Birgitta von Schweden: Offenbarungen über Jesus und Maria. Rede des Engels

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Offenbarungen der allerseligsten Jungfrau Maria an die heilige Birgitta
über die Geheimnisse ihres Lebens und Sermo angelicus

Quelle: Offenbarungen der allerseligsten Jungfrau Maria an die heilige Birgitta über die Geheimnisse ihres Lebens und Sermo angelicus, Band B, Mediatrix Verlag Wien (Imprimatur Regensburg, 27. März 1883 M. Dandl, Generalvikar, 144 Seiten, ISBN 3854060300).

Das Buch ist ein von Pater Karl Erhard Schmöger (1819 bis 14. 8.1883) hergestellter Auszug aus den Revelationes S. Brigittae a Consalvo Duranto notis illustratae. Romae 1628. Erschienen im Friedrich Pustet Verlag in Regensburg im Jahre 1883 (208 Seiten).

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Inhaltsverzeichnis

Offenbarungen über Jesus und Maria

1. Das Geheimnis der unbefleckten Empfängnis. Geburt und Name Mariens

1. (Revelationes 1. c. 9) Ich bin die Königin des Himmels. Liebe meinen Sohn! Er ist aller Ehre und Liebe würdig; und wenn du Ihn besitzest, so hast du alle Schönheit. Er ist auch der höchsten Sehnsucht würdig; und wenn du Ihn erlangst, so hast du alles, was immer du begehren kannst. Liebe Ihn! Er ist der Tugendreichste; und wenn du Ihn gewinnst, so besitzest du in Ihm jegliche Tugend. Nun aber will ich dir sagen, wie süß seine Liebe zu Mir, zu dem Gebilde meines Leibes, wie zu meiner Seele war und wie sehr Er meinen Namen erhöht hat.

Er, mein Sohn, hat Mich früher geliebt, als Ich Ihn; denn Er ist mein Schöpfer. Er ist es, der meinen Vater und meine Mutter in so keuscher Ehe verbunden hat, wie eine keuschere nie gefunden werden mag. Beide wollten sich nur aus Gehorsam gegen das Gesetz verbinden. Und als ihnen von dem Engel verkündigt wurde, dass eine Jungfrau ihre Tochter werden solle, aus welcher das Heil der Welt hervorgehen werde, da wären sie lieber gestorben, als aus bloß natürlicher Neigung sich zu vereinigen; auch war alle Sinnlichkeit in ihnen erloschen. Und darum sage Ich dir: die Liebe zu Gott und die Botschaft des Engels war der Beweggrund ihrer Verbindung, nicht aber irgendwelches andere Verlangen; denn die Liebe zu Gott war in ihnen mächtiger als ihr eigener Wille, nach welchem sie es vorgezogen hätten, in Enthaltung zu verharren. Und so ward Ich ihreTochter in Kraft ihrer höchsten Gottesliebe.

2. (Revelationes 6. c. 49) Meine Eltern waren gleich einem Menschen, der entschlossen ist, zu fasten, und der mit Festigkeit dem Verlangen, etwas zu genießen, widerstehet. Da ihm aber sein rechtmäßiger Obere, dem er zu gehorchen hat, zu essen befiehlt, so nimmt er gegen seinen Willen aus Gehorsam eine Speise zu sich; wodurch er ein größeres Verdienst erlangt als durch das Fasten. Auf ähnliche Weise verbanden sich meine Eltern, als Ich unbefleckt empfangen wurde. Es geschah mehr aus Gehorsam als aus eigenem Willen, und mehr als göttlicher Liebe als aus natürlichem Verlangen. Und so wird mit gutem Recht die Stunde, in der Ich empfangen worden bin, die goldene, die kostbare genannt; denn der Gehorsam und der Befehl Gottes hatte meine Eltern vereinigt. Golden war die Stunde meiner Empfängnis; denn das Heil aller nahm in ihr seinen Anfang, und die Finsternis eilte nach dem Lichte. Gott wollte durch dies sein Werk etwas Außerordentliches und von Ewigkeit her Verborgenes vollbringen, ähnlich wie Er bei dem Grünen des verdorrten Stabes getan. Es ist volle Wahrheit, dass Ich ohne Makel der Erbsünde und nicht in Sünde empfangen worden bin; denn wie mein Sohn und Ich niemals gesündigt haben, so gab es keine Ehe so heilig und rein als jene, aus der Ich hervorgekommen bin.

Nicht allen aber wurde das Geheimnis meiner unbefleckten Empfängnis offenbar; denn wie Gott wollte, dass dem geschriebenen Gesetze das ungeschriebene, natürliche Gesetz und die eigene freie Wahl zwischen Gut und Bös vorausgehe, und dass erst später das geschriebene Gesetz komme, um alle ungeordneten Regungen zu zügeln, so ließ Er auch zu, dass seine Getreuen in schuldlosen Zweifeln über meine Empfängnis blieben, und dass jeder seinen Eifer an den Tag legte, bis zur vorherbestimmten Zeit die Wahrheit allen klar und offenbar wurde.

3. Als mein Leib gebildet war, da sandte Gott in ihn die von seiner Gottheit erschaffene Seele; und in diesem Augenblick ward die Seele zugleich mit dem Leib geheiligt und Tag und Nacht von den Engeln bewacht und behütet. Bei Heiligung meiner Seele und ihrer Vereinigung mit dem Leib ward auch meine Mutter mit unaussprechlich süßer Freudigkeit erfüllt.

Als (Revelationes 6. c. 56) meine Mutter Mich gebar, kam Ich durch die gewöhnliche Pforte zur Welt; denn auf andere Weise durfte niemand geboren werden als nur allein mein Sohn, der als der Herr und Schöpfer der ganzen Natur auf wunderbare und unbeschreibliche Weise geboren werden wollte.

4. Meine Geburt blieb den bösen Geistern nicht unbekannt, und sie sprachen, in einem Gleichnis ausgedrückt, etwa so zu einander: "Eine Jungfrau ist geboren; was werden wir tun? Dass etwas Wunderbares durch sie geschehen werde, das sehen wir. So wir auch alle Schlingen unserer Bosheit gegen sie in Anwendung bringen, sie wird dieselben doch wie Werg zerreißen. Erforschen wir alle Gedanken ihres Herzens, so finden wir sie durch eine unüberwindliche Schutzwehr beschirmt. Kein Makel ist an ihr zu finden, wo der Stachel einer Sünde eindringen könnte. Darum ist zu fürchten, dass ihre Reinheit uns arge Qual bereiten werde. Vor der Gnade, die in ihr ist, wird unsere ganze Stärke zunichte werden. Ihr Starkmut wird uns unter ihre Füße treten."

Meine Mutter (Revelationes 5. c. 108), sprach der Herr zu Birgitta, war in und nach ihrer Geburt so schön, dass kein Makel an ihr zu finden war. Auch die gefallenen Engel erkannten dies und waren darob so erbittert, dass ein Schrei aus der Hölle sich vernehmen ließ, der lautete: "Eine Jungfrau, so tugendreich und wunderbar, kommt hervor, welche alle auf Erden und im Himmel übertrifft und bis zum Thron Gottes sich erheben wird. Wenn wir auch mit allen unseren Fallstricken gegen sie vorgehen, so wird sie doch alle zunichte machen und wie eine Flocke Werg zerreißen. Bieten wir unsere ganze Bosheit und Unreinigkeit gegen sie auf, so wird sie von ihr durchschnitten wie das Gras von der Sichel. Wollen wir Lust und Freude an der Welt ihr einflößen, so wird alles viel schneller von ihr ausgelöscht sein als ein Fünklein von einem Gießbach."

5. Die Freunde Gottes aber, die sich so lange nach der Jungfrau gesehnt hatten und nun von Gott ihre Ankunft vernahmen, sprachen: "Warum noch trauern? Freuen wir uns vielmehr; denn das Licht ist geboren, das unsere Finsternis erhellen und unsere Sehnsucht stillen wird." Die Engel Gottes endlich frohlockten; und wenngleich in der Anschauung Gottes unendlich selig, so riefen sie doch: "Auf Erden ist die Jungfrau nun geboren, nach der wir uns gesehnt haben und die uns das Unterpfand der größten Liebe Gottes ist! Durch sie wird im Himmel und auf Erden der wahre Friede erneuert, und durch sie werden die leeren Plätze in unseren Reihen wieder voll werden."

Ja, meine Tochter, meine Geburt ist der Anfang aller wahrhaften Freude geworden; denn nun war das Reis aufgesprosst, aus welchem die von den Patriarchen und Propheten ersehnte Blume aufblühen sollte.

Mit unaussprechlicher Liebe ward Ich gegen Gott, meinen Schöpfer, erfüllt von dem Augenblick an, da Ich etwas von Ihm zu erkennen vermochte, und Ich begehrte nach Ihm mit ganzem Herzen. Durch seine wunderbare Gnadenfülle blieb Ich von erster Kindheit an vor jeglicher Einstimmung zu einer Sünde bewahrt; denn die Liebe Gottes, die Sorge meiner Eltern, ihre heilige Erziehung, die gute Umgebung und der Eifer, Gott kennenzulernen, mangelten Mir nie.

6. Ich empfing den Namen Maria, wie im Evangelium zu lesen. Wenn die Engel diesen Namen hören, so empfinden sie Freude und danken Gott immer aufs neue, der durch Mich und mit Mir so Gnadenvolles gewirkt hat, indem sie die Menschheit meines Sohnes in der Gottheit verherrlicht erblicken.

Die Seelen im Fegfeuer freuen sich, wenn sie meinen Namen hören, über die Maßen wie ein Kranker, wenn er auf seinem Schmerzensbett ein Wort des Trostes zu hören bekommt, das sein Herz erquickt und seinen Mut wieder belebt. Auch die guten Engel treten, so sie meinen Namen vernehmen, den Gerechten, denen sie zum Schutze gegeben sind, sogleich näher und freuen sich über ihren Fortschritt. Jeder Mensch hat einen Engel zu seinem Schutze und einen bösen Engel zu seiner Prüfung. Die guten Engel sind bei den Dienstleistungen an ihren Schutzbefohlenen nicht von Gott getrennt, sondern sie dienen den Seelen, ohne Gott zu verlassen, vor dessen Angesicht sie beständig sind, auch wenn sie die Seelen entflammen und zu einem guten Werke aneifern.

Auch die Teufel alle fürchten diesen Namen und zittern. Hören sie den Namen Maria, so müssen sie augenblicklich die Seele aus ihren Krallen lassen, die sie gepackt haben. Wie ein Raubvogel aus Schnabel oder Krallen seine Beute fallen lässt, wenn ein Schall ihn schreckt; sie aber aufs neue fasst, wenn der Schall ohne weitere Folge bleibt; so lassen auch die bösen Geister, wenn sie meinen Namen hören, sogleich von einer Seele wie erschrocken ab; fliegen aber so schnell wie ein Pfeil wieder zu ihr herzu, wenn nicht irgendwelche Besserung in der Seele eintritt. Niemand aber ist in der Liebe Gottes so erkaltet, außer er wäre schon verdammt, dass von ihm, so er meinen Namen in der Absicht anruft, nie mehr zu der gewohnten Übeltat zurückzukehren, der Teufel nicht alsbald weichen und von ihm fern bleiben müsste, solange er den besseren Willen nicht aufgibt und nicht wiederum in die Todsünde zurückfällt.

7. (Revelationes 6. c. 12) Meine Tochter, du vergleichst Mich mit einem Bienenkorb. Ich war in Wahrheit ein Bienenkorb; denn das Gebilde meines Leibes war wie der Paradiesesbaum in dem Schoß meiner Mutter, bevor die Seele sich ihm einigte. Auch bei meinem Tod war mein Leib gleich dem Holz dieses Baumes, solange die Seele von ihm getrennt war, bis sie wieder mit ihm sich einigte und mit dem Leib von Gott in seine Herrlichkeit erhöht wurde. Dieses Holz ist zum Bienenkorb geformt worden, als die hochgelobte Biene, der Sohn Gottes, von dem höchsten Himmel sich niederlassend, in meinem Schoß Einkehr nahm. Denn in Mir war eine süßeste, feinste Wabe durch Einwirkung des Heiligen Geistes auf das vollkommenste zur Aufnahme des süßesten Honigseimes der Gnade vorbereitet worden. Diese Wabe aber wurde voll, als der Sohn Gottes in Mich kam mit seiner Macht und mit seiner Liebe und mit seiner Heiligkeit. Er kam mit seiner Macht, als mein Herr und mein Gott; mit seiner Liebe, da Er aus Liebe zu den Seelen sein Fleisch und das Kreuz auf sich nahm; mit seiner Heiligkeit, da Adams Schuld ganz und gar von Mir ferngehalten war. Darum konnte der heiligste Sohn Gottes von Mir sein heiligstes Fleisch empfangen.

Wie aber die Biene ihren Stachel hat, mit dem sie nur ungern verwundet, so hat mein Sohn die Strenge der Gerechtigkeit, die Er aber nur dann zur Anwendung bringt, wenn die Sünder Ihn dazu nötigen. Dieser Biene aber ist gar übel vergolten worden. Für seine Macht ist mein Sohn in die Hände der Ungerechten verraten; für seine Liebe den Händen der Grausamen überliefert; für seine Heiligkeit schmählich entblößt und unbarmherzig gegeißelt worden.

Hochgelobt sei darum die Biene, die sich aus dem Paradiesesbaum meines Leibes den Korb bereitet und mit ihrem Honig so überfließend angefüllt hat, dass durch die Süßigkeit, die Mir gegeben ist, aus dem Mund aller Adamskinder der todbringende Geschmack des Giftes der Schlange getilgt werden kann.

2. Erste Jugendzeit der heiligsten Jungfrau

1. (Revelationes I. c. 10) Ich, die Königin des Himmels, die Mutter Gottes, will dir nun ausführlicher zeigen, wie Ich von dem Augenblick an, da Ich Gott vernahm und erkannte, beständig in Sorge und Furcht um mein Heil und mein Verhalten war. Je vollkommener Ich Gott, meinen Schöpfer, als den Richter über alle meine Handlungen erkannte, um so mehr liebte Ich Ihn aus allen Kräften, und zu jeder Stunde war Ich in Furcht und in Gedanken, dass Ich Ihn weder mit einem Wort, noch einer Tat beleidige. In der Betrachtung Seiner, als des Gesetzgebers für sein Volk, dem zuliebe Er so große Wunder gewirkt, erneuerte Ich im Herzen beständig den Vorsatz, nur Ihn allein zu lieben; und alle Güter dieser Welt wurden Mir sehr bitter.

In der Erkenntnis, dass dieser selbe Gott die Welt erlösen und aus einer Jungfrau geboren werden wolle, empfand ich solche Liebe zu Ihm, dass all mein Denken und mein Wollen nur allein auf Ihn gerichtet war. Ich entzog Mich, so gut Ich es vermochte, dem Gespräch und Verkehr mit Eltern und Verwandten; und was Ich erhalten konnte, schenkte Ich den Armen; für Mich selber behielt Ich nur das Geringste zur Nahrung und Kleidung. An nichts konnte Ich Gefallen finden als nur an Gott allein. Immerdar begehrte mein Herz, die Zeit zu erleben, da Gott aus der Jungfrau würde geboren werden, um wenn möglich die unwürdige Magd der Mutter Gottes sein zu dürfen. Auch gelobte Ich, so es Gott gefalle, im jungfräulichen Stand zu verbleiben; sollte aber Gott anderes von Mir verlangen, so möge sein Wille geschehen und nicht der meine; denn Ich glaubte fest, dass Gott alles vermöge und nur mein Heil begehre; und darum übergab Ich Ihm meinen Willen ganz und gar.

Als die Zeit herankam, da nach der bestehenden Ordnung die Jungfrauen im Tempel des Herrn sich darstellten, befand Ich Mich aus Gehorsam gegen meine Eltern auch unter ihnen, indem mein Herz die Gewissheit hatte, dass Gott nichts unmöglich sei; und da Er wisse, wie Ich nichts begehre und nichts anderes wolle als nur Ihn, so könne Er Mich, so es Ihm gefalle, in Jungfräulichkeit erhalten; wenn nicht, so geschehe sein Wille. Die Beobachtung aller Satzungen für die Tempeljungfrauen entzündete in noch höherem Grade meine Liebe zu Gott, die zu immer neuen Gluten angefacht und mit immer größerer Inbrunst nach Gott hingezogen wurde. Immer eifriger pflegte Ich die Abgezogenheit von allen Geschöpfen, indem Ich Tag und Nacht auf das eifrigste bedacht war, dass mein Mund nichts rede, mein Ohr nichts höre, was Gott zuwider, und mein Auge nichts erblicke, was zerstreuend wirken könnte. Ja selbst im Stillschweigen war Ich nicht ohne Furcht und gar oft in Sorge, dass Ich nicht schweige, wenn es besser wäre, zu reden.

3. Der englische Gruß

1. Ich war für Mich allein, meine Besorgnis im Herzen tragend und all mein Vertrauen nur auf Gott setzend. Ich versenkte Mich in die Betrachtung der Allmacht Gottes, wie Ihm die Engel dienen und alle anderen Geschöpfe und wie unaussprechlich, wie unermesslich seine Herrlichkeit. In Bewunderung darüber erblickte Ich drei wunderbare Dinge: ein Gestirn, doch nicht wie die, so vom Himmel herniederscheinen; ein Licht, nicht ein solches, wie es in der Welt leuchtet; Ich empfand Wohlgeruch, nicht wie von Pflanzen oder ähnlichen Dingen, sondern einen überaus süßen, unbeschreiblichen Duft, der Mich ganz erfüllte und frohlocken machte. Dann vernahm Ich eine Stimme, doch nicht aus menschlichem Mund. Als Ich sie vernommen, geriet Ich in Furcht, es könnte eine Täuschung sein. Aber der Engel Gottes erschien Mir in schönster Menschengestalt, doch nicht mit Fleisch bekleidet, und sprach: Ave, gratia plena. Bei seinen Worten ward Ich verwundert, was dies bedeuten solle, oder warum er Mich so grüße; denn Ich war Mir gewiss und fest überzeugt, dass Ich dessen oder überhaupt eines Guten nicht würdig sei; doch glaubte Ich, Gott sei nicht unmöglich zu vollbringen, was immer Er wolle. Dann sprach der Engel wieder: "Was in Dir geboren werden soll, ist heilig und wird der Sohn Gottes genannt werden; und wie es Ihm gefällt, so wird es geschehen." Jedoch hielt Ich Mich nicht für würdig; begehrte auch nicht, vom Engel zu wissen, warum und wann dies geschehen solle, sondern fragte nur, wie das möglich sei, dass Ich Unwürdige die Mutter Gottes werden solle, da Ich auch keinen Mann erkenne. Und der Engel erwiderte: "Gott ist nichts unmöglich; was Er vollbringen will, das wird geschehen." Im Vernehmen dieses Wortes des Engels empfand Ich glühendste Sehnsucht, die Mutter Gottes zu werden, und aus Liebe zu Gott gab mein Herz zur Antwort: "Siehe, Ich bin die Magd des Herrn! Es geschehe sein Wille an Mir!"

Auf dieses Wort wurde im Augenblick mein Sohn in meinem Schoß unter unaussprechlichem Frohlocken meiner Seele und aller meiner Glieder empfangen, und Ich trug Ihn ohne Schmerz, ohne Beschwerde, ohne jegliche Mühe. Ich demütigte Mich in allen Stücken, da Ich die Gewissheit hatte, es sei der Allmächtige, den Ich in meinem Schoß trage.

2. (Revelationes 3. c. 8) Von Ewigkeit her war Ich in der Liebe Gottes; und von meiner ersten Kindheit an war die Fülle des Heiligen Geistes mit Mir. Ähnlich wie bei der Mandel in demselben Grad, als die äußere Schale sich erweitert, auch der innere Kern wächst und sich ausdehnt, so dass zwischen Kern und Schale nie ein Raum frei bleibt, um von außen her in sich etwas aufzunehmen, so war Ich seit erster Kindheit voll des Heiligen Geistes, und nach dem Wachstum meines Leibes und meiner Lebenstage erfüllte der Heilige Geist Mich ganz so überfließend, dass nicht die geringste Leere in Mir zurückblieb, in welche eine Sünde hätte Zugang finden können. Und so bin Ich es, die nie eine Sünde begangen, selbst nicht eine lässliche, geschweige eine Todsünde. Ich war ja von der Liebe Gottes also brennend, dass Ich nichts begehrte, als seinen Willen auf das vollkommenste zu erfüllen.

Dieses Feuer der göttlichen Liebe brannte ohne Unterlass in meinem Herzen; und der über alles hochgelobte Gott, der in seiner Allmacht Mich erschaffen und mit der Gnade seines Heiligen Geistes Mich erfüllte, trug auch zu Mir eine feurige Liebe. Und aus der Glut dieser seiner Liebe sandte Er seinen Boten an Mich, Mir seinen Willen kundzumachen, dass Ich Mutter Gottes werden solle. Und da Ich nun wusste, es sei dies der Wille Gottes, kam sogleich aus meinem in Liebe zu Gott entbrannten Herzen durch den Mund das Wort des wahrhaften Gehorsams, mit welchem Ich dem Boten erwiderte: "Es geschehe Mir nach deinem Worte." Und in diesem Augenblick ist in Mir das Wort Fleisch geworden; und der Sohn Gottes war mein Sohn. Und so hatten Wir beide einen Sohn, der beides ist: Gott und Mensch; und in ähnlicher Weise bin Ich Mutter und Jungfrau.

Und da nun dieser mein Sohn, Jesus Christus, als wahrer Mensch, und der Weiseste aller Menschen, und als wahrer Gott in meinem Schoß ruhte, so empfing Ich von Ihm solche Fülle der Weisheit, dass Ich nicht allein die Weisheit aller Lehrer durchschaue, sondern auch in ihrem Herzen lese, ob ihre Worte aus der Liebe zu Gott oder nur aus gelehrtem Wissen kommen.

4. Besuch bei Elisabeth. Der heilige Joseph

1. (Revelationes 6. c. 59) Nach der Verkündung des Engels und nach meiner Zustimmung, Mutter des Sohnes Gottes zu sein, empfand Ich Ungewohntes, Wunderbares in Mir. Ich war in hoher Verwunderung darüber und reiste zu meiner Base Elisabeth hinauf, um sie, die gesegneten Leibes war, mit Trost zu erfüllen, indem Ich ihr die Verkündung des Engels eröffnete.

Als Ich ihr an dem Brunnen vor ihrer Wohnung begegnete und Wir mit Umarmung uns begrüßten, frohlockte das Kind in ihrem Schoß in wunderbarer und sichtbarer Bewegung. Ich selbst war von ungewohnter Freudigkeit des Herzens so bewegt, dass meine Zunge ohne Nachsinnen in das Lob Gottes ausbrach und meine Seele vor Wonne sich kaum zu fassen vermochte. Elisabeth erstaunte über die Macht des Geistes, der aus Mir sprach, und Ich bewunderte in gleicher Weise die Gnade Gottes in ihr, indem Wir beide Gott die Ehre gaben. Wir waren längere Tage beisammen.

Darnach aber machte in meiner Seele die Erwägung sich geltend, wie und wie gottergeben Ich Mich zu verhalten habe, nachdem Mir so hohe Gnade zuteil geworden. Auch erwog Ich, was Ich antworten werde, wenn Ich nach meiner Empfängnis und nach dem Vater des Sohnes gefragt werden sollte, der aus Mir werde geboren werden, und dass Joseph nicht etwa falschen Argwohn gegen Mich fasse, so der Widersacher ihn dazu reizen würde. Während Ich darüber nachsann, kam ein Engel zu Mir wie der, den Ich früher gesehen, und sprach: "Unser Gott, der von Ewigkeit ist, Er selbst ist in Dir und mit Dir. Sei darum ohne Furcht; denn Er wird Dir die Worte geben, deine Schritte leiten, die Orte Dir zeigen und mit Macht und Weisheit sein Werk mit Dir vollenden."

2. Als Joseph, dem Ich vermählt worden, den Segen in Mir erkannte, war er voll Bewunderung, und sich für unwürdig erachtend, mit Mir zusammenzuleben, geriet er in Angst und Unschlüssigkeit, was er zu tun habe. Da erschien ihm der Engel im Traum und sprach: "Weiche nicht von der Jungfrau, welche dir anvertraut ist; denn es ist volle Wahrheit, was du von ihr gehört hast. Sie hat vom Heiligen Geist empfangen und wird einen Sohn gebären, den Erlöser der Welt. Diene ihr also mit aller Treue, sei der Wächter und der Zeuge ihrer reinsten Sittsamkeit!" Und von dieser Stunde an diente Mir Joseph als seiner Herrin; und Ich ließ Mich ebenso herab, ihm die niedersten Dienste zu leisten. Fortan war Ich beständig im Gebete, war selten sichtbar und begehrte auch nichts zu sehen. Nur sehr selten verließ Ich meine Wohnung, höchstens an den großen Festen und den Vorabenden, wo Ich den Lesungen beiwohnte, die von unseren Priestern gehalten wurden. Ich hatte meine bestimmten Stunden für Händearbeit, beobachtete das Fasten, so gut meine Natur zum Dienste Gottes sie zu üben vermochte. Alles Überflüssige an Nahrung gaben Wir den Armen und waren mit dem Wenigen zufrieden, was die Notdurft erforderte.

Joseph diente Mir in solcher Eingezogenheit, dass nie ein Wort unzeitigen Scherzes, Murrens oder Zürnens aus seinem Munde zu hören war; denn er war voll Geduld in seiner Armut und unverdrossen bei der notwendigen Arbeit, sanftmütigst bei Schmähungen, überaus willig, Mir zu Diensten zu sein, mein eifrigster Verteidiger gegen die Verleumder meiner Jungfrauschaft, der treueste Zeuge der Wunderwerke Gottes. Auch war er der Welt und dem Fleische so gänzlich abgestorben, dass er allein nur nach dem Himmel Verlangen trug. Auch war er so unerschütterten Glaubens an die Verheißung Gottes, dass er beständig äußerte: Nur dazu begehre ich zu leben, um die Erfüllung des Willens Gottes zu schauen. Sehr selten ging er an Orte, wo mehrere Leute sich zusammenfanden oder sich beratschlagten; denn seine einzige Sehnsucht war es, dem Willen Gottes zu gehorchen. Darum ist nun auch so groß seine Herrlichkeit im Himmel.

5. Die Geburt des Sohnes Gottes. Mariä Reinigung

1. (Revelationes 1. c. 10) Als Ich meinen Sohn gebar, gebar Ich Ihn, wie Ich Ihn empfangen hatte, ohne Schmerz und Sünde, in solcher Freudigkeit des Geistes und des Leibes, dass meine Füße vor Entzücken den Boden unter sich nicht mehr fühlten. Und wie Er in alle meine Glieder unter der Wonne meines Geistes eingegangen war, so kam Er auch aus Mir unter dem Frohlocken aller meiner Glieder und unter unaussprechlicher Wonne meiner Seele ohne Versehrung der Jungfrauschaft wieder hervor. Als Ich Ihn erblickte und seine Schönheit betrachtete, da träufelte aus meiner Seele wie Tau der Freude, indem Ich meine Unwürdigkeit erkannte, die Mutter eines solchen Sohnes zu sein. Wann Ich aber an seinen Händen und Füßen die Stellen betrachtete, durch welche nach den Weissagungen der Propheten die eisernen Nägel getrieben werden sollten, die meinen Sohn an das Kreuz hefteten, da wurden meine Augen voll Tränen und mein Herz von Trauer wie gespalten. Und sah mein Sohn meine Augen in Tränen, da ward Er wie zum Tod betrübt. Der Gedanke aber an die Allmacht seiner Gottheit gab Mir wieder Trost, indem Ich wohl erkannte, Er selber wolle es so, und es werde das Heil der Welt dadurch bewirkt werden. Und Ich machte meinen Willen dem seinigen gleichförmig, und so war meine Freude stets mit Trauer gemischt.

2. (Revelationes 6. c. 1) Es war mein Sohn von solcher Schönheit, dass alle Schönheit der Elemente und des Lichtes im Vergleich mit Ihm nur ein Schatten war. Alle, die Ihn sahen, fanden sich getröstet, mochte ihr Herz auch noch so betrübt sein; darum sprachen manche Juden oft zueinander: "Gehen wir zu dem Sohn Mariä, bei dem wir Trost erlangen können!" Wussten sie auch nicht, dass Er der Sohn Gottes sei, so schöpften sie doch aus seinem Anblick hohe Fröhlichkeit des Herzens. Er war auch von so unbeschreiblicher Reinheit, dass nie das kleinste unreine Tierchen Ihm zu nahen wagte; denn selbst der Wurm im Staub ehrte Ihn als seinen Schöpfer. Die Haare seines Hauptes waren nie in Unordnung und nie von irgend welcher Verunreinigung berührt.

3. (Revelationes 6. c. 57) Der Reinigung nach der Geburt wie andere Frauen bedurfte Ich nicht; denn der Sohn, den Ich geboren, ward selber Mir zur Reinigung. Ich konnte Mir auch nicht den leisesten Makel zuziehen, da Ich meinen allerreinsten Sohn in höchster Reinheit geboren habe. Damit aber das Gesetz und die Propheten erfüllt würden, wollte Ich, in der Zeit des Gesetzes lebend, auch vollkommen den Vorschriften des Gesetzes gehorchen. Doch den Eltern dieser Welt wollte Ich Mich nicht gleichstellen, sondern hielt Mich in Demut zu den Armen und Niedrigen. In keinem Stück begehrte Ich einen Vorzug zu haben, sondern nur das allein liebte Ich, was der Demut entsprechend war .

4. An dem Tag der Reinigung aber ward der Schmerz, von dem ohne Unterlass mein Herz erfüllt war, gar sehr erhöht. Wohl hatte Ich aus Eingebung Gottes immerdar die Gewissheit von dem künftigen Leiden meines Sohnes; doch drang bei den Worten Simeons, dass ein Schwert durch meine Seele gehen werde und dass mein Sohn zum Zeichen gesetzt sei, dem widersprochen werden solle, jener Schmerz Mir viel heftiger durch das Herz, der bis zu meiner Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel nie mehr aus meinem Herzen weichen sollte, wenn er gleich durch die Tröstungen des Heiligen Geistes gemildert wurde. Du sollst auch wissen, dass von jenem Tag an dieser Schmerz in Mir ein sechsfacher wurde.

Fürs erste war er in der so klaren und lebendigen Anschauung meines Geistes; denn so oft Ich meinen Sohn betrachtete, so oft Ich Ihn in Windeln hüllte, so oft Ich seine Hände und seine Füße erblickte, ebenso oft wurde mein Herz von immer neuem Schmerz wie verschlungen; denn immer musste Ich gedenken, wie Er würde gekreuzigt werden. Fürs zweite war der Schmerz in meinem Gehör; denn so oft Ich mit meinen Ohren (von jenem Tag an) die Lästerungen meines Sohnes, die Lügen und Verleumdungen und Bosheiten gegen Ihn (im Geiste) vernahm, ebenso oft ward mein Herz von solchem Schmerz erfüllt, dass es sich kaum mehr zu fassen wusste. Doch die Kraft Gottes verlieh meinen Schmerzen Maß und Ordnung, so dass keine Ungeduld noch Schwachheit an Mir zu bemerken war. Drittens war der Schmerz in meinen Augen; denn Ich sah im Geist von jenem Tage an, wie mein Sohn gebunden, gegeißelt und ans Kreuz geheftet werde; und bei diesem Anblick sank Ich oft wie leblos nieder. Doch vermochte Ich gesammelten Geistes Mich wieder aufzurichten und blieb voll Trauer zwar, aber so geduldig leidend, dass weder ein Feind, noch sonst jemand an Mir etwas anderes wahrnehmen konnte als tiefen Ernst. Viertens war der Schmerz im Gefühl. Denn sooft Ich von jenem Tag an im Geist meinen Sohn vom Kreuz mit den anderen abnahm, Ihn in Tücher hüllte und zum Grab trug, so nahmen die Schmerzen also zu, dass meine Hände und Füße kaum mehr die Kraft besaßen, dieselben auszuhalten. O wie gerne hätte Ich Mich mit meinem Sohn begraben lassen! Fünftens litt Ich durch die Größe meiner Sehnsucht, zu meinem Sohn zu gelangen, nachdem Er zum Himmel aufgefahren; denn die lange Verzögerung, die Ich nach seiner Himmelfahrt auf Erden noch zu tragen hatte, erhöhte meinen Schmerz. Sechstens litt Ich wegen der Trübsale der Apostel und der Freunde Gottes, deren Schmerz der meinige war. Immer war Ich für sie in Furcht und Trauer: in Furcht, sie könnten den Versuchungen und Trübsalen unterliegen; in Trauer, weil die Worte meines Sohnes überall Widerspruch erfuhren.

Es war aber die Gnade Gottes beständig mit Mir, und es war auch mein Wille in vollkommener Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes: und so war meinen beständigen Schmerzen auch Trost beigemischt, bis Ich mit Leib und Seele zu meinem Sohn in den Himmel aufgenommen wurde. Darum weiche nie das Andenken an meine Schmerzen aus deiner Seele; denn gäbe es keine Trübsale, so würden nur die wenigsten in den Himmel kommen.

5. (Revelationes 1. c. 35) Betrachte auch du, meine Tochter, das Leiden meines Sohnes, dessen Glieder Mir wie meine eigenen waren und wie mein eigenes Herz. Er war ja, wie die anderen Kinder im Schoß ihrer Mütter, ebenso in Mir; Er aber ward empfangen aus der Glut der göttlichen Liebe, die anderen aus dem Willen des Fleisches. Darum sagt mit Recht Johannes: "das Wort ist Fleisch geworden." Denn durch die Liebe kam Er und war Er in Mir. Das Wort aber und die Liebe (der Heilige Geist) haben Ihn in Mir gebildet; und Er war Mir, als wäre Er mein Herz. Darum hatte Ich, als Er aus Mir geboren wurde, die Empfindung, als würde die eine Hälfte meines Herzens geboren und scheide aus Mir. Und darum empfand Ich, als Er sein Leiden begann, dies sein Leiden als das Leiden meines eigenen Herzens. Denn ein Herz, das zur Hälfte auswendig und zur Hälfte inwendig ist, empfindet inwendig gleichmäßig den ganzen Schmerz, wenn die auswendige Hälfte gefoltert wird. So wurde Ich selber, d. i. mein Herz, auch mitgegeißelt und mitdurchstochen, als mein Sohn, Er, die andere Hälfte meines Herzens, gegeißelt und mit Dornen gekrönt wurde. Auch war Ich auf seinem ganzen Leidensweg stets in seiner nächsten Nähe und vermochte nicht, Ihm fern zu bleiben. Ich stand zunächst an seinem Kreuz; und wie das am wehesten tut, was dem Herzen am nächsten ist, so war, was Ich beim Kreuzstamm litt, der bitterste Schmerz noch von allen. Und als mein Sohn vom Kreuz herab Mich anblickte und Ich zu Ihm meine Augen erhob, da strömten Mir die Tränen aus den Augen wie das Blut aus geöffneter Ader. Und da Er Mich in Pein ganz aufgelöst erblickte, wurde Er über meine Schmerzen so sehr betrübt, dass Er aus Mitleid mit Mir die Martern seiner eigenen Wunden nicht mehr zu verspüren glaubte.

Darum sage Ich: sein Schmerz war der meine, weil sein Herz mein Herz war. Wie Adam und Eva für einen Apfel die Welt verkauft haben, so haben mein Sohn und Ich wie mit einem Herzen die Welt wieder zurückerkauft. Denke darum, meine Tochter, daran, in welchem Zustand Ich war, da mein Sohn am Kreuz starb, dann wird es dir nicht schwer fallen, die Welt zu verlassen.

6. Flucht nach Ägypten

1. (Revelationes 6. c. 48) Ich sprach zu dir von meinen Schmerzen. Jener Schmerz aber war nicht der kleinste, den Ich zu tragen hatte, da Ich mein Kind nach Ägypten flüchten musste, und als Ich die Ermordung der unschuldigen Kinder erfuhr, und wie Herodes beständig meinem Kinde nachstelle. Wenn Ich gleich wusste, was die Propheten von meinem Sohn geweissagt, so war doch mein Herz vor Größe meiner Liebe zu Ihm immerdar voll Schmerz und Trauer.

Nun aber magst du fragen, was mein Sohn während der ganzen, seinem bitteren Leiden vorhergehenden Lebenszeit getan habe? Ich antworte dir: Er war, wie das Evangelium sagt, seinen Eltern untertan und zeigte sich im Äußeren gleich anderen Kindern, bis Er in das reifere Alter eintrat. Indes verlief seine früheste Kindheit nicht ohne Wunder. Die Geschöpfe dienten Ihm als ihrem Schöpfer. Bei seiner Ankunft in Ägypten mussten die Götzenbilder verstummen, und die meisten brachen zusammen. Die Weisen aus dem Morgenlande weissagten von Ihm, dass Er Großes vollbringen werde. Auch die Engel brachten Ihm ihre Huldigung dar. Sein heiligster Leib war so rein wie ein Sonnenstrahl, und nie ward er verunreinigt. Selbst die Haare seines Hauptes waren nie in Verwirrung. In seinem reiferen Alter war Er in beständigem Gebet. Gehorsam zog Er mit uns zu den Festzeiten nach Jerusalem hinauf und auch an andere Orte. Sein Aussehen und seine Redeweise war so wundersam und von solcher Anmut, dass viele, wenn sie in Trübsal waren, zu einander sagten: "Lasset uns zum Sohn Mariä gehen, von dem wir Trost erhalten können!"

Mit zunehmendem Alter fing Er an, seine Weisheit zu offenbaren, deren Fülle von Anfang in Ihm gewesen. Auch verrichtete Er Händearbeit; und waren Wir allein, so sprach Er zu Mir und Joseph Worte des Trostes über göttliche Dinge, so dass Wir immer mit unaussprechlicher Freude erfüllt wurden. Wenn Wir Uns aber in Sorgen, in Dürftigkeit und Nöten befanden, da erschuf Er für Uns weder Gold noch Silber, sondern ermahnte Uns zur Geduld. Vor Neidern blieben Wir wunderbar bewahrt. Das zum Leben Notwendigste kam Uns teils durch die Mildtätigkeit frommer Seelen zu, teils durch unsere Händearbeit, so dass Wir immer nur so viel hatten, als zum Lebensunterhalt durchaus vonnöten war, nicht aber Überflüssiges; denn Wir hatten kein anderes Verlangen, als nur Gott allein zu dienen.

Später aber sprach Er in vertraulichen Unterredungen mit gutgesinnten Menschen, die in unser Haus kamen, über das Gesetz, dessen Vorzeichen und Vorbilder. Zuweilen besprach Er sich auch öffentlich mit den Schriftgelehrten, so dass manche voll Verwunderung sagten: "Seht, Josephs Sohn belehrt selbst die Lehrer, ein großer Geist redet aus Ihm."

Sah Er Mich betrübt im Gedenken seines künftigen Leidens, da sprach Er: "Mutter! Glaubst Du nicht, dass Ich im Vater bin und Er in Mir? Wie kannst Du so voll Trauer sein? Es ist des Vaters Wille, dass Ich den Tod erleide, und mit dem Vater ist es auch mein Wille. Was Ich vom Vater habe, das ist des Leidens nicht fähig; das Fleisch aber, das Ich von Dir angenommen habe, das wird leiden, auf dass das Fleisch der anderen erlöst und die Seelen gerettet werden." Er war auch so gehorsam, dass, wenn Joseph etwa sagte: tu dies, tu jenes, Er es augenblicklich tat; denn so sehr verbarg Er die Macht seiner Gottheit, dass sie nur von Mir und auch von Joseph erkannt war, indem Joseph, wie Ich, Ihn oftmals von Licht umflossen erblickte und die Stimmen der Engel vernahm, die Ihm lobsangen. Wir sahen auch, wie die unreinen Geister, welche die Gesetzlehrer nicht ausweisen konnten, schon bei seinem Anblick ausfuhren.

7. Die Schönheit und Gestalt des Sohnes Mariens

1. (Revelationes 4. c. 70) Er war so schön von Angesicht, dass niemand sein Antlitz sehen konnte, ohne sich getröstet zu fühlen, auch wenn er noch so betrübten Herzens war. Die Gerechten schöpften aus seinem Anblick hohe Geistesfreude; und selbst die Bösen vergaßen ihre weltliche Traurigkeit, so lange sie Seiner ansichtig waren. Darum pflegten die Trauernden zu sprechen: "Gehen wir zum Sohn Mariens, um wenigstens solange wir Ihn sehen können, unseren Kummer zu vergessen!"

2. In seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte Er die volle männliche Größe und Stärke erreicht. Er ragte über die Mittelgröße der gegenwärtigen Zeit hinaus, war nicht fleischig, aber von starken Nerven und Muskeln. Haare, Brauen und Bart waren gelbbraun; die Länge des Bartes war von der Breite einer Hand. Die Stirne war nicht vortretend, auch nicht eingedrückt, sondern hob sich gerade. Die Nase war in schönstem Ebenmaß; nicht klein und nicht zu groß; sein Auge war so rein, dass selbst seine Feinde unwillkürlich Gefallen fanden, Ihn anzublicken. Die rötlich leuchtenden Lippen waren nicht dick. Das Kinn stand nicht heraus, war nicht zu lang, sondern lieblich durch sein schönes Ebenmaß. Die Wangen mäßig voll, von weißer Farbe mit durchscheinendem Rot. Seine Haltung war gerade und der ganze Leib rein und makellos, wie jene sich überzeugen konnten, die Ihn seiner Kleider beraubten und zur Geißelung an die Säule banden.

8. Worte der heiligen Birgitta über die Geburt des Sohnes Gottes

1. (Revelationes 7. c. 21.-26.) Als ich auf meiner Wallfahrt zum Heiligen Land in der Krippenhöhle zu Bethlehem im Gebet war, empfing ich ein Gesicht. Ich sah die Jungfrau gesegneten Leibes und von höchster Schönheit. Sie trug einen weißen Mantel und ein wollenes Oberkleid. Die Stunde der Geburt schien nahe. Mit ihr war Joseph, ein sehr ehrwürdiger Greis, der einen Ochsen und Esel mit sich führte. Als sie in die Höhle einzogen, band er die beiden Tiere an die Krippe; dann ging er hinaus, holte eine brennende Kerze für die Jungfrau und befestigte sie an der Mauer. Er entfernte sich wieder, da er bei der Geburt nicht zugegen sein wollte. Die Jungfrau aber löste die Sohlen von ihren Füßen, legte den weißen Mantel, der sie ganz bedeckte, ab, nahm den Schleier vom Haupt und legte ihn neben sich; das Oberkleid aber behielt sie an. Ihre schönsten, wie Gold glänzenden Haare fielen ausgebreitet über die Schultern herab. Dann zog sie zwei Tüchlein von Linnen und zwei feine von reinstem Wollzeug, die sie bei sich trug, hervor, um das Kind, das nun geboren werden sollte, darein zu wickeln, und zwei andere kleinere von Linnen, um sie über das Kind auszubreiten und um sein Haupt zu binden. Alle diese Tüchlein legte sie neben sich hin, um sie im rechten Augenblick zu gebrauchen.

Nachdem sie alles so vorbereitet hatte, kniete sich die Jungfrau in größter Andacht zum Gebete nieder, den Rücken nach der Krippe, das Angesicht gegen Osten zum Himmel gewendet. Hände und Augen zum Himmel erhebend, betete sie in Entzückung, von göttlicher Süßigkeit ganz durchdrungen. Während sie so im Gebet war, erblickte ich eine Bewegung der heiligsten Frucht in ihrem Schoß; und plötzlich und in kürzestem Augenblick war ihr Sohn geboren, von dem ein unaussprechliches Licht und ein Glanz von solcher Stärke ausging, dass die Sonne mit ihm nicht zu vergleichen, und dass die brennende Kerze, welche Joseph gebracht hatte, vor diesem göttlichen Lichtglanz wie erloschen war. Es war die Geburt so plötzlich und in so kürzestem Augenblick geschehen, dass es mir ganz unmöglich war, zu erkennen oder zu unterscheiden, wie oder wo der Sohn Gottes aus dem jungfräulichen Schoß hervorgekommen war. Aber ich erblickte das neugeborne, glorwürdigste Kind auf der Erde liegend, von Glanz umflossen und von wundersamster Reinheit. Ich vernahm die süßesten Lobgesänge der englischen Heerscharen. Die Leibesgestalt der heiligsten Jungfrau erblickte ich in wunderbarer Schönheit und Zartheit. Als sie inne wurde, dass sie schon geboren habe, neigte sie ihr Haupt und betete in tiefster Andacht und Ehrerbietung ihr Kindlein an mit den Worten: "Sei gegrüßt, mein Gott, mein Herr und mein Sohn!" Das Kindlein aber weinte, und wie zitternd vor Kälte und vor der Härte des Bodens, auf dem es lag, bewegte es sich hin und her, streckte seine Ärmchen aus, als suche es Erquickung und die Hilfe seiner Mutter. Sie aber nahm es auf ihre Arme, hob es an ihre Brust, neigte ihre Wangen zu ihm und wärmte es in unaussprechlicher Freudigkeit und mit mütterlicher Zärtlichkeit. Dann setzte sie sich nieder an die Erde und legte ihr Kind sich auf den Schoß, um es sorgfältigst einzuhüllen: zuerst in die Linnen- und dann in die Wolletüchlein. Sie streckte sanft den zarten Leib des Kindleins, um Füße und Ärmchen mit dem Wickelband zu umgeben, das an die vier Enden des oberen Wolltuches angeheftet wurde. Dann umwand sie das Haupt des Kindes mit jenen bereitgehaltenen Linnentüchlein. Nachdem all dies geschehen, trat Joseph herein, warf sich zur Erde nieder und betete auf den Knien das Kind an, vor Freude weinend.

Die Jungfrau erlitt bei ihrer Geburt keinerlei Veränderungen, weder an der Farbe noch durch Entkräftung. Als sie sich erhob, trug sie das Kind auf ihren Armen, dann reichte sie es Joseph, und beide zusammen legten es in die Krippe, warfen sich auf die Knie und beteten es mit unendlicher Freudigkeit und Wonne an.

2. An einem späteren Tag erschien der hl. Birgitta an demselben Ort die heiligste Jungfrau und sprach: "Es ist lange her, da Ich in Rom dir verheißen, in Bethlehem dir zu zeigen, wie Ich geboren habe. Halte für gewiss, dass Ich in derselben Stellung war und auch so gebar, wie du nun gesehen: im Gebet, ganz allein, im Stall kniend. Ich gebar meinen Sohn in solcher Freudigkeit und Wonne meines Herzens, dass Ich keinerlei Beschwerde oder Schmerz empfunden habe, da Er meinen Schoß verließ. Alsbald hüllte Ich Ihn in reine Tüchlein, die Ich dazu bereit gehalten. Als Joseph dies gesehen, verwunderte er sich in höchster Freude, dass Ich so ohne anderen Beistand geboren.

Zur selben Zeit war in Bethlehem die große Volksmenge mit der Aufschreibung beschäftigt, welche ihre Aufmerksamkeit so ganz in Anspruch nahm, dass die Wunderwerke Gottes von ihr nicht beachtet wurden. Darum halte für gewiss, dass, wenn auch der schwache Sinn der Menschen wähnen sollte, mein Sohn sei auf die gewöhnliche Weise geboren worden, das die reine zweifellose Wahrheit ist, dass Er so geboren wurde, wie Ich dir schon ehedem gesagt und wie du es nun geschaut hast.

3. Ich sah auch, dass, während Maria und Joseph das Kind in der Krippe anbeteten, die Hirten von der Nachtwache bei ihren Herden herbeikamen und das Kind verehrten. Sie taten es mit großer Ehrerbietung und voll Freudigkeit. Dann kehrten sie zurück, lobten und priesen Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.

4. Die jungfräuliche Mutter unseres Herrn sprach zu mir: "Wisse, meine Tochter, dass, als die drei Könige zur Anbetung meines Sohnes in die Krippenhöhle kamen, Ich ihre Ankunft schon im voraus gewusst hatte. Mein Sohn war bei ihrem Eintritt und ihrer Anbetung in freudiger Bewegtheit, und die Freude erglänzte auch auf seinem Angesicht. Auch Ich war in großer Freude, und mein Herz war wunderbar bewegt. Alle ihre Worte und Handlungen beachtete Ich wohl und behielt sie erwägend in meinem Herzen."

5. "Dieselbe Demut ist noch jetzt in meinem Sohn, da Er in der Macht und Herrlichkeit seiner Gottheit thront, wie damals, da Er in der Krippe lag, an der zwei Tiere standen und wo Er, obwohl allwissend in seiner Gottheit, doch nach seiner Menschheit unmündig erscheinen wollte. So hört Er, zur Rechten des Vaters sitzend, alle, die aus Liebe zu Ihm rufen, und erwidert ihnen durch die Eingebungen des Heiligen Geistes teils mit Worten und Gedanken, teils wie von Mund zu Mund mit ihnen redend, je nachdem es Ihm gefällt. In gleicher Weise bin auch Ich, seine Mutter, ebenso demütig noch jetzt in meinem verklärten Leib, der über alles Erschaffene hoch erhöht ist, wie einst auf Erden, da Ich mit Joseph verlobt wurde.

Wisse aber, dass Joseph schon vor der Verlobung aus Eingebung des Heiligen Geistes gewusst hat, dass Ich meine Jungfrauschaft Gott geweiht und dass Ich rein und unbefleckt war in Gedanken, Wort und Werk. Darum verlobte er sich mit Mir nur in der Absicht, Mir zu dienen und Mich als seine Herrin, nicht aber als seine Gemahlin zu betrachten. Auch hatte Ich vom Heiligen Geiste die Gewissheit, dass meine Jungfrauschaft ewig unversehrt verbleiben werde, wenngleich Ich nach dem geheimen Ratschluss Gottes mit einem Mann verlobt wurde.

Als nach Einwilligung in die Botschaft des Engels Joseph den Segen des Heiligen Geistes an Mir wahrnahm, erschrak er sehr, ohne jedoch einen Argwohn gegen Mich zu fassen; er gedachte vielmehr der Verheißungen der Propheten, dass der Sohn Gottes aus einer Jungfrau werde geboren werden, und hielt sich für unwürdig, einer solchen Mutter zu dienen, bis der Engel ihn ermahnte, ohne Furcht zu sein und in Liebe seine Dienste Mir zu weihen.

Von den zeitlichen Gütern behielten Ich und Joseph nichts für Uns selbst, außer was Wir zur Ehre Gottes und zum Lebensunterhalt bedurften; auf alles übrige verzichteten Wir Gott zuliebe.

Als die Stunde der Geburt meines Sohnes nahe kam, von der Ich im voraus die deutlichste Erkenntnis besaß, reiste Ich dieser von Gott erhaltenen Erkenntnis gemäß nach Bethlehem, wohin Ich die reinsten Linnen für meinen Sohn mit Mir nahm, die noch nie gebraucht worden waren, um zum ersten Mal das Kind, das Ich gebären sollte, aufs reinste in sie zu wickeln.

Und obwohl Ich von Ewigkeit von Gott erkoren war, auf den höchsten Thron und zur höchsten Ehre über alle Engel und Menschen erhöht zu werden, so scheute Ich doch aus Demut nie, das zu bereiten und für das zu sorgen, was meiner und Josephs Notdurft erforderlich war. In gleicher Weise war auch mein Sohn dem Joseph untertan wie Mir. Wie Ich also auf Erden eine Demut übte, die nur Gott bekannt war und Joseph, so bin Ich auch jetzt auf meinem höchsten Thron voll Demut und allzeit bereit, die gerechten Bitten aller vor Gott zu bringen. Den einen erwidere Ich durch göttliche Eingebungen, zu anderen aber rede Ich in Verborgenheit, wie es Gott gefällt."

"Nachdem mein Sohn zum Himmel aufgefahren, lebte Ich noch fünfzehn Jahre auf Erden und so viele Tage darüber, als von dem Feste seiner Himmelfahrt an bis zu meinem Todestage liegen. Ich lag mehrere Tage hindurch im Grab, bis Ich in unendlicher Herrlichkeit und Wonne in den Himmel aufgenommen wurde. Die Gewänder, in welchen Ich ins Grab gelegt wurde, blieben im Grabe zurück; Ich wurde aber mit demselben Gewand der Glorie bekleidet wie mein Sohn und mein Herr, Jesus Christus. Wisse aber, dass außer dem glorreichen Leib meines Sohnes und außer meinem eigenen Leib der Leib keines anderen Menschen sich noch im Himmel befindet."

9. Die heiligste Jungfrau schildert das bittere Leiden ihres göttlichen Sohnes

(Revelationes 1. c. 10) Als die Zeit des Leidens meines Sohnes herankam, ließ Er sich von seinen Feinden gefangen nehmen, die Ihn auf Wangen und Nacken schlugen, anspien und verspotteten. Zur Geißelsäule geführt, zog Er selbst die Kleider aus, hob freiwillig seine Hände auf den Kopf der Säule, wo sie unbarmherzig von den Feinden festgebunden wurden. Er stand an der Säule, unbekleidet, wie Er geboren worden, und litt die Schmach der Ihm so peinvollen Entblößung. Seine Freunde waren geflohen, die Feinde aber umringten Ihn von allen Seiten. Die Schergen zergeißelten seinen makellosen, sündelosen Leib. Ich war in seiner Nähe; beim ersten Geißelstreich sank Ich wie tot zur Erde. Wieder zu Mir kommend, sah Ich seinen Leib bis auf die Rippen zerschlagen und zerfleischt, so dass die Gebeine sichtbar waren. Und nicht genug der Marter: die Geißelknechte führten ihre Streiche so gewaltig, dass das Fleisch an den Geißeln hängen blieb. Mein Sohn stand mit ganz zerrissenem und aus tausend Wunden blutendem Leib an der Säule; keine heile, von den Geißelhieben nicht getroffene Stelle war mehr an Ihm zu finden. Ein Mann, vom Geist getrieben, trat mit der Frage vor die Henker: "Wollt ihr diesen Menschen ohne Richterspruch töten?" und schnitt die Stricke durch. Nun suchte mein Sohn, die Kleider sich wieder anzulegen. Ich aber sah den Platz, wo seine Füße gestanden, ganz mit Blut überlaufen, und aus den blutigen Fußstapfen erkannte Ich, wohin Er seine Schritte lenkte. Wohin Er trat, erschien der Erdboden von Blut gerötet. Seine Feinde aber ließen Ihm nicht Zeit, sich völlig anzukleiden, sie trieben und zerrten Ihn zur Eile, so dass Er, wie ein Räuber durch die Straßen geführt, das Blut sich aus den Augen wischen musste.

Nach der Verurteilung legten sie Ihm das Kreuz auf die Schulter. Er hatte es eine Strecke weit getragen, als einer des Weges kam und Ihm half, es weiter zu schleppen. Auf dem ganzen Weg zur Richtstätte schlugen sie Ihm ins Angesicht und über den Nacken. Sie führten so starke und heftige Schläge, dass Ich jeden Schlag deutlich hörte, wenn Ich auch den Schlagenden selber nicht wahrnehmen konnte. Am Ort der Kreuzigung waren alle Marter- und Todeswerkzeuge schon hergerichtet.

Und als mein Sohn an dem Ort anlangte, zog Er wieder selber sich die Kleider aus. Seine Henker aber schrien: "Diese Kleider gehören uns! Er soll sie nicht mehr haben! Er ist zum Tod verurteilt." Wiederum stand mein Sohn so unbedeckten Leibes, wie Er war geboren worden. Ein Mann aber eilte herzu und reichte Ihm das Tuch, mit dem Er sich, innerlich dankend, verhüllte.

Dann rissen Ihn die grausamen Henker nieder und streckten Ihn über das Kreuz aus. Zuerst nagelten sie seine Rechte auf den Kreuzesarm an der Stelle, wo das Loch für den Nagel gebohrt war, indem sie den Nagel durch jenen Teil der Hand schlugen, wo das Gebein härter war. Dann zogen sie die Linke mit einem Stricke gewaltsam hinauf bis an das Bohrloch des linken Kreuzarmes und nagelten sie ebenso wie die Rechte fest.

Dann schlugen sie den rechten Fuß ans Kreuz und über ihm den linken mit zwei Nägeln, so dass alle Nerven und Adern sich streckten und rissen.

Darnach setzten sie Ihm wieder die Dornenkrone auf, deren Spitzen so tief in das ehrwürdigste Haupt meines Sohnes drangen, dass von dem ausströmenden Blute die Augen voll, die Ohren verstopft und die Barthaare gesteift wurden. So blutig und durchbohrt am Kreuz hängend, wandte Er voll Mitleid nach Mir, die Ich seufzend und weinend an seinem Kreuz stand, und nach Johannes seine bluttriefenden Augen, Mich diesem übergebend. Und zu gleicher Zeit hatte Ich von den Umstehenden die Worte zu hören, mein Sohn sei ein Räuber, ein Betrüger; niemand habe so den Tod verdient wie Er. Wie sehr wurde durch solche Reden mein Schmerz erneuert!

Bei dem Einschlagen des ersten Nagels sank Ich vor Schmerz gleich beim ersten Hammerschlage wie tot zur Erde; meine Augen sahen nicht mehr, meine Hände zitterten, meine Füße wankten, und bis die Annagelung geschehen war, vermochte Ich vor Wehe nicht mehr aufzublicken. Und da Ich Mich erhob, sah Ich meinen Sohn so elend am Kreuz hängen, und Ich, seine betrübteste, in ein Meer von Pein versenkte Mutter, vermochte Mich vor Leid kaum auf den Füßen zu erhalten! Mein Sohn aber blickte auf Mich und seine trostlos weinenden und wehklagenden Getreuen, und mit lauter Stimme rief Er zu seinem Vater: "Vater, warum hast Du mich verlassen?" als wollte Er sagen: Keiner ist, der sich Meiner erbarmte als nur Du, mein Vater. Dann wurden seine Augen wie die eines Verscheidenden, die Wangen fielen ein, sein Antlitz bedeckte tiefste Trauer, der Mund war offen, die Zunge starr und blutig, der Unterleib eingeschwunden und an die Wirbelsäule zurückgezogen; alle Säfte waren vertrocknet. Blässe überzog den erschöpften, blutleeren Leib. Hände und Füße waren erstarrt in der Richtung, in der sie an die Kreuzarme angeheftet worden waren. Haupt- und Barthaare waren ganz mit Blut getränkt. So hing mein zerfleischter, bläulich-weiß schimmernder Sohn am Kreuz; aber sein Herz war noch frisch, weil von vollkommenster, kräftigster Beschaffenheit.

Aus meinem Fleisch hatte Er Sich diesen reinsten, vollkommenst gestalteten Leib angenommen. Seine Haut war so zart und fein, dass schon bei einem leisen Druck das Blut herausdrang. Das Blut selbst war von solcher Frische, dass es durch die feine Haut hindurchschimmerte. Und da Er die kräftigste Natur besaß, darum stritt in dem durchbohrten Leib das Leben so lange mit dem Tod. In stetem Wechsel drangen die Schmerzen aus den durchbohrten Hand- und Fußgelenken und den Nerven wie Pfeile nach dem Herzen hin, das, weil noch gesund und unversehrt, zum Herde unbegreiflicher Peinen und Martern wurde. Bald schossen diese Pfeile wieder aus dem Herzen zurück nach den durchschlagenen Händen und Füßen, und so ward der lange Todeskampf mit jedem Augenblick immer martervoller. Aus diesem Meer von Qualen blickte mein Sohn auf seine wehklagenden Getreuen, die mit seiner Hilfe lieber an sich selbst diese Peinen ertragen oder ewig in der Hölle hätten brennen wollen, als Ihn so gemartert sehen. Und das Mitleid mit den betrübten Freunden, die Er so zärtlich liebte, verursachte Ihm eine noch größere Bitterkeit als alle eigenen Qualen seines Leibes und seines Herzens.

Dann flehte Er aus der Tiefe seiner Verlassenheit und Todesangst, die Er in seiner Menschheit freiwillig erdulden wollte, zum Vater: "O Vater, in deine Hände empfehle Ich meinen Geist." Als Ich, seine betrübteste Mutter, diese Stimme hörte, erbebten vor übergroßer Bitterkeit der Schmerzen meines Herzens alle meine Glieder. Und sooft Ich an diese Stimme dachte, da tönte sie immerdar so laut und neu in meinen Ohren, als hörte Ich sie zum ersten Mal.

Beim Eintritt des Todes, da sein Herz vor Gewalt der Peinen brach, erzitterten alle seine Glieder, und sein Haupt, sich etwas hebend, neigte sich herab. Der Mund war geöffnet, und die blutbedeckte Zunge wurde sichtbar. Die Hände zogen sich an der Annagelungsstelle etwas zurück, und die Last des Leibes trugen nun allein die Füße. Die Finger und Arme streckten sich in Erstarrung, und der Rücken zog sich hart an den Kreuzstamm.

Einzelne sprachen nun: "Maria, dein Sohn ist tot." Andere: "Er ist tot, doch wird Er auferstehen." Während dessen aber stieß einer mit solcher Gewalt die Lanze in die Seite meines Sohnes, dass sie auf der anderen beinahe hinausdrang. Beim Zurückziehen war die Lanzenspitze rot von Blut. Ich erkannte, dass sie durch das Herz meines Sohnes hindurchgedrungen war, und Mir war, als sei mein eigenes Herz durchstochen.

Als Er vom Kreuz abgenommen wurde, nahm Ich Ihn auf meine Knie. Er war bläulich-weiß und mit Wunden bedeckt wie ein Aussätziger. Die erloschenen Augen waren mit Blut überlaufen. Der Mund schneekalt. Die Barthaare von Blut verklebt und steif. Das Antlitz durch die Martern wie verzogen. Arme und Hände so starr, dass sie nur unter der Mitte des Leibes zu kreuzen waren. So wie Er am Kreuze hing, so hatte Ich Ihn auf meinen Knien, wie einen Menschen mit von Krampf verkrümmten Gliedern. Darnach legten sie Ihn auf ein reines Linnentuch; und Ich wusch Ihm mit meinen Tüchern die Wunden und Arme und Beine. Ich schloss Ihm Mund und Augen. Dann legten sie Ihn ins Grab. O wie gerne hätte Ich Mich lebend mit meinem Sohn begraben lassen, wenn es sein Wille gewesen wäre! Nachdem alles vollendet war, ließ Ich Mich von Johannes zu meiner Wohnung begleiten. O meine Tochter, dies alles hat mein Sohn für dich erduldet!

10. Die heiligste Jungfrau ermahnt die Gläubigen, des Leidens ihres göttlichen Sohnes und ihrer eigenen bittersten Schmerzen beständig eingedenk zu sein

1. ( Revelationes 1. c. 27) Meine Tochter, da, wo ein Reigentanz aufgeführt wird, ist törichte Freudigkeit, verwirrtes Lärmen und vergebliche Anstrengung. Tritt aber ein Betrübter oder Trauernder in das Haus dieser Tanzfreude und wird er von seinem Freunde, der an dem Tanz teilnimmt, bemerkt, so vergeht diesem beim Anblick des Trauernden die Lust; er verlässt die Reihen, um mit dem betrübten Freunde zu trauern.

Dieser Tanz bedeutet die Welt, welche voll Hast und Unruhe sich beständig im Kreise dreht, was von den törichten Menschen für Freude gehalten wird. Auch in der Welt ist eine leere Freude, unnützes, sündhaftes Gerede und ein eitles, vergebliches Bemühen; denn alles, was der Mensch sich in der Welt erarbeitet, das muss er zurücklassen.

Wer sich aber in diesem Reigentanz der Welt befindet, der wolle doch meine Mühsal und meinen Schmerz betrachten und Mitleid mit Mir tragen, die Ich Mich von aller Lust der Welt gänzlich fernhielt; und er möge sich mit Mir von der Welt abscheiden.

Beim Tod meines Sohnes war Ich, seine Mutter, zugegen, wo mein Herz von einer fünffachen Lanzenspitze durchbohrt wurde. Die erste Lanze war die schmähliche Entblößung, in der Ich meinen geliebtesten, allmächtigen Sohn seiner Kleider beraubt und ohne Verhüllung an der Geißelsäule stehen sah. Die zweite waren die falschen Anschuldigungen, dass Er ein Verräter, ein Lügner, ein Verführer sei, Er, von dem Ich wusste, dass Er als der Gerechteste und Wahrhaftigste nicht fähig war, jemanden irgendwie zu betrüben. Die dritte war Mir die Dornenkrone, die sie so unmenschlich auf sein heiligstes Haupt schlugen, dass das Blut aus Mund und Ohren rann. Die vierte war seine Wehklage am Kreuzesstamm, da Er zu seinem Vater rief: "O Vater, warum hast Du Mich verlassen?" als wollte Er sagen: O Vater, niemand ist, der Meiner sich erbarmte, als Du allein! Die fünfte, die mein Herz durchbohrte, war sein bitterster Tod. Aus wie vielen Adern sich sein kostbares Blut ergoss, aus so vielen Wunden blutete mein durchbohrtes Herz. Denn auch die Adern seiner Hände und Füße waren durchbohrt, und die Schmerzen seiner Nerven schossen wie Pfeile zum Herzen hin, und von da wieder zurück in die Nerven; und da sein Herz das kräftigste und stärkste, weil das vollkommenst gebildete war, so rangen in Ihm Leben und Tod miteinander, so dass unter den heftigsten Peinen die Lebenskraft viel länger aushielt, bis endlich im Übermaß der Schmerzen das Herz brach und der Tod sich einstellte. Da erzitterten alle seine Glieder, sein zur Seite geneigtes Haupt schien sich aufzurichten, die Wimpern der geschlossenen Augen hoben sich zur Hälfte, der Mund öffnete sich und ließ die blutbedeckte Zunge erblicken; die zusammengekrümmten Finger und Arme dehnten sich aus, und da Er die Seele aushauchte, sank das Haupt zur Brust herab. Die Hände sanken in den Wundmalen der Nägel nieder und auf die Füße senkte sich die ganze Last des Leibes. Da krümmten sich wie verdorrt auch Mir die Hände. Meine Augen verdunkelten sich, mein Gesicht erblasste wie das eines Sterbenden. Meine Ohren hörten nicht. Der Mund vermochte nicht zu sprechen. Meine Füße wankten, mein Leib sank zur Erde nieder. Und da Ich Mich erhob und meinen Sohn erblickte von Blut und Wunden mehr entstellt als ein Aussätziger, da vereinte Ich meinen Willen ganz und gar mit Ihm. Ich wusste, dass alles nach seinem Willen geschehen war und ohne seine Zustimmung nie hätte geschehen können. Ich dankte Ihm für alles. Und so mischte sich in meine Trauer auch Freude. Ich sah zu Ihm hinauf, der als der Sündenlose aus übergroßer Liebe für die Sünder solches hatte leiden wollen. O dass doch alle Menschenkinder bedenken und immerdar vor Augen haben wollten, wie es Mir in der Todesstunde meines Sohnes ergangen ist!

2. (Revelationes 2. c. 24) Stelle dir vor, es habe ein armer Mensch auf Rücken und Armen eine schwere Last gar mühselig an einer großen Schar müßiger Leute vorbeizuschleppen; würde er nicht seine tränenvollen Blicke nach der Menge hinüberrichten, ob denn nicht einer darunter sei, der seiner sich erbarmen und die schwere Bürde ihm erleichtern möchte? Siehe, dieser Arme bin Ich selbst; denn von der Geburt meines Sohnes an bis zu seinem Tod war Ich voll Pein und Trübsal. Auf meinem Rücken trug Ich beständig die schwerste Last, indem Ich alles auf Mich nahm, was Gott Mir zu tragen gab, und alles, was Mir begegnete, in Geduld ertrug. Auf meinen Armen hatte Ich eine gleich schwere Last, indem mein Herz mehr Schmerz und Weh empfunden hat als irgendein Geschöpf. Meine Augen waren immerdar voll Tränen, sooft Ich an den Händen und Füßen meines Sohnes die künftigen Wundmale der grausamen Nägel erblickte und seines bittersten Leidens gedenken musste; denn Ich wusste, es werde alles an Ihm erfüllt werden, was die Propheten von Ihm geweissagt. Und schaue Ich nun nach den Menschen hin, ob nicht unter ihnen doch einige sich finden, die Mitleid mit Mir tragen und meiner Schmerzen gedenken möchten, da erblicke Ich nur wenige, die daran denken, welche Not und Peinen Ich zu tragen hatte; und von sehr vielen bin Ich vergessen und ganz und gar vernachlässigt. So wolle doch du, meine Tochter, dein Auge nach Mir wenden, meiner Schmerzen und Tränen gedenken und trauern, dass der Freunde Gottes so wenige sind.

3. (Revelationes 4. c. 64) Mein Sohn ist wie ein armer Landmann, der auf seinem Rücken, da er kein Lasttier besitzt, das Holz aus dem Wald und die Werkzeuge zu seinen Arbeiten herbeischleppen muss. Unter diesen trug Er zwei Ruten: die eine zur Züchtigung seines ungehorsamen Sohnes, die andere zur Erwärmung der Erkalteten. So machte sich mein Sohn, der Herr und Schöpfer aller Dinge, zu dem Allerärmsten, der, um alle Menschen mit ewigen, nicht mit vergänglichen Schätzen zu bereichern, auf seinem Rücken die schwerste Last, d. i. sein bitteres Leiden getragen und die Schulden aller mit seinem Blut gelöscht und getilgt hat. Auch hat Er außer den anderen Werken, die Er vollbrachte, sich heilige Männer als seine Werkzeuge auserwählt, um durch sie unter Mitwirkung des Heiligen Geistes die Herzen vieler zur Liebe Gottes zu entflammen und den Weg der Wahrheit zu offenbaren. Er wählte auch Ruten, d. i. die Liebhaber der Welt, durch welche die Kinder und Freunde Gottes gepeinigt werden, um hierdurch im Glauben gestärkt, um geläutert, um vorsichtiger und höheren Lohnes teilhaftig zu werden. Die Ruten vermögen auch erkaltete Kinder wieder zur Wärme, d. i. zu neuer Liebe Gottes, zu bringen. Denn wenn von der Welt die Freunde Gottes und jene, die Gott nur aus Furcht vor der Strafe lieben, verfolgt werden, so bewirkt diese Verfolgung, dass sie die Eitelkeit der Welt mehr erkennen und sich mit größerem Eifer zu Gott wenden, von dem sie Trost und Mehrung der Liebe dafür empfangen. Was aber wird aus den Zuchtruten, durch welche die Kinder Gottes gepeinigt worden sind? Sie werden zum Verbrennen ins Feuer geworfen. Gott verlässt sein Volk nicht, auch wenn Er es den Händen der Gottlosen preisgibt. Wie ein Vater seinen Sohn erzieht, so bedient sich Gott der Bosheit der Gottlosen, um den Seinen die Krone der Verdienste zu bereiten.

4. (Revelationes 4. c. 101) Das Herz meines Sohnes ist das süßeste, wie Honigseim, das allerreinste, wie der lauterste Brunnquell; denn aus ihm, als seinem Urquell, entspringt alles, was gut und tugendsam ist. Er ist auch der Inbegriff alles Trostes. Kann es für den Gläubigen einen höheren Trost noch geben, als die Liebe meines Sohnes in den Werken seiner Schöpfung und Erlösung, in der Mühsal seines irdischen Wandels, in der Predigt seines Evangeliums, in seiner Huld und Barmherzigkeit, in seiner Geduld und Langmut zu betrachten? Seine Liebe ist nicht wie die flüchtige Welle eines Baches, sondern wandellos und unveränderlich. Bis zum letzten Augenblick ist ein Mensch von ihr getragen, so dass ein Sünder, der erst an der Pforte des ewigen Verderbens mit dem Vorsatz der Besserung um Erbarmen rufen würde, noch gerettet werden könnte.

Es führen aber zwei Wege zum Herzen Gottes: die Demut einer wahren Zerknirschung, welche den Menschen in das Herz Gottes und in das geistliche Zwiegespräch mit Gott einleitet; und die Betrachtung des bitteren Leidens meines Sohnes. Vor dieser Betrachtung muss das Eis des menschlichen Herzens schmelzen, und sie treibt dasselbe mit süßer Gewalt hin zum Herzen Gottes.

5. (Revelationes 1. c. 45) Sei eingedenk, meine Tochter, dass der Leib meines Sohnes wie in der Kelter gepresst wurde; denn gleichwie der Mensch mit allen Gliedern seines Leibes gesündigt hat, so hat mein Sohn in allen seinen Gliedern dafür Genugtuung geleistet. Die Haare wurden meinem Sohn ausgerauft, die Nerven zerrissen, die Gelenke aus ihren Bändern gezerrt, das Fleisch von den Gebeinen geschlagen, Hände und Füße mit Nägeln durchbohrt. Seine Seele war in Trauer, sein Herz in Schmerz versenkt. Die inneren Teile seines Leibes wurden durch die Glut der Peinen krampfhaft an die Wirbelsäule zurückgezogen; denn in allen Gliedern seines Leibes hat der Mensch gesündigt.

Worte Jesu Christi: Ich rede zu dir angesichts der himmlischen Heerscharen. Gebt Antwort, meine Engel: Wer ist ohne Anfang und Ende? Wer der Schöpfer Himmels und der Erde? Wer der Unerschaffene? Die Engel rufen einstimmig: Der bist Du, o Herr! Wir geben Dir Zeugnis, dass Du uns und alles im Himmel und auf Erden erschaffen, dass Du ohne Anfang und ohne Ende bist, dass deine Herrschaft und deine Macht eine ewige ist. Ohne Dich ist nichts geworden, ohne Dich kann nichts werden. Deine Gerechtigkeit und alles Vergangene und Zukünftige schauen wir in Dir, und alles ist Dir gegenwärtig ohne Anfang und Ende.

Ihr Propheten und Patriarchen gebt Antwort: Wer hat euch aus der Gefangenschaft zur Freiheit geführt? Wer hat vor euch die Gewässer geteilt? Wer hat euch das Gesetz, wer den Propheten den Geist der Weissagung gegeben? Sie antworten: Du, o Herr! Du hast aus der Knechtschaft uns befreit, das Gesetz uns gegeben und unseren Geist erweckt, um zu weissagen.

Auch Du, meine Mutter, gib Zeugnis von Mir. Maria antwortet: Ehe der Engel, den Du gesendet, zu Mir kam, war Ich allein für Mich in Leib und Seele. Auf den Gruß des Engels aber war dein Leib in Mir mit Gottheit und Menschheit, und Ich empfand deinen Leib in meinem Schoß. Ich trug Dich ohne Beschwerde, gebar Dich ohne Angst. Ich hüllte Dich in Windeln, Ich nährte Dich mit meiner Milch und war mit Dir von der Geburt bis zu deinem Tod.

Ihr Apostel, redet: Wer ist es, den ihr gesehen, gehört und berührt habt? Sie antworten: Deine Worte haben wir gehört und aufgeschrieben, und Zeugen waren wir deiner Wunderwerke, als das neue Gesetz Du gegeben, mit einem Wort die bösen Geister ausgetrieben, durch dein Wort Tote erweckt und Kranke geheilt hast. Wir sahen Dich in deinem menschlichen Leib. Wir sahen deine Größe, als die Herrlichkeit Gottes an deiner Menschheit sich uns offenbarte. Wir sahen Dich deinen Feinden überliefert und am Kreuze hängend. Wir sahen Dich in deinem bittersten Leiden und in das Grab gelegt. Wir sahen und befühlten Dich nach deiner Auferstehung. Wir berührten deine Haare, dein Angesicht, deine Wundmale, deine Glieder. Du hast mit uns gegessen und deiner Worte und Lehren uns gewürdigt. Du bist in Wahrheit der Sohn Gottes und der Sohn der Jungfrau. Wir waren die Augenzeugen deiner Auffahrt zur Rechten des Vaters in deiner Menschheit, wo Du thronest ohne Ende.

Nun redet der Herr zu den bösen Geistern mit den Worten: Obwohl ihr gegen euer Wissen die Wahrheit zu verheimlichen sucht, so befehle Ich euch doch, zu bekennen: Wer ist es, der euere Macht gebrochen? Und sie antworten: Wie Diebe, erst wenn ihre Füße in den Block geschraubt sind, die Wahrheit gestehen, so würden auch wir die Wahrheit nicht sagen, würde deine göttliche und schreckliche Macht uns nicht zwingen. Du bist es, der in seiner Stärke zur Hölle abgestiegen ist. Du hast unsere Macht auf der Welt gebrochen. Du hast, was nach Recht Dir gebührte, aus der Vorhölle an Dich genommen.

Worte des Herrn: So geben alle körperlosen Geister Mir das Zeugnis der Wahrheit; nur die im Fleisch lebenden Menschen wagen Mir zu widersprechen. Die einen kennen die Wahrheit, aber kümmern sich nicht um sie; andere kennen sie nicht und wollen sie nicht kennenlernen und nennen alles Lüge. Sie nennen auch euer Zeugnis, ihr Engel, ein falsches, als sei Ich nicht der Schöpfer aller Dinge und nicht der Allwissende; darum lieben sie die Geschöpfe mehr als Mich. Sie widersprechen auch euch Propheten und sagen, das Gesetz habe keine Bedeutung; ihr hättet durch euere eigene Kraft und Geschicklichkeit euch aus der Knechtschaft befreit; euer Geist sei ein falscher und ihr hättet nur nach euerem Gutdünken gesprochen. Andere leugnen die Jungfrauschaft meiner Mutter. Andere sagen, dass Ich aus ihr nicht einen wahren Leib angenommen habe. Andere kennen die Wahrheit, aber sie ist ihnen gleichgültig. Euch Aposteln widersprechen andere und nennen euch Lügner, das neue Gesetz aber unnötig und sinnlos. Andere halten euere Worte und das neue Gesetz für wahr; aber sie lassen alles auf sich beruhen und kümmern sich nicht weiter.

Nun frage Ich: Wer wird der Richter über sie alle sein? Engel, Propheten und Apostel rufen einstimmig: Du, o Gott, der Du ohne Anfang und Ende! Du, o Herr Jesus Christus, ein Gott mit dem Vater und dem Heiligen Geist! Dir ist vom Vater das Gericht übergeben! Du bist der Richter über sie alle! Wie in erster Zeit die ganze Welt in dem Wasser der Flut zugrunde ging, so verdient heute die Welt, von dem Feuer verzehrt zu werden; denn heute hat die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit einen höheren Grad erreicht als damals!

Der Herr erwidert: Ich bin gerecht und barmherzig. Ich halte auch kein Gericht ohne Erbarmen; noch übe Ich Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit. Darum will Ich um der Bitten meiner Mutter und meiner Heiligen willen noch einmal meine Barmherzigkeit der Welt erzeigen. Wollen sie aber jetzt nicht hören, dann wird sie meine Gerechtigkeit nur um so strenger heimsuchen.

11. Die Herrlichkeit der Königin der Engel

Durch dreierlei habe Ich meinem Sohn gefallen: durch meine Demut, in welcher weder ein Engel noch ein Mensch Mir gleichzukommen vermochte; durch meinen Gehorsam, in welchem Ich Mich bestrebte, meinem Sohn in allen Dingen vollkommen nachzufolgen; und durch die Größe meiner Liebe. Darum hat nun mein Sohn Mich in dreifacher Weise im Himmel verherrlicht.

Fürs erste hat Er Mich über die Engel und über alle Sterblichen erhöht, so dass in Gott, welcher der Quell und der Schöpfer aller Vollkommenheiten ist, keine (an seine Geschöpfe mitteilbare) Vollkommenheit sich findet, welche nicht in Mir erglänzte; denn Mir, seinem Geschöpfe, hat Er seine Gnade in höherem Grade als allen anderen verliehen.

Fürs zweite besitze Ich für meinen Gehorsam nun solche Macht von Gott, dass jeder Sünder, mag er auch noch so unrein sein, sichere Verzeihung empfängt, wenn er nur mit dem Vorsatz der Besserung und mit reuigem Herzen sich zu Mir wendet.

Fürs dritte ist Mir Gott um meiner Liebe willen nun so nahe, dass, wer Gott sieht, auch Mich sieht, und dass, wer Mich sieht, in Mir auch die Gottheit und Menschheit meines Sohnes gleichwie in einem Spiegel schaut und Mich in Gott. Denn jeder, der Gott schaut, schaut in Ihm die drei Personen. Und wer Mich sieht, sieht auch in Mir die Heiligste Dreieinigkeit. Denn die Gottheit hat Mich mit Seele und Leib in sich eingeschlossen und Mich mit jeder Vollkommenheit erfüllt, so dass keine Vollkommenheit in Gott ist, die nicht an Mir erglänzte, wenngleich Gott selbst der Vater und Geber aller Vollkommenheiten ist. Denn gleichwie von zwei in einander vereinigten körperlichen Wesen jedes dasselbe mitempfängt, was das eine oder andere empfängt, so hat auch Gott an Mir getan. Es gibt keine Süßigkeit, die nicht auch in Mir ist; gleichwie der Besitzer eines süßen Mandelkernes auch dem Empfänger eines Teiles von dem Kern die Süßigkeit des Kernes mitteilt. Meine Seele und mein Leib sind reiner als die Sonne und heller als ein Spiegel; wie darum in einem Spiegel alle drei vor ihm stehenden Personen erblickt werden, so ist auch in meiner Reinheit der Vater, der Sohn und der Heilige Geist zu schauen. Denn Ich hatte in meinem Schoß meinen Sohn zugleich mit seiner Gottheit getragen. Nun aber, da Ich verklärt bin, ist Er in Mir mit Gottheit und Menschheit wie in einem Spiegel zu schauen. Darum strebe auch du, Braut meines Sohnes, Mir in Demut nachzufolgen und nichts als meinen Sohn zu lieben.

12. Der Sohn Gottes lobpreist seine heiligste Mutter

1. Ich bin in meiner Gottheit der gekrönte (Revelationes 5. n. 4) König ohne Anfang und Ende; auch meine Krone hat weder Anfang noch Ende, da sie das Zeichen meiner Macht ist, die weder Anfang hatte noch Ende haben wird. Ich hatte in Mir aber eine andere Krone bewahrt, welche Ich, Gott selber, bin. Diese Krone ward für jene bestimmt, welche die größte Liebe zu Mir tragen würde. Und diese Krone hast Du, meine süßeste Mutter, gewonnen und durch Heiligkeit und Liebe an Dich gebracht. Die Engel und die anderen Heiligen bezeugen es, dass in Dir die Liebe zu Mir brennender und deine Reinheit reiner als die aller war und Mir über alle wohlgefällig.

Dein Haupt war wie glänzendes Gold und deine Haupthaare gleich den Strahlen der Sonne. Deine allerreinste Jungfräulichkeit, die in Dir wie das Haupt aller anderen Tugenden ist, und dein vollkommenstes Freisein von jeder ungeordneten Regung waren mein Wohlgefallen. Diesen Glanz erhöhte vor meinem Angesicht deine tiefste Demut, weshalb Du verdientest, zur Königin über alles, was erschaffen ist, gekrönt zu werden. Königin bist Du wegen deiner Reinheit, gekrönt wegen deiner höchsten Würde.

Darum, meine liebste Mutter, durfte jene Krone, die Ich in Mir verwahrte und die Ich, dein Gott, der Mensch werden wollte, selber bin, keinem anderen auf das Haupt gesetzt werden als Dir allein, weil Du in Wahrheit Mutter und Jungfrau und die Königin aller Königinnen bist!

13. Maria, die Blume des Tals

Du gleichst, meine Mutter, der Blume, die in einem von fünf hohen Bergen umsäumten Tal aus dreifacher Wurzel mit geradem, knotenlosem Stengel und einer fünfblättrigen Krone von lieblichster Schönheit emporwächst. Das Tal aber wächst mit seiner Blume über die fünf Berge hinaus, und die Blätter der Krone reichen bis über die ganze Höhe des Himmels und über alle Chöre der Engel.

Dieses Tal, geliebte Mutter, ist deine unvergleichliche Demut, in welcher Du alle Geschöpfe und auch die fünf Berge übertroffen hast. Moses ist der erste dieser Berge wegen der Macht, welche Ich in der Zeit des Gesetzes ihm über mein Volk gegeben habe, das er wie in seiner Hand verschlossen hielt. Du aber hast den Herrn aller Gesetze in deinem Schoß verschlossen, und darum bist Du höher als dieser Berg.

Der zweite Berg ist Elias, der so heilig war, dass er mit Leib und Seele an einen heiligen Ort entrückt worden ist. Deine Seele aber, meine geliebteste Mutter, ist mit ihrem reinsten Leib über die Chöre der Engel zum Thron Gottes erhöht worden; darum bist du höher als Elias.

Der dritte Berg ist die Stärke Samsons, in welcher er zwar alle Menschen übertraf, aber doch von der List des Teufels überwunden wurde. Deine Stärke aber hat den Teufel besiegt; darum bist Du stärker als Samson.

Der vierte Berg war David, der Mann nach meinem Herzen und meinem Wohlgefallen; der aber in Sünde fiel. Du aber, meine Mutter, bist in allem nur meinem Willen gefolgt und nie in eine Sünde gefallen.

Der fünfte Berg war Salomon, der voll Weisheit war und dennoch zum Toren wurde. Du aber, meine Mutter, warst aller Weisheit voll, und weder Täuschung noch Trug konnte Dich irremachen; darum bist du höher als Salomon.

Die Wurzel der Blume ist eine dreifache: der Gehorsam, die Liebe und die Erkenntnis der Geheimnisse Gottes, welche Dich vom ersten Augenblick deines Lebens erfüllten, so dass auch der Stengel der Blume in vollkommenster Geradheit ohne Knoten zur Höhe stieg, d. i. dein Wille, der sich nur nach meinem Willen bewegte.

Die fünf Blätter der Blumenkrone reichen über alle Chöre der Engel empor. Diese herrliche Blumenkrone bist in Wahrheit Du, meine Mutter. Das erste Blatt ist deine höchste Reinheit, von welcher selbst meine Engel, die rein vor Mir sind, ihre eigene Heiligkeit und Reinheit weit übertroffen bekennen. Darum bist Du höher als die Engel.

Das zweite Blatt ist deine mildeste Barmherzigkeit, welche mit dem Elend aller Seelen das zärtlichste Mitleid trug und für sie bei meinem Tod die bittersten Peinen erdulden wollte. Wohl sind auch die Engel voll Barmherzigkeit; aber leiden können sie nicht. Du aber, gütigste Mutter, hattest noch Erbarmen mit dem Erbarmungswürdigen, als Du sogar meine volle Todespein mitempfandest und aus Barmherzigkeit lieber diese Pein mit Mir leiden wolltest, als von Leiden frei sein. Darum ragt deine Barmherzigkeit weit über die Barmherzigkeit aller Engel.

Das dritte Blatt ist deine Gütigkeit. Auch die Engel sind voll Güte und wünschen allen nur das Gute. Du aber, meine liebste Mutter, warst schon in deinem Leben, in Seele und Leib, von der Gütigkeit eines Engels und hast allen allezeit nur Gutes getan. Nun aber bleibt keiner unerhört, der Dich in guter Absicht um eine Gabe bittet; darum sind auch von deiner Gütigkeit die Engel übertroffen.

Das vierte Blatt ist deine Schönheit. Jeglicher Engel findet seine Freude in der Schönheit des anderen, und sie alle bewundern auch die Schönheit der menschlichen Seelen und Leiber; den höchsten Preis der Schönheit aber über alles Erschaffene erkennen sie deiner Seele zu, wie deinem Leib den Vorzug der höchsten Lieblichkeit über alle Menschenkinder. Und so übertrifft deine Schönheit die aller himmlischen Geister und aller Geschöpfe auf Erden.

Das fünfte Blatt ist deine Seligkeit in Gott, der allein dein Herz zu befriedigen vermag. Auch die Engel finden ihr Genügen nur in Gott und fühlten und fühlen nur in Ihm sich befriedigt. Sehen sie aber deine Wonne in Gott, so erscheint ihnen ihre eigene Seligkeit nur wie ein Funken in dem Abgrund der Liebe Gottes, während deine Seligkeit ihnen wie ein in höchster Feuersglut flammender Holzstoß erscheint, dessen hochlodernde Feuerzungen bis zu meiner Gottheit hinaufreichen. Darum ist es wahr, meine süßeste Mutter, dass das Feuer deiner Seligkeit in Gott mächtiger flamme, als das aller englischen Chöre.

Durch diese fünf Blätter ihrer Krone, die Reinheit, Barmherzigkeit, Gütigkeit, Schönheit und höchste Seligkeit ist die Blume voll Süßigkeit. Wer aber die Süßigkeit kosten will, der muss dem Urquell der Süßigkeit nahe kommen und sie aus ihm in sich aufnehmen, wie Du, gute Mutter, es getan. Du warst meinem Vater so süß, dass Er Dich ganz in seinen Geist aufgenommen hat, weil deine Süßigkeit Ihm mehr als alle gefiel.

14. Maria, die Morgenröte

(Revelationes 1. c. 50) Die Mutter Gottes lobpreist ihren Sohn mit den Worten: Hochgelobt, mein Sohn, sei ohne Ende dein heiligster Name mit deiner Gottheit, die ohne Anfang und Ende ist! In deiner Gottheit sind wunderbar und unerfasslich die Macht, die Weisheit und die Heiligkeit.

Deine Macht ist gleich einem verzehrenden Feuer, vor dessen Flammen alles Starke und Kräftige dem dürren Stroh im Ofen gleich zu achten ist.

Deine Weisheit ist gleich dem unergründlichen Ozean, der bei seinem Steigen und Austreten Täler und Berge bedeckt. Ebenso unerfasslich und unergründlich ist deine Weisheit. Wie weise hast Du den Menschen erschaffen und ihn zum Herrn deiner Schöpfung gemacht! Wie weise hast Du die Vögel in der Luft, die Tiere auf der Erde, die Fische im Wasser verteilt und einem jeden seine Zeit und Ordnung angewiesen! Wie wunderbar gibst Du allen das Leben, und nimmst es wieder! Wie weise gibst Du den Einfältigen die Weisheit und nimmst sie den Stolzen!

Deine Heiligkeit ist gleich dem Sonnenlicht, das am Himmel strahlt und den Erdkreis erleuchtet. So sättigt und erfüllt deine Heiligkeit alles, was oben und unten ist. Darum sei hochgelobt, mein Sohn, mein Gott, mein Herr!

Meine süßeste Mutter! lieblich sind Mir deine Worte, weil sie aus deinem Herzen kommen. Du bist gleich der in reinstem Glanze aufgehenden Morgenröte! Über alle Himmel ergießen sich deine Strahlen; dein Glanz, deine Reinheit übertrifft alle Engel. Durch deine Reinheit hast Du die wahre Sonne, meine Gottheit, so an Dich gezogen, dass sie zu Dir kommen und in Dir verbleiben wollte. Aus ihrem Feuer wurdest Du in höherer Liebe zu Mir entzündet als alle Geschöpfe zusammen; und aus den Strahlen dieser Sonne bist Du mit höherer Weisheit als sie alle erfüllt. Durch Dich sind die Finsternisse des Erdkreises verscheucht und durch Dich alle Himmel erleuchtet! In meiner Wahrhaftigkeit bezeuge Ich Dir; deine mehr als alle Engel Mir gefallende Reinheit hat meine Gottheit in Dich herabgezogen und mit solcher Liebe Dich entflammt, dass Du verdientest, den wahren Gott und wahren Menschen, Ihn, das Licht der Welt und das Frohlocken der Engel, in deinem Schoß zu umschließen. Darum sei hochgelobt auch Du von deinem hochgelobten Sohn! Und darum wird jede deiner Bitten von Mir erhört. Und alle, die mit dem Vorsatz der Besserung um Erbarmen zu Dir rufen, sollen durch Dich Gnade finden! Denn so, wie die Wärme von der Sonne ausstrahlt, so wird durch Dich meine ganze Barmherzigkeit den Menschen zuteil. Du bist der unversiegliche Quell, aus dem die Barmherzigkeit für die Bedürftigen ohne Ende strömt!

Die Mutter erwiderte ihrem Sohn: Alle Ehre und Herrlichkeit sei Dir, meinem Sohn! Du bist mein Gott! Du die Barmherzigkeit! Von Dir kommt alles Gute, das Ich habe. Du bist gleich dem Samenkorn, das nicht gesät worden und dennoch wächst und hundert- und tausendfältige Frucht aus sich hervorbringt. Denn von Dir geht alle Barmherzigkeit aus, die, weil unermesslich und unbeschreiblich, nur sinnbildlich eine hundertfache genannt werden mag, um damit ihre Vollkommenheit anzudeuten, weil Du der Inbegriff aller Vollkommenheit und der Quell jeder guten Gabe bist.

Der Sohn entgegnet seiner Mutter: Wahrlich treffend, meine Mutter, vergleichst Du Mich mit dem Samenkorn, das nicht gesät worden und dennoch aufging. Denn mit meiner Gottheit bin Ich in Dich gekommen, und als das ungesäte Korn sprosste meine Menschheit aus Dir, der Quelle der Barmherzigkeit für alle. Und nun ziehst Du mit den süßesten Worten deines Mundes meine Barmherzigkeit an Dich; darum begehre, was Du willst, es soll Dir erfüllt werden!

O mein Sohn, da Ich deine Barmherzigkeit von Dir erlange, so flehe Ich um Erbarmen und Hilfe für die Armen. Der Orte sind vier. Der erste ist der Himmel, wo die Engel und die Seelen der Heiligen nur Deiner allein bedürfen. Sie aber besitzen Dich und in Dir alle Seligkeit. Der zweite Ort ist die Hölle, deren Bewohner der Bosheit voll und deines Erbarmens nicht mehr empfänglich sind, weshalb nichts Gutes in sie mehr eingehen kann.

Der dritte Ort ist das Fegfeuer, in welchem die Seelen einer dreifachen Barmherzigkeit bedürftig sind, da sie in dreifacher Weise zu leiden haben. Sie sind gepeinigt in dem Gehör, denn sie hören nur die Qualen der Strafe und der Hilflosigkeit. Sie leiden in ihren Augen, die nichts anderes erblicken als ihr Elend. Sie sind voll Peinen im Gefühl; denn sie empfinden die Glut des unerträglichen Feuers und die harten Qualen ihrer Strafe. O mein Herr und mein Sohn, wende ihnen durch meine Bitten deine Barmherzigkeit zu!

Um Deinetwillen, o Mutter, will Ich ihnen gern eine dreifache Barmherzigkeit erzeigen! Ihr Gehör soll Erleichterung, ihre Augen sollen Sänftigung, ihre Strafe Verringerung und Milderung erlangen; und jene, welche noch auf der untersten Stufe im Reinigungsorte sind, sollen auf die mittlere, und die auf der mittleren zu der Stufe der gelindesten Strafe aufsteigen; jene aber, die auf dieser letzten Stufe sich heute noch befinden, sollen eingehen zur ewigen Ruhe.

Lob und Ehre sei Dir, mein Herr! erwiderte die Mutter und fuhr dann also weiter: Der vierte Ort ist die Welt, deren Bewohner drei Stücke sehr nötig haben: die Reue über ihre Sünden, die Genugtuung und die Kraft zu guten Werken.

Und der Sohn antwortete: Diese drei Stücke und zuletzt die Seligkeit des Himmels sollen allen zuteil werden, welche deinen Namen, o Mutter, anrufen und mit dem festen Vorsatz der Besserung ihre Hoffnung auf Dich setzen! Denn aus deinen Worten schöpfe Ich solche Süßigkeit, dass Ich Dir keine Bitte verweigern kann, weil Du nur das willst, was Ich will. Du bist auch die hellglänzende mächtige Flamme, an der sich die erloschenen Lichter wieder entzünden und die noch unentzündeten zum Leuchten gelangen. Und so werden durch deine Liebe, die sich zu meinem Herzen erhebt und Mich zu Dir herabzieht, die Todsünder wieder zum Leben erweckt; und die Lauen, die vom Rauch geschwärzt sind, werden wieder Kraft empfangen, um Mir in Liebe zu dienen.

15. Maria, die Mutter der Barmherzigkeit

1. (Revelationes 6. c. 10) Ich, die Königin des Himmels, bin die Mutter der Barmherzigkeit. Ich bin die Freude der Gerechten, und durch Mich finden die Sünder den Rückweg zu Gott. Auch ist keine Strafe im Fegfeuer, welche durch Mich nicht gemindert und leichter ertragen würde, als sie es sonst wäre. Auch ist keiner so verworfen, dass er, solange er am Leben ist, meiner Barmherzigkeit zu entbehren hätte, denn Ich lasse ihn von den Teufeln weniger versucht werden, als er sonst versucht würde. Niemand ist Gott so entfremdet, außer er wäre schon ganz und gar verhärtet, der, wenn er zu Mir ruft, nicht wieder zu Gott zurückkehren und seine Barmherzigkeit erlangen könnte. Denn Ich bin barmherzig, und mein Sohn hat Mir seine Barmherzigkeit übergeben.

2. Bedenke auch, meine Tochter, welche Hilfe die armen Seelen im Fegfeuer durch den allerheiligsten Leib meines Sohnes empfangen, der Tag für Tag auf dem Altare geopfert wird! Die Hostie auf der Patene ist vor den Konsekrationsworten des Priesters nur Brot; aber durch diese Worte wird das Brot in den Leib meines Sohnes gewandelt, den Er ohne Makel aus Mir angenommen hat und der am Kreuz erhöht worden ist. Durch den unter Brotsgestalt nun gegenwärtigen Leib empfängt Gott der Vater seine Verherrlichung und die Anbetung im Geist von den Gliedern seines Sohnes. Der Sohn aber frohlockt aus ihm in der Macht und Majestät des Vaters, und Ich, seine Mutter, empfange Lob und Ehre von allen Chören der Engel, weil aus Mir dieser heiligste Leib geboren worden ist. Alle Engel wenden sich in Anbetung nach Ihm, und die Seelen der Heiligen sagen Dank, dass sie durch Ihn erlöst worden sind.

16. Maria, die Bundeslade

1. (Revelationes 1. c. 53) Maria preist ihren Sohn mit den Worten: Hochgebenedeit sei mein Sohn, mein Gott, der Herr der Engel. Du bist es, dessen Stimme die Propheten vernommen, dessen Menschheit die Apostel geschaut, den auch die Juden und deine Feinde mit leiblichen Sinnen wahrgenommen haben. Du bist in deiner Gottheit und Menschheit mit dem Vater und dem Heiligen Geiste der eine Gott. Deinen Geist vernahmen die Propheten, die Herrlichkeit deiner Gottheit schauten die Apostel, deine Menschheit kreuzigten die Juden. Darum sei hochgelobt, der Du ohne Anfang und Ende bist!

2. Der Sohn antwortet: Gebenedeit seist Du, jungfräuliche Mutter! Du bist die Arche des alten Gesetzes, in welcher der Stab, das Manna und die Gesetztafeln lagen. Der Stab verwandelte sich in die Schlange, welche ohne Gift war; durch ihn wurde das Meer geteilt und Wasser aus dem Felsen geschlagen. Dieser Stab war ein Vorbild von Mir, der Ich in deinem Schoß lag und von Dir meine Menschheit angenommen habe. Wie die Schlange dem Moses, so bin Ich meinen Feinden zum Schrecken. Sie fürchten sich vor Mir und scheuen Mich wie eine Schlange, obwohl Ich ohne böses Gift, weil voll an Erbarmen bin. Ich lasse Mich von ihnen festhalten, wenn sie nur wollen. Ich wende Mich zu ihnen, wenn sie Mich suchen. Ich eile ihnen nach wie eine Mutter ihrem verirrten und wiedergefundenen Kind, wenn sie zu Mir rufen. Ich erzeige ihnen meine Barmherzigkeit und schenke ihnen die Verzeihung ihrer Sünden, wenn sie darum bitten. So tue Ich an ihnen; und doch scheuen sie Mich wie eine Schlange!

3. Wie durch den Stab das Meer sich teilte, so wurde durch mein Blut und mein Leiden der Himmel wieder geöffnet, den die Sünde geschlossen hatte. Die Meeresfläche wurde gebrochen und durch seine unwegsamen Wogen ein Pfad gebahnt, als die Peinen aus allen meinen Gliedern Mir nach dem Herzen drangen und mein Herz im Übermaß der Schmerzen gebrochen wurde. Als das Volk durch das Meer hindurch geleitet war, führte es Moses nicht gleich in das Land der Verheißung, sondern in die Wüste, damit es hier erprobt und unterrichtet würde. So wird auch jetzt das Volk, das meinen Glauben und meine Gebote empfangen hat, nicht ohne weiteres in den Himmel eingelassen, sondern es muss in der Wüste, d. i. in der Welt, sich erst bewähren, ob es Mich in Wahrheit liebt und Mir dient.

4. Das Volk aber hatte in der Wüste durch eine dreifache Verschuldung den Zorn Gottes auf sich herabgerufen: durch Anfertigung und Anbetung eines Götzenbildes, durch sein Begehren nach den Fleischtöpfen Ägyptens und durch seinen Stolz, indem es gegen den Willen Gottes zum verheißenen Land aufbrechen und mit den Feinden kämpfen wollte. Dasselbe tut auch jetzt in der Welt der Mensch gegen Mich. Er dient einem Götzen, da er die Welt und ihre Güter mehr liebt als Mich, den Schöpfer der Welt und aller Dinge; denn die Welt ist sein Gott, nicht Ich der Herr. In meinem Evangelium habe Ich gesagt: "Wo der Schatz des Menschen, da ist sein Herz;" und so ist es jetzt: die Welt ist der Schatz des Menschen, denn an ihr hängt sein ganzes Herz, nicht aber an Mir. Wie darum das Volk in der Wüste durch das Schwert leiblich zugrunde ging, so sollen nun geistiger Weise die Diener der Welt fallen durch das Schwert der ewigen Verdammnis, in der sie ohne Ende leben werden.

5. Fürs zweite hatte das Volk in der Wüste durch sein Verlangen nach den Fleischtöpfen Ägyptens gesündigt. Ich aber habe dem Menschen alles gegeben, was er zu einem ehrbaren und mäßigen Leben bedarf; er aber will alles im Überfluss und ohne Maß und Ordnung besitzen; er würde, wenn es seine Natur aushalten könnte, sich ohne Aufhören allen seinen Gelüsten schrankenlos hingeben; und solange es ihm nur möglich wäre, würde er nicht mehr aufhören, zu sündigen. Darum wird es ihm wie dem Volk in der Wüste ergehen: Er wird eines jähen Todes sterben. Dieses zeitliche Leben ist ja nur wie ein kurzer Augenblick im Vergleich zur Ewigkeit; darum ist der leibliche Tod des Sünders im Hinblick auf die Kürze seiner irdischen Lebenszeit und das ewige Leben seiner Seele in der Höllenpein nur wie ein jäher und plötzlicher Tod.

6. Fürs dritte hatte das Volk durch seinen Stolz in der Wüste gesündigt, da es gegen den Willen Gottes in das verheißene Land und zum Kampf aufbrechen wollte. So wollen die Menschen durch Stolz in den Himmel kommen. Sie verlassen sich auf sich selber, nicht auf Mich, indem sie nur ihrem eigenen Willen folgen, meinen Willen aber verachten. Darum, wie das Volk leiblich von seinen Feinden, so werden diese von den bösen Geistern geistig getötet werden, und ihre Peinen werden ewig sein.

So scheuen sie Mich also wie eine Schlange, dienen statt Mir einem Götzen, folgen ihren Gelüsten lieber als Mir und ziehen ihren Stolz meiner Demut vor. Und dennoch will Ich an ihnen auch jetzt noch Barmherzigkeit üben! Wenn sie sich mit reuigem Herzen zu Mir bekehren, so komme Ich als ein gütiger Vater auch ihnen entgegen und nehme sie auf.

7. Durch den Stab kam Wasser aus dem Felsen. Dieser Fels ist das harte Herz des Menschen. Wird es von der Furcht und Liebe Gottes gerührt, dann fließen die Tränen der Reue und Buße. Keiner ist so unwürdig, so böse, dass, wenn er sich zu Mir wendet, mein bitteres Leiden in seinem Herzen betrachtet, meiner Allmacht und Güte gedenkt, welche der Erde die Fruchtbarkeit, den Bäumen Blüten und Früchte gibt, dass nicht Tränen über sein Angesicht rinnen und nicht Leib und Seele wieder zur Andacht erweckt werden könnten.

8. In des Moses Arche lag ferner das Manna. In Dir aber, jungfräuliche Mutter, lag das Brot der Engel und der heiligen Seelen und der Gerechten auf Erden, welche nur nach meiner Süßigkeit begehren und denen die Welt erstorben ist; die auch gerne, so es mein Wille wäre, jeder irdischen Speise entbehren wollten.

9. Endlich lagen in der Arche die Gesetztafeln. In Dir aber, süßeste Mutter, lag der Herr aller Gesetze. Darum sei hochgebenedeit über alles Erschaffene in den Himmeln und auf Erden!

10. Worte Jesu Christi an Birgitta: Teile meinen Freunden auch die folgenden Punkte mit. Solange Ich leiblich auf Erden verweilte, habe Ich meine Worte so eingerichtet, dass die Guten durch sie noch stärker und besser, die Bösen aber gebessert wurden, wie es sich an Magdalena, Matthäus und vielen anderen zeigte. Ich habe ferner meine Worte auch so eingerichtet, dass meine Feinde nicht vermochten sie abzuschwächen. Darum haben nun alle, an welche jetzt diese meine Worte gelangen, die Ich an dich, Birgitta, richte, sich mit Eifer zu bemühen, dass die Guten durch sie noch eifriger in der Tugend werden, die Bösen aber von der Sünde ablassen und sich vor meinen Feinden in acht nehmen, damit sie die Wirkung meiner Worte in ihnen nicht verhindern. Ich will dem Teufel ebenso wenig Unrecht tun als den Engeln im Himmel; denn wollte Ich es, so könnte Ich leicht meine Worte so laut aussprechen, dass die ganze Welt sie vernehmen müsste. Ich vermöchte auch die Hölle aufzumachen, dass alle Menschen ihre Peinen erblicken könnten. Dies aber wäre nicht nach der Gerechtigkeit, weil der Mensch nur aus Furcht, nicht aber aus Liebe, wie er verpflichtet ist, Mir dienen würde. Keiner wird in den Himmel eingehen, der nicht die Liebe hat. Dem Teufel würde Ich Unrecht tun, wollte Ich ihm jemanden entreißen, auf den er ein Recht erlangt hat, ohne dass dieser ein gutes Werk aufzuweisen imstande wäre. Auch den Engeln im Himmel würde Unrecht geschehen, sollte in ihre Reihen, die so rein und so glühend in Liebe sind, die Seele eines unreinen Menschen eintreten dürfen. Darum wird niemand in den Himmel eingehen, außer wer entweder im Fegfeuer wie das Gold im Feuer gereinigt worden ist, oder wer durch unausgesetzte Bewährung in Übung guter Werke schon während seines Erdenwandels sich so geläutert hat, dass das Fegfeuer an ihm keine Makel mehr zu reinigen hätte.

Damit du wissest, an welche diese meine Worte nun gelangen sollen, so sage Ich: Jener ist wert, sie zu empfangen, welcher sich durch gute Werke die Aufnahme in den Himmel verdienen will; oder wer sich durch treue Pflichterfüllung die Aufnahme bereits gesichert hat. Diesen erschließen sich meine Worte, und in ihre Herzen dringen sie ein. Denn alle, welche Geschmack an diesen meinen Worten finden und welche in Demut vertrauen, ihr Name sei in das Buch des Lebens eingetragen, halten fest an ihnen. Die aber keinen Geschmack an ihnen finden, sehen meine Worte zwar an, werfen sie aber gleich zur Seite und geben sie wieder von sich.

11. (Revelationes 1. c. 52) Worte der heiligsten Jungfrau: Hochgebenedeit seist Du, mein Sohn, mein Gott, Herr der Engel, König der Herrlichkeit. Ich bitte Dich, lass deine Worte Wurzel fassen in den Herzen deiner Freunde und so fest mit ihrem Geist sich vereinigen, wie das Harz mit dem Holz sich verband, womit Noe seine Arche bestrich, so dass keine Gewalt der Winde und Stürme sie zu zertrümmern vermochte. Lasst sie wie Äste und süßeste Blüten sich durch die ganze Welt verbreiten und ihren Wohlgeruch in weitesten Kreisen empfunden werden. Lasst sie Früchte bringen, süß wie Datteln, an deren Wohlgeschmack die Seelen sich ergötzen mögen.

12. Worte des Sohnes: Gebenedeit seist Du, geliebteste Mutter. Der Engel Gabriel grüßte Dich als die Gebenedeite unter den Frauen. Ich aber gebe Dir das Zeugnis, dass Du die Gebenedeite und Heiligste bist über alle Chöre der Engel. Du bist wie die Blume des Gartens, welche alle anderen um sie herstehenden, wohlriechenden Blumen an Wohlgeruch, an Schönheit und Stärke weit übertrifft. Diese Blumen sind die Auserwählten von Adam herab bis ans Ende der Zeit, welche, in den Garten der Welt gepflanzt, in mannigfachsten Tugenden erglänzten und blühten. Über alle aber, die waren und in alle Zukunft sein werden, bist Du hoch erhaben durch den Wohlgeruch deines Wandels und deiner Demut, durch die Schönheit deiner Mir wohlgefälligsten Jungfräulichkeit und durch die Größe deiner Abtötung. Denn das Zeugnis gebe ich Dir, dass Du bei meinem Leiden mehr als alle Martyrer gelitten, dass deine Abtötung größer als die aller Bekenner, dass deine Barmherzigkeit und deine Gütigkeit höher als die der Engel. Darum werde Ich um Deinetwillen meinen Worten in den Herzen meiner Freunde die festeste Wurzel bereiten. Sie sollen sich verbreiten wie wohlriechende Blüten, und Früchte tragen, süß wie die süßesten, lieblichsten Datteln. Meine Worte aber sind wie ein köstlicher Balsam, der um so schneller im Munde zerfließt, je größere Wärme sich in dem Herzen findet. Ist aber ein Herz erkaltet, da weist der Mund den Balsam zurück, und er kann nicht in das Innere dringen. Wenn aber ein in Liebe erglühender Mensch meine Worte in den Mund nimmt und sie kaut, da wird er mit der Süßigkeit himmlischer Freude erquickt und immer mehr in Liebe zu Mir entzündet. Wer aber an meinen Worten keinen Gefallen findet, der wird sie nicht einmal zu kosten versuchen; er verschließt ihnen den Mund und weist sie geringschätzig ab, da er an geistiger Süßigkeit keinen Geschmack findet.

13. (Revelationes 1. c. 46) Du würdigste aller Kreaturen! Die Worte, welche aus deinem Munde kommen, sind Mir süß und erfreuen Mich im innersten Herzen. Du bist Mir die Liebste vor allen meinen Geschöpfen. Wie in einem Spiegel die verschiedensten Angesichter zu schauen sind, aber keines mehr gefällt als das eigene, so liebe Ich zwar alle meine Heiligen, Dich aber mehr als sie alle, weil Ich aus deinem Schoß geboren bin. Du bist die auserlesene Myrrhe, deren bis zum Thron Gottes emporsteigender Wohlgeruch Mich in deinen Schoß herabgezogen hat. In diesem Wohlgeruch ist auch dein Leib und deine Seele zu Gott emporgestiegen, auf dessen Thron Du mit Leib und Seele erhöht bist. Du bist die Gebenedeite, deren Schönheit die Engel entzückt und deren Stärke das Heil aller ist, die mit reinem Herzen zu Dir rufen. Vor deinem Licht zittern die Teufel und wagen nicht, vor seinem Glanze standzuhalten, weil sie die Finsternis lieben.

17. Das Geheimnis der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit

1. (Revelationes. Extravag. c. 50. u. 51) Worte der Mutter: Hochgelobt sei mein geliebtester Sohn, der ohne Anfang und Ende ist. In Dir ist die Macht, die Weisheit und die Heiligkeit. Deine Macht hast Du geoffenbart in der Erschaffung der Welt, welche Du aus dem Nichts hervorgerufen; Deine Weisheit in der Ordnung des Weltalls, indem alles im Himmel, auf Erden und im Meer nach höchster Weisheit und Zweckmäßigkeit von Dir geordnet ist. Deine Heiligkeit aber hast Du aufs höchste geoffenbart, als Du gesandt wurdest vom Vater, der in meinen Schoß Dich herab sendete. In Dir ist auch die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit. Die Größe deiner Weisheit hast Du in gleicher Weise geoffenbart, als Du die ewigen Ratschlüsse deiner Erbarmungen zur Ausführung gebracht, Dich mit dem Starken in den Kampf eingelassen und ihn mit Weisheit besiegt hast. Deine Heiligkeit hast Du in all deiner Barmherzigkeit und Gerechtigkeit geoffenbart, indem Du aus Mir geboren werden wolltest, um den Menschen zu erlösen, welcher durch sich wohl fallen, ohne Dich aber nicht zurückkehren konnte.

2. Worte des Sohnes: Gebenedeit seist Du, Mutter des Königs der Herrlichkeit und Königin der Engel! Deine Worte sind süß und voll Wahrheit. Mit Recht sagst Du, dass Ich alles nach Barmherzigkeit und Gerechtigkeit vollbringe. Das zeigte sich gleich im Anfang der Schöpfung an den Engeln, welche in dem Augenblick ihrer Erschaffung in ihrem Gewissen erkannten, wer Ich sei, wiewohl sie Mich noch nicht verkostet hatten. Darum machte ein Teil derselben von der Freiheit ihres Willens einen guten Gebrauch, indem sie in ihrem Gewissen beschlossen, festzustehen aus Liebe im Gehorsam gegen meinen Willen. Der andere Teil aber kehrte aus Stolz seinen Willen gegen Mich und gegen die Vernunft. Darum war es gerecht, dass die Stolzen aus dem Himmel herabstürzten, die Guten aber meine Süßigkeit zu kosten bekamen und für ewig gefestigt wurden.

3. Dann aber erschuf Ich, um meine Barmherzigkeit zu zeigen und die leer gewordenen Sitze der Engel wieder vollzumachen, aus Liebe den Menschen auf Erden. Auch dieser fiel aus eigener Schuld, verlor sein erstes Gut, ward aus dem Ort der Wonne hinausgewiesen, doch aus Barmherzigkeit nicht ganz und gar verlassen. An ihm offenbarte sich meine Gerechtigkeit darin, dass, gleichwie er mit freiem Willen von seinem ursprünglichen Stande abgewichen war, er nun auch mit freiem Willen zurückkehre durch Hilfe eines Mittlers, der ohne Sünde und von höchster Reinheit wäre.

4. Allein es fand sich keiner, der imstande war, auch nur für seine eigene Schuld nach Gerechtigkeit genugzutun, geschweige für die Rettung der anderen; auch ward infolge der ersten Übertretung keiner ohne Sünde je geboren. Aus Barmherzigkeit aber sandte Gott in jedes Gebilde eines menschlichen Leibes die von seiner Gottheit erschaffene Seele, auf dass die Menschheit in Hoffnung bestehe bis zur Ankunft des Heiligsten und Reinsten, der als der einzig Sündenlose und als der allein Freie es vermochte, den Gefallenen wieder aufzurichten und zu verhindern, dass der Teufel nicht für ewig über den Fall des Menschen triumphiere.

Darum gefiel es Gott, dem Vater, als die von Ewigkeit her beschlossen Zeit der Gnade gekommen war, Mich, seinen Sohn, in deinen gebenedeiten Schoß herab zu senden, in welchem Ich Fleisch und Blut von Dir in der zweifachen Absicht angenommen habe: erstens, um zu bewirken, dass der Mensch Gott, seinem Schöpfer und Erlöser, allein diene; und zweitens, um sowohl meine Liebe zu dem Menschen als auch meine Gerechtigkeit zu offenbaren, indem Ich als der Schuldlose aus Liebe zu dem Gefangenen den von ihm verdienten Tod auf Mich nahm und ihn so nach Gerechtigkeit aus seiner Gefangenschaft erlöste.

5. Darum, meine geliebteste Mutter, sagst Du mit Recht, dass Ich alles nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit vollbringe. Sei hochgelobt! Du warst Mir so süß, dass es meiner Gottheit gefiel, zu Dir zu kommen, um Mich nie mehr von Dir zu trennen. Du warst rein wie das goldene Haus, Du hauchtest den Wohlgeruch aller Tugenden und warst geschmückt mit aller Schönheit. Das Feuer deiner Liebe gleicht den Strahlen des Morgensterns; wie wenig dessen Glanz sich mindert, so wenig die Glut deiner Liebe, von welcher Du mehr als alle meine Geschöpfe entzündet bist. Mit Recht wirst du Mutter der Liebe und Barmherzigkeit genannt; denn durch Dich kam meine Liebe gegen alle zum Blühen, und deine Liebe zu Mir ist die Krone der Liebe der Himmlischen und Irdischen, welche alle durch Dich Barmherzigkeit finden. Denn Du hast den Quell der Barmherzigkeit in Dich eingeschlossen, aus dessen Überfülle Du selbst deinem bösesten Feinde, dem Teufel, Erbarmen zuwenden würdest, so er Dich in Demut darum bitten wollte. Darum erlangst Du von Mir alles, was Du willst und um was Du bittest.

6. Worte der Mutter: Mein Sohn, Du kennst meine Bitte von Ewigkeit her. So bitte Ich also, dass die Worte, welche Du deiner Braut zu offenbaren Dich gewürdigt, in den Herzen deiner Freunde Wurzel fassen und vollkommene Erfüllung finden.

Worte des Sohnes: Es preisen Dich, meine Mutter, alle Heerscharen des Himmels! Du bist die Morgenröte, welche aufsteigt in höchstem Glanz der vollkommensten Liebe! Du bist wie der Morgenstern, welcher der Sonne voraus wandelt, weil Du mit deiner Milde meiner Gerechtigkeit vorangehst! Du bist die weiseste Mittlerin und Friedensstifterin zwischen den Uneinigen, zwischen den Menschen und Gott! Darum findet deine Bitte Erhörung, und meine Worte werden nach deinem Begehren erfüllt werden.

7. Du selbst siehst und erkennst alles in Mir; aber deiner Tochter, meiner Braut, sage Ich, wie diese Worte durch die Welt dringen werden und wie durch sie meine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verkündet werden wird. Ich gleiche einem Adler, der keine andere Nahrung sucht, als das frische Herz der Vögel und kein anderes Getränk, als das reine Blut ihrer Herzen; dessen Auge auch so scharf ist, dass er schon am Flug eines Vogels erkennt, ob sein Herz frisch oder verdorben; darum nimmt er nur Vögel mit frischem Herzen. Wie dieser Adler so begehre Ich nach dem reinen, lauteren Herzen eines Menschen, das mit guten Werken geschmückt und von himmlischen Begierden belebt ist, und dessen Liebe das Blut ist, das zu trinken Mich verlangt. Denn meine Erquickung ist die glühende Liebe zu Gott und ein von Sünden gereinigtes Herz. Und da Ich an Liebe und Gerechtigkeit überfließe und nur nach jenen begehre, die von Liebe glühen, darum müssen meine Worte in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in die Welt eingehen: in Gerechtigkeit, auf dass der Mensch Mir nicht aus Furcht vor meinen Worten diene, noch dass er sich wie aus sinnlicher Annehmlichkeit bewegen lasse, Mir zu dienen, sondern aus göttlicher Liebe, welche aus der innersten Betrachtung meiner Werke und der Reue über die Sünden hervorgeht. Wer in dieser zweifachen Übung des Geistes beharrlich ist, der findet die Liebe, der findet auch Mich, der Ich aller Liebe würdig bin. Es müssen meine Worte auch eingehen mit Barmherzigkeit, indem der Mensch betrachte, wie bereit Ich bin, Barmherzigkeit zu erzeigen, und dass er hierdurch bewegt werde, seine Gedanken und sein ganzes Verlangen wieder einmal nach Gott zu wenden, von dem er so lange sich fern gehalten und der allein die Sünder wieder zu bessern vermag.

8. Wer meine Worte und alles, was Ich für den Menschen erduldet habe, im Innersten seines Herzens betrachten will, der wird wohl erkennen, mit welchem Undank meine Liebe Mir von den Menschen vergolten wird. Ich habe sie erschaffen, Ich habe sie erlöst nach solcher Angemessenheit und Gerechtigkeit, gleich als wäre, um in einem Gleichnis zu reden, vor Mir eine Waage aufgestellt gewesen, auf welche Ich, damit nach genauestem Gewicht gewogen würde, nur mein Herz allein gelegt habe.

9. Ich wurde als Kind geboren und nahm die Beschneidung an. Ich erduldete zahllose Trübsale und Beschwerden. Ich hatte die schimpflichsten Worte und Schmähungen anzuhören, wurde gefangen genommen, mit Stricken gefesselt, gegeißelt, wie unter einer Presse gekeltert; die Nerven wurden Mir zerrissen, die Adern aufgeschlagen, alle Gelenke auseinander gezerrt. Mein Scheitel und das ganze Haupt wurde von den Dornenspitzen durchstochen. Das aus diesen Wunden fließende Blut gerann Mir auf Angesicht und Bart, dass Ich nicht mehr zu erkennen war. Mund und Zunge waren mit Blut gefüllt. Gaumen und Zahnfleisch schwollen unter den heftigsten Backenstreichen. Zuletzt wurde Ich am Kreuz ausgespannt. Mein Nacken hatte keine andere Lehne, als meine Schultern. Meine Arme wurden mit Stricken an die Löcher der Nägel hinaufgerissen; die Füße abwärts gezogen, mit zwei Nägeln durchbohrt und hatten keine andere Stütze als die Nägel selbst. Alle inneren Teile meines Leibes vertrockneten und krümmten sich zusammen. Mein Herz ward ein Gefäß der Peinen. Es war von kräftigster, gesündester Beschaffenheit; so dass die Schmerzen wie Pfeile bald aus den Nerven zum Herzen, bald vom Herzen zurück in die Nerven schossen. Und so wuchs meine Pein mit jedem Augenblick, und das Sterben wurde Mir verlängert.

10. In solchen Martern am Kreuz hängend, öffnete Ich meine Augen und sah meine Mutter in Tränen neben meinem Kreuz. Ihr Herz war in bittersten Schmerzen. Blässe bedeckte sie, und kein Glied vermochte sie vor Pein zu bewegen. Die Schmerzen meiner Mutter taten Mir weher als mein eigenes Leiden.

Ich sah auch meine Freunde in der äußersten Angst und Betrübnis. Die einen waren ratlos und fielen in Zweifel, die anderen bewahrten wohl ihren Glauben, waren aber von Schrecken und Verwirrung übermannt.

Unter solcher Marter und solches Weh erduldend, brach Mir endlich vor Übermaß der Schmerzen mein Herz. Die Seele schied; und als sie geschieden, hob sich mein Haupt etwas empor, alle meine Glieder aber erbebten. Die Augen öffneten sich zur Hälfte, die ganze Last des Leibes sank auf die Füße nieder. Und so hing Ich da, wie ein in Blut getauchtes Tuch. Das alles habe Ich, der Schöpfer Himmels und der Erde, für den Menschen gelitten; aber wie wenige nehmen sich dieses zu Herzen, und welche Vergeltung empfange Ich dafür?

11. Ich starb, um den Himmel zu öffnen. Ich erstand aus dem Grab, um wiederzukommen zum Gerichte. Doch erhebe deine Augen und schau! Öffne deine Ohren und höre! Tu auf deinen Mund und frage, wie viele achten denn noch Meiner? Verbannen sie Mich nicht aus ihren Herzen, und fällt es ihnen auch nur ein, Mir ihre Liebe zu schenken? Öffne deinen Mund und halte Umfrage, wo denn die berufenen Verteidiger des heiligen Glaubens sind? Wo die Mutigen, welche den Feinden Gottes entgegentreten? Wo jene, die ihr Leben für Gott zu opfern entschlossen sind? Halte eifrige Umfrage, und du wirst nur sehr wenige finden, die Mir noch die Treue halten.

12. Wiederholte Mahnung Jesu Christi, seine Worte zu betrachten (Revelationes 6. c. 62). Ich bin Gott, der Herr, dessen Stimme Moses aus dem Dornbusch, Johannes am Jordan, Petrus auf Tabor vernommen hat. Voll Erbarmen rufe Ich jetzt zu dir, o Mensch, der Ich unter Tränen am Kreuz für dich zum Vater gerufen habe. Öffne deine Ohren und höre Mich! Erhebe deine Augen und erkenne Mich! Erkenne Mich; denn Ich, der Ich zu dir rede, bin der Mächtigste und Stärkste, der Weiseste und Heiligste, der Gerechteste und Gütigste und zugleich der Inbegriff aller Schönheit. Lerne kennen und erforsche meine Macht im alten Gesetz! Du wirst sie wunderbar und furchtbar finden in meiner Erschaffung aller Dinge. Auch meine Stärke wirst du kennen lernen an den aufrührerischen Herrschaften und Fürstentümern; meine Weisheit in der Erschaffung und würdigsten Gestaltung des Menschen und in der Erleuchtung der Propheten. Erforsche ferner meine unvergleichliche Heiligkeit, und du wirst sie finden in meiner Gesetzgebung und in der Befreiung meines auserwählten Volkes.

13. Betrachte auch meine Gerechtigkeit an dem obersten der Engel und an dem ersten Menschen, in der Sündflut, in dem Untergang der Landstriche und Städte. Meine Milde aber erkenne in der Geduld und Langmut, in der Ich meine Feinde ertragen und durch den Mund meiner Propheten ermahnt habe. Endlich aber lerne kennen und betrachte meine Schönheit aus der Schönheit und Wirksamkeit der Elemente, aus der Verherrlichung des Moses, und führe dir zu Herzen, wie würdig Ich bin, von dir gesucht und geliebt zu werden.

14. Betrachte ferner, wie Ich Derselbe bin, der als der Allmächtige und zugleich als der Allerärmste im neuen Gesetz geredet: als der Allmächtige bei der Huldigung der Könige und meiner Verkündigung durch den Stern; als der Allerärmste, da Ich Mich in Windeln hüllen und in eine Krippe betten ließ. Betrachte Mich, den Weisesten und doch für einen Toren Geachteten; als den Weisesten, dem seine Widersacher nicht zu antworten vermochten; als den für einen Toren Gehaltenen, da Ich der Lüge beschuldigt und als ein Schuldiger verurteilt wurde. Erkenne meine unüberwindliche Stärke in der Heilung der Kranken und der Austreibung der Teufel; und meine tiefste Erniedrigung in der Zergeißelung aller Glieder meines Leibes. Betrachte meine höchste Gerechtigkeit, und wie Ich dem Ungerechtesten gleichgehalten wurde: meine Gerechtigkeit in der Offenbarung der lebendigen Wahrheit und der Begründung des Gesetzes der Gnade; und wie Ich für den Ungerechtesten gehalten wurde, indem sie Mich zum schmählichsten Tod verurteilten. Erkenne auch meine höchste Milde in der Erlösung und in der Verurteilung der Sünder; aber auch meine härteste Misshandlung, da Ich zwischen zwei Räubern am Kreuz erhöht wurde.

15. Endlich erkenne meine höchste Schönheit, die auf dem Tabor offenbar wurde; und meine tiefste Entstellung am Kreuz, da weder Schönheit noch Gestalt mehr an Mir zu schauen war.

Ja, sieh nach Mir und betrachte Mich; denn Ich bin Derselbe, der am Kreuze für dich gelitten und der jetzt seine Worte an dich richtet. Schau nach Mir, nicht mit den Augen des Fleisches, sondern deines Herzens, und erkenne, was Ich dir geschenkt habe, was Ich von dir begehre und was du vor Mir wirst zu verantworten haben. Ich gab dir eine reine, fleckenlose Seele; und ohne Flecken hast du sie Mir zurückzugeben. Ich habe für dich gelitten, auf dass du Mir nachfolgst. Ich habe dich unterwiesen, auf dass du nach meinem Willen, nicht nach deinen Gelüsten dein Leben einrichten sollst. Und da Ich noch im Fleisch wandelte, rief Ich dir zu: Tut Buße! Auch am Kreuz ließ Ich dich mein Rufen hören, da Ich sprach: Mich dürstet. Nun aber beherzige es wohl: So du nicht Buße tust, wird ein Weh über dich kommen, wovon dein Fleisch verdorren, deine Seele in Angst vergehen, das Mark in den Gebeinen vertrocknen, alle Kraft erlöschen und alle Schönheit verschwinden wird. Des Lebens wirst du überdrüssig werden, wirst zu fliehen suchen; doch wird kein Ausweg dir offen stehen.

16. Darum fliehe doch jetzt, solange es noch Zeit ist, unter den Schutz meiner Demut, damit das gedrohte Weh dich nicht ereile. Es ist dir angedroht, damit du ihm entrinnen mögest, wenn du meinen Worten von Herzen Glauben schenkst. Wenn nicht, so wird das Eintreffen des Wehes meinen Worten Glauben verschaffen. Lasse dir aber von den Einsichtigen erklären, wie meine Drohungen so wenig als die Verheißungen unerfüllt bleiben, wenn Ich gleich in höchster Langmut geduldig auf den Erfolg meiner Langmut harre.

18. Maria gleich einem Magnet

Es suchte jemand einen Stein und fand einen Magnet, den er mit eigener Hand aufhob und in seinem Schatz bewahrte, um durch ihn ein Schiff nach seinem Hafen zu lenken. So tat mein Sohn, indem Er aus seinen vielen Heiligen Mich im Besonderen zu seiner Mutter auserkor, um durch Mich die Menschen nach dem Hafen des Himmels zurückzulenken. Denn wie der Magnet das Eisen an sich zieht, so ziehe Ich die harten Herzen zu Gott. Darum brauchst du nicht zu verzagen, wenn das Herz dir manchmal schwer wird; denn dies wird dir zum höheren Schmuck deiner Krone gereichen.

19. Lobpreisung der allerseligsten Jungfrau durch die heilige Agnes (Revelationes 3. c. 30)

1. Liebt die Mutter der Barmherzigkeit! Sie ist gleich der Blume der Schwertlilie, deren Blatt zwei scharfe Kanten hat und in eine dünne Spitze ausläuft. An Höhe und Breite überragt die Schwertlilie die anderen Blumen. So ist Maria, die Blume der Blumen. Obwohl in einem Tale wachsend, ragt sie doch über alle Höhen empor. Sie ist die Blume, die, in Nazareth blühend, hoch über den Libanon sich ausbreitet. Ihre Höhe reicht über alles empor; denn die hochgebenedeite Königin des Himmels übertrifft an Würde und Macht jede Kreatur. Wie das Blatt der Schwertlilie hatte auch Maria zwei sehr scharfe Schneiden, d. i. den Schmerz des Herzens über das Leiden ihres Sohnes und die standhafte Abwehr gegen alle List und Gewalt des Teufels, indem sie ganz und gar sündelos war. Darum hatte Simeon so wahr geweissagt, dass ein Schwert durch ihre Seele dringen werde. Denn sie hatte in ihrem Herzen ebenso vielmal die scharfe Schneide dieses Schwertes zu empfinden, als sie im Geiste die Wunden und Peinen ihres Sohnes im voraus erblickte und deren Augenzeuge sie bei der Passion ihres Sohnes auch leibIicherweise war. Außerdem reicht Maria über alles an Breite, d. i. an Barmherzigkeit. Denn in ihrer mildesten Barmherzigkeit wollte sie lieber alle Peinen erdulden, als dass die Seelen nicht erlöst würden. Und auch jetzt, in der Herrlichkeit ihres Sohnes, kann sie ihrer eingebornen Gütigkeit nicht vergessen, sondern dehnt ihr Erbarmen über alle, auch die schlechtesten Sünder aus. Wie durch die Strahlen der Sonne alles über und auf dem Erdkreis erleuchtet und erwärmt wird, so ist keiner, der aus der süßesten Milde Mariens nicht ihre Gütigkeit zu empfinden bekäme, so er zu ihr fleht.

Wie das Blatt der Schwertlilie, so besaß auch Maria eine sehr feine Spitze, d. i. ihre Demut, durch welche sie dem Engel so sehr gefiel, als sie nur eine Magd sich nannte, obwohl sie zur Herrin der Engel und Menschen erkoren war. Durch ihre Demut, in der sie den Stolzen zu gefallen verschmähte, empfing sie ihren Sohn. Durch ihre Demut erhob sie sich auf den höchsten Thron, da sie nichts liebte, außer Gott allein. Sie ist die Schönste, die Mächtigste, die Mutter des Heiles für alle, sie, die Braut des Heiligen Geistes.

2. Worte der heiligsten Jungfrau an Birgitta: Du trauerst darüber, dass so viele sprechen: "Wir können nach unserem Gefallen dahinleben; Gott ist so barmherzig, dass wir Ihn leicht besänftigen werden. Wir brauchen die Welt, ihre Ehren und Genüsse nicht zu fliehen; sie ist ja für den Menschen erschaffen." Solche Rede kommt nicht aus der Liebe zu Gott, noch bewegt oder führt sie zur Liebe Gottes. Gott aber ist so langmütig, dass Er seiner Güte nicht vergisst und trotz des Undanks der Menschen seine Barmherzigkeit stündlich offenbart. Denn Er ist gleich einem Schmied, der ein kunstvolles Werk bearbeitet und das Eisen bald glühend macht, bald erkalten lässt. So hat Er als der kunstreichste Meister die Welt aus dem Nichts erschaffen und Adam und dessen Nachkommen seine Liebe geoffenbart. Die Menschen aber erkalteten so sehr in der Liebe, dass sie ohne jede Furcht Gottes die ärgsten Schändlichkeiten verübten. Darum offenbarte nach langen barmherzigsten Warnungen Gott seine Gerechtigkeit in der Sündflut. Nach der Flut schloss Gott einen Bund mit Abraham, gab ihm Beweise seiner Liebe und führte seine Nachkommenschaft durch Zeichen und herrliche Wunder aus Ägypten zurück. Aus seinem Mund gab Er dem Volk das Gesetz und bekräftigte seine Worte und Gebote durch die augenfälligsten Wunder und Zeichen. Das Volk aber erkaltete im Lauf der Zeit wiederum und verfiel in so schreckliche Betörung, dass es den toten Götzen diente. Der gütigste Gott aber, der die Erkalteten noch einmal erwärmen wollte, sandte seinen eigenen Sohn in die Welt, der den wahren Weg zum Himmel zeigte und sich als das Vorbild der wahren Demut offenbarte.

3. Jetzt aber ist dieser sein Sohn von den meisten gar sehr vergessen und vernachlässigt; doch hört Er nicht auf, in Wort und Tat seine Barmherzigkeit zu offenbaren. Es wird aber auch jetzt nicht minder alles zusammen ebenso geschehen wie ehedem. Vor der Sündflut wurde das Volk zur Buße mit großer Langmut von Gott ermahnt; auch Israel wurde vor seinem Einzug in das verheißene Land geprüft und die Erfüllung der Verheißung hinausgeschoben, indem Gott es ebenso gut in vierzig Tagen als in vierzig Jahren hätte dahin führen können. Aber die Gerechtigkeit Gottes forderte, dass sowohl der Undank des Volkes offenbar, als auch seine Barmherzigkeit verherrlicht werde, auf dass das künftige Volk um so mehr in Demut erhalten würde. Wenn aber heutzutage jemand sich wundern wollte, warum Gott sein Volk so strenge bestrafe, d. i. warum die Bestrafung eine ewige sein müsse, obwohl das Leben zum Sündigen nicht ewig währen könne, so wäre dies eine arge Vermessenheit; ebenso wie jene, wenn jemand mit seinem schwachen Verstande ergründen und begreifen wollte, wie und warum Gott ewig ist. Gott ist ewig und unbegreiflich und ewig seine Gerechtigkeit und seine Vergeltung, und unergründlich seine Barmherzigkeit. Denn hätte Er nicht an seinen ersten Engeln seine Gerechtigkeit schon geoffenbart, wie könnte seine Gerechtigkeit erkannt werden, in der Er alles nach gerechtem Maße richtet? Und hätte Er nicht in der Erschaffung und Erlösung des Menschen durch unzählige Wunderzeichen seine Barmherzigkeit geoffenbart, wer hätte eine Kunde von seiner unendlichen vollkommensten Güte und Liebe? Darum, weil Gott von Ewigkeit, ist auch ewig seine Gerechtigkeit, in der weder Zunahme noch Abnahme ist wie bei dem Menschen, der erst darüber nachdenken muss, ob und wie er seine Arbeit und bis zu welchem Tage er sie fertig machen könne. Wenn aber Gott Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit üben will, so offenbart Er sie, indem Er sie vollzieht; denn von Ewigkeit her ist Ihm Vergangenheit wie Zukunft in gleicher Weise gegenwärtig. Die Freunde Gottes sollen darum mit Geduld in der Liebe Gottes verharren und sich nicht beunruhigen, wenn sie auch die Kinder der Welt in Glück und Gedeihen erblicken. Gott handelt wie eine geschickte Wäscherin, welche ihre Leinwand in die Wellen taucht, um sie reiner und weißer zu machen, aber wohl darauf achtet, dass sie nicht untersinke. So lässt Gott seine Freunde auf Erden in Armut und Nöte geraten, damit sie für die Ewigkeit geläutert werden; Er behütet sie aber sorgsam, auf dass sie nicht in übergroße Trauer und Trübsal versinken.

20. Lobpreisung der heiligsten Jungfrau durch die hl. Agnes in der hl. Weihnacht

1.(Revelationes 4. c. 11) O Maria, Mutter und Jungfrau der Jungfrauen, Du verdienst mit vollem Rechte den Namen der Morgenröte, welche ihr Licht von der wahren Sonne, von Jesus Christus, empfängt. Aber warum nenne ich Dich Morgenröte? Wegen deiner königlichen Abstammung oder wegen deiner Reichtümer und Ehren? Nein. Wegen deiner Demut verdienst Du den Namen der Morgenröte, wegen des Lichtes deines Glaubens und wegen deines Gelübdes der Jungfräulichkeit. Wie die Morgenröte das Nahen der Sonne verkündet und die Sonne heraufführt, so hast Du die wahre Sonne der Welt verkündet und sie zu ihr herab gebracht. Du bist das Frohlocken der Gerechten! Du verjagst die bösen Geister und tröstest die reuigen Sünder. Ich bitte Dich bei der wunderbaren Vermählung, welche Gott in jener Stunde mit Dir geschlossen, dass deine Tochter Birgitta in der Ehre und in der Liebe deines Sohnes bestehen möge.

Was verstehst du unter der Vermählung? Rede um Birgitta willen, die es hören soll.

2. Du bist in Wahrheit beides: Mutter und Jungfrau und Frau. Denn die wunderbarste Vermählung ward in jener Stunde in Dir gefeiert, als in deinem Schoß Gott mit der Menschheit sich verband ohne Vermischung und Minderung seiner Gottheit. Auch die Jungfrauschaft und Mutterschaft sind in Dir vereint ohne Versehrung der jungfräulichen Zier und Würde, und Du bist Mutter und Tochter deines Schöpfers zugleich. Heute hast Du Ihn zeitlich geboren, der, ewig vom Vater gezeugt, alles mit dem Vater erschaffen hat. Der Heilige Geist war in Dir, war außer Dir, war mit Dir und um Dich, und von Ihm hast Du empfangen, als Du in den Gruß des Engels eingewilligt. Und der Sohn Gottes, der heute aus Dir geboren ward, war auch in Dir, noch ehe sein Bote zu Dir kam; darum erzeige deine Barmherzigkeit deiner Tochter!

3. Diese deine Tochter ist gleich einer armen in der Tiefe eines Tales wohnenden Witwe, die nur ein kleines Huhn im Besitze hat, aber dem Herrn, der auf den Höhen thront, mit solcher Liebe zugetan ist, dass sie ihm ihr Huhn zum Geschenke bringt. Er antwortet ihr aber: Ich besitze alles im Überfluss und bedarf auch deiner Gabe nicht; vielleicht aber hoffst du, für die kleine Gabe eine reiche Vergeltung zu empfangen. Die Witwe erwiderte: Nicht deshalb bringe ich meine Gabe, als bedürftest du ihrer, sondern zum Danke, weil du mich arme Frau an deinem Berge wohnen lässt und ich von deinen Dienern in Ehren gehalten bin. Das Wenige, das ich habe und woran ich mich erfreue, bringe ich dir, um dir zu zeigen, dass ich gerne Größeres für dich tun würde, so ich es vermöchte, und um gegen deine Huld und Gnade nicht undankbar zu sein. Und der Herr gab ihr zur Antwort: "Weil deine Liebe zu Mir so groß, darum will Ich dich auf meinen Berg erheben und dir und den Deinen Gewänder und Unterhalt geben."

4. In gleicher Lage wie diese Witwe ist deine Tochter; denn alles, was sie besaß, die Liebe zur Welt und zu ihren Kindern hat sie für Dich verlassen. Und so ist es Sache deiner Güte, für sie zu sorgen. Darauf erwiderte die heiligste Jungfrau: "Harre aus, meine Tochter! Ich bitte meinen Sohn, welcher dich speisen und auf seinen Berg erhöhen wird, wo tausendmal tausend Engel Ihm dienen. Die Welt ist nichts anderes als ein irdenes Gefäß. Das Feuer und die Asche aber unter dem Gefäß sind die Liebhaber der Welt. Die Freunde Gottes jedoch sind gleich der lieblichsten Speise, die in diesem Gefäß bereitet wird. Wenn darum das Mahl wird angerichtet werden, dann wird die süße Speise dem Herrn vorgesetzt werden, und Er wird sich an ihr ergötzen. Das Gefäß aber wird in Trümmer gehen; doch das Feuer wird nimmer erlöschen.

21. Lobpreise der allerseligsten Jungfrau durch Birgitta (Revelationes 3. c. 29)

1. Hochgebenedeit seist Du, Maria, Mutter Gottes, Tempel Salomos. Seine Wände sind vergoldet, hellglänzend sein Dach, der Estrich mit kostbarsten Steinen belegt, der ganze Bau leuchtend, sein Inneres von Weihrauch duftend und lieblichsten Anblick gewährend. In allem bist Du gleich dem Tempel Salomos; denn in Dir weilte und thronte der wahre Salomo; in Dich führte Er ein die Arche seiner Herrlichkeit und den Licht verbreitenden Leuchter. So bist Du, hochgebenedeite Jungfrau, der Tempel des Salomo, der Frieden zwischen Gott und den Menschen gestiftet, der die Schuldigen versöhnt, den Toten das Leben gegeben und die Armen von ihrem Bedränger befreit hat. Dein Schoß und dein Herz ist der Tempel Gottes geworden, über den sich als Dach die göttliche Liebe wölbte, unter welches der Sohn vom Vater herab in Dich einzog, um mit Freude in Dir zu wohnen. Den Estrich des Tempels bildete dein heiligster Wandel und deine unausgesetzte Übung aller Tugendwerke. Keine Vollkommenheit mangelte Dir; denn alles war in Dir Beharrlichkeit, alles Demut, alles Gottseligkeit, alles Vollkommenheit. Die Wände des Tempels bildeten ein gleichseitiges Viereck; denn keine Schmähung konnte Dich verwirren, keine Auszeichnung Dich zur Erhebung reizen, keine Ungeduld Dir Unruhe machen, weil Du nie ein anderes Verlangen gekannt hast, als nur Gott zu ehren und Gott zu lieben. Den Farbenschmuck deines Tempels bildeten die nie erlöschenden Flammen des Heiligen Geistes, durch welche deine Seele zur höchsten Vollkommenheit erhoben wurde, so dass jede Tugend unvergleichbar reicher und vollkommener in Dir erblühte als in jeder anderen Kreatur. In diesem deinem Tempel nahm Gott seine Wohnung, da Er die Süßigkeit seiner Heimsuchung deinem Schoß eingoss; und Er nahm seine Ruhestätte in Dir, als die Gottheit mit der Menschheit sich vereinte.

2. Hochgebenedeit seist Du, seligste Jungfrau, in welcher der große Gott ein kleiner Knabe, der Herr der Ewigkeiten ein schwaches Kindlein, der unveränderliche Gott, der unsichtbare Schöpfer ein sichtbares Geschöpf geworden ist. Du bist meine gütigste und mächtigste Herrin, darum flehe ich zu Dir: "Blicke auf mich herab und erbarme Dich meiner! Mutter bist Du des Salomo; nicht aber des Salomo, des Sohnes Davids, sondern jenes Salomo, welcher der Vater Davids und der Herr des Salomo war, der den wunderbaren Tempel als dein wahres Vorbild erbaut hat. Der Sohn wird deine Bitte gewähren als die seiner so herrlichen, so großen Mutter. Erwirke, dass der Knabe Salomo, der in Dir geschlummert hat, über mich wache, dass keiner Sünde Stachel mich verwunde, dass der Reueschmerz über alles Begangene in mir bleibend die Liebe zur Welt in mir ertötet, die Geduld beharrlich und die Buße fruchtbringend sei. Ich kann eine andere Tugend nicht aufweisen als das einzige Wort: Erbarme Dich meiner, o Maria; denn mein Tempel ist in allem das Gegenbild des deinigen. Er ist verfinstert durch meine Sünden, verunreinigt durch meine Unreinheit, verdorben durch die Würmer der Begierlichkeit, ohne festen Grund durch die Hoffart und hinfällig durch die Eitelkeit der Welt."

3. Worte der heiligsten Jungfrau: Gelobt sei Gott, der deinem Herzen diesen Gruß eingegeben hat, damit du erkennen mögest, welche Güte und welche Süßigkeit in Gott ist. Doch warum vergleichst du Mich mit Salomo und mit seinem Tempel? Bin Ich ja die Mutter jenes, dessen Zeugung weder Anfang noch Ende, der wie Melchisedech weder Vater noch Mutter hat. Von Ihm steht geschrieben, dass Er Priester gewesen; dem Priestertum aber obliegt der Tempeldienst. Und so bin Ich Mutter des allerhöchsten Priesters und Jungfrau. Beides bin Ich in Wahrheit. Mutter des Königs Salomo und Mutter des friedenstiftenden Hohenpriesters. Denn der Sohn Gottes, der auch mein Sohn ist, ist beides:

Hoherpriester und König der Könige. In meinem Tempel hat Er geistlich mit den priesterlichen Gewändern sich bekleidet, in welchen Er sein Opfer für das Heil der Welt darbringen wollte. In seiner Königsstadt aber wurde Er gekrönt mit der Königskrone, die sehr schmerzhaft war. Außerhalb der Stadt hat Er, der starke Held, das Feld behauptet und den Kampf bestanden. Nun aber muss Ich klagen, dass dieser mein Sohn von Priestern und Königen vergessen und verachtet ist. Die Priester streben nach Ehren und Einkommen. Wie du meinen Tempel als mit Gold bekleidet beschrieben hast, so sind die Tempel der Priester mit Eitelkeiten und Weltlust bedeckt. Die Arche des Bundes ist entfernt, die Leuchter der Tugenden sind erloschen, der Tisch der Andacht ist verödet.

4. O Mutter der Barmherzigkeit, fleht die Braut, erbarme Dich ihrer und bitte für sie! Von Anfang an, erwidert die Mutter, liebte Gott seine Priester so sehr, dass ihre Gebete nicht allein für sie selber Erhörung finden, sondern dass auch die anderen durch sie die Frucht ihres Gebetes empfangen.

Auf dass aber meine Fürbitten für die anderen Erhörung finden, sind zwei Dinge notwendig: der feste Vorsatz, die Sünde zu meiden, und der entschiedene Wille, im Guten voranzuschreiten. Jedem werden meine Fürbitten zugute kommen, der diesen festen Vorsatz und Willen besitzt.

22. Weitere Lobpreise der heiligsten Jungfrau durch die hl. Birgitta (Revelationes 4. c. 18)

1. O süßeste Mutter, sei hochgelobt in Ewigkeit! Jungfrau vor der Geburt! Jungfrau nach der Geburt! Jungfrau als Gefährtin des heiligen Joseph, Jungfrau, rein und unversehrt, da Joseph in Angst und Zweifel geriet! Darum sei hochgelobt, Du Mutter und Jungfrau, welche allein von Gott mehr als alle anderen Geschöpfe geliebt ist, welche an Reinheit alle Engel, an Glaubensstärke alle Apostel, an Bitterkeit der Schmerzen alle Martyrer, an Lauterkeit alle Bekenner, an Abtötung und Jungfräulichkeit alle Jungfrauen so hoch übertrifft! Darum preisen Dich alle Himmlischen, alle Irdischen und Unterirdischen, weil durch Dich Gott, der Herr und Schöpfer aller Dinge, Mensch geworden ist. Durch Dich findet der Gerechte Gnade und der Sünder Verzeihung. Durch Dich kehrt der Tote zum Leben und der Verbannte zur Heimat zurück.

2. Worte der heiligsten Jungfrau: Es steht geschrieben: Petrus erhielt auf sein Zeugnis, dass mein Sohn der Sohn des lebendigen Gottes ist, die Erwiderung: "Selig bist du Simon; denn Fleisch und Blut hat dir dies nicht geoffenbart!" So sage ich dir auch jetzt: Diesen Gruß hat nicht deine im Fleisch lebende Seele dir eingegeben, sondern Der, welcher ohne Anfang und Ende ist. Darum erhalte dich in Demut, und Ich werde dir barmherzig sein.

Johannes der Täufer wird dir süß, Petrus, gütig, Paulus aber zur Stärke wie ein Riese sein. Johannes spricht zu dir: "Lass dich, meine Tochter, auf die Knie nieder!" Petrus: "öffne den Mund, meine Tochter, und ich speise dich mit süßer Speise." Paulus aber wird dich bekleiden und rüsten mit den Waffen der Liebe. Und Ich, deine Mutter, stelle dich meinem Sohn vor.

3. Diese meine Worte sollst du auch nach ihrer geistlichen Bedeutung verstehen. Johannes, dessen Name so viel wie "Gnade Gottes" bedeutet, ist das Sinnbild des wahren Gehorsams, den er in höchster Vollkommenheit geübt hat. Johannes ist süß. Er war süß seinen Eltern durch seine wunderbare Begnadigung, süß für alle Menschen durch sein ganz einziges Predigtamt, süß für Gott durch die Heiligkeit seines Lebens und durch seinen Gehorsam. Gehorsam war Johannes in seiner Kindheit, gehorsam in Glück und Unglück, gehorsam und beharrlich in Demut, obwohl ihm Ehre gebührte, gehorsam endlich im Tod.

So ist es der Gehorsam, der durch Johannes zu dir spricht: "Lass dich auf die Knie nieder!" D. i. steige herab zur Niedrigkeit, dann wirst du das Hohe erlangen. Verlass das Bittere, und das Süße wird dir zuteil, d. i. verzichte auf deinen eigenen Willen, wenn du einem Kinde gleich sein willst, verachte das Irdische und du wirst ein Erbe des Himmels. Verschmähe alles Überflüssige, und die geistigen Güter werden überfließend dir zuteil.

4. Petrus aber ist das Sinnbild des Glaubens der heiligen Kirche. Wie Petrus fest im Glauben stand bis an seinen Tod, so besteht der Glaube der heiligen Kirche fest und wandellos durch alle Zeiten. So ist es also der heilige Glaube, der aus Petrus zu dir spricht: "Öffne den Mund und du empfängst die beste Speise", öffne Herz und Sinn, und du wirst in der heiligen Kirche die süßeste Speise finden, den Leib des Herrn im Sakrament des Altars, auch das neue Gesetz und das alte, seine Auslegung durch die heiligen Lehrer, die Geduld der Martyrer, die Demut der Bekenner, die Reinheit der Jungfrauen und den festen Grund aller Gottseligkeit. Den heiligen Glauben also suche in der Kirche des heiligen Petrus, den gesuchten halte fest in Herz und Mund und erfülle ihn durch deine Werke.

5. Paulus ist das Sinnbild der Geduld. Er war voll Feuer gegen die Widersacher des heiligen Glaubens, freudigen Mutes in Trübsal und Verfolgung, hochherzig in Hoffnung und Vertrauen, geduldig in Schwachheit und Bedrängnis, mitleidend mit den Trauernden, demütig bei allen seinen Vorzügen, gastfrei gegen Arme, barmherzig gegen die Sünder, der Lehrer und Meister für alle, treu beharrend in der Liebe Gottes bis zum Tod.

So ist es die Geduld, welche in Paulus dich ausrüstet mit den Waffen der Tugenden; denn die wahre Geduld hat ihren Grund und ihre Kraft in dem Beispiel und in der Geduld meines Sohnes und seiner Heiligen; sie entzündet die Liebe Gottes in deinem Herzen, sie befähigt die Seele, mit Mut zu wirken, sie macht den Menschen demütig, sanftmütig, barmherzig, erglühend für den Himmel, treu besorgt für das Heil der Seele und ausharrend in dem angefangenen Guten. So nährt also der Glaube jeden Menschen, welcher durch den Gehorsam auf den Knien der Demut beharret, mit der Speise der Süßigkeit und kleidet ihn in die Rüstung der Tugenden. Und einen solchen geleite Ich, die Mutter der Barmherzigkeit, zu meinem Sohn, der ihn krönen wird mit der Krone seiner unvergänglichen Seligkeit; denn in Ihm ist unendliche Macht, unbegreifliche Weisheit, unaussprechliche Stärke, wunderbarste Liebe, so dass niemand ihn seiner Hand entreißen kann.

Habe Ich auch diese Worte nur zu dir allein geredet, so sind sie doch für alle beabsichtigt; denn unter dir verstehe Ich alle, welche den in der Liebe werktätigen Glauben des hl. Petrus bekennen. Wie unter dem Namen Israel das ganze Volk Israel begriffen war, so wird durch dich die ganze Gemeinschaft der Gläubigen vertreten.

6. (Revelationes 4. c. 19) O süßeste Maria, Du vollkommenste, hellstrahlende Schönheit! Eile mir zu Hilfe, dass ich von meiner Unschönheit gereinigt und die Liebe in mir entzündet werde. Deine Schönheit verleiht meinem Haupt drei Gaben: sie reinigt mein Gedächtnis, dass die Worte Gottes in Süßigkeit empfangen, mit Freudigkeit bewahrt und mit feuriger Liebe auch dem Nächsten mitgeteilt werden. Auch mein Herz empfängt aus deiner Schönheit drei Gaben: sie nimmt von ihm die schwere Last der Mutlosigkeit, sooft ich deine Liebe und Demut betrachte. Sie gibt Tränen meinen Augen, so ich deiner Armut und Geduld gedenke. Sie erfüllt das Herz mit unvergänglicher Tröstung, wenn ich einfältig deiner süßesten Milde mich allzeit befehle. Ja, meine Herrin, Du bist die herrlichste Schönheit, die aller Sehnsucht würdigste Schönheit; denn Du bist den Schwachen zur Helferin, den Betrübten zur Trösterin, allen zur Mittlerin gegeben. Darum stimmen alle in dem einen Rufe zusammen, sowohl jene, die vor deiner Geburt gelebt und als zukünftige von den Propheten sie vernommen, wie auch jene, welche von der Kirche die frohe Botschaft deiner gnadenreichen Geburt empfangen haben. O hellstrahlende Schönheit, erleuchte unsere Finsternisse! Du herrlichste Schönheit, nimm von uns hinweg die Schmach der Sünde! Du süßeste Schönheit, mildere unsere Bitterkeit! Du mächtigste Schönheit, löse unsere Fesseln! O heiligste Schönheit tilge unsere Hässlichkeit! Hochgebenedeit sei deine wunderbare, unermessliche Schönheit, welche zu schauen die Patriarchen sich sehnten, welcher alle Propheten lobsangen! O komm, Du Frohlocken aller Auserwählten!

7. Maria. Hochgelobt sei Gott! Er ist meine Schönheit; Er hat diese Worte dir eingegeben. Darum sage Ich dir: Gott, die unvergängliche, ewige Schönheit, der Inbegriff aller Schönheit, der Mich erschaffen und gebildet, ist auch deine Stärke. Gott, die Schönheit vor aller Zeit und die immerdar neue Schönheit, welche alles erneuert, welche in Mir Wohnung genommen und aus Mir hervorgegangen, wird dir ihre Wunder offenbaren. Die aller Sehnsucht würdigste Schönheit, welche alles mit Wonne und Frohlocken erfüllt, wird deine Seele mit ihrer Liebe entzünden. Darum vertrau auf Gott. Wird einmal die himmlische Schönheit offenbar werden, dann schwindet alle irdische Schönheit und wird dem Schmutz gleichgeachtet sein.

8. Worte Jesu Christi: O gebenedeite Mutter, Du gleichst einem Goldschmied, der an einem kunstreichen Werke arbeitet, welches alle Beschauer mit Bewunderung erfüllen wird und zu dessen Vollendung sie Gold und Edelsteine beisteuern. Denn allen, welche zu Gott sich zu erheben trachten, kommst Du, geliebte Mutter, zu Hilfe und niemanden lässt Du ohne deine Tröstung. Darum kannst Du mit Recht das Blut meines Herzens genannt werden. Denn wie aus dem Blut alle Glieder des Leibes Leben und Stärke empfangen, so gelangen durch Dich alle vom Tod der Sünde zum Leben für Gott und werden immer fruchtbarer an verdienstlichen Werken.

9 Worte Birgittas: Hochgelobt sei der dreieinige Gott, dreifach in den Personen, einer in der Wesenheit. Du bist die Güte, die Weisheit, die Schönheit und Macht, Du die Gerechtigkeit und Wahrheit, durch welche alles, was ist, lebt und besteht. Du bist gleich der einzigen Blume des Feldes, aus der alle, die ihr nahe kommen, Süßigkeit im Geschmack, Erhebung des Geistes, Ergötzung der Augen und Stärkung aller Glieder empfangen. Denn alle, die Dir nahen, werden schöner, indem sie die Sünde verlassen; weiser, indem sie deinem Willen gehorchen, nicht dem Willen des Fleisches; gerechter, indem sie nach dem Heil der Seele und deiner Ehre begehren. Darum, o gütigster Gott, verleih mir, zu lieben, was Dir wohlgefällt, den Versuchungen zu widerstehen, alles Irdische zu verachten und immerdar nur Deiner allein zu gedenken.

10. Worte der heiligsten Jungfrau: Dieses Gebet hat dir der gute Hieronymus erlangt, welcher die falsche Weisheit verlassen und die wahre Weisheit gefunden hat, welcher die irdische Ehre verachtet und Gott selber gewonnen hat. Selig darum Hieronymus und selig alle, welche seinen Worten und seinem Wandel nachfolgen. Er war ein Liebhaber der Witwen, ein Spiegel der Vollkommenen, ein Lehrer der Wahrheit und Reinheit. Aber sage mir, meine Tochter, warum dein Herz so bekümmert ist?

Birgitta: Es kommt mir oft der Gedanke: bist nur du selber gut, so sei damit zufrieden. Was geht es dich an, über andere zu urteilen, sie zu reizen, Bessere als du zu belehren? Das ist nicht deines Amtes noch deines Standes. Solche Gedanken drücken meine Seele darnieder, dass ich auch meiner selber vergesse und in der Liebe Gottes erkalte.

11. Antwort der heiligsten Jungfrau: Solche Gedanken ziehen auch viele Vollkommene von Gott ab; denn der Teufel will sie zurückhalten, zu den Bösen zu reden, um sie zur Reue zu bewegen, oder die Guten zu ermahnen, um sie in der Vollkommenheit voranzubringen; denn durch gute Ermahnungen können die Guten zu größeren Verdiensten und zu einer höheren Stufe geführt werden. Dessen ist ein Beweis der Eunuche, der beim Lesen des Jesajas dem Philippus begegnete. Ohne den Philippus hätte er zwar nur eine geringe Strafe in der Hölle zu erleiden gehabt; durch die kurzgefasste Lehre aber des Philippus, wie er den Himmel erlangen könnte, erhob er sich auf eine glückselige Stufe.

So wurde auch Petrus zu Cornelius gesendet, der, so er vorher gestorben wäre, um seines Glaubens willen ins Fegfeuer gekommen wäre, durch Petrus aber an die Pforte des Paradieses gefördert wurde. So kam auch Paulus zu Dionysius und brachte ihn zur seligen Vergeltung.

Die Freunde Gottes sollen darum im Dienste Gottes nicht verdrossen werden, sondern arbeiten, dass der Böse sich bekehre und der Gute vollkommener werde. Denn wer den guten Willen hätte, jedem Vorübergehenden auch nur in das Ohr zu flüstern, dass Jesus Christus in Wahrheit der Sohn Gottes sei, und wer dadurch nach seinen Kräften es versuchen wollte, andere zu bekehren, würde, wenn auch niemand oder nur wenige sich bekehren würden, doch denselben Lohn erhalten, als wenn alle von ihm bekehrt würden. Oder, um es in einem Beispiel dir zu erklären. Wenn zwei Taglöhner auf den Befehl ihres Herrn durch einen sehr harten Berg hindurch zu graben hätten, aber nur einer von ihnen die Goldader entdecken würde, so wären doch beide für ihre Arbeit und ihren guten Willen des gleichen Lohnes würdig. So hat auch Paulus mehr bekehrt als die anderen Apostel; doch hatten alle denselben guten Willen; aber verborgen sind die Ratschlüsse Gottes. Darum dürfen die Freunde Gottes nicht ablassen von ihrer Arbeit, wenn auch nur wenige oder niemand das Wort Gottes aufnehmen sollte. Wie der Dorn die Rose schützt und das Maultier seinen Herrn trägt, so bringt der Teufel durch die Dornen d. i. durch die Trübsale, welche er durch die Bösen den Guten bereitet, diesen geistlichen Gewinn; denn er schützt sie dadurch vor Stolz und Vermessenheit; und wie ein Maultier trägt er sie zum Empfang der Tröstungen Gottes und seiner höheren Belohnung.

23. Die Lilienkrone der Königin des Himmels

Worte der heiligen Birgitta:" Ich erblickte die Königin des Himmels, die Mutter Gottes, mit einer kostbaren Krone auf dem Haupt und mit ausgebreitet auf die Schultern niederfallenden Haaren von wunderbarer Schönheit. Ihr Gewand war goldglänzend, ihr Mantel azurblau wie das heitere Himmelsgewölbe. Von Bewunderung dieses herrlichen Anblickes ganz hingerissen, erschien mir der hl. Johannes der Täufer und sprach: "Achte wohl darauf, was dies zu bedeuten hat. Die Krone bedeutet, dass Maria Königin und Herrin ist und Mutter des Königs der Engel. Ihre ausgebreiteten Haare, dass sie die reinste, unbefleckte Jungfrau ist. Der Mantel von himmelblauer Farbe, dass alles Irdische für sie erstorben war. Ihr goldenes Gewand, dass sie, in göttlicher Liebe brennend, nach innen und nach außen ihre Liebesflammen offenbart. Ihre Krone aber schmückte ihr Sohn mit sieben Lilien und zwischen den Lilien mit sieben Edelsteinen. Die erste Lilie bedeutet ihre Demut, die zweite ihre Furcht Gottes, die dritte ihren Gehorsam, die vierte ihre Geduld, die fünfte ihre unerschütterliche Beharrlichkeit, die sechste ihre Milde, denn sie ist gütig, alle Bitten zu erhören. Die siebente ist ihre Barmherzigkeit bei allen Nöten. In welcher Not ein Mensch sich befinden mag, er wird Hilfe erlangen, wenn er aus ganzem Herzen zu ihr fleht.

Zwischen den Lilien schmückte ihr Sohn die Krone mit sieben Steinen. Der erste bedeutet die ganz einzige Fülle ihrer Tugenden; denn es ist keine Tugend in einem Engel oder einem Menschen, welche nicht in viel höherem Grade Maria besitzt. Der zweite Stein bedeutet ihre vollkommenste Reinheit; denn so rein ist die Königin des Himmels, dass von dem ersten Augenblick ihres Eintritts in die Welt bis zum letzten Atemzug nie die geringste Makel an ihr zu finden war. Auch vermochten alle bösen Geister nicht so viel Unreines an ihr zu entdecken, um auch nur die Spitze einer Nadel darauf setzen zu können. Sie war in Wahrheit die Reinheit selber; denn der König der Herrlichkeit durfte nur im reinsten, lautersten, auserlesensten Gefäß ruhen, dem weder die Engel noch die Menschen an Reinheit gleich kommen. Der dritte Stein bedeutet ihre Schönheit, die so erhaben ist, dass Gott um der Schönheit seiner Mutter willen ewige Lobpreisung von seinen Heiligen empfängt und dass die Seligkeit der heiligen Engel und aller heiligen Seelen durch die Schönheit Mariens vollkommen wird. Der vierte kostbare Stein der Krone bedeutet die Weisheit; denn die Jungfrau Maria, die aller Zierden voll ist, ist auch durch Gott so sehr aller göttlichen Weisheit voll, dass jede andere Weisheit von ihr die Fülle und die Vollendung empfängt. Der fünfte Stein ist ihre Macht; denn Maria ist so mächtig, dass alle Geschöpfe ohne Ausnahme ihr vollkommen unterworfen sind. Der sechste Stein ist ihre Klarheit, welche so groß ist, dass selbst die Engel, deren Augen durchdringender sind als die Strahlen des Lichtes, durch sie erleuchtet werden, und dass die Teufel nicht wagen, in diese Klarheit zu blicken. Der siebente Stein bedeutet die Fülle ihrer Seligkeit und geistigen Wonne, die so unermesslich ist, dass es keine Seligkeit gibt, welche durch sie und durch die beseligende Anschauung der Himmelskönigin nicht höher und vollkommener wird; denn ihre Gnadenfülle ist eine unendliche, die alle Heiligen des Himmels übertrifft. Sie ist ja das Gefäß der Reinheit, in welchem das Brot der Engel geruht, das alle Schönheit und Süßigkeit in sich enthält.

Mit diesen sieben Edelsteinen schmückte der Sohn ihre Krone zwischen den sieben Lilien. Darum wolle auch du, meine Tochter, aus ganzem Herzen Maria loben und benedeien; denn sie ist aller Lobpreisung und Verherrlichung würdig.

24. Maria gleich dem Regenbogen

Worte Mariens: (Revelationes 3. c. 10) Fürchte nicht, als käme, was du nun zu schauen bekommst, vom bösen Feinde. Wie nämlich mit dem Nahen der Sonne Licht und Wärme sich verbreiten, von welchen der Schatten der Nacht nicht begleitet ist; so bringt auch das Nahen des Heiligen Geistes deinem Herzen die Glut der göttlichen Liebe und die vollkommene Erleuchtung des heiligen Glaubens. Und diese zweifache Wirkung empfindest du jetzt in dir. Eine solche Wirkung aber kann der böse Feind so wenig hervorbringen, als der Schatten der Nacht Licht und Wärme. Mache darum kund, was Ich dir nun über den Zustand der heiligen Kirche in dem Bilde eines Domes eröffne.

Die Grundmauer auf der rechten Seite des Domes ist so sehr gesunken, dass sich hoch im Gewölbe mehrere Risse gebildet haben, aus denen das Mauerwerk so gefährlich herabfällt, dass viele im Schiff der Kirche tödlich davon getroffen werden. Auch von den hochstrebenden Säulen sind manche geborsten und drohen den Einsturz. Der ganze Estrich der Kirche ist so unterwühlt, dass eintretende Blinde sehr gefährlich fallen müssen; ja selbst Sehende stürzen nicht selten wie die Blinden in die gefährlichen Löcher des Estrichs. Darum ist der ganze Stand der Kirche Gottes sehr gefährdet und ihr voller Zusammensturz in drohender Nähe. Ja, Ich beteuere dir, dass, wenn der Kirche nicht Hilfe wird zur Erneuerung, ihr Zusammenbruch so gewaltig sein wird, dass der ganze Erdkreis erdröhnen wird. Ich aber bin die Jungfrau, in deren Schoß zu kommen der Sohn Gottes sich gewürdigt hat, um aus meinem Schoß Mir zu höchstem Troste und ohne jede Beschwerde geboren zu werden. Ich stand an seinem Kreuz, als Er in seiner wahren Geduld die Hölle glorreich überwand und mit dem Blut seines Herzens den Himmel öffnete. Ich war auf dem Berg, als Gottes Sohn, der auch mein Sohn ist, zum Himmel auffuhr. Ich hatte die klarste Erkenntnis des ganzen katholischen Glaubens, in welchem Er alle durch seine Predigt unterwiesen hat, welche in den Himmel eingehen wollen. Und darum stehe Ich in beständigem Gebet über der Welt wie der Regenbogen über den Wolken, der, beide Enden niedersenkend, die Erde zu berühren scheint.

Unter diesem himmlischen Bogen verstehe Ich also Mich selber, die Ich zu den Erdbewohnern Mich herab neige, die Guten wie die Bösen mit meinem Gebet berührend. Nach den Guten neige Ich Mich, um sie in allem, was die heilige Kirche zu glauben und zu halten befiehlt, standhaft zu machen; zu den Bösen aber, damit sie in ihrer Bosheit nicht fortmachen und noch schlechter werden.

Auf einer Seite der Erde steigen schreckliche Wolken gegen die Klarheit des Bogens auf. Unter diesen Wolken verstehe Ich solche, die ein ausschweifendes Leben führen und unersättlich wie der Grund des Meeres in ihrer Geldgier sind. Sie verschleudern auch aus Stolz in unvernünftiger Weise ihre Güter, wie ein Gießbach in seinem Ungestüm die Wellen da und dorthin schleudert. In diesen drei Stücken versündigen sich gegenwärtig gar viele Kirchenvorsteher, deren schreckliche Sünden zum Himmel aufsteigen vor das Angesicht Gottes wider mein Gebet, gleichwie schwarze Wolken gegen die Klarheit des Regenbogens. Sie, die mit Mir den Zorn Gottes zu besänftigen die Pflicht hätten, rufen den Zorn Gottes auf sich herab. Solche dürfen zu höheren Würden nicht befördert werden.

Wer also nach seinen Kräften sich bemühen will, dass die Grundmauer der Kirche wieder fest und der gebenedeite Weinberg, den Gott mit seinem Blut gegründet hat, wieder erneuert werde, der wird Mich, die Königin der Engel, mit allen Engeln zum Beistand haben, wenn er sich für unvermögend erkennt, um die schlechten Wurzeln auszuhauen, die unfruchtbaren Bäume ins Feuer zu werfen und statt ihrer mit fruchtbringenden Reisern den Weinberg zu bepflanzen.

Der Weinberg ist die Kirche Gottes, in welcher die Demut und die göttliche Liebe erneuert werden müssen.

25. Wie Maria um Gnaden für ihre Diener bittet

1. (Revelationes 1. c. 20) Maria betet zu ihrem Sohn: Du bist der König der Herrlichkeit, der Herr über alle Herren, der Schöpfer Himmels und der Erde und all dessen, was in ihnen ist. Was Du begehrst, das geschehe! Dein Wille geschehe ganz und gar!

Jesus erwidert: Es ist ein altes Sprichwort, dass, was in der Jugend ein Kind gelernt hat, es auch im Alter noch behält. So warst Du, meine Mutter, von Kindheit an bestrebt, meinen Willen zu tun und Mir deinen Willen vollkommen zu übergeben. Darum sagst Du mit Recht zu Mir: Dein Wille geschehe! Du bist gleich dem kostbaren Gold, das auf hartem Stein gedehnt und gehämmert wird; denn Du bist von allen Trübsalen getroffen worden und hast mein bitteres Leiden mehr als alle mit Mir erduldet. Als mein Herz am Kreuz im Übermaß der Peinen brach, da wurde auch dein Herz wie mit dem schärfsten Eisen von Mitleid verwundet, und Du hättest es, so es mein Wille gewesen, mit Freude zerspalten lassen. Ja, hättest Du meinem Leiden zu widerstehen und mein Leben Mir zu erhalten vermocht, Du hättest es nicht getan, außer Ich selber hätte es so gewollt. Darum sagst Du mit Recht: Dein Wille geschehe!

Nun redet Maria zur Braut: Du Braut meines Sohnes, liebe meinen Sohn, der auch dich liebt! Ehre seine Heiligen, die bei Ihm wohnen. Sie sind wie zahllose Sterne, deren Licht und Glanz mit keinem irdischen Licht zu vergleichen ist. Wie das Licht des Tages von der Finsternis der Nacht verschieden ist, so groß, ja unendlich größer ist der Abstand des Lichtes der Heiligen vom Licht dieser Welt. Ich sage dir, würden die Heiligen in ihrer Klarheit sich dem Menschen zeigen wollen, so vermöchte kein menschliches Auge diese Herrlichkeit zu ertragen; es müsste erblinden.

2. Jesus redet zur Braut: Bereite dich mit höchstem Eifer, um mit Mir, deinem Herrn und Gott, vermählt zu werden. Diese Vermählung ist eine rein geistliche und voll der Freude des Geistes; indem Gott sich nur mit einer keuschen Seele vereinigen kann, die um Seinetwillen auf jede Liebe zu einem Geschöpfe verzichtet. Bereite dich unablässig dazu vor, damit es dir nicht gehe wie den törichten Jungfrauen, welche nicht bereit waren, als der Bräutigam nahte, und darum ausgeschlossen wurden. Fürs zweite baue fest auf meine Worte! Ich bin die Wahrheit. Aus meinem Munde kommt nur die Wahrheit, und in meinen Worten ist nur die Wahrheit zu finden. Oft verbinde Ich mit meinen Worten einen höheren, geistlichen Sinn; oft lasse Ich sie aber in buchstäblicher Bedeutung nehmen, so dass niemand Mich einer Unwahrheit beschuldigen kann. Drittens übe den Gehorsam, so dass du für alle Stücke, in welchen du gefehlt, auch die gebührende Buße und Besserung übst. Denn, wie barmherzig Ich bin, so lasse Ich doch nicht von meiner Gerechtigkeit. Deinen Oberen leiste demütigen und freudigen Gehorsam, so dass du im Gehorsam selbst das, was dir gut und nützlich scheinen mag, unterlassest. Es ist viel besser, um des Gehorsames willen den eigenen Willen auch in guten Dingen aufzugeben und dem Willen des Oberen zu folgen, sofern er nicht gegen das Heil der Seele oder sonst gegen die Vernunft ist.

Viertens sei demütig; denn du bist im geistlichen Sinne vermählt und musst, wenn dein Bräutigam naht, in wahrer Demut und Ehrerbietung angetroffen werden. Deine Magd muss in Mäßigung und in Zügelung gehalten sein, d. h. dein Leib in Abtötung und in strenger Zucht; denn du hast fruchtbar an gutem Samen zum Heil vieler zu werden. Wird ein Zweig auf blattlosen Stamm gepfropft, so fängt dieser alsbald zu treiben an; so hast auch du mit meiner Gnade zu wirken, um Blüte und Frucht hervorzubringen. Meine Gnade wird so reich dir zuteil werden, dass über den süßen Wein, den Ich dir reiche, alle Heerscharen des Himmels sich freuen. Baue also fest auf meine Güte. Ich sage dir: Wie Zacharias und Elisabeth über die Verheißung einer Leibesfrucht voll unaussprechlicher Freude des Geistes waren, so hast auch du der Gnade dich zu freuen, die Ich dir erzeigen werde, und gar viele andere werden durch dich Freude des Geistes empfangen. Zu Zacharias und Elisabeth redete nur der eine Engel; zu dir aber rede Ich, der Herr, dein Gott und der Schöpfer aller Engel. Jene zwei gebaren Mir meinen liebsten Johannes; durch dich aber will Ich viele geistliche Söhne gewinnen. Johannes war einem Rohre voll süßen Honigs ähnlich; denn in seinen Mund ging nie eine Ungerechtigkeit ein, und er nahm nur zu sich, was die äußerste Notdurft verlangte. Nie ward sein jungfräulicher, einer Lilie ähnlicher Leib verunreinigt, so dass er in Wahrheit ein Engel und eine Jungfrau genannt zu werden verdient.

3. Worte der heiligsten Jungfrau: Es gibt vier Gattungen von Menschen, die Mich grüßen. Die von der ersten legen ihren Willen und ihre Einsicht ganz in meine Hände, und was sie tun, das tun sie nur zu meiner Ehre. Ihr Gruß ist Mir darum wie ein süßester lieblicher Trank. Die von der zweiten Gattung fürchten sich vor der Strafe, und aus dieser Furcht enthalten sie sich von der Sünde. Diesen verleihe Ich, wenn sie in meinem Lobe beständig sind, die Minderung der bösen Furcht, die Mehrung der wahren Liebe und die Einsicht, Gott mit Vernunft und Weisheit zu lieben. Die von der dritten Gattung preisen Mich zwar sehr hoch; doch in keiner anderen Absicht und Neigung, als dass zeitliche Ehre und vergänglicher Vorteil ihnen daraus erwachse. Darum tue Ich an ihnen, wie ein Herr, der für ein Geschenk dem Geber eine Gabe gleichen Wertes zurücksendet: Ich gebe ihnen, was sie begehren, und lohne sie auf Erden, d. i. mit zeitlichen Gütern, die allein sie suchen und sich mehr als anderes wünschen. Die von der vierten Gattung stellen sich, als wären sie fromm; lieben aber die Sünde, die sie heimlich begehen, wie sie können, um nicht von den Menschen gesehen zu werden, indem sie denken: Maria ist gütig und erlangt uns Vergebung, sobald wir zu ihr rufen. Aber ihr Rufen gefällt Mir so wenig als ein versilbertes, mit übelst riechendem Schmutz gefülltes Gefäß, dessen Ausdünstung niemand zu ertragen vermag. Solche Gefäße sind manche durch ihre bösesten Gewohnheitssünden.

4. (Revelationes 6. c. 42) Von erster Jugend an hatte Ich beständig die Ehre meines Sohnes vor Augen und war allezeit darauf bedacht, wie Ich Ihm gefallen möchte. Wiewohl nun die Ehre aus eigenem Munde weniger ehrenhaft erscheint, so rede Ich doch nicht nach Art der Menschen, die ihre eigene Ehre suchen, sondern Ich rede zur Ehre meines Sohnes, meines Herrn und Gottes, der so wunderbar als die Sonne der Gerechtigkeit mit dem menschlichen Fleisch sich bekleidet und sein nicht verzehrendes, sondern entflammendes Feuer in meinem reinsten Schoß eingeschlossen hat, um als die würdigste, lieblichste Frucht makellos aus ihm aufzusprossen. Hochgelobt seist Du, mein Sohn! Ich bin die Mutter, welche bei Gott Erhörung findet, wenn sie für die Schuldigen und Unvermögenden um Barmherzigkeit bittet. Und so bitte Ich für meine Tochter, deine Braut, deren Seele Du mit deinem Blut erkauft, mit deiner Liebe erleuchtet, durch deine Gütigkeit erweckt und durch deine Barmherzigkeit Dir erwählt hast.

5. Ich bitte Dich, meinen Sohn, für sie um eine dreifache Gabe: um das kostbare Gewand, in welches sie als Tochter und Braut des Königs der Könige sich zu kleiden hat; denn eine königliche Braut ohne königliches Gewand ist nicht geachtet; und wird sie als Unwürdige erfunden, so trifft sie Schande. Darum reiche ihr nicht ein irdisches, sondern ein himmlisches Gewand, das nicht äußerlich schimmert, wie ein Geschmeide von Erz, sondern innerlich glänzt durch die Liebe und Keuschheit. Bekleide sie mit dem Gewande der Tugenden, auf dass sie nicht um Äußerlichkeiten zu betteln, sondern innerlichen Überfluss habe, so dass sie auch für andere durch ihr Gewand zur Erleuchtung werde.

Fürs zweite reiche ihr die süßeste Speise, damit sie, die an gröbere Nahrung bisher gewohnt war, sich nun an deine Speise gewöhne. Denn die Speise, welche Du gibst, kann zwar berührt, aber nicht gesehen; gehalten, aber nicht empfunden werden. Sie nährt, aber die leiblichen Sinne kosten sie nicht; sie geht in den Genießenden ein, und ist doch allgegenwärtig. Das ist dein heiligster Leib, dessen Vorbild das gebratene Osterlamm, dessen Erfüllung deine Menschheit ist, welche Du wunderbar aus Mir angenommen. Deine Gottheit zugleich mit deiner Menschheit offenbart täglich, welche glückselige Erfüllung das Vorbild des Lammes gefunden hat. Um diese Speise bitte Ich für deine Braut; denn ohne sie muss sie wie der Säugling ohne Muttermilch verschmachten; ohne sie ist sie kraftlos und unvermögend; mit ihr und durch sie aber erstarkt sie zu jeder Tugend, wie ein Kranker durch gute Arznei wieder zu Kräften gelangt.

Drittens verleihe ihr das Feuer des Heiligen Geistes, das, einmal in ihr entzündet, nie mehr erlöschen soll. Dieses Feuer lässt sie die irdischen Dinge verachten und auf die unsichtbaren, künftigen hoffen. Diesen Geist, mein Sohn, tue ihr verleihen.

6. Deine Worte, geliebteste Mutter, sind Mir süß; wer aber nach hohen Dingen begehrt, der muss vor allem Starkmut und Demut üben. Er muss beharrlich die Demut üben, durch welche allein das Hohe erlangt werden kann. Er hat beständig zu gedenken, dass er jede gute Gabe aus Gnade empfängt, nicht aber als hätte er sie verdient.

Er hat ferner dem Geber aller Gnaden den schuldigen Dienst zu leisten. Er muss endlich mit der Furcht Gottes erfüllt sein, auf dass er die empfangene Gnade nicht wieder verliere. Die beharrliche Übung dieser drei Stücke sichert die Erlangung und den Besitz jener Gaben, um welche Du Mich für deine Tochter gebeten hast. Es hilft nichts, eine Gabe erlangt zu haben, wenn der Empfänger sie wieder verloren gehen lässt. Das verursacht einen viel peinlicheren Schmerz, wenn das Empfangene wieder verloren wird, als wenn es niemals verliehen und in Besitz genommen worden wäre.

7. Maria bittet ihren Sohn: Hochgelobt seist Du, mein Sohn. Du bist der Anfang ohne Anfang der Zeit, Du bist die Macht, ohne welche keiner mächtig. Ich bitte Dich, mein Sohn, dass mächtig vollendet werde, was Du weise begonnen hast. Du bist Mir, erwidert der Sohn, wie ein süßer Trank für den Dürstenden und wie ein kühler Quell für den Verschmachtenden; denn durch Dich fließt meine Gnade an alle. Darum will Ich tun, um was Du bittest.

8. (Revelationes 4. c. 32) Wenn ein auch noch so großer Sünder mit Aufrichtigkeit in seinem Herzen spricht, dass er meinen Sohn, den Schöpfer und Erlöser der Welt, über alles lieben und sich Ihm schenken wolle, so bin Ich sogleich bereit, zu ihm wie eine liebreichste Mutter zu ihrem Kind zu kommen, ihn zu stärken und zu ermutigen. Und hätte er auch die tiefste Hölle verdient, wäre aber entschlossen, die Ehre der Welt zu verachten, die Begierlichkeit und die Lust des Fleisches, welche die heilige Kirche so sehr verabscheut, zu fliehen und nur so viel zu begehren, als er für seinen Lebensunterhalt bedarf, dann würde er mit Mir und Ich mit ihm gar bald in Eintracht sein.

9. Wer mein Lob in Wort und Lied verkündet, nicht um eigener Ehre oder eines Gewinnes willen, sondern einzig zur Verherrlichung meines Sohnes, Dem für seine Werke aller Ruhm gebührt, diesen werde Ich mit geistigen Gaben belohnen wie die Fürsten dieser Welt ihre Lobredner mit irdischen Gaben. So viel Noten in einem Lied über eine Silbe gesetzt werden, mit so vielen Kronen wird Gott im Himmel jede Silbe eines Lobliedes belohnen und sprechen: "Siehe es kommt mein Lobsänger, der nur allein für Gott, nicht für zeitlichen Gewinn seine Lieder verfasst hat."

10. (Revelationes 1. c. 8) Jedes Lob, das meinem Sohn gespendet wird, empfange auch Ich; und wer Ihm die Ehre raubt, der raubt sie auch Mir. Denn mit solcher Liebe liebe Ich Ihn und liebt Er Mich, dass Wir in Wahrheit nur Ein Herz sind. Auch hat Er Mich, die Erdgeborene, über alle Chöre seiner englischen Geister erhöht.

Willst du Mich also loben, so spreche: Hochgelobt seist Du, o Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, der in den Schoß der Jungfrau herabzusteigen sich gewürdigt hat!

Hochgelobt seist Du, o Gott, der Du in der Jungfrau Maria ohne Beschwerde für sie zu wohnen und dein unbeflecktes, sündeloses Fleisch von ihr anzunehmen Dich gewürdigt hast!

Hochgelobt seist Du, o Gott, der Du in den Schoß der Jungfrau zur höchsten Wonne der Seele und des Leibes gekommen und aus ihrem Schoß in der gleichen Wonne für sie bist geboren worden!

Hochgelobt seist Du, o Gott, der nach seiner Himmelfahrt die jungfräuliche Mutter Maria durch häufige Tröstungen erfreut und sie so oft zu ihrem Troste auf Erden heimgesucht hat!

Hochgelobt seist Du, o Gott, der den Leib und die Seele der jungfräulichen Mutter Maria in den Himmel aufgenommen und sie über alle Chöre der Engel zum Throne deiner Gottheit als Königin des Himmels erhöht hat! Erbarme Dich meiner um ihrer Fürbitten willen.

26. Die Demut der allerseligsten Jungfrau Maria

1. (Revelationes 1. c. 29. u. Revelationes 2. c. 23) Um meiner Demut willen bin Ich auf den höchsten Thron erhöht. Über Mir sind weder Sonne, noch Mond, noch Sterne, noch Wolken, sondern wunderbare, unaussprechliche Klarheit und Reinheit, die ausgeht von der höchsten Schönheit der Majestät Gottes. Unter Mir ist weder Erde noch Gestein, sondern der unvergängliche Friede und die Ruhe in der Stärke Gottes. Meine Umgebung sind die Chöre der Engel und die triumphierenden Heerscharen der heiligen Seelen. Und ist mein Thron auch sehr erhaben, so vernehme Ich doch die Bitten, die Seufzer und Tränen meiner treuen Diener auf Erden. Ich sehe ihre Mühsale, ihre Arbeiten und deren Früchte. Und darum werde Ich zu ihnen kommen, um sie an meinen Thron zu erhöhen, dessen Herrlichkeit weit genug ist, um alle aufzunehmen. Noch aber können sie nicht zu Mir gelangen und bei Mir wohnen; denn eine doppelte Mauer hält sie jetzt noch von Mir getrennt. Ich werde sie aber durch beide Mauern sicher hindurchgeleiten. Die erste Mauer ist die Welt mit ihrer Not; darum werden meine treuen Diener in der Welt von Mir getröstet. Die zweite Mauer ist der Tod; darum komme Ich als ihre geliebte Herrin und Mutter in der Todesstunde ihnen entgegen, damit sie selbst im Tode meiner Tröstung und Erquickung teilhaftig werden. Ich werde sie zu Mir in die Wohnungen der himmlischen Seligkeit erhöhen, auf dass sie in dem Arm der ewigen Liebe und der ewigen Herrlichkeit mit unendlichem Frohlocken ewige Ruhe besitzen.

2. Viele wundern sich, dass Ich zu dir rede. Ich tue es, um meine Demut zu offenbaren. Gleichwie das Herz über ein krankes Glied des Leibes nicht froh werden kann, bis es nicht wieder gesund geworden, und wie dann im Herzen um so größere Freude sich einstellt; so ist dasselbe auch bei Mir der Fall. Wie sehr krank, d. i. welch ein Sünder der Mensch auch sein mag, wenn er nur mit ganzem Herzen und mit wahrhafter Besserung zu Mir wiederum zurückkehrt, so bin Ich sogleich bereit, ihn aufzunehmen. Ich sehe nicht auf die Größe seiner Schuld, sondern auf seine Gesinnung und die Absicht, in welcher er wieder zu Mir kommt. Ich werde von allen die Mutter der Barmherzigkeit genannt. Ich bin sie in Wahrheit, die Barmherzigkeit meines Sohnes hat Mich dazu gemacht, und da Ich seine Barmherzigkeit kenne, bin Ich voll Mitleid. Darum ist ein Sünder sehr ungeschickt, der zu meiner Barmherzigkeit, obwohl er könnte, nicht seine Zuflucht nimmt.

Darum komm, meine Tochter, und birg dich unter meinem Mantel, der äußerlich zwar ganz unansehnlich, innerlich jedoch sehr nützlich ist. Er gibt Schutz gegen die stürmische Witterung, er hält die brennende Kälte ab und schützt gegen den Regen. Dieser Mantel ist meine Demut, welche bei den Weltkindern so gering geschätzt ist, dass es für eine arge Übertreibung angesehen wird, sie nachzuahmen. Denn was erscheint verächtlicher, als sich eine Törin nennen zu lassen, ohne zu zürnen oder mit gleichen Worten zu erwidern? Was wird mehr verabscheut, als auf allen Besitz zu verzichten und an allem Mangel zu leiden? Was ist für Weltkinder unerträglicher, als bei Widrigkeiten zu schweigen und sich selber für unwürdiger und geringer als alle zu halten? So war meine Demut; dies war meine Freude und mein einziges Verlangen, da Ich nur allein das Wohlgefallen meines Sohnes suchte.

Wer Mir in dieser Demut nachfolgt, erlangt drei Güter. Sie schützt ihn bei ungesunder und stürmischer Witterung, d. i. bei Verleumdung und Herabsetzung. Wie ein rauer, heftiger Wind von allen Seiten dem Menschen zusetzt und ihn frieren macht, so machen Schmähworte den Ungeduldigen, der nicht an die Ewigkeit denkt, leicht niedergeschlagen und sein Herz in der Liebe erkaltend. Wer aber meine Demut vor Augen hat, der solle erwägen, was alles Ich, als die Herrin der Welt, zu hören hatte, und der suche meine Ehre und nicht die seine. Er bedenke, dass menschliche Worte gleich Luftwellen sind, und er wird bald wieder ruhig und gefasst sein. Warum denn sind die Kinder der Welt bei Reden und Schmähungen gleich so ungeduldig? Nur deshalb, weil sie die eigene Ehre mehr suchen als die Ehre Gottes, weil sie keine Demut besitzen und ihr Auge die eigene Sündhaftigkeit nicht erkennen will. Gilt es gleich als ein Rechtsgrundsatz in der Welt, dass man grundlose Schmähworte nicht anzuhören und nicht zu ertragen brauche, so ist es doch eine Tugend und ein Verdienst, um Gottes willen mit Geduld solche Unannehmlichkeiten gehört und ertragen zu haben.

Fürs zweite ist die Demut ein Schutz gegen den erstarrenden Frost, d. i. gegen fleischliche Freundschaft. Es gibt eine Freundschaft, bei welcher nur um zeitlicher Vorteile willen der Nächste geliebt wird; wie dies bei solchen der Fall ist, die sprechen: "Speise du mich jetzt, und ich speise auch dich; denn ich kümmere mich nicht, wer nach dem Tod dich speisen wird. Ehre du mich, und ich ehre dich; denn daran liegt mir nichts, welche Ehre die Zukunft dir bringen mag!" Das ist eine kalte Freundschaft, ohne Wärme Gottes und hart wie festgefrorener Schnee, lieb- und mitleidlos gegen den dürftigen Nächsten; darum unfähig, einen Lohn zu empfangen. Trennen sich solche Tischgenossen nach aufgehobener Tafel, dann hat auch die Freundschaft samt ihrer Frucht und Wirkung ein Ende. Wer aber meine Demut nachzuahmen sucht, der ist um Gottes willen gegen alle, gegen Gleichgesinnte wie gegen Feinde, gütig und wohltätig. Gegen jene, weil sie standhaft Gott die Ehre geben; gegen letztere, weil sie Gottes Geschöpfe sind und sich noch zur Tugend bekehren können.

Drittens ist die Betrachtung meiner Demut ein Schirm bei Regengüssen und gegen verunreinigenden Niederschlag aus den Wolken, welche aus der Feuchtigkeit und den Erddünsten entstehen, wenn diese durch die Wärme aufsteigen und in den höheren Luftschichten sich verdichten und dann als Regen, als Hagel oder Schnee wieder niederfallen. Eine solche Wolke ist das Sinnbild des menschlichen Leibes, dessen Entstehung eine sehr unreine ist und der auch, wie eine Wolke, dreierlei mit sich führt: das Hören, das Sehen und das Empfinden. Aus dem Sehen kommt das Begehren nach sinnlichen Gütern, nach schönen Gestalten, nach großen Besitztümern, welch alles dem aus den Wolken strömenden Regenwasser gleich ist, weil es die Seele durch Begierlichkeit verunreinigt, durch zeitliche Sorgen beunruhigt, durch unnütze Gedanken zerstreut und durch Verlust des Erworbenen betrübt. Aus dem Hören aber kommt die eitle Begierde nach Ehre und nach der Freundschaft der Welt, also nach Dingen, welche den Sinnen schmeicheln, der Seele aber Schaden bringen. Ist aber dies nicht gleich dem schnell wieder schmelzenden Schnee, der die Seele gegen Gott kalt und für die Demut ganz unempfindlich macht?

Aus dem sinnlichen Empfinden aber entsteht das Verlangen nach Ergötzung und Bequemlichkeit, was gleich dem Hagel, dem gefrorenen Wasser der Unreinigkeit ist, wodurch die Seele unempfänglich für geistige, aber sehr geneigt für weltliche Dinge und weich für sinnliche Genüsse gemacht wird. Wer darum Schutz gegen diese Wolke begehrt, der fliehe zu meiner Demut und ahme sie nach; denn sie bewahrt ihn vor der Augenlust und Begierlichkeit; sie schützt ihn vor der Ehrbegierde und dem Gefallen an Schmeichelei und Lüge; sie hält ihn zurück von der Sinnenlust und dem Verderben der Unreinigkeit.

Ich wiederhole dir: die Betrachtung meiner Demut ist ein schützender und wärmender Mantel für alle, die ihn tragen, aber tragen nicht bloß in Gedanken, sondern auch in der Tat. Ein Mantel, der nicht getragen wird, kann auch nicht erwärmen; so nützt es dem Menschen zu nichts, an meine Demut nur zu denken, wenn er sich nicht bemüht, sie, so gut er kann, auch nachzuahmen. Bekleide dich darum meine Tochter, mit dieser meiner Demut, so gut du es vermagst. Die Weltkinder tragen Mäntel, die nach außen voll Eitelkeit, nach innen aber ohne wahren Nutzen sind. Vor einem solchen Gewand aber nimm dich in acht; denn so du nicht vor allem die Anhänglichkeit an die Welt in dir ertötest und beständig gedenkst, wie barmherzig Gott gegen dich und wie undankbar du gegen Ihn; wenn du nicht alle deine Handlungen und deine Absichten erforschst und welches Urteil denselben am Tag des Gerichtes gebührt, so kannst du den Mantel meiner Demut nicht anziehen.

Warum habe Ich so tief Mich erniedrigt oder wodurch so große Gnade verdient, wenn nicht dadurch, dass Ich stets daran dachte und überzeugt war, aus Mir selber nichts zu sein oder zu besitzen? Darum suchte Ich nie meine Ehre, sondern einzig die meines Schöpfers und Gebers. Fliehe also, meine Tochter, zum Mantel meiner Demut und erachte dich als die größte Sünderin. Denn siehst du auch einzelne Böse, so kennst du doch ihren morgigen Stand nicht, du weißt auch nicht, in welcher Meinung und mit welchem Bewusstsein sie dies tun, ob aus Schwachheit oder Gewohnheit. Darum sollst du dich niemandem vorziehen und niemanden in deinem Herzen richten.

27. Die Königin und Mutter der Barmherzigkeit

1. Ich gleiche einer Mutter, welche zwei Kinder hat, die aber, starr vor Kälte, weil in kaltem Haus wohnend, die Mutterbrust nicht erreichen können. Doch sind sie von der Mutter so geliebt, dass sie, wenn möglich, die Brust sich abschneiden wollte, um die Kinder zu ernähren.

So wahrhaft bin Ich die Mutter der Barmherzigkeit, die aller Elenden sich erbarmt, welche um Vergebung zu Mir flehen. Es sind meiner Kinder zwei. Das erste ist die Reue jener, welche gegen meinen Sohn gesündigt haben; das zweite ist der Vorsatz, sich zu bessern. Aber diese Kinder sind ganz erkaltet, da ihnen die Wärme der Liebe und das Verlangen, Gott zu gefallen, gänzlich mangelt. Auch das Haus ihrer Seele ist ganz ausgekühlt, weil ohne Feuer eines göttlichen Trostes; darum können sie meine Brust nicht empfangen. In meiner Barmherzigkeit aber wende Ich Mich zu meinem Sohn und flehe: "Mein Sohn, Lob und Ehre sei Dir für alle Liebe, die Du Mir erweist! Erbarme Dich meiner beiden Kinder, welche vor Kälte die Mutterbrust nicht empfangen können!" Und mein Sohn erwidert: "Geliebte Mutter, um Deinetwillen sende Ich einen Funken in ihr Haus, aus dem sich ein großes Feuer entzünden kann. Der Funke soll darum angefacht und genährt werden; damit wärme dann die Kinder, dass sie deine Brust empfangen können."

So kalt ist der, fuhr Maria fort, für welchen du, meine Tochter, betest. Wohl trägt er zu Mir eine besondere Verehrung, und obgleich in zahllose Sünden verwickelt, baut er doch noch immer auf meine Hilfe. Zu Mir hat er also einige Wärme der Liebe; zu meinem Sohn aber weder Liebe noch heilsame Furcht. Würde er nun in seinen bösen Werken aus der Welt abgerufen, so wäre die ewige Strafe sein Los. In meiner großen Barmherzigkeit aber habe Ich seiner nicht vergessen, und durch Mich hat er noch Hoffnung auf Rettung, sofern er selber gerettet sein will. Er hat jetzt Reue über die begangenen Sünden und den Vorsatz, sich zu bessern; aber seine Liebe und sein Eifer sind noch sehr kalt. Damit er also wieder erwärmt werde, um meine Brust zu empfangen, muss ein Funke in die Wohnung seiner Seele fallen, d. i. die Betrachtung des bitteren Leidens meines Sohnes. Das Andenken aber daran darf nie mehr aus seinem Herzen schwinden.

Er erwäge, was Er gelitten hat, Er, der Sohn Gottes und der Sohn der Jungfrau, eines Wesens mit dem Vater und dem Heiligen Geiste. Wie Er gefangen, geschlagen, angespien und grausam gegeißelt worden ist; wie die Geißeln bis auf die Gebeine drangen und das Fleisch mit sich herausrissen. Wie alle Nerven rissen, wie Er durchbohrt am Kreuz hing und mit lautem Schrei seinen Geist aufgab.

Facht er diesen Funken häufig an, dann wird er warm werden, und Ich werde ihm meine Brust, d. i. die zwei Tugenden reichen, die Ich besitze: die Furcht Gottes und den Gehorsam. Habe Ich gleich niemals eine Sünde begangen, so war Ich doch in steter Furcht, Gott durch kein Wort und keinen Schritt zu beleidigen. Diese Furcht ist die Milch, d. i. die Reue, die ich jenem Manne reichen will, für den du betest, auf dass er über seine Sünden zerknirscht werde und sich ernstlich fürchte, meinen Sohn Jesus Christus ferner zu beleidigen. Ich reiche ihm auch die Milch des Gehorsams, denn Ich bin es, die nie Gott ungehorsam war. So will Ich ihm, nachdem er in der Liebe meines Sohnes warm geworden, einen Gehorsam einflößen, der in allen Dingen willig folgen wird, die ihm befohlen werden.

2. (Revelationes 4. c. 86) Niemand ist ein so großer Sünder, noch mit so hässlichem Sündenschmutz behaftet, dass, wenn er Mich um Hilfe bittet, Ich ihm nicht zu Hilfe käme. Welches Geschäft ist niedriger, als einen Kopf vom Ausschlag reinigen? Ruft Mich aber einer an, so werde Ich ihm Hilfe leisten, damit er rein werde. Gibt es ein geringeres, schmutzigeres Werkzeug als jenes, mit dem ein Stall gereinigt wird? Doch werde Ich dem helfen, der Mich darum bittet. Was scheint endlich mehr verächtlich, als die Wunden eines Aussätzigen zu waschen? Wer immer aber zu Mir rufen wird: Ich werde Mich nicht weigern, ihn anzufassen, ihn zu salben und ihm die Wunden zu heilen.

3. (Revelationes 4. c. 86) Ich bin die Königin und Mutter der Barmherzigkeit. Mein Sohn, der Schöpfer Himmels und der Erde, liebt Mich mit solcher Gütigkeit, dass Er meinem Geist die klarste Erkenntnis aller seiner Kreaturen eingegossen hat. Darum bin Ich jener Blume sehr ähnlich, aus welcher die Bienen die meiste Süßigkeit gewinnen. Wie viele Süßigkeit auch aus ihr gezogen wird, so bleibt sie dennoch ungemindert. So vermag Ich allen Gnade mitzuteilen, ohne dass je meine Gnadenfülle sich mindert.

Meine Auserwählten aber, welche Mich mit ganzem Herzen zu ehren suchen, sind ähnlich den Bienen. Sie sind so emsig wie diese, indem sie nur darauf denken, meine Ehre zu befördern und mit größter Unverdrossenheit ihr Leben darnach einzurichten. Sie haben auch zwei Flügel wie die Bienen, indem sie sich für unwürdig erachten, Mich zu loben, und indem sie alles willig glauben und befolgen, was zu meiner größeren Ehre gereicht. Sie haben auch einen Stachel, den sie erst im Tod verlieren; denn es haben die Freunde Gottes die Trübsale dieser Welt bis zum Ende ihres Lebens zu erdulden; und damit sie in der Tugend bis zum Ende verharren, werden diese Stacheln erst im Tod von ihnen genommen. Ich aber verlasse sie nie und stärke sie mit überreicher Tröstung.

4, Worte der heiligsten Jungfrau: Hochgelobt seist Du, mein Sohn, mein Herr und Gott. Obwohl Ich eine Trauer nicht empfinden kann, so trage Ich doch mit dem Menschen Mitleid: fürs erste weil er Augen hat und nicht sieht. Er sieht seine Sklaverei und gewöhnt sich an sie. Er spottet über deine Gerechtigkeit und lacht mit vollem Mund seiner Begierlichkeit Zustimmung zu; in einem Augenblick fällt er in ewige Strafe und macht sich der ewigen seligsten Herrlichkeit verlustig.

Fürs zweite trage Ich Mitleid mit dem Menschen, weil er so sehr nach der Welt verlangt, und sie ihm so ergötzlich erscheint, während er deiner Barmherzigkeit nicht einmal gedenkt und nur das Vergängliche sucht und das, was das Höchste und Beste ist, von sich weist. Fürs dritte trage Ich Mitleid mit dem Menschen, weil er Dir, dem allmächtigen Gott, dem Herrn Himmels und der Erde die Ehre verweigert und weil deine Werke vor seinem Auge so viel sind, als wären sie nie geschehen. Darum wolle Du, mein hochgelobter Sohn, Dich ihrer erbarmen!

5. Worte des Sohnes: Alle, die in der Welt leben und Gewissen haben, sehen wohl ein, dass es selbst auf der Welt eine Gerechtigkeit gibt, nach der die Schuldigen bestraft werden. Wenn also selbst von sterblichen Menschen nach Gerechtigkeit leibliche Übertretungen und leibliche Ausschreitungen mit zeitlichen Strafen gezüchtigt werden, um wie viel mehr fordert es die Gerechtigkeit, dass die unsterbliche Seele von Gott eine ihrer unsterblichen Natur geziemende, d. i. eine unsterbliche Strafe erhalte! Das könnte der Mensch, so er nur wollte, leicht einsehen und begreifen. Weil aber sein Auge nur auf die Welt, und sein ganzes Verlangen nur auf die sinnliche Lust gerichtet ist, darum liebt er, wie die Nachteule die Nacht, nur die flüchtigen Güter und verschmäht die ewig dauernden.

Zweitens könnte der Mensch gar leicht, so er nur wollte, aus der Betrachtung der Schönheit der Geschöpfe, der Blumen, der Bäume, der Blüten auf die Schönheit und Güte ihres Herrn und Schöpfers schließen, und wie dieser unendlich begehrungswürdiger ist als alles, was die Welt zu bieten vermag. Und wenn diese irdische, kurze, schnell vergängliche Herrlichkeit so begierig gesucht und geliebt wird, um wie viel mehr sollte nach der ewigen, unvergänglichen Herrlichkeit begehrt werden? Das könnte der Mensch, so er nur wollte, leicht einsehen; denn so viel vermag ein jeder ohne Mühe zu begreifen, dass das Höhere und Edlere größere Liebe verdient als das Niedrige und Unedle; weil aber der Mensch, wie die Tiere, nur nach unten blickt, obwohl ihm ein Auge gegeben ist, um nach oben zu schauen, darum webt er sich ein Netz wie die Spinne. Von der Schönheit der Engel wendet er sein Auge ab und liebt und sucht nur das Vergängliche, dem er sich selber so gleichförmig macht, dass er wie die Blume des Grases kurze Zeit blüht und rasch verdorrt.

Fürs dritte sagt jedem Menschen sein Gewissen ebenso deutlich wie die Betrachtung der Geschöpfe, dass einer der Herr und Erschaffer des Weltalls ist. Wäre nicht ein allmächtiger Herr und Schöpfer, so müsste alles in Unordnung sich auflösen und in derselben Verwirrung sein, wie alles, was der Unverstand des Menschen in Verwirrung bringt. Der Mensch aber, dem der Lauf der Planeten und der Zeiten verborgen ist und der in seiner verschuldeten Blindheit die Gerichte Gottes nicht zu erkennen vermag, verschließt sich gegen diese so einleuchtende Wahrheit.

Wenn also nur ein Gott ist und dieser eine Gott das höchste Gut, von dem alles Gute kommt, warum ehrt Ihn der Mensch nicht vor allem und über alles, da ihm doch das Licht seiner Vernunft schon gebietet, dass er den Herrn und Schöpfer aller Dinge über alles zu ehren habe? Du hast es schon gesagt: weil er zwar ein Auge hat, aber nicht sehen will. Ja er selber verschließt sich mit Absicht sein Auge durch die Gotteslästerung, mit welcher er es den Gestirnen zuschreibt, dass die einen gut, die anderen schlecht sind, oder Glück und Unglück dem Walten einer blinden Notwendigkeit, ohne zu bedenken, was die Folgen der eigenen Werke des Menschen sind, und wie fest in der ewigen Voraussicht Gott alles geordnet und in der Zeit jedem einzelnen nach Weisheit und Bedürfnis zugewendet wird.

6. Worte der Mutter: Jeder Mensch mit gutem Gewissen erkennt leicht, wie Gott über alles zu lieben ist, und er liebt Gott auch in der Tat. Weil aber über das Auge so vieler sich eine Hornhaut gelegt hat, obwohl die Pupille noch gesund ist, darum können sie nicht mehr sehen. Diese Hornhaut ist nichts anderes als die den Verstand so vieler verdunkelnde Nichtbeachtung des Zukünftigen. Darum bitte Ich Dich, geliebtester Sohn, die Art und Weise deiner Gerechtigkeit an ihnen zu offenbaren, nicht damit ihre Schande und ihr Elend noch größer, sondern die von ihnen wohlverdiente Strafe gelinder und deine Gerechtigkeit erkannt und gefürchtet werde. Wie könnte einer wissen, womit ein Sack angefüllt sei, würde sein Inhalt nicht offen ausgeleert werden? So würde auch deine Gerechtigkeit, wie groß sie ist, nur von wenigen mehr gefürchtet werden, wenn Du sie nicht durch ein Gericht offenkundig machst; denn durch die Länge der Zeit und durch die Menge der Sünden sind deine Wunder wie in Vergessenheit geraten.

Fürs zweite bitte Ich Dich, dass Du durch einen deiner Lieblinge deine Barmherzigkeit offenbaren wollest zur Erbauung der anderen und zur Tröstung der Betrübten. Endlich bitte Ich Dich, dass deinem Namen die Ehre gegeben werde, auf dass deine Getreuen erkannt und die Lauen wieder entzündet werden.

7. Worte des Sohnes: Wo viele Freunde sich verwenden und flehen, ist es angemessen, dass sie Erhörung finden, und dies um so mehr, da sich die dem Herrn teuerste Herrin verwendet und bittet. Es geschehe, was Du willst. Meine Gerechtigkeit wird mit solcher Deutlichkeit sich offenbaren, dass, wer sie erfahren soll, sie empfinden wird, indem seine Werke ans Tageslicht kommen und alle seine Glieder erzittern werden. Einer Seele aber werde Ich meine Barmherzigkeit so reichlich erzeigen, als sie zu fassen vermag und bedarf. Und damit meine Barmherzigkeit offenbar werde, wird ihr Leib erhöht und ihre Seele verherrlicht werden.

8. (Revelationes 8. c. 47) Worte der heiligsten Jungfrau: Ich bin ein volles und überfließendes Gefäß; denn gleichwie ein unter den Gießbach gestelltes Gefäß voll Wasser ist und voll bleibt, wie viel Wasser auch daraus abfließen mag, weil der Bach ohne Aufhören in das Gefäß sich ergießt, so wurde auch meine Seele im Augenblick ihrer Erschaffung und Vereinigung mit dem Leib voll Gnade durch den sie überströmenden Gießbach des Heiligen Geistes, dessen Überfülle meine Seele nie mehr entbehrte. Wer immer darum in Demut und mit reinem Herzen zu Mir kommt, wird Hilfe vom Heiligen Geist empfangen. Und darum kann Ich mit gutem Recht ein volles Gefäß genannt werden.

In dem Erguss dieses Gießbaches kam der Sohn Gottes in meinen Schoß, nahm von Mir Fleisch und Blut an und blieb in Mir wohnen, bis Er aus Mir geboren wurde auf solche Weise, wie es Gott gebührte, geboren zu werden. Er ward geboren, Er kam auf meine Arme, die Engel frohlockten und verkündeten Frieden auf Erden.

Am Ende fiel mein Sohn in bitterste Todespein, da sein Fleisch von den Geißelstreichen zerrissen, seine Gebeine von den Nägeln durchschlagen wurden, sein Herz brach und seine Glieder erstarrten. Dieser Todesfall aber war von solcher Mächtigkeit, dass durch ihn die Gewalt des Teufels gebrochen und die Pforte des Himmels geöffnet wurde. Ich vergleiche das Leiden meines Sohnes mit dem Rollen des Donners, das aus der Ferne sich vernehmen lässt, ehe der letzte Schlag erfolgt. So ward das Leiden meines Sohnes lange vorher durch den Mund der Propheten verkündet, ehe Er auf Erden erschien. Bei seinem Tod aber erfolgte das gewaltigste Rollen und der mächtigste Donnerschlag, der lange nach der Passion noch hallte, gehört und gepredigt wurde und für den viele mit Freudigkeit ihr Leben dahin gaben. Jetzt aber ist mein Sohn vergessen und verachtet, und nur wenige gedenken seines Todes noch in Liebe.

Damit das Andenken an das Leiden meines Sohnes aber wieder erneuert werde, darum werden auf übernatürliche Weise dir (Birgitta) diese Worte Gottes gegeben, auf dass sie durch die ganze Welt dringen. Es ist dir vieles gesagt worden, was nicht sofort in Erfüllung gehen wird; es müssen aber diese Worte bis zu der von Gott vorherbestimmten Zeit bewahrt werden. Sehr vieles hatte Gott auch dem Moses gezeigt, was nicht zu derselben Stunde in Erfüllung ging. Auch David war lange Zeit zuvor als der König geoffenbart worden, ehe er auf den Thron und zur Macht gelangte; darum mögen die Freunde Gottes in Geduld warten und nicht säumig werden, zu wirken.

9. Wenn Ich sage, dass Ich, die Königin des Himmels, zu einer Seele komme und sie heimsuche, so verstehe Ich darunter das Eingehen des Heiligen Geistes in das Herz des Menschen; denn wo der Geist Gottes seine Einkehr nimmt, da ist der Vater und der Sohn mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Und so unmöglich es ist, dass die drei Personen der Heiligsten Dreieinigkeit sich trennen, so unmöglich ist es im Gesetz der Gnade, dass Ich, als die Mutter Gottes, von Gott getrennt sei. Ich trug den Sohn Gottes mit seiner Gottheit und Menschheit in Mir; und darum trägt Mich Gott der Vater durch seine Gottheit, und das Band unserer Liebe ist der Heilige Geist, der im Vater und im Sohn und der auch in Mir ist, und nie vermögen Wir geschieden zu werden. Darum also empfängt eine Seele, die Ich heimsuche, von Gott im Herzen Zerknirschung, in den Augen aber geistige Tränen, welche nur die Gnade Gottes dem Menschen zu verleihen vermag.

10. (Extrav. c. 86) Worte der heiligsten Jungfrau: O wie kurz ist die Freude des Lachens, auf welches unfehlbar das Weinen folgt. So ist das Lachen der Weltmenschen, auf welches nur Schmerz und Pein folgen und dessen Lustigkeit beim Brechen des Herzens in Wehklage verwandelt wird. Ist es schon auf Erden eine gefährliche Verblendung, sich nicht um die Aussöhnung mit dem Richter zu kümmern, bevor das Schwert das Haupt vom Leib trennt, so ist die Gefahr noch ungleich größer, wenn der Mensch nicht daran denkt, mit der Gerechtigkeit Gottes versöhnt zu werden, bevor der Tod die Seele vom Leibe scheidet.

11. (Extrav. c. 87) Unter den Menschen ist es Sitte, dass ein Bittender dem Geber ein reines Gefäß darreiche, um seine Gabe hineinzulegen. Wäre aber der Bittende zu träge, um sein Gefäß offen und rein zu halten, und würde er nicht einmal die Absicht haben, dasselbe von dem argen Schmutz zu säubern, so würde niemand sich bemühen, dem Unwürdigen ein Geschenk oder gar etwas Kostbares hineinzugeben. Ebenso ist es im Geistigen. Fasst der Wille nicht den festen Vorsatz, die Stunde zu meiden, dann wäre es gegen die Gerechtigkeit, ihm den Becher des Heiligen Geistes zu reichen. Und wohnt im Herzen nicht das ernste Verlangen nach Besserung, dann darf in dasselbe die Speise des Heiligen Geistes nicht hineingegeben werden, mag es das Herz eines Königs oder eines Kaisers oder eines Priesters, eines Armen oder eines Reichen sein.

12. (c. 89) Worte der heiligsten Jungfrau an Birgitta: Ich habe dir, meine Tochter, verschiedene Waffen und Werkzeuge gezeigt, welche ebenso geeignet sind, um alle Gefahren abzuwehren, wie um Schuldige streng zu bestrafen. Allen, welche meinen Sohn fürchten und lieben und den Angriffen des Versuchers standhaft widerstehen, komme Ich mit Werkzeugen und Waffen zu Hilfe, wie solche zu ihrem Schutz und ihrer Verteidigung erforderlich sind. Diese Freunde meines Sohnes befinden sich wie in einem befestigten Lager, wo sie Tag für Tag gegen die Angriffe der bösen Geister sich zu wehren haben und wo Ich ihnen mit meinen Waffen zu Hilfe komme. Will der Feind den Wall untergraben und zum Einsturz bringen, dann stelle Ich meine Stützen darunter; will er auf Leitern die Mauern erklimmen, dann stoße Ich ihn mit Gabeln hinunter; will er die Mauern durchschlagen, dann stelle Ich sie mit meiner Kelle wieder her und fülle die Öffnungen aus. Auf solche Weise komme Ich mit meinen Verteidigungswaffen allen zu Hilfe, welche entschlossen sind, mit meinem Sohn sich wieder auszusöhnen und nie mehr wissentlich gegen Ihn zu sündigen. Habe Ich dir gleich nur drei Werkzeuge genannt, so sind es doch unzählige, mit denen Ich meinen Freunden helfe und sie verteidige.

Auch von den Strafwerkzeugen will Ich dir drei namentlich anführen. Das erste ist mein Schwert, dessen Schärfe viel größer als die eines Richtschwertes.

Das zweite ist ein Strick. Das dritte ein Holzstoß, um jene zu verbrennen, welche durch den schlechten Willen, es bis zum letzten Augenblick des Lebens mit der Sünde zu halten, sich selbst schon vor dem Tod zu den ewigen Strafen verdammt haben. Wenn nämlich ein Mensch die Gesinnung und Absicht hat, bis ans Ende gegen Gott zu sündigen und nicht früher aufzuhören, als bis er nicht mehr fähig ist zu sündigen, dann muss er von der Gerechtigkeit Gottes zur ewigen Strafe verurteilt werden. Und gleichwie es auf Erden verschiedene Todesstrafen für die Verurteilten gibt, je nach der Größe und Gattung ihrer todeswürdigen Verbrechen, so gibt es auch verschiedenartige Sündenstrafen für die Verdammten in der Hölle. Wenn darum ein Mensch die Absicht hat, zu sündigen, solange er lebt, dann ist es angemessen und recht, dass der Teufel alle Gewalt über seinen Leib und seine Seele erlange. Und wie man das Fleisch von den Knochen schneidet, so würde dem Teufel das Recht zustehen, Leib und Seele eines solchen Sünders auf so schmerzhafte Weise voneinander zu trennen, als wenn mit einem stumpfen Kiesel das Fleisch von den Gebeinen abgeschabt würde, solange der arme Körper ein solches Übermaß von Peinen auszuhalten vermöchte.

Doch halte für gewiss, dass, wenn auch ein Sünder wegen der Größe seiner Verbrechen mit Leib und Seele der Gewalt des Teufels von Gott überlassen worden wäre, doch die Gnade der Reue, solange er noch am Leben und seiner Sinne mächtig ist, ihm nicht entzogen wird.

Jenen aber, welche nicht bereuen wollen, verkürzt mein Schwert die leiblichen Peinen, bevor sie sterben, damit der Teufel nicht schon im Leben über den Leib die gleiche Gewalt bekomme, wie er sie in der Hölle über ihn hat; denn der Teufel durchschneidet eine Seele, die im ewigen Tod lebt, mit seinem Schwert ebenso schmerzhaft, wie wenn ein Mensch seinem Feind auf Erden den Hals mit einer Säge, statt mit einem Schwert durchschneiden würde.

Der Strick bedeutet den Schmerz, welchen die Seele eines Verdammten nach dem Tod empfindet. Der Schmerz in der Hölle ist um so größer, je länger das Leben in der Welt gedauert hat. Und darum wünscht der Teufel, dass ein Mensch, welcher so lange sündigen will, als er lebt, recht lange am Leben bleibe, um ihn nach dem Tod um so mehr peinigen zu können. Darum zerreißt meine Barmherzigkeit den Strick, oder sie verkürzt das Leben des elenden Fleisches gegen den Willen des Teufels, damit seine Pein nach gerechtem Urteilsspruch nicht so schrecklich werde, wie der Teufel begehrt. Der Teufel facht in den Herzen seiner in den Lüsten der Welt lebenden Diener das Feuer immerdar an; und ihr ganzes Verlangen ist auf die Befriedigung ihrer Leidenschaften gerichtet, wenn ihnen gleich ihr Gewissen sagt, dass sie sich wider Gott versündigen. Es liegt ihnen nichts daran, Gott zu beleidigen; und so erhält der Teufel das Recht, ihnen das höllische Feuer ebenso oft anzufachen und seine Peinen für sie zu erhöhen, als sie von ihm in der Welt mit dem Feuer ihrer schändlichen Leidenschaften sich hatten entzünden lassen.

28. Worte der seligsten Jungfrau über die vollkommene Liebe Gottes (Revelationes 3. c. 28)

Meine Tochter, liebst du Mich? O lehre mich, meine Herrin, versetzt die Tochter, Dich zu lieben; denn mein Herz ist durch falsche Liebe verunreinigt, durch tödliches Gift verdorben, dass es die wahre Liebe nicht zu fassen vermag. Ich will dich, antwortet die Mutter, belehren. Es sind vier Städte, in welchen sich vier Arten der Liebe finden, sofern sie den Namen Liebe verdienen; denn nur jene kann in Wahrheit Liebe genannt werden, wo Gott und die Seele in der wahren Einheit der Tugenden verbunden sind.

Die erste Stadt ist die der Prüfung, d. i. die Welt, in welche der Mensch gesetzt ist, damit er erprobt werde, ob er Gott liebe, oder nicht; damit er seine Schwachheit erfahre und die Tugenden sich erwerbe, durch welche er zur Herrlichkeit gelangen kann, endlich dass er hienieden geläutert werde, um mit einer um so schöneren Krone im Himmel geschmückt zu werden. In der Stadt der Welt findet sich die ungeordnete Liebe, wenn das Fleisch mehr als die Seele geliebt, das Zeitliche eifriger als das Geistige gesucht, das Laster geehrt, die Tugend aber verachtet wird; wenn die Wanderschaft süßer erscheint als die wahre Heimat, wenn das sterbliche Menschenkind mehr gefürchtet und geehrt wird als der in Ewigkeit herrschende Gott.

Die zweite Stadt ist die der Reinigung, in welcher die Seelen von ihrem Schmutz rein gewaschen werden. Es gefiel Gott, solche Orte anzuordnen, in welchen der, welcher gekrönt werden soll, gereinigt werde, da er, solange er sich in der Freiheit befand, stolz und saumselig, doch nicht ohne Furcht Gottes dahinlebte. In dieser Stadt findet sich eine unvollkommene Liebe, weil Gott geliebt wird in der Hoffnung, aus der Gefangenschaft befreit zu werden, nicht aber aus der reinen Glut einer feurigen Liebe, und weil Er ersehnt wird aus der Scheu und dem bitteren Schmerz, welchen die Abbüßung der Schuld den Armen Seelen verur sacht.

Die dritte Stadt ist die der Pein, d. i. die Hölle. Hier ist die Liebe zu aller Bosheit und Unreinigkeit, zu Neid und Verhärtung. Auch in dieser Stadt herrscht Gott durch die Ordnung seiner Gerechtigkeit, durch das von Ihm bestimmte Maß der Strafen, durch die Zügelung der Bosheit und durch die genaue Abwägung dessen, was jeder verschuldet hat. Denn wie von den Verdammten der eine mehr, der andere weniger gesündigt hat, so sind auch für die jedem dafür gebührenden Strafen bestimmte Grenzen gesetzt. Sind auch alle Verdammten ohne Ausnahme in die Finsternisse eingeschlossen, so doch nicht alle auf ganz gleiche Weise. Es sind Unterschiede zwischen Finsternis und Finsternis zwischen Schrecken und Schrecken, zwischen Brand und Brand. Aller Orten trifft Gott nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit seine Ordnung, auch in der Hölle, so dass anders bestraft werden die vorsätzlichen, gewerbsmäßigen Sünder, anders jene, die mehr aus Gebrechlichkeit gesündigt haben, anders jene, die nur mit der Schuld der Erbsünde behaftet sind. Die Pein dieser besteht zwar in der Entbehrung der Anschauung Gottes und des Lichtes der Auserwählten; doch sind sie der Barmherzigkeit und der Freude insoweit teilhaftig, dass sie nicht an den Ort der Strafen gelangen, da sie nicht durch die Tat böse Werke gewirkt haben. Würde Gott nicht nach Zahl und Maß seine Ordnung treffen, so würde der Teufel nie ein Maß finden, die Verdammten zu peinigen.

Die vierte Stadt ist das himmlische Jerusalem. Hier ist die vollkommene Liebe, die geordnete Liebe, welche nichts anderes begehrt, als Gott allein und um Gottes willen. Um zur Vollkommenheit dieser Stadt zu gelangen, ist eine vierfache Liebe notwendig: eine geordnete, eine reine, eine wahre, eine vollkommene. Geordnet ist die Liebe, wenn das Fleisch nur so weit geliebt wird, als zu seiner Erhaltung notwendig ist, die Welt ohne jedes Übermaß, der Nächste um Gottes willen, ein Freund um der Reinheit seines Wandels, der Feind um des ewigen Lohnes willen. Rein ist die Liebe, wenn nicht das Laster zugleich mit der Tugend geliebt, der gefährliche Umgang gemieden, die Sünde nicht für leicht genommen wird. Wahr ist die Liebe, wenn Gott aus allen Kräften und mit ganzem Herzen geliebt wird, wenn seine Ehre und die Furcht Gottes die Absicht und der Beweggrund aller Handlungen ist, wenn im Vertrauen auf die Werke auch nicht die geringste Sünde begangen wird, wenn ein jeder gegen sich eine so weise Mäßigung zu üben sucht, dass er einem zu großen Eifer nicht erliegt, noch aus Kleinmut und Unkenntnis der Versuchungen in Sünde fällt. Vollkommen aber ist die Liebe, wenn dem Menschen nichts so süß ist wie Gott. Diese vollkommene Liebe nimmt hienieden ihren Anfang, im Himmel aber wird sie vollendet.

Darum strebe nach dieser vollkommenen, dieser wahren Liebe, weil jeder, der sie nicht besitzt, im Fegfeuer gereinigt werden muss, sofern er nämlich den wahren katholischen Glauben, den Eifer, die Einfalt eines Kindes besitzt und getauft ist; denn sonst kommt er an den Ort des Schreckens. Wie ein Gott ist, so ist auch ein Glaube in der Kirche Petri, eine Taufe, eine vollkommene Herrlichkeit und eine Vergeltung. Wer also zu dem einen Gott gelangen will, muss den einen Willen und die eine Liebe mit dem einen Gott besitzen. Unselig darum jene, welche sprechen: Ich bin zufrieden, wenn ich im Himmel der geringste bin; ich will nicht vollkommen sein. O unsinniger Gedanke! Wie soll im Himmel ein Unvollkommener sein, wo alle vollkommen sind: die einen durch die Unschuld ihres Lebens, die anderen durch die Unschuld ihrer Kindheit, wieder andere durch ihre Läuterung im Fegfeuer, andere durch ihren Glauben und ihren guten Willen!

2. (Revelationes 4. c. 109) Maria spricht: Wenn dem Herrn Nüsse zum Geschenk gebracht werden und es finden sich leere darunter, so müssen diese, um annehmbar zu sein, vollgemacht werden. Ebenso verhält es sich mit den geistigen Werken. Manche verrichten gute Werke, durch welche sie ihre Schuld verringern und der Hölle entgehen. Doch bevor sie anfingen, gute Werke zu vollbringen, und auch in der Zeit, da sie mit solchen sich befassten, finden sich gar viele taube Nüsse, d. i. im Nichtstun verlorene Stunden, die alle wieder vollgemacht werden müssen, sofern sie noch Zeit zur Arbeit finden. Wenn nicht, so können Reue, Buße und Liebe alles ergänzen. So brachte Maria Magdalena Gott Nüsse, d. i. gute Werke, dar, unter welchen auch taube Nüsse sich befanden, weil sie lange Zeit in Sünden gelebt hatte; doch alle verlorenen Stunden machte sie durch die gute Verwendung ihrer weiteren Lebenszeit, durch Geduld und Bußwerke wieder gut. Johannes der Täufer brachte Gott nur volle Nüsse dar; denn von erster Kindheit an diente er Gott und weihte Gott die ganze Lebenszeit. Die Apostel aber brachten Gott Nüsse dar, die nicht alle ganz voll waren; denn vor ihrer Berufung hatten sie Zeiten, die an Vollkommenheit ihrem späteren Wirken nicht gleichkamen. Ich aber, die Mutter Gottes, brachte ganz volle und süßere Nüsse als Honig Gott dar, da Ich vom ersten Augenblick meines Lebens an mit Gnade erfüllt und in der Gnade befestigt war.

Ich sage dir also, dass, wenn auch dem Menschen seine Schuld nachgelassen ist, er doch die leeren, d. i. die verlorenen Stunden, solange er Zeit hat, durch Geduld und Liebeswerke wieder voll machen muss.

3. (Revelationes 4. c. 85) Worte Jesu Christi: Ein Buch mit zwei Blättern liegt aufgeschlagen vor Mir. Auf einem Blatt steht "Misericordia" geschrieben, auf dem anderen "Justitia". Wer Reue über seine Sünden empfindet und den festen Vorsatz hat, sie nicht mehr zu begehen, dem sagt meine Barmherzigkeit, dass mein Geist ihn an eifern werde, um gute Werke zu vollbringen. Wer aber bereit ist, sich von allen Eitelkeiten dieser Welt loszumachen, den wird mein Geist feurig und stark dazu machen. Wer endlich bereit ist, selbst den Tod für Mich zu leiden, den wird mein Geist also entflammen, dass er ganz in Mir ist und Ich ganz in ihm.

Auf dem zweiten Blatt steht Justitia, welche besagt: Wer sich nicht bekehrt, solange er noch Zeit dazu hat, und wer mit Wissen sich von Gott ferne hält, den wird der Vater nicht beschirmen, dem wird der Sohn nicht gnädig und der Heilige Geist nicht zur Erleuchtung sein.

Darum erwäge, solange du Zeit hast, mit Eifer das Blatt der Barmherzigkeit; denn jeder, der gerettet werden soll, muss entweder im Wasser oder im Feuer gereinigt werden, d. h. er muss entweder in diesem Leben sich mit den Tränen der Buße waschen oder in dem künftigen Leben durch das Fegfeuer gereinigt werden, bis er ganz rein ist.

4. Der Stand der Ehe, die nach meiner Ordnung geführt wird, ist Mir wohlgefällig. Moses, der Führer meines Volkes, besaß mein Wohlgefallen, obwohl er verehelicht war. Auch Petrus wurde zum Apostelamt berufen, da seine Frau noch am Leben war, und war Mir wohlgefällig; denn vom Leichteren muss man aufsteigen zum Vollkommeneren; wie auch das fleischlich gesinnte Volk durch Zeichen und Wunder befähigt werden musste, um das Geistige zu fassen.

Auch Judith fand durch ihre Witwenschaft und ihre Tugend als Witwe Gnade in meinen Augen und verdiente durch ihre Enthaltsamkeit die Rettung des Volkes.

Johannes aber, dessen Schutz Ich meine Mutter anvertraute, missfiel Mir nicht, weil er enthaltsam war, vielmehr gefiel er Mir aufs höchste, weil das vollkommenste Leben im Fleisch darin besteht, nicht fleischlich, sondern engelgleich zu leben. Darum verdiente er, der Hüter der Jungfrau der Jungfrauen zu sein, und ihm habe Ich noch andere ausgezeichnete Beweise meiner Liebe gegeben.

5. (Revelationes 6. c. 20) Wie ein Baum viele Äste hat, und wie die Äste, je höher sie sind, um so mehr Wärme und Luft empfangen, so ist es mit den Tugenden. Die Liebe gleicht dem Stamm, aus dem alle anderen Tugenden herauswachsen. Den höchsten Rang unter den Tugenden nimmt der Gehorsam ein, für welchen das Kreuz zu tragen und den Tod zu leiden Ich als Gott selber kein Bedenken gehabt habe. Darum ist Mir der Gehorsam als eine süße Frucht sehr wohlgefällig; und wie der Friede das willkommenste, so ist jener Mensch Mir der liebste, der aus Demut sich anderen unterwirft und seinen Willen vollkommen in die Hände anderer legt.

Der Gehorsam ist eine Tugend, durch welche das Unvollkommene vollkommen und alle Versäumnisse wiedergutgemacht werden. Denn Ich, der vor allen vollkommenste Gott, ja die Vollkommenheit selber, war meinem Vater gehorsam bis zum Tod am Kreuz, um durch mein eigenes Beispiel zu zeigen, wie sehr Gott die Verleugnung des eigenen Willens gefällt.

29. Maria bittet für einen Verstorbenen (Revelationes 6. int. 21)

Worte der heiligsten Jungfrau: Hochgebenedeit sei dein heiligster Name, mein Sohn! Du bist der König der Herrlichkeit, der allmächtige Herr, voll Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Heute ist für die Seele dieses Verstorbenen dein Mir teuerster Leib, den Ich sündelos in meinem Schoß getragen und genährt habe, geopfert worden. Darum flehe Ich zu Dir, geliebtester Sohn, dass dieses Opfer der Seele zum Heil gereiche und Du ihrer Dich erbarmest!

Darauf erwidert die heiligste Jungfrau: Deine strenge Gerechtigkeit, mein Gott, habe Ich geschaut. An sie wende Ich Mich nicht; aber an deine mildeste Barmherzigkeit. Wolle doch auf meine Bitten des Verstorbenen Dich erbarmen, der jeden Tag Mir zu Ehren die Tageszeiten gebetet hat. Rechne ihm nicht die Hoffart seiner Erben an, die sie für ihn an den Tag legen! Diese leben in Freude; er aber in Weinen und in den untröstlichen Peinen der Strafe.

Gebenedeit seiest Du, meine liebste Mutter! Deine Worte sind voll Gütigkeit und süßer als Honig. Sie kommen aus deinem mitleidsvollen Herzen und darum lauten sie Barmherzigkeit. Es soll der, für den Du bittest, dreifache Barmherzigkeit um Deinetwillen erfahren. Er soll den Händen der bösen Geister, die ihn wie hungrige Raben peinigen, entrissen werden. Wie ein Raubvogel auf einen Schreckschuss die Beute aus den Krallen fallen lässt und flieht, so müssen um Deinetwillen die bösen Geister von dieser Seele ablassen, ohne sie je wieder zu berühren oder zu ängstigen. Sie wird aus der harten Feuersglut in eine mildere versetzt und von den heiligen Engeln getröstet werden. Doch gänzlich wird sie noch nicht von jeder Pein frei sein, sondern sie bedarf noch weiterer Hilfeleistung. Du kennst und schaust in Mir die vollkommene Gerechtigkeit, nach welcher nur ein wie Gold im Feuer Geläuterter in die ewige Herrlichkeit eingehen kann. Auf deine Bitten wird für diese Seele die Zeit der Barmherzigkeit wie der Gerechtigkeit herankommen, und sie dann vollkommen erlöst werden.

Sermo Angelicus oder Lobpreisung der allerseligsten Jungfrau Maria durch den heiligen Erzengel Gabriel

Vorbemerkung. Als die heilige Birgitta Gott um Erleuchtung bat, welche Tageszeiten sie der auf Gottes Geheiß von ihr gegründeten Ordensfamilie vorschreiben solle, hatte sie von Gott die Worte zu vernehmen: "Ich werde meinen Engel senden, damit er die Lesungen dir angebe, welche von deinen Ordensfrauen in den Frühmetten zu Ehren meiner jungfräulichen Mutter zu beten sind. Er wird sie diktieren, und du hast sie Wort für Wort niederzuschreiben.

Die heilige Birgitta hatte ihre Wohnung an der Kirche des hl. Laurentius in Damaso und konnte von ihrer Zelle aus auf den Altar mit dem Allerheiligsten sehen. Hier wartete sie nun jeden Tag, zum Schreiben bereit, auf die Erscheinung des Engels, welcher, in Anbetung zum Altar gewendet, der Heiligen in ihrer Muttersprache die folgenden einundzwanzig Lesungen, je drei für die einzelnen Wochentage, zum Gebrauch bei den Metten diktierte. Was die Heilige niederschrieb, legte sie gewissenhaft jeden Tag ihrem Seelenführer vor. Als die letzte Lesung diktiert war, sprach der Engel: "Nun habe ich den Stoff zu dem Gewand der Königin des Himmels bereitet; an euch aber ist es, das Gewand, so gut ihr könnt, fertig zu machen. Darum haltet euch zu heiliger Arbeit bereit, nehmt mit größter Andacht diese heiligen Worte auf, öffnet eure Herzen dem erhabenen, noch nie gehörten Lobgesang, welcher die von Ewigkeit der Jungfrau gewordene Herrlichkeit verkündet, und suchet in Demut durch tiefe Betrachtung seine Süßigkeit zu kosten."

Für den Sonntag

In den ersten drei Lesungen wird von dem Engel erklärt, wie Gott von Ewigkeit her die glorreichste Jungfrau Maria vor aller Schöpfung mehr als alle seine Geschöpfe geliebt hat.

Erste Lesung: Die der höchsten Dreieinigkeit wohlgefälligste Jungfrau wolle uns durch ihre mächtigste Fürsprache beschützen!

1. Das Wort, von welchem der Evangelist Johannes in seinem Evangelium spricht, ist von Ewigkeit mit dem Vater und dem Heiligen Geist der eine Gott. Es sind drei Personen und in ihnen die eine vollkommene Gottheit; denn die drei Personen sind in allem sich vollkommen gleich. In ihnen allen ist nur ein Wille, eine Weisheit, eine Macht, eine Schönheit, eine Heiligkeit, eine Liebe, eine Seligkeit. Das Wort könnte unmöglich Gott sein, wäre es trennbar vom Vater und dem Heiligen Geist.

Zum Gleichnis diene das Wörtchen "ist", das aus drei Buchstaben bestehend eine Bejahung ausdrückt. Würde einer der Buchstaben aber hinweggenommen, so könnten sie die Bedeutung nicht mehr haben, welche sie vordem hatten, weil sie nicht mehr dasselbe Wort bilden würden. In ähnlicher Weise ist das Geheimnis, dass die drei Personen nur ein Gott sind, zu verstehen; denn wäre eine von der anderen trennbar oder ihr ungleich oder mangelte ihr etwas, was die andere hätte, so wäre die Gottheit nicht in ihnen, die in sich eine unteilbare ist.

Es ist darum Unrecht, zu glauben, als hätte sich durch die Annahme der menschlichen Natur das Wort, d. i. der Sohn Gottes, vom Vater und dem Heiligen Geist getrennt. Gleichwie nämlich das Wort, das wir sprechen, zuvor im Herzen gedacht und dann vom Mund gesprochen wird, aber solange ungreifbar oder unsichtbar bleibt, bis es nicht auf eine Tafel geschrieben oder eingezeichnet wird, so wäre es auch unmöglich gewesen, das ewige Wort, den Sohn Gottes, in seinem Erlösungswerk der Menschen zu berühren oder zu sehen, wenn Es nicht die menschliche Natur angenommen hätte. Wie aber ein geschriebenes Wort nicht bloß mit den Augen gesehen wird, sondern zugleich im Herzen gedacht und mit dem Mund ausgesprochen werden kann, so ist durch die Annahme der menschlichen Natur der Sohn Gottes sichtbar geworden, ohne aufzuhören zugleich mit Gott dem Vater und dem Heiligen Geist der eine wahre Gott zu sein. So sind also in Wahrheit die drei untrennbaren, unveränderlichen, sich in allem ewig gleichen Personen der eine Gott.

In Ihm, dem hochgelobten Gott, ist alles von Ewigkeit vorher geschaut. Alles stand in Schönheit und Ehrfurcht zu seiner Freude und Verherrlichung vor seinem Auge, was Er nachher, da es Ihm gefiel, durch die Schöpfung auf das weiseste ins Dasein rief. Durch keine Art von Notwendigkeit, durch keinen Abgang an Freude oder Vorteil war Gott genötigt, zu schaffen; denn es war unmöglich, dass Ihm irgend etwas gemangelt hätte. Seine feurigste Liebe allein bewog Ihn darum zum Erschaffen, auf dass auch andere sich mit Ihm seiner unaussprechlichen Wonne ewig erfreuen könnten. Darum hat Er alles, was erschaffen werden sollte, in jener Form und Gestalt nachher auf das schönste ins Dasein gerufen, wie es, als noch unerschaffen, von Ewigkeit her auf das schönste vor seinem Auge stand.

Unter allem noch Unerschaffenen aber war eines vor Gott, welches in höchstem Grade alles übrige überragte, und worüber Er sich selbst am meisten erfreute. In diesem noch Unerschaffenen stellten sich die ebenfalls noch nicht erschaffenen Elemente des Feuers, der Luft, des Wassers und der Erde dem Auge Gottes von Ewigkeit her in folgender Weise dar: die Luft sollte in ihm von solcher Leichtigkeit werden, dass sie dem Wehen des Heiligen Geistes niemals widerstände; die Erde in ihm sollte in solcher Güte und Fruchtbarkeit erschaffen werden, dass nichts in ihr wachsen könnte, das nicht aller Notdurft zu Nutz und Heil wäre; das Wasser ferner in solcher Ruhe, dass, wie heftig auch von allen Seiten die Windsbraut anstürmen würde, in ihm doch nie ein Sturm sich erheben könnte; das Feuer endlich in solcher Mächtigkeit, dass seine Flamme wie seine Glut der Wohnung Gottes selber nahekäme.

O Maria, reinste Jungfrau, o fruchtbarste Mutter, eben das bist Du! Denn so und in dieser Vollkommenheit standest Du von Ewigkeit, noch unerschaffen, vor Gottes Auge und hast darnach aus den genannten reinen und klaren Elementen die Materie deines gebenedeiten Leibes empfangen. In derselben Vollkommenheit bist Du schon vor deiner Erschaffung, als noch unerschaffen, vor Gott gestanden, in der Du nachher erschaffen zu werden verdientest; und darum hast Du von Urbeginn vor Gott zu seiner höchsten Freude alle künftigen Kreaturen im höchsten Grade übertroffen.

Denn Gott der Vater frohlockte über die fruchtbringenden Werke, welche Du mit seiner Hilfe erreichen solltest; der Sohn aber über deine höchste Standhaftigkeit, der Heilige Geist über deinen demütigen Gehorsam. Der Vater aber genoss die Freude des Sohnes und des Heiligen Geistes; der Sohn die des Vaters und des Heiligen Geistes, und der Heilige Geist die des Vaters und des Sohnes. Wie es also eine Freude war, welche alle drei göttlichen Personen an Dir hatten, so war es auch eine Liebe, die alle zu Dir trugen.

Zweite Lesung: Komm uns zu Hilfe, Mutter Christi, welche in die betrübte Welt die Freude gebracht!

2. So warst Du, Maria, würdigste aller Kreaturen, von Anbeginn Gott gegenwärtig, noch ehe Er Dich erschuf, ähnlich wie die Arche dem Noe, seitdem er innegeworden, dass er sie zu bauen habe; also lange bevor er sie, wie ihm befohlen war, zu bauen begann und damit zu Ende kam. Noe wusste in der Zeit, zu der es Gott gefiel, wie die Arche werden sollte. Gott aber wusste vor aller Zeit, welches seine Arche werden sollte, d. i. dein glorwürdiger Leib.

Noe freute sich seiner Arche, noch ehe sie gebaut war. An Dir aber, o Jungfrau, fand Gott selber seine höchste Freude, noch ehe Du von Ihm erschaffen warst. Noe freute sich, dass seine Arche in solcher Stärke gefestigt werden sollte, dass keine Gewalt der Stürme sie verletzen könnte; Gott aber freute sich, dass dein Leib in solcher Kraft und Würdigkeit gebildet werden sollte, dass keine Härte der zukünftigen höllischen Bosheit ihn zur Schuld verwunden könne.

Noe frohlockte, dass seine Arche von innen und außen so gut verkittet werden sollte, dass kein Tropfen der verunreinigten Gewässer in sie würde zu dringen vermögen. Gott aber frohlockte, da Er vorauswusste, dein Wille werde durch seine Güte so vollkommen sein, dass Du verdienen werdest, von der Salbung des Heiligen Geistes innen und außen so übergossen zu sein, dass keinerlei Verlangen nach den erst zu erschaffenden Gütern der Welt den Zugang zu deinem Herzen werde finden können; denn Gott verabscheut jedes weltliche Verlangen an dem Menschen ebenso wie Noe die Unreinigkeit an seiner Arche.

Noe freute sich über die weiten Räume seiner Arche; Gott aber fand seine Freude an deiner umfassenden, barmherzigsten Milde, in welcher Du alle aufs vollkommenste lieben und kein Geschöpf ohne gerechte Ursache von deiner Güte ausschließen solltest; und im besonderen freute Er sich, weil diese deine mildeste Güte sich so weit ausdehnen sollte, dass Er, der unendliche Gott, dessen Größe unermesslich ist, sich würdigen könnte, in deinem gebenedeiten Schoß zu ruhen und zu verweilen.

Noe freute sich, dass seine Arche die nötige Helligkeit erhalten sollte; Gott aber frohlockte, dass deine Jungfräulichkeit bis zum Tod in solcher Klarheit leuchten werde, dass nie eine Schuld ihren Glanz durch einen Schatten trüben könnte.

Noe freute sich, dass er alle Notwendige für den Leib in der Arche haben werde; Gott aber freute sich, dass Er seinen vollkommenen menschlichen Leib ohne jeden Mangel aus deinem Schoß allein empfangen sollte. Ja unvergleichlich mehr frohlockte Gott über Dich, keuscheste Jungfrau, als Noe über seine Arche; denn Noe wusste, dass er in demselben Leib aus der Arche wieder herausgehen sollte, in welchem er in sie eingegangen; Gott aber wusste vorher, dass Er in die Arche deines würdigsten Schoßes ohne Leib eingehen, aber bekleidet mit dem aus deinem reinsten Fleisch und reinsten Blut entnommenen Leib wieder hervorkommen werde.

Noe wusste, dass er bei seinem Austritt die Arche werde leer zurücklassen müssen, um nie mehr in sie zurückzukehren. Vor aller Zeit aber wusste Gott, dass Du, glorwürdigste, jungfräuliche Mutter, sobald Er in seiner heiligsten Menschheit aus Dir geboren sein würde, nicht leer, wie Noes Arche, sondern voll und übervoll von allen Gaben des Heiligen Geistes verbleiben werdest. Und sollte auch in der Geburt sein Leib von dem deinigen sich trennen, so wusste Er doch, dass Du in alle Ewigkeit unzertrennlich mit Ihm vereinigt bleiben würdest.

Dritte Lesung: Mach Gott uns gnädig, dessen Herberge Du geworden

3. Der Patriarch Abraham liebte seinen Sohn Isaak von dem Augenblick an, da er ihm von Gott verheißen wurde, also viele Jahre, bevor Isaak empfangen und geboren war. Unvergleichlich größer aber war, o süßeste Jungfrau, die Liebe, mit welcher der allmächtige Gott vor aller Schöpfung Dich geliebt hat, da Er von Ewigkeit wusste, wie deine Geburt Ihm zur höchsten Freude gereichen werde.

Abraham wusste nicht, dass er an dem verheißenen Sohn die Größe seiner Liebe zu Gott werde offenbaren müssen; von Anbeginn aber wusste Gott, wie durch Dich, o seligste Jungfrau, seine überschwängliche Liebe zu den Menschen sich allen Kreaturen aufs klarste kundgeben werde.

Abraham wusste, dass sein Sohn in Schmach, wie die anderen Kinder, werde empfangen und geboren werden; Gott aber wusste vorher, dass Du als Jungfrau der Jungfrauen seinen eingebornen Sohn empfangen und höchst würdig als allezeit reinste und unversehrte Jungfrau gebären werdest.

Abraham erkannte, dass nach der Empfängnis und Geburt sein Sohn in Wesen und Persönlichkeit von ihm verschieden sein werde; Gott der Vater aber wusste vorher, dass sein süßester Sohn auch nach Annahme seiner heiligsten Menschheit aus Dir, erhabenste Mutter, gleichen Wesens mit Ihm wie von Ewigkeit so in alle Ewigkeit sein und dass auch die angenommene Menschheit nie mehr von der unendlichen Majestät Gottes werde getrennt werden.

Abraham wusste, dass das Fleisch seines Sohnes, so gewiss wie sein eigenes, der Verwesung werde anheimfallen und in Staub aufgelöst werden; Gott aber wusste, dass dein allerreinster Leib, o süßeste Jungfrau, der Verwesung ebenso wenig unterliegen werde wie der Leib, welchen sein süßester Sohn in deinem heiligsten Schoß annehmen werde.

Abraham erbaute dem verheißenen Sohn ein Zelt, das ihm nach der Geburt zur Wohnung dienen sollte; Dir aber, unvergleichliche Jungfrau, war von Ewigkeit her eine Wohnung bestimmt, nämlich der allmächtige Gott selber. O Wohnung, von keinem Wort erreichbar! Sie umschließt Dich nicht allein von außen, vor allen Gefahren Dich bewahrend; sie wohnt auch in Dir selbst, Dich zur höchsten Vollkommenheit aller Tugenden erhebend.

Dreierlei bereitete Abraham seinem Sohn, noch ehe er empfangen war: Weizen, Wein und Öl, um ihn nach seiner Geburt damit zu nähren. Diese drei unterscheiden sich von einander in Gestalt, im Wesen und im Geschmack; für Dich aber, o ersehnte Jungfrau, war zu deiner unvergänglichen Speisung von Ewigkeit her von Gott gesorgt in den drei Personen des Einen, unteilbaren, ewig gleichen göttlichen Wesens. Und dieser selbe Gott hat durch Dich, o Nährmutter Maria, für die hungernde Menschheit um eine ewig dauernde Speisung Sorge getragen, nämlich in jenen drei Stücken, welche der Patriarch seinem Sohn bereitet hat und die auf die drei Personen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gedeutet werden können. Denn gleichwie das Fett des Öles nicht zum Leuchten kommt, ehe die Lampe ihm bereitet wird, so hat auch die feurigste Liebe des Vaters der Welt nicht in ihrem vollen Glanze geleuchtet, ehe sein Sohn von Dir, o auserwählte Braut Gottes, sich seinen menschlichen Leib angenommen hat. Und wie auch der Weizen nicht zum nährenden Brot wird, bis er nicht durch mancherlei Werkzeuge dazu bereitet wird, so konnte auch der Sohn Gottes, welcher die Speise der Engel ist, nicht unter Brotsgestalt den Menschen sich zur Speise geben, bis nicht in deinem gebenedeiten Schoß Ihm die Gestalt und die Glieder seines menschlichen Leibes bereitet wurden. Wie endlich auch der Wein sich nicht darreichen lässt, außer wenn zuvor die Gefäße hergerichtet werden, so konnte auch die unter dem Wein versinnbildete Gnade des Heiligen Geistes den Menschen zum ewigen Leben nicht gespendet werden, ehe der Leib deines liebreichsten Sohnes durch Leiden und Tod zum heilbringenden Gefäß bereitet war, aus welchem die Süßigkeit aller Gnaden überfließend Engeln und Menschen gereicht wird.

Für den Montag

In den drei folgenden Lesungen erklärt der Engel, wie nach dem Fall Luzifers Gott seinen Engeln offenbarte, dass die Jungfrau werde erschaffen werden; wie sehr die Engel über ihre künftige Erschaffung sich freuten; und wie nach Erschaffung der Welt von Gott die Schönheit der Jungfrau den Engeln gezeigt wurde.

Erste Lesung: Geleite uns, Königin der Engel, zur Gemeinschaft der Bürger des Himmels

4. Indem Gott wohl erkannte, dass Er in Sich selber alles überfließend zu seiner ewigen Seligkeit besitze, so war es einzig die Inbrunst seiner Liebe, die Ihn zum Schaffen bewog, damit auch andere an seiner unaussprechlichen Seligkeit teilnehmen könnten. Darum erschuf Er eine zahllose Menge der Engel und gab ihnen den freien Willen, nach ihrem Vermögen zu vollbringen, was ihnen gefallen würde, auf dass, gleichwie Er selber durch keinerlei Notwendigkeit veranlasst, sondern aus reiner Liebe sie für eine unbegrenzte Seligkeit erschaffen hatte, so auch sie frei und ungezwungen seine Liebe mit Liebe erwidern und für eine nie endende Tröstung ihrem Herrn und Erschaffer auch ohne Ende ihre Huldigung darbringen möchten.

Ein Teil der Engel aber missbrauchte gleich nach ihrer Erschaffung in schlimmster Weise die alles Dankes würdigste Gabe des freien Willens, indem sie anfingen, ihren Schöpfer bösartig zu beneiden, anstatt Ihm um seiner großen Liebe willen ihre höchste Gegenliebe zu weihen. Darum stürzten sie aus ewiger Glückseligkeit in endlose Unseligkeit, wie ihre Bosheit es verdiente.

Die anderen Engel aber verblieben um ihrer Liebe willen in der ihnen bereiteten Glückseligkeit, da sie Gott für seine Liebe feurig liebten, Ihn als den Urquell aller Schönheit, aller Macht und Stärke erkennend. Aus der Betrachtung Gottes wurden die Engel auch inne, dass Er allein ohne Anfang und Ende, dass sie seine Geschöpfe und dass alles Gute in ihnen seinen Ursprung in der Gütigkeit und Allmacht Gottes habe.

In dem Licht der beseligenden Anschauung Gottes aber erkannten sie ferner, dass sie aus der Weisheit Gottes so erleuchtet seien, um alles Zukünftige gemäß der Ordnung der göttlichen Verheißung deutlich vorherzuwissen; und sie weihten diesen Verheißungen ihre um so innigere Liebe, da sie auch erkannten, Gott wolle in unendlicher Herablassung und Liebe alle durch den Fall der stolzen, ungehorsamen Engel leer gewordenen himmlischen Wohnungen zu seiner Verherrlichung und zum Troste der treugebliebenen Engel wieder voll machen.

Sie schauten in dem hochgebenedeiten Spiegel, d. i. in Gott, ihrem Erschaffer, auch einen Ehrfurcht gebietenden Thron, so nahe bei Gott, dass es unmöglich schien, dass ein anderer Thron Gott noch näher käme; und zugleich erkannten sie, dass noch unerschaffen sei, für wen dieser Thron von Ewigkeit bereitet war. Im Anschauen der Herrlichkeit Gottes wurden alle auf einmal von dem Feuer der göttlichen Liebe so entzündet, dass jeder den andern wie sich selbst liebte. Am meisten und über alles jedoch liebten sie Gott; jenes noch Unerschaffene aber, das auf den Gott so nahe stehenden Thron erhoben werden sollte, liebten sie mehr als sich selbst; denn sie sahen, dass Gott jenes Unerschaffene mit der größten Liebe liebe, und dass Er in ihm sein höchstes Wohlgefallen finde.

O Trösterin aller, Jungfrau Maria, eben jenes bist Du, zu dem die heiligen Engel vom ersten Augenblick ihrer Erschaffung in solcher Liebe entbrannten, dass, so unaussprechlich auch die Freude war, welche sie aus der Süßigkeit und Klarheit der Anschauung Gottes und seiner Nähe schöpften, sie doch auch darüber aufs höchste frohlockten, dass Du näher als sie selbst zu Gott erhoben werden solltest und dass eine größere Liebe und größere Süßigkeit, als sie selber hatten, für Dich vorbehalten sei.

Die heiligen Engel erblickten auch über jenem Thron eine Krone von solcher Schönheit, solcher Würde, dass nur die Majestät Gottes allein sie übertreffen konnte. Wiewohl sie also erkannten, dass Gott in Wahrheit große Verherrlichung und Freude aus ihrer eigenen Erschaffung empfange, so sahen sie doch eine größere Verherrlichung und größere Wonne für Gott daraus hervorgehen, dass Du, erhabenste Jungfrau, für die so herrliche Krone erschaffen werden solltest. Und darum frohlockten selbst die Engel mehr darüber, dass Gott Dich zu erschaffen gedachte, als darüber, dass Er sie selber schon erschaffen hatte. Und so bist Du, heiligste Jungfrau, für die Engel seit ihrer Erschaffung zur Freude gewesen, wie Du für Gott selbst ohne Anfang das höchste Ergötzen warst. Und so hat in Wahrheit Gott mit den Engeln, und haben die Engel mit Gott an Dir, o Jungfrau, Erhabenste aller Kreaturen, noch ehe Du erschaffen warst, sich gemeinsam innigst erfreut.

Zweite Lesung: Zur Mutter Gottes von Ewigkeit erwählte Jungfrau, zeige uns den sichern Weg zur himmlischen Heimat

5. Da Gott die Welt samt den anderen Kreaturen erschaffen wollte, sprach Er: "Es werde." Und sogleich war alles, was Er erschaffen wollte, vollkommen gemacht. Nachdem also die Welt und alle Geschöpfe, den Menschen allein ausgenommen, erschaffen waren und alle Dinge vor Gottes Angesicht schön und ehrerbietig standen, da stand vor Gott, aber als noch unerschaffen, auch noch eine kleine Welt in all ihrer Schönheit, aus der für Gott eine größere Verherrlichung, für die Engel eine höhere Wonne, und für jeden Menschen, der ihrer Güte sich teilhaftig machen wollte, höhere Segnungen entspringen sollten als aus dieser größeren Welt. O süßeste Herrin, Jungfrau Maria, voll Liebe und Segen für alle, unter dieser kleineren Welt wirst nicht mit Unrecht Du verstanden!

Aus der Heiligen Schrift ist auch ersichtlich, dass es Gott gefiel, in der größeren Welt das Licht von der Finsternis zu scheiden. Weit mehr aber gefiel Ihm jene Scheidung von Licht und Finsternis, die in Dir nach deiner Erschaffung bewirkt werden sollte, indem nämlich die der Finsternis vergleichbare Unwissenheit der ersten Kindheit von Dir vollständig ferngehalten werden, dagegen die dem Licht vergleichbare Erkenntnis Gottes samt dem Willen und Verständnis, nach seinem heiligsten Wohlgefallen zu leben, zugleich mit der feurigsten Liebe in reichlichster Fülle in Dir verbleiben sollte. Nicht unpassend wird nämlich das zarte Kindesalter, in welchem Gott noch nicht erkannt wird und die Vernunft noch nicht unterscheiden kann, was zu tun ist, mit der Finsternis verglichen.

Diese zarteste, früheste Kindheit nun hast Du, o Jungfrau, frei von jeglicher Sünde auf das heiligste zugebracht!

Ferner, gleichwie Gott die zwei der Welt notwendigen Leuchten samt den Sternen erschuf, die eine, um dem Tage vorzustehen, die andere, um die Nacht zu erhellen, so hat Er auch in Dir für das Werden zweier noch hellerer Leuchten gesorgt. Die erste war dein göttlicher Gehorsam, welcher gleich der Sonne vor den Engeln im Himmel und den guten Menschen auf der Welt, denen Gott in Wahrheit der ewige Tag ist, aufs hellste erglänzen sollte. Das zweite Licht war dein standhafter Glaube, durch welchen viele, die in der Zeit der Nacht, d. i. von der Stunde an, in welcher der Schöpfer für sein Geschöpf im Fleisch zu leiden hatte, bis zu seiner Auferstehung, in der Finsternis der Verzagtheit und der Untreue elend umherirrten, gleichwie durch das helle Mondlicht zur Erkenntnis der Wahrheit zurückgeführt werden sollten.

Auch den Sternen ähnlich erschienen die Gedanken deines Herzens darin, dass Du vom Augenblick deiner ersten Erkenntnis Gottes bis zu deinem Tod so feurig in der göttlichen Liebe verharrtest, dass alle deine Gedanken vor dem Angesicht Gottes und der Engel dem menschlichen Auge glänzender als die Sterne erschienen.

Der hohe Flug und der süße vielstimmige Gesang der Vögel war das Vorbild aller Worte deiner Lippen, welche von deinem irdischen Leib bis zu den Ohren des auf dem Thron der Majestät Sitzenden zum höchsten Entzücken der Engel mit aller Süßigkeit aufsteigen sollten.

Außerdem warst Du dem ganzen Erdreich darin ähnlich, dass, wie alle körperlichen Wesen auf dieser Welt ihre Nahrung von den Früchten der Erde zu empfangen haben, so alle Geschöpfe ihre Nahrung, ja selbst ihr Leben aus deiner Frucht erlangen sollten.

Mit den Blumen und fruchttragenden Bäumen können mit Recht deine Werke verglichen werden; denn mit solcher Liebe solltest Du sie vollbringen, dass sie Gott und die Engel mehr erfreuten als die Schönheit aller Blumen und die Süßigkeit aller Früchte, zumal da man ohne jeglichen Zweifel glauben muss, dass Gott in Dir vor deiner Erschaffung mehr Kräfte und Vollkommenheiten vorhergesehen als in allen Arten der Gewächse, der Blumen, der Bäume, der Früchte, der Steine, Perlen und Metalle, die auf dem ganzen Erdenrund sich finden können. Darum kein Wunder, dass Gott an Dir, der noch unerschaffenen kleineren Welt, mehr sich erfreute als an dieser größeren Welt. Denn war gleich diese Welt vor Dir erschaffen, so sollte sie doch mit allem, was sie enthält, vergehen; Du aber solltest nach dem ewigen Ratschluss Gottes in unverwelklicher Schönheit ewig untrennbar von seiner höchsten Liebe verharren. Denn jene größere Welt hat durch nichts verdient, noch konnte sie es verdienen, ewig zu bestehen. Du aber, o glückseligste Maria, an Tugenden übervoll, hast nach deiner Erschaffung mit Hilfe der göttlichen Gnade alles, was Gott an Dir und durch Dich zu vollbringen sich würdigte, durch jegliche Vollkommenheit der Tugenden aufs würdigste verdient.

Dritte Lesung: Mit der Krone aller Tugenden geschmückte Königin sei allzeit uns zu schützen bereit

6. Der Urquell alles Guten und das Gute selbst ist Gott; und für alle Kreaturen ohne Ausnahme ist es eine Unmöglichkeit, ohne den wirksamen Beistand Gottes durch irgend eine Tugend zu glänzen. Nachdem Gott im Anbeginn die Welt und alle Kreaturen erschaffen, erschuf Er in seiner Güte den Menschen zuletzt, ihn mit freiem Willen ausrüstend, auf dass er durch ihn beharrlich im Guten zu ewigem Lohne sich festige, nicht aber zum Bösen sich neige zu böser Vergeltung. Denn gleichwie unter den Menschen die guten Werke jener geringen Wertes erachtet werden, welche zu wirken sich weigern, solange sie nicht durch Bande und Ketten zur Arbeit gezwungen werden; die Werke jener aber des Wohlgefallens und besten Lohnes würdig erscheinen, welche gerne und freiwillig, was sie zu tun haben, in aufrichtiger Liebe vollbringen; so würden, wenn Gott den Engeln und Menschen nicht die Freiheit des Willens gegeben hätte, ihre guten Werke wie erzwungen erscheinen und nur eines geringen Lohnes für würdig zu erachten sein. Darum gefiel es der Allmacht Gottes, ihnen die Freiheit zu geben, zu tun, was ihnen gefallen würde; aber Er ließ sie auch deutlich erkennen, welchen Lohn der Gehorsam gegen Ihn verdiene, welche Strafen aber der hartnäckige Ungehorsam über alle bringe, die sich zu ihm wenden würden.

Seine große Gütigkeit offenbarte Gott auch darin, dass Er den Menschen in der Absicht aus Erde bildete, damit er durch Demut und Liebe es verdienen möge, der Bewohner der himmlischen Wohnungen zu werden, aus welchen die dem Willen Gottes aus Stolz und Neid widerstrebenden Engel unglückselig hinausgewiesen worden waren. Denn gerade jene Tugenden, für welche sie die höchsten Kronen hätten verdienen können, waren ihnen verhasst. Niemand möge bezweifeln, dass, wie ein König in der königlichen Krone seine Ehre und Auszeichnung empfängt, so auch jede Tugend ihrem Vollbringer nicht allein vor den Menschen Ehre bringt, sondern ihn auch vor Gott und den Engeln gleichwie mit einer glänzenden Krone geschmückt erscheinen lässt; und darum kann auch jegliche Tugend mit gutem Grunde eine Krone genannt werden. Und darum ist die Zahl der Kronen, in welchen Gott selbst aufs höchste erglänzt, für eine ganz unermessliche zu halten, da seine Werke an Zahl, an Größe, an Herrlichkeit alles unvergleichbar übertreffen, was war, was ist und was sein wird; indem Gott nie etwas anderes vollbracht hat, als was gut und vollkommen ist.

Doch sind es im besonderen drei gute, vollkommene Werke, welche wie drei hellstrahlende Kronen Ihn auf das herrlichste schmücken. Die erste dieser Kronen ist sein Werk der Erschaffung der Engel, um welche Krone aber ein Teil der Engel, die Gott um seine Ehre beneideten, sich selbst gebracht hat. Das zweite vollkommene Werk ist das der Erschaffung des Menschen, und dies ist die zweite Krone, welcher auch der Mensch sich alsbald selber beraubt hat, da er in Betörung der Einflüsterung des Feindes zustimmte. Durch den Fall der Engel und des Menschen konnte jedoch das Werk Gottes, oder die Ehre seines Werkes nicht geschmälert werden, wenngleich sie selber durch ihre Missetat aus der Ehre und Herrlichkeit in Schmach und Elend fielen, da sie sich weigerten, Gott die Ehre dafür zu geben, dass Er sie zu seiner, wie zu ihrer Verherrlichung erschaffen hatte. Im Gegenteil, die weiseste Vorsicht Gottes hat die Bosheit der Engel und Menschen zur größeren Verherrlichung seiner Macht und Güte gewendet.

Jenes vollkommene Werk aber, durch welches Gott Dich, ersehnte Jungfrau, zu seiner ewigen Verherrlichung erschaffen hat, ziert Ihn als seine dritte Krone, in welcher die Engel die Wiederherstellung und Erneuerung ihrer zerbrochenen Kronen frohlockend erblicken.

Darum, o Herrin und Hoffnung unseres Heiles, wirst Du mit Recht die Ehrenkrone Gottes genannt; denn gleichwie Er in Dir sein erhabenstes Werk vollbracht hat, so empfängt Er auch durch Dich eine größere Verherrlichung als durch alle anderen Geschöpfe im Himmel und auf Erden. Ja allen Engeln wurde es von Gott geoffenbart, als Du noch unerschaffen und nur dem Auge Gottes gegenwärtig warst, dass der Teufel, der aus Stolz sich selbst verdammt und aus Bosheit den Menschen verführt hat, durch deine allerheiligste Demut besiegt werden müsse. Darum konnten auch die Engel trotz der Wahrnehmung des Falles des Menschen in sein großes Elend aus übergroßer Freude über das, was Gott sie schauen ließ, nicht traurig werden, zumal, da sie nun erkannten, was Gott alles nach deiner Erschaffung durch deine Demut sich zu vollbringen würdigen werde.

Für den Dienstag

In den folgenden drei Lesungen redet der Engel von der Buße Adams und der Tröstung, die er aus der Offenbarung Gottes schöpfte, dass Maria, die demütigste und würdigste Jungfrau, werde geboren werden. Denselben Trost empfingen von Gott auch Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten.

Erste Lesung: Vor dem bösen Feind beschirme uns, 0 mildeste Jungfrau

7. In der Heiligen Schrift ist bezeugt, dass Adam in der Glückseligkeit des Paradieses das Gebot Gottes übertrat; dass er aber nach seiner Verweisung in das Elend dem göttlichen Willen wiederum ungehorsam geworden sei, ist nirgends erwähnt. Es lässt sich daher aus der Tatsache, dass Adam nach dem Brudermord Kains in gänzlicher Enthaltung lebte und nur im Gehorsam gegen den Befehl Gottes die Ehe mit Eva wieder fortsetzte, mit voller Wahrheit schließen, er habe Gott aus ganzem Herzen geliebt. Weit schmerzlicher reute es ihn darum, Gott, seinen Erschaffer, beleidigt, als sich die Pein seiner strengen Bestrafung zugezogen zu haben.

Darum erscheint es nicht unangemessen, dass, gleichwie der Zorn Gottes wegen des Stolzes über Adam gekommen war, durch welchen er in seinem Glück Gott beleidigt hatte, er nun auch in seinem Elend große Tröstung empfange, indem er in strengster Buße und wahrer Demut des Herzens es beweinte, dass er seinen gütigsten Schöpfer zum Zorn gereizt hatte. Einen höheren Trost hätte Adam nicht empfangen können als die Gewissheit, dass Gott sich würdige, aus seiner Nachkommenschaft geboren zu werden, um durch solche Erniedrigung und Liebe die Seelen wieder zu retten, welche Adam, durch den Neid des Teufels zum Stolz verleitet, um das ewige Leben gebracht hatte.

Die allen Verständigen einleuchtende Unmöglichkeit aber, dass Gott, dem nur die allerwürdigste Geburt geziemen konnte, auf demselben Wege wie die anderen Menschenkinder einen menschlichen Leib sich annehmen sollte, musste dem Adam um so mehr einleuchten, da er selber nicht auf dem Wege des Fleisches ins Dasein gelangt war. Ebenso erkannte er auch, dass es dem Schöpfer aller Dinge nicht gefallen könne, auf die Weise sich einen menschlichen Leib zu erschaffen, wie Er für ihn und für Eva den Leib gebildet hatte. Darum gewann Adam aus dem Licht des Glaubens die Gewissheit, dass Gott aus einer Persönlichkeit mit einem der Eva gleichförmigen Leib, welche alle von einer Frau Geborenen durch die höchste Blüte jeder Vollkommenheit übertreffen werde, einen menschlichen Leib empfangen und aus ihr, als einer vor, in und nach der Geburt unversehrt bleibenden Jungfrau auf die Seiner würdigste Weise geboren werden wolle.

Darum erscheint es aufs höchste glaubwürdig und über allen Zweifel erhaben, dass, gleichwie Adam, da er inne wurde, Gott sei ihm wieder gnädig, über die Worte, welche Eva aus der Rede Satans vernommen hatte, bittersten Schmerz empfand, er ebenso in seiner Buße und Verbannung größte Freude und Tröstung aus den Worten schöpfte, mit welchen Du, o Maria, die Hoffnung aller, den Gruß des Engels erwidern werdest.

Adam trauerte, dass er durch Verleitung Evas, die aus seinem Leib gebildet worden war, mit ihr dem ewigen Tod war überliefert worden; er lebte aber wieder auf in der freudigen Hoffnung, dass aus deinem reinsten Schoß, o mildeste Jungfrau, jener heiligste Leib geboren werden sollte, der ihn und seine Nachkommenschaft zum ewigen Leben in den Himmel mit siegreicher Macht wieder zurückbringen sollte.

Adam war auch voll Betrübnis, dass seine geliebte Gefährtin Eva aus übergroßem Stolz damit begonnen hatte, ihrem Schöpfer ungehorsam zu sein; er frohlockte aber in der Voraussicht, dass Du, o Maria, seine geliebteste Tochter, in tiefster Demut Gott den vollkommensten Gehorsam leisten werdest.

Adam empfand tiefste Beschämung über die Anmaßung Evas, die Gott gleich zu werden gedacht hatte, weshalb sie vor Gott und den Engeln zum Abscheu geworden war; er ward aber getröstet durch die Erkenntnis, zu welcher Verherrlichung vor Gott und den Engeln Dir dein Wort gereichen werde, mit welchem Du Dich voll Demut als eine Magd des Herrn bekennen solltest.

Auch darüber war Adam voll Trauer, dass Evas Worte den Zorn Gottes über ihn und seine ganze Nachkommenschaft zu ihrer Verwerfung herabgerufen hatten; er frohlockte aber über dein Wort, welches auf Dich und alle durch Evas Wort Verurteilte die Liebe Gottes zu ihrem höchsten Troste wieder herabbringen sollte. Denn Evas Wort beraubte sie selbst und ihren Mann zum größten Schmerz der Herrlichkeit des Paradieses und verschloss ihr und ihrer Leibesfrucht die Pforte des Himmels; dein gebenedeites Wort aber, o Mutter der Barmherzigkeit, hat Dir zur höchsten Freude verholfen und die Himmelstüre allen wieder aufgeschlossen, welche durch sie eingehen wollen.

Wie darum die Engel frohlockt hatten, da ihnen vor Erschaffung der Welt deine Geburt, o Mutter, von Gott gezeigt worden war, so empfand auch Adam aus der Vorhersicht deiner Geburt größte Tröstung und Freude des Herzens.

Zweite Lesung: Komm uns zu Hilfe, liebenswürdigste Jungfrau, in den argen Gefahren dieser Welt

8. Bei seiner Verweisung aus dem Paradiese war Adam der Gerechtigkeit Gottes und seiner Barmherzigkeit gegen ihn inne geworden; und so fürchtete er Gott um seiner Gerechtigkeit willen und liebte Ihn alle Tage seines Lebens wegen seiner Erbarmungen aus ganzem Herzen. Und solange seine Nachkommenschaft dasselbe tat, war gute Ordnung in der Welt. Als aber die Menschen abließen, die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes vor Augen zu haben, da gedachte die Mehrzahl ihres Erschaffers nicht mehr, glaubte nur so viel, als ihnen beliebig war, und verbrachte ihre Lebenszeit in den ärgsten Schändlichkeiten fleischlicher Ausgelassenheit. Darum vertilgte Gott aus Abscheu alle Bewohner der Welt durch die Flut mit Ausnahme der wenigen, welche Er nach ewigem Ratschluss durch die Arche Noes zur Erneuerung der Welt am Leben erhielt.

Nachdem aber das Volk aufs neue zahlreich geworden, fiel es, von dem bösen Geist verleitet, von der Anbetung des wahren Gottes zum Götzendienst ab und gab sich ein Gesetz, das dem Willen Gottes ganz entgegen war. In seiner barmherzigsten Vatergüte aber suchte Gott Abraham, als den eifrigen Bekenner des wahren Glaubens, heim, schloss mit ihm und seinen Nachkommen einen Bund und erfüllte sein Verlangen nach einem Sohn, indem Er ihm den Isaak gab mit der Verheißung, dass aus seinen Nachkommen der Erlöser geboren werden solle.

Daraus erhellt, wie glaubwürdig es ist, dass auch Abraham von Gott die Eröffnung erhalten habe, es werde eine unbefleckte Jungfrau seines Stammes den Sohn Gottes gebären. Auch ist zu glauben, Abraham habe sich mehr auf diese seine künftige Tochter gefreut als über Isaak, seinen Sohn, und sie weit mehr als diesen geliebt.

Es lässt sich auch wohl einsehen, dass der Freund Gottes, Abraham, sich nicht aus Stolz oder Habsucht zeitliche Güter erworben und sich nach einem Sohn nicht um irdischer Tröstung willen gesehnt hat, sondern wie ein guter, treu seinem Herrn dienender Gärtner, der einen Rebzweig in der Absicht auf dessen Landgut pflanzt, um aus ihm noch unzählige Weinstöcke zu gewinnen und mit ihnen einen auserlesenen Weinberg anzulegen; der auch den nötigen Dünger ansammelt, auf dass die mit ihm versorgten Weinstöcke nicht abwelken, sondern reichlich Früchte tragen möchten. Es freute sich aber der gute Gärtner über einen Weinstock in seiner Pflanzung aufs höchste, indem er voraussah, er werde an Höhe alle anderen Reben übertreffen und so köstliche Frucht tragen, dass sein Herr das größte Wohlgefallen an ihm finden und um der Schönheit des Weinstocks willen in den Weinberg eingehen und die Süßigkeit seiner Früchte kosten und unter seinem Schatten sich zu süßer Ruhe niederlassen werde.

Unter diesem Gärtner ist Abraham zu verstehen; unter dem Rebzweig sein Sohn Isaak; unter den zahllosen, aus ihm gewonnenen Reben seine ganze Nachkommenschaft, und unter dem Dünger die zeitlichen Güter, nach denen Abraham nur zur Wohlfahrt des Volkes Gottes Verlangen trug. Der schönste Weinstock aber bedeutet Maria, und der Herr des Weingutes ist der allmächtige Gott, der in seinen Weinberg, d. i. in die Nachkommenschaft Abrahams nicht eher einzugehen beschlossen hatte, als bis die hohe, herrliche Weinrebe darin aufgesprosst, d. i. die glorreiche Jungfrau Maria, seine geliebteste Mutter, zur Reife des Alters gelangt sein würde. Ihr unschuldigstes, heiligstes Leben ist die Schönheit, an deren Anblick Gott sich ergötzte; ihre Ihm höchst wohlgefälligen Werke sind die süßen Früchte. Der Schatten bedeutet den jungfräulichen Schoß, welcher von der Kraft des Allerhöchsten überschattet wurde.

Abraham tröstete sich darum in der Gewissheit, dass die jungfräuliche Gottesgebärerin aus seiner Nachkommenschaft hervorgehen werde, weit mehr über sie allein als über alle anderen Töchter seines Stammes.

Und diesen seinen Glauben und diese seine heilige Hoffnung auf die Geburt des Sohnes Gottes aus seiner Nachkommenschaft übergab Abraham als heiligstes Vermächtnis mit fester Zuversicht seinem Sohn Isaak, wie daraus erhellt, dass er den Knecht, den er nach einer Frau für Isaak aussendete, auf seinen Lenden schwören ließ, d. i. auf den Namen dessen, der aus seinen Lenden werde in Zukunft hervorgehen, womit er bekannte, dass der Sohn Gottes aus seiner Nachkommenschaft werde geboren werden.

Auch Isaak übergab in der Segnung Jakobs diesem dasselbe Vermächtnis, d. i. denselben Glauben und dieselbe Hoffnung, mit der in gleicher Weise Jakob, da er seine zwölf Söhne einzeln segnete, als mit seinem Erbe den Judas tröstete.

Daraus erhellt, dass Gott von Anbeginn seine Mutter geliebt und dass, wie Er selbst schon vor aller Schöpfung sich an ihr aufs höchste erfreute, Er auch seinen Getreuen größten Trost durch die Eröffnung bereitete, dass Maria geboren werden solle. Und so wurde in Wahrheit zuerst den Engeln, dann dem ersten Menschen und so fort den Patriarchen aus der künftigen Geburt der glorreichen Mutter Gottes die süßeste Wonne zuteil.

Dritte Lesung: Mutter der wahren Liebe, löse die Bande unserer Bosheit

9. Gott, der Liebe Liebhaber, ja die Liebe selbst, offenbarte an dem auserwählten Volke Israel die Größe seiner Liebe dadurch, dass Er es durch seine Macht aus der ägyptischen Knechtschaft befreite und ihm das reichste Land zur gesicherten, glücklichen Heimat anwies. Der listige Widersacher aber, voll Neid gegen die Wohlfahrt des Volkes, suchte es ohne Aufhören zur Sünde zu verleiten; und da die meisten sich seinen Nachstellungen nicht widersetzen wollten, so verfielen sie unseligerweise in Götzendienst, indem sie das durch Moses gegebene Gesetz für nichts erachteten und, vergessend des von Gott mit Abraham geschlossenen Bundes, sich in Betörung nicht mehr um die Haltung der Gebote kümmerten.

Der barmherzige Gott jedoch wendete sein Auge nicht von den Getreuen, die Ihm im reinen Glauben, in wahrer Liebe und in Haltung der Gebote in Einfalt dienten. Er suchte sie voll Gnade heim, und auf dass sie in seinem Dienste noch eifriger würden, erweckte Er in ihrer Mitte Propheten, durch welche selbst seine Feinde, wenn sie nur wollten, zu seiner Liebe und zum reinen Glauben zurückgeführt werden konnten. Darum ist wohl zu beachten, dass, ähnlich wie ein von Bergeshöhe zum tiefen Talgrund niederstürzender Gießbach in seinen Fluten das alles mit sich in die Tiefe führt, was nach eingetretener Ruhe wieder auftaucht und zum Vorschein kommt, so würdigte sich der Heilige Geist, sich in die Herzen der Propheten zu ergießen, indem Er jene Worte mit sich brachte, welche Er durch ihren Mund der in alle Verirrungen geratenen Welt zur Rettung verkünden wollte. Unter allem aber, was sich durch diesen honigfließenden Gießbach des Heiligen Geistes in die Herzen der Propheten ergoss, war ein Wort für sie das süßeste und strömte auch wieder aus ihrem Munde als das für alle anderen tröstlichste, das Wort: Gott, der Schöpfer aller Dinge, wolle aus einer unversehrten Jungfrau geboren werden, um durch seine Erlösung und Heiligung die Seelen für die ewige Herrlichkeit wiederzugewinnen, welche der Satan durch Adams Schuld in das Verderben gestürzt hatte.

Die Propheten erkannten auch aus dieser Eingebung des Heiligen Geistes, wie überaus gütig sich Gott, der himmlische Vater, in der Erlösung der Menschen erzeigen wolle, indem Er seines Eingeborenen Sohnes nicht verschone; und wie gehorsam der Sohn Gottes seinem himmlischen Vater sein werde, indem Er sich nicht weigere, das sterbliche Fleisch anzunehmen; und wie sehr gerne der Heilige Geist und der Sohn, der jedoch vom Vater keineswegs sich trennte, gesendet werden wolle. Aber auch das wurde den Propheten deutlich offenbar, dass die Sonne der Gerechtigkeit, der Sohn Gottes, nicht eher in die Welt kommen werde, bis nicht der Stern aus Israel aufgegangen, der sich in seinem Feuer der Glut der Sonne werde nähern können. Dieser Stern bedeutet die jungfräuliche Gottesgebärerin; sein Feuer ist ihre glühendste Liebe, durch welche sie in solche Nähe zu Gott gelangen und Gott selbst ihr so nahe kommen konnte, um durch sie seinen ewigen Ratschluss zu vollbringen.

Und gleichwie die Propheten aus dieser unerschaffenen und alles erschaffenden Sonne für ihre Worte und Taten die Stärke empfingen, so verlieh ihnen auch Gott durch die Offenbarung, dass Maria als dieser Stern werde erschaffen werden, in allen ihren Trübsalen die Fülle des Trostes. Denn nicht wenig hatten die Propheten bei dem Anblick zu leiden, dass die Kinder Israels aus Stolz und Fleischeslust vom Gesetz des Moses abfielen, dass die Liebe Gottes sich von ihnen abwendete und sein Zorn auf ihnen lastete. Sie frohlockten aber in der Voraussicht, dass Er, der höchste Gesetzgeber und Herr, durch deine Demut und die Reinheit deines Wandels, o hellstrahlender Stern Maria, versöhnt, alle wieder in seine Gnade aufnehmen werde, welche Ihn zum Zorn gereizt und unselig in seine Ungnade gefallen waren.

Auch darüber waren die Propheten voll Trauer, dass der Tempel, in welchem Gott die Opfer dargebracht wurden, verwüstet ward; sie frohlockten aber in der Voraussicht, es werde der Tempel deines gebenedeiten Leibes erschaffen werden, um Gott selbst mit der Fülle seiner Tröstung in sich aufzunehmen. Sie trauerten endlich über die Zerstörung der Ringmauern und Tore Jerusalems durch die Feinde Gottes, welche leiblich in die heilige Stadt eindrangen, wie Satan mit seinen Scharen geistiger Weise; aber sie trösteten sich mit Dir, o Maria, Du würdigste Pforte, von der sie wussten, dass Gott, der starke Held, in Dir seine Waffenrüstung annehmen werde, um den Teufel und alle seine Feinde zu überwinden. So warst Du also, o würdigste Mutter, der höchste Trost für die Propheten wie für die Patriarchen.

Für den Mittwoch

In den folgenden drei Lesungen redet der Engel von der unbefleckten Empfängnis und der Geburt der Jungfrau; und wie sie schon im Mutterschoße Gott zu lieben begann.

Erste Lesung: Die Finsternisse unserer Unwissenheit erleuchte, o Jungfrau, Du Mutter der Weisheit

10. Vor der Gesetzgebung Gottes durch Moses waren die Menschen lange Zeit darüber in Unwissenheit, wie sie sich und alle ihre Handlungen in diesem Leben einzurichten hätten. Darum ordneten jene, welche vom Feuer der Liebe Gottes entzündet waren, ihre Werke und ihren Wandel sorglich so, wie sie glaubten, dass sie Gott dadurch gefallen könnten. Die anderen aber, welche Gott nicht liebten, ließen ab von der Furcht Gottes und taten, was ihnen beliebte. Darum erbarmte sich die Gütigkeit Gottes voll Herablassung ihrer Unwissenheit und gab ihnen durch seinen Diener Moses das Gesetz, durch welches sie ganz nach seinem Willen regiert werden sollten. Sonach wurden sie durch dieses Gesetz belehrt, wie Gott und wie der Nächste zu lieben und wie die eheliche Verbindung zwischen Mann und Frau in Ehrbarkeit und nach göttlicher Anordnung zu halten sei, damit aus solcher Verbindung jene Sprossen hervorkämen, welchen Gott den Namen seines Volkes geben könnte. Und an solcher Ehe hatte Gott so großes Wohlgefallen, dass Er aus ihr die heiligste Gebärerin seiner Menschheit empfangen wollte.

Darum, wie der hoch in den Lüften kreisende Adler nach einem Baum im Dickicht des Waldes späht, dessen Wurzeln so tief, dass keine Gewalt des Sturmes sie auszureißen, dessen Stamm so hoch, dass niemand ihn zu erklimmen, dessen Standort so gesichert, dass aus der Höhe niemand auf ihn niederzusteigen vermag; und wie sich dann der Adler auf diesem auserlesenen Baum ein Nest zur Wohnung baut: so hat, dem Adler ähnlich, auch der allwissende Gott, vor dessen Auge die Zukunft so klar und deutlich liegt wie die Gegenwart, alle rechtmäßigen und geheiligten Ehen von dem ersten Menschenpaare an bis herab zum jüngsten Tag überschaut, jedoch keine gefunden, welche an vollkommenster Gottesliebe und Heiligkeit der Ehe von Joachim und Anna gleichgekommen wäre. Und darum gefiel es Ihm, aus diesem heiligsten Bund den Leib seiner heiligsten Mutter geboren werden zu lassen, welcher das Nest bedeutet, in dem Gott mit der ganzen Fülle seines Trostes Wohnung nehmen wollte.

Ganz treffend lässt sich auch diese heilige Ehe mit dem auserlesenen Baum vergleichen; denn ihre Wurzel bestand in einer solchen Verbindung der Herzen, bei der nichts anderes gesucht wurde als die Ehre und Verherrlichung Gottes. Und nicht minder treffend ist auch Absicht und Wille jenes geheiligten Bündnisses mit den fruchttragenden Zweigen vergleichbar, indem alle Handlungen durch die Furcht Gottes so sehr regiert waren, dass ihre heilige Liebe zueinander nur zur Verherrlichung Gottes nach einer Leibesfrucht begehrte. An die Hoheit dieser Ehe konnte der Versucher durch keine Arglist noch Gewalt hinanreichen; denn aus ihr war jedes andere Verlangen als nach Gottes Ehre ausgeschlossen, sowie jede andere Sorge, als dass Gott nicht beleidigt oder verunehrt würde. Endlich erhob sich der Baum dieser Ehe auch auf gesichertem Grund, da kein zeitliches Gut, noch Reichtum, noch Überfluss, noch Hoffart auf die Herzen Eindruck machen konnte.

Da also Gott von Ewigkeit vorhersah, wie in der Ehe von Joachim und Anna alle diese höchsten Vorzüge vereinigt sein würden, darum beschloss Er seine Wohnung, d. i. den Leib seiner heiligsten Mutter, aus ihr zu empfangen. O hochzuehrende Mutter Anna, welch einen kostbaren Schatz hast du in deinem Schoß getragen, solange Maria, welche die Mutter Gottes werden sollte, in ihm ruhte!

Es ist mit aller Gewissheit daran festzuhalten, dass Gott diesen heiligsten Leib schon in seinem ersten Gebildetwerden mehr liebte als alle anderen Menschengebilde auf Erden. Mit Recht ist darum die heilige Mutter Anna als die Schatzkammer des allmächtigen Gottes zu lobpreisen, da ihr Schoß den Schatz in sich barg, den Er mehr als alle seine Geschöpfe liebte. O wie nahe war das Herz Gottes, beständig diesem Schatz! Mit welcher Liebe und Freude ruhte auf ihm sein Auge, wie Er später in seinem Evangelium bezeugte: "Wo dein Schatz, da ist dein Herz."

Darum ist wohl zu glauben, mit welchem Frohlocken auch die Engel nach diesem Schatz geschaut, da sie inne wurden, wie sehr er von ihrem Herrn und Schöpfer geliebt wurde, den sie mehr als sich selber liebten. O Tag, würdig, von allen in höchster Ehre gehalten zu werden, an welchem der gebenedeite, von Gott und allen seinen Engeln geliebteste Leib der heiligsten Gottesgebärerin gebildet wurde!

Zweite Lesung: O Meeresstern Maria, lass dein mildes Licht über uns leuchten

11. Zu dem von Gott bestimmten Zeitpunkt wurde diesem Leib vom König aller Herrlichkeit die lebendige Seele eingegossen. Gleichwie die emsige Biene im Flug über grünende Auen die honigtragenden Blüten aufzufinden weiß und wie sie, so eine Knospe noch nicht aufgebrochen ist, doch mit Sehnsucht ihrem Aufblühen entgegensieht, um dann nach Gefallen von ihrer Süßigkeit zu kosten, so sah vom Himmel her auch das Auge Gottes, dem alles auf das klarste offenbar ist, solange Maria im Schoß ihrer heiligsten Mutter verborgen lag, voll Trost und Freudigkeit ihrer Geburt entgegen, um durch die Süßigkeit der Liebe der Jungfrau seine überfließende Güte zu offenbaren; denn Er wusste von Ewigkeit, dass an aller Gottseligkeit ihr kein Mensch auf Erden ähnlich sein werde.

O wie lieblich schimmerte aus dem Schoß Annas die aufsteigende Morgenröte Maria, nach deren Geburt sich Engel und Menschen sehnten! Doch ist wohl zu merken, dass die Sehnsucht der Engel nach dem Aufgang dieser Morgenröte eine andere war als die der Menschen. Die Engel nämlich, als die Bewohner des himmlischen Vaterlandes, welches ohne Wechsel von Tag und Nacht durch Gott, die Sonne der Gerechtigkeit, erleuchtet wird, sehnten sich nach dem Erscheinen der Morgenröte nicht um des Lichtes willen, da ja ohne Unterbrechung ihre Sonne ungleich heller strahlt als das Morgenrot, sondern deshalb, weil sie inne wurden, dass ihre Sonne beim Anbruch des Morgenrotes noch höher steigen und durch ihre Glut die Früchte, welche sie in die Scheunen zu sammeln hofften, schneller und vollkommener zur Reife bringen werde. Die Bewohner des Erdballes aber, über den sich die Schatten der Nacht lagern, sehnten sich nach der Morgenröte als dem sicheren Vorboten des Aufganges der Sonne; und auch darum waren sie in freudiger Erwartung, weil sie hofften, im Licht der Morgenröte zu erkennen, wie sie all ihr Tun einzurichten hätten.

Es sehnten sich also die Bürger des Himmelreiches nach der Geburt Mariens auf Erden, weil sie vorhersahen, wie überschwänglich Gott durch diese Morgenröte seine Liebe an den Menschen offenbaren, wie Er sie fruchtbar an guten Werken, wie Er sie beharrlich und standhaft im Guten und dadurch reif machen wolle, um von ihnen in die Scheunen der Ewigkeit, d. i. in die himmlischen Freuden, eingesammelt zu werden. Die Menschen auf dieser dunklen Erde aber, d. i. jene, welchen Gott die Geburt seiner süßesten Mutter vorher gezeigt, frohlockten über sie nicht allein deshalb, weil ihr Herr und Heiland aus ihr geboren werden sollte, sondern auch weil sie in dem heiligsten Wandel der gebenedeiten Jungfrau das Urbild aller Vollkommenheit und Gottseligkeit zu schauen gewürdigt werden sollten.

Diese Jungfrau ist ja das von Jesajas geweissagte Reis aus der Wurzel Jesses, auf dessen Blume der Heilige Geist sich niederlassen sollte. O unbegreiflich heiliges Reis, im Schoß Annas wachsend, während dein Mark noch in der Herrlichkeit des Himmels weilt! O schwaches, zartes Reis, vom Mutterschoß leicht umschlossen! Dein Mark aber ist nach Länge und Breite so hoch, so unermesslich, dass kein Verstand seine Größe zu fassen vermag. Das Reis vermochte seine Blume nicht hervorzubringen, ehe nicht das Mark in dasselbe eingegangen und ihm die Kraft zum Erblühen verliehen hatte; aber auch die Stärke des Markes wollte sich nicht eher offenbaren, als bis das Reis auch seine Kraft dem Mark mitgeteilt. Dieses Mark ist die Person des Sohnes Gottes, vom Vater vor dem Morgenstern gezeugt, der aber in der Blume, d. i. im Gewand der Menschheit, nicht eher erscheinen wollte, als bis die Jungfrau, d. i. das Reis, ihre Zustimmung dazu gegeben, dass Er aus ihrem reinsten Blut in ihrem jungfräulichen Schoß sich die Blume, d. i. den menschlichen Leib, annehme.

Das hochgebenedeite Reis, die glorreiche Jungfrau Maria, verließ in ihrer Geburt den mütterlichen Schoß; der Sohn Gottes aber blieb, als Er in der Zeit aus der Jungfrau im Fleisch geboren wurde, mit dem Vater ebenso untrennbar vereint, wie bei seiner ewigen Zeugung vom Vater. Auch der Heilige Geist ist von Ewigkeit her untrennbar im Vater und im Sohn; denn es sind drei Personen und eine Gottheit.

Dritte Lesung: Die glorreiche Geburt der Mutter Christi werde uns zur ewigen Freude

12. Von Ewigkeit her sind der Vater und der Sohn und der Heilige Geist des einen göttlichen Wesens, darum ist in ihnen niemals ein verschiedener Wille; sondern wie drei Flammen aus der einen Feuersglut, so gingen von der Gültigkeit des göttlichen Willens drei Liebesflammen gleichmäßig aus, um das eine Werk zu vollbringen. Die vom Vater ausgehende Liebesflamme leuchtete auf das hellste vor den Engeln, als sie inne wurden, es sei sein Wille, seinen geliebten Sohn aus Gütigkeit dahinzugeben, um einen Sklaven aus der Gefangenschaft zu befreien. Die vom Sohn ausgehende Liebesflamme aber offenbarte sich, da Er auf den Wink des Vaters einwilligte, sich zu entäußern und die Gestalt eines Knechtes anzunehmen. Die vom Heiligen Geiste endlich ausgehende Liebesflamme offenbarte ihre gleich starke Glut, da Er seine Einstimmung dazu gab, des Vaters, des Sohnes und seinen eigenen Willen durch äußere Werke zu offenbaren.

Wiewohl aber das Liebesfeuer dieses göttlichen Willens seine Strahlen durch alle Himmel verbreitete und die Engel mit unsäglichem Trost erfüllte, so sollte doch nach Gottes ewiger Vorherbestimmung für das Menschengeschlecht die Erlösung nicht früher daraus hervorgehen, als bis Maria geboren und in ihr die zur höchsten Höhe aufsteigende Liebesflamme entzündet war, welche durch ihren süßen Wohlgeruch das Feuer Gottes selbst zu sich herabzog und mit ihm die erstarrte Welt zu neuem Leben brachte.

Nach ihrer Geburt war die Jungfrau ähnlich einer neuen Lampe, welche in solcher Stärke leuchten sollte, dass, wie die drei Flammen der Liebe Gottes im Himmel ihre Strahlen verbreiten, so die auserlesene Lampe Maria die finstere Welt mit drei anderen Liebesflammen erleuchtete.

Die erste Flamme Mariens ergoss vor Gott ihren hellen Glanz in dem festen Gelübde, zur Ehre Gottes ihre Jungfrauschaft unbefleckt bis zum Tod zu bewahren. An dieser heiligsten Jungfrauschaft fand Gott der Vater solches Wohlgefallen, dass Er sich würdigte, seinen geliebten Sohn mit seiner und des Sohnes und des Heiligen Geistes Gottheit zu ihr zu senden.

Die zweite Liebesflamme Mariens offenbarte sich in ihrer unbegreiflichen Demut, in welcher sie ohne Unterlass sich in allen Stücken so tief erniedrigte und dem hochgelobten Sohn Gottes dadurch so sehr gefiel, dass Er sich herabließ, aus ihrem demütigsten Schoß jenen ehrwürdigsten Leib zu empfangen, welchem die ewige Erhöhung über alles im Himmel und auf Erden gebührte.

Die dritte Liebesflamme war ihr über alles Lob erhabener Gehorsam, welcher den Heiligen Geist zu ihr herabzog, um sie mit allen Gnaden und Gaben zu erfüllen.

Und wie mit voller Gewissheit zu glauben ist, dass im Augenblick seiner heiligsten Menschwerdung der Sohn Mariens in ihrem Schoß den vollen Gebrauch aller Seelenkräfte gehabt habe, so war auch Maria nach ihrer Geburt früher als die anderen Kinder in vollem Gebrauch aller Seelenkräfte.

Wenn also Gott und seine Engel im Himmel über ihre glorreiche Geburt frohlockten, so haben auch alle Irdischen über diese Geburt sich zu freuen und dem Schöpfer aller Dinge aus innerstem Herzen Lob und Dank dafür darzubringen, dass Er Maria aus allen seinen Geschöpfen sich erlesen und gewollt hat, dass sie, die heiligste Mutter des Erlösers der sündigen Menschen, inmitten dieser Sünder geboren werde.

Für den Donnerstag

In den folgenden drei Lesungen redet der Engel von dem Wandel der Jungfrau Maria seit frühester Kindheit, von der Schönheit ihrer Seele und ihres Leibes; von der Empfängnis des Sohnes Gottes in ihrem Schoß und seiner glorreichen Geburt.

Erste Lesung: Erhabenste Jungfrau der Jungfrauen, sei unsere Mittlerin bei Gott

13. Der gebenedeite Leib des Kindes Maria war vergleichbar einem reinsten Kristallgefäß, ihre Seele einer hellstrahlenden Leuchte und ihr Gehirn einem Brunnen mit hochansteigenden Wasserstrahlen, welche in einen tiefen Talgrund zurückfließen.

Sobald Maria zur Erkenntnis Gottes, des himmlischen Vaters als des Schöpfers aller Dinge und besonders des Menschen zu seiner ewigen Verherrlichung sowie als des gerechtesten Richters aller Geschöpfe, gelangte, da erhoben sich, wie die Wasserstrahlen aus einem Springquell, Sinn und Geist der Jungfrau aus dem Gehirn bis in die Höhen des Himmels und strömten wieder zurück in die Tiefe, d. i. in ihr demütigstes Herz. Denn wie die Kirche singt, der Ausgang des Sohnes Gottes sei von dem Vater und sein Rückgang sei zu dem Vater, wenngleich weder der Vater vom Sohn, noch der Sohn von dem Vater je getrennt war, so erkannte der beständig zur Höhe der Himmel aufsteigende Sinn und Geist der Jungfrau Gott im festen Glauben und kehrte voll der süßesten Liebe aus der Umarmung Gottes wieder in sich zurück.

Diese ihre Liebe bewahrte sie unerschüttert mit der Tugend der Hoffnung und der Furcht Gottes, indem das Feuer dieser Liebe ihre ganze Seele so mächtig durchdrang, dass sie, einer lodernden Flamme ähnlich, in der Liebe Gottes zu brennen begann. Diese Geistesstärke der Jungfrau erhielt auch ihren Leib der Seele zum Dienste Gottes so unterworfen, dass er in höchster Unterwürfigkeit ihr allzeit folgsam war. O wie schnell hat Sinn und Geist der Jungfrau die Liebe Gottes in sich aufgenommen! O wie weise hat sie sich durch diese Liebe Schätze gesammelt!

Sie glich einer gepflanzten Lilie, welche mit dreifacher Wurzel in das Erdreich dringt, dieses selbst noch fruchtbarer macht und drei lieblichste Blüten aus ihrem Stengel zur Freude aller Beschauer hervortreibt. In solcher Weise senkte sich in das glorreichste Erdreich, d. i. in das Herz der Jungfrau, die göttliche Liebe und befestigte sich darin mit drei mächtigsten Tugenden wie mit dreifacher Wurzel, durch welche selbst der Leib der Jungfrau Kraft und Stärke gewann, die Seele aber mit drei helleuchtenden Blumen geschmückt wurde, welche die Augen Gottes und der Engel entzückten.

Die erste Tugendstärke ihres Leibes bestand in der weisen Abtötung, in der sie Speise und Trank so mäßig gebrauchte, dass weder ein Überfluss sie lässig im Dienste Gottes, noch zu große Enthaltung schwach zur Vollbringung eines Tugendwerkes machen konnte.

Die zweite Stärke war das Maßhalten im Wachen, wodurch ihr Leib so geregelt wurde, dass er niemals wegen Kürze des Schlafes eine Beschwerde erhob, wenn die Jungfrau dem Wachsein oblag, noch durch festen Schlaf jemals zur Ursache wurde, dass die bestimmten Stunden der Nachtwachen nur um einen Augenblick verkürzt wurden.

Die dritte Stärke bestand in der Vortrefflichkeit der ganzen leiblichen Beschaffenheit der Jungfrau, welche sie befähigte, Mühen und Beschwerden ebenso gleichmütig zu ertragen, wie ein flüchtiges, leibliches Wohlbefinden; so wenig über irgend leibliche Mühlseligkeit eine Klage, so wenig äußerte sie über Wohlbefinden je eine Freude.

Außerdem empfing ihre Seele aus der göttlichen Liebe als erste Zierde, dass sie die von Gott den Getreuen verheißenen Belohnungen allen sichtbaren Dingen vorzog und darum die irdischen Glücksgüter als wertloseste Sache verachtete.

Als zweite Zierde schmückte ihre Seele die vollkommene Erkenntnis, wie unvergleichlich tief die Ehre vor der Welt unter dem Ruhm vor Gott stehe, weshalb sie jede weltliche Ehre so verabscheute wie eine verpestete, tödliche Luft.

Als dritter Auszeichnung erfreute sich ihre Seele, dass ihr Herz an allem, was Gott gefällt, die süßeste Freude empfand, während alles, was Gott und seinem heiligsten Willen entgegen ist, für sie bitterer denn Galle war. Darum ward von dem Willen der Jungfrau ihre Seele so mächtig bewegt, nur allein nach der wahren Süßigkeit zu begehren, dass sie nach diesem Leben keine Bitterkeit des Geistes zu kosten bekam.

Im Schmuck dieser Zierden erschien die Seele der Jungfrau dem Auge Gottes schöner als alle anderen Geschöpfe, so dass es Ihm gefiel, durch ihre Vermittlung alle seine Verheißungen zu erfüllen. Die Macht ihrer Liebe nämlich verlieh ihr solche Stärke des Geistes, dass sie jede Tugend in höchster Vollkommenheit übte und dass der Feind der Seelen auch nicht im kleinsten Pünktlein gegen sie je etwas vermochte. Ferner ist für wahr zu halten, dass, ebenso wie ihre Seele vor Gott und den Engeln als die schönste erschien, so auch ihre Leibesgestalt auf alle Menschen, die sie zu schauen gewürdigt waren, einen ganz wunderbaren Eindruck hervorbrachte. Wie darum Gott und die Engel im Himmel über die Schönheit der Seele der Jungfrau frohlockten, so wurde die lieblichste Schönheit ihres Leibes für die Menschen auf Erden zum Segen und zur Freude des Geistes. Sahen die Frommen, mit welchem Eifer sie Gott diente, so fühlten sie sich noch mächtiger angetrieben, die Ehre Gottes zu fördern; und selbst in den Gewohnheitssündern brachten die Worte der Jungfrau und der Anblick der Heiligkeit ihrer ganzen Erscheinung augenblickliches Erlöschen der sündhaften Neigungen hervor.

Zweite Lesung: O Jungfrau, vom Engel gegrüßt, würdige Dich, unsere Verschuldungen zu tilgen

14. Keine Zunge vermag zu beschreiben, mit welcher Fülle des Lichtes Sinn und Geist der Jungfrau im ersten Augenblick, da sie zur Erkenntnis Gottes gelangte, erleuchtet wurde, zumal da auch kein menschlicher Verstand es fassen kann, wie vielfältig der gebenedeite Wille der Jungfrau dem Dienste Gottes sich weihte. Denn alles, was sie als Gott wohlgefällig erkannte, das wollte sie mit freudigster Behendigkeit vollbringen. So erkannte die Jungfrau, wie Gott nicht um ihrer Verdienste willen den Leib für sie erschaffen und dass Er die Seele und die Freiheit des Willens ihr dazu gegeben habe, um seine Gebote in Demut zu erfüllen oder, wenn sie wollte, ihnen zu widerstehen. Darum entschloss sich der demütigste Wille der Jungfrau, für diese Gaben, solange sie leben würde, Gott in höchster Liebe zu dienen, auch wenn sie keine andere Gabe mehr von Gott empfangen würde.

Als sie aber inne wurde, Gott, der Schöpfer aller Dinge, würdige sich, auch der Erlöser der von Ihm erschaffenen Seelen zu werden, und begehre für dieses erstaunliche Werk keinen anderen Lohn als eben die Rettung dieser Seelen; und dass jeder Mensch in der Freiheit seines Willens die Möglichkeit besitze, Gott durch gute Werke zu versöhnen oder durch Missetaten zum Zorn zu reizen, da begann der Wille der Jungfrau ihren Leib in den Stürmen der Welt mit derselben Sorgfalt zu regieren wie ein vorsichtiger Steuermann sein Fahrzeug. Denn gleichwie ein Steuermann in Besorgnis, sein Fahrzeug könnte in den hochgehenden Wogen Gefahr laufen, immerdar die Strudel vor Augen hat, von welchen so häufig Schiffe verschlungen werden, weshalb er sein Fahrzeug mit festen Tauen und Segeln versieht; wie seine Blicke beständig nach dem Hafen gerichtet sind, in welchem er nach überstandenen Mühen Ruhe zu finden gedenkt; wie er endlich mit höchster Sorgfalt darauf bedacht ist, die ganze Schiffsladung ihrem rechtmäßigen und von ihm geliebten Eigentümer aufs beste abzuliefern: so begann augenblicklich der Wille der weisesten Jungfrau mit höchster Sorgfalt ihren Leib nach dem Hauch der Gebote Gottes zu regieren, sobald sie die erste Erkenntnis derselben erlangte. Gar häufig mied sie das Zusammensein mit den nächsten Verwandten, damit diese, weder im Glück noch im Unglück, was den Stürmen der Welt vergleichbar, durch Wort oder Tat sie im Dienste Gottes säumiger machen könnten. Alle Verbote des göttlichen Gesetzes waren ihrem Gedächtnis beständig gegenwärtig, um alles aufs sorgfältigste zu vermeiden, was, einem gefährlichen Strudel ähnlich, ihrer Seele geistigen Schaden bringen könnte.

Dieser ihr ruhmwürdigster Wille endlich erhielt die Jungfrau und alle ihre Sinne in so wunderbarer Regelung, dass ihre Zunge sich niemals zu einem unnützen Wort in Bewegung setzte, dass ihre sittsamsten Augen niemals zu einem unnötigen Blick sich erhoben und ihre Ohren allezeit nur auf das merkten, was sich auf die Ehre Gottes bezog, dass ihre Hände und Finger nur allein für die eigene oder des Nächsten Notdurft sich in Tätigkeit setzten; dass sie endlich ihren Füßen keinen Schritt gestattete, ehe sie nicht zuvor überlegte, welch Gutes sie damit bezwecke.

Außerdem trug der Wille der Jungfrau beständiges Verlangen nach der freudigen Erduldung aller Trübsale dieser Welt, um sicher in den Hafen, d. i. in den Schoß Gottes des Vaters, zu gelangen, indem er ohne Unterlass begehrte, dass der über alles von ihm geliebte Herr und Gott von der Seele Dank und Lobpreisung für ihre Erschaffung und Heiligung empfange. Und da der Wille der Jungfrau jegliches gute Werk vollkommen und ohne irgendwelchen Mangel vollbrachte, darum erhob sie Gott, der Urheber alles Guten, auf den höchsten Gipfel aller Tugenden und bewirkte, dass sie im hellsten Glanze aller Vollkommenheit leuchtete. Wer könnte sich darum verwundern, dass Gott diese Jungfrau über alle Geschöpfe liebte, da Er von Ewigkeit wusste, dass sie einzig und allein aus allen Menschenkindern ganz und gar sündelos sein werde.

O wie nahe kam dieses Fahrzeug, d. i. der Leib der Jungfrau, dem ersehntesten Hafen, d. i. der Wohnung des Vaters, als Gabriel sich mit dem Gruß "Ave gratia plena" ihr näherte! O wie unbegreiflich heilig vertraute ihr Gott der Vater seinen Sohn, als die Jungfrau dem Engel antwortete: "Es geschehe Mir nach deinem Wort!" Denn in diesem Augenblick ward im Schoß der Jungfrau die Gottheit mit der Menschheit vereinigt, ward der wahre Gott, der Sohn Gottes, des Vaters, Mensch und Sohn der Jungfrau.

Dritte Lesung: O Jungfrau Maria, segne uns mit deinem süßesten Kind

15. O herrlichste, aller Anbetung würdigste Vereinigung! Der Sohn Gottes hat auf Erden zur Wohnung den Schoß der Jungfrau, im Himmel aber als Wohnung die Heiligste Dreieinigkeit, wiewöhl Er nach seiner Macht an allen Orten wohnt. Die Jungfrau ist in Leib und Seele voll des Heiligen Geistes; der Heilige Geist aber ist im Vater ebenso wie in dem Mensch gewordenen Sohne, der als der Sohn Gottes nicht allein im jungfräulichen Schoß auf Erden, sondern auch im Vater und im Heiligen Geiste seine Wohnung im Himmel hat. Auch der Vater hat mit dem Heiligen Geist seine Wohnung im Mensch gewordenen Sohn auf Erden, wenngleich nur der Sohn als wahrer Gott das menschliche Fleisch annahm, der nach seiner göttlichen Wesenheit den menschlichen Augen zwar verborgen, den Engeln jedoch in seiner ewigen Wohnung als der allzeit Eine und Selbe offenbar war.

Alle wahren Gläubigen mögen also über die in der Jungfrau vollbrachte unaussprechliche Vereinigung frohlocken, in welcher der Sohn Gottes aus ihrem Fleisch und Blut den menschlichen Leib annahm und die Gottheit mit der Menschheit und mit der Gottheit die wahre Menschheit vereinigte. In dieser glückseligsten Vereinigung ist weder im Sohn die Gottheit gemindert noch in der Mutter die Unversehrtheit der Jungfrauschaft. Jene aber sollen erröten und erzittern, welche leugnen, dass die Allmacht des Schöpfers solches vollbringen könne, oder welche wähnen, dass seine Gütigkeit für das Heil der Geschöpfe solches nicht wirken wolle, auch wenn Er könnte. Wenn aber geglaubt wird, dass die Allmacht und Güte Gottes das Wunder der heiligsten Menschwerdung vollbracht haben, wie ist es dann möglich, dass jene, welche nicht bezweifeln können, es sei dies zu ihrem Heil geschehen, dennoch den gütigsten Gott nicht von ganzem Herzen lieben!

Beherzigt darum wohl und erwäget, welch höchster Liebe ein irdischer Herr und Gebieter würdig wäre, der im Besitz aller Herrlichkeiten und Reichtümer aus reiner Güte, um einen mit Schmach und Schande beladenen Freund wieder zu Ehren zu bringen, dessen ganze Schmach auf sich nehmen würde; der ferner, wenn er sähe, dass sein Freund durch Armut gedrückt wird, sich jedem Mangel unterzöge, nur um diesen zu bereichern; der endlich, wenn dieser Freund elend zum Tod verurteilt würde und nur dadurch gerettet werden könnte, wenn ein anderer freiwillig statt seiner den Tod auf sich nähme, sich selber für ihn dem Tod überliefern würde, damit der zum Tod Verurteilte glücklich am Leben bleiben könnte.

Da in solcher dreifachen Hingabe sich die höchste Liebe offenbart, darum hat Gott, auf dass niemand sagen könne, es habe ein Mensch auf Erden seinem Freund eine höhere Liebe erzeigt als selbst der Schöpfer im Himmel, seine Majestät herab geneigt und ist vom Himmel in den Schoß der Jungfrau hernieder gekommen, indem Er nicht durch einen Teil nur ihres Leibes in sie einging, sondern durch den ganzen Leib hindurch in ihren heiligsten Schoß sich ergoss, um sich aus dem Fleisch und Blut nur der Jungfrau allein auf das heiligste einen menschlichen Leib zu bilden.

Darum ist die auserwählte Jungfrau so passend mit dem in den Flammen unverletzt bleibenden Strauch vergleichbar, der dem Moses gezeigt wurde. Derselbe Herr und Gott, der so lange in dem flammenden Busch verweilte, bis Moses seinen Worten Glauben und Gehorsam schenkte, und der auf die Frage nach seinem Namen dem Moses zur Antwort gab: "Ich bin, der Ich bin", d. i. dieser Name gebührt Mir in Ewigkeit; dieser selbe Herr und Gott verweilte so lange Zeit im Schoße der Jungfrau, wie andere Kinder bis zur Geburt im Mutterschoß verweilen müssen.

Und gleichwie der Sohn Gottes in der Empfängnis durch den ganzen Leib der Jungfrau mit seiner Gottheit einging, so wurde Er auch in seiner Geburt mit Gottheit und Menschheit, wie der süße Duft aus unversehrter Rose, von dem ganzen Leib der Jungfrau ans Licht ergossen, indem die Zierde der Jungfrauschaft in der Mutter unversehrt erhalten blieb.

O wie sehr hat Gott, haben die Engel, der erste Mensch, die Patriarchen und Propheten mit allen Getreuen Gottes sich gefreut, dass jener Strauch, d. i. der Leib Mariens, so sehr durch das Feuer der Liebe werde entzündet sein, dass der Sohn Gottes sich würdige, demütigst darin einzukehren, so lange darin zu verweilen und so wunderbar aus ihm zu scheiden! Wie recht ist es darum, dass auch alle jetzt Lebenden aus ganzer Seele Gott dafür lobpreisen, dass der Sohn Gottes, als wahrer und unsterblicher Gott wie der Vater und der Heilige Geist, in dem brennenden Busch für sie das sterbliche Fleisch angenommen hat! Mit welchem Verlangen sollten sie zu der Jungfrau ihre Zuflucht nehmen, auf dass durch ihre Fürbitte ihnen, den Sterblichen, welche überdies durch ihre Sünden den ewigen Tod verdient, das ewige Leben wiedergegeben werde.

Und gleichwie Gott in der Jungfrau verweilt hat, damit sein menschlicher Leib weder an Alter noch an den Gliedern den anderen Kindern zurückstehe, um mit Macht den Teufel zu überwinden, der mit Arglist alle unter sein hartes Joch gebracht hatte, so sollen die Menschen in Demut zu der Jungfrau flehen, dass sie ihnen gestatte, unter ihrem Schutz zu bleiben, um nicht in die Fallstricke des Satans zu geraten. Und wie Gott aus der Jungfrau in die Welt geboren wurde, um den Menschen die Pforte des himmlischen Vaterlandes aufzuschließen, so sollen alle mit heißen Bitten zur Jungfrau rufen, dass sie ihnen beim Scheiden aus der bösen Welt beistehe und zum Eingang in das ewige Reich ihres hochgebenedeiten Sohnes verhelfe.

Für den Freitag

In den drei folgenden Lesungen redet der Engel von der bittersten Betrübnis der glorreichen Jungfrau über den qualvollen Tod ihres gebenedeiten Sohnes und über die Standhaftigkeit ihres Geistes, welche sie in allen ihren Leiden bewahrte.

Erste Lesung: O Jungfrau, versöhne uns mit deinem Sohn, der uns erlöst hat

16. Es ist zu lesen, dass die Jungfrau Maria bei der Anrede des Engels erschrak. Wohl hatte sie keine Furcht vor einer äußeren Gefahr; aber sie besorgte, es möchte die Arglist des Feindes des Menschengeschlechtes ihrer Seele Schaden bereiten wollen. Daraus lässt sich klar entnehmen, dass, sobald sie das Alter erreicht hatte, um mit Sinn und Geist Gott und seinen Willen zu erkennen, sie alsbald begann, nicht allein Gott vollkommen zu lieben, sondern auch kindlich zu fürchten. Darum kann füglich die Jungfrau eine blühende Rose genannt werden; wie diese sich unter Dornen entfaltet, so die ehrwürdigste Jungfrau unter Trübsalen. Und wie im Verhältnis zum Wachstum der Rose die Dornen stärker und spitzer werden, so wurde auch die auserwählte Jungfrau, je mehr sie an Alter zunahm, um so schärfer durch die Dornen wachsender Trübsale verwundet.

Dem kindlichen Alter entwachsen, wurde für sie die Furcht Gottes der erste Schmerz, indem sie stets mit heiligster Furcht erfüllt war, um jede Unvollkommenheit von sich fern zu halten, aber auch mit ebenso großer Besorgnis, um jede ihrer Handlungen so vollkommen wie möglich zu verrichten; denn wenn sie gleich mit aller Wachsamkeit in Gedanken, Worten und Werken einzig nur Gottes Ehre beabsichtigte, so war sie doch in Furcht, es könnte sich ein Mangel einschleichen. Darum mögen die armen Sünder, die ohne Scheu und mit voller Einstimmung den Reizen zu jeder Missetat beständig nachgeben, wohl bedenken, welche Strafen und welches Elend sie auf ihre Seele laden, während die glorreiche, ganz und gar sündelose Jungfrau ihre Gott über alles wohlgefälligen Werke unter Furcht und Zittern vollbracht hat.

Da ferner die Jungfrau aus den Schriften der Propheten wusste, dass Gott Mensch werden und die mannigfachsten Peinen in dem angenommenen Fleisch erdulden wolle, so verursachte diese Erkenntnis ihrem Gott so feurig liebenden Herzen fortwährend die bitterste Trauer, obwohl sie daran noch gar nicht denken konnte, dass sie selbst zu seiner Mutter erkoren sei.

Als sie aber das Alter erreichte, da der Sohn Gottes auch ihr eigener Sohn wurde und von ihr in ihrem Schoße sich den Leib annahm, in welchem Er alles erfüllen wollte, was die Propheten von Ihm geweissagt, da schien die lieblichste Rose ihre Schönheit noch viel reicher zu entfalten und beständig in ihr zuzunehmen. Aber auch die Dornen der Trübsale, welche so schmerzlich verwundeten, wurden mit jedem Tag stärker und schärfer. Denn wie groß und unaussprechlich die Freude war, welche sie in der Empfängnis ihres Sohnes empfunden, so groß und vielfältig war die Trübsal, die ihr Herz verwundete, so oft sie seines künftigen, bittersten Leidens gedachte. Die Jungfrau freute sich, dass ihr Sohn durch seine tiefste Demut seine Freunde, über welche der Stolz des ersten Menschen die Pein der Hölle gebracht, zur Herrlichkeit des himmlischen Reiches zurückführen sollte; sie war aber auch voll Trauer, da sie wusste, wie ihr Sohn auf Erden durch den bittersten Tod seines Leibes die Schuld des Ungehorsams des ersten Menschen werde zu sühnen haben, der im Paradies durch die böse Begierlichkeit aller Glieder seines Leibes in die Sünde gefallen war.

Die Jungfrau freute sich, dass sie ihren Sohn so heilig und in höchster Reinheit empfangen, wie auch ohne Schmerzen geboren hatte; sie war aber voll Trauer, da sie auf das klarste voraus wusste, das Er zu dem schmählichsten Tod geboren war, und dass sie selber in äußerster Betrübnis des Herzens Zeuge aller seiner Leiden werde sein müssen.

Sie freute sich in der Gewissheit, dass Er vom Tod erstehen und um seines Leidens willen zur höchsten Verherrlichung für ewig werde erhöht werden; sie war aber voll Trauer, da sie mit derselben Gewissheit voraussah, welche Beschimpfungen, welche Widersprüche und welch grausamste Martern Er vor seiner Verherrlichung werde zu erdulden haben.

Ja es ist mit voller Gewissheit daran festzuhalten, dass, ähnlich wie die Rose, welche inmitten der immer schärfer und spitzer werdenden Dornen unerschütterlich ihre Stelle behauptet, so die gebenedeite Rose Maria ihre Standhaftigkeit so unerschüttert bewahrte, dass, wie sehr auch die Dornen der Trübsale ihr Herz verwundeten, doch niemals die Kraft ihres Geistes gebeugt, sondern nur noch stärker gemacht wurde, um alles zu dulden und alles zu vollbringen, was Gott gefallen würde.

Darum wird sie mit bestem Recht mit einer blühenden Rose verglichen, d. i. mit der Rose von Jericho; denn wie diese an Schönheit alle anderen Rosen übertrifft, so ragt Maria über alle Menschenkinder, ihren hochgebenedeiten Sohn allein ausgenommen, an Schönheit des Wandels und aller Tugenden hervor. Wie ihre wunderbare Standhaftigkeit Gott und die Engel des Himmels entzückte, so erfüllte der Anblick ihrer Geduld in Trübsalen und ihrer Mäßigung bei Tröstungen auch die Menschen auf Erden mit freudiger Bewunderung.

Zweite Lesung: Er, der durch sein kostbares Blut uns erlöst hat, wolle uns beschirmen durch die Fürbitte seiner jungfräulichen Mutter

17. In ihren Weissagungen vom Sohn Gottes sprachen die Propheten auch davon, welch bitteren Tod Er in seinem unschuldigsten Leib auf dieser Welt werde erdulden wollen, auf dass die Menschen in Vereinigung mit Ihm im Himmel des ewigen Lebens könnten teilhaftig werden. Demgemäß schilderten sie in ihren Prophezeiungen, wie der Sohn Gottes für die Erlösung des Menschengeschlechtes gebunden und gegeißelt, zum Kreuz geführt, schimpflich misshandelt und gekreuzigt werden würde. Wenn wir demnach glauben müssen, dass die Propheten wohl gewusst hatten, warum der unsterbliche Gott einen sterblichen Leib annehmen und in diesem Leib auf so mannigfache Weise gepeinigt werden wollte, so kann der christliche Glaube es um so weniger bezweifeln, dass unsere seligste Jungfrau und Herrin, welche Gott vor aller Zeit zur Mutter erkoren hatte, dies noch viel deutlicher gewusst hat; und recht ist zu glauben, es sei der Jungfrau die Absicht nicht verborgen gewesen, aus der Gott sich würdigte, sich in ihrem Schoß mit dem menschlichen Fleisch zu bekleiden. Ja gewiss, es ist fest und unbezweifelt zu bekennen, dass sie aus Eingebung des Heiligen Geistes den Sinn und die Bedeutung der prophetischen Worte weit vollkommener verstanden hat, als die Propheten selber, welche aus dem Mund desselben Heiligen Geistes ihre Worte vorgebracht haben.

Darum ist es für gewisseste Wahrheit zu halten, dass, als die Jungfrau den Sohn Gottes nach seiner Geburt zum ersten Mal auf ihre Hände nahm, es ihrem Geiste deutlichst vorschwebte, wie Er der Propheten Schriften werde zu erfüllen haben. So oft sie Ihn darnach in Windeln wickelte, empfand sie in ihrem Herzen, mit welch scharfen Geißeln sein ganzer Leib werde zerrissen werden, so dass Er das Aussehen eines vom Aussatz Geschlagenen haben würde. Und so oft die Jungfrau Arme und Füße ihres Kindleins sanft mit Tüchlein umwand, da gedachte sie, wie grausam dieselben mit eisernen Nägeln am Kreuz würden durchbohrt werden. Wendete sie ihr Auge nach dem Antlitz ihres Kindes, da ward sie inne, mit welcher Unehrerbietung die Mäuler der Gottlosen dieses heiligste Antlitz mit ihrem Auswurf besudeln würden. Und wie oft empfand die süßeste Mutter in ihrem Herzen, welche Faustschläge die Wangen ihres Sohnes treffen und welche Schmähungen und Lästerungen seine gebenedeiten Ohren erfüllen würden! Bald stellte sich ihr dar, wie seine Augen durch das herabrinnende Blut verdunkelt; bald, wie sein Mund mit Essig und Galle werde getränkt werden; bald drang es ihr zu Herzen, wie seine Arme mit Stricken gebunden, seine Nerven und Adern und alle Gewebe so unbarmherzig am Kreuz ausgedehnt und alle inneren Teile seines Leibes im Tod zusammengezogen und wie sein ganzer glorwürdiger Leib von innen und außen durch die bittersten Peinen bis zum Verscheiden am Kreuz werde gefoltert werden. Denn es wusste auch die heiligste Jungfrau, dass, sobald ihr Sohn seine Seele am Kreuz ausgehaucht haben werde, die scharfe Lanzenspitze seine Seite eröffnen und mitten durch sein Herz hindurch dringen werde.

Wie also die heilige Jungfrau mehr als alle anderen Mütter voll Freude war, sooft sie ihr neugebornes Kind betrachtete, indem sie es als wahren Gott und wahren Menschen erkannte, sterblich zwar nach seiner Menschheit, ewig unsterblich aber nach seiner Gottheit, so war sie doch im Vorherwissen seines bittersten Leidens zugleich die betrübteste aller Mütter. Und so war ihre höchste Freudigkeit unablässig von schwerster Trauer begleitet, gleich als würde einer Gebärenden gesagt: wohl hast du ein lebendes und in allen seinen Gliedern wohlgestaltetes Kind geboren, aber die Wehen des Gebärens werden bis zu deinem Tod nicht mehr aufhören. Wohl würde bei solchen Worten eine Mutter sich über das Leben und Gedeihen ihrer Leibesfrucht freuen, aber sich ohne Aufhören über ihr eigenes Leiden und ihren Tod betrüben. Doch könnte die Betrübnis solcher Mutter bei dem Gedanken an ihre Peinen und den Tod ihres Leibes nicht so groß sein, als es der Schmerz Mariens war, so oft sie des künftigen Todes ihres geliebtesten Kindes gedachte. Sie wusste aus den Worten der Propheten, wie zahllose und schwerste Peinen ihr süßestes Kind werde leiden müssen; und auch Simeon der Gerechte hatte ihr nicht aus ferner Vergangenheit her, wie die Propheten, sondern in das Angesicht geweissagt, dass ihre Seele ein Schwert durchbohren werde. Darum ist es wohl zu beherzigen, dass in dem Grad, als die Seelenkräfte weit stärker und fähiger sind, um Wohl und Wehe zu empfinden, als die körperlichen Sinne, die gebenedeite Seele der seligsten Jungfrau, welche von dem Schwert durchbohrt werden sollte, von weit ärgeren Qualen erfüllt wurde, noch bevor ihr Sohn sein bitteres Leiden zu beginnen hatte, als der Leib einer Mutter, bevor sie gebiert, zu ertragen vermöchte. Denn das ihr geweissagte Schwert der Schmerzen kam mit jeder Stunde in dem Grad ihr näher, als sich ihr geliebtester Sohn dem Zeitpunkt seines bittersten Leidens näherte. Darum ist unbezweifelt zu glauben, dass der liebreichste und unschuldigste Sohn Gottes mit seiner Mutter ein kindliches Mitleid trug und ihre Peinen durch häufige Tröstungen zu lindern suchte, sonst hätte ihr Leben es nicht vermocht, sie bis zum Tod ihres Sohnes zu ertragen.

Dritte Lesung: Das bittere Leiden des Sohnes der Jungfrau empfehle uns in die Hände seines höchsten Vaters

18. Von jenem Zeitpunkt aber an, da der Sohn der Jungfrau gesprochen: "Ihr werdet Mich suchen, aber nicht finden" (Joh 7, 34.); da verwundete die Spitze des Schwertes ihrer Schmerzen das Herz der Jungfrau noch viel heftiger. Und als Er zuletzt von dem eigenen Jünger verraten und, wie Er geschehen lassen wollte, von den Feinden der Wahrheit und Gerechtigkeit gefangen wurde, da drang das Schwert der Schmerzen grausam durch ihr Herz, durch ihr Innerstes und durch ihre Seele, so dass alle Glieder ihres heiligsten Leibes mit unsäglichen Martern erfüllet wurden. Und so viele Peinen und Beschimpfungen ihrem Sohn angetan wurden, so vielmal erneuerte jenes Schwert seine ganze Schärfe in der Seele der heiligen Jungfrau. Sie musste ja alles mitansehen, wie ihr Sohn von den Händen der Gottlosen mit Backenstreichen geschlagen, grausam und unbarmherzig gegeißelt und von den jüdischen Obrigkeiten unter dem Geschrei des ganzen Volkes: "Ans Kreuz mit dem Verräter!" zum schimpflichen Tod verurteilt wurde; wie Er mit gebundenen Händen zur Richtstätte geführt wurde, sein Kreuz in äußerster Erschöpfung auf den Schultern dahin tragend, während vorangehende Schergen Ihn an Stricken nach sich zogen, andere neben Ihm hergehend Ihn mit Faustschlägen antrieben und Ihn, das sanftmütigste Lamm, hetzten wie das grausamste Wild. Er aber war, wie Jesaias geweissagt, in all seinen Nöten geduldig wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und klaglos, wie das vor seinem Scherer verstummende Lamm, öffnete Er seinen Mund nicht. Und so, wie Er das Bild der höchsten Geduld, so war es auch seine gebenedeite Mutter, welche alle Peinen mit Ihm teilte. Und wie ein Lamm seiner Mutter nachgeht, wohin sie geführt wird, so folgte auch die jungfräuliche Mutter ihrem Sohn an alle Stätten seiner Martern. So sah sie also mit an, wie ihrem Sohn zum Spott die Dornenkrone aufs Haupt gesetzt, wie sein Angesicht von Blut überronnen, seine Wangen durch härteste Backenstreiche dunkel gerötet wurden. Der übergroße Schmerz ihres Mitleidens presste ihr Seufzer aus und brachte ihr Antlitz zum Erblassen; und als bei der Geißelung der heiligste Leib ihres Sohnes aus tausend Wunden blutete, da rannen aus ihren Augen die bittersten Tränenbäche nieder. Bei der grausamsten Ausspannung ihres Sohnes am Kreuzesstamm aber begannen alle Kräfte ihres Leibes zu schwinden; und als vollends der Schall der Hammerschläge, mit welchen durch die Hände und Füße ihres Sohnes die eisernen Nägel getrieben wurden, an ihr Ohr drang, da vergingen der Jungfrau alle Sinne, und im Übermaß dieser Marter sank sie, einer Sterbenden gleich, zur Erde nieder. Als die Juden Ihn mit Galle und Essig tränkten, da vertrockneten, vor Angst ihres Herzens, Zunge und Gaumen der Jungfrau, so dass sie nicht vermochte, ihre gebenedeiten Lippen zu einem Wort zu bewegen. Und als sie darauf die klägliche Stimme ihres im Todeskampf rufenden Sohnes vernahm: "Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?" und sehen musste, wie alle seine Glieder erstarrten und Er mit geneigtem Haupt seinen Geist aufgab, da schnürte die Heftigkeit der Schmerzen das Herz der Jungfrau so zusammen, dass jedes Gelenk ihres heiligsten Leibes die Bewegung versagte.

Daraus aber mögen wir wohl erkennen, welch ein großes Wunder Gott hier zu wirken hatte, dass die jungfräuliche Mutter, deren Herz von so unaussprechlich vielen und großen Martern verwundet war, ihren Geist nicht vollends aufgab, als sie auch noch mitansehen musste, wie ihr geliebter Sohn seiner Kleider beraubt, von Wunden zerrissen, mit Blut überlaufen, lebend und tot, verhöhnt und verspottet, mit der Lanze durchbohrt zwischen zwei Mördern am Kreuz hing, während die Mehrzahl seiner Anhänger und Freunde Ihn verließ, floh und sich gar weit von der Geradheit des wahren Glaubens verirrte. Gleichwie also ihr Sohn unter größeren Peinen, als alle Menschen zusammen nicht zu ertragen vermöchten, den bittersten Tod für uns erduldet hat, so hat auch seine mit Ihm leidende Mutter in ihrer gebenedeiten Seele dieselben Peinen für uns mitgetragen.

Im ersten Buch der Könige wird von der Frau des Phinees erzählt, dass sie bei der Nachricht von dem Verlust der Bundeslade an die Feinde Gottes vor heftigem Schmerz gestorben sei. Aber der Schmerz dieser Frau lässt sich mit dem Schmerz nicht in Vergleich bringen, welchen die jungfräuliche Mutter empfand, als sie den Leib ihres gebenedeiten Sohnes, dessen Vorbild jene Lade des Bundes gewesen, mit Nägeln an das Holz des Kreuzes geheftet erblickte. Denn die Jungfrau liebte ihren Sohn als wahren Gott und wahren Menschen mit unvergleichlich größerer Liebe als irgendein Menschenkind sich selbst oder einen anderen lieben könnte. Darum ist es auch ein ganz augenscheinliches Wunder, dass Maria den unbegreiflichen Peinen nicht erlag, welche sie verwundeten, während die Frau des Phinees schon über einem viel geringeren Schmerz das Leben verlor. Wer muss nicht unwillkürlich dabei denken, dass nur das unmittelbare Eingreifen der Allmacht Gottes sie gegen alle Möglichkeit der körperlichen Kräfte am Leben erhalten konnte?

Durch seinen Tod schloss uns der Sohn Gottes den Himmel auf, und aus der Vorhölle erlöste Er im Triumph seine Getreuen. Maria aber blieb im Leben zurück; und sie war es, die einzig und allein bis zur Auferstehung ihres Sohnes den wahren Glauben unerschütterlich bewahrte und gar viele, welche elendiglich vom Glauben abgeirrt waren, wieder zum Glauben zurückführte und darin bestärkte.

Als ihr Sohn verschieden war, wurde Er vom Kreuz abgenommen, in Linnen gehüllt und zu Grab getragen. Da zogen sich alle von Ihm zurück, und nur wenige glaubten, dass Er vom Tod erstehen werde. In dem Herzen der Mutter aber mussten die Stacheln der Schmerzen vor der beginnenden Empfindung des Trostes zurückweichen, den die Gewissheit ihr gab, dass nun die Peinen ihres Sohnes für immer ein Ende genommen, dass Er am dritten Tag mit Gottheit und Menschheit zur ewigen Herrlichkeit erstehen und künftig keine Trübsal mehr zu erleiden haben werde noch erleiden könne.

Für den Samstag

In den drei folgenden Lesungen redet der Engel von der Unerschütterlichkeit der seligsten Jungfrau im wahren Glauben, von den Segnungen ihres Wandels und ihrer Worte für alle; und wie sie mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde.

Erste Lesung: Stärke uns im Glauben, glorwürdigste, heiligste, mildeste Mutter Gottes

19. Aus fernen Landen kam, wie zu lesen ist" (1. Kön 10,1-10), die Königin des Südens zu Salomo und geriet bei Wahrnehmung seiner Weisheit in solches Erstaunen, dass sie die Fassung verlor. Als sie aber wieder zu sich kam, da bezeigte sie dem König mit Worten und reichen Geschenken ihre Verehrung und Huldigung.

Dieser Königin des Südens ist unsere erhabenste Königin, die Jungfrau Maria, vergleichbar, welche mit klarem Blick des Geistes die ganze Ordnung der Welt von ihrem Ursprung bis zu ihrem Ende und alle Dinge, die sich auf ihr finden, überschaute, doch nichts in ihr entdeckte, das sie zu besitzen oder zu hören begehrte, außer die Weisheit, d. i. die Erkenntnis Gottes. Nach dieser verlangte ihr Herz mit aller Begierde, nach ihr suchte sie mit allem Eifer, bis sie weise die Weisheit selbst, d. i. Jesus Christus, den Sohn Gottes, fand, der ohne Vergleich den Salomo an Weisheit übertrifft. Und da die Jungfrau Zeuge wurde, wie weise Er am Kreuz durch sein bitterstes Leiden die Seelen, welche die List des Feindes dem Tod der Hölle überliefert hatte, wieder rettete und ihnen des Himmels Pforte wieder aufschloss, da kam die Jungfrau selber dem Tod näher als die Königin des Südens, die vor Salomo nicht mehr zu atmen vermocht hatte.

Als endlich ihres Sohnes Leiden vollbracht war, da gewann auch die Jungfrau ihre Kräfte wieder und verherrlichte Gott mit den Ihm wohlgefälligen Geschenken; denn sie brachte Ihm durch ihre heilsame Unterweisung mehr Seelen zu als je eine andere Persönlichkeit nach Christi Tod durch alle ihre Werke. Welche Verherrlichung sie Ihm durch ihre Worte bereitete, lässt sich schon daraus entnehmen, dass sie die einzige war, welche Ihn standhaftest als den wahren, als den nach seiner Gottheit ewig unsterblichen Sohn Gottes bekannte, während so viele bei dem Tod seiner Menschheit gänzlich über Ihn in Zweifel gerieten. Während am dritten Tag die Jünger nicht an seine Auferstehung glauben wollten und die Frauen voll Sehnsucht seinen Leib im Grab suchten, während sogar die Apostel sich in übergroßer Herzensangst und Furcht eingeschlossen hielten, da bezeugte die Jungfrau die glorreiche Auferstehung ihres Sohnes im Fleisch zur ewigen Herrlichkeit und dass der Tod über ihn keine Gewalt mehr haben werde. Es ist dies eine gewisse, über jeden Zweifel erhabene Tatsache, wenngleich in der Schrift kein Wort der jungfräulichen Mutter aus jenen Tagen berichtet wird. Ebenso ist für gewiss zu halten, dass, wenn auch die Schrift Erwähnung macht, Magdalena und die Apostel hätten früher als die anderen die Auferstehung Christi wahrgenommen, doch seine heiligste Mutter vor ihnen die Gewissheit von der Auferstehung besaß und dass sie die erste war, welche den von den Toten Erstandenen leibhaftig erblickte und Ihn, erfüllt von Trost und Freudigkeit des Herzens, demütigst mit Lobpreisungen verherrlichte.

Als aber ihr gebenedeiter Sohn in das Reich seiner Herrlichkeit auffuhr, da wurde der Kirche das unvergleichliche Glück beschert, dass die Jungfrau Maria auf Erden zurückblieb, um die Guten in der Gnade zu befestigen und die Irrenden zur Wahrheit zu führen. Sie blieb zurück, um die Lehrmeisterin der Apostel, die Stärke der Martyrer, die Erleuchterin der Bekenner, der glänzende Spiegel für die Jungfrauen, der Trost der Witwen, die Heil und Segen bringende Meisterin der Verehelichten zu sein und um alle insgesamt auf das vollkommenste in dem Bekenntnis des heiligen katholischen Glaubens zu befestigen. Die Apostel hielten sich an sie, um über alle Geheimnisse Ihres göttlichen Sohnes, welche sie noch nicht genügend erkannten, von ihr erleuchtet und gründlich aufgeklärt zu werden. Die Martyrer wurden durch sie ermutigt, um für den heiligsten Namen Jesu freudig jede Verfolgung und Trübsal auszuhalten, da auch Er für sie und für aller Heil sich freiwillig den Peinen überliefert hatte. Sie eröffnete ihnen auch die Größe ihres eigenen Leidens, das sie von der Geburt bis zu seinem Tod durch dreiunddreißig volle Jahre ohne Unterbrechung mit aller Geduld in ihrem Herzen ertragen hatte. Die Bekenner unterwies sie in den Glaubenssätzen; und durch Wort und Beispiel war sie ihnen zum Vorbild, wie sie für das Lob Gottes die Tag- und Nachtzeiten weise einteilen und wie sie nach Bedürfnis des leiblichen Lebens der Ruhe, der Nahrung und Arbeit in geistlicher und vernünftiger Mäßigung pflegen sollten. Ihr sittsamer Wandel war für die Jungfrauen das Vorbild aller Ehrbarkeit, der standhaften Bewahrung jungfräulicher Zucht und Reinheit bis zum Tod, der Meidung überflüssiger Rede und jeder Art von Eitelkeit, sowie der sorgfältigen Überlegung aller Handlungen und deren strenger Prüfung auf der Waage eines zarten Gewissens. Der Trost der Witwen war sie durch die Hinweisung auf den Schmerz, den sie über den Willen ihres Sohnes empfunden, für die Erlösung der Welt den Tod zu erleiden; doch habe sie ihren mütterlichen Willen gänzlich dem göttlichen gleichförmig gemacht und es vorgezogen, für dessen vollkommenste Erfüllung lieber jede Trübsal in Geduld zu ertragen, als nur im geringsten von ihm abzuweichen und nach dem eigenen Willen zu handeln. Den Verehelichten empfahl sie die wahre und ungeheuchelte gegenseitige Liebe und das einmütige Bestreben, in allen Stücken die Ehre Gottes zu fördern, indem sie ihnen zu erkennen gab, wie sie selber Gott stets unverletzt Treue bewahrt und seinem heiligsten Willen unverbrüchlichen Gehorsam geleistet habe.

Zweite Lesung: Der Sohn der Jungfrau Maria wolle uns von allem Schmutz der Sünde rein machen

20. In Anbetracht der Worte des heiligen Evangeliums, dass jedem mit dem Maß, womit er einem anderen ausmisst, wieder zugemessen werde, erscheint es als eine Unmöglichkeit, dass der menschliche Verstand es fasse, mit welchen Ehren die glorreiche Gottesgebärerin bei ihrem Einzug in das himmlische Jerusalem von allen verherrlicht wurde, da ihre Gütigkeit, solange sie auf Erden weilte, die Bitten Unzähliger erhört und ihnen Wohltaten gespendet hatte. Darum ist mit Recht zu glauben, dass alle, so Erhörung bei ihr gefunden, in Ehrenbeweisen gegen sie wetteiferten, als es ihrem Sohn gefiel, sie aus dieser Welt zu Sich zu rufen. Gleichwie der Schöpfer aller Dinge durch die Vermittlung seiner heiligsten Mutter auf Erden den Ratschluss der Erlösung der Menschen hatte vollführen wollen, so gefiel es Ihm jetzt, sie im Himmel mittelst der Engel durch die höchste Ehre zu verherrlichen. Und darum erhöhte Er die Seele der Jungfrau in demselben Augenblick, da sie von ihrem Leib sich löste, über alle himmlischen Chöre, übergab ihr die Herrschaft über die ganze Welt und machte sie für ewig zur Herrin der Engel. Und die Engel selbst weihten ihr solchen Gehorsam, dass sie lieber alle Qualen der Hölle erdulden wollten, als einem ihrer Befehle zu widersprechen. Auch über alle bösen Geister machte sie Gott so mächtig, dass, wenn sie einem Verehrer der Jungfrau nachstellen, sie sogleich von ihm ablassen müssen, so er Maria um Hilfe bittet. Denn die Teufel zittern vor jedem Wink der seligsten Jungfrau und fliehen davon, indem sie lieber noch ärgere Peinen ertragen, als die Übermacht der heiligsten Jungfrau über sich empfinden wollen.

Und da sie unter allen Engeln und Menschen als die Demütigste erfunden wurde, darum wurde sie über alle Kreaturen als die erhabenste, als die schönste, als die Gott selbst mehr als alle anderen gleichförmige erhöht.

Wie das Gold höher geschätzt ist als die anderen Metalle, so gehen auch die Engel und die Seelen an Würdigkeit den anderen Geschöpfen voran. Wie aber das Gold ohne Hilfe des Feuers sich nicht in dies oder jenes Kunstwerk umgestalten lässt, im Feuer aber, je nach der Kunst des Meisters, die mannigfachsten Formen annimmt, so hätte in ähnlicher Weise die Seele der seligsten Jungfrau an Schönheit nicht alle erschaffenen Geister so weit übertreffen können, wenn nicht die Stärke und Reinheit ihres Willens, gleich einem kunstreichen Meister, dieselbe in den glühenden Flammen des Heiligen Geistes so zubereitet hätte, dass ihre Werke das höchste Wohlgefallen des Schöpfers aller Dinge erlangen konnten. Gleichwie endlich an einem goldenen Gebilde die Meisterschaft des Künstlers nicht deutlich erkennbar wird, solange dasselbe in einem dunklen Ort eingeschlossen ist, und wie sein Kunstwerk erst im günstigen Licht der Sonne gewürdigt werden kann, so konnte auch die volle Schönheit der kostbaren Seele der glorreichsten Jungfrau, d. i. die Fülle ihrer erhabensten Tugendwerke, nicht vollkommen geschaut werden, solange ihre Seele in der Undurchsichtigkeit ihrer sterblichen Hülle eingeschlossen war. Als sie aber in das Licht der wahren Sonne, der Gottheit, gelangte, da schauten unter höchsten Lobpreisen alle himmlischen Chöre, mit welcher Schönheit sie von ihrem Willen war geschmückt worden, mit einer Schönheit, welche die aller Geschöpfe zusammen übertrifft und der Schönheit des Schöpfers selber am nächsten kommt. Darum war für diese glorreiche Seele von Ewigkeit her ein Thron in nächster Nähe der Heiligsten Dreifaltigkeit zu ihrem künftigen Sitz bestimmt worden. Denn wie Gott der Vater im Sohn war, und der Sohn im Vater, und der Heilige Geist in beiden, als Gott der Sohn nach Annahme des menschlichen Fleisches mit Gottheit und Menschheit im Schoß seiner Mutter ruhte, indem die Einheit der Heiligsten Dreieinheit vollkommen ungeteilt, und die Jungfrauschaft der Mutter unversehrt erhalten blieb, so wollte auch Gott der gebenedeiten Seele der Jungfrau ihre Wohnung in der nächsten Nähe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bereiten, damit sie aller Güter teilhaft werde, welche Gott verleihen kann.

Kein erschaffenes Herz ist tief genug, um zu fassen, welche Wonne Gott dem ganzen himmlischen Hof bereitete, als seine liebendste Mutter diese elende Erde verließ. Es wird dies allen, welche nach der himmlischen Heimat seufzen, erst offenbar werden, wenn sie Gott von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. Die Engel verherrlichten Gott mit lobpreisender Begrüßung der seligsten Jungfrau; denn durch die Früchte des bittersten Leidens und Sterbens ihres Sohnes werden auch ihre Reihen wieder voll werden, und durch die Ankunft seiner Mutter im Himmel wurde ihre Seligkeit erhöht. Adam und Eva endlich, die Patriarchen und Propheten und die ganze aus dem Kerker der Vorhölle befreite heilige Schar, sowie alle übrigen, welche nach dem Tod Jesu Christi in die Glorie eingegangen waren, frohlockten über die Ankunft der Jungfrau im Himmel und lobten und priesen Gott, der sie durch so hohe Ehre auszeichnete, weil sie ihren Erlöser und Herrn so heilig und glorreich geboren hatte. Auch die Apostel und alle Freunde Gottes, welche an der Begräbnisfeier der Jungfrau teilnahmen, während ihr liebevollster Sohn ihre glorreiche Seele mit sich in den Himmel erhob, verehrten sie mit demütiger Huldigung und erhoben ihren ehrwürdigen Leib nach Kräften mit Lob und Benedeiung.

Dritte Lesung: Die Königin der Engel wolle uns zur Herrlichkeit des Reiches der Himmel führen

21. Es ist aber fest und unbezweifelt zu glauben, dass der Leib der seligsten Jungfrau, der von den Freunden Gottes, als tot, dem Grab übergeben worden war, von Gott, ihrem liebendsten Sohn, mit der Seele wieder vereint und zu dem ewigen Leben in Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Wenn Gott, die ewige Wahrheit, den Sterblichen empfiehlt, dass sie selbst Böses mit Gutem vergelten sollen, welch hoher Belohnung von seiner Seite wird Er jene für würdig erachten, welche sich durch gute Werke beeifern, Ihm zu dienen! Und wenn im Evangelium jeder guten Tat ein hundertfältiger Lohn verheißen ist, wer wäre nun imstande, die Fülle der höchsten Belohnungen und Gaben zu ermessen, mit welchen Er seiner ehrwürdigsten, allzeit reinsten, sündelosen Mutter ihre unzählbaren, vollkommensten, Ihm wohlgefälligsten Werke vergolten hat! Gleichwie ihr Herz die Werkstätte aller Tugenden war, so war auch ihr heiligster Leib das vollkommenste und jederzeit dienstwilligste Werkzeug für Vollbringung jeden guten Werkes.

Nun ist es aber eine untrügliche Wahrheit des heiligen Glaubens, dass nach Gottes gerechtem Urteil die Leiber aller Menschen am Jüngsten Tag auferstehen müssen, um zugleich mit ihren Seelen, in Gemäßheit der genauesten Abwägung aller ihrer Werke, die Vergeltung zu empfangen, weil, wie die Seele durch die Akte ihres freien Willens, so der mit ihr verbundene Leib, als ihr Werkzeug, durch seine körperliche Mithilfe jede Tat vollbracht hat.

Wie nun der einer Sünde unfähige Leib des Sohnes Gottes von den Toten erstanden und mit seiner Gottheit verherrlicht worden ist, so ist auch der sündelose Leib seiner würdigsten Mutter wenige Tage nach seiner Bestattung durch Gottes Allmacht mit der Seele der heiligsten Jungfrau wieder vereint, in den Himmel aufgenommen und durch jede Auszeichnung verherrlicht worden. Und wie keines Menschen Verstand auf Erden die Schönheit und Herrlichkeit der Krone zu ahnen vermag, mit der zum Lohn seines bittersten Leidens Jesus Christus, der Sohn Gottes, geschmückt und ausgezeichnet worden ist, so unmöglich ist es auch, sich den Schmuck der Krone vorzustellen, mit der seine jungfräuliche Mutter für alles, was sie in Leib und Seele zur Ehre Gottes getan, ausgezeichnet worden ist. Denn gleichwie die Seele der Jungfrau Gott, ihren Schöpfer, durch die vollkommenste Übung aller Tugenden verherrlicht hatte, so empfing nun auch sie ihre Verherrlichung aus dem Lohn aller Tugendwerke ihres Leibes, der bei seiner Aufnahme in den Himmel für alle seine Werke mit Herrlichkeit geschmückt wurde. Sie hatte ja nie, solange sie auf Erden lebte, unterlassen, jedes Tugendwerk zu vollbringen, von dem sie wusste, dass Leib und Seele dafür im Himmel belohnt werden würden. Und wie außer der heiligsten Seele Jesu Christi einzig nur die Seele seiner heiligsten Mutter des höchsten Lohnes und der höchsten Auszeichnungen vollkommen würdig war, weil alle ihre guten Werke durchaus vollkommen und ohne jeglichen Mangel waren, so war, außer dem heiligsten Leib Jesu Christi, nur allein der Leib seiner heiligsten Mutter vollkommen würdig, dass er weit früher als die Leiber aller anderen zugleich mit seiner Seele den Lohn seiner Verdienste empfange, da er immerdar mit ihr die höchsten Tugendwerke vollbracht und nie den Zunder einer Sünde empfunden hatte.

Wie mächtig offenbarte Gott seine Gerechtigkeit, da Er den Adam nach dem ungehorsamen Genuss der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradiese hinauswies! Wie herablassend aber offenbarte Er in dieser Welt seine Barmherzigkeit durch die Jungfrau Maria, welche ganz treffend der Baum des Lebens genannt werden kann! Bedenkt also wohl, wie schnell seine Gerechtigkeit Adam und Eva in das Elend verwies, da sie aus Ungehorsam von der Frucht des Baumes der Erkenntnis genossen hatten! Und erwäget dagegen, wie süß seine Barmherzigkeit alle einladet und zu seiner Glorie anzieht, die im heiligen Gehorsam von der Frucht des Baumes des Lebens ihre Erquickung suchen! Beherzigt endlich, wie alle Chöre der Engel beim Aufsprossen des Baumes des Lebens auf Erden, das ist bei der Geburt und dem Wachstum des Leibes der heiligsten Jungfrau, mit höchster Sehnsucht seiner Frucht entgegen harrten und mit derselben Freude die gebenedeite Frucht ihres Leibes begrüßten, als sie über die ihnen widerfahrene Gnade frohlockt hatten, in der sie inne wurden, dass die Seligkeit des Himmels für sie eine unverlierbare sei. Und darum schauten sie so besonders begierig nach der gebenedeiten Frucht vom Baume des Lebens, weil sie erkannten, wie herrlich durch sie die unendliche Liebe Gottes an den Menschen geoffenbart werde und aus den Menschen die Ergänzung ihrer Reihen werde hergestellt werden. Darum eilte der Engel Gabriel so schnellen Laufes zur Jungfrau, sie in Liebe durch seine der Zustimmung würdigste Ansprache zu grüßen. Und als sie, das Vorbild der Demut und aller Tugenden, seinen Gruß demütigst erwiderte, da erkannte er mit Frohlocken, es werde seine Sehnsucht und die aller anderen Engel erfüllt werden.

Der gebenedeite Leib der Jungfrau ist nun mit seiner Seele in den Himmel aufgenommen, und so ist den sterblichen Menschen, welche Gott mit ihren Sünden beleidigen, der Weg des Heiles gezeigt, auf dem sie durch wahre Reue über ihre Sünden zu ihr gelangen können; und sie, die in dem Tal des Elends durch die mannigfachsten Trübsale Tag für Tag bedrängt werden, sie haben nun die Gewissheit, dass mit dem Tod des Leibes auch die Mühsale dieses Lebens ein Ende nehmen. AMEN