Dietrich von Hildebrand: Zoelibat und Glaubenskrise
Dietrich von Hildebrand
Quelle: Dietrich von Hildebrand: Zölibat und Glaubenskrise, Josef Habbel Verlag Regensburg 1970 (168 Seiten, Imprimatur Regensburg, 19. September 1970 J. V. Lorenz Rosner Nr. Exp. 4135. Der Text enthält lateinische Wörter und ein Griechisches. Die Anmerkungen wurden, nicht wie im Original am Ende der Seite, sondern durchnummeriert am Ende des Buches, wiedergegeben. Die Abkürzung hl. wurde ausgeschrieben. Die Rechtschreibung wurde der gegenwärtigen Form angeglichen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 VORWORT
- 2 EINLEITUNG
- 2.1 Der Mythos vom modernen Menschen
- 2.2 Der Irrtum, man müsse die „Form" der Offenbarung der jeweiligen Zeitepoche anpassen
- 2.3 Der pastorale Aspekt und die Arten des Anziehendseins vom „fascinosum" Gottes bis zu dessen radikalem Gegenteil
- 2.4 Die Verwechslung von Liebe und Gemeinschaft
- 2.5 Religiöse Lebendigkeit und Veränderung (4)
- 2.6 Die „Rückkehr“ zur urchristlichen Kirche
- 2.7 Das Stellen der Einheit über die Wahrheit: falscher Irenismus
- 2.8 Der Kampf gegen das Kreuz
- 2.9 „Vereinigung“ des Unvereinbaren
- 3 KAPITEL 1: DER ZÖLlBAT IM LICHT DES WANDELBAREN UND UNWANDELBAREN IN DER KIRCHE
- 3.1 Wandelbares und Unwandelbares in verschiedenem Sinn
- 3.2 Der Unterschied zwischen Sich-Wandeln-können und Sich-Wandeln-sollen
- 3.3 Unwandelbares in der Kirche
- 3.4 Wandelbares in der Kirche, das verändert, und solches, das nicht verändert werden soll
- 3.5 Die schlagworthafte Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „Wandelbar“: Prinzipiell wandelbar und „überholt“
- 3.6 Die Zölibatspflicht des Priesters prinzipiell wandelbar, doch damit keineswegs „überholt“
- 4 KAPITEL 2: DAS AMT DES PRIESTERS
- 5 KAPITEL 3: DAS WESEN DES ZÖLIBATS
- 5.1 Über das Wesen der Ehe
- 5.2 Ehelosigkeit ist nicht Einsamkeit
- 5.3 Priesterlicher Zölibat und Opfer der Ehelosigkeit
- 5.4 Priesterlicher Zölibat kein Junggesellentum
- 5.5 Das Wesen des Zölibats und die Gefahrenquellen aus den Missverständnissen
- 5.6 Der priesterliche Zölibat allein aus dem Glauben verständlich
- 5.7 Gefahren, die den Zölibat im einzelnen Priester bedrohen
- 5.8 Priestertum und Berufung zum Zölibat
- 6 KAPITEL 4: PRIESTERTUM UND ZÖLlBAT
- 6.1 Zölibat und mit der Ehe verknüpfte „Verankerung in der Welt"
- 6.2 Die Unvergleichbarkeit des Zölibats mit des freiwillig erwählten Armut eines Priesters
- 6.3 Kann man zum großen Opfer des Zölibats jeden Priester verpflichten?
- 6.4 Die Pflicht sorgfältigster Prüfung der Berufungen durch die kirchliche Obrigkeit
- 7 KAPITEL 5: DIE BESONDERE BEDEUTUNG DES ZOLIBATS IN DER HEUTIGEN SITUATION
- 8 KAPITEL 6: DER MISSBRAUCH DER AUSDRÜCKE „FREIWILLIGKEIT" UND „PFLICHT" IN DER ZOLIBATSDISKUSSION
- 8.1 1. „Freiwilligkeit“ als Gegensatz zum Zwang von außen
- 8.2 2. „Freiwilliges“ im Gegensatz zum sittlich Verpflichtenden
- 8.3 3. „Freiwilligkeit" als Ignorieren der durch freiwillig eingegangene Bindung entstandenen Pflicht
- 8.4 Der Zölibat ist freiwillig, weil weder äußerer Zwang, noch sittliche Pflicht vor der freiwillig eingegangenen Bindung vorliegt
- 8.5 Freiwilligkeit heißt nicht dem Belieben des Einzelnen überlassene Trennung von Zölibat und Priestertum
- 8.6 Der Zölibat darf für den wirklich berufenen Priester nicht bloß unvermeidliches Opfer sein
- 8.7 Die Situation des Priesters, der nachträglich die freiwillig eingegangene Bindung auflösen will
- 8.8 Der Höhepunkt im Missbrauch des Ausdrucks „freiwillig"
- 8.9 Die Kirche hat die Bedingungen für das Priestertum zu stellen
- 9 KAPITEL 7: VERSCHIEDENHEIT UND VERBUNDENHEIT VON PRIESTERN UND LAIEN
- 9.1 Prinzipielle „Gleichheit“ aller Glieder der Kirche und Verschiedenheit der Ämter
- 9.2 Gefahr des „Pontifikalismus“ kein Argument gegen die Hierarchie in der Kirche
- 9.3 Säkularisierung und Entsakralisierung als Grund des „Beamtentums" in der Kirche
- 9.4 Richtige und falsche Berufung auf die Urkirche
- 10 KAPITEL 8: EHELOSIGKEIT DES PRIESTERS UND LIEBE
- 11 KAPITEL 9: „INSTITUTIONELLE“ KIRCHE UND LIEBESKIRCHE
- 12 KAPITEL 10: SCHLUSS
- 13 Anmerkungen
VORWORT
Wenn wir bedenken, was unser heilige Vater Papst Paul VI. über die Zölibatsverpflichtung der Priester in der westlichen Kirche in seiner herrlichen Enzyklika „Sacerdotalis caelibatus" geschrieben hat, möchte es überflüssig erscheinen, noch etwas über dieses Thema hinzufügen zu wollen.
Aber vielleicht ist die Stimme eines verheirateten Laien, der so viel über die Größe und Schönheit der Ehe geschrieben hat, in dem gegenwärtigen Angriff gegen den Zölibat von Seiten so vieler Priester und Laien nicht wertlos.
Dazu kommt, dass die Angriffe gegen die Zölibatsverpflichtung der Priester nach der Enzyklika leider keineswegs abgenommen haben, wie man erwarten sollte, sondern eher noch zunehmen.
Diese störrische Blindheit und dieses völlige Unverständnis gegenüber den Worten der Enzyklika wird allerdings weniger erstaunlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, welch schwere Irrtümer in weite Kreise der Kirche eingedrungen sind.
EINLEITUNG
Bevor wir auf die Frage im einzelnen eingehen, ob die Abschaffung der Verpflichtung zum Zölibat für die Priester der Westkirche wünschenswert oder verhängnisvoll, wertvoll oder unwertig ist, ob die heutige Weltsituation die Abschaffung der zölibatären Verpflichtung irgend wie nahe legt oder ob sie im Gegenteil den Zölibat des Priesters in besonderer Weise notwendig und bedeutsam macht, müssen wir kurz auf die durch die sogenannten Progressisten in der Kirche hervorgerufene Krise eingehen.
Wir müssen auf gewisse verhängnisvolle Irrtümer hinweisen, die in täglich zunehmendem Maße von Theologen, Priestern und Laien verbreitet werden und die in immer weitere Kreise dringen, weil sich die meisten katholischen Organe in den Händen der Propagandisten dieser Irrtümer befinden, die über viele Massenmedien und auch über viel Geld verfügen.
Ich habe in meinem Buch „Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes" auf viele dieser Irrtümer ausführlicher hingewiesen.
Aber es ist trotzdem notwendig, auf einige der dort erwähnten Irrtümer hier noch einmal kurz hinzuweisen und auf weitere aufmerksam zu machen, auf die ich in meinem Buch nicht einging. Die Gründe, die für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung angeführt werden, muss man im Lichte der Mentalität sehen, die in unserer Zeit so weitverbreitet ist. Wir dürfen nie vergessen, wie leicht man unbewusst Konzessionen an falsche aktuelle Geistesströmungen macht und durch Gewohnheit abgestumpft wird gegen ihre Unverträglichkeit mit dem wahren christlichen Glauben.
Der Mythos vom modernen Menschen
Die erste These, die unseligerweise so vielen Eindruck macht, ist die Behauptung, dass sich der Mensch in diesem Jahrhundert so radikal verändert habe, dass man ihm die Offenbarung Christi in einer neuen Sprache und einer anderen Formulierung darbieten müsse, als diejenige ist, deren sich die Kirche zweitausend Jahre lang bediente. Man macht sich naiverweise nicht klar, dass diese These ganz willkürlicher Natur ist und der in ihr behauptete Sachverhalt weder evident noch irgendwie wissenschaftlich begründet ist. In diesem Mythos vom „modernen Menschen" sind viele Äquivokationen enthalten, und was hier gemeint ist, kann noch sehr verschiedene Bedeutungen haben.
Solange man nur die ungeheure Veränderung in den äußeren Lebensverhältnissen meint, die durch die enorme Entwicklung der Technik herbeigeführt ist, weist man auf eine unbezweifelbare Tatsache hin.
Aber welchen Einfluss diese äußere Veränderung auf den Menschen, auf sein Wesen, auf die Quellen seines Glückes hat, auf den Sinn seines Lebens, auf die metaphysische Situation des Menschen, ist damit in keiner Weise gezeigt. Und doch würde nur eine Änderung des Menschen in dieser Hinsicht in irgendeinem Zusammenhang stehen mit seiner Fähigkeit, die Sprache, in der durch Jahrtausende die Kirche der Menschheit die Botschaft Christi verkündet hat, zu verstehen.
Eine bescheidene Kenntnis der Geschichte und ein vorurteilsloser Blick auf sie müssen jeden überzeugen, dass der „moderne Mensch", der sich von dem Menschen aller früheren Epochen radikal unterscheidet, eine reine Erfindung oder besser ein typischer „Mythos" ist. Darüber habe ich in meinem „Trojanischen Pferd" ausführlich gesprochen.
Aber selbst wenn man mit dem „modernen Menschen" nur meint, dass die Stellung zu vielen Fragen sich heute verändert hat, dass eine neue Mentalität heutzutage herrscht - ein ganz verändertes geistiges Klima - bleibt es ein Mythos. Zugegeben, dass für die gegenwärtige Epoche gewisse weitverbreitete geistige Strömungen charakteristisch sind, so ist es doch eine typische unerlaubte Verallgemeinerung, wenn man deshalb von dem „modernen Menschen" spricht. Es gibt heute viele Menschen, die nicht von dieser „Mentalität" geprägt sind, wie dies in allen früheren Zeiten auch der Fall war. Den modernen Menschen gibt es nicht - nur weit verbreitete geistige Tendenzen!
A. Der Irrtum, dass sich durch eine Veränderung des Zeitgeistes das Wesen des Menschen wandle
Natürlich finden wir in verschiedenen Zeitepochen nicht nur Änderungen in Bezug auf äußere Lebensverhältnisse, sondern sie haben auch meist ein ausgesprochenes Gesicht, das uns erlaubt, von einem „Zeitgeist" zu sprechen. Darum gibt es wohl einen Sinn, vom mittelalterlichen im Unterschied zum Renaissancemenschen zu sprechen. Mit Recht hat man z. B. betont, dass Dante ein mittelalterlicher Mensch war und Petrarca, obgleich nur 39 Jahre jünger, schon ein Renaissancemensch. Man ist sich dann darüber klar, dass es sich dabei um keine radikale Änderung, um keine Änderung der menschlichen Natur handelt, so wenig wie wenn man von Moliere sagt, er sei ein typisch französischer Geist und von Schiller, er sei typisch deutsch, oder von Stifter, er sei spezifisch österreichisch.
Um den „Mythos"-Charakter in der heutigen Phrase des „modernen Menschen“ klar zu erkennen, müssen wir erst kurz auf den Sinn eingehen, der z. B. der Unterscheidung von mittelalterlichem und Renaissancemenschen zu Grunde liegt.
Wie gesagt, Zeitepochen haben ein mehr oder weniger ausgeprägtes Gesicht, wie die verschiedenen Nationen. Dieses „Gesicht" prägt sich einerseits in gewissen weitverbreiteten Geistesströmungen aus, in Ideen - aber noch viel mehr in gewissen Einstellungen zum Leben, in gewissen Interessen, vor allem in einem gewissen Stil, der von der hohen geistigen Sphäre der Architektur, Kunst, bis in die Sphäre der Kleidung herabreicht. Die Verschiedenheit dieser „Zeitgeister" ist aber mehr eine komplementäre als eine konträre. Der Zeitgeist der Renaissance, soweit er sich in Kunst und Lebensstil ausprägt, unterscheidet sich von dem mittelalterlichen, so groß die Verschiedenheit sein mag, nicht im Sinne eines Gegensatzes, sondern einer komplementären Verschiedenheit. In der Sphäre der Kultur ist ja nicht Wahrheit das Thema, wie in Philosophie und Religion - sondern viel eher Schönheit, Originalität, geistiger Reichtum usw., und darum hat auch ein tiefgreifender Unterschied zweier echter Kulturen nicht den Charakter eines sich ausschließenden Gegensatzes, wie der zwischen falschen philosophischen Theorien und echt philosophischen Wahrheiten. Im letzteren Fall kann nur eine wahr sein. Bei Kulturepochen kann man wohl von höheren und niederen sprechen - sie haben nicht alle denselben Wert - aber sie sind nicht kontradiktorisch verschieden.
Die Zeitepochen unterscheiden sich nicht nur durch den Wert ihrer Kultur, sondern auch darin, dass eine Zeitepoche eine viel stärker ausgeprägte Eigenart hat als eine andere. Es kann auch eine Zeit so chaotisch sein, dass sich kein klarer Zeitgeist und Stil mehr unterscheiden lässt.
Man darf darum das Gesicht einer Kulturepoche nicht mit der bloßen historisch-soziologischen Aktualität gewisser Ideologien verwechseln. Diese Art der historisch-soziologischen „Realität" gewisser Ideen in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Land genügt nicht, um das Gesicht des Zeitgeistes zu prägen. Diese Strömungen in einem bestimmten Moment sind ja oft das künstliche Produkt von einem oder einigen Menschen, denen es gelingt, mit großer Demagogie weite Kreise an sich zu ziehen. Diese künstlichen Ideologien und ihre historisch-soziologische Realität haben oft ein sehr kurzes Leben und können jeden Moment von entgegengesetzten Strömungen abgelöst werden. Das sollten wir doch wahrlich von dem „tausendjährigen Reich", das nur zwölf Jahre dauerte, gelernt haben.
Worauf es aber in diesem Zusammenhang vor allem ankommt, ist zu sehen, dass der authentische „Stil" einer Zeitepoche nie an die tiefste Wurzel des Menschen und seiner Natur rührt. Es ist eine gewisse qualitative Eigenart der für diesen Zeitgeist typischen Menschen, die uns berechtigt, den mittelalterlichen dem Renaissance-Menschen gegenüberzustellen. Es ist ein unvergleichlich weniger tiefgreifender und entscheidender Unterschied als der von einem dummen, unbegabten oder gar moralisch gemeinen Menschen einerseits und einem Genie oder einer edlen moralischen Persönlichkeit anderseits. Etwas Analoges gilt ja auch sogar von der Kunst. Der Unterschied einer unbedeutenden konventionellen Kirche des Mittelalters von einer Kathedrale von Chartres ist viel größer und entscheidender als der des Äußeren von Chartres vom Äußeren von St. Peter in Rom. Aber während in der Sphäre der Kunst alle großen Werke zeitlos, aber doch tiefgreifend von dem Zeitgeist gefärbt sind, ist dies für den Menschen viel weniger der Fall.
Wir wiederholen: der Mensch in seiner ontologischen Struktur - in seinem imago-Dei-Charakter - als geistige Person - verändert sich nicht durch den Zeitgeist. Aber auch die entscheidenden qualitativen Unterschiede des Menschen liegen jenseits allen Zeitgeistes. Es sind bestimmte Eigenarten in der Stellung zum Leben, in der Rolle, die gewisse Interessen spielen, in dem Lebensstil und Lebensgefühl, die uns berechtigen, von einem mittelalterlichen und einem Renaissance-Menschen zu sprechen.
Der erste große Irrtum in dem Mythos des modernen Menschen ist darum der Glaube, dass der Zeitgeist den Menschen radikal verändert oder verändern könne.
B. Die Verwechslung einer vorherrschenden Ideologie mit einem unabänderlichen Schicksal
Sobald man aber den Zeitgeist im ideologischen Sinn - d. h. im Sinne einer vorherrschenden Ideologie wie Rationalismus, Materialismus, Empirismus – als ein unabänderliches und naturgemäßes Stadium in einem Prozess geistiger Evolution, einer Entfaltung des Weltgeistes, ansieht, verfällt man in einen zweiten Irrtum, lebt man nicht nur in einer Illusion, sondern bezieht man auch eine Haltung, die mit der christlichen Offenbarung absolut unverträglich ist. Dann setzt man einen Hegeischen „Weltgeist" an die Stelle Gottes und die Anpassung an ein bestimmtes Stadium der Entwicklung wird der entscheidende Maßstab für uns statt dessen, was uns durch das Alte und Neue Testament als wahr, gut und gottwohlgefällig geoffenbart ist.
Sobald man die Geschichte zum Quell der Offenbarung macht an Stelle des Evangeliums und der Erblehre der Kirche und darum sogar den Inhalt des depositum catholicae fidei jeweils an das vermeintliche Stadium der Entwicklung anpassen möchte, kann man sich ehrlicherweise nicht mehr als Katholiken bezeichnen und nicht einmal als Christen; denn das ist eine eindeutige Apostasie von Christus.
Es handelt sich bei diesen zeitgenössischen geistigen Strömungen nicht um naturnotwendige Ergebnisse der Evolution der Geschichte oder des Hegelschen Weltgeistes, sondern großenteils um das Produkt einer ungeheuren Propaganda und einer bestimmten Erziehung.
Anzunehmen, dass, weil dies von areligiösen und antireligiösen Kreisen genährt wird, die Kirche gezwungen ist, den Katholiken von 1970 die christliche Offenbarung in einer neuen Sprache anzubieten, da sie die bisherige nicht mehr verstünden oder sie ihnen nicht mehr „liege", ist ein ungeheurer Irrtum. Ein genauer Blick in die Geschichte zeigt eindeutig, dass es zu allen Zeiten Geistesströmungen gab, in denen der Geist der Welt die Augen blind und die Ohren taub machte für die Botschaft Christi (1).
Aber trotzdem erreichte die Stimme Christi viele Seelen, trotzdem wurde die Sprache der Kirche von ihren Kindern verstanden und seit der Reformation gab es in jeder Zeitepoche immer wieder viele und bedeutende Konvertiten wie Newman oder Maritaein. Gewiss muss man diese Strömungen kennen und was in der weit verbreiteten Mentalität einer Zeit gut ist, begrüßen und "taufen". Aber, wie Johannes XXIII. sagte, die Kirche muss jeder Zeit und jeder Nation ihr Siegel aufprägen und nicht umgekehrt. Gegen alles, was mit dem Geiste Christi unverträglich ist, muss die Kirche vor allem ankämpfen, ohne Kompromisse zu machen, ohne die christliche Botschaft in einer ihrem Wesen völlig inadäquaten Weise zu formulieren und sie damit zu verfälschen.
Zusammenfassend sei noch einmal ausdrücklich festgestellt: die These, dass sich der Mensch in seinem Wesen im zwanzigsten Jahrhundert ganz verändert habe, ist nicht nur eine willkürliche unbewiesene Behauptung, sondern sie ist eindeutig falsch und entspricht in keiner Weise den Tatsachen. Die Geschichte, auf die man sich heute so viel beruft, zeigt dies deutlich. Dass es für diese Epoche charakteristische Geistesströmungen gibt, berechtigt uns in keiner Weise anzunehmen, jeder Mensch müsse in dieser Epoche davon geprägt sein. Das ist eine reine Erfindung der Soziologen. In Wahrheit sind die Unterschiede zwischen Menschen in ein und derselben Epoche ungleich größer und bedeutsamer als die Verschiedenheit, die durch verschiedene Zeitepochen und die Veränderung der äußeren Lebensverhältnisse in ihnen bedingt ist.
Endlich sind diese Zeitströmungen nicht etwas, was ein Datum darstellt, das unserer Freiheit völlig entzogen wäre. Heute wird von so vielen betont, dass der Radius menschlichen Einflusses sich ungeheuer erweitert hat. Dinge, die man als unveränderliche Naturdaten ansah, lassen sich heute durch Erfindungen aller Art beeinflussen und ändern. Aber hier, wo es sich von vornherein nicht um ein »Natur»-Datum handelt, sondern um etwas, was früher nicht als unveränderlich und unserem Einfluss entzogen betrachtet wurde, wird plötzlich dieser Zeitgeist als ein unveränderliches Faktum hingestellt.
All dies ist in dem Schlagwort des „modernen Menschen" enthalten und es entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Der Irrtum, man müsse die „Form" der Offenbarung der jeweiligen Zeitepoche anpassen
Es gilt aber auch zu verstehen, dass auch die These, man müsse die Form, in der das depositum catholicae fidei dargeboten wird - ohne den Inhalt zu verändern - an die jeweilige Zeitepoche anpassen, ein großer Irrtum ist. Erstens ist die Trennung von Inhalt und Form etwas sehr Fragliches. Es besteht doch ein tiefer innerer Zusammenhang zwischen Inhalt und Form. Eine religiöse Wahrheit fordert auch eine adäquate Form. Wir werden auf diesen auch für die Liturgie eminent wichtigen Punkt gleich noch ausführlicher zurückkommen.
Aber abgesehen von diesem Zusammenhang von Inhalt und Form - wo beginnt z. B. bei einem Dogma der Unterschied von bloßer Formulierung und Inhalt? Zugegeben, dass ein und dieselbe Wahrheit prinzipiell verschieden formuliert werden kann, ist die Gefahr nicht außerordentlich groß, dass bei einer Neuformulierung sich auch eine Verfälschung der Wahrheit einschleicht?
Diese Gefahr ist um so größer, je geheimnisvoller und gehaltvoller die jeweilige Wahrheit ist. Haben nicht viele Häretiker versucht, durch scheinbar bloß neue Formulierungen eines Dogmas ihre Irrlehren einzuführen?
Die neuen Katechismen die verschiedenen für Kinder in Amerika, der französische Katechismus und auch der ungleichraffinierte holländische Katechismus - sind ein eindeutiges Beispiel dafür, wie man unter dem Motto einer für die Gegenwart verständlicheren Formulierung den Inhalt der göttlichen Offenbarung radikal verfälscht.
A. Das Sakrale und die Heiligkeit Gottes - Entsakralisierung und Gotteshass
Schon die Entsakralisierung der Formulierung, der Sprache, verfälscht den Inhalt. Religion und Sakralität sind unlöslich miteinander verbunden. Das gilt nicht nur für die katholische, sondern ebenso für die orthodoxe Kirche und alle Formen eines wirklich gläubigen Protestantismus (2). Es gilt auch für die orthodoxen Juden, für den Islam, selbst für die orientalischen Religionen wie Brahmanismus und den tibetanischen Buddhismus. Das Sakrale ist ein Urbestandteil des Religiösen, und wer es aus der Kirche verbannen will, hat den wahren Glauben verloren. Er sagt voller Hass: „Weg mit der Sakralität. Es ist Zeit, dass man diesen Aberglauben abschafft." Aber im Grunde meint er auch: „Weg mit allem Übernatürlichen." Denn das Sakrale, wie wir schon bemerkten, ist ein Urphänomen alles Religiösen - selbst der Religionen, die viele Irrtümer enthalten. Das „Übernatürliche", das sich nur in der christlichen Offenbarung findet, schließt unvergleichbar mehr ein als das Sakrale. Aber es ist die Quelle und Seele der wahren Sakralität, es ist die Sonne, deren Strahlen in jeder Religion irgend wie sich finden und ihre Sakralität ausmachen. Die Kirche entsakralisieren zu wollen, heißt unweigerlich, nicht nur ihr Wesen verfälschen, nicht nur die Haltung des Glaubens in ihrem Wesen zerstören; sondern der Hass gegen das Sakrale ist im Grunde der Hass gegen Gott selbst.
Denn wenn schon das Sakrale gehasst wird, so erst recht das Heilige im vollen Sinn des Wortes, das uns in der Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes entgegentritt. In dem Heiligen finden wir die letzte Verwobenheit der absoluten moralischen Güte mit der Sakralität, wie sie uns im Leviticus, in den Propheten, aber in ganz neuer Weise in der heiligen Menschheit Christi, der Epiphanie Gottes, entgegentritt.
B. „Kindness“ statt Barmherzigkeit - „Irdischer Messias“ statt Christus
Die neuen Übersetzungen der Heiligen Schrift, besonders die in Amerika in der Vernacular-Messe benützt werden, zeigen in erschreckender Weise, wie die Entsakralisierung nicht nur die adäquate Atmosphäre zerstört (ein Umstand, der von größter religiöser Bedeutung ist und den als Ästhetizismus abzutun ein großer lapsus mentis ist), sondern auch die Substanz des Glaubensinhaltes bzw. der Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes unterwühlt. Wenn man, worauf ich schon im „Trojanischen Pferd" hinwies, misericordia statt mit Barmherzigkeit mit kindness (eine rein natürliche Güte!) übersetzt oder nie mehr von Christus, sondern nur vom Messias spricht (3), so liegt die schwerwiegende Verfälschung auf der Hand. Barmherzigkeit ist das Urwort der göttlichen Offenbarung im Alten und Neuen Testament. In ihm kommt unsere Angewiesenheit auf Gottes Barmherzigkeit zum Ausdruck. Die Glorie der unendlichen, unfassbaren Liebe Gottes, die tiefe Verbindung von Barmherzigkeit und Erlösung einerseits und Barmherzigkeit und der Reue des Menschen anderseits, all dies ist zugedeckt, nicht aus bloßer Talentlosigkeit zu übersetzen (die kommt noch hinzu), sondern aus der Absicht, die Botschaft Christi zu verharmlosen, dem rein Natürlichen anzupassen, sie zu entsakralisieren und aus ihr die Forderung zur Metanoia zu entfernen.
C. Die vom Inhalt her geforderte Form; Verfälschungen des Inhalts allein durch Änderung der angemessenen Form
Aber abgesehen von der Gefahr, den Inhalt des depositum catholicae fidei zu verfälschen durch eine neue Formulierung, die angeblich dem »mythischen« modernen Menschen das depositum catholicae fidei zugänglicher machen soll, ist ganz allgemein die Trennung von Inhalt und Form sehr bedenklich. Es gibt ja schließlich eine vom Inhalt her bestimmte und geforderte Form. Die Atmosphäre der Sprache, in der etwas ausgedrückt wird, kann dem Geist des Inhalts entsprechen oder widersprechen. Auch wenn rein logisch der Inhalt derselbe bleibt, so kann ihn ein ganz dem Geiste des Inhalts widersprechender Stil verfälschen. Wenn man den Inhalt der Bagavad Ghita in den Stil von Bert Brecht übertragen würde, wäre offenbar der Inhalt verfälscht. Dasselbe gilt für den Fall, dass man den Inhalt des Koran in der Sprache eines modernen Journalisten formulieren würde; der Inhalt wäre dadurch verfälscht. Die Übersetzungen des Textes der Liturgie der Heiligen Messe, vor allem der Lesungen und EvangeliumsteIlen in eine "neue Sprache", um sie angeblich lebendiger und zeitgemäßer zu machen, haben, wie die letzten vier Jahre in erschreckender Weise gezeigt haben, unbestreitbar zu einer Verfälschung der Atmosphäre und damit indirekt des Geistes des Inhalts geführt.
Die Forderung, sich in einer neuen Sprache auszudrücken, wird besonders auf dem Gebiet der Liturgie von gewissen Kreisen propagiert, und zwar geschieht dies unter Berufung auf pastorale Gesichtspunkte. Man sagt, was spielt schon die Frage, ob das Missale Romanum vom heiligen Pius V. und der Gregorianische Gesang ein adäquaterer Ausdruck für den Inhalt sind als moderne Fassungen, für eine Rolle, im Vergleich zu der pastoralen Frage; daran zu hängen ist Ästhetizismus. Das Entscheidende ist, ob es von den modernen Menschen besser verstanden und absorbiert wird. Die wahre Nächstenliebe muss den pastoralen Gesichtspunkt an die erste Stelle setzen.
Der pastorale Aspekt und die Arten des Anziehendseins vom „fascinosum" Gottes bis zu dessen radikalem Gegenteil
In der heute vorherrschenden Betonung des pastoralen Aspekts wird von manchen auch das Wesen des echt Pastoralen ganz verkannt. Man kann oft hören: "Wir müssen die Liturgie so gestalten, dass sie die jungen Leute mehr anzieht und so der Kirchenbesuch viel stärker wird." Aber die entscheidende Frage ist hier: Was heißt anziehend? Der Mensch hat viele Schichten - oberflächlichere und tiefere – und er hat viele Arten der Empfänglichkeit, legitime und illegitime. Ein guter Komiker appelliert an eine legitime, aber relativ oberflächliche Schicht. Hohe Kunst zieht den geistigen Menschen, der Verständnis dafür hat, in einer nicht nur legitimen, sondern überaus wertvollen Weise an. Sie appelliert offenbar an eine viel tiefere Schicht als der liebenswürdige Komiker.
Pornographische Literatur appelliert an eine illegitime Schicht, eine unreine, von reiner Begehrlichkeit gespeiste, gemeine Sinnlichkeit. Ebenso zieht in viel harmloserer Weise triviale, sentimentale Musik gewisse Menschen an. Sie appelliert auch an eine illegitime Schicht. Jazz, appelliert meist an eine chaotische, untermenschliche Dynamik, ebenfalls eine illegitime Schicht - ein Sich-gehen-Lassen und in eine tierische Vitalität Sich-Hineinziehen-Lassen.
Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass die formale Anziehungskraft nichts besagt, solange man nicht angibt, warum etwas anzieht, an welche Schicht es appelliert. Es gähnt ein Abgrund nicht nur zwischen dem bösen, niedrigen Angezogenwerden, dem Sirenengesang aller „Versuchungen" und dem guten edlen Angezogenwerden von Gütern, die Träger echter Werte sind. Schon die Sprache drückt dies klar aus. Die Anziehungskraft der Dinge, die an unsere Begehrlichkeit und unseren Hochmut appellieren, wird auch als Versuchung bezeichnet – während es offenbar sinnlos wäre, von einer herrlichen Landschaft oder einem großen Kunstwerk, das uns tief trifft und erhebend anzieht, zu sagen, es „versuche“ uns. Ebenso ist das „Gezogen-werden" von einem tief geliebten Menschen durch eine Welt getrennt von einem Zug, uns zu rächen.
Nicht nur der Inhalt ist verschieden, sondern auch die formale Natur des Anziehens. Und einzigartig und unvergleichlich ist die Anziehung der Heiligkeit und Schönheit Jesu - die Anziehungskraft Gottes, von der der heilige Augustinus sagt: „Parum voluntate etiam voluptate trahimur", von der die Heiligen in wunderbarer Weise gesprochen haben. Die Welt Gottes, Seine heilige Wahrheit, der Glanz der Epiphanie Gottes in der heilige Menschheit Jesu appellieren an die tiefste Schicht unserer Seele und ziehen uns empor in einer Weise, die selbst mit der Anziehung der höchsten natürlichen Güter wie natürliche Wahrheit, Schönheit und Liebe nicht verglichen werden kann.
Nun ist es ein unsinniger Gedanke zu glauben, man könne Menschen zu Gott bringen, man könne mehr Seelen in die Kirche locken, wenn man statt der sakralen Sprache der Kirche eine Art Gottesdienst einführt, in dem man an ganz periphere und teilweise sogar illegitime Schichten appelliert. Damit werden diese Menschen nicht zu Gott hingezogen. Man arbeitet damit nicht nur gegen die wahre Anziehungskraft des Heiligen, man kann diese falsche Anziehung auch nicht als Durchgangstor für die Anziehung zu Gott benutzen.
Man erzählt von Don Bosco, dass, als er als junger Mann mit anderen beim Rosenkranzgebet weilte, plötzlich eine Trompete von der Straße her erscholl, die die Ankunft eines Seiltänzers ankündigte. Alle stürzten aus der Kirche heraus, um den Seiltänzer zu sehen. Don Bosco ging mit und beteiligte sich an den Drahtseilkunststücken des Zirkus. Er machte es so viel besser als die Zirkusleute, dass die Menge in Begeisterung ausbrach und ihm zujubelte. Darauf sagte er: wie wäre es, wenn wir jetzt wieder in die Kirche gingen und weiterbeteten? Und die Leute, die so von ihm beeindruckt waren, gingen wieder mit ihm und beteten weiter. In diesem Falle benutzte Don Bosco den Eindruck, den sein Mut und seine Geschicklichkeit auf die Menge machten, um sie vom Zirkus abzuziehen und wieder zum Gebet zurückzubringen. Aber er machte nicht aus dem Rosenkranzgebet einen Zirkus; er flocht nicht in die Atmosphäre der Kirche Elemente des Zirkus ein, Elemente, die an eine ganz andere Schicht im Menschen appellieren. Er benutzte nur das Ansehen, das er persönlich sich durch seine Geschicklichkeit erwarb, um die Leute zum Gebet zurückzubringen. Aber er machte nicht das Gebet "anziehend“, indem er es in eine Zirkusatmosphäre hinein tauchte, so dass die authentische sakrale Anziehung der Kirche durch ein harmloses sensationelles Angezogensein ersetzt würde.
Dieses Beispiel zeigt uns deutlich die Äquivokation, die darin liegt, wenn man sagt, wir können alle Dinge, die eine legitime Anziehungskraft besitzen, benutzen, um Menschen für Gott zu gewinnen. Dieses Benutzen heißt einmal, diese legitimen profanen Mittel benutzen, um Menschen für Gott zu gewinnen, sie zu veranlassen, in den Gottesdienst zu kommen um dort die radikal verschiedene sakrale Atmosphäre auf sie wirken zu lassen. Das andere Mal bedeutet es, die Atmosphäre des Gottesdienstes selbst so zu verfälschen, dass sie an niedrige, periphere Schichten appelliert und dass die Menschen über die Natur des Gottesdienstes, über seinen Sinn, getäuscht werden.
Die Verwechslung von Liebe und Gemeinschaft
Ein weit verbreiteter Irrtum ist heute auch die Verwechslung von Liebe und Gemeinschaft. Wenn auch viele Liebeskategorien, wie Elternliebe, Kindesliebe, Freundschaft und vor allem eheliche Liebe eine tiefe Gemeinschaft konstituieren, so gibt es doch ein Gemeinschaftserlebnis, das noch keinerlei Liebe einschließt und es gibt eine Liebe, die Nächstenliebe, die Gemeinschaft im eigentlichen Sinn weder voraussetzt noch konstituiert.
Dass es viele Gemeinschaften gibt, die objektiv Menschen zusammenfassen, die sich nicht einmal kennen, geschweige denn in irgendeiner Weise lieben, braucht nicht eigens ausgeführt zu werden. Der Staat ist eine Gemeinschaft, der viele Personen zusammenfasst, die sich individuell nicht kennen und zu denen man darum keine persönliche Beziehung haben kann. Dies gilt ebenso für die Nation, für die Menschheit, ja auch für die heilige Kirche. So tief das objektive Band ist, das alle Glieder des Mystischen Leibes Christi eint - es besteht unabhängig davon, ob der eine Katholik den anderen kennt, sogar von seiner Existenz weiß, und erst recht, ob er irgendeine Liebe zu ihm empfindet. Aber auch wenn wir von der rein objektiven Verbundenheit in einer Gemeinschaft absehen, setzt auch das Gemeinschaftsbewusstsein, die erlebte Wir-Verbundenheit, noch keine aktualisierte Beziehung zwischen den einzelnen Gliedern der Gemeinschaft voraus. Das „Wir"-Bewusstsein, das Bewusstsein einer objektiven Verbundenheit mit all den Gliedern dieser Gemeinschaft umfasst alle, ohne dass ich sie kennen muss. Potentiell ist eine Beziehung zu jedem Glied dieser Gemeinschaft hergestellt - und diese Beziehung enthält je nach der Art und dem Sinnbereich der betreffenden Gemeinschaft mehr oder weniger ein Element der Liebe. Jeder, der zu dieser Gemeinschaft gehört, ist in unsere Liebe potentiell irgendwie eingeschlossen. Dies letztere Element ist natürlich in ganz unvergleichlicher Weise in der Gemeinschaft der heiligen Kirche enthalten.
Die „Wir"-Gemeinschaft ist ja immer in einem bestimmten Sinn- und Güterbereich fundiert. Es ist ein objektiver Güterbereich, der die Glieder objektiv eint, und der auch in dem Erlebnis dieser Einheit die entsprechende Rolle spielt. Darum ist auch die Beziehung der einzelnen Glieder zur Gemeinschaft als Ganzes entscheidend für die Art und Tiefe der „Wir"-Gemeinschaft unter allen Gliedern. Die Loyalität dem Staat gegenüber, die Verbundenheit und sogar Liebe für ihn ist vorausgesetzt für das Erlebnis einer Verbundenheit mit allen Gliedern. Erst recht gilt dies für die Nation. Einen ganz neuen Sinn nimmt das Gesagte aber im Fall der Heiligen Kirche an. Die Liebe zur Kirche, da sie in der Liebe zu Christus fundiert ist, spielt natürlich eine entscheidende Rolle. Die Liebe ist mehr gefordert als in irgendeiner anderen Gemeinschaft, und eine ganz andere, ungleich tiefere Liebe ist hier sinngemäß gefordert, ebenso wie eine einzigartige Hingabe.
Nun weist hier das Bewusstsein der Verbundenheit eine große Abstufung auf. Nicht nur der Übergang ist zu beachten von der potentiellen „Wir"-Verbundenheit zu der aktuellen, wenn man mit Katholiken zusammentrifft, sondern auch je nach der Art des betreffenden Katholiken, wie tief sein Glaube, wie groß seine Liebe zu Christus und zu Seiner Kirche, wie groß seine Glut, wie wach sein Bewusstsein von dem Mystischen Leib Christi ist. Ich sehe dabei noch von allen anderen Arten der Verbundenheit ab, die schon vorher vorlagen, wie z. B. Freundschaft oder auch von all der persönlichen Liebesgemeinschaft, die sich nachher herausbildet. Ich denke nur an die Verbundenheit, die in dem herrlichen Wort der Liturgie zum Ausdruck kommt: »Congregavit nos in unum Christi amor." In Bezug auf diese Verbundenheit, die rein aus der gemeinsamen Liebe zu Christus und Seiner heiligen Kirche fließt, aus dem Bewusstsein der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Corpus Christi mysticum gibt es, wie gesagt, viele Abstufungen an Tiefe, Intensität und Beglückung, bei denen die Kenntnis der Art und des Grades der Frömmigkeit der fremden Person eine entscheidende Rolle spielt. Diese „Wir"-Gemeinschaft kann aber nie Katholiken und Nichtkatholiken umfassen. So enge Beziehungen der Freundschaft und Liebe mit Nichtkatholiken auch bestehen können, so sehr eine ganz andere auf Liebe aufgebaute Gemeinschaft zwischen Katholiken und Nichtkatholiken bestehen kann - diese aus der objektiven Gemeinschaft der Glieder des Mystischen Leibes Christi resultierende Verbundenheit ist sinn- und wesensgemäß auf Katholiken untereinander beschränkt. Alle Versuche, dies zu leugnen im Namen, des Ökumenismus verlangen etwas sinn- und wesensgemäß Unmögliches.
Eine andere, ganz davon verschiedene Wir-Gemeinschaft, die viel weniger tief geht, kann natürlich zwischen allen gläubigen Christen bestehen. Aber diese Gemeinschaft, dieses Wir-Bewusstsein ist völlig anderer Natur - es ist nicht die beseligende Gemeinschaft des Corpus Christi mysticum - es ist nicht das tiefe Sichvereintwissen in dem Glauben an das ganze despositum catholicae fidei und in der Liebe zur heiligen Kirche, der Braut Christi. Es ist eine viel abstraktere Gemeinschaft und eine viel antithetischere, die in der Gegenüberstellung von Nichtchristen oder gar Atheisten lebendig wird. Ganz verschieden davon wieder ist das Wir-Bewusstsein, das wir mit allen, die an einen personalen Gott glauben, erleben. Mit allen anderen ist es nur das aus der metaphysischen Gemeinschaft: der Menschheit stammende Wir-Bewusstsein.
Von aller Gemeinschaft:, von allem Wir- Bewusstsein, von allem objektiven Sich-verbundenwissen ist aber die Nächstenliebe unabhängig. Sie erstreckt sich selbst auf solcl1e, die Feinde Gottes sind, die jede Gemeinschaft mit uns ablehnen. Sie gilt jedem, sobald er unser „Nächster" wird, wie immer er zu uns steht. Sie zielt aber auf keine Gemeinschaft im Sinne einer Wir-Verbundenheit ab und konstituiert sie auch nicht als solche. Sie zielt nur hoffend auf eine Gemeinschaft im Reich Christi ab.
Einerseits setzt also alle Liebe außer der Nächstenliebe viel mehr voraus als eine bloße objektive Verbundenheit in einer Gemeinschaft. Die Wertantwort, die in jeder Liebe zu der geliebten Person enthalten ist mit all der intentio unionis und benevolentiae, die sie auszeichnet, setzt eine besondere Kenntnis der anderen Person, ein Erfassen ihrer besonderen Werte, der Schönheit ihrer Persönlichkeit, ihrer Liebenswertheit voraus. All dies ist für ein Wir-Bewusstsein in einer objektiven Gemeinschaft: nicht vorausgesetzt. Das je nach der Art der objektiven Gemeinschaft sich verändernde Element der Liebe zu den anderen Gliedern der Gemeinschaft ist unvergleichbar mit der Liebe im vollen Sinn. Es ist ein „Verbundensein", das aus einer ganz anderen Quelle stammt, aus der Zugehörigkeit zu ein und demselben Gemeinschafts-Corpus, ein gemeinsames Nebeneinander-Schreiten im Staat, in der Nation - nur im Falle der Heiligen Kirche ein beseligendes Vereintsein im Letzten. Das Wichtige für uns ist, die Verschiedenheit dieser objektiven Gemeinschaft von der aus der Liebe geborenen, ganz anders gearteten Gemeinschaft zu verstehen.
=== Die Nächstenliebe gilt auch Menschen, mit denen wir keine Gemeinschaft haben dürfen ===
Es wäre daher ein Unsinn, aus der Tatsache, dass wir jedem Menschen mit christlicher Nächstenliebe, d. h. Caritas begegnen sollen, abzuleiten, dass wir mit jedem Menschen eine Wir-Verbundenheit, eine Gemeinschaft fühlen sollen. Jede Gemeinschaft, sowohl die objektive Wir-Verbundenheit als auch die voll personale Einheit, die auf Liebe und einem tiefen Sich-Verstehen aufgebaut ist, hat andere Voraussetzungen als die Nächstenliebe.
Die wahre Nächstenliebe ist vor allem nicht loslösbar von der Liebe zu Christus, dem Gottmenschen, der Epiphanie Gottes. Sie kann nur aus dieser Liebe erwachsen, ihr Maß, ihre Tiefe hängt völlig von dem Maß und der Tiefe der Liebe zu Christus ab. Nur in der Liebe zu dem unendlich Heiligen kann sich die einzigartige heilige Liebe in unserer Seele personal entfalten, die wir als Geschenk in der heiligen Taufe erhalten. Nur in der liebenden Ich-Du-Gemeinschaft mit Jesus kann Jesus unsere Herzen aufschmelzen und in unserer Seele diese heilige Güte erblühen lassen, mit der jeder Nächste nun aufgenommen und umfangen wird und die der Christ schon jedem Nächsten entgegenbringt. Hand in Hand damit geht die Schau des Wertes, der jeder Person als imago Dei eigen ist und der bis zum letzten Atemzug, d. h. der letzten Entscheidung für oder gegen Gott nicht zerstört wird - so abstoßend und böse ein Mensch auch sein mag, so wenig liebenswert in all dem, was er selbst aus sich gemacht hat. Darum ist von der Nächstenliebe, obgleich sie natürlich je nach dem Wesen dieses Menschen einen anderen Charakter annimmt, niemand ausgeschlossen, solange der „Nächste" noch lebt und sich nicht endgültig von Gott abgewandt hat. Die Verschiedenheit der Fundamente der Nächstenliebe von denen, die wir bei allen verschiedenen Gemeinschaftsstufen finden, ist klar gegeben.
Aber auch auf ein anderes muss hier hingewiesen werden. Die Caritas erstreckt sich auch auf solche, mit denen wir keine Gemeinschaft im engeren Sinn von Gemeinschaft haben dürfen und sollen. Wenn wir Gemeinschaft im Sinne einer ,Communicatio', eines Sich-zusammen-Schließens, des Bildens einer Einheit fassen, so ist dieselbe in gewissen Fällen nicht nur nicht möglich, sondern unrecht. Ich kann und soll mit dem „Bösen" nicht Gemeinschaft haben. Ich soll nicht so tun, als ob seine sittliche Verwerflichkeit keine Rolle spiele und ich mich über all dies hinwegsetze und ihn in eine persönliche Gemeinschaft aufnehme, wie ich es mit anderen tun kann und soll. Ich denke natürlich bei dem „Bösen" nicht an den Sünder. Es wäre ein unerhörter Pharisäismus, wollte ich mich von einem Sünder abschließen und dies wäre das Gegenteil von dem, was Christus tat. Aber der Böse in unserem Sinn hier ist nicht der Schwache, der fällt, der publicanus, die Ehebrecherin, sondern der ausgesprochene Feind Gottes, der, der Gott hasst, der die Seelen anderer zu vergiften sucht. Auch auf diesen erstrecht sich zwar, wie wir oben sahen, die Caritas, aber Gemeinschaft mit ihm sollen wir nicht haben. Das kommt klar in dem Wort des heiligen Johannes zum Ausdruck, wenn er, der große Apostel der Caritas sagt: wenn ein Häretiker zu uns kommt, sollen wir ihn nicht einmal grüßen (2 Joh 10, 11).
Die Gemeinschaft, bei der wir uns freuen, mit einem Menschen zusammen zu sein, oder wo wir uns auch nur ihm verbunden fühlen in der allgemeinen Form des Zusammenseins, Zusammensprechens usw., soll nicht den Bösen, den Feind Gottes einschließen. Wir sollen nicht so tun, als ob diese seine Stellung, dieses sein Wirken im Namen Satans für uns keine Rolle spiele. Manche glauben, dass dies ein besonderes Zeichen ihrer „Vorurteilslosigkeit" ist. Sie fühlen sich „tolerant" dabei, sie genießen ihre „Güte", ihr überall-diesen-Gegensätzen-Stehen. So sagte kürzlich ein Rektor eines Jesuitenkollegs, als man dagegen protestierte, dass er zu einer Sitzung des Kollegs einen Kommunisten eingeladen hatte, der ein verschlagener und notorischer kommunistischer Spion war: „Ich habe gegen niemand etwas." Diese Haltung ist gerade die, die der heilige Apostel Johannes verurteilt. Es ist eine Einheit auf Kosten Gottes. Es ist ein deutlicher (Beweis der Indifferenz gegen Gott. Die Nächstenliebe soll sich natürlich auch auf diesen Feind Gottes erstrecken - aber Gemeinschaft soll ich nicht mit ihm haben, ich soll nie vergessen, welcher Abgrund mich von ihm trennt, dass er nicht wie irgendein unbekannter Mensch akzeptiert werden kann.
Hier muss noch ein weiterer Unterschied gemacht werden: Die Gemeinschaft, von der wir hier sprechen, erstreckt sich von einem tiefen Verbundenheitsbewusstsein über eine Zusammenarbeit bis zu dem harmlosen freundlichen Zusammensitzen. Solche Gemeinschaft schließt ein, dass ich mich über die Trennung hinwegsetze, die aus seiner Feindschaft gegen Gott stammt. Sie enthielte ein Ignorieren dieses Abgrundes, ein ihn ebenso Behandeln, als ob er ein Kind Gottes in diesem Sinn wäre, kein „Böser", von dem der heilige Paulus sagt, wir sollten ihn nicht in unserer Gemeinschaft dulden.
Ganz anders ist die Situation, wenn sich jemand dem Bösen nähert in der Hoffnung, ihn zu bekehren. Aller Kontakt, der hier hergestellt wird, um diese höchste Tat der Nächstenliebe zu vollbringen, hat nicht den Charakter des Aufnehmens des anderen in eine Gemeinschaft, wobei man seinen Charakter als Feind Gottes ignoriert oder sich souverän darüber hinwegsetzt. Ganz im Gegenteil, der Grund des Kontaktes mit ihm ist ja gerade der tiefe Schmerz über seine Feindschaft mit Gott, der aus der Caritas fließende brennende Wunsch, ihn mit Gottes Hilfe zur Umkehr zu bringen. Hier liegt so wenig ein Sich-Hinwegsetzen über seine Gottesfeindschaft und seine Irrlehre vor, dass es ja hier gerade das Thema ist, aus dem Feind Gottes mit der Hilfe Gottes einen Diener Gottes zu machen. Dieser Kontakt ist ja motiviert durch den Eifer für die Ehre Gottes, die Liebe zu Gott und dem Nächsten. Die Gemeinschaft, die wir nicht mit ihm haben sollen und dürfen, ist vielmehr diese „Pseudo-Großzügigkeit“, auf Kosten Gottes, die zugleich das reine Gegenteil aller Caritas ist, ja tiefe Indifferenz gegenüber der unsterblichen Seele des „Bösen" sowie seinem ewigen Heil. Es ist eine bourgeoise Bonhomie, eine periphere Anbiederung an den anderen, die hier vorliegt und für die man (horribile dictu) das Wort Christi: "ut unum sint" in Anspruch nimmt.
Wir sahen, dass die Nächstenliebe im Unterschied zur Gemeinschaft sich auf jedes menschliche Wesen erstrecken soll - sogar auf die Feinde Gottes. Sie setzt viel mehr in unserer Seele voraus als Gemeinschaft. Sie ist nur möglich als Frucht einer glühenden Liebe zu Christus, einer vollpersonalen Ich-Du-Gemeinschaft mit Christus, in der Christus unsere Herzen aufschmilzt und mit seiner heiligen Liebe erfüllt. Aber sie setzt nichts voraus in dem Nächsten, dem unsere Liebe gilt. Gemeinschaft mit jemand setzt weniger voraus in uns, aber viel mehr in der Person, mit der wir in Gemeinschaft treten - und je tiefer und enger die Gemeinschaft ist, um so mehr setzt sie voraus in der Person, mit der wir in Gemeinschaft treten.
Religiöse Lebendigkeit und Veränderung (4)
Es ist eine in der menschlichen Natur tief verwurzelte Illusion, dass Bestehendes zu ändern ein Zeichen der Wachheit und Lebendigkeit ist. Dinge „beim Alten zu lassen" wird als ein Zeichen von Verschlafenheit, Verknöcherung angesehen, aber wenn man eingreift, ändert, so tut man doch etwas. Dies gilt besonders für alle, die ein bestimmtes Amt innehaben, denen eine autoritative Stellung anvertraut ist. Man übersieht dabei, dass das Erhalten, Schützen, Bewahren von guten Dingen eine große Manifestation von Wachheit und Lebendigkeit ist und oft eine viel schwierigere Aufgabe als ändernd einzugreifen. Aber, der entscheidende Irrtum, die Illusion, im Ändern als solchem das Zeichen von Wachheit und Lebendigkeit zu sehen, besteht darin, dass man vergisst, dass der Sinn und Wert irgendeiner Änderung sowie des Behaltens und Beschützens lediglich davon abhängt, um welche Dinge es sich handelt. Wenn etwas in sich schlecht ist, so ist eine Änderung gefordert, soweit sie in unserer Macht steht. Wenn etwas in sich gut und wertvoll ist, so ist ein Behalten desselben und ein Sich-Einsetzen für seine Fortdauer das Geforderte. Es hängt darum auch lediglich von dem Objekt ab, ob Ändern oder Erhalten das Zeichen von Wachheit und Lebendigkeit ist. Sobald im Ändern oder Bewahren von ihrem Objekt loslöse, in ihnen einen immanenten Wert sehe, bin ich ein Opfer eines großen Irrtums. Das allein Maßgebende ist die Natur des Objekts, d. h. ob es gut oder schlecht ist und nur die adäquate transzendierende Antwort, die vom Objekt her geforderte, ist selbst gut und richtig und ein Zeichen der Wachheit im Gegensatz zu verschlafenem Die-Dinge-gehen-Iassen, wie immer sie auch sein mögen.
Natürlich handelt es sich oft um Dinge, die nicht wie moralische Güter oder Wahrheit ihren Wert in sich haben, sondern auch um Dinge, die ihren indirekten Wert oder Unwert aus ihrer Wirksamkeit und Angemessenheit für eine bestimmte Situation besitzen - gewisse Sitten, Gesetze, Einrichtungen aller Art. Aber auch hier gilt: Nicht das Abschaffen bestehender Gesetze, Sitten und Einrichtungen ist ein Zeichen von Lebendigkeit, noch ist das Festhalten an ihnen ein Zeichen von Erstarren und Verschlafenheit. Nur dann wenn die Einrichtungen oder Gesetze nicht mehr wirksam oder der Situation angemessen sind, ist das Ändern ein Zeichen von Leben und Wachheit. Wenn das aber nicht der Fall ist und das Ändern ohne sachlichen Grund und ohne vom Objekt her gefordert zu sein erfolgt, ist es nicht ein Zeichen von Wachheit und Lebendigkeit, sondern eine bloße Wichtigtuerei, ein verantwortungsloses Verhalten, das von der bloßen Illusion genährt wird, dass man damit seine Wachheit und Lebendigkeit beweise. Es ist ein herostratischer Hochmut; man will damit in die Geschichte eingehen oder wenigstens in die Presse. Meist ist es aber die in der menschlichen Natur liegende Illusion zu glauben, man „leiste" etwas, wenn man ändernd eingreift, wobei man das Gefühl der Aktivität mit einer objektiven Leistung verwechselt.
Was nun den Typus betrifft, der aus wirklicher Verschlafenheit Dinge, die geändert werden sollten, nicht ändert, so ist er nicht von einer Illusion befangen, sondern entweder einfach gleichgültig, gewissenlos, faul, oder schwach und ängstlich.
Aber hier kommt es darauf an zu verstehen, dass in Wahrheit das Bewahren, Erhalten und Beschützen des Guten eine große Aufgabe ist und oft eine viel, größere Leistung als das Ändern. Es ist ein großer Fehler, diese geforderte „Aktivität" des Bewahrens und Beschützens im Lichte einer Erstarrung zu sehen, eines Mangels an Leben, einer Verknöcherung. Diese Verwechslung ist nicht nur ein Fehler, sie ist auch ausgesprochen dumm Sie ist eben die Folge der naiven Illusion, die in der Änderung den Höhepunkt des Lebens, der Wachheit sieht und so glaubt, die einzige Alternative sei entweder ein Versagen, indem man alles beim alten lässt, oder ein änderndes Eingreifen.
Hinter dieser Illusion steckt die Verkennung der Tatsache, dass die Aufgabe des Menschen eine Kooperation und nicht eine Schöpfung ist. Der Mensch ist primar rezeptives (nicht passives!) Wesen im Erkennen, im Affiziertwerden von Werten, im Empfangen der Gnade Gottes und nur auf dieser Grundlage zu der aktiven Kooperation fähig in der adäquaten Antwort auf die Wahrheit, auf die Werte und vor allem auf Gott. Dies geschieht in allen Wertantworten, wenn der Wille in der vom Objekt her geforderten Weise eingreift, so wie in der Liebe und in vielem anderen. Auf diesen allgemeinen Irrtum, der zu der Idolisierung der Aktivität führt, können wir in diesem Zusammenhang nicht eingehen.
Heute feiert der Rausch des vermeintlichen Erwachens aus der Erstarrung in der Kirche Orgien. Jeden Augenblick kann man hören, im Vatikanum II sei die Kirche aus dem Schlaf erwacht, neues Leben durchflute sie, man sehe, dass es Zeit ist, alles zu ändern, und man fühlt sich voller Leben, wenn man den Glauben an die Offenbarung Christi durch alle möglichen Theorien ersetzt und die Herrlichkeiten der Liturgie durch Änderungen herabzieht.
Hier wirkt sich die oben erwähnte Illusion in verhängnisvoller Weise aus. Man glaubt erwacht zu sein, obgleich man in Wahrheit erblindet ist. Man hält das Schwinden des Glaubens für ein Erwachen, weil man vielleicht in manchen Fällen nur aus Gewohnheit an der Wahrheit festhielt. Das wahre Erwachen ist aber nicht das Ersetzen der ewigen absoluten Wahrheit Gottes durch neue mensd1liche Konstruktionen, sondern das volle Erneuern des lebendigen Glaubens an die eine unveränderte göttliche Wahrheit, d. h. wir müssen uns ändern, indem wir eine konventionelle Haltung durch eine voll erwachte, lebendige ersetzen, aber nicht die Wahrheit durch Irrtum ersetzen, den Inhalt des Glaubens ändern und in die Illusion verfallen, weil wir uns „lebendig" dabei fühlen, wir seien aus der Erstarrung zu neuem Leben erwacht. In Wahrheit sind wir nur von einem konventionellen Glauben an die Wahrheit in eine völlig unbegründete Begeisterung für Irrlehren herabgesunken, oder auch vom Glauben in Zweifel geraten. Zweifel an der Wahrheit ist aber alles eher als ein Erwachen - es ist vielmehr ein Verfall in eine Krankheit. Und was die Liturgie betrifft, besteht das wahre Erwachen darin, dass wir versuchen, uns immer wieder erneut in ihre Herrlichkeiten zu versenken, unsere Seelen ganz zu öffnen für ihre heilige Wahrheit und ihre sakrale Atmosphäre, für die Mysterien, unser Herz von ihr voll treffen zu lassen - aber nicht darin, ihren Inhalt und ihre Form zu modernisieren.
Wahrlich, wenn man von der ewigen Jugend der heiligen Kirche spricht, muss man in erster Linie an die allen Wechsel der Zeiten und Kulturen überdauernde Identität der Kirche denken. Das große Wunder eines unzerstörbaren Lebens ist das Unerschüttert-Bleiben von allem Wechsel in der Geschichte und Kultur.
Die „Rückkehr“ zur urchristlichen Kirche
Aber nicht nur die Änderung, die in der Anpassung an den „modernen" Menschen liegt, sondern auch die einer falschen Repristinierung kann ein großer Fehlgriff sein.
Viele glauben, dass ein Zurückgreifen auf die Zeiten des ersten Christentums der Weg zu wahrer Erneuerung ist. Zweifellos ist es richtig, dass die wahre Erneuerung nicht darin besteht, vieles in der Kirche zu ändern, sondern dass vielmehr alle wahre Erneuerung nur darin bestehen kann, zu dem Geist des Glaubens, der Glut, des Heroismus zurückzukehren, der die ersten Christen erfüllte, der uns in den Briefen der Apostel und der Apostelgeschichte entgegentritt.
Dieses Prinzip der Erneuerung, die Rückkehr zu der ersten glorreichen Zeit, findet sich ja auch in allen Ordensreformen und in analoger Weise auch in vielen menschlichen Beziehungen, vor allem in der Ehe. Der Kampf gegen die große Gefahr der Abstumpfung, des Verlustes der vollen Wachheit, des Zurücksinkens in die Trägheit des Sich-gehen-Lassens, des Zurückgleitens in die Gefangenschaft seiner Gewohnheiten und Schwächen muss überall durchgeführt werden, wo es sich um hohe Güter handelt; aber er spielt offenbar vor allem eine prominente Rolle, wenn es sich um unser religiöses Leben handelt.
Nun darf aber dieses Zum-Ursprung-Zurürkkehren, zu dem Moment, in dem Gott unsere Seele in der Tiefe berührte, das zum Wesen aller Erneuerung gehört, nicht mit einem Zurückkehren in allen Einzelheiten zu dem Ursprung verwechselt werden. Es ist ein Zurückkehren zu der ursprünglichen Wachheit, Glut, dem ursprünglichen Eifer - aber nicht notwendig zu der ursprünglichen Struktur.
Wenn es sich um Gebilde handelt, die, wie es Christus im Gleichnis des Senfkornes sagt, ihre volle Gestalt in einer organischen inneren Entwicklung erreichen, so bedeutet Erneuerung keineswegs ein Entfernen all des organischen Wachstums und den Versuch, den Senfbaum wieder in die Gestalt des Keimes zurückzubringen. Bei dem Senfbaum ist dies offenbar unmöglich - aber bei der heiligen Kirche ist dies immer wieder von Häretikern aller Art versucht worden unter dem Titel der Erneuerung. Statt des Credo von Nicaea und Chalcedon das apostolische Credo zu beten, ist keine Rückkehr zu der Glut, Wachheit und Tiefe der ersten Christen, sondern eine künstliche Rückkehr von dem Expliziten zu dem Impliziten. Gewiss, das Credo von Nicaea enthält nichts, was nicht im Glauben der Apostel enthalten war. Aber es ist die herrliche, voll ausgesprochene, explizit entfaltete Offenbarung Christi, in der die Abwehr gegen gefährliche Irrtümer eingebaut ist. So ist es ein lächerlicher Archaismus zu glauben, dass, wenn man in der Liturgie nur die Heiligen nennt, die in den ersten christlichen Jahrhunderten erwähnt wurden, man zu dem Eigentlicheren zurückkehrt und die Liturgie von unwesentlichem, akzidentellem Ballast befreit. Vielmehr ist es ganz im Geiste der frühen christlichen Jahrhunderte und der Rolle, die die Heiligen dort spielten, dass Märtyrer und Heilige, die später lebten, auch eingefügt werden. Es ließen sich viele Beispiele anführen, in denen die sogenannte Rückkehr zum Ursprünglichen in keiner Weise ein Wiederherstellen des ursprünglichen Geistes und der ursprünglichen Glut ist, sondern ein künstliches Reduzieren der organischen expliziten Fülle zu einem früheren Zustand, in dem diese Fülle noch latent war.
Gewiss gibt es auch die Gefahr, unwesentlichen Ballast hinzuzufügen. Es ist vorgekommen, dass gewisse Gebete, die auf momentane Gefahren Bezug nehmen, gleichsam aus Gewohnheit stehen blieben. Wenn Pius XII. die Gebete nach der heiligen Messe, die von Leo XIII. wegen einer besonderen Gefahr eingeführt wurden, abschaffte, so war dies ein Entfernen eines solchen Ballastes. Oder wenn das Confiteor vor der heiligen Kommunion in der heiligen Messe von demselben Papst abgeschafft wurde, so war es auch ein Ballast, der nur dadurch zustande kam, dass vor Pius X. viele Jahrhunderte lang die heilige Kommunion nur selten empfangen wurde. (Die heilige Klara etwa schreibt in ihrer Regel vor, die heilige Kommunion wenigstens viermal im Jahr zu empfangen. Dadurch wurde der Ritus des Kommunionempfanges außerhalb der heiligen Messe auch für die heilige Kommunion innerhalb der heilige Messe beibehalten).
Aber das Entscheidende ist, zwischen Ballast, der sich mehr akzidentell eingeschlichen hat, und der zum Sinn und Wesen gehörigen Entfaltung zu unterscheiden. Sobald man die Rückkehr nicht auf den Geist, die Glut und Wachheit, die Treue und das volle Ernstnehmen bezieht, auf den Kampf gegen alle Formen des Laxismus, der sich so leicht bei unserer menschlichen Gebrechlichkeit einstellt, sondern es auf die äußere Struktur bezieht, auf die äußere Ausgestaltung, das Kanonische Recht, ist es von entscheidender Bedeutung, die dem Wesen und Sinn entsprechende Entfaltung von zufälligem Ballast zu unterscheiden.
Aber noch ein anderer Umstand macht die undifferenzierte Rückkehr zum frühen Christentum gefährlich.
Wir haben immer wieder hervorgehoben, dass jede Anpassung der Lehre der Kirche und auch ihrer Formulierung an den Zeitgeist einer Epoche auf einer völligen Verkennung des Wesens der Kirche beruht. Aber die Rücksicht auf die Gefahren eines Zeitgeistes ist natürlich ein wesentliches Element der pastoralen Forderung. Daher ist die Berufung auf das frühe Christentum sehr gefährlich, wenn man sie anführt ohne zu bedenken, dass man es mit ganz anderen Gefahren zu tun hat und dass gerade für Zeiten des lebendigsten Glaubens Dinge nicht erforderlich waren, die in der gegenwärtigen Situation notwendig sind. Man kann z. B. in der Liturgie in vielem nicht an die Zeit der Katakomben-Christen anknüpfen. Die Gefahr einer Säkularisierung oder auch eines konventionellen Christentums bestand nicht. Die scharfe Trennung vom Saeculum war schon durch die Christenverfolgung hergestellt. Jeder Gottesdienst in den Katakomben bedeutete eine große Gefahr für die Teilnehmer und setzte einen lebendigen, wachen, ja heroischen Glauben voraus. Schon die äußere Situation der Katakomben enthielt einen eindrucksvollen Kontrast zu dem Saeculum und der ganzen weltlichen Mentalität der Heiden. Was unter diesen Umständen genügte, um die leibliche Präsenz Christi nach der Konsekration in der heiligen Messe, um das überwältigende Mysterium der Vereinigung der Seele mit Christus in der Eucharistie dem Geist der Gläubigen einzuprägen, genügt nicht mehr in einer Zeit, in der einerseits bei vielen ein konventionelles Christentum vorliegt und in der anderseits die Türen für ein Eindringen des weltlichen, entsakralisierten Geistes der umgebenden Welt weit geöffnet sind. In dieser Situation sich auf die Einheit der frühen Christen zu berufen und zu glauben, man könne diese Einheit damit hervorrufen, dass man den Blick von der Verherrlichung Gottes durch das erneute unblutige Kreuzesopfer Christi sowie von der Liebesvereinigung der individuellen Seele mit Christus auf die Gemeinschaft mit den Gliedern der Pfarrei lenkt, ist der denkbar größte pastorale Fehlgriff. Diese sakrale Einheit der Katakombenchristen war erstens die Folge der Tiefe und Wachheit ihrer Beziehung zu Christus, ihrer Wachheit gegenüber dem Mysterium tremendum der heiligen Messe, und zweitens war sie durch die äußeren Verhältnisse so radikal aller Säkularisierung entgegengesetzt, dass man bei der Gestaltung der Liturgie heute unmöglich einfach auf die in der Urkirche herrschende Form zurückgreifen kann.
Das Stellen der Einheit über die Wahrheit: falscher Irenismus
Neben dieser Illusion, in der Änderung als solcher eine Manifestation des Lebens zu erblicken, die natürlich besonders gefährlich ist, wenn sie auch autoritativer Stellen sich bemächtigt, ist eine Gefahr in der Kirche weit verbreitet, die dieser in vieler Hinsicht entgegengesetzt ist.
Wir meinen die Auffassung, dass Einheit wichtiger sei als Wahrheit, dass gleichsam ein Schisma ein größeres Übel sei als das Eindringen von Häresien in die Kirche. Hier wird der Friede unter den Gläubigen als so wichtig betrachtet, dass, wenn die orthodoxen Katholiken ihre Stimme zur Verteidigung des depositum catholicae fidei erheben gegen diejenigen, die die Botschaft Christi neu interpretieren und ihres übernatürlichen Gehaltes berauben wollen, diese von vielen Prälaten als unliebsame Ruhestörer angesehen werden. Darauf müssen wir mit Pascal erwidern:
„Ist nicht deutlich, dass, ebenso, wie es ein Verbrechen ist, den Frieden zu stören, wo die Wahrheit regiert, es ein Verbrechen ist, im Frieden zu bleiben, wenn man die Wahrheit zerstört? Es gibt also Zeiten, wo der Friede gerecht ist und andere, wo er unrecht ist. Es steht geschrieben, es gibt Zeiten des Friedens und Zeiten des Krieges, und das Gesetz der Wahrheit ist es, das hier entscheidet. Es gibt aber nicht Zeiten der Wahrheit und Zeiten des Irrtums, und im Gegensatz hierzu heißt es in der Schrift, dass die Wahrheit Gottes ewig sein wird. Und deshalb sagt Jesus Christus auch, der gesagt hat, dass er den Frieden bringen will, dass er gekommen ist, den Krieg zu bringen. Er sagt aber nicht, dass er gekommen ist, die Wahrheit und die Lüge zu bringen. Die Wahrheit ist demnach die erste Richtschnur und das letzte Ziel der Dinge." (Pascal: Gedanken 949). Die Einheit über die Wahrheit zu stellen, ist ein fundamentaler Irrtum; überdies kann die wahre Einheit nur in der Wahrheit gefunden werden. Jede Gemeinschaft setzt einen einenden Güterbereich voraus. Nur wenn dieser Bereich einen wahren Wert besitzt und nicht einen illusorischen oder gar einen Unwert, kann er eine wahre Einheit bilden, eine concordia, die in sich wertvoll ist. Das hat schon Aristoteles in seinem Kapitel über Freundschaft (8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik) klar gesehen. Die Einheit, die auf der Gottesfeindschaft aufgebaut ist, ist keine wahre Einheit, sie verbindet nicht wahrhaft, so wenig wie die Einheit einer Verbrecherbande. Der Wert der Einheit hängt unlöslich von dem Wert des einenden Gutes ab. Jede wahre Einheit setzt, wie gesagt, voraus, dass das einende Gut in Wahrheit ein Gut und keine Illusion oder kein Pseudogut und erst recht kein negativ-wertiges Idol ist. Mit Recht sagt van Straaten:
„Alle sind um die Einheit besorgt, doch ziehen viele die Einheit der Wahrheit vor und vergessen, dass wahre Einheit nur in der Wahrheit erlangt werden kann. Denn das Gebet Jesu, ,dass alle eins seien', schließt ein, dass sie in Ihm eins seien und darf nicht von seinem andern Wort getrennt werden: ,Ich sage euch: jeder, der nicht durch die Türe in den Schafstall eingeht, ist ein Dieb und ein Räuber ... Ich bin die Türe!'" (Werenfried van Straaten: Monatlicher Rundbrief vom Dezember 1969). Jede Einheit auf Kosten der Wahrheit ist nicht nur eine Pseudoeinheit, sondern auch im letzten Grunde ein Verrat an Gott. Man stellt die soziale „Bruderschaft", das „Gut-auskommen" und niemand Angreifen über die Treue zu Gott. Ich erinnere mich, dass, nachdem ich in meiner Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat" im Jahre 1935 die Haltung mehrerer deutscher Bischöfe dem Nationalsozialismus gegenüber angegriffen hatte, ein katholischer Professor mir sagte: „Wie können Sie so etwas tun! Die Hauptsache ist doch, dass alle Katholiken einig sind - ob für oder gegen Hitler, ist viel weniger wichtig." Das war eine typische Äußerung für das Stellen der Einheit über die Wahrheit und den Kult einer falschen Einheit, der von der Frage der Wahrheit abstrahiert. Das ist das Gegenteil der Haltung all der großen Kämpfer gegen den Arianismus - eines heiligen Athanasius, eines heiligen Hilarius von Poitiers und des heiligen Augustinus in seinem Kampf gegen Pelagianismus und Donatismus.
Der Kampf gegen das Kreuz
Wir müssen endlich noch auf die unselige Tendenz hinweisen, das Kreuz aus dem Leben des Christen zu entfernen. Dass heute auf rein natürlicher Ebene das Opfer verpönt ist, braucht man nicht auszuführen. Die ganze Erziehung zielt darauf ab, den Kindern alle Kreuze zu ersparen, jeden Wunsch möglichst zu erfüllen, nicht zur Arbeit an sich selbst, an seinem moralischen Wachstum aufzufordern, alles, was hart und mühsam ist, ihnen zu ersparen. Dieser generelle Zug zur Verwöhnung und Entfernung aller Opfer aus dem Leben des Kindes ist aber nur eine der vielen Formen der Ausschaltung des Opfers aus dem Leben des Menschen und diese weitverbreitete Tendenz unserer Zeit ist unseligerweise auch in weite Kreise der Kirche eingedrungen, der Kirche Jesu Christi, von dem der heilige Paulus sagt: Ich predige euch Christus und zwar den Gekreuzigten. Eine Nachfolge Christi ohne bereitwillige Annahme des Kreuzes ist ein Widerspruch in sich selbst.
Unter dem Schlagwort des vollen Menschentums, der Erfüllung des eigenen Selbst, werden alle Opfer als Verkrüppelungen diffamiert. Ja, nicht nur freiwillig gewählte Opfer oder von Gott auferlegte Kreuze werden so weit als möglich zurückgedrängt, sondern sogar die Leiden, die mit dem sittlich verpflichtenden Kampf gegen die Sünde, etwa der Unreinheit verknüpft sein können, werden als Verstümmelung des vollen Menschen oder als Verdrängung hingestellt.
In Wahrheit sind aber die Kreuze, die im Kampf gegen die Sünde in der Welt nötig sind und die bis zum Martyrium einer heiligen Maria Goretti gehen können, nicht nur ein Ausdruck der Nachfolge Christi, sondern es ist auch oft sittlich verpflichtend, diese Kreuze auf sich zu nehmen.
„Vereinigung“ des Unvereinbaren
Die große Gefahr für die Katholiken und weite Kreise der Hierarchie ist aber vor allem, dass man oft Dinge vereinen will, die ihrem Wesen nach unvereinbar sind. Ich denke hierbei nicht an die sogenannten „Progressisten", die die Dogmen nicht mehr anerkennen wollen, die die Auferstehung Christi als historische Tatsache leugnen, kurz all die, für die die „Wissenschaft" statt der Erblehre der Kirche und des Evangeliums die Basis auch ihres „Glaubens" bildet. Nein, ich denke an diejenigen, die ganz am depositum catholicae fidei festhalten, die sich zum Credo von Papst Paul VI. voll bekennen, die aber gleichzeitig den Mythos des modernen Menschen annehmen und glauben, dass die Kirche einer neuen „Sprache" und neuer Formulierungen bedürfe. Oder manche glauben, sie könnten die „Theologie" Teilhard de Chardins mit der christlichen Offenbarung und der Lehre der Kirche vereinen. Ja, manche merken nicht, dass sie mit dem Schlagwort,: wir müssen das katholische Ghetto verlassen und eine positivere Stellung zur Welt einnehmen, den Teufel durch eine Ritze hereingelassen haben, der sie dazu bringt, den unversöhnlichen und nie endenden Kontrast zwischen dem Geist Christi und dem Geist der „Welt" nicht mehr zu sehen.
So lassen sich noch viele Fälle anführen, in denen die Unvereinbarkeit vieler moderner Theorien (die obendrein nicht so „neu" sind, wie ihre Vertreter glauben, wie ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt) mit dem christlichen Glauben und der Lehre der Kirche übersehen wird. Viele „Neuerungen", die unter dem Motto: „Wir müssen das Wandelbare von dem Unwandelbaren trennen", eingeführt werden sollen, sind im Grunde ein deutliches Abrücken von dem Glauben an Christus und dem „Klima" der Kirche.
Auf dem Hintergrund dieser gegenwärtigen geistigen Situation, dieses Kampfes der Geister selbst innerhalb der Kirche, müssen wir den Kampf für die Abschaffung des Zölibates betrachten. Je weniger wir die Gefahren aus dem Auge verlieren, die die Kirche heute bedrängen, ja in ihrer Existenz bedrohen, desto klarer werden wir sehen, wie zentral die Frage des Zölibates ist und welche geistigen Kräfte es sind, die hinter der Forderung der Abschaffung der Verpflichtung des Zölibates der Priester stehen.
KAPITEL 1: DER ZÖLlBAT IM LICHT DES WANDELBAREN UND UNWANDELBAREN IN DER KIRCHE
Oft hört man heute von Seiten der gemäßigten „Progressisten" das Argument, man müsse doch das Wandelbare vom Unwandelbaren in der Kirche unterscheiden. Das müsse gerade im Interesse der Kirche geschehen, ihres wahren Wesens, des wahren Gehorsams ihr gegenüber, des wahren Glaubens. Das sei ja die große Tat des Vatikanum II. Diese Kreise sagen, die Trennung von Wandelbarem und Unwandelbarem sei auch für die Beurteilung der Berechtigung der Verpflichtung des Priesters zum Zölibat von großer Wichtigkeit.
So wichtig es sicher ist, das Wandelbare vom Unwandelbaren in der Kirche zu unterscheiden, so führt diese Unterscheidung zu schweren Irrtümern, solange die Bedeutung des Begriffspaares wandelbar und unwandelbar nicht eindeutig geklärt ist. Denn, wie wir sehen werden, sind insbesondere in dem Terminus „wandelbar" oft ganz verschiedene Dinge, die man scharf voneinander trennen muss, zusammengefasst.
Wandelbares und Unwandelbares in verschiedenem Sinn
Unwandelbar sind alle echten Wesenheiten. Gerechtigkeit kann nie zu etwas anderem werden, so wenig wie die Zahl 3. So sehr die Situationen variieren können, die ein und dasselbe äußere Verhalten gerecht machen und ein andermal ungerecht – das Wesen der Gerechtigkeit kann sich nicht ändern oder wandeln. Dasselbe gilt für Demut, Caritas, Reinheit, Großmut und alle Tugenden, sowie für alles, was ein echtes Wesen besitzt, wie vor allem die Wahrheit.
So sehr die Menschen sich wandeln und ein gerechter Mensch ungerecht werden kann oder ein ungerechter gerecht, so wenig kann sich Gerechtigkeit in ihrem Wesen wandeln; und kein konkretes Verhalten, das eindeutig gerecht ist oder war, keine gerechte Tat kann je aufhören gerecht zu sein. Alle wesensnotwendigen Sachverhalte sind unwandelbar. Die Tatsache, dass 2 und 2 = 4 ist, kann sich nie wandeln; die Tatsache, dass sittliche Werte wesenhaft eine Person als Träger voraussetzen, kann sich nicht wandeln.
Aber auch wenn es sich um Sachverhalte handelt, die nicht wesensmäßig notwendigen Charakter haben, z. B. um konkrete individuelle Fakten oder historische Ereignisse, die nicht unwandelbar sind, so ist doch die Wahrheit eines Satzes, wie z. B.: „Cäsar überschritt den Rubikon im Jahre 49", auch unwandelbar; dies könnte nur im Prinzip durch neue historische Forschungen als falsch erwiesen werden. Aber das ist nicht Wandelbarkeit. Alle nicht evidenten oder nicht aus evidenten Sachverhalten eindeutig deduzierten Sachverhalte sind nie absolut sicher, und darum besteht bei ihnen die prinzipielle Möglichkeit, dass einmal entdeckt wird, dass sie in Wirklichkeit nicht bestehen oder nie bestanden haben. Aber worauf es hier ankommt, ist zu verstehen, dass die Tatsache, dass ein Ereignis der Vergangenheit angehört, die Wahrheit der Feststellung dieses Ereignisses in seiner Unwandelbarkeit nicht anficht. Der Anspruch des Satzes auf Wahrheit, wenn er sich nicht auf wesensmäßig notwendige Sachverhalte bezieht, kann prinzipiell zusammenbrechen. Aber sobald der Satz wahr ist, kann er sich nie wandeln in seiner Wahrheit. Das Sich-Als-Falsch-Herausstellen ist offenbar keine Wandlung. Das schwäbische Wort: es ist schon so lange her, dass es fast nimmer wahr ist, ist in seiner humoristischen Falschheit nicht zu verkennen.
Im Gegensatz zu der Unwandelbarkeit aller echten Wesenheiten und wesensmäßig notwendigen Sachverhalte sowie der Wahrheit eines Satzes als solcher, gibt es unzählige wandelbare Sachverhalte: erst ist es Naht und dann Tag, erst scheint die Sonne, dann regnet es; im Jahr 1630 befand man sich in der Mitte des 30jährigen Krieges - heute ist dies nicht mehr der Fall; eine große Kulturepoche vergeht, die Zeiten wandeln sich usw. Am präzisesten ist der Terminus wandelbar da gebraucht, wo ein und dieselbe individuelle Sache sich verändert - z. B. in allen Wachstumsprozessen -, sei es ein Baum, sei es ein Tier oder ein Mensch in seiner Entwicklung vom kleinen Kind zum Erwachsenen.
Aber es gibt auch eine Art der Wandelbarkeit, die nicht wie der Rhythmus von Wachstum im Leben unaufhaltsam oder ein Naturgesetz ist. Es gibt auch vieles, bei dem ein Sich-Wandeln-Können, aber nicht ein Sich-Wandeln-Müssen vorliegt. Dazu gehören z. B. die Eigenschaften eines Menschen, vor allem in moralischer Hinsicht. Die Gerechtigkeit, Reinheit, Demut, Liebe und Frömmigkeit ist zwar unwandelbar in ihrem Wesen und in ihrem Wert. Aber als Eigenschaften eines individuellen Menschen sind sie insofern wandelbar, als sich ihre Realisierung oder ihr Verschwinden in einem Menschen allmählich in einem Prozess des Aufstiegs oder Abstiegs vollziehen kann.
Ein Mensch kann wachsen an Tugend - er kann abnehmen. Er kann sich auch radikal verändern und aus einem bösen ein guter Mensch werden und aus einem guten ein böser Mensch; er kann sich zu Gott bekehren und von Gott abfallen. Aber er muss dies nicht. In der moralischen und religiösen Sphäre ist der Unterschied von Können und Müssen am ausgeprägtesten, da hier im Unterschied von intellektuellen Werten - Klarheit, Schärfe, Tiefe des Denkens oder große künstlerische Talente, die reine Geschenke sind - nichts ohne eine freie Stellungnahme erblühen noch verloren gehen kann, mit einem Wort, dass der Mensch für sie verantwortlich ist. Aber ein Müssen der Veränderung wie bei einem zwangsläufigen Naturgesetz liegt auch bei außermoralischen Personwerten nicht vor. Jemand, der intelligent ist, kann wachsen in seinem Verstand, er kann gleich bleiben, er kann abnehmen, aber er muss es nicht. Rossini z. B. erreichte in einem jüngeren Werk „Der Barbier von Sevilla" seinen Höhepunkt - Verdi hingegen in hohem Alter in seinem Requiem, Othello und Falstaff (alle nach seinem 60. Lebensjahr). Selbst hier kann ein Aufstieg oder Abstieg oder gar ein Verlust vorkommen - aber dies muss nicht der Fall sein.
Für uns ist aber vor allem wichtig, den Unterschied zwischen einem notwendigen Wandel und einem nur möglichen klar zu unterscheiden, der in der moralischen Sphäre besonders deutlich hervortritt, weil hier nichts ohne unsere Freiheit, zum mindesten unsere freie Kooperation, geschehen kann.
Der Unterschied zwischen Sich-Wandeln-können und Sich-Wandeln-sollen
Ein weiterer, für unseren Zusammenhang noch wichtigerer Unterschied, der mit dem von „Können" und „Müssen" zusammenhängt, ist der von sich verändern oder wandeln können und wandeln sollen. Ein Mensch kann seiner Tugenden verlustig gehen, aber er sollte es nicht. Wenn auch ein Mensch sündigen kann - wenn er sich von Gott abwenden kann, wenn er auch sittlich verkommen kann - so muss er es nicht und vor allem, er sollte es nie.
Dies gilt mutatis mutandis auch für Gesetze und Institutionen. Die Urrechte, die Gott dem Menschen verliehen hat, sind unwandelbar. Die Ausübung dieser Rechte kann aber vom Staat unterbunden werden, wie das in einem totalitären Staat geschieht. Sie kann unterbunden werden, aber sie sollte es nicht. Dass der Mensch diese Rechte besitzt, ist als solches unwandelbar und kann ihm von außen nicht genommen werden. Nur er selbst kann sich so benehmen, dass er einiger dieser Rechte verlustig geht. Wir müssen aber auch wieder betonen: es kann geschehen, aber es muss nicht geschehen und vor allem, es sollte nicht geschehen, d. h., der Mensch sollte sich nie so verhalten, dass er dieser Rechte verlustig geht. Auf eine Demokratie folgte oft eine Tyrannei und umgekehrt - aber es muss nicht so sein. Es ist kein Naturgesetz, das diesen Wandel bestimmt. Die freie Stellungnahme der Menschen spielt auch hier eine entscheidende Rolle. Und vor allem folgt auch hier aus dem möglichen Wandel in keiner Weise, dass es so sein sollte.
Unwandelbares in der Kirche
Unwandelbar in der Kirche ist offenbar alles, was in seinem Wert und seiner Geltung von aller Entwicklung in der Zeit, von der geschichtlichen und kulturellen Situation unabhängig ist. So sind offenbar alle Dogmen unwandelbar. Alle Wahrheiten des depositum catholicae fidei sind unwandelbar. Darum sind auch Widersprüche innerhalb der Dogmen ausgeschlossen. Das gehört zum Wesen der Unfehlbarkeit der Kirche.
Die Dogmen sind wesenhaft unwandelbar in dem Sinn, wie jede absolute Wahrheit unwandelbar ist. Sie sind erstens unvergänglich in ihrer Geltung, zweitens unveränderlich und endlich in keiner Weise in ihrer Geltung auf geschichtliche Entwicklung relativ. Von ihnen kann auch ein Atheist sinnvoller Weise nur sagen, sie seien nicht wahr - die Sachverhalte, auf die sie abzielen, bestehen nicht in Wirklichkeit. Aber auch ein Atheist kann nicht sagen, sie seien veränderlich oder vergänglich oder sie besäßen nur eine Geltung für eine bestimmte Zeitepoche. Entweder sind sie wahr oder sie sind falsch. Im ersten Fall sind sie ewig, unveränderlich und von allem Zeitrhythmus unabhängig in ihrer Geltung - oder sie sind falsch, d. h. das, worauf sie abzielen, hat nie bestanden. Aber veränderlich, vergänglich und zeitgebunden in ihrer Geltung können sie nie sein. Ebenso ist die Heiligkeit, die in der Nachfolge Christi alle Christen zu erstreben berufen sind, unwandelbar. Sie ist objektiv ein und dieselbe für alle Zeiten, ja für Zeit und Ewigkeit.
Die Frage ist hier: was gehört zum Wesen der Katholischen Kirche, was gehört so zu ihr, dass sie, wenn es wegfiele, ihre Identität verlieren würde, und was ist nur faktisch in ihr vorhanden ohne konstitutiv zu ihrem Wesen zu gehören?
Die göttliche Institution der Kirche, ihr unfehlbares, durch den Heiligen Geist geschütztes Lehramt, ihr Charakter als Mystischer Leib Christi, ihre autoritative und hierarchische Struktur gehören wesenhaft zur Kirche. Die Institution der Kirche durch Christus, die Geburt der Kirche zu Pfingsten, die successio apostolica gehören konstitutiv zum Wesen der Kirche - wer sie leugnet, muss damit die Realität dessen, was die Kirche zu sein prätendiert, konsequent leugnen, denn ohne diese Fakten würde die Kirche Christi ihre Identität verlieren.
Aber auch alle Bestimmungen, soweit sie zum Wesen von etwas gehören, können nie aufgehoben werden.(5)
Ebenso setzt die Konsekrationsgewalt die Priesterweihe voraus. Die Verbindung des Sakramentes der Priesterweihe mit der Konsekrationsgewalt in der heiligen Messe ist ein unwandelbares Element der heiligen Kirche. Gewiss, Gott hätte es auch anders einrichten können - aber eine Verfügung eines Papstes, dass jeder Laie die Konsekrationsgewalt besitzt, wäre offenbar ungültig, d. h. sie würde die Verfügungsgewalt der Kirche überschreiten, weil sie dem dogmatisch festgelegten Zusammenhang beider widersprechen würde.
Wandelbares in der Kirche, das verändert, und solches, das nicht verändert werden soll
Alle Verfügungen hingegen, alles kanonische Recht, sind an sich wandelbar, alle Bestimmungen, die an den Gehorsam appellieren, außer wenn sie in ihrem Inhalt aus dem Despositum catholicae fidei logisch folgen.
In diesem Sinn gehört offenbar die Verpflichtung des Priesters zum Zölibat in der westlichen Kirche nicht zu dem Unwandelbaren in der Kirche, sondern zu dem Wandelbaren.(6)
Solange wir darum feststellen, dass etwas in der Kirche wandelbar ist, weil es nicht zu ihrem Wesen gehört, haben wir noch nichts über den Wert des Wandelbaren ausgemacht. So sehr das Unwandelbare in seiner Bedeutung und in seinem Rang dem Wandelbaren überlegen ist, so besagt die prinzipielle Wandelbarkeit einer Verfügung oder Bestimmung noch nichts über ihren Wert und darum auch in keiner Weise etwas darüber, ob sie abgeschafft werden solle oder nicht. Und hier setzt die gefährliche Äquivokation in der Verwendung des Terminus wandelbar ein. Oft spricht man ja von wandelbar in einem ganz anderen Sinn. Man meint damit, dass bestimmte Einrichtungen, Gesetze usw. für eine bestimmte Situation, eine bestimmte Zeitepoche gut und nützlich sind, dass sie aber ihren Wert und Sinn verlieren, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. So ist z. B. die Beschränkung vieler Freiheiten notwendig in einem Krieg, und viele Gesetze, die während des Krieges gut und nützlich sind, verlieren ihren Wert, ja werden sogar zu einer unberechtigten Beschränkung, sobald der Krieg aufgehört hat. Diese Gesetze sind daher typisch wandelbar im Gegensatz zu den unwandelbaren moralischen Gesetzen.
Die Relativität auf eine bestimmte Situation und eine historische Zeitepoche muss aber scharf von der Tatsache unterschieden werden, dass etwas sich erst in einem bestimmten Moment der Geschichte entwickelt hat. Man darf aus der Tatsache, dass etwas nicht immer bestanden hat und erst in einem bestimmten historischen Zeitpunkt eingeführt wurde, weder schließen, dass es darum notwendig in seinem Wert auf diese Zeitepoche relativ ist, noch dass seine Abschaffung eine Verbesserung darstellen würde.
Wenn man wandelbare Dinge in der Kirche von den unwandelbaren unterscheidet, bleibt die Frage, bei welchen Dingen innerhalb der wandelbaren es wünschenswert ist, dass sie geändert werden, völlig unbeantwortet. Und wenn man mit wandelbar irgendwie meint, dass ihr Sein nur auf eine bestimmte Zeitepoche und bestimmte Verhältnisse relativ ist, dann ist durchaus nicht alles, was sich mit der Zeit eingestellt hat, wandelbar in dem Sinn von relativ auf eine Zeitepoche.
Die schlagworthafte Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „Wandelbar“: Prinzipiell wandelbar und „überholt“
Oft schließt man nun in den Begriff wandelbar stillschweigend ein, dass es sich bei allem Wandelbaren in der Kirche um etwas handelt, dessen Bedeutung, Wert, ja Berechtigung auf bestimmte Zeitumstände relativ ist. Wie oft hört man, wenn über irgend eine Ordensregel gesprochen und ihre „Wandlung" verlangt wird, das Argument: „das war ja sehr gut für das Jahr 1550 - aber vergessen wir doch nicht, heute leben wir im Jahre 1970." Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass jede Regel, jede Bestimmung, das ganze kanonische Recht verändert werden müsse, weil sich die Zeitumstände verändert haben, - ohne die drei ganz verschiedenen Fragen zu unterscheiden:
1. Ist etwas prinzipiell wandelbar?
2. Ist dieses Wandelbare in sich gut, wertvoll?
3. Hat es nur einen Wert und nur einen Sinn für eine bestimmte Zeitepoche, hängt seine Berechtigung von bestimmten Zeitumständen ab?
Wenn viele von dem Wandelbaren in der Kirche sprechen, meinen sie im Grunde, dass das schon lange Bestehende veraltet und überholt sei. Solchem Gerede liegt offenbar eine große Konfusion zugrunde - manchmal auch eine sophistische Unehrlichkeit. Man schwindelt in den Begriff prinzipielle Wandelbarkeit -des Sich-Wandeln-Könnens - den einer Relativität des Wertes auf bestimmte Zeitumstände ein. Wir könnten sagen, man tut, als ob zu dem Begriff Wandelbar das Veralten, überholt-Sein gehöre. Der erste Schritt ist der, das Wandelbare in der Kirche mit dem von Zeit und Geschichte Abhängigen zu identifizieren - oder die prinzipielle Wandelbarkeit mit der Möglichkeit des Veraltens seines Wertes und Sinnes bzw. des Überholtseins durch den Gang der Geschichte gleichzusetzen. Der zweite Schritt ist dann, aus der Wandelbarkeit abzuleiten, dass etwas tatsächlich überholt ist und darum abgeschafft werden solle bzw. durch etwas Neues ersetzt werden solle. Es mag einen Wert besessen haben in früheren Zeiten, aber jetzt, da es veraltet ist, wird es zu etwas Unwertigem und sollte abgeschafft werden.
Die Zölibatspflicht des Priesters prinzipiell wandelbar, doch damit keineswegs „überholt“
Die Tatsache, dass der Zölibat zum Wandelbaren in der Kirche gehört, nehmen offensichtlich diejenigen zum Anlass, in den Begriff des Wandelbaren den des Überholtseins hereinzunehmen, die auf diese Weise die Forderung nach Abschaffung des Zölibats begründen wollen (7). Nun muss aber mit aller Energie betont werden, dass der Sprung von wandelbar zu überholt völlig illegitim ist. In Wahrheit kann auch das Wandelbare in den oben herausgearbeiteten Bedeutungen einen hohen bleibenden Wert besitzen und braucht in keiner Weise zu veralten.
Dass die Verpflichtung der Priester zum Zölibat nicht zu dem unwandelbaren Teil der Kirche gehört, wie die Dogmen und die Sittenlehre der Kirche, wie die Sakramente, bezweifelt niemand.
Aber die Wandelbarkeit, die dieser Unwandelbarkeit entgegengestellt wird, beinhaltet, wie wir sehen, in keiner Weise eine Relativierung des Wertes dieser Institution.
Solange diese Äquivokation herrscht, ist eine ernsthafte Diskussion über die Verpflichtung zum Zölibat nicht möglich. Ja, der an sich wesentliche Unterschied von wandelbar und unwandelbar sinkt zum bloßen Schlagwort herab.
Denn die Trennung von Wandelbarem und Unwandelbarem zielt darauf ab, das in der Kirche, was immer gleich bleiben sollte, von dem zu trennen, was zeitlich bedingt ist und ohne bleibenden Wert, und das, wenn es seine Funktion verloren hat, beseitigt werden sollte. Dazu gehörten zum Beispiel Dinge wie der päpstliche Staat, der im Mittelalter zweifellos eine Bedeutung hatte und eine wichtige Funktion erfüllte, der aber abgeschafft werden könnte, ohne dass dies einen Verzicht auf einen hohen Wert implizieren würde. Dies ist wirklich eine Sache, die in ihrem Wert auf eine bestimmte Zeit relativ war.
Die Unterscheidung des Unwandelbaren vom Wandelbaren in diesem Sinn ist auch von großer Bedeutung vom Standpunkt der richtigen Antwort auf die Wertrangordnung oder Hierarchie der Werte. Der wahre Glaube erfordert, dass wir der Wertrangordnung Rechnung tragen. So wie unser Glaube klar die Dogmen von einer bloßen communis opinio unterscheiden soll, sollen wir auch die Gebote Gottes und alle aus der Sittenlehre der Kirche erwachsenden Gebote klar von bloß positiven Kirchengeboten unterscheiden. Und in dieser Hinsicht hat bei manchen Katholiken, selbst bei Ordensleuten und Priestern oft eine große Unklarheit geherrscht.(8)
Die Frage, ob die Zölibatsverpflichtung der Priester in der westlichen Kirche abgeschafft oder beibehalten werden sollte, hängt ausschließlich davon ab, ob sie einen hohen Wert und tiefen Sinn besitzt, der in keiner Weise auf eine bestimmte Zeitepoche relativ ist oder ob sie heute diesen Wert nicht mehr besitzt, ob ihre Bedeutung überholt ist und andere Gesichtspunkte ihre Abschaffung wünschenswert machen. Wir wiederholen: die Feststellung, dass der Zölibat nicht zum Wesen des Priestertums gehört - (eine Tatsache, die niemand bezweifelt) besagt nicht, dass die Verpflichtung zum Zölibat abgeschafft werden sollte. Um ihn beizubehalten, genügt es vollständig, dass er dem Sinn und Wesen des Priestertums entsprechender ist, auch wenn er konstitutiv nicht dazu gehört. Nur wenn die Ehe adäquater für den Priester wäre als die Ehelosigkeit propter regnum coelorum, könnte deren Abschaffung wünschenswert sein. Ja, auch wenn Ehe und Ehelosigkeit gleich adäquat wären für den Priester, d. h. dem Sinn und Wesen des Priestertums in gleicher Weise entsprechen würden, läge kein Grund zur Abschaffung der Zölibatsverpflichtung vor, wenn der Zölibat aus anderen Gründen einen hohen Wert hätte.
Wir werden aber im folgenden sehen, dass zwischen Zölibat und Sinn und Wesen des Priestertums ein tiefer Zusammenhang besteht, dass, obgleich der Zölibat nicht konstitutiv für das Priestertum ist, er doch viel adäquater für es ist. Wir werden sehen, welch hohen Wert der Zölibat des Priesters hat. Wir werden sehen, dass die Zölibatsverpflichtung heute nicht nur nicht überholt ist, sondern dass sie gerade in der gegenwärtigen Zeit und erst recht in der gegenwärtigen Krise der Kirche eine ganz besondere, noch erhöhte Bedeutung gewinnt.(9)
Im nächsten Kapitel werden wir dann versuchen, uns auf das Wesen, die Größe und Schönheit des priesterlichen Amtes zu besinnen. Dann werden wir im 3. Kapitel das Wesen des Zölibats betrachten, erst das große Geschenk der Ehe, dann die Größe des Opfers und endlich die Glorie des Verzichtes auf die Ehe propter regnum coelorum.
Das sind die unerlässlichen Unterlagen für die Prüfung der Affinität von Priestertum und Zölibat. Nur auf dieser Grundlage können wir erkennen, ob der Zölibat adäquater ist für den Priester - und in welchem Maße.
KAPITEL 2: DAS AMT DES PRIESTERS
Schon bei allen sublimen natürlichen Gütern ist die Vorbedingung für das wahre Verständnis Ehrfurcht und Sichwundern, Staunen, das Thaumazein, das Plato und Aristoteles für alle wahre Philosophie fordern. Dies gilt aber noch in viel höherem Maße, ja in ganz neuer Weise von der göttlichen Offenbarung in und durch Christus, von den Sakramenten und von der heiligen Kirche selbst. Wir müssen uns sammeln und in jener letzten Ehrfurcht vor dem unsagbaren Geschenk Gottes, das das Priestertum darstellt, an diese Betrachtung herangehen. Offenbar kann es sich hier nicht um eine theologische Abhandlung über das Priestertum handeln, sondern um eine kurze Besinnung auf sein Wesen und seine Würde.
Konsekrationsgewalt und Spendung der Sakramente
Im Mittelpunkt des priesterlichen Amtes steht die Konsekrationsgewalt. Der heilige Franziskus gab seiner Ehrfurcht vor allen Priestern Ausdruck mit den Worten: „Wenn ich einem Priester und dem heiligem Laurentius begegnen würde, so würde ich erst dem Priester die Hand küssen und sagen: heiliger Laurentius, vergib mir, aber die Hände des Priesters berühren jeden Tag den Leib unseres Herrn!" Die einzigartige Würde, die dem Amt des Priesters dadurch verliehen wird, dass er die Konsekrationsgewalt erhalten hat im Sakrament der Priesterweihe, haftet seinem Amt als Priester an und nicht seiner Person. Selbst wenn er ein großer Sünder wäre - so würde diese Gewalt nicht verloren gehen. Er besitzt die Konsekrationsgewalt unabhängig davon, ob er ein Heiliger oder ein Sünder ist - ja selbst, wenn er von der Kirche abfällt, verliert er die Konsekrationsgewalt nicht (10).
Wenn wir dies bedenken, tritt die ganze erhabene Größe des Amtes des Priesters hervor - der tiefgreifende Unterschied zwischen einem Laien und einem Priester. Und bedenken wir ferner, dass der Priester der Spender der Sakramente ist - dass er normalerweise das einzigartige Privileg besitzt, den Gnadenstrom in die Seelen zu leiten, den Gläubigen diese unaussprechliche Gabe Gottes darzubieten. Aber diese außerordentliche Mission ist je nach der Art der Sakramente in verschiedenartiger Weise mit dem Amt des Priesters verknüpft. Die Lossprechung der Sünder im Bußsakrament kann nur ein Priester vornehmen. Er bedarf dazu - abgesehen von außerordentlichen Situationen, z. B. in articulo mortis, der bischöflichen Jurisdiktion. Er kann z. B. nicht ohne weiteres in einer anderen Diözese als in der, der er angehört, als Beichtvater die Lossprechung der Sünder vornehmen, er muss dazu die Autorisierung des Generalvikars der fremden Diözese einholen. Nur in besonderen Notfällen kann er dies ohne Jurisdiktion vollziehen.
Aber anderseits kann nur ein Priester Beichte hören und gültig lossprechen und niemals ein Laie. Ein Laie kann hingegen gültig taufen in einem dringenden Fall, wenn kein Priester erreichbar ist - in der sogenannten Nottaufe; und auch mit der Spendung der Kommunion kann in außerordentlichen Fällen, wie bei einem heiligem Tarcisius und manchmal in den Nazi-Konzentrationslagern oder heute in den Missionsländern und in ähnlichen Situationen ein Laie betraut werden.
Die Größe des Amtes des Priesters tritt wiederum deutlich hervor, wenn wir uns klarmachen, dass er durch sein Amt an der unerhörten, übernatürlichen Macht teilhat, die Christus den Aposteln verliehen hat: „Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein ...".
Man muss sich an das Skandalum der Pharisäer erinnern, als Jesus den Gelähmten von seinen Sünden lossprach, um den übernatürlichen Charakter der Lossprechung - die an sich Gott allein vorbehalten ist - in seiner ganzen Außerordentlichkeit zu erfassen. Wir können nicht genug staunen über das unerhörte Geschenk, dass Christus diese Macht, die er als Gottmensch besaß, den Aposteln übertragen hat - und durch sie auf die Nachfolger der Apostel- und dass der Priester an dieser Macht teilhat. Wie müsste jeder Priester erzittern, wenn er sich dieser unerhörten Verbindung mit Christus durch sein Amt und die Jurisdiktion bewusst wird, dass er im Namen Christi gültig den Gläubigen von seinen Sünden lossprechen kann, dass durch und in seinen Absolutionsworten Christus die Seele des Sünders in einzigartiger Weise berührt, ihn befreit von seiner Schuld und wiederum in den Stand der Gnade zurückhebt.
Aber auch, dass dem Priester, außer in besonderen Notfällen, die Spendung der anderen Sakramente anvertraut ist, zeigt die ganze sublime Größe seines Amtes.
Dass es Menschen gibt, die nur dafür leben, Gott im heiligen Messopfer zu verherrlichen und den Strom der Gnade in die Seelen der Gläubigen einfließen zu lassen, die ganz der Kirche gehören, ist ein unglaubliches Geschenk und ein Wunder. Zu diesen Aufgaben des Priesters kommt noch die Verkündung des Wortes Gottes hinzu.
Die Verkündigung des Wortes Gottes in der „Welt“
Es ist etwas Großes, im Namen der heiligen Kirche das Wort Gottes den Gläubigen in der Predigt zu verkünden; mitten in der Welt - in der laut die Stimme des „saeculum" ertönt, und heute lauter denn je durch die Massenmedien die Seelen in die Netze des Fürsten der Welt eingefangen werden - ist es die heilige Kirche und in ihrem Namen der Priester, der opportune, importune, den einen großen Ruf Gottes immer wieder ertönen lässt: „Jerusalem convertere ad Dominum Deum tuum." Wir müssen uns des Kampfes bewusst werden, der zwischen Christus und dem Geist der „Welt" bis ans Ende der Zeiten dauern wird, um die Größe des priesterlichen Amtes auch in dieser Hinsicht zu erfassen. Dass es jemand gibt, der ex professo gegen den Strom der Zeitepoche in der Welt mit ihren Moden schwimmt, der die göttliche Offenbarung Christi, die im depositum catholicae fidei von der heiligen Kirche niedergelegt ist, den Gläubigen verkündet, der ihnen diese geistige sakrale Nahrung spendet - ist ein Geschenk, für das wir nie genug danken können, das uns aber die Würde des priesterlichen Amtes deutlich vor Augen rückt. Es ist das In-der-Welt-sein, aber nicht Von-der-Welt-sein, was hier im Amt des Priesters objektiv enthalten ist.
Errichtung des Reiches Gottes und ewiges Heil der Seelen
Jeder Priester ist an sich auch berufen, ein Missionar zu sein, d. h. es liegt in seinem Amt als Organ der Kirche, als ein Streiter Gottes mit der einzigartigen Autorität, die aus seinem Amt erwächst, das Reich Gottes in den Seelen zu errichten - zunächst in den ihm anvertrauten Gläubigen, aber auch, wo immer die Gelegenheit sich bietet - die Seelen, die Christus noch nicht gefunden haben oder noch nicht zu seiner heiligen Kirche gehören, für Christus zu gewinnen und in seine heilige Kirche zu führen.
Das Reich Gottes und das Heil der Seelen sind seine Aufgabe. Dieser Aufgabe widmet er sein Leben. Gewiss er ist auch dazu berufen, dem individuellen Armen in seiner Pfarrei zu helfen, den Leidenden zu trösten, den Gedemütigten und Unrecht Leidenden aufzurichten. Aber der Sinn des Priestertums ist vor allem - was seine Herde betrifft, wenn er Pfarrer ist, oder die Menschen, mit denen er z. B. als Lehrer zu tun hat -: um die Heiligung der Seelen und ihr ewiges Heil besorgt zu sein. Der Priester ist kein Wohlfahrtsbeamter. Das Motto, das für jeden Christen gilt: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit" ist die Seele seines Amtes. Die raison dêtre für die Kirche ist, das regnum Christi in den Seelen der Gläubigen zu errichten, Gott durch ihre Heiligung zu verherrlichen und für das ewige Heil der Seelen zu wirken. Zu diesem Thema gehört auch der geistige Kampf gegen das Böse, gegen den Fürsten dieser Welt, gegen alle Versuche, Irrlehren zu verbreiten, die Seelen der Menschen durch falsche Lehren von Gott abzuwenden - und dieser Kampf schließt vor allem die eindeutige Verurteilung aller Häresien ein. Nun ist es auch die raison dêtre des priesterlichen Amtes, ein Organ der heiligen Kirche zu sein und an ihrem Amt teilzuhaben. Auch der Sinn und das Wesen seines Amtes ist es, für die Errichtung des regnum Dei in den Seelen zu wirken, den Strom der Gnade in sie einzugießen durch die Sakramente, das Wort Gottes zu verkünden und die Seelen vor dem Ansturm von Irrlehren zu schützen.(11) So sagt unser heiliger Vater: „Wie Christus ist auch sein Diener allein auf die Sache Gottes und der Kirche bedacht und ahmt den Hohenpriester nach, der immerdar lebt um bei Gott Fürsprache für uns einzulegen ..." (12) „Mit der Gnade und dem Frieden im Herzen wird der Priester die Kraft haben, mit Starkmut die vielfältigen Aufgaben seines Lebens und seines Dienstes wahrzunehmen; wenn er sie nur mit Treue und religiösem Eifer zu erfüllen sucht, findet er neue Gelegenheiten, zu bezeugen, dass er ganz Christus und seinem Mystischen Leibe angehört, um sich und die andern Menschen zu heiligen." (13)
KAPITEL 3: DAS WESEN DES ZÖLIBATS
Von vielen Seiten wird der Zölibat vor allem im Lichte des Verzichtes auf eine Befriedigung des Sexualtriebes gesehen. Das Argument ist hier: der Geschlechtstrieb ist doch etwas in die Natur des Menschen von Gott Eingepflanztes und der Wunsch, diesen Trieb zu befriedigen, ist etwas durchaus Legitimes. Es ist Manichäismus, wenn man diesen Trieb als etwas Böses ansieht und als tabu betrachtet. Einem Menschen den Verzicht auf die Erfüllung dieser Seite seiner Natur aufzuerlegen, heißt ihn verkrüppeln; und dann kommt das ganze Alphabet des Freudianismus, der Hinweis auf die Komplexe, die unweigerlich entstehen usw. Für unseren Zusammenhang ist es aber wichtig zu sehen, dass hier das Opfer im Zölibat nicht als Verzicht auf die Ehe als Liebesgemeinschaft angesehen wird, sondern als Verzicht auf ein legitimes Ausleben des Sexualtriebes. Und leider begegnen wir dieser Auffassung nicht nur bei denen, die für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung eintreten, sondern manchmal auch bei solchen, die die Zölibatsverpflichtung verteidigen. Diese Verkennung des Wesens der Ehe, ihres Sinnes und Wertes, sowie die Verkennung der Bestimmung und des Mysteriums, das die sinnliche Sphäre enthält, ist aber ein fataler Irrtum und verschiebt das Problem des Priesterzölibates auf eine falsche Ebene.
Über das Wesen der Ehe
Wir müssen uns darum zuallererst auf das Wesen der Ehe, ihre hohe Würde, besinnen - sowie das Geschenk, das sie für den Menschen darstellt als mögliche Quelle des tiefsten irdischen Glückes; wir sagen „möglich", denn wir dürfen nicht vergessen, dass die wahrhaft; in jeder Hinsicht glücklichen Ehen eine Seltenheit sind. Aber dies gilt für alle hohen irdischen Güter, die Quellen tiefen Glückes sind: Große, tiefe Aufgaben im Beruf, Kinder u. a.
Aber hier bei der Behandlung des prinzipiellen Verzichts auf das hohe Gut der Ehe wollen wir das Wesen der Ehe und nicht die Möglichkeiten unvollkommener Realisierung der Ehe ins Auge fassen. Wir wollen uns klar machen, was für eine Glücksquelle die Ehe ihrem wahren Wesen gemäß sein kann.
An vielen Stellen der Heiligen Schrift wird auf die hohe Würde der Ehe hingewiesen und sie wird gewürdigt „ein Vorbild für die Beziehung zwischen Gott und der Seele zu sein, Vorbild im Sinne des unvollkommenen Gleichnisses für das Vollkommene, wie das Alte Testament Vorbild des Neuen ist. Ja, Jesus heißt der Bräutigam der Seele, und das ganze hohe Lied fasst das Verhältnis der Seele zu Jesus als ein bräutliches. Warum wählt die Heilige Schrift gerade diese Beziehung als Vergleich? Weil die Ehe die engste aller irdischen menschlichen Gemeinschaften ist und die Beziehung, in der man sich am restlosesten hingibt, in der wie sonst nirgends die andere Person als Ganzes Gegenstand der Liebe ist, in der vor allem die gegenseitige Liebe selbst in einzigartiger Weise das Thema der Beziehung darstellt."(14)
„Der Zauber der menschlichen Liebe“ (gemeint ist die bräutliche Liebe), sagt Papst Pius XII, „ist für Jahrhunderte das inspirierende Thema für herrliche Werke großer Genies gewesen in der Literatur, Musik und in den bildenden Künsten, ein so altes Thema und doch zugleich immer neu, das die Jahrhunderte, ohne es je auszuschöpfen, mit den höchsten poetischen Variationen behandelt haben".(15)
Und diese Liebe findet in der Ehe ihre Erfüllung. Der wahre Sinn der körperlichen Vereinigung und der sinnlichen Sphäre ist abgesehen von der Fortpflanzung die von dieser bräutlichen Liebe ersehnte Unio. Herrlich hat dies wieder Pius XII. mit den Worten ausgedrückt: „Der eheliche Akt, in seiner natürlichen Struktur, ist ein personaler Akt, ein gleichzeitiges und unmittelbares Zusammenwirken (Cooperation) des Ehemannes und seiner Frau, der infolge der Natur der Personen und der Eigenart des Aktes der Ausdruck der gegenseitigen Hingabe ist, dem Wort der Schrift gemäß ,dass beide ein Fleisch werden'."(16)
Und die von der bräutlichen Liebe ersehnte Unio findet nicht nur in dieser tiefsten gegenseitigen Hingabe, sondern in allen Zärtlichkeiten, in der Identifikation des ganzen äußeren Lebens, in der ständigen Gegenwart des Geliebten seine beglückende Erfüllung.
Aber noch eine ganz neue und viel tiefere Unio der Liebe in der Ehe liegt vor, wenn sich beide in Christus begegnen. Pius XII. hat auch dies in herrliche Worte gefasst: „Aber welch neue und unaussprechliche Schönheit tritt in dieser Liebe zweier menschlicher Herzen hinzu in der Harmonie mit dem Hymnus zweier Seelen, die von übernatürlichem Leben erfüllt sind. Auch hier gibt es den Austausch gegenseitiger Geschenke. Und dann werden die Liebenden eins in allem, was das Intimste in ihnen ist, von den unerschütterlichen Tiefen ihres Glaubens bis zu den höchsten Höhen ihrer Hoffnung, durch körperliche Zärtlichkeiten in gesunden Freuden, durch natürliche Liebe und ihre Impulse, durch die geistige Vereinigung und ihre Wonnen."(17) Wenn wir das Glück, das diese bräutliche Liebe spendet im Ineinanderblick der Liebe, der erwiderten bräutlichen Liebe, bedenken, können wir verstehen, welche Quelle des Glücks, welches Geschenk die Ehe im menschlichen Leben ist.
Und dazu kommt noch das Glück, das die Kinder, die Frucht dieser Liebesvereinigung, darstellen - das unerhörte Geschenk, an dem Ins-Dasein-Treten eines neuen Menschen mitwirken zu dürfen. Wie es das alte Wort aus dem Fuldaer Rituale sagt: „Gott, Unser Herr, Der Du den Menschen rein und fleckenlos erschaffen und es so angeordnet hast, dass in der Fortpflanzung des Menschengeschlechts eine Generation aus der anderen durch das Geheimnis süßer Liebe hervorgeht."
Der Zölibat schließt also den Verzicht auf ein hohes Gut ein, die einzigartige Liebesgemeinschaft der Ehe, die tiefste Quelle natürlichen Glückes auf Erden.
Ehelosigkeit ist nicht Einsamkeit
Manche betonen, dass es nicht nur der Verzicht auf die legitime Entfaltung der sinnlichen Sphäre in der Ehe ist, sondern auch die Einsamkeit, die die Ehelosigkeit mit sich bringt. Aber die Ehe ist unvergleichlich mehr, ja etwas radikal Anderes als das bloße Gegenteil zu Einsamkeit. Einsamkeit wird auch durch das Zusammenleben mit geliebten Menschen, einer Schwester, einer Mutter oder Freunden aufgehoben. Wir müssen hierbei zwei Formen von Einsamkeit unterscheiden, eine äußere und eine innere menschliche Einsamkeit. Einsamsein im äußeren Sinn ist das allein Wohnen, allein im täglichen Leben Stehen. Einsam in diesem Sinne ist jeder, dessen tägliches Leben nicht in ein selbstverständliches „Zusammen" mit Menschen, die einem nicht antipathisch sind, eingebaut ist. Diese Einsamkeit ist überwunden, wenn ein Priester in einer Pfarrei mit anderen Priestern zusammenwohnt, mit denen er befreundet ist, oder mit denen er sich zumindest versteht, oder wenn seine Mutter oder eine Schwester ihm den Haushalt führt oder auch eine fromme und ergebene Haushälterin. Die innere menschliche Einsamkeit ist aufgehoben durch die Tatsache, dass man mit einem oder mehreren Menschen sich tief versteht, sie liebt und von ihnen geliebt wird; ob dies die Eltern des Priesters sind oder Geschwister oder Freunde spielt keine entscheidende Rolle. Entscheidend ist, dass es Menschen gibt, die man tief liebt, mit denen man sich tief versteht und mit denen man von Zeit zu Zeit zusammen sein kann. Die innere menschliche Einsamkeit ist in keiner Weise im Zölibat enthalten.
Der Priester braucht in keiner Weise deshalb in diesem Sinn einsam zu sein, weil er im Zölibat leben muss; wie viele Priester waren durchaus nicht einsam in diesem Sinn! Welche Rolle spielte seine Mutter Margareta in Don Bosco's Leben vor der Gründung seines Ordens! Welche Rolle spielten Freunde im Leben des heiligen Augustinus, eines heiligen Hieronymus, eines Kardinal Newman! Ob man in diesem Sinn menschlich einsam ist, hängt nicht davon ab, ob man Priester oder Laie ist, sondern von dem eigenen Charakter einerseits und vor allem davon, ob Gott einem das große Geschenk zuteil werden lässt, Menschen zu finden, die man tief liebt - gewiss nicht mit bräutlicher Liebe, aber mit der Liebe schlechthin, und mit denen man sich tief versteht. Dieser Einsamkeit ist der Laie ebenso ausgesetzt wie der Priester.(18) Auch in der Ehe kann man einsam sein.
Aber die Ehe ist unvergleichlich mehr als der Wegfall äußerer und innerer Einsamkeit. Erstens ist die bräutliche Liebe eine einzigartige Glücksquelle in sich, eine Tatsache, die in aller Dichtung und Musik unzählige Male ihren beredten Ausdruck fand. Zweitens zielt diese gegenseitige Liebe auf eine Einheit ab, mit der keine andere menschliche Einheit verglichen werden kann - die Ehe. Hier gewinnt das äußere Zusammenleben, von dem wir oben sprachen, einen ganz anderen Charakter: die Identifikation des Lebens. Man wohnt nicht nur zusammen, man ist nicht nur selbstverständlich in allen Situationen zusammen - das Leben ist prinzipiell eines geworden für beide Eheleute, was im gemeinsamen Namen einen schönen Ausdruck findet. Es ist eine feierliche, ausdrückliche, bindende Identifikation der bei den Eigenleben und über all dies hinaus konstituiert die gegenseitige Schenkung seiner selbst in dem ehelichen Akt eine einzigartige Einheit. Das ist etwas unvergleichlich Höheres, Beglückenderes und Bedeutsameres als die Stillung des geschlechtlichen Triebes und das Wegfallen der Einsamkeit.
Priesterlicher Zölibat und Opfer der Ehelosigkeit
Es war sicher ein großer Fehler, wenn den Seminaristen die Ehe in einem möglichst unanziehenden Licht dargestellt wurde. Es muss im Gegenteil auf die Größe des Opfers hingewiesen werden, auf das besondere Charisma, das erforderlich ist, auf die Ehe um Christi willen zu verzichten. Aber, wie wir noch sehen werden, dieser Geist der Opferbereitschaft um Christi willen ist in tief sinnvoller Weise mit dem Priestertum verknüpft. Wenn wir die Größe und Sakralität des Priesteramtes erfassen - das im Namen der Kirche Sprechen, das der Kirche Gehören, das Spenden der Sakramente und vor allem die Konsekrationsgewalt - so ist das große Opfer, das der Priester in der Verpflichtung zum Zölibat bringt, gering im Vergleich zu dem Geschenk, das er erhält, ein Priester der heiligen Kirche sein zu dürfen.
Priesterlicher Zölibat kein Junggesellentum
Wir müssen den Abgrund sehen, der zwischen einem bloßen Junggesellentum und dem Zölibat des Priesters besteht. Es gibt sicher noch fundamentale Unterschiede innerhalb des Junggesellentums. Es gibt ein Junggesellentum aus Egoismus, aus Angst vor der Hingabe an einen anderen Menschen, vor der Rücksicht auf ihn, dem Eingehen auf ihn, das die Ehe einschließt. Es gibt Junggesellen, die unfähig sind, sich zu verlieben, die wegen ihrer Temperamentsveranlagung sich nicht zur Ehe entschließen. Es gibt Menschen, die nicht heiraten, weil sie nie den Menschen gefunden haben, den sie wirklich lieben konnten, und endlich solche, die eine große Liebe hatten zu einem Menschen, der sie nicht erwiderte oder der schon gebunden war durch eine Ehe. So sichtlich verschieden der Charakter des Junggesellentums ist in all diesen Fällen, so ist der Fall des priesterlichen Zölibats etwas völlig Neues gegenüber allem bloß Nichtverheiratetsein aus den verschiedensten Gründen. Hier handelt es sich um einen Verzicht auf die Ehe propter regnum coelorum, eine einzigartige Form der Hingabe an Christus. Es ist keine resignative Ehelosigkeit und noch weniger eine Junggesellenhaltung, eine Unfähigkeit zu der Hingabe an einen anderen geliebten Menschen, eine Scheu vor den damit verbundenen Rücksichten, sondern eine glorreiche Ehelosigkeit, die aus der unbedingten Hingabe an Christus und dem Freisein für die im Priestertum enthaltenen Aufgaben erwächst. Wenn einer sich zum Priestertum berufen fühlt, so muss er auch den Ruf fühlen, der Kirche und seinem Amt als Organ der Kirche ganz zu gehören.
Das große, erhabene Opfer, das im Zölibat enthalten ist, ist, wie wir sahen, der Verzicht auf die Ehe, auf die engste menschliche Liebesgemeinschaft, auf diese zentrale Quelle menschlichen natürlichen Glücks und mit ihr auf das große Geschenk von Kindern. Sobald man die Ehe nur als legitime Gelegenheit der Befriedigung des Sexualtriebes sieht, hat man den Sinn und Wert der Ehe verkannt und mit ihm das wahre Opfer, das im Zölibat Gott propter regnum coelorum dargebracht wird.
Aber selbstverständlich gibt es bei vielen auch isolierte sexuelle Versuchungen. Diesen nicht nachzugeben, bzw. sie bewusst und offen zu überwinden ist eine Pflicht für jeden Menschen und in besonderer Weise für jeden Christen. Dieser Kampf kann auch noch für den Verheirateten bestehen in gewissem Maße, nicht mehr, was die Befriedigung des Sexualtriebes betrifft, wohl aber, was die Überbetonung des rein Sinnlichen im ehelichen Akt betrifft. Der absolute Primat, den die gegenseitige Selbstschenkung und die Erfüllung der in der bräutlichen Liebe ersehnten vollen Einheit mit dem Geliebten haben soll, kann durch eine Verselbständigung der rein sexuellen Befriedigung zerstört werden. Ich habe darüber ausführlich in meinem Buch „Reinheit und Jungfräulichkeit" gesprochen. Dies betrifft die Reinheit in der Ehe. Aber solange jemand nicht verheiratet ist, ist der Kampf gegen isolierte sexuelle Triebe (eine Folge des Sündenfalles) eine sittliche Aufgabe für jeden. Dieser Kampf kann auch für den Priester fortbestehen - aber er ist nicht die Folge des Zölibats. Er besteht für jeden Menschen, wenn er aus irgend einem Grund unverheiratet ist. Gewiss, der aus irgend einem Grund Unverheiratete hat nicht endgültig auf die Befriedigung der sexuellen Triebe verzichtet. Der Weg zur Ehe steht ihm prinzipiell offen und damit auch zu der legitimen Befriedigung der sexuellen Triebe. Mit dem prinzipiellen Verzicht auf die Ehe fällt auch die Möglichkeit der Befriedigung der sexuellen Triebe ohne Sünde weg. Aber andererseits liegt in der gottgeweihten Jungfräulichkeit auch eine unerhörte Hilfe zur Überwindung all dieser Versuchungen.
Das Wesen des Zölibats und die Gefahrenquellen aus den Missverständnissen
Die völlige Hingabe an Gott, das Walten in seinem heiligen Tempel, die Versiegelung der sinnlichen Sphäre, das Sichabsterben für Christus schafft nicht eine Entmannung, nicht eine Neutralisierung, sondern eine sieghafte Antizipation der Ewigkeit: in qua neque nubent neque nubentur (19). Die völlige Abwendung von diesem Gebiet - die in keiner Weise eine negative Haltung dieser Sphäre gegenüber einschließt - vermindert aber die isolierten Regungen des Sexualtriebes.
Es kommt darauf an, den radikalen Unterschied zu erfassen, der zwischen einer Verdrängung besteht und der bewussten ausdrücklichen Versiegelung dieser Sphäre um Christi willen. Bei der Verdrängung versucht man wegzuschauen, die Realität dieser Sphäre nicht wahrhaben zu wollen, oder man versucht, sie in einem negativen Sinn zu sehen, um den Verzicht leichter zu machen; man versucht, sich diese Sphäre zu verleiden. Damit will ich nicht behaupten, dass es nicht vorkommt, dass ein Priester statt des wahren Gestus des Versiegelns um Christi willen eine Verdrängung vornimmt. Aber dass etwas Schönes und Erhabenes durch etwas Negatives ersetzt wird, ist eine tragische Möglichkeit unserer gefallenen Natur, die auf allen Gebieten und in jeder Situation vorkommen kann. Kann nicht jede gute Tat dadurch ihres sittlichen Wertes beraubt werden, dass man sich hochmütig in seiner sittlichen Vortrefflichkeit sonnt? Kommt es nicht oft vor, dass eine Ehe geschlossen wird nicht aufgrund einer tiefen bräutlichen Liebe, sondern aufgrund einer ungestümen Sinnlichkeit und dem Wunsch, sie in legitimer Weise ausleben zu können? Oder werden nicht auch Ehen eingegangen nur, weil man das soziale Bild eines verpfuschten Lehens fürchtet, in dem es einem nicht gelang, einen Partner für die Ehe zu finden? Die Möglichkeit, dass etwas verfälscht werden kann, ist weder ein Einwand gegen den Wert der richtigen Haltung noch gegen die prinzipielle und radikale Verschiedenheit beider. Das Faktum eines möglichen Abgleitens von einer erhabenen, guten Haltung in eine ganz verschiedene negative Haltung hebt den qualitativen radikalen Unterschied zwischen beiden nicht auf.(20)
Nein - die Verdrängung des Sexuellen ist von der bewussten Versiegelung dieser Sphäre, von der ehrfürchtigen einzigartigen Hingabe an Christus in diesem Sichabsterben - durch eine Welt getrennt und beide werden dadurch nicht weniger verschieden, dass ein Mensch statt des einen das andere vollzieht in derselben Situation. - Noch dadurch, dass jemand von der einen Haltung in die andere absinken kann, besonders im Lauf der Zeit. Es kann vorkommen, aber es muss in keiner Weise vorkommen.
Um der Wirklichkeit hoher Güter und auch furchtbarer Übel gerecht zu werden, um Dinge, die Träger eines Wertes oder Unwertes sind, so zu sehen, wie sie wirklich sind, muss man in die Tiefe gehen. Man muss einerseits, wie schon früher erwähnt, eine besondere Art des θαυμαζειν aktualisieren und andererseits ganz der Stimme des Seienden lauschen, das geistige Ohr an die Wirklichkeit bringen, ohne zu erlauben, dass sich irgendwelche „Theorien" zwischen das Sein und unser Aufnahmevermögen eindrängen. Wir müssen wahrhaft rezeptiv sein und das umso mehr, je höher der Wert des Seienden ist, dem wir uns zuwenden.
Aber noch etwas anderes ist erfordert. Wir müssen von der höchsten Realisierung des Gutes ausgehen, wenn wir sein gültiges, eigentliches Wesen erfassen wollen, nicht von den Fällen, in denen es in mediokrer, verwässerter Weise auftritt oder gar verzerrt ist. Auch die Frage, wie häufig ein Gut voll in seinem eigentlichen Wesen auftritt - z. B. glückliche Ehen vorkommen - ist nicht entscheidend für das Wesen des Gutes.(21)
Wenn es sich aber um Güter im religiösen Bereich handelt, ja, um alles, was zur Sphäre der Beziehung des Menschen zu Gott gehört, und erst recht um alle sakralen Dinge, so ist noch eine größere Ehrfurcht und eine besondere Tiefe erfordert, um diese Dinge in ihrem wahren Licht zu sehen. Etwas von dem, was der heilige Anselm seinem „Proslogion" von der Gotteserkenntnis sagt: dass wir nur hoffen können, etwas zu sehen, wenn wir vorher gebetet haben, gilt analogerweise für das ganze religiöse Gebiet. Um den Sinn und Wert der gottgeweihten Jungfräulichkeit in ihrer ganzen Größe und Schönheit zu verstehen, muss man in diesem Geist an sie herantreten.
Der priesterliche Zölibat allein aus dem Glauben verständlich
Wir müssen uns auch klarmachen, dass die Enthaltsamkeit propter regnum coelorum, das Versiegeln der sinnlichen Sphäre und der Verzicht auf die größte menschliche Glücksquelle - die Liebesgemeinschaft der Ehe - nicht nur ein Ausdruck der letzten Liebe zu Christus, sondern auch eine einzigartige Manifestation des Glaubens an Christus ist. Wenn wir uns fragen, wie viele Dinge wir tun und wie viele Opfer wir im Leben bringen, die ihren Sinn nur aus dem Glauben erhalten, die nur dann sinnvoll sind, wenn die christliche Offenbarung wahr ist, so sind es relativ wenige. Bei den meisten Tätigkeiten haben sie auch einen Sinn unabhängig vom Glauben, wenn ihr Sinn und Wert auch immer eine ganz neue Bedeutung und ein neues Licht durch den Glauben erhält. Aber alle Berufsarbeit, alle wissenschaftliche Forschung, und alle philosophische Einsicht, auch alles künstlerische Schaffen, alle Gemeinschaft mit geliebten Menschen, Ehe, Familie, Freundschaft, haben einen Sinn und Wert auch ohne den Glauben. Gewiss, die furchtbare Tragik einer unerlösten Welt, in der wir „im Schatten des Todes sitzen", durchzieht alle Güter und jede Tätigkeit des Menschen, seine ganze Existenz, wenn es keinen Gott, keine Erlösung durch Christus, kein ewiges Leben gäbe. Aber das hindert doch nicht, dass all die oben erwähnten Tätigkeiten oder Akte des Menschen aus Motiven heraus unternommen - ja auch viele Opfer gebracht werden - können, die den Glauben nicht voraussetzen. Selbst bei dem Gläubigen, der alles im Namen Christi tut und für Gott aufopfert, kann man nicht sagen, er würde all dies nicht tun, wenn er keinen Glauben hätte.
Hingegen setzen Beten, Teilnahme am Opfer der Heiligen Messe, die Sakramente den Glauben in einer Weise voraus, dass er das einzige sinnvolle Motiv für sie ist.
Gewiss, auch alle bloß asketischen Opfer, z. B. das Fasten, wenn es aus rein religiösen Gründen erfolgte - und im vorgeschriebenen Fasten der Gehorsam gegen die Heilige Kirche das Motiv ist, erfolgen nur um Christi willen. Aber die Art und Größe des Opfers im Fall des Fastens ist unvergleichbar mit dem, was der Mensch im Gelübde der Jungfräulichkeit oder Enthaltsamkeit hingibt. Wenn wir uns die Größe des Geschenkes der Ehe, ihren erhabenen Wert vor Augen halten, die Tiefe des Glückes, das sie spenden kann, so wird es klar, dass wir es beim Zölibat mit einer einzigartigen Manifestation des Glaubens zu tun haben, mit einem der wenigen Dinge, die nur durch den Glauben an und die Liebe zu Christus motiviert werden können. Es ist der Glaube, dass diese irdische Existenz nur ein status viae ist und dass die eigentliche, letztlich gültige Erfüllung in der Ewigkeit, dem status termini, liegt.
In diesem Akt verlegt man auch die im Menschen tief verwurzelte Sehnsucht nach Glück und Erwartung von Glück in die Ewigkeit. Dieser Akt ist wahrhaft der Ausdruck des Sieges über die Welt – der unser Glaube ist. Hier ist eine Unbedingtheit des Glaubens, in der man nicht das Leben genießen will und auf die Ewigkeit hofft, sondern in der man einen Status erwählt, in dem man die Schiffe hinter sich verbrennt (22) und nur aus dem Glauben lebt.
Gefahren, die den Zölibat im einzelnen Priester bedrohen
Selbstverständlich spreche ich hier nur von der Größe und dem Wert dieses Aktes als solchem. Dass mit diesem Akt nicht alle die vielfachen Versuchungen von Hochmut und Begierlichkeit ausgeschaltet sind, ist klar. Der Kampf gegen die Gefahren unserer gefallenen Natur bleibt für jeden bis zum letzten Atemzug - wenn auch in sehr verschiedenem Maße und bei dem Heiligen in sehr verschiedener Art. Das „fratres, sobrii estote et vigilate" bleibt immer eine Notwendigkeit in statu viae.(23)
Es kann leicht vorkommen, dass die heilige Leere, die durch den Zölibat aus dem Verzicht auf die Ehe propter regnum coelorum entsteht und die Christus und das Wirken für sein Reich in den Seelen der Menschen ausfüllen soll, von anderen Dingen ausgefüllt wird, wie wissenschaftliche Forschung, das Interesse an Berühmtheit oder das Ausleben natürlicher Freude am Herrschen über andere, je nach der Art der besonderen Tätigkeit des Priester oder Ordensmannes. Es liegt im Sinne dieses Aktes, mit dem man den Zölibat gelobt, dass man sich dieser Gefahr bewusst ist und in besonderer Weise dagegen kämpft, dass sich nicht andere, irdische Glückssubstitute einschleichen, wodurch dann Güter eine Rolle spielen würden, die dieser heroischen Hingabe widerstreiten, ja ihren eigentlichen Sinn zu unterminieren drohen.
Aber auch der Kampf gegen das Fleisch ist mit diesem Akt nicht überholt, wie wir sahen. All dies beeinträchtigt aber nicht die Größe, Erhabenheit und den Wert dieses Aktes, wenn die in ihm liegende Bindung voll erkannt wird und die Rückkehr zu dem vollen Geist desselben täglich erneuert wird.
Priestertum und Berufung zum Zölibat
Es kann nicht genug betont werden, dass die gottgeweihte Jungfräulichkeit oder Enthaltsamkeit eine besondere Berufung voraussetzt. Sie ist nicht etwas, das wie das Streben nach Heiligkeit, die Nachfolge Christi, für jeden Christen eine Verpflichtung ist. Sie setzt eine besondere Berufung voraus, und wenn diese nicht echt ist, so kann der Akt dieser besonderen Hingabe nicht nur zu unerträglichen Leiden führen, sondern sogar ein Hindernis für eine Umgestaltung in Christus werden. Es kommt oft vor, dass junge Menschen in allem Eifer, aber doch ohne die heilige Nüchternheit sich einbilden, sie seien zu diesem außerordentlichen Opfer berufen. Es gehört ein besonderer Ruf dazu. Ob ein solcher vorliegt, kann nicht genau genug von ihm selbst und von dem Bischof, der ihn in seine Diözese aufnimmt, geprüft werden. Aber dasselbe gilt für die Berufung zum Priesterstand. Auch hier muss ein besonderer Ruf vorliegen, nicht nur ein Angezogenwerden, wie es bei vielen anderen Berufen erforderlich ist. Jemand mag zweifeln, ob er genug Talent hat, um Musiker zu werden oder Maler. So sollte sich auch jeder gründlich prüfen, der Philosoph werden will; nicht nur, ob er das nötige Talent dazu besitzt, sondern auch, ob er die tiefe Liebe zur Wahrheit hat und nur diese sucht und nicht ein Feld zur Entfaltung seiner intellektuellen Schärfe und Behändigkeit, oder sogar nur Einfluss und Berühmtheit. Bei vielen geistigen Berufen soll man die Frage stellen und genau prüfen, ob die Motive, die einen dazu veranlassen die wahren sind oder nicht. Aber im Falle des Priesterstandes und auch der gottgeweihten Jungfräulichkeit oder Enthaltsamkeit handelt es sich um Berufung in einem ganz anderen Sinn - um einen Ruf von Gott, der mit nichts anderem verglichen werden kann. Obgleich der Ruf zum Priestertum und zum Verzicht auf die Ehe propter regnum coelorum, wie wir schon sahen, zwei verschiedene Rufe sind, so sind beide doch in demselben Sinn sakrale Berufungen. Bei beiden ist ein Ruf formal anderer Art erfordert als in irgendeinem andern sehr verantwortungsvollen hohen weltlichen Beruf. Dieser Ruf setzt nicht nur voraus, dass man prüft, ob irgendwelche falsche Motive unserem Wunsch zu Grunde liegen, sondern ob ein inneres Gerufenwerden, ein einzigartiger Ruf von Gott vorliegt. Im Falle des Zölibats muss die ganze Größe des Verzichtes klar gesehen werden, die eigene Tragfähigkeit in dieser Hinsicht nüchtern geprüft werden. Im Fall des Priestertums muss die mit andern Berufen unvergleichbare Verantwortung voll gesehen werden und die Sakralität des Amtes und alles, was hier im Sinne dieses Amtes gefordert ist. Im Falle der gottgeweihten Jungfräulichkeit muss vor allem auch eine tiefe Sehnsucht nach diesem Sichabsterben vorliegen aus Liebe zu Jesus - es muss die ganze Tiefe, Größe und Schönheit dessen voll erfasst werden - und im Falle des Priestertums die Sehnsucht, Gott als sein Priester zu dienen - die ganze erhabene Würde und sakrale Aufgabe, all das, was in den Worten Jesu an Petrus liegt: “Pasce oves meas": das Heilige Messopfer darbringen, die Lossprechung der Sünder, die Spendung aller Sakramente, die Seelsorge.
Man bezeichnet diese bei den Rufe auch als Charismen(24) und mit Recht, da es ein besonderes Gnadengeschenk Gottes ist - etwas, das uns nicht schon durch die heiligmachende Gnade gewährt ist. Es ist ein außerordentliches Gnadengeschenk, das hier erfordert ist, um all das in gottgefälliger Weise zu erfüllen, was das sakrale Amt des Priesters einschließt, oder im Falle des Zölibats, um wirklich dieses Opfer in fruchtbarer, Gott wohlgefälliger Weise leben zu können.
Nachdem wir auf das Wesen des Priestertums und des Zölibats ausführlich eingegangen sind, sind die Voraussetzungen gegeben um die Affinität, die zwischen bei den besteht, herauszuarbeiten. Dies soll im nächsten Kapitel geschehen.
KAPITEL 4: PRIESTERTUM UND ZÖLlBAT
Wir sagten vorher, dass der Zölibat dem Sinn und Wesen des Priestertums entsprechender sei, wenn er auch keineswegs konstitutiv zu seinem Wesen gehört und darum keine conditio si ne qua non bildet. Wir wollen nun versuchen, die Gründe dafür im einzelnen anzuführen, die uns zeigen werden, wie unberechtigt die Forderung ist, die Zölibatsverpflichtung abzuschaffen.
Es handelt sich um etwas, das aus vielen Gründen dem Sinn des Priestertums tief entspricht.
Es ist erstens dieselbe Geistesverfassung, aus der der Entschluss Priester zu werden und der Entschluss, den Zölibat auf sich zu nehmen, erwachsen, die Geistesverfassung der restlosen Hingabe an Gott, das Seine-Wurzeln-im Tempel-Gottes-Schlagen, das ganz der Heiligen Kirche Gehören, ohne irgendeine andere irdische Bindung, das Sichabsterben. Man kann den Zölibat nicht wie eine unnötige Belastung des Priesters hinstellen. Er hat eine tiefe innere Affinität zum Priesterberuf und die Verpflichtung zum Zölibat hat aus vielen Gründen eine große und tiefe Bedeutung für das Priestertum. Man kann darum nicht tun, als ob es sich um ein Opfer handle, das man nicht jedem Priester auferlegen dürfe, z. B. wie wenn jemand dem Priester auferlegen würde, nie Wein oder irgendwelche alkoholische Getränke zu trinken.
Es ist auch nicht etwas, was nur wünschenswert ist raus praktischen Gründen, z. B. bloßer disziplinärer Flexibilität, obgleich dies ein wichtiger Gesichtspunkt ist. Die Gründe für den hohen Wert des Zölibats der Priester sind noch tiefer und nicht nur praktischer Art.
Zölibat und mit der Ehe verknüpfte „Verankerung in der Welt"
Das Priesteramt, dessen einzigartige Würde wir im Kapitel 2 herauszuarbeiten suchten, zeigte uns, wie wichtig es ist, dass der Priester von vielen weltlichen Bindungen befreit ist, dass er nicht länger in der „Welt" verankert ist.
Nun ist die Ehe nicht nur ein Quell großen menschlichen Glückes - und in Fällen tiefster gegenseitiger Liebe sogar die größte Quelle menschlichen Glücks - sie legt auch bei den Ehegatten bedeutsame Verpflichtungen auf. Ich denke nicht an die moralische Verpflichtung zur Treue. Ich denke auch nicht an die Unlöslichkeit der Ehe, die die Apostel so erschreckte, dass sie zum Herrn sagten: „Ist es dann nicht besser unverheiratet zu bleiben?" Nein, ich denke an die Verpflichtungen des Mannes, für seine Frau zu sorgen und, in anderer Hinsicht, die Verpflichtung der Frau, für ihren Mann zu sorgen. Ich denke daran, dass die Ehegatten verpflichtet sind, hiermit füreinander zu sorgen, und da die meisten Ehen auch potentielle Familien sind, liegt in dem Konsensus auch die Bereitschaft, die Pflichten als potentielle Eltern zu erfüllen - die feierliche Annahme vieler Verpflichtungen den Kindern gegenüber.
Es gilt nun zu verstehen, dass diese Verpflichtungen ein Hindernis darstellen für das „ganz der Kirche Gehören", für einen ausschließlichen Dienst an den Seelen im Namen der Heiligen Kirche und als ein Organ derselben. Wenn der heilige Paulus in Bezug auf die Liebesgemeinschaft der Ehe von den Gatten sagt, sie seien „geteilt", so gilt dies erst recht in Bezug auf die Teilung, die aus den mit der Ehe unlöslich verknüpften Pflichten erwächst. Es gibt unzählige Situationen, in denen diese Pflichten mit den Pflichten des Priesters in Konflikt geraten können. Ein Priester sollte zu jeder Zeit die vollkommene Freiheit besitzen - opportune importune - als Sprachrohr der Kirche aufzutreten: zu tadeln, sobald Gott beleidigt wird, einzugreifen, um den ungerecht Angegriffenen zu verteidigen. Kurz, er sollte bereit sein, alle Opfer dafür auf sich zu nehmen. Aber wenn er verheiratet ist, so ist er verpflichtet, auch auf das Wohl seiner Frau und seiner Kinder Rücksicht zu nehmen. Er kann und soll die Kreuze, die ihm eventuell aus der richtigen gottgewollten Ausübung seines Amtes erwachsen, auf sich nehmen. Aber kann er dies in derselben Weise, wenn diese Prüfungen seine Frau und auch seine Kinder in gleicher Weise treffen? Solange es sich um die Verpflichtungen handelt, die für jeden Katholiken bestehen: lieber alle Leiden auf sich zu nehmen als zu sündigen und Gott zu beleidigen, ist es klar, dass keine Verpflichtung gegen die eigene Frau oder Kinder, keine Sorge für ihr irdisches Wohl daran etwas ändern darf. Aber sollte man Verpflichtungen eingehen, hohe, feierliche Verpflichtungen, die aus dem hohen Amt des Priesters erwachsen, das man freiwillig wählt, und zugleich Verpflichtungen, die aus der Ehe erwachsen? Wenn der Zölibat auch, wie immer betont werden muss, nicht zum Wesen des Priestertums gehört, so ist es unbestreitbar mehr dem Geist und dem Sinn des Priestertums entsprechend, nicht verheiratet zu sein und von all den Verpflichtungen frei zu sein, die mit der Ehe unlöslich verknüpft sind.
Es ist nicht zu leugnen, dass der Priester durch all diese Bindungen sehr gehemmt werden kann, in jeder Situation das Wort Gottes zu verkünden, mit einem Wort: keine Kompromisse zu machen.(25)
Der unverheiratete Priester kann alle Opfer auf sich nehmen: Armut, Verfolgung - wenn dies die unvermeidlichen Konsequenzen seiner Kompromisslosigkeit sind. Dies ist objektiv viel schwerer für ihn, wenn er damit seine Frau und seine Kinder denselben Opfern aussetzt. Er ist durch die Rücksicht, die er ihrem Wohlergehen schuldet, „geteilt" - er ist nicht länger frei, ausschließlich nur seinem heiligen Amt zu leben. Man wende nicht ein, jeder Christ müsse im Konfliktfall eher alle Pflichten gegenüber dem irdischen Wohlergehen seiner Frau und der Kinder zurückstellen als Christus die Treue brechen. Gewiss, auch alle Laien sind verpflichtet, lieber das Martyrium zu erdulden als Gott zu verleugnen, selbst wenn dies zur Folge hätte, dass auch Frau und Kinder als Märtyrer sterben würden. Aber der große Unterschied ist, dass der Priester ex officio das Wort Gottes zu verkünden hat, dass er wie ein heilige Johannes der Täufer seine Stimme erheben soll, wenn eine einflussreiche offizielle Persönlichkeit öffentliches Ärgernis durch ihre Sünden gibt. Der Priester kompromittiert nicht nur seine Person, wenn er schweigt, wo er reden sollte, er kompromittiert auch in gewissem Sinn die Kirche, z. B. als Pfarrer in den Augen seiner Pfarrkinder.
Die Unvergleichbarkeit des Zölibats mit des freiwillig erwählten Armut eines Priesters
Man kann öfters hören, dass man gar nicht leugne, dass der Zölibat noch adäquater für das Priestertum sein mag, aber dass man durchaus nicht daraus die Verpflichtung der Ehelosigkeit für alle Priester ableiten kann. Es sei ja auch schöner und erbaulicher, wenn ein Priester in großer Armut lebt, wie ein Pfarrer von Ars, aber man legt es nicht jedem Priester als verbindlich auf, man verpflichtet nicht jeden, der sich zum Priester berufen fühlt, ein Armutsgelübde abzulegen.
Diese Argumentation beruht auf einem großen Irrtum. Es handelt sich bei der Ehelosigkeit des Priesters nicht nur um eine erbauliche asketische Haltung, sondern auch um den Wegfall von Verpflichtungen, die die Ehe auferlegt. Wenn ein Priester ein Vermögen hat, wenn er statt andern zu helfen mit seinem Geld ein luxuriöses Leben führt, so ist dies ein bedauerlicher Fehler. Wenn er aber bescheiden, doch nicht als Armer lebt, tut er kein Unrecht - aber er hat nicht die heroische Nachfolge Christi erwählt, die uns bei einem heiligen Jean Vianney tief erbaut. Der Besitz mag eine Versuchung für ihn bedeuten und ihn „verweltlichen". Er bleibt der Gefahr weltlicher Interessen ausgesetzt.
Reichtum ist gewiss eine Versuchung, nicht nur auf das hinzublicken, was das sakrale Amt des Priesters diesem auferlegt, eine Versuchung, in weltliche Sorgen verstrickt zu werden - aber die Sorge um den Besitz ist ja keine gottgewollte Verpflichtung (26), wie die Sorge um die Frau und Kinder in der Ehe. Aber wenn der Priester statt des Zölibats eine Ehe eingehen könnte, so wäre er nicht nur der Gefahr eines in weltliche Affären Hineingezogenwerdens ausgesetzt, sondern er würde eine heilige Verpflichtung seiner Frau und seinen eventuellen Kindern gegenüber auf sich nehmen, die ihn verhindert, ganz nur ein Organ der Kirche zu sein, ganz seinem Amt als Priester der heiligen Kirche zu leben.
Im Fall des Besitzes ist es die Gefahr einer Verweltlichung, die einen Konflikt mit seinem Priestertum darstellt. Im Fall der Ehe ist es ein Konflikt der Pflichten des Ehemannes und Vaters mit den Pflichten des Priestertums. Die erstere Art des Konflikts, die Gefahr der Verweltlichung, kann in den verschiedensten Formen auftreten. Gegen sie zu kämpfen ist jeder Christ und in besonderer Weise jeder Priester aufgerufen. Man kann ihr nicht durch Gesetze von außen beikommen - sondern jeder Christ muss ständig dagegen ankämpfen. Im Fall der Eheschließung handelt es sich aber nicht um eine Gefahr der Verweltlichung, sondern um das übernehmen von Pflichten, die man nicht vernachlässigen darf, die aber mit der ausschließlichen Hingabe an die heilige Aufgabe des Priesters kollidieren, die es ihm zum mindesten schwerer machen, sich frei und unbehindert seinem heiligen Amte hinzugeben.
Die Ehe ist eben nicht nur die engste Liebesgemeinschaft natürlicher Art, sie ist auch eine formale Gemeinschaft. Sie schließt auch Rechte der beiden Ehepartner ein und ist in gewisser Hinsicht auch im Staat verankert - obwohl sie in keiner Weise ein Teil des Staates ist, sondern weit über diese Sphäre hinausragt. Mit einem Wort, die Ehe hat auch eine juristische Struktur. Sie ist auch zugleich die Basis für die Familie und, wie gesagt, jede Ehe kann potentiell eine Familie werden. Mit der Eheschließung nimmt man Verpflichtungen aller Art auf sich, auch den eventuellen Kindern gegenüber. Dieser ganze Aspekt der Ehe lässt den Vorzug des zölibatären Priesters gegenüber dem verheirateten klar hervortreten. In die Funktion (27) des Priesters als ein Organ der Kirche passen die rechtlichen Bindungen, die in der Ehe eingegangen werden, nicht. Diese Bindungen zwingen ihn in eine Stellung dem Leben gegenüber, die ihn mit allen Laien auf eine Stufe stellt und die einzigartige Freiheit, die er als ganz der Kirche gebürend besitzen sollte, gefährdet. Es ist ein ungeheurer Vorzug, wenn der Priester, der im Namen Gottes zu den Seelen spricht, der die Heilige Kirche vertritt, der das „nicht von der Welt Sein" in seinem sakralen Amte vertritt, durch den Wegfall dieser Bindungen aus der Welt in einer für alle sichtbaren Weise herausgehoben ist.
Die Frage der Zölibatsverpflichtung kann darum offenbar nicht mit einer Verpflichtung zur Armut für den Priester verglichen werden.
Es ist schwer zu verstehen, dass ein gläubiger Katholik, der die Heilige Kirche liebt, die Glorie der Freiheit nicht sieht, die der Zölibat dem Priester verleiht. Ist es nicht etwas Außerordentliches, dass der Träger des sakralen Amtes des Priesters, derjenige, dem die Konsekrationsgewalt übertragen ist, der die Sakramente spendet und das Wort Gottes verkündet, durch den Zölibat von allen Bindungen an diese Welt befreit, ausschließlich der Kirche gehört und klar und eindeutig aus der übrigen Gesellschaft herausgehoben ist? Ist es nicht wunderbar, dass es so etwas gibt? Und kann man übersehen, dass der Zölibat aus so vielen Gründen für den Priester viel adäquater ist als die Ehe?
Kann man zum großen Opfer des Zölibats jeden Priester verpflichten?
In dieser Sphäre, in der es sich nicht um irdische Dinge handelt, sondern um etwas, das seinen Sinn und seine Berechtigung nur aus der Realität des Übernatürlichen bezieht, um ein Amt, das nicht wie irgend eine Staatsstellung aus der Logik der Struktur des irdischen Lebens seinen Sinn ableitet, sondern dessen Würde, Geltung, Wert, Recht nur besteht, wenn die Heilige Kirche von Christus, dem Sohne Gottes gegründet wurde, sollte man die Tatsache, dass der Zölibat dem Priester persönliche Opfer auferlegt, nicht als Argument für die Abschaffung des Zölibats anführen. Argumente wie „Viele Priester leiden darunter“ sind nicht einschlägig. Kreuze und Opfer sind für jeden Christen unvermeidlich Die Leiden, die die Wahl eines Berufes, für den man nicht geeignet ist, mit sich bringt, sind ein allgemeiner Faktor im Menschenleben. Eine unglückliche Ehe, die feierliche, sogar unlösbare Bindung an einen Menschen, die sich nachher als eine unselige Fessel herausstellt, ist ein schweres Kreuz. Priester zu sein für jeden, der nicht wahrhaft dazu berufen ist, ist eine furchtbare Belastung. Dies gilt auch vom Zölibat.
Die Pflicht sorgfältigster Prüfung der Berufungen durch die kirchliche Obrigkeit
Aber daraus kann nur gefolgert werden, dass die Entscheidung zum Priestertum und die Prüfung von Seiten der geistlichen Autoritäten, ob eine wirkliche Berufung vorliegt, nicht genug ernst genommen werden kann. Das ist sicher oft nicht genügend geschehen.(28) Die Versuchung, aus Angst vor Priestermangel mit zu wenig sich zufrieden zu geben, zu wenig von dem Kleriker zu verlangen, ist sehr groß. Oft hat man den Seminaristen die Ehe im negativsten Licht hingestellt, um ihnen den Entschluss zum Zölibat leichter zu machen. Manchmal hat man aus demselben Grund den Seminaristen die Frauen schlecht gemacht, sie ihnen zu verleiden gesucht. Das sind große, unverantwortliche Fehler und die Folgen können verhängnisvoll sein. Aber nicht die Zölibatsverpflichtung ist an diesen Folgen schuld, sondern das Versäumnis, den Subdiakon voll erfassen zu lassen, worauf er propter regnum coelorum verzichtet. Man versäumt, ihm die Ehe im schönsten Licht zu zeigen und ihn so denselben Akt gottgeweihter Jungfräulichkeit in vollem Bewusstsein, auf was er verzichtet, vollziehen zu lassen.
Aber bedauerlicherweise wird von den sogenannten Progressisten eine falsche Antwort auf dieses Versäumnis gegeben. Wie so oft greift man zu einer falschen Alternative. Man glaubt, dass es notwendig sei, dass der Seminarist oder Theologiestudent in eine weltliche oder gar unreine Atmosphäre eintauche, um zu wissen, worauf er im Zölibat verzichte. Man glaubt, er solle nicht mehr die Distanz zu der sexuellen Sphäre einhalten, die jeder Christ vor der Ehe wahren sollte. Man versteht nicht, dass er sogar vom Augenblick seines Entschlusses Priester zu werden, an eine ausgesprochene heilige Distanz (29) zu der sinnlichen Sphäre halten soll, ja jeden Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht, sobald diese Beziehung eine irgendwie sinnliche Note hat, vermeiden soll. Um die Realität, Schönheit, Tiefe des Mysteriums der sinnlichen Sphäre und die Bestimmung und Erfüllung in der gegenseitigen Selbstschenkung der Ehe zu verstehen, um zu wissen, worauf er verzichtet, muss man ihm nicht die Nase in eine isolierte Sinnlichkeit, noch , ihn in ein peinliches Sicht-Anbiedern an das andere Geschlecht stoßen. Dies ist eine der typischen falschen Reaktionen heutzutage. Man glaubt, den erwähnten Fehler einer gewissen Tabuisierung der sinnlichen Sphäre und der Ehe dadurch zu korrigieren, dass man in dem Seminaristen die Ehrfurcht vor dieser Sphäre und der Ehe in viel raffinierterer Weise zerstört, indem man ihn in unreine Filme schickt, unreine Bücher lesen lässt, mit einem Wort, ihn in eine burschikose, unreine Welt eintaucht, oder in eine, in der der Geheimnischarakter dieser Sphäre zerstört wird und sie als rein neutrale biologische Angelegenheit hingestellt wird. Man glaubt an die falsche Alternative: entweder Tabuisierung oder ihn im Venusberg ein wenig weilen lassen - oder, was noch schlimmer ist: die ganze sinnliche Sphäre der Ehe neutralisieren, als rein biologischen, gesunden Instinkt hinstellen. Das letztere ist eine wahre Kastrierung, „Entmannung", viel mehr als irgendeine frühere Tabuisierung es je war.
Nur wenn alles im höchsten Lichte gesehen wird, in seiner wahren, authentischen Gestalt - das Geheimnis der sinnlichen Sphäre, die erhabene Liebesgemeinschaft der Ehe, die Christus zum Sakrament erhoben hat, die noch erhabenere Versiegelung der sinnlichen Sphäre propter regnum coelorum, die den Verzicht auf die Ehe als größte irdische Glücksquelle einschließt, nur dann ist der Subdiakon im Stand, den Zölibat gültig und frei zu erwählen, aller Opfer bewusst, die er in sich birgt - aber auch bewusst des unsagbaren Geschenkes einer einzigartigen Verbindung mit Christus (30). Nur dann wird der Subdiakon auch klar verstehen, dass der Zölibat dem Sinn und Wesen des Priesters mehr entspricht, dass er adäquater für den Priester ist und dass die Verpflichtung zum Zölibat für den Priester auch ein kostbares Geschenk darstellt.
KAPITEL 5: DIE BESONDERE BEDEUTUNG DES ZOLIBATS IN DER HEUTIGEN SITUATION
Die Zölibatsverpflichtung ist nicht nur, wie wir sahen, dem Sinn und Wesen des Priestertums entsprechender, sondern sie gewinnt heute noch eine besondere Bedeutung in der gegenwärtigen Krise der Kirche. Sie ist eine heilsame Barriere für viele, die das Priestertum wählen, ohne die wirkliche Berufung dazu zu haben.
Früher verbreitete illegitime Motive für die Erwählung des Priesterstandes
Es gab ja schon immer Menschen, die von dem Priestertum angezogen wurden wegen der Autorität, die dem Amt des Priesters eigen ist, der sozialen Stellung, die es dem Priester verleiht. Bei manchen Menschen spielte auch die Garantie eines gewissen Wohlstandes eine Rolle. Während in Frankreich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts - sowie in Italien schon früher- diese Sicherung eines gewissen Wohlstandes ganz wegfiel und dem Priester eher eine ausgesprochene Armut auferlegt ist, wenn er nicht von Haus aus über ein gewisses Vermögen verfügt, so ist dies z. B. in Deutschland und Amerika nicht der Fall. Hier war dem Weltpriester ein gewisser Wohlstand garantiert, ob er Pfarrer ist oder in einer Pfarrei als Assistent (Hilfsgeistlicher, Kooperator, Kaplan) arbeitet oder in katholischen Schulen lehrt, eine Zeitschrift redigiert oder sonst irgendeine Stellung in der Kirche bekleidet. Was aber die Autorität und die soziale Stellung des Priesteramtes betrifft, so kann sie in allen Ländern ein Anziehungspunkt sein. Besonders Menschen von bescheidener Herkunft, Söhne von Bauern oder Arbeitern, wurden, wenn sie Priester wurden, ohne weiteres Mitglieder einer höheren sozialen Schicht. In Wirklichkeit erhebt das Priestertum den Menschen über alle Klassenunterschiede, sein Amt ist so über alle weltlichen Gesichtspunkte erhaben, dass er jenseits aller Unterschiede der Klassen und sozialen Gesellschaftskreise steht. Aber dadurch ist ihm auch der Eingang in alle Gesellschaftsschichten eröffnet. In der praktischen Auswirkung wurde der Priester zu einer Zeit, da die Klassenunterschiede noch eine große Rolle spielten, in jedem Salon als organisch dazu passend aufgenommen - außer in nicht katholischen Ländern, in denen sein Priestertum ihn aus ganz anderen Gründen verdächtig machte. Der Bauernsohn oder Sohn eines Arbeiters wurde ein „Gebildeter", selbstverständlich aus der Welt des Bauernstandes oder Arbeiterstandes hervorgehoben. Das hat nichts damit zu tun, dass er eine große Solidarität mit den Arbeitern oder Bauern fühlen konnte oder dass er ein Apostel der Armen wurde. Wir sprechen hier von dem selbstverständlichen Aufrücken in einen höheren Stand in den Augen der Gesellschaft.
Gewiss, Söhne von Bauern und Arbeitern konnten in Ausnahmefällen auch durch besondere Gaben aufrücken in die höheren Gesellschaftskreise, sie konnten Professoren, Rechtsanwälte, Arzte, Staatsmänner, Industrielle werden, wie sie auch aus anderen Gründen reich werden konnten. Aber das waren Ausnahmen, die besondere Gaben oder zumindest besonderes Glück erforderten. Gewiss, diese illegitime Motivation, den Priesterstand zu erwählen, ist heute viel seltener, weil der Aufstieg in die höheren Gesellschaftsschichten viel leichter ist und fast alle an der Universität studieren.
Illegitime Anziehendheit des Priestertums heute
Aber dafür ist eine andere Gefahr heute ungleich größer geworden. Ein anderes illegitimes Motiv für die Erwählung des Priesterstandes, das der wahren Berufung zum Priester radikal widerspricht, ist heute da, das früher fehlte. Bis vor kurzem war der Priester sich bewusst, dass er in der Katechese, in der Seelsorge, in der Verkündigung des Wortes Gottes sich streng an die Lehre der Kirche halten musste, an das depositum catholicae fidei. Seit dem heilige Pius X. führte der Modernisteneid jedem, der Priester wurde, in besonderer Weise klar vor Augen, dass er nicht seine private Auslegung der christlichen Offenbarung, nicht die modernistischen Theorien irgendeines Theologen, sondern nur das depositum catholicae fidei als Richtschnur für all sein Lehren und Wirken zu wählen verpflichtet ist. Aber heute, in dieser „Revolution" innerhalb der Kirche, führt das Studium in vielen Seminaren die Kandidaten zum Priestertum nicht mehr in das depositum catholicae fidei als die unverrückbare, unantastbare Wahrheit ein, sondern lässt auch die verschiedensten Häresien zu Worte kommen. Viele Theologen fordern den Pluralismus in dem Lehramt der Kirche und in Predigten kann man allenthalben Dinge hören, die in radikalem Widerspruch zu der Lehre der Kirche und den Dogmen stehen. Der Priester glaubt mehr und mehr seinen Neigungen und Privatideen folgen zu können, ohne die Autorität bei den Laien zu verlieren, die ihm ja nur als Sprachrohr der Kirche eigen ist: während er früher, sobald er sich von der Lehre der Kirche entfernte und häretische Dinge verbreitete, gemaßregelt und, wenn er nicht gehorchte, sogar seines Amtes enthoben wurde, geschieht dies im allgemeinen nicht mehr so leicht und daher behält er in den Augen der Laien die Autorität, ein offizielles Sprachrohr der Kirche zu sein. So kann er die Freude am Ausleben seiner persönlichen Sympathien und zweifelhaften religiösen Spekulationen (oder meistens dem Mitschwimmen mit den Modeirrtümern der gegenwärtigen Zeitepoche) mit dem Genuss einer in Wahrheit völlig unterhöhlten Autorität, oder sagen wir besser, mit der in Wirklichkeit zum Schein, zur Attrappe gewordenen Autorität, verbinden.
Dies ist für viele ungeheuer anziehend - eine einzigartige Situation, seinen Ideen, die meist ein reines Nachschwätzen von modischen Schlagwörtern sind, ein großes Gewicht und eine Schein-Autorität zu verleihen. Da wir in einer Zeit leben, in der ein Pseudo-Apostolat besonders verbreitet ist, in der jeder den Propheten spielen will und Seelenberatung, Seelenführung eine Leidenschaft an sich geworden ist, ist die Autorität des Priesters besonders verlockend. Ohne die strenge Bindung an die Weisungen der Kirche kann er von der Autorität der Kirche profitieren für seine Rolle als Berater und Führer. Wenn der Heilige Vater die künstliche Geburtenregelung verurteilt, fühlt er sich berechtigt, dem Beichtkind oder der Seele, die er führt, das zu raten, was er, unbekümmert um das Wort des Papstes, für richtig hält, wobei das Beichtkind fortfährt, in ihm die Stimme der Kirche zu hören. Wir brauchen nicht länger auf die Attraktion einzugehen, die das Priestertum im gegenwärtigen Moment der schweren Krise der Kirche für viele besitzt, eine Attraktion, die von der wahren Berufung zum Priestertum durch einen Abgrund getrennt ist.
Die Zölibatsverpflichtung als heilsamer Prüfstein echter Berufungen
Das Wichtige ist, zu sehen, dass all diese falschen illegitimen Motive meist nicht genügen, um das Opfer der Enthaltsamkeit und des Verzichtes auf die Ehe auf sich zu nehmen. Solange die Zölibatsverpflichtung für die Priester weiter besteht, ist es wahrscheinlich, dass Menschen, die aus solchen Gründen anstatt aus einer wahren Berufung vom Priestertum angezogen werden, zurückschrecken, ein solches Opfer auf sich zu nehmen. Die Zölibatsverpflichtung ist darum heute auch ein heilsamer Prüfstein für das Vorhandensein der wahren Berufung, für die volle Hingabe an Christus, für die Bereitschaft, das Kreuz auf seine Schultern zu nehmen.
Man könnte einwenden: aber in der unierten Kirche, wo keine Zölibatsverpflichtung besteht, fällt dieser Prüfstein weg, ohne dass Schaden entsteht. Darauf ist zu sagen, dass dort die Attraktion des Priesterstandes aus diesen falschen Motiven viel weniger groß ist. Vor allem bringt die Situation hinter dem eisernen Vorhang unzählige schwere Opfer für die Priester mit sich und schon darum können die Verhältnisse nicht verglichen werden.
Die besondere Bedeutung des Zölibats heute und der Priestermangel
Ein anderer Einwand ist, dass bei der heute weitverbreiteten Geistesverfassung, bei dem generellen Wunsch, das Kreuz und alle Opfer aus der Kirche zu entfernen, vor allem bei der Säkularisierung und dem Schwund des vollen Glaubens, ein großer Priestermangel entstehen würde, wenn die Zölibatsverpflichtung nicht aufgehoben wird. So sagt Karl Rahner in dem Brief über den Zölibat - in dem vieles Schöne und Wichtige über den Zölibat und für die Angemessenheit der Zölibatsverpflichtung gesagt wird - dass, wenn die Zölibatsverpflichtung wirklich zu einem solchen Priestermangel führen würde, sie natürlich abgeschafft werden müsse.
Die Frage, die hier aufgeworfen werden muss, ist: Ist der Priestermangel ein größeres Übel als wenn viele Priester, die nicht die wahre Berufung haben, Priester werden?
Auch hier muss wieder auf die schon oben erwähnte neue Situation zurückgegriffen werden, die durch die Krise in der Kirche entstanden ist. Es hat schon immer Priester gegeben, die entweder versagten in Bezug auf die Enthaltsamkeit oder solche, die durch Mediokrität und Gleichgültigkeit der Höhe ihrer Mission als Priester nicht gerecht wurden. Dies ist ein unvermeidlicher Tribut an die menschliche Schwäche. Dem kann nicht vorgebeugt werden. Aber die oben erwähnte Gefahr des Missbrauchs der Autorität die das Priesteramt dem Menschen, der es bekleidet, verleiht als Pfarrer oder Lehrer oder Seelsorger, um Lehren zu verbreiten, die dem depositum catholicae fidei radikal widersprechen, schafft eine Situation, in der der Priestermangel ein geringeres Übel darstellt als die Existenz von Priestern, die nur noch scheinbar ein Sprachrohr der Heiligen Kirche sind. Ist es nicht besser, wenn sogar ein Mangel an Ärzten besteht, als wenn viele Ärzte in Wahrheit Kurpfuscher sind, aber vor dem Publikum mit der Autorität des wahren Arztes auftreten! Und hier kann der Mangel an Ärzten dazu führen, dass viele ihr Leben einbüßen, weil sie keine ärztliche Hilfe erfahren. Im Falle des Priestermangels tritt die Gefahr ein, dass an gewissen Orten nur selten die Heilige Messe gefeiert wird oder dass viele Kinder nicht den Religionsunterricht bekommen, oder viele ohne die Sakramente sterben. Das ist sicher ein großes Übel - aber es muss nicht tödlich für die Seelen der Gläubigen sein. Die Eltern können den Kindern (was in Zeiten der Kirchenverfolgung oft geschah) die Grundlagen des Glaubens vermitteln. Die Seelen können selbst, wenn sie nicht die Sterbesakramente empfangen können, durch die vollkommene Reue ihr Heil erlangen. Aber die Verbreitung von Irrlehren vonseiten derer, die in den Augen der Laien die Stimme der Kirche sind, ist noch unvergleichlich verhängnisvoller. Wenn man den Priestermangel in der heutigen Situation als größeres Übel betrachtet als das Wirken eines Priesters, der nicht mehr der gehorsame Sohn der Kirche ist und vor allem nicht mehr der Bekenner der vom Magisterium der Kirche verkündeten Lehre in Sachen des Glaubens und der Moral, dann hat man die übernatürliche Schau der Heiligen Kirche verloren. Ja, darin läge sogar ein wirklich negativer Legalismus, im Gegensatz zu dem der Kirche oft fälschlicherweise vorgeworfenen „Legalismus" der sittlichen Gebote.
Darum ist gerade heute das Opfer, das der Zölibat einschließt, ein heilsamer Prüfstein für den wahren Geist und den wahren Glauben und damit eine bedeutende Garantie für die wahre Berufung zum Priester. Überdies ist der schon eingetretene große Rückgang der Priesterberufungen nicht primär durch die Zölibatsverpflichtung bedingt, sondern durch den Triumph der Säkularisierung und den Schwund des übernatürlichen Geistes.(31) Wenn die Kirche durch zweitausend Jahre die christliche Offenbarung falsch interpretierte und der Glaube an den übernatürlichen Charakter der Kirche eine Illusion war, wie kann jemand aus legitimen Motiven noch Priester werden wollen? Anderseits wird es für die wahrhaft Berufenen schwerer, sich wirklich zum Priestertum zu entschließen, wenn sie riskieren, in den Seminarien den Glauben zu verlieren.
Es ist entschieden besser, wenn es weniger Priester gibt, als solche, die den Glauben zerstören. Wenn schon früher galt, dass ein schlechter Priester einen ungeheuren Schaden anrichten kann und Seelen zum Abfall von der Kirche und dem Glauben führen konnte, so ist die Gefahr für die Seelen heute noch viel größer, wenn es nicht „schlechte" Priester sind, sondern häretische Priester, die den Glauben an Christus durch irgendwelche modernen Mythen ersetzen.
Der schlechte Priester wird als solcher erkannt, er erregt Ärgernis und die Laien rücken von ihm ab. Sie sind sich bewusst, was ein Priester sein sollte und was die Kirche von einem wahren Priester erwartet, und sie empören sich über ihn, weil er dem nicht entspricht. Diese schlechten Priester verscherzen ihre Autorität. Aber die modernen Irrlehrer erregen bei vielen kein Ärgernis. Sie behalten ihre Autorität in den Augen der Laien und diese lassen sich daher aus Ergebenheit in die Kirche von seinen Irrlehren vergiften. Dieser Schaden für die Seelen ist noch ungleich größer. Sie werden getäuscht und empfangen Gift in ihre Seele, das sie für die geistige Speise halten, die ihnen die Kirche anbietet. Sie lassen sich, ohne es zu merken, ihres Glaubens berauben. Dieser selbe Priester ist vielleicht hilfreich und freundlich, vielleicht auch gütig zu ihnen, gibt kein Ärgernis durch einen unsittlichen Lebenswandel und so wird er zum Wolf im Schafspelz. Der „schlechte" Priester hingegen war ein Wolf im Wolfspelz. Darum gewinnt die Verpflichtung zum Zölibat heute vielleicht eine noch größere Bedeutung als zur Zeit des heilige Gregor VII.
Die Zölibatsverpflichtung ist nicht nur an sich dem Priesteramt, wie wir sahen, entsprechender, sie besitzt einen hohen Wert und ist so wenig in der heutigen Kirche überholt, dass sie sogar heute ein unschätzbarer Prüfstein ist für die Frage, ob die wahre Berufung zum Priester vorliegt.(32)
KAPITEL 6: DER MISSBRAUCH DER AUSDRÜCKE „FREIWILLIGKEIT" UND „PFLICHT" IN DER ZOLIBATSDISKUSSION
Das Zentrum im Kampf für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung ist die Forderung, die Entscheidung für oder gegen den Zölibat dem Einzelnen, der sich zum Priestertum berufen fühlt, zu überlassen. Der Zölibat wird von den meisten als etwas Positives gesehen - aber als ein heroisches Opfer, zu dem sich nur der Einzelne frei entscheiden könne und das ihm nie auferlegt werden dürfe.
1. „Freiwilligkeit“ als Gegensatz zum Zwang von außen
Der Terminus „freiwillig" enthält hier aber eine Äquivokation. Zunächst bildet der Terminus freiwillig einen Gegensatz zu allem Zwang von außen. Der Staat zwingt uns Steuern zu zahlen, und in den meisten Ländern ist die männliche Jugend gezwungen, ein oder zwei Jahre sich dem Militärdienst zu unterziehen. Die Eltern sind durch den Staat gezwungen, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Dies ist alles nicht freiwillig. Ob jemand will oder nicht - wenn er sich weigert, diese Dinge zu tun, wird er bestraft.
2. „Freiwilliges“ im Gegensatz zum sittlich Verpflichtenden
Einen ganz anderen Sinn erhält der Terminus unfreiwillig bzw. freiwillig, wenn es sich um moralische Forderungen handelt. Sie sind obligat nicht im Sinne eines Zwanges von außen, sie appellieren sogar ausdrücklich an unser freies Ja. Sie rufen uns zur höchsten Freiheit auf - der moralischen Freiheit - in der die wahre Bestimmung der ontologischen Freiheit (Freiheit des Willens) zur Erfüllung kommt. Aber sie verpflichten in einem viel tieferen unvergleichlich bedeutsameren Sinn. Sie sind absolute, kategorische Forderungen - unwandelbar -, und sie transzendieren die irdische Sphäre. Der Mensch kann ihnen den Gehorsam verweigern - aber er soll es, er darf es nicht.
Der Akt, in dem wir der moralischen Forderung und damit Gott gehorchen, ist freiwillig im höchsten Sinn dieses Terminus und radikal allem Zwang von außen entgegengesetzt. Aber er ist verpflichtend und ist nicht wie andere heroische moralische Taten oder Entschlüsse z. B. alle Formen strenger Askese oder die Lebensrettung eines Menschen mit dem Risiko, das eigene Leben zu verlieren - alle Opfer und vor allem die evangelischen Räte – „freiwillig". Zu diesen sind wir nicht verpflichtet, und sie sind in einem ganz anderen Sinn freiwillig.
3. „Freiwilligkeit" als Ignorieren der durch freiwillig eingegangene Bindung entstandenen Pflicht
Dieser Sinn von Freiwilligkeit beinhaltet die Abwesenheit einer Verpflichtung. Aber diese Freiwilligkeit bedeutet nicht, dass, wenn wir freiwillig uns zu Dingen verpflichten, die an sich nicht verpflichtend sind, es uns freistünde, die freiwillig eingegangene Bindung zu ignorieren bzw. aufzugeben, wenn wir dies aus irgendeinem Grunde tun wollen.
Der Zölibat ist freiwillig, weil weder äußerer Zwang, noch sittliche Pflicht vor der freiwillig eingegangenen Bindung vorliegt
Die Bedeutung der Freiwilligkeit im Gegensatz zu äußerem Zwang ist ausdrücklich betont in der Lehre der Heiligen Kirche. Eine moralische Handlung muss frei - in freiem Gehorsam - vollzogen werden und nicht unter äußerem Zwang. Derjenige, der die freie Unterordnung unter den Ruf des moralisch bedeutsamen Gutes und das Gebot Gottes nicht vollzogen hat, sondern nur von außen gezwungen handelt oder aus Furcht vor unangenehmen irdischen Folgen, beraubt damit seine Handlung des positiven sittlichen Wertes. Ebenso ist die Freiwilligkeit (als Gegensatz zu äußerem Zwang) ausdrücklich betont in der Kirche bei allen von uns eingegangenen Bindungen.
Eine Ehe, die unter Druck von außen erfolgte und in der der Konsensus nicht frei war, ist nicht gültig bzw. dies ist ein Grund für die Annullierung der Ehe. Auch die Wahl des Priestertums muss freiwillig sein, d. h. frei von äußerem Druck - und der Nachweis, dass die Wahl unter Druck erfolgte, ist ein hinreichender Grund dafür, den Priester auf seinen Wunsch zu laisieren und ihn des Zölibats zu entbinden. Darum ist es irreführend, wenn die Vorkämpfer für eine Abschaffung des Zölibats für die Priester in der lateinischen Kirche ausrufen: der Zölibat muss freiwillig erwählt werden, er kann uns nicht wie ein moralisches Gesetz verpflichten, ohne dass wir ihn freiwillig erwählten. Es ist irreführend, weil auch heute und zu allen Zeiten der Zölibat der Priester freiwillig ist und diesen weder durch äußeren Zwang noch wie ein moralisches Gesetz auferlegt ist, sondern den Charakter einer von ihm eingegangenen Bindung besitzt.
Freiwilligkeit heißt nicht dem Belieben des Einzelnen überlassene Trennung von Zölibat und Priestertum
Die Trennung von Priestertum und Zölibat, die Möglichkeit, in der westlichen Kirche Priester zu werden und den Zölibat abzulehnen ist allerdings nicht unserem freien Ermessen überlassen. Dies ist aber offenbar ein ganz anderer Sinn von freiwillig. Wenn es objektiv besser ist, dass der Priester zölibatär ist, wenn der Zölibat dem Sinn und Wesen des Priestertums entsprechender ist, genügt dies offenbar dafür, die Verbindung von Zölibat und Priestertum zu rechtfertigen, somit die Tatsache, dass die Kirche ihn für den Priester verpflichtend macht.
Wenn man einwendet, dass der Zölibat doch große, schwere Opfer impliziert und man diese nie verlangen kann von Seiten der Kirche und dass ein solch heroischer Entschluss wie der, dieses Opfer auf sich zu nehmen, freiwillig von dem Einzelnen erwählt werden müsse, so ist dazu Folgendes zu sagen: Wir haben schon früher gesehen, dass der Einwand gegen den Zölibat „weil er ein zu großes Opfer einschließe" nicht stichhaltig ist. Jetzt aber gilt es zu sehen, dass es falsch ist zu behaupten: „darum müsse es dem Einzelnen überlassen bleiben, ob er außer dem Priestertum auch den Zölibat erwählen will". Es muss daran erinnert werden, dass die Art der vollen Hingabe an Gott, die im priesterlichen Amt als Vorbedingung enthalten ist, noch mehr und Heroischeres fordert als den Zölibat. Vergleichen wir die Enthaltsamkeit, zu dem sich Eheleute in einer Josephsehe entschließen oder die unfreiwilligen Opfer, die dem Manne oder der Frau auferlegt sind, die durch eine unglückliche Liebe verhindert wurden zu heiraten, mit dem Geschenk des eigenen Lebens, das der Priester Gott und der Heiligen Kirche darbringt - all die große Verantwortung und alles, was die unerhörte Würde der Konsekrationsgewalt fordert - so scheint die für legitim gehaltene Vorstellung, dass jemand sagen könnte: „die Opfer, die zum Priestertum als solchem gehören, will ich gerne auf mich nehmen, aber den Zölibat - nein, das ist zu viel verlangt!", eine große Ahnungslosigkeit in Bezug auf das Priestertum und seinen letzten Ernst zu verraten.
Dass ich gewisse Dinge nur haben kann, wenn ich gewisse Verpflichtungen zu übernehmen bereit bin, beeinträchtigt doch meine Freiwilligkeit nicht, es beeinträchtigt allerdings meine Willkür - aber meiner Willkür zu folgen ist ja gerade das Gegenteil wahrer Freiheit. Wenn jemand erklären würde: die erforderlichen Examina für das Ausüben der ärztlichen Praxis habe ich nicht freiwillig erwählt, denn ich wollte wohl Arzt sein, aber die Examina wurden mir auferlegt, so wäre dies offenbar eine Äquivokation des Terminus freiwillig. Zum Wesen eines guten Arztes gehört das Examen nicht, es ist nicht die notwendige Voraussetzung dafür wie das nötige Wissen. Es ist ein positives Staatsgesetz, das das Examen für die Ausübung der ärztlichen Praxis fordert.
Der Zölibat darf für den wirklich berufenen Priester nicht bloß unvermeidliches Opfer sein
Aber im Falle des Priesters ist es sogar erforderlich, dass er eine besondere Berufung zum Zölibat fühlt. er darf ihn nicht nur als unvermeidliches Opfer schlucken. Dass die Kirche den Zölibat mit dem Priesterstand in der Westkirche verknüpft, ist keinerlei Beeinträchtigung der freien Wahl des Zölibats. Die wahre Priesterberufung setzt voraus, dass ich mich ganz Christus und seiner Heiligen Kirche schenke und dieses hohe Amt in der Form und nach den in der Heiligen Kirche geltenden Gesetzen zu bekleiden ersehne. Die Berufung zum Zölibat ist darum auch ein Zeichen für die wahre Berufung zum Priester - nicht weil er wesenhaft dazu gehört, wohl aber, weil es zu dem Geist der Ergebung und Hingabe gehört, das Priestertum so anzunehmen, wie es die Heilige Kirche hic et nunc fordert.
Die Situation des Priesters, der nachträglich die freiwillig eingegangene Bindung auflösen will
Ganz anders wird die Situation natürlich, wenn diejenigen, die schon Priester sind, erklären, der Zölibat sei ihnen gegen ihren Willen aufgezwungen, weil sie jetzt nicht heiraten können, obgleich sie es gerne möchten. Nehmen wir den edelsten Fall an: sie hätten eine Frau getroffen, die sie mit letzter bräutlicher Liebe lieben. So tragisch dieser Konflikt sein kann - er hat nichts mit der Freiwilligkeit der Erwählung des Zölibats zu tun. Es ist vielmehr der Konflikt zwischen einem freiwilligen Entschluss zum Zölibat, einer freiwilligen feierlichen Bindung und einem Erlebnis, das in ihm den heißen Wunsch erweckt, diese freiwillige Bindung zu brechen. Es ist ähnlich, wie die Bindung der frei eingegangenen Ehe den Mann bindet - solange seine Frau lebt - keine andere zu heiraten, wenn er diese noch so liebt und sogar entdeckt hat, dass er sich bei seiner Eheschließung geirrt habe, bzw. in Illusionen lebte. Aber offenbar kann niemand sagen, dass er deshalb die Ehe nicht freiwillig einging, und auch nicht, dass er nicht klar wusste, als er die Ehe einging, welche Bindung er auf sich nahm. Im Falle des Priesters ist es aber nicht ebenso tragisch. Denn er kann sich ja unter Umständen laisieren lassen und kann dann auch die Erlaubnis zur Ehe erhalten. In diesem Fall ist ihm die Möglichkeit einer Dispens von seiner feierlichen Bindung gegeben, die bei der Ehe, wenn sie nicht aus anderen Gründen annulliert werden kann, wegfällt.
Der Höhepunkt im Missbrauch des Ausdrucks „freiwillig"
Aber, so wird man einwenden, viele wollen ja gar nicht laisiert werden, viele möchten heiraten und Priester bleiben wie vorher. Also ist der Zölibat doch nicht freiwillig, sondern auferlegt von der Kirche. Hier ereicht aber in Wahrheit der Missbrauch des Wortes freiwillig seinen Höhepunkt. Sie wollen das Recht haben, der Kirche je nach ihren persönlichen Wünschen vorzuschreiben, als Priester innerhalb der westlichen Kirche weiter zu wirken und doch zu heiraten. Sie wollen, dass Priestertum und Zölibat nicht nur in Zukunft in der westlichen Kirche getrennt werden und es schon ab ovo dem Einzelnen überlassen bleibt, ob er als Priester heiraten will oder nicht, sondern sie wollen rückwirkend die vor ihrer Priesterweihe feierlich eingegangene Zölibatsverpflichtung aufheben. Sie wollen etwas, das sogar in der unierten Ostkirche nicht möglich ist, wo zwar der Priester vor der Weihe heiraten darf, aber nie nach der Weihe. Hier kann man nicht umhin zu fragen: welche Priester wünschen dies? Wie ist die Ausübung ihres hohen Amtes bei den Priestern, die diese Forderung stellen? Sind es Priester, die wirklich mit zitternder Ehrfurcht Gott dienen wollen, die für die Verbreitung des Reiches Christi brennen, die das volle sentire cum ecclesia besitzen und den letzten ehrfürchtigen Gehorsamsgeist gegen die Kirche - oder sind es die, die die Aufgabe des Priesters in erster Linie als eine soziale betrachten und den übernatürlichen Geist verloren haben?(33) Nach all dem was wir sagten, kann man nicht umhin zu vermuten, dass es wohl diese Priester sind. Sie wollen Priester bleiben aus vielen natürlichen Gründen, die ihnen ihr Amt lieb machen - Gründe, von denen wir schon gesprochen haben, als wir die falschen Motive zur Priesterberufung erwähnten. Diejenigen, die sich laisieren lassen und heiraten, nehmen wenigstens die Verdemütigung auf sich, dass sie offenbar ihrem hohen Amt nicht gewachsen waren. So traurig ihr Versagen an sich ist, so ist das implizite Eingeständnis des Versagens etwas Positives. Ganz anders ist der Fall, in dem ein Priester ohne kirchliche Erlaubnis heiratet und damit von der Kirche abfällt und meist in Selbstverteidigung ein Feind der Kirche wird. Aber der Höhepunkt ist in gewisser Hinsicht der Fall, in dem ein Priester sein Amt nicht aufgeben und zugleich heiraten will und, weil dies verweigert wird, sich von der Kirche in seiner Freiwilligkeit beeinträchtigt erklärt.
Wir sehen, welcher Missbrauch mit dem Worte „freiwillig" in der Propaganda für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung getrieben wird.(34)
Die Kirche hat die Bedingungen für das Priestertum zu stellen
Vor allem aber vergisst man, dass der Priester sein Leben nicht nur Christus schenkt, sondern auch seiner Heiligen Kirche. Sein Leben gehört der Heiligen Kirche, er wirkt in ihr und aus ihr und sein Wirken im Weinberg des Herrn erfolgt auch im Namen der Kirche. Er empfängt die Ordination zum Priester aus den Händen der Kirche. So muss er es auch der Autorität der Kirche überlassen, welche Bedingungen sie an die Bekleidung mit dem Amt des Priesters verknüpft.
KAPITEL 7: VERSCHIEDENHEIT UND VERBUNDENHEIT VON PRIESTERN UND LAIEN
=== Das Argument einer „getrennten Priesterkaste" und die organische Struktur der Gemeinschaften ===
Die Behauptung, der Zölibat trenne die Priester als eine „Kaste" von den Laien, die von den Vorkämpfern für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung manchmal vorgebracht wird (35), ist ein in vielen Hinsichten besonders unglückliches Argument.
Es scheint, als ob hier jede organische Struktur innerhalb der menschlichen Gesellschaft unweigerlich zu einer Trennung führen müsste. Das ist schon auf natürlicher Ebene ein völliger Irrtum. Wenn man die égalité über die Sphäre gewisser Urrechte hinaus ausdehnt, wird die menschliche Gesellschaft eine atomisierte Masse. Und sie verliert alle Differenzierung, und alle tieferen menschlichen Beziehungen werden uniformiert und ihres besonderen Charakters beraubt. Die ganze Sphäre der Gemeinschaft wird dadurch verödet und ein Hort der Langeweile. Die Familie zeigt doch deutlich, dass die Beziehung von den Eltern zu den Kindern und die der Kinder zu den Eltern verschieden sein muss und soll. Gerade diese Verschiedenheit ist erforderlich für die spezifische Einheit der Familie. Sie trennt nicht die Kinder von den Eltern, sondern sie vereint sie in tiefer Weise. Analog ist es in der Beziehung zwischen dem Lehrer und seinen Schülern, in der Beziehung von Jünger und Meister und überhaupt von Jüngeren mit Älteren. Wenn man alles auf die Ebene einer Kameradschaft herabdrücken will, zerstört man den Reichtum und die Tiefe menschlicher Beziehungen.
Wenn dies schon auf der natürlichen Ebene gilt, so noch unvergleichlich mehr in der übernatürlichen Gemeinschaft der Heiligen Kirche. Hier hat die hierarchische Struktur einen großen Wert und gehört essentiell zu dieser Gemeinschaft. Der Unterschied von ecclesia docens und ecclesia discens einerseits, die Verschiedenheit von Laien und dem Priester anderseits, der Unterschied von Priester und Bischof, und endlich der von Bischöfen und dem Bischof von Rom, dem Stellvertreter Christi auf Erden - sie alle trennen nicht, sondern verbinden in einer dieser Gemeinschaft, ihrem Sinn und Wesen entsprechenden Weise.
Prinzipielle „Gleichheit“ aller Glieder der Kirche und Verschiedenheit der Ämter
Gewiss, es gibt auch hier die Gemeinschaft aller lebendigen Glieder des Mystischen Leibes Christi, in der alle gleich sind, soweit sie nicht durch persönliche Heiligkeit über die anderen weit hinaus ragen. Aber diese „Gleichheit" aller Glieder des Mystischen Leibes Christi widerstrebt der oben genannten amtlichen Hierarchie in keiner Weise. Abgesehen von der grundfalschen These, dass alle Hierarchie und Ungleichheit eine Trennung bedingt, muss gerade im Verhältnis von Priester und Laie darauf hingewiesen werden, dass es für den sakralen Charakter des Priestertums und seine Funktion als Spender der Sakramente sowie als Seelsorger essentiell ist, dass der Laie voller Ehrfurcht zu dem Priester wegen seines sakralen Amtes aufblickt und ihm nicht als Kameraden (um nicht zu sagen als „frère et cochon") naht. Er soll ihn auch nicht nur als einen geschätzten Freund betrachten, bei dem er Trost und Rat sucht. Erstens kann man nur jemand als Freund betrachten auf Grund seines individuellen Charakters, seines Wesens, aber nicht auf Grund seines Amtes und wenn die Freundschaft und das Vertrauen in die individuelle Eigenart eines Menschen in einer Hinsicht eine tiefere Gemeinschaft darstellt, so ist anderseits die Ehrfurcht und das Vertrauen in den Priester auf Grund seines sakralen, übernatürlichen Amtes etwas ganz Neues und reicht in eine Tiefe der Seele hinein, die sonst nicht aktualisiert wird. Die Geschichte, sowie die Erfahrung, die jeder einzelne Katholik machen kann, zeigt deutlich, dass der wahrhaft religiöse Laie dieses „Verschiedensein des Priesters", diese Loslösung von weltlichen Bindungen gerade im Priester sucht und das gerade sein Vertrauen zum Priester begründet. Wenn hingegen der Priester auf Grund seines Amtes nicht aus der Gemeinde herausgehoben ist, sondern eine soziale Figur ist - wie der Arzt, der Apotheker, der Richter, der Lehrer usw. - mit einem Wort einer unter den anderen, so untergräbt dies das wahre, fruchtbare Verhältnis zu ihm und zerstört die tiefe, einzigartige, religiös-übernatürliche Gemeinschaft mit ihm. Schon der lebendige Glaube, dass dem Priester die Konsekrationsgewalt anvertraut ist, dass er am Altar Christus vertritt, muss den Laien mit tiefer Ehrfurcht erfüllen und schließt alle Kameradschaft und Anbiederung aus. Alles, was diesen Charakter der sakralen, einzigartigen Stellung des Priesters unterstreicht, kann nur von Segen sein und die wahre, gottgewollte Sendung des Priesters, sein Apostolat sowie die Frucht in den Seelen der Laien fördern.
Gefahr des „Pontifikalismus“ kein Argument gegen die Hierarchie in der Kirche
Gewiss, alles kann pervertiert werden. Der Priester ist ein Mensch und allen Gefahren ausgesetzt wie jeder Laie. Sein hohes Amt mag, statt in ihm eine tiefe Demut zu erwecken und ihn selbst wegen der unverdienten sakralen Würde seines Amtes zittern zu lassen und sich als „unnützer Knecht" zu fühlen, zu einem hochmütigen Genießen seiner Würde verführen. Er mag eine „pontifikale" Haltung einnehmen, in der er in einen rein natürlichen, säkularisierten Kastengeist verfällt. Aber die Möglichkeit eines Missbrauchs ist nie ein Grund zur Beurteilung des Wertes einer Sache. Jeder Beruf, jede Situation, jede Stellung, jede Beziehung zu anderen Menschen ist der Gefahr eines Missbrauchs, einer Pervertierung, einer Verzerrung ausgesetzt. Der Teufel ist der Affe Gottes. Soll vielleicht deshalb, weil jede Autorität missbraucht werden kann, jede Autorität abgeschafft werden? Sol! Demokratie abgeschafft werden, weil wir täglich einem Missbrauch derselben begegnen? Soll die Ehe abgeschafft werden, weil es sehr viele unglückliche Ehen gibt?
Säkularisierung und Entsakralisierung als Grund des „Beamtentums" in der Kirche
Eine besondere Ironie liegt aber darin, dass diejenigen, die die Verschiedenheit des Priesters (als Zölibatär) vom Laien dafür verantwortlich machen wollen, dass Priester eine „Kaste" bilden und auf den Laien herabblicken, vergessen, dass dies nur entstehen kann, wenn Priester den vollen sensus supranaturalis verloren haben. Sie sind in die pontifikale Haltung verfallen, weil sie den sakralen, übernatürlichen Charakter ihres Amtes nicht mehr verstehen, der fordert, dass sie das klare Bewusstsein haben einerseits, wie wenig sie diese heilige Würde ihres Amtes verdienen und anderseits, wie groß ihre tiefe Verantwortung vor Gott ist. Nicht die Verwischung des Unterschiedes des Priesters vom Laien - die dem Sinn und Wesen des Priestertums widersprechen würde -, sondern die Betonung des übernatürlichen Charakters dieses Amtes, die Vermeidung aller Säkularisierung, die Stärkung des sensus supranaturalis kann sie vor diesem Fehler bewahren. Dies ist der Geist, der den Träger der höchsten priesterlichen Würde, den Stellvertreter Christi auf Erden veranlasst, sich „servus servorum" zu nennen.
Den Zölibat deshalb abzulehnen, weil er den Unterschied von Priester und Laien zu sehr hervorhebt, und sie deshalb angeblich „trennt", verrät, dass hinter dem Kampf für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung im Grunde die unselige Säkularisierung steckt, das Erblinden für den sakralen Charakter des Priestertums. Es ist derselbe Geist, der den Priesterberuf als einen natürlichen Beruf unter anderen sieht und der darum auch das Recht der Priester, Gewerkschaften (Unions) zu bilden, geltend macht.
Wenn es wahr wäre, dass der Zölibat den Priester vom Laien trennt in dem Sinne, dass er das Vertrauen des Laien in den Priester vermindert (36) und sogar den Laien abstößt, so müsste das Verhältnis zum Priester in der unierten Kirche oder zum Popen der orthodoxen Kirche ein viel engeres sein als in der römischen Kirche. Das ist aber keineswegs der Fall, ganz im Gegenteil, die Hauptrolle spielen dort für das Volk die Ordensleute - man braucht nur an die Rolle des Staretz in Russland zu denken.
Es ist höchst charakteristisch, dass es meist dieselben Priester sind, die heute für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung eintreten und die eine Entsakralisierung der Kirche und des Priestertums anstreben. Sie haben das Verständnis für die Sakralität des Priestertums verloren. Sie sehen es als Ideal an, nicht nur den Unterschied von Priester und Laien zu verwischen, sondern vor allem den Unterschied von Priestertum und anderen Berufen. Sie betrachten es als Beeinträchtigung ihrer Rechte als Menschen und Bürger, wenn sie nicht, wie in anderen Berufen, „Interessenverbände" nach dem Muster der Gewerkschaften (Unions) bilden können, wenn sie nicht ihre Beziehung zum Bischof mehr und mehr im Lichte eines weltlichen Kontraktes erblicken dürfen und darum den ihm schuldigen Gehorsam als undemokratisch abschaffen können und durch den ersetzen, zu dem jeder Untergebene in einer weltlichen Organisation auf Grund seines Kontraktes verpflichtet ist. Merkwürdigerweise sind sich diese Priester, die bei jeder Gelegenheit gegen den Legalismus in der Kirche eifern, nicht bewusst, dass sie gerade durch die Entsakralisierung des Priestertums den Priester zu einem bloßen Beamten der Kirche machen. Sie verstehen nicht, dass Legalismus und Säkularisation tief zusammenhängen.
Es gab immer Sekten, die jede Form und juridische Struktur in der Kirche bekämpften und sie durch eine sogenannte rein charismatische Kirche ersetzen wollten, wie die Albigenser, Joachim de Fiore etc. Aber was sie anstrebten, war eher eine aller Autorität, aller Formen entkleidete Kirche, eine Art religiöser „Bohème". Bei den heutigen Feinden der „institutionellen Kirche", bei denen, die die Zölibatsverpflichtung der Priester (nicht den individuell frei erwählten Zölibat) als Legalismus bekämpfen, wird aber eine Angleichung des Priesters an andere, nicht sakrale Berufe angestrebt, in Wahrheit eine typische Verbürgerlichung des Priesters - und damit auch ein legalistischer Geist.
Die Konzentrierung auf das „Unum neccessarium", die Betrachtung aller Dinge der Welt im Lichte Christi und der Ewigkeit, zu der wir berufen sind, ist ein besonderes Privileg des Priesters. Gewiss, jeder Mensch ist dazu letztlich berufen. Aber er hat auch viele Verpflichtungen, die ihm die Eigengesetzlichkeit seines Berufes auferlegen, sei es nun als Arzt, als Staatsmann, als Professor, als Künstler, als Arbeiter usf. Dazu die eigengesetzlichen Aufgaben des Ehemanns, Vaters, der Ehefrau, der Mutter usw. Auch hier soll alles im Lichte Christi betrachtet werden und unter dem Gesichtspunkt unserer ewigen Bestimmung. Das letzte Wort hat immer dieser Gesichtspunkt über alle eigengesetzlichen Forderungen gemäß dem Worte Christi: „Wenn deine Rechte dich ärgert, dann haue sie ab und wirf sie von dir. Denn es ist besser für Dich, ein Glied zu verlieren als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde".(Matth. 5, 30). Und alle eigengesetzlichen Forderungen müssen in Christus umgestaltet und von ihm verklärt werden. Aber bei dem Priester sind die eigengesetzlichen Forderungen seines Amtes identisch mit dem unum necesssarium.
Mit dem Begriff Eigengesetzlichkeit verbindet man meist eine Gesetzlichkeit, die aus der Logik einer Sache, einer Tätigkeit stammt. Es widerstrebt einem, von einer moralischen oder religiösen Eigengesetzlichkeit zu sprechen, da es sich hier nie um die bloß neutrale Gesetzlichkeit handelt, die sonst immer vorliegt. All diese neutralen Bindungen sind hypothetischer Natur. Hier hingegen wollen wir sagen, dass in dem Priesteramt keine analogen Eigengesetzlichkeiten eine Rolle spielen wie bei dem Arzt, dem Wissenschaftler, dem Kaufmann und auch dem Ehemann und Vater. Das Thema seines Amtes fällt mit dem religiösen Thema zusammen. Er teilt mit jedem Christen, dass der letzte Sinn seiner Existenz, die raison dêtre seiner Existenz die Verherrlichung Gottes durch die Umgestaltung in Christus ist. Aber sein Amt, ein Diener der Kirche zu sein und Gott durch die Darbringung der Heiligen Messe zu verherrlichen, die Spendung der Sakramente und die Verkündung des Wortes Gottes - ist so eng mit dem für alle Christen primären Thema verbunden, dass es keine Eigengesetzlichkeit des Amtes gibt, die nicht auch zu der Sphäre des Absoluten, der Sphäre des Übernatürlichen gehört.
Richtige und falsche Berufung auf die Urkirche
Ebenso muss festgestellt werden, dass es falsch wäre, die Tatsache, dass der Zölibat der Priester in der Urkirche nicht obligat war, als Grund dafür anzuführen, dass er darum nicht besser und dem Amt des Priestertums entsprechender sein kann. So berechtigt es ist, auf den Geist, die Glut, die Glaubensstärke der frühen Kirche zurückzugreifen und die Haltung der Apostel als Vorbild vor Augen zu haben – wenn es sich um institutionelle Dinge handelt, d. h. um den Wert und die Angemessenheit einer Vorschrift, die ein Amt betrifft, so ist der Hinweis darauf, wie es am Anfang war, nicht in allem beweiskräftig.
In der Kirche finden wir nicht nur die Entwicklung vom Glauben, der implizite die wahre Offenbarung Christi umfasst, zu einer expliziten dogmatischen Formulierung, sondern auch eine Entfaltung des ursprünglichen Geistes in der Ausgestaltung des Kirchenrechts. Darum ist die entscheidende Frage nicht, wann im Lauf der Geschichte der Kirche etwas eingeführt wurde, sondern ob es dem Geist der Urkirche entspricht, ob es eine organische Auswirkung des Geistes Christi im Bereiche der formalen Ausgestaltung ist und ob es dem Wesen der Kirche mehr entspricht.
Ist der Zölibat dem Priester in der westlichen Kirche von außen, nur aus historischen Gründen auferlegt - oder ist er etwas, das dem Priestertum zutiefst entspricht, so dass er eine organische Auswirkung des Geistes des Priestertums ist - das ist die entscheidende Frage. Ist der Zölibat als solcher adäquater für den Priester, ist er die sinnvolle Konsequenz des Priestertums? Hat er einen hohen Wert und ist es objektiv wünschenswerter, wenn der Priester nicht verheiratet ist?
Die Einwände gegen die Zölibatsverpflichtung von Wendelin Kellner verraten deutlich eine Schau, in der der Sensus supranaturalis völlig verloren gegangen ist. Zu behaupten, dass die evangelischen Räte nur Aspekte des gemeinsamen Lebens sind, zeigt, dass die erhabene Bedeutung der gottgeweihten Jungfräulichkeit völlig verkannt ist. Es ist völlig falsch, dass nur das Leben in Gemeinschaft die Ehelosigkeit sinnvoll macht. Hier tritt eine völlige Ahnungslosigkeit der Tiefe und Bedeutung der sinnlichen Sphäre gegenüber einerseits und dem Mysterium der totalen Hingabe an Christus anderseits hervor. All die erhabenen Worte der Kirchenväter über die gottgeweihte Jungfräulichkeit, all das, was die Seelen unzähliger Heiliger - Ordensleute und Weltpriester erfüllte, als sie die gottgeweihte Enthaltsamkeit erwählten, wird vergessen oder gar als überholt behandelt.(37)
KAPITEL 8: EHELOSIGKEIT DES PRIESTERS UND LIEBE
Von einigen Vorkämpfern für die Abschaffung des Zölibats wird sogar behauptet, durch die Ehe würde ein Priester eine Hingabe an andere Menschen kennen lernen, zunächst durch die Hingabe an die Frau, aber auch an die Kinder, die ihn befähigt, auch im Verhältnis zu den Seelen, um die er sich als Priester kümmern muss, eine größere Wärme, eine tiefere Hingabe und ein besseres Verständnis aufzubringen. Die Ehelosigkeit führe nicht nur leicht zu einem Junggesellenegoismus, sondern durch den Ausfall der Erfahrung dieser vollen Hingabe an die Ehefrau sei das Leben des Priesters verarmt, kühler, sein Herz sei weniger aufgeschmolzen.
Missverständnis der übernatürlichen Liebe
Diese Behauptung ist der typische Ausdruck einer völlig säkularistischen Einstellung und eines völligen Missverständnisses des Wesens der Caritas. Diejenigen, die das behaupten, haben vergessen, dass die Caritas, die sich von allen Formen natürlicher Liebe als etwas qualitativ ganz Neues unterscheidet – und erst recht von aller humanitären „Nächstenliebe" - nur in der Liebe zu Gott in Christus als personal vollzogener Akt sich konstituieren kann und muss. Nur Christus kann - und zwar in einer vollen Ich-Du-Gemeinschaft mit der individuellen Seele - unsere Herzen aufschmelzen und mit jener heiligen Güte erfüllen, die dann auch dem Nächsten in Liebe entgegenkommt, in jener heiligen Liebe, von der der heilige Paulus so wunderbar im Kap. 13 des ersten Korintherbriefes spricht.
Der Grad der Wärme und Hingabe des Priesters für die Seelen hängt ausschließlich davon ab, wie tief und lebendig seine Liebe zu Christus ist. Keine noch so große menschliche Liebe natürlicher Art – die wohl einen großen und sittlich erhebenden Einfluss auf die Person haben kann - kann je die Caritas zu dem Nächsten in unserem Herzen entzünden.
Zölibat aus Liebe zu Christus und Junggesellentum
Ein zweiter großer Irrtum, der dieser Behauptung zu Grunde liegt, ist das Übersehen des Abgrundes, der die Ehelosigkeit propter regnum coelorum von der bloß akzidentellen Ehelosigkeit oder gar dem „Junggesellentum" im negativen Sinn trennt. Wir haben auf diesen Unterschied schon ausdrücklich hingewiesen. Wir haben gesehen, welche Manifestation des Glaubens und der Liebe zu Christus im Zölibat, in der gottgeweihten Jungfräulichkeit oder Ehelosigkeit, enthalten ist. Jetzt müssen wir nur betonen, dass dieser radikale Unterschied offenbar von denen ganz verkannt wird, die sich von dem Verheiratetsein der Priester eine Steigerung der Hingabefähigkeit an die zu betreuenden Seelen erwarten.
Wir haben öfter darauf hingewiesen, dass die Caritas, die tiefe Liebe für den Nächsten, das letzte Interesse an den Seelen, ihrer Heiligung und ihrem ewigen Heil bei einem Eremiten viel größer sein kann als bei einem Priester, der Sekretär einer katholischen Wohlfahrtsorganisation ist. Sie manifestiert sich bei dem Eremiten im Gebet; aber es sollte für jeden gläubigen Katholiken klar sein, dass dieses Gebet nicht nur eine hochbedeutende letzte Aktualisierung dieser heiligen Liebe sein kann, sondern dass es auch eine große, wirksame Hilfe für die Menschen ist, für die er betet.
Aber das soll in keiner Weise heißen, dass der Eremit ein Vorbild für einen Pfarrer oder Seelsorger ist. Eremit zu werden, oder auch einem Orden wie dem Kartäuserorden anzugehören, ist eine große, wunderbare Berufung, aber eine seltene Berufung sui generis. Wir erwähnten den Eremiten nur, um zu zeigen, wie die Caritas sich in verschiedenster Form auswirken kann, je nach Berufung und dass der Grad der Caritas ausschließlich von dem Grad der Liebe zu Christus und der Umgestaltung in Christus abhängt.
Die Gefahr der Herzenskälte des Priesters: ihre Wurzeln und ihre Überwindung
Gewiss, wenn die Liebesgemeinschaft mit Christus nicht voll entfaltet ist, kann das Verhältnis des Priesters zu den ihm anvertrauten Seelen mehr und mehr den Charakter einer kalten Pflichterfüllung annehmen und sogar eine gewisse Härte des Herzens herbeiführen.
Dies ist eine typische Säkularisation des Priesterberufes, der nicht mehr in seinem einzigartigen, übernatürlichen, sakralen Charakter verstanden wird. Das ist wirklich eine legalistische Perversion, eine Verbeamtung.
Für die Überwindung dieser Verknöcherung des Herzens mag eine tiefe Freundschaft, wie die des heilige Augustinus zu Nebridius, Alypius und zu dem heiligen Paulinus von Nola oder wie die tiefe Liebe zu der Mutter bei Don Bosco oder die Liebe eines heiligen Bernhard zu seinem Bruder - eine große Hilfe sein. Es mag sein, dass eine tiefe natürliche Freundschaft ihn aus dieser „Verschlafenheit" des Herzens aufweckt oder dass sie, wenn sie schon vorher bestand, vor dieser Verknöcherung des Herzens bewahrt. Aber die Unterlage für eine größere Liebe, ein größeres Verständnis, eine tiefere Hingabe für die Seelen kann diese Freundschaft, diese natürliche Liebe niemals sein. Sie kann nur, wenn sie das Herz erweckt, die tiefere Beziehung zu Christus herbeiführen – und nur die tiefere Liebe zu Christus kann der Caritas, der Liebe zu den Seelen, der priesterlichen Hingabe neue Wärme zuleiten, ja, ihr Flügel geben. Ein direkter Weg von der natürlichen Liebe zu einer individuellen Person - ein „Ihm-gut-sein", kann nie direkt die Seele mit heiliger Güte für alle, für jeden potentiellen Nächsten füllen. Sie kann nur mit Gottes Hilfe ein Instrument zu einem Aufwachen der Seele bilden und so gleichsam zu einer neuen Bekehrung der Seele zu Christus führen. Die tiefere Hingabe an die Seelen, die seelsorgliche Wärme, der heilige Eifer für ihre Heiligung und ihr Heil kann nur von der direkten Beziehung zu Christus, von der Liebe zu Jesus ausgehen. Dafür sind alle Heiligen ein Beispiel.
Aber selbst für dieses eventuelle Erwecken des Herzens, das nicht sein muss, bedarf es in keiner Weise der Ehe. Jede Liebe schlechtweg, jede tiefe Anhänglichkeit und Verbundenheit mit einem andern Menschen kann diese Funktion erfüllen - aber es bedarf dazu weder der bräutlichen Liebe noch gar der Ehe. Der Zölibat, die Ehelosigkeit propter regnum coelorum ist weder für die Verknöcherung des Herzens verantwortlich, noch würde die Ehe als solche eine Garantie gegen diese Verknöcherung bilden. In wie vielen Ehen bleibt der Mann Egoist, oder er ist von seinem Beruf so ausgefüllt, dass sein Herz mehr und mehr einschläft, erkaltet!
Man kann nicht einmal sagen, dass ein Priester der Gefahr der Verknöcherung ausgesetzt sei, wenn er nie in besonderer Weise anderen Menschen in natürlicher Liebe zugetan war - nehmen wir an, seine Eltern sind früh gestorben oder sie haben ihm so wenig Liebe gezeigt, dass nie eine herzliche Beziehung zustande kam, und dass er später nie Menschen traf, die wahre Freunde waren - aber dann eine wahre Berufung zum Priestertum und dem Zölibat propter regnum coelorum erlebte. Nein, keineswegs – wenn eine brennende Liebe zu Jesus in seiner Seele lebt, wenn Christus sein Herz aufgeschmolzen hat, kommt es nicht zu dieser Verknöcherung.(38) Das einzige, was man betonen muss ist, dass tiefe Freundschaften - allerdings von Jesus umgestaltete, heilige Freundschaften - für einen Priester in keiner Weise ein Hindernis für die volle Hingabe an die Seelen bedeuten. Ein Verzicht auf sie ist, wie wir schon früher sahen, in keiner Weise im Zölibat enthalten.
Wir sehen also, wie ahnungslos und verkehrt die Behauptung ist, die Ehe würde den Priester die wahre Hingabe lehren, sein Verhältnis zu den Seelen würde dadurch wärmer, lebendiger, verständnisvoller werden.
KAPITEL 9: „INSTITUTIONELLE“ KIRCHE UND LIEBESKIRCHE
Mit dem Kampf gegen den Zölibat der Priester geht auch die Revolte gegen die institutionelle Kirche Hand in Hand. Die „Antipathie" gegen die sogenannte „institutionelle Kirche" wirkt sich ja auch darin aus, dass man autoritative formelle Verpflichtungen durch freiwillige Bindungen ersetzen möchte.
Formale und materiale Gemeinschaften
Ein wichtiger Unterschied im Reich der Beziehungen zwischen Menschen und im Reich der Gemeinschaften ist der von formal und material. Material und formal haben hier einen analogen Sinn wie in der Unterscheidung von formaler und materialer Ethik. „Material" hat offenbar nichts mit materiell zu tun und schließt keinerlei Beziehung zur Materie und der Welt der Körper ein. Es bedeutet qualitative Fülle - Inhaltsreichtum - gegenüber dem Inhaltsärmeren, aber scharf Konturierten, auf das der Terminus „formal" hinweist.
Die Beziehung des Vorgesetzten zu seinem Angestellten ist eine formale, die zweier Freunde eine materiale Beziehung. Die formale Beziehung entsteht durch soziale Akte (wie Versprechen, Kontrakte aller Art), die materiale erwächst aus der gegenseitigen Stellungnahme, Achtung, Liebe.
Uns interessiert aber in diesem Zusammenhang vor allem der Unterschied von formalen und materialen Gemeinschaften.
Ein Verein ist eine rein formale Gemeinschaft – ein Freundeskreis eine rein materiale. Der Verein ist juridisch fassbar und ist sogar ausgesprochenerweise in der Welt rechtlicher Gebilde beheimatet. Er entsteht durch einen sozialen Akt von zwei oder mehreren Personen. Er hat bestimmte Regeln, die seinen Zweck umschreiben, die Struktur des Vereins, die Kompetenz des Vorsitzenden und anderer Funktionäre. Der Beitritt zum Verein geschieht wiederum durch einen sozialen Akt. Ob die Mitglieder des Vereins in freundschaftlicher Beziehung zueinander stehen oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Realität dieser Gemeinschaft. Es genügt, dass sie dem Verein beigetreten sind und den gemeinsamen Zweck des Vereins anstreben und die Regeln des Vereins einhalten.
Der Freundeskreis unterscheidet sich deutlich von dieser rein formalen Gemeinschaft. Er ist als solcher nicht juridisch fassbar, er ist kein rechtliches Gebilde. Regeln spielen keine Rolle. Er hat nicht die klar umrissene Form des Vereins. Aber er ist ein ungleich reicheres, tieferes Gebilde. Das einheitsbildende Prinzip sind weltanschauliche Dinge und die persönliche Stellungnahme, die Sympathie, Achtung und Liebe sind das Band, das die Freunde zusammenhält. Der Freundeskreis entsteht nicht durch soziale Akte, er wird nicht in einem bestimmten Moment gegründet, sondern er entwickelt sich organisch durch das Zusammensein von Menschen, die sich verstehen, die durch gemeinsame Interessen geistiger Art verbunden sind und die sich allmählich immer näher kommen. Hier gibt es keinen Vorsitzenden. Wohl aber kann eine Persönlichkeit auf Grund ihrer Bedeutung der Mittelpunkt der Freunde sein.
Dem Freundeskreis kann man nicht durch einen sozialen Akt beitreten, sondern jemand wächst in ihn hinein, indem er von der geistigen Atmosphäre dieses Kreises und den einzelnen Personen, die den Kreis bilden, angezogen wird und auch sie ihn mit Sympathie, Achtung und Liebe aufnehmen.
Aber der Unterschied von formaler und materialer Gemeinschaft tritt nicht immer so drastisch zu Tage wie in den bei den angeführten Fällen. Es gibt formale Gemeinschaften, die viel gehaltvoller und tiefer sind als ein Verein, z. B. der Staat. Der Staat ist trotzdem eine formale Gemeinschaft im Unterschied von der Nation, die eine materiale, kulturelle Gemeinschaft ist. Wenn sie beide im Umfang zusammenfallen, z. B. ein Staat eine ganze Nation um fasst und nur diese Nation, dann tritt zwar eine innige Verbindung beider auf, aber ohne den prinzipiellen Unterschied der beiden Gemeinschaften aufzuheben. Endlich gibt es Gemeinschaften, bei denen ein und dieselbe Gemeinschaft materialen und formalen Charakter hat wie z. B. die Ehe und die Familie.(39)
Gemeinschaften, die material und formal zugleich sind
Es gibt aber materiale Gemeinschaften, die ihrem Wesen nach auch nach einer ihnen gemäßen „Form" verlangen. Oder, wie wir konkreter sagen können, es gibt Gemeinschaften, zu denen es gehört, im eminenten Sinne eine materiale und formale Gemeinschaft zu sein, wobei das materiale und formale Element nicht nebeneinander stehen, sondern organisch ein Ganzes bilden. Dies ist z. B. bei der Familie der Fall. Diese materiale Liebesgemeinschaft verlangt nach einer klaren äußeren Form, die auch juridisch fassbar ist.
Es gilt nun zweierlei zu verstehen:
Erstens: Der Wert des Formalen einer Gemeinschaft. Die formale Gemeinschaft, das formale Element, trägt auch einen hohen Wert in sich und ist nicht nur ein utilitarisches Zugeständnis. Im Falle des Vereins ist der Wert des formalen Elementes noch sehr dürftig. Aber wenn wir an die klare, scharf umrissene Struktur eines Staates denken, tritt die Würde des formalen Elements - in seinen Gesetzen, in seiner Ordnung und seinen, der Gerechtigkeit und Sicherheit, dem bonum commune dienenden Struktur klar hervor. Welch ein Übel ist die Anarchie!
Zweitens: Der Wert der organischen gegenseitigen Durchdringung des Formalen und Materialen in einer Gemeinschaft. Wir müssen sehen, dass es ein Zeichen besonderer Vollkommenheit einer Gemeinschaft ist, wenn sie zugleich materiale und formale Gemeinschaft ist, wenn sich das Formale und Materiale organisch durchdringen und das Formale die adäquate, von dem Sinn der materialen Gemeinschaft: geforderte Form ist. Dies ist in der höchsten natürlichen Gemeinschaft der Ehe deutlich zu sehen. Der soziale Akt des Konsensus ist ein Ausdruck der bräutlichen Liebe. Die bräutliche Liebe zielt wesenhaft auf die feierliche formale Bindung ab. Das formale Element ist nicht unorganisch aufgestülpt auf die materiale Liebesgemeinschaft der Ehe, sondern wesenhaft: intendiert und organisch aus ihr erwachsen.
Dasselbe gilt für einen religiösen Orden. Aber in der Heiligen Kirche erreicht die Durchdringung von materialer und formaler Gemeinschaft ihren Höhepunkt. Zu dem corpus Christi mysticum gehört auf Erden wesenhaft die sichtbare Kirche, die hierarchisch strukturierte Kirche und das kanonische Recht. Schon bei den Aposteln und vor allem bei der Einsetzung des heiligen Petrus als „Haupt" der Kirche, ist das formale Element der heiligen Kirche vorhanden. Nur ein hoffnungsloser metaphysischer Bohêmien kann an dem institutionellen Charakter der Kirche Ärgernis nehmen und die glorreiche, vom Geiste der Übernatur gezeichnete „Form" der Kirche mit weltlichen Institutionen verwechseln. Der Unterschied von der Kirche und allen natürlichen Gemeinschaften besteht nicht darin, dass sie keine äußere Form hat, dass sie nicht „institutionell" ist, sondern darin, dass sie übernatürlichen Ursprungs ist.
Die Gefahr des lnstitutionalismus und Legalismus
Alle Fehler und Unvollkommenweiten von Personen, die Ämter in der Kirche bekleideten, z. B. der Legalismus, den viele der „institutionellen" Kirche vorwerfen, sind nicht Folgen der Tatsache, dass die Kirche nicht nur „Liebeskirche", sondern auch „Rechtskirche" ist, dass sie, wie es früher oft bezeichnet wurde, petrinisch und nicht nur johanneisch ist, sondern der Unvollkommenheit von Personen, die Ämter in der Kirche bekleideten. Wenn ein Legalismus in der Kirche vorlag, so war dies nur eine Folge der Säkularisierung des Geistes derjenigen, die die institutionelle Kirche wie irgend eine rein natürliche formale Gemeinschaft, z. B. den Staat, verwalteten. Aber selbst der Staat ist nicht notwendig legalistisch. Legalismus ist keine Charakteristik eines Gemeinschafts-Gebildes, sondern der Geisteshaltung einer Person, die ein Amt in bürokratischem Geiste verwaltet, nur am Buchstaben hängend und den Geist nicht beachtend. Bei dem Legalismus in der Kirche tritt aber noch hinzu, dass auch der entscheidende Unterschied von natürlicher und übernatürlicher Gemeinschaft nicht berücksichtigt wird. Legalismus ist hier immer zugleich eine Folge der Säkularisierung. Wir brauchen nur an die vielen heiligen Päpste, z. B. einen Gregor I. zu denken, um die ganze Glorie der „institutionellen" Kirche zu erfassen. Dieser Papst durchdrang die Heilige Kirche auch in ihrer formalen Struktur mit dem Geiste Christi. So verstehen wir, welche beseligende Steigerung in der Realisierung des corpus Christi mysticum auf Erden die institutionelle Kirche darstellt. Wir verstehen, wie die klare, juridisch umrissene Form - die immer auch in gewissen natürlichen Gemeinschaften einen bestimmten Wert in sich trägt - hier als „Außenseite" der Heiligen Kirche, der Braut Christi, einen einzigartigen Wert besitzt, eine neue Dimension des Einbruchs der Übernatur in diese Welt. Die sogenannte „johanneische" Kirche ist in Wirklichkeit ein vages Gebilde, das in typischer Weise immer wieder bei gewissen Häretikern als Ideal auftritt, z. B. bei Joachim de Fiore. Wer die Kirche wahrhaft liebt, wer ihren übernatürlichen Charakter versteht, der liebt auch die „institutionelle Kirche", er erfasst das unfassbare Geschenk, das sie darstellt und für ihn leuchtet auch aus dieser formalen Struktur, aus der Existenz des Kirchenrechtes das Wirken des Heiligen Geistes.
Wer einerseits die beglückende Größe der heiligen „Form" der sichtbaren Kirche in ihrer tiefen unlösbaren Verbundenheit mit dem corpus Christi mysticum und anderseits ihre radikale Verschiedenheit von allen bloß natürlichen, formalen Gemeinschaften erkennt, der sieht auch, wie die Größe des Priestertums notwendig auch die formale Struktur der heiligen Kirche voraussetzt und wie alle Versuche, den Priester von, der rechtlichen Verwurzelung zu lösen, im Grunde auf die Zerstörung des Wesens des Priestertums hinauslaufen.
KAPITEL 10: SCHLUSS
Die Enthaltsamkeit propter regnum coelorum, der Zölibat der Priester, ist, wie wir sahen, eine einzigartige Manifestation des Glaubens und der Liebe zu Christus. Dasselbe gilt aber auch für das Priestertum. Wenn man dies bedenkt, ist es offenbar unmöglich, den Zölibat von einem rein natürlichen Standpunkt aus zu betrachten und den Faktor der Gnade Gottes auszuschalten. Wenn man nur all die psychologischen Faktoren hervorhebt, die Schwierigkeit der Durchführung der Enthaltsamkeit, den Kampf gegen geschlechtliche Versuchungen, die eventuelle Verbitterung und Verknöcherung, aber nicht die besondere Gnade, die Gott denen gibt, die sich ihm in dieser heroischen Weise übergeben, verfälscht man die objektive Sachlage.(40) Wenn wir nämlich den Faktor der Gnade Gottes ausschalten, der Hilfe, die er denen verleiht, die die Enthaltsamkeit bzw. Ehelosigkeit propter regnum coelorum erwählen, dann ist auch die Voraussetzung für die Wahl des Priesterstandes gefallen. Erstens verliert der Priesterstand seinen Sinn völlig, wenn ich die Welt und das Leben in einem rein natürlichen Licht sehe und mit der Hilfe Gottes, ja mit der Existenz des allmächtigen Gottes, seiner unendlichen Liebe und Barmherzigkeit zu uns, nicht mehr rechne. Dann wird auch der Ruf Gottes zum Priesterstand eine Illusion. Wenn jemand wirklich annimmt, dass dieser Ruf eine Realität ist, dann muss er auch mit der Hilfe und Gnade Gottes rechnen, die ihm helfen wird, alles was dieser Stand von ihm verlangt, erfüllen zu können. Wie könnte er es anders wagen, sich zum Priester weihen zu lassen, all die große Verantwortung auf sich zu nehmen, die dieses sakrale, hohe Amt voraussetzt. Und dasselbe gilt für den Ruf zum Zölibat. Auch hier kann der Ruf Gottes nicht von dem Glauben an die besondere Gnade Gottes getrennt werden, die Gott denen schenkt, die er dazu berufen hat. Aber auch die tiefe Affinität, die zwischen Priestertum und Zölibat besteht, kann nur der verstehen, der mit der Gnade Gottes, mit der göttlichen Hilfe rechnet, die für beide, Priestertum und Zölibat, eine unbedingte Voraussetzung ist.
Für die, die diesen entscheidenden Faktor weglassen, wird der Priesterstand ein Beruf unter anderen, wie der des Arztes, des Lehrers, des Forschers. Der Beruf zum Priesterstand wird bei ihnen reduziert auf das Interesse und die Anziehung, die für sie der Priesterberuf hat. Das Wirken des Priesters wird mehr im Sinne des Wohltäters für die Menschen als im Sinne des sakralen Dieners Gottes und seiner auf die Verherrlichung Gottes und das ewige Heil der Menschen gerichteten Heiligen Kirche gesehen. Sobald man diese säkularisierte Auffassung des Priesterstandes hat und den Zölibat nur als unnötigen Ballast ansieht, hat man die Voraussetzung für das wahre Verständnis des Priestertums, des Zölibats und auch der Beziehung, die zwischen beiden besteht, verloren:
„Vor allem betrübt es Uns, dass ... manche irrtümlich wähnen, die Katholische Kirche habe vor oder halte es für angebracht, das Gesetz des kirchlichen Zölibats abzuschaffen, das Jahrhunderte hindurch der herrliche und strahlende Schmuck des Priestertums war und ist. Das Gesetz des Zölibats und die Sorge um seine treue Beobachtung erinnern immer wieder an die denkwürdigen und berühmten Auseinandersetzungen jener Zeiten, in denen die Kirche Gottes hart zu kämpfen hatte und einen dreifachen Sieg davontrug; denn es ist das Kennzeichen für den Sieg der Kirche Christi, alle Kräfte aufzubieten, um frei, rein und katholisch zu sein." (Papst Johannes XXIII.: All. sec., 26. Januar 1960. A. A. S. 52, 1960, S. 226).
Wir wollen diese Betrachtung über den Zölibat abschließen mit dem tiefgefühlten Dank an unseren Heiligen Vater, Papst Paul VI., dass er trotz aller Anstürme, die Zölibatsverpflichtung für die Priester aufzuheben, diese heilige Tradition aufrecht erhält. Jeden Katholiken, der die heilige Kirche wahrhaft liebt und der sie in ihrem Charakter als übernatürliche Institution versteht, müssen die folgenden Worte des Heiligen Vaters Paul VI. mit tiefer Freude und Dankbarkeit erfüllen:
„Wir meinen daher, dass das bestehende Gebot des Zölibats auch jetzt noch mit dem priesterlichen Amt verbunden sein muss; es muss dem Priester eine Stütze sein bei seinem Entschluss, sich ganz, für immer, einzig und allein der Liebe Christi zu weihen und sein ganzes Wirken der Gottesverehrung und dem Wohl der Kirche zu schenken. Die Zölibatsverpflichtung muss kennzeichnendes Merkmal für den Stand und die Stellung des Priesters sein, und zwar sowohl in der Gemeinde der Gläubigen als auch in der weltlichen Gemeinschaft."(41)
Anmerkungen
1 Gilson erwähnt in seiner „Philosophie medievale“ verschiedene Theologen, die um 1250 dieselben Ideen vertraten wie Bultmann und manche von ihm beeinflusste katholische Theologen.
2 Roger Schütz, der Prior des evangelischen Klosters Taizé, schreibt: „O Kirche Christi, solltest du zu einem säkularisierten Ort geistlicher Ode werden, zur grauen Stätte weltlicher Anpassungsformen, der Zeichen der Begegnung mit dem Auferstandenen beraubt, Salz ohne Kraft!" (In: Der Zölibat. Hrsg. Fr. Boeckle. Grünewaldreihe, S. 97).
3 Die Ersetzung von Christus durch „Messias ist eine Verdeckung der Gottheit Christi. Man wählt denselben Ausdruck wieder, der auch den „Erlöser“ bezeichnet, den die orthodoxen Juden stündlich erwarten und der trotz aller Unbestimmtheit doch die Gottheit ausschließt. Man tut, als ob man darin wahrer und historisch exakter wäre. Aber in Wahrheit reduziert man den ganzen Unterschied zwischen dem Glauben der orthodoxen Juden und dem der Christen auf den, als ob die einen Jesus von Nazareth für den Messias halten, während die Juden ihn nicht für den Messias halten. Das ist aber eine Verfälschung des christlichen Glaubens und auch der Schau der Apostel schon in dem Bekenntnis Petri (Matth. 16, 13-19) und vor allem aller Apostel nach Pfingsten.
4 Nun muss für viele Gebilde hierbei ein wichtiger Unterschied gemacht werden. Es gibt unerlässliche Bedingungen, die im Wesen einer Sache begründet sind oder die notwendig und wesenhaft mit ihr verknüpft sind. So fundiert das Versprechen, -d er Akt des Versprechens - eine Verbindlichkeit gegenüber der Person, der man es verspricht oder, wie wir auch sagen können, verleiht ihr ein Recht auf das Versprochene. Im Unterschied davon ist die Tatsache, dass in manchen Ländern nur das geschriebene Versprechen rechtsgültig ist, ein in diesen Ländern zwar für die Realisierung der Verbindlichkeit konstitutives Element, aber nicht ein notwendig und wesenhaft mit der Verbindlichkeit des Versprechens verknüpftes. Die Beziehung von Versprechen und Verbindlichkeit besteht vor allem positiven Recht und unabhängig davon. Aber es ist die eigenartige, im Wesen der gesetzgebenden Autorität gelegene Fähigkeit, das Realwerden, den gültigen Bestand gewisser Gebilde von Bedingungen abhängig zu machen, die nicht im Wesen der Gebilde fundiert sind. Die gesetzgebende Autorität kann aber nicht in gültiger Weise die wesensmäßigen Voraussetzungen und Beziehungen ignorieren und noch weniger durch ein positives Gesetz ihnen widersprechen. Sie kann nur Bedingungen hinzufügen, unter denen die wesensmäßig fundierte Beziehung sich auswirkt - unter denen, in unserem Beispiel, die Geburt der Verbindlichkeit durch das Versprechen sich voll wirksam vollziehen kann. A. Reinach hat all dies in seinem Meisterwerk: „Das Apriori im Bürgerlichen Recht" (München 1953) klar und eindeutig nachgewiesen. In unserem Zusammenhang kommt es darauf an zu sehen, dass die konstitutiven Bedingungen, die im Wesen fundiert sind, unwandelbar sind, während die in der gesetzgebenden Autorität hinzugefügten konstitutiven Bedingungen - wie alle positiven Gesetze - prinzipiell wandelbar sind. Und ferner, was den Unterschied von wesenhaft konstitutiv und nur positiv gesetzlich konstitutiv betrifft, so ist z. B. der Konsensus wesenhaft für die Ehe vorausgesetzt. Ohne Konsensus kann und könnte nie und unter keinen Umständen eine Ehe zustandekommen. Die Beziehung von Konsensus und Ehe ist eine wesenhafte, notwendige, unwandelbare. Aber die Tatsache, dass im Unterschied zu früheren Zeiten in der Kirche die gültige Ehe nicht nur den vor einem Zeugen ausgesprochenen Konsensus voraussetzt, sondern einen vor dem Priester in einer katholischen Kirche ausgesprochenen Konsensus, ja eine von ihm eingesegnete Eheschließung erfordert, ist nicht im Wesen der Ehe gelegen, sondern entstammt der gesetzgebenden Autorität der Kirche, d. h. sie gehört zu den positiven Gesetzen in der Kirche und ist darum prinzipiell wandelbar.
5 VgI. dazu auch mein Buch: Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes, Regensburg, 1969 (4. Auflage), Kap. 5, 12, 25.
6 VgI. Papst Paul VI: Enz. Sacerdotalis Coelibatus 17: „Tatsächlich ist, wie das Zweite Ökumenische Vatikanische Konzil erklärt hat, die Jungfräulichkeit „nicht vom Wesen des Priestertums gefordert, wie die Praxis der frühesten Kirche und die Tradition der Ostkirche zeigt“ (Decr. Presbyterorum Ordinis, n. 16).
7 Die Forderung der Abschaffung der Verpflichtung der Priester zum Zölibat wird aber bei manchen nicht nur im Namen des Überholtseins erhoben, sondern die Verpflichtung wird sogar als „Adiaphoron" hingestellt, als ob es sich dabei um eine unwesentliche, mehr oder weniger bürokratische Sache handle. Die Zölibatsverpflichtung wird auch von manchen mit der Frage verglichen, die bei den Aposteln eine Rolle spielte, ob alle jüdischen Gesetzesvorschriften für die Heidenchristen bindend gelten sollten, bzw. ob sie eine Voraussetzung für die Aufnahme der Heiden in die Kirche Christi seien. Und dann appelliert man an die Auffassung des heiligen Paulus, die er erfolgreich durchsetzte. Dieser Vergleich hinkt aber, wie man leicht sehen kann. In dem einen Fall - der Verpflichtung zum Zölibat - handelt es sich um etwas, das ausdrücklich eingeführt wurde, weil es dem Sinn und der Mission des Priesters mehr entspricht und das, wie wir sehen werden, einen hohen bleibenden Wert besitzt, im andern Fall um ein Element, das mit dem christlichen Glauben und der Zugehörigkeit zur christlichen Kirche nicht innerlich zusammenhängt. Die Abschaffung dieser Vorbedingung, die vom Standpunkt der christlichen Offenbarung keinen Wert mehr hatte, war ein normales Element in dem Prozess der Herauskristallisierung der heilige Kirche. Außerdem handelt es sich bei der Aufnahme in die Heilige Kirche um einen Ruf, der an alle erging. Gemäß dem Worte Christi: „Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie. ..", ist jeder Mensch verpflichtet, diesem Ruf zu folgen. Die Zugehörigkeit zur Heiligen Kirche von etwas abhängig zu machen, was nur im Laufe der Entwicklung der Heilsgeschichte mit der christlichen Offenbarung verknüpft war, aber durch sie offenbar überholt war, kann nicht mit dem Zölibat der Priester verglichen werden. Denn der Ruf zum Priestertum ist nicht an jeden gerichtet und keine Vorbedingung zur Nachfolge Christi und zur Zugehörigkeit zu seinem Mystischen Leibe. Die Beziehung der Zölibatsverpflichtung in der westlichen Kirche zum Priestertum, als etwas, das seinem Sinn und Wesen adäquater ist, kann darum offenbar nicht mit den jüdischen Gesetzesvorschriften für die Heidenchristen verglichen werden.
8 So sagte mir ein Ordensmann in Amerika: wie sollen wir nicht zugeben, dass moralische Gebote sich wandeln, wenn das Fleischessen am Freitag vor dem Konzil noch eine schwere Sünde war, jetzt aber erlaubt ist. Diese Verwechslung von bloß positiven Kirchengeboten, die ihrem Wesen nach prinzipiell aufgehoben werden können und moralischen Geboten, die in der Unveränderlichkeit und Unwandelbarkeit der sittlichen Werte und letzten Endes in Gottes Wesen selbst begründet sind, spricht Bände.
9 Gewiss, es ist eine in vielen Menschen wurzelnde Gefahr, das immer Gewohnte für absolut und unwandelbar zu halten. Wie viele Menschen nicht das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden können, so gibt es auch viele Menschen, die, weil sie an etwas gewohnt sind und es nie anders erlebt haben, dies auf eine Stufe mit dem wesenhaft Unwandelbaren stellen. Ja, sie fragen auch nicht mehr, ob es einen Wert hat oder nicht, sie behandeln es so, als sollte es nie abgeschafft oder verändert werden - mit einem Wort, sie behandeln es so, als ob es einen hohen Wert hätte. Dies ist sicher eine Quelle vieler schwerer Irrtümer. Aber auf der anderen Seite gibt es sicher auch viele Menschen, die sich von dem Wechsel der Zeiten so beeinflussen lassen, dass sie das Neue, Moderne von vornherein für eine Verbesserung halten, und die den hohen Wert vieler Dinge, die nicht verändert werden sollten, nicht verstehen. Sie glauben vielmehr, dass derjenige, der für die Aufrechterhaltung kämpft, nur ein Sklave der Gewohnheit sei. Es sind die Menschen, die mit dem Zeitgeist schwimmen und von der Dynamik der in der Luft einer Zeitepoche befindlichen Ideen mitgerissen werden. Es gibt aber auch viele Menschen, die sich an der „Bewegung“ als solcher berauschen („Bewegung ist alles, das Ziel ist Nebensache“, sagte man in vielen Jugendbewegungen vor dem Zweiten Weltkrieg), jede Änderung erscheint ihnen als Sieg über Verknöcherung, als das Einströmen frischer Luft.
10 Sie wird nur in dem Augenblick nicht wirksam, indem ein Priester beim Sprechen der Konsekrationsworte nicht die Intention der Kirche hat, also etwa, wenn er in blasphemischer Absicht oder nur als ein reines Symbol Brot und Wein „konsekrieren" wollte.
11 Auch für ihn gilt, was Kardinal Newman über die Kirche sagt: „Die Kirche zielt nicht darauf, eine Schaustellung zu geben, sondern ein Werk zu vollbringen. Sie betrachtet diese Welt und alles, was in ihr ist, als einen bloßen Schatten, als Staub und Asche, verglichen mit dem Wert einer einzigen Seele. Sie hält dafür, dass es keinen Zweck für sie hat, irgend etwas zu tun, wenn sie nicht, auf ihre Weise, Gutes für die Seelen tun kann; sie sieht das Tun dieser Welt und das Tun der Seele als einfach inkommensurabel an, wenn man sie ihrer verschiedenen Ordnung nach betrachtet; sie würde lieber die Seele eines einzigen wilden Räubers in Kalabrien oder eines winselnden Bettlers von Palermo retten, als hundert Eisenbahnlinien kreuz und quer durch ganz Italien ziehen oder in allen Einzelheiten eine gesundheitliche Reform in jeder Stadt Siziliens durchführen, es sei denn, diese großen nationalen Werke bezwecken darüber hinaus ein geistliches Gut.“ (John Henry Cardinal Newman, “Die Kirche und der Zustand der Welt-, Herder 1949. - Difficulties of Anglicans, Vol. I.)
12 Sacerdotalis Coelibatus, n. 28.
13 a a. a. O., n. 76.
14 Mein Buch „Die Ehe“ Ars Sacra Verlag, Josef Müller, München 1929. Seite 5, 6.
15 Ansprache vom 29. X. 1951, A. F. Utz, Soziale Summe Pius' XII., Freiburg/Schweiz, 1954, Nr. 1086.
16 ibidem.
17 ibidem.
18 Roger Schütz, Prior von Taizé, schreibt (in: Zölibat. Hrsg. Fr. Boeckle, Grünewaldreihe, S. 101): „Das Wort ,ich liebe dich', das wir zu Christus sagen, legt uns nahe, unsere Intention mit einer Geste, einer Tat deutlich zu machen, sonst bleibt es leerer Buchstabe. Ihm zuliebe gilt es, bei jedem Kampf in uns zu brechen, was gebrochen werden muss, selbst wenn wir dadurch vorübergehend in unseren Lebenskräften gezeichnet sein sollten. Die Intimität mit ihm wird unsere Einsamkeiten ausfüllen, die von nun an besiedelt sind. Mit ihm wird sie zur Vereinigung und Stärkung in einem Glauben, der Berge versetzen kann.“
19 Das jungfräuliche Leben ist das Bild jener Glückseligkeit, die uns in der zukünftigen Welt erwartet." (HI. Gregor von Nyssa. De Virginitate, 13: P. G. 381-382). Vgl. Sacerdotalis Coelibatus, n. 39.
20 Dass man bei einer tiefen Sammlung im inneren Gebet, in einer heiligen Entspannung, einschlafen kann, wenn man sehr müde ist, hebt den radikalen Unterschied von tiefer Sammlung in Gott - in der die uns umgebende Welt versinkt – und dem Schlafen in keiner Weise auf. Es ist eine generelle Anfälligkeit der menschlichen Natur, dass man von einer Haltung in die entgegengesetzte gleiten kann und es ist ein typisches Missverständnis, wenn Psychologen aus dieser zeitlichen Nähe, aus diesem Hinübergleitenkönnen irgend eine Wesensverwandtschaft machen. Sie haben den Sinn für Wesensunterschiede so verloren, dass sie nicht nur aus kausalen Beziehungen z. B. zwischen physiologischen und psychischen Vorgängen - schließen, dass beide im Grunde dasselbe sind, nicht nur aus bloßen Voraussetzungen Ursachen machen, sondern sogar aus der bloßen Tatsache eines möglichen Hinübergleitens eine Identität entgegengesetzter Haltungen ableiten. Wir können aus tiefer Konzentration in völlige Zerstreuung verfallen, wir können im tiefsten Ergriffenwerden von einem großen Kunstwerk plötzlich in eine Analyse unseres Erlebnisses verfallen - wir sind ja ständig in Gefahr, aus der Tiefe in die Peripherie zu gleiten. Es ist eine bekannte Tatsache, dass man gerade in tiefen, ernsten Momenten durch etwas Komisches besonders zum Lachen gereizt wird.
21 Es ist eine typische Gefahr im Menschen, sich für realistischer, nüchterner, illusionsfreier zu halten, wenn er Dinge in ihrer akzidentellen Verflachung sieht, weil sie oft so vorkommen. Gewiss, es gibt auch eine Gefahr, in alle Dinge eine Tiefe hineinzugeheimnissen. So ist die Vergottung der Geschichte heute weit verbreitet und viele hören in jedem Unsinn, in jeder flachen Theorie, die aus irgend einem Grund populär wird für eine gewisse Periode, in jedem Niedergang der Kultur den Weltgeist atmen. Die bloße Tatsache, dass etwas eine gewisse geschichtliche Realisierung findet, wird schon als Beweis dafür angesehen, dass es etwas Tiefes und Bedeutsames sei. Diese in Deutschland besonders verbreitete Gefahr ist verhängnisvoll und führt im Grunde zu einem Nihilismus - denn wenn alles, was in der Geschichte vorkommt, schon tief ist, weil es vorkommt, dann gibt es keinen Unterschied zwischen hoch und niedrig, tief und platt, wahr und falsch, gut und böse, heilig und profan mehr. Aber in unserem Zusammenhang, in der Frage des Wertes und der Bedeutung des Zölibats für die Priester, ist es vor allem die Gefahr, alles à la baisse zu sehen und alles für umso wirklicher und eindeutiger erkennbar zu halten, je niedriger es metaphysisch steht. Es ist die Haltung dessen, der in seiner ehrfurchtslosen Plattheit alle großen, hohen Dinge für eine Illusion hält und glaubt, er könne überall hinter die Kulissen sehen. Man muss an das berühmte Wort Lichtenberg´s denken: wenn ein Affe den heiligen Paulus lesen konnte, so würde ihm auch aus den Werken des heiligen Paulus ein Affe entgegenschauen.
22 Roger Schütz, der Prior des evangelischen Klosters Taizé, schreibt ( in: Der Zölibat, Hrsg. Fr. Boeckle, Grünewald-Reihe; S.99): „Christus anzugehören, verlangt einen Bruch. Auch eheliche Treue ist Bruch. Sie bekräftigt, dass eine Wahl vollzogen ist. Außerhalb der Zelle, die die Ehe bildet, lässt sie keine anderen Beziehungen gleicher Art mehr zu. Und der Bruch, den der Zölibat bewirkt, ist noch stärker akzentuiert."
23 „Der Priester darf durchaus nicht meinen, die Priesterweihe mache ihm alles leicht und schütze ihn für immer vor jeder Versuchung oder Gefahr. Die Keuschheit erwirbt man nicht ein für allemal, sondern sie ist eine Tugend, die in großer Mühe und täglicher Übung errungen wird ... Um das Gut der Keuschheit mit aller Sorgfalt zu hüten und die erhabene Würde dieser Tugend ohne Rückhalt zu bezeugen, muss der Priester seine Situation klar und ruhig erwägen, das heißt, er muss wissen, dass er dem geistlichen Kampf gegen die Verlockungen der Begierden in sich selbst und in der Welt ausgesetzt ist; er muss außerdem unablässig den Vorsatz erneuern, mehr und mehr seine unwiderrufliche Selbsthingabe, die ihn zu vollkommener und aufrichtiger Treue verpflichtet, zu verwirklichen.“ (Sacerdotalis Coelibatus, n. 73).
24 Aber der Terminus Charisma hat hier eine andere Bedeutung als z. B. im Falle mystischer Gnaden, wunderbarer Heilung, Ubiquitas oder prophetischer Erkenntnis. Denn im Falle der Berufung zum Priestertum oder zur gottgeweihten Jungfräulichkeit liegt nicht dieselbe Außerordentlichkeit vor. Es liegt nicht in unserer Absicht, auf diese theologische Frage einzugehen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass das Charisma für die Berufung zum Priestertum und für den Zölibat nicht einen außerordentlichen Eingriff Gottes einschließt, wie es z. B. die Stimme Jesu war, die der heiligen Paulus auf den Weg nach Damaskus hörte oder wie irgendeine Wundergabe.
25 Wenn dies auch in demokratischen Ländern heute nicht mehr in dem Maß eine Rolle spielt wie zur Zeit des heiligen Gregor VII., so könnte die Rücksicht auf herrschende politische Strömungen auch heute Kompromisse um der Kinder willen nahe legen. Dies gilt in erhöhtem Maß für die Länder hinter dem Eisernen Vorhang und galt für das Nazideutschland.
26 Wenn wir hier sagen, der Besitz lege keine Verpflichtungen auf wie die Ehe, so meinen wir natürlich nicht, dass Besitz nicht auch für den Priester die Verpflichtung enthält, sein Vermögen nicht zu verschwenden, sondern das, was er über das Nötige hinaus besitzt, dafür zu verwenden, anderen, bedürftigen Menschen zu helfen. Die Aufgabe, sein Vermögen sinnvoll und vorsichtig anzulegen, kann er auch einem sachkundigen vertrauenswürdigen Freund überlassen. Und wir denken ja auch hier nicht an Priester, die über ein großes Vermögen verfügen - ein seltener Fall - sondern an den Unterschied zwischen heiliger Armut und einem bequemen, guten Auskommen. Hier wird noch klarer, was wir oben sagten: Das gute Auskommen mag eine Versuchung zur Verweltlichung enthalten, aber der Priester hat ihm gegenüber keine Verpflichtung - außer der allgemeinen, es nicht zu verschwenden - eine Verpflichtung, die aber von der, kein luxuriöses Leben zu führen, überholt ist. Aber er hat dem Geld gegenüber, das er besitzt, keine Verpflichtung, wie der Ehemann der Frau gegenüber.
27 VgI. mein Buch: „Metaphysik der Gemeinschaft“ III, 2 u. 4. Regensburg, 1955.
28 „Der Zölibat ist nicht schuld daran. In Wirklichkeit liegt die Ursache immer darin, dass die Veranlagung eines Priesteramtskandidaten nicht immer rechtzeitig zuverlässig und klug beurteilt wurde oder dass die Lebensführung soldJer Diener des Heiligtums mit den Verpflichtungen eines Lebens der Ganzhingabe an Gott nicht übereinstimmte." (Sacerdotalis coelibatus 83).
29 „Die jungen Männer sollen überzeugt sein, dass sie diesen steilen Weg nicht zu gehen vermögen ohne eine besondere Aszese, die den Anwärtern für das Priestertum eigen ist und die allgemeinen aszetischen Verpflichtungen aller übrigen Christgläubigen übertrifft. Wir meinen eine zwar strenge, aber nicht niederdrückende Aszese, die im Zusammenhang mit der bewussten und beharrlichen Übung jener Tugenden stehen soll, durch die sich der Priester von den anderen Menschen unterscheiden muss, nämlich: vollkommene Ganzhingabe - eine notwendige Bedingung für die Nachfolge Christi. VgI. Matth. 16, 24.“ Sacerdotalis Coelibatus n. 70.
30 Ist nach Kräften der Beweis erbracht, dass die Reife der Priesterkandidaten genügend gefestigt ist, dann wird er es wirklich vermögen, die schwere und doch sanfte Last der priesterlichen Keuschheit als Ganzhingabe an Christus und seine Kirche auf sich zu nehmen... dann wird der Kandidat nicht die Schwere einer von außen auferlegten Last empfinden, sondern vielmehr um der aus Liebe zu Christus willen getroffenen Wahl große Freude schöpfen.“ Sacerdotalis Coelibatus n. 72.
31 „Aber wir lassen uns nicht leicht überzeugen, dass mit der Aufhebung des kirchlichen Zölibats von selbst die Zahl der Priesterberufe sogleich sehr anwachsen würde. In unserer Zeit scheint die Erfahrung der Kirchen..., die ihren Amtsträgern die Ehe erlauben, für das Gegenteil zu sprechen. Die Gründe für die Abnahme der Priesterberufe sind vielmehr anderswo zu suchen. Denn sie liegen... darin, dass in den einzelnen Menschen und in den Familien der Sinn für das Göttliche und Heilige verloren, fast erloschen ist, sie liegen auch in der Geringschätzung und Missachtung der Kirche, die doch kraft ihres Amtes durch Glaube und Sakramente für das Heil der Menschen Sorge trägt." (Sacerdotalis Coelibatus n. 49).
32 Man wende nicht ein, wie kann es ein Prüfstein dafür sein, wenn der Zölibat nicht wesensmäßig zum Priestertum gehört, wenn die Berufung zum Priester nicht notwendig die Berufung zum Zölibat einschließt? Darauf ist zu sagen, dass unter bestimmten Umständen etwas ein Prüfstein für die wahre Berufung zum Priestertum sein kann, auch wenn es nicht konstitutiv dazu gehört. Es gibt ja auch Dinge, die ein Prüfstein dafür sein können, ob jemand dazu berufen ist, eine Ehe mit jemandem einzugehen, die nicht wesenhaft zur Ehe gehören. Viele Menschen gehen Ehen aus, finanziellen Gründen ein. Wenn der eine Teil kein Vermögen hat, so fällt dieses Motiv weg. Natürlich ist nicht gesagt, dass, wenn beide Teile reich sind, dann ihre Ehe nicht auch aus reiner Liebe erfolgen kann, noch, dass, wenn beide arm sind, die wahre Liebe vorliegen muss. Aber immerhin hat man oft als Mittel, um die echte Motivierung für eine Ehe zu prüfen, dem Werber gesagt, das reiche Mädchen habe ihr Vermögen eingebüßt. In einem analogen Sinn ist die Zölibatsverpflichtung ein heilsamer Prüfstein für den Wegfall falscher Motive bzw. für das Vorhandensein wahrer Berufung. Gewiss, wenn ein Ordensmann erklären würde, er wolle nicht Enthaltsamkeit geloben und nicht auf die Ehe verzichten, so würde er sich glatt widersprechen. Der Zölibat ist für den Ordensmann so konstitutiv, dass ein verheirateter Ordensmann, der zugleich Mönch sein wollte, eine contradictio in adjecto wäre. Davon ist, wie schon früher betont, beim Priester nicht die Rede. Aber das hindert nicht, dass die Bereitschaft, dies große Opfer zu bringen, ein Prüfstein dafür ist, dass die wahre Berufung zum Priestertum vorliegt und die Wahrscheinlichkeit falscher Motive für die Ergreifung des Priesterberufes besonders unter den heutigen Umständen bedeutend verringert ist. Selbstverständlich ist umgekehrt auch die Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit propter regnum coelorum nicht genügend für die Berufung zum Priesterstand. Es kann jemand die Berufung zum Laienbruder in einem Orden besitzen und damit zum Zölibat, aber nicht zum Priester. A fortiori gilt dies für Frauen, die die gottgewollte Jungfräulichkeit im Kloster oder in der Welt erwählten.
33 Jean Kardinal Daniélou sagte bei seinem jüngsten Besuch in Washington in einer Ansprache: „Die Kirche darf sich nicht der modernen Welt anpassen. Sie muss das religiöse Leben der Völker wiederbeleben“. „Wenn die Kirche der modernen Welt nicht Gott bringt, dann hat sie ihren Sinn verloren". „Wir brauchen die Kirche nicht, um eine soziale Ordnung zu schaffen. Die Hauptaufgabe der Kirche heute ist es, die Menschen daran zu erinnern, dass die Kirche nicht der sozialen, sondern der übernatürlichen Ordnung angehört.“
34 Ein ganz anderer Fall liegt vor, wenn protestantische Geistliche, die verheiratet sind, konvertieren und zu Priestern geweiht werden wollen. Hier fühlten sie sich vorher als Geistliche und Künder des Wortes Gottes, und es ist verständlich, dass sie, nachdem ihnen die katholische Kirche als die wahre Kirche Christi aufgegangen ist, die Sehnsucht fühlen, Priester zu werden. Ja, man kann bei ihnen mit Recht annehmen, dass sie aus den wahren Gründen das Priestertum anstreben. Auf der anderen Seite sind sie seit Jahren verheiratet und sich von ihrer Frau zu trennen oder zum mindesten nur wie Bruder und Schwester zusammen zu leben, ist nicht nur ein schweres Opfer, sondern es widerspricht der bei der Eheschließung eingegangenen Bindung, d. h. den Pflichten der Ehefrau gegenüber. Es gab Fälle, in denen diese schon verheirateten Geistlichen zu Priestern geweiht wurden unter dem Pontifikat Pius des XII. Aber dies ist ein großer Ausnahmefall und er setzt besondere Umstände voraus. Diese Priester brauchen in keiner Weise für die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung zu sein. Im Gegenteil, sie haben sicher volles Verständnis für den Wert der Zölibatsverpflichtung, aber sie empfanden die Lösung des Konflikts der durch ihre vor der Konversion eingegangenen Bindungen geschaffen war, in dankbarer Ehrfurcht als außergewöhnliches Geschenk. Dazu sagt Paul VI: „Andererseits ist es erlaubt, die besondere Situation der verheirateten Diener des Heiligtums zu beachten, die Kirchen oder christlichen Gemeinschaften angehören, welche noch von der katholischen Einheit getrennt sind, wenn diese nach der vollen Teilhabe an dieser Einheit und nach dem priesterlichen Dienst streben und nun zur Ausübung des Priesteramtes bestellt werden sollen; aber auch das muss in einer Weise geschehen, dass dadurch der festgelegten Einrichtung des Zölibats kein Schaden entsteht." (Sacerdotalis Coelibatus n. 42).
35 Vgl. Wendelin Kellner: Priesterlicher Zölibat ohne Gemeinschaft? in: Der Zölibat, Grünewaldreihe 1968, hrsg. Franz Böckle.
36 Ich möchte hier eine Stelle anführen aus einem ergreifenden Brief, den mir ein tief frommer Mann schrieb, nachdem er einen Vortrag von mir über den Zölibat gehört hatte. Er ist seit 40 Jahren vollkommen gelähmt und ließ sich auf einer Tragbahre von einem Ort, der 120 Kilometer entfernt ist, in meine Vorträge bringen: „Ich war durch einen Unfall schon viele Jahre bettlägerig und hätte ohne die unablässigen aufopfernden Bemühungen eines Priesters nie den Seelenfrieden gefunden, der auch in einem zerbrochenen Körper wohnen kann. Eines Tages hatte er bei seinem Besuch lange davon gesprochen wie ich, Christus nachfolgend, meine Leiden mit Ihm dem Vater aufopfern solle und wie glücklich ich dadurch werden könnte. Ich wage nicht daran zu denken, was aus mir geworden wäre, wenn in diesem Augenblick der Priester, auf ein Hupsignal hin, aufgestanden wäre und begütigend gesagt hätte: Ich werde versuchen, nächste Woche wiederzukommen, aber ich habe meiner Frau und den Kindern ein Picknick versprochen und sie warten unten im Wagen“.
37 Hand in Hand geht die völlige Verkennung der Ich-Du-Gemeinschaft mit Christus. Es ist die typische Ausschaltung der ganzen übernatürlichen Wirklichkeit. Das beweist auch die willkürliche Identifizierung von Gehorsam und Dienen. Die Stelle Matth. 20, 26: „Wer unter euch groß sein will, sei euer Diener: und wer unter euch der erste sein will, soll euer Knecht sein", bezieht sich primär auf die Demut, die im Dienen sich aktualisiert. Gewiss, das Dienen ist auch ein Ausdruck der Liebe. Aber hier, wo der Kontrast der Großen in der Welt, die herrschen, zu den Großen im Reiche Gottes betont wird, steht die Verdemütigung, die Demut im Vordergrund. Mit Gehorsam hat dies aber nichts zu tun. Gehorsam ist immer wesenhaft eine Unterordnung unter eine Autorität. Gewiss, der Diener gehorcht auch dem Herrn - aber der Herr, der wie Christus bei der Fußwaschung in Demut dient, gehorcht nicht den anderen. Das demütige Dienen gegenüber anderen Menschen beinhaltet in keiner Weise einen Gehorsam ihnen gegenüber, sondern wir gehorchen immer und ausschließlich nur dem Gottmenschen Christus. Der Höhepunkt der Konfusion tritt hervor, wenn Kellner erklärt: was das Evangelium von den Jüngern fordert, ist Gemeinschaft! Der unerschöpfliche Reichtum übernatürlicher Tugenden, den die Nachfolge Christi einschließt, ist hier auf die Forderung nach Gemeinschaft untereinander reduziert und dabei ist auch auf natürlicher Ebene Gemeinschaft mit Liebe identifiziert und die einzigartige Gemeinschaft in Christus mit Gemeinschaft schlechtweg verwechselt.
38 Der Priester bemühe sich vor allem mit der ganzen ihm von der göttlichen Gnade geschenkten Liebe um ein inniges Verhältnis zu Christus und um die Betrachtung seines unerschöpflichen und beseligenden Mysteriums. Er bemühe sich außerdem, das Mysterium der Kirche immer klarer zu erkennen losgelöst von diesem, besteht die Gefahr, dass ihm sein priesterliches Leben inhaltlos und sinnlos erscheint. Nährt sich aber die priesterliche Frömmigkeit an der lauteren Liebe des göttlichen Wortes und der Heiligen Eucharistie, lebt sie aus der Feier der Liturgie und stützt sie sich dazu noch auf eine innige und vertrauensvolle Verehrung der Heiligsten Jungfrau, der Mutter des Ewigen Hohenpriesters und Königin der Apostel, dann wird der Priester zu den Quellen eines echten geistlichen Lebens gelangen. Dieses allein ist imstande, der Jungfräulichkeit das stärkste Fundament zu verleihen." (Sacerdotalis Coelibatus n. 75).
39 Vgl. Metaphysik der Gemeinschaft.
40 „Im übrigen kann und darf die Kirche nicht vergessen, dass der junge Mann bei der Wahl des Zölibats - sofern er sie mit der Klugheit und dem Pflichtgefühl, die ihm als Mensch und Christ eigen sein müssen, tätigt - von der göttlichen Gnade geleitet wird, die die Natur nicht zerstört und ihr nicht Gewalt antut, sondern sie vielmehr vollendet und ihr übernatürliche Fähigkeiten und Kräfte verleiht. Denn da Gott als Schöpfer und Erlöser um die den Menschen auferlegte Bürde weiß, bietet er ihm die notwendige Hilfe, damit der Mensch verwirklichen kann, was sein Schöpfer und Erlöser von ihm verlangt. Denn, so sagt der heilige Augustinus, der die menschliche Natur aus eigener Erfahrung gründlich und schmerzlich kennen gelernt hat: „Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst. (Sacerdotalis Coelibatus n. 51).
41 Sacerdotalis Coelibatus n. 14.