Nous croyons (Wortlaut)
Nous croyons |
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von Papst
Pius' XII.
an die Teilnehmer des sechsten Internationalen Kongresses für Strafrecht
Internationale Vereinheitlichung des Strafrechts
3. Oktober 1953
(Quelle: Arthur Fridolin Utz OP, Joseph-Fulko Groner O.P, Hrsg.: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius' XII. (1939-1958), Übersetzerkollegium: Herausgeber und Franz Schmal u. H. Schäufele, Paulus Verlag Freiburg/Schweiz 1954; Imprimatur Friburgi Helv., die 5. Maii 1954 N. Luyten O.P. Imprimatur Friburgi Helv., die 29. Junii 1954 R. Pittet, v.g.; Band I, S. 188-208; Nrn. 432-484)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitend
- 2 I. Die Notwendigkeit eines internationalen Strafrechts zur Ahndung politischer Verbrechen
- 3 II. Objekte eines internationalen Strafrechts
- 4 III. Vereinheitlichung im gerechten Strafmaß
- 5 IV. Das ordnungsgemäße Strafverfahren
- 6 V. Grundsätze der Rechtsprechung
- 7 Schlussworte
Einleitend
Begrüßung
Wir glauben, dass sich selten eine so große und erlesene Zahl von Juristen und Spezialisten der Rechtswissenschaft wie der Rechtspraxis aus der ganzen Welt im Hause des Papstes zusammengefunden hat, wie Wir sie heute um Uns versammelt sehen. Um so größer ist Unsere Freude, meine Herren, Sie hier bei Uns willkommen heißen zu können. Dieser Gruß richtet sich an jeden einzelnen von Ihnen wie auch an die Gesamtheit Ihres sechsten Internationalen Kongresses für Strafrecht, der während der letzten Tage eine angestrengte Arbeit geleistet hat. Wir nehmen am Verlauf Ihres Kongresses lebhaften Anteil und können es Uns nicht versagen, zu seinen Themen und Entschließungen einige grundsätzliche Ausführungen zu machen. Wir hoffen, damit den Wünschen zu entsprechen, die aus Ihren Reihen an Uns gelangt sind.
Allgemeine Dringlichkeit einer internationalen Vereinheitlichung des Strafrechts in der modernen Zeit
Ein friedliches und geordnetes Zusammenleben ist in der Gemeinschaft eines Volkes wie in der Gemeinschaft der Völker nur möglich, wenn die Rechtsnormen, die das Zusammenleben und Zusammenwirken der Glieder der Gesellschaft regeln, auch eingehalten werden. Aber es gibt immer Menschen, die sich an diese Normen nicht halten und das Recht brechen. Gegen sie muss die Gemeinschaft sich schützen. Darum das Strafrecht, das den Rechtsbruch ahndet und den Rechtsbrecher durch die Strafe zur Beobachtung des verletzten Rechtes zurückführt.
Die einzelnen Staaten und Völker haben ihre eigenen Strafrechte. Sie sind zustande gekommen durch Zusammenfassung vieler einzelner Teile, und doch besteht zwischen ihnen eine mehr oder weniger große Verschiedenheit. Da man heute so leicht den Wohnsitz wechselt und häufig von einem Staat zum andern hinübergeht, ist es wünschenswert, dass zum mindesten die schwersten Verbrechen überall und wenn möglich gleich streng bestraft werden, so dass sich die Schuldigen nirgendwo der Strafe entziehen oder ihr entzogen werden können. Eine Verständigung und gegenseitige Unterstützung dieser Art sucht das internationale Strafrecht zu verwirklichen.
Wenn das, was Wir gesagt haben, schon in normalen Zeiten gilt, so wird es ganz besonders dringlich in Zeiten des Krieges und bei schweren politischen Wirren, wenn Bürgerkriege im Inneren eines Staates ausbrechen. Der politische Rechtsbrecher stört die soziale Lebensordnung ebenso sehr wie der Rechtsbrecher nach gemeinem Recht: weder der eine noch der andere darf sich vor Bestrafung sicher fühlen.
Die einzelnen und die Völker vor Ungerechtigkeit und Rechtsverletzung durch die Ausarbeitung eines internationalen Strafrechtes zu schützen, ist ein hohes Ziel. Um diesem näherzukommen, möchten Wir einige Worte an Sie richten.
I. Die Notwendigkeit eines internationalen Strafrechts zur Ahndung politischer Verbrechen
Wir wollen zunächst von der Bedeutung des internationalen Strafrechts reden, wie es sich aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre ergibt.
Diese Erfahrungen umfassen zwei Weltkriege mit ihren Nachwirkungen. In ihrem Verlauf haben sich im Innern der Länder und zwischen den Ländern, und als sich die politischen Allmachtssysteme frei entfalten konnten, Dinge erreignet, deren einziges Gesetz Gewalt und Erfolg waren: es zeigte sich damals ein unter normalen Umständen unvorstellbarer Zynismus bei der Verfolgung des erstrebten Zieles und der Ausschaltung des Gegners. Dieser wurde allgemein nicht mehr als Mensch betrachtet. Nicht blinde Naturkräfte, sondern Menschen haben bald in wilder Leidenschaft, bald mit kalter Berechnung unsagbares Leid, Elend und Vernichtung über einzelne Gemeinschaften und Völker gebracht.
Diejenigen, die so handelten, fühlten sich sicher oder versuchten, sich die Zusicherung zu verschaffen, dass sie nirgends und durch niemanden zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Wenn sich das Glück gegen sie wandte, blieb ihnen immer noch die Möglichkeit, ins Ausland zu fliehen. Das war die Einstellung derer, die sich selber wie Verbrecher benahmen oder die kraft ihrer Macht anderen befahlen, sie zu handeln zwangen oder zuließen, dass sie Verbrechen begingen, obgleich sie sie hätten daran hindern können und sollen.
Bei den Betroffenen schuf dies alles den Eindruck der Rechtlosigkeit, der Schutzlosigkeit, und als seien sie der Willkür und brutalen Gewalt ausgeliefert. Aber es enthüllte auch eine Forderung: jene Schuldigen, von denen Wir eben gesprochen haben, müssen ohne Ansehen der Person gezwungen werden können, Rechenschaft abzulegen und ihre Strafe auf sich zu nehmen, und nichts darf sie der Bestrafung ihrer Taten entziehen, weder der Erfolg noch selbst der « höhere Befehl », den sie erhalten haben.
Der angeborene Gerechtigkeitssinn des Menschen verlangt eine solche Bestrafung und erblickt in der Androhung einer Strafe, die auf alle angewandt wird, eine wenn nicht unfehlbare, so doch wenigstens nicht zu missachtende Garantie gegen solche Verbrechen. Dieser Gerechtigkeitssinn hat im großen und ganzen genügenden Ausdruck im Strafrecht der einzelnen Staaten gefunden, was die Delikte des gemeinen Rechts anbetrifft; in geringerem Maße im Falle politischer Gewalttaten im Innern der Staaten und bisher nur ganz ungenügend für die Kriegsereignisse zwischen den Staaten und Völkern.
Und doch stellt ein ausgeglichener Rechtssinn hier keine weniger einleuchtenden, weniger dringenden Forderungen auf, und wenn sie erfüllt werden, wird man ihre vorbeugende Kraft nicht weniger spüren. Die vertraglich gesicherte Gewissheit, dass man Rechenschaft ablegen muss - selbst wenn der verbrecherische Akt gelingt, selbst wenn man das Delikt im Ausland begeht, selbst wenn man nach vollbrachter Untat ins Ausland flieht -, diese Gewissheit ist eine nicht zu unterschätzende Garantie. Die Einsicht in diese Zusammenhänge lässt selbst den Mann von der Straße die Bedeutung des internationalen Strafrechts erkennen. Es handelt sich dabei in der Tat nicht um bloße Forderungen der menschlichen Natur und der sittlichen Pflicht, sondern um die Ausarbeitung von klar bestimmten Rechtsnormen mit Zwangscharakter, die auf Grund formeller Verträge für die vertragschließenden Staaten bindendes Recht werden.
II. Objekte eines internationalen Strafrechts
An zweiter Stelle wollen Wir von den verschiedenen Arten von Verbrechen sprechen, mit denen das internationale Strafrecht sich zu befassen hat.
Wenn schon das gewöhnliche Strafrecht den Grundsatz anwenden muss, dass es sich nicht auf alle Akte erstrecken kann, die gegen die Moral verstoßen, sondern nur auf diejenigen, die ernstlich die Ordnung des Gemeinschaftslebens bedrohen, so verdient dieser Grundsatz eine ganz besondere Beachtung bei der Ausarbeitung eines internationalen Strafrechts (gl. Thomas von Aquin, S. Th. Hf q. 96 a.2 und 1). Es würde den Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilen, wenn man internationale Vereinbarungen für alle auch noch so geringen Rechtsbrüche schaffen wollte. Man kann hier nur die besonders schweren, ja nur die allerschwersten Delikte ins Auge fassen. Nur in Bezug auf diese kann man das Strafrecht zwischen den Staaten einheitlich gestalten.
Im übrigen muss sich Auswahl und Begrenzung der Strafdelikte auf objektive Kriterien stützen, nämlich die Schwere gewisser Delikte und die Notwendigkeit, gerade gegen diese vorzugehen. In dieser Hinsicht ist es von entscheidender Wichtigkeit, folgende Gesichtspunkte zu beachten:
1. den Wert der verletzten Güter; es können nur die wichtigsten sein;
2. die Stärke des Anreizes, sie zu verletzen;
3. die Stärke der Böswilligkeit, die gewöhnlich dazugehört, um diese Delikte zu begehen;
4. den Grad der Umkehrung der Rechtsordnung in der Person des Verbrechers, z. B. im Fall, wenn diejenigen, die Hüter des Rechts sein sollten, es selber verletzen;
5. die Schwere der Bedrohung der Rechtsordnung auf Grund außerordentlicher Umstände, die einerseits die Gefahr verbrecherischer Unternehmungen steigern und sie andererseits in ihren Auswirkungen bedeutend verhängnisvoller machen. Man denke z. B. an Ausnahmezustand, Krieg oder Belagerung.
Auf Grund dieser Kriterien könnte man eine Reihe von Fällen anführen, die durch ein internationales Strafrecht bestraft werden sollten.
1. Der moderne Angriffskrieg
An erster Stelle steht das Verbrechen des modernen Krieges, der nicht durch die unbedingte Notwendigkeit der Verteidigung gefordert ist und der - Wir können es ohne Zögern aussprechen - unvorstellbare Zerstörungen, Leiden und Schrecken mit sich bringt. Die Völkergemeinschaft muss mit gewissenlosen Verbrechern rechnen, die zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne nicht davor zurückschrecken, einen totalen Krieg zu entfesseln. Darum bleibt den anderen Völkern, wenn sie ihre Existenz und ihre kostbarsten Güter beschützen und den internationalen Unglücksstiftern nicht freies Spiel lassen wollen, nichts übrig, als sich wohl oder übel auf den Tag vorzubereiten, wo sie sich verteidigen müssen. Dieses Recht zur Verteidigung kann man selbst heute keinem Staat verweigern. Das ändert im übrigen absolut nichts an der Tatsache, dass der ungerechte Krieg an die erste Stelle der schwersten Verbrechen zu stellen ist, die das internationale Strafrecht auf die schwarze Liste setzt und mit den schwersten Strafen belegt, und deren Urheber auf jeden Fall schuldig und der vorgesehenen Strafe verfallen sind.
2. Gewisse Kriegsmittel
Die Weltkriege, welche die Menschheit erlebt hat, und die Ereignisse, die sich in den totalitären Staaten abspielen, haben noch viele andere, zum Teil sehr schwere Untaten gezeitigt, die ein internationales Strafrecht unmöglich machen oder von denen es die Staatengemeinschaft befreien sollte. So sind auch in einem gerechten und notwendigen Krieg nicht alle wirksamen Mittel für einen Menschen mit gesundem und vernünftigem Rechtsempfinden annehmbar. Die Massenerschießung Unschuldiger als Repressalie für den Fehler eines einzelnen ist kein Akt der Gerechtigkeit, sondern sanktionierte Ungerechtigkeit; unschuldige Geiseln zu erschießen, wird nicht dadurch ein Recht, dass man es als Kriegsnotwendigkeit hinstellt. In den letzten zehn Jahren hat man Massenmorde aus Rassenhass gesehen; man hat der ganzen Welt die Schrecken und Grausamkeiten der Konzentrationslager bekannt gemacht; man hat von der «Ausrottung» Hunderttausender gehört, die als « lebensunfähig » bezeichnet wurden, von erbarmungslosen Massendeportationen, deren Opfer oft mit Frau und Kind dem Elend ausgeliefert wurden, von der Vergewaltigung einer riesigen Zahl von schutzlosen Mädchen und Frauen, von organisierter Menschenjagd unter der Zivilbevölkerung, um Arbeiter oder, besser gesagt, um Arbeitssklaven zu bekommen. Die Rechtspflege entartete hie und da bis zur grenzenlosen Willkür sowohl im Untersuchungsverfahren wie bei der Urteilsfällung oder beim Strafvollzug. Um sich an jemandem zu rächen, dessen Verhalten vielleicht moralisch untadelig war, hat man sich bisweilen nicht einmal gescheut, sich an dessen Familienangehörigen zu vergreifen.
Diese wenigen Beispiele - Sie wissen, es gibt noch viele andere - mögen genügen, um zu zeigen, welche Art von Verbrechen den Gegenstand internationaler Verträge bilden müssten, die imstande wären, einen wirksamen Schutz zu gewähren, und die genau die zu verfolgenden Straftaten angeben und ihre Merkmale mit juristischer Genauigkeit kennzeichnen müssten.
III. Vereinheitlichung im gerechten Strafmaß
Der dritte Punkt, der zum mindesten eine kurze Erwähnung verlangt, betrifft die Strafen, die durch das internationale Strafrecht zu beantragen wären. Eine allgemeine Bemerkung mag hier genügen.
Es gibt eine Art zu strafen, die das Strafrecht geradezu lächerlich macht; aber es gibt eine andere, die jedes vernünftige Maß überschreitet. Wo mit dem menschlichen Leben ein verbrecherisches Spiel getrieben wird, wo Hunderte und Tausende von Menschen dem äußersten Elend ausgeliefert und zur Verzweiflung getrieben werden, da würde eine bloße Aberkennung der bürgerlichen Rechte eine Beleidigung der Gerechtigkeit darstellen. Wenn dagegen die Übertretung einer Polizeivorschrift oder ein unbedachtes Wort gegen die Obrigkeit durch Erschießung oder lebenslängliche Zwangsarbeit bestraft wird, empört sich der Gerechtigkeitssinn. Die Festlegung der Strafen im Strafrecht und ihre Anwendung auf den Einzelfall müssen der Schwere des Vergehens entsprechen.
Das Strafrecht der verschiedenen Staaten nennt im allgemeinen die Strafen und gibt die Richtlinien für ihre Zumessung an, oder es überlässt dies der Sorge des Richters. Aber man müsste durch internationale Abkommen versuchen, diese Strafen so einander anzugleichen, dass die in den Abkommen aufgeführten Delikte nirgends zu einem Vorteil verhelfen könnten, d. h. dass ihre Bestrafung nicht in einem Lande weniger zu fürchten wäre als in einem anderen und dass man nicht vor einem Tribunal eine günstigere Beurteilung als vor einem anderen finden könnte. Die Staaten zu einer solchen Angleichung zu zwingen, wäre unmöglich. Aber ein objektiver Meinungsaustausch könnte doch Aussicht bieten, nach und nach zu einer Übereinstimmung im wesentlichen zu gelangen. Man würde nur dort auf unüberwindliche Hindernisse stoßen, wo ein politisches System selber auf den vorhin erwähnten Ungerechtigkeiten, welche die internationale Übereinkunft verfolgen müsste, aufgebaut wäre. Wer von der Ungerechtigkeit lebt, kann nicht zur Ausarbeitung des Rechts beitragen, und wer sich schuldig weiß, wird kein Gesetz aufstellen, das seine Schuld ausspricht und ihn der Strafe überliefert. Dieser Umstand erklärt in etwa, was sich bei den Bemühungen um die Anerkennung der « Menschenrechte » abgespielt hat, obwohl es dabei auch andere Schwierigkeiten gibt, die aus ganz anderen Ursachen hervorgehen.
IV. Das ordnungsgemäße Strafverfahren
An vierter Stelle wollen Wir von den Rechtssicherungen sprechen, von denen im Programm Ihres Kongresses mehrfach die Rede ist.
1. Notwendigkeit und Elemente eines rechtlichen Prozesses
Die Funktion des Rechts, seine Würde und das Rechtsgefühl, das dem Menschen angeboren ist, verlangen, dass der Strafvollzug sich von Anfang bis zu Ende nicht auf Willkür und Leidenschaft stützt, sondern auf klare und feste Rechtsregeln. Das bedeutet zunächst, dass ein Rechtsverfahren stattfindet, zum mindesten ein summarisches, falls man ohne Gefahr nicht länger warten kann, und dass man zur Vergeltung eines Verbrechens nicht kurzen Prozess macht, um die Gerechtigkeit vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein Bombenattentat, das ein Unbekannter begangen hat, dadurch zu rächen, dass man auf die Vorübergehenden, die sich zufällig auf der Straße befinden, mit einem Maschinengewehr schießt, ist kein rechtmäßiges Vorgehen.
Die Verhaftung
Schon der erste Schritt des Strafverfahrens, die Verhaftung, darf nicht nach Laune vorgenommen werden, sondern muss die Rechtsnormen beachten. Es ist nicht zulässig, dass selbst der untadeligste Mensch willkürlich verhaftet und ohne weiteres in einem Gefängnis verschwinden kann. Jemanden in ein Konzentrationslager zu bringen und ihn dort ohne gesetzliche Verhandlung festzuhalten, heißt, sich über das Recht lustig machen.
Die Untersuchungsmethoden : Tortur, Psychoanalyse
Vom Untersuchungsverfahren muss physische und psychische Tortur und Narkoanalyse ausgeschlossen sein, zunächst, weil diese ein Naturrecht verletzen, selbst wenn der Angeklagte wirklich schuldig ist, und dann, weil sie nur zu oft ein falsches Ergebnis zeitigen. Nicht selten führen sie genau zu den vom Gericht gewünschten Geständnissen und zum Verderben des Angeklagten, nicht weil dieser tatsächlich schuldig wäre, sondern weil seine körperliche und geistige Kraft erschöpft und er bereit ist, jede gewünschte Erklärung abzugeben. « Lieber Gefängnis und Tod als diese körperliche und seelische Tortur!» Für diesen Sachverhalt finden Wir reichliche Beweise in den bekannten Schauprozessen mit ihren Geständnissen, ihren Selbstanklagen und ihren Forderungen nach unbarmherziger Bestrafung.
Vor ungefähr elfhundert Jahren, im Jahre 866, antwortete der große Papst Nikolaus I. folgendermaßen auf die Fragen eines Volkes, das gerade erst mit dem Christentum in Berührung gekommen war (Nicolai primi responsa ad consulta Bulgarorum, cap. 86, 13. November 866. - Mon. Germ. hist., Epp. tom. VI, pag. 595) : « Wenn ein Dieb oder Räuber gefasst wird und leugnet, was ihm zur Last gelegt wird, dann behauptet ihr, der Richter müsse ihm Peitschenhiebe über den Kopf versetzen und ihn mit Eisenstacheln in die Seite stechen, bis er die Wahrheit gestehe. Das gestattet weder das göttliche noch das menschliche Gesetz: das Geständnis darf nicht erzwungen werden, sondern muss von selber kommen; es darf nicht durch Misshandlungen erpresst werden, sondern muss freiwillig sein; wenn es schließlich geschieht, dass ihr, nachdem ihr ihm Schmerzen zugefügt habt, absolut gar nichts entdeckt von dem, wessen man ihn beschuldigt hat, errötet ihr nicht wenigstens dann und erkennt, wie gottlos euer Urteil war? Ebenso wenn der Beschuldigte die Torturen nicht aushalten kann und darum Verbrechen gesteht, die er nicht begangen hat, wer ist, frage ich euch, für eine solche Gottlosigkeit verantwortlich, wenn nicht der, der dieses Lügengeständnis erzwungen hat? Mehr noch, wenn einer mit den Lippen etwas äußert, was er nicht im Geiste hat, dann gesteht er bekanntlich nicht ein, sondern er sagt nur etwas daher. Gebt das also auf und verabscheut von ganzem Herzen, was ihr bis jetzt im Unverstand geübt habt; denn, wahrlich welchen Nutzen habt ihr von dem gehabt, worüber ihr jetzt errötet ... ? »
Wer möchte nicht wünschen, dass in dem langen Zeitraum seither die Gerechtigkeit sich niemals von dieser Regel entfernt hätte! Dass man heute diese Mahnung, die vor elfhundert Jahren gegeben wurde, wiederholen muss, ist ein trauriges Zeichen der Verirrungen der Rechtspraxis im zwanzigsten Jahrhundert.
Die Verteidigung
Zu den Garantien der Rechtssprechung zählt auch die Möglichkeit, dass der Angeklagte sich wirklich und nicht nur der Form nach verteidigen kann. Es muss sowohl ihm wie seinem Verteidiger erlaubt sein, dem Gericht alles zu unterbreiten, was zu seinen Gunsten spricht; es ist nicht zulässig, dass die Verteidigung nur das vorbringen kann, was dem Gerichtshof und einer parteiischen Rechtssprechung angenehm ist.
Die Unparteilichkeit des Gerichtshofes
Zu den Garantien des Rechts gehört als ein wesentlicher Faktor die unparteiische Zusammensetzung des Gerichtshofs. Der Richter darf nicht « Partei » sein, weder persönlich noch für den Staat. Ein Richter, der echten Gerechtigkeitssinn besitzt, wird von sich aus auf die Ausübung seines Richteramtes verzichten, wo er sich als Partei betrachten müsste. Die «Volksgerichte», die in den totalitären Staaten ausschließlich aus Mitgliedern der Partei zusammengesetzt waren, boten keinerlei Rechtsgarantie.
Die Unparteilichkeit des Richterkollegiums muss auch und vor allem dann gesichert sein, wenn internationale Beziehungen in die Strafverfahren hineinspielen. In einem solchen Fall kann es notwendig sein, sich an einen internationalen Gerichtshof zu wenden oder wenigstens gegen einen nationalen Gerichtshof beim internationalen Gericht Berufung einzulegen. Wer mit der Sache nichts zu tun hat, empfindet ein Missbehagen, wenn er sieht, wie nach Abschluss der Feindseligkeiten der Sieger den Besiegten wegen Kriegsverbrechen aburteilt, während sich der Sieger gegenüber dem Besiegten ähnlicher Handlungen schuldig gemacht hat. Die Besiegten können zweifellos schuldig sein; ihre Richter können ein offenkundiges Rechtsgefühl und den Willen zu völliger Objektivität haben; trotzdem verlangt in solchen Fällen oft das Interesse des Rechts und das Vertrauen, das für das Urteil beansprucht wird, die Zuziehung von neutralen Richtern zum Gerichtshof, und zwar so, dass die entscheidende Mehrheit von diesen abhängt. Der neutrale Richter darf es in solchen Fällen nicht als seine Aufgabe betrachten, den Angeklagten freizusprechen; er muss das bestehende Recht anwenden und sich demgemäß verhalten. Aber diese Zuziehung gibt allen unmittelbar Interessierten, allen neutralen Dritten und der Weltöffentlichkeit eine größere Gewissheit, dass « Recht» gesprochen worden ist. Gewiss stellt sie eine gewisse Begrenzung der eigenen Souveränität dar; aber dieser Verzicht wird mehr als aufgewogen durch den Zuwachs an Prestige, an Achtung und Vertrauen gegenüber den richterlichen Entscheidungen des Staates, der so vorgeht.
2. Das Problem der Schuldfrage
Keine Strafe ohne moralische Schuld
Unter den vom Rechte geforderten Garantien ist vielleicht keine so wichtig, noch so schwer zu erreichen wie die Klärung der Schuldfrage. Es müsste im Strafrecht ein unverletzlicher Grundsatz sein, dass die « Strafe» im juristischen Sinn stets eine « Schuld» voraussetzt. Das bloße einfache Kausalitätsprinzip darf nicht an sich schon als hinreichendes Rechtsprinzip angesehen werden. Darin liegt keinerlei Gefährdung des Rechts. Bei einem mit böser Absicht begangenen Delikt tritt das Kausalltätsprinzip in volle Wirksamkeit; das Ergebnis - das « effectu secuto » des kanonischen Rechts - kann tatsächlich gefordert sein, um das Vorhandensein eines Vergehens feststellen zu können; aber im Strafrecht sind die Ursache und das von dieser ausgehende Ergebnis nur dann Gegenstand der Anklage, wenn sie mit Verschuldung zusammengeht.
Hier stößt der Richter auf schwierige, ja sogar sehr schwierige Probleme. Um sie zu lösen, muss vor allem der subjektive Tatbestand gewissenhaft untersucht werden: war dem Urheber des Vergehens die Unrechtmäßigkeit seiner Handlung hinreichend bewusst? War sein Entschluss, es auszuführen, im wesentlichen frei? Man wird, um auf diese Fragen zu antworten, die vom Recht vorgesehenen Vermutungen anwenden. Ist es unmöglich, die Verschuldung mit moralischer Gewissheit festzustellen, muss man sich an den Grundsatz halten: « in dubio standum est pro reo. (« Im Zweifelsfall muss man sich zugunsten des Angeklagten entscheiden ») »
Die Schuld der «Verbrecher auf Befehl»
Das alles findet man schon im gewöhnlichen Strafprozess. Aber die zahlreichen Kriegs- und Nachkriegsprozesse bis auf den heutigen Tag haben dem Problem eine besondere Note gegeben. Der Richter musste dabei und muss immer noch den Fall derjenigen untersuchen, die anderen befohlen haben, ein Verbrechen zu begehen, oder die es nicht verhindert haben, obgleich sie es gekonnt oder gesollt hätten. Noch häufiger erhob sich die Frage der Verschuldung derjenigen, die Verbrechen nur auf Befehl ihrer Vorgesetzten, oder sogar von diesen unter Androhung der schwersten Strafen und oft des Todes gezwungen, begangen haben. Die Angeklagten haben sich in diesen Prozessen häufig auf diesen Umstand berufen, dass sie nur auf ausdrücklichen Befehl « höherer Instanzen» gehandelt hätten.
Wird es möglich sein, durch internationale Abkommen zu erreichen, dass einerseits die Vorgesetzten rechtlich außer Stande gesetzt werden, Verbrechen zu befehlen, und dass sie strafbar sind, wenn sie derartige Befehle erteilt haben, und dass andererseits ihre Untergebenenen davon dispensiert werden solche Befehle auszuführen, und dass sie strafbar werden, wenn sie gehorchen? Wird es möglich sein, durch internationale Abkommen den rechtlichen Widerspruch zu beseitigen, nach dem ein Untergebener in seinem Besitz, seinen Gütern und seinem Leben bedroht ist, wenn er nicht gehorcht, und wenn er gehorcht, fürchten muss, dass nach Beendigung der Feindseligkeiten die beleidigte Partei, wenn sie den Sieg davonträgt, ihn als «Kriegsverbrecher» vor Gericht stellt? Wie klar auch die moralische Norm in all diesen Fällen sein mag - keine höhere Instanz ist berechtigt, einen unmoralischen Akt zu befehlen; es gibt kein Recht, keine Verpflichtung, keine Erlaubnis, einen an sich unmoralischen Akt auszuführen, selbst wenn er befohlen ist, selbst wenn die Weigerung, zu handeln, die schlimmsten persönlichen Nachteile nach sich zieht -, diese moralische Norm steht im Augenblick nicht zur Frage. Es handelt sich gegenwärtig darum, den juristischen Widerspruch, auf den Wir hingewiesen haben, zu beseitigen, indem vermittels internationaler Abkommen positive, genau definierte Rechtsbestimmungen festgesetzt werden, die von den vertragschließenden Staaten anerkannt werden und verpflichtend sind.
Die « Kollektivschuld »
Dieselbe Notwendigkeit einer internationalen Regelung besteht im Hinblick auf das so oft in diesen letzten Jahren angeführte und angewandte Prinzip der bloßen Kollektivschuld, auf Grund dessen der Richter im Prozess über die Verschuldung des Angeklagten urteilen sollte und das öfter noch dazu diente, Verwaltungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Staaten und die Gerichte, die im Prinzip der Kollektivschuld eine Rechtfertigung für ihre Ansprüche und ihr Vorgehen fanden, beriefen sich darauf theoretisch und wandten es als Richtschnur des Handelns an. Die Gegner bestritten es und betrachteten es sogar als in jeder nur von Menschen aufgestellten Ordnung für unannehmbar, weil es sowohl in sich wie auch vom juristischen Standpunkt aus Widersprüche enthielt. Aber auch hier handelt es sich im Augenblick nicht um das ethische und philosophische Problem der bloß kollektiven Schuld; es handelt sich vielmehr darum, eine praktische Formel zu finden und rechtlich zu fixieren, die in einem Konfliktfall, besonders einem internationalen Konflikt, wo die Kollektivschuld von entscheidender Bedeutung zur Feststellung der Schuld sein kann und mehr als einmal gewesen ist, angewandt werden kann. Die Garantie eines geordneten juristischen Vorgehens fordert hier, dass das Handeln der Regierungen und der Gerichte der Willkür und der rein persönlichen Meinung entzogen wird und eine solide Grundlage juristisch klarer Normen erhält, eine Grundlage, die der gesunden Vernunft und dem allgemeinen Rechtsempfinden entspricht und dem die vertragschließenden Regierungen ihre Autorität und ihre Zwangsgewalt zur Verfügung stellen können.
V. Grundsätze der Rechtsprechung
Ein letztes Wort zu gewissen Grundlagen des Strafrechts. Es sind die folgenden:
1. Die Aufstellung eines positiven Rechts setzt eine Reihe von grundlegenden Forderungen voraus, die aus der ontologischen Ordnung stammen.
2. Das Strafrecht muss auf den Menschen als ein persönliches und freies Wesen gegründet sein.
3. Nur der kann bestraft werden, der schuldig und vor einer höheren Autorität verantwortlich ist. 4. Die Strafe und ihre Anwendung sind letzten Endes notwendige Funktionen der rechtlichen Ordnung.
1. Begründung des positivven Rechts aus der allgemeinen Menschennatur
(Ad 1.) Das Recht ist notwendigerweise im letzten Grunde auf die ontologische Ordnung, ihre Festigkeit, ihre Unwandelbarkeit gegründet. Sind die Menschen und Völker nicht überall, wo sie in Rechtsgemeinschaften leben, eben Menschen mit einer wesentlich gleichen menschlichen Natur? Die Forderungen, die sich aus dieser Natur ableiten, sind die letzten Normen des Rechts. So verschieden auch die Formulierung dieser Forderungen im positiven Recht je nach Zeit und Ort, nach dem Entwicklungs- und Kulturstand sein mag, ihr innerster Kern ist doch, weil er die « Natur» ausdrückt, überall derselbe.
Diese Forderungen sind wie der tote Punkt eines Pendels. Das positive Recht geht über den toten Punkt bald nach der einen, bald nach der anderen Seite hinaus, aber das Pendel kehrt immer wieder, ob es will oder nicht, zu dem von der Natur festgesetzten toten Punkt zurück. Ob man die Forderungen der Natur « Recht», « ethische Normen » oder « Postulate der Natur» nennt, ist unwichtig. Doch man muss die Tatsache anerkennen, dass sie existieren; dass sie nicht von der Laune des Menschen festgesetzt wurden, dass sie ontologisch in der menschlichen Natur wurzeln, die der Mensch nicht selber geformt hat; dass sie sich daher überall finden müssen; und dass folglich jedes öffentliche Recht und Völkerrecht in der gemeinsamen menschlichen Natur eine klare, feste und dauerhafte Grundlage findet.
Daraus folgt, dass ein extremer Rechtspositivismus vor der Vernunft nicht gerechtfertigt werden kann. Er vertritt den Grundsatz: « Das Recht umfasst alles, was als 'Recht' von der legislativen Macht in einer nationalen oder internationalen Gemeinschaft festgesetzt ist, und nichts anderes, völlig unabhängig von irgendwelchen Grundforderungen der Vernunft oder der Natur ». Wenn man sich auf dieses Prinzip beruft, hindert nichts, dass ein logischer und sittlicher Widersinn, die entfesselte Leidenschaft, die Launen und die brutale Gewalt eines Tyrannen und eines Verbrechers « Recht » werden können. Die Geschichte bietet bekanntlich mehr als ein Beispiel dieser zur Wirklichkeit gewordenen Möglichkeit. Wo dagegen der Rechtspositivismus so aufgefasst wird, dass man den Begriff « Recht » nur für die durch die Gesetzgebung ausgearbeiteten Gesetze anwendet, während man die Grundforderungen der Natur durchaus anerkennt, möchte mancher diese Anwendung des Begriffs in ihrer Allgemeinheit vielleicht wenig genau nennen; immerhin bietet sie eine gemeinsame Grundlage für die Errichtung des internationalen Rechts auf der Grundlage der ontologischen Ordnung.
2. Sittliche Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung für eine Bestrafung
(Ad 2.) Die Verwirklichung der Rechtsordnung geschieht in einer wesentlich anderen Weise als in der physischen Ordnung. Diese letztere verwirklicht sich automatisch durch die Natur der Dinge selbst. Jene dagegen verwirklicht sich nur durch die persönliche Entscheidung des Menschen, wenn er eben sein Verhalten der Rechtsordnung anpasst. « Der Mensch entscheidet über jede seiner persönlichen Taten» : dieser Satz bezeichnet eine unausrottbare menschliche Überzeugung. Die Mehrzahl der Menschen wird niemals zugeben, dass das, was man die Selbstbestimmung des Willens nennt, nur ein Gewebe von inneren und äußeren Kräften sei.
Man spricht gern von Sicherheitsmaßnahmen, die die Strafe ersetzen oder sie begleiten sollen, von Erbanlage, von natürlichen Veranlagungen, von Erziehung, von dem weitreichenden Einfluss der Dynamismen in der Tiefe des Unbewussten und des Unterbewussten. Wenn diese Betrachtungen auch zu interessanten Resultaten führen können, soll man doch nicht die ganz einfache Tatsache kompliziert machen: der Mensch ist ein persönliches Wesen, mit Intelligenz und freiem Willen begabt, ein Wesen, das letztlich selbst entscheidet, was es tut und nicht tut. Die Gabe dieser Selbstbestimmung besitzen, bedeutet nicht, jedem inneren oder äußeren Einfluss, jedem Anreiz und jeder Verführung enthoben zu sein; es bedeutet nicht, nicht zu kämpfen, um auf dem rechten Weg zu bleiben, nicht täglich einen schwierigen Krieg gegen vielleicht krankhafte Instinkte und Triebe führen zu müssen; aber es bedeutet, dass sich der normale Mensch trotz aller Hindernisse behaupten kann und soll; es bedeutet ferner, dass in der Gesellschaft und im Recht der normale Mensch als Maßstab dienen muss.
Das Strafrecht hätte keinen Sinn, wenn es diesen Aspekt des Menschen nicht in Betracht zöge; aber dieser hat die Wahrheit für sich, und darum hat das Strafrecht seinen vollen Sinn. Und da dieser Aspekt des Menschen eine Überzeugung der Menschheit ist, haben die Bemühungen um Vereinheitlichung des Strafrechts eine solide Grundlage.
3. Die Schuld als innerer Grund der Bestrafung
(Ad 3.) Eine dritte Voraussetzung der Strafgerichtsbarkeit ist das Moment der Schuld. Dieses bestimmt letzten Endes die Grenze zwischen der Rechtsprechung im eigentlichen Sinn und den verwaltungsmäßigen Sicherheitsrnaßnahmen. Auf ihm beruht im letzten Grund das unbedingte Veto der rechtlichen Strafordnung gegen Willkür und Rechtsvergewaltigung ; aus ihm geht eine letzte Begründung und Begrenzung der im Strafvollzug nötigen Garantien hervor.
Das Strafrecht ist seiner inneren Natur nach eine Reaktion der Rechtsordnung gegen den Delinquenten; es setzt die ursächliche Verknüpfung zwischen dieser und jenem voraus. Aber diese Kausalverknüpfung muss durch den schuldigen Delinquenten hergestellt sein.
Es ist ein Irrtum des Rechtsdenkens, die Notwendigkeit dieser Kausalverknüpfung zu bestreiten, indem man anführt, die Strafe rechtfertige sich vollkommen durch die Würde des verletzten Rechts. Diese Verletzung - so behauptet man verlangt eine Genugtuung, die darin besteht, dem Urheber des Deliktes oder einem anderen, der der verletzten Rechtsordnung unterstellt ist, eine schmerzhafte Strafe aufzuerlegen.
Die Wichtigkeit der Schuld, ihrer Voraussetzungen und rechtlichen Wirkungen verlangt, und zwar besonders beim Richter, eine gründliche Kenntnis des psychologischen und juristischen Vorgangs ihrer Entstehung. Nur unter dieser Bedingung erspart sich der Richter die quälende Ungewissheit, die auf dem Arzt lastet, der eine Entscheidung treffen muss, aber nach den Symptomen der Krankheit keine sichere Diagnose stellen kann, weil er ihren inneren Zusammenhang nicht durchschaut. .
Im Augenblick des Deliktes hat der Verbrecher das von der Rechtsordnung aufgestellte Verbot vor Augen; er ist sich seiner und der durch es auferlegten Verpflichtung bewusst; aber trotz dieses Bewusstseins entscheidet er sich gegen dieses Veto, und um diese Entscheidung auszuführen, vollzieht er das äußere Delikt. Das ist das Schema einer schuldhaften Verletzung des Rechts. Auf Grund dieses inneren und äußeren Vorgangs legt man die Tat ihrem Urheber als Ursache zur Last; sie wird ihm als Schuld angerechnet, weil er sie kraft einer bewussten Entscheidung begangen hat; die verletzte Ordnung und die Staatsautorität, die deren Hüter ist, verlangen von ihm darüber Rechenschaft; er verfällt den Strafen, die durch das Gesetz festgesetzt und vom Richter verhängt werden. Die vielfachen Einflüsse auf die Akte des Verstandes und des Willens - also der bei den Faktoren, welche die wesentlich konstitutiven Elemente der Verschuldung bilden - ändern die Grundstruktur dieses Vorgangs nicht, wie groß auch ihre Bedeutung in der Einschätzung der Schwere der Schuld sein mag.
Da das so skizzierte Schema sich aus der Natur des Menschen und der der schuldhaften Entscheidung ergibt, gilt es überall. Es liefert die Möglichkeit einer allgemeinen Grundlage für die internationalen Aussprachen und kann wertvolle Dienste bei der Formulierung der juristischen Regeln leisten, die in einer internationalen Abmachung enthalten sein müssen.
Die gründliche Kenntnis dieser schwierigen Fragen hindert auch die Strafrechtswissenschaft, zu bloßer Kasuistik herabzusinken, und gibt ihr andererseits Richtlinien zum Gebrauch der in der Praxis notwendigen und daher berechtigten Kasuistik.
Wenn man sich dagegen weigert, das Strafrecht auf den Faktor der Schuld als einen wesentlichen Umstand zu gründen, wird es schwer sein, ein wahres Strafrecht zu schaffen und bei internationalen Besprechungen zu einer Verständigung zu gelangen.
4. Der tiefste Sinn von Schuld und Strafe
Moderne Theorien: Strafe als Schutzmaßnahme =
(Ad 4.) Es bleibt noch ein Wort über den letzten Sinn der Strafe zu sagen. Die Mehrheit der modernen Theorien des Strafrechts erklärt die Strafe und rechtfertigt sie letzten Endes als eine Schutzmaßnahme, d. h. als eine Verteidigungsmaßnahme der Gemeinschaft gegen verbrecherische Unternehmungen und zugleich als einen Versuch, den Schuldigen zur Beobachtung des Rechts zurückzuführen. Nach diesen Theorien kann die Strafe auch Sanktionen in Form von Entzug gewisser Güter umfassen, die durch das Gesetz zugesichert sind, um dadurch dem Schuldigen beizubringen, ehrlich zu leben. Aber diese Theorien lehnen es ab, die Buße für das begangene Verbrechen, welche die Rechtsverletzung bestätigt, als Hauptfunktion der Strafe anzusehen.
Man kann einer Theorie, einer juristischen Schule, einer nationalen oder internationalen Strafgesetzgebung die Sorge überlassen, die Strafe philosophisch zu definieren, wie sie sie in Übereinstimmung mit ihrem juristischen System verstehen, wenn sie nur die oben entwickelten Gedanken über die Natur des Menschen und das Wesen der Schuld respektieren.
Strafe als Genugtuung für die Verletzung der sittlichen Ordnung
Aber von einem anderen, und man kann wohl sagen höheren Gesichtspunkt aus darf man sich wohl fragen, ob diese Auffassung dem vollen Sinn der Strafe gerecht wird. Der Schutz der Gemeinschaft gegen Verbrechen und Verbrecher muss gesichert bleiben. Aber der letzte Sinn der Strafe dürfte auf einer höheren Ebene liegen.
Der Kern der Schuld besteht in der freien Opposition gegen das als verpflichtend anerkannte Gesetz, besteht in der bewussten und gewollten Durchbrechung und Vergewaltigung der gerechten Ordnung. Ist sie einmal zustande gekommen, so ist es unmöglich, zu bewirken, dass sie nicht existiert. So weit man kann, soll man der verletzten Ordnung Genugtuung leisten. Das ist eine Grundforderung der « Gerechtigkeit ». Ihre Rolle im Bereich der Sittlichkeit ist die, die bestehende und berechtigte Gleichheit zu erhalten, das Gleichgewicht zu bewahren und die zerstörte Gleichheit wiederherzustellen. Diese fordert, dass der Verantwortliche durch die Strafe zwangsweise der Ordnung unterworfen wird. Der Vollzug dieser Forderung bestätigt die absolute Überlegenheit des Guten über das Böse; durch sie übt die absolute Souveränität des Rechts ihre Macht aus über die Ungerechtigkeit. Will man noch einen letzten Schritt machen: in der metaphysischen Ordnung ist die Strafe eine Folge der Abhängigkeit vom höchsten Willen, einer Abhängigkeit, die bis in die letzten Falten des geschaffenen Seins eingeschrieben ist. Wenn je die Empörung des freien Wesens niedergeschlagen und das verletzte Recht wieder hergestellt werden muss, so ist es hier, wenn es der oberste Richter und die höchste Gerechtigkeit verlangt. Das Opfer einer Ungerechtigkeit kann freiwillig auf Wiedergutmachung verzichten, aber die Gerechtigkeit auf seiner Seite sichert sie ihm auf jeden Fall.
Bei dieser letzten Auffassung der Strafe kommt auch ihre Schutzfunktion, die ihr die Modernen zuschreiben, vollkommen zur Geltung; doch wird sie hier tiefer verstanden. Es handelt sich in der Tat nicht zuerst darum, die durch das Recht gesicherten Güter zu schützen, sondern das Recht selbst. Nichts ist für die nationale und internationale Gemeinschaft so notwendig wie die Achtung vor der Majestät des Rechts und die heilsame Idee, dass das Recht in sich selbst heilig und geschützt ist und dass folglich derjenige, der es verletzt, sich Strafen aussetzt und sie auch wirklich erhält.
Diese Betrachtungen erlauben es, eine frühere Zeit, die viele für überholt halten, gerechter einzuschätzen. Man unterschied damals Heilstrafen - poenae medicinales - und Vergeltungsstrafen - poenae vindicativae. Bei den letzteren ist die vergeltende Funktion der Buße die Hauptsache; die Funktion des Schutzes ist bei beiden Strafarten einbegriffen. Das kanonische Recht hält sich, wie Sie wissen, noch heute an diese Unterscheidung, und diese Haltung gründet sich, wie Sie sehen, auf die oben angeführten Überzeugungen. Sie allein entspricht auch im Vollsinn dem wohlbekannten Wort des Apostels im Römerbrief: « Non enim sine causa gladium portat; ... vindex in iram ei, qui malum agit» - « Nicht umsonst trägt er das Schwert », sagt der hl. Paulus vom Staat, « er ist Diener Gottes, Werkzeug seines Zornes gegen die Übeltäter» (Röm.13, 4). Hier steht die Vergeltung im Vordergrund.
Das Prinzip der reinen Vergeltung in Gottes Weltgericht
Die Bußfunktion allein erlaubt schließlich, das letzte Gericht des Schöpfers selber zu verstehen, der « jedem nach seinen Werken vergilt », wie es beide Testamente oft wiederholen (VgI. besonders Mt. 16,27; Röm. 2, 6). Hier verschwindet die Schutzfunktion vollkommen, wenn man das Leben im Jenseits bedenkt. Für die Allmacht und Allwissenheit des Schöpfers ist es immer leicht, die Gefahr eines neuen Verbrechens durch die innere sittliche Umkehr des Verbrechers zu verhüten. Aber der oberste Richter wendet in seinem letzten Gericht nur das Prinzip der Vergeltung an. Dieses muss also gewiss einen Wert besitzen, der nicht vernachlässigt werden darf.
Darum möge man nur, wie Wir schon sagten, der Theorie und Praxis die Sorge überlassen, die Rolle der Strafe im modernen engeren Sinn oder in dem anderen weiteren Sinn zu bestimmen. Im einen wie im anderen Fall ist eine Zusammenarbeit möglich, und man kann die Schaffung eines internationalen Strafrechts ins Auge fassen. Aber man möge auf diese letzte Begründung der Strafe nicht einzig aus dem Grunde verzichten, dass sie nicht geeignet erscheine, unmittelbar praktische Ergebnisse hervorzubringen.
Schlussworte
Unsere Darlegungen, meine Herren, sind der Berührungslinie zwischen dem Recht und seinen metaphysischen Grundlagen nachgegangen. Wir werden Uns glücklich schätzen, wenn Wir dadurch in etwa zu den Arbeiten Ihres Kongresses zum Schutze und zur Verteidigung des Menschen gegen die Verbrechen und die Verheerungen der Ungerechtigkeit einen Beitrag leisten konnten.
Wir schließen mit dem Wunsch, es möge Ihren Bemühungen gelingen, ein gesundes internationales Strafrecht zum Nutzen der Gesellschaft, der Kirche und der Völkergemeinschaft aufzubauen. Möge die Güte und Barmherzigkeit des allmächtigen Gottes Ihnen zum Unterpfand dafür seinen Segen geben.