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Version vom 24. August 2011, 10:20 Uhr
Papst Paul VI., Brief vom 11. Oktober 1976:
Unserem Bruder im Bischofsamt Marcel Lefebvre, Alterzbischof-Bischof von Tulle
Allgemeiner Hinweis: Die in der Kathpedia veröffentlichen Lehramstexte, dürfen nicht als offizielle Übersetzungen betrachtet werden, selbst wenn die Quellangaben dies vermuten ließen. Nur die Texte auf der Vatikanseite [1] können als offiziell angesehen werden (Schreiben der Libreria Editrice Vaticana vom 21. Januar 2008).
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Als Wir Dich am 11. September dieses Jahres in Castelgandolfo empfingen, ließen Wir Dich Gedanken und Wünsche frei aussprechen, wenngleich die verschiedenen Aspekte Deines Falles Uns persönlich bereits hinreichend bekannt waren. Die in Uns noch wache Erinnerung an Deinen eifrigen Einsatz für den Glauben und das Apostolat sowie an das Gute, das Du in der Vergangenheit im Dienst der Kirche wirktest, ließ und läßt Uns nach wie vor hoffen, daß Du nach den überaus schwerwiegenden Akten, die Du gesetzt hast, wieder zu einem erbaulichen Untergebenen in voller Gemeinschaft mit der Kirche werden mögest. Wir haben Dich nochmals gebeten, vor Gott über Deine Pflicht nachzudenken. Wir haben einen Monat lang gewartet. Allem Anschein nach hat sich Deine Haltung, wie sie sich weiterhin durch Deine Worte und Taten öffentlich zeigt, nicht geändert.
Zwar haben wir Deinen Brief vom 16. September vor Augen, in dem Du Uns versicherst: „Uns einigt ein gemeinsamer Punkt: Der brennende Wunsch, das Ende aller Missbräuche, die die Kirche entstellen, zu erleben. Wie sehr wünsche ich, mit Eurer Heiligkeit und unter Ihrer Autorität an diesem heilsamen Werk zu arbeiten, damit die Kirche ihr wahres Antlitz zurück erhält.” Wie soll man diese wenigen, an sich positiven Worte, auf die sich Deine Antwort beschränkt, interpretieren? Du redest so, als würdest Du die skandalösen, gegen die kirchliche Gemeinschaft gerichteten Worte und Gesten vergessen, die Du nie widerrufen hast! Du zeigst keine Reue, selbst über das nicht, was der Grund Deiner Suspension a divinis war. Du bekundest nicht ausdrücklich Deine Zustimmung zur Autorität des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Heiligen Stuhls, und das bildet den Kern des Falles. Du setzt Deine eigenen Werke fort, die einzustellen die legitime Autorität ausdrücklich von Dir verlangt hat. Die Zweideutigkeit bleibt aufgrund dieser doppelzüngigen Sprache bestehen.
Was Uns betrifft, so richten Wir nun an Dich, wie Wir es Dir versprochen hatten, die Schlussfolgerungen Unserer Überlegungen.
Kein Verteidiger des Glaubens
1. Du stellst Dich praktisch als der Verteidiger, der Wortführer der Gläubigen und Priester hin, die „von dem, was in der Kirche geschieht, zerrissen” sind, wodurch der peinliche Eindruck entsteht, dass der katholische Glaube und die wesentlichen Werte der Tradition durch einen Teil des Volkes Gottes nicht genügend geachtet werden, zumindest nicht in gewissen Ländern.
Doch in Deiner Interpretation der Tatsachen, in der Sonderrolle, die Du für Dich arrogierst, und in der Art, wie Du sie ausübst, liegt etwas, das das Volk Gottes in die Irre führt und die Seelen täuscht, die sich zurecht nach Treue sowie nach geistlicher und apostolischer Vertiefung sehnen. Die Tatsache der Abweichungen im Glauben oder in der sakramentalen Praxis ist allerdings sehr schwerwiegend, wo immer sie geschehen. Ihr gilt seit langem Unsere volle Aufmerksamkeit in Lehre und Seelsorge. Diese Tatsache sollte aber nicht die positiven Zeichen des spirituellen Auftriebs und des zunehmenden Verantwortungsbewusstseins bei zahlreichen Katholiken in Vergessenheit geraten lassen, ebensowenig wie die Komplexität der Ursache der Krise: Der gewaltige Wandel der heutigen Welt berührt die Gläubigen in ihrem tiefsten Inneren und macht die apostolische Bemühung um die, „die fern sind”, noch notwendiger.
Es trifft allerdings zu, dass es Priester und Gläubige gibt, die mit dem Wort „konziliar” ihre persönlichen Interpretationen und falsche, schädliche, ja skandalöse und manchmal sogar sakrilegische Praktiken bemänteln. Diese Missbräuche können aber nicht dem Konzil selbst zugeschrieben werden, auch nicht den aus ihm legitim hervorgegangenen Reformen, sondern vielmehr einem Mangel an echter Treue ihnen gegenüber. Du jedoch willst die Gläubigen davon überzeugen, dass die direkte Ursache der Krise noch mehr sei als eine Fehlinterpretation des Konzils; sie komme aus dem Konzil selbst.
Außerdem handelst Du so, als fiele Dir eine Sonderrolle auf diesem Gebiet zu. Nun steht aber die Aufgabe, die Missbräuche zu unterscheiden und abzustellen, in erster Linie Uns zu, wie auch allen mit Uns wirkenden Bischöfen. Und gerade Wir erheben gegen diese Exzesse unaufhörlich Unsere Stimme: Bei Unserer Ansprache im Konsistorium vom 24. Mai dieses Jahres [1976] geschah das erneut in klaren Worten. Mehr als irgend jemand verstehen Wir das Leid der fassungslos gewordenen Christen und reagieren auf den Aufschrei der nach Glauben und spirituellem Leben verlangenden Gläubigen. Hier ist nicht die geeignete Stelle, Dir, Bruder, alle Akte Unseres Pontifikats in Erinnerung zu rufen, die Unsere ständige Sorge bezeugen, der Kirche die Treue zu der echten Tradition zu sichern und sie auch zu befähigen, mit der Gnade des Herrn der Gegenwart und der Zukunft zu trotzen.
Jedenfalls ist Dein Verhalten widersprüchlich. Du willst, wie Du sagst, gegen die Kirche entstellende Missbräuche Abhilfe schaffen. Du bedauerst, dass die Autorität in der Kirche zu wenig geachtet wird. Du willst den unverfälschten Glauben, die Hochachtung vor dem Amtspriestertum und den Eifer für die allerheiligste Eucharistie in ihrem vollen Sinn als Opfer und Sakrament erhalten. Ein solcher Eifer könnte an sich Unsere Ermutigung verdienen, denn dies sind Forderungen, die zusammen mit der Evangelisierung und der Einheit der Christen ständig im Mittelpunkt Unserer Sorge und Unserer Sendung stehen. Wie aber könntest Du in Ausübung dieser Rolle behaupten, Du seiest verpflichtet, dem letzten Konzil entgegenzuwirken, in Opposition gegen Deine Brüder im Bischofsamt, ja sogar dem Heiligen Stuhl zu misstrauen, den Du als „das Rom der neomodernistischen und neoprotestantischen Tendenz” bezeichnest, und sich in einem offenen Ungehorsam gegen Uns einzurichten? Wenn Du wirklich, wie Du in Deinem letzten persönlichen Brief versicherst, „unter Unserer Autorität” arbeiten wolltest, ist es zunächst nötig, diese Zweideutigkeiten und Widersprüche zu bereinigen.
Einzelne Fragen, insb. "alte Messe"
2. Behandeln Wir jetzt genauer die einzelnen Bitten, die Du während der Audienz vom 11. September vorgetragen hast. Du möchtest, dass das Recht zur Zelebration der heiligen Messe nach dem tridentinischen Ritus an verschiedenen Kultstätten anerkannt werde. Du legst auch Wert darauf, weiterhin Priesterkandidaten nach Deinen Kriterien „wie vor dem Konzil” in gesonderten Seminaren wie Ecône auszubilden. Es kommt aber darauf an, hinter diesen und anderen ähnlichen Fragen, die Wir noch später eingehend prüfen werden, den springenden Punkt klar zu erkennen, der ein theologischer ist. In diesen Fragen hat nämlich eine in wesentlichen Dingen verzeichnete Ekklesiologie ihren konkreten Ausdruck gefunden. Denn das, worum es geht, ist die wohl als fundamental zu bezeichnende Frage Deiner klar ausgesprochenen Weigerung, die Autorität des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Gesamtheit einschließlich der des Papstes anzuerkennen sowie als Folgerung dieser Weigerung eine Aktion der Propaganda und Organisation einer Rebellion – man kann es leider nicht anders nennen. Das ist das Entscheidende und wirklich Unhaltbare.
Ist es wirklich notwendig, Dich, Unseren Bruder im Bischofsamt, und was noch mehr ist, einen zum Päpstlichen Thronassistenten ernannten Bruder, was Dich verpflichtet, dem Stuhl Petri um so verbundener zu bleiben, an dieses zu erinnern: Christus hat die Autorität in seiner Kirche Petrus und dem Apostelkollegium, das heißt, dem Papst und dem Kollegium der Bischöfe „una cum Capite” übergeben. Was den Papst anbelangt, so stimmt jeder Katholik zu, dass die Worte Jesu an Petrus auch die Aufgabe seiner rechtmäßigen Nachfolger festlegen: „Was du immer binden wirst auf Erden, das wird auch im Himmel gebunden sein” (Mt 16, 19); „Weide meine Schafe” (Jo 21, 17); „stärke deine Brüder” (Lk 22, 32).
Das Erste Vatikanische Konzil hat die dem Papst gebührende Zustimmung mit folgenden Worten definiert: „Hirten jeglichen Ritus und jeglichen Ranges und die Gläubigen, einzeln sowohl wie alle zusammen, haben die Pflicht hierarchischer Unterordnung und wahren Gehorsams, nicht allein in Sachen des Glaubens und der Sitte, sondern auch in Sachen der Ordnung und der Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche. Durch Bewahrung der Einheit sowohl der Gemeinschaft als des Glaubens mit dem römischen Bischof ist die Kirche Christi auf diese Weise eine Herde unter einem Hirten. Das ist die wahre Lehre der katholischen Kirche, von der niemand abweichen kann, ohne an seinem Glauben und an seinem Heil Schaden zu leiden” (Dogmatische Konstitution „Pastor aeternus”, 3. Kapitel, Denzinger 3060). Was die mit dem Papst vereinten Bischöfe betrifft, so wird ihre Gewalt hinsichtlich der universalen Kirche auf den Konzilien in feierlicher Weise ausgeübt gemäß den Worten Jesu an die Gesamtheit der Apostel: „Was ihr immer auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein” (Mt 18, 18). Nun aber weigerst Du Dich mit solchem Verhalten, diesen beiden Arten, in denen die höchste Autorität ausgeübt wird, die schuldige Anerkennung zu zollen.
Wohl ist jeder Bischof ein authentischer Lehrer, um dem ihm anvertrauten Volk den für dessen Denken und Verhalten maßgeblichen Glauben zu predigen und um die Herde bedrohende Irrtümer zu beseitigen. Aber „das Lehramt und das Regierungsamt können ihrer Natur gemäß nur in der hierarchischen Gemeinschaft mit dem Haupt des Kollegiums und seinen Mitgliedern ausgeübt werden” (Konstitution „Lumen gentium”, Nr. 21; vgl. auch Nr. 25). Um so weniger hat ein Bischof allein und ohne Missio canonica „in actu expedito ad agendum” die Befugnis, allgemein festzulegen, was Glaubensregel ist, oder zu bestimmen, was Tradition ist. Nun aber nimmst Du praktisch für Dich in Anspruch, allein darüber Richter zu sein, was zur Tradition gehört. Du sagst von Dir, Du seiest der Kirche unterworfen und der Tradition treu, einzig aufgrund der Tatsache, daß Du gewissen Normen der Vergangenheit gehorchst, die Vorgänger dessen vorgeschrieben haben, dem Gott heute die dem Petrus gegebenen Vollmachten verliehen hat. Das bedeutet, dass auch in diesem Punkt der von Ihnen geltend gemachte Begriff von „Tradition” verzeichnet ist. Tradition ist keine erstarrte oder tote Gegebenheit, kein gewissermaßen statisches Faktum, das zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte das Leben des aktiven Organismus, der die Kirche, das heißt der Mystische Leib Christi ist, hemmen würde.
Es steht dem Papst und den Konzilien zu, ein unterscheidendes Urteil darüber zu fällen, was in den Traditionen der Kirche, will man dem Herrn und dem Heiligen Geist die Treue wahren, unaufgebbar ist, und zwar das hinterlegte Glaubensgut, und was dagegen auf einen neuen Stand gebracht werden kann und muss, um das Gebet und die Sendung der Kirche über die verschiedenen Orte und Zeiten hin zu erleichtern, die göttliche Botschaft in die heutige Sprache zu übersetzen und sie, ohne unangebrachte Kompromisse, besser zu verkündigen. Die Tradition ist also nicht vom lebendigen Lehramt der Kirche zu trennen, ebensowenig wie sie von der Heiligen Schrift zu lösen ist: „Die heilige Tradition, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche … sind miteinander dermaßen verbunden und einander gegenseitig verpflichtet, dass keine dieser Realitäten ohne die anderen fortbesteht und alle zugleich, jede auf ihre Art, unter dem Einwirken des Heiligen Geistes wirksam zum Heil der Seelen beitragen” (Konstitution „Dei Verbum”, Nr. 10).
So haben die Päpste und die Ökumenischen Konzilien mit dem besonderen Beistand des Heiligen Geistes gemeinhin gehandelt, und das hat auch das Zweite Vatikanische Konzil getan. Weder die Dekrete dieses Konzils noch die Reformen, die Wir zu seiner Verwirklichung beschlossen haben, sind dem entgegengesetzt, was die zweitausendjährige Tradition der Kirche an Grundlegendem und Unwandelbarem aufweist. Dafür sind Wir der Garant, und zwar nicht aufgrund Unserer persönlichen Qualitäten, sondern kraft des Amtes, das der Herr Uns als legitimem Nachfolger Petri verliehen hat, und kraft des besonderen Beistands, den Er Uns wie dem Petrus versprochen hat: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre” (Lk 22, 32). Mit Uns ist der universale Episkopat dafür Garant. Du kannst Dich auch nicht auf die Unterscheidung zwischen dogmatisch und pastoral berufen, um gewisse Texte dieses Konzils anzunehmen und andere abzulehnen. Gewiss erfordert nicht jede Aussage eines Konzils eine gleichartige Zustimmung: Nur was als Glaubensgegenstand oder als eine dem Glauben zugeordnete Wahrheit durch „definitorische” Akte bekräftigt wird, erhält die Zustimmung des Glaubens. Doch auch das Übrige ist Teil des feierlichen Lehramts der Kirche, dem jeder Gläubige vertrauensvolle Annahme und aufrichtige Anwendung schuldet.
Du sagst auch, Du könnest im Gewissen noch immer nicht sehen, wie bestimmte Konzilstexte oder bestimmte Anordnungen, die Wir zu ihrer Verwirklichung getroffen haben, mit der unwandelbaren Tradition und im besonderen mit dem Konzil von Trient zu vereinbaren seien oder mit den Lehraussagen Unserer Vorgänger, zum Beispiel über die Verantwortlichkeit des Kollegiums der mit dem Papst vereinten Bischöfe oder der Novus Ordo Missae, der Ökumenismus, die Religionsfreiheit, die Dialoghaltung, die Evangelisierung in unserer Zeit...
Dieser Brief ist nicht der richtige Rahmen, um auf jedes dieser Probleme einzugehen. Der genaue Inhalt der Dokumente mit allen ihren Nuancierungen und dem Zusammenhang, in dem sie stehen, die autorisierten Erläuterungen und die gründlichen und objektiven Kommentare, die dazu gegeben wurden, sind geeignet, Dich diese persönlichen Schwierigkeiten überwinden zu lassen. Absolut sichere Ratgeber, Theologen und Spirituale, könnten Dir im Lichte Gottes ebenfalls dazu helfen. Wir sind bereit, diese brüderliche Hilfe für Dich zu erleichtern. Wie könnte aber eine persönliche innere Schwierigkeit, ein inneres Drama, das Wir respektieren, Dir erlauben, sich öffentlich zum Richter über das, was auf rechtmäßige Weise und praktisch einstimmig angenommen worden ist, aufzuwerfen und wissentlich einen Teil der Gläubigen in Deine Ablehnung hineinzuziehen?
Die Beweisführungen sind zwar nützlich, um die verstandesmäßige Zustimmung zu erleichtern, und Wir wünschen, dass die verwirrten und zögernden Gläubigen klug, redlich und demütig genug sind, die ihnen reichlich zur Verfügung stehenden Beweisführungen zu nutzen, aber an sich sind sie nicht nötig für die gehorsame Zustimmung, die dem ökumenischen Konzil und den Entscheidungen des Papstes gebühren. Was in Frage steht, ist der sensus Ecclesiae – Sinn für die Kirche. Im Grunde genommen willst Du, Du selbst und Deine Anhänger, an einem bestimmten Augenblick im Leben der Kirche stehenbleiben. Deshalb lehnst Du es ab, der lebendigen Kirche anzuhangen, die immer die Kirche ist; Du brichst mit Deinen rechtmäßigen Hirten. Du verachtest die rechtmäßige Ausübung ihres Amtes.
So behauptest Du, nicht einmal mehr von den Befehlen des Papstes noch von der Suspension „a divinis” betroffen zu sein, und dabei beklagst Du auch noch die „Subversion” in der Kirche. Geschah es nicht in dieser Geisteshaltung, dass Du ohne Dimissorien und gegen Unsere Anordnung Priester geweiht hast, wodurch eine Gruppe von Priestern entstand, deren Status in der Kirche irregulär ist und die unter schweren Strafen stehen? Obendrein behauptest Du noch, die Suspension, die Du Dir zugezogen hast, gelte nur für die Feier der Sakramente nach dem erneuerten Ritus, als ob diese mißbräuchlicherweise eingeführt worden wären in einer Kirche, die Du Dich nicht scheust als schismatisch zu bezeichnen. Du glaubst, dieser Sanktion entgehen zu können, indem Du die Sakramente mit den Formeln der Vergangenheit und gegen die aufgestellten Regeln spendest (vgl. 1 Kor 14, 40).
Auf dieselbe irrige Auffassung geht bei Dir die missbräuchliche Zelebration der so genannten Messe des hl. Pius V. zurück. Du weißt ganz genau, dass dieser Ritus seinerseits das Ergebnis sukzessiver Änderungen gewesen war, und dass der römische Kanon das erste der heute autorisierten eucharistischen Hochgebete bleibt. Die gegenwärtige Reform hat ihre Daseinsberechtigung und ihre Leitlinien aus dem Konzil und aus den historischen Quellen der Liturgie bezogen. Sie ermöglicht den Gläubigen, sich vom Worte Gottes noch reichlicher zu nähren. Ihre aktivere Teilnahme lässt die einzigartige Rolle des Priesters, der in persona Christi handelt, unberührt. Wir haben diese Reform kraft Unserer Autorität sanktioniert, indem wir ihre Übernahme durch alle Katholiken forderten.
Wenn Wir es im Allgemeinen nicht für gut erachtet haben, noch länger Verspätungen oder Ausnahmen bei dieser Übernahme zuzulassen, geschah dies mit Hinblick auf das geistliche Wohl und die Einheit der ganzen kirchlichen Gemeinschaft, denn für die Katholiken des römischen Ritus ist der „Ordo Missae” ein vorzügliches Zeichen ihrer Einheit.
Es geschah auch, weil in Deinem Fall der alte Ritus faktisch der Ausdruck einer verzeichneten Ekklesiologie, ein Kampfplatz gegen das Konzil und seine Reformen ist, unter dem Vorwand, nur im alten Ritus seien das wahre heilige Messopfer und das Amtspriestertum ohne Verdunkelung ihrer Bedeutung bewahrt. Wir können dieses irrige Urteil, diese ungerechte Anklage, nicht hinnehmen, noch können Wir dulden, dass die allerheiligste Eucharistie des Herrn, das Sakrament der Einheit, Gegenstand derartiger Spaltungen ist (vgl. 1 Ko 11, 18) und sogar als Werkzeug und Zeichen der Rebellion benutzt wird. Natürlich hat die Kirche Raum für einen gewissen Pluralismus, jedoch in den erlaubten Dingen und im Gehorsam. Das begreifen diejenigen nicht, die die liturgische Reform in ihrer Gesamtheit ablehnen. Ebensowenig übrigens bei denjenigen, die die Heiligkeit der Realpräsenz des Herrn und seines Opfers gefährden. Auch kann eine Priesterausbildung, die das Konzil ignoriert, nicht in Frage kommen.
Wir können also Deine Bitten nicht in Erwägung ziehen, denn es geht um Akte, die bereits in Rebellion gegen die eine und wahre Kirche Gottes gesetzt werden. Diese Strenge lässt sich, so glaube es, nicht von der Weigerung leiten, in dem einen oder anderen die Liturgie oder Disziplin betreffenden Punkt ein Zugeständnis zu machen. In Anbetracht der Bedeutung und der Tragweite Deiner Handlungen im gegenwärtigen Zusammenhang hieße das, die Einführung eines von schwerem Irrtum getragenen Kirchen- und Traditionsbegriffs Unsererseits zu akzeptieren.
Daher sagen Wir Dir, Bruder, im vollen Bewusstsein Unserer Pflichten, dass Du Dich im Irrtum befindest. Mit der ganzen Inbrunst Unserer brüderlichen Liebe wie auch mit dem vollen Gewicht Unserer Autorität als Nachfolger Petri fordern Wir Dich auf, zu widerrufen, zur Besinnung zu kommen und der Kirche Christi keine Wunden mehr zuzufügen.
Forderungen des Papstes
3. Was verlangen Wir von Dir konkret?
a) Zunächst und vor allem eine Erklärung, mit der die Dinge wieder in Ordnung gebracht werden, für Uns selbst und auch für das Volk Gottes, das solche Zweideutigkeiten nicht länger ohne Schaden ertragen kann. Diese Erklärung muss also die Bekräftigung enthalten, dass Du dem Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzil und allen seinen Texten, die von den Konzilsvätern angenommen und kraft Unserer Autorität gebilligt und promulgiert worden sind, sensu obvio aufrichtig anhangest. Ein solches Anhangen war nämlich in der Kirche seit ihren Anfängen immer die Regel, was die Ökumenischen Konzilien betrifft. Es muss klar ersichtlich sein, daß Du Dir auch die Entscheidungen zu eigen machst, die Wir seit dem Konzil getroffen haben, um es mit Hilfe der Organe des Heiligen Stuhls in die Wirklichkeit umzusetzen. Unter anderem musst Du die Rechtmäßigkeit der erneuerten Liturgie, vor allem des „Ordo Missae”, sowie Unser Recht, seine Übernahme durch die Gesamtheit des christlichen Volkes zu fordern, ausdrücklich anerkennen.
Du musst auch dem verbindlichen Charakter der Bestimmungen des geltenden kanonischen Rechts zustimmen, die größtenteils noch dem Inhalt des kirchlichen Gesetzbuches Benedikt XV. entsprechen, ohne den die kanonischen Strafen erfassenden Teil auszunehmen. Was Uns betrifft, wirst Du es Dir angelegen sein lassen, die schweren Beschuldigungen resp. Verdächtigungen, die Du gegen Uns, Unsere Rechtgläubigkeit und Unsere Treue zum Amt des Nachfolgers Petri sowie gegen Unsere engsten Mitarbeiter öffentlich erhoben hast, zu unterlassen und zurückzunehmen. Was die Bischöfe betrifft, musst Du deren Autorität in ihren jeweiligen Diözesen anerkennen, indem Du davon Abstand nehmen wirst, dort zu predigen und die Sakramente zu spenden (Eucharistie, Firmung, Weihen, etc.), wenn diese Bischöfe sich ausdrücklich dagegen wenden.
Schließlich musst Du Dich verpflichten, von allen Initiativen (Vorträgen, Veröffentlichungen), die dieser Erklärung zuwiderlaufen, abzusehen und alle Initiativen, die sich trotz dieser Erklärung auf Dich berufen sollten, in aller Form zu missbilligen. Es handelt sich dabei um das Minimum, das jeder katholische Bischof unterschreiben muss; diese Zustimmung duldet keine Kompromisse. Sobald Du Uns zu erkennen gegeben hast, dass Du das prinzipiell akzeptierst, werden Wir Dir die praktischen Modalitäten für die Vorlage dieser Erklärung vorschlagen. Das ist die erste Bedingung für die Aufhebung der Suspension a divinis.
b) Es bleibt sodann noch das Problem Deiner Aktivität, Deiner Werke und namentlich Deiner Seminare zu lösen. Du wirst verstehen, Bruder, dass Wir infolge der diese Werke beeinträchtigenden, vergangenen und gegenwärtigen Unregelmäßigkeiten und Zweideutigkeiten die juristische Aufhebung der Priesterbruderschaft "St. Pius X." nicht rückgängig machen können. Diese hat einen Geist des Widerstands gegen das Konzil gezüchtet und gegen seine Verwirklichung, wie der Stellvertreter Christi sie vorzunehmen bemüht war. Deine Erklärung vom 21. November 1974 bezeugt diesen Geist, und auf einem solchen Fundament lässt sich, wie Unsere Kardinalskommission am 6. Mai [1976] befunden hat, keine den Anliegen der Kirche Christi gemäße Priesterinstitution oder Priesterausbildung aufbauen. Damit wird durchaus nicht das herabgemindert, was in Deinen Seminaren an Gutem vorhanden ist, jedoch sind auch die von Uns erwähnten ekklesiologischen Lücken für die Fähigkeit, ein seelsorgliches Amt in der Kirche von heute auszuüben, zu bedenken.
Angesichts dieser unglücklichen Verquickung von Tatsachen werden Wir bestrebt sein, nicht zu zerstören, sondern zu korrigieren und so viel wie möglich zu retten. Aus diesem Grund verlangen Wir als höchster Bürge des Glaubens und der Klerusausbildung zunächst von Dir, dass Du die Verantwortung für Dein Werk, und vor allem für Deine Seminaristen, in Unsere Hände legst. Das ist sicherlich ein schweres Opfer für Dich, aber es ist auch eine Probe Deines Vertrauens, Deines Gehorsams, und es ist eine notwendige Bedingung, damit diese Seminare, die keine kanonische Existenz in der Kirche haben, gegebenenfalls in ihr kanonisch ihren Platz einnehmen können. Erst nachdem Du das grundsätzlich akzeptiert hast, werden Wir in der Lage sein, für das Wohl aller betroffenen Personen bestmögliche Vorkehrungen zu treffen, wobei es unser Anliegen sein wird, die echten, die doktrinellen, disziplinären und pastoralen Erfordernisse der Kirche respektierenden Priesterberufungen zu fördern. In diesem Stadium werden wir Deine Fragen und Deine Wünsche wohlwollend anhören und mit gutem Gewissen zusammen mit Unseren Dikasterien gerechte und geeignete Maßnahmen ergreifen können.
Was die unerlaubt geweihten Seminaristen betrifft, so wird es möglich sein, die nach den Kanones 985 (7) und 2374 verhängten Sanktionen zu beheben, falls sie ihre Sinnesänderung unter Beweis stellen, indem sie sich vor allem bereit erklären, die Erklärung zu unterzeichnen, die Wir von Dir verlangt haben. Wir zählen auf Deine kirchliche Gesinnung, die ihnen diesen Schritt erleichtern mag.
Was die auf Deine Initiative hin oder mit Deiner Ermutigung entstandenen Gründungen, Ausbildungshäuser, „Priorate” und verschiedenen sonstigen Einrichtungen angeht, so verlangen Wir ebenfalls von Dir, diese dem Heiligen Stuhl anheimzustellen, der Deinen Fall im Verein mit den Ortsbischöfen nach seinen verschiedenen Aspekten prüfen wird. Ihr Überleben, ihre Organisation und ihr Apostolat werden, wie in der gesamten katholischen Kirche üblich, einem Abkommen unterstellt werden, das in jedem Einzelfall mit dem zuständigen Bischof – nihil sine episcopo – und in einem Geist abzufassen ist, der der oben erwähnten Erklärung Rechnung trägt. Alle in diesem Brief aufgeführten Punkte haben Wir reiflich abgewogen und in Zusammenarbeit mit den Leitern der betroffenen Dikasterien, allein um des höheren Wohls der Kirche willen, Uns zu eigen gemacht. Du hast während des Gesprächs vom 11. September zu Uns gesagt: „Ich bin für das Wohl der Kirche zu allem bereit.” Die Antwort liegt nun in Deiner Hand. Solltest Du Dich weigern, die von Dir geforderte Erklärung abzugeben – „quod Deus avertat” – was Gott verhüten möge, würdest Du suspendiert a divinis bleiben.
Dagegen wird Dir Unsere Verzeihung und die Aufhebung der Suspension zugesichert, sofern Du aufrichtig und ohne Zweideutigkeit bereit bist, den Bedingungen dieses Briefes zu entsprechen und das Ärgernis wiedergutzumachen. Der Gehorsam und das Vertrauen, das Du unter Beweis stellst, werden Uns ermöglichen, Deine persönlichen Probleme in aller Ruhe mit Dir zusammen zu prüfen. Möge der Heilige Geist Dich erleuchten und auf die einzige Lösung zuführen, die Dir gestatten würde, einerseits den Frieden Deines in gewisser Hinsicht fehlgeleiteten Gewissens wiederzufinden, und andererseits auch das Wohl der Seelen zu sichern, zur Einheit der Kirche, deren Obhut der Herr Uns anvertraut hat, beizutragen und die Gefahr eines Schismas zu vermeiden.
Wir sind Uns bewusst, daß es bei Deiner gegenwärtigen seelischen Verfassung für Dich schwierig ist, klar zu sehen, und sehr hart, Deine Verhaltensweise demütig zu ändern. Ist es daher aber nicht, wie in allen solchen Fällen, dringend geboten, daß Du Zeit und Ort zur Sammlung findest, um den nötigen Abstand gewinnen zu können? Wir warnen Dich brüderlich vor den Pressionen, denen Du von Seiten derer ausgesetzt sein könntest, die Dich in einer unhaltbaren Position festhalten möchten, während Wir selbst, alle Deine bischöflichen Mitbrüder und die überwältigende Mehrheit der Gläubigen erwarten, dass Du endlich die kirchliche Haltung einnehmen wirst, die Dir Ehre machen würde.
Um die von uns allen beklagten Missstände abzustellen und eine echte spirituelle Erneuerung, zugleich auch die mutige Evangelisierung zu garantieren, zu der Uns der Heilige Geist auffordert, ist die Hilfe und der Einsatz der gesamten, um den Papst und den Episkopat gescharten kirchlichen Gemeinschaft mehr denn je geboten. Nun aber trifft die Revolte der einen schließlich mit dem Widerstand und, wie Du es nennst, der "Subversion" der anderen zusammen und droht diese noch zu steigern; während Du, Bruder, wäre nicht Dein eigener Widerstand das Hindernis, Uns gemäß dem in Ihrem letzten Brief geäußerten Wunsch in Treue und unter Unserer Autorität hättest helfen können, am Fortschreiten der Kirche zu arbeiten. Mögest Du also, lieber Bruder, nicht länger zögern, mit sehr lebhafter und gewissenhafter Aufmerksamkeit diese feierliche Beschwörung des demütigen, aber legitimen Nachfolgers Petri vor Gott zu erwägen. Mögest Du den Ernst der Stunde ermessen und den Entschluss fassen, der allein einem Sohn der Kirche zukommt!
Das ist Unsere Hoffnung, dem gilt Unser Gebet.
Paulus PP. VI.
Vatikan, 11. Oktober 1976
Quelle: Insegnamenti di Paolo VI, Bd. XIV (1976), 810-823.