Edith Stein

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Edith Stein (Sr. Teresia Benedicta a Cruce OCD; * 12. Oktober 1891 in Breslau; † 9. August 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau) ist Mitpatronin Europas, Philosophin und Märtyrerin. Ihr Gedenktag ist der 9. August.


Biografie

Kindheit und Jugend

Am 12. Oktober 1891, zu Yom Kippur (Versöhnungstag), dem höchsten jüdischen Feiertag, wird Edith Stein als elftes und letztes Kind von Siegfried und Auguste Stein in Breslau geboren. Die Eltern sind gläubige Juden, die zwar alle jüdischen Feste begehen, dem Glauben aber ansonsten keine besonders große Bedeutung beimessen.

Ediths Vater Siegfried, der einen Holzhandel betreibt, stirbt, als Edith noch nicht zwei Jahre alt ist. Die Mutter Auguste Stein übernimmt nun neben der Erziehung ihrer sieben Kinder (vier sind schon im Kindesalter gestorben) den Holzhandel und führt ihn zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Die Mutter ist eine beeindruckende Persönlichkeit, die für ihre Kinder, auch für Edith, stets ein großes Vorbild bleibt. Edith ist stolz auf ihre jüdische Herkunft und bekennt sich auch später als Atheistin und dann als Christin zu ihren Wurzeln.

Schon in der Schule fällt Edith durch ihre Disziplin, Entschiedenheit, Genügsamkeit und Intelligenz auf, Eigenschaften, die sie von ihrer Mutter geerbt hat.

Mit vierzehn Jahren (1905) gewöhnt sich Edith bewusst das Beten ab und bezeichnet sich als Atheistin. Sie beginnt, sich für soziale Angelegenheiten zu interessieren und für Frauenrechte und das Recht auf gleiche Bildung für alle zu kämpfen.

Studium

Nach ihrem Abitur in Breslau (mit Auszeichnung) im Jahr 1911 fasst Edith den Entschluss, Lehrerin zu werden und beginnt in Breslau Geschichte, Deutsch, Philosophie und Psychologie zu studieren. Das Studium der Psychologie in Breslau befriedigt sie wenig.

Nachdem sie 1913 die Schriften des Göttinger Professors Edmund Husserl (Begründer der Phänomenologie) kennengelernt hat, beschließt sie, nach Göttingen zu wechseln, um bei Husserl Philosophie zu studieren.

In der Philosophie sucht Edith nach dem Sinn des Lebens. Die Phänomenologie Husserls ermöglicht ihr dabei, unvoreingenommen sich allen Phänomenen gedanklich zu öffnen, auch der Frage nach Gott. Angeregt durch den Philosophen Max Scheler in Göttingen beginnt Edith, sich mit dem katholischen Glauben auseinanderzusetzen. Später schreibt sie über diese Begegnungen: „Das war meine erste Berührung mit dieser bis dahin völlig unbekannten Welt. Sie führte mich noch nicht zum Glauben. Aber sie erschloß mir einen Bereich von ‚Phänomenen’, an denen ich nun nicht mehr blind vorbeigehen konnte. Nicht umsonst wurde uns beständig eingeschärft, dass wir alle Dinge vorurteilsfrei ins Auge fassen, alle ‚Scheuklappen’ abwerfen sollten. Die Schranken der rationalistischen Vorurteile, in denen ich aufgewachsen war, ohne es zu wissen, fielen, und die Welt des Glaubens stand plötzlich vor mir.“ (Stein, Edith: „Aus dem Leben einer jüdischen Familie“, ESW VII; S. 229f.)

Das Staatsexamen in Göttingen besteht Edith Stein 1915 mit Auszeichnung. Danach stellt sie sich dem Roten Kreuz zur Verfügung und wird als Schwester im Militärlazarett eingesetzt. Nach ihrer Rückkehr widmet sie sich wieder der Arbeit an ihrer Dissertation.

1916 wird Edmund Husserl nach Freiburg berufen. Edith Stein besteht ihr Doktorexamen in Freiburg summa cum laude.

Von 1916 bis 1918 ist Edith Stein wissenschaftliche Assistentin bei Edmund Husserl in Freiburg.

Bekehrung

Der Tod von Husserls Assistenten Adolf Reinach im ersten Weltkrieg (1917) trifft Edith Stein schwer. Von seiner Witwe Anna Reinach wird sie um Ordnung des Nachlasses gebeten. Tief beeindruckt erkennt Edith, wie gut diese den Tod ihres Mannes mit Hilfe ihres Glaubens bewältigt und sogar noch Trost spenden kann.

Immer mehr beginnt Edith, sich mit christlichen Autoren und dem Neuen Testament zu beschäftigen. Intellektuell ist sie immer mehr von der Wahrheit des katholischen Glaubens überzeugt.

Zwischen 1919 und 1932 versucht Edith Stein insgesamt viermal ihre Habilitation zu erreichen. Ihr Bemühen bleibt vergeblich. Niemand wagt es, einer Frau, noch dazu einer Jüdin, eine universitäre Laufbahn zu ermöglichen.

An einem Sommerabend im Jahr 1921 findet Edith im Haus ihrer Freunde Hedwig Martius und Theodor Conrad in Bergzabern die Selbstbiographie der Heiligen Theresa von Ávila. Das Buch nimmt sie so gefangen, dass sie es in einem Zug bis zur Morgendämmerung ausliest. Als sie es schließt, sagt Edith zu sich selbst: „Das ist die Wahrheit“. Sie hatte ständig nach der Wahrheit gesucht, nun trat sie ihr gegenüber, nicht als abstrakter Begriff, sondern als Person, als lebendiger Gott. Entschlossen, zum katholischen Glauben überzutreten und sich auf die Taufe vorzubereiten, kauft sie sich einen katholischen Katechismus. Sie spürt die Sehnsucht, Karmelitin wie die Hl. Theresa von Avila zu werden.

Nach den vielen Enttäuschungen und Leiden der Jahre davor (der unerfüllte Habilitationswunsch; die Unmöglichkeit, eine erfüllende Arbeit zu finden; unerwiderte Liebe und der Verlust einiger Freunde im ersten Weltkrieg) empfindet sie ihren Entschluss, katholisch zu werden, als große Befreiung.

Am 1. Jänner 1922, dem Fest der Beschneidung des Herrn, wird Edith in Bergzabern getauft, am 2. Februar, dem Fest der Reinigung Mariens im Tempel, wird sie in der Hauskapelle des Bischofs von Speyer gefirmt. Beide Festtage sind von Edith Stein bewusst gewählt, da hier die jüdischen Wurzeln des Christentums deutlich zum Vorschein kommen. Ihre Konversion zum Christentum ist für Edith auch eine Wiederentdeckung ihres eigenen Judentums, und sie besteht darauf, sich als Judenchristin zu bezeichnen.

Mit ihrem Wunsch, Christentum und Judentum zu versöhnen, ist sie allerdings ihrer Zeit weit voraus. Schon in der eigenen Familie wird ihr die bestehende Trennung schmerzlich bewusst: „Eben jetzt habe ich schwere Tage. Für meine Mutter ist der Übertritt das Schlimmste, was ich ihr antun kann, und mir ist es schrecklich zu sehen, wie sie sich damit quält und ich ihr nichts erleichtern kann. Denn es gibt hier eine absolute Grenze des Verständnisses.“ (Stein, Edith: „Briefe an Roman Ingarden“, ESW XIV; Brief 78, 15. 10. 1921, S. 142)

Lehrerin und Vortragende

Von 1923 bis 1931 ist Edith Lehrerin am Mädchenlyzeum und an der Lehrerinnenausbildungsanstalt der Dominikanerinnen von St. Magdalena in Speyer. Sie übersetzt Werke von John Henry Kardinal Newman und von Thomas von Aquin. Daneben beginnt eine ausgedehnte Vortragstätigkeit über verschiedene Themen wie z.B. die Eucharistie, die Erziehung, die Wahrheit, das Verhältnis von Mann und Frau, oder die Hl. Elisabeth von Thüringen. Besonders nimmt sie sich der „Frauenfrage der katholischen Frauen in Deutschland“ an und hält ab 1928 einschlägige Vorträge in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Seit ihrer Taufe versucht Edith Arbeit und Gebet zu verbinden. Die regelmäßige Teilnahme am Chorgebet und die Anbetung sind ihr wichtig, auch ihre Verbundenheit mit der Gottesmutter Maria vertieft sich.

1932, nach ihrem letzten vergeblichen Habilitationsversuch in Freiburg, wird sie Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 muss sie ihre Lehrtätigkeit in Münster allerdings wieder beenden. In der Karwoche schreibt sie einen Brief an den Papst, um ihn zu einer Enzyklika in der „Judenfrage“ zu bewegen.

Karmelitin

Dass sie keine Vorlesungen mehr halten würde, sieht Edith auch als barmherzige Fügung. Nun kann sie sich ihren Herzenswunsch erfüllen, Karmelitin zu werden. Nach Monaten des Gebets und im Vertrauen auf die Führung Gottes tritt sie am 14. Oktober 1933 als „Teresia Benedicta a Cruce“ (Theresia, gesegnet vom Kreuz) in den Karmel von Köln ein. Es bleibt für sie eine große Wunde, dass ihre Mutter diesen Entschluss nicht verstehen und bejahen kann.

Im Kloster arbeitet Edith Stein weiterhin hauptsächlich im intellektuellen Bereich, wie sie auch selbst schreibt: „An sich gilt es gleich bei uns, ob man Kartoffeln schält, Fenster putzt oder Bücher schreibt. Im allgemeinen verwendet man aber die Leute zu dem, wozu sie am ehesten taugen, und darum habe ich viel seltener Kartoffeln zu schälen als zu schreiben.“ (Stein, Edith: „Briefe an Roman Ingarden“, ESW XIV; Brief 160, Sommer 1937, S. 238)

Ihre Hauptwerke entstehen daher alle im Kloster: 1936 beendet sie „Endliches und Ewiges Sein“, 1941/1942 arbeitet sie an „Kreuzeswissenschaften“ (eine Studie über Johannes vom Kreuz), das sie nicht mehr ganz beenden kann. Daneben entstehen zahlreiche kleinere Werke.

Am 14. September 1936 stirbt Ediths Mutter Auguste Stein, Ediths Schwester Rosa wird am 24. Dezember getauft.

Am 21. April 1938 legt Edith Stein ihre Ewigen Gelübde ab. Sechs Tage später, am 27. April stirbt Edmund Husserl in Freiburg.

Am 31. Dezember 1938 übersiedelt sie in den Karmel von Echt in Holland, um der von den Nationalsozialisten ausgehenden Lebensgefahr zu entkommen. Ihre Schwester Rosa, die als Laienhelferin im Karmel aufgenommen ist, folgt ihr wenig später nach.

Sie verbringt viel Zeit im Sühnegebet für die Untaten dieser Zeit, überlegt, ob sie Gott ihr Leben anbieten soll wie Esther im Alten Testament. Am Passionssonntag 1939 bietet sie sich dem Herzen Jesu als Opfer der Versöhnung für den wahren Frieden an. Diese Gedanken hält sie zu Fronleichnam auch schriftlich fest (Echter Testament).

Nach der Besetzung Hollands durch Deutschland versucht Edith mit ihrer Schwester Rosa im Schweizer Karmel von Le Pâquier Aufnahme zu finden, was aber von den Schweizer Behörden zu zögerlich behandelt wird.

Martyrium

Am 26. Juli 1942 protestieren die holländischen Bischöfe gegen das Verbrechen der Judenverfolgung, indem sie ihr Telegramm vom 11. Juli an den Reichsstatthalter Artur Seyß-Inquart von den Kanzeln der Kirchen verlesen lassen. In Reaktion darauf verhaften die NS-Behörden in den Niederlanden alle zum katholischen Glauben konvertierten Juden, die bisher verschont geblieben sind.

Am 2. August werden Edith und Rosa Stein im Karmel von Echt verhaftet und ins Sammellager Amsfoort überführt. Am 4. August erfolgt der Weitertransport ins Durchgangslager Westbork. Am 7. August beginnt der Abtransport Richtung Osten. Am Bahnhof von Schifferstadt wird sie das letzte Mal gesehen, dann gibt es keine Aufzeichnungen mehr über sie. Vermutlich ist sie am 9. August 1942 gleich nach ihrer Ankunft in Auschwitz oder in Birkenau in der Gaskammer ermordet worden.

Außer Edith und Rosa sterben noch zwei weitere der Stein-Geschwister, nämlich Paul und Elfriede, in Konzentrationslagern. Else, Erna und Arno können rechtzeitig auswandern.

Am 1. Mai 1987 wird Edith Stein in Köln von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

Am 11. Oktober 1998 erfolgt die Heiligsprechung in Rom.

Am 1. Oktober 1999 wird Edith Stein (zusammen mit Birgitta von Schweden und Katharina von Siena) von Johannes Paul II. zur Mit-Patronin Europas ernannt.


Kritik und Würdigung

Ist Edith Stein eine christliche Märtyrerin?

Papst Johannes Paul II war die Versöhnung zwischen Christen und Juden ein großes Anliegen, wie er auch durch seine Besuche in den Synagogen, seine Vergebungsbitte an die Juden für von Christen begangene Verbrechen oder sein Gebet an der Klagemauer zeigte. Gerade deshalb lag ihm auch die Selig- und Heiligsprechung der Jüdin und Katholikin Edith Stein sehr am Herzen, sah er doch in ihr eine große Vorgängerin in dieser Bestrebung nach Versöhnung.

Weltweit hat die Selig- und Heiligsprechung Edith Steins jedoch nicht nur Zustimmung hervorgerufen. Vor allem von jüdischer Seite, auch von Verwandten Edith Steins, wurden kritische Stimmen laut. Man befürchtete, die katholische Kirche wolle Edith Stein für sich vereinnahmen oder vom Versagen einiger Vertreter der Kirche im Dritten Reich ablenken. Andere fragten sich, ob man Edith Stein zu Recht eine „christliche“ Märtyrerin nennen könne, wo sie doch nicht wegen ihres christlichen Glaubens umgebracht wurde, sondern weil sie Jüdin war.

Edith Stein selbst erkannte spätestens ab 1938 ihre konkrete Todesgefahr durch die Nationalsozialisten. Ihre Reaktion darauf erscheint zunächst paradox: einerseits bietet sie Gott immer wieder ihr Leben als Sühneopfer an, andererseits setzt sie alles in Bewegung, um der Todesgefahr zu entkommen.

Am 9. Juni 1939 schreibt sie im Karmel zu Echt ihr Testament (Echter Testament):

Ich danke meinen lieben Vorgesetzten und allen lieben Mitschwestern von ganzem Herzen für die Liebe, mit der sie mich aufgenommen haben, und für alles Gute, das mir in diesem Hause zuteil wurde.

Schon jetzt nehme ich den Tod, den Gott mir zugedacht hat, mit vollkommener Unterwerfung unter Seinen heiligen Willen mit Freuden entgegen. Ich bitte den Herrn, dass Er mein Leben und Sterben annehmen möchte zu Seiner Ehre und Verherrlichung, für alle Anliegen der heiligsten Herzen Jesu und Mariae und der heiligen Kirche, insbesondere für die Erhaltung, Heiligung und Vollendung meines heiligen Ordens, namentlich des Kölner und des Echter Karmels, zur Sühne für den Unglauben des jüdischen Volkes und damit der Herr von den Seinen aufgenommen werde und Sein Reich komme in Herrlichkeit, für die Rettung Deutschlands und den Frieden der Welt, schließlich für meine Angehörigen, Lebende und Tote, und alle, die mir Gott gegeben hat: dass keiner von ihnen verloren gehe.

Am Freitag in der Fronleichnamsoktav, 9. Juni 1939, dem 7. Tag meiner hl. Exerzitien. In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Schw. Theresa Benedicta a Cruce, O.C.D.“ (Feldmann: „Edith Stein“, S. 118f)

Was hier zunächst paradox anmutet ist eigentlich die typische Haltung eines christlichen Märtyrers. Dass sie Gott ihr Leben anbietet, bedeutet nicht, dass sie in einem religiösem „Masochismus“ sterben und Märtyrerin werden möchte. Im Gegenteil: sie ist bemüht, ihr Leben zu retten, indem sie zunächst in den Karmel von Echt übersiedelt und später versucht, mit ihrer Schwester Rosa im Schweizer Karmel von Le Pâquier unterzukommen. Noch am Tag ihrer Verhaftung lässt sie in ihrem Zimmer einen in Eile geschriebenen Telegrammentwurf an das Schweizer Konsulat zurück, es „möge sorgen, dass wir [Edith und Rosa Stein] möglichst bald über die Grenze kommen. Für Reisegeld wird unser Kloster sorgen.“ (Feldmann: „Edith Stein“, S. 131)

Andererseits konnte die Aussicht des nahen Todes ihr auch nichts anhaben. Sie war bereit, den Tod anzunehmen, wenn er sich nicht abwenden ließ, ohne jegliche Verzweiflung, mehr noch: sie wollte den Tod sogar freudig annehmen als Sühneopfer, um sich mit Christus im Tod zu vereinen. Diese Haltung wird von mehreren Augenzeugen bestätigt, die sie während des Transports nach Auschwitz getroffen haben:

Bei ihrer Verhaftung nahm sie ihre Schwester Rosa bei der Hand und sagte leise zu ihr: „Komm, wir gehen für unser Volk“. Im Sammellager Westerbork war sie ein Ruhepol inmitten von Jammer und Aufregung: „Schwester Benedicta ging unter den Frauen umher, tröstend, helfend, beruhigend wie ein Engel. Viele Mütter, fast dem Wahnsinn nahe, hatten sich schon tagelang nicht um ihre Kinder gekümmert und brüteten in dumpfer Verzweiflung vor sich hin. Schwester Benedicta nahm sich sofort der armen Kleinen an, wusch sie und kämmte sie, sorgte für Nahrung und Pflege.“ Von anderen wird sie beschrieben als Frau mit einem „Lächeln, das keine Maske, sondern ein wärmendes Licht war“. Über das Leiden des jüdischen Volkes sagte sie in Westerbork: „Dass meine Schwestern und Brüder so leiden müssen ... Leider habe ich auch das nicht gewußt in der Abgeschiedenheit meines Klosters. Jede Stunde bete ich für sie. Ob er mein Gebet erhört... ? Ihre Klagen hört Gott gewiss ...“ (alle Zitate: Feldmann: „Edith Stein“, S. 130f)

Ihre Ausreise in die Schweiz versucht Edith Stein auch vom Transport aus voranzubringen. Eine Intervention bei den Bischöfen lehnt sie jedoch ab. Sie möchte nicht anders behandelt werden als ihre jüdischen Leidensgenossen, nur weil sie getauft ist.

Der Gedanke der Sühne, der stellvertretenden Wiedergutmachung gibt Edith Stein die Kraft, ihren letzen Kreuzweg so gelassen durchzustehen. Nicht erst in „Kreuzeswissenschaften“ beschäftigt sie sich mit der Bedeutung des Leidens, schon viel früher taucht dieses Thema in ihren Schriften auf, ja, der Sühnegedanke ist eine wichtiger Antrieb für ihren Eintritt in den Karmel. Bereits 1932 schreibt sie: „Es gibt eine Berufung zum Leiden mit Christus und dadurch zum Mitwirken an seinem Erlösungswerk. Wenn wir mit dem Herrn verbunden sind, so sind wir Glieder am mystischen Leib Christi; Christus lebt in seinen Gliedern fort; und das in Vereinigung mit dem Herrn getragene Leiden ist sein Leiden, eingestellt in das große Erlösungswerk und darin fruchtbar. Es ist ein Grundgedanke alles Ordenslebens, vor allem aber des Karmellebens, durch freiwilliges und freudiges Leiden für die Sünder einzutreten und an der Erlösung der Menschheit mitzuarbeiten.“ (Stein: „Selbstbildnis in Briefen I“, ESW VIII; Brief 129 vom 26.12.1932 an Anneliese Lichtenberger, S. 125)

Dieser Gedanke der Stellvertretung und der Sühne ist schon im Alten Testament vorhanden. Edith Stein bezieht sich gerne auf Königin Ester, die alleine vor dem König Atraxerxes für ihr Volk einsteht, als die Vernichtung der Juden im ganzen Perserreich beschlossen wurde. Auch am jüdischen Versöhnungstag, ihrem Geburtstag, gibt es diesen Sühnegedanken. Hier trat der Hohepriester in das Allerheiligste des Tempels, um stellvertretend ein Sühneopfer darzubringen für sich und das ganze Volk.

Durch das Kreuzesopfer Christi, in dem er stellvertretend die Sünden der Welt auf sich nahm, bekommt der Sühnegedanke einen neuen Hintergrund. So wie das, äußerlich betrachtet, sinnlose Leiden Christi zur Erlösung wurde, kann Edith Stein in ihrem ansich sinnlosen Leiden einen Sinn erkennen, nämlich den der Miterlösung, indem sie dem Tod auch freiwillig zustimmt, um stellvertretend mit Christus zu sühnen. Genau das gibt einem Märtyrer auch im Angesicht des Todes Hoffnung und Zuversicht.

Man sieht also, dass es aufgrund ihrer Einstellung durchaus berechtigt ist, bei Edith Stein von einer christlichen Märtyrerin zu sprechen. Aber auch die Intention ihrer Mörder macht sie sehr wohl auch zu einer christlichen Märtyrerin, denn die Verhaftungswelle vom 2. August 1939 war ein direkter Racheakt an der Katholischen Kirche. Edith Stein wurde an diesem Tag verhaftet, deportiert und schließlich ermordet, weil sie Jüdin und Katholikin war. Zeitlebens hat sie sich bemüht, Judentum und Christentum zu vereinen. Auch wenn sie für sich das Christentum als die Erfüllung des Judentums erkannte und sich als „Judenchristin“ nach dem Vorbild der Apostel betrachtete, war die Vereinigung praktisch unmöglich, da sie mit ihrer Taufe ja aus dem Judentum ausgeschlossen war. „Im Vernichtungslager ist sie als Tochter Israels zur Verherrlichung des heiligsten Namens (Gottes) und zugleich als Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz - als vom Kreuz Gesegnete - gestorben.“ (Johannes Paul II: Ansprache bei der Seligsprechung von Edith Stein in Köln am 1. 5. 1987)

Edith Stein ist also als Jüdin und Christin gestorben, sie ist jüdische und christliche Märtyrerin zugleich. Was ihr im Leben nicht gelingen konnte, die Vereinigung von Christentum und Judentum, in ihrem Sterben hat sie beides vereint.


Edith Steins Bedeutung für heute

Nach dem 2. Weltkrieg setzte, vor allem im deutschen Sprachraum und in der katholischen Kirche, ein reges Interesse für Edith Stein ein. 1948 erschien die erste Biographie (obwohl ihr Tod erst 1950 mit Sicherheit feststand), unzählige Schulen (über 30 in Deutschland), Straßen, Bibliotheken, Gemeindezentren und Studentenheime wurden nach ihr benannt, in Österreich tragen z.B. Studentenheim und Kapelle der katholischen Hochschulgemeinde in Wien ihren Namen. Die Seligsprechung 1987, die Heiligsprechung 1998 und die Ernennung zur Mitpatronin Europas 1999 waren weitere Höhe-punkte der Edith-Stein-Verehrung.

Die wissenschaftliche Würdigung ihres Werkes entwickelte sich etwas zögerlicher. Ab 1950 wurde der erste Versuch einer Gesamtausgabe gestartet (Edith Steins Werke, ESW), bis 1998 sind 18 Bände erschienen. Ab 2000 wurde eine neue kritische Gesamtausgabe begonnen, die bis 2006 in 24 Bänden (inzwischen auf 25 aufgestockt) erscheinen soll (Edith Stein Gesamtausgabe, ESGA).

Was macht diese Frau, die vor über hundert Jahren geboren und vor mehr als 60 Jahren gestorben ist, heute so interessant? Ihr Märtyrertod alleine kann die Faszination, die sie ausübt, nicht erklären. Es ist vielmehr die außerordentliche Glaubwürdigkeit ihrer Person, die sie heute so anziehend macht. Sie setzte ihren Verstand ein, um zu erkennen, und setzte ihre Erkenntnis konsequent in ihrem Leben um. Sie war keine Philosophin, die aus der Sicherheit eines bequemen Lehrstuhls die Welt von außen betrachtete, nein, sie steckte mitten in dieser Welt, und sie lebte in völliger Übereinstimmung mit dem, was sie sagte, lehrte und schrieb, auch wenn es für sie selbst unangenehm, unbequem und letztlich sogar tödlich war.

Ihre Gedankenwelt entstammte ihrem Leben und mündete wieder in ihrem Leben. Über das Frausein schrieb sie, weil sie eine Frau war, über den Glauben schrieb sie, weil sie glaubte, über das Leiden schrieb sie, weil sie litt, und die Gedanken, die sie sich über das Leiden machte, die Erkenntnisse, zu denen sie gelangte, halfen ihr tatsächlich, ihr Leben zu meistern und auch im Leiden standzuhalten, ja sogar angesichts des grausamen Todes froh zu lächeln.

Da die Themen, mit denen sich Edith Stein beschäftigte, mitten aus dem Leben kamen, sind diese für Kirche und Gesellschaft heute noch immer genauso aktuell wie zu ihrer Zeit. Bei einigen Themen kann sie durchaus als Pionier gelten, z.B. bei der Frage der Stellung und der Aufgabe der Frau in Kirche und Gesellschaft oder bei der Versöhnung zwischen Judentum und der katholischen Kirche. Von großer Bedeutung ist auch, dass sie, gemeinsam mit einigen anderen Philosophen aus dem Umkreis der Phänomenologie, gezeigt hat, dass man auch im 20. Jh. mit Hilfe der Vernunft zum Glauben finden kann.

Für die Phänomenologie waren zwei ihrer Themen von besonderer Bedeutung: einerseits die „Einfühlung“, die den Phänomenologen durch Hineinversetzen, Hineindenken, Einfühlen in die Gedanken und in die Person eines anderen davor bewahrt, die Welt allzusehr nur aus der eigenen Position zu betrachten, andererseits die Fruchtbarmachung der Philosophie des Thomas von Aquin für die Phänomenologie.

Wie aktuell Edith Stein für das Denken der Kirche heute ist, sieht man auch daran, dass so gut wie alle ihre Themen auch vom vorigen Papst, Johannes Paul II, behandelt wurden. Johannes Paul II war in seiner philosophischen Schulung selbst von der Phänomenologie geprägt. Den polnischen Philosophen Roman Ingarden, mit dem Edith Stein in regem Briefkontakt stand, hatte er persönlich gekannt, und seine philosophische Doktorarbeit schrieb er über Max Scheler.


Folgende Themen Edith Steins findet man ebenso bei Johannes Paul II:

Aufbau und Würde der menschlichen Person

Die Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft

Die Beziehung der Geschlechter

Die christliche Erziehung

Die jüdischen Wurzeln des Christentums

Die Versöhnung von Judentum und Christentum

Die Überwindung von Hass, Krieg und Gewalt

Das Verhältnis von Vernunft und Glaube

Die Wahrheit

Der Sinn des Seins

Der Sinn des Leidens

Kreuz und Sühne

Die Erlösung

Die Eucharistie

Der Rosenkranz

Die mystische Tradition der Kirche

Der dreifaltige Gott


Literatur

Edith Steins Werke (ESW)

Erster Versuch einer Gesamtausgabe der Werke Edith Steins (Herder, ab 1950)

Herausgeber: Lucy Gelber und Romaeus Leuven OCD / Michael Linssen OCD.


ESW I Kreuzeswissenschaft. Studie über Johannes a cruce (1950)

ESW II Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins (1951)

ESW III Des hl. Thomas von Aquinos Untersuchungen über die Wahrheit I (Übers.) (1952)

ESW IV Des hl. Thomas von Aquinos Untersuchungen über die Wahrheit II (Übers.) (1955)

ESW V Die Frau. Ihre Aufgabe nach Natur und Gnade (1959)

ESW VI Welt und Person. Beitrag zum christlichen Wahrheitsstreben (1962)

ESW VII Aus dem Leben einer jüdischen Familie (1985)

ESW VIII Selbstbildnis in Briefen I (1976)

ESW IX Selbstbildnis in Briefen II (1977)

(ESW X Leuven, Romaeus: „Heil im Unheil. Das Leben Edith Steins: Reifen und Vollendung“ (1983))

ESW XI Verborgenes Leben. Essays, Meditationen, geistliche Texte (1987)

ESW XII Ganzheitliches Leben. Schriften zur religiösen Bildung (1989)

ESW XIII Einführung in die Philosophie (1991)

ESW XIV Briefe an Roman Ingarden (1991)

ESW XV Erkenntnis und Glaube (1993)

ESW XVI Der Aufbau der menschlichen Person (1994)

ESW XVII Was ist der Mensch? (1994)

Edith Stein Gesamtausgabe (ESGA)

Neue, kritische Gesamtausgabe(Herder, ab 2000)

Herausgeber: Internationales Edith Stein Instititut Würzburg unter der Leitung von Michael Linssen OCD / Klaus Maas OCD, unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Dresden) und zahlreichen Fachgelehrten.


A. Biographische Schriften

ESGA 1 Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere biographische Schriften (2002)

ESGA 2 Selbstbildnis in Briefen I (2000)

ESGA 3 Selbstbildnis in Briefen II (2000)

ESGA 4 Selbstbildnis in Briefen III, Briefe an Roman Ingarden (2001)


B. Philosophische Schriften

Abteilung 1: Frühe Phänomenologie

ESGA 5 Zum Problem der Einfühlung

ESGA 6 Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften

ESGA 7 Eine Untersuchung über den Staat (2006)

ESGA 8 Einführung in die Philosophie (2004)

Abteilung 2: Phänomenologie und Ontologie

ESGA 9 Beiträge zur Phänomenologie und Ontologie

ESGA 10 Potenz und Akt (2005)

ESGA 11/12 Endliches und ewiges Sein (2006)


C. Schriften zur Anthropologie und Pädagogik

ESGA 13 Die Frau (2000)

ESGA 14 Der Aufbau der menschlichen Person (2004)

ESGA 15 Was ist der Mensch? (2005)

ESGA 16 Bildung und Entfaltung der Individualität (2001)


D: Schriften zur Mystik und Spiritualität

Abteilung 1: Phänomenologie und Mystik

ESGA 17 Wege der Gotteserkenntnis (2003)

ESGA 18 Kreuzeswissenschaft. Studie über Johannes vom Kreuz (2003)

Abteilung 2: Spiritualität und Meditation

ESGA 19 Geistliche Texte I

ESGA 20 Geistliche Texte II (2007)


E: Übersetzungen

ESGA 21 John Henry Newman, Die Idee der Universität (2004)

ESGA 22 John Henry Newman, Briefe und Texte zur ersten Lebenshälfte (2002)

ESGA 23 Thomas von Aquin, De Veritate I

ESGA 24 Thomas von Aquin, De Veritate II und weitere Übersetzungen

ESGA 25 Alexandre Koyre, Descartes und die Scholastik (2005)

Sekundärliteratur

Feldmann, Christian: „Edith Stein“; Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004

Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara: „Unerbittliches Licht. Edith Stein: Philosophie - Mystik - Leben“; Grünewald, Mainz 1991

Herbstrith, Waltraud: „Denken im Dialog. Zur Philosophie Edith Steins“; Attempto, Tübingen 1991

Herbstrith, Waltraud: „Edith Stein. Ein Lebensbild in Zeugnissen und Selbstzeugnissen“; Grünewald, Mainz 1993

Imhof, Beat W.: „Edith Steins philosophische Entwicklung“; Birkhäuser, Basel 1987


Weblinks


Dieser Artikel ist ursprünglich der Sektion Tagesheiliger bei www.kath.net entnommen.