Praeclara gratulationis (Wortlaut)
Praeclara gratulationis |
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von Papst
Leo XIII.
als Sendschreiben an alle Fürsten der Völker der Erde
über die Vereinigung im Glauben
20. Juni 1894
(Quelle: Leo XIII. - Lumen De Caelo. Erweiterte Ausgabe des "Leo XIII. der Lehrer der Welt". Praktische Ausgabe der wichtigsten Rundschreiben Leo XIII. und Pius XI., Herausgegeben von Carl Ulitzka, Päpstlicher Hausprälat, Authentische deutsche Fassung, Im Selbstverlage Ratibor 1934, S.52-65; Mit kirchlicher Druckerlaubnis; auch in: Sämtliche Rundschreiben, erlassen von Unserem Heiligsten Vater Leo XIII., Vierte Sammlung, Herder´sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau 1904, beide in Fraktur abgedruckt; auch in: Emil Marmy (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, Dokumente, Paulus Verlag Freiburg/Schweiz 1945, S. 922-940; Imprimatur Friburgi Helv., die 21. Augusti 1945 L. Clerc, censor)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Bitte an alle Völker, sich mit der Kirche zu vereinigen
- 3 Segnungen dieser Einigung
- 4 Schluss: Hoffnung auf Gott
- 5 Weblinks
Einleitung
Freude über die Anhänglichkeit der Katholiken an den Apostolischen Stuhl
1 Die herrlichen Kundgebungen allgemeiner Freude, die Uns während des ganzen verflossenen Jahres zur Verherrlichung der Gedächtnisfeier unserer Bischofweihe von allen Seiten bereitet worden sind und ihren Höhepunkt erreichten, als in den letzten Tagen die Spanier Uns ihre stete Treue und Anhänglichkeit versicherten hat hauptsächlich eine so freudige Seelenstimmung in Uns geweckt, weil in der Übereinstimmung und Eintracht des Willens so vieler die Einheit der Kirche und das treue Festhalten zu Rom so glänzend zum Ausdruck kam. Der katholische Erdkreis schien in diesen Tagen, alles um sich vergessend, nur auf den Vatikan Blick und Gedanken zu richten. Die Gesandtschaften der Fürsten, die Anwesenheit so vieler Tausende aus allen Ländern, die Adressen, aus denen warme Liebe sprach, die herzlichen kirchlichen Feierlichkeiten legten lautes Zeugnis dafür ab, dass in der Hingebung an den Apostolischen Stuhl alle Katholiken einen Herzens und eines Sinnes sind. Und diese Tatsachen machen auf Uns einen um so wohltuenderen Eindruck, weil sie ganz mit Unseren Absichten und Plänen übereinstimmen. Denn mit den Zeitverhältnissen vertraut und Unserer Pflicht eingedenk, haben Wir während Unseres ganzen Pontifikates beständig auf das Ziel hingearbeitet und durch Wort und Tat zu erreichen Uns bemüht: alle Nationen und Völker noch enger Uns zu verbinden und die Welt von dem allseitig wohltätig wirkenden Einflusse des Apostolischen Stuhles mehr und mehr zu überzeugen. Den größten Dank schulden Wir daher dem allgütigen Gott, der in seiner Huld und Gnade Uns ein solches Alter in voller Gesundheit erleben ließ. Dank aber auch den Fürsten, Bischöfen, dem Klerus und aller Gläubigen für die vielfachen Beweise treuer Anhänglichkeit, wodurch sie Unsere Stellung und Würde zu ehren, Uns persönlich aber willkommenen Trost zu spenden sich bemüht haben!
Trauer über die draußen Stehenden
2 Indes, dass Unser Trost ein vollständiger und festgegründeter gewesen wäre, dazu fehlte noch viel. Denn während der allgemeinen Kundgebungen der Liebe und Freude sahen Wir im Geiste jenen ungezählte Menge, die dem Ausdrucke des Jubels aller Katholiken ganz fremd gegenüber standen, teils weil zu ihnen noch nicht die Kunde der frohen Botschaft gedrungen ist, teils weil ihnen, wenn sie auch den christlichen Namen tragen, das Glück des katholischen Glaubens geraubt ist. Tief hat Uns diese Tatsache bekümmert und sie bekümmert Uns noch. Denn es ist Uns unmöglich, ohne tiefen Schmerz daran zu denken, dass ein so großer Teil der Menschen fern von Uns, wie auf einem Irrwege, wandelt. Da Wir auf Erden Gottes Stelle vertreten – „der da will, dass alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ – und Uns ferner das hohe und sorgenschwere Alter ein Memento mori zuruft, so glaubten Wir, Uns an das hehre Vorbild unseres Herrn und Heilandes erinnern zu müssen. Ehe er in die Herrlichkeit des Himmels zurückkehrte, wandte er sich nämlich in seinem hohepriesterlichen Gebete an seinen himmlischen Vater mit der inständigen Bitte, er möge doch die Einigkeit und einträchtige Gesinnung unter seinen Jüngern und Nachfolgern erhalten: „Ich bitte ... dass alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, dass so auch sie eins seien in uns“ (Joh. 17,20.21). Bei diesem innigen Gebete gedachte der liebe Heiland nicht nur derer, welche damals an ihn glaubten, sondern auch an alle Gläubigen, die sich ihm in Zukunft anschließen würden. Durch solch herrliches Beispiel ermuntert, flehen denn auch Wir voll festen Vertrauens zu Gott und suchen nach Kräften zu erreichen, dass doch endlich einmal die Menschen aller Länder und aller Zungen durch das Band desselben göttlichen Glaubens vereint und verbunden werden möchten.
Bitte an alle Völker, sich mit der Kirche zu vereinigen
An die heidnischen Völker – Gebet
3 Gedrängt von der Liebe, die ja stets Uns dahin treibt, wo die Not am größten und die Hilfe am nötigsten ist, führt Uns Unser Geist zuerst zu den unglücklichsten Völkern, denen entweder nie das Licht des Evangeliums geschienen hat, oder die es zwar einst besessen, aber durch Nachlässigkeit oder durch unglückliche Zeitverhältnisse wieder verloren haben und daher in Unkenntnis Gottes und im tiefsten Dunkel des Irrtums wandeln. Da nun alles Heil von Jesus Christus herkommt, und kein anderer Name den Menschen auf Erden gegeben ist, in welchem wir selig werden sollen (Apg. 4,12), so ist dies Unser Herzenswunsch, dass bald der hochheilige Name Jesu in aller Welt genannt und verehrt werde. Dieser Aufgabe, die ihr von Gott geworden, nachzukommen, hat die Kirche zu keiner Zeit versäumt. Denn mit beharrlichem Eifer hat sie in den nun verflossenen neunzehn Jahrhunderten immer darauf hingearbeitet, dass doch allen Völkern die Pforten der Wahrheit, das ist, des katholischen Glaubens, erschlossen würden. Und auch heute noch eilen in Unserem Auftrage die Glaubenboten in großer Zahl über das Meer und in die fernsten Länder. Täglich bitten Wir Gott, dass er doch mehr Arbeiter in seinen Weinberg senden möge, Arbeiter, die, würdig ihres apostolischen Berufes, ihre persönlichen Interessen, ihre Gesundheit, und wenn es die Ausbreitung des Reiches Christi erforderte, auch ihr Leben willig zu opfern bereit sind.
An die Irrgläubigen
4 Indem Wir den Gedanken an diese wundervolle Einheit festhalten, ziehen an Unserem Geiste vorüber alle Völker, die Gott in seiner unermesslichen Güte schon längst aus dem alten Wahnglauben zur wahren Weisheit des Evangeliums herübergerettet hat. Führwahr, für uns gibt es nichts Angenehmeres, nichts, was uns kräftiger zum Preise der gütigen Vorsehung antreibt, als den Gedanken an jene alten Zeiten, da der göttliche Glaube noch allgemein als heiliges Erbe und als unantastbarer Besitz galt, wo sämtliche Kulturvölker, so verschieden der Heimat, der Begabung und dem Charakter nach, ja mochten sie in allem übrigen auseinandergehen, in Sachen des christlichen Glaubens wie aus einem Munde redeten. Um so schmerzlicher drückt nun auf die Seele bei dergleichen Erinnerungen das Bewusstsein, dass die unglückseligen Zeiten nicht ausblieben, wo falsche Verdächtigungen und Zwistigkeiten große und blühende Staaten von der Kirche getrennt haben. Bei all dem aber vertrauen Wir auf Gottes Gnade und Erbarmen. Er allein weiß die Zeit, wo hilfreiches Eingreifen am Platze ist: und in seiner Macht steht es, den Willen der Menschen nach Belieben zu lenken. In diesem Bewusstsein wenden wir Uns an die von Uns getrennten Nationen: Wir ermahnen und beschwören sie mit Vaterliebe, doch allem, was uns trennt, zu entsagen und zur Einheit zurückzukehren.
Das Morgenland
5 Zuerst richtet sich Unser Blick voll der zärtlichsten Liebe nach dem Osten. Ist ja von dort die heilbringende Kunde über die ganze Erde gedrungen. Gewiss auch unser sehnsuchtsvolles Verlangen zur Hoffnung berechtigt, dass nicht lange mehr die Zeiten auf sich warten lassen werden, in welchen die Kirchen des Morgenlandes, ausgezeichnet durch den reinen alten Glauben und durch herrlichen Ruhmesglanz, wieder in den rettenden Hafen, den sie einst verlassen, zurückkehren werden. Trennen uns doch auch keine so gewaltigen Unterschiede. Denn mit geringen Ausnahmen ist im übrigen unsere Übereinstimmung so groß, dass wir nicht selten bei der Verteidigung des katholischen Glaubens der Lehre, den Gewohnheiten und gottesdienstlichen Gebräuchen der Orientalen die Beweismittel und Zeugnisse entnehmen.
Der Streitpunkt ist der Primat des Papstes
6 Der Punkt, in dem wir hauptsächlich auseinandergehen, ist der Primat, die oberste Autorität des römischen Papstes. Da möchten sie doch aber in die ersten Zeiten zurückblicken, um zu sehen, welcher Meinung ihre Ahnen gewesen sind, und was aus jener Zeit, die an die Anfänge der Kirche zurückreicht, überliefert wird. Sie berichten nämlich jene göttliche Verheißung des Heilandes: „Du bist Petrus (Fels), und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“, und dass sie an den römischen Päpsten klar und deutlich in Erfüllung ging. Ja, aus dem Orient selbst stammt eine nichtgeringe Zahl der Papste der ersten Jahrhunderte. So nennen wir vor allem Anaklet, dann Evarist, Anicet, Eleutherius, Zosimus, Agathon. Die meisten derselben haben, nachdem sie die Gesamtheit der Gläubigen fromm und klug geleitet hatten, ihre heilige Tätigkeit durch das Martyrium beschlossen. Es ist kein Geheimnis, wann, aus welchem Grunde und auf wessen Betreiben die Spaltung eintrat.
Früher hat die Vereinigung bestanden
7 Ja in jenen glücklichen Zeiten, da der Mensch noch nicht getrennt, was Gott verbunden hatte, galt allen christlichen Völkern der Name des apostolischen Stuhles heilig, und ohne alles Bedenken leisteten der Orient wie der Okzident dem römischen Papste, dem rechtmäßigen Nachfolger des heiligen Petrus und darum Stellvertreter Christi auf Erden, einmütig freudigen Gehorsam. In Anerkennung dieser Tatsache sandte daher auch Photius zu Beginn des Zwistes in seiner Angelegenheit Abgeordnete nach Rom. Der Papst Nikolaus I. aber schickte ohne jeden Widerspruch seine Legaten nach Konstantinopel. Diese sollten eingehend und sorgfältig die Sache des Patriarchen Ignatius prüfen, um dann dem Apostolischen Stuhl vollständigen und wahrheitsgetreuen Bericht zu erstatten. Der Verlauf dieser Verhandlung ist somit ein klarer Beweis für die oberste Autorität des römischen Stuhles, von dem man sich damals losriss. Schließlich weiß jedermann, dass auf zwei großen Konzilien, dem zweiten von Lyon und dem zu Florenz, Griechen und Lateiner sich ohne Schwierigkeit geeinigt und einstimmig die Lehre von der obersten Autorität des römischen Papstes als Dogma ausgesprochen hatten.
Die Versöhnung bahnt sich an
8 Mit Absicht rufen Wir euch alle diese Vorkommnisse ins Gedächtnis zurück, weil sie zu einer friedlichen Aussöhnung auffordern, umso mehr, weil Wir die Wahrnehmung machen, dass gerade jetzt die Bewohner des Orients eine viel versöhnlichere Gesinnung gegen die Katholiken hegen, ja sogar ein gewisses wohlwollendes Entgegenkommen von ihrer Seite sich nicht leugnen lässt. Dies zeigte sich noch vor kurzem, denn zu Unserer größten Freude nahmen Wir wahr, wie man den Gläubigen unserer Kirche, die aus frommer Absicht nach dem Orient gepilgert waren, ganz auserlesenen Beweise von Entgegenkommen und Herzlichkeit spendete. Wir richten Unsere Worte daher an euch alle, mögt ihr euch nun zum griechischen Ritus bekennen oder in irgend einem anderen orientalischen Ritus dem Herrn dienen, an euch alle, die ihr nicht mit der katholischen Kirche eins seid. Unser sehnlichster Wunsch geht dahin, es möge ein jeder von euch die Worte bei sich erwägen mit denen Lessarion eure Väter so liebevoll und zugleich so eindringlich ermahnte: „Womit werden wir Gott antworten können, wenn er an uns die ernste Frage richten wird, weshalb wir von unseren Brüdern getrennt gelebt haben, wir, die zu vereinen und zu einem Schafstalle zuzuführen, er selbst vom Himmel herabgestiegen ist, unsere menschliche Natur angenommen und am Kreuze sich zum Opfer hingegeben hat? Was werden wir von unseren Nachkommen zu unserer Rechtfertigung vorbringen? Ferne sei uns solche Schmach! Solche Gesinnung soll bei uns nicht herrschend werden. Einen solch schlimmen Dienst wollen wir uns und den unsrigen nicht erweisen.“
Die Bedingungen zur Versöhnung ist die Einheit im Glauben und im Regiment
9 Was Wir nun fordern, das erwäget billigerweise bei euch, das erwäget vor dem Auge des allsehenden Gottes. Frei von jeder irdischen Rücksicht, geleitet und gedrängt einzig und allein von wahrer göttlicher Liebe und dem heißesten Verlangen, allen möge einst die himmlische Herrlichkeit zu teil werden, fordern wir euch inständig auf zur Aussöhnung und Wiedervereinigung mit der römischen Kirche, aber zur vollkommenen Einigung ohne jeden Vorbehalt. Von solcher kann aber keine Rede sein, wenn nichts weiter bezweckt wird, als eine gewisse Einheit in den Glaubensdogmen und gegenseitige brüderliche Liebe. Die wahre Einheit unter den Christen ist nur die, welche dem Urheber und Stifter der Kirche, Jesus Christus, eingesetzt und gewollt hat, die volle Einheit im Glauben wie in der Leitung. Kein Grund liegt dafür vor, dass ihr befürchtet, es möchten Wir oder Unsere Nachfolger Eurem Rechte, den Privilegien eurer Patriarchen Eintrag tun, oder die Riten und Gebräuche einer jeden Kirche schmälern. Denn es war von jeher bei dem Apostolischen Stuhle Grundsatz und Gewohnheit, und auch in Zukunft wird dies immer gelten, der eigentümlichen Entwicklung eines jeden Volkes sowie seinen Sitten und Gewohnheiten billigerweise in weitestem Maße Rechnung tragen.
Der Segen der Vereinigung wird groß sein
10 Wenn aber die Einheit zwischen uns und euch wiederhergestellt ist, dann führwahr werden eure Kirchen durch Gottes Gnade und Beistand wunderbar aufblühen und in neuem Glanze erstrahlen. Möge doch Gott so gnädigst euer eigenes Gebet erhören: Lass aufhören die Trennung der Kirchen, und: Sammle die Zerstreuten, führe auf den rechten Weg die Irrenden und vereinige sie mit deiner heiligen katholischen und apostolischen Kirche! (Liturgie des heiligen Basilius) So nehmet also wiederum jenen einen heiligen Glauben in euch auf, den das graue Altertum euch wie uns beständig überliefert hat, den Glauben, den eure Väter und Urväter bekannt und unversehrt bewahrt haben, den ein Athanasius, Basilius, ein Gregor von Nazianz, ein Johannes Chrysostomus, die beiden Cyrillus und andere berühmte Männer im Glanze ihrer Tugenden, gleich ausgezeichnet durch Geistesgröße wie durch Schärfe des Verstandes und durch Klarheit ihrer Lehre, in heiligem Wetteifer euch erläutert haben, Männer deren Ruhm im Morgen- wie im Abendlande mit Recht als gemeinsames Erbgut fortlebt!
Die slawischen Völker
11 Hier möchte es uns erlaubt sein, an euch, ihr Völker des slawischen Namens, Uns zu wenden, an euch, deren Ruhm die Geschichte uns verkündet. Ihr wisset ja, welchen Dank ihr Slawen euren Glaubensvätern Cyrillus und Methodius schuldet, deren Ruhm in verdientem Glanze zu vermehren wir vor einigen Jahren Unsere eifrigste Sorge sein ließen. Ihrem unermüdlichen Eifer, ihrer rastlosen Tätigkeit verdanken die meisten Völker eures Namens die Wohltaten der Bildung und die Gnaden der Erlösung. Deshalb blühte auch lange Zeit die schönste Eintracht zwischen den Slawen und den römischen Päpsten und die Früchte dieses glücklichen Verhältnisses waren auf der einen Seite reiche Wohltaten, auf der anderen Seite Glaubenstärke und treue Anhänglichkeit. Wenn nun eure Väter in unglücklicher Zeit dem römisch-katholischen Glauben größtenteils abwendig gemacht wurden, so erwäget wohl, welchen Segen und Vorteil euch die Rückkehr zur Einheit im Glauben bringen wird. Auch euch in ihre Arme zurückrufen, wird die Kirche nicht müde, die bereit und fähig ist, in reichem Maße euer Heil, euer zeitliches Glück und eure Größe zu fördern.
Die anglogermanischen Völker
12 Nicht weniger liebevoll ergeht Unsere Einladung an jene Völker, die erst in neuerer Zeit durch eine ganz ungewöhnliche Umwälzung aller Zustände und Verhältnisse von der römischen Kirche getrennt wurden. Was immer die Zeiten an Unheil mit sich brachten, das möge der Vergessenheit anheimfallen; ihren Blick mögen sie über alles Irdische erheben und nur der Wunsch, Wahrheit und Heil zu finden, möge sie beseelen, und so mögen sie die von Christus gestiftete Kirche bei sich näher betrachten.
Die Trennung ist ihnen zum Nachteil
13 Vergleichen sie ihre Religionsgenossenschaften mit der Kirche und erwägen sie, wie es bei ihnen mit der Religion steht, so werden sie leicht zugeben, dass sie in vielen und sehr wichtigen Stücken den alten Glauben beiseite gesetzt und sich durch mannigfachen Irrtum zu Neuerungen haben fortreißen lassen. Auch werden sie keineswegs leugnen können, dass ihnen von dem, was aus dem ererbten Glauben die Anstifter der Neuerungen bei ihrer Lostrennung von der Kirche mitgenommen haben, wohl kaum eine sichere und autoritative Glaubensformel geblieben ist. Ja sogar dahin ist man schon gekommen, dass viele sich nicht scheuen, das Fundament zu untergraben, auf dem der ganze Glaube und jegliche Hoffnung der Menschen einzig und allein sich gründet; und das ist die göttliche Natur Jesu Christi unseres Erlösers. Gleicherweise entkleiden sie jetzt die Bücher des alten und neuen Testamentes, die sie ehedem als vom Heiligen Geist inspirierte Schriften annahmen, ihres göttlichen Ansehens. Freilich war das die naturnotwendige Folge davon, das man einem jeden das Recht einräumte, die Schrift nach seinem Urteile und Gutdünken auszulegen.
Sie führt zum Rationalismus
14 Daher weist man jede andere Lebensregel zurück und lässt nur das Gewissen des Einzelnen als Leitstern und Richtschnur gelten. Daher die zahlreichen sich widersprechenden Meinungen und Sekten, die meistens im reinsten Naturalismus und Rationalismus endigen. So geben sie dann die Hoffnung auf eine Einigung der verschiedenen Lehrmeinungen auf und reden nur noch von einer Vereinigung, deren allumschlingendes Band die brüderliche Liebe sein soll. Das eine ist wohl wahr: Wir müssen alle durch gegenseitige Liebe brüderlich untereinander verbunden sein. Denn das hat ja Jesus Christus das größte Gebot genannt; das hat er zum Merkmal seiner wahren Jünger gemacht, die gegenseitige brüderliche Liebe. Aber wie können die Herzen in aufrichtiger Liebe einander zugetan sein, wenn die Geister nicht ein Glaube einigt?
Viele sind mit gutem Beispiel vorangegangen
15 Deshalb haben viele von den Männern, welche Wir hier im Auge haben, in kluger Einsicht und von Liebe zur Wahrheit angetrieben, den Heilsweg in der katholischen Kirche gesucht. Ihnen war vollständig klar, dass sie keineswegs mit Jesus Christus als dem Haupte verbunden sein könnten, wenn sie nicht Glieder seines geheimnisvollen Leibes, der Kirche, wären, noch den von Christus gelehrten Glauben unverfälscht empfangen könnten, wenn sie nicht das rechtmäßige Lehramt, das dem Petrus und seinen Nachfolgern übertragen ist, annähmen. Sie fanden nämlich in der römischen Kirche das Bild und die Verwirklichung der wahren Kirche, weithin und allgemein erkennbar durch die von ihrem göttlichen Stifter verliehenen Kennzeichen. Daher zählt man unter ihnen viele Männer, die ausgezeichnet durch ihr scharfes Verstandesurteil und die Gründlichkeit ihrer Altertumskenntnisse, den ununterbrochenen Fortbestand der römischen Kirche von der Apostel Zeiten her, die Unverfälschtheit ihrer Glaubens- und Sittenlehren und ihre sich stets gleichbleibende Verfassung in herrlichen Schriften klar bewiesen haben. Im Hinweis auf solche fortreißende Beispiele ist es weit mehr Unser Herz als Unser Mund, womit Wir zu euch, geliebte Brüder, reden, die ihr jetzt schon drei Jahrhunderte im Glauben von uns geschieden seid, sowie auch zu euch, die ihr seit dieser Zeit aus irgend einem Grunde der Gemeinschaft mit uns entsagt habt. „Lasst uns alle gelangen zur Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes“ (Eph. 4,13). Zu dieser Einheit, die noch niemals die katholische Kirche entbehrt hat, noch auch irgendwie entbehren kann, lasset Uns euch einladen und in aller Liebe die Hand zum Frieden reichen. Euch ruft schon lange die wahre Kirche als gemeinsame Mutter zu sich, euch erwarten in sehnsüchtigem Verlangen alle katholischen Herzen, damit ihr in Heiligkeit mit uns Gott dienet, vereint durch Bekenntnis eines Evangeliums, eines Glaubens und einer Hoffnung.
C. An die Katholischen Völker
16 Um diese sehnlichst gewünschte Einigung der vollen Verwirklichung entgegenzuführen, bleibt Uns noch die Pflicht, an alle jene auf dem weiten Erdkreise Uns zu richten, mit deren Heil schon lange sich Unsere Sorge und Unsere Gedanken sich beschäftigen.
Sie müssen den Glauben bewahren
17 Jene Katholiken, so glauben Wir, die durch das Bekenntnis des römischen Glaubens mit dem Apostolischen Stuhle in Gehorsam verbunden sind und so in Gemeinschaft mit Jesus Christus stehen, brauchen freilich nicht zur wahren heiligen Einheit aufgefordert werden. Denn sie gehören ja durch Gottes Güte ihr an; aber eindringlichst müssen Wir sie ermahnen, bei den immer allseits wachsenden Gefahren dieses größte Gnadengeschenk Gottes nicht durch Sorglosigkeit und Menschenfurcht zu gefährden. – Mögen sie um dessentwillen die Wahrheiten, die Wir den katholischen Völkern einzeln sowohl wie insgesamt sonst vorgetragen haben, sich in gehöriger Weise zur Richtschnur im Denken und Tun nehmen. Vor allem mögen sie sich das zum obersten Gesetze machen, dass man dem Lehramte und der Autorität der Kirche nicht mit verschlossenem Herzen und mit Misstrauen, sondern mit offenem Herzen und vollständiger Hingabe gehorchen müsse.
Sie dürfen die wahre Idee der Kirche nicht verdunkeln lassen
18 Hier mögen sie bedenken, zu welchem Verderben es der christlichen Einheit gereichen muss, dass der vielfache Irrtum in den Lehrmeinungen das wahre Wesen und das wahre Bild der Kirche allenthalben verdunkelt, ja ganz zerstört hat. Ihr göttlicher Stifter wollte nämlich und ordnete auch an, dass sie eine ihrer Art nach vollkommene Einheit sei, deren Aufgabe und Pflicht es sei, das Menschengeschlecht in den Vorschriften und Anordnungen des Evangeliums zu unterweisen und durch Reinerhaltung der Sitten und fleißige Übung der christlichen Tugenden die Seelen zur himmlischen Glückseligkeit zu führen, zu der ein jeder Mensch bestimmt ist. Und da ja, wie gesagt, die Kirche eine vollkommene Gesellschaft ist, so hat sie eine Lebenskraft und Ausdauer, die sie nicht von außen schöpft, sondern die ihr nach göttlicher Anordnung aus ihrer inneren Natur quillt. Aus eben diesem Grunde hat sie auch naturgemäß die Gewalt, Gesetze vorzuschreiben; und in ihrer Gesetzgebung muss sie unbedingt von jedermann unabhängig sein und die gleiche Freiheit zu allen Entschließungen innerhalb ihrer Rechtssphäre haben. Doch diese Freiheit ist nicht derart, dass sie irgendwelchen Anlass zu Neid und Eifersucht gäbe. Denn die Kirche sucht nicht Macht, noch lässt sie sich von irgend welchem Privatinteresse leiten. Nur das will sie, das allein erstrebt sie, in den Menschen den Eifer für die Tugenden zu wecken und zu pflegen und ihnen so auf diesem Wege zu ihrem ewigen Heile zu verhelfen. Daher pflegt sie auch eine solche Willigkeit und mütterliche Nachsicht zu zeigen, dass sie sogar häufig mit Rücksicht auf die staatlichen Verhältnisse auf Ausübung mancher Rechte verzichtet. Klar und deutlich bezeugen dies die zahlreichen Konkordate mit Völkern und Staaten.
Die Kirche darf nicht dem Staate ausgeliefert werden
19 Nichts liegt ihr ferner, als irgend ein Recht der weltlichen Macht an sich zu reißen. Anderseits muss aber die staatliche Gewalt die Rechte der Kirche achten und sich hüten, irgendwie eines davon in ihren Machtbereich ziehen zu wollen. – Betrachten wir nun die Verhältnisse und Tatsachen, welches ist da die Richtung des Zeitgeistes in unseren Tagen? Nur allzu viele sind gewohnt, die Kirche zu verdächtigen, zu verachten, ja zu hassen und böswillig falsche Anschuldigungen gegen sie zu erheben. Ja noch weit schlimmer wird es getrieben; mit aller Macht und Anstrengung geht man darauf aus, sie zur Dienerin der herrschenden Staatsmänner zu erniedrigen. Darum hat man ihr ihre Güter genommen, sie in ihrer Freiheit aufs äußerste beschränkt und die kirchliche Erziehung der heranwachsenden Theologen mit allerlei Schwierigkeiten verbunden. Gesetze von ausnehmender Strenge werden gegen den Klerus erlassen; die Hauptstützen des Christentums, die religiösen Genossenschaften werden aufgehoben oder deren Ausbreitung verboten, kurz: die Febroanischen Lehren kommen in Wort und Tat und zwar noch schärfer als früher zur Geltung. Dieses Vorgehen ist eine Vergewaltigung der heiligen Rechte der Kirche. Dabei bringt dies aber den Staaten die größten Nachteile, weil es ganz augenscheinlich den göttlichen Absichten widerstreitet. Denn Gott, der Herr und Schöpfer der Welt, war es, welcher der menschlichen Gesellschaft die weltliche und geistliche Autorität in weiser Absicht vorsetzte; freilich wollte er, dass beide Gewalten getrennt von einander bestehen sollten, aber keineswegs war es sein Wille, dass beide sich in feindseliger Absicht bekämpfen sollten. Aber nicht nur Gott, sondern auch vornehmlich die gemeinsame Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft erheischen dringend, dass die weltliche Gewalt in ihrer Regierung und Gesetzgebung in Eintracht mit der kirchlichen Gewalt handle. Daher hat auch der Staat seine eigenen und ihm eigentümlichen Pflichten und Rechte, ebenso aber hat auch die Kirche die ihrigen. Aber beide müssen durch harmonische Eintracht mit einander verbunden sein. So wird gewiss die in den gegenseitigen Beziehungen zwischen Kirche und Staat gegenwärtig obwaltende Störung beseitigt werden, welche jeder, der wahre Klugheit besitzt, aus mehr als einem Grund hinwegwünschen wird und alle Gutgesinnten peinlich empfinden. Dann können auch die Untertanen, weil die Interessen beider Gewalten klar auseinander gehalten sind, aber auch nicht sich feindlich gegenüberstehen, dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist.
Die Sekte der Freimaurer ist äußerst gefährlich=
20 Desgleichen droht der Einheit große Gefahr von seiten der Freimaurer, einer Gesellschaft, deren unheimlicher Druck schon lange namentlich auf den katholischen Nationen lastet. Unter der Gunst verworrener Zeitverhältnisse emporgekommen, maßlos stolz im Hinblick auf ihre Stärke, ihre Machtmittel und Erfolge, zielen die Freimaurer mit aller Anstrengung dahin, ihre Herrschaft immer mehr zu befestigen und weiter auszubauen. Aus ihren geheimen Verstecken und Schlupfwinkeln ist diese Gesellschaft bereits mitten in den Städten offen ans Tageslicht hervorgetreten und hat gleichsam zur Herausforderung Gottes hier in dieser Stadt, dem Herzen des Katholizismus, sich eingenistet. Was aber das Allertraurigste ist: wo immer sie ihren Fuß hinsetzt, da drängt sie sich in alle Volksschichten und in alle Einrichtungen des Staates ein, um schließlich überall den Ton anzugeben und alles ihrem Gutdünken zu unterwerfen. Das ist sehr bedauerlich. Denn ihre verwerflichen Lehren und nichtswürdigen Absichten sind ganz allgemein bekannt. Angeblich um die allgemeinen Menschenrechte zu verteidigen und die bürgerliche Gesellschaft geistig zu erneuern, kämpft sie unerbittlich gegen das Christentum an, verwirft die von Gott geoffenbarte Wahrheit und verspottet die Übungen der Frömmigkeit, die göttlichen Sakramente und anderes, was uns heilig ist, als Aberglauben. Sie strebt danach, die Ehe, die Familie, die Jugenderziehung und den öffentlichen wie privaten Unterricht alles christlichen Geistes zu berauben und den Völkern alle Ehrfurcht vor göttlicher und menschlicher Autorität aus der Seele zu reißen. Sie schreibt ferner für den Menschen die Verehrung der Natur vor, und nur ihre Grundsätze seien Regel und Richtschnur für Wahrheit, Sittlichkeit und Gerechtigkeit. Auf diese Weise muss der Mensch augenscheinlich wieder in den Sitten und Lebensgewohnheiten der heidnischen Völker zurückfallen. Das moderne Heidentum wird sogar noch lasterhafter sein, da jetzt die Reizmittel für die Sinne viel zahlreicher sind als im Altertum.
Besonders die Italiener und Franzosen sollen sich aufraffen !
21 Obgleich Wir schon an anderer Stelle Uns über diese Sache aufs eindringlichste ausgesprochen haben, so mahnt Uns die apostolische Wachsamkeit, immer wieder darauf zurückzukommen und fort und fort Unsere Stimme warnend zu erheben, dass bei so drohender Gefahr keine Vorsichtsmaßregel so sicher und eingreifend ist, dass man nicht noch sicherer und eingreifendere anzuwenden brauchte. Möge der gütige Gott diese böswilligen Anschläge vereiteln! Doch das christliche Volk soll wissen und immer vor Augen haben, dass das unwürdige Joch dieser Sekte einmal abgeworfen werden muss. Und dafür müssen sich am eifrigsten diejenigen bemühen, auf denen dieses Joch am schwersten lastet, die Italiener und Franzosen. Mit welchen Waffen und auf welche Weise dies am besten geschehen könne, das haben Wir schon dargelegt. Auch kann der Sieg nicht zweifelhaft sein für den, der auf den göttlichen Führer vertraut, der das Wort gesprochen hat: „Ich habe die Welt besiegt“ (Joh. 26,33).
Segnungen dieser Einigung
22 Ist nun diese doppelte Gefahr beseitigt und die Glaubenseinheit zwischen den verschiedenen Staaten wieder hergestellt, welche segensvolle Heilquelle gegen alle Übel würde dadurch der Welt geöffnet, und welch unermesslicher Strom von Gütern würde sich über die Menschheit ergießen.
Die Kirche würde die ihr gebührende Stellung wieder erhalten
23 Die erste dieser wohltuenden Wirkungen betrifft das Ansehen und die Stellung der Kirche. Würde sie ja dann wieder den ihr entsprechenden Ehrenplatz in der Achtung aller einnehmen und vom Neide unbelästigt, in ihrer Freiheit unbehelligt durch die Menschheit wandeln, um das Licht der himmlischen Wahrheit und Gnade zu spenden. Und wie außerordentlich würde die Wohlfahrt der Staaten dadurch gefördert werden! Das sie von Gott zur Lehrerin und Führerin der Menschheit bestellt ist, so ist sie vor allem dazu berufen und befähigt, die mächtigsten Zeitströmungen in solche Bahnen zu lenken, dass sie sich zum Besten der Allgemeinheit wenden; sie hat es in der Hand, die verwickeltsten Fragen zu lösen, und Recht und Gerechtigkeit die ja die sichersten Grundlagen jedes Staatswesens sind, zu fördern.
Die gegenseitige Annährung der Nationen würde gefördert werden
24 Außerdem würde dann die so außerordentlich segensreiche Annäherung der Nationen zustande kommen, die ja gerade in unserer Zeit besonders wünschenswert ist zur Verhütung unheilvoller Kriege. In welcher Lage sich Europa gegenwärtig befindet, das liegt klar vor unsern Augen, zumal wir schon Jahre lang nur noch in einem Scheinfrieden leben. Und da die Menschen nicht mehr aufeinander vertrauen, und Argwohn in den Herzen sich eingewurzelt hat, so richten unstreitig fast alle Nationen ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf, in den Kriegszurüstungen einander zu überbieten. Deshalb werden die unerfahrenen Jünglinge der Obsorge und Aufsicht ihrer Eltern entrissen und in die Gefahren gedrängt, die mit dem Militärleben verbunden sind. In der Blüte der Jahre müssen diese jungen Leute ihre gewohnte Beschäftigung für eine bestimmte Zeit aufgeben; so z.B. trennen sie sich vom Ackerbau, Studium, Handel und Gewerbe, um dem Rufe zur Armee Folge zu leisten. Darum ist auch, wie es sich bei dem beträchtlichem Geldaufwand leicht erklären lässt, das Staatsvermögen erschöpft, die Privatleute sind an Hab und Gut geschädigt. Schon liegen zur Zeit die Verhältnisse so, dass man den bewaffneten Frieden nicht mehr länger ertragen kann. Oder sollte ein solcher Zustand menschlichen Zusammenlebens der Natur entsprechen? Und können wir uns nur dann davon frei machen und einen Frieden erlangen, der auch den Namen „Frieden“ in Wahrheit verdient, wenn uns Jesus Christus seine Gnade verleiht. Denn um den Ehrgeiz, die Eifersucht, die Gier nach fremdem Hab und Gut, - Leidenschaften, welche hauptsächlich die Flammen des Krieges schüren, - zu unterdrücken, kann nichts geeigneter sein, als die christliche Tugend, besonders die Gerechtigkeit. Nur unter dem wohltätigen Einflusse dieser Tugend können wir von einer Unverletzlichkeit der Verträge und des Völkerrechts sprechen, nur dann wird die Menschheit durch die Bande der Brüderlichkeit dauernd aneinandergefesselt, indem jedermann von der Wahrheit des Ausspruches überzeugt ist: „Die Gerechtigkeit erhebt die Völker (Sprichw. 14,34).
Eine Bürgschaft der öffentlichen Wohlfahrt würde geschaffen werden
25 Zugleich würde damit nach jeder Richtung hin Bürgschaft für die öffentliche Wohlfahrt geleistet sein, die bei weitem sicherer und einflussreicher ist, als Gesetze und Waffen diese zustande bringen können. Denn jedermann sieht doch ein, dass täglich, ja stündlich die Gefahren für die Sicherheit und Ruhe sich bedeutend vergrößern, da sich – wie die häufigen und entsetzlichen Verbrechen bezeugen – die Unruhstifter mit ihren revolutionären Anhange die Hände reichen, um gemeinschaftlich die Zerrüttung und dann die gänzliche Vernichtung der Staatengebilde herbeizuführen. Begreiflicherweise dreht sich dann alles um die beiden Fragen, nämlich um die soziale und politische Frage. Zweifelsohne muss man deshalb beiden eine große Wichtigkeit beimessen. Allerdings ist schon über viel lobenswerte Studien, Ausgleichsmaßnahmen und Versuche verhandelt worden, um eine weise und gerechte Lösung beider Fragen zu ermöglichen. Aber gleichwohl gibt es doch kein zweckdienlicheres Mittel zu ihrer Lösung, als die Menschen allenthalben zum Bewusstsein ihrer Pflicht zu führen und zu deren Erfüllung aus dem im Herzen wohnenden Beweggrunde echten christlichen Glaubens anzuleiten. Was die soziale Frage angeht, so haben Wir erst vor kurzem in diesem Sinne Uns darüber geäußert, indem Wir vom Evangelium und der natürlichen Vernunft, als den Grundlagen Unserer Erörterung, ausgingen. Die politische Frage hingegen wird deshalb zum Gegenstand der Erörterung gemacht, um eine Versöhnung der Freiheit und Autorität herbeizuführen, zweier Begriffe, die viele Leute in der Theorie vermengen, in der Praxis jedoch maßlos von einander trennen. Für ihre Lösung kann man aus der christlichen Philosophie sehr brauchbare Mittel finden. Denn nehmen Wir an, was ja auch alle anderen nicht leugnen, dass nämlich Gott der Urheber jeglicher Autorität sei, gleichviel welches die Staatsform sei, so leuchtet der Vernunft sofort ein, dass gesetzlich den einen das Recht zu befehlen zustehe, und dass deshalb ganz naturgemäß den anderen die Pflicht des Gehorsams obliegt. Denn dadurch erleidet die menschliche Würde keine Einbuße; wird doch mehr dem Willen Gottes als dem der Menschen willfahren. Übrigens wird Gott mit den Machthabern aufs strengste verfahren, wofern sie nicht, wie es Gott von ihnen verlangt, nach Recht und Gerechtigkeit seine Stelle vertreten. Aber die Freiheit der einzelnen Personen kann bei niemandem Verdacht oder Hass erregen, weil sie niemandem Schaden zufügt und sich nur mit dem abgibt, was wahr, und was recht ist und sich mit der öffentlichen Ruhe vereinbaren lässt. Wenn man schließlich noch den segensvollen Einfluss in Betracht zieht, welchen die Kirche, die Mutter und Mittlerin zwischen Völkern und Fürsten, auszuüben vermag, sie, die dazu bestimmt ist, Völker und Fürsten mit ihrer Autorität und ihrem Rate zu unterstützen, dann zeigt es sich klar, wie wichtig es für die gemeinsame Wohlfahrt wäre, dass sämtliche Völker sich dazu bestimmen ließen, dieselbe christlich-religiöse Überzeugung im Herzen zu tragen und dieselbe christlich-religiöse Überzeugung auch vor der Welt zu bekennen.
Segen für die Kulturvölker
26 Indem Wir Uns dies in Gedanken vorstellen und es von ganzem Herzen zum Ziel Unserer Wünsche machen, erblicken Wir in der Ferne, wie herrlich sich dann die Ordnung der Dinge auf Erden gestalten würde, und Wir können Uns nichts Angenehmeres denken, als die Betrachtung des Segens, welcher daraus ersprießen würde. Man kann sich kaum einen Begriff machen, welch ungeahnten Aufschwung der Ruhm und Wohlstand der Völker nähme, wenn Ruhe und Frieden gestiftet, wenn die Wissenschaft auf jede Weise gefördert und schließlich nach Unseren Anweisungen Vereine mit christlichem Charakter, so Bauernvereine, Vereine für Handwerker und Geschäftsleute gegründet und vermehrt würden, mit deren Beistand der gierige Wucher zurückgedrängt und das Feld für nützliche Arbeiten ausgedehnt werden würde.
Segen für die unzivilisierten Völker
27 Die segensvolle Kraft dieser Wohltaten würde keineswegs auf die gebildeten und gesitteten Völker beschränkt bleiben, sondern sich vielmehr wie ein überflutender Strom überallhin ergießen. Denn man muss auch das in Betracht ziehen, was Wir schon bei Beginn gesagt haben, dass nämlich zahllose Völker bereits ganze Menschenalter hindurch auf den harren, der ihnen das Licht der Wahrheit und die Zierde der Bildung bringe.
Der Religionsstreit hat den Missionen sehr geschadet
28 Was nun das ewige Wohl der Völker angeht, so sind die Ratschlüsse des ewigen Gottes unendlich weit entfernt von der Einsicht der Menschheit. Wenn aber trotzdem der unheilvolle Un- und Irrglaube heute noch so sehr ausgebreitet ist, so ist davon größtenteils der unglücklichen Religionsspaltung die Schuld zuzuschreiben. Denn inwieweit die menschliche Vernunft aus den geschichtlichen Ereignissen sich ein Urteil bilden kann, so hat Gott Europa die schönste Aufgabe zuerteilt, die christliche Kultur nach und nach in alle Länder zu übertragen. Denn der Anfang dieses so wichtigen Werkes und die Fortschritte, welche eine Frucht der Anstrengungen gewesen sind, berechtigten zu den schönsten Hoffnungen für das Gedeihen des heiligen Werkes der vorausgehenden Jahrhunderte. Da plötzlich brach der Religionsstreit im 16. Jahrhundert aus. Da die Christenheit durch religiöse Streitigkeiten und Zerwürfnisse zerrissen war, und die Kräfte Europas durch Kämpfe und Kriege erschöpft wurden, so litt auch die Missionstätigkeit unter der unheilvollen Macht der damaligen Zeitverhältnisse. Nun sind aber die Ursachen der Uneinigkeit noch nicht beseitigt. Sollte man sich da noch wundern, wenn ein so großer Teil der Menschheit von menschenwürdigen Sitten und unsinnigen Gebräuchen beherrscht wird?
Unsere Zeit ist der Einigung und dem Missionswerk wieder günstig
29 Dabei wollen wir uns alle redlich bemühen, dass die frühere Einheit, schon um des allgemeinen Gutes willen, wieder hergestellt werde. Gerade unsere Zeit ist so recht geeignet, diese Einheit wiederzugewinnen und die Segnungen des christlichen Glaubens weiter auszubreiten, weil das Bewusstsein von der allgemeinen menschlichen Brüderlichkeit niemals so tief in die Herzen eingedrungen war und niemals der Verkehr der Menschen untereinander, um sich kennen zu lernen und sich gegenseitig zu helfen, reger war, als in unserer Zeit. Eisenbahnzüge und Schiffe durchlaufen mit außerordentlicher Schnelligkeit unübersehbare Länderstriche und Meere. Dieser Fortschritt bringt wirklich außerordentliche Vorteile für die Vermehrung der Völkerkunde, aber nicht nur zur Hebung des Handels und zur Befriedigung des Wissensdurstes, sondern auch zur Verkündigung des Wortes Gottes auf der ganzen weiten Welt.
Schluss: Hoffnung auf Gott
30 Wir sind Uns wohl bewusst, mit welch anhaltender und mühsamer Arbeit die Wiederherstellung der Ordnung in der Welt verbunden ist, die Wir so sehnlich wünschen. Es mag auch vielleicht solche Leute geben, die in dem Glauben leben, dass Wir zu allzu großen Hoffnungen hinneigen und etwas erstreben, was man eher wünschen als erwarten dürfte. Aber Wir hoffen und vertrauen einzig und allein auf den Erlöser der Menschen Jesus Christus, dessen wohl eingedenk, dass einstmals so Vieles und Großes durch die „Torheit“ des Kreuzes und der Predigt vom Kreuze erreicht wurde, um die Welt in Staunen zu setzen und die Weisheit zu beschämen. – Dann richten Wir unsere Bitten namentlich an die Fürsten und Lenker der Staaten, sie möchten doch gemäß ihrer politischen Klugheit und treuen Sorge für ihre Untertanen Unsere Ratschläge unparteiisch abwägen und würdigen und sie mit ihrer Autorität und ihrer Gunst unterstützen. Selbst wenn nur ein kleiner Teil der erwünschten Früchte erzielt werden würde, so wäre dies keineswegs eine geringe Wohltat, zumal in unseren Tagen alles in Schwanken und Wanken geraten ist, und sich zu dem unerträglichen Druck der Gegenwart die Furcht vor der Zukunft gesellt.
Der Ausgang des vorigen Jahrhunderts ließ Europa erschöpft durch die vielen Verluste und voll Angst vor den drohenden Stürmen zurück. Warum sollte da nicht das schon seinem Ende zueilende Jahrhundert umgekehrt der Menschheit als Erbe Aussichten auf Eintracht und die Hoffnung auf die höchsten Güter, die mit der Einheit des christlichen Glaubens verbunden sind, überlassen?
Gott, der Allbarmherzige, in dessen Macht die Zeiten und Stunden liegen, möge sich Unserer Wünsche gnädig annehmen, und in seiner Güte bald die göttliche Verheißung Jesu Christi in Erfüllung gehen lassen, die da heißt: „Es wird nur eine Herde und ein Hirt sein“ (Joh. 10,16).
im 17. Jahre Unseres Pontifikates.
Weblinks
- Das deutsche Schreiben bei Kathtube als Worddokument
- Die lateinische Fassung auf der Vatikanseite
- Der englische Text bei www.papalencyclicals.net
- Die Rückkehr-Ökumene wird wieder aktuell Kath.net am 11. Juli 2008