmen und ihm zu folgen; wie dann Petrus von dem Engel ungehindert durch die Wachen aus dem Kerker geführt ward, wie sich die Tür öffnete und er in Sicherheit gebracht wurde. Solche Beispiele finden sich, wie schon gesagt, in der Hl. Schrift in Hülle und Fülle. Wir erkennen daraus die gewaltige Größe der Wohltat, die Gott den Menschen durch die Engel, seine Dolmetscher und Boten, erweist.

Gott sendet uns seine Engel aber nicht bloß gelegentlich und in bestimmten Fällen, vielmehr ist jedem einzelnen von uns schon vom ersten Anfang unsres Daseins an ein Schutzengel beigegeben. Diese Lehre, sorgsam dargelegt, wird nicht verfehlen, die Gemüter der Zuhörer aufzurichten und sie zur ehrfürchtigen Anerkennung der wahrhaft väterlichen göttlichen Vorsehung zu bestimmen.

7 Um die Christen noch mehr von der - Vatersorge Gottes zu überzeugen, wird der Pfarrer ganz besonders den Reichtum der göttlichen Barmherzigkeit gegen das Menschengeschlecht verkünden und preisen. Denn obschon wir seit den Tagen des Stammvaters unsres Geschlechtes und unsrer Sünde bis heute Gott mit unzähligen Lastern und Missetaten beleidigt haben, bewahrt Er uns doch seine Liebe und lässt von seiner großen Fürsorge gegen uns nicht ab.

Wer da meint, Gott vergesse die Menschen, der ist ein Tor und fügt Gott die ungeheuerlichste Schmach zu. Gott zürnte darum dem Volk Israel wegen der gotteslästerlichen Behauptung, es sei vom Himmel verlassen: »Sie versuchten den Herrn,« heißt es nämlich im Buch Exodus, »und sprachen: Ist Gott in unserer Mitte oder nicht« (Ex 17, 7)? Und bei Ezechiel spricht Gott ebenfalls seinen Zorn gegen das Volk aus, weil es sagte: »Der Herr sieht uns nicht, der Herr hat das Land verlassen« (Ez 8, 12). Durch solche Zeugnisse müssen die Gläubigen von der gottlosen

Meinung abgehalten werden, Gott könnte den Menschen vergessen. Zu diesem Zweck lasse man sie auch die gegen Gott erhobene Klage des israelitischen Volkes hören, die beim Propheten Isaias steht, und wie Gott in einem lieblichen Gleichnis den törichten Vorwurf widerlegt. Da heißt es: »Sion sprach: Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen,« und Gott antwortet: »Kann denn eine Frau ihres Kindes vergessen und sich nicht erbarmen des Sohnes ihres Schoßes? Und wenn sie seiner vergäße, so will doch ich deiner nicht vergessen; siehe in meine Hände habe ich dich gezeichnet« (Jes 49, 14-19).

8 Solche Stellen beweisen deutlich, dass Gott in keinem Fall die Menschen vergisst und ihnen die Beweise seiner väterlichen Liebe versagt. Um jedoch die Gläubigen noch mehr davon zu überzeugen, soll der Seelsorger als durchschlagenden Beweis das Beispiel der ersten Menschen anführen (Gen 3). Nachdem sie das göttliche Gebot verachtet und verletzt hatten, hören wir gegen sie die harte Anklage und das furchtbare Urteil: »Verflucht sei die Erde ob deiner Tat, in Mühen sollst du dich von ihr nähren, Dornen und Disteln soll sie dir tragen und das Kraut des Feldes sollst du essen.« Dann sehen wir sie aus dem Paradies verstoßen, und um ihnen jede Hoffnung auf Rückkehr zu benehmen, vor den Eingang des Paradieses einen Cherub gestellt mit einem zweischneidigen Flammenschwert in den Händen; überdies mit vielen innern und äußern Leiden von Gott gezüchtigt zur Strafe für die Ihm angetane Unbill. Wenn man das alles wahrnimmt, sollte man da nicht meinen, es sei um die Menschen geschehen? Sie seien jeder göttlichen Hilfe bar dem gänzlichen Verderben preisgegeben? Und dennoch leuchtet bei all diesen Äußerungen der göttlichen Strafgerechtigkeit ein Lichtschimmer der Liebe Gottes gegen sie auf. Es heißt ja: »Gott der Herr machte dem Adam und seiner Frau Röcke aus Tierfellen und bekleidete sie damit;« wohl der größte Beweis, dass Gott die Menschen zu keiner Zeit verlassen werde. Diese Wahrheit: »Gottes Liebe kann durch keine Beleidigung der Menschen erschöpft werden«, spricht auch David aus mit den Worten: »Wird wohl Gott in seinem Zorn seine Erbarmungen zurückhalten« (Ps 76, 10)? Und Habakuk, der Gott so anredet: »Wenn du zürnest, gedenkst du auch deiner Barmherzigkeit« (Hab 3, 2). Und Michäas: »Welcher Gott ist dir gleich, der du hinwegnimmst die Missetat und die Sünden nachsiehst dem Überreste deines Volkes. Er wird nicht weiter seinen Zorn auslassen, weil er die Barmherzigkeit liebt« (Mi 7, 18). Und wahrlich, so ist es: Wenn wir uns ganz verlassen und der Hilfe Gottes beraubt glauben, gerade dann sucht uns Gott in seiner unermesslichen Güte heim und sorgt für uns; dann hält Er das schon gezückte Schwert der Gerechtigkeit zurück und gießt ohne Unterlass die unerschöpflichen Schätze seiner Barmherzigkeit über uns aus.

9 Schöpfung und Weltregierung sind also ganz vorzüglich geeignet, Gottes liebevolles Schalten und Walten zu gunsten des Menschengeschlechtes zu zeigen. Aber beide überragt weit die dritte Wohltat, das Werk der Erlösung; dadurch offenbart unser all gütiger Gott und Vater seine große Liebe gegen uns geradezu im Übermass. Daher soll der Pfarrer seinen geistlichen Kindern diese großartigste Liebestat Gottes gegen uns gut darlegen und tief einprägen, sie sollen innerlich erfassen, dass sie als Erlöste in wunderbarer Weise Kinder Gottes geworden sind. »Denn er gab ihnen,« sagt der hl. Johannes, »die Macht, Kinder Gottes zu werden« und: »sie sind aus Gott geboren« (Joh 1, 12. 13).

Deshalb wird die Taufe, die wir als das erste Unterpfand und Denkmal der Erlösung empfangen, das Sakrament der Wiedergeburt genannt, denn wir werden dadurch als Kinder Gottes geboren. Der Herr selbst sagt: » Was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist,« und: »Ihr müsst von neuem geboren werden« (Joh 3, 6. 7). Ebenso spricht der Apostel Petrus: »Ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem durch das Wort des lebendigen Gottes« (1 Pelr 1, 23). 10 Kraft dieser Erlösungstat [der hl. Taufe] haben wir nämlich den Heiligen Geist empfangen und sind der Gnade Gottes gewürdigt worden; durch diese Gabe nimmt uns aber Gott als seine Kinder an, wie der Apostel Paulus an die Römer schreibt: »Ihr habt ja nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch von neuem fürchten müsstet, sondern den Geist der Kindschaft, der uns rufen lässt: Abba, Vater« (Röm 8, 15). Bedeutung und Wirkung dieser Annahme an Kindesstatt legt der hl. Johannes also dar: »Sehet, welche Liebe uns der Vater erwiesen hat, dass wir Kinder Gottes heißen und es auch sind« (1 Joh 3, 1).

11 Nach Darlegung der Liebe des Vater-Gottes gegen seine Kinder muss das gläubige Volk daran erinnert werden, was es seinerseits einem so liebevollen Gott und Vater schulde. Es soll einsehen, wie sehr es seinem Schöpfer, Lenker und Erlöser Liebe und kindliche Gesinnung, Gehorsam und Ehrfurcht erzeigen muss und wie es Ihn mit zuversichtlichem Vertrauen anrufen soll.

Die Unwissenheit und verkehrte Gesinnung derer muss beseitigt werden, die da meinen, nur Glück und Wohlsein im Leben seien ein Beweis wahrer Liebe Gottes zu uns, Unglück und Widerwärtigkeiten hingegen, mit denen uns Gott heimsucht, seien ein Zeichen seiner feindseligen und ganz abgeneigten Gesinnung (Vgl. Job 19, 6ff). Solchen muss man entgegen halten, Gott lasse uns nicht aus Feindschaft zuweilen seine Hand fühlen; vielmehr schlägt Gott, um zu heilen, und schickt das Leid als Arznei. Er straft die Sünder, um sie durch die Züchtigung zu bessern und durch die zeitliche Strafe vom ewigen Verderben zu retten. Er sucht uns mit der Rute heim für unsre Sünden und mit Schlägen für unsre Missetaten, aber seine Barmherzigkeit wendet Er nicht ab von uns (Ps 88, 33f).

Daher muss man die Gläubigen ermahnen, sie sollen bei derartigen Züchtigungen die väterliche Liebe Gottes anerkennen und sich an das Wort des geduldigen Job erinnern und mit ihm sprechen: »Er verwundet und heilt, Er schlägt und seine Hände machen gesund« (Job 5, 18). Sie sollen sich zu eigen machen, was der Prophet Jeremias im Namen des israelitischen Volkes schrieb: »Du hast mich gezüchtigt und ich ward gebändigt wie ein junges Rind. Bekehre mich und ich werde mich bessern, denn du bist der Herr, mein Gott« (Jer 31, 18). Sie mögen sich das Beispiel des Tobias vor Augen halten, der in seiner Erblindung die züchtigende Vaterhand Gottes erkannte und ausrief: »Ich preise dich Herr, Gott Israels, weil du mich gezüchtigt und wieder geheilt hast« (Tob 11, 17).

12 Die Gläubigen müssen sich in jeder Trübsal besonders davor hüten, zu meinen, Gott kenne ihre Not nicht. Sagt Er doch selbst: »Nicht ein Haar eures Hauptes soll verloren gehen« (Lk 21, 18). Ja sie sollen sich mit dem göttlichen Ausspruch in der Geheimen Offenbarung trösten: »Die ich lieb habe, züchtige ich« (Offb 3, 19). Sie sollen sich beruhigen mit der Mahnung des Apostels an die Hebräer: »Mein Sohn, achte die Züchtigung des Herrn nicht gering, verzage nicht, wenn du von ihm zurecht gewiesen wirst. Denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er. Er schlägt jeden Sohn, den er gern hat. Bliebet ihr ohne Züchtigung, so wäret ihr unechte, nicht wirkliche Söhne. Wir standen unter der Zucht unsrer leiblichen Väter und hatten doch Ehrfurcht vor ihnen, sollten wir uns da nicht weit lieber dem Vater der Geister unterwerfen, um zu leben« (Hebr 12, 5-9)?

»Unser« 

13 Jeder einzelne ruft den Vater an und doch nennen wir ihn »unsern« Vater. Warum? Wir sollen die aus der Annahme an Kindesstatt sich notwendig ergebende Folgerung ziehen, dass alle Gläubigen Brüder sind und sich brüderlich lieben müssen. »Alle seid ihr Brüder, ... denn einer ist euer Vater, der im Himmel« (Mt 23, 8f), sagt der Herr. Daher nennen auch die Apostel in ihren Briefen die Gläubigen »Brüder«.

Ferner folgt daraus mit Notwendigkeit, dass durch diese Annahme an Kindesstatt die Gläubigen nicht nur untereinander Brüder werden, sondern auch Brüder des Mensch gewordenen Sohnes Gottes heißen und sind. So schreibt der Apostel an die Hebräer vom Sohne Gottes: »Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen, indem er spricht: Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden« (Hebr 2, 11 f). Das hat schon viel früher David von Christus vorausgesagt (Ps 21, 23). Und Christus selbst spricht im Evangelium zu den Frauen: »Gehet und verkündet meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen, dort werden sie mich sehen» (Mt 28, 10). Bekanntlich hat Er das gesagt, als Er bereits von den Toten auferstanden und zur Unsterblichkeit gelangt war; es sollte ja nicht der Gedanke aufkommen, sein Bruderverhältnis zu uns sei durch die Auferstehung und Himmelfahrt gelöst worden. Ja durch die Auferstehung ward diese liebevolle Verbindung Christi so wenig aufgehoben, dass Er nach seinen eigenen Worten beim Weltgericht vom Thron seiner Majestät und Herrlichkeit aus die »geringsten« unter den Gläubigen mit »Brüder« anreden wird (Mt 25, 40).

14 Und wie sollten wir nicht »Brüder Christi« sein, da wir doch seine »Miterben« genannt werden? Er ist als »Erstgeborner« zum »Universalerben« eingesetzt (Hebr 1, 2); wir als Nachgeborne sind seine Miterben: [mehr oder weniger], je nachdem wir uns durch den Gebrauch der himmlischen Gnaden und durch Liebe als Diener und Mitarbeiter des Heiligen Geistes erwiesen haben. Von Ihm werden wir nämlich zur Tugend und zu heilbringenden Werken angetrieben und angefeuert. Im Vertrauen auf seine Gnade können wir mutig zum Kampfe für unser Seelenheil antreten. Haben wir ihn dann mit Klugheit und Ausdauer bestanden und unsern Lebenslauf vollendet, so werden wir vom himmlischen Vater den gerechten Siegeskranz erhalten, der allen, die dieselbe Lebensbahn laufen, bestimmt ist. »Denn Gott ist«, wie der Apostel sagt, »nicht ungerecht, dass er unsrer Arbeit und unsrer Liebe vergessen sollte« (Hebr 6, 10).

15 Wie herzlich wir das Wörtchen »unser«: aussprechen sollten, erhellt aus dem Wort des hl. Johannes Chrysostomus, der sagt, Gott erhöre den Christen gern, wenn er nicht nur für sich, sondern für andere betet; denn für sich zu beten, fordere die Natur, für andere die Gnade; für sich der Zwang der Not, für andere der Drang der brüderlichen Liebe. Er fügt noch hinzu: Lieber ist Gott das Gebet, das Ihm die Bruderliebe darbringt, als jenes, das die Not uns abringt (Hom. 14 Opus imperf. in Mt).

Wenn der Seelsorger über diesen für das Seelenheil so wichtigen Gegenstand spricht, muss er alle eindringlich ermahnen, wes Alters, Geschlechtes oder Standes sie auch seien, dass sie dieses allen gemeinsame Bruderverhältnis nicht vergessen, sich daher freundlich und bescheiden benehmen und nicht hochmütig über andere sich erheben. Und wenn es in der Kirche Gottes Rangstufen von mancherlei Ämtern und Würden gibt, so wird durch diese Verschiedenheit das enge Bruderverhältnis keineswegs aufgehoben. So geht ja auch im Menschenleib trotz der Verschiedenheit in Gebrauch und Tätigkeit der Glieder keinem Körperteil Aufgabe und Name eines Gliedes verloren. 16 [Um diese Wahrheit auf das Leben anzuwenden,] denke z. B. an einen König; hört er deswegen auf - vorausgesetzt, dass er Christ ist - ein Bruder aller derer zu sein, die der Gemeinschaft der Christgläubigen angehören? Gewiss nicht. Wieso das? Der Gott, dem Reiche und Herrscher ihr Dasein verdanken, ist eben kein anderer, als der, von dem Arme und Untergebene ihren Ursprung haben, sondern der Eine Gott ist Vater und Herr aller.

Also haben wir alle denselben Adel der geistigen Geburt, dieselbe Würde, gehören zum selben ruhmreichen Geschlecht, denn wir alle sind aus demselben Geiste, aus demselben Sakramente des Glaubens als Kinder Gottes geboren und haben das gleiche Anrecht auf dieselbe Erbschaft. Die Reichen und Mächtigen haben keinen andern Gottmenschen als die Armen und Schwachen, sie werden durch keine andern Sakramente geheiligt und haben keinen andern Himmel als Erbe zu erwarten. Wir alle sind Brüder und, wie Paulus an die Epheser schreibt, »Glieder des Leibes Christi, Fleisch und Bein von ihm« (Eph 5, 30). Das gleiche sagt der Apostel im Briefe an die Galater: »Alle seid ihr Kinder Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Da gilt nicht mehr Jude oder Heide, nicht mehr Sklave oder Freier, nicht mehr Mann oder Frau. Ihr seid alle eins in Christus Jesus« (Gal 3, 26 ff).

Diesen Punkt müssen die Seelsorger genau behandeln; dabei sollen sie obige Lehre geschickt verwerten, denn sie eignet sich nicht nur zur Stärkung und Aufmunterung der Armen und Verachteten, sondern ebenso zur Zügelung und Zurückweisung der Anmaßung von Reichen und Mächtigen. Um diesem Übel zu steuern, drang ja der Apostel so auf die brüderliche Liebe und schärfte sie den Gläubigen ein.

[Fortsetzung folgt]