Sensus fidei im Leben der Kirche (Wortlaut)

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Version vom 8. Oktober 2015, 14:57 Uhr von Oswald (Diskussion | Beiträge) ([Fortsetzung folgt])
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Schreiben
Sensus fidei im Leben der Kirche

Internationale Theologische Kommission
unseres Heiligen Vaters
Franziskus
5. März 2014

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite - Übersetzung aus dem Englischen von Claudia Reimüller).
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einführung

1. Durch die Gabe des Heiligen Geistes, „des Geistes der Wahrheit, der vom Vater ausgeht“ und Zeugnis für den Sohn ablegt (vgl. Joh 15, 26), haben alle Getauften teil am prophetischen Amt Jesu Christi, „des treuen und zuverlässigen Zeugen“ (vgl. Offb 3, 14). Sie sollen in der Kirche und in der Welt Zeugnis für das Evangelium und den apostolischen Glauben ablegen. Der Heilige Geist salbt und rüstet sie für diese hohe Berufung, indem er ihnen eine ganz persönliche, tiefe Kenntnis des kirchlichen Glaubens überträgt. Im ersten Brief des heiligen Johannes wird den Gläubigen gesagt: „Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und ihr alle wisst es“, „Die Salbung, die ihr von ihm [Christus] empfangen habt, bleibt in euch und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen. Alles, was seine Salbung euch lehrt, ist wahr“ (1 Joh 2, 20.27).

2. Demzufolge haben die Gläubigen einen Instinkt für die Wahrheit des Evangeliums, der ihnen ermöglicht, echte christliche Lehre und Praxis zu erkennen und zu befürworten sowie zurückzuweisen, was falsch ist. Dieser übernatürliche Instinkt, der zutiefst mit der Gabe des Glaubens verbunden ist, die in der Gemeinschaft der Kirche empfangen wird, wird „Sensus fidei“ genannt, und er erlaubt den Christen, ihre prophetische Berufung zu erfüllen. In seiner ersten Angelusansprache zitierte Papst Franziskus die Worte einer einfachen alten Frau, der er einmal begegnet war: „Wenn der Herr nicht alles vergäbe, gäbe es die Welt nicht“; und er bemerkte bewundernd: „Das ist die Weisheit, die der Heilige Geist gibt.“<ref>Papst Franziskus, Angelusansprache, 17. März 2013.</ref> Die Einsicht dieser Frau ist eine eindrucksvolle Manifestation des „Sensus fidei“, der sowohl zu einem gewissen Unterscheidungsvermögen hinsichtlich der Dinge des Glaubens befähigt als auch wahre Weisheit fördert und – wie hier – zur Verkündigung der Wahrheit führt. Es ist daher klar, dass der „Sensus fidei“ eine lebendige Ressource für die Neuevangelisierung ist, zu der die Kirche in unserer Zeit zutiefst verpflichtet ist.<ref>Vgl. Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (2013), Nrn. 119–120.</ref>

3. Als theologisches Konzept bezieht sich der „Sensus fidei“ auf zwei Wirklichkeiten, die zwar verschieden, aber eng miteinander verbunden sind: die eine hat die Kirche zum Gegenstand, „die Säule und das Fundament der Wahrheit“ (1 Tim 3, 15),<ref>Die Bibelzitate sind der Einheitsübersetzung entnommen. Die Konzilsdokumente werden wie folgt zitiert: Apostolicam actuositatem (AA), Ad gentes (AG), Dei Verbum (DV), Gaudium et spes (GS), Lumen gentium (LG), Perfectæ caritatis (PC), Sacrosanctum Concilium (SC). Denzinger- Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, wird mit DH angegeben. KKK steht für Katechismus der Katholischen Kirche und PL für Patrologia Latina.</ref> die andere den einzelnen Gläubigen, der durch die Sakramente der Initiation zur Kirche gehört und der – besonders durch die regelmäßige Feier der Eucharistie – an ihrem Glauben und ihrem Leben teilhat. Auf der einen Seite bezieht sich der „Sensus fidei“ auf die persönliche Fähigkeit des Gläubigen, innerhalb der Gemeinschaft der Kirche die Wahrheit des Glaubens zu erkennen. Auf der anderen Seite bezieht sich der „Sensus fidei“ auf eine gemeinschaftliche und kirchliche Wirklichkeit: den Instinkt des Glaubens der Kirche selbst, durch den sie ihren Herrn erkennt und sein Wort verkündet. Der „Sensus fidei“ in diesem Sinn spiegelt sich darin, dass die Getauften im grundlegenden Festhalten an einer Glaubenslehre oder einem Element der christlichen Praxis übereinstimmen. Diese Übereinstimmung („Consensus“) spielt eine entscheidende Rolle in der Kirche: der „Consensus fidelium“ ist ein sicheres Kriterium um zu entscheiden, ob eine bestimmte Lehre oder Praxis zum apostolischen Glauben gehört.<ref>In ihrem Dokument Die Interpretation der Dogmen hat die Internationale Theologische Kommission über den „Sensus fidelium“ als jenes „innere Gespür“ gesprochen, „durch welches das Volk Gottes … in der Verkündigung nicht das Wort von Menschen, sondern Gottes Wort erkennt, bejaht und unverbrüchlich festhält“. (C, II, 1). Das Dokument hat auch die Rolle des „Consensus fidelium“ in der Interpretation der Dogmen hervorgehoben (C, II, 4).</ref> Im vorliegenden Dokument benutzen wir den Ausdruck „Sensus fidei fidelis“, um uns auf die persönliche Fähigkeit des Gläubigen zu beziehen, in Sachen des Glaubens ein richtiges Urteil zu treffen, und den Ausdruck „Sensus fidei fidelium“, um uns auf den der Kirche eigenen Instinkt des Glaubens zu beziehen. Je nach Kontext bezieht sich „Sensus fidei“ entweder auf das Erstere oder auf das Letztere, und in letzterem Fall wird der Begriff „Sensus fidelium“ ebenfalls benutzt.

4. Die Bedeutung des „Sensus fidei“ im Leben der Kirche wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil stark hervorgehoben. Das Konzil verdrängte das Zerrbild, es gäbe eine aktive Hierarchie und passive Laien – vor allem die Vorstellung von einer strengen Trennung zwischen einer lehrenden Kirche (Ecclesia docens) und einer lernenden Kirche (Ecclesia discens) – und lehrte, dass alle Getauften auf ihre jeweils eigene Weise an den drei Ämtern Christi als Prophet, Priester und König teilhaben. Im Besonderen lehrte es, dass Christus sein prophetisches Amt nicht nur durch die Hierarchie, sondern auch durch die Laien vollzieht.

5. In der Rezeption und Anwendung der Konzilslehren über dieses Thema ergeben sich jedoch viele Fragen, vor allem in Bezug auf Kontroversen, die verschiedene Punkte der Lehre oder der Moral betreffen. Was genau ist der „Sensus fidei“ und wie kann er festgestellt werden? Welches sind die biblischen Quellen dieses Begriffs und wie wirkt der „Sensus fidei“ in der Tradition des Glaubens? In welcher Beziehung steht der „Sensus fidei“ zum kirchlichen Lehramt des Papstes und der Bischöfe sowie zur Theologie?<ref> In ihrem kürzlich erschienenen Dokument mit dem Titel Theologie heute: Perspektiven, Prinzipien und Kriterien (2012) hat die Internationale Theologische Kommission den „Sensus fidei“ als einen grundlegenden locus oder Bezugspunkt für die Theologie bezeichnet (Nr. 35).</ref> Welches sind die Bedingungen für eine authentische Ausübung des „Sensus fidei“? Ist der „Sensus fidei“ etwas anderes als die mehrheitliche Meinung der Gläubigen zu einer bestimmten Zeit oder an einem bestimmten Ort und falls ja, wie unterscheidet er sich dann von Letzterem? All diese Fragen erfordern Antworten, wenn der Begriff des „Sensus fidei“ in der heutigen Kirche vollständiger verstanden und mit größerem Vertrauen angewendet werden soll.

6. Der vorliegende Text hat nicht die Absicht, eine vollständige Darstellung des „Sensus fidei“ zu geben, sondern er will einfach einige wichtige Aspekte dieses wesentlichen Begriffs klarstellen und vertiefen, um gewisse Fragen vor allem im Hinblick darauf zu beantworten, wie der wirkliche „Sensus fidei“ in kontroversen Situationen festgestellt werden kann, wenn etwa Spannungen zwischen dem kirchlichen Lehramt und solchen Meinungen bestehen, die behaupten, den „Sensus fidei“ zum Ausdruck zu bringen. Entsprechend werden zuerst die biblischen Quellen für den Begriff des „Sensus fidei“ betrachtet sowie die Art und Weise, wie sich diese Vorstellung in der Geschichte und der Tradition der Kirche entwickelt und dort gewirkt hat (Kapitel 1). Als Nächstes wird das Wesen des „Sensus fidei fidelis“ zusammen mit seinen Manifestationen im persönlichen Leben des Gläubigen betrachtet (Kapitel 2). Das Dokument wird dann über den „Sensus fidei fidelium“ nachdenken, also über den „Sensus fidei“ in seiner kirchlichen Form, und dabei zunächst seine Rolle in der Entwicklung der christlichen Lehre und Praxis und dann seine Beziehung jeweils zum Lehramt und zur Theologie sowie auch seine Bedeutung für den ökumenischen Dialog betrachten (Kapitel 3). Schließlich wird es versuchen, Dispositionen auszumachen, die für eine authentische Teilhabe am „Sensus fidei“ notwendig sind – sie bilden Kriterien für das Erkennen eines echten „Sensus fidei“ – sowie über einige Anwendungen seiner Ergebnisse auf das konkrete Leben der Kirche nachdenken (Kapitel 4).

Kapitel 1: Der „Sensus fidei“ in Schrift und Tradition

7. Der Ausdruck „Sensus fidei“ findet sich weder in der Schrift noch in der offiziellen Lehre der Kirche bis zum Zweiten Vatikanum. Die Vorstellung jedoch, dass die Kirche als Ganzes in ihrem Glauben unfehlbar ist, da sie Leib und Braut Christi ist (vgl. 1 Kor 12, 27; Eph 4, 12; 5,21–32; Offb 21, 9) und dass alle ihre Glieder eine Salbung haben, die sie lehrt (vgl. 1 Joh 2, 20.27), da sie mit dem Geist der Wahrheit ausgestattet sind (vgl. Joh 16, 13), ist vom Beginn der Christenheit sichtbar. Das vorliegende Kapitel wird die Hauptlinien der Entwicklung dieser Vorstellung zunächst in der Heiligen Schrift und dann in der späteren Geschichte der Kirche umreißen.

1. Biblische Lehre

a) Glaube als Antwort auf das Wort Gottes

8. Im gesamten Neuen Testament ist der Glaube die fundamentale und entscheidende Antwort der Menschen auf das Evangelium. Jesus verkündet das Evangelium, um die Menschen zum Glauben zu bringen: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1, 15) Paulus erinnert die frühen Christen an seine apostolische Verkündigung über den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, um ihren Glauben zu erneuern und zu vertiefen: „Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?“ (1 Kor 15,1–2) Das Verständnis des Glaubens im Neuen Testament wurzelt im Alten Testament und vor allem im Glauben Abrahams, der vollkommen auf Gottes Verheißungen vertraute (Gen 15, 6; vgl. Röm 4, 11.17). Der Glaube ist eine freie Antwort auf die Verkündigung des Wortes Gottes und als solcher eine Gabe des Heiligen Geistes, die von denen empfangen wird, die wahrhaft glauben (vgl. 1 Kor 12, 3). Der „Gehorsam des Glaubens“ (Röm 1, 5) ist die Folge von Gottes Gnade, die die Menschen befreit und sie zu Gliedern der Kirche macht (Gal 5, 1.13).

9. Das Evangelium ruft den Glauben hervor, weil es nicht einfach die Vermittlung von religiöser Information ist, sondern die Verkündigung des Wortes Gottes und die „Kraft Gottes, die jeden rettet“, die wahrhaft empfangen werden muss (Röm 1,16–17; vgl. Mt 11, 15; Lk 7,22 [Jes 26, 19; 29, 18; 35,5–6; 61,1–11]). Es ist das Evangelium von der Gnade Gottes (Apg 20, 24), die „Offenbarung jenes Geheimnisses“ Gottes (Röm 16, 25) und „das Wort der Wahrheit“ (Eph 1, 13). Das Evangelium hat einen wesentlichen Inhalt: das Kommen des Reiches Gottes, die Auferstehung und Verherrlichung des gekreuzigten Jesus Christus, das Geheimnis der Erlösung und Glorifizierung durch Gott im Heiligen Geist. Das Evangelium hat einen starken Inhalt: Jesus selbst, das Wort Gottes, der seine Apostel und ihre Jünger aussendet, und es nimmt die direkte Form durch Worte und Taten inspirierter und autorisierter Verkündigung an. Das Evangelium zu empfangen, erfordert eine Antwort der ganzen Person, „mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft“ (Mk 12, 31). Das ist die Antwort des Glaubens, der bedeutet: „Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Heb 11, 1).

10. „Glaube ist sowohl ein Akt des Vertrauens als auch des Bekennens. ,Fides quae‘ und ,Fides qua‘ sind untrennbar miteinander verbunden; denn Vertrauen ist die Zustimmung zu einer Botschaft mit einem klaren Inhalt, und das Bekenntnis kann nicht auf ein reines Lippenbekenntnis reduziert werden, sondern muss aus dem Herzen kommen.“<ref>Theologie heute, Nr. 13.</ref> Das Alte und das Neue Testament zeigen deutlich, dass Form und Inhalt des Glaubens zusammengehören.

b) Die persönliche und die kirchliche Dimension des Glaubens

11. Die Heilige Schrift zeigt, dass die persönliche Dimension des Glaubens in die kirchliche Dimension eingebunden ist; es finden sich sowohl Formen der ersten Person Plural als auch der ersten Person Singular: „wir glauben“ (vgl. Gal 2, 16) und „ich glaube“ (vgl. Gal 2,19–20). In seinen Briefen begreift Paulus den Glauben der Gläubigen sowohl als persönlich als auch als kirchlich. Er lehrt, dass jeder, der bekennt, „,Jesus ist der Herr!‘ … aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12, 3). Der Heilige Geist gliedert jeden Gläubigen in den Leib Christi ein und gibt ihm oder ihr eine besondere Rolle zum Aufbau der Kirche (vgl. 1Kor 12,4–27). Im Brief an die Epheser ist das Bekenntnis des einen und einzigen Gottes mit einem Glaubensleben in der Kirche verbunden: „Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,4–6).

12. In seiner persönlichen und kirchlichen Dimension hat der Glaube die folgenden wesentlichen Aspekte:

I.) Glaube erfordert Buße. In der Verkündigung der Propheten Israels und Johannes des Täufers (vgl. Mk 1, 4) sowie in der Verkündigung der Frohen Botschaft durch Jesus selbst (vgl. Mk 1,14 f.) und in der Sendung der Apostel (Apg 2,38–42; 1 Thess 1,9f.) bedeutet Buße das Bekennen seiner Sünden und den Beginn eines neuen Lebens, das in der Gemeinschaft des Bundes mit Gott gelebt wird (vgl. Röm 12,1 f.).

II.) Glaube wird sowohl durch Gebet als auch durch Gottesdienst („leiturgia“) gestärkt und ausgedrückt. Das Gebet kann verschiedene Formen annehmen – Bitten, Flehen, Lobpreis, Danksagung –, und das Bekenntnis des Glaubens ist eine besondere Form des Gebets. Liturgisches Gebet und besonders die Feier der Eucharistie war von jeher wesentlich für das Leben der christlichen Gemeinschaft (vgl. Apg 2, 42). Das Gebet findet sowohl in der Öffentlichkeit statt (vgl. 1 Kor 14) als auch privat (vgl. Mt 6,5 f.). Für Jesus bringt das Vaterunser (Mt 6,9–13; Lk 11,1–4) das Wesen des Glaubens zum Ausdruck. Es ist ein „kurzer Inbegriff des ganzen Evangeliums“.<ref> Tertullian, De oratione, I, 6.</ref> Bezeichnenderweise benutzt es die Worte „wir“, „uns“ und „unser“.

III.) Glaube bringt Wissen. Derjenige, der glaubt, vermag die Wahrheit Gottes zu erkennen (vgl. Phil 3,10 f.). Dieses Wissen entspringt dem Nachdenken über die Gotteserfahrung, die auf der Offenbarung gründet und in der Gemeinschaft der Gläubigen geteilt wird. Das bezeugt die Weisheitstheologie sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments (Ps 111, 10; vgl. Spr 1, 7; 9, 10; Mt 11, 27; Lk 10, 22). IV.) Der Glaube führt zum Bekenntnis („marturia“). Beseelt durch den Heiligen Geist wissen die Gläubigen, wem sie Glauben geschenkt haben (vgl. 2 Tim 1,1 2), und vermögen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15), dank der prophetischen und apostolischen Verkündigung des Evangeliums (vgl. Röm 10,9 f.). Sie tun das in ihrem eigenen Namen; doch sie tun es aus der Gemeinschaft der Gläubigen heraus.

V.) Glaube bedingt Vertrauen. Auf Gott vertrauen heißt, sein ganzes Leben auf Gottes Verheißung zu gründen. In Heb 11 werden viele Gläubige des Alten Testaments als Glieder eines langen Festzugs durch Zeit und Raum zu Gott im Himmel erwähnt, der von Jesus, dem „Urheber und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12, 2), angeführt wird. Christen sind Teil dieses Festzugs, sie teilen dieselbe Hoffnung und Überzeugung (Hebr 11, 1) und sind bereits von „einer solchen Wolke von Zeugen umgeben“ (vgl. Hebr 12, 1).

VI.) Glaube schließt Verantwortung ein und vor allem Nächstenliebe und Dienst („Diakonia“). Die Jünger werden „an ihren Früchten“ erkannt werden (Mt 7, 20). Die Früchte gehören wesentlich zum Glauben, denn der Glaube, der vom Hören auf das Wort Gottes kommt, erfordert Gehorsam gegenüber Seinem Willen. Der Glaube, der gerecht macht (Gal 2, 16), ist Glaube, „der in der Liebe wirksam ist“ (Gal 5, 6; vgl. Jak 2,21–24). Die Liebe zu den Brüdern und Schwestern ist das Beurteilungskriterium für die Liebe zu Gott (1 Joh 4, 20).

c) Das Vermögen der Gläubigen, die Wahrheit zu erkennen und zu bezeugen

13. In Jeremias wird ein neuer Bund verheißen, der die Verinnerlichung von Gottes Wort mit sich bringen wird: „Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen – Spruch des Herrn. Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr“ (Jer 31,33–34). Das Volk Gottes wird neu geschaffen werden, einen „neuen Geist“ empfangen, damit es in der Lage sein wird, das Gesetz zu erkennen und ihm zu folgen (Ez 11,19–20). Diese Verheißung wird im Dienst Jesu und im Leben der Kirche durch die Gabe des Heiligen Geistes erfüllt. Sie wird vor allem in der Eucharistiefeier erfüllt, in der die Gläubigen den Kelch empfangen, der der „Neue Bund“ im Blut des Herrn ist (Lk 22, 20; 1 Kor 11, 25; vgl. Röm 11, 27; Hebr 8,6–12; 10,14–17).

14. In seiner Abschiedsrede beim Letzten Abendmahl verheißt Jesus seinen Jüngern den „Beistand“, den Geist der Wahrheit (Joh 14, 16.26; 15, 26; 16,7–14). Der Geist wird sie an die Worte Jesu erinnern (Joh 14, 26), sie befähigen, Zeugnis für das Wort Gottes abzulegen (Joh 15,26–27), „die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist“ (Joh 16, 8) und die Jünger „in die ganze Wahrheit führen“ (Joh 16, 13). All dies geschieht dank der Gabe des Heiligen Geistes durch das österliche Geheimnis, das im Leben der christlichen Gemeinschaft und besonders in der Eucharistie gefeiert wird, bis der Herr kommt (vgl. 1 Kor 11, 26). Die Jünger haben ein ihnen eingegebenes Gespür für die immer aktuelle Wahrheit des in Jesus menschgewordenen Wortes Gottes und seiner Bedeutung für heute (vgl. 2 Kor 6, 2), und das drängt das Volk Gottes, geleitet vom Heiligen Geist, in der Kirche und in der Welt Zeugnis für seinen Glauben abzulegen.

15. Mose wünschte, dass das ganze Volk zu Propheten würde, indem der Herr seinen Geist auf sie alle legte (Num 11, 29). Dieser Wunsch wurde durch den Propheten Joël zu einer eschatologischen Verheißung, und an Pfingsten verkündet Petrus die Erfüllung dieser Verheißung: „In den letzten Tagen wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein“ (Apg 2, 17; vgl. Joël 3, 1). Der Geist, der verheißen war (Apg 1, 8), wird ausgegossen und befähigt die Gläubigen, „Gottes große Taten“ (Apg 2, 11) zu verkünden.

16. Die erste Beschreibung der Gemeinschaft von Gläubigen in Jerusalem verbindet vier Bestandteile: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2, 42). Das treue Befolgen dieser vier Bestandteile bekundet auf machtvolle Weise den apostolischen Glauben. Der Glaube hält fest an der authentischen Lehre der Apostel, die sich an die Lehre Jesu erinnert (vgl. Lk 1,1–4); er lässt die Gläubigen in Gemeinschaft miteinander treten; er wird durch die Begegnung mit dem Herrn beim Brechen des Brots erneuert; und er wird im Gebet gestärkt.

17. Als es in der Kirche Jerusalems zu einem Streit zwischen Hellenisten und Hebräern über die tägliche Versorgung kam, riefen die zwölf Apostel „die ganze Schar der Jünger“ zusammen und trafen eine Entscheidung, die „den Beifall der ganzen Gemeinde“ fand. Die ganze Gemeinde wählte „sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit“ und brachte sie vor die Apostel, die dann beteten und ihnen ihre Hände auflegten (Apg 6,1–6). Als in der Kirche von Antiochien Probleme bezüglich der Beschneidung und der Praxis der Thora auftraten, wurde der Fall der Mutterkirche von Jerusalem zur Beurteilung vorgelegt. Das darauf folgende Apostelkonzil war von größter Bedeutung für die Zukunft der Kirche. Lukas beschreibt gewissenhaft die Abfolge der Ereignisse. „Die Apostel und die Ältesten traten zusammen, um die Frage zu prüfen“ (Apg 15, 6). Petrus erzählte die Geschichte, dass er vom Heiligen Geist inspiriert worden war, Kornelius und sein Haus zu taufen, obwohl sie nicht beschnitten waren (Apg 15,7–11). Paulus und Barnabas berichteten über ihre missionarische Erfahrung in der Ortskirche von Antiochia (Apg 15, 12; vgl. 15,1–5). Jakobus dachte über diese Erfahrungen im Licht der Schrift nach (Apg 15,13–18) und schlug einen Beschluss vor, der die Einheit der Kirche begünstigte (Apg 15,19–21). „Da beschlossen die Apostel und die Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde, Männer aus ihrer Mitte auszuwählen und sie zusammen mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu senden“ (Apg 15, 22). Das Schreiben, das den Beschluss mitteilte, wurde von der Gemeinde mit der Freude des Glaubens aufgenommen (Apg 15,23–33). Für Lukas zeigten diese Ereignisse echtes kirchliches Handeln, das sowohl den pastoralen Dienst der Apostel und Älteren einbezieht als auch die Teilnahme der Gemeinde, die durch ihren Glauben zur Mitwirkung berechtigt ist.

18. In seinem Schreiben an die Korinther bezeichnet Paulus die Torheit des Kreuzes als Weisheit Gottes (1 Kor 1,18–25). Bei der Erklärung, wie dieses Paradox zu verstehen ist, sagt er: „Wir aber haben den Geist Christi (1 Kor 2,16; „nos autem sensum Christi habemus“ in der Vulgata). „Wir“ bezieht sich hier auf die Kirche von Korinth in Gemeinschaft mit ihrem Apostel als Teil der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen (1Kor 1,1–2). Die Fähigkeit, den gekreuzigten Messias als Weisheit Gottes zu sehen, wird durch den Heiligen Geist gegeben; sie ist nicht ein Privileg der Weisen und Schriftgelehrten (vgl. 1 Kor 1, 20), sondern sie wird den Armen, den Ausgegrenzten gegeben und denen, die „töricht“ sind in den Augen der Welt (1 Kor 1,26–29). Dennoch kritisiert Paulus die Korinther, immer noch „irdisch eingestellt“ zu sein, noch nicht bereit für „feste Speise“ (1 Kor 3,1–4). Ihr Glaubemuss noch reifen und in ihren Worten und Taten besser zum Ausdruck kommen.

19. In seinem Amt zeigt Paulus sowohl Achtung vor dem Glauben seiner Gemeinden als auch den Wunsch, ihn zu vertiefen. In 2 Kor 1,24 beschreibt er seine Mission als Apostel mit folgenden Worten. „Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt“, und er ermutigt die Korinther: „Steht fest im Glauben“ (1 Kor 16, 13). An die Thessalonicher schreibt er einen Brief, „um euch zu stärken und in eurem Glauben aufzurichten“ (1 Thess 3, 2), und er betet auf ähnliche Weise für den Glauben der anderen Gemeinden (vgl. Kol 1, 9; Eph 1,17–19). Der Apostel setzt sich nicht nur für eine Zunahme des Glaubens der anderen ein, er weiß, dass sein eigener Glaube dadurch in einer Art Dialog des Glaubens gestärkt wird: „damit wir … miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben“ (Röm 1, 12). Der Glaube der Gemeinde ist ein Bezugspunkt für Paulus’ Lehre sowie ein Schwerpunkt für seinen pastoralen Dienst, und er führt zu einem Austausch zwischen ihm und seinen Gemeinden, der für beide Seiten förderlich ist.

20. Im ersten Brief des Johannes wird die apostolische Überlieferung erwähnt (1 Joh 1,1–4) und die Leser werden an ihre Taufe erinnert: „Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und ihr alle wisst es“ (1 Joh 2, 20). In dem Brief heißt es weiter: „Für euch aber gilt: Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen. Alles, was seine Salbung euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Bleibt in ihm, wie es euch seine Salbung gelehrt hat“ (1 Joh 2, 27).

21. Im Buch der Offenbarung schließlich wiederholt der Prophet Johannes in allen seinen Schreiben an die Gemeinden (vgl. Offb 2–3) die Formel: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,7 u.a.). Die Mitglieder der Gemeinden werden aufgefordert, das lebendige Wort des Geistes zu beherzigen, es zu empfangen und Gott zu verherrlichen. Durch den Glaubensgehorsam, der selbst eine Gabe des Geistes ist, werden die Gläubigen befähigt, die Lehre, die sie empfangen, wirklich als die Lehre desselben Geistes zu erkennen und den ihnen gegebenen Anweisungen zu folgen.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />