Christifideles laici (Wortlaut)

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Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Christifideles laici

von Papst Johannes Paul II.
an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Ordensleute, an alle Laien
zum Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt"
Die VII. Ordentliche Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 1. bis 30. Oktober 1987 statt
30. Dezember 1988
(Offizieller lateinischer Text: AAS 81 [1989] 393-521)

(Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 87)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

1 DIE LAIEN (Christifideles laici), deren »Berufung und Sendung in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil« Thema der Bischofssynode 1987 war, gehören zu jenem Volk Gottes, für das die Weinbergarbeiter im Matthäusevangelium stehen: »Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg« (Mt 20, 1-2).

Das Gleichnis des Evangeliums öffnet unseren Blick für den weit ausgedehnten Weinberg des Herrn und für die großen Scharen von Männern und Frauen, die er ruft und sendet, darin zu arbeiten. Der Weinberg ist die ganze Welt (vgl. Mt 13, 38), die nach dem Plan Gottes für das endgültige Kommen des Reiches gewandelt werden muss.

Geht auch ihr in meinen Weinberg

2 »Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg« (Mt 20, 3-4).

Von diesem Tag an erklingt der Ruf unseres Herrn Jesus in der Geschichte weiter: »Geht auch ihr in meinen Weinberg«. Er richtet sich an jeden Menschen, der in diese Welt eintritt.In unseren Tagen ist in der Kirche durch die erneute Herabkunft des Heiligen Geistes, die mit dem II. Vatikanischen Konzil geschehen ist, ein vertieftes Bewusstsein ihres missionarischen Charakters gereift. Sie hat neu auf die Stimme ihres Herrn gehört, der sie als »allumfassendes Heilssakrament«<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, Nr. 48. </ref> in die Welt sendet.

Geht auch ihr. Der Ruf ergeht nicht nur an die Hirten, an die Priester, an die Ordensleute. Er umfasst alle. Auch die Laien sind persönlich vom Herrn berufen, und sie empfangen von ihm eine Sendung für die Kirche und für die Welt.

Gregor der Große erinnert an diese Tatsache wenn er zum Volk predigt und das Gleichnis vom Weinberg so kommentiert: »Überprüft eure Lebensweise, geliebteste Brüder, und seht, ob ihr schon Arbeiter des Herrn seid. Ein jeder von euch überdenke, was er tut, und überlege, ob er dem Weinberg des Herrn dient«.<ref>Gregor der Große, Hom. in Evang. 1, XIX, 2: PL 76, 1155. </ref>

Vor allem das Konzil hat wertvolle Passagen seiner so reichhaltigen theologischen, spirituellen und pastoralen Lehre dem Wesen, der Würde, der Spiritualität, der Sendung und der Verantwortung der Laien gewidmet. Und die Konzilsväter haben den Ruf Christi wiederholt und alle Laien, Männer und Frauen, gerufen, in seinem Weinberg zu arbeiten: »Das Heilige Konzil beschwört also im Herrn inständig alle Laien, dem Ruf Christi, der sie in dieser Stunde noch eindringlicher einlädt, und dem Antrieb des Heiligen Geistes gern, großmütig und entschlossen zu antworten. In besonderer Weise möge die jüngere Generation diesen Anruf als an sich gerichtet betrachten und ihn mit Freude und Hochherzigkeit aufnehmen; denn der Herr selbst lädt durch diese Heilige Synode alle Laien noch einmal ein, sich von Tag zu Tag inniger mit ihm zu verbinden und sich in seiner heilbringenden Sendung zusammenzuschließen; dabei seien sie auf das, was sein ist, wie auf ihr eigenes bedacht (vgl. Phil 2, 5).Von neuem sendet er sie in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst kommen will (vgl. Lk 10, 1)«.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, Nr. 33. </ref>

Geht auch ihr in meinen Weinberg. Diese Worte sind während der Bischofssynode, die in Rom vom 1. bis 30. Oktober 1987 stattgefunden hat, gleichsam neu erklungen. Die Väter gingen den Spuren des Konzils nach und öffneten sich den persönlichen und gemeinsamen Erfahrungen der gesamten Kirche. Durch die vorausgegangenen Synoden bereichert, haben sie sich spezifisch und umfassend mit dem Thema der Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt befasst.

Bei dieser Bischofsversammlung fehlte es nicht an Vertretungen qualifizierter Laien, Männer und Frauen, die für die Arbeit der Synode einen wesentlichen Beitrag eingebracht haben. Dieser ist bei der Abschlusshomilie öffentlich gewürdigt worden: »Wir danken nicht nur dafür, dass wir uns während der Synode an der Teilnahme der Laien (der »Auditores« und der »Auditrices«) erfreuen konnten, sondern mehr noch dafür, dass der Verlauf der Diskussionen uns die Möglichkeit gegeben hat, die Stimme der Gäste, der Vertreter der Laien aus der ganzen Welt und aus den verschiedenen Ländern zu hören und ihre Erfahrungen, ihre Ratschläge und Vorschläge, die aus ihrer Liebe für die gemeinsame Sendung entspringen, in uns aufzunehmen«.<ref>Johannes Paul II., Homilie beim feierlichen Abschlussgottesdienst der VII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (30. Oktober 1987): AAS 80 (1988), 598. </ref>

Der Blick auf die nachkonziliare Zeit schenkte den Synodenvätern die Überzeugung, dass der Geist die Kirche weiterhin erneuert, indem er in zahlreichen Laien neue Impulse der Heiligkeit und der Teilnahme weckt. Zeugnis davon gibt unter anderem der neue Stil der Zusammenarbeit zwischen Priestern, Ordensleuten und Laien; die Mitwirkung in der Liturgie, in der Verkündigung des Wortes Gottes und in der Katechese; die vielen Dienste, die Laien anvertraut und von diesen übernommen werden; das vielfältige Entstehen von Gruppen, Vereinigungen und geistlichen Gemeinschaften, sowie von gemeinsamen Initiativen der Laien; die umfassendere und bedeutsamere Teilnahme der Frauen am Leben der Kirche und an den Entwicklungen in der Gesellschaft.

Die Synode hat aber auch gezeigt, dass der Weg, den die Laien nach dem Konzil begangen haben, nicht ganz frei von Gefahren und Schwierigkeiten war. Wir denken vor allem an zwei Versuchungen, denen sie nicht immer widerstanden haben: Die Versuchung, ihr Interesse so stark auf die kirchlichen Dienste und Aufgaben zu konzentrieren, dass sie sich praktisch oft von ihrer Verantwortung im Beruf, in der Gesellschaft, in der Welt der Wirtschaft, der Kultur und der Politik dispensieren; und die Versuchung, die zu Unrecht bestehende Kluft zwischen Glauben und Leben, zwischen der grundsätzlichen Annahme des Evangeliums und dem konkreten Tun in verschiedenen säkularen und weltlichen Bereichen zu rechtfertigen. Die Synode hat in ihrer Arbeit immer wieder auf das II. Vatikanische Konzil zurückgegriffen, dessen Lehre über die Laien aus einem Abstand von zwanzig Jahren eine erstaunliche Aktualität, ja eine fast prophetische Bedeutung aufweist. Sie kann die Antworten, die heute auf die neuen Probleme gegeben werden müssen, erhellen und für diese richtungweisend sein. Die Herausforderung, der sich die Synodenväter stellten, bestand im Grunde darin, konkrete Wege zu finden, damit die vielversprechende »Theorie« über die Laien, die das Konzil zum Ausdruck gebracht hat, zur echten kirchlichen Praxis wird. Einige Probleme treten durch eine bestimmte »Neuartigkeit« hervor, so dass sie zumindest im chronologischen Sinn als nachkonzilar bezeichnet werden können. Ihnen widmeten die Synodenväter im Lauf ihrer Besprechungen und Überlegungen besondere Aufmerksamkeit. Von diesen sollen vor allem die kirchlichen Dienste und Aufgaben, die Laien anvertraut sind oder anvertraut werden sollen, hier genannt sein, das Wachstum und die Verbreitung von neuen »Bewegungen« neben anderen Formen der Zusammenschlüsse der Laien sowie die Stellung und Aufgabe der Frau in Kirche und Gesellschaft.

Am Schluss ihrer Arbeit, die sie mit großem Engagement, mit Kompetenz und Hochherzigkeit ausgeführt haben, legten die Synodenväter mir den Wunsch und die Bitte vor, zu gegebener Zeit der Kirche ein Abschlussdokument über die Laien zu schenken.<ref>Vgl. Propositio 1. </ref>

Dieses nachsynodale Apostolische Schreiben möchte den Wert und den Reichtum der gesamten Synodenarbeit ins Licht stellen, angefangen von den Lineamenta bis hin zum Instrumentum Laboris, von der einleitenden Relatio bis zu den Beiträgen der einzelnen Bischöfe und Laien und der zusammenfassenden Relatio nach der Diskussion im Plenum, von den Diskussionen und Berichten der »circoli minori« bis hin zu den »propositiones« und der Schlussbotschaft. Darum ist dieses Dokument nicht neben der Synode zu sehen, sondern es ist vielmehr ihr getreuer und kohärenter Ausdruck. Es ist das Ergebnis der kollegialen Arbeit, zu deren endgültigem Gelingen der Rat des Generalsekretariates der Synode und das Sekretariat selbst beigetragen haben.

Das Apostolische Schreiben möchte ein neues Bewusstsein von den Gaben und der Verantwortung aller Laien und jedes einzelnen für die Sendung und communio der Kirche wecken und lebendig erhalten.

Die Bedürfnisse der heutigen Welt: Warum steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?

3 Der tiefste Sinn dieser Synode und die kostbarste Frucht, die sie sich gewünscht hat, liegen darin, dass die Laien den Ruf Christi vernehmen, in seinem Weinberg zu arbeiten, in dieser herausragenden und dramatischen Stunde der Geschichte am Übergang zum dritten Jahrtausend an der Sendung der Kirche teilzunehmen: lebendig, verantwortlich und bewusst.

Neue kirchliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Gegebenheiten rufen heute mit besonderer Intensität nach dem Engagement der Laien. Sich der Verantwortung zu entziehen, war schon immer verfehlt. Heute aber liegt darin eine noch größere Schuld. Niemandem ist es erlaubt, untätig zu bleiben.

Verfolgen wir das Gleichnis des Evangeliums weiter: »Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!« (Mt 20, 6-7).

Die Arbeit, die alle im Weinberg des Herrn erwartet, ist so groß, dass kein Raum für Untätigkeit bleibt. Der »Gutsbesitzer« wiederholt noch nachdrücklicher seine Einladung: »Geht auch ihr in meinen Weinberg!«

Im tiefsten Wesen eines jeden Christen, der durch den Glauben und die christlichen Initiationssakramente Christus gleichgeschaltet, lebendiges Glied der Kirche und aktives Subjekt ihrer Heilssendung ist, erklingt die Stimme des Herrn. Sie wird aber auch in den Ereignissen der Kirchengeschichte und der Geschichte der Menschen vernehmbar, wie das Konzil es uns in Erinnerung gebracht hat: »Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluss hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert daher den Geist auf wirklich humane Lösungen hin«.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 11. </ref> Wir müssen darum einen klaren Blick auf diese unsere Welt mit ihren Werten und mit ihren Problemen, mit ihren Nöten und mit ihren Hoffnungen, mit ihren Errungenschaften und mit ihren Niederlagen werfen: Eine Welt, deren wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und kulturelle Verhältnisse größere und gravierendere Probleme und Schwierigkeiten aufweisen, als die, die das Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes<ref>Während der Außerordentlichen Synode 1985 haben die Väter „die große Bedeutung und Aktualität der Pastoralkonstitution Gaudium et spes“ neu herausgestellt. Sie sagte weiter: „Wir erkennen aber auch, dass die Zeichen unserer Zeit zum Teil anders sind als zur Zeit des Konzils, dass sie größere Nöte und Probleme beinhalten. Überall auf der Welt verbreiten sich Hunger, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Krieg, Leiden, Terrorismus und verschiedene andere Formen der Gewalt“ (Schlussdokument Ecclesia sub Verbo Dei mysteria Christi celebrans pro salute mundi, II, D. 1). </ref> beschrieben hat. Und dennoch ist diese Welt der Weinberg, sie ist der Ort, wo die Laien dazu berufen sind, ihre Sendung zu erfüllen. Jesus will, dass sie wie alle seine Jünger Salz der Erde und Licht der Welt seien (vgl. Mt 5, 13-14): Wie aber sieht das Antlitz der »Erde« und der »Welt« aus, deren »Salz« und »Licht« die Christen sein sollen?

Die Verschiedenheit der Situationen und Probleme in der heutigen Welt ist groß und von raschen Veränderungen gekennzeichnet. Von unzutreffenden Verallgemeinerungen und Vereinfachungen muss darum abgesehen werden. Aber es ist möglich, einige Grundtendenzen, die in der heutigen Gesellschaft erkenntlich sind, aufzugreifen. Wie auf dem Feld, das im Evangelium beschrieben wird, Unkraut und gutes Getreide wachsen, so finden sich in der Geschichte als der täglichen Bühne des oft widersprüchlichen Gebrauchs menschlicher Freiheit das Gute und das Böse, die Ungerechtigkeit und die Gerechtigkeit, die Not und die Hoffnung oft nebeneinander und zuweilen sogar eng miteinander verkettet.

Säkularismus und Bedürfnis nach dem Religiösen

4 Die wachsende Verbreitung der religiösen Gleichgültigkeit und des Atheismus in ihren verschiedenen Ausprägungen, vor allem in der heute geläufìgsten Form des Säkularismus, kann nicht ungenannt bleiben. Vom Erfolg seiner Errungenschaften und durch die unaufhaltsame wissenschaftliche und technische Entwicklung verblendet, mehr noch aber durch die älteste und immer neue Versuchung, im unbegrenzten Gebrauch seiner Freiheit wie Gott sein zu wollen (vgl. Gen 3, 5) fasziniert, reißt der Mensch die religiösen Wurzeln aus seinem Herzen. Er vergisst Gott, betrachtet ihn als bedeutungslos für seine eigene Existenz und verwirft ihn, um verschiedenste »Idole« anzubeten.

Das aktuelle Phänomen des Säkularismus ist in Wahrheit ein schweres Problem: Es betrifft nicht nur den einzelnen, sondern in gewissem Sinn auch ganze Gemeinschaften, wie es das Konzil schon herausgestellt hat: »... breite Volksmassen (geben) das religiöse Leben praktisch auf«.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, Nr. 7. </ref> Ich habe selbst schon des öfteren das Phänomen der Entchristlichung in Erinnerung gerufen, das die Völker alt überkommener christlicher Tradition befällt und dringendst eine neue Evangelisierung erfordert.

Und dennoch lassen sich das Suchen und das Bedürfnis nach dem Religiösen nicht ganz aus löschen. Das Gewissen eines jeden Menschen, der den Mut aufbringt, sich den fundamentalsten Fragen menschlicher Existenz zu stellen, vor allem der Frage nach dem Sinn des Lebens, des Leidens und Sterbens, kommt nicht umhin, sich das Wort der Wahrheit, das der heilige Augustinus ausrief, anzueignen: »Auf dich hin, o Herr, hast du uns erschaffen. Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir«.<ref>Augustinus, Confessiones I, 1: CCL 27, 1. </ref> So zeugt auch die heutige Welt in immer vielfältigerer und lebendigerer Weise vom Geöffnetsein der Menschen auf ein geistliches und transzendentes Verständnis des Lebens hin, von einer neuen Suche nach religiösen Werten, von der Wiederkehr zum Heiligen und zum Gebet, vom Verlangen nach der Freiheit, den Namen des Herrn anzurufen.

Der Mensch: erniedrigte und erhöhte Würde

5 Denken wir darüber hinaus an die vielen Verletzungen, denen der Mensch heute ausgesetzt ist. Immer dann, wenn er in seiner Würde als lebendiges Abbild Gottes (vgl. Gen 1, 26) nicht anerkannt und geliebt wird, ist der Mensch den verdemütigendsten und absurdesten Formen des Missbrauchs, die ihn erbarmungslos zum Sklaven des Stärkeren machen, ausgeliefert. Dieses Stärkere kann verschiedene Namen tragen: Ideologie, wirtschaftliche Macht, unmenschliche politische Systeme, wissenschaftliche Technokratie, Überflutung durch die Massenmedien. Hier stehen wir wieder vor Scharen unserer Brüder und Schwestern, deren Grundrechte auch wegen einer übertriebenen Toleranz und sogar offenkundigen Ungerechtigkeit gewisser bürgerlicher Gesetzgebungen verletzt werden: Das Recht auf Leben und dessen Unantastbarkeit, das Recht auf Wohnung und Arbeit, das Recht auf die Gründung einer Familie und auf verantwortliche Elternschaft, das Recht auf Teilnahme am öffentlichen und politischen Leben, das Recht auf Gewissensfreiheit und freies Bekenntnis des Glaubens.

Wer kann die Zahl der Kinder nennen, die nicht geboren wurden, weil man sie im Schoß ihrer Mütter getötet hat, der von ihren Eltern verlassenen und misshandelten Kinder, der Kinder, die ohne Liebe und Erziehung aufwachsen? In einigen Ländern müssen ganze Völker auf Wohnung und Arbeit verzichten. Sie verfügen auch nicht über die erforderlichen Mittel, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können und nicht einmal das Unentbehrliche und Lebensnotwendige wird ihnen zugestanden. In schrecklichen Ausmaßen haben materielle und moralische Elends- und Armutserscheinungen in den Stadtrandgebieten der großen Metropolen Hausrecht gewonnen und ganze Menschengruppen werden tödlich von ihnen getroffen.

Mag die Sakralität der Person aber noch zu oft verachtet und verletzt werden, vernichten kann man sie nicht. Ihr unzerstörbares Fundament gründet in Gott, dem Schöpfer und Vater, darum wird die Sakralität der Person sich immer wieder aufs neue behaupten.

Aus diesem Grund erfasst eine größere Sensibilität für die Personwürde eines jeden Menschen immer weitere Kreise. Wie ein befreiender Strom durchzieht nunmehr das Bewusstsein der Würde der Menschen alle Völker: Der Mensch ist keine »Sache« und kein »Objekt«, das benutzt werden kann, sondern immer und allein »Subjekt«, dem Gewissen und Freiheit zu eigen ist, der dazu berufen ist, in der Gesellschaft und in der Geschichte verantwortlich zu leben und sich nach den geistigen und religiösen Werten auszurichten.

Es wurde behauptet, unsere Zeit sei eine Zeit der »Humanismen«. Einige von ihnen, die atheistischer und säkularistischer Prägung sind, führen letztlich zum Paradox der Verdemütigung und Vernichtung des Menschen; andere Humanismen wiederum verherrlichen ihn bis hin zur wahren Idolatrie; wieder andere erkennen schließlich der Wahrheit entsprechend die Größe und das Elend des Menschen an, und sie bekennen, unterstützen und fördern seine volle Würde.

Zeichen und Frucht dieser humanistischen Strömungen ist das wachsende Bedürfnis nach Teilhabe. Dieses ist ohne Zweifel eines der Kennzeichen der heutigen Menschheit, ein wahres »Zeichen der Zeit«, das auf verschiedenen Gebieten und in verschiedene Richtungen reift: vor allem unter den Frauen und Jugendlichen, und das nicht nur in Richtung des Familien- und Schulwesens, sondern auch im kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich. Das Bedürfnis, Protagonisten und in gewissem Sinn Schöpfer einer neuen humanistischen Kultur zu sein, wird sowohl auf individueller wie auf universaler Basis beobachtet.<ref>Vgl. Instrumentum laboris, „De vocatione et missione laicorum in Ecclesia et in mundo viginti annis a Concilio Vaticano II elapsis”, 5-10. </ref> 

Konfliktualität und Friede

6 Schließlich darf ein anderes, für die heutige Menschheit charakteristisches Phänomen nicht unerwähnt bleiben. Die Menschheit wird wie vielleicht noch nie zuvor in ihrer Geschichte täglich und tiefgreifend durch das Erlebnis der Konfliktualität aus dem Gleichgewicht gebracht. Es handelt sich hier um ein pluriformes Phänomen, das sich vom legitimen Pluralismus der Mentalitäten und der Initiativen unterscheidet und sich in verhängnisvollen Gegensätzen zwischen Menschen, Gruppen, Kategorien, Nationen und Nationenblocks Ausdruck verschafft. Diese Gegensätze äußern sich in Gewalt, Terrorismus und Kriegen. Wieder einmal, dieses Mal jedoch in weit größeren Ausmaßen, wiederholen ganze Teile der heutigen Menschheit den törichten Versuch, den »Turm zu Babel« zu erbauen (vgl. Gen 11, 1-9), weil sie ihre »Allmacht« bekunden wollen. Das Ergebnis dieses Experimentes aber bleibt Verwirrung, Kampf, Auflösung und Unterdrückung. Die Menschheitsfamilie ist bis in ihr Inneres hinein auf dramatische Weise erschüttert und zerrissen.

Das Streben nach dem unermesslichen Gut des Friedens in Gerechtigkeit lässt sich dennoch nicht aus den Herzen der einzelnen und der Völker ausrotten. Die Seligpreisung des Evangeliums: »Selig, die Frieden stiften« (Mt 5, 9) findet unter den heutigen Menschen eine neue und bedeutungsträchtige Resonanz: Ganze Völker leben, leiden und arbeiten heute für Frieden und Gerechtigkeit.

Die Teilnahme von immer mehr Menschen am Leben der Gesellschaft ist heute der gängigste Weg, damit der Friede nicht reiner Wunsch bleibt, sondern Realität wird. Auf diesem Weg begegnen wir vielen Laien, die sich im sozialen und politischen Bereich, institutionell oder freiwillig in den vielfältigen Formen des Dienstes an den Ärmsten hochherzig engagieren.

Jesus Christus, Hoffnung der Menschheit

7 So sieht das immense und steinige Feld aus, das sich den Arbeitern auftut, die der »Gutsbesitzer« in seinen Weinberg sendet. Die Kirche: wir alle, Hirten und Gläubige, Priester, Ordensleute und Laien arbeiten auf diesem Feld. Die Situationen, die eben in Erinnerung gerufen worden sind, betreffen die Kirche auf entscheidende Weise, denn sie wird dadurch in gewissem Sinn eingeengt, aber nicht zermalmt und auch nicht überwältigt, denn der Heilige Geist, ihr Lebensprinzip, unterstützt sie bei der Erfüllung ihrer Sendung.

Die Kirche weiß, dass alles Bemühen der Menschheit um Einheit und Teilhabe trotz aller Schwierigkeiten, Verzögerungen und Widersprüche, die menschliche Kontingenz, Sünde und das Böse verursachen, in der Heilstat Jesu Christi, dem Erlöser des Menschen und der Welt, eine Antwort finden wird.

Die Kirche weiß sich von ihm gesandt als »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit«.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, Nr. 1. </ref>

Darum kann die Menschheit dennoch hoffen, ja, sie muss hoffen: Das personifizierte und lebendige Evangelium, Jesus Christus selbst, ist die »neue Botschaft«, die Freude bringt, und die die Kirche jeden Tag allen Menschen verkündet und bezeugt.

In dieser Verkündigung und in diesem Zeugnis kommt den Laien ein spezifischer und unersetzlicher Beitrag zu: Durch sie wird die Kirche Christi in den verschiedensten Bereichen der Welt als Zeichen und Quelle der Hoffnung und der Liebe präsent.

[Forsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />