Pontifikat Johannes' XXIII.: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 21. März 2013, 10:38 Uhr
Papst Johannes XXIII. (1958-1963) |
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(Quelle: Herder-Korrespondenz, Herder Verlag, Siebzehnter Jahrgang 1962/63; Zehntes Heft, Juli 1963, S. 449-476. Die Abkürzung "HK" bedeutet Herder-Korrespondenz)
Inhaltsverzeichnis
Vorspann
"Meine Gelassenheit, die so großen Eindruck auf die Welt macht, liegt ganz und gar darin: . gehorsam zu sein, wie ich es immer gewesen bin, und weder zu wünschen noch darum zu beten, auch nur einen Tag länger zu leben, wenn der Engel des Todes kommt, mich ruft und ins Paradies mitnimmt, wie es mein Glaube will. Das entbindet mich nicht, dem Herrn zu danken, dass es ihm gefallen hat, in Brusico und Colombera den zu erwählen, der sich selbst den Nachfolger so vieler Päpste über zwanzig Jahrhunderte nennt und den Namen des Statthalters Jesu Christi auf Erden trägt.": Johannes XXIII.
Bei der Besitzergreifung der Lateran-Basilika, der Kathedrale von Rom, am 23. November 1958, sagte Papst Johannes XXIII.: "Wir haben nicht das Recht, einen langen Weg vor Uns zu sehen." Er zitierte die Worte aus dem Hymnus der Non des Breviers, die zur neunten Stunde altrömischer Tageszeit gebetet wird: "Largire lumen vespere: quo vita nusquam decidat." Schenke uns Licht für den Abend, und möge unser Leben ihm nirgends entgleiten! Dann fügte er hinzu: "Wer seinen Blick immer vertrauensvoll auf Gott richtet, für den gibt es keine Überraschungen, nicht einmal die Überraschungen des Todes. Der Tod ist heilig, weil er den Weg zur Herrlichkeit und zur ewigen Seligkeit auftut." Eine Woche später machte er bei einem Besuch im römischen Kolleg der Propaganda Fide die Bemerkung: "Es ist jetzt ein Monat seit Beginn des Pontifikates vergangen, das in der Fortsetzung des Hirtenamtes des heiligen Petrus, nachdem es Unsere Person nur eben berührt hat, seinen Weg nehmen wird bis zum Ende der Zeiten." Diese Bemerkungen zeigen, dass der Heilige Vater selbst nicht mit einer langen Dauer seines Pontifikates gerechnet hat. Er sollte darin recht behalten.
Gleichwohl wird die folgende Dokumentation erweisen, in welchem Ausmaß dieses kurze Pontifikat in die Geschichte der Kirche eingegangen ist. Freilich kann eine Darstellung, die sich in der Hauptsache auf schriftliche Dokumente stützt, nicht den Anspruch erheben, die einzigartige Wirkung gerade dieses Papstes auf seine Mitwelt gebührend aufzuweisen, geschweige denn zu würdigen. Sie vermag ja nicht jenes Fluidum der Persönlichkeit dieses Papstes wiederzugeben, das seiner Amtsführung ihr Gepräge und einen bedeutenden Teil ihrer Wirkung auf die vielen Menschen gab, als deren "pastor et nauta" er - nach der Weissagung des Malachias - bestellt war.
Der Lebenslauf von Angelo Giuseppe Roncalli
Angelo Giuseppe Roncalli wurde am 25. November 1881 in dem Dorf Sotto il Monte in der Provinz und Diözese Bergamo als drittes von dreizehn Kindern des Bauern Giovanni Roncalli und der Maria Anna geb. Mazzola geboren. Drei seiner Brüder und eine Schwester haben ihn überlebt.
Angelo ging den Weg eines Knaben vom Lande, der Priester werden will. 1892 trat er in das Gymnasialseminar seiner Diözese ein. Im Jahre 1900 durfte er in Rom seine theologischen Studien beginnen, die freilich im folgenden Jahr durch eine einjährige Militärdienstzeit unterbrochen wurden. Am 10. August 1904 empfing er in Rom die Priesterweihe. Seine Primiz feierte er im kleinsten Kreise; seine Angehörigen konnten wegen der Kosten für Fahrt und Aufenthalt nicht nach Rom kommen. Er vollendete seine theologischen Studien mit dem Doktorat und hatte danach soeben mit dem Studium des Kanonischen Rechtes begonnen, als sein Bischof Giacomo Radini-Tedeschi ihn zu seinem Sekretär ernannte. Zehn Jahre lang, von 1905 bis 1914, diente er in dieser Stellung seinem Bischof, mit dem ihn ein tiefes Vertrauensverhältnis verband. Zur gleichen Zeit lehrte er Fundamentaltheologie und Kirchengeschichte am Priesterseminar in Bergamo. In diesen Jahren begann er auch, und das ist nicht unwesentlich für seinen priesterlichen Charakter, sich mit der Persönlichkeit und Wirksamkeit des heiligen Karl Borromäus zu beschäftigen. In fünf Bänden, von denen der letzte erschien, nachdem er schon den Stuhl Petri bestiegen hatte, gab er die Visitationsakten des großen Exekutors der tridentinischen Reformen heraus.
Im Juni 1915 wurde er zum Militärdienst einberufen; er ging als Sanitätsunteroffizier einer Infanterieeinheit in den Krieg und wurde 1916 zum Lazarettpfarrer ernannt. Jahre später hat er einmal geschrieben, sein Dienst an den verwundeten Soldaten habe ihm tiefe Einsicht in das Leben und in das Wesen des priesterlichen Apostolates vermittelt. Nach Kriegsende kehrte er in sein Amt als Professor am Priesterseminar zurück.
Die Stunde seiner Berufung zu einem umfassenderen Dienst schlug, als Benedikt XV. ihn am 7. Mai 1921 zum Präsidenten des Päpstlichen Werkes für die Glaubensverbreitung in Italien berief. So kam er nach Rom. Nach vierjährigem Wirken in diesem Amt wurde er am 19. März 1925 zum Erzbischof erhoben und mit dem schwierigen Auftrag eines Apostolischen Visitators nach Bulgarien entsandt. Damit begann jene Zeit seines Lebens, die er später einmal die fruchtbarste genannt hat. Er hat sich den Ländern, Völkern und der Christenheit des Ostens mit seiner ganzen Seele geöffnet, und die Liebe zu ihnen wurde zu einem Merkmal seines Wesens. Am 16. Oktober 1931 erhob ihn Papst Pius XI. zum Apostolischen Delegaten in Bulgarien. Die Möglichkeit zur Errichtung eines solchen Amtes in Sofia, das zwar keinen diplomatischen Charakter hat, aber doch politische Kontakte voraussetzte und nach sich zog, war nicht zuletzt seinem vermittelnden und ausgleichenden Wesen zu danken. Am 21. November 1934 vertauschte er dieses Amt mit dem des Apostolischen Delegaten für die Türkei und Griechenland, das ihn in neue und noch bedeutendere Verbindung mit der Griechisch-Orthodoxen Kirche und dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel brachte.
Fast genau zehn Jahre später, am 22. Dezember 1944, rief Pius XII. ihn auf ein neues, ganz anders gelagertes und damals überaus schwieriges Wirkungsfeld. Er wurde Nuntius in Frankreich, dessen Volk damals zutiefst zerrissen und schwer heimgesucht war. An anderer Stelle wird zu berichten sein, was der Nuntius Roncalli über seine eigentliche Mission hinaus für Deutschland, besonders für die deutschen Kriegsgefangenen, getan hat. Was Frankreich selbst betrifft, bedurfte es zunächst sehr großen Taktes, um das Ressentiment weiter und vor allem politisch führender Kreise gegen den Episkopat und den Vatikan abzubauen, denen man vorwarf, das VichyRegime mindestens toleriert zu haben. Dem Nuntius gelang das. Er fand ein überaus freundliches Verhältnis zu dem Volk, bei dem er den Papst zu vertreten hatte. Bezeichnend dafür mag es sein, dass er 85 von den 87 französischen Diözesen persönlich besuchte. Auch innerkirchliche Krisen, vor allem die um die Arbeiterpriester, bereiteten ihm manche schwere Sorge, bestätigten aber auch seinen Ruf, vermittelnd und ausgleichend eingegriffen zu haben.
Im Juni 1951 wurde der Nuntius zugleich zum ersten ständigen Beobachter des Heiligen Stuhles bei der UNESCO ernannt.
Am 12. Januar 1953 wurde Roncalli zur Würde des Kardinalates erhoben. An demselben Tage, als Präsident Auriol ihm das Kardinalsbirett überreichte, erhielt er auch die am 15. Januar vollzogene Ernennung zum Patriarchen von Venedig, wo er am 15. März seinen Einzug hielt. Schon in Venedig hielt er, wie später in Rom, nach kurzer Amtszeit eine Diözesansynode ab. Ein Monument seines Wirkens ist auch die Restauration des Markusdomes. Zweimal noch vertrat er den Papst als Legatus a latere: im Oktober 1954 beim Marianischen Kongress in Beirut und am 25. März 1958 bei der Hundertjahrfeier der Erscheinungen von Lourdes zur Konsekration der unterirdischen Basilika des hl. Pius X. Es war sein letztes Wiedersehen mit Frankreich.
Am 25. Oktober 1958 trat er ins Konklave ein, und am 28. Oktober ging er als Papst Johannes XXIII. daraus hervor. Er wählte diesen Namen im Andenken an seinen Vater und seine Pfarrkirche, unter anderm aber auch deshalb, weil fast alle Johannes-Päpste nur kurze Zeit regiert haben. Zum Wahlspruch nahm er die Worte: Oboedientia et Pax. Am 4. November, dem Tag des hl. Karl Borromäus, wurde er gekrönt. Sein Pontifikat dauerte 4 Jahre, 7 Monate und 7 Tage. Am Pfingstmontag, dem 3. Juni 1963, um 19.49 Uhr, ging er heim zu Gott.
Pastor et nauta
1. "Jedes Pontifikat erhält seine Züge und sein Gesicht von dem, der es verkörpert und ihm seine Eigenart aufprägt" (Krönungshomilie). Dieser Ausspruch des verstorbenen Papstes gilt für sein Pontifikat insofern in besonderer Weise, als das Wirken dieses Papstes weitgehend Ausfluss seines Charismas war. Dessen natürlichen Wurzelgrund bildete die bäuerliche Welt, der er entstammte: ihre Einfachheit und Armut, ihre Abhängigkeit von dienenden Menschen und von dem, der Sonne und Regen schickt. Johannes wußte darum, was diese Welt für sein Leben bedeutete. In seinen nachgelassenen Tagebüchern heißt es: "Ich bin aus der Armut und den kleinen Verhältnissen von Sotto il Monte hervorgegangen; ich habe immer versucht, mich niemals davon zu entfernen." Seine Vorliebe für die einfachen Leute, aber auch für die unscheinbaren Großen der Kirche, den hl. Josef, den hl. Markus und den Pfarrer von Ars, erklärt sich aus dieser Bescheidenheit. Dazu trat die Erfahrung späterer Jahre, besonders während der beiden Weltkriege. Auch davon berichten die Tagebücher: "Ich habe wieder einmal mein Buch gelesen, das ich auf der Höhe des ersten Weltkrieges geschrieben habe: die letzten Tage Bischof Radinis, sein letzter Ausruf: Friede, Friede ... ich möchte, dass dies auch meine letzte Bitte als Papst sei."
Der Wille Johannes' XXIII., zu dienen, Einheit und Frieden zu stiften, ließe sich leicht aus den Erfahrungen seiner Kindheit und seiner Mannesjahre begründen, doch erschlösse ein solcher Versuch seine Persönlichkeit niemals vollständig. Was das Charisma dieses Papstes ausmachte, das war die in seltener Weise geglückte Einheit von natürlichen und übernatürlichen Gaben, die bruchlose Einverleibung menschlich-geschichtlicher Erfahrung in eine tiefgläubige Existenz, die ganz aus der Heiligen Schrift lebte. Seine Reden und Ansprachen bezeugen das fortgesetzt. Bereits in seiner ersten Radiobotschaft vom 30. Oktober 1958 heißt es: "Wir umarmen die gesamte Kirche des Ostens genauso wie die des Westens mit warmer väterlicher Liebe; und auch jenen, die von diesem Apostolischen Stuhl getrennt sind ... , auch jenen öffnen Wir voll Liebe Unser Herz und Unsere Arme. Wir wünschen glühend ihre Heimkehr in das Haus des gemeinsamen Vaters, und Wir wiederholen die Worte des Erlösers: ,Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast; lass sie eins seien, wie wir eins sind' (Joh. 17, 11)." Und wenige Sätze später wendet er sich in der gleichen Botschaft an die "Anführer aller Nationen": "Warum legt man nicht endlich die Streitigkeiten und Spannungen in gerechter Weise bei? .. Was verlangen, was erflehen die Menschen von euch? Nicht neue Monsterwaffen, die unsere Zeit ängstigen und die Ursache von Brudermord und allgemeiner Vernichtung werden können, sondern Frieden, Frieden ... Doch muss man ernstlich bedenken, was die Engel über der Wiege des göttlichen Kindes sangen: ,Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen, die guten Willens sind' (Luk. 2, 14). Denn es gibt keinen wahren Frieden für die Bürger, die Völker, die Rassen, wenn er nicht zuerst ihren Seelen geschenkt wird ... In dieser ernsten Stunde wiederholen Wir die Worte Christi: ,Den Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch' (Joh. 14,17)." In der Krönungshomilie am 4. November 1958 stellte Johannes XXIII. die Frage nach dem Ideal des Papstes, wie er es sah. Und er antwortete: "Der neue Papst gleicht auf Grund seines ganzen Lebens Joseph, dem Sohne Jakobs, der seine von schwerem Unglück betroffenen Brüder vor sich kommen lässt und sich ihnen voll Liebe und Mitleid offenbart: ,Ich bin Joseph, euer Bruder' (Gen. 45,4)." Im gleichen Atemzug stellte er neben die Gestalt des alttestamentlichen Joseph ihre Erfüllung im Neuen Testament: den Guten Hirten (Joh. 10, 1-21). Bruder und Hirt in einem, das war sein Papstideal. Er hat es in seinen Reden immer wieder entwickelt und ausgeführt, in mancherlei Variationen, seine Josephsnachfolge am ergreifendsten beim Empfang von 53 amerikanischen Rabbinern: "Ich bin Joseph, euer Bruder." Zitate vom Guten Hirten finden sich in fast allen seinen Reden. Brudersein und Hirtendienst drängten ihn unablässig dazu, Einheit zu suchen und Frieden zu stiften, wie er es in seiner ersten Weihnachtsbotschaft 1958 ausgeführt hat. Alle seine Weihnachtsbotschaften behandeln das gleiche Thema in seinen verschiedenen Entfaltungen; fast hymnisch pries er Frieden und Einheit in seiner letzten Weihnachtsbotschaft 1962.
Er entzog sich nicht seinem Auftrag: "verbum et exemplum" (Ansprache zum Jahrestag seiner Krönung 1959). Er ging zu den ihm anvertrauten Schafen und suchte ihr Vertrauen zu gewinnen. Dabei kamen ihm seine Einfachheit, seine natürliche Herzlichkeit und sein gesunder Humor sehr zustatten. Insbesondere seine kräftige, fast derbe Sprache, die frei war von jeder Stilisierung und jedem Pathos, gewann ihm die Herzen. Die Anekdoten aus der ersten Zeit seines Pontifikates sind zahllos. Er besuchte die Waisen und Kranken, verbrachte Stunden mit den Gefangenen von Regina Coeli und erzählte ihnen die trostreiche Geschichte von seinem Onkel, der wegen Wilddieberei ebenfalls hatte sitzen müssen; er verlangte auch, zu den Schwerverbrechern geführt zu werden; einer von ihnen erklärte nach dem Besuch: Die Stunde war mehr wert als eine ganze Enzyklika. Die ungewöhnliche Form seiner Seelsorge sicherte ihm das Herz des einfachen Mannes und gewann ihm nach und nach auch die Sympathie der kritisch Abwartenden. Die folgende Stelle aus seinem Tagebuch mag daher ein wenig befremden: "In den ersten Tagen meines Pontifikats gab ich mir nicht volle Rechenschaft über das, was es heißen will, Bischof von Rom zu sein und damit Hirt der universalen Kirche. Dann, eine Woche nach der anderen, wurde es mir ganz klar, und ich fühlte mich wie zu Hause, so als ob ich nichts anderes während meines Lebens getan hätte." Man kann diese Selbstkritik nur dahin verstehen, dass ihm trotz aller Kontakte, die er mit der Bevölkerung aufnahm und die er in den folgenden Jahren immer beibehielt, indem er bei seinen Fahrten durch Rom seine Begleitung stehenliess und sich in den Nebenstraßen unter das Volk mischte ("applaudiert nicht soviel, dann können wir uns länger unterhalten", mahnte er häufig), noch nicht ganz klar war, wie er der Hirte der Seelen werden könne. Aber nach Ausweis des Tagebuches wußte er das bald.
Als erstes führte er in Rom für die Sonntage der Fastenzeit die Stationsgottesdienste wieder ein; sie wurden seit dem 15. Jahrhundert nicht mehr gefeiert: Johannes als Bischof inmitten der Gemeinde, zu Fuß in der Prozession singend und betend, jeweils in verschiedenen Kirchen der Stadt. Das römische Volk war tief bewegt. Der Eindruck steigerte sich, als Johannes zum ersten Mal seit Pius IX. am Gründonnerstag öffentlich die Feier der Fußwaschung vollzog, am Karfreitag in Santa Croce di Gerusalemme an der Kreuzverehrung teilnahm (bei dieser Gelegenheit wurde das "perfidis Judaeis" durch "Judaeis" ersetzt) und in der Osternacht in der Lateran-Basilika persönlich die Prophetien rezitierte und das Taufwasser weihte. In ähnlicher Weise und mit ähnlichem Erfolg führte Johannes auch die öffentliche Fronleichnamsprozession wieder für sein Bistum ein. Er dekretierte nicht nur, er ging zu seiner Herde. Seit 1724 war keine Prozession mehr durch die Straßen der Stadt gezogen. Ein Jahr später überschritt der Bischof die Grenzen der Innenstadt. Er feierte die heiligen Geheimnisse während der Fastenzeit mit den Arbeitern der Quartiere von Centocelle, Tiburtina und Garbatella. Die Notwendigkeit, die Seelsorge den veränderten Verhältnissen des modernen Rom anzupassen, veranlasste ihn, die Römische Diözesansynode, die erste in der Geschichte der Stadt, einzuberufen und durchzuführen. Über sie wird noch in anderem Zusammenhang zu berichten sein. Das alles war neu für Rom und kam unerwartet. Doch waren die Umstände günstig, und die Zeit hatte vorgearbeitet. Die lastenden Spannungen zwischen dem italienischen Staat und dem Vatikan gehörten der Vergangenheit an, die Erbschaft des Faschismus, des Krieges und der ersten Nachkriegsnot, die die Pontifikate Pius' XI. und Pius' XII. überschattet hatte, war weithin getilgt. Der Bischof von Rom erfasste die Gunst der Stunde und wurde nicht enttäuscht. Sichtbarsten Ausdruck fand das neue Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der Fahrt des Papstes am 4. Oktober 1962 durch das Gebiet des ehemaligen Kirchenstaates, nach Assisi und Loreto.
Il pàrroco del mondo
2. Was Rom und die Welt im ersten Jahre seines Pontifikates erlebten, entsprach in vielem dem, was sich der Papst als Bruder und Hirte zum Ziele gesetzt hatte: Heilung durch dienendes Beispiel und Bescheidenheit. So wünschte er von dem Hauptschriftleiter des "Osservatore Romano", dass alles Herausstellen seiner Person in der Zeitung in Zukunft unterbleiben solle; aus einer seiner Biographien, die für die Übersetzung ins Deutsche vorgesehen war, strich er eigenhändig alle Beiwörter heraus, die seine Person und sein Pontifikat schmückten. Aber es wurde vielfach noch nicht in diesem Sinne von der Welt verstanden. Man jubelte über den "neuen Stil", die "frische Luft" im Vatikan, das Beiseiteschieben des Protokolls, der zeitlich gebundenen Tradition, des Zopfes und rümpfte anderseits allzu leicht die Nase - zumal in den transalpinen Ländern - über manche der Regierungsmaßnahmen des Papstes, mit anderen Worten: man erfreute sich an dem Hirten und ließ ihn gern gelten, nicht aber immer den Steuermann des Schiffes Petri.
Das lag zum Teil daran, dass man, gewohnt an eine straffe Führung durch die zentralen Behörden der Kirche, die sichtbaren Früchte einer solchen Führung nicht missen wollte, sosehr man zuweilen unter ihr auch seufzte. Es lag aber anderseits auch an der Persönlichkeit des Papstes selbst. Einer seiner Freunde hat ihn einmal einen Mann von Entschlussfreudigkeit genannt, der zugleich auch sehr lange warten und zusehen konnte: ein Mann, entschieden und zugreifend in den entscheidenden Fragen, anderseits langmütig und gelassen in allen Fragen zweiter Ordnung. Dafür gibt es viele Belege aus seinem Leben, auch aus seinem Umgang mit den kurialen Kongregationen. Er nahm die Dinge nicht wichtiger, als sie sind, und am wenigsten nahm er sich selbst wichtig. Einem Bischof erzählte er: wenn er nachts vor Sorgen um die Kirche nicht schlafen könne, dann ließe er "den Papst" sagen: Angelo, nimm dich nicht zu wichtig. So konnte leicht der Eindruck entstehen, dem Papst entglitte zuweilen die Führung. Der Verlauf des Pontifikates hat erwiesen, dass diese Annahme irrig war. Johannes hat schon sehr früh in der für seinen Regierungsstil außerordentlich aufschlussreichen Ansprache an die lateinamerikanischen Bischöfe vom 15. November 1958 über "die besonderen Mittel für die besondere Situation" gehandelt. Auf die kürzeste Formel gebracht, lauten sie: Sehen, Urteilen, Handeln, die gleichen Mittel also, die er zwei Jahre später in seiner Enzyklika Mater et magistra empfahl, und der zweite Hauptsatz der Ansprache ist noch bezeichnender für seine Regierung. Er sagte: "Man muss sich klar und fest ein doppeltes Programm vornehmen: eines, das Wir das ,auf weite Sicht' nennen könnten, und ein anderes unmittelbarer Verwirklichung."
Es gibt ausreichend Hinweise dafür, dass diese beiden Methodensätze die Frucht der langen historischen Studien des Papstes waren. Er pflegte häufig seine Reden und Ansprachen mit geschichtlichen und persönlichen Reminiszenzen einzuleiten. Zwei seiner acht Enzykliken knüpfen an die Lebensbilder großer Heiliger an. Fast plaudernd legte er dar, wie sich Geschichte in der konkreten Situation vollzieht und wie der einzelne sie sinnvoll, zum Wohle der Kirche und der Menschen, beeinflussen kann. Von daher erklärt sich der ganz eigene, immer von der Geschichte und der persönlichen Erfahrung mitgeprägte Ton seiner Lehrschreiben. Der Papst wußte: es ist nicht alles Erstrebenswerte zu jeder Zeit und in jeder Situation zu erreichen. Man muss sich bescheiden können. Das Mögliche ist immer das beste (vgl. Princeps pastorum). Was aber das Mögliche jeweils ist, muss durch Versuche erkundet werden. Das hat er gewagt, als Bischof von Rom und als Hirte der Welt, und der Erfolg bahnte sich an. Weder die Vorbereitung noch die begonnene Durchführung des Konzils noch seine letzten Versuche, den 65 Millionen Katholiken hinter dem Eisernen Vorhang zu Hilfe zu kommen, sind ohne seinen Mut zum Wagnis denkbar. Ihn empfing er aus einem tiefen Gottvertrauen und aus seinem durch die Erfahrung bestätigten Glauben an den guten Kern im Menschen. Sein Optimismus wuchs, als er feststellte, auf welch fruchtbaren Boden seine Bemühungen fielen. So sagte er anlässlich der Eröffnung der Zweiten Session der Zentralkommission für die Konzilsvorbereitung am 7. November 1961: "Aus der Tatsache, dass das Wirken der Kirche und ihre Dokumente auf der ganzen Erde nicht nur Katholiken, sondern auch die Außenstehenden stark bewegen, die sich weniger darum kümmern könnten, darf man den Schluss ziehen, dass dieser Eifer nicht erlahmt, sondern steigt, je mehr die Angst und die Skepsis wachsen ... " In der Apostolischen Konstitution Humanae salutis vom 25. Dezember 1961 schrieb er: "Ja, Wir möchten Uns die Forderung Christi zu eigen machen, die ,Zeichen der Zeit' (Matth. 16, 4) zu unterscheiden, und glauben deshalb, in all der großen Finsternis nicht wenige Anzeichen zu sehen, die eine bessere Zukunft der Kirche und der menschlichen Gesellschaft erhoffen lassen." Er nannte als Ursachen dafür die beiden Kriege, die Schäden der falschen Ideologien und den wissenschaftlichen Fortschritt mit seinen furchtbaren Waffen. "Er hat den Menschen in der gegenwärtigen sorgenvollen Lage zum Nachdenken veranlasst ... All das erleichtert ohne Zweifel die apostolische Arbeit der Kirche. Denn viele, die bisher von ihrer hohen Sendung vielleicht keine Kenntnis hatten, sind heute, durch die Erfahrung eines Besseren belehrt, eher bereit, ihre Mahnung zu hören." Am eindeutigsten kommt der Optimismus des Papstes zum Ausdruck in seiner Eröffnungsansprache an das Konzil am 11. Oktober 1962: "In der täglichen Ausübung Unseres apostolischen Hirtenamtes geschieht es oft, dass bisweilen Stimmen solcher Personen Unser Ohr betrüben, die zwar von religiösem Eifer brennen, aber nicht genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil walten lassen. Sie meinen nämlich, in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie reden unablässig davon, dass unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten früherer Konzilien, was die christliche Lehre, die Sitten und die Freiheit der Kirche betrifft, alles sauber und recht zugegangen ... Wir aber sind völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten ... In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche die Menschheit in eine neue Ordnung einzutreten scheint, muss man viel eher einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit dem Ablauf der Zeiten, durch die Werke der Menschen und meistens über ihre Erwartungen hinaus sein eigenes Ziel, und alles, auch die entgegengesetzten menschlichen Interessen, lenkt er weise zum Heile der Kirche."
Diese Sätze lassen klar erkennen, in welchem Sinne Papst Johannes die Geschichte als Lehrmeisterin verstand. Ihm ging es bei ihrem Studium vor allem um die Erkenntnis dessen, wie sich die Vorsehung in der Zeit durchsetzt. Und er gab sich keiner Täuschung hin, dass nicht jedermann ihn bei seinem Wagnis, dem Willen Gottes die Wege zu ebnen, sofort verstünde. In sein Tagebuch schrieb er nach Erscheinen von Pacem in terris: "Die Welt ist aufgewacht. Allmählich wird die reine Lehre der Enzyklika den Zugang zu den Gewissen finden. Nein, es bekümmert mich nicht, was über mich geschrieben und gesagt worden ist. Es ist viel zuwenig im Vergleich zu den Ängsten Jesu, des Gottessohnes, während seines Lebens und seines Kreuzes." Der Papst nahm die Verkennung seiner Absichten auf sich, er wußte, dass das Erforschen der Pläne Gottes, ihr Sichtbarmachen und Durchsetzen, die Veränderung des Status quo ante immer zunächst Spannungen erzeugen wird. Er war bereit, dafür das Opfer seines Lebens zu bringen. Während seiner letzten Krankheit schrieb er in sein Tagebuch: "Dieses Bett ist ein Altar, der Altar verlangt ein Opfer. Hier bin ich, bereit. Ich habe vor mir ein klares Bild von meiner Seele, von meinem Priestertum, vom Konzil und der universalen Kirche."
Das Konzil
3. Wie sah Papst Johannes das Konzil, wie die universale Kirche? Befragt man die zahlreichen Verlautbarungen und Äußerungen, die er im Laufe von fast vier Jahren dazu gemacht hat, so stellt man fest: Das Bild war nicht von Anfang an in seinen Einzelheiten vorhanden. Es entstand nach und nach, erhielt Retuschen, bedingt durch Umstände und Situationen, denen der Papst im einzelnen wohl nachgab, ohne indessen jemals das große Ziel aus den Augen zu verlieren. Im folgenden soll keine vollständige Dokumentation des Konzils geboten werden. Sie wurde bereits in dieser Zeitschrift versucht. Es soll lediglich der Versuch gemacht werden, an Hand des Konzilsgeschehens und seiner Vorbereitung Einblicke in das Denken und Handeln des verstorbenen Papstes zu gewinnen sowie in seine Vorstellungen von den Aufgaben der Kirche in unserer Zeit.
Von den drei großen Aufgaben, die sich der Papst für die Zeit seines Pontifikates gestellt hatte: das Ökumenische Konzil, die Römische Diözesansynode und die Neukodifizierung des Kanonischen Rechts, und die er am 25. Januar 1959 ankündigte, hat er die letzte bis auf die Einsetzung einer Kommission nicht mehr in Angriff nehmen können. Von der ersten und wichtigsten, dem Konzil, hat er die Vorarbeiten, die Durchführung der Ersten Session und die erste Zwischenzeit bis zur Zweiten Session geleitet. Allein der Römischen Diözesansynode hat er von Beginn bis Ende vorstehen können. Der Papst hatte am 25. Januar 1959 eindeutig erklärt, dass beide Vorhaben "aus der doppelten Aufgabe, die einem Nachfolger des heiligen Petrus anvertraut ist", erwachsen: "aus der doppelten Verantwortlichkeit als Bischof von Rom und als Hirte der universalen Kirche". Er hat später mehrfach erklärt, dass er die Römische Diözesansynode als einen Modellfall für das spätere Konzil betrachte, am eindeutigsten in seiner Ansprache aus Anlass der Promulgierung der Synodalstatuten am 28. Juni 1960, wo er sagte: "Die Synode will eine Hinführung (avviamento) sein zu der Feier, die von erheblich größerer Bedeutung für die Gesamtkirche sein wird, nämlich zum Zweiten Vatikanischen Konzil." Aus dem Verlauf und den Ergebnissen der Synode, die nach Ansicht des Papstes ihr Ziel voll erreicht hat, lassen sich - trotz der beträchtlichen Unterschiede zwischen beiden Ereignissen - einige Aufschlüsse über seine Vorstellungen von der innerkirchlichen Reformarbeit des Konzils und noch mehr von der von ihm geplanten Neukodifizierung des CIC gewinnen. Da die Synodalstatuten Gesetzeswerk sind, sind diese Vorstellungen allein zu gewinnen durch einen genauen Textvergleich mit einem entsprechenden Gesetzeswerk der Kirche, dem derzeit gültigen CIC. Der Vergleich wurde durchgeführt von Ivo Fürer. Ein Resümee findet sich in der Zeitschrift "Civitas" (Januar 1962). Die Hauptergebnisse lauten: Im Gegensatz zum CIC ist in den Synodalstatuten das Priesterideal grundsätzlich auf die Seelsorge ausgerichtet. Auch das Ordensideal ist apostolisch orientiert, woraus sich der direkte und indirekte Einbezug der Orden in die Seelsorgearbeit ergibt. Texte über Prozessverfahren und Strafen fehlen in den Synodalbestimmungen. Von Privilegien des Klerus wird nicht gehandelt; das Wort Privileg kommt nicht mehr vor. Im Gegensatz zum CIC werden in den Statuten Würde und Aufgaben der Laien in der Kirche und Welt umschrieben und geklärt. Großes Gewicht wird auf eine effektive Koordination der vorhandenen Kräfte und auf eine richtige Planung gelegt. Die Synodalstatuten sind nicht defensiv, sie nehmen den modernen Möglichkeiten gegenüber eine positive Haltung ein, auf die Gefahren wird erst in zweiter Linie hingewiesen. Den Exkommunizierten und Suspendierten gegenüber herrscht Milde vor. Die Statuten unterstreichen mehrfach: ein Fortschritt der Kirche ist weniger von sensationellen Neuerungen als von geistiger Vertiefung der Verantwortung für das Reich Gottes zu erwarten. Eine gesamtheitliche Koordinierung der Kräfte ist wichtiger als dringliche Reformwünsche auf einzelnen Gebieten.
Es darf als sicher gelten, dass der Geist, der aus den Statuten der Römischen Synode spricht, nach Wunsch und Willen des Papstes auch die Arbeit des Konzils bestimmen sollte.
Über die Entstehung des dreifachen Planes: Konzil, Synode und Neukodifizierung des CIC, hat der Papst in seinem Tagebuch folgendes mitgeteilt: "Ohne jemals zuvor daran gedacht zu haben, erwähnte ich in einem früheren Gespräch mit meinem Staatssekretär am 20. Januar 1959 das Wort vom Ökumenischen Konzil, der Diözesansynode und der Reform des Kanonischen Rechts, ohne jemals zuvor daran gedacht zu haben und im Gegensatz zu allem, was ich mir vorgenommen oder über diesen Punkt vorgestellt hatte. Der erste, der überrascht war von meinem Vorschlag, war ich selbst, bevor noch irgend jemand anderes in der Lage war, Anzeichen seiner Reaktion zu geben." In seiner Ansprache an venezianische Pilger vom 8. Mai 1962 hat der Papst die Entstehung des Konzilsplanes mit ähnlichen Worten geschildert, ergänzt um den wichtigen Zusatz, dass er sich an jenem Tage mit dem damaligen Staatssekretär Tardini über die Frage unterhielt, ob angesichts der Lage der Welt "die Kirche ein Spielball der Fluten bleiben dürfe" oder ob man von ihr nicht "das Licht eines großen Beispiels" erwarten müsse, und nicht nur Mahnungen.
"Die Kirche als Spielball der Fluten", so beurteilte Papst Johannes die faktische Lage der Kirche in der modernen Welt; das darf wohl dahin interpretiert werden, dass sie in seinen Augen für die Welt nicht mehr das war, was sie ihrem Auftrag gemäß hätte sein sollen. So kam es am 25. Januar 1959 zur Ankündigung des Konzils. Der genaue Wortlaut der Ankündigungsrede, die frei gesprochen wurde, wird sich niemals mehr ermitteln lassen, denn der Text der Ansprache in San Paolo fuori le Mura wurde zunächst nicht veröffentlicht. Das Kommunique des "Osservatore Romano" (26./27. 1. 1959) lautete: "Was die Feier des Ökumenischen Konzils betrifft, so soll es nach Ansicht des Papstes nicht nur der Erbauung des christlichen Volkes dienen, sondern zugleich soll es eine Einladung an die getrennten Gemeinschaften zur Suche nach der Einheit sein ... "
Die doppelte AufgabensteIlung des Konzils wurde vom Papst am 30. Januar 1959 bestätigt, ja sogar in Richtung auf die "Einheit" akzentuiert, als er vor Pfarrern in S. Giovanni e Paolo erklärte: "Wir wollen keinen historischen Prozess aufziehen, Wir wollen nicht aufzuzeigen suchen, wer Recht und wer Unrecht hatte. Die Verantwortung ist geteilt. Wir wollen nur sagen: Kommen wir zusammen, machen wir den Spaltungen ein Ende."
Eine erste Präzisierung, wie die Einheit mit den getrennten Christen angebahnt werden könnte, erfolgte in der Rede an den venetianischen Klerus vom 24. April 1959: "Für den Osten zunächst die Annäherung (avvicinamento), dann das Zusammengehen (viaccostamento) und schließlich die vollkommene Wiedervereinigung (unità perfetta) so vieler getrennter Brüder mit der alten gemeinsamen Mutter; und für den Westen die hochherzige seelsorgliche Zusammenarbeit der beiden Klerus, des weltlichen und des Ordensklerus, unter dem Auge und unter der Leitung des Bischofs ... " Es fällt auf, dass die getrennten Christen des Westens in dieser Ansprache noch nicht erwähnt werden.
Nach der Einsetzung der Ersten Vorbereitenden Kommission (commissione antipreparatoria) zu Pfingsten 1959, die die erste Phase der Konzilsvorbereitung einleitete, kam es zu einer weiteren Klärung der Zielsetzungen des Konzils, wie sie sich in der Ansprache an das Päpstliche Griechische Kolleg am 14. Juni 1959 bekundete: Danach hat der Heilige Vater von Anfang an im Auge gehabt, dass das Konzil ausschließlich die katholische Kirche betreffen sollte. Sie müsse sich anpassen; in diesem Zusammenhang fiel zum ersten Mal das Wort aggiornamento. Es habe sich soviel in der modernen Welt gewandelt, sowohl unter den Gläubigen wie auch in der Lebensweise, die sie führen müssen. Wenn die Kirche das aggiornamento geleistet habe, dann könne sie sich den getrennten Brüdern zuwenden und ihnen sagen: Seht, was die Kirche ist, was sie tut, wie sie aussieht. Wenn die Kirche so in gesundem Maße modernisiert und verjüngt erscheint, dann erst könne sie zu den getrennten Brüdern sagen: Kommt zu uns. "Heute, das ist klar, ist es unmöglich und vergeblich, Diskussionen ohne Ende anzufangen, die zu nichts führen würden."
In seiner Antrittsenzyklika Ad Petra cathedram umschrieb dementsprechend der Papst das Ziel des Konzils wie folgt: "Das Hauptziel des Konzils besteht darin, die Entwicklung des katholischen Glaubens zu fördern, das christliche Leben der Gläubigen zu erneuern und die kirchliche Disziplin den Bedingungen unserer Zeit anzupassen. Das Konzil wird sicherlich ein großartiges Schauspiel der Wahrheit, Einheit und Liebe sein, ein Schauspiel, dessen Anblick für diejenigen, die von diesem Apostolischen Stuhl getrennt sind, eine milde Einladung sein wird, diese Einladung zu suchen und zu finden ... " Noch einmal unterstrich Johannes XXIII. das Nacheinander der Zielsetzungen in seiner Ansprache an die Diözesanpräsidenten der Katholischen Aktion Italiens Anfang August 1959.
In seiner Pfingstbotschaft 1960, unmittelbar nach Veröffentlichung des Motu proprio Superno die nutu, durch das die zweite und abschließende Phase der Konzilsvorbereitung eingeleitet wurde: Bildung der Kommissionen und des Sekretariates zur Förderung der Einheit der Christen sowie der Zentralkommission, traf der Papst zwei weitere Feststellungen in Hinblick auf das Konzil: ,,1. Das Ökumenische Konzil hat eine ihm eigene Struktur und Organisation, die nicht zusammengeworfen werden darf mit der ordentlichen und charakteristischen Funktion der verschiedenen Behörden und Kongregationen, die die Römische Kurie bilden ... Hier besteht ein klarer Unterschied: Etwas anderes ist die ordentliche Regierung der Kirche, etwas anderes das Konzil. 2. Das Ökumenische Konzil wird konstituiert durch die Gegenwart und Teilnahme der Bischöfe und Prälaten, die die lebendige Repräsentation der weltweiten katholischen Kirche darstellen ... "
Diese Gesichtspunkte und Feststellungen zusammenfassend und sie noch weiterführend, erklärte der Papst zu Beginn der Zweiten Phase der Konzilsvorbereitung am 14. November 1960: "Die Ökumenischen Konzile der Vergangenheit gaben vorwiegend Antworten auf die verschiedensten dringenden, die ,lex credendi' betreffenden Fragen der reinen Lehre in Hinblick auf Irrlehren und Irrtümer ... In der modernen Epoche einer Welt mit tief veränderten Gesichtszügen... handelt es sich um mehr als um den einen oder anderen Gegenstand der Lehre oder der Disziplin, den man wieder an die reinen Quellen der Offenbarung und der Überlieferung zurückrufen müsste, es handelt sich um die Substanz des menschlichen und christlichen Denkens und Lebens, deren überzeitliche Treuhänderin und Lehrerin die Kirche ist und die wieder zur Geltung und zum Leuchten gebracht werden muss ... Das Konzil hat jedoch eine ihm eigene Begrenzung, als ,Stadt auf dem Berge', sich zunächst ausschließlich mit dem zu beschäftigen, was unsere Mutter, die katholische Kirche, und ihre innere gegenwärtige Organisation betrifft ... Die Feier eines Konzils der Katholischen Kirche begreift in sich das Studium eines ganzen Komplexes von Beziehungen auf der Ebene nicht nur der Individuen und Familien, sondern auch aller Nationen, auf denen das Zusammenleben der Menschheit beruht." Über die Aufgaben des Sekretariates zur Förderung der Einheit der Christen sagte der Papst in der gleichen Rede, er habe ein Sekretariat vorgesehen, "das die Wünsche nach Information von Seiten unserer Brüder, die, obwohl getrennt - wie man zu sagen pflegt -, doch sehr wohl Unserer Achtung würdig sind, wenn sie das Verlangen haben, die Arbeit des Konzils zu verfolgen, im Lichte der Wahrheit, nach Maßgabe der Klugheit und mit liebenswürdigem Takt beantworten kann."
In der Schlussansprache zur Ersten Session der Zentralkommission für die Konzilsvorbereitung am 12. Juni 1961 brachte der Papst die Ziele des Konzils auf folgende knappe Formel: "dass der Klerus aller Grade in neuer Heiligkeit erstrahle; dass dem Volk Gottes die christlichen Wahrheiten und Gebote in möglichst geeigneter Weise verkündet werden; dass die neue Generation der Jugend ... zum rechten Leben angehalten werde; dass die Werke des sozialen Apostolates gefördert werden und dass der Missionseifer gestärkt wird, das heißt der Eifer, sich allen als Brüder und Freunde zu erweisen". Dann fragte der Papst: "Wie steht es um unsere geliebten Brüder, die vom Hort der Kirche getrennt sind? Wie steht es um die große Zahl von Menschen, die das Zeichen Christi nicht auf der Stirne tragen und doch Gottes Geschöpfe sind?" Er antwortete: "Ihr sollt gewiss sein, dass Wir ihre Stimmen und Aufmerksamkeiten aufrichtig schätzen. Auch im Hinblick darauf ist das Konzil keine spekulative Versammlung, sondern vielmehr ein lebendiger Organismus, der seinen Blick auf die ganze Welt richtet und sie umarmt. Das Haus, ... es ist die Kirche, die alle Menschen an ihre Brust einlädt."
Noch einmal kam der Papst in der Enzyklika Aeterna Dei auf das Konzil und die getrennten Christen zu sprechen: "Wir vertrauen fest darauf, dass eine so feierliche Versammlung der Bischöfe nicht nur jene Einheit im Glauben, im Kult und in der Leitung bestärken und festigen werde ... , sondern auch die Blicke von vielen auf sich ziehen werde, die den Namen Christen tragen, und sie alle dazu aufrufen werde, sich um den ,erhabenen Hirten der Herde' (Hebr. 13, 20) zu sammeln, der dem Petrus und seinen Nachfolgern seine Herde für immer zur Führung anvertraut hat (vgl. Joh. 21, 15-17)."
In der Apostolischen Konstitution Humanae salutis zur Einberufung des Konzils vom 25. Dezember 1961 wurden nochmals alle Gesichtspunkte und Gründe für die Einberufung des Konzils zusammengefasst. Besonders unterstrichen wurde die Notwendigkeit einer Verdeutlichung der fundamentalen Wahrheiten zur Ebnung des Weges für die Getrennten. Es wurde außerdem dem Konzil eine weitere konkrete Aufgabe gestellt: "der ganzen Welt, auf der die Ungewissheit und Angst vor ständig neu aufbrechenden schrecklichen Konflikten lastet, allen Menschen guten Willens eine Möglichkeit zu bieten, Ratschläge für den Frieden zu erarbeiten und deren Verwirklichung die Wege zu bereiten".
Diesem letzten, dritten Themenkreis des Konzils war fast ausschließlich die Rundfunkbotschaft des Papstes an die Katholiken der Welt vom 11. September 1962 gewidmet. Der Papst sprach in ihr nur kurz über die verschiedenen Lebensäußerungen der Kirche nach innen (ad intra), behandelte dagegen ausführlicher jene nach außen (ad extra) mit beschwörenden Worten: die Notwendigkeit der Lösung der sozialen Frage, das Verhältnis von Kirche und Staat, das Recht auf religiöse Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Die Versammlung der Väter antwortete auf den Ruf des Papstes in ihrer ersten Konzilsbotschaft an die Welt vom 20. Oktober 1962 mit ihrer Bereitschaft, den Frieden und die Gerechtigkeit durch dienende Liebe zu fördern.
In seiner denkwürdigen Rede zur Eröffnung des Konzils am 11. Oktober 1962 gab der Papst den versammelten Vätern schließlich Einblick in das, was er unter Schutz und Verbreitung der Lehre heute versteht: "Das 21. Ökumenische Konzil ... will die katholische Lehre rein, unvermindert und ohne Entstellung überliefern, so wie sie trotz Schwierigkeiten und Kontroversen gleichsam ein gemeinsames Erbe der Menschheit geworden ist. Dieses Erbe ist nicht allen genehm, aber es wird allen, die guten Willens sind, als ein überreicher und kostbarer Schatz angeboten. ... Doch ist es nicht unsere Aufgabe, diesen kostbaren Schatz nur zu bewahren, als ob wir uns einzig und allein für das interessieren, was alt ist, sondern wir wollen jetzt freudig und furchtlos an das Werk gehen, das unsere Zeit erfordert, und den Weg fortsetzen, den die Kirche seit zwanzig Jahrhunderten zurückgelegt hat .... Es ist auch nicht unsere Sache, gleichsam in erster Linie einige Hauptpunkte der kirchlichen Lehre zu behandeln und die Lehre der Väter wie der alten und neueren Theologen weitläufig zu wiederholen, denn Wir glauben, dass Ihr diese Lehren kennt und sie Eurem Geiste wohl vertraut sind. Denn für eine solche Disputation musste man kein Ökumenisches Konzil einberufen. Heute ist es wahrhaftig nötig, dass die gesamte christliche Lehre ohne Abstrich in der heutigen Zeit von allen durch ein neues Bemühen angenommen werde. Heiter und ruhigen Gewissens müssen die überlieferten Aussagen, die aus den Akten des Tridentinums und des Ersten Vatikanums hervorgehen, daraufhin genau geprüft und interpretiert werden. Es muss, was alle ernsthaften Bekenner des christlichen, katholischen und apostolischen Glaubens leidenschaftlich erwarten, diese Lehre in ihrer ganzen Fülle und Tiefe erkannt werden, um die Herzen vollkommener zu entflammen und zu durchdringen. Ja, diese sichere und beständige Lehre, der gläubig zu gehorchen ist, muss so erforscht und ausgelegt werden, wie unsere Zeit es verlangt... Denn etwas anderes ist das Depositum Fidei oder die Wahrheiten, die in der zu verehrenden Lehre enthalten sind, und etwas anderes ist die Art und Weise, wie sie verkündet werden, freilich im gleichen Sinn und derselben Bedeutung. Hierauf ist viel Aufmerksamkeit zu verwenden; und wenn es not tut, muss geduldig daran gearbeitet werden, das heißt, alle Gründe müssen erwogen werden, um die Fragen zu klären, wie es einem Lehramt entspricht, dessen Wesen vorwiegend pastoral ist."
Über die Irrlehren in unserer Zeit und ihre Überwindung sagte der Papst: "Die Kirche hat den Irrtümern zu allen Zeiten widerstanden, oft hat sie sie auch verurteilt, manchmal mit großer Strenge. Heute dagegen möchte die Braut Christi lieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden als die Waffe der Strenge erheben. Sie glaubt, es sei den heutigen Notwendigkeiten angemessener, die Kraft ihrer Lehre ausgiebig zu erklären, als zu verurteilen. Das bedeutet nicht, dass es keine falschen Lehren und keine gefährlichen Meinungen gebe, die man vermeiden und zerstreuen muss. Aber diese widerstreiten so offensichtlich den rechten Grundsätzen der Ehrbarkeit, und sie haben so verheerende Früchte gezeitigt, dass heute bereits die Menschen von sich aus solche Lehren verurteilen ... Was aber am meisten zählt: sie haben aus Erfahrung gelernt, dass die Anwendung äußerer Gewalt gegen andere, das Potential der Rüstungen und politische Vorherrschaft nicht genügen, um die ihnen aufliegenden schweren Probleme glücklich zu lösen ... " Noch einmal beklagte der Papst, dass die "sichtbare Einheit in der Wahrheit" von der "gesamten christlichen Familie noch nicht in Vollendung und Vollkommenheit erreicht" sei, wie auch, dass "bisher der größte Teil der Menschheit noch nicht von den Quellen der göttlichen Gnade lebt, die in der Katholischen Kirche fließen, obwohl alle Menschen von Geburt an durch das Blut Christi erlöst sind". Und er fasste zusammen: "Dieses ist die Absicht des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils: da es die hervorragendsten Kräfte der Kirche vereint und da es sich eifrig bemüht, dass die Heilsbotschaft von den Menschen bereitwillig aufgenommen werde, bereitet und festigt es auf diese Weise den Weg zu jener Einheit des Menschengeschlechtes, die das notwendige Fundament bildet für eine Verähnlichung der irdischen mit der himmlischen Stadt. .. "
Aus jenen nach und nach entwickelten und präzisierten Vorstellungen, die der Papst von den Aufgaben des Konzils gegenüber unserer Zeit hatte, geht eindeutig hervor, dass er die Anstrengungen der Kirche nicht auf diese allein beschränkt sehen wollte. Sie sollte vielmehr, ihrem Wesen entsprechend, den Weg zu den Herzen der Getrennten und zu der angstvoll stöhnenden Menschheit suchen, den ihr Stifter und Meister gegangen ist. Sein Vermächtnis, dessen Neuerfahrung und Vertiefung, das ist die Rettung!
Berücksichtigt man alle Dokumente des Papstes während der letzten zwei Jahre seines Pontifikates, so darf wohl behauptet werden, dass der dritte Themenkreis, den er dem Konzil zur besonderen Beachtung aufgetragen hatte: das Verhältnis von Kirche und Welt, mit fortschreitender Zeit für ihn an Bedeutung gewann und dass es ihm noch zu Lebzeiten vergönnt war, festzustellen, wie es die weltweite Resonanz auf Mater et magistra und Pacem in terris beweist, dass "die Kirche weder ein Anhängsel von Zeitläuften noch deren missliebiger Opponent ist, sondern die Vorkämpferin für grundlegende Änderung". Sie ist "kein Spielball der Fluten" mehr.
Die Art und Weise, wie der Papst sein großes Ziel ansteuerte, lässt sich nur mittelbar seinen Ansprachen entnehmen. Aufschlussreicher dafür ist, was er während der drei Jahre der Konzilsvorbereitung, während der Ersten Session und danach tat und wie er sich in den verschiedenen Phasen verhielt. Denn der Weg von jenem einfallenden Blitz am 20. Januar 1959 bis zur Eröffnung des Konzils am 11. Oktober 1962 war weit und beschwerlich und nicht frei von Widerständen und Hindernissen.
Der Papst ging klug vor, bedächtig und doch wieder auch rasch zugreifend, wenn nötig. Er wollte ein Konzil der ganzen Kirche. Daher forderte er die Episkopate, die Orden, Universitäten und theologischen Fakultäten der ganzen Welt auf, ihre Wünsche zu benennen und ihre Meinung zu sagen. Er war erfahren genug, zu wissen, dass das zu sammelnde und gesammelte Material im Umfang von zehn dicken Folianten innerhalb der von ihm gesetzten Frist unmöglich gründlich durchgearbeitet werden konnte. Er ließ den zehn Kommissionen bei der Vorbereitung der Schemata freie Hand, er intervenierte nicht, als sich Spannungen zwischen einzelnen Vorbereitenden Kommissionen abzeichneten. Seine Führung der Zentralkommission bei der Verabschiedung der Schemata war alles andere als straff. Er ließ es zu, dass verschiedene kuriale Kongregationen durch Dekrete und Verordnungen die Konzilsarbeit zu präjudizieren versuchten. Nur in einem zeigte er sich unerbittlich: Das Konzil muss stattfinden ("Il concilio si deve fare malgrado la curia"), und er setzte den von ihm vorgesehenen Zeitplan durch.
In die Arbeiten der Ersten Session griff er zunächst nicht ein. Die Debatten flossen umständlich dahin. Er ließ es zu. Warum? Er wußte: zum ersten Male in der Geschichte der Kirche war ein Konzil Forum der Väter der ganzen Welt, einer Kirche, die sich heute wirklich erstreckt bis an die Grenzen der Erde. Die Expansion der Kirche während der letzten fünfzig Jahre vollzog sich unter dem Druck weltpolitischer Entwicklung äußerst rasch. Querverbindungen konnten, wenn überhaupt, nur mühsam und rein äußerlich geknüpft werden. Eine wichtige, wenn nicht die schwerwiegendste Folge jener Entwicklung war das Auseinandertreten der verschiedensten Denkrichtungen innerhalb der universalen Kirche, ohne dass dies an ihrer Peripherie zu Bewusstsein kam oder, was noch gravierender war, dass die verschiedenen Aspekte theologischer und pastoraler Natur hart gegeneinanderstanden, ohne dass die Gegensätze ausgetragen wurden, wodurch die Stoßkraft des apostolischen Willens geschwächt wurde. Der Papst hat sich immer als Papst aller verstanden. Gerade deshalb wollte er, dass sich die Väterversammlung in der Begegnung und Auseinandersetzung der verschiedenen Sichten der Situation der Kirche von heute bewusst würde. Nur aus der Erkenntnis der Gründe für die Entortung der Kirche in der modernen Welt, der faktisch weitgehenden Unwirksamkeit ihrer Verkündigung - nichts anderes besagt ja das Wort des Papstes von der Kirche "als Spielball der Fluten" -, war nach seiner Überzeugung ein gereinigtes Bild der Kirche im Ganzen der heutigen Welt zu gewinnen.
Der entscheidende Eingriff des Papstes erfolgte am 20. November 1962. Er setzte das Schema über die Quellen der Offenbarung trotz fehlender Zweidrittelmehrheit ab und berief eine Gemischte Kommission zur Ausarbeitung eines neuen Schemas unter der Leitung der Kardinäle Ottaviani und Bea. Nachdem sich die Versammlung der Väter am 4. Dezember durch den Mund des Kardinals Suenens zu der doppelten Aufgabe des Konzils bekannt hatte, die in den Monaten zuvor mehrfach vom Papste dargelegt worden waren: die Kirche ad intra, die Kirche ad extra, in einer veränderten Welt, erfolgte nach Ende der Ersten Session sehr rasch die Straffung der Konzilsmaterien, die Einsetzung der Gemischten Kommissionen und einer Koordinierungskommission, kurzum: die notwendige Transmission für eine fruchtbare Vor- und Weiterarbeit zur Zweiten Session. Die zwischenkonziliäre Apparatur begann zu arbeiten. Da starb der Papst. Das Konzil wurde suspendiert.
Es ist bisher Stückwerk geblieben. Trotzdem zeitigte es Wirkung, eine Wirkung, wie sie sich niemand vor dem Konzil vorzustellen gewagt hätte. Offensichtlich hatte die Vorsehung Gottes dem Mann, unter dessen Namen das 21. Konzil in die Geschichte eingehen wird, so viel Zeit zugemessen, dass er die Absichten seines Pontifikates aller Welt deutlich machen konnte: die Öffnung der Kirche nach außen, nach allen Seiten und Fronten, per verbum und exemplum: Ich bin der gute Hirt, ich bin Joseph, euer Bruder - und zugleich so kurz, um zu zeigen: bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Nach dem Tode Johannes' haben die Väter der Kirche sich zu dem Programm des Papstes bekannt; sie haben sein Pontifikat als den Beginn einer neuen Epoche der Kirche gerühmt. Einer der Kardinäle, die sehr bald nach dem Tode des Papstes in Rom eintrafen, erklärte: "Was die Zukunft betrifft, so handelt es sich darum, fortzusetzen, was schon in die Wege geleitet worden ist, und zwar in einer Form, dass es wirklich etwas Neues wird, ohne dass dadurch der Zusammenhang mit der Vergangenheit geschwächt wird."
Papst Johannes hatte keine Gegner, wohl aber manches von dem, was er tat und wollte. Dieses unausweichliche Los einer jeden geschichtlichen Leistung zu ihrer Zeit fasste eine international angesehene Zeitung mit folgenden Worten zusammen: "Die Ausstrahlungskraft Papst Johannes' auf die Seelen war groß. Sein Pontifikat lässt sich erst nach Jahren beurteilen. Und man weiß, dass sich der geschichtliche Erfolg nicht an den Hosiannarufen messen lässt. Oberhirten, denen die Nachwelt ein Denkmal der Dankbarkeit errichtete, hatten zu Lebzeiten von der Welt ähnliche Schmach erlitten wie ihr göttlicher Meister." Nach dem Tode des Papstes wurde mehrtägige Staatstrauer ausgerufen, u. a. auf den Philippinen, in Libanon, Spanien, Portugal, Italien, Liechtenstein und mehreren lateinamerikanischen Staaten, darunter Kuba und Brasilien. Die Anteilnahme des römischen, französischen, nordamerikanischen und polnischen Volkes und vieler anderer an den letzten Tagen des Papstes und seinem Tod war überwältigend. Die Fahnen standen auf halbmast sowohl auf dem Buckingham-Palace, dem Wohnsitz des Oberhaupts der Kirche von England und Schottland, wie auf dem Glaspalast der Vereinten Nationen. Der Weltrat der Kirchen, die Vertreter der Judenheit und die muslimischen Nationen gedachten dankbar des Toten.
Zu Person und Wesen des Pontifikates:
Krönungshomilie, AAS 1958, 884-888 (HK XIII /116-117).
Besitzergreifung der Lateran-Basilika, AAS 1958, 909-921 (HK XIII / 175).
Erste Rundfunkbotschaft, AAS 1958, 838-841 (HK XIII/114-115).
Weihnachtsbotschaft 1958, AAS 1959, 5-12 (HK XIII/239-242).
Weihnachtsbotschaft 1959, AAS 1960, 27-35 (HK XIV/226-229).
Weihnachtsbotschaft 1960, AAS 1961, 5-15 (HK XV / 221-225).
Weihnachtsbotschaft 1961, AAS 1962, 46-48 (HK XVI/228-231).
Weihnachtsbotschaft 1962, AAS 1963, 13-19 (HK XVII/231-233).
Osterbotschaft 1961, AAS 1961, 193-197 (HK XVI/369-370).
Osterbotschaft 1962, AAS 1962,291-295 (HK XVI/406-407).
Pfingsthomilie 1962, AAS 1962, 437-447 (HK XVI/502-505).
Ansprache zum Jahrestag seiner Krönung 1959, AAS 1959, 814-818 (HK XIV/123-125).
An die lateinamerikanische Bischofskonferenz, AAS 1958, 997-1005 (HK XlII/181-182).
Enz. Sacerdotii nostri primordia, AAS 1959, 545-579 (HK XIV/28-38).
Enz. Aeterna dei, AAS 1961, 758-803 (HK XVI/218-224).
Enz. Ad petri cathedram, AAS 1959, 497-531 (HK XIII/538-548).
Enz. Princeps pastorum, AAS 1959, 833-864 (HK XIV/ 170-150). Enz. Pacem in terris, AAS 1963, 257-304 (HK XVII/476-492).
Ansprache an die Zweite Session der Zentralkommission zur Vorbereitung des Konzils, AAS 1961, 728-731 (HK XVI/151-152).
Apostolische Konstitution Humanae salutis, AAS 1962, 5-13 (HK XVI/ 225-228).
Eröffnungsansprache an das Konzil, AAS 1962, 786-796 (HK XVII/85-88).
Zur Erneuerung des Kanonischen Rechts:
Die Kommission für die Revision des Kirchenrechtskodex, AAS 1963, 363-364 (HK XVII/395).
Die Römische Diözesansynode:
Ankündigung, AAS 1959, 65-69 (HK XIII/272; HK XIII/387-388).
Handschreiben v. 2. 2. und 18. 2. 1959 (HK XIII/322).
An die Katholische Aktion (HK XIII/368-369).
Vorbereitung der Unterkommissionen (HK XIII/465).
An die Synode, AAS 1960, 180-309 (HK XIV/275-278).
Promulgation der Statuten, AAS 1960, 551-554, 563-567 (HK XIV/498).
Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil (die wichtigsten Dokumente):
Ankündigung, AAS 1959, 65-69 (HK XIII/272; XIII / 387-388).
Erläuterung v. 30. 1. 1959 (HK XIII/274).
An die Vertreter der Katholischen Universitäten, AAS 1959, 299-301 (HK XIII/368).
An den venetianischen Klerus, AAS 1959, 375-381 (HK XIII/413-414).
Ernennung der commissione antipreparatoria, AAS 1959, 419-422 (HK XIII/464).
Pfingstansprache 1959, AAS 1959, 419-422. Abklärung der Ziele (HK XIII/514-515).
Ansprache an das Griechische Kolleg v. 14.6.1959 (HK XIII/515-516).
An die Diözesanleiter der Katholischen Aktion Italiens (HK XIV/8-9).
Motu proprio Superno Dei nutu, AAS 1960, 433-437 (HK XIV/513-514).
Pfingstbotschaft 1960, AAS 1960, 517-526 (HK XIV/494-496).
Zur Eröffnung der Arbeit der Vorbereitenden Konzilskornmissionen, AAS 1960, 1004-1014 (HK XV/166-170).
An das Konsistorium v. 16. 1. 1961, AAS 1961, 66-70 (HK XV/268-269).
Brief zum Josefstag 1961, AAS 1961, 205-213 (HK XV/343-344).
Ansprache zur Ersten Session der Zentralkommission für die Konzilsvorbereitung, AAS 1961, 495-499; 499-503 (HK XV/508-509).
Ansprache zur Zweiten Session der Zentralkommission für die Konzilsvorbereitung, AAS 1961, 728-733 (HK XVI/151-152).
Enz. Aeterna Dei, AAS 1961, 785-803 (HK XVI/218-224).
Apostolische Konstitution [[Humanae salutis[[, AAS 1962, 5-13 (HK XVII 225-228).
Motu proprio Consilium, AAS 1962, 65-66 (HK XVI/271).
Schlussansprache an die Dritte Session der Zentralkommission für die Konzilsvorbereitung, AAS 1962,97-101 (HK XVI/278-280).
Exhortatio Apostolica Sacrae laudis, AAS 1962, 66-75 (HK XVI/321-324).
Über die Entstehung des Konzils (HK XVI/440).
Enz. Paenitentiam agere, AAS 1962, 481-491 (HK XVI/545-548).
Motu proprio Appropinquante concilio, AAS 1962, 609-631 (HK XVII /42-43).
Rundfunkbotschaft an die Katholiken der Welt, AAS 1962, 678-685 (HK XVII/43-46).
Botsthaft zur Eröffnung des Konzils, AAS 1962, 786-795 (HK XVII/84-88). Ansprache an die Konzilsbeobachter, AAS 1962,814-819 (HK XVII/90-91).
An die staatlichen Delegationen, AAS 1962, 807-810 (HK XVII/94-95).
Zum Ausklang der Ersten Konzilssession (HK XVII/191-193).
Epistula Mirabilis ille, AAS 1963, 149-159 (HK XVII/276-280).
Das dogmatische Lehramt
Das Pontifikat Johannes' XXIII. hat bestimmte Verlautbarungen zu theologischen Fragen gezeitigt. Aber man muss wohl unterscheiden zwischen Dokumenten einer kanonischen Tradition, die weitgehend von zuständigen Kurialbehörden entworfen und vom Papst bestätigt oder durch zahlreiche biblische Zitierungen belebt worden sind, und seinen Zeugnissen einer nicht definierten Theologie, die sich in der Vorbereitung des Ökumenischen Konzils wie in seinem Verfahren ausspricht, wahrhaft apostolisch und missionarisch, insofern auch dynamisch und pastoral zu wirken (vgl. obenstehend die Dokumente über das Konzil). Im Mittelpunkt seiner ganzen Tätigkeit steht die Hirtensorge des Papstes. Er will nicht nur überlieferte Wahrheiten neu einprägen oder sie bloß wiederholen, er sucht auch nach neuen Formen der Verkündigung sowie nach den aktuellen Zeichen Gottes, auf die das Hirtenamt der Kirche, der Papst voran, achten muss.
1. Der Orgelpunkt seiner Theologie im traditionellen wie neuartigen Sinne ist der missionarische Auftrag der von Jesus Christus gewollten Einheit der Katholischen Kirche. Sie ist Einheit in Christus, Einheit nach ihrer hierarchischen Struktur, Einheit für die Katholiken, Einheit für alle Christen, ja für alle Völker und Rassen, Einheit des Friedens und der Brüderlichkeit. Das ist das Generalthema der Ansprachen zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Der Friede wird ständig als theologisch-prophetisches wie als politisches Ziel gesehen, dem Scheinfrieden wird abgesagt. Es spricht darin ein starkes hierarchisches Bewusstsein von der Rolle des Nachfolgers Petri und der Bischöfe, ohne die niemand ganz mit Christus vereinigt werden kann (an Kardinal Tien, 29.6.1961), am strengsten formuliert in Ad Petra cathedram, als wären die Worte vom "Bruder Joseph" nie gefallen. Der Papst vermeidet aber nach Möglichkeit, von den Rechten und Privilegien der Kirche zu sprechen, beredt dagegen wird er, den Dienst der Kirche an der Menschheit zu schildern, ihre Fähigkeit, in jeder Not zu helfen aus ihrer Liebesfülle (z. B. Mirabilis ille, 6. 1. 1963). Der Papst bezeugt geradeheraus: "Die Welt braucht in der Tat Christus, und es ist die Kirche, die der Welt Christus bringen muss" durch "die Pflicht des Dienstes und der geistlichen Leitung des Apostolischen Stuhles, der über das Schicksal der ganzen Menschheit erhoben ist" (Rundfunkbotschaft vom 11.9.1962). Im Bewusstsein vom Vorrang der Kirche hält er von Anfang bis zu Ende das Thema von ihrer Fähigkeit durch, auf der Grundlage der Wahrheit Einheit, Eintracht und Frieden zu stiften. Während die Einheit der Leitung anfangs in Ad Petri cathedram sehr hierarchisch gestuft wird: " ... wie die Gläubigen den Priestern, die Priester den Bischöfen unterstehen, genauso sind alle einzelnen Bischöfe unterworfen dem römischen Papst ... ", erscheint das Konzil später als "die brüderliche Versammlung der Bischöfe". Der Papst hatte inzwischen den kurialen Primatsgedanken in der Praxis zu der evangelischen Form seines brüderlichen Herzens umgeformt (Weihnachtsbotschaft 1962). Auch Mater et magistra ist aus der Liebespflicht der Kirche konzipiert.
Unter den theologischen Besonderheiten sind neben dem offensichtlich gewollten Zurücktreten mariologischer Tendenzen, die auch nicht durch die Wallfahrt nach Loreto am 4. Oktober 1962 und die offenkundige kindliche Haltung, die sich wiederholt recht intensiv zur "Mater Dei et mater nostra" bekennt, verstärkt werden, einige traditionelle Akzentuierungen zu berichten: die Erneuerung des Dekrets des Heiligen Offiziums von 1949 am 2. April 1959 gegen die Unterstützung des Kommunismus durch Katholiken und die Ablehnung eines Scheinfriedens mit dem Kommunismus, stark modifiziert durch die Haltung gegenüber dem Osten seit den letzten Wochen vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils; ferner das Monitum des Heiligen Offiziums zur Vorsicht an die Exegeten des Neuen Testaments vom 20. Juni 1961, durch die Berufung des Rektors des angegriffenen Päpstlichen Bibelinstituts in die Vorbereitende theologische Konzilskommission interpretiert und später durch die Intervention gegen das Offenbarungsschema vom 20. November 1962 weiter modifiziert. Neben der Apostolischen Konstitution Veterum sapientia zur Förderung der "unveränderlichen Sprache" des Latein mit seinen Vorzügen für die Reinerhaltung der Offenbarung (22. 2. 1962) steht der Versuch, für die "äußere Übermittlung und Einkleidung der lebendigen Substanz des Lehrgutes verschiedene Formen und Haltungen" zu finden bzw. zeitgeschichtlich bedingte Formulierungen in pastoralem Interesse aufzugeben (vgl. Einheit der Christen). Das Monitum des Heiligen Offiziums vom 30. Juni 1962 mit dem offiziellen Kommentar im "Osservatore Romano" (30. 6. /1. 7. 62) vor den Gefahren der theologischen Deutung des Werkes von Teilhard der Chardin wahrte das Dogma vor unzulässigen" Transpositionen".
2. Auf dem Gebiet der Liturgie tritt das Kirchenbewusstsein Johannes' XXIII. sogleich bei seiner Feier der Karwoche in St. Peter 1959 in Erscheinung, wo der Papst (zum ersten Mal seit 90 Jahren) die Fußwaschung an jungen Priestern öffentlich vollzog und dabei alle Zeichen seiner Würde ablegte. In den Fürbitten am Karfreitag änderte er das Gebet "pro perfidis Judaeis" in "pro Judaeis" ab. In allen liturgischen Veranstaltungen der heiligen Woche wurde er als Bischof von Rom inmitten seines Volkes präsent. Im Weihegebet an Christus den König strich er die kränkende Bezugnahme auf den Islam und das "ehemals auserwählte Volk" (18.7. 1959). Der Apostolische Brief über die Verehrung des Kostbaren Blutes Jesu (30.6.1960) dient wesentlich einer biblischen Vertiefung in das Erlösungswerk Jesu. Lange vor dem Konzil sprach sich der Papst in einer Entscheidung vom 31. März 1960 an Patriarch Maximos IV. Saigh für die Landessprache in der Liturgie aus. Ein Apostolischer Brief vom 19. März 1961 bereitete die Aufnahme des hl. Joseph in den Kanon der Messe vor. Ein Brief zur 50- Jahr-Feier des Päpstlichen Instituts für Kirchenmusik begrüßte die Pflege der lateinischen Sprache in der Liturgia solemnis, wünschte aber eine bessere Form liturgischer Katechese und den stärkeren Gebrauch liturgischer Andachtsbücher. Während der ersten Wochen des Konzils würdigte der Papst die wechselnden Riten bei der täglichen Messe in der Konzilsaula als Zeichen der Einheit und Katholizität (Ansprache zum Krönungstage am 4. 11. 1962). Das umfassendste liturgische Dokument ist die mit Motu proprio vom 25. Juli 1960 eingeleitete vorläufige Reform der Rubriken im römischen Brevier und Missale, die sich freilich nur auf Teile erstreckt. Sie ist nicht nur eine Kodifizierung der Dekrete früherer Päpste, sondern auch eine Verkürzung des Breviers und in etwa eine Vereinfachung, die aber keine grundlegenden Änderungen brachte. Nützlich für Seelsorger, förderte sie keinen Minimalismus bezüglich des offiziellen Gebets. Dieses Werk, das weniger wohl dem Wunsch des Papstes entsprang als einem kurialen Versuch, dem Konzil vorzugreifen, löste beim Klerus eine gewisse Unsicherheit aus. Das Dekret des Heiligen Offiziums vom 21. März 1960, das die Kommunionausteilung am Nachmittag oder Abend auch ohne vorherige Messe erlaubt, zeigt indessen, wie weit die Kirche auf Betreiben des Papstes den Gläubigen den Zugang zur Gnadengemeinschaft mit Christus öffnet.
3. Am stärksten in seinem Element war der Papst bei der Vertiefung des Priester- und Ordenslebens. Seine Ansprache vom 10. Februar 1959 an die römischen Fastenprediger gab die von ihm gewünschte und von ihm selber praktizierte Weisung für die Verkündigung: solide Vorbereitung und Bildung, Einfachheit und vor allem Liebe aus demütigem Herzen, die allein überzeugen kann: "Sprecht genauso, wie Jesus zum Volk gesprochen hat!" Das Herzstück dieser Unterweisung des Papstes ist die Enzyklika Sacerdotii nostri primordia zum 100. Todestag des hl. Pfarrers von Ars (1. 8. 1959). Sie führt die Gedanken Pius' XII. in Menti nostrae fort: Vorbild evangelischer Armut als sicherstes Mittel gegen die Wohlstandssucht der Gläubigen, Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität, eucharistische Frömmigkeit, unermüdlicher Seeleneifer, vor allem die Wissenschaft vom Kreuz und stellvertretendes Sühneleiden für die Sünder. In diesem Sinne sprach sich der Papst über die Erziehung des Priesternachwuchses "gegen die nicht immer annehmbaren Richtlinien moderner pädagogischer Strömungen" aus. Daher die präzisen und strengen Forderungen der Religiosenkongregation vom 2. Februar 1961 für die Ausbildung und Auswahl der Kandidaten zum Ordens- und Priesterstand. Daher wehrte ein Rundschreiben der Studienkongregation die Zulassung "auch nur der Mittelmäßigen" zur Weihe als unverantwortbar ab. Ein Brief Johannes' XXIII. an die Ordensfrauen (2. 7. 1962) stellte diese in den Dienst des Konzils, warnte sie vor der "Häresie der Aktion" und mahnte, das Gebet stets "aus den Quellen der Heiligen Schrift, vor allem dem Neuen Testament" sowie aus der Liturgie und Lehre der Kirche in ihrer ganzen Fülle zu nähren. In das erste Regierungsjahr des Papstes fällt die Entscheidung des Heiligen Offiziums vom 3. Juli 1959 zur Ablösung der französischen Arbeiterpriester durch Laien trotz aller Vorstellungen des Kardinals Feltin, eine Entscheidung, die - wie man heute weiß - vom Programm zur Erneuerung der ganzen Kirche und ihrer Initiative bei der Führung der Welt her zu verstehen ist.
Zu 1: Weihnachtsbotschaft 1958, AAS 1959, 5-15 (HK XIII/239-242); Weihnachtsbotschaft 1959, AAS 1960, 27-35 (HK XIV/226-229); Apostolischer Brief Quotiescumque an Kardinal Tien Chen-sin v. 29. 6. 1961, AAS 1961, 465-469 (HK XV/55S-559); Enz. Ad Petri cathedram, AAS 1959, 497-531 (HK XIII/538-54S); Epistula Mirabilis ille an die Bischöfe v. 6. 1. 1963, AAS 1963, 149-159 (HK XVII/276-280); Pfingsthomilie 1962, AAS 1962, 437-447 (HK XVI/502-505); Enz. Aeterna Dei, AAS 1961, 785-S03 (HK XVI/21S-224); Rundfunkbotschaft v. 11. 9. 1962, AAS 1962, 67S-685 (HK XVIl/43-46); Weihnachtsbotschaft 1962, AAS 1963, 13-19 (HK XVII/231-233); Enz. Mater et magistra, AAS 1961, 401-464 (HK XV/536-55S); Dekret v. 4.4. 1959 über politische Wahlen, AAS 1959, 271-272 (HK XIII/414»; Gegen den Scheinfrieden: Allgemeine Gebetsmeinung für August 1961 (HK XV/433-435); Monitum zur Exegese des Neuen Testaments, AAS 1961, 507 (HK XV/4S6); Apostolische Konstitution Veterum sapientia, AAS 1962, 129-135 (HK XVI/318-321); Ansprache zum Jahrestag der Krönung v. 4.11. 1962, AAS 1962, S51-859 (HK XVII/134 bis 137); Monitum betr. Teilhard de Chardin v. 30.6.1962, AAS 1962,526.
Zu 2: Änderung des Weihegebetes an Christus den König v. 18.7. 1959, AAS 1959, 595-596 (HK XIV/54); Apostolischer Brief Inde a primis über die Verehrung des Kostbaren Blutes, AAS 1960, 545-550 (HK XV/72-74); Brief an Patriarch Maximos IV. Saigh v. 31. 3. 1960 (HK XV/61); Apostolisches Schreiben Le voci über den hl. Joseph, AAS 1961, 205-213 (HK XV/343-344); Schreiben Iucunda laudatio an das Päpstliche Institut für Kirchenmusik v. 8.12.1961, AAS 1961, 810-S13 (HK XVI/24S-249); Ansprache zum Jahrestag der Krönung v. 4.11. 1962, AAS 1962, 851-S59 (HK XVII/134-137); Motu proprio Rubricarum instructum, AAS 1960, 593-595 (HK XV/174-1S0); Dekret über den Kommunionempfang am Abend v. 21. 3. 1960, AAS 1960, 355-356 (HK XIV/342-343).
Zu 3: Ansprache an die Fastenprediger Roms v. 10.2. 1959, AAS 1959, 190-195 (HK XIII/320-322); Enz. Sacerdotii nostri primordia, AAS 1959, 545-579 (HK XIV/28-38); Ansprache über den Priesternachwuchs für Italien (HK XIlI/468); Rundschreiben der Studienkongregation über Grundsätze für Auswahl und Bildung des Priesternachwuchses (HK XV/199-200); Brief an die Ordensfrauen v. 2.7.1962, AAS 1962, 50S-517 (HK XVI/549-552); Dekret über die Arbeiterpriester v. 3.7. 1959 (HK XIV/76-78).
Das pastorale Lehramt
1. Im Lehramt Johannes' XXIII. tritt das pastorale Moment stärker hervor als das dogmatische. Das bezeugen die vielen improvisierten Ansprachen, die nicht einmal im "Osservatore Romano" wörtlich wiedergegeben wurden und auch in den Acta Apostolicae Sedis nicht enthalten sind. Wenn die folgende Behauptung auch nicht im einzelnen beweisbar ist, so hatte man doch den Eindruck, dass der Heilige Vater nie eine Gelegenheit vorübergehen ließ, wenn sie sich ihm bot, einem Menschen oder einer Gruppe von Menschen, denen er begegnete, einige seelsorgliche Worte zu sagen, und zwar so, wie sie ihm gerade aus dem Herzen und in den Sinn kamen. Es waren inhaltlich zumeist schlichte Gedanken und Worte, die er bei solchen Gelegenheiten aussprach, "parole di circostanza", wie die Italiener sagen, Worte, deren stärkste Wirkung von der Persönlichkeit dessen ausgingen, der sie gerade im rechten Augenblick auszusprechen verstand. Sie sind in dieser Dokumentation nicht mehr zu erfassen.
2. Von seinen Enzykliken sind es besonders Ad Petri cathedram, Grata recordatio, Princeps pastorum und Paenitentiam agere, die diesen pastoralen Zug an sich tragen. In seiner Antrittsenzyklika ermahnt der Papst die Gläubigen, ihr Herz der Wahrheit zu erschließen: "Lasst uns die Wahrheit in der Liebe erfüllen, und wir werden in ihn hineinwachsen, der das Haupt ist: Christus." Indem er das aussprach, kamen ihm sogleich die Presse, der Rundfunk, der Film und das Fernsehen in den Sinn, die der Wahrheit heute auf allen Gebieten des Lebens am wirksamsten die Bahn brechen könnten. Schon damals sah er die Wahrheit im Dienst des Friedens, der Einheit und Eintracht unter den Menschen, den Ständen und Klassen sowie den Völkern. In dem berühmten Wort, das er in diesem Zusammenhang niederschrieb: "Gott hat die Menschen nicht als Feinde erschaffen, sondern als Brüder", spricht wieder der Hirte. Er spricht auch in dem glühenden Wunsch, dem der dritte Teil der Enzyklika gewidmet ist und der, wie es scheint, sein Herzenswunsch war: "ut omnes unum sint." Dazu sagt er: "Diese süße Hoffnung hat Uns dazu ermutigt, öffentlich Unsere Absicht zu bekunden, ein Ökumenisches Konzil einzuberufen." Das aggiornamento der Kirche betrachtete er als einen ersten Schritt.
Die Enzyklika Grata recordatio über das Rosenkranzgebet erinnert ein wenig an Pius V., der mit dem Rosenkranz in der Hand den Einbruch der Türken nach Europa aufzuhalten hoffte. Johannes XXIII. nennt in diesem Rundschreiben ebenfalls Intentionen: die Mission und den Frieden. Das sind für ihn die Gnaden, die die Mutter Gottes unserer Zeit erflehen möge. In der Missionsenzyklika Princeps pastorum kam er auf seine Sorge um die Missionen zurück, die er schon beim Antritt seines Amtes als sein wichtigstes Anliegen genannt hatte, und zwar in dem Sinne, ut omnes unum sinnt.
Das Rundschreiben Paenitentiam agere ist eines der wichtigsten Dokumente der pastoralen Lehre Johannes' XXIII. Er wollte, dass das Ökumenische Konzil durch die Buße der Gläubigen vorbereitet werde; denn jedes kirchliche und jedes christliche Werk beginnt mit Buße. Er hat in dieser Enzyklika den Sinn und die Formen der Buße in einer Form erläutert, dass man bei der Erörterung dieses Themas mit Nutzen an dieses Dokument anknüpfen kann.
3. Ein sehr großer Teil der pastoralen Lehre Johannes' XXIII. ist in den Rundfunkbotschaften enthalten, die er an den hohen Festen der Welt übermittelte. Hier können nur die großen Anliegen dieser Reden aufgezählt werden: Neben dem Gedanken an die Einheit der Christen, der in fast allen diesen Botschaften anklingt, tritt das Motiv des Friedens von Jahr zu Jahr mehr in den Vordergrund. Beide Anliegen sind eng miteinander verbunden; die Einheit ist die Voraussetzung des wahren Friedens in Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, und dieser erscheint als Frucht der Einheit. Diese Leitmotive seiner Hirtensorge weiten auch im Laufe des Pontifikates immer mehr den Kreis der Menschen, für die der Papst sich verantwortlich fühlte. In seiner Rede zur Eröffnung des Konzils fand das den bemerkenswertesten Ausdruck, als er davon sprach, dass die Einheit, die Jesus Christus seiner Kirche schenkte, in einem dreifachen Licht erstrahlt: als "Einheit der Katholiken untereinander, die als leuchtendes Beispiel ganz fest bewahrt bleiben muss", als "Einheit, die im Gebet und den leidenschaftlichen Erwartungen der vom Apostolischen Stuhl getrennten Christen besteht", und endlich als "Einheit der Hochachtung und Ehrfurcht gegenüber der katholischen Kirche, die ihr von anderen, noch nicht christlichen Religionen erwiesen wird". Auch darin sah der Papst eine Ausstrahlung der göttlichen Gnade und einen Anfang zur Verwirklichung des großen Ziels.
Dass neben diesen sozialen Anliegen auch die Sorge um das persönliche Heil der Gläubigen in den Ansprachen an ihre Gesamtheit zum Ausdruck kam, ist bei ihm, den man den "parroco del mondo" genannt hat, nicht verwunderlich. So rief er in der Osteransprache 1959 die Gläubigen auf, die österlichen Sakramente nicht zu vergessen, und schloss diesen Teil seiner Ansprache mit den Worten: "Der Herr ist wahrhaft auferstanden! Das muss man auch von jedem einzelnen seiner Brüder sagen können: Er ist wahrhaft auferstanden, der in der Sünde war. Es sind auferstanden die Zweifelnden, die Misstrauischen, die Furchtsamen, die Lauen! Es sind auferstanden die Kummervollen, die Leidenden, die Bedrängten, die Elenden! Dies ist der Wunsch, den Wir euch entbieten, geliebte Söhne, in der väterlichen Liebe Unseres Herzens!" "Euer Leben ist mit Christus geborgen in Gott!"
In der Homilie am ersten Jahrestag seiner Krönung erinnerte der Heilige Vater daran, dass er am Tage seiner Wahl "die Seelen zu dem göttlichen Gebet des Vaterunsers" gelenkt habe, weil es "das Wesentliche" enthält, um das wir bitten müssen und das uns gegeben wird. Einen ganz pastoralen Ton schlug der Papst in seiner Weihnachtsbotschaft im Jahre 1960 an: "Wir müssen euch gestehen, dass Unser Sinnen sich vor allem zur Wahrheit hingezogen fühlt, und zwar um so mehr, als die Erfahrung des Seelsorgerlebens immer deutlichere Beispiele liefert für das, was vor allem wichtig und der Vertiefung bedürftig ist." Diesem Nachsinnen folgte der Aufruf, in der Wahrheit zu leben im Sinne der vierfachen Pflicht, die Wahrheit zu denken, zu ehren, zu sagen und zu tun. "Geliebte Söhne! Nein! Niemals gebt euch her zur Verfälschung der Wahrheit! Habt Abscheu davor!" Gnade und Wahrheit, das ist der Inbegriff dessen, was der Sohn Gottes uns durch seine Menschwerdung gebracht hat. Diese Weihnachtsbotschaft war eine der ergreifendsten Predigten, die der Papst gehalten hat.
In seinen österlichen Botschaften klang immer jener sieghafte Optimismus durch, der gewiss ein Wesenszug des verewigten Papstes war und den man am besten mit dem schlichten Wort "Gottvertrauen" benennt. Selbst wenn eine Osterbotschaft so wie die vom Jahre 1961 vorwiegend von den Sorgen um die Bedrängnisse der Kirche handelte, klang sie doch aus in der Zuversicht, dass Christus die Auferstehung und das Leben ist und dass wir unser eigenes persönliches und soziales Leben von diesem Gesichtspunkt aus betrachten müssen.
Zu Weihnachten 1961 stellte sich "der einfache Sohn aus dem Volke, der zur Leitung der Kirche berufen worden" war - auch eine so persönliche Bemerkung gehört in das Thema "Pastoral" -, "zum vierten mal in den Dienst der großen Friedensbotschaft" , und diesmal, um das Reich Christi als Reich der Güte und den Frieden als eine Frucht der Güte zu beschreiben. Beim Lesen der Festbotschaften fällt übrigens auf, wie oft und wie eindringlich Johannes XXIII. die Barmherzigkeit Gottes und seines Sohnes beschrieben hat. In dieser Weihnachtsbotschaft stehen die denkwürdigen Worte: "Übel beklagen macht traurig. Doch wissen Wir, dass Klagen allein Übel nicht beseitigen ... Die Güte muss verkündet werden."
Auch die Osterbotschaft 1962 begann der Papst mit einer persönlichen Reminiszenz, diesmal an Bulgarien und "die vielen und liebenswürdigen Menschen, denen Wir dort begegnet sind". In dieser Botschaft folgt dann das Bekenntnis zu der erhabensten Aufgabe des apostolischen Amtes, das ihm nach dem Willen des Herrn eigentlich seinen Charakter verleiht: "Der Dienst an den Seelen, der durch Unser Wort und jede andere Tätigkeit Unseres Amtes zum Ausdruck kommt, will Zeugnis der Auferstehung Jesu sein!" Das "Khristos woskreß", mit dem die slawischen Liturgien ihrem Osterjubel Ausdruck geben, erschien ihm als der prägnanteste Ausdruck des Glaubensbekenntnisses. Da Christus auferstanden ist, hält der Glaube der Geschichte stand. Auch das Konzil sollte, wie der Papst damals sagte, ein neues Ostern und Pfingsten für die Kirche werden. An diese Gedanke knüpfte er auch in der Pfingsthomilie desselben Jahres wieder an. Die Aufgabe unseres eigenen Lebens, des Lebens der Kirche, vor allem auch des kommenden Konzils besteht darin, dass Zeugnis abgelegt wird für Christus, den Herrn und Meister, den Hirten und den Priester sowie das Sühnopfer für die Menschheit.
Mit besonderer Ergriffenheit liest man die beiden letzten Festbotschaften des Heiligen Vaters zu Weihnachten 1962 und zu Ostern 1963. In der Weihnachtsbotschaft blickte der Papst auf das Konzil zurück, dessen Erste Session soeben zu Ende gegangen war: "Das charakteristischste Ereignis des Ökumenischen Konzils war das spontane, von nahezu allen unerwartete Sich-Öffnen des Sinnes für Einheit, besser würde man sagen: für eine bewusste, anerkannte und gut aufgenommene Ausrichtung auf die christliche Brüderlichkeit ... einer Kirche, die nicht zur Herrschaft über die Völker, sondern zum Dienst an den Völkern da ist und für welche der Plan Christi ein ehrlich erstrebtes Ziel ist ... " Und dann widmete er dem Ziel der Einheit noch einmal ergriffene und ergreifende Worte. Und die Osterbotschaft mündet in das Gebet: "Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem ... damit in den Herzen, den Familien und in der Welt der Friede, dein Friede, herrsche!"
4. Wie es die Natur des päpstlichen Amtes mit sich bringt, empfing der Heilige Vater zahllose Gruppen von Rompilgern und Gläubigen aus der Ewigen Stadt selbst, aber auch Teilnehmer internationaler Ereignisse, wie bei der Olympiade, oder Gäste vielfältiger und vielgestaltiger Kongresse und Zusammenkünfte. Wie er sie empfing und was er ihnen sagte, das würde ebenfalls seine Hirtengestalt spiegeln, kann aber hier nur angedeutet werden. Schon in seiner ersten Enzyklika widmete er den letzten, verhältnismäßig umfangreichen Teil seiner Ermahnungen den verschiedenen Ständen und Klassen der Menschen, besonders den Bedrückten und Bekümmerten, den materiell Notleidenden, den Flüchtlingen und Auswanderern und den religiös Verfolgten. Besonders warmherzig aber identifizierte er sich in der letzten Weihnachtsansprache mit allen, denen die besondere Sorge des Hirten zusteht: den Familien und ihren Häusern, den Armen, den Arbeitern, den wissenschaftlich Tätigen, den Leidenden, den Alten, den Kindern, den Jugendlichen, den Vätern und den Müttern. Er rief ihnen mit Augustinus zu: "Entzünden wir die Liebe!" und wandte sich betend an den Herrn, den Sohn Gottes und Mariens, er möge alle Kinder seiner Erlösung mit Unsterblichkeit bekleiden, mit Liebe entflammen und durch die Bande seines mystischen Leibes vereinigen.
5. Zwei Berufsgruppen durften das Gefühl haben, dass der Papst sich ihnen besonders verbunden fühlte, die Arbeiter - oder sagen wir richtiger die Schaffenden; denn er vergaß nicht, immer auch an die Geistesarbeiter zu denken - und die Journalisten und Publizisten aller Gattungen.
Was ist bezeichnender für seine Wertschätzung der Arbeit, als dass er am 25. November 1961 durch die Pönitentiarie einen vollkommenen (!) Ablass - unter den üblichen Bedingungen - denjenigen verlieh, die in beliebiger, doch ausdrücklicher Form ihre Tagesarbeit, sei sie manuell oder geistig, am Morgen Gott aufopfern. In der Begründung heißt es: "damit die menschliche Arbeit durch die Hingabe an Gott mehr geadelt und auf das Religiöse bezogen werde". Wiewohl diese Anordnung und ihre Begründung ebenso in sich selbst bedeutsam wie für das Verständnis, das der Heilige Vater den arbeitsbesessenen Menschen unserer Tage entgegenbrachte, bezeichnend sind, ist sie bisher viel zuwenig beachtet und gewürdigt worden.
Eine der ersten Ansprachen an eine berufliche Gruppe richtete der Heilige Vater am 30. Januar 1959 an die Vereinigung christlicher Unternehmer Italiens. Darin steht der Satz, der für sämtliche Äußerungen zu sozialen Fragen in diesem Pontifikat beachtet werden muss: "Die Lehre des Papstes über soziale Zusammenarbeit und Tätigkeit empfängt ihr Licht vom Evangelium." Sie trägt in erster Linie nicht das Gepräge sozial philosophischer Doktrin, sondern das einer pastoralen Stellungnahme. So mahnte er schon damals die Unternehmer und Direktoren, nicht allein für das soziale Wohl, sondern auch um die höheren Güter besorgt zu sein, die uns alle erwarten, und legte Nachdruck auf die Mahnung zur Verständigung.
Ebenso sprach er am 1. Mai 1959 die Arbeiter an. "Ihr sollt wissen, dass der Papst mit euch ist." Er erzählte ihnen, wie er als junger Priester an der Seite seines sozial sehr tätigen Bischofs ein Herz für sie gewonnen habe, und lenkte ihre Gedanken dann sogleich auf ihre apostolische Aufgabe, sich ihrer Arbeitskollegen anzunehmen, die "Liebe und Verständnis" brauchen, weil ihr Glaube verschüttet ist. Die Rede schloss mit einer innigen Anrufung des heiligen Josef. Auch ein Jahr später stellte er das Beispiel der Heiligen Familie von Nazareth in die Mitte seiner Ausführungen über den Sinn der Arbeit in unserm Leben und betrachtete sie ganz vom Evangelium her. Von da nahm er auch den Maßstab zur Beurteilung der falschen Ideologien, die heute über die Arbeit und den Arbeiter verbreitet werden. Es gelte vor allem, unter der Arbeiterschaft die Lehre und den Frieden Christi zu verbreiten.
6. Die Journalisten sah der Papst als seine besonderen Verbündeten, ja er rechnete sie sogar unter seine wichtigsten Mitarbeiter im Kampf um Frieden und Einheit in der Welt. Er brachte ihnen allen, ob sie katholisch waren oder nicht, ob sie in Zeitschriften oder in Zeitungen schrieben oder am Rundfunk und Fernsehen tätig waren, eine aufrichtige Hochachtung entgegen, die in der Rede vom 4. Dezember 1960 einen prägnanten Ausdruck fand, als er sagte, der Journalist müsse "das Zartgefühl des Arztes, die Vielseitigkeit des Schriftstellers, die Umsicht des Juristen und das Verantwortungsbewusstsein des Erziehers" besitzen, und er hat einem großen Teil von ihnen öfters bestätigt, dass er diese Eigenschaften bei ihnen wirklich vorfinde.
Mit besonderm Nachdruck legte er ihnen ans Herz, bei der Wahrheit zu bleiben, die er als Grundlage sozialer Existenz betrachtete, ferner die Einheit und Einigkeit unter den Menschen und besonders unter den Katholiken zu fördern und sich von jenem "christlichen Empfinden" leiten zu lassen, das vor allen anderen das Gebot der Liebe beachtet. Dabei ging er oft ins einzelne und zeigte auch dadurch sein Interesse an der Presse. Er warnte vor unnützer Polemik, ebenso allerdings auch vor unangebrachter Kompromissbereitschaft, plädierte für Argumente statt der Phrasen, zeigte sich unangenehm berührt von aller Lobhudelei, besonders gegenüber lebenden Personen, aber auch von journalistischen Indiskretionen und Taktlosigkeiten. "Veritatem in caritate!" mahnte er am 2. April 1960 die Sportjournalisten. Am 24. Oktober 1961 gab er den römischen Auslandskorrespondenten den "freundschaftlichen Rat", alle ihre Kräfte in den Dienst der Wahrheit zu stellen; dann würden sie zugleich für die Brüderlichkeit tätig sein. Außerdem lobte er sie wegen des steigenden Niveaus der religiösen Berichterstattung auch in den neutralen Zeitungen. Die letzte Mahnung an die Verantwortung der katholischen Publizisten und auch das letzte Lob dafür, dass sie ihr im allgemeinen gerecht werden, sprach der Heilige Vater am 27. Januar 1963 in der Audienz für die Redaktion des "Osservatore Romano" und die mit ihr erschienenen katholischen Journalisten.
7. Wollte man noch einen Berufsstand herausheben, dem sich der Heilige Vater besonders verbunden fühlte, dann müsste es der Lehrstand sein. Neben zahlreichen kleineren Ansprachen an Lehrer und Erzieher verschiedenster Zweige dieses Standes möchten wir hier der Verheißung gedenken, die der Papst ihnen in der Ansprache vom 6. September 1959 machte: "Einen letzten Gedanken möchten Wir euch anvertrauen, und er möge euch in der Erfüllung der genannten Pflichten aufrichten. Indem ihr den Geist euerer Schüler entfaltet und ihre Seele bildet, bereitet ihr euch eine der herrlichsten unter den Kronen des Himmels." Er zitierte Chrysostomus, der das Wirken des Lehrers über alle Künste hinaushebt.
8. Dass die Familie einen besonderen Gegenstand seiner Hirtensorge bildete, davon zeugen fast alle wichtigeren Dokumente seines pastoralen Lehramtes. Nur zwei von ihnen mögen hier erwähnt werden. In einer Ansprache an italienische Frauen vom 1. März 1959 sang der Papst, wieder einmal ausgehend von seinen eigenen Kindheitserinnerungen, ein Hohes Lied auf die christliche Mutterschaft und ihren Inbegriff, die Liebe. Auch seine Einstellung gegenüber der Frauenarbeit erkannte zwar an, dass die Berufsarbeit der Frau heute vielfach notwendig ist und auch höchst wertvoll sein kann, dass aber doch ihre eigentliche Aufgabe, wenn sie nicht zum Ordensstand berufen sei, in der Mutterschaft liege. Am ausführlichsten hat sich der Papst, wenn wir nicht irren, in seiner Ansprache an die Rota Romana am 25. Oktober 1960 geäußert, in der er "auf das sehr ernste Problem der Heiligkeit der Ehe" zu sprechen kam und die Notwendigkeit der "Festigkeit der Doktrin" betonte. Diese Rede zeigt besonders eindringlich, wie sehr der Heilige Vater auch in Ausübung seines Hirtenamtes um die Wahrung der apostolischen Lehre besorgt und wie wenig er darin zu Kompromissen bereit war. Aber auch diese Rede schließt er mit der Bemerkung, er habe nur "einige Gedanken pastoraler Natur" aussprechen wollen.
9. Zum Schluss muss im Rahmen der pastoralen Lehre Johannes' XXIII. der freudigen Unterstützung gedacht werden, die er allen Werken und Gruppen der Katholischen Aktion entgegenbrachte. Sie lag ihm von Jugend an am Herzen, und schon als Patriarch von Venedig wollte er darüber ein längeres metropolitanes Hirtenschreiben veröffentlichen. Aber er ist damals ebenso wenig zur Ausführung dieses Planes gekommen wie später als Papst, obwohl er sich das nach seinen eigenen Worten ausdrücklich vorgenommen hatte. So bleiben uns nur seine pastoralen Mahnungen. Die Enzyklika Princeps pastorum wird hinsichtlich ihrer Lehren über die Mitarbeit der Laien in den Missionen an anderer Stelle gewürdigt. Besonders in den zwei Ansprachen vom 10. Januar 1960 und vom 13. Mai 1962 gab er den Teilnehmern der Audienz, im ersten Fall jungen Mädchen, im zweiten Falle den italienischen Männern, Weisungen für ihre Mitarbeit am hierarchischen Apostolat der Kirche. Sie müsse sich vor allem in vollkommenem Gehorsam gegenüber der Hierarchie vollziehen. Die Abhängigkeit von der Hierarchie sei ihr unterscheidendes Merkmal gegenüber anderen christlich-religiösen oder christlich-weltlichen Gemeinschaften. Das Ziel der Katholischen Aktion bestehe in dem Bemühen, dass die Vaterunserbitte "Zu uns komme dein Reich" sich erfülle, ein soziales Ziel, das den Aufbau und die Festigung der Kirche zum Gegenstand hat, und in der Rettung einzelner Seelen.
Daraus ergebe sich die Notwendigkeit eines innigen geistlichen Lebens für jedes Mitglied. Hier liege das Geheimnis der Fruchtbarkeit jedes apostolischen Wirkens; sie sei abhängig davon, dass man Ernst mache mit dem "Primat des Übernatürlichen". Und noch einmal klingen Leitmotive des Papstes an, da er zum Schluss seiner Ansprache ihre Bewegung eine Trägerin des Lichtes und des Friedens nennt.
Zu 2: Enz. Ad patri cathedram, AAS 1959, 497-531 (HK XIII / 538-548); Enz. Grata recordatio, AAS 1959, 673-678 (HK XIV/53); Enz. Princeps pastorum, AAS 1959, 833-864 (HK XIV/170-180); Enz. Paenitentiam agere, AAS 1962, 481-491 (HK XVI/545-548).
Zu 3: Weihnachtsbotschaft 1958, AAS 1959, 5-12 (HK XIII/239-242); Osterbotschaft 1959, AAS 1959, 241-245 (HK XIII/385-387); Homilie zum Osterfest 1959, AAS 1959, 245-252; Homilie zum 1. Jahrestag der Krönung, AAS 1959, 814-818 (HK XIV/123-125); Weihnachtsbotschaft 1959, AAS 1960, 27-35 (HK XIV / 226-229); Osterbotschaft 1960, AAS 1960, 369-371 (HK XIV/414-415); Pfingstbotschaft 1960, AAS 1960, 517-526 (HK XIV/494-496); Weihnachtsbotschaft 1960, AAS 1961, 5-15 (HK XV / 221-225); Osterbotschaft 1961, AAS 1961, 193-197 (HK XV/369-370); Ansprache am Jahrestag der Krönung 1961, AAS 1961, 760-770; Weihnachtsbotschaft 1961, AAS 1962, 14-22 (HK XVI/228-231); Osterbotschaft 1962, AAS 1962, 291-295 (HK XVI / 406-407); Pfingsthomilie 1962, AAS 1962, 437-447 (HK XVI/502-505); Homilie am Jahrestag der Krönung 1962, AAS 1962, 851-859; Weihnachtsbotschaft 1962, AAS 1963, 13-19 (HK XVII/231-233); Osterbotschaft 1963, (HK XVII / 371-372).
Zu 4: Ansprachen zu den Olympischen Spielen v. 24. 8. und 29. S. 1960, AAS 1960, 817-821.
Zu 5: Dekret der Apostolischen Pönitentiarie v. 25. 11. 1961, AAS 1961, 827; Ansprache an die christl. Unternehmervereinigung Italiens v. 30. 1. 1959, AAS 1959, 80-81; Botschaft an die Arbeiterschaft v. 1. 5. 1959, AAS 1959, 355-359; Ansprache an den Kongress für Humanisierung der Arbeit v. 17. 10. 1959, AAS 1959, 821-822; Botschaft an die Arbeiterschaft v. 1. 5. 1960, AAS 1960, 397-400 (HK XIV/396-397).
Zu 6: Ansprachen an Journalisten v. 4. 5. 1959, AAS 1959, 359-462; v. 2 .4. 1960, AAS 1960, 349-350; v. 4. 12. 1960, AAS 1960, 1014 bis 1019 (HK XV/197-199); v. 24. 10. 1961, AAS 1961, 721-724; v. 28. 5. 1962, AAS 1962, 455-457 (HK XVI /539-540); v. 13. 10. 1962, AAS 1962, 816-819 (HK XVII/95-96); v. 27. 1. 1963, AAS 1963, 99-105; Ansprache an den italienischen Juristenverband v. 8. 12. 1959, AAS 1960, 45-50.
Zu 7: Ansprache an die katholischen Lehrer Italiens v. 6.9.1959, AAS 1959, 703-706; Ansprache an die Schulbrüder v. 14. 6. 1961 (HK XV/485).
Zu 8: Ansprache an kath. Frauen Italiens v. 1. 3. 1959, AAS 1959, 195 bis 197; an die Römische Rota v. 25. 10. 1960, AAS 1960, 898-903 (HK XV /120-122); zur Frauenarbeit vgl. Ansprache v. 24. 4. 1960, AAS 1960, 390-393 (HK XIV/396-397) und v. 6. 9. 1961, AAS 1961, 610-612.
Zu 9: Enz. Ad petri cathedram, AAS 1959, 497-531 (HK XIII/538-548); Princeps pastorum, AAS 1959, 833-864 (HK XIV/170-180); Ansprache v. 10. 1. 1960, AAS 1960, 83-90 (HK XIV / 248-249); Ansprache v. 10. 12. 1961, 11. 12. 1961 und 5. 1. 1962 (HK XVI/198-199); Ansprache v. 13. 5. 1962, AAS 1962, 400-404.
[Fortsetzung folgt]