Wesenheit

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Unter Wesenheit versteht die Philosophie das „Sosein“ der Dinge im Gegensatz zum bloßen „Dasein“, je nachdem ein Ding betrachtet wird. Die Wesenheit wird auch Washeit genannt.<ref> vgl. Bernard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie I, bearbeitet von P. Raphael Fäh OSB, Selbstverlag Benediktinerkollegium Sarnen 1957, S. 82 (5. Auflage; Mit kirchlicher Druckerlaubnis des Bischöflichen Ordinariates Chur vom 30. Juli 1957).</ref>

Unter Sosein oder Wesenheit versteht man das, wodurch ein Ding das ist, was es ist, d. h. artgemäß genau bestimmt ist. Nicht jede Seinsbestimmung, die an einem Ding ist und von ihm ausgesagt wird, gehört zu seinem Wesen, sondern nur jene, die streng auf die Frage antworten, was (nicht wie) ein Ding ist. So mag z. B. Peter sitzen oder gehen, gesund oder krank sein, denken oder schlafen usw., er bleibt doch das, was er ist, Peter, ein Mensch, ein vernunftbegabtes Lebewesen. So hat auch das Pferd, die Tanne, das Dreieck, die Zahl Fünf, die Tugend der Tapferkeit, kurz, jedes Seiende seine ganz bestimmten Wesensinhalte, ohne welche es nicht mehr dasselbe Wesen ist. Selbst die flüchtige Bewegung und die seinsschwache Beziehung haben ihre bestimmten Seinsinhalte, ohne die sie eben nicht Bewegung oder Beziehung wären.<ref> Bernard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie I, S. 82.</ref>
Dabei beachte man wohl, die Wesenheiten der Dinge hängen nicht von unserer Erkenntnis ab; sie bestehen in sich, auch wenn sie - wie das meistens der Fall ist - von uns nur unvollkommenerfasst werden.
Das Sosein heißt Wesenheit, weil sie bei aller Veränderung das immer Gewesene und noch So-Seiende ist. Man kann sie Washeit nennen, weil sie das umfaßt, was ein Ding ist. Die Wesenheit wird Prinzip des Seins bezeichnet, nicht etwa, weil sie sich selber das Dasein gibt, sondern weil das Maß des Daseins genau dem Wesen entspricht. Form heißt sie, weil sie die innere fertige Gestalt, Vollkommenheit und Bestimmtheit jedes Dinges ausmacht. Ferner wird sie Natur genannt, sofern sie Prinzip, Ursprung der Tätigkeiten ist.<ref> Bernard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie I, S. 83.</ref>

Einteilung<ref>Bernard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie I, S. 83+84.</ref>

Die Wesenheit jedes Dinges kann unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden:
1. Als physische Wesenheit: Darunter versteht man die Wesenheit eines Dinges, wie sie in der Wirklichkeit existiert mit allen dazu gehörigen Eigenschaften; sie umfasst also die strikten Wesensinhalte mitsamt allen Eigentümlichkeiten und dem Dasein (Existenz).
z. B. die physische Wesenheit des Menschen schließt in sich: die strikten Wesensmerkmale (vernunftbegabtes Sinnenwesen), alle Eigentümlichkeiten (Sprachfähigkeit, Lachfähigkeit, Bildungsfähigkeit für Wissenschaft, Tugend usw.) und das Dasein.
Die physische Wesenheit des Dreiecks umfasst die Wesensmerkmale (eine von drei Geraden umschlossene Ebene), alle Eigentümlichkeiten (Winkelsumme usw., alles, was in den geometrischen Lehrsätzen entwickelt wird) und das Dasein.
2. Als wirkliche Wesenheit: Sie umfasst die strikten Wesensinhalte und das Dasein. Sie deckt sich also nahezu mit der physischen Wesenheit, unterscheidet sich aber von ihr, indem sie die Eigentümlichkeiten unberücksichtigt lässt.
3. Als metaphysische Wesenheit: Sie bezeichnet nur die strikten Wesensinhalte oder Merkmale, sieht also von den Eigentümlichkeiten und vom Dasein ab. Dasein und Eigentümlichkeiten sind darin weder ein- noch ausgeschlossen.
4. Als rein mögliche Wesenheit: Sie bezeichnet ebenfalls die metaphysischen Wesensinhalte eines Dinges, aber ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt, dass das wirkliche Dasein ausgeschlossen oder verneint wird, also die Wesenheit in ihrer reinen Denkbarkeit mit der bloßen Möglichkeit zum Dasein, z. B. ein regelmäßiges Billioneneck; die menschlichen Wesen, die nicht existieren, aber existieren könnten.
Die rein möglichen Wesenheiten haben kein Dasein, auch nicht, wie manche meinen, ein abgeschwächtes, sondern nur die Möglichkeit dazu. Hätten sie ein noch so schwaches Dasein, so wären sie eben wirklich; es würde also alles, was möglich und denkbar ist, auch wirklich existieren. Das widerstreitet den Tatsachen, weil so beispielsweise jeder Mensch alle möglichen Gedanken oder Tugendakte usf. wirklich haben müsste. Das ist zudem innerlich widerspruchsvoll, weil alles Mögliche, auch das sich gegenseitig Aufhebende, zugleich wirklich sein müsste, z. B. jeder müsste zugleich sitzen und stehen.
Die möglichen Wesenheiten sind aber auch kein reines Nichts, weil sie nicht schlechthin im Gegensatz zum Sein stehen; darum sind sie positiv erkennbar.
Bloß das wirkliche Dasein wird von ihnen verneint. Sie können und müssen in dem Sinne zum realen Sein gerechnet werden, als sie ein wirkliches Gedachtsein im Geist des Schöpfers haben und in der Macht der Wirkursache die Möglichkeit zum wirklichen Dasein. Sie sind somit keine reinen Gedankendinge.

Eigenschaften der Wesenheiten<ref>Bernard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie I, S. 84.</ref>

1. Die Wesenheiten sind in ihrem innern Bestand der Merkmale oder Inhalte unveränderlich und unteilbar. Würde von einer bestimmten Wesenheit ein Merkmal geändert, eines hinzugefügt oder weggenommen, so wäre sie nicht mehr dieselbe, was dem Identitätsprinzip und Kontradiktionsprinzip entgegen ist. Die Vier wäre nicht mehr dieselbe Zahl, wenn ihr eine Einheit oder auch nur der kleinste Teil davon weggenommen oder hinzugefügt würde; der Mensch wäre nicht mehr Mensch, wenn er nicht vernunftbegabt oder statt körperlich rein geistig wäre.
2. Daraus folgt, dass sie auch notwendig sind. Notwendig ist, was unmöglich anders sein kann. Das trifft bei jeder Wesenheit zu, weil alle Merkmale, die das Wesen ausmachen, so innerlich zusammengehören, dass keines fehlen darf. Natürlich bezieht sich diese Notwendigkeit bei den geschöpflichen Wesen nicht auf die Existenz, weil diese nicht zu ihrem Wesen gehört; sie betrifft nur die innere Zusammengehörigkeit der Merkmale.
3. Die Wesenheiten sind darum auch ewig, in dem Sinn, dass sie unabhängig von der Zeit gelten. Das Wesen der Kugel, des Menschen, der Freundschaft usw. sind vor aller Zeit, jetzt und in alle Zukunft immer dasselbe. Man nennt das negativ ewig.
Sie können auch positiv ewig genannt werden, sofern sie im Geiste Gottes ein ewiges, wirkliches Gedachtsein besitzen. In sich selber jedoch haben sie kein ewiges Wirklichsein.

Letzter Grund der möglichen Wesenheiten<ref>Bernard Kälin OSB: Lehrbuch der Philosophie I, S. 84+85.</ref>

Bezüglich der rein möglichen Wesenheiten besteht nun die Frage, wo der letzte Grund für ihre Möglichkeit liegt, ob in ihnen selber oder in unserm Denken oder in Gott oder sonstwo. Gemeint ist dabei die innere Möglichkeit. Möglichkeit ganz allgemein besagt Hinordnung oder Befähigung zum Sein. Meint man die Möglichkeit zu einem Sosein (Wesenheit), so spricht man von innerer Möglichkeit; sie besteht in der widerspruchslosen Vereinbarkeit von Seinsinhalten oder Merkmalen. Meint man aber die Möglichkeit oder Fähigkeit zum Dasein, so wird sie äußere Möglichkeit genannt, weil eine äußere Wirkursache den möglichen Dingen das Dasein verleihen kann.
Für die äußere Möglichkeit liegt der nächste Grund in jener Wirkursache, die das Ding unmittelbar hervorbringt; z. B. für das Haus die Bauleute, für das Kind seine Eltern. Der letzte Grund für die äußere Möglichkeit aller geschöpflichen Dinge liegt in Gott. Alle Dinge außer Gott haben ihr Dasein nicht aus sich. Es muss also ein Wirkliches geben, das das Dasein aus sich hat und allem andern das Dasein zu geben vermag (Gott).
Für die innere Möglichkeit der geschöpflichen Dinge liegt der nächste Grund in der widerspruchslosen Vereinbarkeit der Sachverhalte (Seinsinhalte, Merkmale). über den letzten Grund der innern Möglichkeit gibt es verschiedene Ansichten:
1. Die Fatalisten sehen alle Vorgänge in der Welt durch eine blinde absolute Notwendigkeit bestimmt. Sie lehren, dass zu jeder Zeit nur das möglich ist, was eben existiert. Der letzte Grund für die innere Möglichkeit für alle Dinge liege darum in der Existenz dieser Dinge.
2. Protagoras (+ 410 v. Chr.) und alle jene, die wie er den menschlichen Verstand als das Maß aller Dinge und Wahrheiten betrachten (subjektiven Idealisten), müssen folgerichtig den menschlichen Verstand als letzten Grund für die innere Möglichkeit der Dinge annehmen.
3. William von Ockham erklärt die Allmacht Gottes, Descartes (+ 1650) den göttlichen Willen für den letzten Grund der innern Möglichkeit der Dinge.
4. Die meisten Scholastiker setzen den letzten Grund für die innere Möglichkeit der Dinge formell in den Verstand Gottes, seinsmäßig (fundamental) aber in das Wesen Gottes.

Wesensgleichheit in der Trinität

Die Wesensgleichheit der drei göttlichen Personen ist ein zentrales Bekenntnis des christlichen Glaubens. Das Konzil von Konstantinopel formulierte im Jahr 381 im Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, dass Jesus Christus, die zweite göttliche Person, "mit dem Vater wesensgleich" ist (ὁμοoῦσιος τῷ πατρί homoũsios tō patrí).

Literatur

Siehe auch: Transsubstantiation, Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie, Substanz

Anmerkungen

<references />